Maya – ABC Rhineland https://abcrhineland.blackblogs.org Anarchist Black Cross Rhineland - Freiheit für alle Gefangenen! Freedom for all prisoners! Tue, 21 Jan 2020 20:06:19 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Bericht Tag 1 in der Neuland-Berufung https://abcrhineland.blackblogs.org/2020/01/21/bericht-tag-1-in-der-neuland-berufung/ https://abcrhineland.blackblogs.org/2020/01/21/bericht-tag-1-in-der-neuland-berufung/#comments Tue, 21 Jan 2020 19:10:15 +0000 http://abcrhineland.blackblogs.org/?p=2173 Continue reading Bericht Tag 1 in der Neuland-Berufung ]]> deutsch

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Die Architektur des Gerichts in Aachen ist bemerkenswert: Vom Innenhof bis zum Verhandlungssaal ist alles hoch und quadratisch angelegt. Sie will imponieren und Macht demonstrieren. Du sollst dich klein und ohnmächtig fühlen.
 
Der Eingangsbereich erinnert an einen Flughafenschalter. Der eine Eingang ist für Verteidigende, die auch wie eifrige, geschäftige Bienchen ein und aus laufen, Berge von Akten vor die Brust geklemmt. Der andere ist für Besuchende, die Schlage davor regt sich nur langsam, als hätte sie grade eine viel zu große Mahlzeit eingenommen, denn alle werden einzeln auf mitgeführte Gegenstände kontrolliert. Vor dem Saal selbst werden die Kontrollen wiederholt.

Der Saal ist sehr groß, wobei der Öffentlichkeit höchstens ein Drittel davon zugestanden wird. Die übrigen zwei Drittel werden durch beidseits je zwei Reihen Tische für die Streitparteien und das Lange Pult für die Richtenden eingenommen. Es gibt sehr viele, sehr hohe, schmale Fenster an einer Seite des Raumes. 

Die Angeklagte wird bei der Kontrolle vor dem Saal kurz aufgehalten, weil sie ihre Personalien nicht angeben möchte bis ihr Anwalt dem Richter versichert, dass sie in erster Instanz schon neben ihm gesessen hätte. Gegen 9:30 Uhr sind alle im Saal.

Nach der Eröffnung erklärt der Richter, dass die Bestätigung der Personalien nicht zentral sei, um den Prozess zu führen und führt weiter aus, unter welchen Personalien die Angeklagte geführt wird und wie diese ermittelt wurden.

Anschließend fasst er den bisherigen Verfahrenverlauf zusammen: Haftbefehl im September 2016, 18 Tage U-Haft im Dezember 2016, 3 Prozesse in 1. Instanz Im Herbst 2018, Urteil zu 1 Jahr Knast ausgesetzt auf 3 Jahre Bewährung und 500 Sozialstunden, Aussetztung der Strafe wegen beidseitiger Berufung. 

Auffällig ist auch sein Ankündigung die zu verhandelnde Sache rein strafrechtlich und nicht politisch betrachten zu wollen. Er sehe die Möglichkeit, innerhalb des Rechtssystems unter Inkaufnahme von Bußgeldern Überzeugungen in bestimmte Aktionen umzusetzen. [In anderen Worten darfst du dir deine Aktion also kaufen wenn du nur genug Geld dafür locker machen kannst und willst?! Anm. d. Verfasser*in]

Außerdem bietet er Strafminderung und Prozessverkürzung bei Einlassung der Angeklagten an, was abgelehnt wird.
 
Damit sind die Fronten klar.  

Die richtende Person erörtert noch einmal im Detail, wie die Personalien der Angeklagten ermittelt wurden. Eigentlich war der ermittelnde Cop als Zeuge geladen, doch er ist nicht da. Also wird seine Anhörung auf den nächsten Prozesstag verschoben.

Der erste Zeuge ist Ingenieur bei RWE und erinnert an einen grauen Herr aus „Momo und die Zeitdiebe“. Graue Haare, grauer Anzug, Krawatte, Lederschuhe, Aktentäschchen. Bloß die Zigarre fehlt.
Eine ganze Weile wird die Frage erörtert, wie sehr die Kohlebunkerblockaden nun geschadet haben und wie der Strom verteilt wird.

Er erklärt, dass die Kohle in den Bunkern nicht unbefristet gelagert werden kann, da sich ihre Eigenschaften über die Zeit ändern würde. Wie lange die Bunker eventuelle Engpässe oder Ausfälle der Kohlelieferung abpuffern können wollte er dabei nicht verraten. Lediglich dass die Kohle aus Hambach in die Kraftwerke Niederaußem, Neurath und Frimmersdorf verbracht und dort mit Kohle aus Garzweiler gemischt wird, um Qualitätsunterschiede auszugleichen (Hambachkohle hat bessere Heizwerte).

Weiter geht es um die Verteilung des Stroms. Die Kraftwerksleistung wird in das Hochspannungsnetz, das öffentliche Netz [sozusagen ein riesiger Topf Stromsuppe, Anm. d. V.], eingespeist, mit einigen Ausnahmen von Direktverbindungen zu Industriewerken. Das öffentliche Netz hat dabei keine nationale Beschränkungen und geht damit in ein Europaweites Netz über dem es in der Regel möglich ist, die eingespeisten Leistungen auszugleichen. Gäbe es zu viel Strom [weil aus irgendwelchen Gründen der vorhandene Strom im Netz nicht abgenommen würde...Anm. d. V.] würde es „physikalisch etwas heiß“ werden. Dann muss die Kraftwerksleistung heruntergefahren werden.

Dies ist eine seeehr kurze Version der gesamten Zeugenanhörung. Bestimmt hat der graue Herr sich Mühe gegeben seine kryptischen Botschaften den anwesenden Laien verständlich zu vermitteln aber das hier wiederzugeben... 

15 Minuten Pause.

Der zweite Zeuge war vor zwei Jahre für knapp zwei Jahre bei den Security am Hambacher Tagebau mit „seinem“ Hund. Er beschreibt die Situation auf der Brücke am 21. Januar 2016. An diesem Tag wurden Bäume am Fuß der Brücke gefällt bis eine Gruppe von etwa 20-30 Menschen in Tarnkleidung die Arbeiten unterbrachen worauf die Maschinen in Sicherheit gebracht wurden, da diese teuer seien. Es kam zu Auseinandersetzungen zwischen Security und Aktivisten, es flogen Steine und Raketen hin und her. Er gibt an, dass ihn zwei Steine am Helm getroffen hätten und er daraufhin zwei Wochen krankgeschrieben wurde. Außerdem erklärt er, dass neben dem Helm auch eine Schutzbrille zur Schutzausrüstung der Security gehöre. Er könne sich nicht erinnern, irgendwen erkannt zu haben, da alle vermummt gewesen seien. Er bestätigt auf nachfrage, dass jede Einheit standardmäßig eine Kamera mit sich führen würde, wusste jedoch nicht, warum dass an dem Tag nicht geklappt hatte.

Der dritte Zeuge beschreibt die Situation anders.

Er war damals der Ansprechpartner vor Ort für den Securityeinsatzleiter gewesen. In seiner Erinnerung waren es etwa 50 Vermummte in Tarnkleidung. Die Einsatztaktik sei damals so gewesen, dass der Schutzkreis aus Securitys um den Maschinen bei Aktionen enger gezogen wurde um Angriffe und vor allem das Besetzen von Maschinen zu verhindern wobei sie Menschen nicht gewaltsam davon abhalten dürften. Dabei läge der Hauptaugenmerk auf Vermummte. Diese seien schwer zu unterscheiden, doch manche hätten prägnante Kleidungsstiele, z.B. bunte Mützen. 

Der Verteidiger der Angeklagten erinnert an ein kurzes Video, vermutlich aus Sicht der Aktivistaz, das von diesem Tag in der Akte enthalten ist. Gerichte und Technik: Die Vorbereitung für die Inaugenscheinnahme des Videos benötigt eine weitere 10 Minuten Pause.

Das Video beginnt mit Sequenzen von gefällten Bäumen und Rodungsflächen, gefolgt von Aufnahmen einer kleinen, zügigen Prozession in Tarnkleidung der Wahrnehmung entspringender, Menschen. Dann eine wilde Wuselei chaotisch verteilter Silhouetten, manche laufen auf eine Brücke, andere bewegen sich langsamer am Fuße dieser, inmitten frisch gefällter Bäume und derer Stümpfen. Dann ist ein weißer Jeep zu sehen, der in zügiger Geschwindigkeit aus der anderen Richtung der Brücke auf die dunklen Silhouetten zufährt. Diese bewegen sich schnell in alle möglichen, jedoch durch die Brückengeländer eingeschränkte Richtungen um sich in Sicherheit zu bringen. Geschrei. Dabei wird eine Person scheinbar von dem Auto angefahren, zumindest sieht es in Zeitlupeneinstellung so aus. Dann schließt das Video mit Nahaufnahmen von einem Ameisenhaufen, einem Schriftzug „organisiert euch“ und Audioaufnahmen eines Songs in dem es heißt „burn cops not coal“. 

Es wird noch auf ein weiteres Video verwiesen, aus Sicht eines zudem Vorfall nahe stehenden Baggers. Dieses abzuspielen klappt aber leider nicht, obwohl es noch mal fast 10 Minuten vom Richter höchstpersönlich vergeblich versucht und aufgegeben wird, es soll zum nächsten Prozesstag gezeigt werden. 

Dann wird der Zeuge, der während des Videos vor den Saal verbannt wurde, weiter verhört. Er erklärt, dass nach diesem Vorfall einige aus dem Sicherheitsdienst entlassen wurden. Im übrigen gibt er das ganze Geschehen äußerst widersprüchlich zu seinen Aussagen von damals wieder, wie ihm die Staatsanwältin bald vorhält.

Damals z.B. gab er an, sich sicher darüber zu sein, die Angeklagte erkannt zu haben, da sie zeitweise unvermummt gewesen sei, heute kann er sich daran nicht erinnern. Auch kann er sich nicht daran erinnern, verletzt worden zu sein, bloß eine Silvesterrakete habe ihn am Hinterkopf getroffen (er sei danach aber nicht krankgeschrieben gewesen) während er damals noch explizit die Angeklagte bezichtigt hatte, ihm Pfefferspray bzw. eine „ätzende Flüssigkeit“ in die Augen gesprüht zu haben.

Die Staatsanwältin wirkt etwas unzufrieden mit ihrem Hauptzeugen, dessen Aussagen darüber, er habe die Angeklagten eindeutig an der Stimmer wieder erkennen können, das erste Urteil maßgeblich beeinflusste.

Es folgen 15 Minuten Pause.

Der vierte Zeuge kann sich an die ganze Sache nicht mehr so richtig gut erinnern. Er ist ebenfalls nicht mehr beim Sicherheitsdienst. 

Er vermutet, dass da um die 15 Personen aufwärts gewesen sein dürften von denen er aber keine zuordnen könne, da alle vermummt gewesen waren. Dazu, dass sein damaliger Kollege, welcher zuvor verhört worden war, verletzt worden war kann er nichts sagen, jedoch zu zerbrochenen Autoscheiben und einem Kollegen (erster Zeuge), der danach für zwei Wochen krank geschrieben war. 

Wieder einmal, wie auch beim Zeugen zuvor und schon in vergangenen Prozessen wird eine Weile darüber gerätselt, wie der Name Neuland nun einzuordnen wäre. Scheinbar hat dieser mit einer gleichnamigen Baumbesetzung im Tagebauvorfeld, Winter 2014 zu tun, bei der Rodungsarbeiten um eine besetzte amerikanische Eiche um vier Wochen verhindert wurden. Um eine Räumung durch die Polizei zu vermeiden (weil diese der RWE zu der Zeit ein wenig den Dienst verweigern suchte, da zu viele Einsätze hintereinander) versuchte der Sicherheitsdienst auf eigene Faust, die Besetzung zu beenden. Dazu stellten sie u.A. Bauzäune und Flutlichter um und einen Korb mit frischen Obst und Gemüse unter den Baum... [witzige Geschichte, wer mehr lesen möchte schaue hier: Link]

Er „kannte“ die Angeklagte von dieser Aktion, da sie auf dem Baum und er als Seurity auf dem Boden fast eine Woche verbracht hatten. Aufgefallen sei, dass sie stets freundlich und höflich gewesen sei. 

Heute kann er sich nicht daran erinnern, sie auf der Brücke erkannt zu haben. Das macht die Staatsanwältin stutzig, da er damals angegeben hatte, sie erkannt zu haben und sie kein Motiv für eine Falschaussage erkenne.

Der letzte Zeuge für heute war nur kurz bei der Secutrityfirma, es sei bloß ein Nebenjob gewesen. Er erinnert sich an nicht so viel von dem Vorfall, es sei ihm alles zu schnell gegangen. Er habe niemanden erkannt. Die Frage, ob er den Namen „Kim Neuland“ schon mal gehört habe, verneint er. 

Zum Schluss reicht die Verteidigung einen 28 seitigen Beweisantrag zu den Kohlebunkerblockaden ein, in dem sich auf den rechtfertigenden Notstand berufen wird. Weiter stellt sie fest, wie dünn die Beweislast ausfalle, doch Richter und Staatsanwältin sind sich einig, dass dies nicht für einen Freispruch reiche, in beide Richtungen argumentiert werden könne und daher keine vorschnellen Entscheidungen getroffen würden. Der nächste Verhandlungstag soll abgewartet werden.

Gegen 16.00 wird die Vehandlung geschlossen.
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Morgen Berufung im Kim Neuland-Prozess! https://abcrhineland.blackblogs.org/2020/01/14/morgen-berufung-im-kim-neuland-prozess/ Tue, 14 Jan 2020 19:03:49 +0000 http://abcrhineland.blackblogs.org/?p=2130 Continue reading Morgen Berufung im Kim Neuland-Prozess! ]]> Vor dem Landgericht Aachen findet morgen die Berufungsverhandlung gegen eine Person statt, die die Behörden als Kim Neuland bezeichnen. Es geht um zwei Kohlebunker-Blockaden 2015 und eine Rodungsblockade 2016. Die Prozessberichte der erstinstanzlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht Düren aus dem Herbst 2018 finden sich hier: Tag 1, Tag 2 und Tag 3. Wann und wo? Mittwoch, 15. Januar 2020, 9 Uhr Landgericht Aachen, Raum 0.021 Adalbertsteinweg 92, 52070 Aachen UPDATE: Verfahren wird am 22.Januar 2020 um 13Uhr weitergeführt. ]]> PM: RWE Vorstandsmitglieder als Zeugen geladen https://abcrhineland.blackblogs.org/2018/10/03/pm-rwe-vorstandsmitglieder-als-zeugen-geladen/ https://abcrhineland.blackblogs.org/2018/10/03/pm-rwe-vorstandsmitglieder-als-zeugen-geladen/#comments Wed, 03 Oct 2018 20:23:49 +0000 http://abcrhineland.blackblogs.org/?p=1650 Continue reading PM: RWE Vorstandsmitglieder als Zeugen geladen ]]> deutschenglish

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+++ Beweisantrag stattgegeben: RWE-& Innogy- Vorstandsmitglieder als Zeugen geladen +++ letzter Verhandlungstag gegen “Kim Neuland” aus dem Hambacher Forst: Freitag, 5.Oktober 2018, 9:15 Uhr, Amtsgericht Düren +++

Am Freitag, den 5. Oktober 2018, wird ab 9.15 Uhr vor dem Amtsgericht Düren der Strafprozess gegen “Kim Neuland” weitergeführt. Das Gericht hat für diesen letzten Prozesstag aufgrund eines zulässigen Beweisantrages der Verteidigung die Vorstandsmitglieder der RWE AG und der Innogy SE als Zeugen geladen.

Angeklagt wird die von den Behörden als „Kim Neuland“ geführte Anarchistin u.a. wegen „Störung öffentlicher Betriebe“ nach §316b StGB. Durch die Teilnahme an zwei Blockadeaktionen des sogenannten „Kohlebunkers“ am Tagebau Hambach soll sie die öffentlichen Stromversorgung gefährdet haben. In dem „Kohlebunker“ wird die abgebaute Braunkohle für den Einsatz in den Kraftwerken zwischen gelagert.

Die Verteidigung sieht keine Gefährdung der Stromversorgung. So stellte sie beim letzten Verhandlungstag einen Beweisantrag, in dem es wie folgt heißt: „Die Kraftwerke der RWE AG bzw. der innogy SE produzieren Dutzende von Terrawattstunden im Jahr, die ins Ausland verkauft werden. Die Verkäufe sind bereits Monate im Voraus vereinbart. […] Die Kraftwerke dienten damit nicht der öffentlichen Versorgung i.S.d. §316b StGB.“ 

Das Gericht gab dem Beweisantrag statt. Somit sind am Freitag die RWE-Vorstände Schmitz und Krebber sowie die innogy-Vorstände Bünting, Günther, Hahn, Herrmann und Müller geladen, um vor dem Amtsgericht über die Verwendung des Stroms aus den Kraftwerken Auskunft zu geben. Damit wird im Gericht auch thematisiert werden, dass die Braunkohleverstromung für die Stromversorgung in Deutschland nicht einmal nötig ist. 

„Wir sind gespannt, ob auch nur eine*r der Vorstände auftaucht und Rede und Antwort zur Braunkohleförderung und -verbrennung steht oder ob sie wieder einmal zeigen, dass zwar Anarchist*innen und Umweltaktivist*innen vor Gerichten Rechenschaft ablegen sollen, aber Gesetze von großen Konzernen und deren Führungen missachtet werden können. Wir sind auch gespannt darauf, ob das Gericht dann zeigt, dass es wieder einmal auf der Seite von RWE steht oder ob eine ernsthafte Befragung der RWE- und innogy-Vorstände möglich wird.“ so die Angeklagte Neuland.

„Wir würden gerne eine Auseinandersetzung um die Sinnhaftigkeit der Braunkohle mit den Vorständen führen, befürchten aber, dass das Gericht - wie Gerichte seit Jahrhunderten - vor allem das Kapital der Wohlhabenden schützen wird.“

Da dies der letzte angesetzte Verhandlungstag seitens des Gerichts ist, kann es an dem Tag auch zum Urteil kommen. Die Gerichtsverhandlung verspricht also in jedem Fall spannend zu werden. Alle Interessierten sind deshalb herzlich eingeladen.

Pressekontakt für Rückfragen: +49 152 11844395

Prozessberichte der ersten Verhandlungstage: Tag 1 & Tag 2

Beweisantrag in voller Länge: 

english

+++ motion to hear evidence sustained: RWE & Innogy board members summoned as witnesses +++ Last day of the trial against “Kim Neuland” from the Hambach Forest: Friday, 5 October 2018, 9:15 am, Düren Amtsgericht (district court) +++

On Friday, October 5th, 2018, the criminal trial of “Kim Neuland” will be continued at 9.15 am in Düren district court. The court has summoned the members of the management board of RWE AG and Innogy SE as witnesses for this final trial day on the basis of a permissible evidence request from the defense.

The anarchist, who is listed by the authorities as “Kim Neuland”, is accused, among others, because of “disturbance of public enterprises” according to §316b StGB. By participating in two blockade actions of the so-called “coal bunker” at the open pit Hambach, she allegedly endangered the public power supply. In the „coal bunker“ the mined lignite is temporarily stored for use in the power plants.

The defense sees no danger to the power supply. So they submitted a request for evidence on the last day of the hearing, stating: “The power plants of RWE AG and innogy SE produce dozens of terrawatt hours per year, which are sold abroad. The sales are agreed months in advance. […] The power plants were thus not used for public supply according to §316b StGB.”

The court sustained the motion to hear evidence. Thus, on Friday the RWE board members Schmitz and Krebber as well as the innogy board members Bünting, Günther, Hahn, Herrmann and Müller are summoned to inform the court about the use of electricity from the power plants. Thus will also be discussed before the court that lignite-based power generation is not even necessary for power supply in Germany.

“We are curious if even one of the board members will show up and answer questions about brown coal mining and combustion or if they show once again that while anarchists and environmental activists should be accountable to the courts, but the laws can be disregarded by large corporations and their leaders. We are also looking forward to see if the court shows that it is once again on the side of RWE or whether a serious questioning of the RWE and innogy boards is possible.”, defendant Neuland said.

„We would like to argue about the usefulness of lignite with the boards, but fear that the court – like courts for centuries – above all, will protect the capital of the wealthy.“

Since this is the last scheduled trial day on the part of the court, there can also be a verdict on this Friday. The trial therefore promises to be exciting in any case. All interested are therefore cordially invited.

Press contact for inquiries: +49 152 11844395

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Prozessbericht 2. Verhandlungstag MAYA/ „KIM NEULAND“ https://abcrhineland.blackblogs.org/2018/10/03/prozessbericht-2-verhandlungstag-maya-kim-neuland-kim/ Wed, 03 Oct 2018 20:15:30 +0000 http://abcrhineland.blackblogs.org/?p=1645 Continue reading Prozessbericht 2. Verhandlungstag MAYA/ „KIM NEULAND“ ]]> deutsch

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Bericht vom ersten Prozesstag: Hier.

Zum zweiten Prozesstag steht weniger Polizei vor der Gerichtstür, denn Oaktown wird ja simultan geräumt. Ausweiskontrollen am Einlass gibt es trotzdem.

Gleich zu Beginn der Verhandlung wird verkündet, dass es keine Videos vom 21. Januar 2016 weder von RWE noch von Industrie- und Werkschutz Mundt gibt. Schade!

Weil drei als Zeugen geladene Mundt-Mitarbeiter gemeinsam auf der Wartebank sitzen, wünscht die Verteidigung, die beiden in getrennten Räumen warten zu lassen, denn beim letzten Prozess konnte ja bereits ein Eindruck gewonnen werden, wie wertvoll die Zeugentrennung für den Wahrheitsgehalt der Aussagen sein kann. 

Zuerst noch perplex „wenn die Zeugen sich absprechen, dann werden sie es doch schon längst getan haben?!“, lenkt die Richterin schnell ein: Jeder bekommt einen eigenen „Warteraum“ - scheinbar quer durchs Gericht verteilt.

Der erster Zeuge des Tages war am 21. Januar 2016 in der Hundestaffel der Sicherheitsfirma IWS Mundt im Auftrag der RWE zum Schutze der Rodungen eingesetzt.

Er erinnert sich an den Tag und gesteht ein: „die sind auf uns los, wir sind auf die los“ und „auf beiden Seiten wurden Fehler gemacht“.

Er behauptet, dass es von RWE die Anweisung gab, nicht zu filmen da es nicht zu „einer Schlammschlacht zwischen Aktivist_innen und RWE“ kommen solle.

An die Anwesenheit der Angeklagten bei dem Vorfall kann er sich nicht entsinnen.

Der zweite Zeuge war schon beim letzten Prozess geladen gewesen. Dort hatte er behauptet, wie auch in den Aussagen damals, dass er Einsatzleiter der Firma IWSM sei. Dieses Mal gibt er an, jemand anderes sei Einsatzleiter für den 21. Januar 2016 gewesen. 

Er erzählt, dass es damals noch nicht üblich war für Securitys, Einsätze zu filmen, es mittlerweile aber Kameras gibt, die ausgeteilt werden und mit denen auf Ansage von RWE gefilmt würde. Auch die Autos seien mittlerweile mit Kameras („GoPros“) ausgestattet.

An der Aussage, die Angeklagte an besagtem Tag erkannt zu haben hält er fest, kann sie jedoch nach wie vor nicht untermauern. 

Vorne am Richtipult wird sich dann, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, das Video der Überwachungskamera des Abraumbaggers angeschaut. Allerdings sind nur Warnwesten (also Securitys) sichtbar, Menschen in Camouflage kaum. 

Die Aufnahmen sind ohnehin von dürftiger Qualität, dennoch ist zu erkennen, wie sich die beiden Gruppen auf der Brücke vor- und zurück bewegen. Als die Kamera ran zoomt ist zu sehen, wie einzelne Securitys Sachen werfen oder auf kaum sichtbare Gegner_innen losgehen und mit Helmen auf Personen am Boden einschlagen. 

Zum Ende gerät der Zeuge noch in Erklärungsnot als die Richterin fragt, was da gesprüht wurde, denn das es bei den Securitys eine Zeit lang gängige Praxis war, Aktivist_innen mit Feuerlöschern auf Abstand zu halten, wollte er scheinbar lieber nicht erzählen. 

Auch das Video, welches auf YouTube von diesem Tag zu finden ist wird, wie schon beim letzten Prozess, angesehen und wieder tönt „Burn cops not coal“ durch den Gerichtsaal.

Die Verteidigung der Angeklagten stellt einen Beweisantrag darauf, den Hauptbetriebsplan zu besehen. Begründung: Die Rechtmäßigkeit und Notwendigkeit der Rodungen zu dieser Zeit zu prüfen. Die Staatsanwaltschaft scheint nicht sonderlich begeistert.

Der dritte Zeuge ist Bergbauingenieur und war bei der Kohlebunkerblockade am Tagebau Hambach am 12. Dezember 2015 zeitweise vor Ort.

Er erinnert sich, dass gegen ein Uhr nachts zwei Aufnahmegeräte über die Notabschaltung gestoppt wurde und daraufhin auf beiden jeweils zwei Aktivisterix hoch oben auf den Maschinen entdeckt wurden, die sich mit Fahrradschlössern um den Hals angekettet hatten. (Aktionsbericht hier.)

Die Betätigung des Not-Aus-Knopfes bewirke, dass ein Fachmensch kommen muss um zu prüfen, was los ist und den Betrieb wieder anzustellen. Da in der Regel keine Mitarbeiter vor Ort sind, weil der Betrieb im Bunker ohne das ständige Beisein von Personal ablaufen könne, war die Anwesenheit der Aktivisterix nicht bemerkt worden.

Er berichtet, dass gegen die zu dem Zeitpunkt namentlich Unbekannte am 4. Oktober 2015 ein Hausverbot erteilt worden war. Zur Identifizierung dienten Lichtbilder, die an genanntem Datum von der Angeklagten gemacht worden seien. Ein RWE-Mitarbeiter hält neben ihr auf dem Foto ein Papier mit der Aufschrift „Hausverbot erteilt!“.

Es folgen nähere Erörterungen über den Kohlebunker. Der Zeuge gibt sich in mehreren Sätzen große Mühe, die Aktion als dramatisch und gleichzeitig unzureichend darzustellen a la „Es gab keine Ausfälle im Ablauf aber Einschränkungen im Betrieb“ und „Es wurde genauso viel Kohle wie sonst auch verstromt aber mit Mehraufwand und Umstellung in den Kohlebunkern.“

Des weiteren wird die Abgrenzung des Gebietes anhand einer vom Zeugen mitgebrachten Karte beschrieben; Zäune, Schranken, Erdwälle und Dämme mit Schildern, Gräben und Abhänge würden das Gebiet um den Tagebau umfrieden, so der Zeuge.

Die Richterin und die Verteidigung der Angeklagten finden aber dennoch Lücken, die der Zeuge eingestehen muss, zum Beispiel von der Rekultivierung kommend acht Kilometer durch den Tagebau laufend oder: „Was, wenn ich an der Straße in den Wald laufe, um die Schranke herum und dann wieder auf die Straße, ist das möglich?“. Es bedarf noch einigen eindringliche Nachfragen nach Zäunen bis er schließlich bestätigt: das Gelände ist nicht komplett umfriedet.

Der vierter Zeuge ist Elektroingenieur, er war am 4.Oktober 2015 vor Ort als Einsatzleiter. Nach Erläuterungen zur Blockade wird auch mit ihm noch einmal die Umfriedung besprochen.

Er berichtet, das aufgestellte Schilder auf den Aufwallungen, die eine Befriedung kenntlich machen sollten, häufig innerhalb kürzester Zeit weg waren. Und schließlich muss auch er widerwillig zugeben; über Dämme, Gräben, durch Morast und Maschinen ist der Zugang mindestens über die Rekultivierungsanlage, der „Sophienhöhe“ möglich, ohne Schilder und Zäune zu passieren.

Es folgen zwei Polizist_innen als Zeugen, die allerdings nichts Aufschlussreiches zu berichten haben.

Vor der Mittagspause werden noch zwei Beweisanträge gestellt. 

Im ersten wird die Ladung von Vorstandvertretern der RWE und innogy gefordert um zu erfahren, wie viel Strom ins Ausland verkauft wird und somit zu prüfen, ob es sich tatsächlich um einen öffentlichen Betrieb handelt.

Begründung: Die Kraftwerke der RWE AG bzw. der innogy SE produzieren Strom, um ihn ins Ausland zu verkaufen. Die Verkäufe werden Monate im Voraus vereinbart, so dass die Kraftwerke damit nicht der öffentlichen Versorgung dienen.

Im zweite Antrag wird ein Sachverständigengutachten durch Prof. Schellenhuber, Direktor des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung und Mitglied in der Kohle im Bezug auf die weltklimatische Lage gefordert, um zu beweisen, das akuter Handlungsbedarf gefordert ist, der unter Umständen auch das Recht der Nothilfe gelten machen würde

Begründet wird der Antrag mit einem Ausschnitt aus einem Interview mit Herrn Schellenhuber, in dem er beschreibt, wie unsere Kinder das Jahr 2100 erleben könnten, wenn wir uns nicht anstrengen, die durch den Klimawandel verursachte Erderwärmung aufs Unausweichliche zu beschränken. 

Während der Verteidiger der Angeklagten die Beweisanträge verließt, reibt sich die Richterin abwechselnd Stirn und Schläfen.

Es wird noch ein Polizist, der das Videomaterial vom 21.Januar 2016 ausgewertet hat, angehört, dann gibt es eine 45 Minütige Mittagspause.

Die nächsten beiden Zeugen sind wieder Polizist_innen und wie schon ihre Kollegen vor ihnen haben sie nichts Neues zu erzählen. Sie sind angepisst, weil sie lange warten mussten (vier Stunden) und weil der eine auch noch ein Knöllchen kassiert hat fragt er, ob ihm das auch erstattet wird (wie Fahrtkosten) aber die Richterin so „Nö!“.

Der zehnte und letzte Zeuge ist auch Polizist. Er war am 4. Oktober 2015 oben bei den Besetzenden gewesen und beschrieb den Kontakt als „freundlich und angenehmes Gespräch“ und „absolut friedlich“. Die Aktivist_innen seien durchnässt gewesen, weil sie durch RWE Personal mit Feuerwehrschläuchen nassgespritzt worden waren.

Zum Schluss werden zwei Beweisanträge abgelehnt und einem stattgegeben: zum nächsten Prozess werden die Vorstandsmitglieder von RWE und innogy geladen, um zu erklären, wohin der Strom aus den Kraftwerken überhaupt geht.

Ob wir nun endlich erfahren, wie viel Strom denn nun tatsächlich ins Ausland, an die Industrie, z.b. der Waffenindustrie (Hydro Aluminium, Rheinmetall und co.) oder in die Selbsterhaltung der Tagebaue geht?

Der nächste und letzte Prozess findet statt am:

5. Oktober 2018 wieder um 9.15 Uhr
Amtsgericht Düren, Saal 1.07


Wer also nach fast drei Wochen Räumung im Wald Lust auf etwas Abwechslung und Solidarität zeigen hat sei eingeladen, den Prozesstag kritisch und kreativ zu begleiten!

Breite Öffentlichkeit gewünscht!
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Prozessbericht 1. Verhandlungstag MAYA/ „KIM NEULAND“ https://abcrhineland.blackblogs.org/2018/09/13/prozessbericht-1-verhandlungstag-maya-kim-neuland/ https://abcrhineland.blackblogs.org/2018/09/13/prozessbericht-1-verhandlungstag-maya-kim-neuland/#comments Thu, 13 Sep 2018 10:31:31 +0000 http://abcrhineland.blackblogs.org/?p=1511 Continue reading Prozessbericht 1. Verhandlungstag MAYA/ „KIM NEULAND“ ]]> deutsch

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Bericht vom „Kim Neuland" Prozess am 06.September 2018

+ + + Nächster Prozesstermin: Freitag, 14.September 2018, 09:15 Uhr, Amtsgericht Düren, August-Klotz-Str. 14, 52349 Düren + + + 

Vor dem Amtsgericht in Düren wartete treuherzig eine Hundertschaft der Polizei um die Prozessbesuchenden durch den VIP Eingang um die Ecke zu lotsen. Dort wurden eifrig die Daten aufgenommen indem Ausweise kopiert wurden, (welche Abends wieder vernichtet werden sollten), neugierig die Taschen und dazugehörige Personen durchsucht und diese feierlich durch den Metalldetektor geschleust. 

Der Prozess begann dann um 09.15Uhr mit der Verlesung der Anklagepunkte.

Hausfriedensbruch, Störung öffentlicher Betriebe, schwerer Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung. 

Es geht um zwei Kohlebunker Blockaden 2015 und eine Rodungsblockade am 21.01.2016. 

Im Zuge der letzten Aktion fuhr ein Security mit einem Geländewagen in eine Gruppe von Menschen, mindestens eine Person wurde vom Wagen getroffen und, weil sie daraufhin nicht aufstehen konnte, mit Kabelbindern gefesselt von den Securities verschleppt und später der Polizei übergeben. Danach wurde „Fledermaus" über vier Wochen in der JVA Aachen gefangen gehalten. 

Zu Beginn ging die Verteidigung der Angeklagten auf den Vorwurf der „Störung öffentlicher Betriebe" ein, indem sie argumentierte, dass hierzu vorerst der Sachverhalt bezüglich der tatsächlichen Verletzung des „Allgemeinwohls" geklärt werden müsse. Hierzu wurde gefordert zu prüfen, welche Kraftwerke für die Zeit der Aktion in ihrer Produktion beeinträchtigt worden waren und wohin der Strom im Detail ginge. Denn wenn ein Großteil der Energie ins Ausland verkauft würde sei der Vorwurf unter Umständen hinfällig.

Daraufhin zogen sich die Richterin und die beiden Schöffen für eine fünf minütige Besprechung zurück, um den Antrag schließlich abzulehnen.

Dann wurde der Angeklagten selbst Gelegenheit gegeben, sich zur Sache zu äußern. Sie tat dies indirekt, indem sie die globalen Folgen des Klimawandels und die Notwendig- und Machbarkeit eines zügigen Braunkohleausstiegs faktisch darlegte. Des weiteren wurde die lange Geschichte des Widerstandes umrissen und in Frage gestellt, inwiefern die Rodungen des Hambacher Waldes in den letzten Jahren und daher weitere Rodungen in diesem Jahr überhaupt zulässig wären.

Als nächstes wurde die Zeugenanwesenheit geprüft; von insgesamt sechs geladenen Zeugen waren drei anwesend - drei fehlten, von denen sich nur einer entschuldigt hatte.

Der Erste Zeuge, auf dessen Anschuldigungen sich die Anklagepunkte maßgeblich stützen ist Security des Industrie- und Werksschutz Mundt war am 21.01.16 Einsatzleiter gewesen. 

Auf Anhieb konnte er sich nicht genau an den Tag erinnern, da sei „immer so viel los und schon so viel passiert". Nachdem die Richterin ihm auf die Sprünge geholfen hatte fragte sie, ob er Personen erkannt habe. Er druckste herum, dass eine hier im Raum säße und auf konkrete Nachfrage deutete er an, dass es sich dabei um die Angeklagte handelte.  Er behauptete, sie an der Stimme und den Klamotten identifiziert zu haben, da sie ihm aus vorherigen Begegnungen bekannt sei. Allgemein fehlte es seinen Aussagen und Formulierungen jedoch an Eindeutigkeit und Klarheit, selbst bei der Behauptung, sie habe ihm Pfefferspray und eine reizende Flüssigkeit ins Gesicht gesprüht oder dass sie unvermummt gewesen sei.

Auf Nachfragen der Verteidigung nach Videoaufnahmen erwiderte er, dass nur RWE die Geschehen in und an der Grube filme.

Daraufhin wurde eine fünfzehn minütige Pause beschlossen, um das Videomaterial von RWE anzufordern.

Der zweite Zeuge, ein ehemaliger Security-Mitarbeiter der Firma Mundt sagte aus, dass er keine Personen identifizieren konnte, da „alle vermummt gewesen waren". Bezüglich der Videoaufnahmen gab er an, dass die Sicherheitsfirma von sich aus die Einsätze filme und der Einsatzleiter die Kamera einer Person zuweist. Aufgrund dieses offensichtlichen Widerspruchs entschied die Richterin, den ersten Zeugen nochmal zum zweiten Sitzungstermin zu laden. 

Der dritte Zeuge, ein Polizist, der unter anderem Teil der 2016 gegründeten EK Hambach ist, erläuterte die Identifizierungsmaßnahmen der zuvor namentlich unbekannten Angeklagten.

Bei der Durchsuchung der WAA im April 2016 wurde ein Schriftstück mit einem Namen gefunden, anhand dessen Lichtbilder bei den Meldebehörden angefordert und bundesländerübergreifend nachgeforscht wurde.

Da die beiden unentschuldigten Zeugen noch immer nicht erschienen waren, wurde der weitere Verfahrensverlauf besprochen. Mit einem Blick aus dem Fenster auf die Hundertschaft der Polizei stellte die Richterin fest, „wenn ich so aus dem Fenster gucke haben die da unten ja eh nicht viel zu tun", da könnten sie auch losfahren und die beiden unentschuldigten Zeugen einsammeln, da diesen ansonsten ein Ordnungsgeld von 150€, ersatzweise 3 Tage Ordnungshaft blühe. Um die Wartezeit zu überbrücken wurde eine Mittagspause von 30 Minuten beschlossen. 

Der vierte Zeuge erschien nach telefonischer Aufforderung noch in Arbeitskleidung der Sicherheitsfirma Mundt und kommentiert amüsiert: „Ich bin direkt von der Arbeit gekommen." Er sei seit Anfang 2016 bei der Firma beschäftigt und war zuvor seit November 2014 bei einem anderen Subunternehmen im Vorfeld des Tagebau Hambachs tätig gewesen. Auch er gab an keine Personen erkannt zu haben, da alle vermummt gewesen waren.

Als die Richterin seiner Erinnerung auf die Sprünge half und ihm eine damals bei der Polizei gemachten Aussage vorhielt antwortete er: „Ich denke schon, dass ich das gesagt habe." Weiterhin erklärte er, dass RWE ihnen kleine Digitalkameras zur Verfügung stelle und das Material auch wieder an RWE zur Auswertung zurück gehe, das sei „schon immer so gewesen." Er selber habe kein Videomaterial des Einsatzes gesehen.

Inzwischen hatten die zuvor von der Richterin ausgesandten Polizist*innen den letzten Zeugen zuhause angetroffen und waren mit ihm auf dem Weg zum Gericht. Um die Wartezeit mit mehr als einer Pause zu füllen wurde sich das aus dem „Fledermaus"-Prozess bereits bekannte Videomaterial gemeinsam in kuscheliger Atmosphäre, jedoch unter Ausschluss der anwesenden Öffentlichkeit, am richterlichen Pult angeschaut. Hierbei handelte es sich um dieses von Aktivist_innen auf YouTube veröffentlichte Video, sowie Aufnahmen einer Überwachungskamera auf einem zu dem Zeitpunkt nahegelegenen Abraumbaggers, auf dem kaum die Securities in ihren Warnwesten zu erkennen waren, geschweige denn Personen in weniger knalligen Farben. 

Der fünfte Zeuge erreichte das Gericht in polizeilicher Eskorte. Er konnte sich an nichts erinnern, noch nicht einmal, wann er bei der Firma Mundt gearbeitet hat (wo er mittlerweile nicht mehr tätig ist). Die Richterin versucht wieder und wieder ihm auf die Sprünge zu helfen, indem sie ihm Passagen aus seinen damaligen Aussage vorlas. Es sei alles so schnell gegangen, da sei nur Chaos gewesen. Er kommentierte dies mit einem eifrigen „Genau" und es folgten wilde Aufzählungen von Baseballschlägern bei denen es sich bei weiteren Nachfragen auch um einfache Stöcker gehandelt haben könnte. Sie seien weggerannt, „ich auf jeden Fall." An eine unvermummte Person konnte er sich nicht erinnern. 

Zum Schluss stellt die Verteidigung fest: „Immer wieder erhellend, wenn Zeugen getrennt vorgeführt werden und sich nicht vorher absprechen können." Weiterhin äußerte er die Vermutung, dass Erinnerungslücken mancher Zeugen nicht echt seien, sondern dass sie sich nicht mehr erinnern konnten, was nach dem Einsatz abgesprochen wurde.

Der nächste Prozesstermin findet am 14.September 2018 wieder um 09.15 Uhr am Amtsgericht Düren statt. Diesmal sind zehn Zeugen geladen. Es könnte diesmal wohl etwas länger dauern. Wer also nicht nicht schon genug damit zu tun hat, den Hambi zu verteidigen, ist herzlich eingeladen, sich hier unterhalten zu lassen!

Breite Öffentlichkeit und mitschreibende Prozessbeobachter*innen erwünscht!

]]> https://abcrhineland.blackblogs.org/2018/09/13/prozessbericht-1-verhandlungstag-maya-kim-neuland/feed/ 2 1. Prozesstag gegen „Kim Neuland“ https://abcrhineland.blackblogs.org/2018/09/05/1-prozesstag-gegen-kim-neuland/ Wed, 05 Sep 2018 13:15:01 +0000 http://abcrhineland.blackblogs.org/?p=1503 Continue reading 1. Prozesstag gegen „Kim Neuland“ ]]> deutsch

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Am Donnerstag dem 6. September 2018 um 09.15 Uhr beginnt der Prozess gegen die Aktivistin Maya, die von Polizei und Justiz als „Kim Neuland“ bezeichnet wird, im Zusammenhang mit dem Widerstand im Hambacher Forst. Im Dezember 2016 wurde sie deshalb für 17 Tage ihrer Freiheit durch Untersuchungshaft beraubt.

Es wird der erste Prozesstag von dreien vor einem Schöffengericht am Amtsgericht Düren sein. An diesem Tag sind sechs Zeug*innen geladen.

Treffpunkt vor dem Gebäude: 

6. September 2018, 9.00Uhr
AG Düren, August-Klotz-Str. 14, 52349 Düren

Für alle die später kommen: die Verhandlung findet in Saal 1.07 statt.

Der nächste Prozesstag ist für den 14. September 2018, der dritte zum 05. Oktober 2018 anberaumt.

Breite Öffentlichkeit gewünscht!

Machen wir den Widerstand sichtbar; im Wald und in den Städten, vor den Gerichten und Gefängnissen, in den Medien und Netzwerken, mit Worten und Taten, hier und überall!

Bringt Banner, Kreativität und Frühstück!

#GerichteSindZumEssenDa!
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Drei sind frei! https://abcrhineland.blackblogs.org/2016/12/21/drei-sind-frei/ Wed, 21 Dec 2016 21:14:55 +0000 http://abcrhineland.blackblogs.org/?p=727 Continue reading Drei sind frei! ]]> deutsch

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Am Mittwoch Nachmittag, den 21. Dezember 2016, sind drei der Gefangenen aus dem Hambacher Forst aus der Haft entlassen.

Hodei und Siao waren vor drei Wochen wegen Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion und versuchter gefährlicher Körperverletzung wegen Fluchtgefahr in die JVA Ossendorf verschleppt worden. Nun hat sich die Staatsanwaltschaft entschieden, den Haftbefehl gegen die beiden ohne Auflagen zurückzuziehen. Es scheint kein ausreichender Tatverdacht vorzuliegen. Beide sind sofort aus dem Gefängnis entlassen und von lieben Menschen vor dem Knast empfangen worden.

Maya hingegen hatte heute um 14Uhr eine Haftprüfung in Düren. Sie verweigert nach wie vor die Angabe ihrer Personalien, hat sich aber zu ihrem Alter geäußert. Das Gericht hat sie daraufhin als Heranwachsende eingestuft und den Haftbefehl gegen eine wöchentliche Meldeauflage bis zum Prozess ausgesetzt. Im Anschluss an die Haftprüfung wurde auch sie aus der U-Haft entlassen.

Until all are free no one is free!
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Tagebuch aus dem Knast #3 https://abcrhineland.blackblogs.org/2016/12/20/tagebuch-aus-dem-knast-3/ Tue, 20 Dec 2016 14:44:38 +0000 http://abcrhineland.blackblogs.org/?p=722 Continue reading Tagebuch aus dem Knast #3 ]]> deutsch

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Erhalten am 14. Dezember

Teil 3 – PLÄTSCHERNDE ZEIT

Maya #3

Dienstag, 6. Dezember 2016 

Bei der Frühstücksausgabe frage ich nach der Uhrzeit. 6:30Uhr. Außerdem nach Papier, woraufhin ich einen ganzen Batzen bekomme. Puh, endlich kann ich richtig loslegen. Heute gibt es sogar Schwarzbrot zur Auswahl. Den Frischkäse lasse ich zurück gehen. „Sollen wir Sie als laktosefrei eintragen?“, fragt die blonde Frau hinter dem Servierwagen. „Ja, bitte.“, antworte ich. „Das muss aber mit dem Arzt abgeklärt werden.“, sagt der Schließer, der selbe von gestern. „Naja, hab ich ja schon.“, entgegne ich. „Ach so, naja dann...“.

Als die Tür wieder zu ist, lüfte ich noch einen Moment durch, lege mich dann wieder ins Bett und schlafe bis es hell ist. Dann aufstehen, Fenster aufreißen, tief durchatmen. Die kalte Winterluft tut gut und ist das einzig ansatzweise natürliche in dieser künstlichen Umgebung, mit dem ich derzeit ohne Umschweifen in Kontakt kommen kann. Man muss nur die Gerüche nach Zigarettenrauch, Abgasen und Stadt ignorieren.

Ich hab erstaunlich gut geschlafen – auch mein Rücken und Nacken tut nicht mehr so weh. Gleiches Programm wie gestern mit Zähne putzen, Training und Frühstück. Da muss es dann so gegen 9Uhr sein, denn die anderen haben Hofgang. Es sind ein paar neue Gesichter dabei, andere fehlen. Die Zierliche mit dem starren Blick kam mir gestern noch so verletzlich vor, heute hab ich den Eindruck, dass sie einfach nur alles anätzt. Nach der ersten halben Scheibe Brot klappern die Schlüssel im Schloss. Duschen. Die Krätze-Creme prickelt schon langsam auf der Haut. Am Ende des Flures an der Kanzel stehen zwei Gefangene und schauen dem Wachtel zu, wie er einen Haufen Wäsche, für mich und die nächsten vier Tage, sortiert. Ich grüße sie und wir unterhalten uns kurz. Die eine hat im Fernsehen gehört, dass die Krätze gerade wieder umgeht. Der Wachtel drückt mir die Wechselklamotten für heute in den Arm, ich wünsche den beiden Gefangenen einen schönen Tag und verschwinde im Duschraum. Heute ist es darin wärmer als gestern und ich hab die Kernseife aus der Zelle dabei. Der Jogginganzug passt besser als gestern und ist grau. Die Unterhose muss ich mir bis zur Tailie hochziehen und weil ich nur Binden, keine Tampons bekommen hab, fühlt es sich zuerst ein bisschen nach Windel an (und sieht wahrscheinlich auch so aus). Zurück in der Zelle wird das Bett wieder frisch bezogen und alles textile, was ich gestern benutzt hab, wird wieder in Säcke verpackt und verschnürt.

Während ich weiter Frühstücke, schaue ich abwechselnd den anderen beim Hofgang zu oder schreibe. Mittlerweile steht die Sonne so hoch, dass sie mir ins Gesicht scheint. Immerhin sind die Fenster nach Süden ausgerichtet. Von irgendwo, vermutlich einer anderen Zelle, tönt lauter Hip Hop. Der Himmel ist seit Tagen wolkenlos, dementsprechend kalt ist es auch. Trotzdem ich nicht mehr viel anzuziehen habe, habe ich das Fenster möglichst viel auf, mindestens auf Kipp. Der Gedanke, mich selbst hier drin noch mehr einzusperren, befremdet mich nach wie vor. Zur Abwechselung und Eingewöhnung putze ich das Zimmer ein wenig. Staub wird gewischt, das Waschbecken so gut wie möglich geschrubbt, wobei ich das schnell aufgebe, nur mit Waschlappen und Wasser lässt sich nicht viel machen. Beim Fegen des Bodens mit dem Handfeger entdecke ich eine kleine Spinne hinterm Tischbein. Wie schön, ich bin also doch nicht ganz allein hier, denke ich zärtlich, und sofort schießen mir Namen durch den Kopf, wie ich sie nennen könnte, Garry, Hilde, Sophie, Thekla… Dann denke ich, dass das vielleicht anmaßend wäre, andererseits, was sind schon Namen? (Was meinst du?)

Als nächstes höre ich den Essenswagen quietschend näher kommen und Geschirr klappern. Mal sehen, was es heute gibt… drei Scheiben Schwarz- und fünf Scheiben Weißbrot (zur Abwechselung), dazu Fencheltee. Vegetarische Alternative gibt’s noch nicht, ich soll klingeln, wenn ich mehr Tee will, sagt der Schließer (es ist übrigens immer der Gleiche). Während ich esse, kommen zwei große Autos, ein Pick-up und ein Van mit Anhängern in den Hof gefahren. „Baumpflege“ steht auf dem Van. Sie beschneiden einen der fünf Bäumchen, die paar dünnen Äste landen in einer kleinen Heckselmaschine und für ein paar Sekunden fühle ich mich fast wie Zuhause im Wald. Dann ziehen sie wieder ab. Das Ganze hat bloß wenige Minuten gedauert.

Ich beeile mich den Tee auszutrinken und drücke den Knopf in der Wand, dann passiert ne ganze Weile – nichts. Nach ca. 10min wird die Tür geöffnet und barsch gefragt, was sei. „Mir wurde gesagt, ich soll den Knopf drücken, wenn ich mehr Tee will.“, erkläre ich. Sie ruft nach Herrn Schiffer* und dem Tee, aber der ist schon weg. „Ich trete dem Herrn vors Schienbein, sagt die Schließerin genervt und ich denke „jaaa...“ und muss grinsen. Eine Weile mühe ich mich ab, die Geschehnisse seit meiner Festnahme nieder zu schreiben, aber es will mir nicht so recht gelingen. Stattdessen male ich eine Skizze der Zelle, in der ich nun lebe.

Als die Sonne grade hinter der Mauer verschwunden ist, sitze ich auf dem Klodeckel und wärme mich an der Heizung, als die Tür aufgeschlossen und geöffnet wird. Ich habe immer den Impuls schnell auf zu stehen, bevor die Tür ganz offen ist, weil ich nicht weiß, was kommt und auf alles gefasst sein will. Aber das hier ist was anderes, als eine Polizeistation, wo ich diesen Impuls entwickelt habe. Vor allem möchte ich ihnen nicht das Gefühl geben zu salutieren. Daher bleibe ich sitzen. Eine recht kleine Wärterin steht in der Tür und fragt, ob ich mal raus wolle. Natürlich möchte ich das, aber ich hab ja keine Schuhe, die sind in der Desinfektion und da ich ohnehin schon immer kalte Füße hab, kommt Barfuß auch nicht in Frage. Sie verspricht mir ehrenmütig, morgen Schlappen zu besorgen, damit ich keinen „Zellenkolla“ kriege. Dann plaudert sie mit mir über Krätze und schließlich fragt sie, woher ich komme. Sie hätte sich schon gedacht, dass ich ausm Hambacher Forst käme, ich sähe so autonom aus („Nicht böse gemeint!“). Sie schwärmt von Baumhäusern und findet gleichzeitig, dass wir zu radikal vorgehen würden, könne es aber grundsätzlich verstehen. Weiter erzählt sie von einem Bekannten aus alten Tagen, der mal grüne Haare hatte und jetzt Anzüge von Prada trägt und es verurteilt, wenn Menschen nicht authentisch sind und nicht dabei bleiben. Im Umkehrschluss bedeutet das für sie also, dass ich zwangsläufig hier landen musste, weil ich mir und meinen Idealen treu geblieben bin, was sie gut findet. Während sie nicht gut findet, wie ich das tue… Wie dem auch sei. Am Ende „warnt“ sie mich noch davor, dass hier nicht alle so nett seien, wie vielleicht tun. Ich beziehe das auf die Beamten und erst später fällt mir ein, dass sie wahrscheinlich eher die Gefangenen meinte. Auch ihre Freundlichkeit kam mir aufgesetzt vor, was sie ja auch ist, denn ich denke, dass sie mir nicht nicht weh tun würde, wenn der Befehl/das Gesetz ihr es erlaubt oder es verlangt.

Auch wenn es noch nicht ganz dunkel ist, habe ich keine Lust mehr in Decken gehüllt auf dem harten Stuhl rum zu sitzen und zu schreiben, also mache ich das Fenster noch mal ganz weit auf, trainiere und putze mir die Zähne. Im Bett kreisen meine Gedanken noch eine Weile um meine Lieben und während mir langsam wärmer wird unter den zwei Polyesterdecken und schlafe ich ein.

Als ich später in der Nacht wieder aufwache, gelingt es mir endlich, über die ED-Behandlung zu schreiben. Auch ist mir endlich warm genug, um das Fenster auf Kipp zu stellen, zum Schluss schreibe ich noch einen Antrag auf Briefmarken und hau mich dann wieder aufs Ohr.

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Tagebuch aus dem Knast #2 https://abcrhineland.blackblogs.org/2016/12/19/tagebuch-aus-dem-knast-2/ Mon, 19 Dec 2016 17:21:58 +0000 http://abcrhineland.blackblogs.org/?p=718 Continue reading Tagebuch aus dem Knast #2 ]]> deutsch

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Erhalten am 14.Dezember 2016

Teil 2 – HINTER GITTERN UND STACHELDRAHT

Maya #2

Montag, 5. Dezember 2016 – Bereuen tue ich nichts

Als ich vom Klappern der Schlüssel in der Eisentür geweckt werde, ist es Draußen noch dunkel. Frühstück. „Weißbrot oder Graubrot?“, fragt die weiblich wahrgenommene Person am Servierwagen in der offenen Tür und verlangt nach einem Brettchen. Völlig verwirrt bringe ich die ganze Waschschüssel mit dem ganzen Geschirr, die noch auf dem Tisch steht, zur Tür. „Und beim nächsten Mal ziehen Sie sich was an.“, sagt der Typ hinter ihr an der offenen Tür. In Unterhose und Pullover stehe ich da und lasse mir vier Scheiben Graubrot, ein Päckchen Margarine und 1 Liter Wasser im TetraPack aufs Plastikbrettchen klatschen. Kurz darauf ist die Tür wieder zu.

Ich lege mich wieder in das warme Bett in der Hoffnung noch mal etwas schlafen zu können. Die Nacht war unruhig gewesen, immer wieder bin ich kurz aufgewacht, eine gefühlte Stunde wälze ich mich von einer Seite zur andern, weil ich nicht einsehe, ohne Grund vor der Sonne aufzustehen.

Als es dämmert, weiß ich erst mal nicht, womit ich anfangen soll. Ich weiß noch nicht mal, was ich machen soll und kann. Ich beschließe, das selbe zu tun, wie wenn ich ein paar Tage bei meinen Eltern bin: Fenster aufmachen, Zähne putzen, Dehn- und Kraftübungen (der linke Arm und die rechte Schulter tun noch etwas weh von der ED-Misshandlung), Frühstück. Erfreut stelle ich fest, dass die Margarine vegan ist. In zwei Decken gehüllt setze ich mich auf den Tisch ans geöffnete Fenster und schau dem wolkenlosen Himmel zu, wie er langsam heller wird. Während ich die letzte Scheibe Brot verdrücke, kommen vier männlich Gelesene auf den Hof vorm Fenster und beginnen, Laub zu haken und in blaue Plastiksäcke zu verpacken. Lautstark unterhält sich eine Gefangene über mir mit einem der vier und wirft ihm eine Zigarette runter. Aus ihrem „Gespräch“ erfahre ich, dass um 9uhr Hofgang ist, dass das Gebäude gegenüber, dessen blanke Rückwand wir aus unseren Fenstern anstarren dürfen, Haus 14 ist und dass N. (wer auch immer das ist ist) in Zelle XXX oder so sitzt.

Bald darauf, ich schätze gegen 8 Uhr, wird die Zelle aufgeschlossen und eine in Uniform fordert mich auf mitzukommen um meine Inhaftierung schriftlich festzuhalten. Im Flur sitzt eine weiblich gelesene Person in Maler*innenkleidung und streicht die Wand. Ich nicke grüßend und lächle, sie deutet sowas an. Im Büro am Ende des Ganges setzt sich die Uniformierte hinter einen Schreibtisch, ich davor. Sie tippt meine ungefähre Größe, Haar- und Augenfarbe in einen Computer und macht ein Foto von mir mit einer kleinen, runden Computerkamera, die auf dem Tisch steht. Das ich keine Angaben zu meiner Person mache, stört sie nicht weiter. Auf meiner Akte lese ich „Kim Neuland“. So werde ich schon die ganze Zeit genannt. Im Haftbefehl steht, das sei mein Spitzname.

Ich frage sie ob sie eine Idee habe wo ich einen Stift und Papier her bekommen könnte. Sie gibt mir einen Kugelschreiber. Das Papier müsse ich morgens bei der Essensausgabe erfragen. Dann geht es zurück in die Zelle.

Etwa  eine halbe Stunde später werde ich wieder abgeholt, „Arztvisite“. Mit dem Arzt bespreche ich die Krätze-Behandlung, dann stellt er mir noch eine Reihe von Fragen zu Drogenkonsum, Krankheiten, Operationen, Medikamenten, Schwanger- oder Mutterschaft, Allergien… Ich erkläre ihm, dass ich eine Intoleranz gegenüber tierischem Eiweiß habe, daher zwangsläufig auf vegane Ernährung angewiesen bin. Dann hört er mit einem Stethoskop meinen Rücken (Lungen) und meine Brust (Herz) ab, stellt mich auf eine Waage und guckt mir schließlich noch in den Mund. Zum Schluss gibt er mir die Creme gegen Krätze, während er mir erzählt, dass er im Radio gehört habe, dass diese Parasiten wieder vermehrt in Deutschland auftreten. Die „Sprechstundenhilfe“ bringt mich zurück durch die Flure, an der Kanzel in Haus 13, in dem ich einquartiert wurde, werde ich abgestellt, hier solle ich warten.

An der Tür zum Hof steht eine Justizwachtel wie eine Pausenaufsicht (was sie im Prinzip ja auch ist) und raucht. Ich nutze die Gelegenheit, sie mit Fragen zu löchern, wie das hier läuft mit Anträgen, Briefen, Besuch,… Als mir keine Fragen mehr einfallen, schlendere ich zu der großen Pinnwand, da ich scheinbar immer noch auf irgendwas oder -wen warte. Ich lese Einladungen zum Gottesdienst, Gitarrenunterricht und Haarmodell sein. Außerdem Ankündigungen und Preislisten für Tabak, Obst und Gemüse. Irgendwann kommt ein Schließer und bevor ich in der Zelle 118 verschwinde, schnappe ich mir noch schnell eines der zwei deutschsprachigen von vier Büchern aus dem ansonsten leeren Regal. „Mit aller Macht“ von anonymus ist bestimmt einsame Spitze.

Zurück in der Zelle setze ich mich wieder in zwei Polyesterdecken gehüllt ans offene Fenster und schaue den anderen Gefangenen von Haus 13 beim Hofgang zu. Ich darf noch nicht wegen der Krätze. Ich zähle 12 Frauen. Die meisten laufen schnatternd in Grüppchen Runde um Runde auf dem schmalen gepflasterten Weg, der dicht an den vergitterten Fenster (und somit auch an mir) vorbeiführt um den kleinen Hof. Einige wenige drängen sich dicht aneinander auf den Bänken zwischen drei kleinen Bäumen auf Höhe meines Fensters. Eine läuft alleine und durch das Gitter und die Stäbe vor meinem Fenster schenken wir uns ein scheues Lächeln. Leise singt sie ein Lied und richtet den Blick gen Himmel.

Eine andere, zierliche sitzt mit starrem Blick allein auf einer Bank und raucht. Dann geht sie ein paar Runden in zügigem Schritt, wobei sie andere überholt. Ich lese eine Seite in diesem furchtbar spannenden Buch aus dem Flur, dann lasse ich den Blick durch den Raum schweifen auf der Suche nach etwas papierartigem, auf dem ich anfangen kann, einige Gedanken fest zu halten. Ein aufgetrennter Hygienebeutel für Binden etc. tut es dann. Klopapier wäre ja etwas altmodisch gewesen ;)

Es muss etwa 12 oder 13 Uhr sein als das Mittagessen kommt. Die Tür wird aufgeschlossen und es wird nach einem Teller verlangt. Schwup-di-wupp liegt da eine Frikadelle auf dem Teller. Automatisch frage ich: „Ist das mit Fleisch?“ „Ne, das ist mit Hühnchen.“ Ich versuche den Dreien vor der Tür, einer von ihnen ist der Schließer, zu erklären, dass ich kein tierisches Eiweiß vertrage also weder Fleisch, Eier oder Milch. „Fisch auch nicht?“, fragen mich große Augen. Das hatte ich fast erwartet. Am Ende habe ich sieben Scheiben Graubrot, einen Klacks Senf und zwei Mandarinen auf dem Teller und während sich die Tür wieder schließt, höre ich sie weiter reden: „Ne, Hühnchen auch nicht, da ist ja Ei mit drinne...“

Mit dem Essen kam auch eine 3-seitige „Kurzinformation für Zugänge in der JVA Köln“, 7 Anträge zum Ausfüllen, 4 Briefumschläge und 5 Blatt blanco Papier. Endlich! Ich fülle direkt vier der Antragsformulare aus: Ich beantrage Zugang zum Sportraum (in der Hoffnung, dass es hier einen gibt), den Bücherkatalog, ein Gespräch mit meinem Anwalt und der Seelsorge. Kurz überlege ich auch einen Antrag auf Massage zu stellen, denn mein Rücken, besonders die rechte Seite tut weh, wie schon lange nicht mehr. Ich bin unsicher, ob das von der ED-Behandlung kommt oder davon, dass ich in den letzten zwei Tagen viel schlecht gelegen habe. Dann beschließe ich aber, die restlichen drei erst mal auf zu bewahren für Anträge mit besseren Erfolgsaussichten, da ich mir unsicher bin, ob ich noch mal so unkompliziert an diese Vordrucke ran komme. Als nächstes versuche ich Tagebuch zu schreiben. Aber ich bin noch so verwirrt von dieser neuen Situation, dass mein Kopf auf einmal wie leer gefegt ist. Plötzlich habe ich Sorge, der Passivität, die sich hier so aufdrängt, zu verfallen. Um wenigsten auch mal etwas anderes zu tun, als bloß in den kahlen Hof, in dem sich nicht viel tut, zu starren und um mich etwas ab zu lenken, lese ich also in dem Buch in der Hoffnung, dass es sich vielleicht doch als irgendwie interessant entpuppt (tut es nicht, erzielt aber dennoch seine Wirkung).

Schon bald werde ich zum Duschen abgeholt. Endlich! Darauf freue ich mich schon seit dem Tag der Festnahme, seit dem ich viel geschwitzt habe. Mir wird Anstaltskleidung und eine große Plastikflasche mit einer grünen, schäumenden Flüssigkeit in die Hand gedrückt und der Weg in den Duschraum direkt hinter der Kanzlei gewiesen. Das angebliche Shampoo riecht nach „Goldgeist“, dem Läusemittel, das seit ein paar Jahren nicht mehr verschrieben wird wegen der enthaltenen, gesundheitsschädigenden Giftstoffe. Auf dem ausgefransten, kaum mehr lesbaren Etikett steht irgendwas von „WC“. Für heute werde ich bestimmt auch ohne das sauber genug, morgen früh steht ja schon die nächste Dusche an, um die Krätze-Creme abzuwaschen. Das Wasser ist gerade warm genug. Und wenn es kalt gewesen wäre, ich hätte es genossen! Erfrischt und etwas belebt, trockne ich mich schnell ab, denn es ist kalt in dem Raum mit nasser Haut. Ich steige in die zu großen Anstaltsklamotten bestehend aus einem dunkelblauen T-Shirt, Pullover und Jogginghose in verwaschenem blau-grün, schwarzen Socken und einer pinken Unterhose mit Schleifchen. Die Jogginghose rutscht bei jeder Bewegung. Aber davon hab ich hier ja eh nicht so viel.

Dann geht es zurück auf die Zelle. Eine junge Beamte schaut mir dabei zu und dokumentiert, wie ich zuerst alle Textilien, die ich gestern erst bekommen hab, Decken, Handtücher und Bettbezüge in einen Stoffbeutel mit der Aufschrift „JVA Köln – Desinfektion“ verpacke, diesen wiederum in einen blauen Plastiksack stecke und mit einem Stück Schnur verschnüre. Dann das Selbe mit meinen persönlichen Sachen. Mir wird schwer ums Herz, als mir die wenigen Sachen aus meinen Jackentaschen meiner Wald-Carmouflage-Jacke aus einem durchsichtigen Plastikbeutel entgegen purzeln. Die Kopflampe war scheinbar die ganze Zeit an gewesen und leuchtet schwach. Besonders die drei amerikanischen Walnüsse, deren Bäume mittlerweile vermutlich schon gefällt wurden und das Stück Birkenrinde hätte ich so gerne behalten. Dann sind da noch eine Karte vom Tagebau Hambach, ein Notizblock, 1 Kugelschreiber, 3 Zehen Knoblauch und ein kleines Glas mit goldenem Deckel und Pfefferkörnern darin, welches ich mir Freitag Abend noch auf die Schnelle voratshalber in die Tasche gesteckt hatte. All diese Sachen sollen nun in meine persönliche Habe gegeben werden, das heißt, ich sehe sie erst nach meiner Entlassung wieder. Zum ersten Mal muss ich mit den Tränen kämpfen, denn die Sehnsucht nach diesem wunderbaren Wald, durch den ich nun nicht mehr streifen dürfen soll, schmerzt tief. Paradoxer Weise halten sie die U-Haft für angemessen, weil sie vermuten, ich könnte mich dem Prozess und einer möglichen Strafe entziehen, Fluchtgefahr nennen sie das. Dabei ist mir beides so egal, wenn ich bloß wieder in den Wald zurück könnte! Während ich mich tief über den Beutel beuge, damit sie meine aufkommenden Tränen nicht sieht, fragt sie mich neugierig, ob das sehr jucken würde, die Krätze. Ich schlucke den Kloß und die Tränen so gut es geht runter und atme tief durch, um zu antworten. Es sei unterschiedlich, bei mir weniger, bei dieser oder jener Freund*in mehr oder sogar schlimm. Nach kurzer Pause fragt sie, warum ich überhaupt hier sei. „Ich bin wohl hier, weil mich RWE lieber hinter Gittern als im Hambacher Forst sehen will.“

Dann bin ich wieder allein in diesem kleinen, kahlen, fremden Raum mit den Gittern am Fenster. Drei Ohrringe und ein Haargummi sind das einzig Persönliche das ich noch bei und an mir trage. Nicht mal das Fenster kann mehr lange geöffnet bleiben, denn es ist ohnehin schon kalt in den wenigen Klamotten. Wenigstens die Strahlen der untergehenden Sonne wärmen mein Gesicht ein bisschen.

Während zum Aufschluss gerufen wird, d.h. Gefangene sich unter einander besuchen oder im Gemeinschaftsraum (mit Fernseher) treffen können, sitze ich in Decken gehüllt am Tisch und male, was ich da draußen vorm Fenster sehe. Später gelingt es mir endlich ein bisschen was nieder zu schreiben. Dann esse ich die letzten drei Scheiben Brot, creme mich mit der Krätze-Creme ein und friere noch eine Weile im Bett während ich die lang gezogenen Schatten der Gitterstäbe an der Wand betrachte. Mein Nacken tut unheimlich weh… Dennoch schlafe ich schneller ein als gestern.

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Tagebuch aus dem Knast #1 https://abcrhineland.blackblogs.org/2016/12/18/tagebuch-aus-dem-knast-1/ Sun, 18 Dec 2016 15:47:19 +0000 http://abcrhineland.blackblogs.org/?p=710 Continue reading Tagebuch aus dem Knast #1 ]]> deutsch

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Erhalten am 14.Dezember 2016

Teil 1 – INHAFTIERUNG

Maya #1

Samstag, 3.12.2016, ca 10 Uhr vormittags – am Rande der Fällarbeiten im Hambacher Forst

Eben ging es noch um den recht grob verhafteten Todde, da wendet sich der Weiß-Behelmte, Blau-Uniformierte auf einmal an mich und im nächsten Moment finde ich mich auch schon in den Händen seinesgleichen wieder, die mich vom Rand der Gruppe abpflücken wie eine Traube. Dumm, ihnen den Rücken gekehrt zu haben. Während sie mich auf RWE-Land - die ehemalige Autobahn - tragen, höre ich die Worte „Haftbefehl“ und „festgenommen“. Warum kann mir niemand sagen. Dennoch bin ich wenig überrascht. Wenn sie wollen, können sie. Wäre ja nicht das erste Mal, dass sie auf diese Weise Aktive aus dem Hambacher Forst aus ihrem Weg räumen lassen.

Noch auf der Alten A4 werde ich bis aufs Unterhemd ausgezogen und durchsucht. Die RWE-Security dürfen zugucken. Dann werde ich in eine kleine Zelle des Gefangenentransporters der Polizei gesteckt und auch untenrum durchsucht. Man muss den Kopf einziehen und kann sich gerade um die eigene Achse drehen. In der eisernen Tür und nach vorne zur Frontscheibe hin sind kleine Plexiglasfenster. Doch noch bevor sich alle Türen schließen, erhasche ich einen Blick auf einen rauchgrauen Pick-Up, am Lenkrad sitzt eine gelbe Warnweste. Es ist der Secu-Boss „Maxi“. Eine Sekunde Blickwechsel, dann fährt er an und die Tür der kleinen Zelle, in der ich sitze, wird verriegelt. Draußen höre ich einige Cops, wie sie sich unterhalten. Es sei ja schon schade um den Wald, aber… 

In Aachen auf der Zelle werde ich wieder bis auf die Unterhose durchsucht. Weil ich gesagt hab, dass ich vermutlich Krätze hab, hat sich die Polizistin einen weißen Einmal-Overall überzogen. Ich werde gefragt, ob ich mit einer Erkennungsdienstlichen Behandlung (kurz ED) einverstanden sei. Ich verneine lächelnd, aber nach wie vor würde ich gerne meinen Anwalt sprechen, wie ich es schon zu Beginn meiner Verhaftung verlangt habe. Ich werde wieder einmal – und wie erwartet – vertröstet. Irgendwann kommen dann zwei von der Kripo, um mir zu erzählen, was sie mit mir vor haben. Ich habe schon längst jegliches Zeitgefühl verloren und nicht mitgezählt, wie oft sich die Zellentür öffnet und wieder geschlossen wird, bis ich dann zur ED-Behandlung abgeholt werde. „Freiwillig oder es tut weh.“ Der Große kann es scheinbar kaum erwarten, mir den rechten Arm auf den Rücken zu drehen und hat mit seinen einleitenden Worten nicht gelogen. Vornüber gebeugt, weil mir beide Arme auf dem Rücken verdreht werden, werde ich durch die Flure, in den Aufzug und schließlich in den ED-Behandlungsraum gezerrt. Fingerabdruck-Abnahme, Größenmessung, Fotos von der Seite, Schräg, Vorne und Tattoos… Meine linke Hand fängt an zu kribbeln und wird taub, weil sie auf meinem Rücken fixiert und abgeknickt wird. Ich weiß nicht, wie lange es dauert, aber immerhin scheint es auch sie Kraft zu kosten, obwohl ich kaum etwas machen kann. Zwischendurch, wenn sie warten müssen, stellen sie sich mit mir an die Wand, der Große zu meiner Rechten drückt mein Gesicht auf sein zitterndes Knie. „So viel Aufwand für ein paar Bäume.“, sagt er verständnislos. „Naja, sind schon mehr als ein paar...“, sagt der Andere etwas zurückhaltend. So viel Aufwand für ein bisschen Strom, denke ich. Zum Schluss geht’s noch mal an den großen Computer, an dem Fingerabdrücke genommen werden.  Noch einmal scannen sie jede einzelne Fingerspitze, dann auch die Finger selbst und die Handflächen. Das dauert noch mal gefühlt halb so lang, wie die ganze Prozedur davor.

Schließlich werde ich einen Raum weiter geführt, in dem Schreibtische mit Computern, Telefonen und jede Menge Zetteln darauf stehen. Ich werde auf einen Stuhl außer Reichweite der Schreibtische gedrückt, wie ein unartiges Kind, und mir wird der Haftbefehl auf den Schoß geklatscht. Der linke Arm wird endlich losgelassen, den rechten klemmt sich der Große mit etwas übertrieben eisernen Gruppe zwischen Stuhl und Oberschenkel. In Ruhe lese ich die 2 ½ Seiten Haftbefehl. Da sie meine Personalien bisher noch nicht feststellen könnten, versuchen sie mich über Bilder zu identifizieren. Zwei davon wurden im Zuge der Observation der WAA gemacht. Dann endlich wird mir ein Telefonhörer hingehalten und ich spreche mit meinem Anwalt. Es ist schön seine gelassene und gleichzeitig entschlossen motivierte Stimme zu hören. Alles kein Grund zur Sorge.

Auf dem Weg zurück zur Zelle steht da auf einmal Eva! Ich freue mich riesig sie zu sehen, auch wenn ich zuerst nicht so recht verstehe, warum sie da steht. Die Cops halten mich inzwischen nicht mehr ganz so eisern fest und am Liebsten wäre ich ihr um den Hals gefallen, um mich ganz fest von ihr in die Arme schließen zu lassen, so wie wir das zu tun pflegen. Doch während sie mich fragt, wie es mir geht, werde ich schon an ihr vorbei geführt und ich kann ihr gerade noch so zurufen, dass ich ok bin. Während ich wieder in die Zelle gedrückt werde, dämmert mir, warum sie da ist. In Gesprächen mit den Cops in den letzten Monaten wurde vereinbart, dass Kontaktpersonen Gefangene in Gewahrsam besuchen dürfen, um sich zu vergewissern, dass sie nicht misshandelt werden. Das ist an sich schon paradox, begreift man die Freiheitsentziehung als solche, die die wenigsten freiwillig mitmachen, schon als Misshandlung. Und wenn nicht kooperiert wird, darf, nach Verständnis des Gesetzes, Gewalt angewendet werden. Herr Weinspach ist naiv, wenn er tatsächlich davon ausgeht, dass unter diesen Bedingungen niemand in seiner Wache misshandelt wird (aber genau das behauptet er). Selbst wenn ich angefangen hätte, Eva mitzuteilen, was mit mir gemacht wurde, hätten diese wenigen Sekunden nicht im Ansatz gereicht. Nichts von all dem hat irgendwas mit Gerechtigkeit zu tun, wenn eine einfache Anschuldigung eines Security reicht, um mich hier her zu bringen. Ja, ich würde frei kommen, wenn ich meine Personalien geben würde. Aber das würde vermutlich eine Unterlassungsverfügung erleichtern, die es schon einigen anderen Aktiven im Braunkohlewiderstand erschwerte, weiter im Wald gegen die Abholzung und den Braunkohleabbau an sich, aktiv zu sein. Es gibt keinen Anlass zu kooperieren. Gerechtigkeit lässt sich nicht an Gesetze binden. Das beste Beispiel dafür dürfte uns allen bekannt sein.

Ich höre Eva noch in ihrer ruhigen, sanften Art mit dem Beamten diskutieren - er barsch und knapp, da ist die Tür schon zu. Ich begutachte das schmerzende linke Handgelenk, es ist leicht geschwollen und bewege vorsichtig die rechte Schulter in kreisenden Bewegungen. In Anbetracht dessen, was ein Körper so alles aushalten kann nichts Wildes. In Anbetracht der Umstände entsetzlich.

Bald darauf liege ich in Polyesterdecken („schwer entflammbar“ steht auf dem Etikett) gehüllt auf der mit einer Art Plane ummantelten Schaumstoffmatratze und versuche einzuschlafen. Mir ist kalt und besonders mein rechter Fuß will und will nicht warm werden. Ich spüre den kalten Schweiß der letzten Stunden auf meiner Haut. Meine Hände sind immer noch und immer wieder nass.

Im Traum wache ich in einem warm beleuchteten Raum auf. Eva und eine besonders geliebte Person haben mich zu Eva nach Hause gebracht, während ich geschlafen habe. Ich fühle mich wunderbar wohl…

Als ich wieder aufwache, umgeben mich hohe, geflieste dreckige Wände, die von weißem Licht ausgeleuchtet werden. In einer Ecke der acht oder neun Quadratmeter großen Zelle befindet sich ein Hockklo. Hinter dem dicken Milchglas der Fenster ist es dunkel geworden. Mir ist heiß und meine Hände sind etwas aufgequollen vom Schweiß. Der Traum hinterlässt schöne Gefühle in mir und für einen Moment hoffe ich einfach, weiter zu träumen. Natürlich vergeblich. Dennoch guter Dinge stehe ich auf, gehe zur Tür und klingele. Bald darauf steht ein kleiner, rundlicher Typ vor mir und fragt, was ich wolle. Hände waschen, vielleicht sogar duschen. Hände waschen ja - duschen nein und überhaupt wolle er erst mal meine Daten haben. Er sagt das in patzigem Ton und stemmt dabei die Hände in die Seiten. Ich gluckse und erwidere: „Uns sie sind…?“ und da ist die Tür auch schon wieder zu. Amüsiert schüttle ich den Kopf.

Irgendwann öffnet sich die Tür und mir wird angeboten mich „etwas frisch“ zu machen. „Aber nicht duschen!“ Die Katzenwäsche, inklusive Haare, tut gut.

Am nächsten Morgen kann ich durch das dicke Milchglas an den Gitterstäben das Gold der aufgehenden Sonne erkennen. Ob die Zelle wohl absichtlich nach Norden ausgerichtet ist?

Bald darauf geht’s zum Haftrichter*intermin nach Düren. Dort am Amtsgericht angekommen, werde ich erst mal wieder in eine Zelle gesteckt, die wesentlich kleiner ist als die davor, vielleicht vier Quadratmeter. In einer Ecke oben ist eine Kamera angebracht. Nach einiger Zeit kommt mein Anwalt in die Zelle und wir bereiten mich auf die Vorführung vor. Er kann leider nicht dabei sein. Es ist klar, dass ich einfahren werde, weil ich anonym bleiben möchte. Aber der Gedanke daran macht mich nicht niedergeschlagen. Bestenfalls bedeutet das, dass ich RWE ein ordentlicher Dorn im Auge bin. Dieser Gedanke gefällt mir natürlich und lässt mich breit grinsen.

Sie lassen mich noch ca. 1 Stunde warten, dann werde ich der Haftrichterin vorgeführt. Es ist ein kleiner unförmiger Raum. Am Ende des Raumes sitzt eine Frau in ziviler Kleidung, links von ihr, ihr zugewandt, eine Frau an einem Computer, die Protokollantin. An einer Seite stehen drei oder vier Stühle, auf die sich die Schließerin und ein unerfahren wirkender Typ (ich vermute Azubi) - beide in Zivil - setzen. In der Mitte des Raumes steht ein Tisch und zwei Stühle, auf einem lasse ich mich nieder. So sitze ich der Richterin gegenüber. Vor mir auf dem ansonsten lehren Tisch liegt, auf rotes Papier gedruckt, der Haftbefehl, den ich nun schon kenne. Die Haftrichterin ließt ihn vor, während ich den Raum und die Personen um mich herum mustere. Die beiden Schließer schauen schnell weg, wenn mein Blick sie streift. Als gäbe es da ganz dringend Löcher in die Luft zu starren. Ich äußere mich weder zur Sache noch zu meiner Person. Die Richterin empfiehlt mir noch mal meine Personalien anzugeben, damit ich unter der Auflage, mich einmal in der Woche in der Polizeistation Düren zu melden, raus könne. Mit meiner Verneinung wird der Prozess beendet und ich zurück in die Zelle gesteckt. Es hat kaum fünf Minuten gedauert.

Nach ca. drei bis vier Stunden wird die Zelle wieder geöffnet, ich soll meine Schuhe anziehen und ein großer Typ in Uniform versucht mir Fußketten umzulegen, was nicht gelingt, weil die Stiefel zu hoch sind. Irgendwie genüsslich grinsend legt er sie mir schließlich um die Handgelenke - das ginge auch. Während er das tut, schaue ich zu den Schließern, die sofort wieder dringend woanders Löcher in die Luft starren müssen. Zugegeben belustigt mich das. Der Gefangenentransporter ist mit Plexiglas und Metallgittern in drei Abteile unterteilt. Hinten sitzt schon wer. Als ich einsteige, grüßen wir uns. Die Verständigung auf der Fahrt ist schwer, neben der Plexiglasscheibe und den Fahrgeräuschen sprechen wir kaum eine gemeinsame Sprache. Ich verstehe aber, dass er keine Papiere hat.

Die Sonne steht schon tief, als wir schließlich in der JVA Köln-Ossendorf ankommen. Es geht durch mehrere Tore und Höfe, dann wird vor einer geöffneten Tür gehalten, wo ich aussteigen und meine wenigen Habseligkeiten in einem blauen Plastiksack aus dem Kofferraum nehmen soll. Ein großer Uniformierter führt mich ins Innere des Gebäudes. Alles sieht nach Knast aus, bloß die Weihnachtsdekoration wirkt fehl am Platz. Wieder einmal werde ich in einen Raum gesetzt, in dem ich warten soll und der abgeschlossen wird. Ich setze mich auf den Tisch ans Fenster, das sich sogar öffnen lässt. Endlich mal wieder Luft. Stadtluft.

Nach etwa fünf bis zehn Minuten werde ich von zwei weiblich gelesenen Personen in blauer Uniform abgeholt. Die eine ist groß und hat kurze, wasserstoffblonde Haare, die andere kleiner und hat die Haare in der selben Farbe zu einem Pferdeschwanz zurück gebunden.

Auf dem Weg durch die Flure stellt die Größere mir mit strenger Stimme Fragen: „Probleme mit Drogen?“, „Nein, Sie?“, frage ich zurück. „Hören Sie mal, Sie sind hier nicht in der Position Fragen zu stellen“, sagt sie in bissigem Ton. „Warum denn nicht? Warum denn Sie?“, frage ich betont freundlich. „Weil es hier nicht um mich, sondern um Sie geht“. Während wir durch die Flure gehen, haben wir wohl beide unseren persönlichen Spaß daran uns gegenseitig herauszufordern. Zu ihrer Komplizin, die sich weitestgehend raus hält, gewandt, sagt sie betont herablassend: „Ich nehm' sie, das wird bestimmt lustig“.

An der Kleiderkammer wird noch mal Halt gemacht. Wieder einmal soll ich mich ausziehen und meine Sachen aus dem Sack werden durchsucht. Die Frau in der Kammer ist freundlicher und fragt, ob ich zum ersten Mal hier sei und warum. Ich erzähle vom Wald. Als ich mich wieder anziehe und die Große vor der Tür wartet, sagt die freundlichere Blonde, dass sie in Teilen verstehen könne, was wir täten. Sie rät mir hier vorsichtig zu sein und dass es nicht so schlimm sei, wenn man keine Probleme mache. Dann stellt sie mir eine Kiste mit Decken, Bettwäsche, Handtüchern, Geschirr, Zahnputzbecher und -Paste, einer Waschschüssel und Geschirrhandtüchern hin und die Große führt mich durch noch einen Flur und noch eine Tür. An einem hervorstehendem Raum mit großen Fenstern heißt sie mich an zu warten. „Willst du noch was essen, sonst gibt’s erst morgen früh wieder was.“ Was für eine gute Idee, denn da fällt mir auf, dass ich seit Samstag Morgen nichts mehr gegessen hab. Sie packt fünf Scheiben Graubrot auf den Stapel in der Kiste, die ich trage, geht den Flur runter, der links von eisernen Türen gesäumt ist. In der Mitte führt eine Treppe nach oben. Die Weihnachtsdekoration, die von den Gittern hängen, die wohl verhindern sollen, dass sich welche aus dem ersten Stock stürzen, scheint ein schwacher Versuch, diesen Ort weniger trist aussehen zu lassen.

An dem Schild neben der Metalltür, die sie aufschiebt, steht die Zahlenkombination „13 118“. Ich trete ein in den kleinen Raum und stelle die Kiste auf den Tisch am Fenster. Während ich der Sonne dabei zu schaue, wie sie hinter der kleinen Mauer im Hof verschwindet, esse ich eine Scheibe Brot. Die Nächsten verschwinden schneller als ich gucken kann nach und nach in meinem Bauch, während ich das Bett beziehe und mich einrichte. Hier werde ich also die nächsten Wochen meines Lebens verbringen, denke ich und auf einmal überkommt mich eine unheimlich schmerzhafte Sehnsucht nach dem Wald. So, bloß viel schlimmer, muss es einem wilden Tier gehen, das eingesperrt wird. Noch nie konnte mir das so bewusst werden, wie heute.

Noch einmal wird die Zelle aufgeschlossen und eine Sanitäterin fragt mich wegen der Krätze. Morgen soll es zum Arzt gehen. Sie gibt mir eine Salbe gegen Juckreiz, ich bekomme noch eine Zahnbürste, weil die im Paket fehlte, dann wird sich verabschiedet und die Tür verriegelt. Unter den Decken wird es nur langsam warm, aber unter keinen Umständen will ich mich noch mehr einsperren, in dem ich das Fenster zu mache. Aber schließlich geht es irgendwann und ich schlafe ein.

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