Uncategorized https://affengriffe.blackblogs.org Sat, 14 Nov 2020 22:04:34 +0000 en-GB hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Im Wirrtshaus https://affengriffe.blackblogs.org/im-wirrtshaus/ Sat, 14 Nov 2020 20:25:11 +0000 http://affengriffe.blackblogs.org/?p=12 Continue reading Im Wirrtshaus ]]>

“Ich bleibe oft lange auf, trinke viel und schäme mich für uns alle.”

Eugen Egner hat das schon richtig gehandhabt. Und wahrlich, um den nachfolgenden Gedankengulasch zu ertragen, kann man nicht nüchtern sein.

Eine Pandemie gibt es nicht. Corona gibt es nicht. Corona gibt es, ist aber nicht so schlimm. Oder zumindest nicht schlimmer als die jährliche Grippe. Wenn man gestern das Vergügen sein eigen nennen durfte, in Basel auf dem Messeplatz das Spektakel der Coronaleugner-Versammlung zu beobachten, dann wurde man Zeuge eines ebensolchen Thesengewirrs. Da stand sich eine demografisch durchmischte Gruppe von etwa eintausendfünfhundert Menschen die Beine in den Bauch und es wird eifrig den Thesen von ex-Irokesenträger und „Satiriker“ Andreas Thiel oder dem ehemaligen Spitzenradfahrer Andrea Clavadetscher gelauscht, welche von einer kleinen Bühne aus effektreich präsentiert werden. Das Publikum jubelt und johlt zu dümmlichen Witzen und in der Sprechform denen des Bernd Höcke ähnelnden Schlußsätzen. Ich kann nicht lachen. Ich erfahre keinen Zwerchfell-, sondern Brechreiz.

Die ersten Stunden hält sich die Polizei zurück, dann erscheint sie abmahnend und freundlich gegenüber der Kundgebungs-Organisation, man solle doch bitte die Auflagen einhalten. Dem wird notwendigerweise, aber verhalten seitens Moderation zugestimmt; das Publikum tut sich jedoch sichtlich schwer damit.Konsequenzen folgen, bis auf ein paar Personenkontrollen, keine – dies obwohl sich die Mehrheit nicht zum Abstandhalten oder gar Maskentragen bequemen läßt, die einzige Auflage des Bundes. Nein, ich bin wahrlich kein Mensch, der die staatsgewaltätige Durchsetzung fordert; es ist jedoch entlarvend, wie wenig Mühe sich die Exekutive gibt, wenn es um Dinge geht, die die Herrschaft nur oberflächlicherweise herausfordern. Hier fällt mir spontan der antifaschistische Protest gegen die PNOS-Kundgebung von 2017 ein, als sich die Autorität sehr ausgiebeig an Gummischrot und Tränengas bedient hat und die Staatsanwaltschaft in bis heute laufenden Prozessen ein Exempel am anderen versucht zu statuieren, wenn da eine Genossin acht Monate unbedingt in den Bau muss aufgrund eines ihr nicht nachweisbaren Vorwurfs einer Straftat. Heute reicht es eben schon, wenn man dabei ist; zumindest als Linke.

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Aber natürlich findet da keine Kritik an Herrschaft generell statt. Ein Leben lang wird zur omnipräsenten Ungerechtigkeit geschwiegen. Jetzt kommt die Krise und man versteht die Welt nicht mehr. Und weil der Herrschaft damit nichts entgegenzusetzen ist, will man das auch gar nicht mehr. Nicht Staatskritik liegt Bewegungen wie diesen am Herzen, sondern den Rückfall in noch autoritärere Strukturen. Das Verlangen nach einem Sinn, den man zuweilen nur durch Lohnarbeit erhielt, treibt sie um. Nun sollen es „starke“ Persönlichkeiten wie Trump oder Putin sein, von denen man sich Erlösung von der Ohnmacht erhofft. In diesem kindlichen Bedürfnis nach Halt kann man schon mal Definitionen verwechseln. „Freiheit“ mit „Nation“. „Frieden“ mit „Volksgemeinschaft“. „Liebe“ mit „Kernfamilie“. Diese Verkehrung von Begriffen, eine rechte Taktik, spiegelt sich auch im Publikum wieder. Hier wimmelt es patriotisch unterm Schweizerkreuz, heteronormativ und weiss. Ab und zu weht schütteres, langes Haar oder Hippiekleidung durch die Menge. Die Trägerschaft, welche ab und zu auch eine Fahne mit durchgestrichenem Illuminatenpyramide bei sich trug, ist aber weitestgehend mit Straßenkreide zugange und malt irgendwelche Runen, Symbole und Parolen auf den Asphalt. Ideologisch fügt sich der vermeintliche Wiederspruch jedoch ganz gut in den Gesamtkontext ein. Schließlich ist es ein Merkmal dieser Szene, sich dem vermeintlichen Schicksal des Universums gegenüber devot zu verhalten. Sprich, es ist nur die Konsequnz des Verlangens nach Halt und Führung auf metaphysischer Ebene. Wo es an Vernunft und Reflexion fehlt, springen Glaubenskonzepte ein.

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Dazwischen verweilen Neonazis und NS-Relativierer in Kostümen , Familien mit Schildern  und Bühnenseitig schallt es vom „totalitärem Regime“ in Bern. Tosender Applaus. Die Argumentation ist bekannt und wurde an anderer Stelle schon ausgiebig kritisert. An anderer Stelle wurde Verständnis geäußert für die Angst, ohne Maske einzukaufen, wobei nicht nur impliziert wurde, man lebe in einem DDR-Ähnlichen Gebilde; nein, es wurde tatsächlich so formuliert. Ich musste so stark mit den Augen rollen, dass ich mein Gehirn sehen konnte. Gleich darauf kam der Redner auch schon mit einem Super tipp: man solle sich doch künftig in Kleingruppen ohne Maske in die Läden begeben. Also eigentlich ein Direkter Aufruf zur Verletzung der Auflagen. Die Polizei steht weiterhin daneben; mittleweile sind Riot Cops aufgestellt worden.

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Es wurden Schilder mit Aufschriften „Covid 19 = globales 9/11“ hochgehalten, die Maskenpflicht wurde als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ betitelt und die Regierung mit der Taliban verglichen. Ich wartete eigentlich nur noch auf den Shoa-Vergleich, immer wieder überkamen mich Fluchtgedanken. Als dann auch noch die fleischgewordene Mid-Life-Crisis Sam Moser (10) die Bühne mit seiner Gitarre betrat und Kuschelrock spielte, natürlich „for freedom“, nahm ich die Beine in die Hand und suchte das Weite.  Der frühalternde Rocker findet übrigens, dass “Bundesschafe” dem “Geschlecht: keie Eier” zugehören. Ok Boomer.
Tatiana Chamina, die organisatorin der Demo, teilt seine Songs natürlich auf Facebook und auch ein Lob an die „tolle“ Basler Polizei, dass sie die Bewegung habe „sprechen lassen“.Eine Frau, die auf Facebook übrigens nur Verachtung für die Opfer des Islamistischen Anschlags auf Charlie Hebdo parat hat.

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Das Tüpfchen auf den „iiiih“: Es hingen Banner der Anti-Kriegsgeschäfte- und Konzernverantwortungsinitiativen. Liebe Kommittees der entsprechenden Anliegen: ist es in eurem Sinne, dass Verschwörungsideolog*innen und Antisemit*innen auch unter euren Bannern, offenbar aufgehängt aus purem Kalkül, sprechen? Alles in allem ein schauriger Anblick; nicht so schlimm wie in Leipzig, aber die Tendenz ist sichtbar. Im Frühlich waren noch bedeutend weniger Menschen Anhänger dieser Ideen – gerade im Anbetracht steigender Fallzahlen und dem herannahenden Winter bereitet mir diese Unvernunft Sorgen.

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