Umwelt – Anarchosyndikalismus https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org Aktuelles zu libertären Gewerkschaftsaktivitäten und sozialen Kämpfen in aller Welt Wed, 09 Apr 2025 21:25:53 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1040/2019/09/cropped-rotschwarz-32x32.jpg Umwelt – Anarchosyndikalismus https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org 32 32 USA: Kampf dem MAGA-Angriff https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2025/04/09/usa-kampf-dem-maga-angriff/ Wed, 09 Apr 2025 21:11:59 +0000 https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/?p=1934 Continue reading USA: Kampf dem MAGA-Angriff ]]> Folgender Text der East Bay Syndicalists Group erschien Anfang April 2025 in Workers Solidarity:

Seit Trump ins Amt eingeführt wurde und den Milliardär-Oligarchen Elon Musk mit seinem Hacker-Team dazugeholt hat, um viele Programme und Behörden der US-Bundesregierung zu zerschlagen, sind Trump und sein Team wie ein Schnellfeuer vorgerückt, um die Opposition zu verwirren mit einem andauernden Strom von empörenden Aussagen, rechtswidrigen Durchführungsverordnungen, Kündigung tausender Bundesangestellter und Mittelkürzung für Dienstleistungen.

Protest gegen das Trump-Regime in Washington am Presidents‘ Day 2025

Das Regime verfolgt eine Strategie der „Gebietsüberflutung“ (flood the zone), um Medien und Opposition mit „Furcht und Schrecken“ (shock-and-awe) abzulenken, zu verwirren und zu überwältigen. Die Taktik von Drohung und Einschüchterung zielt auf eine Lähmung durch Angst ab. Daher ist es um so wichtiger zu betonen, dass Organisierung und gemeinsame Aktionen uns die Kraft geben zurückzuschlagen.

Nach der Struktur der US-Verfassung hat der Kongress die Macht Gelder zu verteilen und Gesetze zu erlassen, sowie Behörden und unabhängige Verwaltungsräte einzurichten. Sobald diese Entscheidungen beschlossen wurden, können ein*e Präsident*in (oder Mitglieder des Kabinetts) diese Behörden oder Geldmittel nicht einfach auf eigene Faust wieder abschaffen, denn das wäre unrechtmäßig. So muss der Präsident nach dem Haushaltsgesetz zur Rückhaltungskontrolle [Impoundment Control Act] von 1974 jeden Cent ausgeben, den der Kongress für einen vom Kongress bestimmten Zweck vorgesehen hat. Kürzlich warnte die republikanische Senatorin Susan Collins in einem Schreiben Trump: „So wie der Präsident kein Einzelveto hat, verfügt er auch nicht über die Fähigkeit sich die Notfall-Ausgaben selbst auszusuchen.“ Das trifft ebenso zu für alle Ausgaben, die der Kongress zweckgebunden verteilt hat.

Doch Trump weist diesen Aspekt der Verfassung zurück und sagt „Ich bin das Gesetz.“ Die Trump-Regierung muss sich nun zahlreichen Gerichtsverfahren stellen. Allein die Anklagen wegen fehlerhafter Wortwahl werden die Steuerzahler*innen wahrscheinlich viele Millionen Dollar kosten. Ein*e Gewerkschaftsanwält*in meinte dazu:
„Die Kündigungen, die sie aussprechen ohne das Gesetz zu beachten, werden dazu führen, dass tausende ehemalige Bundesangestellte Anspruch auf Nachzahlung plus Zinsen, Zuschläge und Anwaltskosten bekommen werden. Wenn die Rechnung kommt, wird sie riesenhoch sein.“

Diese Gesetzesverstöße sind bewusst Bestandteil der MAGA-Regierung [1]. Sie sind ein Versuch, die Leitplanken der US-Verfassung niederzureißen, um ein einheitliches, autokratisches Präsidialregime einzuführen. Da die Verfassung der Vereinigten Staaten nicht sehr demokratisch ist und der Präsident die mächstigste Rolle hat, bestand immer eine mögliche Gefahr. Trump hat zweifellos die rechtlichen Anfechtungen vorausgesehen, welche nun die Gerichte durchlaufen. Ein Bundesrichter hat die Wiedereinstellung von tausenden Bundesangestellten angeordnet, nachdem die Gewerkschaft der Bundesangestellten [American Federation of Government Employees] eine Klage eingereicht hat. Ein anderes Gericht hat die Wiedereinstellung in weiteren Behörden beschlossen, da die Verwaltungen einzelner Bundesstaaten geklagt haben. Trump legte gegen das Urteil Widerspruch ein, aber hat nun zugestimmt, 25.000 gekündigte Leute wieder einzustellen. Die MAGA-Regierung hofft darauf, mit Hilfe ihrer rechten Handlanger*innen im Obersten Gerichtshof und einer mutlosen republikanischen Mehrheit im Kongress die althergebrachten Grundpfeiler der Verfassung zerschlagen zu können.

Eine andere Taktik von MAGA ist die Einschüchterung. [Die Nachrichtenagentur] Reuters berichtet, dass mehrere Bundesrichter*innen im Bereich Washington DC anonyme Pizza-Bestellungen nach Hause geliefert bekommen haben. Die Polizei interpretiert diese Geste als „eine Form der Einschüchterung, um mitzuteilen, dass die Adresse der Opfer bekannt ist“. Das Trump-Regime wird vermutlich auch den geschwächten Kongress der Republikanischen Partei befragen, um sein Vorgehen bestätigen zu lassen.

Elon und seine „muskrats“ [Moschus-Ratten] behaupten, dass sie „Korruption, Schwindel und Verschwendung“ vorfinden. Während Trump jene unabhängigen Überwachungsbeauftragten rechtswidrig gekündigt hat, deren Job es tatsächlich war, „Korruption, Schwindel und Verschwendung“ gründlich aufzuspüren. Der Kongress hat schon vor Jahren verschiedene Verwaltungsräte eingesetzt, deren Mandate noch während dieser vierjährigen Präsidentschaftszeit weiterbestehen. Das war so beabsichtigt, damit ihre Unabhängigkeit erhalten bleibt.

Beispielsweise der Nationale Ausschuss für Arbeitsbeziehungen [National Labor Relations Board], der Arbeiter*innen einigen Schutz bieten kann, zum Beispiel Wiedereinstellung nach Kündigung wegen gewerkschaftlicher Organisierung. Doch Trump hat ein Mitglied des Nationalen Ausschusses für Arbeitsbeziehungen illegal rausgeworfen und durch einen gewerkschaftsfeindlichen Handlanger ersetzt. Außerdem hat Trump eine rechtswidrige Durchführungsverordnung [Executive Order] erlassen, um gewerkschaftliche Rechte oder Tarifverhandlungen für viele Bundesangestellte zu untersagen. Nach Angaben von Labor Notes [2] sind „[e]rsten Schätzungen zufolge davon 700.000 bis 1 Million Bundesangestellte betroffen, darunter die Verwaltung der Veteran*innen (Veterans Administration, VA) und die Ministerien für Verteidigung, Energie, Äußeres, Inneres, Justiz, Finanzen, Gesundheit und Soziales, sogar die Landwirtschaft.“

In diesem Angriff klingt noch die Zerschlagung der Fluglots*innen-Gewerkschaft im Jahr 1981 nach. Bisher hat Trump noch nicht gewagt die Postgewerkschaften anzugreifen. Eine halbe Millionen Postarbeiter*innen sind die größte Gewerkschaft der Bundesbeschäftigten. Der Vernichtungsfeldzug von Trump-Musk hat auch die Verbraucher*schutzbehörde [Consumer Financial Protection Bureau] ins Visier genommen, welche Milliarden Dollar an den Leute zurückzahlen ließ wegen illegal erhobenen Bankgebühren oder anderem Unternehmensbetrug. Auch wenn dies von eine*r Richter*in gestoppt wurde, legt Trump Widerspruch gegen diese Gerichtsentscheidung ein. Er hat auch verbotenerweise die Postbehörde übernommen, indem er den Verwaltungsrat entlassen hat.

Diese Kündigungen haben bereits schwere Auswirkungen. Doug Collins, Trumps neuer Chef der Veteranen*verwaltung, plant die Kürzung von 80.000 Stellen in der VA. Zu den ersten Tausend gefeuerten VA-Mitarbeiter*innen gehörten „Sachbearbeiter*innen, welche den Veteran*innen die Behandlung bei Krebs, Atemwegserkrankungen, fehlenen Gliedern und Opioid-Abhängigkeit ermöglichten.“Das Landwirtschaftsministerium wurde gezwungen 6.000 gekündigte Mitarbeiter*innen wieder einzustellen, hauptsächlich Arbeiter*innen für Waldpflege bei der Forstverwaltung, nachdem die Leistungsprinzip-Schutzstelle [US Merit Systems Protection Board] dies angeordnet hatte.

Gleichzeitig plant Leland Dudek, Trumps neuer Chef der Sozialversicherung, die Hälfte der 60.000 Mitarbeiter*innen der Behörde zu feuern und viele ihrer Büros zu schließen. Dadurch wird es den Menschen sehr schwer gemacht werden, direkt nach dem Renteneintritt ihre Auszahlungen zu bekommen. Die Wartezeiten der Sozialversicherungsbehörden werden unerträglich lang werden. Die Unterfinanzierung von Dienstleistungen wird von rechten Regierungsbehörden benutzt, um die öffentliche Unterstützung zu untergraben und eine Privatisierung vorzubereiten. Die Privatisierung der Sozialversicherung ist seit Jahrzehnten ein Wunsch der Wall Street [3].

Ein weiterer illegaler Akt ist die Anordnung von Trump, dass man für die Anmeldung zu Wahlen künftig einen Lichtbildausweis benötigt, der sogenannte „Real ID“-Standards erfüllt. Um so einen Ausweis zu erhalten, benötigt man Dokumente, die manche Leute nicht haben. Auch können viele Arme sich nicht den Weg zu einem Kraftfahrzeugamt leisten. [4] Damit würde gegen den Verfassungszusatz verstoßen, der eine Kopfsteuer (poll tax) untersagt. Diese Durchführungsverordnung ist rechtwidrig, da sie festlegt, wer zum Wählen zugelassen wird. Wie andere Maßnahmen zur Unterdrückung der Wahlen, ist dies ein Versuch, die Herrschaft der Republikaner*innen zu festigen. Die Republikanische Partei hat im Kongress außerdem das SAVE-Gesetz [5] eingebracht, welches Millionen Menschen entrechten würde.

Das Gerede vom „Tiefen Staat“ verdeckt Angriffe auf den öffentlichen Dienst

Als Anarchosyndikalist*innen sind wir gegen einen von oben herrschenden, bürokratischen Staat. Denn der Staat ist ein Mittel zur Unterdrückung der Arbeiter*innen-Opposition, indem er die Arbeiter*innen der von oben verwaltenden Hierarchie des Staates unterordnet. Aber wir sind nicht gegen den Öffentlichen Dienst, im Gegenteil: Wir wollen, dass er ausgeweitet wird, wie zum Beispiel durch freie Bildung für Schüler*innen aller Stufen, frei verfügbare allgemeine Gesundheitsversorgung und kostenlose Abtreibung auf Wunsch.

Nach unserer Vorstellung wären die Krankenhäuser, Gesundheitszentren und Medikamenten-Fabriken im Land selbstverwaltet durch eine demokratisch von den Arbeiter*innen kontrollierte Organisation, aber nicht durch eine Bürokratie von Manager*innen. Wir können uns einen Postdienst vorstellen, der ebenso von einer solchen demokratischen Belegschaftsorganisation unter Kontrolle der Arbeiter*innen betrieben wird. Im Allgemeinen möchten wir die gesamte Wirtschaft auf Grundlage der Arbeiter*selbstverwaltung neu-organisieren – mit verteilter Entscheidungsfindung und vereinigt in einer sozialen Föderation, welche die Unternehmen und die bürokratische Staatshierarchie ersetzt.

Trotz des Geredes von MAGA über irgendeinen geheimen „Tiefen Staat“ richten sie ihre Angriffe direkt auf die öffentlichen Dienstleistungen, welche von der Bundesregierung angeboten werden: von der Sozialversicherung der „Volksrente“ [people’s pension] über die medizinischen Leistungen von Veteranen*verwaltung oder Medicaid [6] bis zur finanziellen Unterstützung von Studierenden. Die Leute, die entlassen wurden, sind keine geheime Zentralverwaltungsmacht, sondern Arbeiter*innen, die ihre Arbeit machen – für öffentliche Dienste zu sorgen, welche die Amerikaner*innen zu erwarten gewohnt sind.

Mehr als ein Jahrhundert lang haben die Politiker*innen der Bundesregierung zwischen einerseits den Massenprotesten der Mittelklasse und Arbeiter*klasse und andereseits der kapitalistischen Oligarchie [7] zu vermitteln versucht, welche die herrschende Macht in diesem Land ist. Diejenigen, welche den Staat anführen, müssen auch in der Lage sein zu regieren. Das Ausmaß von sozialen Unruhen und Massenkämpfen zu verringern macht ihre Arbeit leichter. Daher waren die Sozialversicherung, der Mindestlohn und minimaler Rechtsschutz für Arbeiter*innen bei Betriebskämpfen und gewerkschaftlicher Organisierung durch das Nationale Gesetz zu Arbeitsbeziehungen [National Labor Relations Act] ein Zugeständnis, welches in den 1930er Jahren durch den massenhaften Aufstand der Arbeiter*klasse in Wellen von Massenstreiks und Kämpfen gegen Zwangsräumungen usw. gewonnen wurde.

Eine Welle von Massenstreiks für den Acht-Stunden-Tag während des Ersten Weltkriegs [1914-‘18] haben erreicht, dass die Regierung der Verkürzung des Arbeitstages auf acht Stunden zugestimmt hatte. Gesellschaftliche Proteste, wilde Streiks und städtische Aufstände haben in den 1960ern und 1970ern weitere Bundesprogramme als Zugeständnisse an die damaligen sozialen Bewegungen erreicht. So wie die Bürger*rechtsgesetze, Medicare, Gesetze für saubere Luft und Wasser, sowie die Gründung der Umweltschutz-Behörde [Environmental Protection Agency] und der Behörde für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz [Occupational Safety and Health Administration].

Die verschiedenen linken „kämpferischen Minderheiten“ in der Szene spielten eine wichtge Role für die Bildung und Organisierung der Bevölkerung. Doch in den letzen Jahren ist die Arbeiter*bewegung schwach geworden. Trotz der jüngst unternommenen, vielversprechenden Versuche von selbstorganisierter Graswurzel-Bewegung von Arbeiter*innen sind nur sechs Prozent der Arbeiter*innen im privaten Bereich in einer Gewerkschaft. Nimmt man die Gewerkschaftsmitglieder im Öffentlichen Dienst hinzu, so steigt die Zahl auf zehn Prozent aller Lohnabhängigen.

Die radikale Linke in den USA befindet sich ebenfalls in einem schwachen Zustand. Der Autoritarismus [7] und das Scheitern des Staatssozialismus im 20. Jahrhundert trugen zu einer nachlassenden Unterstützung des Sozialismus bei, auch wenn einige Strömungen der Linken immernoch den überkommenen Ideen dieser Zeit anhängen.

Eine Fraktion der amerikanischen Kapitalist*innen, ihre Denkfabriken und ihre Unterstützer*innen in den sozialen Medien sehen in der aktuellen Schwäche der Linken und der Arbeiter*bewegung eine Gelegenheit. Ihre Gelegenheit für einen großangelegten politischen Angriff auf alle Programme der Bundesregierung, welche die gesamten Zugeständnisse der massenhaften Proteste und Kämpfe aus früheren Zeiten darstellen.

Extrem rechte Strömungen nähern sich an

In den letzten Jahrzehnten hat eine Fraktion der amerikanischen Oligarchie schrittweise dazu beigetragen eine rechtsextreme Massenbewegung zu finanzieren, die sich dann zu MAGA zusammengeschlossen hat. Obwohl diese Bewegung sich vom klassischen Faschismus der 1920er und 1930er Jahre unterscheidet, hat sie doch krasse Ähnlichkeit mit ihm. In den Jahrzehnten vor dem Zweiten Weltkrieg [1939-‘45] war der Faschismus eine Massenbewegung zur Zerschlagung der schnellwachsenden sozialistischen und sich radikalisierenden Arbeiter*bewegung jener Zeit, die als eine dunkle Bedrohung für das kapitalistische System wahrgenommen wurde.

Die heutige neo-faschistische Bedrohung durch MAGA unterscheidet sich von der früheren Form des Faschismus darin, dass es zur Zeit keine starke sozialistische Bewegung oder mächtige Arbeiter*kämpfe mehr gibt, welche eine aktuelle Bedrohung für den Kapitalismus darstellen würden. Doch es gibt auch Übereinstimmungen: Beispielsweise die Einschüchterung und die Drohung mit Strafverfolgung von angeblichen „Feind*innen“, sowie das Vertrauen auf die Macht gewalttätiger Bürger*wehren.

Aktuellen Umfragen zufolge sagen 11 Prozent der Erwachsenen in den USA, dass gewalttätige und nicht-verfassungsgemäße Angriffe auf angebliche Feind*innen berechtigt seien. Dieselbe Umfrage fand heraus, dass 14 Prozent eine nicht-verfassungsgemäße bewaffnete Gewalt unterstützen. Und daher die Begnadigung sogar derjenigen Leute befürworten, die am 06. Januar 2021 das Kapitol [9] angegriffen haben. Darüber hinaus unterstützen 14 Prozent die Zerschlagung der bestehenden US-Verfassung, indem die Autorität der Gerichte oder des Rechtsstaatsprinzips nicht anerkannt wird – was die Präsidentschaft als eine autokratische Macht definiert. Diese Ansichten sind eindeutig faschistisch.

So, wie MAGA von Teilen des privaten Kapitals auf vielerlei Weise finanziert wurde, wurden auch die früheren faschistischen Bewegungen anfänglich oft von Teilen der kapitalistischen Elite finanziert oder unterstützt. Ebenso wie die Klasse der Kleinunternehmer*innen den Kern der Wähler*massen von MAGA bildet, traf dies auch auf die klassischen faschistischen Bewegungen zu. Die MAGA-Bewegung erhebt oft absurde Vorwürfe, dass das von der gemäßigten Demokratische Partei eingeführte Regelwerk „sozialistisch“ oder „kommunistisch“ sei. Warum? Um dies zu erklären, müssen wir die weltanschaulichen Strömungen betrachten, welche in der MAGA-Bewegung zusammengekommen sind. In den USA gibt es eine lange Geschichte der extremistischen Ablehung eines Regierungsauftrags zum Schutz der Gesellschaft im Sinne einer Regelung des zerstörerischen Handelns des Kapitals oder zur Einrichtung von Sozialleistungssystemen.

Das Wort „liberal“ kam in den USA erstmals in den 1870er Jahren auf als politischer Begriff, um eine neue Fraktion in der Republikanischen Partei zu bezeichnen. Die Liberalen kritsierten die von Schwarzen Menschen angeführten, republikanischen Regierungen im Süden, welche versuchten Land und Dienstleistungen (wie Schulen) für die kurz zuvor befreite Schwarze Bevölkerung bereitzustellen. Die Liberalen wendeten sich gegen jedes Regierungshandeln zur Schaffung öffentlicher Hilfeleistungen oder von Gesetzen zum Schutz der Arbeiter*innen, wie die Gesetze zum Acht-Stunden-Tag oder gegen Kinderarbeit. Ein bekannter Vertreter dieser Sichtweise war der Yale-Professor William Graham Sumner, der mit seinen populären Schriften ein breites Publikum erreichte.

Sumner lehnte jede soziale Unterstützung für Menschen ab, die er als „schwach“ oder „minderwertig“ bezeichnete: die Armen, die Arbeiter*klasse, Schwarze Menschen und Frauen. Für Sumner war die kapitalistische Konkurrenz des „Jeder gegen Jeden“ durch die wirtschaftsliberale Nicht-Einmischung [Laissez-faire] „die natürliche Ordnung“ in der sich „der Kampf ums Dasein“ von selbst durchsetzen würde. Diese extreme Form des wirtschaftsliberalen Freihandels bildete eine Minderheit innerhalb der Republikanischen Partei in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. In den 1960ern beschlossen Murray Rothbard und andere diese frühere Form des Liberalismus als „libertär“ zu bezeichnen.[10]

Hier sehen wir, warum MAGA behauptet, dass das Wohlfahrtssystem der Regierung und die Regulierung des Kapitalismus „sozialistisch“ oder „kommunistisch“ seien. Nur der freiwirtschaftliche „Kampf Aller gegen Alle“ sei für manche Republikaner*innen der „wahre“ Kapitalismus. Diese extremistische Haltung gegen jede Regelung durch eine Regierung spricht viele aus der Klasse der Kleinunternehmer*innen an, welche eine Belastung durch Regierungsvorschriften fürchten und die Gewerkschaften hassen. Aber Teile der kapitalistischen Oligarchie sahen bereits den Ausbau von Wohlfahrtsprogrammen und Umweltschutz-Vorschriften in den 1960er und 1970er als einen „Angriff auf das freie Unternehmer*tum“, wie der damalige Vorsitzenden der Handelskammer, Lewis Powell, formulierte.

Die extreme Form des „Libertarianismus“, wie Rothbards „Anarcho-Kapitalismus“ [11], möchte gerne die Demokratie loswerden und alle Staatsaufgaben privatisieren. Also Polizei und Gerichte direkt in Eigentum der kapitalistischen Oligarchie überführen. Dieses Verschmelzen von privater und öffentlicher Macht kennzeichnet eine neo-feudale Ideologie.[12] Den Bereich des Öffentlichen durch die „demokratischen“ Regierungen und Bürger*rechte abzugrenzen war ein zentrales Merkmal, in dem sich der Kapitalismus im 19 Jahrhundert von der vorausgegangenen feudalen Gesellschaft unterschied.

Die Philosophie der neo-faschistischen „Dunklen Aufklärung“ [dark enlightenment] von Curtis Yarvin [13], welche er Beginn der 2000er formulierte, hat sich aus dem „anarcho-kapitalistischen“ Millieu heraus entwickelt, das vor allem im Umfeld des kalifornischen TechBro-Kapitalismus vorkommt.[14] Yarvin betrachtet die Entwicklung des Liberalismus hin zum regelnden Staat als ein „Versagen“ des aufklärerischen Humanismus und Liberalismus. Er ist Software-Entwickler und Hausphilosoph des Milliardärs Peter Thiel, Geschäftsführer von Palantir. [15] Yarvins Plan ist es, die Demokratie abzuschaffen und die Welt umzuwandeln durch neo-feudale, multipolare Autokratien, welche unter direkter Kontrolle der Oligarchie stehen und von geschäftsführenden Herrscher*innen gelenkt werden. Seine Verteidigung der „Rassenlehre“ [race science] macht ihn darüber hinaus zu einem ausdrücklichen Rassisten.[16]

Die finanzielle Unterstützung durch Peter Thiel war wichtig für die politische Karriere von [US-Vizepräsident] JD Vance. Sowohl Vance, wie auch Musk, sind Anhänger von Yarvins Ideologie. Die Zerschlagung der Bundesregierung durch Musk kann als ein Versuch gesehen werden, den RAGE-Plan von Yarvin umzusetzen: „Alle Bundesangestellen in Ruhestand schicken“ [Retire All Government Employees]. Bei anderer Gelegenheit hat Musk zugegeben, dass es bei DOGE [17] nicht darum geht Geld einzusparen, sondern „eine Machtgrundlage des Liberalismus zu zerstören“.

Mit seinen christlich-nationalistischen Tätowierungen hat der [US-Verteidigungsminister] Pete Hegseth sein weltanschauliches Bekenntnis in die Haut eingebrannt.[18] Die Christlichen Nationalist*innen [19] unterstützen das geplante „Projekt 2025“, das ebenfalls dazu aufruft eine große Anzahl von Regierungsmitarbeiter*innen zu entlassen.[20] Und hierbei sehen wir die Annäherung der unterschiedlichen Ideologien der extremen Rechten. Wie in einem Artikel [des Magazins American Progress] kürzlich berichtet wurde, steht der Christliche Nationalismus für „die anti-demokratische Vorstellung, dass Amerika eine Nation von und ausschließlich für Christ*innen sei. (…) Der Christliche Nationalismus trägt zu einer Ideologie der religiösen Rechten bei“ und deren Praxis des „Umgehens von Gesetzen und Regelungen, die dem Schutz einer vielfältigen Demokratie dienen, wie der Schutz vor Diskriminierung für LGBTQI+Personen [21], Frauen und religiöse Minderheiten.“ Die patriarchale Weltsicht [22] der religiösen Rechten ist der Grund für ihren Krieg gegen Abtreibungen.

Die MAGA-Bewegung unterscheidet sich vom Faschismus der Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg jedoch darin, dass sie die direkte Kontrolle der Staatsmacht durch Teile der kapitalistischen Oligarchie anstrebt. Das Regime hat nicht nur den reichsten Mann der Welt eingesetzt, um „den Verwaltungsstaat zu zerschlagen“, sondern dem Kabinett von Trump gehören 13 Milliardäre an. Das hat vielmehr mit der „anarcho-kapitalistischen“ Ideologie zu tun, deren Wurzeln im Zeitalter der Räuberbarone der Gründerzeit [Gilded Age] des späten 18. Jahrhunderts liegt.[23]

Jedoch haben die Suche nach Schuldigen (wie die zwanghaften Angriffe auf Trans*personen), die Angriffe auf Migrant*innen, sowie der kaum verborgene Rassismus und die Frauen*feindlichkeit der MAGA-Bewegung durchaus Ähnlichkeiten mit dem klassischen Faschismus. Sie sind Methoden der Einschüchterung und Drohung gegen den staatlichen Schutz ihrer politischen „Feinde“. Die Streichung des Klimaschutzes und der „DEI“-Sprache [24] von Bundeswebseiten sind eine Form des Orwell’schen Neusprech.[25]

Die USA wurden gegründet auf der Vorstellung einer Weißen Vorherrschaft, um die Versklavung von Menschen aus Afrika zu rechtfertigen und den indigenen Gemeinschaften das Land wegzunehmen. Dies hat sich tief in die Weiße Bevölkerung der USA eingegraben. Von der Bewegung des Abolitionismus [26] im 19. Jahrhundert bis zur Schwarzen Freiheitsbewegung der 1960er wurde dem gesamten Rassismus schon seit langem etwas entgegen gesetzt. Doch die Erfolge zur Verbesserung der Möglichkeiten von Nicht-Weißen Gruppen in den USA (bei Bewerbungen und Bankkrediten oder im Schulwesen) wurden von einem recht großen Teil der Weißen Bevölkerung abgelehnt und das sind die Leute, die nun von MAGA angesprochen werden.

Viele MAGA-Fans bezeichnen diese Bemühungen als „Rassismus gegen weiße Menschen“. Eine Frau* oder eine Schwarze Person einzustellen kann als ungerechtfertigte „DEI“-Anstellung abgewertet werden. Beim Rassismus geht es ausdrücklich auch um den Hass auf die öffentliche Wohlfahrt, da sie „Diesen Leuten“ zugute kommen könnte, welche von den knallharten MAGAs verachtet werden. Die Ideologie der Weißen Vorherrschaft war ausdrücklich ein Teil von Trumps aktueller Durchführungsverordnung zum Angriff auf die [Forschungs- und Bildungseinrichtung] Smithonian Institution. Er verwies dabei auf eine Ausstellung mit dem Titel „Die Form der Macht: Geschichten von Rasse und amerikanischer Skulptur“. Trump beschwerte sich darüber, dass in der Ausstellung den Satz verwendet: „Rasse ist eine gesellschaftliche Erfindung.“ Und er merkte dazu an, die Ausstellung „fördert die Ansicht, dass Rasse nicht eine biologische Tatsache ist, sondern ein soziales Konstrukt“. Auf die Realität von Rassismus, Sexismus und anderen Formen der Unterdrückung hinzuweisen sei ein fehlerhafter „Geschichtsrevisionismus“ [27], wie Trump es nennt.

Bei „Rasse“ handelt es sich jedoch tatsächlich um eine Erfindung. Die koloniale Elite in Nordamerika entwickelte gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Idee einer Trennung von „weißer Rasse“ und „schwarzer Rasse“, um den Aufbau ihres Systems lebenslanger Sklaverei ausschließlich für die Menschen mit afrikanischer Abstammung zu rechtfertigen. Berufsorganisationen aus Biologie und Anthropologie haben erklärt, dass „Rasse“ eine Pseudo-Wissenschaft ist, da das Konzept von biologischen [Menschen-]Rassen keine belegbare Grundlage hat. Es war ein Mythos, der geschaffen wurde, um den Interessen der Kolonist*innen und sklavenhaltenden Plantagen-Besitzer*innen zu dienen.[28]

Das Verteidigungsministerium unter Pete Hegseth entfernte anfangs tausende Seiten und Bilder von Frauen*, Navajo, japanisch-amerikanischen und Schwarzen Militärangehörigen von den Webseiten der Regierung als Teil ihres Angriffs auf „DEI“ (einige dieser Seiten wurden nach einem Aufschrei aus der Bevölkerung wieder hergestellt). John Ullyot, der Pressesprecher des [Verteidigungsministeriums] Pentagon, erklärte: „Für das Verteidigungsministerium ist DEI gestorben. Die Diskriminatorische Gleichheitsideologie ist eine Form des woken Kulturmarxismus, die in unserem Militär keinen Platz hat.[29; 30] Sie spaltet die Kräfte, untergräbt den Zusammenhalt der Einheit und stört den Dienst bei seinem zentralen Auftrag der Kriegsführung“.

„Kulturmarxismus“
ist eine antisemitische, neo-faschistische Verschwörungstheorie, nach der eine kleine Gruppe marxistischer Intellektueller (die Frankfurter Schule [31]) irgendwie verantwortlich sei für die städtischen Aufstände, Bürger*rechts-Kämpfe und sozialen Bewegungen der 1960er Jahre. Was „die Kräfte spalten“ betrifft, so ist hingegen genau dies die Folge von Rassismus und Frauen*feindlichkeit.
Obwohl die sich um Trump versammelnde MAGA-Bewegung neo-faschistische Züge trägt, handelt die Trump-Regierung mehr oder weniger innerhalb der übernommenen Strukturen der US-Regierung und hat noch kein komplett faschistisches, autokratisches Regime errichtet. Daher gibt es noch Widerstand von einigen Richter*innen, sowie von staatlichen und lokalen Behörden. Und im ganzen Land kommt es zu Straßenprotesten gegen MAGA.

Der MAGA-Angriff auf den Grünen Wandel

Der Kampf gegen die globale Erwärmung ist unerlässlich, um einen bewohnbaren Planeten für künftige Generationen zu hinterlassen. Die weltweite Erwärmung wird anheizt durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe. Da die schmutzige Verbrennung fossiler Energieträger den Planeten erhitzt, wird es zunehmend häufiger zu tödlichen Hitzewellen, stärkeren Stürmen und steigenem Meeresspiegel kommen. Ein gemeinsames Ziel der Bewegung für Klimagerechtigkeit war die Erreichung von [klimaneutralen] Netto-Null-Emissionen von Kohlendioxid bis 2050.[32] Doch Trumps Energie-Minister Chris White nennt die „Netto-Null 2050“ ein „bösartiges Ziel“. Trump selbst bezeichnet die globale Wärmung als einen „Schwindel“.

Die fossile Industrie und ihre gutbezahlten Denkfabriken sind ein weiterer Aspekt der heutigen neo-faschistischen Ideologie. Die Rechten greifen dabei den wissenschaftlichen Konsens an, der Informationen über die weltweite Erwärmung liefert. Und sie unterstützen die fossile Energiewirtschaft dabei, weiterhin Gewinn aus dem Ausstoß von Treibhausgasen zu ziehen, die den Planeten aufheizen. Das ist jedoch keine Besonderheit der MAGA-Bewegung, denn es ist auch das Vorgehen der neo-faschistischen „Alternative für Deutschland“.

Die Trump-Regierung begeht weitreichende und boshafte Angriffe auf die Bewegung zur Beendigung des fossilen Schadstoff-Ausstoßes und zum Aufbau eines grünen Wandels. Das MAGA-Regime kündigte tausende Angestellte, welche die Verschmutzungen beobachteten und Daten für die Umweltschutz-Agentur (EPA), die Nationale Ozean- und Atmosphären-Verwaltung, sowie für andere Behörden sammelten. Jüngsten Berichten [der Zeitung Guardian] zufolge, werden die geplanten Kürzungen bei der EPA das Ende dieser wissenschaftlichen Forschungseinrichtung bedeuten. Sowie wohl „mehr als 1.000 Wissenschaftler*innen und andere Angestellte gekündigt werden, die dabei helfen, eine Forschungsgrundlage für Regelungen zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Ökosysteme vor Umweltverschmutzung zu liefern.“ Dazu würden mehr als Tausend Chemiker*innen, Biolog*innen, Toxikolog*innen und andere Wissenschaftler*innen zählen, also 75 Prozent der Belegschaft des Forschungsprogrammes.

Der Inflation Reduction Act (IRA) [33] war zwar kein perfekter Start auf dem Weg zu einem grünen Wandel, dem Umbau hin zu erneuerbaren Energien als Ersatz für fossile Brennstoffe. Doch nun versucht das Trump-Regime gesetzwidrig die Verteilung der Gelder des IRA aufzuhalten. Beispielsweise die Zuschüsse für Leute mit geringem Einkommen bei Solaranlagen und zur Ersetzung von Gasheizungen durch Wärmepumpen. Von Maine bis Alaska wurde nun Projekten zur Senkung des Kohlendioxid-Ausstoßes bei Fischfang-Flotten durch sparsamere Kühlanlagen die zugesagte Förderung verweigert. Unter dem MAGA-Regime haben sich die USA auch aus einem [beim Klimagipfel 2023 beschlossenen] internationalen Fonds zur Entschädigung ärmerer Länder für Schäden durch die globale Erwärmung zurückgezogen.

Das Regime ist auch dazu übergegangen, Ladestellen für elektrische Fahrzeuge in Regierungsgebäuden wieder abzubauen. Bei einer besonders verrückten Aktion hat das FBI das Bankkonto von Habitat for Humanity [34] beschlagnahmt, da sie ihnen und anderen Einrichtungen wie der DC Green Bank vorwerfen eine „Verschwörung zum Betrug an der Regierung“ zu begehen, weil sie Geldmittel aus dem Inflation Reduction Act bekommen haben. Denn wenn Habitat for Humanity diese Gelder dazu verwenden will, um bessere Energiespar-Maßnahmen für Wohnungen oder den Einbau von Solaranlagen und Wärmepumpen zu finanzieren, sei dies ein „Betrug“, wenn man davon ausgeht, dass die globale Erwärmung ein „Schwindel“ sei. Diese Verfolgung durch das FBI wird wahrscheinlich vor Gericht nicht standhalten und die Bundesrichterin* Tanya Chutkan hat bereits Beweise für einen Betrug oder eine Gesetzeswidrigkeit gefordert. Doch bis dahin werden diese Organisationen ihr Geld für den Rechtsstreit ausgeben müssen, was auch eine Form von Einschüchterung darstellt.

Die Zerschlagung des Amerikanischen Jahrhunderts

Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg waren für die USA durch ihre imperialistische Herrschschaft eine Epoche als weltweite Vormacht. In früheren Zeiten wurden Großreiche errichtet durch militärische Eroberung, Kolonialismus und merkantilistische Beggar-thy-Neighbor-Politik [35], um mittels Handelsbeschränkungen die imperiale Beute für das Heimatland sichern. Doch die USA schufen eine neue Form des Imperialismus: In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg haben die amerikanische Kapitalelite und ihre politischen Funktionär*innen mit viel Aufwand Handelsverträge und Militärbündnisse geschaffen, um die anderen kapitalistischen Eliten in ein System unter Leitung der USA einzubinden. Außerdem schufen sie eine sehr mächtige Marine und eine riesige Anzahl von Miliärstützpunkten auf der ganzen Welt. Das NATO-Bündnis diente dazu, den westeuropäischen Kapitalismus durch den Schutz des amerikanischen Militärs abzusichern. Dies erlaubte den kapitalistischen Ländern Europas weniger Geld für militärische Aufrüstung auszugeben. Da die europäischen Mächte und andere Länder ihre Militär-Ausrüstung in der USA kauften, verteilten sich die Kosten für neue Waffensysteme auf zahlreiche Länder. Das war für die USA sehr lohnenswert, da sie eine riesige amerikanische Rüstungsindustrie aufgebaut haben. Es wäre für die USA um einiges teurer geworden, wenn sie dies alleine getan hätten.


Ein seltsamer Aspekt des MAGA-Regimes ist nun die Art und Weise, wie sie das Amerikanische Jahrhundert [Pax Americana] zerschlagen. Ein Teil der amerikanischen Oligarchie scheint zu dem Schluss gekommen zu sein, das es schlicht „zu teuer“ geworden sei. Sie wissen wohl nicht zu schätzen, wie sehr seit dem Zweiten Weltkrieg der Reichtum und die Macht des amerikanischen kapitalistischen Regimes auf diesem komplizierten Netzwerk von Militärbündnissen und Handelsbeziehungen beruhte. Sie träumen jetzt von einer Rückkehr zu einer früheren Epoche einer eigenständigen imperialen Herrschaft. Das Drängen von MAGA auf Alleingänge der USA scheint sowohl die Krise des amerikanischen globalen Kapitalismus widerzuspiegeln, wie auch das Inseldenken von „Amerika zuerst“ [America First] und Curtis Yarwins Vorstellung einer multipolaren Welt von Autokratien unter direkter Kontrolle der lokalen Oligarchien.

Der Angriff des MAGA-Regimes auf das Amerikanische Zeitalter hat unterschiedliche Formen angenommen: von Trumps mafia-ähnlichen Androhung von Zöllen als Mittel zur Einschüchterung, über seine Verwendung der Zöllen zur Zerschlagung der wichtigsten Beziehungen zu den US-Handelspartner*innen (Canada, Mexiko und Europa). Sowie seine Drohungen mit einer imperialistischen Eroberung von Grönland und dem Panama-Kanal, die Zerstörung der humanitären Hilfsprogramme von USAID, das Gerede vom Rückzug der NATO-Verteidigung aus Europa und die Bereitschaft Trumps, die Ukraine der imperialistischen Eroberung durch Putin zu überlassen.

Als Anarchosyndikalist*innen sind wir gegen den amerikanischen Imperialismus, wobei wir für einen Internationalismus der grenzüberschreitenden Solidarität der Arbeiter*klasse einstehen. Daher stehen wir an der Seite der ukrainischen Gewerkschaften, Sozialist*innen und Anarchist*innen, welche den militärischen Widerstand der Ukraine gegen Putins imperialistischen Feldzug zur Eroberung der Ukraine unterstützen. Dabei folgen wir dem Beispiel des anarchistischen Aktivisten Errico Malatesta, der den arabischen Widerstand gegen Italiens Eroberung von Libyen im Jahr 1911.[36]

USAID hingegen war eine relativ kostengünstige Art der „weichen Macht“ der USA, indem sie Organisationen und Länder durch ihre Hilfsprogramme für Medizin und Nahrung unterstützte. [37] Die radikale Linke kritisierte lange Zeit, dass USAID benutzt wurde, um anti-sozialistische Gruppen und rechte Gewerkschaften zu unterstützen. Doch die Zerschlagung der Hilfen für Medizin und Nahrung durch Musks Abrisstrupp hat vernichtende Folgen für die Armen in Flüchtlingslagern und sonstwo. Durch die Aufkündigung von 5.000 Verträgen mit gemeinnützigen Organisationen zur AIDS-Bekämpfung in Afrika werden die HIV-positiven Menschen von [anti-]retroviralen Medikamenten abgeschnitten, welche einen Ausbruch von AIDS verhindern. Als Folge dieser plötzlichen Beendigung von Hilfen für Medizin und Nahrung werden Menschen sterben.

Die Zerschlagung eines Bündnissystems und bewährter Handelsbeziehungen wird den USA sehr viel Schaden bereiten. Die amerikanische Rüstungsindustrie wird viele gewinnbringende Aufträge verlieren. Kürzlich kündigte zum Beispiel Portugal seinen Kauf von F-35-Kampfflugzeugen auf, was wird zu Entlassungen führen wird. Aufgrund von Vergeltungszöllen und Konsument*innen-Boykotten in Kanada oder Europa wird der Handel zurückgehen und die Preise wegen Trumps Zöllen steigen. Die Importfirmen in den USA werden die Zölle bezahlen, aber diese Kosten weitergeben. Die hohen Abgaben auf den Import von Autos aus Mexiko und Kanada werden dadurch zu weitaus höheren Preisen für Autos führen.

Die Republikaner*innen werden dem entgegenhalten, dass steigende Preise auf Importe die amerikanische Produktion ankurbeln werden. Das beruht auf der Vorstellung, dass ein höherer Preis für eingeführte Waren diese im Wettbewerb mit den in Amerika gefertigten Produkten weniger attraktiv mache. Doch Produktionsanlagen sind eine teure Anschaffung, die sich erst über einen langen Zeitraum auszahlt. Zölle können in Zukunft schnell wieder zurückgenommen werden und bieten für Investor*innen keine ausreichende Absicherung für solche riesigen Ausgaben. Die Entlassung von tausenden Bundesangestellten wird die Konsumnachfrage allerdings zurückgehen lassen. In Verbindung mit dem Verlust von militärischen Aufträgen und der Preissteigerung durch Zölle wird es sehr wahrscheinlich zu einem Wirtschaftsabschwung kommen.

Zum wirksamen Gegenschlag ausholen

Trump und sein Team verfolgen eine Strategie von „Furcht und Schrecken“ [shock-and-awe] indem sie zahlreiche unterschiedliche Gruppen mit andauernden Angriffen ins Visier nehmen: vom rechtswidrigen Zusammentreiben legaler Einwanderer*innen mit Aufenthaltsgenehmigung [green card], der unrechtmäßigen Beschneidung gewerkschaftlicher Rechte und tausendfacher Kündigung von Bundesangestellten über ihre Erzählung, der Angriff auf „DEI“ diene der Wiederherstellung einer Weißen Vorherrschaft. Hinzu kommen Angriffe auf Trans*personen und Angriffe auf die Gesundheitsversorgung von Veteran*innen, sowie das Verbreiten von Angst vor dem Verlust des Zugangs zur Sozialversicherung und zur Übernahme der Gesundheitskosten für Millionen von Amerikaner*innen. Diese Strategie der „Gebietsüberflutung“ [flood the zone] zielt darauf ab, die sozialen Spaltungen auszunutzen und eine mögliche Opposition zu verwirren.

Doch dieses Vorgehen birgt auch ein großes Risiko für das MAGA-Regime, da hierbei viele verschiedene Gruppen angegriffen werden. Das bedeutet, dass dies nun ein Anlass für diese Gruppen ist, zusammen zu kommen, Bündnisse zu schließen und durch Solidarität einen breiten Gegenschlag vorzubereiten, welcher vermutlich ein enormes Ausmaß annehmen wird. Die Massenentlassung von Bundesangestellten und die Zerschlagung ihrer legalen Gewerkschaftsrechte, sowie die Machtanmaßung dieses autoritären Regimes unter Kontrolle eines Milliardärs sind auf unterschiedliche Weise auch eine Bedrohung für die gesamte Arbeiter*klasse.

Für eine Strategie des Aufbaus eines wirksamen Gegenangriffs bedarf es aber sowohl einer erfolgreichen Organisierung, als auch massenhafter Bildungsmaßnahmen, um den „Krieg um die Köpfe“ zu gewinnen und der rechten Medien-Maschine etwas entgegen zu setzen. Die MAGA-Propaganda behauptet, dass sie für die „Freiheit“ kämpfe. Wir sollten jedoch darauf hinweisen, dass ihr Ziel nur die maximale „Freihet“ der Kapitalist*innen ist, um ihre Arbeiter*innen zu behandeln, wie sie wollen. Die Freiheit zur ungestraften Verschmutzung und die Freiheit zur Plünderung des Bundeshaushalts für ihre eigene Bereicherung. Doch das bedeutet einen Angriff auf unsere Freiheit – die Freiheit am Arbeitsplatz, die Freiheit sich zu organisieren und die Freiheit zu widersprechen.

Ein nützliches Strategie-Element aus der Erfahrung von Arbeiter*organisationen ist es, einen Plan zur Eskalation [38] zu haben. Das bedeutet, dass wir zu Anfang nicht gleich die größte Fähigkeit zum Widerstand erwarten können, sondern daran arbeiten, eine mit der Zeit zunehmende Steigerung von Aktionen und Störungen hervor zu bringen. Unsichtbare Gruppen – und andere Arten von Vereinigungen – haben sich bereits gegründet und protestieren im ganzen Land. Einige Gruppen protestieren vor den Verkaufsstellen von Tesla und rufen zum Boykott [der E-Autos] auf.[39] Es gab auch Proteste von Studierenden und nachbarschaftlichen Widerstand gegen die Cops von [der Polizei- und Zollbehörde] ICE.

Ein nächster Schritt wäre nun der Aufbau von Bündnissen, in denen noch mehr Gruppen zusammenkommen und gemeinsame Pläne machen, um ihre verschiedenen Interessen einzubringen. LGBT-Personen, Bundesangestellte, sowie um globale Erwärmung besorgte Umweltschützer*innen, aber auch migrantische Gemeinschaften und andere Gruppe haben ein Interesse zurückzuschlagen.

Sobald die Leute angefangen haben an Protesten oder Versammlungen teilzunehmen, haben sie eine Motivation, um nach weiteren wirksamen Aktionen Ausschau zu halten. Diese ersten Schritte können ihnen helfen, um die Angst zu überwinden, welche das MAGA-Regime zu verbreiten versucht, um die Menschen zum Schweigen zu bringen. Einer Strategie der Eskalation folgend würden zunächst einfachere oder weniger beängstigende Taktiken angewendet, um die Leute anfangs einzubinden und die Angststarre zu überwinden. Ein nächster Schritt wäre dann der Übergang zu Formen der Störung, wie die Besetzung von Büros, um das Tagesgeschäft [business as usual] aufzuhalten, sowie die Besetzung von Tesla-Verkaufsstellen oder ein kurzer eintägiger Warnstreik.

Störung bedeutet dabei, dass die Arbeiter*klasse beginnt ihre potenzielle Macht anzuwenden. Denn die größte Kraft der Arbeiter*klasse liegt in der Fähigkeit, die Arbeitsplätze stillzulegen, Regierungsbehörden lahmzulegen oder den Fluss der Unternehmensgewinne abzusperren. Die höchste Macht eines Streiks zeigt sich im Generalstreik, wenn Arbeiter*innen dann Netzwerke zwischen einzelnen Gewerkschaften und Branchen aufgebaut haben, mit deren Hilfe sie die gesamtgesellschaftliche Macht der Arbeiter*klasse ausüben. Da das amtierende Regime äußerst repressiv vorgeht, haben seine führenden Vertreter*innen Angst vor jeder Störaktion, welche gegen die Vertragsvereinbarungen verstößt oder direkt den Staat bedroht. Die Lösung hierbei liegt in der Basisorganisierung, sowie in der Gründung von Ausschüssen und Netzwerken, welche unabhängig von den Gewerkschaftsfunktionär*innen sind.

Da die Gewerkschaftsführung bereits vom Trump-Regime eingeschüchtert wurde, haben Bundesangestellte schon damit begonnen gewerkschaftsübergreifende Netzwerke aufzubauen, wie zum Beispiel das „Netzwerk der Bundes-Gewerkschafter*innen“ [Federal Unionist Network]. Ein weiteres Beispiel dieser Art von Organisierung sind die „Vereinigten Bahnarbeiter*innen“ [Railroad Workers United], die entstanden sind nach dem Verrat der bezahlten Funktionär*innen der Bahngewerkschaften. Ein landesweiter Generalstreik würde ein gewaltiges Maß an Gegenmacht zum MAGA-Regime hervorbringen, doch wahrscheinlich kann ein solcher Schritt nur aus einer Organisierung und Motivation an der Basis entstehen.

Ein anderer wesentlicher Teil von Strategien ist eine Vision oder ein Ziel, um Ansporn und Richtung zu geben. Das Trump-Regime ist zwar auf vielfache Weise einzigartig in der amerikanischen Geschichte, doch es gründet auf einer Schwäche der aus Vorzeiten übernommenen US-Verfassung, welche von den Republikaner*innen seit Jahren ausgenutzt wird. Nachdem die MAGA-Bewegung sich zum Ziel gesetzt hat, „den Verwaltungsstaat zu zerschlagen“, auf der Verfassung herumzutrampeln und das Jahrhundert der Zugeständnisse an die Kämpfe der Arbeiter*klasse zu beenden, wird es nicht einfach werden, das zerschlagene Porzellan jemals wieder zusammenzusetzen.

Das Aufkommen eines Teils der Oligarchie, welcher die Rundumschlag-Pläne des MAGA-Regimes unterstützt und den Staat ausplündert, ist bereits ein Anzeichen für die kapitalistische Krise. Eine darüber hinausgehende Vision muss die Begrenzungen überschreiten, welche der überkommene Rahmen des amerikanischen Kapitalismus vorgibt. Als grüne Syndikalist*innen setzen wir uns für eine rasante Beschleunigung des grünen Wandels ein: einen Abbaustopp für fossile Energieträger, einen Ausstieg aus der Ölverarbeitung, einen alternativen Ersatz für Petro-Plastik [40] und die beschleunigte Dekarbonisierung für eine grüne Wirtschaft auf Grundlage erneuerbarer Energie.[41] Und all das mittels eines „gerechten Wandels“ [just transistion], welcher weiterhin das Einkommen ebenso sichert, wie die Gesundheitsversorgung und die Rentengarantien für freigesetzte Arbeiter*innen.

In unserer Vision gibt es eine Arbeiter*selbstverwaltung mit direkter Kontrolle über den Arbeitsprozess durch die Arbeiter*innen in jenen Fabriken, welche Elektro-Heizungen, Wärmepumpen, Solaranlagen, sowie batteriegetriebene Busse und LKWs für die grüne Wirtschaft herstellen. Unser Ziel ist ein grundlegender Wechsel zu einer Gesellschaft, die auf demokratischer Eigenverwaltung gründet, in der diejenigen Menschen die Entscheidungen fällen, welche sie selbst betreffen.

Als Grundlage für eine grüne Wirtschaft schlagen wir die Arbeiter*selbstverwaltung in allen Branchen vor, anstelle des von oben herab bürokratisch regierenden Staates. Nach unserer Vorstellung wären die Pharmaindustrie und die Gesundheitsversorgung in Hand einer gesamtgesellschaftlichen, demokratischen Basisorganisation und wären selbstorganisiert von den Menschen, die dort arbeiten. Mittels allgemeiner, kostenloser Gesundheitsversorgung, die von der Gesellschaft getragen wird, würde die Gesundheitsförderung wesentlich verbessert werden.

Wir schlagen auch vor, dass die Kommunikationssysteme, wie Postdienst und Telefon, von einer Branchen-Organisation aller Arbeiter*innen selbstbestimmt betrieben werden. Doch weder in kapitalistischem Eigentum, noch durch eine bürokratische Verwaltung von oben herab, welche über die Arbeiter*innen bestimmt. Um beispielsweise Ferntransporte auf einer guten ökologischen Grundlage auszuliefern, unterstützen wir die Kampagne für ein sofortiges öffentliches Bahnwesen [Public Rail Now], welche ein öffentliches Eigentum am Eisenbahnnetz fordert. Doch nach unseren Vorstellungen wäre die Eisenbahn von regionalen Branchen-Organisationen durch demokratische Selbstverwaltung der Arbeiter*innen konrolliert. Mit elektrifizierten Eisenbahnen und einer Industriepolitik, welche bei Ferntransporten die Bahn (samt LKWs auf flachen Güterwagen) bevorzugt, könnte künftig der Ausstoß von Treibhausgasen im Fern-Frachtwesen enorm verringert werden.

Dies sind nur einige der Vorstellungen davon, was für einen sozialen Wandel nötig ist.(…)

East Bay Syndicalists Group

in: Workers Solidarity – A Green Syndicalist Webzine (01.04.2025,
https://eastbaysyndicalists.org/fighting-the-maga-assault/

Übersetzung [und Anmerkungen]: Anarcho-Syndikalistisches Netzwerk – ASN Köln, https://asnkoeln.wordpress.com (Creative Commons: BY-NC)

Anmerkungen:
1) „Make America Great Again“ („Amerika wieder groß machen“), Trumps Anhänger*innen
2) gewerkschaftliches Medienportal, https://labornotes.org
3) Sitz der US-Finanzindustrie in New York
4) da es in den USA keinen Personalausweis gibt, gilt stattdessen ein Führerschein oder Reisepass
5) Gesetz zur Sicherstellung der Eignung von Wähler*innen (Safeguard American Voter Eligibility)
6) Bundesprogramm der Gesundheitsfürsorge für Bedürftige
7) Eliten-Herrschaft einer kleinen Gruppe von Mächtigen, https://de.wikipedia.org/wiki/Oligarchie
8) Herrschaft durch mächtige Führer*innen und strenge Traditionen, eine Form von Diktatur
9) Stürmung des US-Kongresses, https://de.wikipedia.org/wiki/Sturm_auf_das_Kapitol_in_Washington_2021
10) freiheitlich, siehe: Paläolibertarismus, https://de.wikipedia.org/wiki/Pal%C3%A4olibertarismus
11) staatenloser Privat-Kapitalismus, https://de.wikipedia.org/wiki/Anarchokapitalismus
12) der Adelsherrschaft ähnelnde Besitz-Elite, https://de.wikipedia.org/wiki/Neo-Feudalismus
13) neoreaktionäre Bewegung, https://de.wikipedia.org/wiki/Neoreaktion%C3%A4re_Bewegung
14) hoch-technologische Männerbünde, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Kalifornische_Ideologie
15) Unternehmen für Spionage-Software, https://de.wikipedia.org/wiki/Palantir_Technologies
16) wissenschaftlich nicht haltbare Rassentheorie, https://de.wikipedia.org/wiki/Rassentheorie
17) Trumps neue „Abteilung für Regierungseffizienz“ (Department of Government Efficiency)
18) ein Jerusalemkreuz und „Gott will es“, https://de.wikipedia.org/wiki/Pete_Hegseth#Rezeption
19) christlicher religiöser Nationalismus, https://de.wikipedia.org/wiki/Christlicher_Nationalismus
20) „Projekt zum Übergang der Präsidentschaft 2025“, https://de.wikipedia.org/wiki/Project_2025
21) queere Abkürzung für lesbisch, schwul, bi, trans, inter,… https://de.wikipedia.org/wiki/LGBT
22) männliche Herrschaftsform, https://de.wikipedia.org/wiki/Patriarchat_(Soziologie)
23) Aufschwungphase nach dem US-Bürger*krieg, https://de.wikipedia.org/wiki/Gilded_Age
24) Programme zur Förderung von Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion in Organisationen
25) Sprachpolitik in Orwells dystopischem Roman „1984“, https://de.wikipedia.org/wiki/Neusprech
26) Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei im 18./19. Jh. (später auch von Polizei, Justiz, Staat)
27) Umdeutung geschichtlicher Ereignisse, https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtsrevisionismus
28) siehe https://de.wikipedia.org/wiki/White_Supremacy#W%C3%A4hrend_der_Sklaverei
29 „wachsames“ Bewusstsein, Sensibilität für (systematische) Ungerechtigkeit und Diskriminierung
30) rechte Parole gegen Sozialreformen, https://de.wikipedia.org/wiki/Cultural_Marxism_(Schlagwort)
31) Institut für Sozialforschung (Kritische Theorie), https://de.wikipedia.org/wiki/Frankfurter_Schule
32) CO2-Ausgleich durch negative Emissionen, https://de.wikipedia.org/wiki/Klimaneutralit%C3%A4t
33) Bundesgesetz der Biden-Regierung zur Förderung von grünen Industrien samt Sozialpaket (2022)
34) christliche Hilfsorganisation für weltweiten Katastrophenschutz und Hausbau für bedürftige Menschen
35) Wirtschaftspolitik zur nationalen Bereicherung durch Handelsüberschüsse („ruiniere deinen Nachbarn“)
36) Malatesta und andere sprachen sich jedoch 1915 gegen eine Teilnahme am Ersten Weltkrieg aus, https://anarchistischebibliothek.org/library/die-anarchistische-internationale-und-der-krieg
37) kulturell-ideologische, zwischenstaatliche Einflussnahme, https://de.wikipedia.org/wiki/Soft_Power
38) Steigerung und/oder Ausweitung eines Konfliktes, https://de.wikipedia.org/wiki/Eskalation
39) dezentrale Protestbewegung gegen Musks E-Auto-Firma, https://de.wikipedia.org/wiki/Tesla_Takedown
40) aus Erdöl hergestellte Kunststoffe, https://de.wikipedia.org/wiki/Kunststoff#Herstellung
41) Abkehr von Kohlenstoff zur Energiegewinnung , https://de.wikipedia.org/wiki/Dekarbonisierung

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Siehe auch:

„USA: Zölle spalten uns – der Kampf vereint uns!“ (WSA-IAA, 2025)
https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2025/03/14/usa-zoelle-spalten-uns-der-kampf-vereint-uns/

„USA: Die ersten Tage von Trumps Angriff“
(WSA-IAA, 2025)
https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2025/03/01/usa-die-ersten-tage-von-trumps-angriff/

]]>
Klimawandel als Klassenkampf https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2025/01/01/klimawandel-als-klassenkampf/ Wed, 01 Jan 2025 20:28:14 +0000 https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/?p=1868 Continue reading Klimawandel als Klassenkampf ]]> Eine Rezension von Tom Wetzel in Ideas & Action (WSA-IAA, Dez. 2022)

Während die Verbrennung fossiler Energieträger die Kohlendioxid-Schicht in der Atmosphäre weiter vergrößert, wird die Krise der globalen Erhitzung immer dringender. In seinem Bericht “‘Alarmstrufe Rot’ für menschengemachte globale Erwärmung“ warnt der Weltklimarat (IPCC):

„Die Alarmglocken läuten ohrenbetäubend und die Beweise sind unwiderlegbar: Die Treibhausgas-Emissionen durch die Verbrennung fossiler Treibstoffe und die Entwaldung haben unseren Planeten im Würgegriff und bedrohen unmittelbar das Leben von Milliarden Menschen. Die globale Erwärmung betrifft jede Region der Erde…“

Doch bisher verlieren wir den Kampf mit dem Klima. In seinem Buch „Klimawandel als Klassenkampf“ (Climate Change as Class War) argumentiert der marxistische Geograph Matthew Huber, dass die Klimabewegung deshalb verliert, weil sie aus der „professionellen Klasse“ stammt. Er führt aus, dass es dieser Klasse an der Macht mangelt, die mächtigen kapitalistischen Interessen zurückzudrängen, welche die nötigen drastischen Einschnitte in der Verbrennung fossiler Energieträger blockieren. Für Huber ist klar, dass die Klimabewegung in der Arbeiter*bewegung verortet sein muss, um die notwendige Macht zu haben, die radikalen Strukturreformen umzusetzen, welche zur Bekämpfung der globalen Erhitzung benötigt werden.

Hubers Analyse beschreibt, dass die Klimabewegung aus drei Schichten besteht. Erstens gibt es die „wissenschaftlichen Kommunikator*innen“, wie James Hansen, die es mit populären Bildungsprogrammen versuchen. Eine zweite Gruppe sind die „Politik-Technokrat*innen“ mit Ausbildungen in Rechts- oder Politikwissenschaft, die in Denkfabriken, im Hochschulbetrieb oder bei gemeinnützigen Organisationen arbeiten. Sie orientieren sich an der Produktion „kluger“ politischer Lösungen. Eine dritte Gruppe sind die „systemfeindlichen Radikalen“, bei denen die Befassung mit Studien zur Umweltzerstörung „zu einer Art politischer Radikalisierung führt“.

Diese Gruppen zählt Huber zu der „professionellen Klasse“ und versucht mit seiner Theorie über diese Klasse die Politik der Klimabewegung zu erklären. Er hebt zwei Eigenschaften der Klimabewegung hervor, die er als Ursache für ihre Schwäche bezeichnet: Erstens die Betonung von hohen Konsumwerten als Faktor der globalen Erwärmung, welche zu einer „Politik des Weniger“ führt – besonders als Bestandteil der „Degrowth“-Politik [Wachstumsrückgang]. Und zweitens der Schwerpunkt auf wissenschaftliche Aufklärung: „Indem es bei der Klimapolitik ausschließlich um Wissenschaft geht, wird die Machtfrage umgangen. Dies macht es möglich (…) die Untätigkeit gegenüber dem Klimawandel bloß als eine Fehlinformation darzustellen, anstatt als einen Mangel an Macht.“

Dabei bezieht sich Huber auf die Theorie der „Professionelle-Manager-Klasse“ (PMC), wie sie Barbara und John Ehrenreich [zur Beschreibung der neuen Mittelschicht aus akademisch gebildeten Fachkräften] vorgeschlagen haben. Damit versucht er die Herkunft der Elemente einer „professionellen Klasse“ innerhalb der Klimabewegung zu erklären. Hierbei verweist Huber auf die zentrale Rolle von Qualifikationen, welche den Zugang zur „professionellen Klasse“ auf dem Arbeitsmarkt ermöglichen. Dazu gehört auch „das Vorhandensein eines spezialisierten Wissens, das nur durch langes Training zugänglich ist“.

Aber auch Abschlüsse und Ausbildungsprogramme, sowie Berufsverbände, welche er als „Formen von Klassenorganisation“ bezeichnet. Diese würden dazu neigen eine meritokratische Ideologie [von Herrschaft durch Leistung] anzuerkennen, welche die Entscheidungsgewalt den Manager*innen und Fachkräften überlässt. Diese Betonung der Wichtigkeit von Wissen und die Rolle der Profis führt dazu, dass die wissenschaftliche Ausbildung in der Klimabewegung eine zentrale Rolle spielt, wie Huber betont.

In der PMC-Theorie der Ehrenreichs besteht deren Klassenstandpunkt in der Konrolle über die kulturelle und gesellschaftliche Reproduktion. Das ist der Grund, warum auch Lehrer*innen und Schriftsteller*innen ein Teil dieser Klasse sind. Sowohl für Marxist*innen als auch für libertäre Sozialist*innen wurde Klasse historisch jedoch innerhalb der sozialen Reproduktion als ein institutionelles Machtverhältnis von einer Gruppe über eine andere gesehen, so wie in Marxens Konzept des Kapitals als ein gesellschaftliches Machtverhältnis.

Aus diesem Blickwinkel betrachtet denke ich, dass die Theorie von der „Professionellen-Manager-Klasse“dazu neigt, die Unterscheidung zwischen zwei unterschiedlichen Gruppen von Klassen zu verschleiern: Erstens gibt es eine Gruppe, die ich „bürokratische Kontroll-Klasse“ nenne. Der Klassenstandpunkt dieser Gruppe beruht auf ihrem relativen Monopol über die Entscheidungsmacht durch bürokratische Hierarchien, welche dazu dienen die Arbeiter*innen zu kontrollieren und die alltägliche Leitung von Unternehmen und Regierungseinrichtungen zu übernehmen.

Dazu gehören nicht nur bezahlte Manager*innen, sondern auch Hochprofessionalisierte, die bei der Kontrolle der Arbeiter*innen und der Verteidigung von Firmeninteressen eng mit dem Management zusammenarbeiten. Beispielsweise Unternehmensanwält*innen, Personal-Expert*innen und Industrie-Ingenieur*innen, die Arbeitsplätze gestalten und die Arbeitsorganisation planen. Das Machtverhältnis dieser Klasse ist die Grundlage für den offenen Widerspruch zwischen dieser Schicht und der Arbeiter*klasse.

Dabei sollte erwähnt werden, dass Lehrer*innen, Journalist*innen, Autor*innen und Pflegepersonal alle auch Gewerkschaften haben und gelegentlich streiken. Diese unteren professionellen Angestellten sind normalerweise nicht Teil des Management-Apparats und verwalten nicht andere Arbeiter*innen. Sie haben daher eine strukturelle Position ähnlich des Kerns der Arbeiter*klasse aus manuell Tätigen, nicht wie die bürokratische Kontroll-Klasse. Die Leute in dieser unteren professionellen Schicht haben oft Hochschulabschlüsse und verhalten sich manchmal elitär gegenüber der handwerklichen Arbeiter*klasse.

Sie neigen auch dazu, bei ihrer Arbeit mehr Selbstbestimmung zu haben. Doch die Handwerker*innen am Anfang des 20. Jahrhunderts haben auch oft ein elitäres Verhalten gegenüber weniger gebildeten Handarbeiter*innen gezeigt und hatten ebenfalls oft eine relative Autonomie an ihrem Arbeitsplatz. Aber allgemein zählen wir die ausgebildeten Industriearbeiter*innen (wie Betriebs- und Maschinenschlosser*innen) auch zur Arbeiter*klasse.

Die unteren Fachangestellten können jedoch anfällig sein für die meritokratische [Leistungs-]Ideologie der Mittelklasse. Daher können sich sich in einer Zwischenposition befinden, da sie ebenso wie die Arbeiter*klasse sich in einer untergeordneten Stellung befinden. Daher hat Erik Olin Wright [1985] für diese Gruppe einen “widersprüchlichen Klassenstandpunkt“ festgestellt, was von Huber bestätigt wird.

“Degrowth?”

Manche Radikale sehen die Ursache für die aktuelle ökologische Krise in dem dynamischen Wachstum des Kapitalismus. Dies wird oft zusammengefasst in einer Parole über die Absurdität eines „unbegrenzten Wachstums auf einem begrenzten Planeten“. In bestimmten Kreisen hat das dazu geführt ein „Rückwachstum“ [degrowth] zu befürworten. Doch es ist unklar, worum es sich dabei handelt. George Kallis, der Autor von „In Defense of Degrowth“ [2011], erläutert das Programm des Wachstumsrückgangs wie folgt:

„Nahrungsmittelproduktion in städtischen Gärten; gemeinschaftliches Wohnen und Ökodörfer; alternative Lebensmittel-Netzwerke, Produzent*innen-Konsument*innen-Kooperativen und kommunale Küchen; Kooperativen für Gesundheitsfürsorge, Altenpflege und Kinderbetreuung; freie Software; und dezentralisierte Formen erneuerbarer Energieproduktion und -verteilung“.

Auch wenn viele Projekte dieser Art lohnenswert sind, ist nicht erkennbar, warum ein solches Programm die Krise der globalen Erhitzung beenden sollte. Huber versucht fälschlicherweise, das Rückwachstum als eine Politikform der „professionellen Klasse“ darzustellen, was jedoch garnicht eindeutig so ist. Urbane Gärten gibt es auch in armen Gemeinschaften und kooperative Projekte haben die Unterstützung der Arbeiter*klasse. Würden wir die Parole vom „Rückwachstum“ wörtlich nehmen, hieße das die globale Erhitzung müsste durch einen wirtschaftlichen Rückzug bekämpft werden, der die allgemeine Warenproduktion verringert.

Nach dem Weltklimarat (UN Intergovernmental Panel on Climate Change) muss der Kohlendioxid-Ausstoß von aktuell 32 Milliarden Tonnen innerhalb von 20 Jahren auf eine Höhe von 20 Milliarden Tonnen gesenkt werden. Wir Robert Pollin [1] hervorhebt, würde ein wirtschaftlicher Rückgang von 10% – viermal größer als die Große Rezession von 2007-2009 – den Kohlendioxid-Ausstoß um 10% von 32 auf 29 Milliarden Tonnen verringern. Das wäre nichtmal annähernd genug Verringerung der benötigten Kohlendioxid-Emissionen. Und ein zehnprozentiger Wirtschaftsrückgang würde heftigste Sparprogramme für die arbeitende Bevölkerung zur Folge haben, welche bereits nur gradeso über die Runden kommt.

Einige Verfechter*innen des Rückwachstums (2) behaupten, dass Sparmaßnahmen nicht das Ziel sind. Aber was ist denn sonst ihr Programm, um die Krise der globalen Erhitzung zu lösen? Huber diskutiert die Sichweise, dass der Kapitalismus ein „angehäuftes soziales Wachstum“ hervorbringe. Das Ziel der Kapitalist*innen ist nicht das Wachstum an sich, sondern das Wachstum der Profite. Kapitalist*innen investieren in Unternehmen, die Waren zum Verkauf herstellen. Diese müssen Gewinne machen, um sich zu vergrößern – sich in neuen Märkten zu verbreiten, neue Produkte zu entwickeln, Manager*innen und Expert*innen einzustellen. Wenn sie das nicht tun, kommen ihnen andere Firmen zuvor. Um neue Märkte für ihre Produkte zu schaffen, müssen Neuerungen her, wie die Einführung von Konsumkrediten in den 1920-er Jahren, um den Markt für Autos und Haushaltsgeräte zu erweitern. Dadurch führte die Praxis der Kapitalakkumulation [-anhäufung] zu einer Ausweitung der Warenproduktion.

Der Wettbewerb zwingt die Firmen dauernd dazu, neue Wege zur Kostensenkung und Gewinnmaximierung zu suchen. Dies tun sie zu Lasten sowohl der Arbeiter*innen als auch der Umwelt. Sie versuchen die Löhne niedrig zu halten und finden Wege, um die Arbeitsstunden zu verringern, welche pro Produkteinheit benötigt werden. Sie können dazu einen Bearbeitungsschritt automatisieren oder durch Methoden der „schlanken Produktion“ das Tempo oder die Intensität der Arbeit steigern. Doch Stress und chemische Belastungen verursachen negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Arbeiter*innen. Die Unternehmen streben danach, die Kosten auf andere externalisieren [auszulagern].

Ein Energieunternehmen verbrennt beispielsweise Kohle, was zur globalen Erhitzung beiträgt und mit dem Wind die Atemwege der Menschen schädigt. Doch das Energieunternehmen muss nichts für die Schäden bezahlen, was ist ein Beispiel für „negative Externalitäten“ ist. Dieses Konzept wurde vor einem Jahrhundert von Arthur Pigouin die Mainstream-Ökonomie eingeführt. Doch Huber weigert sich von „negativen Externalitäten“ zu sprechen wegen deren Verwendung durch die „politischen Technokrat*innen“, die sie benutzen, um die Kohlenstoff-Steuern voranzubringen. Zum Beispiel:
„Die technokratische Konstruktion von Emissionen als ‚soziale Kosten‘, welche in den Markt aufgenommen werden sollen, führt letztlich zu einer Politik, die durch ihre Klimamaßnahmen diese Kosten der Arbeiter*klasse und der gesamten Wirtschaft anlastet.“


Dabei handelt es sich um einen Strohmann-Trugschluss [Scheinargument]. Die Auslagerung von Kosten ist ein gängiger Bestandteil des Kapitalismus. Dies wird von radikalen Ökonom*innen als Teil ihrer antikapitalistischen Kritik benutzt. Die Dynamik der Kostenverlagerung im Kapitalismus ist jedoch der zentrale Grund für die weltweite Erhitzung und andere Formen der ökologischen Zerstörung. Ohne ein Verständnis der kapitalistischen Dynamik der Kostenverlagerung ist es nicht möglich, eine angemessene Erklärung für die kapitalistische Tendenz zur ökologischen Zerstörung zu finden.

Der Green New Deal als ein Programm der Arbeiter*klasse

Huber argumentiert, dass die Arbeiter*klasse eine Akteur*in des sozialen Wandels ist, da sie die potenzielle Macht hat ein radikales ökologisches Programm, wie den Green New Deal, durchzusetzen. Die potenzielle Macht der Arbeiter*klasse liegt in zwei Dingen: Erstens ist die Arbeiter*klasse die Mehrheit – zwischen zwei Dritteln und drei Vierteln der Bevölkerung. Zweitens die Stellung der Arbeiter*klasse am Arbeitsplatz – der „verborgenen Stätte der Produktion“ – ist eine Quelle potenzieller Macht. Wenn Arbeiter*innen mit Streiks die Produktion anhalten, stoppen sie die Gewinnflüsse oder machen Regierungsbehörden dicht.

Huber zufolge hat die Arbeiter*klasse materielle „ökologische“ Interessen. „Die Ökologie des Lebens der Arbeiter*klasse“, so schreibt Huber, dreht sich „um die Mittel der [sozialen] Reproduktion – die Art und Weise nach der die Arbeiter*innen ihr Leben als biologische Wesen außerhalb des Arbeitsplatzes reproduzieren“. Die Vulnerabilität [Verletzbarkeit] ist Bestandteil der Bedingungen der Arbeiter*klasse. Die Arbeiter*innen sind gezwungen bei kapitalistischen Arbeitgeber*innen ihre Jobs zu suchen – um Löhne zu erhalten für den Kauf von Waren, die Tag für Tag ihr Leben reproduzieren. Arbeitende sind durch Zeiten der Arbeitslosigkeit bedroht, sowie durch nicht-angemessene Löhne.

Aktuell hätten 49% der Arbeiter*innen [in den USA] einer Studie von YouGov zufolge Schwierigkeiten in einem Notfall 400 US-Dollar zusammenzubekommen. [3] Nach Angaben von CareerBuilder leben 78% der Amerikaner*innen von einem Gehaltsscheck zum nächsten.[4] Kinderbetreuung ist nicht bezahlbar; Zuzahlungen und Prämien bedeuten für Arbeitende oft, sich trotz Versicherung keine medizinische Versorgung leisten zu können. Huber schlägt vor, dass eine „proletarische Ökologie“ sich mittels einer relativen „Dekommodifizierung“ auf die Verringerung dieser Verletzbarkeit zu konzentrieren.

„Die Leute würden Jobs, kostenlose Stromversorgung oder Sozialwohnungsbau intuitiv als vorteilhaft erkennen“, schreibt Huber, „doch es läge an … Organizer*innen, diese Verbesserungen als Maßnahmen gegen die Klimakrise zu benennen.“ Die von Huber bevorzugte Form dieses Programmes ist die Version des Green New Deal, der von den Demokratischen Sozialist*innen von Amerika vorgeschlagen wurde.

Das Interesse an ökologischer Nachhaltigkeit ist ein besonderes Interesse der Arbeiter*klasse, denn verschiedene Teile der besitzenden und verwaltenden Klassen profitieren davon „die Umweltkrise zu verlängern“, da ihre Strategien zur Profitgewinnung durch ökologisch zerstörerische Praktiken ermöglicht werden. Da Extremwetter und gefährliche Hitzewellen überall erkennbar werden, verbreiten sich immer mehr „Vorahnungen“, dass der Klimawandel ein Problem darstellt. Daher schlägt Huber vor, die „direkten materiellen Verbesserungen für das Leben der Menschen mit Klimamaßnahmen zu verknüpfen.“ Huber entwirft einen zweistufigen Ablauf zur „Dekarbonisierung“ der Wirtschaft. Erstens die Energieindustrie von der Verbrennung fossiler Brennstoffe abzubringen. Zweitens die Elektrifizierung nutzen, um den Ausstoß von Kohlendioxid in der übrigens Wirtschaft zu verringern – bei Transport, Verarbeitung, Heizen, Kochen, usw.

Dabei hält es Huber für wichtig, die Arbeiter*innen der elektrischen Energieproduktion für dieses Programm mit an Bord zu holen aufgrund ihres hohen Grades an gewerkschaftlicher Organisierung und ihrer strategischen Bedeutung für die Wirtschaft. Viele Unternehmen der Stromindustrie haben Mehrheitsanteile an ihren Gas- und Kohlekraftwerken. Daher sind sie eine Art Bollwerk gegen die schnelle Dekarbonisierung der Stromindustrie. Das führt zu dem Vorschlag, die staatliche Macht zu benutzen, um sie für einen Umbau zu Erneuerbaren zu übernehmen. Huber ist sich bewusst, dass Energiebetriebe in öffentlicher Hand – wie die Wasser- und Energieversorgung von Los Angeles (LADWP) – oftmals die gleichen Geschäftspraktiken anwenden wie Privatunternehmen. Daher denkt er, die Arbeiter*klasse müsse die Macht ihrer demokratischen Stimmen nutzen, um die Regierungspolitik weg von der Verbrennung fossiler Energieträger zur Stromerzeugung zu drängen.

Aufgrund der Wichtigkeit des Bereichs elektrische Energieerzeugung für ein Dekarbonisierungsprogramm möchte Huber die Gewerkschaften der Stromindustrie dazu bringen, die Pläne für einen Green New Deal zu unterstützen. Jedoch sind mit der Infrastruktur fossiler Verbrennung auch Arbeitsplätze in den Energieunternehmen verbunden. So hat die lokale IBEW [Internationale Bruderschaft der Elektro-Arbeiter] bei der LADWP gegen die Schließung von drei gasbetriebenen Heizkraftwerken gekämpft.

Huber ist sich des konservativen und bürokratischen Wesens von Gewerkschaften, wie der IBEW, bewusst. Er schlägt eine „Basis-Strategie“ vor, die sich dem Aufbau einer aktivistischen Ebene widmet, um die Ausrichtung der Gewerkschaften im Energiesektor zu verändern. Da der Ausbau von Elektrizität für Transport, Heizen, Kochen usw. eine Rolle beim Dekarbonisierungsprogramm spielt, sind diese Pläne im Interesse der Arbeiter*innen in der Energiewirtschaft.

Dennoch legt Hubers Strategie den Schwerpunkt auf Wahlpolitik – „ein Bündnis der Arbeiter*Klasse zu schmieden“, um die Staatsmacht zu übernehmen. In Übereinstimmung mit Christian Parenti legt Huber nahe, dass „außer dem Staat nur wenige Institutionen die Macht haben, um die Art von Wandel rechtzeitig umzusetzen, der nötig ist.“ Nur der Staat könne die Macht anwenden, um die fossile Energiewirtschaft zwangsweise herunterzufahren. Und der Bundesstaat habe die finanzpolitische Macht, um ein „massives öffentliches Investitionsprogramm“ aufzulegen, damit die Energiewende umgesetzt wird. Hubers Programm eines Green New Deal kann als eine radikale Form innerhalb des Kapitalismus gesehen werden. Denn er denkt, dass es „seltsam verschroben“ sei, einen Übergang zum Öko-Sozialismus in dem kurzen Zeitfenster zu erwarten, das für eine Bekämpfung der Erderhitzung nötig ist. Obwohl er von der Bedeutung von Streiks und Betriebsstörungen als Mittel zum Aufbau der Macht der Arbeiter*klasse spricht, ist seine Strategie im Grunde auf Wahlen ausgerichtet. Dabei wird die durch Gewerkschaften und Streiks aufgebaute Macht der Arbeiter*klasse als eine Grundlage für ihre Macht im Wahlkampf angesehen. In dieser Sichtweise bedarf es einer kämpferischen und organisierten Arbeiter*bewegung, um sicherzustellen, dass die Politiker*innen jene radikalen Reformen durchsetzen, welche der Green New Deal benötigt.

Da wir eine Bewegung brauchen, die einen radikalen Dekarbonisierungsplan in der nächsten Zukunft durchsetzen kann, denkt Huber, dass wir uns darauf konzentrieren sollten, in einer Branche eine kämpferische Arbeiter*bewegung mit einer ökologischen Ausrichtung wiederaufzubauen. Daher liegt sein Schwerpunkt auf einer „Basis-Strategie“ für die Gewerkschaften der Energiewirtschaft. Doch dieses Argument trügt, denn erstens ist es nicht wahrscheinlich, dass die Wiederbelebung einer klassenkämpferischen Gewerkschaftsbewegung und militanter Aktionen in einer einzigen Branche die nötige gesellschaftliche Kraft hervorbringen kann, um einen radikalen Umbau nach Hubers Vorstellungen durchzusetzen.

Der sparsame amerikanische Wohlfahrtsstaat in den 1930-er Jahren war das Ergebnis eines breiten, branchenübergreifenden Aufstands der Arbeiter*klasse. Zwischen 1933 und 1937 hab es jedes Jahr tausende Streiks, hunderttausende Arbeiter*innen bauten komplett neue Branchengewerkschaften auf, rund tausend Betriebe wurden übernommen und 1934 markierten zwei massive regionale Generalstreiks das Höchstmaß an gesellschaftlicher Macht von weitverbreiteter Klassensolidarität. Dieser Aufstand zwang den New Deal dazu sich „nach links zu bewegen“. Die Rebellion der Arbeiter*innen breitete sich auf verschiedene Bereiche in Weiterverarbeitung, Motortransport, Rohstoffwirtschaft und Teile des Handels aus. Diese Basisbewegungen entwickelten sich in unterschiedlichen Branchen gleichzeitig. Daher ist es nicht nachvollziehbar, warum es in naher Zukunft für einen Wandel zugunsten des Klimas eine auf eine Branche beschränkte Bewegung bedürfe. Ganz im Gegenteil wird es eine klassenweite Bewegung brauchen, um eine ausreichende Macht der Arbeiter*klasse aufzubauen.

Viele Verfechter*innen des Green New Deal zählen dazu auch einen „Gerechten Wandel“ [Just Transition]. Darunter versteht man, dass bei einer Abkehr von der fossilen Verbrennung die entlassenen Arbeiter*innen während der Umbauphase ein garantiertes Einkommen, Umschulung und Umzugskosten bekommen. Die Kosten des Wandels sollten nicht den Arbeiter*innen dieser Industriezweige aufgelastet werden. Wenn Fracking [Hydraulic_Fracturing] eingestellt wird, Raffinerien verringert oder Kohleminen geschlossen werden, sollte deren Arbeiter*innen vergleichbare Einkommen oder Arbeitsplätze garantiert werden. Falls es einen Wechsel zu „grünen“ Energieprojekten geben wird, müssen wir sicherstellen, dass in diesen Jobs auch Gewerkschaften aktiv sind. Und verhindern, dass es nur ein Niedriglohnsektor ist, in dem die Kapitalist*innen aus ihren „grünen“ Versprechen Profite schlagen.

Doch Huber weist die Forderung nach einem Gerechten Wandel zurück. In seiner Darstellung der Vorstellung von „Gerechtigkeit“ geht er über zur Diskussion einer gemeinschaftsgetrageneb „Umweltgerechtigkeits“-Bewegung. Diese Bewegung ist seiner Meinung nach rundweg gescheitert. Und er macht das fest an einer fehlenden Machtstrategie in „gerechtigkeitszentrierten“ Bewegungen. Als ein Argument gegen den Gerechten Wandel ist dies jedoch ein Strohmann-Strohmann-Trugschluss [Scheinargument]. In Wirklichkeit ist Klassensolidarität die Grundlage eines Gerechten Wandels.

Eine Verweigerung dieser Forderung würde die inneren Spaltungen in der Arbeiter*klasse zum Thema Umweltpolitik vertiefen, da dies die Angst vor Arbeitsplatzverlust bestärkt. Andererseits ist die Herausbildung einer branchenübergreifenden Solidarität (oder zwischen Untergruppen der Arbeiter*klasse) ein zentraler Bestandteil beim Aufbau einer klassenweiten Bewegung. In den 1930-er Jahren zeigte sich diese Art von Arbeiter*macht durch Generalstreiks und die Mobilisierung von Erwerbslosen zur Unterstützung der Streikposten.

Doch Huber ignoriert die Solidarität als eine Dimension der Klassenmacht. Die Verwundbarkeit gegenüber der Macht der Bosse innerhalb einer Herrschaft durch Klassenunterdrückung und Ausbeutung bedeutet, dass ein Gerchtigkeitssinn der Arbeiter*klasse oftmals eine Motivation für Streiks und Klassensolidarität ist. Daher ist Gerechtigkeit ein wichtige Dimension beim Aufbau einer mächtigen Arbeiter*klasse.

Staatlicher Zentralismus oder Öko-Syndikalismus?

In Hubers Art von an kautskyanischen Marxismus geht er davon aus, dass sowohl die kapitalistische Technologie-Entwicklung als auch der Staat klassenneutral seien. Aus diesem Grund denkt er, dass eine Partei oder ein Bündnis der Arbeiter*klasse die Staatsmacht ausüben könne, um ihre Interessen umzusetzen. Doch in Wirklichkeit ist der Staat nicht klassenneutral, sondern besteht in seinem Wesen aus Klassenunterdrückung. Beispielsweise sind die Arbeiter*innen im öffentlichen Dienst ebenso der verwaltenden Bürokratie untergeordnet, wie in Privatunternehmen. Das Tagesgeschäft der staatlichen Institutionen wird kontrolliert von den Kadern der bürokratischen Kontroll-Klasse – staatliche Manager*innen, als Expert*innen angestellte Spezialfachkräfte, Staatsanwält*innen und Richter*innen, Militär und Polizeikräfte. Hinzu kommen die „Repräsentationsfachkräfte“ – die Politiker*innen – welche üblicherweise entweder aus den unternehmerischen oder bürokratischen Kontroll-Klassen rekrutiert werden, also aus Klassen, welchen die Arbeiter*klasse untergeordnet ist. Zentrale staatliche Planung kann weder die ausbeuterische noch die kostenverlagernde Logik des Kapitalismus überwinden, welche den Kern der ökologischen Krise bilden. Verschiedene Arten von Umweltverschmutzung und ökologischer Zerstörung wird es weiterhin geben, auch wenn der Green New Deal umgesetzt würde.

Huber schreibt:
„Wir lieben es die großen und massenhaft zentralisierten Elektrogeräte zu hassen, aber genau diese sind es, welche Marx – und Kautsky – (…) als „sozialisierte Produktion“ bezeichnet haben. (…) Die materielle Notwendigkeit eines Gleichgewichts zwischen Nachfrage und Angebot bedeutet, dass moderne Netzwerke und zentralisierte Geräte die eigentlichen sozialisierten Planungsmaschinen sind, zu denen die Messung und Vorhersage des täglichen Stromverbrauchs von Millionen Haushalten und Betrieben gehört.“

Eigentlich braucht es für eine Vergesellschaftung sowohl kollektive Arbeiter*kontrolle über den Arbeitsprozess – die tagtäglichen Vorgänge in der Industrie – wie auch eine direkte, demokratische soziale Verantwortlicheit. Beides ist im Fall von Versorgungsunternehmen nicht gegeben. Große Firmen, wie Walmart oder General Motors oder Versorgungsbetriebe haben Systeme zentralisierter und hierarchischer Kontrolle, welche ihr Handeln im Voraus planen, um die Konsumnachfrage zu erfüllen. Die hierarchischen Bürokratien von Unternehmensmanager*innen sind auch dazu da, die Arbeiter*schaft zu kontrollieren – wie durch die enorme Arbeitsverdichtung der letzten vierzig Jahre – und den gesamten Betrieb gemäß der gewinnorientierten Ziele der Eigentümer*innen zu führen.

Huber scheint eher die Zentrierung der Stromproduktion in großen Kraftwerken gegenüber verteilten Solar- und Windkraftanlagen zu bevorzugen. Er verwechselt die Zentralisierung der Produktion mit einer koordinierten Produktion. Es gibt keinen Grund dafür, dass eine großformatige Organisation der Stromproduktion nicht ein Modell zur Einrichtung von Solarpanelen auf Hausdächern oder über Parkplätzen – überall in einer großen Städteregion koordiniert – einbinden könnte. Hierarchische Zentralplanung, sei es durch ein Unternehmen oder durch den Staat, ist außerdem nicht mit Arbeiter*kontrolle über die Produktion vereinbart, was die Sowjetunion deutlich gezeigt hat.

Öko-Syndikalismus bietet einen alternativen Ansatz. Diesem liegt zugrunde, dass Arbeiter*innen eine potenzielle Kraft darstellen, um Widerstand zu leisten gegen die Entscheidungen der Arbeitgeber*innen, welche zu Umweltverschmutzung oder globaler Erhitzung führen. Ein Beispiel für den Widerstand der Arbeiter*klasse gegen Umweltverschmutzung waren damals in den ‘70-ern die verschiedenen „grünen Verbote“ [green bans] durch die Föderation der Australischen Bauarbeiter*innen, wie die Verweigerung von Uran-Transport und -Abfertigung. Aus den ‘80-er Jahren gibt es das Beispiel des Organizings von Judi Bari, einem Mitglied von IWW und Earth First!. Durch ihre Arbeit in der bewaldeten Region im Nordwesten Kaliforniens versuchte sie ein Bündnis zwischen Arbeiter*innen in der Holzindustrie (samt ihrer Gewerkschaften) und Umweltschützer*innen, welche die alten Wälder vor Abholzung schützen wollten. Als Argument kann genannt werden, dass eine nachhaltige Forstwirtschaft eher im Interesse der Arbeiter*innen liegt als die Abholzung. Auf ähnliche Weise kann argumentiert werden, dass ein gesamtgesellschaftlicher Plan zur Dekarbonisierung im Interesse der Arbeiter*innen von Energieunternehmen ist, da dieser die Stromnachfrage steigern würde. Die gesellschaftliche Macht der Arbeiter*klasse, wenn sie unabhängig von Politiker*innen organisiert ist und störende Massenaktionen durchführen kann, wären eine bedeutende Kraft zur Durchsetzung eines Politikwechsels weg vom fossilen Kapitalismus.

Die syndikalistische Strategie schägt vor, durch Arbeiter*innen selbstverwaltete Gewerkschaften für aktiven Widerstand im betrieblichen Alltag und kämpferischen Klassenkampf zu schaffen. Und die Gewerkschaften der Arbeiter*klasse mit den sozialen Bewegungen auf breiter Linie zusammenzubringen, um eine Allianz zu gründen, welche die Macht hat zur Umwandlung der Gesellschaft in eine selbstverwaltete Form des Öko-Sozialismus.

Huber stimmt überein mit dem Aufbau einer wiederbelebten Arbeiter*bewegung und vermehrten Streikaktionen. Dies ist die Art von Selbstaktivierung, welche den Prozess der Klassen-Herausbildung antreibt. Die Klassenformation ist ein mehr oder weniger langwieriger Prozess, durch den die Arbeiter*klasse ihren Fatalismus [Schicksalsglaube] und ihre inneren Spaltungen, z.B. entlang „Rasse“ oder Gender, überwindet. Wenn sie sich Wissen über das System aneignet und Selbstbewusstsein, Organisationsfähigkeit und das Streben nach sozialem Wandel entwickelt. Durch diesen Prozess „formt“ sich die Arbeiter*klasse selbst als eine Kraft, welche die herrschenden Klassen bezüglich deren Kontrolle über die Gesellschaft wirksam herausfordern kann.

Solch eine Strategie zum Aufbau einer klassenkämpferischen Gewerkschaftsbewegung, von Arbeiter*streiks und breiten Solidaritätsbeziehungen zwischen Gewerkschaften und Organisationen der sozialen Bewegungen ist einerseits die notwendige Strategie zum Aufbau der Macht der Arbeiter*klasse zur Durchsetzung einer radikalen Reform nach Art des Green New Deal. Aber andererseits ist es die Strategie, die nötig ist zum Wandel hin zu einem selbstverwalteten Öko-Sozialismus. Die syndikalistische Variante des selbstverwalteten Sozialismus bietet eine nachvollziehbare Grundlage für die Lösung der Umweltkrise aufgrund ihrer Fähigkeit durch föderativ verteilte Formen demokratischer Planung in den Händen lokaler Gemeinschaften und der Arbeiter*innen in den [jeweiligen] Branchen. Dadurch haben sie die Macht, um Entscheidungen zu verhindern, die sich zerstörerisch auf die Ökologie auswirken.

Der Übergang zu einem Öko-Sozialismus in Selbstverwaltung der Arbeiter*innen ist nötig, um das Wesen der für die soziale Produktion verwendeten Technologie zu verändern. Dies würde die Arbeiter*innen in die Lage versetzen, um:
– Kontrolle über die technologische Entwicklung zu bekommen
– Arbeitsplätze und Ausbildung umzugestalten zur Verhinderung einer bürokratischen Machtkonzentration über Entscheidungsfindung und Konzeptualisierung durch physische Arbeit
– Verkürzung der Arbeitswoche und Aufteilung der Arbeitsverantwortung zwischen allen Arbeitsfähigen
– Herausbildung einer neuen Logik von Technologie-Entwicklung, die arbeiter*- und umweltfreundlich ist

Tom Wetzel
(Autor von Overcoming Capitalism: Strategy for the Working Class in the 21st Century)


Fußnoten:
1
) Robert Pollin: De-Growth vs a Green New Deal, in: New Left Review, 112, July/Aug. 2018, https://newleftreview.org/issues/ii112/articles/robert-pollin-de-growth-vs-a-green-new-deal
2) Natalie Suzelis Natalie Suzelis: Class Struggle Against Growth. A Review of Two Guides Against Extinction, in: Spectre Journal,
2022, https://spectrejournal.com/class-struggle-against-growth/
3) https://www.nasdaq.com/articles/49-of-americans-couldnt-cover-a-%24400-emergency-expense-today-up-from-32-in-november
4) https://www.forbes.com/sites/zackfriedman/2019/01/11/live-paycheck-to-paycheck-government-shutdown/?sh=74e547044f10

Quelle:
https://ideasandaction.info/2022/12/climate-change-class-war-review/
(https://web.archive.org/web/20230201162010/https://ideasandaction.info/2022/12/climate-change-class-war-review/)

Übersetzung [und Anmerkungen]:
Anarcho-Syndikalistisches Netzwerk – ASN Köln, https://asnkoeln.wordpress.com
(CC: BY-NC)

Mehr zum Thema:
„Öko-Syndikalismus statt Green New Deal“,
https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2019/07/21/oeko-syndikalismus-statt-green-new-deal/

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Spanien: Wie der Kapitalismus die Katastrophe verschlimmert https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2024/11/10/spanien-wie-der-kapitalismus-die-katastrophe-verschlimmert/ Sun, 10 Nov 2024 20:11:00 +0000 https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/?p=1787 Continue reading Spanien: Wie der Kapitalismus die Katastrophe verschlimmert ]]> Die Regionalföderation Levante der CNT-IAA hat am 05.11.‘24 folgende Mitteilung veröffentlicht:

Wir sind entsetzt über das Ausmaß an Tod und Zerstörung, das die Starkregenflut [DANA] am vergangenen Dienstag, den 29. Oktober 2024, in der Mittleren Ostküste Spaniens hinterlassen hat. Wir sprechen allen Angehörigen und Freund*innen der Verstorbenen unser Beileid aus. Wir hoffen auf einen baldigen Wiederaufbau aller betroffenen Gebiete und fordern eine angemessene Verbesserung angesichts der Klimatatsachen.

Einige unserer Gewerkschaften arbeiten zur Zeit gemeinsam an der Sammlung von Grundnahrungsmitteln, um diese so schnell wie möglich in die betroffenen Gebiete bringen zu können. Die Solidarität, gegenseitige Hilfe und Selbstverwaltung, die spontan aus diesen Katastrophen hervorgehen, zeigen, dass die menschliche Natur keinen egoistischen Kern hat, wie uns die herrschende kapitalistische Kultur glauben lassen will.
Wir schließen uns jedoch ausnahmslos nicht an die derzeit immer wiederkehrende Phrase von einer „Rückkehr zur Normalität“ an, denn – wie in anderen Krisen – weisen wir darauf hin, dass die sogenannte „Normalität“ das Problem ist.

Die Klimakrise selbst ist zu einem großen Teil direkte Folge unserer weltweiten Wirtschaftstätigkeit. Denn die Erderwärmung wird verursacht durch die Treibhausgasemissionen, welche zur Aufrechterhaltung der kapitalistischen Produktion und des Konsums notwendig sind. Dies führt zu einem rasanten Klimawandel, der sowohl den Umfang als auch die Stärke dieser extremen Phänomene erhöht. Dies ist eine wissenschaftlich belegte Tatsache, die jedoch von den Berufspolitiker*innen bewusst kleingehalten wird. Denn sie wissen, dass wenn sie konsequent danach Handeln würden, das Wirtschaftswachstum gefährdet wäre, von dem sowohl die Wirtschaftseliten als auch die Staaten und ihre Machtstrukturen abhängen.

Der [beschönigende] Euphemismus von der „nachhaltigen Entwicklung“, den Sozialdemokratie und Liberale propagieren, zielt nicht auf die Verrringerung des Wirtschaftswachstums ab. Doch das wäre die einzig wirksame Formel zur Verringerung von Emissionen und Abfall – auch wenn wir damit schon spät dran sind. Sondern die „nachhaltige Entwicklung“ soll die Fortsetzung des kapitalistischen Wachstums mit der beliebten Farbe „Grün“ übertünchen. Aber es soll die gleiche ausbeuterische und umweltschädliche Struktur beibehalten werden, nur durch Veränderung der [selben] Produktionsweise oder durch Export ihrer verheerenden Folgen in andere Gebiete.

Auch die Gesellschaft sieht dieses Problem nicht als vorrangig an. Und wenn man sowohl ihre politischen Richtungen als auch die mehr oder weniger populären Meinungsströmungen betrachtet, zeigt sich, dass der Mehrheit der Gesellscahft dieses Problem fremd ist oder sie es verharmlost. Offensichtlich liegt dies am sozialen Einfluss der öffentlichen – und kapitalistischen – Massenmedien, welche die Wirklichkeit zugunsten der Aufrechterhaltung des herrschenden Systems in dieser und in anderen Krisen verschleiern, verwirren oder verfälschen.

Der besondere Einfluss der sozialen Medien in letzter Zeit besteht vorrangig in einem Element der Entfremdung. Denn ihre Dynamik hat die Meinung in dieser Argumentation gefestigt und ist ein Nährboden für Scharlatane unterschiedlichster Herkunft, welche die absurdesten und gefährlichsten Theorien populär gemacht haben. Und sie wertet diese Politik in den Augen einer Menge von Armseligen als sozialverträglich auf und bestärkt sie in ihren reaktionären Einstellungen. Dies ist der Macht des Kapitals grundsätzlich zuträglich: Die Aufrechterhaltung der Ignoranz durch übermäßige oder fehlerhafte Information hilft dabei die Herausbildung eines Bewusstseinszu zu begrenzen.

Zweifellos, das Ausgeliefertsein von klassischen Medien oder dem Internet entfremdet die Menschen von der objektiven Realität. Denn diese ermöglicht den Kontakt und den Austausch mit dem nächsten Umfeld und dem eigenen Erleben, mit Nachbarinnen, mit Arbeitskolleginnen oder die Teilnahme an sozialen oder klassenbezogenen Kollektiven, sowie arbeits- oder umweltpolitischen Gruppen. Dort wo Probleme angesprochen und angegangen werden, welche gemeinsam die soziale Klasse und den Wohnort betreffen, müssen diese Möglichkeiten gefödert werden. Denn ansonsten würde man sie der intellektuellen Verletzlichkeit überlassen, die eine Manipulation möglicht macht.

Die größte Abweichung von der offiziellen Normalität betrifft die soziale Herkunft der Geschädigten. Denn in dieser Krise ist die Arbeiter*klasse, mit oder ohne Arbeit, angestellt oder pensioniert, die am meisten betroffene gesellschaftliche Gruppe in solchen Katastrophen.

Das liegt zum einen daran, dass wir die große Mehrheit sind, aber in unserem Fall auch daran, dass uns im Laufe der Geschichte der Zugang zu Wohnraum an gefährdete und unsichere Orte führt. Wo die Behörden unmittelbar eine [selbstzerstörerische] Kamikaze-Verstädterung zulassen. Diese beschleunigte und expansive Stadtplanung auf billigen Grundstücken wurde gerade durch die Unterscheidung in verschiedene Risikotypen ermöglicht. Aber dies ist in den urbanisierten Gebieten, welche den kapitalistischen Klassen gehören, nicht vorgekommen. Man muss sich nur die Gebiete mit höherem und niedrigerem Einkommen in den Städten anschauen. Und man kann feststellen, dass die höheren Gebiete dabei genau denen mit höheren Mieten entsprechen.

Der städtebauliche Druck aus der Bauwirtschaft und dem Bankenwesen hat in den letzten Jahrzehnten zu einer Verwaltungsbeschleunigung geführt, die eine großflächige Förderung begünstigte. Die Liberalisierung des Bodens per Gesetz in den neunziger Jahren gab den entscheidenden Schub, um das Bauen fast überall zu erleichtern. Die Suche nach Umwidmung [von Flächen] öffnete die Tür für mehr Spekulation und Korruption. Vor allem in der Region Levante, wo sich die größten Flächen nicht nur für die Reichen befinden, sondern auch für den Tourismus.

Risiken, wie Hochwasser, wurden vielerorts ignoriert zugunsten kostspieliger öffentlicher Renaturierungsarbeiten, welche die Häuser näher an die Rambla [Uferstraße oder Trockenflussbett] brachten. Meist wurde die langsame und natürliche Ausdehnung des Wassers drastisch eingeschränkt und seine Geschwindigkeit und damit seine Kraft erhöht. Obwohl diese Umleitungen mit hohen Fassungsgrenzen geplant wurden, werden sie angesichts der Klimatatsachen überflutet – mit dramatischen Folgen. Und die Arbeiter*klasse ist diejenige, welche in solchen Gebieten lebt, die dem Wasser weggenommen wurden.

Die größte Verletzlichkeit der Arbeiterklasse ist der allgemeine Zwang, den der Kapitalismus auf sie ausübt. Also die Verpflichtung, unsere Arbeitskraft verkaufen zu müssen, um leben zu können. Und heutzutage ist dies durch die Flutkatastrophe zu einer weiteren Falle geworden, was wir im Folgenden untersuchen werden. Wir haben gesehen, wie die Unternehmen – bereits wegen der verspäteten Warnung durch den Katastrophenschutz – ihre Arbeiterinnen nicht aus den Betrieben gehen ließen und sie weiterhin zwangen dort zu bleiben bzw. sie kommen ließen, um die Schichten im Chaos zu abdecken. Das ist keine Überraschung, denn im kapitalistischen Produktionsablauf sind wir für sie nur Nummern und Kennzahlen. Die tägliche Ausbeutung, die Häufigkeit von Arbeitsunfällen oder die Abwertung der Arbeitslosenhilfe bestätigen dies Monat für Monat.

Es ist nicht möglich, an den guten Willen der Arbeitgeberinnen zu appellieren. Denn es liegt in der Natur des Strebens nach Profit. Und den erreicht man, indem man die Zeit und Arbeitskraft der Beschäftigten ausbeutet. Die Vorschriften sind wegen ihrer Mehrdeutigkeit in der Praxis das Papier nicht wert, auf dem sie stehen. Auch gegenüber den Vorgesetzten, denn man muss sich nur das Arbeitsministerium selbst ansehen, das die Arbeitgeberinnen zur Einhaltung des Gesetzes über Arbeitsrisiken auffordert – und nicht zwingt. In diesem Fall der Abschnitt, welcher angibt, welche Gefährdungslagen für Arbeiterinnen zu vermeiden sind. Und bei einer roten Wetterwarnung ist dies der Fall (nur einige öffentliche – und wissenschaftliche – Betriebe, wie die Universität von Valencia, haben rechtzeitig reagiert, indem sie ihre Arbeiterinnen fünf Stunden früher nach Hause schickten, um Risikosituationen zu vermeiden).

Gegen diese weit verbreitete Logik, die sich in Situationen wie der jetzigen zeigt, ist die wenig organisierte und kaum miteinander verbundene Arbeiterklasse fast ausschließlich von dem System gewerkschaftlicher Vertretung abhängig, dem das Wohl der Arbeiterinnen als Ganzes jedoch wenig am Herzen liegt. Die Betriebsräte, die aus den mehr und weniger großen staatstragenden Gewerkschaften bestehen, haben – wie gewöhnlich – zu keinem Zeitpunkt reagiert. Denn sie sind von den wirklichen Tätigkeits- und Gesellschaftsverhältnissen entfremdet, welche die Arbeitswelt umgeben. Solche Privilegien innerhalb der Arbeiterklasse erreicht man nämlich nicht, indem man die Arbeitgeber*innen belästigt.

Als Proletarier haben wir noch viel zu tun, um die Verantwortung zu übernehmen. Um uns in jedem Unternehmen und in jedem Betrieb selbst zu organisieren, damit wir der unternehmerischen Macht direkt etwas entgegensetzen. Es sollte das Ziel sein, ausgehend von Versammlungen der Arbeiterinnen die Produktion oder Dienstleistung zu steuern. Diese Möglichkeit würde viele der Angriffe vermeiden, denen wir als Arbeiterklasse ausgesetzt sind. Und dies würde auch jenen eine sichere, gerechte und handfeste Reaktion ermöglichen, die in Krisenlagen oder Notsituationen arbeiten.

Der Staat und seine regionalen Untergliederungen haben in erster Linie die Aufgabe, die bestehende Ordnung aufrechtzuerhalten. Und diese Ordnung ist nichts anderes als das Vorrecht der Elite, welches durch den Kapitalismus und die Unverletzlichkeit des Privateigentums entsteht. Das ist der Sinn ihres Daseins und die Autorität ist ihr Werkzeug. Der Staat ist nicht in erster Linie dazu da, um uns zu retten. Aber nicht, weil er fahrlässig wäre, sondern weil er einer anderen Logik folgt , nach der die Hilfe für die Bevölkerung zweitrangig ist. Denn die Schutzräume, in denen sie sich versammelt, sind zusätzliche und nicht vorrangige Einrichtungen, um in einer Demokratie die Existenz des Staates gegenüber der öffentlichen Meinung zu rechtfertigen.

Das erste, was der Staat angesichts der Katastrophe tut, ist die Aufrechterhaltung der bestehenden Ordnung gegenüber den Bedürfnissen einer Bevölkerung, die alles verloren hat und dies überstehen muss. Der Staat nimmt mittels seiner Organe und Sicherheitskräfte jede Person fest, welche das heilige Privateigentum verletzt. Denn während es überall an tatkräftigen Händen und Material mangelt, darf dieses Element der Maßregelung von Anfang an nicht fehlen.

Sie nennen es Plündern oder Ausrauben, um zu kriminalisieren, was in außergewöhnlichen Situationen eine Notwendigkeit ist. Und die Medien wiederholen dieses Thema fast anekdotisch, um das Gefühl einer sozialen Gefahr zu vermitteln und um die starke Repression gegenüber den Opfern zu rechtfertigen. Jetzt schließen sich sogar reaktionäre Gruppen diesem gesellschaftlichen Fehlalarm an, um diese Gelegenheit auszuschlachten, indem sie paramilitärische Patrouillen organisieren. Sie ziehen durch die Straßen, um die Handelswaren zu verteidigen, welche im Voraus versichert wurden und die dazu dienen könnten, die schwere Not zu lindern. Das Privateigentum zu verteidigen hilft nicht der Bevölkerung, es nützt nur dem Kapitalismus. Die soziale Aneignung von Eigentum ist ein Recht, wenn uns als soziales Ganzes das Lebensnotwendige vorenthalten wird.

Die zweite Reaktion des Staates auf das strukturelle Führungsvakuum und die daraus resultierende spontane soziale Organisation besteht darin, eine große Anzahl von Ordnungskräften einzusetzen. Nicht so sehr, um zu beschützen oder zu helfen, sondern um die Reaktionen der Unzufriedenheit zu kontrollieren, die angesichts des kulturellen Zusammenbruchs etablierter gesellschaftlicher Überzeugungen entstehen.

Die Regionalverwaltung von Valencia (eines jener Sub-Staaten, welche für die Regulierung unseres Lebens, sowie die Steuerung und Reaktion auf mögliche Risiken innerhalb der staatlichen Regierungsstruktur zuständig sind) hat den von der Wissenschaft mit 10 Stunden Vorlauf herausgegebenen Bedrohungsalarm heruntergespielt bis es zu spät war. Neben der mörderischen Unfähigkeit ihrer Verantwortlichen in gut bezahlten und mächtigen Ämtern, die wir sofort aus dem Amt jagen sollten, kommt hinzu, dass es sich nicht nur um ein fahrlässiges Verhalten einzelner Personen handelt, wie wir im Verlauf dieses Textes bereits angedeutet haben.

Die Verkettung der „Fehler“ ist eine strukturelle Tatsache, die dem Kapitalismus innewohnt und seine überall anzutreffende Unterordnung an die Regeln der parlamentarischen Stellvertretung. Aber konkret in der Region Levante, wo die Leichtsinnigkeit der Verwaltung gegenüber der kapitalistischen Ausbreitung einen Haufen von Katastrophen hervorgebracht hat, die hauptsächlich mit der Stadtentwicklung und der Bauwirtschaft in Verbindung stehen (wie die U-Bahn von Valencia, der Gebäudebrand in Valencia, der Stausee von Tous,…). Diese Branche wird seitens der Verwaltung meist als Formel für Entwicklung dargestellt. Doch hat sie letztlich – wie wir leider in diesen Tagen feststellen können – mehr mit dem Grad von Zerstörung und Sterblichkeit zu tun, wie wir bereits erwähnt haben.

Der andere Punkt, an dem sich die gewählte Regierung orientieren muss, ist der Stopp von Produktion und Konsum angesichts vom Katastrophenwarnungen – eine Entscheidung, die Leben rettet, aber die nicht genutzt wird. Es scheint, dass die Aufrechterhaltung der „Normalität“ ein gewisses Risiko erfordert, da das Vorsorgeprinzip im Kapitalismus nicht anwendbar ist. Weder für das Wohlergehen der Arbeiter*innen, noch für die Erfolgsleistung und das Erreichen der eigenen Endergebnisse (Gifte, Umweltverschmutzung usw.). Wie kann es sein, dass die Gesellschaft noch glaubt, der Staat und seine „kleinen Brüder“ [Regionen, Bundesländer] würden für die Bevölkerung sorgen?

Im Laufe der Wochen, Monate und Jahre werden wir, wie in anderen Katastrophen, erneut feststellen, dass die hierarchischen Autoritäten versuchen, sich ihrer Verantwortung gegenüber ihren Untergebenen zu entziehen. Dass sie sich ihrer Pflicht zu helfen widersetzen, oder dass die Versicherungen mit trauernder Miene die Entschädigungen kürzen, behindern oder verzögern. Denn anfangs setzen Kapital und Staat die Maske auf, aber sobald die Gefühle schwinden, bleibt übrig, was im Kapitalismus zählt: das wirtschaftliche und politische Bilanzergebnis.

Letztlich spiegeln sich in den unzähligen Bildern jene „Barrikaden“ wider, welche die Natur auf den Straßen errichtet – mit all den Gerätschaften, Besitztümern und Abfällen, welche die Konsumideologie hervorbringt – als ob es sich um eine Revolution handelt. Die Natur errichtet diese Mauern aus den Folgen einer Gesellschaft, die Gegenstände und Güter ohne Lebensnotwendigkeit anhäuft. Und die schließlich mit den von ihnen erzeugten Stauungen zur Verschärfung der Situation beigetragen haben. Das Auto, dieses Symbol des Individualismus und des Konsumkapitalismus, wird wieder zur Falle – wie durch seine Abgase oder bei Unfällen.

Eine weitgehend kollektive und nicht-individuelle Mobilität würde große allgemeine, aber auch private Probleme lösen. Das Mittelmeer, diese riesige Müllhalde, bekommt jetzt den ganzen Abfall, den unsere Gesellschaft produziert, sowohl materiell wie auch geistig.

Wir haben es in unseren Händen, Köpfen und Körpern, in denen aller Klassen der Bevölkerung, darüber nachzudenken, was „die Normalität“ tatsächlich ist. Und aus der Erschütterung, die diese Frage im Bewusstsein hervorruft, wieder aufzuleben als gerechte und freie Menschen. Ohne Angst zu haben, ungehorsam zu sein, um unter allen Menschen jene zu suchen, denen ein Privileg nicht die soziale Emanzipation vom Kapitalismus verseucht hat.

Für Organisation ohne Hierarchie und Autorität, für Solidarität und gegenseitige Hilfe, für Versammlungen und direkte Aktionen – in der Straße, am Arbeitsplatz, im Viertel bis hin zur ganzen Welt!

Confederación Regional de Levante de la CNT-AIT

Korrektur der automatischen Übersetzung [mit Anmerkungen]: ASN Köln (https://asnkoelnwordpress.com, CC: BY-NC)

Quelle: https://levantecntait.wordpress.com/2024/11/05/regional-como-el-capitalismo-agrava-el-desastre-comunicado-de-la-cnt-ait-del-levante/

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Anarchosyndikalismus muss Landrückgabe bedeuten https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2024/07/11/anarchosyndikalismus-muss-landrueckgabe-bedeuten/ Thu, 11 Jul 2024 15:18:33 +0000 https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/?p=1611 Continue reading Anarchosyndikalismus muss Landrückgabe bedeuten ]]> In einem Beitrag zum nordamerikanischen Anarchist Union Journal fordert Jeff Shantz im April 2024 die Rückgabe kolonial geraubten Landes an die indigenen Ureinwohner*innen:

Ein Grundsatz des grünen Syndikalismus ist, dass die Entwicklung und Ausbreitung des Kapitalismus durch untrennbar miteinander verschränkte Formen der Zerstörung (von Land, sowie von menschlichen und nicht-menschlichen Gemeinschaften) geschieht. Die Zerstörung von natürlichem Leben und die Zerstörung von menschlichem Leben gehen Hand in Hand. Ein Antrieb dazu ist die Ausbeutung der (auf Rohstoffe reduzierten) Natur und die Ausbeutung des Menschen (als Arbeitskraft).

Ein weiterer Grundsatz des grünen Syndikalismus ist, dass Arbeiter*innen auf Grundlage der gemeinsamen Stärke durch die Stellung in der Produktion am besten in der Lage sind, diese doppelte Zerstörung in allen Erscheinungsformen aufzuhalten. Doch Syndikalismus darf nicht die ökonomistische oder produktivistische Herangehensweise übernehmen. Er muss sich auf die jeweiligen Strukturen und Abläufe, sowie Zusammenhänge der kapitalistischen Entwicklung beziehen, ebenso wie auf die Ausbeutung.

Im Zusammenhang mit dem Siedlungskolonialismus bedeutet dies, die Wirklichkeiten der kolonialen Besiedlung (und ihre noch andauernde Entwicklung) ernst zu nehmen. Das bedeutet Solidarität mit indigenen Forderungen nach Landrückgabe [land back]. Der Siedlungskolonialismus ist einer der größten Verursacher*innen der Klimakrise. Und indigene Menschen kümmern sich in überwiegender Mehrheit um die weltweite Artenvielfalt.

Foto: Matt Hrkac (Melbourne 2022)

Der grüne Syndikalismus muss eine anti-koloniale Analyse in den Mittelpunkt seiner Ideen und Aktionen stellen. Dazu gehört es anzuerkennen, dass der Kapitalismus auf indigenem Land und gegen die Ureinwohner*innen eingeführt und verbreitet wurde. Ebenso muss anerkannt werden, dass die Zerstörung des Landes immer durch die Zerstörung der indigenen Gemeinschaften und Bevölkerungen stattgefunden hat. Es muss darüber hinaus anerkannt werden, dass indigene Bevölkerungen die wichtigste Rolle bei der Verteidigung des Landes und seiner Bestandteile geleistet haben und dies auch heute tun. Während sie gleichzeitig zu den am meisten ausgebeuteten und unterdrückten Teilen der Arbeiter*klasse gehören.

Syndikalist*innen sollten sich daher mit den Verteidiger*innen des Landes [land defenders] in Verbindung setzen und wirkliche Unterstützung leisten, sowie deren Anweisungen annehmen. Was Syndikalist*innen direkt machen könnten, wäre die Gründung einer besonderen Einsatzgruppe [flying squad] – eine schnelle Eingreiftruppe -zur Teilnahme an Aktionen zur Landverteidigung. Das kann bedeuten, sich an Blockaden zu beteiligen, Protestkundgebungen bei Abbaufirmen durchzuführen oder Schutzvorrichtungen bereitzustellen. Die Details sind dabei natürlich von den jeweiligen Bedürfnissen abhängig. Einsatzgruppe aus der Arbeiter*klasse bieten zudem Möglichkeiten der Einbeziehung von Arbeiter*innen zum Thema der Solidarität mit Ureinwohner*innen.

Anarchosyndikalist*innen, vor allem nicht-indigene, können in Gebieten, in denen Aktionen zur Landverteidigung stattfinden, die Aufgabe übernehmen falsche Vorstellungen der weißen Bevölkerung vor Ort in Frage zu stellen. Ein Beispiel dafür ist die Gründung einer Gewerkschaftsgruppe während der Landforderungen der Six Nations in Caledonia (Ontario) auf Wunsch der indigenen Organisator*innen. Diese bestand überwiegend aus weißen Gewerkschafter*innen, die von Tür zu Tür gingen und Informationen über die Landforderung und die Geschichte des umstrittenen Landes usw. verteilten. Sowohl um die die Leute über die Vorgänge und Ursachen (entgegen der rassistischen Erzählungen in Politik und Medien) aufzuklären, wie auch zur Bekämpfung der rassistischen Stimmung in der Stadt.

Außerdem sollten Syndikalist*innen sich auch an wichtigen Vorbildern orientieren, wie durch Indigene geführtes Organisieren am Arbeitsplatz abläuft. So zum Beispiel die „Bows und Arrows“ [Pfeil und Bogen] der IWW Local 526, gegründet von indigenen Hafenarbeiter*innen im sogenannten „Vancouver“ (die nicht zurückgegebenen traditionellen Gebiete der First Nations xʷməθkʷəy̓əm (Musqueam), Sḵwx̱wú7mesh (Squamish) und səlilwətaɬ (Tsleil-Waututh)).

Syndikalismus darf daher nicht bedeuten, dass Arbeitsplätze oder Betriebe auf gestohlenem Land betrieben werden. Die Enteignung des Kapitals heißt, die Systeme von Einhegung, Enteignung und Kolonialismus zu beenden, auf denen das Kapital und der Kapitalismus aufbauen. Wahre ökologische Renaturierung – und Überleben – bedeutet eine Wiederherstellung des indigenen Landes. Das bedeutet die Landrückgabe, wie sie von den indigenen Bevölkerungen gefordert wird.

Quelle:
https://anarchistunionjournal.org/2024/04/11/anarcho-syndicalism-must-mean-land-back/

Übersetzung [und Anm.]:
Anarcho-Syndikalistisches Netzwerk – ASN Köln, https://asnkoeln.wordpress.com
(CC: BY-NC)

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Lasst uns die Arbeitswelt wieder aufrüsten! https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2024/03/16/lasst-uns-die-arbeitswelt-wieder-aufruesten/ Sat, 16 Mar 2024 13:01:52 +0000 https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/?p=1517 Continue reading Lasst uns die Arbeitswelt wieder aufrüsten! ]]> Folgender Text erschien Anfang März in der Zeitschrift der CNT-IAA Toulouse:

Die Forderung nach Wiederaufrüstung ist gerade sehr in Mode und wird von den Herrschenden für alles mögliche genutzt: Aufrüstung des Bildungswesens, Aufrüstung der Wirtschaft, demographische und moralische Aufrüstung usw. Man kann also sagen, dass wir in kriegerischen Zeiten leben. Denn wenn der Zeitpunkt kommt, muss jedes Rädchen ins nächste greifen – und darauf sollen wir geistig vorbereitet werden.

Machen wir uns bewusst, dass wir an einem besonderen Wendepunkt stehen: Noch nie war die Gesellschaft durch so viele tödliche Gefahren bedroht: Erderhitzung, Vernichtung der Artenvielfalt, Ausschöpfung der Ressourcen, Umweltbelastung durch Schadstoffe und die drohende Gefahr eines Großkonfliktes. Die Zukunft ist jedoch zumindest ungewiss.

Doch nur die Rüstungsindustrie hat Grund zu feiern! Aber wenn man unserer Regierung Glauben schenkt, gibt es keinen Grund zur Sorge. Es ist eine altbekannte Reaktion, dass ein bevorstehender Zusammenbruch die Führungskräfte eines Unternehmens oder eines Staates dazu veranlasst, immer riskantere und schwierigere Projekte zu starten. Sie hoffen auf ein Wunder, versuchen alles Mögliche und machen es in der Regel nur noch schlimmer – wobei sie die vorhergesagte Katastrophe weiter beschleunigen.

Natürlich haben die Regierungen seit vielen Jahren ihre Maßnahmen auf den Weg gebracht, um diesen Teufelskreis zu überwinden. Doch deren Wirksamkeit ist – gelinde gesagt – zweifelhaft. Die globale Erwärmung beschleunigt sich, die Artenvielfalt stirbt weiter ab, die Vergiftung von Wasser, Boden und Luft nimmt weiter zu. Und es werden bestimmt nicht die letzten Maßnahmen der französischen Regierung gewesen sein, die diesen Trend umkehren sollen. Und um dem Risiko eines drohenden Krieges zu begegnen, haben alle Staaten in massive Aufrüstungsprogramme investiert.

Das Spiel, das die führenden Großmächte gerade spielen, ähnelt immer mehr diesem Szenario. Die „Herren der Welt“ sind bereit alles zu tun, um ihre Privilegien und Machtsymbole zu bewahren. Sie kümmern sich nicht um das Schicksal der Menschen, solange ihr Status als Herrschende nicht erschüttert wird.

Dass die kapitalistische Wirtschaft weiter funktioniert; dass die Gewinne der multinationalen Konzerne so hoch sind, wie noch nie; dass sich die Börse auf einem Allzeithoch befindet – das alles ist letztlich nur schöner Schein.

Denn dieses herrlich grenzenlose System besteht aus einem Streben nach Reichtum und Macht. Es macht Glück und Freiheit zu einer Frage des Wohlstands – von Einzelpersonen oder von Staaten. Denn je mehr Reichtum wir anhäufen, desto mehr macht uns diese Ansammlung angeblich frei und glücklich. Aber dieses System wird durch seine eigenen Widersprüche untergraben: Denn ein endloses Wachstum in einer endlichen Welt ist undenkbar.

Das Gesetz des Kapitalismus macht jedes Individuum zur Konkurrenz aller anderen. Die Werte der Solidarität und der gegenseitigen Hilfe werden geleugnet; die Gesellschaft wird in gegensätzliche Klassen gespalten: Die Klasse der Ausgebeuteten gegen die Klasse der Ausbeuter*innen. Die Nationalstaaten befinden sich ständig in einem wirtschaftlichen und/oder militärischen Krieg gegeneinander. Und schließlich – und das Problem ist nicht zu unterschätzen – führen die menschlichen Gesellschaften aufgrund ihrer Marktgläubigkeit seit Jahrhunderten einen gnadenlosen Krieg gegen die Natur.

Seit Jahrhunderten haben zahlreiche Denker*innen die verheerenden Folgen dieses Systems angeprangert und gezeigt, dass es von Grund auf ungerecht, ungleich und mörderisch ist. Der Zusammenbruch der großen natürlichen Ökosysteme, welche die Grundlage des Lebens auf der Erde bilden, ist heute Beweis genug, dass uns die marktförmigen Entscheidungen unweigerlich in eine Sackgasse führen. Kurz gesagt: Dieses System ist absolut selbstmörderisch.

Dass dieses Systems samt seiner Regeln abgeschafft werden muss, haben alle revolutionären Denker*innen des 19. Jahrhunderts befürwortet. Heute ist dies zur absoluten Notwendigkeit geworden. Doch selbst wenn diese Forderung heute von allen aufrichtig denkenden Menschen weitgehend geteilt wird, so stellt sich die weitaus schwierigere Frage, wie eine zukünftige Gesellschaft organisiert und auf welcher Grundlage sie aufgebaut werden soll.

Tatsächlich ist die Menschheit jedoch bereits seit Beginn der Steinzeit und dem Aufkommen der ersten Staaten mit dieser Fragestellung konfrontiert. Seit die menschlichen Gemeinschaften beschlossen haben, bestimmten Personengruppen, wie Priester*innen, König*innen, Diktator*innen, Aristokrat*innen oder einfachen Vertreter*innen, die Macht zu übergeben. Indem diese entscheiden, was das Beste für die Gemeinschaft ist und um ihre Gesetze durchzusetzen, haben die menschlichen Gemeinschaften dabei die Kontrolle über ihr Schicksal verloren.

Diese neue herrschende Klasse hat die Macht zu ihrem Vorteil an sich gerissen und systematisch ihre eigenen Bedürfnisse durch die Anhäufung von Reichtum befriedigt. Auch, um das Streben nach Eroberung und Herrschaft zu befriedigen – den Willen nach Macht und egositischem Genuss – hat sie dabei die Interessen der Gemeinschaft geopfert. Die Katastrophen, die sich heute abzeichnen, sind letztlich nur die Folge dieser ganzen Vernachlässigung.

Deshalb steht heute die gesamte Menschheit vor der Wahl:

• Entweder genauso weiterzumachen, und immer wieder auf die schönen Worte der Herrschenden zu vertrauen. Welche dann unter dem Vorwand militärischer oder ökologischer Zwänge mit Gewalt und Terror nach sozialer Kontrolle rufen, die Freiheit einschränken und den Lebensstandard senken – zumindest für die arbeitenden Klassen. Genau dies ist der Weg, den die derzeitige französische Regierung bereits eingeschlagen hat.

• Oder einen radikalen Bruch mit der heutigen Realität herbeizuführen und sich auf den Aufbau einer völlig neuen Welt einzulassen. Welche es sich zur Hauptaufgabe macht, den Warenfetisch, die Macht und die Gewalt zu überwinden, um jedem Individuum die Möglichkeit zur Selbstverwirklichung zu garantieren. In einer solchen Gesellschaft wird die Lebensqualität nicht mehr an der Menge des angehäuften Eigentums gemessen werden, sondern an der Qualität des Aufbaus von sozialen Beziehungen.

Quelle:
Anarchosyndicalisme!, Nr. 185, Januar/Februar 2024, CNT-IAA Toulouse,
https://cntaittoulouse.lautre.net/spip.php?article1378

Übersetzung: ASN Köln
(Creative Commons: BY-NC)

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Klimaaktivismus auf dem Weg in den politischen Sumpf? https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2024/02/29/klimaaktivismus-am-weg-in-den-politischen-sumpf/ Thu, 29 Feb 2024 20:32:27 +0000 https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/?p=1513 Continue reading Klimaaktivismus auf dem Weg in den politischen Sumpf? ]]> Das Wiener Arbeiter*innen-Syndikat (WAS-IAA) hat folgende Kritik veröffentlicht:

„Wir fahren gemeinsam“ ist eine neue Kampagne von AktivistInnen aus dem Klima-Milieu gemeinsam mit der reformistischen Gewerkschaft vida. Ein Genosse von uns war bei einer öffentlichen Veranstaltung der Kampagne und nicht besonders begeistert. Im Folgenden seine Kritik:

Eine solidarische Kritik zu Beginn eines fragwürdigen Unterfangens des österreichischen Klimaaktivismus

Wir fahren gemeinsam – so das stimmige Motto einer neuen Kampagne zwischen österreichischen Klimaaktivistis und der ÖGB-Öffi-Gewerkschaft vida. Nur mit guten Arbeitsbedingungen gibt es ein gutes Service für die Fahrgäste. Nur mit jungem Personal haben die Öffis eine Zukunft. Es liegt also im Sinne aller Beteiligten, gemeinsam zu kämpfen: für die ganz vorne im Bus und somit auch für alle, die erst bei der Haltstelle einsteigen.

So sehr die Klimaaktivistis mit der WKO in Sachen Autopolitik die richtige Gegnerin gewählt haben, so unklar ist es, wie sehr diesmal die WKO das richtige Ziel sein kann. Zwar freut man sich dem Vernehmen nach, dass die WKO durch die Initiative der Aktivistis floskelhaft die Sozialpartnerschaft bedroht sieht. Aber hier kurz erklärt, wieso die Machtverhältnisse im Öffi-Sektor ganz andere sind und weshalb eine Zusammenarbeit mit der vida nicht besonders aussichtsreich ist.

In der Autobranche herrscht der ganz normale Kapitalismus: Praktisch alle Unternehmen sind vom eigenen Erfolg am Markt abhängig und streben nach maximalem Profit. Zueinander stehen sie entweder in Konkurenz oder in Lieferbeziehungen, doch gemeinsames Anliegen ist, sich von der Gewerkschaft die Profite nicht kaputt machen zu lassen. Und natürlich erwartet man sich von der Politik Unterstützung, dass möglichst viele und teure Autos verkauft werden können. Dafür kann sie die Rahmenbedingungen setzen, in dem sie etwa immer breitere Straßen baut, statt großen Autos die Zulassung zu verweigern. Stichwort: Carpitalismus.

Die Öffi-Branche funktioniert da ganz anders. Im echten Kapitalismus würden nämlich alle richtig reichen Menschen so wie Herr Haselsteiner im Helikopter rumfliegen oder immer Auto fahren, weil es ja dann auch keine 1.Klasse im Zug mehr gibt. In Großstädten würden sich vielleicht ein paar teure und überfüllte Öffi-Linien zu Hauptverkehrszeiten ausgehen, aber sicher nicht in der Nacht oder am Sonntag. Und alle anderen ohne Auto können schauen, dass sie zu Fuß, mit einem Moped, Fahrrad oder ganz ungenügend fahrendem Sammel-Busverkehr vom Fleck kommen. Wer schon eine Weltreise gemacht hat, wird hierin eine Beschreibung der Situation in vielen Ländern der Welt wiedererkennen.

Auch wenn die EU in vielen Bereichen für den freien Markt und Kapitalismus steht, ist die Öffi-Branche eine Besonderheit: Der Staat darf einerseits „marktverzerrend“ als Kunde auftreten und mit Steuergeld Verkehrsdienste bestellen und er darf andererseits sogar als Unternehmer auftreten und eigene Verkehrsdienste betreiben (z.B. Wiener Linien und ÖBB), geregelt in VO 1370/2007. Es wäre nicht die EU, wenn sie innerhalb dessen nicht doch wieder ein Wettbewerbsregime verstecken würde, aber das ist hier nicht das Kernthema, es ging ja um gute Arbeitsplätze und die solidarische Unterstützung von Arbeitskämpfen durch Fahrgäste.

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Welche Öffi-Unternehmen gibt es jetzt in Österreich?

Es gibt einmal rein kommerzielle Unternehmen, sie funktionieren wie die Auto-Wirtschaft und haben praktisch keine staatliche Unterstützung (lassen wir mal den Bau von Straßen, Flughäfen und Corona-Hilfen beiseite). Dazu gehören die nicht-staatlichen Fluggesellschaften, private Busunternehmen, die für Flixbus fahren und das Taxigewerbe. Es gibt noch ein paar andere, aber die Auflistung ist schon fast abschließend, weil wie gesagt, der Kapitalismus von sich aus, kein tolles Öffi-Netz bieten würde.

Daneben gibt es Öffi-Unternehmen im staatlichen Eigentum, die in erster Linie von staatlichen Zuschüssen leben. Dazu gehören ÖBB, Wiener Linien, Postbus, Salzburger Lokalbahn usw.

Um an die staatlichen Zuschüsse zu kommen, müssen diese Unternehmen aber teilweise Ausschreibungen gegen private Unternehmen gewinnen. Zur Verwirrung gibt es inzwischen auch viele hybride Unternehmen, die zumindest teilweise dem Staat gehören, wobei das auch nicht immer der österreichische sein muss. Die Westbahn gehöhrt z.B. zu 17,4 % der französischen Staatsbahn, fährt teilweise auf eigene Rechnung, dann aber wieder mit staatlicher Unterstützung (z.B. Klimaticket und im VOR).

Rein private Öffi-Unternehmen, die genauso nur dank staatlicher Zuschüsse fahren sind z.B. oft kleinere Bus-Unternehmen die Schulbusse fahren. Das größte private Busunternehmen im Land ist Dr. Richard mit ca. 1.500 MitarbeiterInnen. Große globalagierende kapitalistische Öffi-Konzerne, die hinten rum nicht doch wieder einem Staat gehören, gibt es in Europa bisher schon in Form von Arriva und Transdev. Unseres Wissens nach sind solche Unternehmen im Landverkehr bis auf Flixbus noch nicht in Österreich aktiv.

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Festhalten lässt sich auf jeden Fall; praktisch alle Öffi-Unternehmen haben Interesse an Geld vom Staat, sind damit aber auch an hohe Auflagen bzgl. Sauberkeit, Pünktlichkeit usw. gebunden. Nach der EU-Verordnung sind sie sogar in ihrem Gewinnstreben teils auf ein „angemessenes Niveau“ begrenzt. Es gibt also Raum für etwas unternehmerisches Handeln. Der Staat wünscht sich private Unternehmen sogar als eine Art Agent, der laut herrschender Ideologie ja auch effizienter handeln kann als der Staat. Aber dafür gibt es auch klare Grenzen, vielmehr als das in vielen anderen Branchen der Fall ist. Nur eins ist sicher: Die Kapitalgeber für neue Busse und Bahnen bekommen ihre Rendite, egal, ob die ÖBB einen neuen Zug per Staatsschuld kauft oder das kleine Busunternehmen mit Hilfe der örtlichen Raika.

Nach etwas überlegen wird klar, dass die (privaten) Verkehrsunternehmen eigentlich bei weitem keine so mächtige Organisation sind, wie es einem vielleicht vorkommen mag, wenn man Probleme bei der Fahrscheinkontrolle hat. Zum einen müssen sie Schulden für ihre Fahrzeuge ans Kapital bedienen, zum anderen müssen sie schauen, ein möglichst billiges Angebot bei ihrem Auftraggeber – dem Staat – abzugeben. Viel Spielraum für Gehaltsverhandlungen gibt es da dann auch nicht mehr, zu dem die Löhne nach Kollektivvertrag geregelt sind und den größten Ausgabeposten stellen. Legt sich die Gewerkschaft und der Klimaaktivismus also mit der WKO als Vertretung dieser Unternehmen an, dann ist das indirekt ein Streit mit einem staatlichen Agenten mit eingeschränktem Gewinnstreben, während die KapitalgeberInnen (Banken, Fonds etc.) fein raus sind:  Sie brauchen nicht verhandeln, sie beteiligen sich eh nur, wenn sie am Ende mehr zurück bekommen.

Anders formuliert: Eigentlich kann es der WKO – abgesehen von ideologischen Gründen – auch vollkommen egal sein, ob die Löhne im Öffi-Sektor steigen oder nicht, sie muss das eh nicht zahlen. Naja, und die vida? Die würde höhere Löhne sicher toll finden! Es sieht also aus, als ob die Aktivistis hier richtig leicht ordentlich was rausschlagen könnten. Wie passt das zusammen mit den Rückmeldungen der Bus-Kollegen, die überhaupt keine Lust auf einen vida-Handzettel von den Klimaaktivistis hatten? Sind unsere ArbeitskollegInnen etwa nur dumme rechte ProletInnen? Sollten die Aktivistis vielleicht mehr Training machen, wie sie mit ArbeiterInnen zu sprechen haben? Warum haben die HacklerInnen nicht schon früher mehr rausgeschlagen?

Wer darauf eine Antwort haben will, muss sich eben noch mit der Politik beschäftigen. Die sitzt bei den Lohnverhandlungen zwar nicht am Tisch, würde aber sicher sofort ihren Einfluss geltend machen, wenn ihr was nicht passt. Und das womöglich sogar mehr auf Seiten der Gewerkschaft als bei der WKO! Denn: Wer zahlt die Öffis? Zuständig ist einmal das Klima-Ministerium: Gewessler (Grüne), dann der/die Verkehrslandesrätin, das wäre in Wien Sima (SPÖ), im Burgenland Dorner (SPÖ), in Niederösterreich Landbauer (FPÖ) und dann kommen noch ein paar Gelder von Gemeindeebene, aber das reicht ja jetzt bis hier um schon recht klar zu erkennen: Eine sozialdemokratische ÖGB-Gewerkschaft wird sicher nicht Herrn Dorners oder Frau Simas Öffis bestreiken! Um einem Mini-Streik von 2 Stunden aus dem Weg zu gehen, haben die ÖBB z.B. das letzte Mal von selbst die Züge stehen lassen: was für ein Theater! Ob Verkehrsministerium oder Verkehrslandesrat, niemand wird sich vor der kommenden Wahl eine große Auseinandersetzung wünschen. Die Politik will ja viel lieber Geld in Neubauten und Verbesserungen stecken, denn dafür gibt es Stimmen bei der Wahl, insbesondere von gebildeten, jungen, urbanen StäderInnen mit Klimaticket.

Es wäre also nötig, sich erst einmal über all die Verflechtungen Gedanken zu machen und dann eine sinnvolle Kampagne mit passendem Ansatz zu starten. Vielleicht könnten hier Erfahrungen von außerhalb des ÖGBs hilfreich sein. Es ist zu befürchten, dass die Klimaaktivistis das nicht getan haben und das lässt überhaupt nichts Gutes erwarten. Viel mehr droht, dass sich die „besonders vom Klimawandel betroffene“ ArbeiterInnenschaft schon bald ziemlich benutzt vorkommen wird. Wenn Klimaaktivistis, die teils noch nicht im Hamsterrad der Lohnarbeit gefangen sind, erst zum ÖGB pilgern, um dann passend zur vida-Kampagne Zettel zu verteilen, wo zufällig exakt das gleiche thematisiert wird, wie in der ORF-Nachrichten von der Gewerkschaft bereits verlautbart wurde. Wenn die Einladungen in whatsapp-Gruppen eh nur dort verteilt werden, wo es schon einen Betriebsrat gibt, dann ist es auch logisch, wenn bald Aktivistis im EU-Parlament usw. sitzen werden. Dieses Spiel ist hinreichend von der Sozialdemokratie bekannt und geht sich für ArbeiterInnen seit über 30 Jahren nicht mehr gewinnbringend aus. Dass die vida jetzt neuerdings in ihrer Kampagne Klimaaktivistis mitspielen lässt, muss nicht heißen, dass die Klimaaktivistis wichtig wären, sondern dass die vida als Organisation ihr Handwerk einfach nur überlegen beherrscht – auch in grün.

Quelle:
https://wiensyndikat.wordpress.com/2024/02/29/klimaaktivismus-am-weg-in-den-politischen-sumpf/
(CC: BY)

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Russland: Aktuelle Streiks und Proteste https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2023/12/21/russland-aktuelle-streiks-und-proteste/ Thu, 21 Dec 2023 14:34:27 +0000 https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/?p=1488 Continue reading Russland: Aktuelle Streiks und Proteste ]]> Die Genoss*innen der KRAS (die Sektion der IAA in Russland), haben folgenden Bericht veröffentlicht:

Während die herrschenden Klassen in Russland versuchen, unter dem Vorwand des „Militärbetriebs“ eine „nationale Einheit“ zu erreichen, ist die Stimmung der Arbeiter*innen weit entfernt von einer imaginären „einstimmigen Unterstützung“ der Vorgesetzten. Im Oktober und November 2023 brachen weitere einzelne Streiks und lokale Proteste im ganzen Land aus. Die Unzufriedenheit der Bevölkerung führt zu einer allgemeinen Verschlechterung der sozio-ökonomischen Situation.

Laut einer Umfrage, die von der Online-Jobbörse hh.ru durchgeführt wurde, fehlt es etwa 45 % der Russ*innen an auzsreichenden Löhnen, um ihre Grundbedürfnisse zu erfüllen (nur 25 % der Befragten hatten schon 2021 den gleichen finanziellen Mangel). Weitere 36 % der Befragten gaben an, dass sie Schwierigkeiten hatten, mit ihrem Einkommen die Grundbedürfnisse zu erfüllen (vor zwei Jahren gaben 39 % der Befragten diese Schätzung ihrer finanziellen Lage an). Derzeit erhalten nur 20 % der Russ*innen ein Gehalt, das für alles Notwendige ausreicht, verglichen mit 36 % im Jahr 2021 (https://news.ru/society/polovina-rossiyan-stolknulas-s-nehvatkoj-deneg-na-osnovnye-nuzhdy/). In dieser Situation ist es nicht überraschend, dass die Menschen aus verschiedenen Gründen weiterhin protestieren: von der ausbleibenden Zahlung von Löhnen bis hin zur Zerstörung der Umwelt und ihrer Lebensbedingungen.

Altai

Hunderte von Einwohner*innen von Pavlowsk versammelten sich am 25. November in einem ländlichen Stadion zu einer Kundgebung gegen den Bau einer Mülldeponie. Die Teilnehmer*innen forderten einen anderen Standort dafür. Das Erscheinungsbild des Baukomplexes wird laut der Gruppe die Umweltsituation verschlechtern. Die Leute bezweifelten, dass die Behörden vor der Entwicklung des Deponie-Projekts die notwendigen Untersuchungen durchgeführt hätten. Sie drohten damit, dass ihre Stellvertreter*innen das Projekt nicht länger unterstützen würden und forderten ein separates Abfallsammelsystem in allen Städten der Region einzuführen, um das Müllproblem anzugehen. In der Woche vor dem Treffen sammelten lokale Aktivist*innen 2.000 Unterschriften gegen den Bau der Mülldeponie (https://t.me/kprfaltay/4242).

Region Astrakhan

Am 22. November legten die Mitarbeiter*innen des Wasserwerks Kozlovo im Bezirk Volodarsky die Arbeit nieder, weil sie seit 4 Monaten keine Löhne bekommen hatten. In Folge des Streiks gab es keine Wasserversorgung in den Dörfern Ferromnoye, Volodarsky, Kozlovo, Marfino, Vatagka, Kudrino, Kzyl-Tan und Dianovka. Der Bezirksleiter konnte nach Verhandlungen mit dem Wasserwerkschef und den Mitarbeiter*innen des zentralen Wasserkanals die Wiederaufnahme der Versorgung erreichen (https://astrakhan.su/news/housing/v-volodarskom-rajone-otklyuchili-holodnuyu-vodu-iz-za-zabastovki-rabotnikov-czentralnogo-vodokanala/).

Bashkortostan

Die Bewohner*innen von vier Dörfern planen eine Vollversammlung gegen die örtliche Fliesenproduktion. Sie baten den Vorsitzenden des ländlichen Kalchurowski-Rats um eine Umstellung der Produktion. Aber er gab an, dass dies nicht Teil des Landrates sei. Die Aktivisten fanden die Landkarten und sorgten dafür, dass die Länder zu ihrer Siedlung und dem Themenrat gehören. (https://t.me/baymabzelil/1411). Zur Erinnerung: Mehr als tausend Einwohner*innen des Gebiets hatten im Mai eine Vollversammlung gegen den Goldbergbau im Irandyk-Gebirge durchgeführt, woraufhin weitere folgten. Sie wählten erneut den Bürgermeister des Dorfes Ishmurzino, obwohl die Behörden dies als illegal erklärten. Im Juni gab das Unternehmen die Goldproduktion in der Region schließlich auf.

Region Iwanowo

Demonstrant*innen gegen den Bau einer Mülldeponie in der Nähe von Shui liefen auf eine regionale Autobahn, beklebten Autos mit Flyern und Aufklebern und wiesen auf eine Petition hin, die gegen Müllentsorgung auf dem Territorium des Bezirks stimmt (https://vk.com/info37?w=wall-69296730_2324221). Die Aktivist*inneen erklärten ihren Protest für unbefristet und riefen andere Fahrer*innen dazu auf, sich ihnen anzuschließen. Anwohner*innen berichteten, dass Verkehrspolizisten daraufhin die Autobahn gesperrt hätten. Die Petition gegen den Bau der Mülldeponie hatte 3.300 Unterschriften gesammelt. Die Anwohner*innen erklärten, dass durch den Bau einer Deponie in Shuyu und Dutzenden von Ortschaften in der Nähe der Stadt das Wasser verschmutzt würde. Die Demonstrant*innen warfen den Behörden vor, den Baubeginn vertuschen zu wollen – sie erfuhren erst während einer öffentlichen Anhörung am 19. Oktober von dem Projekt.

Region Irkutsk

Wir haben bereits über die Proteste von Schichtarbeiter*innen der Baufirma „Grand Stroy“ berichtet, die auf dem Gaskondensatfeld Kowyktinskoje von Gazprom gearbeitet haben und seit Monaten keinen Lohn erhalten haben (https://aitrus.info/node/6164). In die Verzweiflung getrieben, erklärten sie ihre Bereitschaft, die Anlage wegen Gehaltsrückständen zu sperren (https://iznanka.news/articles/Vazhnoe/Vakhtoviki-grozyat-perekryt-trassu-v-Sibiri.html). Erst nachdem die Staatsanwaltschaft den Arbeitgeber dazu zwang, hat er die Schulden von 119 Mitarbeiter*innen der Baufirma in Höhe von über 8 Millionen Rubel in vollem Umfang gezahlt (https://vk.com/wall-213632682_1511).

Region Orenburg

Für die Generalüberholung des dortigen Gaswerks eingestellten Schichtarbeiter*innen weigerten sich, zur Arbeit zu gehen, da ihre Löhne nicht ausgezahlt wurden. Die Jekaterinburger Firma SMT hatte für die Durchführung der Arbeiten mit der Gesellschaft „GSP Repair“, welche zur Unternehmensgruppe „Gazstroy“ gehört, einen Vertrag geschlossen (https://orengrad.ru/obshhestvo/v-orenburge-bastuyut-vahtoviki-priehavshie-rabotat-na-gazzavod/). Einige der Arbeiter*innen warteten nicht auf den unbezahlten Lohn und gingen nach Hause. Sie erklärten gegenüber Journalisten, dass sie keinen Grund sehen, in einem Hotel zu sitzen und Zeit zu verlieren, während sie auf ihr Gehalt warten – solange in der Region Orenburg noch Leute leben würden (https://orenday.ru/news/201123164523).

Region Leningrad

Am 15. November kam es zu einem Streik in der Wyborger Werft. Arbeiter*inne in Helmen und Schutzkleidung versammelten sich auf dem Gelände vor dem Fabrikgebäude und in einem der Räume und begannen Forderungen an das Management zu erheben. Wie die öffentliche VKontakte-Ausgabe von „Requisiten Wyborg“ berichtet, forderten die Mitarbeiter*innen des Unternehmens eine Erklärungen für die deutlichen Lohnkürzungen. „Die Mitarbeiter wurden gebeten, zur Arbeit zurückzukehren, ihnen wurde versprochen, sich mit dem Protokoll vertraut zu machen und einen separaten Termin zu vereinbaren, um alle ihre Fragen zu beantworten“. Das Protokoll enthielt Fragen an die Führung nach einer Art Streik und wurde von den Arbeiter*innen an den Produktionsdirektor übergeben. Daraufhin wurde die Durchführung einer Betriebsversammlung geplant (https://47news.ru/articles/241012/).

St. Petersburg

Die Zusteller*innen von mittlerer und großer Ware des Online-Dienstes der Firma Sber haben gegen die Kürzung ihres Gehalts gestreikt. Der Streik begann am Morgen des 18. November und in der Nähe des Lagers Sber Logistics auf der Moskauer Autobahn 26 blockierten sie die Ausfahrt und stoppten Dutzende Kleinbusse und Transporter („Gazellen“). Wie einer der Fahrer*innen sagte, sorgte das am Zahltag ihnen übergebene Geld für massive Enttäuschung. Zuvor erhielten die Mitarbeiter*innen von Sber 1.000 Rubel für die Lieferung eines sperrigen Produkts, jetzt haben sich die Preise geändert. Viele bekamen nicht die Summen, die sie sich erhofft hatten. Dies wurde damit erklärt, dass ein neues Programm ins Leben gerufen wurde, welches das Gewicht der Waren und ihre Abmessungen anders einschätzt. Grob gesagt, diejenigen, die 50.000 Rubel pro Woche erhalten sollten, erhielten nur noch höchstens 30.000 Rubel.

„Wir wurden mit der Tatsache konfrontiert: Entweder stimmen Sie den Bedingungen zu oder Sie können kündigen, da hier niemand jemanden aufhält“, beschrieb ein Arbeiter die Situation (https://megapolisonline.ru/voditeli-sbermarketa-ustroili-zabastovku-v-shusharah/). Nach Angaben der Belegschaft erhielten die Kurier*innen aufgrund dieser Änderung des Algorithmus zur Berechnung von Gewichts und Abmessungen der Waren nun ein Gehalt von 20-30 Tausend Rubel weniger als erwartet. Und die Unzufriedenen wurden gebeten, sich eine andere Arbeit zu suchen. Die Verhandlungen zwischen den Protestierenden und der Unternehmensführung wurden aufgenommen und den Streikenden wurde eine Neuberechnung versprochen, woraufhin sie ihre Versammlung auflösten (https://megapolisonline.ru/bastovavshie-voditeli-sbermarketa-razoshlis-s-nadezhdoj-im-poobeshhali-pereschet/)

Region Rostow

Bewohner der ländlichen Ortschaft Krasnokryma haben versucht, eine Protestkundgebung gegen die unkontrollierte Entwicklung und das mangelhafte System der Wohnungs- und Kommunalwirtschaft, sowie die fehlende Wasserschutzzone in der Nähe von Flüssen zu organisieren. Die Dorfbewohner*innen wollten Unterschriften unter eine Liste von Forderungen an die Bezirksregierung sammlen (https://161.ru/text/gorod/2023/11/05/72884930/?utm_source=telegram&utm_medium=messenger&utm_campaign=161). Die Kundgebung sollte am 5. November im Dorf Chaltyr stattfinden, wo sich das Gebäude der Bezirksverwaltung befindet. Aber die Verwaltung von Chaltyr schrieb in einer offiziellen Antwort, dass „jetzt viele Bots und Menschen gestartet wurden, die unter verschiedenen Spitznamen und Avataren die Menschen erregen“. Nach Angaben der Beamten durfte die Kundgebung nicht durchgeführt werden, da „jetzt eine Militärische Spezialoperation (SBO) im Gange ist“. Der Dorfvorsteher Dzadur Tyzykhyan versuchte dreimal, die Erlaubnis zur Durchführung einer Kundgebung zu erhalten, erhielt jedoch jedesmal eine Absage. Uund am Vorabend der geplanten Kundgebung wurde er zur Polizei gerufen, um über die Unzulässigkeit des Protests „zu sprechen“.

Region Swerdlowsk

Am 15. Oktober starteten die Bewohner*innen der Stadt Sysert einen Protest, um den Bau einer Mülldeponie zu verhindern, woraufhin sich Dutzende Einwohner*innen versammelten. Die Behörden untersagten die Kundgebung jedoch, sodass die Teilnehmer*innen ohne Lautsprecher ihre Reden halten mussten (https ://t.me/ve4ved/70407). Der Kampf gegen das Deponieprojekt läuft mindestens schon seit Frühjahr 2023. Die Gegner*innen sammelten Tausende Unterschriften und organisierten bereits Proteste (https://aitrus.info/node/6169). Unter dem Druck der Protestierenden mussten sich auch die Abgeordneten der Gesetzgebenden Versammlung in der Region „rühren“. Im September bestätigte Rosselkhoznadzor nach einem Aufruf an die Abgeordneten, dass die Bank Agropromcredit als Landeigentümerin gegen die Regeln für die Nutzung des Geländes verstoßen habe. Die Behörde erteilte dem Eigentümer des Areals eine Verwarnung. Nach einer Kundgebung am 15. Oktober forderte eine Gruppe von Abgeordneten die Beschlagnahme des Landes, das für die Mülldeponie vorgesehen war (https://vk.com/kprfekb?w=wall-8986414_45903).

Udmurtien

Einwohner*innen von Izhevsk protestierten gegen die Ansiedlung von militärischen Fabriken für die Herstellung von Drohnen im Rahmen der Stadtentwicklung. Für diese Produktion wurden bereits drei städtische Einkaufs- und Vergnügungszentren umgebaut (https://newizv.ru/news/2023-09-15/konets-filmov-v-izhevske-tretiy-tts-zakryvayut-pod-proizvodstvo-bespilotnikov-419358). Aus Protest erschienen an den Wänden vieler Gebäude, Zäune und Asphalt nun Dutzende von Graffiti (https://m.vk.com/wall-61949408_43315?post_add).

Jakutien

Am 16. November führten Arbeiter*innen des Bergbau- und Aufbereitungskombinats Inaglinsky (Teil der Firma Kolmar) einen eintägigen Streik durch, wie lokale Medien berichten: „Den Leuten werden nur ein paar Cent bezahlt, sie bekommen keine Zuschläge, die Lasten sind hoch, die Fahrer*innen transportieren über der Norm (was nach dem Arbeitsgesetzbuch der Russischen Föderation illegal ist!). Die Probleme sind endlos mit Bussen, sie kommen von der Tagesschicht um 22 Uhr. Die Menschen haben es einfach nicht mehr ausgehalten. Nach der gestrigen Lohnzahlung haben sie Kolmar den Streik erklärt. Die Autos standen einfach still und die Chefs kamen angelaufen. Und jetzt werden die Streikenden einfach entlassen, weil sie irgendeinen Grund finden werden. Haben sie nicht recht?! Nur ein Aufschrei der Seele! ‚Kolmar wird wieder trocken aus dem Wasser kommen!‘“ sagten die Bergleute. Der Streik ereignete sich nach der Auszahlung des Gehalts (durchschnittlich 80.000 Rubel), was offensichtlich unvollständig war. Die Behörden haben versprochen, die Schulden bis zum 1. Dezember zu begleichen. Im Zusammenhang mit dem Vorfall im Unternehmen wird eine Versammlung einberufen (https://1sn.ru/platyat-kopeiki-v-yakutii-rabotniki-kolmara-proveli-odnodnevnuyu-zabastovku)

Quelle: KRAS-IAA, https://aitrus.info/node/6180

(korrigierte automatische Übersetzung: ASN Köln)

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Pakistan: Katastrophenhilfe geht weiter https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2022/09/26/pakistan-katastrophenhilfe-geht-weiter/ Mon, 26 Sep 2022 21:12:01 +0000 http://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/?p=1150 Continue reading Pakistan: Katastrophenhilfe geht weiter ]]> Nachdem durch schwere Regenfälle und dramatische Gletscherschmelzen das Hochwasser riesige Gebiete in vielen Landesteilen überflutet hat, leiden Millionen Menschen in Pakistan an Obdachlosigkeit, Hunger, Trinkwassermangel und Seuchengefahr.

Die Anarchosyndikalist*innen der Workers‘ Solidarity Federation (WSF-IAA), die teilweise selbst ihr Zuhause verloren haben, sind seit Wochen unermüdlich im Einsatz, um wenigstens einigen betroffenen Menschen mit Materialspenden direkte Hilfe zu leisten.

Drei Leute stehen vor einem großen Wasserbehälter

Sie sind in den meistbetroffenen Gebieten Sindh, Khyber Pukhtoonkhwa und Balutschistan aktiv und versuchen mit verschiedenen Methoden der gegenseitigen Hilfe die notleidende Bevölkerung zu versorgen.

Neben der Verteilung von Lebensmittelpaketen und Moskitonetzen haben sie in einigen Obdachlosenlagern auch Wasserbehälter aufgestellt, da die verdreckten Fluten mit Unrat und Chemikalien verseucht sind. Auch planen die Basisgewerkschafter*innen noch mehr Hygieneprodukte, Medikamente und Zelte liefern zu können. Daher geht die internationale Spendenkampagne für die selbstorganisierte Hilfe vor Ort weiter:

PayPal (in Britischem Pfund)
https://www.paypal.com/pools/c/8NfSnN0RXl

Eine der überfluteten Regionen ist Balutschistan, eine Provinz mit reichhaltigen Rohstoffen, die aber von der islamistischen Staatsführung stark ausgebeutet und vernachlässigt wird. Mit den dortigen Erdgasvorkommen wird zwar das ganze Land beliefert, aber für die Leute gibt es keine Gas- oder Stromversorgung. Die Menschen leiden auch unter starker Repression, denn tausende unliebsame Einwohner*innen sind  „verschwunden“. Sie werden von Sicherheitskräften entführt, hunderte von ihnen wurden später gefoltert und tot aufgefunden.

Um gegen die Misswirtschaft durch die autoritäre Verwaltung in Balutschistan zu protestieren, haben Mitglieder der WSF sogar eine Hauptstaße blockiert und auf die Unterversorgung aufmerksam gemacht. Denn auch einen Monat nach der Flutkatastrophe stehen die Gebäude immernoch unter Wasser und die Regierung hat die Bevölkerung bisher nicht ausreichend versorgt. Daher wird die Basisgewerkschaft mit gegenseitiger Hilfe und direkten Aktionen den Kampf der Menschen für ihre Recht weiter unterstützen.

Mehr Infos:
„Pakistan: Hilfsaktion für Flutopfer“
https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2022/08/28/pakistan-hilfsaktion-fuer-flutopfer/

zwei Männer* sitzen am Boden und verpacken Lebensmittellieferungen in Plastiktüten

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Pakistan: Hilfsaktion für Flutopfer https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2022/08/28/pakistan-hilfsaktion-fuer-flutopfer/ Sun, 28 Aug 2022 19:08:54 +0000 http://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/?p=1127 Continue reading Pakistan: Hilfsaktion für Flutopfer ]]> Von den schwersten Überflutungen in der Geschichte der südasiatischen Republik sind etwa 70% der Bevölkerung betroffen. Etwa tausend Menschen starben bereits infolge des seit Juni andauernden Monsunregens und Millionen sind durch das Hochwasser obdachlos geworden.

Während die Masse der verarmten Bevölkerung nichts zu essen und kein Dach über dem Kopf hat, versagt die Regierung bei der Katastrophenhilfe absolut, da die Politiker*innen gegeneinander um die Macht kämpfen.

Zwar ist das islamisch geprägte Land vom Klimawandel stark betroffen, aber niemand spricht dort darüber. Vor allem die Regionen Belutschistan, Khyber Pakhtunkhwa, Punjab und Sindh leiden unter den Überschwemmungen, vor denen Tausende fliehen mussten.

Zwar versuchen Einzelpersonen in dieser schwierigen Zeit Hilfe zu leisten. Auch die Workers‘ Solidarity Federation (WSF-IAA) in Quetta arbeitet Tag und Nacht hart, um die Not der Bevölkerung zu lindern. Mit ihren begrenzten Mitteln bieten die Anarchosyndikalist*innen vor Ort Unterstützung durch Essenslieferungen an.

Essenspakete werden aus einem PWK heraus verteilt (Foto: WSF)Sie haben daher einen Spendenaufruf zur Nothilfe für die Flutopfer eingerichtet, damit auch Genoss*innen aus anderen Ländern sich an der Aktion beteiligen können. Ihr Ziel ist der Aufbau einer Bewegung für Gegenseitige Hilfe und dafür brauchen sie unsere internationale Solidarität!

Spendenkonto (PayPal):
https://www.paypal.com/pools/c/8MCuGLE0xR

Kontakt zur WSF:
[email protected]

 
Essenspakete werden an mehrere Männer* verteilt (Foto: WSF)
 
CC: BY-NC (ASN Köln)
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Anarchosyndikalismus und Klimawandel https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2022/08/21/anarchosyndikalismus-und-klimawandel/ Sun, 21 Aug 2022 12:20:26 +0000 http://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/?p=1119 Continue reading Anarchosyndikalismus und Klimawandel ]]> Ein Diskussionsbeitrag aus der CNT-IAA Frankreich

In der Internationalen Arbeiter*innen-Assoziation (IAA) wurde zu einer Diskussionsgruppe über die Frage der anarchosyndikalistischen Herangehensweise an das Problem des Klimawandels eingeladen. Hiermit möchte ich den Stand meiner persönlichen Überlegungen beitragen, die jedoch durch den Austausch, die Debatten und die Erfahrungen von gemeinsamen Kämpfen mit den Genossen*innen der CNT-IAA in Frankreich entstanden sind.

Seit über 30 Jahren haben wir, wie viele Sektionen der IAA, an ökologischen Kämpfen im Zusammenhang mit der bevorstehenden Klimakrise teilgenommen. Unsere Beteiligung an diesen Kämpfen hatte immer einen zweiseitigen Ansatz: Einerseits das Umweltproblem in seinem weltweiten Zusammenhang (Kapitalismus, Staat) anzugehen, aber andererseits auch eine alternative, mehr gleichberechtigte Organisationspraxis durch Vollversammlungen anzustreben…

Wir haben bei vielen Bewegungen (gegen Atomkraft und petrochemische Fabriken usw.) mitgemacht, in verschiedenen „ZAD“ (Verteidigungszonen: Besetzungen von Naturräumen gegen Baustellen, z.B. in Vingrau, Somport, Sivens,…). Zuletzt haben wir den Kampf gegen einen lokalen Staudamm unterstützt, der anscheinend dem Kampf der serbischen Genoss*innen der ASI [Anarcho-Syndikalistische Initiative] gegen dortige Mini-Wasserkraftwerke gleicht.

Um die Frage nach anarchosyndikalistischen Maßnahmen gegen die Klimakrise zu beantworten, scheint es mir zunächst notwendig, ein besseres Verständnis für die Krise zu entwickeln, woher sie kommt, welche Ursachen und Folgen sie hat. Eine der Aktivitäten, an denen wir uns beteiligt haben, war der Beginn einer Debatte zwischen unseren Mitgliedern und Freund*innen über diese Krise und ihre Bedeutung. Dabei haben wir uns über moderne Technologien und die Wissenschaft ausgetauscht. In der Öffentlichkeit herrscht die Meinung vor, dass zur Lösung der Klimakrise die Wissenschaft und moderne Technologie vollständig genutzt werden müssten. Dies könnte aber zu einer Diktatur von Expert*innen und Techniker*innen führen. Im Gegensatz dazu gibt es Leute, die „Industriegegner*innen“ [dt.: Primitivist*innen] genannt werden, die der Meinung sind, dass die gesamte Zivilisation zerstört werden müsse.

Nach aktuellem Stand unserer kollektiven Reflexion stehen wir zwischen diesen beiden Polen und sprechen uns für einen begrenzten und gemäßigten Einsatz von Technologien aus. Die lokalen Versammlungen sollten entscheiden, was ihre Bedürfnisse sind und wie sie produzieren möchten. Das bedeutet, selbst zu bestimmen, welche Technologie annehmbar oder nicht akzeptabel ist. Diese technologische Frage hat auch Auswirkungen auf die Arbeit und deren Organisation (Automatisierung, Künstliche Intelligenz, Uberisierung). Daher sollten wir uns als Anarchosydikalist*innen darüber austauschen und versuchen, die Meinung der anderen IAA-Sektionen zu erfahren.

Wie wir jedoch konkret gegen die Klimakrise vorgehen können, dazu gibt es meiner Meinung nach zwei Ebenen: Auf globaler Ebene sehen wir keinen anderen Ausweg als die Revolution, also die Zerstörung des Kapitalismus und stattdessen der Aufbau eines selbstorganisierten Netzwerks von Föderationen. Aber es ist definitiv ein langfristiges Ziel….

In Frankreich gab es bereits zahlreiche Kundgebungen und Demos, um vor der Klimakrise zu warnen und die Regierung zu bitten, auf Grundlage wissenschaftlicher Berichte zu handeln. Diese Demonstrationen wurden oft organisiert von Gruppen wie „Extinction Rebellion“, um eine der medienwirksamsten zu nennen. Wir sind jedoch ziemlich misstrauisch gegenüber dieser Gruppe, ihren Methoden und ihren Formulierungen. Sie stören sich nicht grundsätzlich am Kapitalismus, sondern kritisieren eher den Neoliberalismus. Und sie bitten die Regierung zu handeln, während wir die Regierung abschaffen wollen. Nach unserem Verständnis handelt es sich bei deren Forderung nach einer wissenschaftlichen Lösung meist um einen Ruf nach „grünem Kapitalismus“.

Beispielsweise arbeitet eines unserer Mitglieder für ein Unternehmen, dessen Tochtergesellschaft „veganes Fleisch“ (aus Zellkulturen) entwickelt. Dieses Unternehmen unterstützt heimlich die vegetarische Bewegung, da diese dem Unternehmen dabei hilft, einen Markt für sein zukünftiges Produkt zu schaffen und zu erweitern. Auch die gesamte aktuelle Wissenschaftsdebatte über „Präzisionslandwirtschaft zur Bewältigung der Klimakrise“ wird in der Tat offiziell von allen großen Unternehmen und multinationalen Lebensmittelunternehmen unterstützt…

Zudem bedeutet die Forderung, alle Entscheidungen den wissenschaftlichen und technischen Expert*innen zu überlassen, sie der Bevölkerung abzunehmen und in die Hände von Expert*innen und Großunternehmen zu legen…

Das bedeutet nicht, dass wir nicht auf die Wissenschaft oder auf Wissenschaftler*innen hören sollten. Aber Wissenschaft ist nicht neutral, denn sie steht immer im Dienst einer bestimmten Politik. Daher steht die Politik – oder wenn man so will, die Ideologie – immer an erster Stelle. Die Wissenschaft kann jedoch den lokalen Vollversammlungen, welche die Entscheidungen treffen sollten, ihre Möglichkeiten zur Bewertung bereitstellen, aber nicht der Regierung oder dem Staat.

Bisher haben wir uns nicht dafür entschieden, an diesen Klimademos teilzunehmen, da wir mit anderen Themen beschäftigt sind, wie der Bewegung der Gelben Westen. Interessant ist jedoch, dass diese selbst die Verbindung zur Klimakrise hergestellt hat: Die Gelbwesten-Bewegung wurde durch die Frage der Kraftstoffsteuer ausgelöst. Denn Menschen, die Schwierigkeiten haben, bis zum Ende des Monats mit ihrem niedrigen Gehalt zu überleben, wollten, dass der Kraftstoffpreis sinkt.

Die Regierung, die konservativen Politiker*innen, aber auch die Umweltschützer*innen (Grüne Partei / EELV) schimpften auf die Gelben Westen und warfen ihnen vor egoistisch zu sein, weil sie nicht an die Umwelt denken würden. Und dass sie nur das Recht einfordern würden, mit ihren Autos die Natur noch weiter zu verschmutzen, usw. Die Reaktion der Gelben Westen war sehr interessant, denn diese Frage wurde in vielen lokalen Versammlungen (den besetzten Verkehrskreiseln) diskutiert.

Aus diesen Debatten ist dann eine gemeinsam formulierte Antwort entstanden, ohne dass diese durch Koordination erzwungen wurde. Diese Antwort wurde diskutiert und schließlich von den meisten Versammlungen angenommen und damit zum gemeinsamen Ausdruck der Bewegung: Wenn die Gelben Westen mit ihrem Auto fahren, um zur Arbeit, zur Schule oder zum Supermarkt zu gelangen, dann tun sie dies nicht durch freie Entscheidung, sondern weil die Organisation der Gesellschaft sie dazu zwingt. Sie würden es vorziehen, in reichen bürgerlichen Gegenden zu leben, mit dem Fahrrad zur Arbeit zu fahren oder zu Hause zu bleiben, um mit ihrem Computer zu arbeiten, und sie würden auch gerne Bio-Produkte kaufen und essen…

Aber sie haben aufgrund der Arbeitsteilung und des Klassensystems keine Wahl. Außerdem stellten die Gelben Westen fest, dass beide Probleme (wie man bis zum Ende des Monats überlebt, wie man bis zum Ende der Welt überlebt) miteinander verbunden sind. Die sozialen Probleme und die ökologischen Probleme bedingen einander und daher müssen wir unsere Gesellschaft als Ganzes verändern.

In diesem Zusammenhang ist interessant, dass der Aufstand von 2019 in Ecuador aus ähnlichen Gründen stattgefunden hat und ebenfalls solche Schlussfolgerungen gezogen hat. Nach Angaben der equadorianischen anarchistischen Genoss*innen, mit denen wir uns ausgetauscht haben, hatte ebenfalls die Frage der Kraftstoffpreise die Proteste entzündet. Umweltschützer*innen (in den Städten) beschuldigten auch dort die Aufständischen, dass sie bloß ihr Recht einfordern würden, Mutter Natur weiter zu zerstören…

Und die lokalen Versammlungen – sowohl städtische, wie auch indigene – haben geantwortet, dass sie im Gegenteil bloß die Möglichkeit haben wollen, in einer erhaltenen Umwelt in Würde zu leben. Und dass die Organisation der Wirtschaft sowohl ihr Leben, wie auch ihre natürliche Umwelt zerstöre.

Während der Gelbwesten-Bewegung (ähnlich wie in Ecuador) entstand ein Solidaritätsnetzwerk, um sich gegenseitig mit Nahrung zu versorgen, Waren und Dienstleistungen zu teilen. Sehr oft haben die Menschen die Klimafrage berücksichtigt (beispielsweise Fahrgemeinschaften, um die Verschmutzung zu verringern). Natürlich fand dies nur in kleinem Maßstab und zeitlich begrenzt statt, aber es zeigt, dass die Menschen das Problem vollkommen verstehen können und danach handeln. Sie brauchen keine Expert*innen, um ihnen zu sagen, was zu tun ist oder was nicht. Wir sind überzeugt, dass dieses Beispiel zeigt, dass die anarchosyndikalistische Methode der Vollversammlungen für die Entstehung von kollektivem Bewusstsein und Handeln durchaus gültig ist.

Ein weiteres Problem, das wir bei Gruppen wie „Extinction Rebellion“ sehen, aber auch bei einigen angeblichen Aufständischen (wie der Gruppe „Tiqqun / „Der kommende Aufstand“), die bei diesen Klimademos oder in den ZAD sehr präsent sind, ist die Verwirrung, welche sie mit dem Begriff „direkte Aktion“ verursachen. Sie verwechseln die tatsächliche direkte Aktion (ein Handeln ohne Vertreter*innen, nur durch die Beteiligten) mit einer „spektakulären Aktion“ (entweder gewalttätig oder medial). Tatsächlich streben beide Gruppen an, die Führung der Klimabewegung zu übernehmen und sich als Medienvertreter*innen darzustellen. Das sind bloß zwei Seiten der gleichen Medallie und in Vergangenheit sind wir bei einigen Kämpfen mit ihnen aneinander geraten.

SCHLUSSFOLGERUNG:

Ich bin überzeugt, dass wir Anarchosyndikalist*innen in den Sektionen der IAA eine Rolle spielen könnten, indem sie ein Netzwerk für den Austausch von Informationen, Analysen und theoretischen Meinungen bieten, aber auch durch lokale Kämpfe, an denen wir teilnehmen. Die Mitgliedsorganisationen sollten nach Möglichkeit ermutigt werden, ihre Dokumente weiterhin zu übersetzen und direkt mit den anderen Sektionen zu teilen (nicht nur bei diesem Thema). Dieser Austausch könnte zur Klimafrage, sowie zu anderen Debatten, vielleicht Anregungen und Koordinierungen zwischen den Sektionen entstehen lassen.

Ein Genosse der CNT-IAA (Frankreich)

Quelle: Anarchosyndicalisme, No. 176 (CNT-AIT Toulouse, Mars-Avril 2022),
https://cntaittoulouse.lautre.net/spip.php?article1217

Übersetzung [und Anmerkungen]: ASN Köln (https://asnkoeln.wordpress.com)

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