Das Regime verfolgt eine Strategie der „Gebietsüberflutung“ (flood the zone), um Medien und Opposition mit „Furcht und Schrecken“ (shock-and-awe) abzulenken, zu verwirren und zu überwältigen. Die Taktik von Drohung und Einschüchterung zielt auf eine Lähmung durch Angst ab. Daher ist es um so wichtiger zu betonen, dass Organisierung und gemeinsame Aktionen uns die Kraft geben zurückzuschlagen.
Nach der Struktur der US-Verfassung hat der Kongress die Macht Gelder zu verteilen und Gesetze zu erlassen, sowie Behörden und unabhängige Verwaltungsräte einzurichten. Sobald diese Entscheidungen beschlossen wurden, können ein*e Präsident*in (oder Mitglieder des Kabinetts) diese Behörden oder Geldmittel nicht einfach auf eigene Faust wieder abschaffen, denn das wäre unrechtmäßig. So muss der Präsident nach dem Haushaltsgesetz zur Rückhaltungskontrolle [Impoundment Control Act] von 1974 jeden Cent ausgeben, den der Kongress für einen vom Kongress bestimmten Zweck vorgesehen hat. Kürzlich warnte die republikanische Senatorin Susan Collins in einem Schreiben Trump: „So wie der Präsident kein Einzelveto hat, verfügt er auch nicht über die Fähigkeit sich die Notfall-Ausgaben selbst auszusuchen.“ Das trifft ebenso zu für alle Ausgaben, die der Kongress zweckgebunden verteilt hat.
Doch Trump weist diesen Aspekt der Verfassung zurück und sagt „Ich bin das Gesetz.“ Die Trump-Regierung muss sich nun zahlreichen Gerichtsverfahren stellen. Allein die Anklagen wegen fehlerhafter Wortwahl werden die Steuerzahler*innen wahrscheinlich viele Millionen Dollar kosten. Ein*e Gewerkschaftsanwält*in meinte dazu:
„Die Kündigungen, die sie aussprechen ohne das Gesetz zu beachten, werden dazu führen, dass tausende ehemalige Bundesangestellte Anspruch auf Nachzahlung plus Zinsen, Zuschläge und Anwaltskosten bekommen werden. Wenn die Rechnung kommt, wird sie riesenhoch sein.“
Diese Gesetzesverstöße sind bewusst Bestandteil der MAGA-Regierung [1]. Sie sind ein Versuch, die Leitplanken der US-Verfassung niederzureißen, um ein einheitliches, autokratisches Präsidialregime einzuführen. Da die Verfassung der Vereinigten Staaten nicht sehr demokratisch ist und der Präsident die mächstigste Rolle hat, bestand immer eine mögliche Gefahr. Trump hat zweifellos die rechtlichen Anfechtungen vorausgesehen, welche nun die Gerichte durchlaufen. Ein Bundesrichter hat die Wiedereinstellung von tausenden Bundesangestellten angeordnet, nachdem die Gewerkschaft der Bundesangestellten [American Federation of Government Employees] eine Klage eingereicht hat. Ein anderes Gericht hat die Wiedereinstellung in weiteren Behörden beschlossen, da die Verwaltungen einzelner Bundesstaaten geklagt haben. Trump legte gegen das Urteil Widerspruch ein, aber hat nun zugestimmt, 25.000 gekündigte Leute wieder einzustellen. Die MAGA-Regierung hofft darauf, mit Hilfe ihrer rechten Handlanger*innen im Obersten Gerichtshof und einer mutlosen republikanischen Mehrheit im Kongress die althergebrachten Grundpfeiler der Verfassung zerschlagen zu können.
Eine andere Taktik von MAGA ist die Einschüchterung. [Die Nachrichtenagentur] Reuters berichtet, dass mehrere Bundesrichter*innen im Bereich Washington DC anonyme Pizza-Bestellungen nach Hause geliefert bekommen haben. Die Polizei interpretiert diese Geste als „eine Form der Einschüchterung, um mitzuteilen, dass die Adresse der Opfer bekannt ist“. Das Trump-Regime wird vermutlich auch den geschwächten Kongress der Republikanischen Partei befragen, um sein Vorgehen bestätigen zu lassen.
Elon und seine „muskrats“ [Moschus-Ratten] behaupten, dass sie „Korruption, Schwindel und Verschwendung“ vorfinden. Während Trump jene unabhängigen Überwachungsbeauftragten rechtswidrig gekündigt hat, deren Job es tatsächlich war, „Korruption, Schwindel und Verschwendung“ gründlich aufzuspüren. Der Kongress hat schon vor Jahren verschiedene Verwaltungsräte eingesetzt, deren Mandate noch während dieser vierjährigen Präsidentschaftszeit weiterbestehen. Das war so beabsichtigt, damit ihre Unabhängigkeit erhalten bleibt.
Beispielsweise der Nationale Ausschuss für Arbeitsbeziehungen [National Labor Relations Board], der Arbeiter*innen einigen Schutz bieten kann, zum Beispiel Wiedereinstellung nach Kündigung wegen gewerkschaftlicher Organisierung. Doch Trump hat ein Mitglied des Nationalen Ausschusses für Arbeitsbeziehungen illegal rausgeworfen und durch einen gewerkschaftsfeindlichen Handlanger ersetzt. Außerdem hat Trump eine rechtswidrige Durchführungsverordnung [Executive Order] erlassen, um gewerkschaftliche Rechte oder Tarifverhandlungen für viele Bundesangestellte zu untersagen. Nach Angaben von Labor Notes [2] sind „[e]rsten Schätzungen zufolge davon 700.000 bis 1 Million Bundesangestellte betroffen, darunter die Verwaltung der Veteran*innen (Veterans Administration, VA) und die Ministerien für Verteidigung, Energie, Äußeres, Inneres, Justiz, Finanzen, Gesundheit und Soziales, sogar die Landwirtschaft.“
In diesem Angriff klingt noch die Zerschlagung der Fluglots*innen-Gewerkschaft im Jahr 1981 nach. Bisher hat Trump noch nicht gewagt die Postgewerkschaften anzugreifen. Eine halbe Millionen Postarbeiter*innen sind die größte Gewerkschaft der Bundesbeschäftigten. Der Vernichtungsfeldzug von Trump-Musk hat auch die Verbraucher*schutzbehörde [Consumer Financial Protection Bureau] ins Visier genommen, welche Milliarden Dollar an den Leute zurückzahlen ließ wegen illegal erhobenen Bankgebühren oder anderem Unternehmensbetrug. Auch wenn dies von eine*r Richter*in gestoppt wurde, legt Trump Widerspruch gegen diese Gerichtsentscheidung ein. Er hat auch verbotenerweise die Postbehörde übernommen, indem er den Verwaltungsrat entlassen hat.
Diese Kündigungen haben bereits schwere Auswirkungen. Doug Collins, Trumps neuer Chef der Veteranen*verwaltung, plant die Kürzung von 80.000 Stellen in der VA. Zu den ersten Tausend gefeuerten VA-Mitarbeiter*innen gehörten „Sachbearbeiter*innen, welche den Veteran*innen die Behandlung bei Krebs, Atemwegserkrankungen, fehlenen Gliedern und Opioid-Abhängigkeit ermöglichten.“Das Landwirtschaftsministerium wurde gezwungen 6.000 gekündigte Mitarbeiter*innen wieder einzustellen, hauptsächlich Arbeiter*innen für Waldpflege bei der Forstverwaltung, nachdem die Leistungsprinzip-Schutzstelle [US Merit Systems Protection Board] dies angeordnet hatte.
Gleichzeitig plant Leland Dudek, Trumps neuer Chef der Sozialversicherung, die Hälfte der 60.000 Mitarbeiter*innen der Behörde zu feuern und viele ihrer Büros zu schließen. Dadurch wird es den Menschen sehr schwer gemacht werden, direkt nach dem Renteneintritt ihre Auszahlungen zu bekommen. Die Wartezeiten der Sozialversicherungsbehörden werden unerträglich lang werden. Die Unterfinanzierung von Dienstleistungen wird von rechten Regierungsbehörden benutzt, um die öffentliche Unterstützung zu untergraben und eine Privatisierung vorzubereiten. Die Privatisierung der Sozialversicherung ist seit Jahrzehnten ein Wunsch der Wall Street [3].
Ein weiterer illegaler Akt ist die Anordnung von Trump, dass man für die Anmeldung zu Wahlen künftig einen Lichtbildausweis benötigt, der sogenannte „Real ID“-Standards erfüllt. Um so einen Ausweis zu erhalten, benötigt man Dokumente, die manche Leute nicht haben. Auch können viele Arme sich nicht den Weg zu einem Kraftfahrzeugamt leisten. [4] Damit würde gegen den Verfassungszusatz verstoßen, der eine Kopfsteuer (poll tax) untersagt. Diese Durchführungsverordnung ist rechtwidrig, da sie festlegt, wer zum Wählen zugelassen wird. Wie andere Maßnahmen zur Unterdrückung der Wahlen, ist dies ein Versuch, die Herrschaft der Republikaner*innen zu festigen. Die Republikanische Partei hat im Kongress außerdem das SAVE-Gesetz [5] eingebracht, welches Millionen Menschen entrechten würde.
Das Gerede vom „Tiefen Staat“ verdeckt Angriffe auf den öffentlichen Dienst
Als Anarchosyndikalist*innen sind wir gegen einen von oben herrschenden, bürokratischen Staat. Denn der Staat ist ein Mittel zur Unterdrückung der Arbeiter*innen-Opposition, indem er die Arbeiter*innen der von oben verwaltenden Hierarchie des Staates unterordnet. Aber wir sind nicht gegen den Öffentlichen Dienst, im Gegenteil: Wir wollen, dass er ausgeweitet wird, wie zum Beispiel durch freie Bildung für Schüler*innen aller Stufen, frei verfügbare allgemeine Gesundheitsversorgung und kostenlose Abtreibung auf Wunsch.
Nach unserer Vorstellung wären die Krankenhäuser, Gesundheitszentren und Medikamenten-Fabriken im Land selbstverwaltet durch eine demokratisch von den Arbeiter*innen kontrollierte Organisation, aber nicht durch eine Bürokratie von Manager*innen. Wir können uns einen Postdienst vorstellen, der ebenso von einer solchen demokratischen Belegschaftsorganisation unter Kontrolle der Arbeiter*innen betrieben wird. Im Allgemeinen möchten wir die gesamte Wirtschaft auf Grundlage der Arbeiter*selbstverwaltung neu-organisieren – mit verteilter Entscheidungsfindung und vereinigt in einer sozialen Föderation, welche die Unternehmen und die bürokratische Staatshierarchie ersetzt.
Trotz des Geredes von MAGA über irgendeinen geheimen „Tiefen Staat“ richten sie ihre Angriffe direkt auf die öffentlichen Dienstleistungen, welche von der Bundesregierung angeboten werden: von der Sozialversicherung der „Volksrente“ [people’s pension] über die medizinischen Leistungen von Veteranen*verwaltung oder Medicaid [6] bis zur finanziellen Unterstützung von Studierenden. Die Leute, die entlassen wurden, sind keine geheime Zentralverwaltungsmacht, sondern Arbeiter*innen, die ihre Arbeit machen – für öffentliche Dienste zu sorgen, welche die Amerikaner*innen zu erwarten gewohnt sind.
Mehr als ein Jahrhundert lang haben die Politiker*innen der Bundesregierung zwischen einerseits den Massenprotesten der Mittelklasse und Arbeiter*klasse und andereseits der kapitalistischen Oligarchie [7] zu vermitteln versucht, welche die herrschende Macht in diesem Land ist. Diejenigen, welche den Staat anführen, müssen auch in der Lage sein zu regieren. Das Ausmaß von sozialen Unruhen und Massenkämpfen zu verringern macht ihre Arbeit leichter. Daher waren die Sozialversicherung, der Mindestlohn und minimaler Rechtsschutz für Arbeiter*innen bei Betriebskämpfen und gewerkschaftlicher Organisierung durch das Nationale Gesetz zu Arbeitsbeziehungen [National Labor Relations Act] ein Zugeständnis, welches in den 1930er Jahren durch den massenhaften Aufstand der Arbeiter*klasse in Wellen von Massenstreiks und Kämpfen gegen Zwangsräumungen usw. gewonnen wurde.
Eine Welle von Massenstreiks für den Acht-Stunden-Tag während des Ersten Weltkriegs [1914-‘18] haben erreicht, dass die Regierung der Verkürzung des Arbeitstages auf acht Stunden zugestimmt hatte. Gesellschaftliche Proteste, wilde Streiks und städtische Aufstände haben in den 1960ern und 1970ern weitere Bundesprogramme als Zugeständnisse an die damaligen sozialen Bewegungen erreicht. So wie die Bürger*rechtsgesetze, Medicare, Gesetze für saubere Luft und Wasser, sowie die Gründung der Umweltschutz-Behörde [Environmental Protection Agency] und der Behörde für Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz [Occupational Safety and Health Administration].
Die verschiedenen linken „kämpferischen Minderheiten“ in der Szene spielten eine wichtge Role für die Bildung und Organisierung der Bevölkerung. Doch in den letzen Jahren ist die Arbeiter*bewegung schwach geworden. Trotz der jüngst unternommenen, vielversprechenden Versuche von selbstorganisierter Graswurzel-Bewegung von Arbeiter*innen sind nur sechs Prozent der Arbeiter*innen im privaten Bereich in einer Gewerkschaft. Nimmt man die Gewerkschaftsmitglieder im Öffentlichen Dienst hinzu, so steigt die Zahl auf zehn Prozent aller Lohnabhängigen.
Die radikale Linke in den USA befindet sich ebenfalls in einem schwachen Zustand. Der Autoritarismus [7] und das Scheitern des Staatssozialismus im 20. Jahrhundert trugen zu einer nachlassenden Unterstützung des Sozialismus bei, auch wenn einige Strömungen der Linken immernoch den überkommenen Ideen dieser Zeit anhängen.
Eine Fraktion der amerikanischen Kapitalist*innen, ihre Denkfabriken und ihre Unterstützer*innen in den sozialen Medien sehen in der aktuellen Schwäche der Linken und der Arbeiter*bewegung eine Gelegenheit. Ihre Gelegenheit für einen großangelegten politischen Angriff auf alle Programme der Bundesregierung, welche die gesamten Zugeständnisse der massenhaften Proteste und Kämpfe aus früheren Zeiten darstellen.
Extrem rechte Strömungen nähern sich an
In den letzten Jahrzehnten hat eine Fraktion der amerikanischen Oligarchie schrittweise dazu beigetragen eine rechtsextreme Massenbewegung zu finanzieren, die sich dann zu MAGA zusammengeschlossen hat. Obwohl diese Bewegung sich vom klassischen Faschismus der 1920er und 1930er Jahre unterscheidet, hat sie doch krasse Ähnlichkeit mit ihm. In den Jahrzehnten vor dem Zweiten Weltkrieg [1939-‘45] war der Faschismus eine Massenbewegung zur Zerschlagung der schnellwachsenden sozialistischen und sich radikalisierenden Arbeiter*bewegung jener Zeit, die als eine dunkle Bedrohung für das kapitalistische System wahrgenommen wurde.
Die heutige neo-faschistische Bedrohung durch MAGA unterscheidet sich von der früheren Form des Faschismus darin, dass es zur Zeit keine starke sozialistische Bewegung oder mächtige Arbeiter*kämpfe mehr gibt, welche eine aktuelle Bedrohung für den Kapitalismus darstellen würden. Doch es gibt auch Übereinstimmungen: Beispielsweise die Einschüchterung und die Drohung mit Strafverfolgung von angeblichen „Feind*innen“, sowie das Vertrauen auf die Macht gewalttätiger Bürger*wehren.
Aktuellen Umfragen zufolge sagen 11 Prozent der Erwachsenen in den USA, dass gewalttätige und nicht-verfassungsgemäße Angriffe auf angebliche Feind*innen berechtigt seien. Dieselbe Umfrage fand heraus, dass 14 Prozent eine nicht-verfassungsgemäße bewaffnete Gewalt unterstützen. Und daher die Begnadigung sogar derjenigen Leute befürworten, die am 06. Januar 2021 das Kapitol [9] angegriffen haben. Darüber hinaus unterstützen 14 Prozent die Zerschlagung der bestehenden US-Verfassung, indem die Autorität der Gerichte oder des Rechtsstaatsprinzips nicht anerkannt wird – was die Präsidentschaft als eine autokratische Macht definiert. Diese Ansichten sind eindeutig faschistisch.
So, wie MAGA von Teilen des privaten Kapitals auf vielerlei Weise finanziert wurde, wurden auch die früheren faschistischen Bewegungen anfänglich oft von Teilen der kapitalistischen Elite finanziert oder unterstützt. Ebenso wie die Klasse der Kleinunternehmer*innen den Kern der Wähler*massen von MAGA bildet, traf dies auch auf die klassischen faschistischen Bewegungen zu. Die MAGA-Bewegung erhebt oft absurde Vorwürfe, dass das von der gemäßigten Demokratische Partei eingeführte Regelwerk „sozialistisch“ oder „kommunistisch“ sei. Warum? Um dies zu erklären, müssen wir die weltanschaulichen Strömungen betrachten, welche in der MAGA-Bewegung zusammengekommen sind. In den USA gibt es eine lange Geschichte der extremistischen Ablehung eines Regierungsauftrags zum Schutz der Gesellschaft im Sinne einer Regelung des zerstörerischen Handelns des Kapitals oder zur Einrichtung von Sozialleistungssystemen.
Das Wort „liberal“ kam in den USA erstmals in den 1870er Jahren auf als politischer Begriff, um eine neue Fraktion in der Republikanischen Partei zu bezeichnen. Die Liberalen kritsierten die von Schwarzen Menschen angeführten, republikanischen Regierungen im Süden, welche versuchten Land und Dienstleistungen (wie Schulen) für die kurz zuvor befreite Schwarze Bevölkerung bereitzustellen. Die Liberalen wendeten sich gegen jedes Regierungshandeln zur Schaffung öffentlicher Hilfeleistungen oder von Gesetzen zum Schutz der Arbeiter*innen, wie die Gesetze zum Acht-Stunden-Tag oder gegen Kinderarbeit. Ein bekannter Vertreter dieser Sichtweise war der Yale-Professor William Graham Sumner, der mit seinen populären Schriften ein breites Publikum erreichte.
Sumner lehnte jede soziale Unterstützung für Menschen ab, die er als „schwach“ oder „minderwertig“ bezeichnete: die Armen, die Arbeiter*klasse, Schwarze Menschen und Frauen. Für Sumner war die kapitalistische Konkurrenz des „Jeder gegen Jeden“ durch die wirtschaftsliberale Nicht-Einmischung [Laissez-faire] „die natürliche Ordnung“ in der sich „der Kampf ums Dasein“ von selbst durchsetzen würde. Diese extreme Form des wirtschaftsliberalen Freihandels bildete eine Minderheit innerhalb der Republikanischen Partei in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg. In den 1960ern beschlossen Murray Rothbard und andere diese frühere Form des Liberalismus als „libertär“ zu bezeichnen.[10]
Hier sehen wir, warum MAGA behauptet, dass das Wohlfahrtssystem der Regierung und die Regulierung des Kapitalismus „sozialistisch“ oder „kommunistisch“ seien. Nur der freiwirtschaftliche „Kampf Aller gegen Alle“ sei für manche Republikaner*innen der „wahre“ Kapitalismus. Diese extremistische Haltung gegen jede Regelung durch eine Regierung spricht viele aus der Klasse der Kleinunternehmer*innen an, welche eine Belastung durch Regierungsvorschriften fürchten und die Gewerkschaften hassen. Aber Teile der kapitalistischen Oligarchie sahen bereits den Ausbau von Wohlfahrtsprogrammen und Umweltschutz-Vorschriften in den 1960er und 1970er als einen „Angriff auf das freie Unternehmer*tum“, wie der damalige Vorsitzenden der Handelskammer, Lewis Powell, formulierte.
Die extreme Form des „Libertarianismus“, wie Rothbards „Anarcho-Kapitalismus“ [11], möchte gerne die Demokratie loswerden und alle Staatsaufgaben privatisieren. Also Polizei und Gerichte direkt in Eigentum der kapitalistischen Oligarchie überführen. Dieses Verschmelzen von privater und öffentlicher Macht kennzeichnet eine neo-feudale Ideologie.[12] Den Bereich des Öffentlichen durch die „demokratischen“ Regierungen und Bürger*rechte abzugrenzen war ein zentrales Merkmal, in dem sich der Kapitalismus im 19 Jahrhundert von der vorausgegangenen feudalen Gesellschaft unterschied.
Die Philosophie der neo-faschistischen „Dunklen Aufklärung“ [dark enlightenment] von Curtis Yarvin [13], welche er Beginn der 2000er formulierte, hat sich aus dem „anarcho-kapitalistischen“ Millieu heraus entwickelt, das vor allem im Umfeld des kalifornischen TechBro-Kapitalismus vorkommt.[14] Yarvin betrachtet die Entwicklung des Liberalismus hin zum regelnden Staat als ein „Versagen“ des aufklärerischen Humanismus und Liberalismus. Er ist Software-Entwickler und Hausphilosoph des Milliardärs Peter Thiel, Geschäftsführer von Palantir. [15] Yarvins Plan ist es, die Demokratie abzuschaffen und die Welt umzuwandeln durch neo-feudale, multipolare Autokratien, welche unter direkter Kontrolle der Oligarchie stehen und von geschäftsführenden Herrscher*innen gelenkt werden. Seine Verteidigung der „Rassenlehre“ [race science] macht ihn darüber hinaus zu einem ausdrücklichen Rassisten.[16]
Die finanzielle Unterstützung durch Peter Thiel war wichtig für die politische Karriere von [US-Vizepräsident] JD Vance. Sowohl Vance, wie auch Musk, sind Anhänger von Yarvins Ideologie. Die Zerschlagung der Bundesregierung durch Musk kann als ein Versuch gesehen werden, den RAGE-Plan von Yarvin umzusetzen: „Alle Bundesangestellen in Ruhestand schicken“ [Retire All Government Employees]. Bei anderer Gelegenheit hat Musk zugegeben, dass es bei DOGE [17] nicht darum geht Geld einzusparen, sondern „eine Machtgrundlage des Liberalismus zu zerstören“.
Mit seinen christlich-nationalistischen Tätowierungen hat der [US-Verteidigungsminister] Pete Hegseth sein weltanschauliches Bekenntnis in die Haut eingebrannt.[18] Die Christlichen Nationalist*innen [19] unterstützen das geplante „Projekt 2025“, das ebenfalls dazu aufruft eine große Anzahl von Regierungsmitarbeiter*innen zu entlassen.[20] Und hierbei sehen wir die Annäherung der unterschiedlichen Ideologien der extremen Rechten. Wie in einem Artikel [des Magazins American Progress] kürzlich berichtet wurde, steht der Christliche Nationalismus für „die anti-demokratische Vorstellung, dass Amerika eine Nation von und ausschließlich für Christ*innen sei. (…) Der Christliche Nationalismus trägt zu einer Ideologie der religiösen Rechten bei“ und deren Praxis des „Umgehens von Gesetzen und Regelungen, die dem Schutz einer vielfältigen Demokratie dienen, wie der Schutz vor Diskriminierung für LGBTQI+Personen [21], Frauen und religiöse Minderheiten.“ Die patriarchale Weltsicht [22] der religiösen Rechten ist der Grund für ihren Krieg gegen Abtreibungen.
Die MAGA-Bewegung unterscheidet sich vom Faschismus der Jahre vor dem Zweiten Weltkrieg jedoch darin, dass sie die direkte Kontrolle der Staatsmacht durch Teile der kapitalistischen Oligarchie anstrebt. Das Regime hat nicht nur den reichsten Mann der Welt eingesetzt, um „den Verwaltungsstaat zu zerschlagen“, sondern dem Kabinett von Trump gehören 13 Milliardäre an. Das hat vielmehr mit der „anarcho-kapitalistischen“ Ideologie zu tun, deren Wurzeln im Zeitalter der Räuberbarone der Gründerzeit [Gilded Age] des späten 18. Jahrhunderts liegt.[23]
Jedoch haben die Suche nach Schuldigen (wie die zwanghaften Angriffe auf Trans*personen), die Angriffe auf Migrant*innen, sowie der kaum verborgene Rassismus und die Frauen*feindlichkeit der MAGA-Bewegung durchaus Ähnlichkeiten mit dem klassischen Faschismus. Sie sind Methoden der Einschüchterung und Drohung gegen den staatlichen Schutz ihrer politischen „Feinde“. Die Streichung des Klimaschutzes und der „DEI“-Sprache [24] von Bundeswebseiten sind eine Form des Orwell’schen Neusprech.[25]
Die USA wurden gegründet auf der Vorstellung einer Weißen Vorherrschaft, um die Versklavung von Menschen aus Afrika zu rechtfertigen und den indigenen Gemeinschaften das Land wegzunehmen. Dies hat sich tief in die Weiße Bevölkerung der USA eingegraben. Von der Bewegung des Abolitionismus [26] im 19. Jahrhundert bis zur Schwarzen Freiheitsbewegung der 1960er wurde dem gesamten Rassismus schon seit langem etwas entgegen gesetzt. Doch die Erfolge zur Verbesserung der Möglichkeiten von Nicht-Weißen Gruppen in den USA (bei Bewerbungen und Bankkrediten oder im Schulwesen) wurden von einem recht großen Teil der Weißen Bevölkerung abgelehnt und das sind die Leute, die nun von MAGA angesprochen werden.
Viele MAGA-Fans bezeichnen diese Bemühungen als „Rassismus gegen weiße Menschen“. Eine Frau* oder eine Schwarze Person einzustellen kann als ungerechtfertigte „DEI“-Anstellung abgewertet werden. Beim Rassismus geht es ausdrücklich auch um den Hass auf die öffentliche Wohlfahrt, da sie „Diesen Leuten“ zugute kommen könnte, welche von den knallharten MAGAs verachtet werden. Die Ideologie der Weißen Vorherrschaft war ausdrücklich ein Teil von Trumps aktueller Durchführungsverordnung zum Angriff auf die [Forschungs- und Bildungseinrichtung] Smithonian Institution. Er verwies dabei auf eine Ausstellung mit dem Titel „Die Form der Macht: Geschichten von Rasse und amerikanischer Skulptur“. Trump beschwerte sich darüber, dass in der Ausstellung den Satz verwendet: „Rasse ist eine gesellschaftliche Erfindung.“ Und er merkte dazu an, die Ausstellung „fördert die Ansicht, dass Rasse nicht eine biologische Tatsache ist, sondern ein soziales Konstrukt“. Auf die Realität von Rassismus, Sexismus und anderen Formen der Unterdrückung hinzuweisen sei ein fehlerhafter „Geschichtsrevisionismus“ [27], wie Trump es nennt.
Bei „Rasse“ handelt es sich jedoch tatsächlich um eine Erfindung. Die koloniale Elite in Nordamerika entwickelte gegen Ende des 17. Jahrhunderts die Idee einer Trennung von „weißer Rasse“ und „schwarzer Rasse“, um den Aufbau ihres Systems lebenslanger Sklaverei ausschließlich für die Menschen mit afrikanischer Abstammung zu rechtfertigen. Berufsorganisationen aus Biologie und Anthropologie haben erklärt, dass „Rasse“ eine Pseudo-Wissenschaft ist, da das Konzept von biologischen [Menschen-]Rassen keine belegbare Grundlage hat. Es war ein Mythos, der geschaffen wurde, um den Interessen der Kolonist*innen und sklavenhaltenden Plantagen-Besitzer*innen zu dienen.[28]
Das Verteidigungsministerium unter Pete Hegseth entfernte anfangs tausende Seiten und Bilder von Frauen*, Navajo, japanisch-amerikanischen und Schwarzen Militärangehörigen von den Webseiten der Regierung als Teil ihres Angriffs auf „DEI“ (einige dieser Seiten wurden nach einem Aufschrei aus der Bevölkerung wieder hergestellt). John Ullyot, der Pressesprecher des [Verteidigungsministeriums] Pentagon, erklärte: „Für das Verteidigungsministerium ist DEI gestorben. Die Diskriminatorische Gleichheitsideologie ist eine Form des woken Kulturmarxismus, die in unserem Militär keinen Platz hat.[29; 30] Sie spaltet die Kräfte, untergräbt den Zusammenhalt der Einheit und stört den Dienst bei seinem zentralen Auftrag der Kriegsführung“.
„Kulturmarxismus“ ist eine antisemitische, neo-faschistische Verschwörungstheorie, nach der eine kleine Gruppe marxistischer Intellektueller (die Frankfurter Schule [31]) irgendwie verantwortlich sei für die städtischen Aufstände, Bürger*rechts-Kämpfe und sozialen Bewegungen der 1960er Jahre. Was „die Kräfte spalten“ betrifft, so ist hingegen genau dies die Folge von Rassismus und Frauen*feindlichkeit.
Obwohl die sich um Trump versammelnde MAGA-Bewegung neo-faschistische Züge trägt, handelt die Trump-Regierung mehr oder weniger innerhalb der übernommenen Strukturen der US-Regierung und hat noch kein komplett faschistisches, autokratisches Regime errichtet. Daher gibt es noch Widerstand von einigen Richter*innen, sowie von staatlichen und lokalen Behörden. Und im ganzen Land kommt es zu Straßenprotesten gegen MAGA.
Der MAGA-Angriff auf den Grünen Wandel
Der Kampf gegen die globale Erwärmung ist unerlässlich, um einen bewohnbaren Planeten für künftige Generationen zu hinterlassen. Die weltweite Erwärmung wird anheizt durch die Verbrennung fossiler Brennstoffe. Da die schmutzige Verbrennung fossiler Energieträger den Planeten erhitzt, wird es zunehmend häufiger zu tödlichen Hitzewellen, stärkeren Stürmen und steigenem Meeresspiegel kommen. Ein gemeinsames Ziel der Bewegung für Klimagerechtigkeit war die Erreichung von [klimaneutralen] Netto-Null-Emissionen von Kohlendioxid bis 2050.[32] Doch Trumps Energie-Minister Chris White nennt die „Netto-Null 2050“ ein „bösartiges Ziel“. Trump selbst bezeichnet die globale Wärmung als einen „Schwindel“.
Die fossile Industrie und ihre gutbezahlten Denkfabriken sind ein weiterer Aspekt der heutigen neo-faschistischen Ideologie. Die Rechten greifen dabei den wissenschaftlichen Konsens an, der Informationen über die weltweite Erwärmung liefert. Und sie unterstützen die fossile Energiewirtschaft dabei, weiterhin Gewinn aus dem Ausstoß von Treibhausgasen zu ziehen, die den Planeten aufheizen. Das ist jedoch keine Besonderheit der MAGA-Bewegung, denn es ist auch das Vorgehen der neo-faschistischen „Alternative für Deutschland“.
Die Trump-Regierung begeht weitreichende und boshafte Angriffe auf die Bewegung zur Beendigung des fossilen Schadstoff-Ausstoßes und zum Aufbau eines grünen Wandels. Das MAGA-Regime kündigte tausende Angestellte, welche die Verschmutzungen beobachteten und Daten für die Umweltschutz-Agentur (EPA), die Nationale Ozean- und Atmosphären-Verwaltung, sowie für andere Behörden sammelten. Jüngsten Berichten [der Zeitung Guardian] zufolge, werden die geplanten Kürzungen bei der EPA das Ende dieser wissenschaftlichen Forschungseinrichtung bedeuten. Sowie wohl „mehr als 1.000 Wissenschaftler*innen und andere Angestellte gekündigt werden, die dabei helfen, eine Forschungsgrundlage für Regelungen zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Ökosysteme vor Umweltverschmutzung zu liefern.“ Dazu würden mehr als Tausend Chemiker*innen, Biolog*innen, Toxikolog*innen und andere Wissenschaftler*innen zählen, also 75 Prozent der Belegschaft des Forschungsprogrammes.
Der Inflation Reduction Act (IRA) [33] war zwar kein perfekter Start auf dem Weg zu einem grünen Wandel, dem Umbau hin zu erneuerbaren Energien als Ersatz für fossile Brennstoffe. Doch nun versucht das Trump-Regime gesetzwidrig die Verteilung der Gelder des IRA aufzuhalten. Beispielsweise die Zuschüsse für Leute mit geringem Einkommen bei Solaranlagen und zur Ersetzung von Gasheizungen durch Wärmepumpen. Von Maine bis Alaska wurde nun Projekten zur Senkung des Kohlendioxid-Ausstoßes bei Fischfang-Flotten durch sparsamere Kühlanlagen die zugesagte Förderung verweigert. Unter dem MAGA-Regime haben sich die USA auch aus einem [beim Klimagipfel 2023 beschlossenen] internationalen Fonds zur Entschädigung ärmerer Länder für Schäden durch die globale Erwärmung zurückgezogen.
Das Regime ist auch dazu übergegangen, Ladestellen für elektrische Fahrzeuge in Regierungsgebäuden wieder abzubauen. Bei einer besonders verrückten Aktion hat das FBI das Bankkonto von Habitat for Humanity [34] beschlagnahmt, da sie ihnen und anderen Einrichtungen wie der DC Green Bank vorwerfen eine „Verschwörung zum Betrug an der Regierung“ zu begehen, weil sie Geldmittel aus dem Inflation Reduction Act bekommen haben. Denn wenn Habitat for Humanity diese Gelder dazu verwenden will, um bessere Energiespar-Maßnahmen für Wohnungen oder den Einbau von Solaranlagen und Wärmepumpen zu finanzieren, sei dies ein „Betrug“, wenn man davon ausgeht, dass die globale Erwärmung ein „Schwindel“ sei. Diese Verfolgung durch das FBI wird wahrscheinlich vor Gericht nicht standhalten und die Bundesrichterin* Tanya Chutkan hat bereits Beweise für einen Betrug oder eine Gesetzeswidrigkeit gefordert. Doch bis dahin werden diese Organisationen ihr Geld für den Rechtsstreit ausgeben müssen, was auch eine Form von Einschüchterung darstellt.
Die Zerschlagung des Amerikanischen Jahrhunderts
Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg waren für die USA durch ihre imperialistische Herrschschaft eine Epoche als weltweite Vormacht. In früheren Zeiten wurden Großreiche errichtet durch militärische Eroberung, Kolonialismus und merkantilistische Beggar-thy-Neighbor-Politik [35], um mittels Handelsbeschränkungen die imperiale Beute für das Heimatland sichern. Doch die USA schufen eine neue Form des Imperialismus: In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg haben die amerikanische Kapitalelite und ihre politischen Funktionär*innen mit viel Aufwand Handelsverträge und Militärbündnisse geschaffen, um die anderen kapitalistischen Eliten in ein System unter Leitung der USA einzubinden. Außerdem schufen sie eine sehr mächtige Marine und eine riesige Anzahl von Miliärstützpunkten auf der ganzen Welt. Das NATO-Bündnis diente dazu, den westeuropäischen Kapitalismus durch den Schutz des amerikanischen Militärs abzusichern. Dies erlaubte den kapitalistischen Ländern Europas weniger Geld für militärische Aufrüstung auszugeben. Da die europäischen Mächte und andere Länder ihre Militär-Ausrüstung in der USA kauften, verteilten sich die Kosten für neue Waffensysteme auf zahlreiche Länder. Das war für die USA sehr lohnenswert, da sie eine riesige amerikanische Rüstungsindustrie aufgebaut haben. Es wäre für die USA um einiges teurer geworden, wenn sie dies alleine getan hätten.
Ein seltsamer Aspekt des MAGA-Regimes ist nun die Art und Weise, wie sie das Amerikanische Jahrhundert [Pax Americana] zerschlagen. Ein Teil der amerikanischen Oligarchie scheint zu dem Schluss gekommen zu sein, das es schlicht „zu teuer“ geworden sei. Sie wissen wohl nicht zu schätzen, wie sehr seit dem Zweiten Weltkrieg der Reichtum und die Macht des amerikanischen kapitalistischen Regimes auf diesem komplizierten Netzwerk von Militärbündnissen und Handelsbeziehungen beruhte. Sie träumen jetzt von einer Rückkehr zu einer früheren Epoche einer eigenständigen imperialen Herrschaft. Das Drängen von MAGA auf Alleingänge der USA scheint sowohl die Krise des amerikanischen globalen Kapitalismus widerzuspiegeln, wie auch das Inseldenken von „Amerika zuerst“ [America First] und Curtis Yarwins Vorstellung einer multipolaren Welt von Autokratien unter direkter Kontrolle der lokalen Oligarchien.
Der Angriff des MAGA-Regimes auf das Amerikanische Zeitalter hat unterschiedliche Formen angenommen: von Trumps mafia-ähnlichen Androhung von Zöllen als Mittel zur Einschüchterung, über seine Verwendung der Zöllen zur Zerschlagung der wichtigsten Beziehungen zu den US-Handelspartner*innen (Canada, Mexiko und Europa). Sowie seine Drohungen mit einer imperialistischen Eroberung von Grönland und dem Panama-Kanal, die Zerstörung der humanitären Hilfsprogramme von USAID, das Gerede vom Rückzug der NATO-Verteidigung aus Europa und die Bereitschaft Trumps, die Ukraine der imperialistischen Eroberung durch Putin zu überlassen.
Als Anarchosyndikalist*innen sind wir gegen den amerikanischen Imperialismus, wobei wir für einen Internationalismus der grenzüberschreitenden Solidarität der Arbeiter*klasse einstehen. Daher stehen wir an der Seite der ukrainischen Gewerkschaften, Sozialist*innen und Anarchist*innen, welche den militärischen Widerstand der Ukraine gegen Putins imperialistischen Feldzug zur Eroberung der Ukraine unterstützen. Dabei folgen wir dem Beispiel des anarchistischen Aktivisten Errico Malatesta, der den arabischen Widerstand gegen Italiens Eroberung von Libyen im Jahr 1911.[36]
USAID hingegen war eine relativ kostengünstige Art der „weichen Macht“ der USA, indem sie Organisationen und Länder durch ihre Hilfsprogramme für Medizin und Nahrung unterstützte. [37] Die radikale Linke kritisierte lange Zeit, dass USAID benutzt wurde, um anti-sozialistische Gruppen und rechte Gewerkschaften zu unterstützen. Doch die Zerschlagung der Hilfen für Medizin und Nahrung durch Musks Abrisstrupp hat vernichtende Folgen für die Armen in Flüchtlingslagern und sonstwo. Durch die Aufkündigung von 5.000 Verträgen mit gemeinnützigen Organisationen zur AIDS-Bekämpfung in Afrika werden die HIV-positiven Menschen von [anti-]retroviralen Medikamenten abgeschnitten, welche einen Ausbruch von AIDS verhindern. Als Folge dieser plötzlichen Beendigung von Hilfen für Medizin und Nahrung werden Menschen sterben.
Die Zerschlagung eines Bündnissystems und bewährter Handelsbeziehungen wird den USA sehr viel Schaden bereiten. Die amerikanische Rüstungsindustrie wird viele gewinnbringende Aufträge verlieren. Kürzlich kündigte zum Beispiel Portugal seinen Kauf von F-35-Kampfflugzeugen auf, was wird zu Entlassungen führen wird. Aufgrund von Vergeltungszöllen und Konsument*innen-Boykotten in Kanada oder Europa wird der Handel zurückgehen und die Preise wegen Trumps Zöllen steigen. Die Importfirmen in den USA werden die Zölle bezahlen, aber diese Kosten weitergeben. Die hohen Abgaben auf den Import von Autos aus Mexiko und Kanada werden dadurch zu weitaus höheren Preisen für Autos führen.
Die Republikaner*innen werden dem entgegenhalten, dass steigende Preise auf Importe die amerikanische Produktion ankurbeln werden. Das beruht auf der Vorstellung, dass ein höherer Preis für eingeführte Waren diese im Wettbewerb mit den in Amerika gefertigten Produkten weniger attraktiv mache. Doch Produktionsanlagen sind eine teure Anschaffung, die sich erst über einen langen Zeitraum auszahlt. Zölle können in Zukunft schnell wieder zurückgenommen werden und bieten für Investor*innen keine ausreichende Absicherung für solche riesigen Ausgaben. Die Entlassung von tausenden Bundesangestellten wird die Konsumnachfrage allerdings zurückgehen lassen. In Verbindung mit dem Verlust von militärischen Aufträgen und der Preissteigerung durch Zölle wird es sehr wahrscheinlich zu einem Wirtschaftsabschwung kommen.
Zum wirksamen Gegenschlag ausholen
Trump und sein Team verfolgen eine Strategie von „Furcht und Schrecken“ [shock-and-awe] indem sie zahlreiche unterschiedliche Gruppen mit andauernden Angriffen ins Visier nehmen: vom rechtswidrigen Zusammentreiben legaler Einwanderer*innen mit Aufenthaltsgenehmigung [green card], der unrechtmäßigen Beschneidung gewerkschaftlicher Rechte und tausendfacher Kündigung von Bundesangestellten über ihre Erzählung, der Angriff auf „DEI“ diene der Wiederherstellung einer Weißen Vorherrschaft. Hinzu kommen Angriffe auf Trans*personen und Angriffe auf die Gesundheitsversorgung von Veteran*innen, sowie das Verbreiten von Angst vor dem Verlust des Zugangs zur Sozialversicherung und zur Übernahme der Gesundheitskosten für Millionen von Amerikaner*innen. Diese Strategie der „Gebietsüberflutung“ [flood the zone] zielt darauf ab, die sozialen Spaltungen auszunutzen und eine mögliche Opposition zu verwirren.
Doch dieses Vorgehen birgt auch ein großes Risiko für das MAGA-Regime, da hierbei viele verschiedene Gruppen angegriffen werden. Das bedeutet, dass dies nun ein Anlass für diese Gruppen ist, zusammen zu kommen, Bündnisse zu schließen und durch Solidarität einen breiten Gegenschlag vorzubereiten, welcher vermutlich ein enormes Ausmaß annehmen wird. Die Massenentlassung von Bundesangestellten und die Zerschlagung ihrer legalen Gewerkschaftsrechte, sowie die Machtanmaßung dieses autoritären Regimes unter Kontrolle eines Milliardärs sind auf unterschiedliche Weise auch eine Bedrohung für die gesamte Arbeiter*klasse.
Für eine Strategie des Aufbaus eines wirksamen Gegenangriffs bedarf es aber sowohl einer erfolgreichen Organisierung, als auch massenhafter Bildungsmaßnahmen, um den „Krieg um die Köpfe“ zu gewinnen und der rechten Medien-Maschine etwas entgegen zu setzen. Die MAGA-Propaganda behauptet, dass sie für die „Freiheit“ kämpfe. Wir sollten jedoch darauf hinweisen, dass ihr Ziel nur die maximale „Freihet“ der Kapitalist*innen ist, um ihre Arbeiter*innen zu behandeln, wie sie wollen. Die Freiheit zur ungestraften Verschmutzung und die Freiheit zur Plünderung des Bundeshaushalts für ihre eigene Bereicherung. Doch das bedeutet einen Angriff auf unsere Freiheit – die Freiheit am Arbeitsplatz, die Freiheit sich zu organisieren und die Freiheit zu widersprechen.
Ein nützliches Strategie-Element aus der Erfahrung von Arbeiter*organisationen ist es, einen Plan zur Eskalation [38] zu haben. Das bedeutet, dass wir zu Anfang nicht gleich die größte Fähigkeit zum Widerstand erwarten können, sondern daran arbeiten, eine mit der Zeit zunehmende Steigerung von Aktionen und Störungen hervor zu bringen. Unsichtbare Gruppen – und andere Arten von Vereinigungen – haben sich bereits gegründet und protestieren im ganzen Land. Einige Gruppen protestieren vor den Verkaufsstellen von Tesla und rufen zum Boykott [der E-Autos] auf.[39] Es gab auch Proteste von Studierenden und nachbarschaftlichen Widerstand gegen die Cops von [der Polizei- und Zollbehörde] ICE.
Ein nächster Schritt wäre nun der Aufbau von Bündnissen, in denen noch mehr Gruppen zusammenkommen und gemeinsame Pläne machen, um ihre verschiedenen Interessen einzubringen. LGBT-Personen, Bundesangestellte, sowie um globale Erwärmung besorgte Umweltschützer*innen, aber auch migrantische Gemeinschaften und andere Gruppe haben ein Interesse zurückzuschlagen.
Sobald die Leute angefangen haben an Protesten oder Versammlungen teilzunehmen, haben sie eine Motivation, um nach weiteren wirksamen Aktionen Ausschau zu halten. Diese ersten Schritte können ihnen helfen, um die Angst zu überwinden, welche das MAGA-Regime zu verbreiten versucht, um die Menschen zum Schweigen zu bringen. Einer Strategie der Eskalation folgend würden zunächst einfachere oder weniger beängstigende Taktiken angewendet, um die Leute anfangs einzubinden und die Angststarre zu überwinden. Ein nächster Schritt wäre dann der Übergang zu Formen der Störung, wie die Besetzung von Büros, um das Tagesgeschäft [business as usual] aufzuhalten, sowie die Besetzung von Tesla-Verkaufsstellen oder ein kurzer eintägiger Warnstreik.
Störung bedeutet dabei, dass die Arbeiter*klasse beginnt ihre potenzielle Macht anzuwenden. Denn die größte Kraft der Arbeiter*klasse liegt in der Fähigkeit, die Arbeitsplätze stillzulegen, Regierungsbehörden lahmzulegen oder den Fluss der Unternehmensgewinne abzusperren. Die höchste Macht eines Streiks zeigt sich im Generalstreik, wenn Arbeiter*innen dann Netzwerke zwischen einzelnen Gewerkschaften und Branchen aufgebaut haben, mit deren Hilfe sie die gesamtgesellschaftliche Macht der Arbeiter*klasse ausüben. Da das amtierende Regime äußerst repressiv vorgeht, haben seine führenden Vertreter*innen Angst vor jeder Störaktion, welche gegen die Vertragsvereinbarungen verstößt oder direkt den Staat bedroht. Die Lösung hierbei liegt in der Basisorganisierung, sowie in der Gründung von Ausschüssen und Netzwerken, welche unabhängig von den Gewerkschaftsfunktionär*innen sind.
Da die Gewerkschaftsführung bereits vom Trump-Regime eingeschüchtert wurde, haben Bundesangestellte schon damit begonnen gewerkschaftsübergreifende Netzwerke aufzubauen, wie zum Beispiel das „Netzwerk der Bundes-Gewerkschafter*innen“ [Federal Unionist Network]. Ein weiteres Beispiel dieser Art von Organisierung sind die „Vereinigten Bahnarbeiter*innen“ [Railroad Workers United], die entstanden sind nach dem Verrat der bezahlten Funktionär*innen der Bahngewerkschaften. Ein landesweiter Generalstreik würde ein gewaltiges Maß an Gegenmacht zum MAGA-Regime hervorbringen, doch wahrscheinlich kann ein solcher Schritt nur aus einer Organisierung und Motivation an der Basis entstehen.
Ein anderer wesentlicher Teil von Strategien ist eine Vision oder ein Ziel, um Ansporn und Richtung zu geben. Das Trump-Regime ist zwar auf vielfache Weise einzigartig in der amerikanischen Geschichte, doch es gründet auf einer Schwäche der aus Vorzeiten übernommenen US-Verfassung, welche von den Republikaner*innen seit Jahren ausgenutzt wird. Nachdem die MAGA-Bewegung sich zum Ziel gesetzt hat, „den Verwaltungsstaat zu zerschlagen“, auf der Verfassung herumzutrampeln und das Jahrhundert der Zugeständnisse an die Kämpfe der Arbeiter*klasse zu beenden, wird es nicht einfach werden, das zerschlagene Porzellan jemals wieder zusammenzusetzen.
Das Aufkommen eines Teils der Oligarchie, welcher die Rundumschlag-Pläne des MAGA-Regimes unterstützt und den Staat ausplündert, ist bereits ein Anzeichen für die kapitalistische Krise. Eine darüber hinausgehende Vision muss die Begrenzungen überschreiten, welche der überkommene Rahmen des amerikanischen Kapitalismus vorgibt. Als grüne Syndikalist*innen setzen wir uns für eine rasante Beschleunigung des grünen Wandels ein: einen Abbaustopp für fossile Energieträger, einen Ausstieg aus der Ölverarbeitung, einen alternativen Ersatz für Petro-Plastik [40] und die beschleunigte Dekarbonisierung für eine grüne Wirtschaft auf Grundlage erneuerbarer Energie.[41] Und all das mittels eines „gerechten Wandels“ [just transistion], welcher weiterhin das Einkommen ebenso sichert, wie die Gesundheitsversorgung und die Rentengarantien für freigesetzte Arbeiter*innen.
In unserer Vision gibt es eine Arbeiter*selbstverwaltung mit direkter Kontrolle über den Arbeitsprozess durch die Arbeiter*innen in jenen Fabriken, welche Elektro-Heizungen, Wärmepumpen, Solaranlagen, sowie batteriegetriebene Busse und LKWs für die grüne Wirtschaft herstellen. Unser Ziel ist ein grundlegender Wechsel zu einer Gesellschaft, die auf demokratischer Eigenverwaltung gründet, in der diejenigen Menschen die Entscheidungen fällen, welche sie selbst betreffen.
Als Grundlage für eine grüne Wirtschaft schlagen wir die Arbeiter*selbstverwaltung in allen Branchen vor, anstelle des von oben herab bürokratisch regierenden Staates. Nach unserer Vorstellung wären die Pharmaindustrie und die Gesundheitsversorgung in Hand einer gesamtgesellschaftlichen, demokratischen Basisorganisation und wären selbstorganisiert von den Menschen, die dort arbeiten. Mittels allgemeiner, kostenloser Gesundheitsversorgung, die von der Gesellschaft getragen wird, würde die Gesundheitsförderung wesentlich verbessert werden.
Wir schlagen auch vor, dass die Kommunikationssysteme, wie Postdienst und Telefon, von einer Branchen-Organisation aller Arbeiter*innen selbstbestimmt betrieben werden. Doch weder in kapitalistischem Eigentum, noch durch eine bürokratische Verwaltung von oben herab, welche über die Arbeiter*innen bestimmt. Um beispielsweise Ferntransporte auf einer guten ökologischen Grundlage auszuliefern, unterstützen wir die Kampagne für ein sofortiges öffentliches Bahnwesen [Public Rail Now], welche ein öffentliches Eigentum am Eisenbahnnetz fordert. Doch nach unseren Vorstellungen wäre die Eisenbahn von regionalen Branchen-Organisationen durch demokratische Selbstverwaltung der Arbeiter*innen konrolliert. Mit elektrifizierten Eisenbahnen und einer Industriepolitik, welche bei Ferntransporten die Bahn (samt LKWs auf flachen Güterwagen) bevorzugt, könnte künftig der Ausstoß von Treibhausgasen im Fern-Frachtwesen enorm verringert werden.
Dies sind nur einige der Vorstellungen davon, was für einen sozialen Wandel nötig ist.(…)
East Bay Syndicalists Group
in: Workers Solidarity – A Green Syndicalist Webzine (01.04.2025,
https://eastbaysyndicalists.org/fighting-the-maga-assault/
Übersetzung [und Anmerkungen]: Anarcho-Syndikalistisches Netzwerk – ASN Köln, https://asnkoeln.wordpress.com (Creative Commons: BY-NC)
Anmerkungen:
1) „Make America Great Again“ („Amerika wieder groß machen“), Trumps Anhänger*innen
2) gewerkschaftliches Medienportal, https://labornotes.org
3) Sitz der US-Finanzindustrie in New York
4) da es in den USA keinen Personalausweis gibt, gilt stattdessen ein Führerschein oder Reisepass
5) Gesetz zur Sicherstellung der Eignung von Wähler*innen (Safeguard American Voter Eligibility)
6) Bundesprogramm der Gesundheitsfürsorge für Bedürftige
7) Eliten-Herrschaft einer kleinen Gruppe von Mächtigen, https://de.wikipedia.org/wiki/Oligarchie
8) Herrschaft durch mächtige Führer*innen und strenge Traditionen, eine Form von Diktatur
9) Stürmung des US-Kongresses, https://de.wikipedia.org/wiki/Sturm_auf_das_Kapitol_in_Washington_2021
10) freiheitlich, siehe: Paläolibertarismus, https://de.wikipedia.org/wiki/Pal%C3%A4olibertarismus
11) staatenloser Privat-Kapitalismus, https://de.wikipedia.org/wiki/Anarchokapitalismus
12) der Adelsherrschaft ähnelnde Besitz-Elite, https://de.wikipedia.org/wiki/Neo-Feudalismus
13) neoreaktionäre Bewegung, https://de.wikipedia.org/wiki/Neoreaktion%C3%A4re_Bewegung
14) hoch-technologische Männerbünde, siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Kalifornische_Ideologie
15) Unternehmen für Spionage-Software, https://de.wikipedia.org/wiki/Palantir_Technologies
16) wissenschaftlich nicht haltbare Rassentheorie, https://de.wikipedia.org/wiki/Rassentheorie
17) Trumps neue „Abteilung für Regierungseffizienz“ (Department of Government Efficiency)
18) ein Jerusalemkreuz und „Gott will es“, https://de.wikipedia.org/wiki/Pete_Hegseth#Rezeption
19) christlicher religiöser Nationalismus, https://de.wikipedia.org/wiki/Christlicher_Nationalismus
20) „Projekt zum Übergang der Präsidentschaft 2025“, https://de.wikipedia.org/wiki/Project_2025
21) queere Abkürzung für lesbisch, schwul, bi, trans, inter,… https://de.wikipedia.org/wiki/LGBT
22) männliche Herrschaftsform, https://de.wikipedia.org/wiki/Patriarchat_(Soziologie)
23) Aufschwungphase nach dem US-Bürger*krieg, https://de.wikipedia.org/wiki/Gilded_Age
24) Programme zur Förderung von Diversität, Gerechtigkeit und Inklusion in Organisationen
25) Sprachpolitik in Orwells dystopischem Roman „1984“, https://de.wikipedia.org/wiki/Neusprech
26) Bewegung zur Abschaffung der Sklaverei im 18./19. Jh. (später auch von Polizei, Justiz, Staat)
27) Umdeutung geschichtlicher Ereignisse, https://de.wikipedia.org/wiki/Geschichtsrevisionismus
28) siehe https://de.wikipedia.org/wiki/White_Supremacy#W%C3%A4hrend_der_Sklaverei
29 „wachsames“ Bewusstsein, Sensibilität für (systematische) Ungerechtigkeit und Diskriminierung
30) rechte Parole gegen Sozialreformen, https://de.wikipedia.org/wiki/Cultural_Marxism_(Schlagwort)
31) Institut für Sozialforschung (Kritische Theorie), https://de.wikipedia.org/wiki/Frankfurter_Schule
32) CO2-Ausgleich durch negative Emissionen, https://de.wikipedia.org/wiki/Klimaneutralit%C3%A4t
33) Bundesgesetz der Biden-Regierung zur Förderung von grünen Industrien samt Sozialpaket (2022)
34) christliche Hilfsorganisation für weltweiten Katastrophenschutz und Hausbau für bedürftige Menschen
35) Wirtschaftspolitik zur nationalen Bereicherung durch Handelsüberschüsse („ruiniere deinen Nachbarn“)
36) Malatesta und andere sprachen sich jedoch 1915 gegen eine Teilnahme am Ersten Weltkrieg aus, https://anarchistischebibliothek.org/library/die-anarchistische-internationale-und-der-krieg
37) kulturell-ideologische, zwischenstaatliche Einflussnahme, https://de.wikipedia.org/wiki/Soft_Power
38) Steigerung und/oder Ausweitung eines Konfliktes, https://de.wikipedia.org/wiki/Eskalation
39) dezentrale Protestbewegung gegen Musks E-Auto-Firma, https://de.wikipedia.org/wiki/Tesla_Takedown
40) aus Erdöl hergestellte Kunststoffe, https://de.wikipedia.org/wiki/Kunststoff#Herstellung
41) Abkehr von Kohlenstoff zur Energiegewinnung , https://de.wikipedia.org/wiki/Dekarbonisierung
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„USA: Zölle spalten uns – der Kampf vereint uns!“ (WSA-IAA, 2025)
https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2025/03/14/usa-zoelle-spalten-uns-der-kampf-vereint-uns/
„USA: Die ersten Tage von Trumps Angriff“ (WSA-IAA, 2025)
https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2025/03/01/usa-die-ersten-tage-von-trumps-angriff/
Revolutionäre Gewerkschafter*innen haben sich immer für die Solidarität mit der globalen Arbeiter*klasse eingesetzt und alle Versuche der herrschenden Klasse uns zu spalten zurückgewiesen – sei es durch Grenzen, Rassismus [race], Gender oder andere Arten der Ausbeutung. Die Vorstellung, dass Arbeiter*innen in irgendeinem Land gemeinsame Interessen mit ihren Chef*innen haben, ist eine Lüge, die uns davon abhalten soll unsere wahre Kraft zu erkennen.
Die aktuelle Handelskriegspolitik des faschistischen US-Präsidenten Trump, welche darauf abzielt, die US-amerikanischen Arbeiter*innen durch Zölle auszuspielen gegen Arbeiter*innen in anderen Nationen, ist nur ein Beispiel dafür, wie jene Mächtigen die Arbeiter*innen zu ihrem eigenen Vorteil manipulieren.
Wenn die herrschenden Klassen in anderen Ländern dann Vergeltung üben, ist das nichts weiter als ein Kampf zwischen konkurrierenden Kapitalist*innen, denn keine*r von denen dient den Interessen der Arbeiter*klasse. Zugleich behandelt ihr wirtschaftliches und politisches System migrantische Arbeiter*innen weiterhin mit Brutalität, beutet ausgegrenzte Werktätige aus und hält unterdrückerische Strukturen aufrecht, die allen Menschen schaden, nur den wenigen reichsten nicht.
Alle Versuche, die Arbeiter*innen für eine Politik des Protektionismus [Schutzmaßnahmen] zu gewinnen – sei es durch rechte Nationalist*innen oder durch Gewerkschaftsbürokrat*innen wie Shawn Fain von den United Auto Workers – sind ein Verrat an der wahren Solidarität der Arbeiter*klasse. Sie sind Teil eines Systems, welches das Weiterbestehen der Ausbeutung voraussetzt und sie verhandeln nur um leichte Verbesserungen ihrer Bedingungen, anstatt das System selbst in Frage zu stellen.
Es verwundet daher nicht, dass sie die Logik der kapitalistischen Konkurrenz übernehmen und wirtschaftliche Kämpfe als Auseinandersetzungen zwischen Nationen darstellen, anstatt zwischen Arbeiter*innen und Chef*innen. Wenn unsere Gewerkschaften von jenen angeführt werden, die bereit sind zur verräterischen Zusammenarbeit [Kollaboration] mit der herrschenden Klasse, dann müssen die Arbeiter*innen neue Machtstrukturen aufbauen: Sich außerhalb der Begrenzung durch die hierarchische Gewerkschaftsführung organisieren und stattdessen direkte Aktionen, gegenseitige Hilfe und wirklich demokratische Entscheidungsprozesse anwenden, sowohl am Arbeitsplatz, wie auch am Wohnort und darüber hinaus.
Zugleich müssen wir den Mythos bekämpfen, dass „Freihandel“ etwas Gutes hervorbringt. Seit Jahrzehnten haben die imperialistischen Mächte – darunter die USA, Russland und das heutige China – den Freihandelsmythos als ein ideologisches Deckblatt benutzt für Ausbeutung und Ausplünderung von Arbeiter*innen in kleineren, weniger mächtigen Nationen. Der von den herrschenden Klassen der imperialistischen Nationen angehäufte Reichtum wurde den Arbeiter*innen und Rohstoffen aus dem Globalen Süden gestohlen. Genauso, wie der Kapitalismus selbst entstanden ist durch den Raub von indigenem [einheimischem] Land, durch unbezahlte Arbeit versklavter Menschen und anhaltende Unterdrückung ausgegrenzter Gemeinschaften.
Einige Arbeiter*innen im Herzen des Imperiums bekommen vielleicht kleine materielle Vorteile aus dieser Ausbeutung, aber wir widersprechen jeder Behauptung, dass sie dies zu Kompliz*innen macht. Die Arbeiter*bewegung muss sich weigern, ein Werkzeug der kapitalistischen Expansion [Ausbreitung] zu sein. Und alle, die versuchen die Arbeiter*innen davon zu überzeugen, dass sie gemeinsame Interessen mit ihren Chef*innen haben – sei es durch Nationalismus oder durch Reformismus – sind die Feind*innen der wahren Befreiung der Arbeiter*innen.
Anstatt auf die falsche Wahl zwischen „Freihandel“ und Protektionismus hereinzufallen, sollten die Arbeiter*innen eine neue Welt fordern – eine in der Rohstoffe und Reichtum gleich verteilt werden. Und in der Entscheidungen über Produktion und Verteilung demokratisch entschieden werden von jenen, die am meisten davon betroffen sind. Eine Bewegung zur Befreiung der Arbeiter*innen muss sich beziehen auf Feminismus, Antirassismus, Inklusionsgerechtigkeit [disability justice], Klimagerechtigkeit und auf den Kampf gegen jede Art von Unterdrückung.
Nur durch Solidarität, welche die ganze Menschlichkeit aller Arbeiter*innen anerkennt – jenseits von Grenzen, Gender und Identitäten – können wir eine Zukunft jenseits des Kapitalismus schaffen. In der unsere Arbeit unseren Gemeinschaften dient und nicht den Gewinnen der herrschenden Klasse.
Quelle:
https://philly-wsa.org/2025/03/12/tariffs-divide-us-the-struggle-unites/
Übersetzung [und Anmerkungen]:
Anarcho-Syndikalistisches Netzwerk – ASN Köln (asnkoeln.wordpress.com)
Creative Commons: BY-NC
Siehe auch:
„USA: Die ersten Tage von Trumps Angriff“
https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2025/03/01/usa-die-ersten-tage-von-trumps-angriff/
Von den vielen Berichten und Gesprächen auf unserem Kongress im November zum 40-jährigen Bestehen sind zwei besonders hervorzuheben: Eine neuerliche Begeisterung für einen Journalismus der Arbeiter*klasse, und wie unsere WSA-Lokalstrukturen versuchen sich in ihrer Arbeit an unseren Arbeitsplätzen und den Kolleg*innen zu orientieren.
Was hat das in diesen ersten Tagen des Angriffs von Trump/Musk zu bedeuten? Wir können nicht für alle WSA-Mitglieder sprechen, aber viele von uns haben sich niedergeschlagen und schockiert gefühlt in dem Bewusstsein, dass unsere Familien direkt angreifbar sind.
Im Gegensatz zu [dem ersten Amtsantritt] 2016, als der Widerstand gegen Trump die Menschen sofort aufgerüttelt hatte, gab es nun einen kulturellen Richtungswechsel. Doch wir fühlen uns als ein Teil dieser Periode des „Jetzt-wieder-auf-die-Beine-Kommens“.
Wir können für einige unserer Strukturen sagen, dass die ersten Monate sich angefühlt haben, wie eine Sturmwarnung. Wir schauen immerzu aus dem Fenster und sehen, wie nah die Gefahr ist. Während dieser Angriff von Trump/Musk vonstatten geht, gab eine deutliche Auszeit bei unseren öffentlichen Projekten auf nationaler Ebene. Aber indem wir dies schreiben, nehmen wir unsere Arbeit wieder auf!
Mit Bezug auf unsere Arbeitsplätze gab es unter anderem sofortige Reaktionen gegen die stigmatisierenden Razzien der ICE [„Immigration and Customs Enforcement“, Zollpolizei], welche durch ihre willkürliche Art der Angriffe unsere höchst bedrohen Familien terrorisiert haben. Wir haben aktiv daran gearbeitet, unsere Kolleg*innen mit sozialen Organisationen in Verbindung zu bringen, haben Flugblätter mit Kontaktinformationen für telefonische Migrant*innen-Rechtsberatung verteilt und geholfen mehrsprachige Schulungen zu vermitteln.
Wir haben außerdem geholfen vor Ort einen bevorstehenden Protest in Zusammenarbeit mit lokalen Aktivist*innen zu organisieren. Da wir keine Reformist*innen sind, bringen wir unsere arbeitsplatzbezogenen Anliegen und syndikalistischen Analysen weitestmöglich ein. Dabei versuchen wir jede Art von Gelegenheit zu nutzen, um zu dieser Krisenzeit öffentlich „Nein!“ zu sagen.
Als Anarcha-Syndikalist*innen ist uns sonnenklar, dass wir das Wort „Demokratie“ nicht im Sinne einer bürgerlichen Demokratie benutzen, bei der die konkurrierenden Eliten um unsere Stimmen wetteifern, um an die Macht zu kommen. Wir werden Widerstand gegen Trump und Musk leisten, aber das bedeutet nicht, dass wir uns für etwas einsetzen würden, was ein Biden-Harris-Regime von „Weiter-so“ und Genozid gewesen wäre. Für uns steht fest, dass wir mit unserem Einsatz für Demokratie eine Arbeiter*innen-Demokratie meinen.
Und dass allein eine klassenlose und nicht-hierarchische Gesellschaft dem Begriff „Demokratie“ Bedeutung geben kann. Doch momentan konzentrieren wir uns auf unsere gemeinsame Sache mit den bedrohten Kolleg*innen und Anderen. Sowie mit Trump-Wähler*innen, denen plötzlich bewusst wird, dass ihre Jobs und Sozialleistungen in Gefahr sind.
Da wir nur wenige und unsere Lokalstrukturen klein sind, fühlt es sich für uns am besten an aktiv zu bleiben, um mit der Situation klarzukommen. Da wir nur langsam wieder zum Journalismus zurückkehren, ist genau jetzt die Zeit dazu. Es gibt Mitglieder, die sagen, dass es nun für die WSA soweit ist, bald unser Nationales Arbeitskomitee einzuberufen. Und das werden wir!!
Als einen der Schritte auf dem Weg zurück zum Journalismus der Arbeiter*klasse haben wir heute während der Arbeitszeiten getan, was wir vorhatten. Nämlich mit WSA-Mitgliedern und Genoss*innen zu sprechen und zu versuchen, ihre Gedanken druckreif zu bekommen.
Begonnen haben wir heute um 10 Uhr, indem wir während der Arbeit mit unserem Genossen Greg Mcgee telefonierten:
„Wir sollten mit unseren Arbeitskolleg*innen ins Gespräch kommen, doch darauf achten bei den Tatsachen zu bleiben. Nutzt radikale Webseiten, die über russische und ukrainische Deserteur*innen berichten, welche sich weigern zu kämpfen. Stellt euch gemeinsam vor, dass Soldat*innen einberufen würden, aber niemand würde hingehen! Die Kriege würden enden.“
„Bei all dem entfesselten faschistischen Nationalismus, der jetzt gerade stattfindet, bei Heuchelei, Anti-Semitismus und Rassismus, stellt euch vor, das Wort ‚Einwanderer‘ durch ‚Jude‘ zu ersetzen und diskutiert die faschistische Vergangenheit. Wir wissen, dass Mussolini und General Franco Faschisten waren, aber wir wissen nicht wirklich, was Trump und Musk sind. Sie sind vielleicht nur Narzissten, aber ich glaube, wir müssen unsere Kolleg*innen auf die Entstehungsgeschichte des Faschismus hinweisen. Erinnert an das, was in Deutschland geschehen ist: Momentan ist die Vorstellung nicht weit her geholt, dass sowas auch hier passieren könnte. Wir müssen daran erinnern, wie es während des Zweiten Weltkriegs den japanischen Menschen in den USA ergangen ist, als die Leute zusammengetrieben und in Sammellager [concentration camps] gesperrt wurden.“
„Es ist nun an der Zeit, sich mit unseren Kolleg*innen am Arbeitsplatz zu versammeln. Es ist nun an der Zeit, um auf einer gemeinsamen Grundlage zu arbeiten, nämlich der Bedrohung, welcher wir ausgesetzt sind.“
Und Lana – am Telefon während der Arbeit, eine Stunde später:
“Es ist so vielschichtig, dieses sofortige Zerschneiden [chainsaw] aller sozialen Sicherheitsnetze. Und wir wissen genau, dass wenn die Wirtschaft den Bach runter geht, werden wir in der Arbeiter*klasse die Ersten sein, welche von den wirtschaftlichen Folgen betroffen sind. Haben wir das nicht schon die ganze Zeit gesagt? Dass der Kapitalismus bösartig ist, da er uns in den sogenannten Guten Zeiten auffrisst, und in jeder Katatstophe als Kanonenfutter nutzt?“
„Ich denke, dass es für uns als Syndikalist*innen an der Zeit ist, aufzustehen und zu organisieren. Um unsere Kolleg*innen als eine Gruppe am Arbeitsplatz einzubinden in den gesellschaftlichen Widerstand. Es ist ein Weckruf: Höchste Alarmstufe – packen wir’s an!“
Philly Metro and Greater Chicago WSA
Quelle: https://philly-wsa.org/2025/02/25/earliest-days-of-this-trump-attack/
Übersetzung: ASN Köln (CC: BY-NC, asnkoeln.wordpress.com)
Kontakt zur Workers‘ Solidarity Alliance:
https://wsa-iwa.org/
Während die Verbrennung fossiler Energieträger die Kohlendioxid-Schicht in der Atmosphäre weiter vergrößert, wird die Krise der globalen Erhitzung immer dringender. In seinem Bericht “‘Alarmstrufe Rot’ für menschengemachte globale Erwärmung“ warnt der Weltklimarat (IPCC):
„Die Alarmglocken läuten ohrenbetäubend und die Beweise sind unwiderlegbar: Die Treibhausgas-Emissionen durch die Verbrennung fossiler Treibstoffe und die Entwaldung haben unseren Planeten im Würgegriff und bedrohen unmittelbar das Leben von Milliarden Menschen. Die globale Erwärmung betrifft jede Region der Erde…“
Doch bisher verlieren wir den Kampf mit dem Klima. In seinem Buch „Klimawandel als Klassenkampf“ (Climate Change as Class War) argumentiert der marxistische Geograph Matthew Huber, dass die Klimabewegung deshalb verliert, weil sie aus der „professionellen Klasse“ stammt. Er führt aus, dass es dieser Klasse an der Macht mangelt, die mächtigen kapitalistischen Interessen zurückzudrängen, welche die nötigen drastischen Einschnitte in der Verbrennung fossiler Energieträger blockieren. Für Huber ist klar, dass die Klimabewegung in der Arbeiter*bewegung verortet sein muss, um die notwendige Macht zu haben, die radikalen Strukturreformen umzusetzen, welche zur Bekämpfung der globalen Erhitzung benötigt werden.
Hubers Analyse beschreibt, dass die Klimabewegung aus drei Schichten besteht. Erstens gibt es die „wissenschaftlichen Kommunikator*innen“, wie James Hansen, die es mit populären Bildungsprogrammen versuchen. Eine zweite Gruppe sind die „Politik-Technokrat*innen“ mit Ausbildungen in Rechts- oder Politikwissenschaft, die in Denkfabriken, im Hochschulbetrieb oder bei gemeinnützigen Organisationen arbeiten. Sie orientieren sich an der Produktion „kluger“ politischer Lösungen. Eine dritte Gruppe sind die „systemfeindlichen Radikalen“, bei denen die Befassung mit Studien zur Umweltzerstörung „zu einer Art politischer Radikalisierung führt“.
Diese Gruppen zählt Huber zu der „professionellen Klasse“ und versucht mit seiner Theorie über diese Klasse die Politik der Klimabewegung zu erklären. Er hebt zwei Eigenschaften der Klimabewegung hervor, die er als Ursache für ihre Schwäche bezeichnet: Erstens die Betonung von hohen Konsumwerten als Faktor der globalen Erwärmung, welche zu einer „Politik des Weniger“ führt – besonders als Bestandteil der „Degrowth“-Politik [Wachstumsrückgang]. Und zweitens der Schwerpunkt auf wissenschaftliche Aufklärung: „Indem es bei der Klimapolitik ausschließlich um Wissenschaft geht, wird die Machtfrage umgangen. Dies macht es möglich (…) die Untätigkeit gegenüber dem Klimawandel bloß als eine Fehlinformation darzustellen, anstatt als einen Mangel an Macht.“
Dabei bezieht sich Huber auf die Theorie der „Professionelle-Manager-Klasse“ (PMC), wie sie Barbara und John Ehrenreich [zur Beschreibung der neuen Mittelschicht aus akademisch gebildeten Fachkräften] vorgeschlagen haben. Damit versucht er die Herkunft der Elemente einer „professionellen Klasse“ innerhalb der Klimabewegung zu erklären. Hierbei verweist Huber auf die zentrale Rolle von Qualifikationen, welche den Zugang zur „professionellen Klasse“ auf dem Arbeitsmarkt ermöglichen. Dazu gehört auch „das Vorhandensein eines spezialisierten Wissens, das nur durch langes Training zugänglich ist“.
Aber auch Abschlüsse und Ausbildungsprogramme, sowie Berufsverbände, welche er als „Formen von Klassenorganisation“ bezeichnet. Diese würden dazu neigen eine meritokratische Ideologie [von Herrschaft durch Leistung] anzuerkennen, welche die Entscheidungsgewalt den Manager*innen und Fachkräften überlässt. Diese Betonung der Wichtigkeit von Wissen und die Rolle der Profis führt dazu, dass die wissenschaftliche Ausbildung in der Klimabewegung eine zentrale Rolle spielt, wie Huber betont.
In der PMC-Theorie der Ehrenreichs besteht deren Klassenstandpunkt in der Konrolle über die kulturelle und gesellschaftliche Reproduktion. Das ist der Grund, warum auch Lehrer*innen und Schriftsteller*innen ein Teil dieser Klasse sind. Sowohl für Marxist*innen als auch für libertäre Sozialist*innen wurde Klasse historisch jedoch innerhalb der sozialen Reproduktion als ein institutionelles Machtverhältnis von einer Gruppe über eine andere gesehen, so wie in Marxens Konzept des Kapitals als ein gesellschaftliches Machtverhältnis.
Aus diesem Blickwinkel betrachtet denke ich, dass die Theorie von der „Professionellen-Manager-Klasse“dazu neigt, die Unterscheidung zwischen zwei unterschiedlichen Gruppen von Klassen zu verschleiern: Erstens gibt es eine Gruppe, die ich „bürokratische Kontroll-Klasse“ nenne. Der Klassenstandpunkt dieser Gruppe beruht auf ihrem relativen Monopol über die Entscheidungsmacht durch bürokratische Hierarchien, welche dazu dienen die Arbeiter*innen zu kontrollieren und die alltägliche Leitung von Unternehmen und Regierungseinrichtungen zu übernehmen.
Dazu gehören nicht nur bezahlte Manager*innen, sondern auch Hochprofessionalisierte, die bei der Kontrolle der Arbeiter*innen und der Verteidigung von Firmeninteressen eng mit dem Management zusammenarbeiten. Beispielsweise Unternehmensanwält*innen, Personal-Expert*innen und Industrie-Ingenieur*innen, die Arbeitsplätze gestalten und die Arbeitsorganisation planen. Das Machtverhältnis dieser Klasse ist die Grundlage für den offenen Widerspruch zwischen dieser Schicht und der Arbeiter*klasse.
Dabei sollte erwähnt werden, dass Lehrer*innen, Journalist*innen, Autor*innen und Pflegepersonal alle auch Gewerkschaften haben und gelegentlich streiken. Diese unteren professionellen Angestellten sind normalerweise nicht Teil des Management-Apparats und verwalten nicht andere Arbeiter*innen. Sie haben daher eine strukturelle Position ähnlich des Kerns der Arbeiter*klasse aus manuell Tätigen, nicht wie die bürokratische Kontroll-Klasse. Die Leute in dieser unteren professionellen Schicht haben oft Hochschulabschlüsse und verhalten sich manchmal elitär gegenüber der handwerklichen Arbeiter*klasse.
Sie neigen auch dazu, bei ihrer Arbeit mehr Selbstbestimmung zu haben. Doch die Handwerker*innen am Anfang des 20. Jahrhunderts haben auch oft ein elitäres Verhalten gegenüber weniger gebildeten Handarbeiter*innen gezeigt und hatten ebenfalls oft eine relative Autonomie an ihrem Arbeitsplatz. Aber allgemein zählen wir die ausgebildeten Industriearbeiter*innen (wie Betriebs- und Maschinenschlosser*innen) auch zur Arbeiter*klasse.
Die unteren Fachangestellten können jedoch anfällig sein für die meritokratische [Leistungs-]Ideologie der Mittelklasse. Daher können sich sich in einer Zwischenposition befinden, da sie ebenso wie die Arbeiter*klasse sich in einer untergeordneten Stellung befinden. Daher hat Erik Olin Wright [1985] für diese Gruppe einen “widersprüchlichen Klassenstandpunkt“ festgestellt, was von Huber bestätigt wird.
“Degrowth?”
Manche Radikale sehen die Ursache für die aktuelle ökologische Krise in dem dynamischen Wachstum des Kapitalismus. Dies wird oft zusammengefasst in einer Parole über die Absurdität eines „unbegrenzten Wachstums auf einem begrenzten Planeten“. In bestimmten Kreisen hat das dazu geführt ein „Rückwachstum“ [degrowth] zu befürworten. Doch es ist unklar, worum es sich dabei handelt. George Kallis, der Autor von „In Defense of Degrowth“ [2011], erläutert das Programm des Wachstumsrückgangs wie folgt:
„Nahrungsmittelproduktion in städtischen Gärten; gemeinschaftliches Wohnen und Ökodörfer; alternative Lebensmittel-Netzwerke, Produzent*innen-Konsument*innen-Kooperativen und kommunale Küchen; Kooperativen für Gesundheitsfürsorge, Altenpflege und Kinderbetreuung; freie Software; und dezentralisierte Formen erneuerbarer Energieproduktion und -verteilung“.
Auch wenn viele Projekte dieser Art lohnenswert sind, ist nicht erkennbar, warum ein solches Programm die Krise der globalen Erhitzung beenden sollte. Huber versucht fälschlicherweise, das Rückwachstum als eine Politikform der „professionellen Klasse“ darzustellen, was jedoch garnicht eindeutig so ist. Urbane Gärten gibt es auch in armen Gemeinschaften und kooperative Projekte haben die Unterstützung der Arbeiter*klasse. Würden wir die Parole vom „Rückwachstum“ wörtlich nehmen, hieße das die globale Erhitzung müsste durch einen wirtschaftlichen Rückzug bekämpft werden, der die allgemeine Warenproduktion verringert.
Nach dem Weltklimarat (UN Intergovernmental Panel on Climate Change) muss der Kohlendioxid-Ausstoß von aktuell 32 Milliarden Tonnen innerhalb von 20 Jahren auf eine Höhe von 20 Milliarden Tonnen gesenkt werden. Wir Robert Pollin [1] hervorhebt, würde ein wirtschaftlicher Rückgang von 10% – viermal größer als die Große Rezession von 2007-2009 – den Kohlendioxid-Ausstoß um 10% von 32 auf 29 Milliarden Tonnen verringern. Das wäre nichtmal annähernd genug Verringerung der benötigten Kohlendioxid-Emissionen. Und ein zehnprozentiger Wirtschaftsrückgang würde heftigste Sparprogramme für die arbeitende Bevölkerung zur Folge haben, welche bereits nur gradeso über die Runden kommt.
Einige Verfechter*innen des Rückwachstums (2) behaupten, dass Sparmaßnahmen nicht das Ziel sind. Aber was ist denn sonst ihr Programm, um die Krise der globalen Erhitzung zu lösen? Huber diskutiert die Sichweise, dass der Kapitalismus ein „angehäuftes soziales Wachstum“ hervorbringe. Das Ziel der Kapitalist*innen ist nicht das Wachstum an sich, sondern das Wachstum der Profite. Kapitalist*innen investieren in Unternehmen, die Waren zum Verkauf herstellen. Diese müssen Gewinne machen, um sich zu vergrößern – sich in neuen Märkten zu verbreiten, neue Produkte zu entwickeln, Manager*innen und Expert*innen einzustellen. Wenn sie das nicht tun, kommen ihnen andere Firmen zuvor. Um neue Märkte für ihre Produkte zu schaffen, müssen Neuerungen her, wie die Einführung von Konsumkrediten in den 1920-er Jahren, um den Markt für Autos und Haushaltsgeräte zu erweitern. Dadurch führte die Praxis der Kapitalakkumulation [-anhäufung] zu einer Ausweitung der Warenproduktion.
Der Wettbewerb zwingt die Firmen dauernd dazu, neue Wege zur Kostensenkung und Gewinnmaximierung zu suchen. Dies tun sie zu Lasten sowohl der Arbeiter*innen als auch der Umwelt. Sie versuchen die Löhne niedrig zu halten und finden Wege, um die Arbeitsstunden zu verringern, welche pro Produkteinheit benötigt werden. Sie können dazu einen Bearbeitungsschritt automatisieren oder durch Methoden der „schlanken Produktion“ das Tempo oder die Intensität der Arbeit steigern. Doch Stress und chemische Belastungen verursachen negative Auswirkungen auf die Gesundheit der Arbeiter*innen. Die Unternehmen streben danach, die Kosten auf andere externalisieren [auszulagern].
Ein Energieunternehmen verbrennt beispielsweise Kohle, was zur globalen Erhitzung beiträgt und mit dem Wind die Atemwege der Menschen schädigt. Doch das Energieunternehmen muss nichts für die Schäden bezahlen, was ist ein Beispiel für „negative Externalitäten“ ist. Dieses Konzept wurde vor einem Jahrhundert von Arthur Pigouin die Mainstream-Ökonomie eingeführt. Doch Huber weigert sich von „negativen Externalitäten“ zu sprechen wegen deren Verwendung durch die „politischen Technokrat*innen“, die sie benutzen, um die Kohlenstoff-Steuern voranzubringen. Zum Beispiel:
„Die technokratische Konstruktion von Emissionen als ‚soziale Kosten‘, welche in den Markt aufgenommen werden sollen, führt letztlich zu einer Politik, die durch ihre Klimamaßnahmen diese Kosten der Arbeiter*klasse und der gesamten Wirtschaft anlastet.“
Dabei handelt es sich um einen Strohmann-Trugschluss [Scheinargument]. Die Auslagerung von Kosten ist ein gängiger Bestandteil des Kapitalismus. Dies wird von radikalen Ökonom*innen als Teil ihrer antikapitalistischen Kritik benutzt. Die Dynamik der Kostenverlagerung im Kapitalismus ist jedoch der zentrale Grund für die weltweite Erhitzung und andere Formen der ökologischen Zerstörung. Ohne ein Verständnis der kapitalistischen Dynamik der Kostenverlagerung ist es nicht möglich, eine angemessene Erklärung für die kapitalistische Tendenz zur ökologischen Zerstörung zu finden.
Der Green New Deal als ein Programm der Arbeiter*klasse
Huber argumentiert, dass die Arbeiter*klasse eine Akteur*in des sozialen Wandels ist, da sie die potenzielle Macht hat ein radikales ökologisches Programm, wie den Green New Deal, durchzusetzen. Die potenzielle Macht der Arbeiter*klasse liegt in zwei Dingen: Erstens ist die Arbeiter*klasse die Mehrheit – zwischen zwei Dritteln und drei Vierteln der Bevölkerung. Zweitens die Stellung der Arbeiter*klasse am Arbeitsplatz – der „verborgenen Stätte der Produktion“ – ist eine Quelle potenzieller Macht. Wenn Arbeiter*innen mit Streiks die Produktion anhalten, stoppen sie die Gewinnflüsse oder machen Regierungsbehörden dicht.
Huber zufolge hat die Arbeiter*klasse materielle „ökologische“ Interessen. „Die Ökologie des Lebens der Arbeiter*klasse“, so schreibt Huber, dreht sich „um die Mittel der [sozialen] Reproduktion – die Art und Weise nach der die Arbeiter*innen ihr Leben als biologische Wesen außerhalb des Arbeitsplatzes reproduzieren“. Die Vulnerabilität [Verletzbarkeit] ist Bestandteil der Bedingungen der Arbeiter*klasse. Die Arbeiter*innen sind gezwungen bei kapitalistischen Arbeitgeber*innen ihre Jobs zu suchen – um Löhne zu erhalten für den Kauf von Waren, die Tag für Tag ihr Leben reproduzieren. Arbeitende sind durch Zeiten der Arbeitslosigkeit bedroht, sowie durch nicht-angemessene Löhne.
Aktuell hätten 49% der Arbeiter*innen [in den USA] einer Studie von YouGov zufolge Schwierigkeiten in einem Notfall 400 US-Dollar zusammenzubekommen. [3] Nach Angaben von CareerBuilder leben 78% der Amerikaner*innen von einem Gehaltsscheck zum nächsten.[4] Kinderbetreuung ist nicht bezahlbar; Zuzahlungen und Prämien bedeuten für Arbeitende oft, sich trotz Versicherung keine medizinische Versorgung leisten zu können. Huber schlägt vor, dass eine „proletarische Ökologie“ sich mittels einer relativen „Dekommodifizierung“ auf die Verringerung dieser Verletzbarkeit zu konzentrieren.
„Die Leute würden Jobs, kostenlose Stromversorgung oder Sozialwohnungsbau intuitiv als vorteilhaft erkennen“, schreibt Huber, „doch es läge an … Organizer*innen, diese Verbesserungen als Maßnahmen gegen die Klimakrise zu benennen.“ Die von Huber bevorzugte Form dieses Programmes ist die Version des Green New Deal, der von den Demokratischen Sozialist*innen von Amerika vorgeschlagen wurde.
Das Interesse an ökologischer Nachhaltigkeit ist ein besonderes Interesse der Arbeiter*klasse, denn verschiedene Teile der besitzenden und verwaltenden Klassen profitieren davon „die Umweltkrise zu verlängern“, da ihre Strategien zur Profitgewinnung durch ökologisch zerstörerische Praktiken ermöglicht werden. Da Extremwetter und gefährliche Hitzewellen überall erkennbar werden, verbreiten sich immer mehr „Vorahnungen“, dass der Klimawandel ein Problem darstellt. Daher schlägt Huber vor, die „direkten materiellen Verbesserungen für das Leben der Menschen mit Klimamaßnahmen zu verknüpfen.“ Huber entwirft einen zweistufigen Ablauf zur „Dekarbonisierung“ der Wirtschaft. Erstens die Energieindustrie von der Verbrennung fossiler Brennstoffe abzubringen. Zweitens die Elektrifizierung nutzen, um den Ausstoß von Kohlendioxid in der übrigens Wirtschaft zu verringern – bei Transport, Verarbeitung, Heizen, Kochen, usw.
Dabei hält es Huber für wichtig, die Arbeiter*innen der elektrischen Energieproduktion für dieses Programm mit an Bord zu holen aufgrund ihres hohen Grades an gewerkschaftlicher Organisierung und ihrer strategischen Bedeutung für die Wirtschaft. Viele Unternehmen der Stromindustrie haben Mehrheitsanteile an ihren Gas- und Kohlekraftwerken. Daher sind sie eine Art Bollwerk gegen die schnelle Dekarbonisierung der Stromindustrie. Das führt zu dem Vorschlag, die staatliche Macht zu benutzen, um sie für einen Umbau zu Erneuerbaren zu übernehmen. Huber ist sich bewusst, dass Energiebetriebe in öffentlicher Hand – wie die Wasser- und Energieversorgung von Los Angeles (LADWP) – oftmals die gleichen Geschäftspraktiken anwenden wie Privatunternehmen. Daher denkt er, die Arbeiter*klasse müsse die Macht ihrer demokratischen Stimmen nutzen, um die Regierungspolitik weg von der Verbrennung fossiler Energieträger zur Stromerzeugung zu drängen.
Aufgrund der Wichtigkeit des Bereichs elektrische Energieerzeugung für ein Dekarbonisierungsprogramm möchte Huber die Gewerkschaften der Stromindustrie dazu bringen, die Pläne für einen Green New Deal zu unterstützen. Jedoch sind mit der Infrastruktur fossiler Verbrennung auch Arbeitsplätze in den Energieunternehmen verbunden. So hat die lokale IBEW [Internationale Bruderschaft der Elektro-Arbeiter] bei der LADWP gegen die Schließung von drei gasbetriebenen Heizkraftwerken gekämpft.
Huber ist sich des konservativen und bürokratischen Wesens von Gewerkschaften, wie der IBEW, bewusst. Er schlägt eine „Basis-Strategie“ vor, die sich dem Aufbau einer aktivistischen Ebene widmet, um die Ausrichtung der Gewerkschaften im Energiesektor zu verändern. Da der Ausbau von Elektrizität für Transport, Heizen, Kochen usw. eine Rolle beim Dekarbonisierungsprogramm spielt, sind diese Pläne im Interesse der Arbeiter*innen in der Energiewirtschaft.
Dennoch legt Hubers Strategie den Schwerpunkt auf Wahlpolitik – „ein Bündnis der Arbeiter*Klasse zu schmieden“, um die Staatsmacht zu übernehmen. In Übereinstimmung mit Christian Parenti legt Huber nahe, dass „außer dem Staat nur wenige Institutionen die Macht haben, um die Art von Wandel rechtzeitig umzusetzen, der nötig ist.“ Nur der Staat könne die Macht anwenden, um die fossile Energiewirtschaft zwangsweise herunterzufahren. Und der Bundesstaat habe die finanzpolitische Macht, um ein „massives öffentliches Investitionsprogramm“ aufzulegen, damit die Energiewende umgesetzt wird. Hubers Programm eines Green New Deal kann als eine radikale Form innerhalb des Kapitalismus gesehen werden. Denn er denkt, dass es „seltsam verschroben“ sei, einen Übergang zum Öko-Sozialismus in dem kurzen Zeitfenster zu erwarten, das für eine Bekämpfung der Erderhitzung nötig ist. Obwohl er von der Bedeutung von Streiks und Betriebsstörungen als Mittel zum Aufbau der Macht der Arbeiter*klasse spricht, ist seine Strategie im Grunde auf Wahlen ausgerichtet. Dabei wird die durch Gewerkschaften und Streiks aufgebaute Macht der Arbeiter*klasse als eine Grundlage für ihre Macht im Wahlkampf angesehen. In dieser Sichtweise bedarf es einer kämpferischen und organisierten Arbeiter*bewegung, um sicherzustellen, dass die Politiker*innen jene radikalen Reformen durchsetzen, welche der Green New Deal benötigt.
Da wir eine Bewegung brauchen, die einen radikalen Dekarbonisierungsplan in der nächsten Zukunft durchsetzen kann, denkt Huber, dass wir uns darauf konzentrieren sollten, in einer Branche eine kämpferische Arbeiter*bewegung mit einer ökologischen Ausrichtung wiederaufzubauen. Daher liegt sein Schwerpunkt auf einer „Basis-Strategie“ für die Gewerkschaften der Energiewirtschaft. Doch dieses Argument trügt, denn erstens ist es nicht wahrscheinlich, dass die Wiederbelebung einer klassenkämpferischen Gewerkschaftsbewegung und militanter Aktionen in einer einzigen Branche die nötige gesellschaftliche Kraft hervorbringen kann, um einen radikalen Umbau nach Hubers Vorstellungen durchzusetzen.
Der sparsame amerikanische Wohlfahrtsstaat in den 1930-er Jahren war das Ergebnis eines breiten, branchenübergreifenden Aufstands der Arbeiter*klasse. Zwischen 1933 und 1937 hab es jedes Jahr tausende Streiks, hunderttausende Arbeiter*innen bauten komplett neue Branchengewerkschaften auf, rund tausend Betriebe wurden übernommen und 1934 markierten zwei massive regionale Generalstreiks das Höchstmaß an gesellschaftlicher Macht von weitverbreiteter Klassensolidarität. Dieser Aufstand zwang den New Deal dazu sich „nach links zu bewegen“. Die Rebellion der Arbeiter*innen breitete sich auf verschiedene Bereiche in Weiterverarbeitung, Motortransport, Rohstoffwirtschaft und Teile des Handels aus. Diese Basisbewegungen entwickelten sich in unterschiedlichen Branchen gleichzeitig. Daher ist es nicht nachvollziehbar, warum es in naher Zukunft für einen Wandel zugunsten des Klimas eine auf eine Branche beschränkte Bewegung bedürfe. Ganz im Gegenteil wird es eine klassenweite Bewegung brauchen, um eine ausreichende Macht der Arbeiter*klasse aufzubauen.
Viele Verfechter*innen des Green New Deal zählen dazu auch einen „Gerechten Wandel“ [Just Transition]. Darunter versteht man, dass bei einer Abkehr von der fossilen Verbrennung die entlassenen Arbeiter*innen während der Umbauphase ein garantiertes Einkommen, Umschulung und Umzugskosten bekommen. Die Kosten des Wandels sollten nicht den Arbeiter*innen dieser Industriezweige aufgelastet werden. Wenn Fracking [Hydraulic_Fracturing] eingestellt wird, Raffinerien verringert oder Kohleminen geschlossen werden, sollte deren Arbeiter*innen vergleichbare Einkommen oder Arbeitsplätze garantiert werden. Falls es einen Wechsel zu „grünen“ Energieprojekten geben wird, müssen wir sicherstellen, dass in diesen Jobs auch Gewerkschaften aktiv sind. Und verhindern, dass es nur ein Niedriglohnsektor ist, in dem die Kapitalist*innen aus ihren „grünen“ Versprechen Profite schlagen.
Doch Huber weist die Forderung nach einem Gerechten Wandel zurück. In seiner Darstellung der Vorstellung von „Gerechtigkeit“ geht er über zur Diskussion einer gemeinschaftsgetrageneb „Umweltgerechtigkeits“-Bewegung. Diese Bewegung ist seiner Meinung nach rundweg gescheitert. Und er macht das fest an einer fehlenden Machtstrategie in „gerechtigkeitszentrierten“ Bewegungen. Als ein Argument gegen den Gerechten Wandel ist dies jedoch ein Strohmann-Strohmann-Trugschluss [Scheinargument]. In Wirklichkeit ist Klassensolidarität die Grundlage eines Gerechten Wandels.
Eine Verweigerung dieser Forderung würde die inneren Spaltungen in der Arbeiter*klasse zum Thema Umweltpolitik vertiefen, da dies die Angst vor Arbeitsplatzverlust bestärkt. Andererseits ist die Herausbildung einer branchenübergreifenden Solidarität (oder zwischen Untergruppen der Arbeiter*klasse) ein zentraler Bestandteil beim Aufbau einer klassenweiten Bewegung. In den 1930-er Jahren zeigte sich diese Art von Arbeiter*macht durch Generalstreiks und die Mobilisierung von Erwerbslosen zur Unterstützung der Streikposten.
Doch Huber ignoriert die Solidarität als eine Dimension der Klassenmacht. Die Verwundbarkeit gegenüber der Macht der Bosse innerhalb einer Herrschaft durch Klassenunterdrückung und Ausbeutung bedeutet, dass ein Gerchtigkeitssinn der Arbeiter*klasse oftmals eine Motivation für Streiks und Klassensolidarität ist. Daher ist Gerechtigkeit ein wichtige Dimension beim Aufbau einer mächtigen Arbeiter*klasse.
Staatlicher Zentralismus oder Öko-Syndikalismus?
In Hubers Art von an kautskyanischen Marxismus geht er davon aus, dass sowohl die kapitalistische Technologie-Entwicklung als auch der Staat klassenneutral seien. Aus diesem Grund denkt er, dass eine Partei oder ein Bündnis der Arbeiter*klasse die Staatsmacht ausüben könne, um ihre Interessen umzusetzen. Doch in Wirklichkeit ist der Staat nicht klassenneutral, sondern besteht in seinem Wesen aus Klassenunterdrückung. Beispielsweise sind die Arbeiter*innen im öffentlichen Dienst ebenso der verwaltenden Bürokratie untergeordnet, wie in Privatunternehmen. Das Tagesgeschäft der staatlichen Institutionen wird kontrolliert von den Kadern der bürokratischen Kontroll-Klasse – staatliche Manager*innen, als Expert*innen angestellte Spezialfachkräfte, Staatsanwält*innen und Richter*innen, Militär und Polizeikräfte. Hinzu kommen die „Repräsentationsfachkräfte“ – die Politiker*innen – welche üblicherweise entweder aus den unternehmerischen oder bürokratischen Kontroll-Klassen rekrutiert werden, also aus Klassen, welchen die Arbeiter*klasse untergeordnet ist. Zentrale staatliche Planung kann weder die ausbeuterische noch die kostenverlagernde Logik des Kapitalismus überwinden, welche den Kern der ökologischen Krise bilden. Verschiedene Arten von Umweltverschmutzung und ökologischer Zerstörung wird es weiterhin geben, auch wenn der Green New Deal umgesetzt würde.
Huber schreibt:
„Wir lieben es die großen und massenhaft zentralisierten Elektrogeräte zu hassen, aber genau diese sind es, welche Marx – und Kautsky – (…) als „sozialisierte Produktion“ bezeichnet haben. (…) Die materielle Notwendigkeit eines Gleichgewichts zwischen Nachfrage und Angebot bedeutet, dass moderne Netzwerke und zentralisierte Geräte die eigentlichen sozialisierten Planungsmaschinen sind, zu denen die Messung und Vorhersage des täglichen Stromverbrauchs von Millionen Haushalten und Betrieben gehört.“
Eigentlich braucht es für eine Vergesellschaftung sowohl kollektive Arbeiter*kontrolle über den Arbeitsprozess – die tagtäglichen Vorgänge in der Industrie – wie auch eine direkte, demokratische soziale Verantwortlicheit. Beides ist im Fall von Versorgungsunternehmen nicht gegeben. Große Firmen, wie Walmart oder General Motors oder Versorgungsbetriebe haben Systeme zentralisierter und hierarchischer Kontrolle, welche ihr Handeln im Voraus planen, um die Konsumnachfrage zu erfüllen. Die hierarchischen Bürokratien von Unternehmensmanager*innen sind auch dazu da, die Arbeiter*schaft zu kontrollieren – wie durch die enorme Arbeitsverdichtung der letzten vierzig Jahre – und den gesamten Betrieb gemäß der gewinnorientierten Ziele der Eigentümer*innen zu führen.
Huber scheint eher die Zentrierung der Stromproduktion in großen Kraftwerken gegenüber verteilten Solar- und Windkraftanlagen zu bevorzugen. Er verwechselt die Zentralisierung der Produktion mit einer koordinierten Produktion. Es gibt keinen Grund dafür, dass eine großformatige Organisation der Stromproduktion nicht ein Modell zur Einrichtung von Solarpanelen auf Hausdächern oder über Parkplätzen – überall in einer großen Städteregion koordiniert – einbinden könnte. Hierarchische Zentralplanung, sei es durch ein Unternehmen oder durch den Staat, ist außerdem nicht mit Arbeiter*kontrolle über die Produktion vereinbart, was die Sowjetunion deutlich gezeigt hat.
Öko-Syndikalismus bietet einen alternativen Ansatz. Diesem liegt zugrunde, dass Arbeiter*innen eine potenzielle Kraft darstellen, um Widerstand zu leisten gegen die Entscheidungen der Arbeitgeber*innen, welche zu Umweltverschmutzung oder globaler Erhitzung führen. Ein Beispiel für den Widerstand der Arbeiter*klasse gegen Umweltverschmutzung waren damals in den ‘70-ern die verschiedenen „grünen Verbote“ [green bans] durch die Föderation der Australischen Bauarbeiter*innen, wie die Verweigerung von Uran-Transport und -Abfertigung. Aus den ‘80-er Jahren gibt es das Beispiel des Organizings von Judi Bari, einem Mitglied von IWW und Earth First!. Durch ihre Arbeit in der bewaldeten Region im Nordwesten Kaliforniens versuchte sie ein Bündnis zwischen Arbeiter*innen in der Holzindustrie (samt ihrer Gewerkschaften) und Umweltschützer*innen, welche die alten Wälder vor Abholzung schützen wollten. Als Argument kann genannt werden, dass eine nachhaltige Forstwirtschaft eher im Interesse der Arbeiter*innen liegt als die Abholzung. Auf ähnliche Weise kann argumentiert werden, dass ein gesamtgesellschaftlicher Plan zur Dekarbonisierung im Interesse der Arbeiter*innen von Energieunternehmen ist, da dieser die Stromnachfrage steigern würde. Die gesellschaftliche Macht der Arbeiter*klasse, wenn sie unabhängig von Politiker*innen organisiert ist und störende Massenaktionen durchführen kann, wären eine bedeutende Kraft zur Durchsetzung eines Politikwechsels weg vom fossilen Kapitalismus.
Die syndikalistische Strategie schägt vor, durch Arbeiter*innen selbstverwaltete Gewerkschaften für aktiven Widerstand im betrieblichen Alltag und kämpferischen Klassenkampf zu schaffen. Und die Gewerkschaften der Arbeiter*klasse mit den sozialen Bewegungen auf breiter Linie zusammenzubringen, um eine Allianz zu gründen, welche die Macht hat zur Umwandlung der Gesellschaft in eine selbstverwaltete Form des Öko-Sozialismus.
Huber stimmt überein mit dem Aufbau einer wiederbelebten Arbeiter*bewegung und vermehrten Streikaktionen. Dies ist die Art von Selbstaktivierung, welche den Prozess der Klassen-Herausbildung antreibt. Die Klassenformation ist ein mehr oder weniger langwieriger Prozess, durch den die Arbeiter*klasse ihren Fatalismus [Schicksalsglaube] und ihre inneren Spaltungen, z.B. entlang „Rasse“ oder Gender, überwindet. Wenn sie sich Wissen über das System aneignet und Selbstbewusstsein, Organisationsfähigkeit und das Streben nach sozialem Wandel entwickelt. Durch diesen Prozess „formt“ sich die Arbeiter*klasse selbst als eine Kraft, welche die herrschenden Klassen bezüglich deren Kontrolle über die Gesellschaft wirksam herausfordern kann.
Solch eine Strategie zum Aufbau einer klassenkämpferischen Gewerkschaftsbewegung, von Arbeiter*streiks und breiten Solidaritätsbeziehungen zwischen Gewerkschaften und Organisationen der sozialen Bewegungen ist einerseits die notwendige Strategie zum Aufbau der Macht der Arbeiter*klasse zur Durchsetzung einer radikalen Reform nach Art des Green New Deal. Aber andererseits ist es die Strategie, die nötig ist zum Wandel hin zu einem selbstverwalteten Öko-Sozialismus. Die syndikalistische Variante des selbstverwalteten Sozialismus bietet eine nachvollziehbare Grundlage für die Lösung der Umweltkrise aufgrund ihrer Fähigkeit durch föderativ verteilte Formen demokratischer Planung in den Händen lokaler Gemeinschaften und der Arbeiter*innen in den [jeweiligen] Branchen. Dadurch haben sie die Macht, um Entscheidungen zu verhindern, die sich zerstörerisch auf die Ökologie auswirken.
Der Übergang zu einem Öko-Sozialismus in Selbstverwaltung der Arbeiter*innen ist nötig, um das Wesen der für die soziale Produktion verwendeten Technologie zu verändern. Dies würde die Arbeiter*innen in die Lage versetzen, um:
– Kontrolle über die technologische Entwicklung zu bekommen
– Arbeitsplätze und Ausbildung umzugestalten zur Verhinderung einer bürokratischen Machtkonzentration über Entscheidungsfindung und Konzeptualisierung durch physische Arbeit
– Verkürzung der Arbeitswoche und Aufteilung der Arbeitsverantwortung zwischen allen Arbeitsfähigen
– Herausbildung einer neuen Logik von Technologie-Entwicklung, die arbeiter*- und umweltfreundlich ist
Tom Wetzel
(Autor von Overcoming Capitalism: Strategy for the Working Class in the 21st Century)
Fußnoten:
1) Robert Pollin: De-Growth vs a Green New Deal, in: New Left Review, 112, July/Aug. 2018, https://newleftreview.org/issues/ii112/articles/robert-pollin-de-growth-vs-a-green-new-deal
2) Natalie Suzelis Natalie Suzelis: Class Struggle Against Growth. A Review of Two Guides Against Extinction, in: Spectre Journal, 2022, https://spectrejournal.com/class-struggle-against-growth/
3) https://www.nasdaq.com/articles/49-of-americans-couldnt-cover-a-%24400-emergency-expense-today-up-from-32-in-november
4) https://www.forbes.com/sites/zackfriedman/2019/01/11/live-paycheck-to-paycheck-government-shutdown/?sh=74e547044f10
Quelle:
https://ideasandaction.info/2022/12/climate-change-class-war-review/
(https://web.archive.org/web/20230201162010/https://ideasandaction.info/2022/12/climate-change-class-war-review/)
Übersetzung [und Anmerkungen]:
Anarcho-Syndikalistisches Netzwerk – ASN Köln, https://asnkoeln.wordpress.com
(CC: BY-NC)
Mehr zum Thema:
„Öko-Syndikalismus statt Green New Deal“,
https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/2019/07/21/oeko-syndikalismus-statt-green-new-deal/
„
]]>Ein weiterer Beitrag kam von Steve Rabinowitz, einem Gründungsmitglied, früheren WSA-Schatzmeister und langjährigen Autor, der aktuell Delegierter im Koordinierungskomitee ist. Er bot einen historischen Workshop zu „Geschichte und Zukunft der WSA“ an.
Beim solchen Kongressen ging es natürlich auch um interne Berichte, Vorschläge und Abstimmungen, wobei die Komitees für Koordinierung, Arbeitskämpfe und Internationales delegiert werden. Lokale Strukturen der landesweiten Basisgewerkschaft existieren in den Regionen Greater Chicago und Philly Metro Area. Gemeinsam mit dem Cercle des Ami.es de l’A.I.T. im kanadischen Québec gibt die Workers‘ Solidarity Alliance das Magazin „Anarchist Union Journal„ heraus, das sich den Aufbau einer nordamerikanischen Gewerkschaftssektion der Internationalen Arbeiter*innen-Assoziation (IAA) zum Ziel gesetzt hat.
CC: BY-NC
]]>Vorenthaltene Entgelte werden manchmal als monatelange Rückstände angehäuft. Oder die Gehälter werden nur teilweise ausgezahlt. Manchmal handelt es sich um einen fehlenden Ausgleich für Überstunden oder um ein Unterlaufen des Mindestlohns. Oder Zuschläge werden nicht ausgezahlt beziehungsweise es gibt rechtswidrige Lohnabzüge.
Im schlimmsten Fall besteht die Verweigerung einer Entgeltzahlung in totaler Sklaverei. Oftmals bedeutet Lohnraub einen erheblichen finanziellen Schaden für die betroffenen Arbeiter*innen. Die meist nur wenige oder keine Ersparnisse haben und daher über keine Mittel zur Selbstversorgung verfügen.
Dieses Problem können wir bekämpfen, indem wir aufstehen und aktiv werden. Viele Sektionen der IAA sind bereits mit direkten Aktionen gegen Unternehmen vorgegangen, die ihre Arbeiter*innen um ihre Löhne betrogen haben. Und oft können Anarchosyndikalist*innen damit erfolgreich die geschuldeten Zahlungen durchsetzen.
In mehreren Städten haben im Rahmen dieser weltweiten Themenwoche verschiedenste Aktionen oder Proteste stattgefunden: Zum Beispiel in Madrid, wo es um die Forderung der CNT-IAA nach ausstehenden Löhnen von der Firma Acaya geht, bei der Arbeiter*innen im Jugendzentrum Pipo Velasco um ihre Bezüge geprellt wurden. Außerdem protestierten sie in der spanischen Hauptstadt gegen die säumige Grupo Los Serenos, um die dort ausstehenden Entgelte einzufordern.
Die Gewerkschaft Priama Akcia (PA-IAA) in der Slowakei führt aktuell einen Arbeitskampf bei der Bäckerei VegaNana in Bratislawa und nutzte die Aktionswoche, um direkte Aktionen gegen unbezahlte Löhne durchzuführen. Diese haben bereits zu einem Teilerfolg geführt, da sich ein Geschäftspartner von dem Unternehmen distanziert hat.
In Polen haben die Mitglieder der Basisgewerkschaft ZSP-IAA ihren Kampf gegen Lohnraub bei der Supermarkt-Kette Zapka mit einer Kundgebung in Gdansk fortgeführt. Außerdem haben sie eine englischsprachige Broschüre veröffentlicht, um über den Widerstand gegen vorenthaltene Zahlungen zu informieren (“A Foreigner’s Guide to Wage Theft – and What To Do About it”).
In der britischen Stadt Bristol hatte die Solidarity Federation (SF-IAA) zu einem Workshop eingeladen, um gemeinsame Arbeitskämpfe um nicht-gezahlte Gehälter zu organisieren.
Aktivist*innen der Workers’ Solidarity Alliance (WSA-IAA) in Philadelphia / USA haben in drei Unternehmen gesonderte Briefe an die Kolleg*innen geschrieben, um auf die Problematik aufmerksam zu machen und über die anarchosyndikalistische Internationale zu informieren.
Das Anarcho-Syndikalistische Netzwerk München war ebenfalls aktiv und hängte an einer Straße ein Banner gegen Lohnraub auf (“Stop Wage Theft”).
Das Anarcho-Syndikalistische Netzwerk Köln hat mehrsprachige Plakate zum Thema veröffentlicht und eine Social-Media-Kampagne auf Mastodon durchgeführt. Außerdem haben wir Flugblätter bei einer lokalen Veranstaltung gegen Gefängnisse verteilt und uns an der Diskussion beteiligt, um die unterbezahlte Arbeit im Knast, in “Werkstätten für Menschen mit Behinderung” und in Geflüchteten-Unterkünften zu kritisieren.
Anarcho-Syndikalistisches Netzwerk Köln
(IAA-Kontakt in Deutschland)
https://asnkoeln.wordpress.com
https://todon.nl/@ASN_Koeln
Diese Grundsätze bedeuten, dass sich gewerkschaftliche Zusammenschlüsse von Arbeiter*innen auf Basis von Kommunen und Arbeitsplätzen bilden. Um sich mittels direkter Aktionen gegen Kapitalismus und Staat zu organisieren. Gleichzeitig schaffen die Föderationen auch Autonomie und Selbstermächtigung für die Arbeiter*klasse und für die Unterdrückten dieser Welt. Die IAA-Organisationen kämpfen zudem gegen jede Form von politischen Parteien, gegen das stellvertreterische Wahlsystem und gegen die Einbindung in die staatlichen Strukturen der Wirtschaftsbeziehungen.
Die Internationale Arbeiter*innen-Assoziation verfolgt außerdem eindeutig das Ziel, sich von der bestehenden Unterdrückung durch Staat und Kapital loszusagen, um stattdessen die Menschen durch Bildung im Sinne des kommunistischen Anarchismus die kollektive Gleichberechtigung zu ermöglichen.
In den Beiträgen zum Anarchist Union Journal sollen daher nicht nur Nachrichten über Arbeitskämpfe erscheinen, sondern auch individuelle oder gemeinschaftlilche Erfahrungen und Reflexionen geteilt werden. Auch theoretische Texte sind dabei willkommen, denn eine lebendige Debatte ist ein wesentlicher Teil einer sozialen Bewegung.
Die bisher online erschienen Artikel der ersten Ausgabe beschäftigen sich mit der Staatsgewalt in Gaza, sowie den Besonderheiten des Anarcho-Syndikalismus. Darüber hinaus enthält das Journal unter anderem Texte zu indigener Solidarität und Klimakrise in Kanada, der Organisierung anarchistischer Mieter*innen-Gewerkschaften und ein Interview mit dem mexikanischen Anarchisten Práxedis Guerrero. Außerdem gibt es eine „Kids‘ Corner“ mit einer Graphik zum Ausmalen und einem Wörterrätsel.
Wer sich in Nordamerika organisieren möchte, setzt sich am besten in Verbindung mit der US-amerikanischen Workers’ Solidarity Alliance ([email protected]) oder mit dem kanadischen Cercle des Ami.es de l’A.I.T. ([email protected])
Zu erhalten ist die Druckausgabe bereits bei solidarischen Buchläden in Atlanta, Baltimore, Montréal, Toronto und Vancouver. Wer außer der Online-Version als PDF auch eine Papierausgabe bekommen möchte, schreibt bitte an die Kontaktadresse [email protected] oder benutzt das Kontaktformular unter https://anarchistunionjournal.org/contact/
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CC: BY-NC
]]>Nach Berichten der Internationalen Arbeiter*innen-Assoziation (IAA), die zu direkten Aktionen aufgerufen hatte, gab es unter anderem Proteste und Versammlungen ihrer Gewerkschaftsmitglieder in Brasilien, Britannien, Chile, Kolumbien, Polen, Portugal, Schweden, Spanien und den USA.
Im deutschsprachigen Raum fand (neben kleinen Aktionen in Köln und München) auch ein internationales Treffen statt, denn die Basisgewerkschaft Priama Akcia aus der Slowakei war zu Besuch beim Wiener Arbeiter*innen-Syndikat in der österreichischen Hauptstadt. Auf dem WAS-Blog ist folgender Bericht der PA-IAA darüber zu lesen:
„Normalerweise versuchen wir, den 1. Mai auf praktische Weise zu begehen. Letztes Jahr veröffentlichten wir an diesem Tag einen Fragebogen mit dem Ziel, mit Menschen in der Slowakei in Kontakt zu treten und wir beteiligten uns auch an der Vorbereitung der Mai-Sonderausgabe der Zeitschrift Burič. Dieses Jahr folgten wir der Einladung des Wiener ArbeiterInnen-Syndikats (WAS) zum Picknick und zur Teilnahme an der Mayday-Demonstration.
Freundschaftliche Treffen mit der österreichischen Sektion der Internationalen ArbeiterInnen-Assoziation sind immer anregend. Das WAS befindet sich seit längerer Zeit in einer ähnlichen Situation wie unsere Gewerkschaft und konnte nun in den letzten Jahren wachsen und etliche Arbeitskonflikte gewinnen. Mitglieder des WAS tauschten sich mit uns über ihre bevorstehenden und laufenden Kämpfe und die neuen Ansätze aus, zu denen sie aufgrund früherer Arbeitskämpfe gelangt sind. Wir nahmen auch gemeinsam an der, von lokalen antifaschistischen und antiautoritären Kollektiven organisierten, Mayday-Demonstration durch Wien teil.
Letztes Jahr griff die Polizei die Menge an und verprügelte Hunderte von Menschen, die nach der Veranstaltung auf dem Rasen saßen, so dass es ungewiss war, was diesmal passieren würde. Trotz der massiven Polizeipräsenz, die durch die ständige Anwesenheit eines Polizeihubschraubers ergänzt wurde, war die Demonstration letztendlich ein angenehmes Ereignis. Musik aus Lautsprecheranlagen sorgte ebenso für Stimmung wie Bengalos oder die Neugestaltung der Fassade der Polizeistation. Die Veranstaltung wurde von über 2500 Menschen besucht, womit es sich um die größte antiautoritäre Mayday-Demonstration in den letzten beiden Dekaden gehand[el]t hat.
Für Anarchosyndikalisten ist der 1. Mai ein Symbol für den Kampf der ArbeiterInnen für kürzere Arbeitszeiten und für ihre Interessen im Allgemeinen. Wir freuen uns, daß wir ihn dieses Jahr mit dem WAS in angenehmer Atmosphäre verbringen konnen und die Gelegenheit hatten praktische Erfahrungen aus unserer täglichen Arbeit auszutauschen.“
Bookchin hatte sich in den 1930ern der kommunistischen Jugendbewegung angeschlossen, später jedoch die offiziellen marxistischen Organisationen verlassen und sich dem freiheitlichen Sozialismus zugewendet. Ein zentraler Punkt seiner Politik seit den Sechzigern Jahren bis an sein Lebensende [2006] war die Gegnerschaft zur Ausrichtung auf den Arbeiter*kampf, welcher im Syndikalismus und bei vielen Anarchist*innen – aber auch bei Marxist*innen – im späten 19. Jh. und frühen 20. Jh. im Mittelpunkt stand.
Nach dem Zweiten Weltkrieg waren die Generalstreiks und heftigen Straßenkämpfe von Arbeiter*innen nur noch verblasste Erinnerungen. In den Nachkriegsjahren festigte sich in den Gewerkschaften eine konservative Bürokratie. In der amerikanischen Arbeiter*klasse gab es in den 1960ern keine „kämpferische Minderheit“ mehr aus radikalen Arbeiter*innen, welche seit Anfang des Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs die amerikanischen Betriebe geprägt hatte. Dies führte dazu, dass einige Radikale sich auf die Suche nach einem neuen „Subjekt“ des revolutionären Wandels machten. Und Bookchin stand beispielhaft für diese Denkweise:
„Im Gegensatz zu den Erwartungen von Marx schwindet die industrielle Arbeiterklasse zahlenmäßig und verliert dabei immer mehr ihre traditionelle Klassenidentität. […] Die heutige Kultur [und] Produktionsweisen haben das Proletariat in eine weitgehend kleinbürgerliche Schicht verwandelt. […] Das Proletariat […] wird vollständig durch automatisierte und sogar verkleinerte Produktionsmittel ersetzt werden. […] Die Klassenkategorien sind nun durchsetzt mit hierarchischen Kategorien auf Grundlage von Rassismus, Geschlecht, sexueller Orientierung und vor allem nationalen oder regionalen Unterschieden.“
Dieses Zitat stammt aus Bookchins letztem Buch „Die nächste Revolution. Libertärer Kommunalismus und die Zukunft der Linken“ [The Next Revolution: Popular Assemblies and the Promise of Direct Democracy]. Es zeigt einen gewissen Mangel an Verständnis davon, wie Syndikalist*innen – und andere Sozialist*innen – die Arbeiter*klasse betrachten. Die Grundlage des revolutionären Potenzials der Arbeiter*klasse ergibt sich sowohl aus ihrer Stellung als Bevölkerungsmehrheit, wie auch aus ihrer offensichtlich unterdrückten und ausgebeuteten Lage. Arbeiter*innen besitzen keine eigenen Mittel, um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen.
Daher sind wir gezwungen uns Jobs bei Arbeitgeber*innen zu suchen, um Löhne zu verdienen, die wir zum Leben benötigen. Und diese Vereinbarung zwingt Arbeiter*innen dazu, sich der autokratischen Herrschaft des Managements unterzuordnen, durch welche den Arbeiter*innen eine Kontrolle über jene Entscheidungen vorenthalten werden, welche sie im täglichen Betriebsablauf und bei der Gestaltung der Arbeitsplätze direkt betreffen. Die Arbeitgeber*innen besitzen die Produkte unserer Arbeit und benutzen sie, um Gewinne zu kassieren – also eine grundsätzlich ausbeuterische Situation.
Die Arbeiter*klasse ist vielfältig und besteht aus verschiedenen Schichten. Im Zentrum der Arbeiter*klasse stehen die Handarbeiter*innen, welche sich der Kontrolle durch eine Arbeitsverwaltung unterwerfen müssen und die selbst kein Teil des sie kontrollierenden Managements sind. Laut „The Working Class Majority“ von Michael Zweig betrifft das etwa 60 Prozent der Bevölkerung (wenn man alle Angehörigen und die Rentner*innen aus früheren Arbeiter*klasse-Jobs mitzählt).
Darüber hinaus sind weitere 15 Prozent aller Werktätigen als einfache „Facharbeiter*innen“ angestellt, welche ebenso dem Management unterstellt sind: Lehrer*innen, Schreibkräfte, Bibliothekar*innen, Programmierer*innen, usw. Diese Schicht hat höhere Bildungsabschlüsse und wird oftmals besser bezahlt als Handarbeiter*innen, aber gründet oftmals Gewerkschaften und ist ein potenzieller Bestandteil von Bündnissen der Arbeiter*klasse. Die Klasse der Arbeitenden verschwindet also nicht, sondern ist die Mehrheit der Bevölkerung.
Das „Industrieproletariat“ besteht aus Arbeiter*innen der „Schlüsselindustrien“ – nicht nur Produktion, sondern auch Transport, Betriebsmittel, Bauwesen und Rohstoffabbau (Steinbrüche, Öl und Erdgas, Forstwirtschaft). Die Arbeiter*innen in der hochindustrialisierten US-Landwirtschaft sollten hier ebenfalls mitgezählt werden, denn diese produziert die Grundnahrungsmittel. In den unterschiedlichen Bereichen der „Schlüsselindustrie“ arbeiten etwa 25 Prozent aller Berufstätigen in den USA.
Arbeitsplätze in der Produktion werden meist deshalb abgebaut, weil die Kapitalist*innen immer neue Technologien und wechselnde Arbeitsweisen einsetzen, um die Zahl von Arbeiter*innen pro Stunde je Outputeinheit zu verringern. Das ist keineswegs neu, denn es hat spätestens in den 1920er Jahren angefangen. Methoden zur Steigerung der Arbeitsleistung durch „schlanke Produktion“, welche als eine Form der Beschleunigung in den letzten 40 Jahren eingesetzt wurden, sind der anhaltende Trend. Dabei produzieren die USA weiterhin rund 17 Prozent der weltweiten Fertigung, obwohl nur 12 Prozent der Arbeiter*innen in diesem Bereich tätig sind.
Aber die Jobs in anderen „Schlüsselindustrien“, wie Transport und Bau, sind nicht in gleichem Maß zurückgegangen. Und diese Branchen sind für die US-Wirtschaft weiterhin bedeutend, denn sie machen etwa die Hälfte des Bruttoinlandsprodukts aus. Daher würde das Entstehen einer kämpferischen Arbeiter*bewegung in diesem Wirtschaftsbereich eine große Schlagkraft hervorbringen.
Der Syndikalismus ist auf die Entwicklung einer Gewerkschaftsbewegung ausgerichtet, welche von den Arbeiter*innen kontrolliert wird und massiv eingreifen kann, um beispielsweise durch Streiks das Abfließen der Gewinne zur besitzenden Klasse zum Stillstand bringen kann. Durch das zunehmend globalisierte und verstreute Produktionssystem haben Logistik bzw. Transport und Lagersysteme zunehmend an Bedeutung gewonnen.
Daher haben Arbeiter*innen in Großbetrieben, z.B. in Produktion, Zulieferung und Transport, eine potenzielle Macht. Diese könnte dazu genutzt werden, die Interessen der Arbeiter*klasse durch die Entwicklung eines höheren Grades an Klassensolidarität voranzubringen. Darüber hinaus verfügt die Arbeiter*schaft über die Macht, die Kapitalist*innen von der Kontrolle über das System der gesellschaftlichen Produktion zu vertreiben. Sie könnten die Arbeitsplätze übernehmen und die Produktion in diesen Branchen auf Grundlage der Arbeiter*selbstverwaltung neu organisieren.
Diese Begründung der syndikalistischen Ausrichtung auf Arbeitskämpfe und betriebliche Selbstorgansiation wurde von Bookchin komplett ignoriert. Wenn die arbeitende Klasse die kollektive Verwaltung der Produktion übernehmen soll, muss es eine Arbeiter*bewegung in diesen Branchen geben, die das umzusetzen kann. Wie sollen sie sich denn sonst von der Unterdrückung durch das kapitalistische Arbeitsregime befreien?
Obwohl Syndikalist*innen die Bedeutung der „Schlüsselindustrien“ aus den genannten Gründen anerkennen, beschränken sie die Arbeiter*klasse nicht auf „das Industrieproletariat“. Oft geht es auch um Organisierung in anderen Branchen, wie Einzelhandel, Gesundheitswesen und andere Dienstleistungen. Das Ziel des Syndikalismus ist die Re-Organisierung der gesamten Wirtschaft durch die Selbstverwaltung von Arbeiter*innen.
Bookchin argumentiert, dass das geringe Ausmaß an Arbeitskämpfen seit dem Zweiten Weltkrieg dadurch bedingt ist, dass die Menschen keine lebendige Erinnerung mehr an die vorkapitalistische Zeit haben, als noch Kleinbäuer*innen ihre eigenen Höfe und Handwerker*innen ihre eigenen Werkstätten betrieben haben. Diese Theorie geht davon aus, dass das Streben nach „Arbeiter*kontrolle“ aus der Vertrautheit mit einer vergangenen Epoche entsteht, in der die Produzent*innen noch über ihre Arbeit selbst bestimmen konnten. Bookchin behauptet, dass die radikalen Arbeiter*innen im Zeitalter der großen syndikalistischen Gewerkschaften:
(…) „meistens Handwerker*innen waren, für die das Fabriksystem ein neues kulturelles Phänomen war. Viele andere hatten einen unmittelbar landwirtschaftlichen Hintergrund und waren nur eine oder zwei Generation entfernt von einem ländlichen Lebensstil. Bei diesen ‚Proletarier*innen‘ erzeugte die Fabrikdisziplin und ebenso das Eingesperrtsein in Fabrikgebäuden höchst unangenehme kulturelle und psychologische Spannungen. Sie lebten in einem Spannungsfeld zwischen einerseits einem vorindustriellen, durch Jahreszeiten geprägten und weitgehend entspannten Lebensstil als Handwerker*innen oder Bäuer*innen. Und andererseits einem Fabrik- oder Betriebssystem, welches ausgerichtet war auf Höchstleistung, stark rationalisierte Ausbeutung, unmenschliche Maschinenrhythmen, kasernenähnliches Leben in städtischen Ballungsräumen und außergewöhnlich brutale Arbeitsbedingungen. Daher verwundert es nicht, dass diese Art von Arbeiter*klasse extrem leicht aufzuwiegeln war und dass Straßenschlachten sich leicht zu einer Art Aufstand ausweiten konnten.“
Zunächst ist festzuhalten, dass diese Theorie eine unbegründete Form des wirtschaftlichen Determinismus ist, als ob die Wirtschaftsweise die Menschen direkt dazu „bringt“ bestimmte Dinge zu denken. Im Weiteren sind die Vorannahmen dieser Theorie falsch: Damals in den 1930ern hatte viele der radikalen Arbeiter*innen überhaupt keinen Hintergrund mehr als selbständige Handwerker*innen und Bäuer*innen aus vorkapitalistischer Zeit, oft waren bereits ihre Eltern und Großeltern schon Lohnabhängige.
Darüber hinaus sind die Kämpfe um die Kontrolle weiterhin ein Teil heutiger Arbeitskonflikte, beispielsweise wenn Krankenpfleger*innen die Personaluntergrenzen verteidigen. Erst kürzlich haben Raffinerie-Arbeiter*innen einen landesweiten Streik durchgeführt, weil sie für ihr Recht kämpfen, die Instandhaltungsarbeiten einzustellen, sobald sie diese für unsicher halten – auch das ist ein Kampf um die Kontrolle. Oder wenn sich Lehrer*innen für kleinere Klassen und für eine bessere Versorgung ihrer Schüler*innen einsetzen.
Um das relativ niedrige Niveau von Arbeitskämpfen in den letzten Jahrzehnten zu verstehen, bedarf es einer näheren Betrachtung der Art und Weise, wie die Aufstände der Arbeiter*klasse entstehen und sich nach und nach entwickeln in Zeiten von Streikwellen und ausgeweiteten Kämpfen. Auf solche Epochen folgt eine langwierige Periode des Organisierens, der Bemühungen um allgemeine Bildung, des Lernens aus gescheiterten früheren Kämpfen. Und schließlich durch eine steigende Anzahl aktiver Arbeiter*innen, welche sich radikalisieren und sich Fähigkeiten des Organisierens aneignen, usw. Daher ist ein höherer Grad an Arbeitskämpfen und die Entwicklung eines „Solidaritätsbewusstseins“ nicht einfach ein „automatisches“ Ergebnis der Bedingungen der Arbeiter*klasse.
Bookchin hat niemals ein neues „revolutionäres Subjekt“ gefunden – zumindest nicht in den USA. Und seine politische Strategie der Lokalpolitik macht wenig Sinn und konnte sich nicht durchsetzen. Die radikale kurdische Bewegung in der Türkei und Nordsyrien wurde von Bookchin beeinflusst und seine direktdemokratischen Ideen von Verwaltung wurden übernommen. Doch die Kurd*innen verfolgen eine andere Strategie…
Bei seiner Betonung der Möglichkeiten von Nachbarschaftsversammlungen als Teil einer freiheitlich-sozialistischen Verwaltung innerhalb der kommunalen Selbstorganisation lag Bookchin keineswegs falsch. Doch Versammlungen von Einwohner*innen fanden schon in früheren Zeiten im Zuge verschiedenster Kämpfe statt, weshalb Versammlungen von örtlichen Anwohner*innen immer eine besondere Rolle spielen. Doch als eine Strategie zum Wandel können sie die Bedeutung von Massenorganisierung und Kämpfen im Produktionsbereich nicht ersetzen, da die Arbeitenden dort direkt der unterdrückerischen Macht des Kapitals gegenüberstehen.
Bookchin hatte recht damit, dass die Auseinandersetzungen entlang der Verwerfungslinien von Rassismus, Geschlechtsidentität und ökologischer Zerstörung während der 1960er und `70er Jahre zunehmend in den Vordergrund und ins Zentrum gerückt sind. Die Kämpfe der schwarzen Freiheitsbewegung gegen die Segregation und andere Aspekte rassistischer Ungleichbehandlung, aber auch die Frauen*bewegung, sowie die Bewegung der Schwulen und Lesben, haben damals die gesamte Linke beeinflusst, ein besseres Verständnis von nicht-klassenbezogenen Aspekten der Gesellschaftsstruktur zu entwicklen, in denen die Freiheit mit Füßen getreten wird.
Und das hat ebenfalls die libertär-syndikalistischen Aktivist*innen und ihre Organisationen beeinflusst. Darüber hinaus muss sich unser Nachdenken über Strategien auch damit befassen, auf welche Art sich das System im Laufe der Zeit verändert hat, wie neue Themen in den Blick geraten, wie neue Bevölkerungsteile aktiv geworden und die Neuen Sozialen Bewegungen entstanden sind.
Unser strategisches Denken muss diese neuen Dinge miteinbeziehen, aber das kapitalistische System in den USA hatte schon immer einen rassifizierten und geschlechtsidentitären Charakter. Und diese Arten von Unterdrückung sind stets auch am Arbeitsplatz vorhanden und wirken sich darauf aus, wie die Institutionen des Systems handeln. Verschiedene Unterdrückungsformen wirken sich direkt auf unterschiedliche Bevölkerungsteile der vielfältigen Arbeiter*klasse aus.
In der Parole „Ein Angriff auf eine*n ist ein Angriff auf alle“ wird daher die Klassensolidarität ausgedrückt. Wenn eine Teilgruppe der Klasse von einer besonderen Ungerechtigkeit betroffen ist (wie rassistische Diskriminierung, sexuelle Belästigung, rassistische Polizeimorde oder Angriffe auf Migrant*innen), dann würde es eine Verweigerung von Solidarität bedeuten, wenn diesen Gruppen in ihrem Bemühen Beschwerde einzureichen keine praktische Unterstützung angeboten würde.
Die Arbeiter*klasse kann sich solange nicht selbst befreien, bis sie sich in eine Bewegung „verwandelt“ hat, welche die allgemeine soziale Befreiung zum Ziel hat. Indem sie sich mit Themen auseinandersetzt, wie das unterdrückerische Wesen des Staates, die Muster rassistischer und geschlechtlicher Ungleichheit, sowie den ökologisch verheerenden Charakter des kapitalistischen Wachstums. Die Arbeitenden können in ihren Kämpfen gegen die herrschenden Klassen jedoch nicht erfolgreich sein, wenn sie nicht in der Lage sind, die vielfältigen Menschengruppen zusammenzubringen. Und wenn wir uns nicht in gesteigertem Maße gegenseitig in unseren Kämpfen unterstützen.
Tom Wetzel
Quelle:
ideas&action (Workers‘ Solidarity Alliance),
http://ideasandaction.info/2021/01/murray-bookchins-legacy-syndicalist-critique/
Übersetzung:
Anarcho-Syndikalistisches Netzwerk – ASN Köln
(https://asnkoeln.wordpress.com)
CC: BY-NC
]]>Am 06.01.2021 fand ein Angriff auf das Kapitol statt, den Sitz des Bundeskongresses der Vereinigten Staaten. Während der Kongress versammelt war, um das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen zu bestätigen stürmte ein rechtsradikaler Mob das Gebäude. Der angeschlagene autoritäre und scheidende US-Präsident Donald Trump hatte die Rechten dazu ermutigt, und es ging ihm dabei hauptsächlich um seine korrupten Gaunereien und sein aufgeblasenes Ego.
Obwohl dieses Ereignis absehbar und fast öffentlich angekündigt war, schien die Polizei anfangs den Mob mit Samthandschuhen anzufassen. Vor allem im Vergleich zum Vorgehen gegen die Proteste von Black Lives Matter und anderen im vergangenen Jahr, was sogar in den Mainstream-Medien kommentiert wurde.
Der Sturm auf das Kapitol war schon seit Langem vorbereitet worden: Seit der Nixon-Ära gibt es das Phänomen der weißen, rechtsradikalen und autoritär-christlichen Evangelikalen. Der Aufstieg der Rechten unter Reagan war der erste „Wink mit dem Zaunpfahl“ von Teilen des politischen Establishments an rechtsradikale Elemente – eine offensichtliche Botschaft an die sogenannten „patriotischen“ Gruppierungen. Viele davon behaupten, sie seien bloß Gruppen, die für das Recht auf Waffentragen kämpfen, und benutzen dies zugleich als Deckmantel, um junge Männer und Frauen aus dem Militär anzusprechen, zu bewaffnen und zu trainieren.
Am Rande der knallharten Mainstream-Rechten entwickelte sich eine langsam anwachsende Strömung von Nazi-Unterstützer*innen und weißen Nationalist*innen. Die „Tea Party“ innerhalb des Establishments half dabei, den Autoritarismus anzuregen und die Schleusen zu öffnen. Trump und seine Verbündeten waren letztlich bloß der Ausdruck einer 40 Jahre andauernden Entwicklung dieses Strebens nach einer offen rassistischen und völkischen Persönlichkeit, Dadurch wurde eine unverhohlene Zustimmung, Duldung und Ermöglichung eines amerikanischen Autoritarismus mit hervorgebracht oder zumindest ermutigt.
Doch die Gesetze, welche heute gegen „Rechts“ angewendet werden, sind dieselben, die früher gegen die Linke und die Arbeiter*bewegung eingesetzt wurden. Die Ideen des Autoritarismus müssen daher im Alltag bekämpft werden, denn wer heute diese Gesetze begrüßt, kann morgen schon selbst von ihnen betroffen sein.
Das Zurückdrängen autoritärer Ideen (religiös, politisch oder radikal) innerhalb der Arbeiter*klasse ist Teil des Klassenkampfes – ein Kampf gegen den Staat und gegen rechte religiöse Machthaber*innen, sowie gegen alle kleinen Chefs, welche die Arbeiter*klasse manipulieren. Der Kampf gegen Hass und Heuchelei, welche von den Mächtigen und Möchtegern-Mächtigen durch Überschreiten der Klassengrenzen zur Manipulation eingesetzt werden, muss letztlich innerhalb der Arbeiter*klasse gewonnen werden.
Es bedarf daher einer geduldigen Organisierung und Weiterbildung zu diesen Themen, um jene innerhalb der Klasse zurückzudrängen, die dieser in den Rücken fallen, sobald sie Geld oder Macht (oder beides) und einen Chefsessel wittern. Um den übermächtigen Feind zu besiegen, müssen wir ihn zuerst in unseren eigenen Reihen bekämpfen, denn unser Kampf muss immer an beiden Fronten geführt werden.
Nicht Trump ist das Problem – es ist das System!
Organisieren, bilden und überwinden.
Workers‘ Solidarity Alliance (WSA),
https://workersolidarity.org
Übersetzung:
Anarcho-Syndikalistisches Netzwerk – ASN Köln, https://asnkoeln.wordpress.com (CC:BY-NC)
Mehr Infos zur Workers‘ Solidarity Alliance:
https://anarchosyndikalismus.blackblogs.org/?s=WSA