Antifa – anna ruhtra https://annaruhtra.blackblogs.org kritik. antifa. marxismus. Fri, 11 Apr 2025 11:28:30 +0000 en-GB hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Outcall Antifa: Buch veröffentlicht! https://annaruhtra.blackblogs.org/2025/03/02/outcall-antifa-buch-veroffentlicht/ Sun, 02 Mar 2025 12:43:34 +0000 https://annaruhtra.blackblogs.org/?p=182 Mein Buch Outcall Antifa – Sexismus in den eigenen Reihen und das Scheitern an einer “feministischen Revolution” ist jetzt erhältlich!

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Sackgasse Identitätspolitik https://annaruhtra.blackblogs.org/2023/12/28/sackgasse-identitatspolitik/ Thu, 28 Dec 2023 12:24:10 +0000 https://annaruhtra.blackblogs.org/?p=130 Exkurs in die Heimat

Betrachten wir die Diskurse zu dem Begriff „Heimat“ wird schnell deutlich: wenn es eine Heimat gibt, bedeutet das für die Menschen eine Identifikation mit diesem Ort und der Vorstellung, sie hätten mit den Menschen von dort etwas gemeinsam. Es mag stimmen, dass man an manchen Orten den Kartoffelsalat schon immer gleich zubereitet hat, dass wenn man von dort kommt, man ihn schon immer so gegessen hat und gar nicht anders mag. So geht es vielleicht auch allen anderen in Altheim, jedoch ist die darauffolgende Identifikation mit anderen Menschen aus Altheim ein falsches Bewusstsein: sie haben nicht wirklich viele Gemeinsamkeiten. In Altheim wohnt eine Lesbe, einer der reich erbt, ein Frauenschläger, eine Depressive, eine Kindergärtnerin, ein Hausarzt, ein Nazi und ein Linker (hoffentlich). Diese Menschen essen vielleicht ihren Kartoffelsalat auf die gleiche Weise, haben aber nichts entscheidendes gemeinsam. Der Begriff Heimat vereint sie also zu Unrecht. Und was das Konzept Heimat dabei verlangt, ist, dass es Menschen gibt, die dazugehören, und welche die es nicht tun. Die Heimatkritik schlussfolgert schnell, dass die Vorstellung von Heimat in Traditionskult und Feindlichkeit gegenüber neuen Dingen aber auch Menschen umschwingt. Wer von Heimat faselt, faselt vielleicht auch schneller davon, dass der Kartoffelsalat deutsch ist und deutsch bleiben soll, dass der Kartoffelsalat gefährdet ist durch unsere neuen Mitbürger:innen, dass Kartoffelsalat und Kopftuch nicht zusammengehören. Aus dieser sehr gängigen Debatte für und gegen den Begriff Heimat, können wir ableiten, was die Menschen mit Heimat verknüpfen: sie mögen die Lüge der großen Zusammengehörigkeit, die auf kleinen wahren Gegebenheiten beruht. Der Kartoffelsalat in Altheim ist eventuell anders als in anderen Teilen der Welt, sich aber auf Kartoffelsalat zu berufen, verschließt die Augen vor echten Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Die Identität als Altheimer:in kann dadurch schaden. Auch in heutigen postmodernen Theorien, versteifen sich linke Analysen auf Identitäten, es entwickelte sich Identitätspolitik. So schlossen sich queere Menschen anhand ihres Geschlechts oder ihrer Sexualität zusammen, Frauen schlossen sich zusammen genauso wie Menschen, die Rassismuserfahrungen machen. Aus ihrer Diskriminierung leiten sie eine Identität ab, auf welche sie sich berufen.

Ist das falsch?

Diese Realitäten sind wahr, verkennen aber andere Unterschiede oder Gemeinsamkeiten außerhalb und innerhalb dieser Identitätsgruppen. Es beginnt eine falsche Separation. Wer sich beispielsweise aufgrund seiner:ihrer Hautfarbe in einer Gruppe zusammenfindet, verkennt, dass die Erfahrungen, Chancen und Unterdrückungen in unserer Gesellschaft nicht alleinig von einer Hautfarbe abhängen. Ebenso bringen reine Frauengruppen keine Einheit und Schlagkraft durch die Geschlechtszugehörigkeit. Noch falscher wäre es, sich in noch kleine Gruppen zu splittern, wie etwa eine Frauengruppe für schwarze Frauen oder eine Gruppe für weiße schwule Männer. Es ist zunächst logisch, dass Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, diese analysieren und eine Identität daraus konstruieren. Im Widerstand gegen die Unterdrückung ist es dann wichtig, einen Stolz aufgrund dieser Identität zu entwickeln und sie nicht zu verkennen oder zu weichen. Dennoch darf dieser Prozess nicht dort enden und in einer Abkapselung der Identität münden. Damit entzieht man sich den Kämpfen, welche eben nicht in Splittergruppen, die sich auf eine Teilgemeinsamkeit versteifen, gelingen können.

Identität Klasse

Stattdessen müssen sich die einzelnen Personen in identitätsübergreifenden Gruppen zusammenfinden, die sich auf einer einzigen Identität beruft: ihrer Klassenzugehörigkeit. Das ist die einzige Ausbeutung, die sie alle gemeinsam haben und die ihre Überausbeutungen, wie etwa die von Frauen erklärt und bestärkt. Die einzelnen Erfahrungen, wie beispielsweise Rassismus, müssen in diese Organisationen hineingetragen werden, anstatt sie auszulagern. Oft meiden allerdings Menschen diese Art der politischen Organisation, da sie sich lieber in die Lüge der Identität stürzen wollen und sich einreden, in den Kleingruppen sicherer zu sein. Dabei wird wieder verkannt, dass es in unserem System keine Sicherheit geben kann, auch nicht unter vermeintlich Gleichen und dass dieser Rückzug keine Veränderung bewirken kann. Man kapselt nämlich nicht nur sich, sondern auch die Forderungen ab.

Der Zusammenschluss von FINTA-Gruppen aufgrund von der Identität, patriarchal unterdrückt zu sein, mündet oftmals darin, dass die einzelnen unterschiedlichen Unterdrückungsmuster verschleiert werden, da sie der gemeinsamen Identität als „FINTA“ weichen müssen. Zudem hat diese Form der Politik eine Wirkung auf alle Männer: sie müssen sich nicht mehr mit den Anliegen der „FINTA“ beschäftigen, da diese nun eigene Strukturen haben. Von diesem falschen Zusammenschluss von „FINTA“ profitieren also weder die Inkludierten, noch die Exkludierten. Stattdessen hemmt es die Politik beider Gruppen.

Selbstentmündigung

Ebenso kann es passieren, dass die Versteifung auf die vermeintlich gleiche Identität und vermeintlich gleiche Diskriminierung in solchen Identitätsgruppen dazu führt, dass die Menschen sich nicht als mündige Frauen, Non-binary, oder Interpersonen sehen – stattdessen kommt es nach und nach zu einer Identifikation mit einer „Opferrolle“. Die Identität ist nicht mehr das Geschlecht, sondern die Tatsache geschlechtsbasierte Gewalt zu erfahren. Eine Falle, die den Menschen nicht nur psychische Kraft, sondern auch politische Schlagkraft raubt. Ebenfalls leidet der politische Kampf unter mit dieser Politik einhergehenden Regeln: wir sahen schon, dass es inkludierte und exkludierte Menschen durch die Vorstellung fester Identitäten gibt. Die Identitätspolitik verlangt daher von Menschen, dass nur die Menschen mit entsprechender Identität und Erfahrung ihre Kämpfe führen dürfen – alle anderen sind maximal Allys. Das ist eine Hemmung aller Kräfte und zeigt sich in kleinsten Situationen: ein politisches Treffen, dass Forderungen gegen das Patriarchat oder gegen Rassismus ausarbeiten möchte, aber nur aus weißen Männern besteht, darf nach der Identitätspolitik nicht für diese Diskriminierungen und nicht für die Betroffenen sprechen, damit können sie keine antipatriarchale oder antirassistische Politik machen – sie bleibt wieder an Betroffenen und Überausgebeuteten hängen oder muss von ihnen angeleitet werden. Dafür müssten sie erst einmal in dieses Treffen kommen, was sie nicht tun, da sie ihr eigenes aufgrund ihres Andersseins und ihrer vermeintlichen internen Zusammengehörigkeit haben.

Antikapitalismus für den Kapitalismus

Menschen sind also plötzlich geteilt aufgrund von Eigenschaften, die uns das System eintrichtert: Geschlechtertrennung, „Rassentrennung“, „normale“ Sexualitäten und queere Sexualitäten. Die Welt, die bekämpft werden soll, wird so noch stärker reproduziert. Das Konzept Ally-Ship teilt dann in Menschen, die Kämpfe führen und Menschen, die sie angeblich nicht führen, sondern unterstützen sollen. Dabei ist das schlicht und einfach falsch: wer nämlich einen Kampf gegen Unterdrückung führen möchte, muss das auch mit Männern tun, sogar mit weißen Männern. Die Unterdrückung fußt auf einer Ausbeutung, von der auch sie, als Arbeiter, betroffen sein können. Die Teilung in Betroffen und Allys verkennt das. Es darf nur eine Aufteilung geben zwischen solidarisch miteinander antikapitalistisch Kämpfenden und zu bekämpfenden Ausbeutern. Alles andere ist eine schwächende und falsche Trennung, eine Verblendung durch Identität, eine verbindende Lüge (nach Anthony Appiah). Unser Kampf darf keiner sein, in dem manche nur Allys sind, unser Kampf muss einer sein, in dem wir alle mit Solidarität kämpfen, einer in dem es keine passiven Rollen gibt, bei denen man sich aus der Betroffenheit und Verantwortung ziehen kann.

Die Ausbauten des Kapitalismus, wie beispielsweise der Rassismus, sind zeitgleich seine Stützen: nicht nur hilft er ihm, die globale Ausbeutung zu betreiben, gleichzeitig spaltet er den Widerstand gegen ihn. Der weiße Arbeiter fällt auf die Falle rein, und gibt die Schuld am schlechten Lohn den Geflüchteten, die ihm angeblich Geld, Arbeit, Wohnraum und Frauen wegnehmen würden. Anstatt die Verantwortlichkeit in der Politik zu suchen, nimmt er sich die leichteren Erklärungen, fällt auf diese Geschichten herein und lässt sich verblenden. Genau dieser Zustand ist eigentlich unser Feind, genau gegen diese Ideologie und kapitalistischen, rassistischen und patriarchalen Zustände gilt es aktiv zu werden. Dafür muss eine Politik gestaltet werden. Die Identitätspolitik ist es aber nicht, sie fußt genauso auf der Trennung von Widerstand, einer Schwächung der Revolution.

Antifa als Identität

Das gilt absurder Weise auch für die Identität „Antifa“ – manche Antifaschist:innen reimen sich auf ihre gesellschaftliche Ausgrenzung und Erfahrung mit Polizeigewalt eine Identität zusammen als „Antifa“. Als solche kapseln sie sich ebenfalls ab, schließen mit einer Gesellschaft ab, die sie verändern wollen, ohne zu hinterfragen, ob sich eine Gesellschaft verändern lässt, von der man sich bewusst distanziert. Dabei ist die Lösung für alle Identitäten, auch die als Antifaschist:in, sie bewusst in die Gesellschaft und raus aus der Abschottung zu bringen. Dieses In-die-Gesellschaft-treten, darf sich aber nicht in reiner Repräsentation erschöpfen.

Keine Quoten, Werbeplakate oder Fernsehrollen verändern unser Leben voller Unterdrückung. Natürlich ist sichtbare Diversität wichtig. Noch wichtiger ist aber, dass es nicht nur bei der Darstellung bleibt, sondern auch eine ernsthafte Gleichbehandlung von Hautfarben, Geschlechtern und Sexualitäten folgt. Und dieses Ziel erreichen wir nicht durch die Behandlung von kleinen Symptomen, wir müssen an die Wurzel. Für den Feminismus gilt daher: Jeder Feminismus, der nur Wert auf Repräsentation von Frauen und anderen unterdrückten Geschlechtern legt, ist eine kapitalistische und neoliberale Verblendung. Oder um es mit den Worten von keinem weniger als Pöbel MC zu sagen „Euer Markt wird nicht gerecht, egal wie er sich umdeutet. Ihm ist doch scheißegal, welches Gender dich ausbeutet.“ – das Girlboss-Movement ist das peinliche Comeback der bürgerlichen Frauenbewegung. Das einzige Problem unserer Zeit ist nur, dass ihm nicht mehr die proletarische Frauenbewegung die Stirn bietet, sondern ein weiterer verblendeter Feminismus, der lediglich fordert, die Sprache müsse mehr Geschlechter ansprechen. Dort muss tatkräftig angesetzt werden: zeigen wir den kapitalistischen Feminismen, wie eine Befreiung aller Geschlechter aussieht. Bauen wir einen Feminismus auf, der einen klaren Klassenstandpunkt hat. Einer, der Klasse nicht als Identität und Unterdrückung durch „Klassismus“ abtut, sondern einer, der den Kapitalismus stürzen will und ökonomische Ausbeutung bekämpft.

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Die FLINTA ins Korn werfen! https://annaruhtra.blackblogs.org/2023/12/28/die-flinta-ins-korn-werfen/ Thu, 28 Dec 2023 12:10:12 +0000 https://annaruhtra.blackblogs.org/?p=125 Warum wir den Akronymen in vermeintlich linker Theorie ein Ende bereiten sollten

In der postmodernen Linken haben viele Abkürzungen und Buchstabenaneinanderreihungen Einzug gefunden – die Problematik daran soll anhand des präsentesten Beispiels analysiert werden. Der Begriff FLINTA (bzw. FINTA) wird sehr häufig in queerfeministischen Kreisen benutzt, um vom Patriarchat unterdrückte Geschlechter zusammen zu führen und zu benennen. Dabei ist die Buchstabenabfolge ein Akronym der Personengruppen Frauen, Lesben, Intergeschlechtliche, Non-Binäre, Transpersonen und Agender Personen. Die Reihenfolge der Buchstaben variiert mittlerweile, um jeweils Personengruppen präsenter zu benennen (vgl. TINFLA). In vielen Bereichen von Texten über Reden, Kloschildern bis hin zu Demonstrationsaufrufen ersetzt der Begriff (fälschlicherweise) weitestgehend den Begriff Frau oder den Begriff Queers (für queere Geschlechter und Personen). Es soll analysiert werden, warum wir keine dieser Personengruppen mit den genannten Akronymen benennen sollten und warum die Nutzung von Akronymen fortschrittlicher Politik schaden.

  1. Die Sache mit den Massen, die Sache mit der Anschlussfähigkeit

In erster Linie sind Bezeichnungen wie FLINTA für große Teile der Gesellschaft nicht anschlussfähig. Das liegt daran, dass der Begriff eine Neuschöpfung ist und in vielen Bereichen noch keine Bekanntheit hat. Das hat viele Gründe. Zum einen kommen äquivalente Begriffe zum im deutschen Sprachraum genutzten FLINTA-Begriff in anderen Sprachen nicht vor. Folglich kann er gerade Menschen mit anderem sprachlichem Hintergrund nicht übersetzt werden. Außerdem herrscht der Begriff in einer politischen Szene vor, die wie der Begriff Szene schon verdeutlicht, sehr stark abgeschottet unter sich bleibt. Diese Szene erklärt zwar in jedem Plenum an der Anschlussfähigkeit arbeiten zu wollen und beschließt niederschwellige Kommunikation, jedoch ist das nicht das Problem. Vielmehr ist es die Tatsache, dass diese Kreise sich als moralisch überlegen inszenieren: sie kapseln sich ab, weil sie postulieren, die richtigen Wörter zu benutzen, weil sie keiner Personengruppe wehtun und alle berücksichtigen würden. Aber eigentlich kapseln sie sich ab, weil sie alle den gleichen Hintergrund haben, die gleichen Schuhe tragen – sie haben gemeinsam, nur vorzugeben, die Gesellschaft verändern zu wollen. Stattdessen genießen sie ihre Ruhe in einer Jugendkultur, wo man mit den barbarischen Arbeiter:innen nichts zu tun haben muss. Man ist ganz froh, ihnen fern zu sein, denn die glauben nicht an queere Geschlechter, die sind alle patriarchal und sagen Frau statt FLINTA. Man eröffnet vermeintliche Saf(r)space – anstatt sich dem Widerstand der Umstände anzunehmen. In Plena Niederschwelligkeit zu verlangen bedeutet nämlich eigentlich, dass sie eine Stufe sehen. Eine Stufe, die nicht ein höheres Klassenbewusstsein beschreibt, sondern eine Grenze der einfachen Leute und den Aufstieg zu Moralist:innen – diese Schwelle sollte nicht niederschwellige gestaltet werden, sondern sich vollständig aus ihren Köpfen lösen. Während man sich moralisch abgrenzt, anstatt Politik zu machen, verkennt man die Realität: im Alltag dieser einfachen Leute, der Arbeiter:innen, gibt es eine sehr klare Einteilung in Mann und Frau, oder eine Einteilung in unterdrückte Geschlechter und einem profitierenden Geschlecht. Diese binäre Einteilung können wir zwar als radikale/revolutionäre Linke nicht gutheißen, jedoch müssen wir ihre alltägliche Existenz ernsthaft angehen, anstatt sie durch sprachliche Veränderung lediglich zu vertuschen.

2. Abkürzung wohl eher Verkürzung

Die Zusammenführung von Frauen und queeren Geschlechter, in beispielsweise einem Begriff ist auch eine stark verkürzte Analyse von Unterdrückungsverhältnissen im Patriarchat und Kapitalismus. Die Ausbeutung von und der Hass auf Frauen sind schlicht und einfach nicht identisch mit den Erfahrungen von queeren Geschlechtern, wie auch umgekehrt. Nicht-binäre Menschen leiden beispielsweise unter der Ausgrenzung und Diskriminierung in einer binären Welt – eine Erfahrung, die Frauen nicht machen. Genauso erleben Transmänner und Transfrauen sehr unterschiedliche Anfeindungen – nicht einmal ihr Leben lässt sich unter dem „T“ von FLINTA gleich benennen. Geschweige denn lässt sich ihr Leben mit den Erfahrungen von Interpersonen gleichsetzen. Wir sehen also, dass mit der Zusammenführung verschiedenster Personengruppen in einem Akronym nicht ihre Repräsentation gestärkt wird, sondern ihr Leid relativiert und verkürzt wird. Wir können das revolutionäre Subjekt auch nicht einfach durch den Begriff FLINTA ersetzen, wir müssen in der Forderung nach einer queeren Befreiung queeres Leben genauer analysieren – ihre Rolle in revolutionären Kämpfen nicht der der Frau gleichsetzen.

3. Steht „I“ für Männer inkludieren?

Viele Menschen benutzen den Begriff FLINTA um klarzustellen, dass Räume oder Veranstaltungen mit Ausschluss von Männern stattfinden sollen, oder um Personengruppen zu benennen, bei denen alle Geschlechter außer cis-Männer gemeint sind. Dass dabei Transmänner entgegen ihrer Definition wieder in dieselbe Position wie queere oder das weibliche Geschlecht gedrückt werden, sei einmal außenvorgenommen. Allerdings werden auch andere Männer im FLINTA-Begriff inkludiert. Das passiert durch Intergeschlechtliche Personen (das „I“ in FLINTA), welche teilweise nach der Geburt als Männer eingetragen werden oder sich als Männer identifizieren. Diese Widersprüche des FLINTA-Begriffs werden allerdings nicht dadurch gelöst, sich den Fehler der Analyse einzugestehen. Stattdessen wird mittlerweile in eine Vielzahl von Identitäten, biologischen Geschlechtern, Geschlechtern und Gendern unterschieden. Beschwert wird sich an dieser Stelle nicht über die Existenz von vielen Geschlechtern, sondern der vermeintlichen Wissenschaft der Ausdifferenzierung von Indo- und Endogeschlechtlichkeit. Es braucht allerdings eine klare Ausdifferenzierung, warum die Geschlechtsidentität nicht eine Identität ist, sondern ein wirkliches Geschlecht. Warum diese Identität eben das biologische Geschlecht ist, welches als solches dann nicht existiert. Es braucht eben keine sprachlichen Verrenkungen, sondern eine dialektisch materialistische Geschlechtsanalyse. Folglich meinen FLINTA-Räume etc. zwar Orte ohne Männer, faktisch sind sie allerdings nicht ausgeschlossen. Ob ihr Ausschluss richtig oder falsch wäre in Bezug auf verschiedene Situationen, ist zudem fraglich. Wer einen gemeinsamen Kampf gestalten möchte, sollte nur die wirklich notwendigen Abgrenzungsräume eröffnen.

4. Von einem Schrank zu vielen Schubladen

Während die Idee der Queer-Community nicht nur war, die ursprüngliche Beleidigung als queer wieder positiv zu besetzen und als Selbstbezeichnung und stolzen Begriff zu wählen, stand auch fest, dass der Begriff ein radikal offener sein soll, unter dem sich queere Personen zusammenfinden können, ohne sich definieren zu müssen. Dieser Ursprungsgedanke wurde aufgebrochen – in Begriffen wie FLINTA sollen Menschen sich zusammentun und als eben einer der Buchstaben identifizieren. Diese Identifizierung wird dabei zwar als empowernd vorgegaukelt, jedoch mündet sie eher in einer sprachlichen Kontrolle – die Wörter Frauen und Queers weichen einer Abkürzung, mit der man sich nicht gegenseitig ansprechen oder gar selbst bezeichnen kann. Außerdem brachte die radikale Offenheit des Queer-Begriffs eine dauerhafte Aktualität mit sich, während die Akronyme immer weiter um Buchstaben ergänzt werden und damit auch angehende Notwendigkeit der Neuvermittlung mit sich ziehen.

5. Frauen sind nicht der Feind

Durch den Begriff FLINTA wurde bisher vor allem der Begriff Frau ersetzt. Das ist inhaltlich falsch aber auch eine falsche Botschaft an Frauen – sie stellen jetzt nur noch einen Buchstaben in einem Akronym, dass patriarchale Ausbeutung beschreiben soll. Dabei wurde der falsche Feind gewählt, nicht Frauen sind die, die zu viel benannt werden und weichen sollen. Sie sind es, deren Kampf unser momentan Schlagkräftigste ist, ein Kampf, der unser aller Befreiung bedeuten kann, wenn wir ihn richtig führen. Das bedeutet, dass uns die Situation abverlangt, eine Revolution gegen das Patriarchat zu führen, in der Frauen die tragenste und größte Rolle einnehmen. Dabei müssen wir auch die Positionen von anderen Geschlechtern analysieren – sie stellen einen Bruchteil der Unterdrückten und sind ausdifferenziert anhand der Ausbeutung. Die Ausbeutung ist aber die Schlagkraft, die wir für unsere Befreiung aufwenden müssen. Folglich ist die Ausbeutung definierend für den Kampf, den wir führen: Die Drängung der Frau in die Reproduktionssphäre gibt ihnen eine besondere Rolle als revolutionäres Subjekt im Kampf gegen Patriarchat und Kapitalismus. Dieses Verständnis muss Fundament der Analyse sein und zeitgleich ein Maßstab, an dem wir die Rolle anderer Geschlechter in der Revolution bemessen.

6. Ein ganzes Kornfeld

Die postmoderne Linke weist auch weitere Akronyme auf, denen es ähnlich zum FLINTA-Begriff an Anschlussfähigkeit, Aktualität, Präzision, Analyse und Sinnhaftigkeit mangelt. Bekannt sind beispielsweise LGBTQIA+, BIPOC und IDAHOBIT. Am Beispiel der Abkürzung LGBTIAQ+ (lesbian, gay, bisexual, trans, inter-, agender, queer+) konnte historisch beobachtet werden, wie ein Begriff (LG bzw. LGBT) an Aktualität verliert und immer weiterwachsen muss. Ein Irrsinn, der daraufhin durch die Einführung des + beendet werden sollte, um keine Ergänzungen mehr vornehmen zu müssen, sondern eine radikale Offenheit zu suggerieren. Nichtsdestotrotz ist der LGBTQIA+ Begriff bereits sperrig und nicht alltagstauglich – etwas, was eine Selbstbezeichnung und Identität allerdings sein sollte, wenn sie genutzt werden soll.

Die letzten Jahre mehr in die Öffentlichkeit gerückt ist der IDAHOBIT – (international day against homo-, bi- and transphobie) der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Trans-Feindlichkeit. (Da war für ein A dann keine Geduld mehr, oder ist das A in FLINTA eigentlich auch das N?). Dass der Tag und seine Bedeutung an Aufmerksamkeit gewinnen, ist natürlich ein wichtiger Schritt. Allerdings kommt die Frage auf, warum ausgerechnet die queere, queerfeministische und postmoderne Strömung einen solch großen Hang zu komplizierten und langen Abkürzungen hat. Einer Frage der wir nachgehen müssen:

7. Woher kommt der Abkürzungs-Kink?

Selbstverständlich hatten auch andere Bewegungen Abkürzungen zur Benennung von Personengruppen, Kampftagen oder Aktionen. Dennoch scheint gerade die queere/(queer-)feministische Bewegung einen expliziteren Hang dazu zu haben: aus dem einfachen Grund einen ständigen Zwang zu Repräsentation zu haben. Die vorherrschende Ideologie in diesen Bewegungen ist, dass anstatt einer vollständigen und ausdifferenzierten Analyse, der Fokus auf Repräsentation und Benennung aller Personengruppen erfolgen muss. Anstatt eines Raums für „alle unterdrückten Geschlechter“ oder „Menschen betroffen von patriarchaler Gewalt“ oder „für Frauen und Queers“, müssen alle Identitäten und Individuen einzeln aufgezählt werden. Es klingt zunächst einleuchtend, dass eine Bewegung, die aus Personen besteht, die unterrepräsentiert und unbenannt im Alltag sind, diese Diskriminierung durch eigene Plattformen durchbrechen will. Das ist auch nicht falsch, jedoch muss eine Politik weitergehen als sich auf einer Repräsentation auszuruhen. Was aber nach einer Kleinigkeit klingt, zieht sich als strukturelles Problem durch diese Strömungen. Es sind nämlich momentan genau diese „linken“ Bewegungen, die es bei Identitätspolitik belassen (vgl. Sackgasse Identitätspolitik) und es dabei auch nicht aus den eigenen Zirkeln schaffen. Des Weiteren stillt Identitätspolitik auch ein großes Bedürfnis: dem Bedürfnis nach Identität. Anstatt sich aber als Teil einer Klasse, eines Widerstands, einer Organisation oder Bewegung zu begreifen, versteht man sich als individuelle Identität, als beispielsweise schwarze lesbische Transfrau. Damit empowert man sich selbst, anstatt einen Zusammenschluss zu erkämpfen. Kollektivität und Solidarität sind allerdings die Grundbausteine einer linken und revolutionären Politik, statt einer Vereinzelung. Das Verbünden in einem Identitäten-überschneidenden Kollektiv ist notwendig, um gemeinsam einen Kampf zu starten, welcher nicht der Befreiung einzelner, sondern aller dient. Dieser Kampf bleibt durch Identitätspolitik aus, verständlicherweise wird sie daher auch so geduldet und vermarktet – Prideflaggen verkaufen sich besser als die Revolution.

8. Sprache statt Antikapitalismus

Begriffe durch Akronyme zu ersetzen, erweckt den Anschein, die mit Frau oder FLINTA verbundene Ausbeutung und Unterdrückung im Patriarchat ließe sich durch sprachliche Veränderungen antastet oder gar überwinden. Während den sozialistischen Diskursen von Materialismus bis Dialektischem Materialismus klar ist, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, wird hierbehauptet, es wäre durch reine sprachliche Veränderungen möglich, unsere Unterdrückung zu beenden – dass es zusätzlich eine Ebene der Ausbeutung gibt, wird erst gar nicht analysiert (vlg. Queerfeminismus ich lenin ab). Dieser reformistische Ansatz ist lächerlich im Verhältnis zu dem Ausmaß der herrschenden Systeme, Kapitalismus und Patriarchat. Die Sprache zu verändern ist kein Mittel gegen das Ausmaß des Leids bezüglich der unbezahlten Reproduktionsarbeit, dem Ausmaß der Übergriffe, der Vergewaltigungen und Morde. Ein Akronym zu benutzen, ist keine Politik, es ist ein Hohn an all die, die eine Frauenrevolution im Iran betreiben, an all die, die das emanzipatorische Projekt Kurdistan gegen den IS verteidigen, aber auch ein Hohn an die, die in Deutschland versuchen eine revolutionäre Bewegung aufzubauen und sich in den Debatten wiederfinden, warum die Linke keine Perspektiven, sondern nur noch Vokabeln bietet. Frauen und Queers werden weltweit ermordet und die deutsche Linke überlegt sich Buchstabenrätsel.

Wer denkt, diesen Feminist:innen ginge es zu gut, schlussfolgert allerdings falsch, sie sind nicht zu wenig unterdrückt, sie sind nur zu stark verblendet. Denn die Forderung nach der Befreiung von Frauen und Queers ist bürgerlich geworden – sie verkennen die ökonomischen Bedingungen als Fundament für unsere Ausbeutung und auch für unsere Unterdrückung. Der Begriff FLINTA signalisiert dabei nicht nur postmoderne Identitätspolitik (vgl. Sackgasse Identitätspolitik) sondern auch das Abfinden mit einer abgekapselten Szene-Politik, der finalen Resignation. Wo haben sie ihren Antikapitalismus gelassen? Wo ihre Geschichtsbücher? Wenn das Streben nach einer Revolution gegen eine Sprachphilosophie ersetzt wird, verlieren wir nicht nur radikale Ansätze, wir verlieren auch jegliche Chance eine Befreiung zu erreichen. Die Devise muss lauten Klassenkampf statt Vokabeltest.

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Das A in Antifa steht für Aushalten https://annaruhtra.blackblogs.org/2023/04/30/das-a-in-antifa-steht-fur-aushalten/ Sun, 30 Apr 2023 16:30:17 +0000 http://annaruhtra.blackblogs.org/?p=47 Die Awareness-Falle

Awareness“ und „Awareness-Arbeit“ – es gibt wohl nichts über das in linken Kreisen häufiger gesprochen aber auch gefaselt wird. „Klassenkampf“ ist es leider schon lange nicht mehr. Dabei ist die Idee hinter Awareness zunächst gut: Politik nachhaltig gestalten, aufeinander Acht geben, füreinander da sein. Ein wunderbarer Grundsatz, der eine Selbstverständlichkeit in politischer Arbeit und Genoss:innenschaftlichkeit sein sollte. Doch braucht es ausgeklügelte Konzepte, um miteinander „aware“ zu sein? Und wann wird „Awareness in Politik“ zu „Awareness statt Politik“?

Von Party…

Gerade in Partykonzepten ist Awareness immer wieder ein Thema. Egal ob sich Veranstalter:innen als linksradikal, als queer oder linksliberal verstehen: Ohne Awarenesskonzept wird schon lange nicht mehr gefeiert. Denn immer wieder sind Partys Tatort von Übergriffen. Wichtig ist dann, mit Betroffenen aber auch den Tätern richtig umzugehen. Oft ist die Lage durch Drogenkonsum bei Partys zusätzlich zugespitzt; Präventivarbeit müsste hier geleistet werden, anstatt weitere „Feuerwehr-„Politik““. Doch anstatt grundsätzliche Analysen von beispielsweise patriarchalen Verhaltensweisen voranzubringen und zu vermitteln, findet man sich bei den Partyvorbereitungen plötzlich in Debatten wieder, wie viele Safespaces noch benötigt werden. Eine der größten Trugschlüsse die postmoderne und vermeintlich feministische Politik einher brachte: Die Vorstellung es gäbe einen geschützten Raum innerhalb eines ausbeutenden und patriarchalen Systems. So kommen Menschen doch ernsthaft auf die Idee Räume auf Partys als sicher zu benennen. Sicher vor was? Gemeint sind selbstverständlich Übergriffe. Diese Räume dürfen dann ausschließlich von FINTA betreten werden. Die angewandte Statistik ist simpel: Männer sind statistisch häufiger für gewalttätige oder sexualisierte Übergriffe verantwortlich. Räume ohne sie, sollten damit seltener ein Tatort sein. So weit so klar. Doch wie soll es weitergehen? Müssen damit nicht auch antirassistische Räume etc. errichtet werden? Wie sieht eine Hausparty aus, auf der sich alle wohlfühlen? 20 Räume für aktuelle 20 bekannten Diskriminierungsarten? Und wenn ja, darf ich den Raum „frei von Klassismus“ mit allen Bonzen darin abfackeln?

Das Problem ist selbstverständlich nicht, dass es FINTA-only Räume gibt. Das Problem sind auch nicht die Tees, Tampons und Schokoladensorten, die dort auf die Personen warten und Trost und Auszeit von einer patriarchalen Welt bieten sollen. Aber da sollte man sich schon fragen: Verarschen wir uns da nicht? Und wer baut diese Räume auf? Es sind meist unterdrückte Geschlechter selbst, die dieses Konzept entwerfen und ihre politische Arbeitszeit investieren. Wofür? Um sich gegenseitig die Lüge zu erzählen, sie seien sicher. Das ist eine Entpolitisierung. Es ist nämlich kein Zufall, dass Queerpartys und generell „queere Communities“ politische Inhalte immer weiter verdrängen. Anstatt sich klassenkämpferisch oder antifaschistisch zu positionieren, sind linke Theorien durch Aware-Theorien und kinky-Mottos ersetzt worden. In vielen Städten findet sich kein politischer Anspruch in Queergruppen, es ist längst kein Geheimnis mehr, dass sich auch Rechte in den Kreisen aufhalten können, ohne sich Sorgen machen zu müssen. Eine Peinlichkeit und Tiefschlag für Jahrzehnte-lange Kämpfe queerer Revolutionär:innen.

… zu Politik

Was vermeintlich auf einer Party funktioniert, nimmt dann gerne auch in manch einem Plenum Platz ein. Dieses wird dann aware gestaltet und auf alle Bedürfnisse zugeschnitten. Das darf an dieser Stelle nicht falsch verstanden werden: selbstverständlich muss ein politischer Raum einer sein, in dem sich alle Menschen willkommen fühlen, die radikale Politik betreiben möchten. Selbstverständlich darf dieser Raum keinen Platz für patriarchales oder rassistisches Verhalten haben. Jedoch ist es immer noch ein Raum in unserer Gesellschaft – zu denken, er wäre frei von Unterdrückung ist eine Verleumdung. Es gibt keine Safspaces. Und wird der Raum gewiss auch nicht freier durch die absurden Vorstellungen von Individualpolitischen, die die verrücktesten Moderations-, Gefühls- und Kommunikationskonzepte verlangen. Was sie erschaffen, ist nur eine weitere linke Szeneideologie, die in einem Moralismus mündet: Das Treffen wird immer nischiger gestaltet, immer schwerer zugänglich und durch absurde Regeln und Moralvorstellungen dekonstruiert. Die Arbeiter:innen dürfen nach ihrem Ausbeutungstag im Plenum erst einmal 6 neue Handzeichen lernen, wie sie gewaltfrei und aware kommunizieren, um dann Politik zu machen, die alles andere als ihre Befreiung im Sinn hat. Stattdessen wird immer weniger ernsthafte Politik vorangebracht; anstatt sich dem Klassenkampf zu widmen, verrennen sich diese Gruppen in die Vorstellung diskriminierungsfrei zu sein, sie verstehen sich als moralische Menschen, die der unmoralischen Welt arrogant gegenüberstehen. Sie verurteilen die Arbeiter:innen und applaudieren sich Plenum für Plenum selbst, für das tolle Miteinander. Aber dieses Miteinander ist in Wahrheit alles andere als aware: es ist nämlich oftmals unsolidarisch. Man cancelt sich, weil jemand „Schwachsinn“ sagt und das Nazisprache ist; weil jemand ein ACAB T-Shirt trägt und das falsch sei; weil es „Gewaltausübender“ und nicht „Täter“ heißt. Wann haben sie vor wieder Politik zu machen?

Verbindlichkeit statt Befindlichkeit

Die Gerüchte sind war: es soll Menschen geben, die nicht Politik machen, um sich wohlzufühlen. Es soll Menschen geben, die ernsthaft Politik machen, um Dinge zu verändern, um die Umstände zu bekämpfen. Menschen, denen es aufgrund der Unterdrückung im Kapitalismus scheiße geht, die deswegen noch mehr Laster auf sich nehmen, um das System loszuwerden. Diese Hardcore-Kommunist:innen scheuen dabei nicht einmal davor zurück, täglich Zeit in Gruppen und Organisationen zu stecken. Sie begehen tagtäglich Grenzüberschreitungen: an ihnen selbst. Sie springen über ihren Schatten, um bei Infoveranstaltungen neue Menschen zu gewinnen. Sie missachten ihre Comfortzone um im revolutionären Kampf politische Ziele zu erreichen und gehen dabei enorme Risiken durch Repression und Gewalt ein. Fast so, als würden sie es ernst meinen. Als würden sie die Politik nicht für sich, sondern für ein Ziel machen. Ganz anders gestalten andere Kreise ihre Politik: ein Treffen soll ein Rückzugsort, ein Safespace, ein Befindlichkeitsort sein. Das soll nicht heißen, dass nur Politik, bei der man auch mal leidet, ernsthafte Politik ist. Gemeint ist aber, dass Widerstand gegen ein System und radikale Veränderung niemals nur in Wohlfühlrahmen stattfinden kann. Radikale Politik wird sich niemals gut anfühlen, wir können und sollten dabei natürlich langfristig und schonend mit Genoss:innen umgehen, aber zu denken, die Politik würde uns nichts abverlangen ist eine falsche Illusion. Lasst uns Befindlichkeitsgrenzen überschreiten und dem Patriachat und dem Kapitalismus ernsthaft den Kampf ansagen.

Gradwanderung

Wo ist also die richtige Abwägung zwischen solidarischem Umgang und Awareness-Wahn? Es ist wirklich ganz simpel: wir müssen uns nur fragen, wann das Awarenesskonzept unserer Politik nützt und wann der Grad überschritten ist und die Politik nur noch der Awareness nützt. Einen Raum zu schaffen, indem wir uns über Gefühle unterhalten können, fällt beispielsweise ganz klar in den Bereich der Awareness-Arbeit, die unserer Politik nützt: wir festigen dabei Genoss:innenschaftlichkeit, lernen uns und unsere Laster kennen, können füreinander da sein und damit langfristig und gemeinsam Politik machen. Ganz anders sieht es beispielsweise mit Abschottunsgräumen aus: eine Aufteilung von Gruppen nach Geschlecht oder Hautfarbe, die unabhängig ohne Absprachen agieren, hemmen die Politik, es verbrennt Ressourcen, verringert Schlagkraft und spaltet Kämpfe. Solche Identitätspolitik nützt radikaler Politik nicht, sondern schwächt sie. Genauso müssen wir uns bei jeder Regel, die in Treffen oder Organisationen eingeführt werden soll, fragen: wird sie unsere Zusammenarbeit stärken oder verkomplizieren und damit unzugänglich und auch moralistisch gestalten. Es ist schlicht nicht unsere Aufgabe einander zu bewerten und unsere Awareness zu loben, uns moralisch zu messen und abzuschotten, sondern die Welt zu verändern. Dabei steht das A in Antifa eben manchmal für Aushalten, nicht für Awareness.

Kein Text ohne Kapitalismuskritik

Es scheint Menschen immer noch zu überraschen, aber ja: der Kapitalismus eignet sich alles an. Auch linke Theorie. Der Kapitalismus vermarktete Feminismus, er vermarktete Queerness und er wird auch Awareness vermarkten. In Startups, die von flachen Hierarchien faseln, fassen auch Awarenesskonzepte Fuß. Neben dem Firmen-Yoga und Obstkörben werden es auch Befindlichkeitskonzepte sein, die dort ihren Platz und ihren Nutzen finden werden. Denn es nützt dem Kapitalismus Arbeiter:innen auch noch durch vermeintliches emotionales Interesse an die Ausbeutung zu binden und damit besser ausbeuten zu können. Da kann man sich nur auf die erste queer-awarenes-party-crew aus Berlin freuen, die ihre Konzepte an Firmen verkauft und Schulungen von Führungsebenen anbietet, um die Ausbeutung der Arbeiter:innen angenehmer zu gestalten. Das hat der Entpolitisierung gerade noch gefehlt. Da kann man nur hoffen, dass sie vorher zu viel MDMA nehmen.

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In der Antifa nix Neues – Die Geschichte des deutschen Antifaschismus (und was man daraus lernen könnte) https://annaruhtra.blackblogs.org/2023/03/18/in-der-antifa-nix-neues-die-geschichte-des-deutschen-antifaschismus-und-was-man-daraus-lernen-konnte/ Sat, 18 Mar 2023 17:13:18 +0000 http://annaruhtra.blackblogs.org/?p=44 Antifaschistischer Widerstand hat trotz des deutschen Nationalsozialismus eine lange Geschichte in Deutschland. Gerade Kommunist:innen kämpften unerbittlich gegen reaktionäre und faschistische Bestrebungen und prägten dabei bis heute die Kultur und Aktionen „der Antifa“. Immer wieder standen sie vor Herausforderungen und Widersprüchen, immer wieder wiederholten sich aber auch Grundprobleme, wobei eine historische Analyse auch heutigen Aktivist:innen helfen könnte, Klarheit und Strategie zu erlangen. Lasst uns also aus der Vergangenheit lernen, und Schlüsse daraus ziehen.

Ab 1914: Es beginnt mit dem Verrat der SPD

Die anfängliche Kriegseuphorie in Deutschland beginnt zu kippen und gerade die Arbeiter:innenpartei der damaligen Zeit (SPD) sorgt immer wieder für große Enttäuschungen in der Arbeiter:innenklasse1. Ihre Anti-Kriegspolitik mit großen Demonstrationen und Widerstand gegen den ersten Weltkrieg wandelt sich, zum Erschrecken der Linken, in eine befürwortende Kriegspolitik2. So stimmt die SPD 1914 mit 96:14 Stimmen für Kriegskredite und damit für den Krieg. Zusätzlich verzichtet die Partei auf Lohnforderungen und unterstützt mit staatlicher Zusammenarbeit Streikmaßnahmen, die noch mehr die Rechte der Arbeiter:innen beschneiden sollen1. In die Geschichtsbücher geht diese Zeit des Verrats als Burgfriedenspolitik ein – es ist aber zugleich der Beginn des reaktionären Wachstums gegen eine deutsche Revolution. Der linke Flügel innerhalb der SPD ist schockiert über die reaktionäre Verbrüderung und Verratspolitik, sodass er sich 1917 abspaltet. Daraufhin gibt es zwei SPD‘n: die Mehrheits-SPD (MSPD) und die unabhängige SPD (USPD) – letztere beinhaltet Revolutionär:innen, wie etwa der marxistisch-sozialistische Spartakusbund, eine Gruppe rund um die bekannten Held:innen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht. Zeitgleich beginnt in Russland die Revolution, was einen Aufschwung der streikenden und revolutionären Bestrebungen in Deutschland bedeutet3. Zusätzlich lässt sich dies auch auf große Unzufriedenheit und Not in der Bevölkerung zurückführen. Nichtsdestotrotz bleibt ein revolutionärer Umschwung aus und in der voranschreitenden Niederlage des deutschen Heeres, wird schließlich durch die Dolchstoßlegende der Versuch gestartet, auch gegen die SPD Stimmung zu schüren. Trotz der Behauptung, die SPD hätte das deutsche Heer verraten und wäre schuld an den Niederlagen, erleben die beiden SPD einen Aufschwung: Nach einem geplanten Angriff auf die britische Flotte erhebt sich ein Matrosenaufstand, der in eine Streikwelle und den Versuch der Novemberrevolution mündet. Infolgedessen flieht der Kaiser und die SPD’n erlangen wieder an größerer Bedeutung. Es gelingt lokale Räterepubliken auszurufen und der Wunsch nach einer deutschen Republik (MSPD) oder Räterepublik (USPD) wächst1. Einerseits gründet sich 1918 die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) aus unteranderem dem Spartakusbund, dennoch werden Streiks durch Freikorps immer weiter niedergeschlagen und auch das Streben der MSPD nach einer verfassungsgebenden Nationalversammlung bremst die Revolution maßgeblich aus3. 1919 kommt es zur Nationalversammlung, nachdem beim „Spartakusaufstand“ 165 Revolutionär:innen kaltblütig durch die von der MSPD getriebenen reaktionären Kräfte ermordet wurden. Darunter fielen später auch die Vorreiter:innen Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht – das bedeutete den endgültigen Bruch zwischen Sozialdemokratie und Revolutionär:innen. Während die MSPD mit Blick auf Russland eine Gefahr durch Linke wittert (anstatt durch Rechte) werden die fortschrittlichsten Köpfe des deutschen Revolutionsversuchs ermordet. Es kommt zur Nationalversammlung und sie verabschiedet mit Mehrheit die Weimarer Verfassung, jedoch ist diese geschrieben im Blut der Revolutionär:innen und Tränen einer verratenen Klasse, die weiterhin auf den Straßen um Freiheit kämpft. Arbeiter:innen-Organisationen und auch die Münchner Räterepublik werden weiter zerschlagen, dabei gelingt der Hieb durch die von der Regierung aufgebauten und gesteuerten Freikorps, welche auch die Taktiken für SS und SA vordachten2.

Ab 1920: Das Aufkommen des deutschen Faschismus

Die rechten Kräfte erlangen immer mehr Macht und Strebungen, wie etwa der Kapp-Lüttwitz-Putsch können einerseits durch Glück, andererseits aber auch durch das Ausbrechen des größten Generalstreiks der deutschen Geschichte abgewendet werden1. Der Streik endet allerdings in der Zerschlagung der Roten Ruhrarmee, welche den Putschisten entgegenstand. Es beginnt eine Zeit der rechtsextremen Attentate wie beispielsweise der Ermordung linker oder jüdischer Politiker (z.B. Unterzeichner des Vertrags von Rapallo, welcher damit erstmals die Sowjetrepublik anerkannte)1. Die Formierung des Faschismus in Italien lässt zudem deutsche Rechte nach vorne schauen, sie werden siegen und der Antifaschismus, welcher hier erstmalig ein Begriff wird, wird versagen. Entscheidend ist dabei das Schicksalsjahr 1923 in dem belgische und französische Truppen aufgrund von Reparationslieferrückständen das Ruhrgebiet besetzen. Als ein Rechter, der dieser Besetzung entgegenstand, erschossen wird, beginnt um diesen Albert Leo Schlageter ein Märtyrer-Kult, der auch vor der KPD keinen Halt macht. Diese muss sich dringlichst zum Faschismus positionieren und kämpft mit diversen Sichtweisen. Berühmt wurde eine Rede von Karl Radek, in dem er nationalistische Parolen bedient und Schlageter als Helden instrumentalisieren möchte4. Dennoch gibt es auch klar fortschrittliche Analysen, wie etwa Clara Zetkins Beurteilung, der Faschismus sei „keineswegs die Rache der Bourgeoisie dafür, dass das Proletariat sich kämpfend erhob. Historisch objektiv betrachtet, kommt der Faschismus vielmehr als Strafe, weil das Proletariat nicht die Revolution, die in Russland eingeleitet worden ist, weitergeführt und weitergetrieben hat“ 5. Im selben Jahr ruft die KPD auch den Antifaschisten-Tag (29. Juli 1923) aus, um gegen Rechts zu mobilisieren. Aus der breiten Arbeiter:innenklasse wollen sie eine Kraft gegen Faschismus und Kapitalismus erzeugen. Die Faschist:innen formieren sich weiter und auch die weiteren Analysen der KPD wie etwa Hermann Remmeles Rede, der Faschismus sei „das Instrument der Bourgeoisie gegen das revolutionäre Proletariat“ 6 oder Stalins Ergänzung „Die Sozialdemokratie ist objektiv der gemäßigte Flügel des Faschismus […] Es sind […] Zwillingsbrüder“ 7 können dem rechten Aufschwung nicht entgegen wirken. Tatsächlich wird Stalins Sozialfaschismusthese den tiefgreifenden Keil zwischen SPD und KPD betonen: Durch den Verrat der SPD kann es nicht zur Einheitsfront zwischen den Arbeiter:innenparteien kommen, stattdessen zeigt sich ein stark reaktionär-konservativer Trend in den Reichtagswahlen (34% für rechtsbürgerliche Parteien4), der sich auch im neuen Reichspräsidenten (Paul von Hindenburg) wiederspiegelt. Aber auch linke Philosophie und Theorie entwickelt sich weiter. Beispielsweise die aus dieser Zeit stammende Faschismustheorie von Georgi Dimitroff (V. Weltkongress) hält sich bis heute und klärt: bürgerliche Demokratie kann in Faschismus umschwingen, es sind zwei Varianten des Kapitalismus, er ist das Fundament. Parallel gibt es noch anhaltenden Widerstand, wie etwa der paramilitärische Schutz der KPD „Rotfrontkämpferbund“ oder anarchistische Widerständler:innen („Schwarze Scharen“). Sie erleben große Niederlagen: der Rotfrontkämpferbund wird nach Angriffen im „Blutmai“ verboten. Auch der „Kampfbund gegen den Faschismus“ rund um Ernst Thälmann steht den wachsenden Stimmen der NSDAP und dem rechten Straßenterror von SA, SS, Stahlhelme und Organisation Consul vehement entgegen4. Dennoch ist es eine Organisation der SPD, das „Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold“, das in dieser Zeit die größte politische Massenorganisation der Weimarer Republik stellt und sich durch freie Gewerkschaften und Sportverbände aber strikt ohne die KPD aufstellt. Nach weiteren Gewaltausschreitungen ruft die KPD am 25. Mai 1932 die „Antifaschistische Aktion“ aus – bis heute namengebend für antifaschistische Politik1. Sie fordern einen roten Massenselbstschutz und eine Einheitsfront, in der auch der Kampf gegen den Kapitalismus gelingen soll. Während die SPD die Mitarbeit verbietet, zeichnen sich trotz des kommenden deutschen Faschismus Erfolge der Antifaschistischen Aktion ab. So erlangte sie eine große Streikwelle und senkte die NSDAP-Stimmen in geringem Maß. Dass es dennoch zum Faschismus kam, hat viele Ursachen: Historiker:innen streiten, ob die faschistische Struktur nach dem Preußenschlag schon zu weit vorangeschritten war oder die Feindschaft und Gegensätze der Arbeiter:innen-Parteien den Sieg des Widerstands verhinderten4. Nichts desto trotz war es auch die mangelnde Erfahrung und die Differenzen in der Bewegung von Arbeiter:innen, die eventuell verantwortlich waren, dass der Antifaschismus scheiterte8.

Ab 1933: Zeit des Nationalsozialismus

Nachdem die NSDAP eine Diktatur unter dem Reichskanzler Adolf Hitler errichtete und mit Reichstagsbrandverordnung, Ermächtigungsgesetz und Einparteienstaat das dunkelste Kapitel des deutschen Antifaschismus einläutete, sollte sich auch ein weiterer Schrecken des Faschismus zeigen: Sein Expansionscharakter. Während Ernst Thälmann noch warnte „Wer Hitler wählt, wählt den Krieg“ 9, kam es schließlich zum zweiten Weltkrieg. Neben wenigen möglichen Widerstandsformen (darunter die Weiße Rose, Rote Kapelle, Edelweißpiraten, Kreisauer Kreis, Georg Elser, Schwarze Scharen und Swing-Jugend), bedeutete es die Zeit von massenhafter Ermordung von Kommunist:innen und andere Widerständler:innen oder das Leben im Untergrund, Exil oder Gefängnis.

Nach 1945: Zwei Deutschlands, zwei Antifaschismen?

Nach der Kapitulation des Nazi-deutschen Reichs und der Teilung Deutschlands (BRD/DDR) einte linke Kräfte zwar die Niederlage und Faschismuserfahrung, die neuen Herausforderungen wie Aufarbeitungsarbeit der Gräueltaten, Empathie mit den Opfern, und das Fortleben von Antisemitismus und Rassismus in einer Gesellschaft geprägt vom Opfermythos, jedoch zeigten sich auch klare Unterschiede von antifaschistischer Arbeit abhängig von Ost- oder West-Deutschland10.

  • BRD

In Westdeutschland erlebten Linke erst einen vermeintlichen staatlichen Antifaschismus durch das Grundgesetz und die Ewigkeitsklausel, jedoch entpuppte sich schnell die antitotalitäre Politik in Zuge des Kalten Krieges gegen die UdSSR mit reaktionären Bestrebungen in Westdeutschland wie etwa das Verbot der KPD (1956), der Einführung des Verfassungsschutzes, das Landesverratsgesetz und einer nicht stattfindenden und stark mangelhaften Entnazifizierung mit aufkommender antikommunistischen Stimmung1. Für den Widerstand bedeutete das, auch in diesem System nicht auf den Staat vertrauen zu dürfen.

  • DDR

Auch in der DDR gelang die Entnazifizierung nicht, sie wurde allerdings ernster versucht. Gerade auch, weil Antifaschismus das größte politische Ideal in der DDR darstellte und als Abgrenzungsinstrument zum Westen galt, sowie Innen- und Außenpolitik prägte. Dennoch stand in der DDR fest: für antifaschistische Bewegungen außerhalb der SED und FDJ solle es weder Daseinsberechtigung noch Duldung geben, sie wurden unterwandert und zerstört1.

Verschiedene Ansätze

Im Nachkriegs-Deutschland gab es verschiedene antifaschistische Ansätze, die zeitgleich existierten und in das Zeitalter der berüchtigten Autonomen Gruppen einführten. Diese Vorläufer werden auch gerne als traditionelle Antifaschist:innen bezeichnet, die institutionalisiert, proletarisch oder vom Faschismus direkt betroffen arbeiteten.

  • VVN(-BdA)

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) gründete sich aus Überlebenden des Holocaust, darunter vielen Jüd:innen, Kommunist:innen aber auch andere Widerständler:innen. Mit dem Schwur von Buchenwald („Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht. Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel. Das sind wir unseren gemordeten Kameraden und ihren Angehörigen schuldig. – Wir schwören.11) fordern sie bis heute das Ende des (Neo-)Nazismus. Trotz vieler Kriminalisierungskampagnen waren sie es, die maßgeblich Gedenkkultur und Gedenkstätten, Entschädigungszahlungen und Geschichtsvermittlung voranbrachten. Weitere Meilensteine waren der Protest gegen den Zyklon B Hersteller „I.G. Farben“ 10 und die Kampagne „noNPD“. Sie ergänzten ihren Namen um „Bund der Antifaschist:innen“ (BdA) zur Repräsentation neuer Mitglieder, dennoch verloren sie an Bedeutung durch autonome Bewegungen und gelten heute als verfassungsfreundliche, ältere Widerstandbewegung, die eine unersetzliche Expertise in Geschichtsaufarbeitung stellt.   

  • KPD und DKP

Die KPD (Kommunistische Partei Deutschland) wurde in Westdeutschland 1956 verboten, konnte aber illegal im Untergrund weiterbestehen. Es gelang zudem eine Art Nachfolger-Partei (DKP, Deutsche Kommunistische Partei) ins Leben zu rufen, die bis heute besteht, allerdings wenige Erfolge zu verzeichnen hat. Sie sind streng marxistisch-leninistisch und berufen sich auf die Notwendigkeit einer kommunistischen Partei, als welche sie sich begreifen.

  • K-Gruppen

Die K-Gruppen waren oftmals junge Gruppen, die sich ab 1968 aus der Auflösung des Sozialistischen Deutschen Studentenverbund (SDS) bildeten. Sie einte der oft maoistische Ansatz einer revolutionären Realpolitik, die klar antifaschistisch, antiimperialistisch und antikapitalistisch sein sollte10. Gegen Staatsvertrauen und gewaltoffen, waren sie einzeln aber auch in Bündnissen aktiv. Die Erschießung Benno Ohnesorgs, ein Student auf einer linken Demonstration 1970, löste Massenproteste aus, die bei K-Gruppen in einer Präfaschismustheorie mündeten. Nach dieser Faschisierungsthese war die Erschießung für die Anhänger:innen ein Indiz, dass sich der Faschismus erneut formiert. Diese Schlussfolgerung verursachte den Verlust von Anschlussfähigkeit und eine Isolation aus gesamtgesellschaftlichen Kontexten. Die K-Gruppen zerbrachen schließlich an internen Differenzen, wie Antisemitismusvorwürfen, Streit um Strukturen und Organisation aber auch an politischen Positionierungen: Die Wiedervereinigung stellte für einige einen späten Sieg des Nazi-deutschen Reichs dar (Gründung der „Antideutschen“) während andere es als den richtigen Schritt interpretierten.

Die Autonomen

In Italien formierten sich Autonome ab 1960 in einer proletarischen Organisation, während die autonomen Gruppen in Deutschland fern der Arbeiter:innen-Bewegung waren. Ab 1970 entwickelten Autonome sich aus unterschiedlichen Bereichen, wie etwa den K-Gruppen aber auch aus der Sponti-Bewegung, die oftmals theorie-avers, antiautoritär und spontan arbeitete und damit den K-Gruppen nicht nur im Verhalten aber auch in Aktionsformen (Hausbesetzungen) widersprach. Letztlich kamen auch Autonome aus dem Bereich neuer sozialer Bewegungen – darunter fallen Bewegungen zu Anti-Atomkraft, Frieden, Umweltthemen, Jugendzentren, Feminismus und Rechte für Schwule und Lesben. Zunächst setzen die Autonomen auf Fahndungsantifaschismus. Sie waren es, die Einzeltäterthesen und Amoklauf-Verharmlosungen eine erfolgreiche Recherchearbeit entgegensetzen und damit rechte Strukturen und Anschläge entlarvten. Die Bewegung hatte zeitgleich aber auch viele Rückschläge zu verkraften: immer wieder kam es zu Toten auf Demonstrationen. Darunter Olaf Ritzmann (1983), was die Gründung des Norddeutschen Antifa-Treffen hervorbrachte. Im Oktober desselben Jahres, beim NPD-Bundesparteitag in Fallingbostel, erschienen die Autonomen vielen erstmals. Dort wollten sie nicht 30 km entfernt mit DGB und VVN protestieren, sondern Blockaden errichten. Infolgedessen kam es zu Kriminalisierungskampagnen, Verfassungsschutzbeobachtung, starke Vernetzungen aber auch einem Bruch mit dem Kommunistischen Bund. 1985 fordern Repressionen erneut einen toten Demonstranten, Günter Sares. Es folgten starke Solidarität und Ausschreitungen in Deutschland, aber auch dem Ausland1. Doch der größte Aufschrei autonomer Politik sollte am 2. November 1987 folgen: Bei einem Umweltprotest zum Flughafen Startbahn-West erschossen Autonome zwei Polizisten. Es folgte eine Repressions- und Spaltungswelle, Isolation und Zerfall von Strukturen. Die berühmte Gewaltfrage war allgegenwertig. 

Nach dem Mauerfall (1998) kamen viele rechte politische Gefangene frei, welche gut vernetzt die folgenden Jahre prägen sollten: In Ostdeutschland endete das „kurze Jahr der Anarchie“ (1990) und läuteten die Zeit des rechten Terrors, die Baseballschlägerjahre ein. Nach dem mäßigen Erfolg des „Nie wieder Deutschland“ Bündnis 1989, kristallisierte sich dennoch ein Ausblick antifaschistischer Politik. Um von Isolation und Unbedeutsamkeit zu entkommen, sollten neben vermehrter Öffentlichkeits- und Bildungsarbeit, Bündnisarbeit die Strategie werden. Bekannteste Strukturen waren ab 1992 die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO) und das Bundesweite Antifa Treffen (BAT). Auch diese zerlegten sich an Streitigkeiten über Hierarchien, Öffentlichkeitsumgang und den Ost-Umgang. Die parallele Zuspitzung rechter Gewalt mündete in Festival-artigen Anschlägen und Terrorattacken. Genannt und gedacht sei hier den Opfern der Pogrome von Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen. Neben den mordenden Nazis war die Regierung zunehmend rechtsgestimmt und anstatt Asylbewerbende vor Anschlägen zu schützen, wurde ihre Existenz durch ein strengeres Asylrecht eingeschränkt1. Wir können hier von einer Täter-Opfer-Umkehr sprechen.

Spaltungen und Postautonomie

Antifaschistische Gruppen erlebten auch inhaltliche Spezialisierungen, so waren es migrantisch geprägte Gruppen, die sich explizit mit Rassismus auseinandersetzten (Antifaşist Gençlik) oder Fantifa-Gruppen, die feministische Theorie und Arbeit voranbrachten. In einer Zeit in der sich Antifaschismus als Jugendgegenkultur etablierte und gleich einer Marke oder Partylocation verkauft wurde, machten sich auch individualistische Politikansätze breit, die sich in den 2010er zuspitzen werden. Zu Beginn der 2000er Jahre kam es allerdings zunächst zur Gründung von bürgerlichen, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Ansätzen – sie forderten beispielsweise das NPD-Verbotsverfahren, welches 2017 Dank des Verfassungsschutzes scheiterte.

  • Antideutsche

Die linksradikalen Gruppen zerstritten sich zudem über Theorie: Antideutsche und Antiimperialist:innen standen sich entgegen. Während Antideutsche wie bereits geschildert gegen die Widervereinigung waren, war es auch der Nahostkonflikt, der sie abgrenzte. Sie stehen bis heute in großer Solidarität zu Israel und sehen darin den einzigen Schutz von Jüd:innen. Dabei positionieren sie sich auch Islam-feindlich und Luxus-positiv. Sie empfangen Rassismus-Vorwürfe und verloren Anhänger:innen an das rechte Milieu. Gestützt sind ihre Analysen oftmals auf die Frankfurter Schule und knüpfen an Horkheimer oder Adornos Faschismustheorie an.

  • Antiimperialist:innen

Antiimerialist:innen stehen oft strikt entgegen dem amerikanischen Imperialismus und dem Staat Israel in Solidarität mit den palästinensischen Gebieten – darauf folgen oft Vorwürfe von Antisemitismus, die sich aller spätestens in Zeiten des Jugendwiderstands (ehemalige Berliner Gruppe) zuspitzten. Antiimperialist:innen wird zudem oftmals unterstellt Befreiungskämpfe zu schnell zu befürworten ohne Nationalismus zu reflektieren und zu starr der Faschismustheorie von Georgi Dimitroff nachzuhängen.

Heute

Immer mehr wurde den Autonomen bewusst, dass ihre Politik sie in Isolierung treibt, weswegen eine Erweiterung der Themenfelder und mehr Bündnispolitik gefordert wurde. In Bündnissen wie der Interventionistischen Linken (IL) oder Ums Ganze! zeigen sich beispielsweise postautonome, teils marxistische Ansätze. Parallel gibt es auch rein kommunistische Ansätze, die im Erbe des Marxismus-Leninismus an kommunistischen Parteien arbeiten und ebenfalls bundesorganisiert vorgehen. Auch lokalere Antifa-Bündnisse bestehen über Landesgrenzen bis heute, sowie städtespezifische Bündnisse, die kampagnenbasiert oder themenübergreifend arbeiten.

Der Widerspruch durch Antideutsche scheint sehr langsam aber stetig an Bedeutung zu verlieren, Widersprüche zwischen kommunistischen und anarchistischen Gruppen bestehen weiterhin und hinzu kommt ein Konflikt zwischen Gruppen, die identitätspolitisch oder klassenpolitisch arbeiten. Gemeint sind Gruppen, die sich beispielsweise auf eine gemeinsame Identität berufen (BIPOC-Gruppen, queerfeministische Ansätze) und Gruppen, die den Klassenkampf vorantreiben wollen und Unterdrückung nicht auf reine Identität (race, Geschlecht, Sexualität) zurückführen, sondern auf kapitalistische Ausbeutung (Klasse), die sich in Form von Überausbeutung (nach race/Geschlecht) zuspitzt. Was nach einer Detailfrage oder Henne-Ei-Problematik klingt, ist ein deutlicher Unterschied in Theorie sowie Praxis: Ob sich Diskriminierungserfahrungen addieren lassen und anhand von Privilegien mit einer oftmals Herauskürzung von Antikapitalismus abwägen lassen (Identitätspolitik) oder ob eine kapitalistische Ausbeutung in Überausbeutung von marginalisierten Gruppen mündet und nur das Ende des Kapitalismus für Befreiung sorgen kann (Klassenpolitik), bedeutet massive Widersprüche im Kampf um Emanzipation. Bleiben wir gespannt, wie sich dieser Widerspruch entladen wird.

Fazit

Wir sahen die Grundprobleme, die sich historisch wiederholten: Die Gewaltfrage, gebündelt mit der Gefahr von Isolation, die Befreiungsansätze aus dieser durch breitere Bündnisarbeit, die wiederum oftmals in Brüchen und Verrat mündeten, durch beispielsweise bürgerliche Parteien. Neben diesen strategischen Wandlungen, sind aber auch taktische Veränderungen zu erkennen: während viele Autonome in Anonymität und Unkenntlichkeit arbeiten, und dies teilweise bis heute tun, kommt es gerade in kommunistisch angehauchten Antifa-Bewegungen zum Versuch von Öffentlichkeitsarbeit, in der Massenpolitik und Positionsbekennung auch mit Gesicht- oder gar Struktur-Bekennung einhergeht. Dieser Text soll diese verschiedenen Ansätze nicht wertend beleuchten, aber auffordern zu überlegen: was können wir lernen, was können wir aus der Geschichte schließen, welche Fehler müssen wir nicht unbedingt wiederholen. Denn wenn wir uns etwas nicht leisten können, dann sind das Fehler. In Zeiten von Reichsbürgern im Untergrund, hohen AfD-Stimmen, verschwindenden Waffen bei der Bundeswehr und Nazi-Strukturen in Staat und Polizei ist keine Zeit für falsche Ansätze. Dennoch scheint die antifaschistische Bewegung schwächer denn je: der Isolation und Ohnmacht scheint keine Strategie entgegenzuwirken, das gesamtgesellschaftliche Klima zeigt sich unbeeindruckt und oft drehen sich Aktivist:innen in immer gleichen Bahnen. Der Begriff Aktivist:innen ist dabei eine bewusst gewählte Beleidigung: wir leben fern ab von einer Zeit des roten Massenselbstschutzes, fern von proletarischen Massenstreiks und hohen Zahlen von Widerständler:innen und Kommunist:innen – stattdessen in einer Zeit des Aktionismus, der kurzlebigen Kampagnen und Ausweglosigkeit. Lasst uns damit brechen, lasst uns weiter analysieren aber auch schlussfolgern: wir müssen weg von der Antifaschistischen Aktion wie sie momentan besteht, hin zu dem, wofür sie mal stand.

Quellen:

1.        Rohrmoser, R. Antifa Porträt einer linksradikalen Bewegung. (2022).

2.        Haffner, S. Die deutsche Revolution 1918/19. Rowohlt Buchverlag.

3.        Ullrich, V. Die Revolution von 1918/19. (2018).

4.        AutonomeAntifa[M]. Geschichte der Antifaschistischen Aktion.

5.        Institut für Marxismus-Leninismus beim Zentralkomitee der SED. Clara Zetkin. Ausgewählte Reden und Schriften (Band 2). (1960).

6.        Wippermann, W. Faschismustheorien: Die Entwicklung der Diskussion von den Anfängen bis heute. (1997).

7.        Müller, N. & Marusczyk, O. Marxistische Faschismusanalysen als Zeitdiagnose: Zur unterschiedlichen Rezeption des Nationalsozialismus. (2014).

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Auszug: Repressionen sind uncool https://annaruhtra.blackblogs.org/2023/03/17/auszug-repressionen-sind-uncool/ Fri, 17 Mar 2023 10:51:35 +0000 http://annaruhtra.blackblogs.org/?p=38 Gerade viele Männer neigen dazu, sich von den Rückschlägen und Tiefpunkten der eigenen Politik, unberührt zu zeigen. Egal ob Repressionen, politisches Scheitern, körperliche Auseinandersetzungen mit Polizei oder Faschist:innen – wir müssen unseren negativen Gefühlen aufgrund dessen einen Raum geben. Dieser Raum muss ein kollektiver, ein ehrlicher und ein gefühlsvoller sein. Die Konsequenz, sich unberührt, cool oder distanziert zu zeigen oder sich gar mit Repressionen und anderen Schlägen zu brüsten, erschafft ein Klima in dem Trauer, Wut und Verzweiflung in eine individuelle und private Sphäre gedrängt werden, ein Klima, das sowohl der Genoss:innenschaftlichkeit aber auch langfristiger und gesunder Politik entgegensteht.

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Genoss:innenschaftlichkeit und Kollektivität – Worte der Notwendigkeit https://annaruhtra.blackblogs.org/2023/03/17/genossinnenschaftlichkeit-und-kollektivitat-worte-der-notwendigkeit/ Fri, 17 Mar 2023 10:45:46 +0000 http://annaruhtra.blackblogs.org/?p=36 Die revolutionäre Notwendigkeit von Genoss:innenschaftlichkeit und Kollektivität ist unumstößlich. In einer Welt, die von Individualismus und Konkurrenzdenken geprägt ist, braucht es diese Alternative. Genoss:innenschaftlichkeit und Kollektivität sind die Gegenmittel zu der gesellschaftlichen Krankheit. Die Geschichte hat uns gelehrt, dass Genoss:innenenschaften und kollektive Initiativen oft die einzige Möglichkeit waren, um die Bedürfnisse der Unterprivilegierten zu befriedigen. Arbeiter:innen, Kleinbbäuer:innen, Frauen sowie sozial Benachteiligte haben sich zusammengeschlossen, um ihre Interessen zu verteidigen. Es ist an der Zeit, dass wir diese Lektion wieder aufgreifen und in die Tat umsetzen. Wir müssen unsere Kräfte bündeln, um den Mächtigen Paroli zu bieten und uns gegenseitig zu unterstützen. Die revolutionäre Notwendigkeit von Genoss:innenschaftlichkeit und Kollektivität ist nicht nur eine Frage des Überlebens, sondern auch der Menschlichkeit. Wir müssen uns entscheiden, ob wir eine Gesellschaft wollen, die auf Solidarität und Zusammenarbeit basiert oder eine Gesellschaft, die auf Ausbeutung und Konkurrenzdenken beruht. Wenn wir aktiv werden, begegnen wir uns in politischen Gruppen auf Plena, Veranstaltungen und Aktionen. Dabei müssen uns aufeinander verlassen können, zusammenarbeiten trotz verschiedener Hintergründe und Lebensrealitäten. Ein Gefühl der Gemeinschaft aufzubauen ist fundamental, um langfristig, gesund und effizient Politik zu machen. Solidarität muss organisch wachsen und kann nicht erzwungen werden.

Belastung

Stets wird festgestellt „das Private ist politisch“ – doch wer gibt in seiner Politik Raum für Liebeskummer, Prüfungsängste oder finanzielle Sorgen? Wie können wir erwarten, dass Menschen sich uns anschließen, wenn unsere Politik ihre persönlichen Struggle schlicht und einfach nicht im Blick hat? Wie können wir erwarten, dass Menschen, die im Kapitalismus leiden, die Zeit und Kraft finden, zusätzlich für die Politik und Überzeugung zu arbeiten? Denn zu den persönlichen Belastungen, ist die linksradikale Politik oft in erster Linie keine Befreiung, sondern eine Zusatzbelastung mit negativen Erfahrungen wie Repressionen, Gewalterfahrungen, Enttäuschungen, Niederlagen, Stress und Überforderung. Wir müssen diese Belastungen so gering wie möglich halten und kollektiv mit ihnen umgehen, da sie uns alle betreffen können aber auch da sie unsere Politik betreffen. Neben der Empathie zueinander muss es auch in unserem politischen Interesse liegen, so gesund und rücksichtsvoll wie möglich zu arbeiten, da nur das der Schlüssel ist, um langfristig aktiv sein zu können. Die meisten Aktivist:innen sind Jugendliche oder junge Erwachsene, das ist bedauernswert, da unsere politisches Engagement damit ein Ablaufdatum hat: oft ist es schon das Alter 30 in dem Menschen sich gegen den Aktivismus entscheiden (müssen). Damit einher geht ein enormer Verlust von Wissen, denn alle paar Jahre müssen Strukturen neu eröffnet werden, Skills neu erlernt werden, Themen reflektiert werden, weil erfahrene Genoss:innen nicht mehr in unseren Reihen sind. Eine zusätzliche Belastung und Ausbremsung. Wer es mit der Politik, der Revolution oder der Befreiung der Menschen aber ernst meint, sollte nur ein Interesse haben: Menschen in der Politik halten und das auch in schweren Zeiten. Schwere politische Zeiten aber auch im Privatleben der Personen. Und dafür gibt es nur einen Schlüssel: Das Privatleben als solches abschaffen, Genoss:innenschaften als enge Freundschaften führen, füreinander da sein, sich auffangen aber auch gezielt Sinn-stiftend arbeiten.

Sinnhaftigkeit

Viele Strukturen, darunter auch viele Antifa-Gruppen, arbeiten oftmals sehr Projektbezogen. Maximal gibt es Kampagnen über ein halbes Jahr. Langfristige Ziele mit Etappen und Prozessen sind eher eine Seltenheit. Diese Kurzlebigkeit, die auch in einer Kurzlebigkeit von Gruppen und Strukturen mündet, sorgt bei manchen Mitgliedern für eine Empfindung von Ohnmacht und Sinnlosigkeit. Selbstverständlich sind einmalige Aktionen oder kurze Kampagnen auch ein wichtiger Teil von politischer Arbeit und erbringen widerständigen Mehrwert in unserer Gesellschaft, dennoch braucht es ein großes Ziel, um am Ball zu bleiben und nicht nach 5 Kampagnen genug Repression und Stress oder eben einfach genug von Politik zu haben. Dabei liegt es auf der Hand, was die großen Ziele sind: antikapitalistisch, antipatriarchal, antirassistisch, antifaschistisch zu sein. An der Frage, was das heißt, müssen wir uns selbstverständlich orientieren. Dabei kann nicht mithilfe eines Treffens geklärt werden, welche Strategie gewählt wird, um Patriarchat/Kapitalismus zu stürzen. Der Ansatz, diese Frage aber auszublenden und Kampagnen bezogen von Plenum zu Plenum zu leben, bietet keine sinnstiftende Alternative. In einer wirklich unglaublich schlechten Netflix-Serie namens „Wir sind die Welle“ äußert ein Charakter: „Man sucht sich den größten Feind, den man finden kann, damit man ihn nie erreichen muss“. Obwohl die Serie die Darstellung von antifaschistischer Arbeit komplett verfehlt, scheint aber dieser Gedanke sich in Teilen linksradikaler Politik breit zu machen: wenn wir zu groß denken würden, wenn wir an großen Idealen festhalten würden, würden wir sie nicht erreichen. Aber das ist falsch und viel falscher ist der Umkehrschluss: man solle Politik machen, ohne das große Ganze im Blick zu haben, von kurzen Erfolgen leben und bloß keine großen Fragen stellen, wenn keine Antworten parat sind. Es darf aber nur einen Schluss geben: wir müssen die großen Fragen stellen, wir müssen versuchen die Antworten zu finden und jede Einzelaktion sollte uns dieser Antwort näherbringen aber auch dem großen Ziel. Das bewahrt nicht nur das Erbe von linker Theorie und lässt uns weitere Erkenntnisse und weitere (unverkürzte) Analysen liefern, sondern es ist auch maßgeblich sinn-stiftend. Natürlich erfüllt es einige Aktivist:innen von KüFa, über Sprayaktion hinzu Adrenalin bei der Demo zu leben. Natürlich brauchen nicht alle Menschen neben reinem Widerstand auch einen Sinn in ihrer Politik. Aber die Sinnhaftigkeit schweißt uns zusammen, lässt uns durchhalten und verhindert eventuell Ausstiege und Enttäuschungen. Denn beim Beantworten von großen Fragen dürfen Einzelaktionen scheitern, es darf Niederlagen geben und es wird sie auch geben, aber wir können nach vorne blicken: da ist etwas, da kommt etwas, und wir erkämpfen es. Vielleicht nicht heute, vielleicht nicht unsere Generation, aber die Widersprüche sind da, wir benennen sie und wachsen mit jedem Menschen im Prozess. Was kann also den Sinn bringen? Eventuell eine gemeinsame Theorie. Wer sich beispielsweise als Marxist:in versteht, weiß, dass es eine absolute Wahrheit gibt, dass Marxismus kein Lifestyle oder Überzeugung ist, sondern eine Wissenschaft, eine Analyse, die nicht nur ökonomische Fragen betrifft. Was der Marxismus zeigt, ist der Zusammenhang von Unterdrückungen, von Ausbeutung aber auch wie die Welt funktioniert. Das klingt zunächst wie ein Glaubenssatz, aber steht genau dem vehement entgegen: Durch das Berufen auf den dialektischen Materialismus, rechnet der Marxismus mit genau dieser spirituellen, esoterischen oder religiösen Fantasie ab. Er probiert nicht, Sinn zu stiften, durch die Idealisierung, durch Versprechen, durch ewiges Leben, sondern entgegnet dem, wie die Welt ist: materialistisch, endlich und naturwissenschaftlich. Dabei kann der Marxismus auch Hoffnung bringen, er benennt Widersprüche, er benennt die Krisen des Kapitalismus und auch sein kommendes Ende. Man muss aber nicht Marxist:in sein, um Analysen zu haben, die aufzeigen, dass Potential für Veränderung besteht. Auch Anarchist:innen, Syndikalist:innen Anarchokommunist:innen haben die Theorie und Praxis, um zu schlussfolgern: es muss nicht sein, wie es ist und wir haben es in der Hand.

Ohnmacht

Die Sinnlosigkeit in Politik kommt aber auch mit einem Symptom einher: der Ohnmacht. Wer ehrlich zu sich ist, merkt, dass die Antifaschistische Aktion kein roter Massenselbstschutz ist, keine proletarische Widerstandbewegung und auch keine befreite Kommune, sondern eine Jugendkultur. Wenn wir Glück haben eine Jugendgegenkultur. Diese Generation ist aufgewachsen im Kapitalismus, sah weder sozialistische Ansätze noch große Widerstandsbewegungen und lebt meist abgeschottet von denen, die davon erzählen könnten. Dagegen gilt es vorzugehen, denn wie lässt es sich gegen Umstände kämpfen, wenn wir keine Alternativen kennen? Wie können wir Hoffnung schöpfen, wenn der Kapitalismus und alle herrschenden Verhältnisse uns so unerschütterlich scheinen? Es macht sich lediglich eine Ohnmacht breit, es ließe sich nicht verändern. Dieser müssen wir aktiv entgegentreten: Wir brauchen Erfolge in unserer Politik, nicht nur für die Befreiung der Menschen, sondern auch zum Wachsen des Widerstandes und unserer jetzigen Genoss:innen. Wie bekommen wir Erfolge? In dem wir historische oder internationale Erfolge betrachten, aber auch in dem wir die Erfolge, die wir in unseren Gruppen haben, auch als solche benennen. Viele Antifa-Gruppen haben Strukturen für Vorträge, für Organizing oder für Hilfsangebote. Oft werden diese Strukturen auch gut besucht und genutzt. Aber niemand traut sich zu sagen „das haben wir gut gemacht, das war ein Erfolg“. Und das ist schlecht. Lasst uns aufhören zu vergleichen, wie viele Menschen zu Vortrag XY kamen und wer gefehlt hat, lasst uns stattdessen jede Begegnung, jeden Kontakt und jede organisierte Person als Erfolg werten. Denn das ist es! Jede Person, die sich uns anschließt, ist ein Gewinn unserer Strukturen. Und um den Kitsch zu vervollständigen, die Revolution beginnt mit den Menschen, denen wir auf dem Weg begegnen, die Revolution beginnt mit jede:r Einzelnen von uns. Das zu sehen, zu benennen und auch so zu empfinden, wirkt der Ohnmacht entgegen. Ja, vielleicht erfahren wir Repression, vielleicht ist eine Aktion nicht wirksam gewesen, vielleicht erscheint sie unbedeutend, aber haben wir Menschen überzeugt? Haben wir nur ein gutes Gespräch geführt? Wenn ja, dann hat es sich gelohnt. Denn was die Ohnmacht bekämpft, ist sich gegenseitig zu bemächtigen, sich wachsen zu sehen und miteinander zu stehen.

Gemeinschaft

Manchmal macht es fast schon den Eindruck, es braucht erst Repressionswellen oder Fascho-Angriffe, bis Gruppen sich zusammentun oder auch interne Beziehungen sich festigen. Dabei braucht es Beziehungsarbeit immer und präventiv, nicht erst wenn die Gruppe auf die Probe gestellt wird, und damit die Belastbarkeit jede:r Einzelnen. Denn wir haben gesehen, das Einzige was gegen Belastung, Sinnlosigkeit oder Ohnmacht hilft, ist Kollektivität und Genoss:innenschaftlichkeit. In der Repressionswelle müssen wir nicht nur Kosten, Isolation und Schikanen auffangen – sondern auch uns gegenseitig. Durch Gespräche, durch zusammen weinen und zusammen lachen. Zusätzlich muss auch jede Massenpolitik Kollektivität bieten: wie kann ich einen Menschen überzeugen, mit uns Politik zu machen, in einer Welt, die ihr*ihm nichts bietet und in der auch wir nichts bieten können? Ganz einfach, in dem wir sehen, was wir bieten können, nämlich Kollektivität. Wir können keinen Nicht-Kapitalismus im Kapitalismus aufbauen, aber wir können in einer Wettbewerbsgesellschaft solidarisch sein. Wir können einem Menschen nicht eine Befreiung im System bieten, aber wir können uns anbieten. Also ja, die Welt ist schlecht und das wird sie auch noch eine Weile sein, aber kämpf mit uns gemeinsam und es fühlt sich nicht mehr so scheiße an. Es ist schon ein Trost zu wissen, nicht alleine zu sein, mit den Sorgen aber auch mit dem Bedürfnis ein anderes System zu wollen und dadurch eine Gemeinschaft zu finden. Aber diese Gemeinschaft darf keine linke Szene mehr sein, keine Subkultur, kein Partylocation, kein Studi-Lesekreis, kein Einheitsbrei. Das Kollektiv muss breit aufgestellt sein, um auch in alle Bereiche Politik tragen zu können. Wir müssen erkennen: die oft studentisch geprägten Gruppen, sterben jede Prüfungsphase aus und erwachen nach den Semesterferien von den Toten, um sich wieder im eigenen Kreis zu drehen – peinlicher, aber auch uneffektiver kann Politik nicht gestaltet sein. Lasst uns alle Barrieren fallen lassen, um zugänglich für eine breite linksradikale Bewegung zu sein, in der die Menschen langfristig arbeiten wollen.

Zurückziehen

Menschen werden sich trotz all unserer Bemühungen aus der Politik zurückziehen, obwohl sie an den Idealen festhalten. Momentan ist es oft die Ohnmacht, Familienpläne, berufliche Belastung, Stress, körperliche Fitness oder andere belastende Sorgen. Wir müssen versuchen zu unterstützen, Hilfe stellen, Solidarität erlebbar machen und Menschen auffangen. Aber auch wer sich komplett zurückziehen möchte, dem müssen wir signalisieren, dass auch einer Rückkehr niemals etwas entgegensteht – wir werden dich wieder unterstützen wollen und wir freuen uns über dein Erscheinen. Gefühle wie Scham, Verrat oder Schuldgefühle haben da nichts zu suchen – offene Arme sind geboten und volles Verständnis, denn die Struggle die der Kapitalismus uns aufzwingt, betreffen uns alle und jemand, der austritt ist nicht an ihren*seinen Belastungen Schuld. Stattdessen müssen wir uns fragen, warum wir die Probleme nicht auffangen konnten. Ein Austritt ist nicht das Versagen de:r Einzelnen, de:r es zu viel wurde, sondern ein klares Feedback an die Gruppe: wir müssen uns stärken, wir müssen unsere Angebote den Umständen anpassen und allen ermöglichen zu bleiben. Die Devise muss heißen: Kommst du zurück, stehen wir wieder zusammen, als wärst du nie weggewesen.

Fazit

Gut arbeiten heißt langfristig arbeiten, und um langfristig zu arbeiten, braucht es Überzeugung, Hoffnung, Kollektivität und Chancen. Wir müssen Theorie-Wissen vermitteln, Hoffnung schüren, Support bieten und Erfolge feiern. Wir müssen aber auch Niederlagen verkraften, persönliche Belastungen besprechen und uns großen Fragen stellen. Lasst uns erkennen: wenn wir nichts haben, aber alles wollen, lasst uns beginnen, uns zu haben, als Genoss:innen, als Kollektiv.

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Die 5 häufigsten Fragen zum Kapitalismus https://annaruhtra.blackblogs.org/2023/03/17/die-5-haufigsten-fragen-zum-kapitalismus/ Fri, 17 Mar 2023 08:33:47 +0000 http://annaruhtra.blackblogs.org/?p=27 Eine kleine, sehr verkürzte Einführung in eine kritische Auseinandersetzung mit den herrschenden Umständen

Was ist Kapitalismus?

“Kapitalismus” bezeichnet eine Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung. Darin besitzen wenige Menschen –die Unternehmer– das Kapital. So nennt man alles, was zur Herstellung von Waren nötig ist: Werkzeuge, Maschinen, Fabrikhallen etc. Was die Unternehmer*innen mit ihrem Kapital machen, bestimmen sie selbst. Es gibt also nur die Ware zu kaufen, die Unternehmer*innen von sich aus anbieten. Weil sie möglichst gut verdienen wollen, stellen sie aber genau die Produkte her, die Menschen mit Kaufkraft kaufen möchten. Mit dieser Analyse lassen sich Menschen im Kapitalismus in zwei Gruppe [man spricht oft von Klassen] einteilen: die Arbeiter*innen [auch Proletariat] und die Unternehmer*innen [auch Kapitalist*innen oder Bourgeoisie].

Seit wann gibt es den Kapitalismus?

Die ersten kapitalistischen Fabriken entstanden im späten 18. Jahrhundert, zu Beginn der Industriellen Revolution. Die Arbeiter*innen mussten darin für wenig Lohn schwer schuften. Gesetze zu ihrem Schutz (oder Rente) gab es zu dieser Zeit nicht und mussten von ihnen erst hart erkämpft werden.

Was sind die Vorteile des Kapitalismus?

Könige und Fürsten waren früher allein wegen ihrer Herkunft reich; Im Kapitalismus kann in der Theorie jeder Mensch zu Geld kommen. Weil erfolgreiche Unternehmer*innen gute Ideen brauchen, fördert vermeintlich die kapitalistische Wirtschaft auch den Erfindungsreichtum – und den Fortschritt, etwa in Technik und Wissenschaft. Diese These lässt sich allerdings durch z.B. die Erkenntnisse der Belohnungspsycholgie auch anzweifeln.

Was sind die Nachteile des Kapitalismus?

Im Kapitalismus werden erfolgreiche Unternehmer*innen reicher und reicher: Sie kaufen von dem Geld, das sie einnehmen, immer neue Maschinen, Werkzeuge – oder andere Firmen, durch die sie noch mehr verdienen. Wer kein Kapital besitzt, kann dagegen oft nur überleben, indem er*sie die eigene Arbeitskraft verkauft. Und die Unternehmer*innen bezahlen den Arbeiter*innen so wenig Lohn, wie nur möglich. Schlimmstenfalls gilt: Nur wer bereit ist, für geringen Lohn hart zu arbeiten, bekommt überhaupt einen Job. Und wer krank wird oder seine Wohnung verliert, kann sehen, wo er*sie bleibt. Alle Menschen stehen im Kapitalismus in Konkurrenz zueinander – um Jobs, Geld, Schulnoten etc. Beschönigend wird dies Wettbewerb genannt, obwohl es um nicht weniger als das eigene Leben geht. Unternehmen stehen in einer ständigen und unmittelbaren Konkurrenz zueinander. Aus diesem Grund müssen sie, um nicht pleite zu gehen, mehr Profit als die Konkurrenz erwirtschaften. [Profit ist der eingenommene Betrag, der übrig bleibt nach Abzügen wie Lohn. Umgangssprachlich der Gewinn der Unternehmer*innen]. Tun sie dies nicht, kann die Konkurrenz sie mithilfe des zusätzlichen Profits, der wieder als Kapital eingesetzt werden kann, bald vom Markt drängen. Deshalb werden – immer wenn möglich – Löhne gekürzt, Pausen gestrichen, Personal entlassen oder Produktionsstätten [in “billigere” Länder] verlagert, um den Gewinn zu maximieren. Auch vor Umweltzerstörung wird dabei nicht zurückgeschreckt, wenn es Kosten spart. Da nur für jene produziert wird, die sich die Dinge auch leisten können, nützen moralische Apelle an die Wirtschaft nichts (z.B. Medikamente billiger oder kostenlos für Entwicklungsländer zur Verfügung zu stellen). Die Konkurrenz würde jedes moralisch handelnde Unternehmen unterbieten und damit vom Markt verdrängen. Somit basiert der Kapitalismus auf Ausbeutung der Arbeiter*innen (hier und besonders stark in ärmeren Ländern), der Umwelt und der Ressourcen.

Was macht den heutigen Kapitalismus aus?

Auch wenn hier oft in Büros statt in Fabriken geackert wird: Die kapitalistische Ordnung hat sich vielerorts durchgesetzt. In den meisten europäischen Ländern sorgt heute der Staat für eine leichte Regulierung der Ausbeutung: In Deutschland regeln z.B. Gesetze etwa die Arbeitszeiten [dennoch gibt es Überstunden und der Arbeitstag ist zu lang] und garantieren einen Mindestlohn [der dennoch umgangen werden kann]. Außerdem schließen sich manche Arbeitnehmer*innen in Gewerkschaften zusammen: Gemeinsam sind sie stärker und können besser mit den Arbeitgeber*innen verhandeln. Eine kapitalistische Wirtschaft kann in Diktaturen und Demokratien bestehen. Kapitalismus und Demokratie sind aber keine untrennbaren Zwillinge – und Antikapitalismus nicht antidemokratisch. Im demokratischen Staat sind die Menschen formal frei, gleichgestellt und von ihnen soll die Macht ausgehen. Das ist jedoch nur auf den ersten Blick der Fall. Denn indirekt sind sie gezwungen jeden noch so schlecht bezahlten Job anzunehmen, um nicht unter die Armutsgrenze abzusinken [das Prinzip der Arbeit ist ein Prinzip der Abhängigkeit]. Ebenso besteht formale Gleichheit, aber große materielle Ungleichheit: Die zwei Klassen teilen sich durch finanzielle Unterschiede, sowie durch den sozialen Status. Die Reicheren [Unternehmer*innen] sind in vielen Belangen im Vorteil, z.B. in Bildung (Nachhilfe, Elite-Universitäten etc.) oder bei einem Gerichtsprozess. Auch um die Politik zu verfolgen, geschweige denn mitzuwirken, haben die meisten Leute aufgrund ihrer alltäglichen Arbeit weder Zeit noch Kraft. Dadurch ist Politik oft eine Politik für Reiche, was das Unterdrücken der Arbeiter*innen verstärkt. Wir beobachten die berühmte aufklaffende Schere zwischen Arm und Reich. Dadurch wird der Kampf gegen den Kapitalismus unabdingbar, und heuchlerisch niedrige Kompromisse wie die Rente oder ein Mindestlohn, sollte die Arbeiter*innen – also die Mehrheit – nicht abhalten, einzufordern, was ihnen zusteht!

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Antifa heißt Mackerhass / Sexismus in den eigenen Reihen https://annaruhtra.blackblogs.org/2023/03/17/antifa-heist-mackerhass/ Fri, 17 Mar 2023 08:21:21 +0000 http://annaruhtra.blackblogs.org/?p=17 Rede

Der emanzipatorische Kampf innerhalb der radikalen Linken scheint selbstverständlich. Keine Antifa Gruppe leugnet den herrschenden Sexismus und die patriarchale Unterdrückung von Frauen. Dennoch kommt es auch zu sexistischen Übergriffen und Verhaltensweisen innerhalb der radikalen Linken. Das ist erst einmal nicht verwunderlich: Die noch so linkeste Bubble wurde in einem sexistischen, kapitalistischen und rassistischen System sozialisiert. Die Erziehung machte nicht nur Männer sexistisch, sondern auch alle anderen Geschlechter misogyn. „Girl-Hate“, „Slut-Shaming“ und Wettkampf kommen auch unter Genossinnen vor – ein Grund täglich aufs Neue zu reflektieren und Support untereinander immer stärker aufzubauen.

Aber noch schlimmer haben Genossinnen mit den Männern in den eigenen Reihen zu kämpfen. Sei es das Redeverhalten in Diskussions-, Plenums- oder Vortragssituationen – Männer halten Co-Referate, kommen nicht zum Punkt, Mansplainen, ziehen jede Debatte in die Länge und wiederholen bestenfalls einfach nur die Worte der Vorrednerin. Dabei sind die Genossinnen Einschüchterungstaktiken wie Name-Dropping und Theoriemackertum ausgesetzt – ja Jonas, ich habe Adorno gelesen, nein ich möchte nicht mit dir gerade keine Debatte über Entfremdung führen.

Doch raus aus der Theorie, rein in die Straßenpolitik sieht es nicht besser aus, Genossinnen werden durch aufrecht erhalten von männlichen Idealen wie Gewaltaffinität ausgegrenzt. Klar ist, Antifa bleibt Handarbeit – aber das bedeutet nicht Männerhände. Wer sich durch Militanz oder Aktionen profiliert, sollte bei uns nichts zu suchen haben. Gewalt ist ein legitimes aber ein überlegtes Mittel und nicht Ausdruck der eigenen Überlegenheit, um den Stolz eines Geschlechts zu pushen. Jonas sollte mal mehr die Fresse halten. 

Und zu oft ist Theoriegemacker oder Gewaltgemacker nur eine Taktik, um Aufmerksamkeit der Genossinnen zu bekommen, in der Hoffnung sexuelle oder romantische Bindungen mit ihnen eingehen zu können. Leider resultieren dabei öfters von Machtstrukturen-geprägte Beziehungen oder es kommt auch auf den eigenen Veranstaltungen zu sexualisierten oder körperlichen Übergriffen. Und es sind wieder Frauen, die dann oftmals die Aufarbeitung, Awarenessarbeit oder Täterarbeit übernehmen müssen – aus dem simplen Grund, dass sie dabei weniger Machtstrukturen sexuell nutzen wollen – das muss ein Ende haben, Männer reflektiert euch untereinander, sorgt doch selber für anti-sexistisches Klima in den eigenen politischen Reihen.

In diesen Reihen, in denen politisch gearbeitet wird, sind es zudem gerne die feministischen Themen, die immer wieder unter den Tisch fallen gelassen werden. Frauen als Nebenwiderspruch – klar sind Frauen erst frei, wenn wir alle frei sind von einem unterdrückenden System – aber das bedeutet nicht, dass wir den Kampf nicht heute schon kämpfen müssen oder er nicht gleichwertig dem Kampf gegen Faschismus oder Kapitalismus ist. Denn in diesem Moment, jetzt gerade erlebt eine Frau irgendwo da draußen häusliche Gewalt, eine andere Frau wird gerade vergewaltigt, eine weitere weiß nicht, wie sie finanziell über die Runden kommen soll. Eine andere quält sich durch unser Abtreibungssystem, eine weitere erzieht gerade allein 3 Kinder. Die nächste bekommt niedrigeren Lohn als ihre Arbeitskollegen, die andere kann nicht von ihrer Rente leben. Eine Frau wird gerade rassistisch-sexistisch diskriminiert, eine andere fetischisiert aufgrund ihrer homosexuellen Identität. Eine Frau wird gerade kommentiert, eine angefeindet, eine sexualisiert, eine bekommt den Job nicht, weil sie schwanger werden könnte, eine andere struggelt mit der Finanzierung von Menstruationsprodukten, eine andere mit den Verhütungshormonen. Eine Frau wird gerade an ihren Geschlechtsorganen verstümmelt, eine andere gezwungen geschlossenere Kleidung zu tragen – Und linke Männer wollen mir erzählen, dass es gerade wichtigere Dinge im Plenum zu besprechen gibt, dass gerade nicht die Kapazitäten da sind, dass man den Fokus auf etwas anderes legen müsste. Danke für nichts Jonas, das ist keine emanzipatorische Politik, die du machst, das ist kein Feminismus, das ist nicht mal pro-feministisch – das ist derselbe ignorante sexistische Bullshit, wie ich ihn auch außerhalb linker Politik erleben darf. Aber Antifa heißt Mackerhass – Die Devise ist also: FINTAs wir müssen uns wehren – Macker gibt’s in jeder Stadt, bildet Banden, macht sie platt.

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