Betrachten wir die Diskurse zu dem Begriff „Heimat“ wird schnell deutlich: wenn es eine Heimat gibt, bedeutet das für die Menschen eine Identifikation mit diesem Ort und der Vorstellung, sie hätten mit den Menschen von dort etwas gemeinsam. Es mag stimmen, dass man an manchen Orten den Kartoffelsalat schon immer gleich zubereitet hat, dass wenn man von dort kommt, man ihn schon immer so gegessen hat und gar nicht anders mag. So geht es vielleicht auch allen anderen in Altheim, jedoch ist die darauffolgende Identifikation mit anderen Menschen aus Altheim ein falsches Bewusstsein: sie haben nicht wirklich viele Gemeinsamkeiten. In Altheim wohnt eine Lesbe, einer der reich erbt, ein Frauenschläger, eine Depressive, eine Kindergärtnerin, ein Hausarzt, ein Nazi und ein Linker (hoffentlich). Diese Menschen essen vielleicht ihren Kartoffelsalat auf die gleiche Weise, haben aber nichts entscheidendes gemeinsam. Der Begriff Heimat vereint sie also zu Unrecht. Und was das Konzept Heimat dabei verlangt, ist, dass es Menschen gibt, die dazugehören, und welche die es nicht tun. Die Heimatkritik schlussfolgert schnell, dass die Vorstellung von Heimat in Traditionskult und Feindlichkeit gegenüber neuen Dingen aber auch Menschen umschwingt. Wer von Heimat faselt, faselt vielleicht auch schneller davon, dass der Kartoffelsalat deutsch ist und deutsch bleiben soll, dass der Kartoffelsalat gefährdet ist durch unsere neuen Mitbürger:innen, dass Kartoffelsalat und Kopftuch nicht zusammengehören. Aus dieser sehr gängigen Debatte für und gegen den Begriff Heimat, können wir ableiten, was die Menschen mit Heimat verknüpfen: sie mögen die Lüge der großen Zusammengehörigkeit, die auf kleinen wahren Gegebenheiten beruht. Der Kartoffelsalat in Altheim ist eventuell anders als in anderen Teilen der Welt, sich aber auf Kartoffelsalat zu berufen, verschließt die Augen vor echten Gemeinsamkeiten und Unterschieden. Die Identität als Altheimer:in kann dadurch schaden. Auch in heutigen postmodernen Theorien, versteifen sich linke Analysen auf Identitäten, es entwickelte sich Identitätspolitik. So schlossen sich queere Menschen anhand ihres Geschlechts oder ihrer Sexualität zusammen, Frauen schlossen sich zusammen genauso wie Menschen, die Rassismuserfahrungen machen. Aus ihrer Diskriminierung leiten sie eine Identität ab, auf welche sie sich berufen.
Ist das falsch?
Diese Realitäten sind wahr, verkennen aber andere Unterschiede oder Gemeinsamkeiten außerhalb und innerhalb dieser Identitätsgruppen. Es beginnt eine falsche Separation. Wer sich beispielsweise aufgrund seiner:ihrer Hautfarbe in einer Gruppe zusammenfindet, verkennt, dass die Erfahrungen, Chancen und Unterdrückungen in unserer Gesellschaft nicht alleinig von einer Hautfarbe abhängen. Ebenso bringen reine Frauengruppen keine Einheit und Schlagkraft durch die Geschlechtszugehörigkeit. Noch falscher wäre es, sich in noch kleine Gruppen zu splittern, wie etwa eine Frauengruppe für schwarze Frauen oder eine Gruppe für weiße schwule Männer. Es ist zunächst logisch, dass Menschen, die von Diskriminierung betroffen sind, diese analysieren und eine Identität daraus konstruieren. Im Widerstand gegen die Unterdrückung ist es dann wichtig, einen Stolz aufgrund dieser Identität zu entwickeln und sie nicht zu verkennen oder zu weichen. Dennoch darf dieser Prozess nicht dort enden und in einer Abkapselung der Identität münden. Damit entzieht man sich den Kämpfen, welche eben nicht in Splittergruppen, die sich auf eine Teilgemeinsamkeit versteifen, gelingen können.
Identität Klasse
Stattdessen müssen sich die einzelnen Personen in identitätsübergreifenden Gruppen zusammenfinden, die sich auf einer einzigen Identität beruft: ihrer Klassenzugehörigkeit. Das ist die einzige Ausbeutung, die sie alle gemeinsam haben und die ihre Überausbeutungen, wie etwa die von Frauen erklärt und bestärkt. Die einzelnen Erfahrungen, wie beispielsweise Rassismus, müssen in diese Organisationen hineingetragen werden, anstatt sie auszulagern. Oft meiden allerdings Menschen diese Art der politischen Organisation, da sie sich lieber in die Lüge der Identität stürzen wollen und sich einreden, in den Kleingruppen sicherer zu sein. Dabei wird wieder verkannt, dass es in unserem System keine Sicherheit geben kann, auch nicht unter vermeintlich Gleichen und dass dieser Rückzug keine Veränderung bewirken kann. Man kapselt nämlich nicht nur sich, sondern auch die Forderungen ab.
Der Zusammenschluss von FINTA-Gruppen aufgrund von der Identität, patriarchal unterdrückt zu sein, mündet oftmals darin, dass die einzelnen unterschiedlichen Unterdrückungsmuster verschleiert werden, da sie der gemeinsamen Identität als „FINTA“ weichen müssen. Zudem hat diese Form der Politik eine Wirkung auf alle Männer: sie müssen sich nicht mehr mit den Anliegen der „FINTA“ beschäftigen, da diese nun eigene Strukturen haben. Von diesem falschen Zusammenschluss von „FINTA“ profitieren also weder die Inkludierten, noch die Exkludierten. Stattdessen hemmt es die Politik beider Gruppen.
Selbstentmündigung
Ebenso kann es passieren, dass die Versteifung auf die vermeintlich gleiche Identität und vermeintlich gleiche Diskriminierung in solchen Identitätsgruppen dazu führt, dass die Menschen sich nicht als mündige Frauen, Non-binary, oder Interpersonen sehen – stattdessen kommt es nach und nach zu einer Identifikation mit einer „Opferrolle“. Die Identität ist nicht mehr das Geschlecht, sondern die Tatsache geschlechtsbasierte Gewalt zu erfahren. Eine Falle, die den Menschen nicht nur psychische Kraft, sondern auch politische Schlagkraft raubt. Ebenfalls leidet der politische Kampf unter mit dieser Politik einhergehenden Regeln: wir sahen schon, dass es inkludierte und exkludierte Menschen durch die Vorstellung fester Identitäten gibt. Die Identitätspolitik verlangt daher von Menschen, dass nur die Menschen mit entsprechender Identität und Erfahrung ihre Kämpfe führen dürfen – alle anderen sind maximal Allys. Das ist eine Hemmung aller Kräfte und zeigt sich in kleinsten Situationen: ein politisches Treffen, dass Forderungen gegen das Patriarchat oder gegen Rassismus ausarbeiten möchte, aber nur aus weißen Männern besteht, darf nach der Identitätspolitik nicht für diese Diskriminierungen und nicht für die Betroffenen sprechen, damit können sie keine antipatriarchale oder antirassistische Politik machen – sie bleibt wieder an Betroffenen und Überausgebeuteten hängen oder muss von ihnen angeleitet werden. Dafür müssten sie erst einmal in dieses Treffen kommen, was sie nicht tun, da sie ihr eigenes aufgrund ihres Andersseins und ihrer vermeintlichen internen Zusammengehörigkeit haben.
Antikapitalismus für den Kapitalismus
Menschen sind also plötzlich geteilt aufgrund von Eigenschaften, die uns das System eintrichtert: Geschlechtertrennung, „Rassentrennung“, „normale“ Sexualitäten und queere Sexualitäten. Die Welt, die bekämpft werden soll, wird so noch stärker reproduziert. Das Konzept Ally-Ship teilt dann in Menschen, die Kämpfe führen und Menschen, die sie angeblich nicht führen, sondern unterstützen sollen. Dabei ist das schlicht und einfach falsch: wer nämlich einen Kampf gegen Unterdrückung führen möchte, muss das auch mit Männern tun, sogar mit weißen Männern. Die Unterdrückung fußt auf einer Ausbeutung, von der auch sie, als Arbeiter, betroffen sein können. Die Teilung in Betroffen und Allys verkennt das. Es darf nur eine Aufteilung geben zwischen solidarisch miteinander antikapitalistisch Kämpfenden und zu bekämpfenden Ausbeutern. Alles andere ist eine schwächende und falsche Trennung, eine Verblendung durch Identität, eine verbindende Lüge (nach Anthony Appiah). Unser Kampf darf keiner sein, in dem manche nur Allys sind, unser Kampf muss einer sein, in dem wir alle mit Solidarität kämpfen, einer in dem es keine passiven Rollen gibt, bei denen man sich aus der Betroffenheit und Verantwortung ziehen kann.
Die Ausbauten des Kapitalismus, wie beispielsweise der Rassismus, sind zeitgleich seine Stützen: nicht nur hilft er ihm, die globale Ausbeutung zu betreiben, gleichzeitig spaltet er den Widerstand gegen ihn. Der weiße Arbeiter fällt auf die Falle rein, und gibt die Schuld am schlechten Lohn den Geflüchteten, die ihm angeblich Geld, Arbeit, Wohnraum und Frauen wegnehmen würden. Anstatt die Verantwortlichkeit in der Politik zu suchen, nimmt er sich die leichteren Erklärungen, fällt auf diese Geschichten herein und lässt sich verblenden. Genau dieser Zustand ist eigentlich unser Feind, genau gegen diese Ideologie und kapitalistischen, rassistischen und patriarchalen Zustände gilt es aktiv zu werden. Dafür muss eine Politik gestaltet werden. Die Identitätspolitik ist es aber nicht, sie fußt genauso auf der Trennung von Widerstand, einer Schwächung der Revolution.
Antifa als Identität
Das gilt absurder Weise auch für die Identität „Antifa“ – manche Antifaschist:innen reimen sich auf ihre gesellschaftliche Ausgrenzung und Erfahrung mit Polizeigewalt eine Identität zusammen als „Antifa“. Als solche kapseln sie sich ebenfalls ab, schließen mit einer Gesellschaft ab, die sie verändern wollen, ohne zu hinterfragen, ob sich eine Gesellschaft verändern lässt, von der man sich bewusst distanziert. Dabei ist die Lösung für alle Identitäten, auch die als Antifaschist:in, sie bewusst in die Gesellschaft und raus aus der Abschottung zu bringen. Dieses In-die-Gesellschaft-treten, darf sich aber nicht in reiner Repräsentation erschöpfen.
Keine Quoten, Werbeplakate oder Fernsehrollen verändern unser Leben voller Unterdrückung. Natürlich ist sichtbare Diversität wichtig. Noch wichtiger ist aber, dass es nicht nur bei der Darstellung bleibt, sondern auch eine ernsthafte Gleichbehandlung von Hautfarben, Geschlechtern und Sexualitäten folgt. Und dieses Ziel erreichen wir nicht durch die Behandlung von kleinen Symptomen, wir müssen an die Wurzel. Für den Feminismus gilt daher: Jeder Feminismus, der nur Wert auf Repräsentation von Frauen und anderen unterdrückten Geschlechtern legt, ist eine kapitalistische und neoliberale Verblendung. Oder um es mit den Worten von keinem weniger als Pöbel MC zu sagen „Euer Markt wird nicht gerecht, egal wie er sich umdeutet. Ihm ist doch scheißegal, welches Gender dich ausbeutet.“ – das Girlboss-Movement ist das peinliche Comeback der bürgerlichen Frauenbewegung. Das einzige Problem unserer Zeit ist nur, dass ihm nicht mehr die proletarische Frauenbewegung die Stirn bietet, sondern ein weiterer verblendeter Feminismus, der lediglich fordert, die Sprache müsse mehr Geschlechter ansprechen. Dort muss tatkräftig angesetzt werden: zeigen wir den kapitalistischen Feminismen, wie eine Befreiung aller Geschlechter aussieht. Bauen wir einen Feminismus auf, der einen klaren Klassenstandpunkt hat. Einer, der Klasse nicht als Identität und Unterdrückung durch „Klassismus“ abtut, sondern einer, der den Kapitalismus stürzen will und ökonomische Ausbeutung bekämpft.
]]>In der postmodernen Linken haben viele Abkürzungen und Buchstabenaneinanderreihungen Einzug gefunden – die Problematik daran soll anhand des präsentesten Beispiels analysiert werden. Der Begriff FLINTA (bzw. FINTA) wird sehr häufig in queerfeministischen Kreisen benutzt, um vom Patriarchat unterdrückte Geschlechter zusammen zu führen und zu benennen. Dabei ist die Buchstabenabfolge ein Akronym der Personengruppen Frauen, Lesben, Intergeschlechtliche, Non-Binäre, Transpersonen und Agender Personen. Die Reihenfolge der Buchstaben variiert mittlerweile, um jeweils Personengruppen präsenter zu benennen (vgl. TINFLA). In vielen Bereichen von Texten über Reden, Kloschildern bis hin zu Demonstrationsaufrufen ersetzt der Begriff (fälschlicherweise) weitestgehend den Begriff Frau oder den Begriff Queers (für queere Geschlechter und Personen). Es soll analysiert werden, warum wir keine dieser Personengruppen mit den genannten Akronymen benennen sollten und warum die Nutzung von Akronymen fortschrittlicher Politik schaden.
In erster Linie sind Bezeichnungen wie FLINTA für große Teile der Gesellschaft nicht anschlussfähig. Das liegt daran, dass der Begriff eine Neuschöpfung ist und in vielen Bereichen noch keine Bekanntheit hat. Das hat viele Gründe. Zum einen kommen äquivalente Begriffe zum im deutschen Sprachraum genutzten FLINTA-Begriff in anderen Sprachen nicht vor. Folglich kann er gerade Menschen mit anderem sprachlichem Hintergrund nicht übersetzt werden. Außerdem herrscht der Begriff in einer politischen Szene vor, die wie der Begriff Szene schon verdeutlicht, sehr stark abgeschottet unter sich bleibt. Diese Szene erklärt zwar in jedem Plenum an der Anschlussfähigkeit arbeiten zu wollen und beschließt niederschwellige Kommunikation, jedoch ist das nicht das Problem. Vielmehr ist es die Tatsache, dass diese Kreise sich als moralisch überlegen inszenieren: sie kapseln sich ab, weil sie postulieren, die richtigen Wörter zu benutzen, weil sie keiner Personengruppe wehtun und alle berücksichtigen würden. Aber eigentlich kapseln sie sich ab, weil sie alle den gleichen Hintergrund haben, die gleichen Schuhe tragen – sie haben gemeinsam, nur vorzugeben, die Gesellschaft verändern zu wollen. Stattdessen genießen sie ihre Ruhe in einer Jugendkultur, wo man mit den barbarischen Arbeiter:innen nichts zu tun haben muss. Man ist ganz froh, ihnen fern zu sein, denn die glauben nicht an queere Geschlechter, die sind alle patriarchal und sagen Frau statt FLINTA. Man eröffnet vermeintliche Saf(r)space – anstatt sich dem Widerstand der Umstände anzunehmen. In Plena Niederschwelligkeit zu verlangen bedeutet nämlich eigentlich, dass sie eine Stufe sehen. Eine Stufe, die nicht ein höheres Klassenbewusstsein beschreibt, sondern eine Grenze der einfachen Leute und den Aufstieg zu Moralist:innen – diese Schwelle sollte nicht niederschwellige gestaltet werden, sondern sich vollständig aus ihren Köpfen lösen. Während man sich moralisch abgrenzt, anstatt Politik zu machen, verkennt man die Realität: im Alltag dieser einfachen Leute, der Arbeiter:innen, gibt es eine sehr klare Einteilung in Mann und Frau, oder eine Einteilung in unterdrückte Geschlechter und einem profitierenden Geschlecht. Diese binäre Einteilung können wir zwar als radikale/revolutionäre Linke nicht gutheißen, jedoch müssen wir ihre alltägliche Existenz ernsthaft angehen, anstatt sie durch sprachliche Veränderung lediglich zu vertuschen.
2. Abkürzung wohl eher Verkürzung
Die Zusammenführung von Frauen und queeren Geschlechter, in beispielsweise einem Begriff ist auch eine stark verkürzte Analyse von Unterdrückungsverhältnissen im Patriarchat und Kapitalismus. Die Ausbeutung von und der Hass auf Frauen sind schlicht und einfach nicht identisch mit den Erfahrungen von queeren Geschlechtern, wie auch umgekehrt. Nicht-binäre Menschen leiden beispielsweise unter der Ausgrenzung und Diskriminierung in einer binären Welt – eine Erfahrung, die Frauen nicht machen. Genauso erleben Transmänner und Transfrauen sehr unterschiedliche Anfeindungen – nicht einmal ihr Leben lässt sich unter dem „T“ von FLINTA gleich benennen. Geschweige denn lässt sich ihr Leben mit den Erfahrungen von Interpersonen gleichsetzen. Wir sehen also, dass mit der Zusammenführung verschiedenster Personengruppen in einem Akronym nicht ihre Repräsentation gestärkt wird, sondern ihr Leid relativiert und verkürzt wird. Wir können das revolutionäre Subjekt auch nicht einfach durch den Begriff FLINTA ersetzen, wir müssen in der Forderung nach einer queeren Befreiung queeres Leben genauer analysieren – ihre Rolle in revolutionären Kämpfen nicht der der Frau gleichsetzen.
3. Steht „I“ für Männer inkludieren?
Viele Menschen benutzen den Begriff FLINTA um klarzustellen, dass Räume oder Veranstaltungen mit Ausschluss von Männern stattfinden sollen, oder um Personengruppen zu benennen, bei denen alle Geschlechter außer cis-Männer gemeint sind. Dass dabei Transmänner entgegen ihrer Definition wieder in dieselbe Position wie queere oder das weibliche Geschlecht gedrückt werden, sei einmal außenvorgenommen. Allerdings werden auch andere Männer im FLINTA-Begriff inkludiert. Das passiert durch Intergeschlechtliche Personen (das „I“ in FLINTA), welche teilweise nach der Geburt als Männer eingetragen werden oder sich als Männer identifizieren. Diese Widersprüche des FLINTA-Begriffs werden allerdings nicht dadurch gelöst, sich den Fehler der Analyse einzugestehen. Stattdessen wird mittlerweile in eine Vielzahl von Identitäten, biologischen Geschlechtern, Geschlechtern und Gendern unterschieden. Beschwert wird sich an dieser Stelle nicht über die Existenz von vielen Geschlechtern, sondern der vermeintlichen Wissenschaft der Ausdifferenzierung von Indo- und Endogeschlechtlichkeit. Es braucht allerdings eine klare Ausdifferenzierung, warum die Geschlechtsidentität nicht eine Identität ist, sondern ein wirkliches Geschlecht. Warum diese Identität eben das biologische Geschlecht ist, welches als solches dann nicht existiert. Es braucht eben keine sprachlichen Verrenkungen, sondern eine dialektisch materialistische Geschlechtsanalyse. Folglich meinen FLINTA-Räume etc. zwar Orte ohne Männer, faktisch sind sie allerdings nicht ausgeschlossen. Ob ihr Ausschluss richtig oder falsch wäre in Bezug auf verschiedene Situationen, ist zudem fraglich. Wer einen gemeinsamen Kampf gestalten möchte, sollte nur die wirklich notwendigen Abgrenzungsräume eröffnen.
4. Von einem Schrank zu vielen Schubladen
Während die Idee der Queer-Community nicht nur war, die ursprüngliche Beleidigung als queer wieder positiv zu besetzen und als Selbstbezeichnung und stolzen Begriff zu wählen, stand auch fest, dass der Begriff ein radikal offener sein soll, unter dem sich queere Personen zusammenfinden können, ohne sich definieren zu müssen. Dieser Ursprungsgedanke wurde aufgebrochen – in Begriffen wie FLINTA sollen Menschen sich zusammentun und als eben einer der Buchstaben identifizieren. Diese Identifizierung wird dabei zwar als empowernd vorgegaukelt, jedoch mündet sie eher in einer sprachlichen Kontrolle – die Wörter Frauen und Queers weichen einer Abkürzung, mit der man sich nicht gegenseitig ansprechen oder gar selbst bezeichnen kann. Außerdem brachte die radikale Offenheit des Queer-Begriffs eine dauerhafte Aktualität mit sich, während die Akronyme immer weiter um Buchstaben ergänzt werden und damit auch angehende Notwendigkeit der Neuvermittlung mit sich ziehen.
5. Frauen sind nicht der Feind
Durch den Begriff FLINTA wurde bisher vor allem der Begriff Frau ersetzt. Das ist inhaltlich falsch aber auch eine falsche Botschaft an Frauen – sie stellen jetzt nur noch einen Buchstaben in einem Akronym, dass patriarchale Ausbeutung beschreiben soll. Dabei wurde der falsche Feind gewählt, nicht Frauen sind die, die zu viel benannt werden und weichen sollen. Sie sind es, deren Kampf unser momentan Schlagkräftigste ist, ein Kampf, der unser aller Befreiung bedeuten kann, wenn wir ihn richtig führen. Das bedeutet, dass uns die Situation abverlangt, eine Revolution gegen das Patriarchat zu führen, in der Frauen die tragenste und größte Rolle einnehmen. Dabei müssen wir auch die Positionen von anderen Geschlechtern analysieren – sie stellen einen Bruchteil der Unterdrückten und sind ausdifferenziert anhand der Ausbeutung. Die Ausbeutung ist aber die Schlagkraft, die wir für unsere Befreiung aufwenden müssen. Folglich ist die Ausbeutung definierend für den Kampf, den wir führen: Die Drängung der Frau in die Reproduktionssphäre gibt ihnen eine besondere Rolle als revolutionäres Subjekt im Kampf gegen Patriarchat und Kapitalismus. Dieses Verständnis muss Fundament der Analyse sein und zeitgleich ein Maßstab, an dem wir die Rolle anderer Geschlechter in der Revolution bemessen.
6. Ein ganzes Kornfeld
Die postmoderne Linke weist auch weitere Akronyme auf, denen es ähnlich zum FLINTA-Begriff an Anschlussfähigkeit, Aktualität, Präzision, Analyse und Sinnhaftigkeit mangelt. Bekannt sind beispielsweise LGBTQIA+, BIPOC und IDAHOBIT. Am Beispiel der Abkürzung LGBTIAQ+ (lesbian, gay, bisexual, trans, inter-, agender, queer+) konnte historisch beobachtet werden, wie ein Begriff (LG bzw. LGBT) an Aktualität verliert und immer weiterwachsen muss. Ein Irrsinn, der daraufhin durch die Einführung des + beendet werden sollte, um keine Ergänzungen mehr vornehmen zu müssen, sondern eine radikale Offenheit zu suggerieren. Nichtsdestotrotz ist der LGBTQIA+ Begriff bereits sperrig und nicht alltagstauglich – etwas, was eine Selbstbezeichnung und Identität allerdings sein sollte, wenn sie genutzt werden soll.
Die letzten Jahre mehr in die Öffentlichkeit gerückt ist der IDAHOBIT – (international day against homo-, bi- and transphobie) der Internationale Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Trans-Feindlichkeit. (Da war für ein A dann keine Geduld mehr, oder ist das A in FLINTA eigentlich auch das N?). Dass der Tag und seine Bedeutung an Aufmerksamkeit gewinnen, ist natürlich ein wichtiger Schritt. Allerdings kommt die Frage auf, warum ausgerechnet die queere, queerfeministische und postmoderne Strömung einen solch großen Hang zu komplizierten und langen Abkürzungen hat. Einer Frage der wir nachgehen müssen:
7. Woher kommt der Abkürzungs-Kink?
Selbstverständlich hatten auch andere Bewegungen Abkürzungen zur Benennung von Personengruppen, Kampftagen oder Aktionen. Dennoch scheint gerade die queere/(queer-)feministische Bewegung einen expliziteren Hang dazu zu haben: aus dem einfachen Grund einen ständigen Zwang zu Repräsentation zu haben. Die vorherrschende Ideologie in diesen Bewegungen ist, dass anstatt einer vollständigen und ausdifferenzierten Analyse, der Fokus auf Repräsentation und Benennung aller Personengruppen erfolgen muss. Anstatt eines Raums für „alle unterdrückten Geschlechter“ oder „Menschen betroffen von patriarchaler Gewalt“ oder „für Frauen und Queers“, müssen alle Identitäten und Individuen einzeln aufgezählt werden. Es klingt zunächst einleuchtend, dass eine Bewegung, die aus Personen besteht, die unterrepräsentiert und unbenannt im Alltag sind, diese Diskriminierung durch eigene Plattformen durchbrechen will. Das ist auch nicht falsch, jedoch muss eine Politik weitergehen als sich auf einer Repräsentation auszuruhen. Was aber nach einer Kleinigkeit klingt, zieht sich als strukturelles Problem durch diese Strömungen. Es sind nämlich momentan genau diese „linken“ Bewegungen, die es bei Identitätspolitik belassen (vgl. Sackgasse Identitätspolitik) und es dabei auch nicht aus den eigenen Zirkeln schaffen. Des Weiteren stillt Identitätspolitik auch ein großes Bedürfnis: dem Bedürfnis nach Identität. Anstatt sich aber als Teil einer Klasse, eines Widerstands, einer Organisation oder Bewegung zu begreifen, versteht man sich als individuelle Identität, als beispielsweise schwarze lesbische Transfrau. Damit empowert man sich selbst, anstatt einen Zusammenschluss zu erkämpfen. Kollektivität und Solidarität sind allerdings die Grundbausteine einer linken und revolutionären Politik, statt einer Vereinzelung. Das Verbünden in einem Identitäten-überschneidenden Kollektiv ist notwendig, um gemeinsam einen Kampf zu starten, welcher nicht der Befreiung einzelner, sondern aller dient. Dieser Kampf bleibt durch Identitätspolitik aus, verständlicherweise wird sie daher auch so geduldet und vermarktet – Prideflaggen verkaufen sich besser als die Revolution.
8. Sprache statt Antikapitalismus
Begriffe durch Akronyme zu ersetzen, erweckt den Anschein, die mit Frau oder FLINTA verbundene Ausbeutung und Unterdrückung im Patriarchat ließe sich durch sprachliche Veränderungen antastet oder gar überwinden. Während den sozialistischen Diskursen von Materialismus bis Dialektischem Materialismus klar ist, dass das Sein das Bewusstsein bestimmt, wird hierbehauptet, es wäre durch reine sprachliche Veränderungen möglich, unsere Unterdrückung zu beenden – dass es zusätzlich eine Ebene der Ausbeutung gibt, wird erst gar nicht analysiert (vlg. Queerfeminismus ich lenin ab). Dieser reformistische Ansatz ist lächerlich im Verhältnis zu dem Ausmaß der herrschenden Systeme, Kapitalismus und Patriarchat. Die Sprache zu verändern ist kein Mittel gegen das Ausmaß des Leids bezüglich der unbezahlten Reproduktionsarbeit, dem Ausmaß der Übergriffe, der Vergewaltigungen und Morde. Ein Akronym zu benutzen, ist keine Politik, es ist ein Hohn an all die, die eine Frauenrevolution im Iran betreiben, an all die, die das emanzipatorische Projekt Kurdistan gegen den IS verteidigen, aber auch ein Hohn an die, die in Deutschland versuchen eine revolutionäre Bewegung aufzubauen und sich in den Debatten wiederfinden, warum die Linke keine Perspektiven, sondern nur noch Vokabeln bietet. Frauen und Queers werden weltweit ermordet und die deutsche Linke überlegt sich Buchstabenrätsel.
Wer denkt, diesen Feminist:innen ginge es zu gut, schlussfolgert allerdings falsch, sie sind nicht zu wenig unterdrückt, sie sind nur zu stark verblendet. Denn die Forderung nach der Befreiung von Frauen und Queers ist bürgerlich geworden – sie verkennen die ökonomischen Bedingungen als Fundament für unsere Ausbeutung und auch für unsere Unterdrückung. Der Begriff FLINTA signalisiert dabei nicht nur postmoderne Identitätspolitik (vgl. Sackgasse Identitätspolitik) sondern auch das Abfinden mit einer abgekapselten Szene-Politik, der finalen Resignation. Wo haben sie ihren Antikapitalismus gelassen? Wo ihre Geschichtsbücher? Wenn das Streben nach einer Revolution gegen eine Sprachphilosophie ersetzt wird, verlieren wir nicht nur radikale Ansätze, wir verlieren auch jegliche Chance eine Befreiung zu erreichen. Die Devise muss lauten Klassenkampf statt Vokabeltest.
]]>Aufruf: Bei dem Vortrag “Feministische Kritik am Queerfeminismus” soll hergeleitet werden, warum der Queerfeminismus weder für Frauen noch für Queers eine vollständige Analyse und Lösung liefert. Dafür soll zunächst eine grobe Übersicht gegeben werden, welche femininistischen Diskurse und Strömungen aktuell von Bedeutung sind. Danach wird die Theorie des Queerfeminismus beleuchtet und zeitgleich die dortigen Mängel aufgedeckt. Abschließend soll eine antikapitalistische Analyse vollzogen werden, um mit einer Perspektive abzuschließen, wie wir uns als Queers und Frauen zusammenschließen können, um einen emanzipatorischen und feministischen Kampf zu gestalten. Der Vortrag bedient sich teilweise an marxistischer Theorie, ist aber auch ohne derartige Grundlagen und Überzeugungen verständlich. Ziel des Vortrags ist, die Vereinfachungen und Kürzungen des Queerfeminismus’ aufzudecken, ihn zu hinterfragen, um einen feministischen Theoriediskurs neu aufzurollen. Dabei wird die These vertreten und argumentiert, dass es für eine echte Befreiung von unterdrückten Geschlechtern einen anderen Feminismus braucht. Weder Queerfeminismus, noch TERF-Ideologie nutzen unserem Kampf gegen das Patriarchat. Die Devise lautet: Her mit einem feministischen Antikapitalismus! Warum? Und wie? Lasst es uns gemeinsam herausfinden und diskutieren.
]]>Feministische Bewegungen lassen sich in verschiedene Wellen einteilen. Die erste Welle beginnt grob am Ende des 18. Jahrhunderts und zieht sich bis zur Teilung zwischen bürgerlicher und proletarischer Frauenbewegung, letztere bekannt durch ihre Vertreterin und Gründerin des deutschen 8. März Clara Zetkin (1857-1933). Während die bürgerliche Frauenbewegung die Gleichheit von Mann und Frau für lediglich das Bürgertum verlangte, kämpfte die proletarische Frauenbewegung für eine Befreiung aller. Arbeiter:innen in beispielsweise England aber auch Deutschland formierten sich, sie kämpften um Mutter- und Arbeitsschutz, um Arbeitszeitverkürzung, Lohnverbesserung, Frauenwahlrecht und rechtliche Gleichstellung – sie wollten die Freiheit der Arbeiter:innen. Clara Zetkin erkannte dabei: in der doppelt ausgebeuteten Rolle kann es keine Freiheit der Frau geben. Ihre Befreiung ist ein Bruch der Verhältnisse, ein Aufheben der Klassen, ein Ende des kapitalistischen Wirtschaftssystems. Nur so kann es eine Befreiung der Frau geben, nur so einen ehrlichen emanzipatorischen Ansatz – nicht durch bürgerliche Frauenbewegungen, nicht durch Romantisierung der Bourgeoisie. Daran anschließend waren es in der zweiten Welle Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem Studentinnen, die sich nach Vorbildern wie Alice Schwarzer und Audre Lorde nicht nur explizit mit dem Patriarchat, sondern auch mit Rassismus beschäftigten. Hinzu kam ein Fokus auf Abtreibungsrechte. In der dritten Welle, die man ab 1980/90 erkennt, entwickelten sich neue Theorien, bekannt ist in erster Linie Judith Butler. Mit dem neuen Fokus auf Fragestellungen, wie Geschlecht entsteht, aber auch wie sexuelle Befreiung aussieht, entstand eine postmoderne Feminismustheorie, der Queerfeminismus. Zusätzlich prägten Diskurse um die Thematik Prostitution/Sexarbeit den feministischen Kampf. Manche Feminist:innen sprechen von einer vierten Welle in der wir uns momentan befinden. Angestoßen durch beispielsweise die #MeToo-Debatte gerät der feministische Diskurs immer weiter ins Internet und den Mainstream. Neuer Fokus liegt auf Trans-Inklusivität und queeren Geschlechtern, oftmals im klaren Ideal von queerfeministischer Theorie. Zudem erleben wir heute eine offenere Aneignung von Feminismus durch den Kapitalismus.
Der Wahnsinn der Postmoderne
Das Entstehen von postmodernen Ansätzen (darunter feministische und antirassistische linke Theorien) lässt sich nur durch ein Versagen erklären: durch das Vergessen. Was postmoderne Diskurse eint, ist eine Abkapselung von bisheriger Theorie. Das bewusste Vergessen und Vergessenmachen von bereits entwickelter Theorie und damit auch Erkenntnisständen. Nur so lässt sich erklären, weswegen postmoderne Ansätze bewusst auf ökonomische Zusammenhänge verzichten. Statt historisch gewachsenen Analysen, die Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnisse auf kapitalistische Produktionsweise zurückführen zu verbessern, verleumden die vorherrschenden Theorien unserer Zeit diesen Zusammenhang und dieses Fundament. Unterdrückungen werden stattdessen auf Diskriminierung zurückgeführt. Während Clara Zetkin noch klarstellte, mit welcher Macht Ausbeutung einherkommt: „Mag man heute unsere gesamte Gesetzgebung dahin abändern, dass das weibliche Geschlecht rechtlich auf gleichen Fuß mit dem männlichen gestellt wird, so bleibt nichtsdestoweniger für die große Masse der Frauen die gesellschaftliche Versklavung in höchster Form weiter bestehen: ihre wirtschaftliche Abhängigkeit von ihren Ausbeutern.“ und Eric Williams ebenso an den Zusammenhang von Unterdrückung und Ausbeutung appellierte „Sklaverei kommt nicht von Rassismus, Rassismus kommt von Sklaverei“, berufen sich heutige Diskurse nicht auf den wahrhaftigen Ursprung von Diskriminierung, sondern lösen sich aus dem systemischen Fundament, oder blenden dieses in ihrer antipatriarchalen und antirassistischen Arbeit aus. Das Ergebnis ist oft eines: Identitätspolitik. Politik wird aus der gemeinsamen Diskriminierungserfahrung heraus motiviert, anstatt diese in einem Gesamtsystem der Unterdrückung zu sehen und daher aus einer Gemeinschaft heraus für einen Systemwandel zu kämpfen. Das resultiert in absurden Vorstellungen von Betroffenenpolitik und Allyship-Politik. Das Konzept des Allyship ersetzt dabei Solidarität und gemeinsame Kämpfe durch reine Lippenbekenntnisse von beispielsweise weißen Personen und Symbolik in der Unterstützung von „Rassismus-Betroffenen“ oder eben überausgebeuteten Menschen in einem rassistischen System. Antirassistische Kämpfe sollten sich aber nicht in BIPOC-Gruppen abspalten, antirassistische Kämpfe sollten sich nicht in Betroffene und Allyship spalten, antirassistische Kämpfe sollten inmitten aller anderen Diskurse stehen und gekämpft werden. Von allen Antifaschist:innen egal welcher Diskriminierungserfahrung. Die wirkliche Absurdität von Antidiskriminierungspolitik spitzt sich allerdings in feministischen Diskursen zu, im Queerfeminismus.
Der Fall Queerfeminismus
Was ist Queerfeminismus eigentlich? Beantworten können das meist nur feministische akademische Kreise, wo der Queerfeminismus vorherrscht. In daran anknüpfenden aktivistischen Bereichen und Gruppen wird der Begriff oftmals ohne Vorkenntnisse gewählt. In Gesprächen hört man dabei immer wieder, dass Gruppen sich als queerfeministisch verstehen, weil sie bei dem Begriff Frau auch Transfrauen miteinschließen. Das ist richtig und wichtig, aber absolut keine queerfeministische Theorie. In vielen Bereichen des Feminismus sind mit dem Begriff Frau auch Transfrauen miteingeschlossen – die Angst vor TERFS (Trans-exklusive Raikalfeminist:innen) ist in manchen Kreisen so riesig, dass angenommen wird, dass alle Feminismustheorien TERF-Theorien seien, die nicht queerfeministisch sind. Das ist schlichtweg falsch. Ergänzend wird auch gerne angenommen, dass der Queerfeminismus der Einzige sei, der die Existenz von mehr als zwei Geschlechtern annimmt. Auch das stimmt nicht. Beides ist weder Abgrenzung des Queerfeminismus von anderen Strömungen noch die Theorie, auf die sich Queerfeminismus beruft. Diese Unwissenheit über die eigene Theorie herrscht in vielen Gruppen und lässt sich eventuell auf die Tatsache zurückführen, dass der Begriff „Queerfeminismus“ unschlagbar gut klingt – es klingt, als wäre er der einzige Feminismus der queeres Leben berücksichtigt. Doch was ist nun der wirkliche ausschlaggebende Punkt des Queerfeminismus, wodurch er sich von anderen differenziert?
Der Queerfeminismus gehört zu den Strömungen der Dekonstruktiven Feminismen. Was kompliziert klingt, lässt sich einfach erklären: Würde man allen feministischen Theorien die Frage stellen „Sind Männer und Frauen gleich?“ würden sie unterschiedlich antworten. Liberaler Feminismus oder Care-Feminismus, beides Strömungen des Gleichheitsfeminismus, würden erwidern, dass Männer und Frauen gleich sind. Radikale Feminismen, wie der Radikalfeminismus und der Ökofeminismus aber auch der konservative Feminismus würden stattdessen antworten, dass Männer und Frauen unterschiedlich sind. Der Queerfeminismus würde erwidern, dass die Fragestellung falsch ist, da er die Kategorien Frau und Mann ablehnt, er erkennt diese Begriffe als Konstrukte, an die er nicht glaubt. Dieses Konzept nennt man Dekonstruktivismus. Es klingt zunächst einleuchtend: Frau und Mann sind ausgedachte Konzepte, die durch beispielsweise queere Geschlechter widerlegt werden. Queerfeminist:innen lehnen daher das Konzept der Einteilung ab. Dabei folgt allerdings ein falscher Schluss. Es wird nämlich verleumdet, dass in unserer Gesellschaft diese Kategorien leider vorherrschen: das reine aberkennen dieses Konstrukts bekämpft das Konstrukt noch nicht, genauso wie die geschlechtliche Unterdrückung. In der Praxis mangelt es dann an Anschlussfähigkeit: Im Alltag gibt es nämlich eine Einteilung in Mann und Frau, diese ist gewiss nicht frei gewählt, aber diese Tatsache abzulehnen, hebt sie nicht auf. Dabei müssen wir erkennen, dass die Einteilung in Mann und Frau nicht nur queerfeindlich ist, sondern auch eine strikte Einteilung in ein Geschlecht, das unterdrückt wird und ein Geschlecht, das von dieser Unterdrückung profitiert, geschieht. Das müssen wir nicht Mann und Frau nennen, ist aber die Situation, in der wir leben. Klar ist, dass keine Feminist:innen das gut heißen. Außerdem berufen sich viele Feminismen dabei auf die Tatsache, dass diese Einteilung queere Menschen diskriminiert und unsichtbar macht, ohne dabei die Realität der Existenz der Einteilung durch Dekonstruktion zu verleumden. Die Taktik, andere Geschlechter sichtbarer machen zu wollen, ist richtig, verhindert aber nicht ihre Unterdrückung, es ändert nichts an der Einteilung von Unterdrückten und Profitierenden.
Weitere Differenzen der Feminismen lassen sich an einer weiteren Fragestellung erklären: Woher kommt Sexismus? Für sozialistischen/marxistischen Feminismus und postkolonialen Feminismus steht fest, dass der Kapitalismus schuld ist, dass wir patriarchale Unterdrückung in dem heutigen Ausmaß erfahren und er sich vehement hält. Manche Ausrichtungen des Öko-Feminismus führen Umwelt-Ausbeutung und Verwobenheit mit der Biologie an, um diese Diskriminierung zu erklären. Der Anarchafeminismus gibt Machtverhältnissen an sich die Schuld als Basis von Sexismus. Der Radikalfeminismus würde der patriarchalen Männergesellschaft als Täter benennen. Der Queerfeminismus entgegen weist keine klare Benennung eines Ursprungs auf und verleumdet eine ökonomische Verwobenheit des Patriarchats. Dieses fehlende Bekenntnis sorgt dafür, dass Sexismus als Diskriminierungserfahrung oft freigelöst von strukturellen Ebenen wie dem Patriarchat und Kapitalismus betrachtet wird. Diese These mag ein Schock für einige Queerfeminist:innen sein: queerfeministische Theorie beruft sich nicht auf Antikapitalismus. Damit grenzt er sich zusätzlich von sozialistischen/marxistischen und anarchistischen Feminismustheorien ab, verkürzt aber auch Analysen. Wer Sexismus als Diskriminierung abtut, ohne eine Vernetzung mit dem Kapitalismus zu erkennen wird auch nicht antikapitalistisch arbeiten.
Das führt uns zur nächsten Unterscheidung der Feminismustheorien: Die Praxis, die aus ihnen folgt. Liberaler Feminismus, konservativer Feminismus oder transformativer Feminismus erhoffen sich eine Reformierbarkeit der Wirtschaft. Durch zum Beispiel Frauenquoten erhoffen sich Teile dieser Feminist:innen eine Gleichbehandlung und eine Ende der männlichen Vorherrschaft. Sozialistischer/marxistischer Feminismus, Teile des Öko-Feminismus und Anarchafeminismus fordern ein klares Ende des Kapitalismus, um im gleichen Kampf ein Ende des Patriarchats und damit der geschlechterbasierten Unterdrückung zu beenden. Der Diskurstheoretischer Feminismus und der Queerfeminismus setzen stattdessen auf Veränderungen im Alltag: die Praxis ist daher die Veränderung von Sprache sowie persönliches Empowerment.
In den meisten politischen materialistischen Diskursen ist klar: Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Der Queerfeminismus grätscht rein und scheint stattdessen zu fordern, dass die Sprache das Bewusstsein formt und das Bewusstsein das Sein (Poststrukturalismus). An dieser Stelle muss es kurz philosophisch werden. Philosoph:innen aller Länder vereinigt euch und verzeiht die folgende Verkürzung. Wenn man Materialismus so simpel wie möglich erklären will, könnte man sagen, es gibt erst einen Zellhaufen, wir nennen ihn Gehirn, und danach elektrische Signale, die durch ihn fließen, wir nennen diese Stimulation Gedanken. Es gibt erst eine Hormonausschüttung und dann ein Gefühl, es gibt erst einen Körper und dann einen Charakter. Dabei ist alles aus Materie gemacht. Jede Zelle besteht aus Zellbestandteilen, die sich beispielsweise aus Proteinen zusammensetzen, welche aus Aminosäuren bestehen, die Moleküle aus Atomen sind, die sich wiederum aus Elektronen, Neutronen und Protonen zusammensetzen. Es gibt also nichts, was nicht aus Materie besteht, sondern nur Dinge, die Materie sind oder aus ihr gemacht werden. Die Grundlage dieser Erkenntnis sind die Naturwissenschaften, das Konzept nennt sich Materialismus. Dem gegenüber stehen beispielsweise Religionen mit der Theorie, es gäbe Seelen unabhängig vom Körper, unabhängig von Fleisch und Knochen, unabhängig von Materie. Diese Vorstellung nennt man Idealismus. Dem entgegnet der Marxismus strikt den Dialektischen Materialismus, demnach ist die Dialektik eine Anleitung zum Handeln (Engels), was eine beständige Weiterentwicklung, anstatt vollständige Analyse fordert. Wir können ohne weitere Vertiefung in die Rolle von dialektischen Widersprüchen verstehen, dass unsere Gegebenheiten uns mitbestimmen und formen. Dass wir in Wechselwirkung mit der Welt stehen, dass wir auch anhand unserer materialistischen Bedingungen agieren. Wir sehen, dass die Wirtschaftsform damit ausschlaggebend für unsere Gesellschaftsform ist, dass diese Dinge nicht getrennt voneinander sind, sondern oftmals gleichbedeutend; dass es eine Basis gibt, und einen Überbau. Das erkannten beispielsweise Marx und Engels. Letzterer lieferte die Analyse, dass die erste Unterdrückung, die der Frau vom Mann gewesen sei. Das wollen wir uns beispielshaft anschauen: finanzielle Abhängigkeit der Frau vom Mann in Familienkonzepten. Wer hier denkt, dass ursprüngliche Ehen gemeint sind, liegt falsch. Auch vermeintlich moderne heterosexuelle Beziehung weisen finanzielle Abhängigkeiten durch die „Gender-Pay-Gap“, Care-Arbeit bei Kindererziehung, Erziehungsurlaub und unterschiedliche Renten auf. Die finanzielle Abhängigkeit der Frau vom Mann formte die Beziehung dieser Geschlechter: die Frau war darauf angewiesen den Mann zu befriedigen, um nicht den Zugang zu seinen Privilegien, wie etwa finanzielle Mittel, zu verlieren. Befriedigen bedeutet an dieser Stelle tatsächlich unteranderem auch wonach es klingt: Eine Ehefrau, die ihren sexuellen Verpflichtungen nicht nachkam, hatte das Risiko verlassen zu werden. Unter dieser Bedingung kann Sexualität nicht mit Fokus auf die weiblichen Bedürfnisse stattfinden. Dass die sexuelle Befreiung, insofern wir sie schon erreicht haben, also nur mit der fortschreitenden finanziellen Unabhängigkeit der Frau vom Mann kommen konnte, sollte an dieser Stelle klar geworden sein. Dieses Beispiel ist allgegenwärtig: die ökonomischen Bedingungen sind Fundament für unsere Ausbeutung und auch für unsere Unterdrückung.
Hier zeichnet sich eine falsche Analyse des Queerfeminismus ab: die Durchmischung von Ausbeutung und Unterdrückung. Klären wir zunächst, was Ausbeutung ist. Geprägt ist dieser Begriff maßgeblich durch Marx selbst, der ihn in der Arbeitswerttheorie nutzt, jedoch verbirgt sich weiter ein soziales Konstrukt hinter Ausbeutung, bei dem die Ausbeutung in einer Wechselbeziehung zu den Ausgebeuteten steht, die sowohl eine Schädigung als auch eine Abhängigkeit beinhaltet. Es ist eine ökonomische Beziehung, die im Queerfeminismus nicht berücksichtigt wird. Die Unterdrückung hingegen hat keine Abhängigkeit, keinen rein ökonomischen Hintergrund, wirkt aber oft aus diesem heraus. Der Unterdrückte ist nicht von der eigenen Unterdrückung abhängig; der Unterdrückende nicht zwangsläufig von den Unterdrückten. Wir müssen also stets beides analysieren: Wo wird Ausbeutung und wo Unterdrückung erlebt? Beides gilt beispielsweise für den Arbeitsmarkt, aber auch in der Sexualität. Es gilt nicht für die Sprache: Dort zeichnet sich eine Diskriminierung, ein unterdrückendes Verhalten ab, aber keine Ausbeutung. Das Beenden von sexistischen Beleidigungen oder dem generischen Maskulinum und das Einführen von neuen Begriffen (FINTA) können daher nur eine Bestrebung gegen Sexismus und Unterdrückung sein, nicht gegen Ausbeutung, welche zwangsläufig durch Wechselbeziehungen und ökonomische Interessen geprägt ist, welche sich nicht durch Sprache angreifen lassen. Gesellschaftlichen und systemischen Wandel können wir mit Sprache also nicht bewirken; queerfeministische Praxis beschränkt sich aber dennoch oft auf diese. Aber nicht die Sprache formt, wie wir denken, die Sprache ist ein Abbild, wie wir denken, und das wiederum ist maßgeblich von der Welt geprägt, in der wir leben, von der Gesellschaft, von der Unterdrückung, von der wirtschaftlichen Ausbeutung. Es hat keine Menschen in die Prostitution gezwungen oder aus ihr befreit, wenn Hure eine Beleidigung ist oder nicht. Und wir werden auch nicht mehr Frauen auf den Mond bekommen, nur weil wir „Astronaut:innen“ sagen. Sprache schließt und öffnet nur kleine Türen, aber wir brauchen große Tore, wenn wir frei sein wollen. Gesagt sei nicht, dass Sprache egal ist, gesagt sei nur, dass sie weder Aktivismus noch ausreichende Praxis gegen das Patriarchat ist.
Feministische Theorien unterscheiden sich bei der Fokussetzung beziehungsweise der Analyse von zusammenhängenden Kämpfen. Der sozialistische/marxistische Feminismus bekennt sich klar zum Kampf gegen Klassen, dabei wird ein Fokus auf Arbeiter:innen, insbesondere auch Migrant:innen gelegt, genauso wie auf Familienkonzepte und die Verwobenheit mit dem Kapitalismus. Auch der Öko-Feminismus fokussiert sich auf kapitalistischer Ausbeutung, aber auch auf die herrschende Abneigung von Natur und Natürlichkeit. Postkolonialer Feminismus legt, wie der Name vermuten lässt, einen Schwerpunkt auf Arbeit zu Kolonialismus, Rassismus und dem Kapitalismus. Anarchafeministische Ansätze beschäftigen sich mit dem Kapitalismus und Machtverhältnissen oder Hierarchien. Der Queerfeminismus setzt auf die Bedeutung von (queerer) Sexualität, die eigene sexuelle/Gender-Identität und Familienkonzepte. Ein Grundpfeiler ist dabei das Streben nach Intersektionalität und Diversität. Das klingt zunächst einmal sehr logisch: Es gibt verschiedene Unterdrückungsformen, wodurch die unterschiedliche Ausbeutung nach beispielsweise Geschlecht oder Race berücksichtigt werden müssen. Diese Kämpfe müssen dann mit Berücksichtigung verschiedener Kombinationen gemeinsam geführt werden, während sich möglichst divers aufgestellt werden sollen. Nun soll mit der These eingeleitet werden: Intersektionalität ist ein falscher Ansatz. Intersektionalität, und damit verbunden die Idee einen Kampf aus der eigenen Identität mit der Inklusion anderer Identitäten zu führen, behauptet, Feminismus müsse viele Kämpfe zusammenführen. Diese Kämpfe hätten aber nie getrennt werden sollen! Die vermeintliche Analyse von Überschneidungen verschiedener Diskriminierungen und der Summe als Fazit, verkennt den wirklichen Zusammenhang: den des Kapitalismus. Während antikapitalistische Feminismustheorien schon immer die Existenz von Überausbeutung von beispielsweise schwarzen Frauen berücksichtigt, als eben diese Ausbeutungsform im Kapitalismus, ist es nur der postmoderne Feminismus, der denkt, Menschen in der Analyse hinzufügen zu müssen. Eben genau weil ein grundsätzliches antikapitalistisches Konzept fehlt. Der marxistische Feminismus beispielsweise muss sich nicht neu aufstellen, um antirassistisch und queersolidarisch zu sein, alle Unterdrückungen sind bereits durch die Ausbeutungsverhältnisse, welche der Unterdrückung zu Grunde liegen analysiert. Während ein weiß geprägter Queerfeminismus beginnt, antirassistisch werden zu wollen und queere Geschlechter und Identitäten zu inkludieren, sind queere Kämpfe in marxistischen Analysen gegen traditionelle Familienkonzepte schon historisch gewachsen, genauso wie die Befreiung schwarzer Frauen. Dinge, die zusammengehören, zusammenführen zu müssen, zeigt die Schwäche des Queerfeminismus: er spaltet Unterdrückungsverhältnisse und trennt sie von Ausbeutungsverhältnissen. Nun muss er „das Pferd von hinten satteln“. Das ist schlichtweg falsch, da an dieser Stelle die kapitalistische Ausbeutung lediglich als weitere Unterdrückungs- und Diskriminierungsform ergänzt wird (Klassismus etc.). Sie wird nicht als grundlegend verstanden, obwohl sie genau das ist. Ein Beispiel: Laut der Identitätspolitik von queerfeministischen Ansätzen müsste eine schwarze Frau doppelt unterdrückt und diskriminiert sein, aufgrund von Rassisfizierung und Sexismus. Ende der Analyse. Der marxistische Feminismus hingegen erkennt: eine schwarze Frau kann überausgebeutet sein aufgrund ihres Geschlechts und ihrer Hautfarbe. Es spielt aber eine Rolle, ob diese Frau CEO oder Putzkraft ist. Das bestimmt maßgeblich ihre Erfahrungen und die vermeintlich gleiche Identität zweier schwarzer Frauen (CEO, Putzkraft) trennt sich aufgrund ihrer Klasse. Diese Klasse ist keine zusätzliche Identität, sondern Grundlage des Ausbeutungsverhältnis. Dass der Queerfeminismus diesen Klassenstandpunkt durch Identitäten ersetzt, zeigt sich in fundamentalen Forderungen: Der Queerfeminismus fordert Privilegien, wie etwa das männliche Geschlecht, zu reflektieren. Die Analyse ist also, dass lediglich ein falsches Bewusstsein, also ein unreflektiertes weiß/männlich Sein der Ursprung der Unterdrückung sei, ergo würde nach der Reflektion dieser Privilegien die Aufhebung der Unterdrückung und Befreiung beginnen. Hier wird deutlich, dass die Streichung oder Verkürzung des Antikapitalismus den Queerfeminismus um jegliche Strategie beraubt. Gleiches gilt für moderne antirassistische Kämpfe, die sich oftmals auf Darstellung und Repräsentation von Diversität berufen – ein richtiger aber ein nicht weit genug gehender Ansatz. Die bloße Darstellung der Existenz von Gruppen oder Geschlechtern, befreit diese nicht.
Mit dem Streichen des Klassenstandpunktes stürzt der Queerfeminismus die radikale Linke tiefer in eine Krise – die postmodernen Strömungen haben die radikale Linke getötet. Es war nicht Stalin und der aufkommende Antikommunismus, es war nicht die 1968er Bewegung oder die RAF, es war das Streichen des Klassenstandpunktes, anstatt seiner Aufarbeitung. Es war die Theorie der Kapitalismus sei nicht grundlegend, sondern ein Zusatz. Mit diesem Verständnis, entwickelt sich eine nicht haltbare Praxis. Massenarbeit wird abgelehnt und Diskurse in weiße Akadermiker:innen und Antifa-Szene-Kreise verlagert. Es wird von heterosexistisch, ageistisch, klassistischen heteronormativ cisgender Privilegien gefaselt. Auf der Strecke bleibt nicht nur der:die Arbeiter:in, auf der Strecke bleiben alle, die nicht in einem verzeckten, Nägel lackierenden autonomen Jugendzentrum abhängen und Awareness-Kurse besuchen. Auf Demonstrationen fallen in den Reden Wörter, die Normalsterbliche erst einmal googeln müssen. Man sollte nicht denken, jemand könne diesem Wahnsinn noch folgen, er sei anschlussfähig, er wäre inklusiv oder ernsthaft daran interessiert Politik zu betreiben. Sich Wörter auszudenken, befreit niemanden, keine FLINTA, keine FINTA und keine Frauen. Man schottet sich ab, will in den eigenen moralischen Kreisen bleiben, sich schlauer und überlegener fühlen. Aber man hat sich nicht reflektiert, man hat sich regressiert. Es wurde sich nicht politisiert, sondern moralisiert. Um die Linke jetzt zu reanimieren, braucht es aber nur eines: das revolutionäre Subjekt. Das ist was dem Queerfeminismus schlichtweg fehlt und was die Misere beenden würde. Ein revolutionäres Subjekt ist ein Subjekt, das objektiv ohnmächtig gehalten wird, und sich durch einen revolutionären Kampf genau diesem entziehen kann. Es sind die Arbeiter:innen in unserer Gesellschaft, die in ihrer Ausbeutung die Macht hätten, ihre Befreiung herbeizuführen, wenn sie eine Einheit dafür aufweisen. Und es sind vor allem Frauen, die Reproduktionsarbeit leisten, die Arbeitskraft damit regenerieren und diese Ware erneut verkaufen und damit einer Doppelbelastung ausgesetzt sind. Sie sind damit nicht nur Teil ihrer Klasse, sondern auch ihr stärkstes Druckmittel. Aber diese Identität fehlt, sie neu zu stiften, ist, was unmöglich scheint. Es ist die Herausforderung des marxistischen Feminismus: diese Chance zu nutzen, um sich auf die Überausbeutung von Frauen und Queers zu berufen, anstatt sich in verleumdenden queerfeministischen Ansätzen zu verstricken. Es braucht in unserer Zeit, einen Feminismus, der klar benennt, wer im Kapitalismus ausgebeutet wird und befähigt ist, die Unterdrückung zu beenden. Es sind keine linken Moralist:innen, keine Queerfeminist:innen. Es sind Frauen und Queers, es sind Arbeiter:innen!
]]>Im Diskurs nach „Monis Rache“ wurde es deutlicher. Kurzer Recap: Bei dem als links geltenden Musikfestival Monis Rache wurden heimlich Videoaufnahmen auf den Toiletten angefertigt. Videos mit nackten weiblichen Körpern wurden daraufhin auf einer bekannten Porno-Website veröffentlicht. Der Täter war Teil der Organisation des Festivals, ein links-politisch aktiver Mensch. Der Schock saß tief, die Verwunderung machte sich aber nur bei einem Teil der Politik breit: bei Männern. Menschen anderen Geschlechts mit denen ich ins Gespräch kam, waren zwar erschüttert, aber wirklich verwundert war niemand. Übergriffe, Täterstrukturen und Sexualisierung? Das gehörte auch für sie in „linken Freiräumen“ zum bitteren Alltag. Klar, Toilettenvideos waren definitiv eine neue Form des Übergriffs, dennoch kein Einzelfall. Das ist was Genossen aus Monis Rache lernen müssen: Ja, wir lügen nicht. Übergriffe passieren, sie passieren in Haufen, sie passieren geplant, sie passieren gewollt – von den Tätern. Während sich Teile der Linken darüber zerstreiten, ob es nun Täter oder gewaltausübende Person oder Täter:innen heißt, möchte ich mich auf das Wesentliche konzentrieren: Wir haben nicht nur betroffene Menschen in unseren Reihen, wir haben auch Täter unter uns. Wir haben nicht nur ein Problem mit geschlechterbasierter Gewalt, sie passiert auch bei uns und auf unseren Veranstaltungen. Dabei muss ich immer wieder sagen: es gibt keine Safespaces, es gibt keine SafeRspaces – hören wir endlich auf, uns diese Lüge zu erzählen.
Ich habe Täter kennen gelernt, ich war Opfer ihrer Taten, ich habe Vergewaltiger in meinen Gruppen gehabt, ich habe Betroffene gesehen. Ich habe Täterschutz betrieben, ich habe Täterschutz geduldet. Ich habe aufwachen müssen, erkennen müssen, dass ich nicht sicher bin, dass niemand sicher ist. Ich war, ich bin und ich werde Antifa sein. Dennoch rechne ich in diesem Buch mit Antifa ab – und mit dem, was ich erlebt habe. Als ich in linken Kreisen aktiv wurde, war ich 17 Jahre alt, ich verstand nicht, warum gerade Mitte 20-jährige Genossen mir viel Politik beibringen wollten. Ich verstand nicht, was es hieß, als in einem Nebensatz erwähnt wurde, dass einer dieser Genossen auf einem Camp gerade mit einer 16-Jährigen im Zelt verschwunden ist. Ich verstand nicht, was es bedeutete als derselbe Genosse mich mehrmals gegen meinen Willen festhielt und küsste. Ich verstand im Alter von 22 als ein Mensch mir anvertraute, dass es durch denselben Menschen eine Vergewaltigung gab, was wirklich los war. Ich verstand, dass 5 Jahre lang auch meine Politik einem Menschen Raum und Freiheit gab, sich an anderen Menschen zu vergehen. Und ich verstehe erst heute, was es hieß als der Täter Menschen mit seinem Suizid drohte, wenn ich das publik machen würde. Ich begreife erst heute, warum andere Betroffene nichts sagten, warum sie sich nicht zusammenschlossen, warum sie mich baten, still zu halten. Sie sagten sie hätten Angst. Sie sagten sie hätten Angst vor ihm, aber auch Angst, dass ihnen niemand glauben würde. Aber alles, was ich dachte, verstanden zu haben, verstand ich erst in einem Telefonat mit dem besten Freund des Täters. Ein Telefonat, in dem mir gesagt wurde, dass meine Vorwürfe nicht stimmen könnten, weil er so etwas nie tun würde, dass das böse Gerüchte seien, dass auch meine Geschichte ein Missverständnis sei. Dieser beste Freund des Täters war nicht irgendjemand, er war gleichzeitig einer meiner engsten politischen Kontakte seit ich 17 war – der Typ, der mir das Patriarchat als antikapitalistischen Kampf näherbrachte, war auch der Typ der einen Vergewaltiger in den Schutz nahm, mir meine Erfahrungen absprach und anderen Betroffenen die Bestätigung ihrer Angst gab: man wird euch nicht glauben. In diesem Telefonat brach mein Herz mehr als jemals zuvor. Jahrelange Zusammenarbeit starb in diesem Telefonat. Ich wünsche mir, dass er das liest, ich wünsche mir, dass er liest, wie sehr ich ihn schätzte und wie viel Hass aus dieser Liebe geworden ist. Ich wünsche mir auch, dass der Täter diese Zeilen liest, ich wünsche mir, dass er weiß, dass es mir egal ist, was ihm passiert, dass ich benenne, was er getan hat, dass er ruhig in Nürnberg verrotten kann. Du nahmst mir Genoss:innen, du nahmst mir Sicherheit, du nahmst mir aber auch den Luxus weiter zu schweigen. Du gabst mir so viele Gründe, diese Politik zu machen und dieses Buch zu schreiben.
Übergriffe – Lösungsansätze
Man erwartet jetzt vermutlich, dass ich Zeilen über Awarenessarbeit schreibe, dass ich irgendwelche Konzepte vorstelle. Das kann ich nicht. Ich werde mit Awarenessarbeit in einem anderen Kapitel abrechnen. Gründet ruhig eure Awarenessgruppen, versucht Konzepte zu entwickeln, um Menschen zu bilden, zu sensibilisieren, eure Kurse zu besuchen, eure Mantras zu wiederholen. Stellt eure Saferspace zu Verfügung, baut eure Workshops auf. Ich werde es nicht tun. Ich kann in einer Welt der Grenzüberschreitungen keine Menschen umerziehen. Ich kann Menschen nach Konsensabfragen bitten, ich kann sexuelle Aufklärung leisten, ich kann über Übergriffe reden. Ich werde sie aber nie verhindern können, und ihr auch nicht – auch nicht auf den eigenen Veranstaltungen. Aber bringt die Probleme zur Sprache, stellt die Täter zur Rede, helft den Betroffenen. Ich präsentiere keine Lösungen, ich erwähne Ansätze:
Ansätze für Betroffene
Bietet den Betroffenen Unterstützung auf allen Ebenen: helft ihnen Therapieplätze zu finden, wenn sie einen suchen. Stellt mit ihnen die Awarenessangebote auf, wenn sie sich diese wünschen. Gebt ihnen juristische Unterstützung, wenn sie sie benötigen. Baut auch Saferspace, wenn ihr das als sinnvoll erachtet, schafft den Betroffenen wieder einen Raum in euren Strukturen, gebt diesen nicht den Tätern, erobert ihn zurück mit allen Mitteln. Und am wichtigsten: Seid füreinander da, lasst euch nicht auseinandertreiben, schließt euch zusammen, als Betroffene und als Solidarische, trefft euch regelmäßig, trefft euch privat und in Gruppen, redet über eure Gefühle, über eure Wünsche, über weitere Schritte. Brecht das Schweigen und brecht notfalls Nasen.
Ansätze für Täterarbeit
Verhelft den Tätern zu Schulungen, Workshops und Bildung jeglicher Art auf den Ebenen von Feminismus, Sexualität und Gewalt. Bietet so viel wie möglich und so gut es geht, in der ständigen Absprache mit Betroffenen. Versteht Täter als Teil eurer Politik: die Aufarbeitung der Tat und der Fehler muss kollektiv geschehen, um weitere Taten, egal von wem, zu verhindern. Stellt dem Täter aber auch euch Hilfestellung für Reflektion, Aufarbeitung, und Verbesserung. Nutzt Lesematerial, Feedback-Runden und Kurse. Kommuniziert miteinander, stellt Forderungen oder Ausschlüsse, aber schafft Folgen.
We don’t call the cops
In Antifa-Kreisen ist der Grundsatz in Stein gemeißelt: Wir rufen nicht die Bullen. Dennoch kommt es vor, dass Betroffene von beispielsweise sexualisierter Gewalt die Polizei rufen oder eine Anzeige machen, eventuell sogar gegen Täter aus den eigenen Reihen. Das klingt nach einem großen Widerspruch mit den Grundsätzen, eine knifflige Lage. Ich möchte an der Stelle klar Stellung beziehen: ja, we don’t call the cops und wir kooperieren nicht mit ihnen, aber: Dass sich eine betroffene Person dennoch dazu entschlossen hat, diesen Grundsatz beiseitezulegen, ist kein Verrat, es ist ein Feedback. Unsere Strukturen sind zu schlecht. Dass sich Genoss:innen an Staat und Polizei wenden, bedeutet lediglich, dass wir nicht gut genug arbeiten. Dieses Feedback müssen wir ernst nehmen, und es annehmen: der Fehler liegt nicht bei den Betroffenen, es ist nicht die Einschaltung der Polizei, nein, ihre Notwenigkeit ist das Problem, und das ist nichts anderes als unsere mangelnde Arbeit. Um zu verhindern, dass Genoss:innen die Polizei benötigen oder denken zu benötigen, bedeutet, dass wir dieser Person Alternativen bieten müssen. Es bräuchte keine Anzeige, wenn man unserer Arbeit Vertrauen schenken könnte, es bräuchte keine Gerichtsverhandlung, die Täter oftmals schonen und Betroffene retraumatisieren, wenn wir Folgen kommunizieren würden und sinnvolle Gerechtigkeitsprozesse in unseren Reihen anstoßen könnten. Wir dürfen den Betroffenen keine Schuld zuschreiben, wir müssen ihr Feedback dankbar annehmen und bessere Lösungen für die Zukunft erarbeiten.
Prozessführung
Lösungen für Situationen der Übergriffigkeit in eigenen Strukturen sind oftmals Prozessführungen. An dieser Stelle seien Konzepte wie Kollektive Verantwortungsübernahme (community accountability) und Transformative Gerechtigkeit (transformative justice) erwähnt. Diese können einen Prozess ermöglichen, in dem ohne Staat und Polizei, sondern kollektiv im eigenen Bereich erarbeitet werden kann, wie ein Umgang mit Tätern gelingen könnte und im Interesse der Betroffenen gehandelt werden kann. Das ist absolute Profi-Arbeit, ich werde mir nicht herausnehmen, zu denken, diese Konzepte richtig erklären zu können oder eine Anleitung für die Anwendung zu stellen. Ich behaupte auch, dass der Erfolg dieser Konzepte in deutschen linken Räumen sehr gering ist. Ich denke aber, dass es sinnvoll ist, sich präventiv damit auseinanderzusetzen, anstatt infolge eines Übergriffs sich ein bis zwei Bücher zu solchen Themen durchzulesen, und zu denken, eine Aufarbeitung und gute Arbeit für Betroffene leisten zu können.
]]>„Awareness“ und „Awareness-Arbeit“ – es gibt wohl nichts über das in linken Kreisen häufiger gesprochen aber auch gefaselt wird. „Klassenkampf“ ist es leider schon lange nicht mehr. Dabei ist die Idee hinter Awareness zunächst gut: Politik nachhaltig gestalten, aufeinander Acht geben, füreinander da sein. Ein wunderbarer Grundsatz, der eine Selbstverständlichkeit in politischer Arbeit und Genoss:innenschaftlichkeit sein sollte. Doch braucht es ausgeklügelte Konzepte, um miteinander „aware“ zu sein? Und wann wird „Awareness in Politik“ zu „Awareness statt Politik“?
Von Party…
Gerade in Partykonzepten ist Awareness immer wieder ein Thema. Egal ob sich Veranstalter:innen als linksradikal, als queer oder linksliberal verstehen: Ohne Awarenesskonzept wird schon lange nicht mehr gefeiert. Denn immer wieder sind Partys Tatort von Übergriffen. Wichtig ist dann, mit Betroffenen aber auch den Tätern richtig umzugehen. Oft ist die Lage durch Drogenkonsum bei Partys zusätzlich zugespitzt; Präventivarbeit müsste hier geleistet werden, anstatt weitere „Feuerwehr-„Politik““. Doch anstatt grundsätzliche Analysen von beispielsweise patriarchalen Verhaltensweisen voranzubringen und zu vermitteln, findet man sich bei den Partyvorbereitungen plötzlich in Debatten wieder, wie viele Safespaces noch benötigt werden. Eine der größten Trugschlüsse die postmoderne und vermeintlich feministische Politik einher brachte: Die Vorstellung es gäbe einen geschützten Raum innerhalb eines ausbeutenden und patriarchalen Systems. So kommen Menschen doch ernsthaft auf die Idee Räume auf Partys als sicher zu benennen. Sicher vor was? Gemeint sind selbstverständlich Übergriffe. Diese Räume dürfen dann ausschließlich von FINTA betreten werden. Die angewandte Statistik ist simpel: Männer sind statistisch häufiger für gewalttätige oder sexualisierte Übergriffe verantwortlich. Räume ohne sie, sollten damit seltener ein Tatort sein. So weit so klar. Doch wie soll es weitergehen? Müssen damit nicht auch antirassistische Räume etc. errichtet werden? Wie sieht eine Hausparty aus, auf der sich alle wohlfühlen? 20 Räume für aktuelle 20 bekannten Diskriminierungsarten? Und wenn ja, darf ich den Raum „frei von Klassismus“ mit allen Bonzen darin abfackeln?
Das Problem ist selbstverständlich nicht, dass es FINTA-only Räume gibt. Das Problem sind auch nicht die Tees, Tampons und Schokoladensorten, die dort auf die Personen warten und Trost und Auszeit von einer patriarchalen Welt bieten sollen. Aber da sollte man sich schon fragen: Verarschen wir uns da nicht? Und wer baut diese Räume auf? Es sind meist unterdrückte Geschlechter selbst, die dieses Konzept entwerfen und ihre politische Arbeitszeit investieren. Wofür? Um sich gegenseitig die Lüge zu erzählen, sie seien sicher. Das ist eine Entpolitisierung. Es ist nämlich kein Zufall, dass Queerpartys und generell „queere Communities“ politische Inhalte immer weiter verdrängen. Anstatt sich klassenkämpferisch oder antifaschistisch zu positionieren, sind linke Theorien durch Aware-Theorien und kinky-Mottos ersetzt worden. In vielen Städten findet sich kein politischer Anspruch in Queergruppen, es ist längst kein Geheimnis mehr, dass sich auch Rechte in den Kreisen aufhalten können, ohne sich Sorgen machen zu müssen. Eine Peinlichkeit und Tiefschlag für Jahrzehnte-lange Kämpfe queerer Revolutionär:innen.
… zu Politik
Was vermeintlich auf einer Party funktioniert, nimmt dann gerne auch in manch einem Plenum Platz ein. Dieses wird dann aware gestaltet und auf alle Bedürfnisse zugeschnitten. Das darf an dieser Stelle nicht falsch verstanden werden: selbstverständlich muss ein politischer Raum einer sein, in dem sich alle Menschen willkommen fühlen, die radikale Politik betreiben möchten. Selbstverständlich darf dieser Raum keinen Platz für patriarchales oder rassistisches Verhalten haben. Jedoch ist es immer noch ein Raum in unserer Gesellschaft – zu denken, er wäre frei von Unterdrückung ist eine Verleumdung. Es gibt keine Safspaces. Und wird der Raum gewiss auch nicht freier durch die absurden Vorstellungen von Individualpolitischen, die die verrücktesten Moderations-, Gefühls- und Kommunikationskonzepte verlangen. Was sie erschaffen, ist nur eine weitere linke Szeneideologie, die in einem Moralismus mündet: Das Treffen wird immer nischiger gestaltet, immer schwerer zugänglich und durch absurde Regeln und Moralvorstellungen dekonstruiert. Die Arbeiter:innen dürfen nach ihrem Ausbeutungstag im Plenum erst einmal 6 neue Handzeichen lernen, wie sie gewaltfrei und aware kommunizieren, um dann Politik zu machen, die alles andere als ihre Befreiung im Sinn hat. Stattdessen wird immer weniger ernsthafte Politik vorangebracht; anstatt sich dem Klassenkampf zu widmen, verrennen sich diese Gruppen in die Vorstellung diskriminierungsfrei zu sein, sie verstehen sich als moralische Menschen, die der unmoralischen Welt arrogant gegenüberstehen. Sie verurteilen die Arbeiter:innen und applaudieren sich Plenum für Plenum selbst, für das tolle Miteinander. Aber dieses Miteinander ist in Wahrheit alles andere als aware: es ist nämlich oftmals unsolidarisch. Man cancelt sich, weil jemand „Schwachsinn“ sagt und das Nazisprache ist; weil jemand ein ACAB T-Shirt trägt und das falsch sei; weil es „Gewaltausübender“ und nicht „Täter“ heißt. Wann haben sie vor wieder Politik zu machen?
Verbindlichkeit statt Befindlichkeit
Die Gerüchte sind war: es soll Menschen geben, die nicht Politik machen, um sich wohlzufühlen. Es soll Menschen geben, die ernsthaft Politik machen, um Dinge zu verändern, um die Umstände zu bekämpfen. Menschen, denen es aufgrund der Unterdrückung im Kapitalismus scheiße geht, die deswegen noch mehr Laster auf sich nehmen, um das System loszuwerden. Diese Hardcore-Kommunist:innen scheuen dabei nicht einmal davor zurück, täglich Zeit in Gruppen und Organisationen zu stecken. Sie begehen tagtäglich Grenzüberschreitungen: an ihnen selbst. Sie springen über ihren Schatten, um bei Infoveranstaltungen neue Menschen zu gewinnen. Sie missachten ihre Comfortzone um im revolutionären Kampf politische Ziele zu erreichen und gehen dabei enorme Risiken durch Repression und Gewalt ein. Fast so, als würden sie es ernst meinen. Als würden sie die Politik nicht für sich, sondern für ein Ziel machen. Ganz anders gestalten andere Kreise ihre Politik: ein Treffen soll ein Rückzugsort, ein Safespace, ein Befindlichkeitsort sein. Das soll nicht heißen, dass nur Politik, bei der man auch mal leidet, ernsthafte Politik ist. Gemeint ist aber, dass Widerstand gegen ein System und radikale Veränderung niemals nur in Wohlfühlrahmen stattfinden kann. Radikale Politik wird sich niemals gut anfühlen, wir können und sollten dabei natürlich langfristig und schonend mit Genoss:innen umgehen, aber zu denken, die Politik würde uns nichts abverlangen ist eine falsche Illusion. Lasst uns Befindlichkeitsgrenzen überschreiten und dem Patriachat und dem Kapitalismus ernsthaft den Kampf ansagen.
Gradwanderung
Wo ist also die richtige Abwägung zwischen solidarischem Umgang und Awareness-Wahn? Es ist wirklich ganz simpel: wir müssen uns nur fragen, wann das Awarenesskonzept unserer Politik nützt und wann der Grad überschritten ist und die Politik nur noch der Awareness nützt. Einen Raum zu schaffen, indem wir uns über Gefühle unterhalten können, fällt beispielsweise ganz klar in den Bereich der Awareness-Arbeit, die unserer Politik nützt: wir festigen dabei Genoss:innenschaftlichkeit, lernen uns und unsere Laster kennen, können füreinander da sein und damit langfristig und gemeinsam Politik machen. Ganz anders sieht es beispielsweise mit Abschottunsgräumen aus: eine Aufteilung von Gruppen nach Geschlecht oder Hautfarbe, die unabhängig ohne Absprachen agieren, hemmen die Politik, es verbrennt Ressourcen, verringert Schlagkraft und spaltet Kämpfe. Solche Identitätspolitik nützt radikaler Politik nicht, sondern schwächt sie. Genauso müssen wir uns bei jeder Regel, die in Treffen oder Organisationen eingeführt werden soll, fragen: wird sie unsere Zusammenarbeit stärken oder verkomplizieren und damit unzugänglich und auch moralistisch gestalten. Es ist schlicht nicht unsere Aufgabe einander zu bewerten und unsere Awareness zu loben, uns moralisch zu messen und abzuschotten, sondern die Welt zu verändern. Dabei steht das A in Antifa eben manchmal für Aushalten, nicht für Awareness.
Kein Text ohne Kapitalismuskritik
Es scheint Menschen immer noch zu überraschen, aber ja: der Kapitalismus eignet sich alles an. Auch linke Theorie. Der Kapitalismus vermarktete Feminismus, er vermarktete Queerness und er wird auch Awareness vermarkten. In Startups, die von flachen Hierarchien faseln, fassen auch Awarenesskonzepte Fuß. Neben dem Firmen-Yoga und Obstkörben werden es auch Befindlichkeitskonzepte sein, die dort ihren Platz und ihren Nutzen finden werden. Denn es nützt dem Kapitalismus Arbeiter:innen auch noch durch vermeintliches emotionales Interesse an die Ausbeutung zu binden und damit besser ausbeuten zu können. Da kann man sich nur auf die erste queer-awarenes-party-crew aus Berlin freuen, die ihre Konzepte an Firmen verkauft und Schulungen von Führungsebenen anbietet, um die Ausbeutung der Arbeiter:innen angenehmer zu gestalten. Das hat der Entpolitisierung gerade noch gefehlt. Da kann man nur hoffen, dass sie vorher zu viel MDMA nehmen.
]]>Gestern
Als teils deutsche Entwicklung hat die Pille, wie sollte es anders sein, eine düstere Vergangenheit: Carl Clauberg und die Schering-Kahlbaum AG, um die Täter auch zu benennen, testeten ihre Hormonpräparate an unschuldigen Frauen im Block 10 des Konzentrationslagers Auschwitz.[1] Auch die weitere Forschung an dem damaligen Medikament, was als „Mittel gegen Menstruationsbeschwerden“ deklariert wurde, nutzte ahnungslose Frauen als Versuchskaninchen: So wurde es in Slums in Puerto Rico getestet[2]; bis es 1960 in Deutschland zugelassen wurde. Es dauerte ein Jahrzehnt um die Skepsis der Frauen* zu überwinden, bis schließlich in den 70er Jahren eine Welle von Pillen-Konsument*innen losbrach. Trotz dem Widerstreben der Kirche wurde die Pille in vielen Industrienationen ein ausschlaggebendes Verhütungsmittel, das sich sogar in der Geburtenrate erkennen lässt.[3]
Heute
Bei den heutigen Präparaten hat die Empfängnis-Wahrscheinlichkeit bei korrekter Anwendung einen Pearl-Index von 0,1 bis 0,9 – sehr unwahrscheinlich.[4] Diese Sicherheit bewegt viele Frauen* dazu, diesen Weg der Verhütung zu wählen, und Frauenärzt*innen verschreiben sie bereits an 11-Jährige*, sodass im Alter von 19 drei von vier Frauen* mit Ovulationshemmern verhüten.[5] Dabei gilt das Medikament als vollkommen harmlos und wird jungen Frauen* sogar verabreicht, um ihre* Akne, Brustgröße, Körperbehaarung oder Menstruationsstärke zu regulieren. Viele Eltern willigen dem täglich konsumierten Medikament ein, um eine Teenie-Schwangerschaft ihrer Tochter* zu umgehen. Die Folge ist, dass viele Frauen* das Medikament Jahre lang, manchmal bis zu einem Kinderwunsch, nehmen.Doch kann das überhaupt gesund sein? Zunächst besteht der Ovulationshemmer aus körpereigenen Hormonen wie künstlichen Östrogenen und Gestagene, die je nach Firma unterschiedlich zusammengesetzt sind und entweder in mono-, bi- oder triphasischer Kombination eingenommen werden. Die Wirkung ist dabei immer ähnlich: Östrogen verhindert die Follikelreifung über Steuerung des FSH (Follitropin, ein Hormon) – es kommt nicht zum Eisprung. Falls doch, wirkt Gestagen gegen die Einnistung der Eizelle. Nach täglicher Einnahme (meist 21 Tage) wird dann eine Pause (meist 7 Tage) vorgesehen, in der die Konsument*innen eine „Regelblutung“ haben, welche allerdings eine Abbruchsblutung ist und sich z.B. in der Intensität zur normalen Menstruation unterscheidet. Hier sei zu erwähnen, dass es auch Pillen gibt, die ohne Pause genommen werden und deren Langzeitfolgen nicht ausreichend erforscht sind. Außerdem sind „Minipillen“ ohne Östrogen auf dem Markt erhältlich, die durch verdickten Schleim den Gebärmutterhals oder –mund verschließen und den Eisprung verhindern können.[6] Zuletzt gibt es noch die „Pille danach“, sie ist weder Verhütungsmethode im klassischen Sinne noch -wie oft angenommen- eine Abtreibung. Das bedeutet sie verhindert weder den Eisprung vor dem Koitus, noch entsorgt sie irgendeinen Embryo. Stattdessen grätscht sie hormonell in den Zyklus ein, abhängig vom Zeitpunkt an dem sie eingenommen wird. Dies sollte zeitnah nach dem unverhüteten Geschlechtsverkehr geschehen.[7] Die „Pille danach“ hat einen schlechten Ruf, da sie zwar wie die Pille hormonell aber stärker dosiert eingreift. Dennoch ist sie ein wichtiges Mittel, um Frauen* zu helfen, bei denen ein Verhütungs-Unfall passierte oder die gegen ihren Willen verhütungslosen Sex hatten. Selbstverständlich ist die „Pille danach“ kein TicTac, aber warum ist die einmalige Hormoneinnahme verurteilter als die dauerhafte Einnahme der Pille mit denselben Folgen? Und warum wird es dann eigentlich immer noch gesellschaftlich stark abgelehnt, dass Trans-Menschen Hormone zur Verfügung stehen? Bei allen Ovulationshemmungsformen treten ähnliche Nebenwirkungen auf, zu denen neben körperlichen Beschwerden, wie Migräne, Übelkeit bis zum Erbrechen, Gewichtszunahme und Brustschmerzen, auch psychische Auswirkungen, wie emotionale Verstimmungen gehören. Aber auch ein Schwinden der Libido – was nur ein kleiner Hinweis darauf ist, dass die Pille wohl nicht die sexuelle Befreiung der Frau* darstellt. Ernsthafte Langzeitfolgen sind ebenfalls bekannt, wo es in manchen Fällen zu Leberstörungen und Thrombose kam.[8] Es scheint also doch ein ernsthafter Eingriff in den Körper zu sein, täglich Hormone zu nehmen – welch´ Wunder –, sodass einigen Frauen* sogar strikt davon abgeraten wird. Dazu gehören Frauen* mit Auffälligkeiten, die im Kontext mit Thrombose, Lebererkrankungen, Bluthochdruck, Diabetes mellitus, Depressionen und Tabaksucht stehen. Nur das genaue Krebsrisiko scheint immer noch ungeklärt: einige Studien stellen ein erhöhtes Risiko für Gebärmutterhalskrebs, Leberkrebs und Brustkrebs fest, andere zeigen, dass Ovulationshemmer das Risiko von manchen Krebsarten (Eierstock- und Gebärmutter-schleimhautkrebs) senken.[9] Dabei spielt auch die Medikament-Generation eine wichtige Rolle, da aktuelle Pillen sich z.B. in Dosierung von alten unterscheiden; dennoch aber keinen generellen Fortschritt darstellen.[10]
Morgen
Doch was ist dann der Verhütungsfortschritt und die sexuelle Befreiung der Frau*? Zunächst einmal sollten die Absichten geklärt werden: Soll lediglich die Schwangerschaft verhindert werden oder ein genereller Schutz vor allem, was Sperma noch mit sich bringen kann? An dieser Stelle soll noch einmal explizit auf die verkürzte Darstellung von Sex hingewiesen werden: Bei Betrachtung der Ovulationshemmer, wird von einem Koitus ausgegangen, bei dem ein Mensch (der befähigt ist schwanger werden zu können), sich vor dem Sperma eines Menschen schützt, der bei der Interaktion befähigt ist, damit die Eizellen anderer zu befruchten. Auf andere Formen von Sex kann daher leider nicht eingegangen werden. Dennoch können bei diesem Sex, wie auch bei den meisten anderen Sexformen (wie beispielsweise Oral- oder Analverkehr) Krankheiten übertragen werden, vor denen die Ovulationshemmer keinerlei Schutz bieten. Oft sind sie daher als Verhütungsmethode für heterosexuelle Monogamie angepriesen (das gilt es ein anderes Mal zu verurteilen) oder als Absicherung, falls beispielsweise das Kondom versagt, um zumindest die Schwangerschaft zu verhindern – eine falsche Herangehensweise. Denn auch 2020 stellen sexuell übertragbare Krankheiten (bzw. Erreger) – wie HIV, Chlamydien, HPV, Syphilis, Feigwarzen, Tripper, Hepatitis, Herpes etc. – noch eine Gefahr dar, die nicht unterschätzt werden sollte. Den einzigen Schutz können hier nur Kondome, Lecktücher, Femidom und Impfungen (gegen beispielsweise Hepatitis A, B bald C und HPV) darstellen und sind unumgänglich bei Safer Sex mit Menschen mit unbekanntem Gesundheitsstatus.[11] Aber auch hier gilt: Safer sex ist kein safe sex, wem also die eigene Gesundheit und die der Sexualpartner*innen am Herzen liegt, sollte sich regelmäßig auf Krankheiten testen lassen. Dabei hat die Anzahl an Sexualpartner*innen, ihr Geschlecht, ihre Sexualität oder Herkunft keine Aussagekraft über den Gesundheitsstatus. Monogam-lebende Menschen können erkranken, wie Partner*innen-wechselnde Menschen; homosexueller wie heterosexueller Verkehr kann anstecken. Daher darf das Betonen von Krankheiten nicht als Vorwand für die Einschränkung der Sexualität der Frau* genutzt werden! Mit Vorkehrungen kann jede*r so viel Sex(partner*innen) haben, wie gewollt und Krankheiten dürfen niemals als Fundament für Slutshaming oder Sexismus ausgelegt werden.Geht es lediglich um das Vermeiden einer Schwangerschaft, gibt es einige Alternativen zur Pille. Manche bringen auch ihre Nebenwirkungen mit sich, da z.B. Hormonspirale und Hormonpflaster, wie sich erahnen lässt, ebenfalls mit Hormonen arbeiten. Auch chemische Verhütungsmethoden (wie Zäpfchen, oder einige Diaphragmen und Portiokappen) können hier oft nicht überzeugen.[12] Dann bleiben nur noch mechanische Verhütung wie Kondome etc. oder andere Wege wie Sterilisation, Kupferspirale oder Temperaturmethode – nun gilt es abzuwägen und eine persönliche Entscheidung zu treffen. Dabei sollte der feministisch-politische Ton sein, nicht in Kauf zu nehmen, die eigene Gesundheit oder Libido zu opfern, um mit einem Sperma-Übertragendem Menschen verkehren zu können. Auch sollte bei der Gesundheit nicht nur an Nebenwirkungen, sondern auch an Übertragungen während des Koitus gedacht werden: hier hilft nichts, als Flüssigkeiten von anderen Körpern abzutrennen oder sich bei Ärzt*innen zu versichern, dass keine Krankheit vorliegt (bzw. sie entsprechend behandelt wird). Manche Befälle im Intimbereich können dann zwar immer noch übertragen werden, jedoch sind die meisten Krankheiten mit Kondom, Lecktuch oder Femidom zunächst in die Schranken gewiesen. Eine mechanische Barriere stellt für viele Menschen auch ein Schwinden des Gefühls dar. An dieser Stelle seien einmal all die Männer gegrüßt, die ihren Penis „nicht in irgendeine Tüte stecken“, weil „es sich dann nicht so geil anfühlt“ und sie dann „im schlimmsten Fall gar nicht kommen können“ – na Glückwunsch, da seid ihr ja auch mal mit dem Problem konfrontiert! Aber vielleicht wollen ja auch andere den Plastikmüll vermeiden; dann heißt die Alternative nicht hormonelle Verhütung (die auch der Umwelt schadet), sondern eben das regelmäßige Testen und der offene Umgang mit Themen wie Krankheiten aber auch mit Sexualität an sich – und genau das ist die Befreiung der Frau*: Das Thematisieren ihres* Körpers, ihrer* Gesundheit und ihrer* Vorlieben, ohne ihr* die Verantwortung der Verhütung aufzuzwingen. Also her mit den Verhütungsmethoden für Männer*!
Quellen
[1] Hans-Joachim Lang: Die Frauen von Block 10. Medizinische Versuche in Auschwitz. Weltbild, Augsburg 2018
[2] „Für und wider die Anti-Baby-Pille“, http://www.zeit.de/…/fuer-und-wider-die…/komplettansicht
[3] „Trendwende bei der Geburtenrate“, http://www.demografie-portal.de/…/Zusammengefasste…
[4] „Wie sicher ist die Pille“, http://www.fernarzt.com/…/ant…/wie-sicher-ist-die-pille/
[5] „Viele Mädchen unterschätzen das Risiko der Pille“, http://www.welt.de/…/Viele-Maedchen-unterschaetzen-das…
[6] „Antibabypille“, https://de.wikipedia.org/wiki/Antibabypille
[7] „Pille danach“, https://de.wikipedia.org/wiki/Pille_danach
[8] „Nebenwirkungen Pille“, https://www.cyclotest.de/nebenwirkungen-pille/
[9] Studie der International Agency for Research on Cancer (IARC), 2005
[10] „Aktueller Stand zum Thromboserisiko”, http://www.pharmazeutische-zeitung.de/aktueller-stand…/
[11] „Sexuell übertragbare Krankheiten”, http://www.profamilia.de/…/sexuell-uebertragbare…
[12] „Chemische Verhütungsmittel“, http://www.profamilia.de/…/chemische-verhuetungsmittel…
* Der Stern wird genutzt, um zum einen die Vorstellung von nur zwei Geschlechtern bei geschlechtsspezifischenn Ausdrücken zu sprengen und andererseits die Offenheit dieser Ausdrücke darzulegen: Mit dem Begriff “Frau” würden Menschen, die sich damit zwar nicht indentifizieren aber auch schwanger werden können, unter der Tisch fallen. Auch Menschen, die nicht schwanger werden können, sollen bei diesen “weiblichen” Begriffen eingeschlossen werde, da sich “Frau” nicht durch Funktionsfähigkeit oder Anwesenheit von beispielweise einem Uterus definiert.
]]>„Ein Familiendrama, ein eskalierter Partnerschaftsstreit, ein Mann schlägt betrunken seine Frau tot.“ Egal ob sprachlich, journalistisch oder juristisch – das Morden an Frauen wird permanent relativiert. Aber es ist kein Einzelfall, es ist nicht ein „unglücklicher Ehemann“. Es ist die absolute Zuspitzung einer patriarchalen Gewalt und der Machtposition von Männern. Eine Frau zu ermorden, weil sie eine Frau ist. Das ist ein Femizid. Nicht mehr und nicht weniger. Es ist Hass gegen Frauen, es ist Gewalt, es ist Mord an einem Geschlecht. Dafür gibt es keine Erklärung wie sie hätte Schande über die Familie gebracht, sie sei schwanger gewesen, sie sei minderwertig wegen ihrer Herkunft, sie sei ihren Aufgaben im Haus nicht nachgekommen, sie sei einem anderen Mann zu nahegekommen, sie sei lesbisch gewesen, sie sei nicht mehr an ihm interessiert gewesen, sie hätte sich trennen wollen. Es gibt nur eine Erklärung: Frauenhass. 2018 gab es 142 Partnerschaftsmorde in Deutschland, 83% der Toten waren Frauen, das bedeutet alle 79 stunden passiert in Deutschland ein Femizid. 50.000 Frauen wurden 2017 weltweit aufgrund ihres Geschlechts ermordet – das sind 137 Frauen pro Tag weniger auf diesem Planeten wegen Frauenhass. Also nein, es ist nicht ein Betrunkener, ein Eifersüchtiger, der nette Typ von nebenan der einmal durchdreht. Es hat System, es hat einen Kern und der heißt Patriarchat. Aber nicht nur die Berichterstattung und unser sprachlicher Umgang ist falsch. Auch die juristische Verfolgung. Anstatt Femizid als eigenen Tatbestand zu handhaben, als das was es ist, geschieht eine Einteilung in Mord und Totschlag. Der Mord ist als etwas geplantes definiert, etwas was nicht greift, wenn Männer Frauen im Effekt, oder gar betrunken ermorden. Mit dem Urteil des Totschlags erwartet Männer eine niedrigere Haftstrafe und das Hinrichten von Frauen in diesem Land wird relativiert. Argumente der Verteidigung der Mann hätte sich ja auch selbst mit dem Verlust der Frau geschadet, er hätte sich damit selbst weh getan, rücken die tat in ein anderes Licht, in ein Licht des Mitleids gegenüber dem Täter. Es wird deutlich was die Frau hier und immer ist: Ein Eigentum, eine untergeordnete Position, eine Rolle die Aufgaben zu erfüllen hat, und etwas das man loswerden darf, wenn sie dem nicht nachkommt. Eine Bedienerin, eine Sorgekraft, eine Last und eine Leiche. Frauen werden ermordet und Männer kommen mit Totschlag verharmlost davon. Und der Staat schaut zu, Frauen werden nicht genug geschützt, auch Deutschland erfüllt die Ansprüche der unterzeichneten Istanbul-Konvention für Prävention und Verfolgung von Gewalt an Frauen nicht. 14.600 Plätze in Frauenhäusern fehlen, nur zwei Bundesländer erfüllen den Maßstab, oft finanziert durch freiwillige Leistungen. Es fehlt ein rechtlicher Anspruch, Frauen deren Aufenthaltsstatus von einem Mann abhängt, haben keinen; jede vierte Frau wird vom Frauenhaus abgewiesen, der gefährlichste Ort auf der Welt für eine Frau, ist ihr eigenes Zuhause. Das Fazit kann nur eines bedeuten: Es ist kein Familiendrama, es ist kein eskalierter Partnerschaftsstreit. Es ist ein Versagen, es ist ein Wegschauen und es ist ein System. Es ist Männlichkeit in all seiner Tiefe: Es sind Werte wie Macht, Gewaltbereitschaft, Überlegenheit, Stärke, Loyalität und das klare Abgrenzen von „dem anderen Geschlecht“. Es ist sich früh von seiner Mutter abnabeln, sich kühl und emotionslos von dem Geschlecht distanzieren, nur von ihm zu profitieren und Anspruch auf das Geschlecht erheben zu können. Männlichkeit kann eine Todesursache werden. Also lasst sie uns in allen gefährlichen Auswüchsen bekämpfen.
Hilfe-Telefon: 0800 116016
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