Abschiebung und Asyl – Antiziganismus Watchblog https://antizig.blackblogs.org Tue, 14 Jun 2022 09:58:55 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://antizig.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/775/2019/01/cropped-antizig-header-e1546873341720-32x32.jpg Abschiebung und Asyl – Antiziganismus Watchblog https://antizig.blackblogs.org 32 32 Unerwünschte Zuwanderung – Brandschutz als vertreibender Mieterschutz für Rumänen in Duisburg https://antizig.blackblogs.org/2022/06/14/unerwuenschte-zuwanderung-brandschutz-als-vertreibender-mieterschutz-fuer-rumaenen-in-duisburg/ Tue, 14 Jun 2022 09:58:55 +0000 http://antizig.blackblogs.org/?p=1529 Continue reading Unerwünschte Zuwanderung – Brandschutz als vertreibender Mieterschutz für Rumänen in Duisburg ]]> In Duisburg werden Wohngebäude von Rumänen und Bulgaren brandschutztechnisch überprüft. Finden sich Mängel, haben die Bewohner fünf Stunden, um ihre Sachen zu packen und sich für eine neue Bleibe zu kümmern. Tausende haben bereits ihre Wohnungen verloren. Diese Praxis wirft Fragen auf: Geht es wirklich um Brandschutz?

Anfang Mai war es wieder soweit, in Duisburg sollte ein Mehrfamilienhaus geräumt werden. Das Jobcenter informierte Betroffene vorab, um die Leistungen einzustellen und nahm das Ergebnis der brandschutztechnischen Überprüfung vorweg.

Worum geht es?

In der ersten Maiwoche 2022 stand im Duisburger Stadtteil Hochfeld eine bau- und brandschutztechnische Überprüfung eines Mehrfamilienhauses an. Diese führt in den meisten Fällen zu einer vollständigen Nutzungsuntersagung, d.h. zu einer sofortigen Zwangsräumung der weitgehend migrantischen Bewohnerschaft durch die Stadtverwaltung. Das örtliche Jobcenter hatte bereits über zwei Wochen davor Sozialleistungsberechtigte mit amtlichem Bescheid darüber informiert, dass zum 4. Mai 2022 die Leistungseinstellung erfolgt, da der Wohnungsverlust ansteht. Damit wurde das Ergebnis der brandschutztechnischen Überprüfung vorweggenommen.

Bei einer bau- und brandschutztechnischen Überprüfung eines Wohnhauses geht es darum, Gefahr für Leib und Leben der Bewohnenden abzuwenden. Es handelt sich dem Grunde nach um ein umsichtiges und verantwortungsvolles, ja rechtlich gebotenes Handeln der zuständigen Behörde, um Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit auszuschließen. Die Überprüfungen können zu dem Ergebnis führen, das eine unmittelbare und unabwendbare Gefahr besteht, die ein sofortiges Handeln erfordern. Als Ultima Ratio steht die direkt Nutzungsuntersagung, die zum unmittelbaren Wohnungsverlust führt.

„2016 bis 2021 wurden durch die zuständige Behörde ca. 77 Wohngebäude überprüft, wovon 66 unmittelbar geräumt werden mussten. D.h. ca. 3.000 Menschen haben in den zurückliegenden fünf Jahren in Duisburg die Wohnung aufgrund des mangelhaften bau- und brandschutztechnischen Zustandes ihrer Wohnhäuser verloren.“

Die Duisburger Dimension des Themas verdeutlicht die Bilanz für die Jahre 2016 bis 2021. Danach wurden durch die zuständige Behörde ca. 77 Wohngebäude überprüft, wovon 66 unmittelbar geräumt werden mussten. D.h. ca. 3.000 Menschen haben in den zurückliegenden fünf Jahren in Duisburg die Wohnung aufgrund des mangelhaften bau- und brandschutztechnischen Zustandes ihrer Wohnhäuser verloren. Die Zahlen lassen erahnen, vor welchen Aufgaben die örtlichen Sozial-, Jugend- und Wohnungsbehörden stehen müssen. Ganz zu schweigen von dem Ordnungsamt als unterster Polizeibehörde, die bei fehlendem Ersatzwohnraum die Menschen ordnungsrechtlich unterbringen muss.

Worum könnte es noch gehen?

Die ordnungsrechtliche Unterbringungsverpflichtung gilt auch gegenüber EU-Zugewanderten. Damit rückt die notwendige Perspektive auf die spezifische Duisburger Problemlage in den Fokus. In der Stadt waren laut Ausländerzentralregister zum Jahresende 2021 23.260 aus Bulgarien und Rumänien stammende Personen gemeldet (14.035 BG/9.225 RO), womit sie ca. 4,7 Prozent der Stadtbevölkerung stellen. Wobei sich die Gesamtgruppe sehr heterogen zusammensetzt und insbesondere durch eine große Zahl an Familien geprägt ist. Viele gehören der Roma-Minderheit an.

Im Unterschied zu Städten wie Berlin, Frankfurt, Hamburg, Köln oder München ist in Duisburg trotz der dokumentierten Armutslagen keine auffällige Obdachlosigkeit aus diesen beiden Zuwanderungsgruppen zu verzeichnen. Folgerichtig ist die andernorts drängende Frage der ordnungsrechtlichen Unterbringung von EU-Zugewanderten in Duisburg nicht Gegenstand der öffentlichen Debatte. Vielmehr ist die hohe Zahl einfach ausgestatteter und sanierungswürdiger Wohnungen ein wesentlicher Grund für die Zuwanderung aus Bulgarien und Rumänien in die Stadt. Diese strukturelle Voraussetzung wird in der städtischen Politik und Verwaltung seit inzwischen zehn Jahren als ein zu minimierendes Risiko und nicht als langfristige Gestaltungschance und -aufgabe gesehen.

Unerwünschte Zuwanderung

Duisburg hat sich als einer der wichtigen Zuwanderungsorte für Menschen aus Bulgarien und Rumänien etabliert. Die Stadt ist ein Verkehrsknotenpunkt von überregionaler Bedeutung, auch durch die Nähe zu Belgien und den Niederlanden. Entsprechend weit erstreckt sich der von Duisburg aus erreichbare Arbeitsmarkt, der u.a. Tätigkeiten in der Verpackungs- und Logistikbranche, der Fleischindustrie, dem Bau- sowie dem Reinigungsgewerbe auch in den Nachbarländern bietet. Die niedrigen Mieten und informelle Wohnangebote in der Stadt machen ein tägliches Pendeln über die Ruhrgebietsgrenzen auch für Beschäftigte im Niedriglohnsektor möglich.

Gleichzeitig bietet der Duisburger Arbeitsmarkt fließende Übergänge vom Bereich nicht-dokumentierter Arbeit hin zu legaler Beschäftigung, allerdings oft unter prekären Bedingungen, wozu auch die Doppelfunktion von Arbeit- und Wohnungsgeber zählt. Die Lebenssituation vieler Zugewanderter aus Bulgarien und Rumänien in Duisburg zeigt im Brennglas die Konsequenzen ungehinderter Marktlogik für ressourcenarme Menschen.

„Der Duisburger Oberbürgermeister erläutert im August 2021 seine Sicht darauf: ‚Ich bleibe bei meinem Standpunkt: Ein Großteil der etwa 9.000 rumänischen und 14.000 bulgarischen Staatsangehörigen in Duisburg hält sich hier illegal auf.’“

Der Duisburger Oberbürgermeister erläutert im August 2021 seine Sicht darauf: „Ich bleibe bei meinem Standpunkt: Ein Großteil der etwa 9.000 rumänischen und 14.000 bulgarischen Staatsangehörigen in Duisburg hält sich hier illegal auf. Sie erfüllen einfach nicht die Voraussetzungen für die Arbeitnehmerfreizügigkeit. Vielen fehlen die grundlegenden Skills, Sprachkenntnisse, Schulabschluss oder eine Berufsausbildung. Es ist bekannt, dass Schlepper die Notlage vieler Menschen in den Herkunftsländern ausnutzen und die Menschen mit Scheinarbeitsverträgen ausstatten, um so Aufstockungsleistungen zu erhalten. Nur wenige können mit ihrer Arbeit ihre Familien ernähren.“

Die Verhältnisse auf dem Duisburger Arbeits- und Wohnungsmarkt zeigen sich mitunter konfliktreich in einzelnen Stadtteilen. Überbelegung und damit einhergehend Ruhestörung sowie unsachgemäße Müllentsorgung gelten auch als wichtige Indizien für die Einordnung von Wohnhäusern als Schrott- oder Problemimmobilien. Die bestehenden Problemlagen werden ethnokulturell überzeichnet und ein sozial unerwünschtes Verhalten gilt als Roma-spezifisch.

„Taskforce Problemimmobilien“

Die Landesregierung NRW reagierte im Jahr 2014 auf die Wohnungsnotstände, die sich im Zuge der EU-Zuwanderung in den Ruhrgebietsstädten zeigten, mit einem Wohnaufsichtsgesetz. Zu dessen lokaler Durchsetzung bildete die Duisburger Stadtverwaltung unter Führung des Ordnungsamtes eine „Taskforce Problemimmobilien“ mit breiter Zusammensetzung – über TÜV, Feuerwehr, Wohnungsaufsicht, Sozialamt, Finanzamt, die kommunalen Ver- und Entsorgungsbetriebe bis hin zum Gesundheits- und Jugendamt. Sie setzte ein Wohngebäudemonitoring um und führte monatlich Hausbegehungen insbesondere in den Stadtteilen Hochfeld und Marxloh durch. Bis zum Herbst 2016 kam es auf dieser Grundlage zu insgesamt drei Schließungen von Wohngebäuden, da Gefahr für die Bewohnerschaft und die öffentliche Ordnung festgestellt wurde. Nach Möglichkeit wurde den Bewohnenden von städtischer Seite Ersatzwohnraum angeboten.

Hausräumungen bei „Problemimmobilien

Zum Herbst 2016 erfolgte unter der damals frisch berufenen Ordnungs- und Rechtsdezernentin eine Neuausrichtung der „Taskforce Problemimmobilien“. Diese wurde in ihrer Arbeitsweise nach dem Wohnaufsichtsgesetz als ineffektiv eingeschätzt. Hauptansatzpunkt wurde nunmehr der Brandschutz als Instrument des Sonderordnungsrechts. Auf dieser Grundlage sind seither u.a. in den Stadtteilen Beeck, Bruckhausen, Hochfeld, Marxloh, Meiderich und Ruhrort die benannte Vielzahl mehrgeschossiger Wohngebäude unmittelbar geräumt worden. Ihre Bewohnerschaft besteht vorrangig aus bulgarischen und rumänischen Familien mit einer Vielzahl Kinder. Das Jugendamt ist nunmehr nicht von vornherein eingebunden.

„Finden sich Mängel, wird die sofortige Schließung des Hauses verfügt. Die Bewohnenden erhalten die Möglichkeit, ihre Habe innerhalb von fünf Stunden heraus zu bringen und sich um eine neue Bleibe zu kümmern.“

Der schematische Ablauf ist der: Wohngebäude werden überprüft, zu denen es eine bestimmte Beschwerdelage geben soll. Ein Team u. a. aus Ordnungsamt, TÜV, Feuerwehr, Energieversorgung, Entsorgungsunternehmen und auch Jobcenter unter Amtshilfe durch die Polizei, die keine aktive Rolle einnimmt, betritt ohne Voranmeldung am Begehungstag morgens die Häuser. Die Personalien der Bewohnenden werden in ihren Wohnungen überprüft. Finden sich Mängel, die aus Brandschutzgründen eine unabwendbare Gefahr darstellen, wird die sofortige Schließung des Hauses verfügt. Die Bewohnenden erhalten die Möglichkeit, ihre Habe innerhalb von fünf Stunden heraus zu bringen und sich um eine neue Bleibe zu kümmern.

Quelle: MIGazin

Stand: 14.06.2022

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Rezension: NICHTS GELERNT?! Konstruktion und Kontinuität des Antiziganismus https://antizig.blackblogs.org/2020/09/04/rezension-nichts-gelernt-konstruktion-und-kontinuitaet-des-antiziganismus/ Fri, 04 Sep 2020 11:56:49 +0000 http://antizig.blackblogs.org/?p=1408 Continue reading Rezension: NICHTS GELERNT?! Konstruktion und Kontinuität des Antiziganismus ]]> von Benjamin Horvath

Der vorliegende Sammelband von Katharina Peters und Stefan Vennmann beleuchtet die Situation von Rom*nja in Deutschland aus unterschiedlichen Perspektiven und leistet dabei einen guten Überblick über aktuelle Vorschungsansätze.

Dirk Wolff stellt das Projekt „AIDD – Angekommen in Duisburg und Dortmund“ vor. Der Bericht bietet einen interessanten Einblick in die Konzeption und Arbeit des Projekts und stellt damit eine gute Skizze für (mögliche) ähnliche Projekte in anderen Städten (bspw. Halle/Saale) mit nennenswertem Zuzug von Roma dar. Ein daraus resultierendes Netzwerk solcher Gruppen könnte zu einem nützlichen Informationsaustausch führen.

Wibke Kleina beschreibt in „Zwischen Passfähigkeit und Besonderung“ die Diskriminierung zugereister Roma im deutschen Schulsystem, dass ihnen die Geringschätzung von Schulbildung vorwirft, während eine Mehrzahl von Faktoren für mögliche schlechtere Leistungen ausgeblendet werden. Dieses von Lehrenden als auch höheren Entscheidungsträgern (wie einst, im Kontext einer Demo gegen die Abschiebung von Roma, aus dem Mund von Boris Palmer gehört) gehegte Stereotyp übersieht die mannigfachen Faktoren, die zu einem möglichen Fernbleiben vom Unterricht und möglicher schlechten Leistungen bei Roma-Kindern führen können. Leider ist zu befürchten, dass die angeführten Lösungsvorschläge, wie die gezielte Betreuung der Kinder, an der schlechten Finanzierung der Schulen in Deutschland und einem Mangel an Lehrenden (besonders in strukturschwachen Regionen) scheitern werden.

In „Sind wir zu intolerant?“ untersucht Katharina Peters Fernseh-Talkshows im öffentlich-rechtlichen Fernsehen im Zeitraum 2012 bis 2015. Einem Zeitraum, in dem Meldungen über (von Roma bewohnte) „Problemhäuser“ in Duisburg auch auf dem Antizig-Bloghäufig gespiegelt wurden und auch Halle-Silberhöhe antiziganistische Bekanntheit erlangte. Der EU-Beitritt Rumäniens und Bulgariens im Jahr 2007 entfachte in Deutschland in den Folgejahren eine Debatte über Integration und im besonderen den Bezug von Sozialhilfe für EU-BürgerInnen. In jenen Talkshows befeuerten häufig eingeladene Gäste mit rechten Ansichten den antiziganistischen Gesellschaftsdiskurs, der Roma in Verbindung mit Kriminalität und unhygenischen Zuständen setzt.

Einen spannenden Einblick in konkrete stadtpolitische Entwicklungen der Duisburger Nordstadt im Kontext des Zuzugs von Menschen aus Rumänien und Bulgarien liefert Joachim Krauß in „Der Zukunft abgewandt“. Neben empirischen Daten über die Bevölkerungsentwicklung in jenem Gebiet wird das ressentimentbasierte Vorgehen der Stadtführung gegen die Neuzugezogenen beleuchtet.

Im darauf folgenden, zusammen mit Sylvia Brenneman gegebenen, Interview wird beschrieben mit welchen – teils illegalen Methoden – die Stadt Duisburg gegen jene Zugezogenen vorgegangen ist.

Markus Ends Beitrag „Die Dialektik der Aufklärung als Antiziganimuskritik“ liest sich durch seinen universitären Aufbau zunächst enorm zäh und birgt für KennerInnen seiner früheren Texte zum Gehalt der Dialektik der Aufklärung von Adorno und Horkheimer zu einer Theorie des Antiziganismus, oder den Texten seiner RezipientInnen, wenig neue Erkenntnisse. Zum Ende des Beitrags arbeitet End jedoch eine überzeugende und nachvollziehbare eigenständige idealtypische Sinnstruktur des Antiziganismus heraus, die sich von der „Überzivilisiertheit“ im Antisemitismus und der „Naturverhaftung“ im (post-)kolonialalen Rassismus unterscheidet und damit die „Vorurteilsforschung“ um eine wichtige Facette bereichert.

Sebastian Winter liefert in „‘Femme fatal‘ und ‚Zwangsprostituierte‘“ einen aktuellen Blick auf das geschlechtsspezifische Bild der „Zigeunerin“ an Hand vermeintlicher Zwangsprostituierten in der Dortmunder Nordstadt und beschreibt den Wandel der antiziganistischen Perzeption als eine matriarchale Gesellschaft (Eulberg) zu einer archaisch-patriarchal repressiven. Eine These, die Interesse an weiteren Ausführungen weckt.

Auch Rafaela Eulberg trägt eine weitere wertvolle Facette zur geschlechtsspezifischen Dimension des Antiziganismus bei. „Das Bild der ‚Zigeunerin‘ als ‚nicht-okzidentale Andere‘“ führt in die Okzident-Orient-Dichotomie am Beispiel der „Zigeuner-Magierin“ und der ihr zugrunde liegenden Religion-Magie-Dichotomie ein. Ein wichtiger Beitrag zur historischen Genese des Antiziganismus mit einer hohen Aktualität im speziellen für Länder wie Rumänien, in denen ‚Wahrsagerinnen‘ eine höhere Präsenz im öffentlichen Leben haben.

In „Antiziganismus, Kolonialismus und Neoliberalismus“ ist Merfin Demir bestrebt den „stereotypen Wahrnehmungskontext“ über Rom*nja aufzubrechen und eine „Reflexion auf Beobachtungen, Untersuchungen und Erfahrungen aus der rassismuskritischen Empowermentarbeit“ darzulegen. Was folgt sind vier nur bedingt zusammenhängende Unterkapitel, wovon das Letzte auch in seiner Konklusion widersprüchlich wirkt. Der Anstoß zu einer Untersuchung der Parallelen der Versklavung von Roma in Rumänien, Indigenen des amerikanischen Kontinents und den dorthin verschleppten AfrikanerInnen, auf Basis einer Entmenschlichungs- und Minderwertigkeits-Argumentation wirkt interessant. Er birgt jedoch auch die Gefahr durch eine Parallelisierung die Spezifiken der verschiedenen Ausbeutungsereignisse zu übergehen. Das präsentierte Quellenmaterial zur Sklaverei in Rumänien wirkt dürftig, was jedoch zur tiefer gehenden Erforschung dieses Themas animieren sollte. Karg stellt sich leider auch die Quellenlage sowie die aufgestellte Kausalität für einen energisch vermuteten Einfluss der schwarzen US-Bürgerrechtsbewegung der 60er Jahre auf die internationale Roma-Selbstorganisation dar.

Astrid Messerschmidt zeichnet in „Antiziganismuskritik in Auseinandersetzung mit Rassismus und Nationalismus“ nach, wie das Bild des „Zigeuners“ und „Juden“ im Kontrast zur arbeitssamen, homogenen, nationalen Gemeinschaft konstruiert wurde, dass in der Vernichtung von Jüd*Innen, Rom*njia und Sint*ezza kulminierte. Die Aufarbeitung des Porajmos war und ist bis heute schleppend verlaufen bis nicht existent gewesen, wie der noch heutige Umgang deutscher Behörden mit geflüchteten Rom*nja zeigt. Messerschmidt spricht bei der Aufarbeitung des Porajmos die Gefahr eines ethnologischen Blicks auf Rom*nja als Gruppe an, dass dem Abbau von Vorurteilen entgegenwirken kann. Stattdessen sei eine Reflexion über die Geschichte und Wirkung des Antiziganismus von Nöten. Gerade für Betroffene von Antiziganismus ist die Auseinandersetzung damit essentiell für die Entwicklung eines stabilen Selbstbewusstseins. Da in Schulen eine solche Auseinandersetzung nicht geführt wird, müssen Betroffene auf außerschulische Angebote ausweichen.

Wie die Theorie des homo sacers von Giorgio Agamben zu gefährlichen, theoretischen Reduktionen führt, zeigt Stefan Vennmann in „Der Nicht-Ort der Vernichtung“ auf. Er nimmt damit u.a. Bezug auf Roswitha Scholz, die – mehr oder minder – versuchte, die Theorie Agambens bzw. dessen Rezeption durch Robert Kurz für die Antiziganismusforschung nutzbar zu machen. Im Buch „Antiziganistische Zustände“ nimmt sie den homo sacer als Ausgangspunkt, um die Ausgrenzungsgeschichte der Sinti und Roma und dessen strukturelle Ausformungen bis heute nachzuzeichnen. Dahingehend übergeht oder blende Scholz das Problem aus, das Vennmann in der Theorie Agambens sieht: Die Reduktion auf den homo sacer blendet die Spezifik verschiedener Diskriminierungsformen – um die es letztlich in der Antiziganismusforschung gehen sollte – aus, die die fundamentalen Unterschiede der Ausgrenzung, besonders im Kontext des Nationalsozialismus, übergeht.

Weniger kontrovers wie angekündigt fiel das Interview „Antiziganismus, Romaphobie und Gadje-Rassismus“ mit Drita Jakupi am Ende des Buches aus. Hier führt sie ihre Ablehnung des Begriffs „Antiziganismus“, aufgrund der Weiterverwendung des Wortes „zigan“ und dessen historischen Aufladung u.a. durch den Nationalsozialismus, aus. Dieser kann von, sich als Rom*nija verstehenden, Menschen als verletzend empfunden werden. Die, aus diesen Gründen entspringende Ablehnung des Begriffs ist nachvollziehbar. Stattdessen plädiert Jakupi dafür von „Romaphobie“ zu sprechen.

Gründe für und gegen die Verwendung des Begriffs „Antiziganismus“ in der Forschung, wurden in der Vergangenheit bereits an anderer Stelle diskutiert (Verweise auch im Interview). An dieser Stelle wird hingegen kurz der alternative Begriff „Romaphobie“ kritisch in den Blick genommen:

Zunächst verstehen sich nicht alle, sonst als „Zigeuner“ bezeichneten, Menschen und Gruppen als Rom*nja (bspw. in der Sinti Allianz Deutschland, unter Jenische, in der Ungarischen Zigeuner Partei u.a.). Mit der zunehmenden Anwendung des Begriffs „Roma“ (oder auch „Sinti und Roma“ als zusammengehöriger Begriff) auf alle, mit „ziganistischen“ Stereotypen belegten, Menschen droht „Roma“ zu einem reinen, vermeintlich politisch-korrekten Re-Branding des Wortes „Zigeuner“ zu werden, da es ebenso zu einer „Homogenisierung heterogener Individuen und Gruppen“ (Zitiert nach Magdalena Marsovszky: Verfolger und Verfolgte – Antiziganismus in Ungarn, S. 14) führt.

Bereits die NPD schafft es auf ihren Aufklebern von „Sinti und Roma“ zu sprechen, dabei aber die selben Stereotype zu bedienen, wie sie mit dem Wort „Zigeunern“ transportiert werden. In Ungarn, wo – gemutmaßt – die Verwendung von „Roma“ eine längere Geschichte hat als in Deutschland, wird der Begriff von der Mehrheitsgesellschaft bereits komplett Synonym verwendet. Inklusive all seiner Stereotype und der dahinter stehenden Herabwürdigung, der damit bezeichneten Menschen. In der Bild-Zeitung und ähnlichen Formaten diente bereits die Kombination „Rumänen und Bulgaren“ als Chiffre für „antiziganistische“ Stereotype. Dahingehend muss Frau Jakupis Aussage widersprochen werden, dass Diskriminierung mit der Sprache beginnt.

Mit Bezug auf einen Beitrag von Tobias Neuburger zur Debatte um die Verwendung des Begriffs „Antiziganismus“, muss an dieser Stelle sogar davor gewarnt werden, den Begriff „Zigan“ einfach durch „Roma“ ersetzen zu wollen. Die Gefahr besteht das durch das politisch akzeptable Label „Roma“ (für alle von Antiziganismus betroffenen Menschen) nicht nur die dahinterliegenden Stereotype des „Zigan“ bedenkenloser fortgeführt werden können, sondern durch vermeintlich politisch korrekt handeln wollende Menschen zu einer noch größeren Verbreitung dieser beitragen

Der, im Titel genannte, Begriff „Gadje-Rassismus“ hätte das Potenzial die angeführten Probleme beider vorhergehenden Begriffe zu umgehen. Jedoch wurde, trotz des Titels, leider nicht darauf eingegangen.

Erhältlich über den Verband für interkulturelle Arbeit (VIA) und über den Buchhandel (Verlag Situationspresse, Duisburg).

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Kreuzritter der weißen Utopie https://antizig.blackblogs.org/2020/03/02/kreuzritter-der-weissen-utopie/ Mon, 02 Mar 2020 16:53:17 +0000 http://antizig.blackblogs.org/?p=1318 Continue reading Kreuzritter der weißen Utopie ]]> Am Sonntag, den 16. Februar, just in der Stunde, in der Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán seine Rede zur Lage der Nation 2020 hielt und in der er wieder einmal seiner antiziganistischen und antisemitischen Hetze freien Lauf ließ, hielt die rechte Partei „Unsere Heimat“ (Mi Hazank) im Dorf Sály in Ostungarn einen antiziganistisch-rassistischen Aufmarsch ab. Sie marschiert immer wieder überall im Lande gegen den „Zigeunerterror“ und für ein „weißes Ungarn“ auf…

Von Magdalena Marsovszky

Es muss gleich vorangestellt werden, dass beim Aufmarsch in Sály zum Glück niemand zu Schaden kam, doch die Lage war äußerst angespannt. Vorausgegangen war der Mord eines dorfansässigen Rom an einer Nicht-Romni, doch für die Tat wurde in antiziganistischer Manier gleich die gesamte Roma-Community des Dorfes verantwortlich gemacht.

Eine Solidaritätskundgebung von Roma-Bürgerrechtsorganisationen wurde von den Behörden nicht genehmigt, um „nicht zu provozieren“, was zeigt, dass gerade die Behörden den Diskriminierten die Teilhabe im Sinne eines umfassenden Rechts auf Partizipation verwehren.

So gingen nur die dorfansässigen Romnja und Roma vor ihre Häuser und standen über fünf Stunden in der Kälte, um sich und ihre Familien notfalls zu verteidigen, während sie aus unmittelbarer Nähe tatenlos zuschauen mussten, wie die Menschfeinde gegen die „Zigeunerkriminalität“ aufmarschieren.

Die Bilder des Pogroms in der Kleinstadt Devecser waren ihnen allen noch im Gedächtnis, und sie befürchteten, dass sie auch diesmal keinen Polizeischutz bekommen. Ihre Befürchtung ist begründet, denn die antiziganistische Menschenfeindlichkeit ist in Ungarn zu 86% in der Bevölkerung verbreitet. Das Dorf wurde weitgehend abgeriegelt, nur die fünfhundert Mitglieder des Freikorps von „Mi Hazank“ durften hinein.

Menschenrechtsorganisationen warnen immer wieder vor offener Gewalt, doch die Situation bleibt permanent angespannt, vor allem auch deshalb, weil sie von der Regierung mit ihrer Hetze immer wieder aufs Neue angefeuert wird. Mitglieder der Regierung, oder regierungsnahe Medien sind hierbei die geistigen Brandstifter, und weil den Rechten die Konsequenzen aus der Hetze nicht schnell genug in die Tat umgesetzt werden, rufen sie zur Selbstjustiz auf.

Die Hintergrundideologie ist dabei sowohl bei der Regierung als auch bei den oppositionellen Gruppen „am rechten Rand“ die gleiche Verschwörungstheorie.

Hinzugefügt werden muss, dass Menschenfeindlichkeit und Verschwörungstheorien auch bei der sich als demokratisch einschätzenden Opposition äußerst verbreitet sind, deshalb ist eine Menschenrechts orientierte Gegenbewegung nicht wirklich möglich. Die Regierung wird sowohl von links als auch von rechts mit Korruptionsvorwürfen opponiert und nicht mit der Forderung nach den universalen Menschenrechten. Ihre Ideologie wird als Manipulation von breiten Volksmassen mit dem Ziel der des Machterhalts und der eigenen Bereicherung verstanden und der Rassismus als Mittel zu diesem Zweck. Wohl deshalb ist es möglich, dass auf lokaler Ebene immer öfters Wahlbündnisse gegen die „Fidesz-Oligarchen“, Marionetten des „raffenden Kapitals“ geschlossen werden, um diese „Maffiaregierung“, versehen mit dem dehumanisierenden Metapher der „Krake“, zu verjagen. Die materialistisch fundierte Theorie, ein Erbe aus dem Realsozialismus, blendet die Tendenz des Rückfalls der Aufklärung in Mythologie als Triebkraft der gegenmodernen Fundamentalismen aus.

Nimmt man aber gerade diese Dialektik der Aufklärung als Grundlage der Analyse, ergeben sich nicht nur ideologische Gemeinsamkeiten zwischen der Regierung Ungarns und den Gruppen am rechten Rand, sondern auch ideologische Gemeinsamkeiten zwischen den ungarischen und den anderen gegenmodernen Demokratiegegnern.

Was ist also die Partei „Unsere Heimat“ (Mi Hazánk) und was will sie? „Unsere Heimat“ (Mi Hazánk) ist eine neue Partei, hervorgegangen aus der gleichnamigen Bewegung und gegründet 2018 mit dem Versprechen, aus Ungarn eine „weiße Insel“ zu machen. Sie entstand aus dem militanten Rechtsflügel der eh schon rechtsradikalen Partei Jobbik (gegründet 2003 auf Initiative der Fidesz-Partei). Parteivorsitzender ist László Toroczkai, zugleich Bürgermeister der südungarischen Gemeinde Ásotthalom, die nur einige Hundert Meter von der serbischen Grenze entfernt liegt. Ásotthalom wurde berühmt, als 2015 Tausende von Flüchtenden von Serbien her Ungarn betraten, um dann über Ásotthalom in Richtung Budapest weiterzuziehen.

Toroczkai ist mit seiner Xenophobie, seinem Antisemitismus und Antiziganismus den Kennern der Szene schon lange bekannt. Seinen Erfolg als Bürgermeister verdankt er nicht nur den Wählerinnen und Wählern, sondern auch der Regierung, die in den „öffentlich-rechtlich“ genannten national gesinnten Medien ähnlich xenophobe, antisemitische und antiziganistische  Propaganda schalten lässt. Das wahnhafte Phantasma mit seiner entstellten Wirklichkeit ist in Ungarn längst zur Norm geworden, so dass der Einzelne seine Devianz nicht nur durch die Regierung, sondern auch durch das völkische Kollektiv rückbestätigt bekommen kann.

Das Ziel der bis jetzt kleinen Partei ist ein „weißes“ Ungarn und eine völkisch-ethnische Homogenität. Diese Zielvorstellung deckt sich mit der von Jobbik und der Regierung. Auch Ministerpräsident Orbán spricht immer wieder von einem homogenen Volkstum und von einer Blutsgemeinschaft, („Egy vérböl valók vagyunk“/ „Wir sind aus dem gleichen Blut“). Der Glaube an den „blutmäßigen Zusammenhalt“ der Magyaren ist auch allgemein so verbreitet, dass ein Song mit dem Refrain „Wir sind aus dem gleichen Blut“ allmählich zur neuen alternativen Nationalhymne mutiert, inzwischen zur schulischen Ausbildung gehört,  auf der Neujahrsgala aufgeführt wird oder, wie neulich, in einem Stadion von fast siebzig Tausend begeisterten Gästen, den Ministerpräsidenten inbegriffen, stehend mitgesungen wird.

Wenn wir uns also den Hintergrund der kleinen Partei „Unsere Heimat“ anschauen, müssen wir vor Augen halten, dass es sich bei ihr nicht um den rechten Rand der Gesellschaft handelt, sondern, dass sie die Manifestation einer weit verbreiteten Ideologie ist, deren Grundlagen sogar im gegenwärtigen Grundgesetz, seit 01.01.2012 in Kraft, niedergelegt sind.

Selbstverständlicher Teil der vorgestellten völkischen Homogenität ist die permanente Schikane von Romnja und Roma, des vermeintlichen Störfaktors der weißen Utopie. Dazu werden die Roma-Communities bedroht und terrorisiert, und deren Leben wird zur Hölle gemacht, in der Hoffnung dass sie so oder so verschwinden. Angefeuert wird der antiziganistische Rassismus auch hierbei durch die Orbán-Regierung, die selbst eine vom Obersten Gericht (Kúria) beschlossene Entschädigung wegen der Segregation von Grundschüler_innen in Gyöngyöspata vor einigen Jahren anfechten will.

Andererseits vermittelt die Partei „Unsere Heimat“ seit 2017 – anfänglich noch als Bewegung – im Kreise von „weißen“ Ausländern billige Immobilien in der Gegend um Ásotthalom, und auch Ministerpräsident Orbán erwähnt immer wieder, dass  Ungarn für „wahre Flüchtlinge“, also für Bürger_innen westlicher Länder, die vor Liberalismus und Gottlosigkeit fliehen müssen, immer offen sei.

Dieses paranoide System von Wahnvorstellungen, in dem Geflüchtete als „organisierte Invasion“ im Interesse eines „großen Austausches“, herbeigeführt von der „globalen Soros-Weltmacht“ halluziniert werden, vor dem auch Viktor Orbán warnt, führt zum Versuch, mit der Zielutopie „Roma raus, Weiße rein“ vorsorglich schon mal selbst einem Bevölkerungsaustausch auf die Sprünge zu helfen.

Die Methode dabei erfolgt nach einem alten Muster, das zeigt, dass die Praxis der Idee der „weißen Utopie“ der Terror selbst ist.

Die Partei „Unsere Heimat“ ist nämlich international vernetzt und steht in regem Kontakt mit den so genannten „Kreuzrittern“, auf die sich schon die Attentäter Andreas Breivik in Norwegen, oder auch der Christchurch-Attentäter, Brenton Tarrant beriefen. Und der Attentäter von Halle berief sich wiederum auf Breivik.

Unter „Kreuzrittern“ gemeint ist die „Knights Templar International“ (https://www.knightstemplarorder.com/), die „weiß-internationale“ Organisation, deren Logo das bekannte „Templerkreuz“ ist.

Auch bei einer anderen rechtsextremen Gruppe aus dem unmittelbaren Umfeld von „Mi Hazánk“ können wir eine etwas abgewandelte Form dieses Kreuzes finden, nämlich bei der HVIM (Hatvannégy Vármegye Ifjúsági Mozgalom/ Jugendbewegung Vierundsechzig Landesbezirke), gegründet 2001, die eng mit der Bewegung und Partei Jobbik und „Unsere Heimat“ zusammenarbeitet. Mitten auf dem Kreuz sehen wir das Zeichen „Ohm“ für Widerstand und darin das so genannte Stephanskreuz, mit den zwei Querbalken eine magyarisierte Form des christlichen Kreuzes.

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Die Zusammenarbeit zwischen den ungarischen Rechten und dem Tempelorden begann 2015. So war z.B. der ehemalige EU Parlamentarier, Nick Griffin, Anführer des Tempelordens, auch in Ásotthalom, und der Tempelorden bietet auch eine wichtige Plattform den ungarischen Rechten. Umgekehrt meldet sich Bürgermeister Toroczkai gerne mit dem Logo des Tempelordens zurück.

Fahnen, die ein solches Kreuz der „weißen Utopie“ darstellen, tauchen des Öfteren bei Demonstrationen auf, so in Dresden am 08.12.2019, bei einer Pegida-Demostration, oder bei selbsternannten „Grenzschützern“ nahe der bulgarischen Grenze (zusammen mit Nick Griffin und James Dowson von „Knight Templar“).

Auch der Ordensmantel trägt das Kreuz. Auf dem Bild sieht man neben Griffin das ungarische Mitglied des Ordens, den Literaturhistoriker Dr. Imre Téglásy:

Quelle: https://youtu.be/Lax9RP4JRQM

Mitglieder der Bewegung „Unsere Heimat“ (links: Elöd Novák, am Mikrofon Imre Téglásy, am Kreuztransparent rechts die Schwester des rechten Anführers der Krawallen 2006, György Budaházy, Edda, links deren Mutter) demonstrierten am 04. 03. 2016 in Wien gegen Merkels Einwanderungspolitik ebenfalls mit einem Transparent, auf dem das „Templerkreuz“ steht.

Quelle: https://megegymagyart.com/magyarok-eletvedo-tuntetese-becsben/ (Screenshot, Film inzwischen von Youtube gelöscht).

Bezug zur Rassentheorie

In Reportagen wird vielfach die Frage gestellt, wie dieses Kreuz und die permanente Betonung von christlichen Werten mit Gewalt und Terror zu verknüpfen seien. Meistens wird auf die Geschichte des Templerordens im Mittelalter, gegründet im 12. Jahrhundert, verwiesen, dabei aber betont, dass der heutige Orden keinen Bezug zu einer christlichen Kirche hätte.

Nicht beachtet wird in den Beiträgen, dass es nach dem Vorbild des mittelalterlichen Ordens auch einen so genannten Neutempler-Orden (Ordo Novi Templi, ONT) als Restauration des alten Ordens der „Tempelritter“ gab, 1900 vom Rassenmystiker Jörg Lanz von Liebenfels in Wien für einen neuen Kreuzzug ins Leben gerufen.

Wegen seiner jüdischen Vorfahren mütterlicherseits „arisierte“ sich Lanz selbst 1902, indem er sich eine neue Identität zulegte, deshalb trug er fortan den Titel eines angeblich alten schwäbischen Adelsgeschlechts.

In seinen Publikationen vermischten sich der arische Rassismus, die christliche Gnostik und die Theosophie miteinander. Stark beeinflusst von früheren Rassenmystikern ging er ebenfalls von der Existenz der höherwertigen „Arier“ und der minderwertigen „Entarteten“ aus (letztere nannte er Tschandala [aus ind. Chandala – Rasse der Ausgestoßenen, diejenigen, die außerhalb der Kasten stehen]), und meinte, dass der Mensch zwar ursprünglich eine „arisch“-göttliche Natur gehabt hätte, durch die Rassenmischung seien aber Niederrassige entstanden. Daher strebte er die „Rassen-Entmischung“ an.

Während das passive „Aussterben-Lassen“ der Tschandala – also ohne aktives Zutun – schon früher von anderen vorgeschlagen worden war, erschien bei Lanz das erste Mal die Eugenik als aktives menschliches Eingreifen in die Evolution zur „Rassenhygiene“ als Option. Er hatte die Idee, die „Entarteten“ als Gottesopfer zu verbrennen.

Dieser „heiligen Vernichtung“ stand bei Lanz der Wunsch nach einer „sakralen Vermehrung“ gegenüber. Sein Hauptziel war dabei die Reinhaltung der Rasse, um das „göttliche Erbe“ zu bewahren, weshalb er eine gezielte „Menschenhochzüchtung“, d.h. die „Rückzüchtung“ der europäischen Helden- und Edelrasse propagierte.

Dieses vermeintlich göttliche Erbe wurde durch seine völkisch-religiöse Rassenkultgemeinschaft ONT vertreten, in deren Praxis Elemente der mittelalterlichen Mystik, mit mythischen, esoterischen und okkulten Elementen, mit der völkischen Rassenlehre miteinander verbunden waren.

Lanz gründete – als Dependenzen des Neutemplerordens – so genannte Rassenveredelungs-Klöster. Mit deren Hilfe wollte er die Rassenurreligion wieder beleben und eine „sakrale Menschen-Reinzucht“ betreiben, um der „blonden Rasse“ der „Arioheroiker“ zum Sieg über das „Tschandalentum“ genannten „dunklen“ Rassen,  zu verhelfen. Von Ordensmitgliedern wurde erwartet, sich um die Anwerbung geeigneter Novizen zu kümmern und nur rassenreine Ehen zu schließen. Wohlhabende Brüder wurden ermutigt, neue Häuser für den Neutempler-Orden an ausgewählten Orten zu gründen, die dann als „ario-christliche“ Zentren und rassische Idealanstalten fungieren sollten. In diesen Zentren sollten sich unter der Aufsicht von besonders „reinblütigen“ Priestern arische Frauen mit arischen Männern vereinen können. Nach der Vorstellung der so genannten „Blutleuchte“ wurde angenommen, dass die kosmische, (arisch-)metaphysische Seelensubstanz eines Menschen am besonders leuchtenden Blut messbar und erkennbar sei.

Illustration aus der Ostara. Quelle: GOODRICK-CLARKE: Die okkulten Wurzeln des Nationalsozialismus, a.a.O., 56.

Lanz gab seit 1906 in Wien das ario-germanische Esoterik-Blatt namens „Ostara“ heraus, das auch den jungen Hitler inspirierte. Im „Manifest“ der Zeitschrift stand, dass „Ostara“ die europäische „Edelrasse“ durch „Reinzucht“ vor dem Untergang bewahren möchte. Diese „Edelrasse“ war für ihn blond, er betrachtete das Christentum als Religion der Arier, das heißt, als die der Blonden. Er forderte eine vom Vatikan unabhängige „einige, ungeteilte, romfreie Volkskirche“ als „arische Rassenbewegung“. 

Die neuen Tempelritter oder Kreuzritter wurden diejenigen, die für das „reine arische Blut“  der „heldischen Rasse“ und gegen die „Entarteten“, die „tschandalischen Mischlingen und die Niederrassen“ kämpften.

Vor und während des Ersten Weltkriegs, wurde Lanz Einfluss allmählich größer. Nach dem Ersten Weltkrieg weitete er seinen Wirkungskreis über die Grenzen Österreichs aus, einerseits in Richtung Deutschland. So stand er in den 1920er Jahren im engen Kontakt mit Karl Maria Wiligut, dem wichtigsten Berater des Reichsführer-SS, Heinrich Himmler, dessen Ansichten hinsichtlich der „Rassenhygiene“ stark von Lanz beeinflusst wurden.

Andererseits gehörte auch Ungarn zu Lanz’ Wirkungskreis. 1918 zog er für die nächsten fünfzehn Jahre von Österreich nach Ungarn, das ihm wegen seiner politischen Ansichten in jenen Jahren als sicheres Domizil erschien und fand in völkischen Kreisen Anschluss. Er trat in die radikale Organisation „Ébredö Magyarok“ (Erwachende Magyaren) ein, die sich als die Hauptvollstreckerin des Weißen Terrors gegen die „judäobolschewistische“ Revolution 1919 betrachtete.

Typisch für Lanzens Antisemitismus war es, dass er einerseits die jüdische Glaubensgemeinschaft in Schutz nahm, andererseits zählte er die vielen Millionen assimilierten Jüdinnen und Juden, die sich taufen ließen, zur Tschandala, die gegen das Volkstum agiere.

1927 gründete er am Nordufer des Plattensees das ungarische Zentrum des in Österreich inzwischen im Untergrund tätigen Neutempler-Ordens.

Als Lanz 1933 Ungarn verließ, waren seine Lehren schon verbreitet und lebten auch ohne ihn weiter. Seine Anhänger errichteten 1937 im Pilis-Gebirge nördlich von Budapest ein neues spirituelles Zentrum ein und setzten seine Tradition von dort aus fort.

Dies geschah im Zeichen des zwischen den beiden Weltkriegen Europa weit aufkommenden „Pan-Arismus“, in dem sich eine Vielzahl völkischer Verbände und arisch-christlicher Gemeinschaften, insbesondere in Deutschland, England, Frankreich, Ungarn, Rumänien, Norwegen und der Schweiz mit dem Wiener Kreis der „Ostara“ zusammenschlossen, um den panarischen Weltbund zu gründen.

Die Tradition der Tempelritter wurde in Ungarn nach der Wende ab etwa 1998 erneut intensiviert. Auch das Pilis-Gebirge gilt bis heute als heiliges spirituelles Zentrum Ungarns, ja als „Chakra der Erde“ schlechthin.

Selbst wenn der Name Lanz von Liebenfels nicht vielen geläufig ist, sind seine Gedanken im kulturellen Gedächtnis der rechten Gruppen und in dem der ungarischen Regierung nach wie vor präsent. Auch die Regierung betont einerseits den Schutz der jüdischen Glaubensgemeinschaft, schließt aber andererseits Millionen aus der Volksgemeinschaft, von denen behauptet wird, dass sie gegen das Volkstum agierten.

Regierung und Rechte sehen sich als Teil einer großen Bewegung und verfolgen die weiße Utopie mit missionarischem Eifer. Es ist kein Zufall, dass regierungsnahe Medien auch den Papst angreifen und die Regierung Kirchengemeinden, die unter Christlichkeit im universalistischen Sinne die Nächstenliebe und die Gnade verstehen, den Kirchenstatus entzieht. Sagen sie „christlich“, meinen sie „ariochristlich“.

Dass sich diese Ideologie als weiße Utopie vor allem gegen  Romnja und Roma richtet, die in dieser Sicht keine Lebensberechtigung hätten, belegt ein Zitat eines Autors, der offizieller Ideologe der Regierung Ungarns ist und dessen Schriften auch in anderen Kreisen heißbegehrt untereinander weitergegeben werden. Es geht um den 1968 verstorbenen Autor, Béla Hamvas, der ebenfalls von der Existenz von Ariern auf der einen und von den für die Allgemeinheit nicht brauchbaren „niederen Menschen“ und „Überresten“ (Tschandalen) auf der anderen Seite ausging.

Das, was er 1936 über „die Zigeuner“ schrieb, unterstützt die Regierung und andere rechte Gruppen in ihrer antiziganistischen Haltung:

Die Zigeunermusik … haftet … in irgend einer Weise parasitär an der Tradition der Gefühle. … So wie sich im Leben der Gemeinschaften in untergehenden Epochen außerhalb und unterhalb des Kastensystems die Ausgestoßenen der Gesellschaft versammeln, so wird diese schwarze Kunst, die das Exkrement der wahren ist, ausgeschwemmt.

Das Zigeunertum ist zum großen Teil eine Tschandala, das heißt ein Abschaum außerhalb der Kastensystems, und die Musik, die es macht, ist nichts als Abfall, der mit der echten Musik des Volkes nichts gemein hat.

 

Zwischen Juli 2008 und August 2009 wurde eine der schwersten rassistischen Mordserien  der Nachkriegsgeschichte Ungarns verübt. Dabei wurden sechs  Romnja und Roma getötet und weitere fünf verletzt. Den Opfern der rassistischen Mordserie wird seit einigen Jahren am 23. Februar gedacht. Diese Arbeit wird ihnen gewidmet.

Quelle: Hagalil

Stand: 02.03.2020

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The Dom: Syria’s Invisible Refugees https://antizig.blackblogs.org/2018/12/03/the-dom-syrias-invisible-refugees/ Mon, 03 Dec 2018 16:09:42 +0000 http://antizig.blogsport.de/2018/12/03/the-dom-syrias-invisible-refugees/ Continue reading The Dom: Syria’s Invisible Refugees ]]>

More than 70,000 people have been killed and hundreds of thousands left homeless by the civil war in Syria, spreading misery among all of the nation’s ethnic and religious groups. But one ethnic minority has undergone more than its share of suffering — both during the current fighting and for centuries preceding it — and few outside of Syria know much about it. The group is known as the Dom and it has been a presence in Syria since before the Ottoman Empire. Often mislabeled by the pejorative “gypsies,” the Dom get their name from their language, Domari, means “man.” They have joined the exodus of Christian, Muslim and other Syrians refugees into Jordan, Lebanon, Turkey and beyond. But wherever they go, they generally face a less than warm welcome. As one source told VOA, „They are the most despised people in the Middle East.“

Who are the Dom?

Misunderstood and complicated, Dom have been present in the Middle East for at least a thousand years. Most information about them is gleaned from their language, Domari, an Indic variation. It is similar to Romani, the language of the European Roma, suggesting their common roots in India. Both Roma and Domari are peppered with words borrowed from other languages, reflecting their history of migration through Iran and elsewhere. Beyond that, little of their origin is known—or agreed upon by scholars. During the Ottoman period, Dom migrated freely throughout the Middle East as “commercial” nomads, providing services to communities wherever they settled. The fall of the Ottoman Empire following World War I led to the formation of nation states with proper borders, which greatly curtailed Dom movements. Locals in Syria, as elsewhere in the region, call the Dom Nawar — a word likely derived from “fire,” referring to their traditional work as blacksmiths. But over the years, the word “Nawar” has evolved into a pejorative, connoting someone who is uneducated and uncivilized. They also differentiate Dom by the region in which they live and the work they perform. In Aleppo and Idlib, the Dom are called Qurbat and work as blacksmiths or untrained dentists. The so-called Riyass live in Homs and Hama, where they sell handicrafts or entertain at parties. Dom women, dubbed Hajiyat, might dance in Damascus nightclubs, beg or tell fortunes.

The numbers

It is almost impossible to estimate Syria’s Dom population, as they often conceal their identity out of fear of being stigmatized. SIL International’s Ethnologue estimates 37,000 Syrian Dom speak Domari, alongside Arabic.But the Syrian newspaper, Kassioun, reported twice that number in 2010. Kemal Vural Tarlan is a photographer, documentarian, writer and activist who focuses, he says, on those who live on the sidelines of society, chiefly Dom and Roma. He also authors the Middle East Gypsies website. He says Dom are viewed as outsiders and intruders, therefore they are almost universally discriminated against. So they often hide their ethnic backgrounds through what they call the skill of “invisibility,” which helps them move into and out of communities. “The official Dom population could be much higher than estimated, because so many Dom describe themselves as Kurdish, Arab or Turkmen,” Tarlan said. Whatever the number, he says more Dom live in Syria than anywhere else in the Middle East.

Dom refugees in Turkey

Turkey has been home to “gypsies” since Byzantine times, and in 2005 the UNHCR estimated a Roma/Dom population of 500,000. Kemal Tarlan has spent much time in recent weeks near the border documenting the influx of Dom from Syria. He believes as many as 10,000 to 20,000 Dom have settled in southern Turkish towns such as Kilis, Gazientep and Şanlıurfa. “İnitially, some were able to register in proper refugee camps,” Tarlan said, “but now they cannot get into camps, because they are full.” Some Dom have gone to live with families in the cities. Those with no place to go live as nomads in tents. Tarlan says they receive little assistance from the government, so in order to survive, they beg or work in the fields. “But the majority are unemployed,” he said, and this has given rise to local tensions. Recently, after citizens of Şanlıurfa started to complain about a rise in petty theft, Turkish authorites dismantled and burned a makeshift tent city. The media referred to the campers as “Syrians.” But Tarlan says most were Dom.

Into Lebanon

With Beirut only about 65 miles away, many Dom from Damascus have fled into Lebanon. Catherine Mourtada is co-founder of Tahaddi (“Challenge”), a non-governmental assistance group that serves Beirut’s underprivileged, many of whom are Dom. “They are excluded from the normal school systems, either because they don’t meet admission requirements or because public schools are full. „So they come to our place,” Mourtada said. Mourtada has seen increasing numbers of Dom from Syria, looking to stay with their Lebanese relatives. “Already, they are very poor, and now they must welcome other very poor members of their family coming from Syria, so it is very hard for them.They are all living in dire conditions,” she said. “They can’t find any work except for recycling things from the garbage dump, like aluminum or iron or cardboard, just to be able to survive.” In some cases, Beirut Dom are forced turn their Syrian relatives away. “So they have to find a room somewhere to rent. They are lucky if they can get a bathroom or running water,” Mourtada said. Because there are no official refugee camps in Lebanon like those built in Jordan and Turkey, Mourtada says Dom have begun to settled in tent cities in the Bekaa Valley.

Into Jordan

In 1999, Amoun Sleem founded the Domari Society of Gypsies, a cultural and educational center in the East Jerusalem neighborhood of Shu’fat. Herself a Dom, she says she has first-hand experience with discrimination, cultural marginalization and poverty that most Dom face as a result of illiteracy. “Whenever disaster strikes in the Middle East, no one gives a thought to how it will impact the Dom,” she said. Sleem says she has received word that many Dom refugees are living at or near the Zaatari camp in Mafraq, Jordan. She has been trying to get a permit to visit the camp, but has run into a lot of red tape.In the meantime, she is trying to encourage Jordanian Dom families to host the refugees. “It’s not very easy,” she said, “but if it could happen, it would be a very good thing.”

Source: Voa News
Date: 03.12.2018

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Syria’s Gypsy refugees find sanctuary in an Istanbul ghetto – but for how long? https://antizig.blackblogs.org/2018/12/03/syrias-gypsy-refugees-find-sanctuary-in-an-istanbul-ghetto-but-for-how-long/ Mon, 03 Dec 2018 16:05:25 +0000 http://antizig.blogsport.de/2018/12/03/syrias-gypsy-refugees-find-sanctuary-in-an-istanbul-ghetto-but-for-how-long/ Continue reading Syria’s Gypsy refugees find sanctuary in an Istanbul ghetto – but for how long? ]]>

In Tarlabaşı, Istanbul’s oldest slum, a tiny community centre offers a crucial place of safety and support for the shunned Syrian Dom community. But as the city gentrifies, there are fears these refugees may become victims once again

On the north-western corner of Istanbul’s famous Taksim Square, a small gang of children dart through the traffic, tapping on car windows and trying to catch the attention of passers-by to sell bottles of water. These Syrian Gypsy children from a community known as the Dom are in many ways the forgotten faces of the Middle East crisis, which has left an estimated 26,000 refugee children homeless across Europe. The Dom speak a separate language which traces back to the Indian subcontinent; even in times of peace they have always existed on the fringes of society, and are used to facing almost universal discrimination.Before war broke out, there were up to 300,000 Dom living in Syria. Now many live on the streets of Istanbul’s ghettos, part of the approximately 366,000 Syrian refugees seeking a new life in the Turkish city. Many reside in Tarlabaşı, Istanbul’s oldest slum. It is just a few streets from the ornate splendour of İstiklal Caddesi, the nearby avenue of sultans that once saw Istanbul dubbed “the Paris of the East”. But life in Tarlabaşı is very different: it has become known as a haven for Istanbul’s minority communities of migrants, Gypsies, transsexuals, prostitutes, and the outcasts of society.

Even here, however, the Dom children are despised. Other Syrian refugees and local Turks refuse to associate with them. When asked why, Ilyas, a shopkeeper who asked for his full name to not be used when speaking about the Dom, simply comments: “It is a prejudice, yes. I can’t explain it though. I just don’t like their complexion.” But one organisation is trying to help. Based in a tiny flat of no more than 70 sq metres, Tarlabaşı Toplum Merkezi (TTM) is a non-profit community centre started a decade ago by Istanbul Bilgi University’s Centre for Migration Research, and initially funded by the European Union. Run by four full-time employees and a small army of volunteer teachers, lawyers and even musicians, it provides educational support, psychological and legal counselling for nearly 5,000 children and 3,000 adults in Tarlabaşı. It exists as a place of safety and comfort; a way out from the deprivation and crime which pervades this sector of Istanbul.

For hundreds of years, Tarlabaşı’s narrow, winding streets were a peaceful home to non-Muslim diplomats and later Greek merchants who served the business district around İstiklal Caddesi. But as religious tensions rose through the mid-20th century, the Turkish government launched organised pogroms targeting non-Muslims in the city – the most notorious of which was the Turkish Kristallnacht of September 1955. In the ensuing violence, homes and shops were looted and destroyed. Over the following decades, those abandoned buildings were gradually filled by Gypsies known locally as “Roman”, and by refugees fleeing the Turkish-Kurdish civil war in the late 1980s. The construction of a six-lane boulevard which segregated the neighbourhood from Istanbul’s wealthy tourist district sealed Tarlabaşı’s fate. “Violence, drug issues and prostitution is definitely more visible here than anywhere else in the city,” says Ebru Ergün, a psychologist who has worked at the centre for the past five years. “The boulevard is one of the causes of that. It intensified the stigma surrounding this area and made it into a slum.”

Many of the children of Tarlabaşı fail to complete primary school before ending up as beggars or labourers, relying on state-run social services that provide little more than free lunches and sacks of coal. The Dom children, though, don’t even make it as far as school. “They live in awful conditions,” says Ceren Suntekin, a social worker at the centre. “They mostly beg or sell things near the tourist districts, and the police are quite violent towards them as they don’t suit the image that Istanbul is trying to create. The Roman mostly collect garbage on the street, sell flowers, or play music at clubs. They struggle to break out of this life because when they go to school, teachers discriminate against them and they don’t have the environment to study in when they come back home.” The TTM centre provides Turkish lessons to children and adults alike, so Tarlabaşı’s many Syrian and Kurdish residents can find jobs, earn a living, or even continue in education. Hasan Kizillar, 19, grew up in the local Roman community but learnt to play the violin, piano and other instruments in the centre’s orchestra. Now he works as a volunteer himself, teaching music to children, while preparing to study finance at Istanbul University. “He came from a very poor family,” Ergün says. “But like many Roman children, he was highly talented. We’re also slowly making progress with persuading families to allow girls to be educated, and running classes on literacy and gender equality.”

Most importantly of all, the centre is a place where those in trouble can seek help. Domestic abuse cases are commonplace in Tarlabaşı, and Ergün describes the centre’s recent attempts to aid a family of migrants where the mother and her two daughters had been beaten and sexually abused by the father for many years. “They were coming to us regularly,” she says. “We tried for a long time to persuade the mother to go to a shelter, and eventually she did. We found her a lawyer and now her husband is arrested and the children are safe. We’ve helped the woman find a job as her husband hadn’t allowed her to work; now she’s no longer dependent, we hope it will be a better life for them.” But this support network may not exist for much longer. Tarlabaşı is undergoing considerable change. Over the past few years, Turkish president Recep Tayyip Erdogan has outlined an infrastructure agenda worth in the region of $100bn, and Tarlabaşı has been earmarked for urban transformation. Billboards depicting future visions of the neighbourhood – chic young couples strolling past modern apartments, retail outlets and hotels – are strewn outside the many ongoing building projects. Many of the dilapidated 19th-century buildings that have served as homes for Istanbul’s poorest, meanwhile, are rapidly being demolished. When forced out, the inhabitants often receive a fraction of the market price.

Issam Saade, a 51-year-old Kurdish waiter who has lived in Tarlabaşı since the mid-90s, explains that after years of fighting to stay, he was evicted last autumn following a court order. “There is more money coming into Tarlabaşı but not for the people who live here now,” Saade says. Two years ago, Istanbul’s rapidly escalating rents almost saw the TTM centre close down, but with the help of donations from the US, UK, Sweden and Holland, its work has been able to continue – for the moment. “Because of the gentrification process taking place here to attract tourists, the state wants the refugees and migrants who live in Tarlabaşı to move away,” Ergün says. “Many of them have nowhere to go, but the state doesn’t care about that. “They will have to move to wherever they can afford, and when they go, we will have to go too. We hope we can follow them to a new location and continue to help. Our centre is one of the few places where it’s safe for children from these communities to play, and where women can discuss their problems. There’s nowhere else providing that.” And what about the very poorest of all, the Dom children who beg on the streets of Taksim Square, where will they go? “We don’t really know. And I don’t think they know either.”

Source: The Guardian
Date: 03.12.2018

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The forgotten children of Turkey’s Syrian refugee crisis https://antizig.blackblogs.org/2018/12/03/the-forgotten-children-of-turkeys-syrian-refugee-crisis/ Mon, 03 Dec 2018 15:58:14 +0000 http://antizig.blogsport.de/2018/12/03/the-forgotten-children-of-turkeys-syrian-refugee-crisis/ Continue reading The forgotten children of Turkey’s Syrian refugee crisis ]]>

Children from the ‚mysterious, tragic and despised‘ Dom Gypsy community fled the war in Syria only to find more danger begging on the streets of Istanbul.

Towards sunset on the busy north-west corner of Taksim Square, Nisreem, 7, and her raggedy gang of Dom Gypsy street kids grow excited as they prepare to spend the next six hours tapping on car windows and begging passersby to appreciate that they are Syrian war refugees. Nisreem speaks, but has an impossible time staying still. She is filthy with glassy eyes and fluffy reddish hair, telltale signs of malnutrition, which makes children restless and fidgety. Darting through traffic in the heart of Turkey’s biggest city, the rest of the gang try to act a bit more together. Drug addicts, prostitutes and Turkish police lurk nearby so the gang members often huddle together for security. For fun they sometimes sing and dance.

More than three years into the Syrian war nearly half the country’s population has been displaced, according to the Office of the United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR). More than six million Syrians are internally on the move and more than three million have fled. Nisreem and the other Dom street kids face a more complicated fate than other Syrians who are more organised in their search for a safe haven. Scholars from the Budapest, Hungary-based European Roma Rights Centre, say the Dom, who are known as the Middle East Gypsies and speak a language traced back to the Indian subcontinent, are seen as “mysterious, tragic and despised”. The gang feels this. On their corner of Taksim Square they have worn down the grass by hanging out there and worn out their welcome by begging. Many who pass see their grubby fingers and slap them away.

Tonight the gang includes Zayneb, 6, and Little Ali, 5, who is as dirty and wild as Nisreem. Dunya is 11 and Amel, who tries her best to keep everyone in line, is 15. “Not everybody is mean to us but most people are. Some people give us food, but it is always junky food,” said Nisreem. In July, they escaped Aleppo, in northern Syria, before sneaking into Turkey with no paperwork. All year Aleppo has been the target of barrel bombs dropped by the Assad regime in a war that has already killed almost 200,000 people. Turkey is home to an estimated 1.5 million Syrian refugees and officials are scrambling to address the crisis. To say resources are strained is an understatement. Turkey has spent US$2.5 billion (Dh9.2bn) housing 200,000 refugees in 22 camps. But it has received only $175 million (Dh643m) in international support.

During the first two years of the war, Turks were seen as generous and supportive of Syrians. But as the war has dragged on, Turks have become increasingly angered at their presence. The Dom have always lived on the edge of society, says Kemal Vural Tarlan, a researcher of Dom populations in Gaziantep, Turkey, about 50 kilometres from the Syrian border. “They face universal discrimination. Other Syrians refugees in the official camps have demanded the Dom actually stay in different camps.” According to the Dom Research Centre, before the Syrian conflict an estimated 30,000 lived in Turkey, and as many as 300,000 lived in Syria, the largest Dom population of any Middle Eastern country. Researchers admit these population estimates are sketchy. Fearing discrimination, many Dom describe themselves as Arab, Kurdish or Turkmen and also very often use fake names. They also keep on the move.

After sunset, the gang went on the move as Nisreem dragged Little Ali from their Taksim corner to check on friends selling cold water nearby. Everyone else tumbled along in a tight knot of children. None of the refugees attend school, so the best thing to talk about is money. On a good night of begging, they can earn a total of about 40 Turkish Lira (Dh65). Most nights they only make 20 lira. Divided among the five of them, they each get 4 lira. When Amel and Nisreen find their pal Hamza, who is 11, they learn he has done better selling bottled water than begging. At night they return to a decrepit squatters apartment overflowing with other refugees. “The situation is very tragic for all refugees but for Domari refugees it is alarming,” said Sinan Gokcen of the European Roma Rights Centre. “They live in miserable conditions in informal camps or in abandoned buildings without access to water and proper sewage. Collecting paper and scrap metal are the main sources of income.”

The UNHCR recently said women and children make up 75 per cent of all Syrian war refugees, with 50 per cent of those under 18. The gang is mostly orphaned girls and daughters of war widows. There are few male Dom relatives around to protect them. Life for the Dom gang on the Istanbul streets can also be dangerous. On September 22, a windstorm caused six storeys of scaffolding to collapse where they always beg. Ten people were seriously injured, including one street kid.

Source: The National
Date: 03.12.2018

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Brennender Hass https://antizig.blackblogs.org/2018/10/26/brennender-hass/ Fri, 26 Oct 2018 09:41:04 +0000 http://antizig.blogsport.de/2018/10/26/brennender-hass/ Continue reading Brennender Hass ]]>

Dragan J.s Großvater starb 1944 in Auschwitz, seine Tochter 1994 nach einem Anschlag auf ihre Notunterkunft in Köln. Er fühlt sich in der deutschen Geschichte gefangen.

ZEIT ONLINE und der „Tagesspiegel“ dokumentieren in einem Langzeitprojekt 169 Todesopfer rechtsmotivierter Gewalt in Deutschland seit 1990 . Bei 61 weiteren Toten konnten die Hintergründe nicht sicher geklärt werden, es gibt aber starke Indizien für ein politisches Motiv – zwei von ihnen sind das Mädchen Jasminka und ihre Großtante Raina, Angehörige der Minderheit der Roma. Sie starben 1994 nach einem Brandanschlag auf ihre Notunterkunft in Köln.

Zehn Prozent markierten bei Jasminka die Grenze zwischen Leben und Tod. Das Mädchen war elf Jahre alt, 1,40 Meter klein und wog knapp 50 Kilo, als zehn Prozent ihrer Haut verbrannten und ihre Lunge kollabierte.

Kurz nach zwei Uhr morgens am 26. Januar 1994 hatten bis heute unbekannte Täter mindestens drei Feuer vor der Tür dort untergebrachter Roma-Kriegsflüchtlinge gelegt: Zunächst brannten dort gelagerte Sperrholzplatten, eine schwarze Ledercouch und ein Kleiderschrank. Dann sprangen die Flammen auf andere Möbel über. Jasminka, die gerade bei Verwandten übernachtete, wachte von der Hitze und dem Rauch auf. Schlaftrunken lief sie mit ihrer Großtante Raina, 61, ihrer Tante und ihrer zweijährigen Cousine Sanela durch den brennenden Flur ins Treppenhaus. Die Feuerwehr fand laut Einsatzprotokoll drei verletzte Personen vor dem Haus und in den Fenstern „nach vorne und nach hinten schreiende Hausbewohner, die aus den Fenstern springen wollten“.

Die Rettungskräfte brachten sieben Personen mit Brandverletzungen dritten Grades in die umliegenden Krankenhäuser, sie alle gehörten der Minderheit der Roma an. Auch Jasminka und ihre Großtante Raina waren unter den Verletzten. Wenige Tage später, am 31. Januar 1994, wurde Jasminka in einem auf Brandverletzungen spezialisierten Krankenhaus in Köln zwölf Jahre alt. Der Sauerstoff einer Beatmungsmaschine hielt sie da noch am Leben, die Schmerzmittel machten sie apathisch und verhinderten, dass sie sich die sterile Gaze vom Körper riss, mit der sie umhüllt war. Den Ärzten gelang es von Tag zu Tag schlechter, die Fieberschübe zu senken, die ihren kleinen Körper schüttelten.

Familie floh vor Roma-Verfolgung in Jugoslawien

An Jasminkas Bett sitzt ihr Vater Dragan J., der in der Brandnacht Verwandte in einer anderen Flüchtlingsunterkunft besucht hatte. Als er zum brennenden Haus kam, konnte er nur noch mit ansehen, wie sein Bruder und sein Vater sich an Bettlaken aus dem zweiten Stock abseilten. Sechs Wochen lang sitzt er täglich am Bett seiner Tochter. Eigentlich wollte er sie vor dem Bürgerkrieg im zerfallenden Jugoslawien retten, vor den Pogromen gegen die als Verräter und Kollaborateure gebrandmarkten serbischen Roma.

Er kann die Hände und die Haare seiner Tochter nicht mehr streicheln, ihre Augen nicht mehr berühren. Die Ärzte tragen Zentimeter um Zentimeter der schwarz verbrannten Haut ab, weben darüber unverletzte Haut vom Oberschenkel. Bei der zweijährigen Sanela gelingt die Rettung. Jasminka hatte in ihrer Panik aber so viel Rauch und Ruß eingeatmet, dass ihre feinen Lungenhärchen verbrannten. Die Beatmungsmaschine hält sie bis zum 12. März 1994 am Leben. Dann stirbt sie, kurz nach ihrer Großtante Raina, die die Ärzte ebenfalls nicht mehr retten können.

„Wären wir in Serbien geblieben, wären wir wenigstens zusammen gestorben.“
Dragan J., Vater eines Todesopfers

Über dem Esstisch ihres Vaters hängt seit zwei Jahrzehnten ein letztes Foto des Mädchens, aufgenommen vor der Flucht im Sommer 1993. Darauf lehnt Jasminka ihren Kopf an die Schulter des Großvaters, unter einer hellbraunen Ponyfrisur schauen neugierige blaue Augen in die Kamera. „Wären wir in Serbien geblieben, wären wir wenigstens zusammen gestorben“, sagt Dragan J. Der große Mann, der längst in der deutschen Sprache zu Hause ist, kämpft mit den Tränen. Jahrelang konnte und wollte er außerhalb des engen Familienkreises nicht über den Tod seiner Tochter reden. Warum er jetzt spricht? „Die Leute vergessen, wie groß der Hass war, als wir Ende 1993 in Deutschland ankamen. Genau diesen Hass erkenne ich jetzt wieder, wenn ich im Fernsehen die Berichte über Brandanschläge auf Flüchtlingsheime und die Angriffe auf Ausländer sehe.“

Mehr als 400.000 Menschen suchten 1992 in Deutschland Asyl, darunter Zehntausende Roma aus Ost- und Südosteuropa. Zwei Jahre lang diskutierten Medien und Politik, wie sie die „Asylantenflut“ im Nachwendedeutschland eindämmen könnten. Während sich die Zahl rechter Gewalttaten nahezu verdoppelte, stimmte der Bundestag am 26. Mai 1993 mit einer Mehrheit von CDU/CSU, FDP und SPD-Abgeordneten für eine Verschärfung des Asylrechts. „Wir müssen unser Barmherzigkeitsgefühl einschränken und die akademische Debatte über den Artikel 16 Grundgesetz beenden“, sagte der damalige SPD-Fraktionschef im Düsseldorfer Landtag, Friedhelm Farthmann.

Die gesellschaftliche Polarisierung erfasste auch Köln. Einerseits organisierten Künstlerinnen und Musiker bundesweit beachtete Arsch-huh-Konzerte gegen rechte Gewalt. Andererseits forderten zwei Abgeordnete der extrem rechten Deutschen Liga für Volk und Heimat im Stadtrat 1992 den Aufbau einer „Bürgerwehr zum Schutz und zur Wiederherstellung von Recht und Ordnung“. Junge Neonazis beklebten ganze Stadtteile im Frühjahr 1993 mit Steckbriefen, die zur Fahndung nach einer jungen mazedonischen Romni aufrief. Und Ende 1992 legten unbekannte Täter eine Paketbombe vor die Tür einer türkischstämmigen Familie in Köln-Ehrenfeld. In einer Karte dazu hieß es: „Heute sie, morgen das ganze Haus.“ Nur durch Zufall zündete der Sprengsatz nicht, sonst hätte es laut Polizeiangaben Tote gegeben. Im Frühjahr 1993 versteckten Unbekannte kleine Sprengsätze in Haushaltsgeräten und deponierten sie in Straßen, die überwiegend von Arbeitsmigranten bewohnten waren. Zwei Menschen wurden schwer verletzt, als sie die Geräte aufhoben. Im Februar 1993 sprühten Unbekannte in Köln-Worringen nationalsozialistische Parolen und warfen Brandsätze in den Eingangsbereich eines von Türken und Aussiedlern bewohnten Mehrfamilienhauses, drei Menschen wurden verletzt.

In diese Stimmung fiel auch der Brandanschlag auf das Heim von Jasminka und ihrem Vater Dragan J., entsprechend äußerten sich die Anwohner. „Ich hab in der Nacht schon gesagt, die Scheißzigeuner haben das Haus angesteckt. Aber gesehen habe ich das natürlich nicht, ich nehme das nur an“, gab eine 47-jährige Nachbarin zu Protokoll. Sie wohnte im Stockwerk darunter und blieb vom Feuer verschont. Ein anderer 53-jähriger Bewohner sagte der Polizei: „Schuld sind die Zigeuner selber: Das war doch deren Müll, der da auf dem Flur stand.“

Dragan J. sagt: „Die Menschen haben die Opfer des Hasses von damals vergessen.“

Wichtige Spuren wurden am nächsten Morgen zerstört

Neben Dragan J. sitzt die heute 26-jährige Sanela S., die den Brandanschlag als Kleinkind schwer verletzt überlebt hatte. Sie lacht herzlich, ihr Händedruck ist warm. Auf den ersten Blick unterscheidet die junge Frau wenig von anderen Frauen ihres Alters, wären da nicht die fast mechanischen Bewegungen, mit denen ihre Finger immer wieder an beiden Enden des Pulloverärmels zupfen und sie festhalten, um die Narben darunter zu verdecken. Sie überziehen ihre Finger, Handrücken und Handgelenke und reichen bis zu den Oberarmen. Bis heute fragt sie sich, wer dafür verantwortlich ist. Und die junge Frau hat Angst: „Solange kein Täter gefasst ist, kann es wieder passieren.“

„Solange kein Täter gefasst ist, kann es wieder passieren.“
Sanela S., Überlebende

Zunächst schien es, als würde die intensive Befragung der Bewohner des Übergangsheims mit einem schnellen Fahndungserfolg enden. Es gab schnell einen Hauptverdächtigen. Mehrere Zeugen berichteten übereinstimmend, dass drei Tage vor dem Brandanschlag bei einem Bewohner dessen jüngerer Bruder eingezogen sei. Der 43-jährige Hilfsarbeiter sei durch die Androhung, „etwas anzuzünden“, aufgefallen. Der Mann sei eine Gefahr für seine Umwelt und ein Überzeugungstäter, sagte dessen langjährige Vermieterin in einer Vernehmung. „Bei den Berichten im Fernsehen über die Brände in Aussiedlerheimen sagte er immer, dass man da noch viel mehr Brände legen müsste.“ Wörtlich habe der Hilfsarbeiter gesagt: „Wenn ich selber könnte, hätte ich dort auch Brände gelegt.“ Die Ermittler fanden heraus, dass es in den Gebäuden, in denen der Mann gelebt hatte, zu mehr als einem Dutzend vorsätzlichen Brandstiftungen in Kellern und Hausfluren gekommen war. In keinem Fall sei es aber zu einer Verurteilung gekommen, vermerken die Beamten – obwohl Hausbewohner den Hilfsarbeiter zweimal direkt nach dem Ausbruch eines Brandes am Tatort festhielten.

Alle Akten zu dem Fall sind vernichtet

Die Staatsanwaltschaft Köln erwirkte daraufhin einen Haftbefehl und überwachte 24 Stunden lang die Kommunikation des Mannes. Ergebnislos: Der Mann schweigt, sein Bruder verwickelt sich in Widersprüche und viele Spuren am Tatort wurden am nächsten Tag durch Aufräumarbeiten zerstört. Der Hauptverdächtige kommt nach wenigen Tagen frei. Einige Monate lang gehen Beamte noch weiteren Spuren nach, befragen Kneipengänger und Wirtshausbesitzer. Sie stellen auch die Frage, ob möglicherweise Neonazis, die im Stadtteil einige Treffpunkte haben, als Täter in Betracht kommen. Später verwerfen sie die Frage wieder und lassen den Fall ruhen.

Seit knapp drei Jahren sind alle Akten und auch alle Asservate in dem Fall vernichtet, sagt ein Sprecher des Polizeipräsidiums Köln auf Nachfrage von ZEIT ONLINE. Weil die Staatsanwaltschaft lediglich wegen schwerer Brandstiftung und nicht wegen Mordes oder Totschlags ermittelt hatte, sei der Fall nach 20 Jahren verjährt. Die damals leitende Ermittlerin stehe für Auskünfte zum Fall nicht mehr zur Verfügung. Auch bei der zuständigen Staatsanwaltschaft Köln existierten keinerlei Akten mehr und der leitende Staatsanwalt des Brandsachendezernats sei in Pension gegangen.

Paralellen zu NSU-Ermittlungen

Die letzte Information zum Haupttatverdächtigen findet sich im November 2008, als er wegen versuchter schwerer Brandstiftung verurteilt wurde – das zweite Mal nach dem Brandanschlag 1994. Zur Zeit des Urteils war er in einer Einrichtung für Wohnungslose im Sauerland gemeldet, heute kann sich dort niemand mehr an den Mann erinnern.

Für die Kölner Rechtsanwältin Edith Lunnebach ist der Verlauf der Ermittlungen „völlig unverständlich“. Lunnebach vertrat im NSU-Prozess Überlebende des Sprengstoffanschlags in der Kölner Propsteigasse im Jahr 2001, nun hat Jasminkas Vater sie beauftragt, noch einmal nach dem Täter zu suchen, der seine Tochter getötet hat.

Lunnebach, die sich auf fragmentarische Aktenreste aus 1994 stützen kann, fragt sich zum Beispiel, warum die Staatsanwaltschaft damals lediglich wegen schwerer Brandstiftung und nicht wegen zweifachen Mordes ermittelt hatte. „Die Beweislage war sehr eindeutig“, sagt die Anwältin. „Es gab mindestens drei Brandherde. Die Gutachter des Landeskriminalamtes NRW waren auch eindeutig in ihren Feststellungen, dass es sich um vorsätzliche Brandstiftung gehandelt hatte und dass der oder die Brandstifter wussten, dass in den Wohnungen, die am Flur angrenzten, Menschen schliefen.“

Sie zieht Parallelen zu den Ermittlungen nach dem NSU-Anschlag in der Propsteigasse: Hier wie dort seien erst einmal Angehörige verdächtigt worden. Als die Ermittlungen komplizierter wurden, seien „selbst die einfachsten Schritte nicht unternommen“ worden, sagt Lunnebach. In den Akten gebe es zahlreiche rassistische Bemerkungen über Roma – und das nicht allein in den Zeugenaussagen, sondern auch in den Vermerken der ermittelnden Polizeibeamten. Es sei bitter, dass die Ermittlungsakten sowohl bei der Staatsanwaltschaft Köln als auch beim Polizeipräsidium vernichtet wurden. Und ein später Sieg für die Täter, „die zwei Menschenleben auf dem Gewissen haben, aber davon ausgehen können, dass die Staatsanwaltschaft Köln nicht sonderlich viel Energie in ihre Ergreifung investiert“. Nun prüft die Anwältin mögliche Schritte für eine Wiederaufnahme der Ermittlungen, diesmal wegen Mordes.

Gefangen in der deutschen Geschichte

Doch was wurde aus dem Hass der Neunzigerjahre? Heute, 24 Jahre nach dem Anschlag, erklären in Umfragen mehr als die Hälfte aller Deutschen, dass sie Roma als Nachbarn ablehnen. Dragan J. und seine Familie sind an einen Ort gezogen, wo es keine deutschen Nachbarn gibt. Hier leben vor allem Syrer, Roma, Afghanen, außerdem gibt es ein Autohaus.

„Der Hass gegen uns Roma hat meine Tochter getötet“, sagt Dragan J., „so wie 50 Jahre zuvor meinen Großvater.“ Bei einer Reise türkeistämmiger Kölner und Roma zur Gedenkstätte des Vernichtungslagers Auschwitz hat Dragan J. die letzten Spuren seine Großvaters gefunden. Im Januar 1944 wurde er mit 1.000 Roma aus Jugoslawien in das Vernichtungslager gebracht und ermordet. Die nationalsozialistische Verfolgung der jugoslawischen Roma sei in Deutschland kaum bekannt, sagt der Historiker Frank Sparing. „Dabei ist sie – bis heute – eine der mittelbaren Ursachen für die Flucht- und Migrationsbewegungen jugoslawischer Roma, auch wenn die ursprüngliche Absicht der Nationalsozialisten, die Roma vollständig zu vernichten, fehlgeschlagen ist.“ In Auschwitz erinnert eine Gedenktafel an die dort ermordeten Sinti und Roma. Auch der Name des Großvaters von Dragan J. ist hier eingraviert. „Ich bin in der deutschen Geschichte gefangen“, sagt Dragan J. müde.

Am Übergangswohnheim in Köln-Gremberg erinnert nichts an die Brandnacht vor mehr als 24 Jahren, kein Schild, kein Denkmal. Dragan J. sagt: „Ich trage meine Tochter in meinem Herzen.“

Quelle: Zeit Online
Stand: 26.10.2018

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Grüne werfen Link Antiziganismus vor! https://antizig.blackblogs.org/2018/08/25/gruene-werfen-link-antiziganismus-vor/ Sat, 25 Aug 2018 16:00:48 +0000 http://antizig.blogsport.de/2018/08/25/gruene-werfen-link-antiziganismus-vor/ Continue reading Grüne werfen Link Antiziganismus vor! ]]>

„Duisburgs Oberbürgermeister Sören Link fordert, dass die Bundesregierung endlich etwas dagegen tun müsse, dass es Armutsflüchtlinge in Europa gibt. Er spricht von kriminellen Schleppern, die Sinti und Roma nach Duisburg brächten und ihnen häufig eine heruntergekommene Wohnung verschafften, damit sie einen Wohnsitz zum Bezug des Kindergeldes hätten.“ Die Unterstellung, dass ein Großteil der EU-Ausländer sich durch Missbrauch massenhaft deutsches Kindergeld ergaunert, ist eine Unverschämtheit. Dazu äußert sich der Grüne Integrationspolitische Sprecher Melih Keser: „Das was Sören Link von sich gibt ist nichts anderes als Antiziganismus.“ Bereits 2015 sagte Link auf einer SPD-Flüchtlingskonferenz: „Ich hätte gerne das Doppelte an Syrern, wenn ich dafür ein paar Osteuropäer abgeben könnte.“ „Anscheinend hat der Oberbürgermeister ein antiziganistisches Trauma“, so Keser weiter. Wenden wir uns den Fakten zu: „Von den knapp 15,3 Millionen Kindern, für die im Juni 2018 Kindergeld bezahlt wurde, lebten mit den 268 336 Kindern nicht einmal zwei Prozent im europäischen Ausland. … Zur Jahresmitte 2018 wurde vor allem in sieben europäische Länder Kindergeld ausgezahlt. Die meisten Zahlungen gingen an Eltern von Kindern in Polen (117 000), gefolgt von Tschechien (21 000), Kroatien (19 000), Rumänien (knapp 19 000), Frankreich (16 000), Ungarn (knapp 11 000) und Bulgarien (knapp 7000). … Die zweitgrößte Gruppe der im EU-Ausland lebenden Kinder, für die Kindergeld gezahlt wird, bilden übrigens deutsche, 32 000 waren es im Juni 2018.“ (Barbara Galaktionow in der Süddeutschen Zeitung vom 9. August 2018) Von kriminellen Schleppern kann hier nicht die Rede sein. Diese Denkweise, die eine Menschengruppe als „kriminell“, kennzeichnet führt zu massiven Diskriminierungen der Minderheit. Die Herausforderung der Integration der Menschen aus Südosteuropa muss angepackt werden, kontraproduktiv ist es da, wenn ein Oberbürgermeister eine Minderheit zur Zielscheibe von potentieller Gewalt macht. Vielleicht ist Sören Link für den vorurteilsfreien Teil der SPD verloren. Wir wissen es nicht. Aber wir wissen es gibt sie, die klugen und empathischen, sozialen, demokratischen Mitglieder der SPD. Wie Aydan Özoguz, bis März 2018 Beauftragte der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration (SPD) : „Wann immer Sinti und Roma diskriminiert, diffamiert oder angegriffen würden, müssten Politiker deutlich machen, so die SPD-Politikerin, »dass es in unserer Gesellschaft keinen Zentimeter Platz für Antiziganismus geben wird…« Auch die SPD-interne Empörung über Link’s rechtspopulistisches Gedankenmodell wird nach außen sichtbar. Rassisten, Hetzer, Antiziganisten haben keinen Platz in einer Stadt, die BürgerInnen mit mehr als 150 internationalen Backgrounds hat. Diese eindimensionale Art des Denkens verliert auf allen Ebenen an Zuspruch. Für die Zukunft aller Duisburger ist das ein ausgesprochen gutes Zeichen. Die wichtige Frage muss doch sein: Welchen neuen Skandal versucht Sören Link mit seinem rechtspopulistischen Sturm im Wasserglas zu vertuschen?

Quelle: Grüne Diusburg Facebook
Stand: 25.08.2018

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Zentralrat wendet sich an SPD-Vorsitzende Andrea Nahles https://antizig.blackblogs.org/2018/08/25/zentralrat-wendet-sich-an-spd-vorsitzende-andrea-nahles/ Sat, 25 Aug 2018 15:59:04 +0000 http://antizig.blogsport.de/2018/08/25/zentralrat-wendet-sich-an-spd-vorsitzende-andrea-nahles/ Continue reading Zentralrat wendet sich an SPD-Vorsitzende Andrea Nahles ]]>

Distanzierung von rassistischen Äußerungen des Duisburger SPD-Oberbürgermeisters Link über Kindergeldzahlungen und Roma gefordert

Mit einem Schreiben an die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles reagierte der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma auf die fortgesetzte Debatte über die Zahlung von Kindergeld an ausländische Arbeitnehmer in Deutschland, deren Kinder in ihrem Heimatland leben. Rose unterstrich nochmals, daß selbstverständlich gegen jede Form des Betrugs ermittelt werden muß, und ebenso selbstverständlich muß jeder Mißbrauch von Leistungen unterbunden werden. Dies muß ohne Ansehen der Person geschehen, entsprechend den Vorgaben unseres Rechtsstaates. Romani Rose bittet die Parteivorsitzende Andrea Nahles um eine deutliche Distanzierung von den Äußerungen des Duisburger Oderbürgermeisters Sören Link. „Eine Partei mit einer Vielzahl von mir hochgeschätzten Politikern darf derartige rassistische Äußerungen nicht unwidersprochen lassen. Es kann nicht sein, daß einerseits auf den neuen Antisemitismus in Deutschland zu Recht mit der Berufung eines Bundesbeauftragten und mit neuen Programmen reagiert wird, und gleichzeitig aus den Reihen der SPD ein alter Antiziganismus wieder gesellschaftsfähig gemacht werden soll“, so Rose.

Oberbürgermeister Link hatte von kriminellen Schleppern gesprochen, die gezielt Sinti und Roma nach Duisburg bringen würden und ihnen eine häufig heruntergekommene Wohnung verschafften, damit sie einen Wohnsitz zum Bezug des Kindergeldes hätten. „Ich muss mich hier mit Menschen beschäftigen, die ganze Straßenzüge vermüllen und das Rattenproblem verschärfen. Das regt die Bürger auf.“ Mit dem Hinweis auf das Auftreten von „Ratten“ hatte vor Jahren der Darmstädter SPD-Oberbürgermeister Günther Metzger das, wie der Zentralrat damals kritisierte, „seit 1945 schlimmste Beispiel für Rassismus“ geliefert. Die Argumentation von Oberbürgermeister Link nimmt dieses zutiefst rassistische Bild auf und verbindet es mit dem Vorwurf des Betrugs und unhygienischer Lebensweise, die Ratten anziehe. Durch diese Äußerungen des Duisburger SPD-Oberbürgermeisters sei ein immenser Schaden für die Minderheit und für das gesellschaftliche Zusammenleben entstanden. Der Oberbürgermeister mache durch eine gezielte, an der Abstammung festgemachte Kennzeichnung die Angehörigen der Minderheit zur alleinigen Ursache dieses Problems. „Dies steht in der Tradition der Herstellung von Sündenböcken und birgt, gerade jetzt, die Gefahr von Gewalt gegen Sinti und Roma in Deutschland“, schrieb Romani Rose an die Parteivorsitzende. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma hatte unmittelbar nach der in den Medien erschienenen Äußerungen des Duisburger Oberbürgermeisters eine Vielzahl von Haß-Mails erhalten, zum Teil mit massiver Gewaltandrohung.

Rose kritisierte auch die Darstellung der Debatte in einem Teil der Medien. So habe die Tagesschau die von der Bundesregierung genannten Zahlen in einer unsauberen und manipulativen Weise in ein Diagramm übersetzt, so daß der Zuwachs an Kindergeldempfängern im Ausland von 2017 auf 2018 fast 100% zu betragen schien; auf einer korrekten Skala von 0 bis 300.000 wäre der Zuwachs im Säulendiagramm deutlich geringer und entspräche dem tatsächlichen Verhältnis. Rose warf dem SPD-Oberbürgermeister Link außerdem vor, eine auf die Abstammung rekurrierende völkische Sortierung von Menschen vornehmen zu wollen; dies verbiete aber das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland aus der Erfahrung der Geschichte. „Roma sind Staatsbürger in ihren jeweiligen Herkunftsländern, in denen sie seit Jahrhunderten leben. Es gibt in Deutschland tausende Roma aus Rumänien oder Bulgarien, die hier arbeiten und Sozialbeiträge zahlen. Ich kenne Heidelberg und Umgebung recht gut, und ich weiß, daß aktuell die Heidelberger Hauptstraße unweit unseres Dokumentationszentrums neu gepflastert wird – von Bautrupps aus Rumänien, unter denen die meisten Arbeiter Roma sind. Wer in der Saison hier Spargel kauft, der weiß, daß inzwischen die Arbeiterinnen und Arbeiter, die den Spargel stechen, meist aus Rumänien oder Bulgarien kommen – und auch hier sind oft viele der Arbeiter Roma, die hier in die Sozialversicherungen einzahlen“, so Rose.

Romani Rose bat die Parteivorsitzende Andrea Nahles auch, an der von ihr für Ende September 2018 in Berlin geplanten Konferenz jener Städte, aus denen Klagen über die Zahlung von Kindergeld an Ausländer gekommen sind, teilnehmen zu können. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma kenne selbstverständlich die Situation in einer Reihe von Städten und auch die Probleme, die vorwiegend durch sogenannte „Problemimmobilien“ entstehen. Hier bestehe in der Tat Handlungsbedarf – auch in Duisburg wäre der dortige Oberbürgermeister gefordert – um diese kriminellen Formen von Mietwucher, Leiharbeit und oft genug auch anderen Formen krimineller Ausbeutung zu unterbinden, so Rose.

Quelle: Zentralrat deutscher Sinti und Roma
Stand: 25.08.2018

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Sinti und Roma üben scharfe Kritik an Duisburger Oberbürgermeister https://antizig.blackblogs.org/2018/08/25/sinti-und-roma-ueben-scharfe-kritik-an-duisburger-oberbuergermeister/ Sat, 25 Aug 2018 15:57:04 +0000 http://antizig.blogsport.de/2018/08/25/sinti-und-roma-ueben-scharfe-kritik-an-duisburger-oberbuergermeister/ Continue reading Sinti und Roma üben scharfe Kritik an Duisburger Oberbürgermeister ]]>

36 Milliarden Euro Kindergeld fließen pro Jahr an Eltern in Deutschland. Weil mehrere Hundert Millionen davon an Empfänger im EU-Ausland gehen, schlug Duisburgs Rathauschef Sören Link Alarm. Dafür hagelt es jetzt Kritik.

Die Aussagen hatten es in sich: Duisburgs SPD-Oberbürgermeister Sören Link hatte kritisiert, dass kriminelle Schlepper gezielt Sinti und Roma in seine Stadt bringen würden. Dort würden sie in heruntergekommenen Wohnungen untergebracht – mit vor allem einen Ziel: Sie wollten mit ihrem deutschen Wohnsitz Kindergeld beziehen. Der Vorwurf sorgt jetzt für Empörung. Der Vorsitzende des Zentralrats der Sinti und Roma, Romani Rose, kritisierte Links Aussagen scharf. „Hier werden rassistische Stereotype gezielt benutzt, um Sündenböcke zu produzieren – selbst auf die Gefahr von Gewaltanschlägen hin“, sagte Rose. Der Duisburger Rathauschef hatte unter anderem auch gesagt: „Ich muss mich hier mit Menschen beschäftigen, die ganze Straßenzüge vermüllen und das Rattenproblem verschärfen. Das regt die Bürger auf.“ Link sieht kriminelle Energie und viel Betrug durch gefälschte Dokumente am Werk. Oft wisse man gar nicht, ob die gemeldeten Kinder überhaupt existierten. Das widerspreche dem Sinn der europäischen Freizügigkeit. „Denn die kommen nicht hierher in erster Linie, um zu arbeiten.“

Städtetag dringt auf rasche Reform

Der Deutsche Städtetag dringt auf eine rasche Reform. „Das Kindergeld sollte sich daran orientieren, was Kinder in ihrem tatsächlichen Aufenthaltsland brauchen, und nicht die Höhe aufweisen, die in einem anderen Land am Wohnsitz ihrer Eltern gezahlt wird“, sagte Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy. Er warnte zugleich vor Stimmungsmache. „Die meisten Menschen aus Südosteuropa sind in Deutschland gut integriert.“ Das Thema ausländischer Kindergeldempfänger bewegt seit Langem die Gemüter, gewinnt jetzt aber an Dynamik. Die Zahl ausländischer Kindergeldempfänger hat nämlich stark zugenommen und wegen der hohen Kosten Forderungen nach einer raschen Reform verstärkt. „Im Juni 2018 wurde für 268.336 Kinder, die außerhalb von Deutschland in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum leben, Kindergeld gezahlt“, sagte ein Sprecher des Bundesfinanzministeriums. Das ist eine Zunahme um 10,4 Prozent. Ende 2017 lag die Zahl noch bei 243.234 Kindergeldempfängern im EU-Ausland. Die für die Auszahlung des Kindergelds zuständige Familienkasse der Bundesanstalt für Arbeit (BA) bestätigte, dass Betrugsfälle zuletzt vor allem in Nordrhein-Westfalen festgestellt worden seien, dies sei aber kein Massenphänomen. Man habe kürzlich mit den Behörden in Wuppertal und Düsseldorf 100 Verdachtsprüfungen durchgeführt und in 40 Fällen fehlerhafte Angaben festgestellt. „Die Summe des in diesen 40 Fällen unberechtigt bezogenen Kindergelds lag bei 400.000 Euro.“

2017 wurden bereits 343 Millionen Euro an Kindergeld auf Konten im Ausland überwiesen. Wobei auch deutsche Empfänger Konten im Ausland haben können. Denn in der Statistik der Empfänger im Ausland werden auch rund 31.000 deutsche Staatsbürger aufgeführt. Während deren Zahl jedoch seit Jahren konstant bleibt, ist die Zahl polnischer Empfänger seit 2017 um fast 15.000 gestiegen, aus Tschechien sind es etwa 5000 mehr und aus Rumänien knapp 2000. Der Vorsitzende der CSU-Fraktion im Bayerischen Landtag, Thomas Kreuzer, forderte die SPD auf, sich einer Bundesratsinitiative Bayerns anzuschließen, die auf eine Eindämmung der Zahlungen im EU-Ausland abzielt. Ein Sprecher von Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) betonte, die Regierung setze sich für eine europäische Lösung ein, die die unterschiedlichen Lebenshaltungskosten in den EU-Staaten bei der Zahlung von Familienleistungen berücksichtige. Im Juni gab es insgesamt 15,29 Millionen Kinder, für die Kindergeld vom deutschen Staat gezahlt wurde. Pro Jahr fließen 36 Milliarden Euro Kindergeld.

Stand: 25.08.2018
Quelle: Welt.de

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