antinationale position – Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz https://astendenz.blackblogs.org Es lebe die Möglichkeit der klassen- und staatenlosen Weltgemeinschaft! Sat, 29 Mar 2025 08:39:57 +0000 de-CH hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 IV. SozialrevolutionärInnen in nichtrevolutionären Zeiten https://astendenz.blackblogs.org/2025/03/29/iv-sozialrevolutionaerinnen-in-nichtrevolutionaeren-zeiten/ Sat, 29 Mar 2025 08:39:51 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=330 1. Die Organisation der SozialrevolutionärInnen

Um Missverständnisse zu vermeiden: In diesem Kapitel geht es nicht um die revolutionäre Klassenkampforganisation – die sich möglicherweise in und mit der Revolution entwickeln kann (siehe Kapitel V.3). Hier geht es um die Organisation der SozialrevolutionärInnen in nichtrevolutionären Zeiten. Die Funktion der revolutionären Klassenkampforganisation ist es, die Revolution zu machen, die Aufgabe der Organisation der SozialrevolutionärInnen in nichtrevolutionären Situationen ist es, die Möglichkeit der Revolution praktisch-geistig vorzubereiten.

Es gehört zu den Gepflogenheiten sowohl von MarxistInnen-LeninistInnen/TrotzkistInnen als auch von AnarchosyndikalistInnen, in ihrer Praxis und Ideologieproduktion die Unterschiede zwischen der möglichen revolutionären Klassenkampforganisation und der heute notwendigen Organisation der SozialrevolutionärInnen in nichtrevolutionären Zeiten zu verwischen. Sie streben bereits in nichtrevolutionären Zeiten den Aufbau von „revolutionären Parteien“ oder „revolutionären Gewerkschaften“ an, die sie als Klassenkampforganisationen verstehen. Der systematische „Fehler“ des Marxismus-Leninismus/Trotzkismus und Anarchosyndikalismus in der Organisationsfrage ergibt sich aus zwei Tatsachen. Erstens sind Parteien und Gewerkschaften keine revolutionären Organisationen, sondern bürgerlich-bürokratische Gebilde der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung, die nur den Kapitalismus reproduzieren können. Parteien und Gewerkschaften sind strukturell sozialreformistisch und damit latent konterrevolutionär, wie die Geschichte und Gegenwart von „revolutionären“ Parteien und Gewerkschaften bewies und beweist. Zweitens kann die wirkliche revolutionäre Klassenkampforganisation nicht mechanisch in nichtrevolutionären Zeiten aufgebaut werden.

Selbstverständlich gibt es in den marxistisch-leninistischen/trotzkistischen Parteien und anarchosyndikalistischen Gewerkschaften Menschen, die sich subjektiv ehrlich als SozialrevolutionärInnen verstehen, sie sind aber objektiv in nicht revolutionär sein könnenden Organisationen desorganisiert. Der gewerkschaftsfeindliche und antipolitische Kommunismus kann nur den von ihm beeinflussten und inspirierten SozialrevolutionärInnen Anregungen und Denkanstöße für deren Organisation in nichtrevolutionären Zeiten geben.

SozialrevolutionärInnen können und müssen sich in nichtrevolutionären Zeiten in antipolitisch-sozialrevolutionären Gruppen ohne bürokratische Apparate selbst organisieren. Die Organisation der SozialrevolutionärInnen beteiligt sich weder am Politrummel der freien Wahlen so wie marxistisch-leninistische und trotzkistische Parteien, noch organisiert sie das Tarifvertragssystem als Mitverwaltung der Lohnarbeit mit so wie anarchosyndikalistische Gewerkschaften. Sie nehmen selbstverständlich auch nicht an den Wahlen von legalistisch-reformistischen Betriebs- und Personalräten teil. Die Organisation der SozialrevolutionärInnen koordiniert die scharfe Kritik am Kapitalismus und institutionalisierter ArbeiterInnenbewegung. Diese Kritik kann in nichtrevolutionären Zeiten nur ansatzweise in Form der revolutionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes zur materiellen Gewalt werden. Die Organisation der SozialrevolutionärInnen kann und muss die revolutionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes bewusst zum Ausdruck bringen. Sie soll ihren Mitgliedern helfen, aktiv und bewusst am Klassenkampf teilzunehmen (siehe Kapitel IV.2).

SozialrevolutionärInnen müssen sich selbst ohne bürgerlich-bürokratische Apparate organisieren. In ihr ist kein Platz für von ihrer Organisation bezahlte hauptamtliche FunktionärInnen. Das würde nur das BerufspolitikerInnen- und Bonzentum in ihren Reihen reproduzieren. Allerdings haben die einzelnen SozialrevolutionärInnen unterschiedliche praktische und geistige Fähigkeiten sowie unterschiedlich viel Zeit für ihre Organisation. Dies kann zu bürokratischen und autoritären Tendenzen führen. Die Organisationen der SozialrevolutionärInnen müssen deshalb einen permanenten Kampf gegen Bürokratisierungstendenzen führen.

Organisationsform der SozialrevolutionärInnen kann nicht der Zentralismus sein, Dieser ist eine staatsförmige Organisationsform. Sozialrevolutionäre Individuen und Gruppen müssen sich in Föderationen zusammenschließen. Diese Föderationen dürfen nicht an Ländergrenzen halt machen, sondern einen globalen Anspruch haben, auch wenn sie diesem am Anfang noch nicht oder nur eingeschränkt entsprechen können. Sozialrevolutionäre Gruppen können auf der Basis einer gemeinsamen theoretischen Tätigkeit, aber bei räumlicher Trennung gegründet werden. Auch die Organisation in Ortsgruppen ist möglich und wünschenswert. Die Herausbildung revolutionärer Betriebsgruppen ist dagegen auf Grund der heutigen zahlenmäßigen Schwäche der SozialrevolutionärInnen sehr schwierig, sind aber eine Möglichkeit der Zukunft.

Was dagegen SozialrevolutionärInnen lassen sollten, ist sich auf der Grundlage des Geschlechtes oder der Hautfarbe – zum Beispiel in Form von Frauengruppen oder solchen von „Schwarzen“ – zu organisieren. Rassismus und Sexismus können nicht durch eine Identitätspolitik bekämpft werden – die vielmehr Ausdruck des Konkurrenzkampfes aller gegen alle ist – sondern nur durch den sozialrevolutionären Universalismus, der sich auf die mögliche Herausbildung des Weltproletariats als eine feste globale Kampf- und Solidargemeinschaft stützt, die sich vielleicht selbst aufhebt und in einer klassen- und staatenlosen Weltgemeinschaft aufgeht. Auch die Organisation der SozialrevolutionärInnen in nichtrevolutionären Zeiten strebt bewusst die eigene Aufhebung und das Aufgehen in der revolutionären Klassenkampforganisation des Weltproletariats und schließlich in der globalen klassen- und staatenlosen Gesellschaft als Möglichkeit an.

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9. Die Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz https://astendenz.blackblogs.org/2025/02/27/9-die-antipolitisch-sozialrevolutionaere-tendenz/ Thu, 27 Feb 2025 19:48:28 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=315 Das sozialrevolutionäre Netzwerk von Einzelprojekten, das im Jahre 2022 sich den Namen Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST) gab und diese Plattform veröffentlichte, hatte davor bereits eine zwei Jahrzehnte währende Geschichte.

Im Jahre 1999 trennten sich die miteinander befreundeten Genossen Red Devil aus Lübeck und Nelke aus Bad Salzungen (Thüringen) endgültig von der trotzkistischen Politideologie und entwickelten sich Richtung Rätekommunismus. Red Devil und Nelke hatten auch Kontakt zu Cajo Brendel, der nicht nur in ihrer Erinnerung weiterlebt.

In Lübeck entwickelte sich Revolution Times/Bibliothek des Widerstandes – wobei es Revolution Times schon vorher als rotes Skinheadfanzine gab. In der Bibliothek des Widerstandes erschienen zwischen 2000 und 2010 insgesamt 13 Broschüren. Unter anderem: 17 Juni 1953 – Arbeiteraufstand oder Konterrevolution? (August 2000), Die Kronstadt-Rebellion. Alle Macht den Sowjets, nicht den Parteien! (Januar 2001), Auschwitz als Alibi. Kritik des bürgerlichen Antifaschismus (Januar 2001), Frankreich 1968: Rebellion im Herzen der Bestie (Januar 2002), Zur Kritik der Arbeiterbewegung, des Marxismus und der Linken (März 2004) und Die Demokratie ist die Diktatur des Kapitals – Eine kommunistische Kritik der Demokratie (2009). Sehr verdienstvoll war auch die Herausgabe der Dokumente der Revolutionären Kommunisten Deutschlands unter dem Titel „Gegen den Strom!“ (Januar 2008) und die Wiederveröffentlichung des Textes von Accion Proletaria Spanien 1936/37. Der Mythos der „anarchistischen Kollektive (In: Red Devil (Hg.), Widerworte – Gegen die kapitalistische Verfasstheit der Gesellschaft. Historische Texte, Lübeck Februar 2010).

In Bad Salzungen gab Nelke 2000/2001 fünf Nummern der rätekommunistischen Zeitung Soziale Befreiung heraus. Nr. 1 und Nr. 5. waren Sammlungen verschiedener Texte, auch von anderen AutorInnen. So waren in der Nr.1 von Januar 2000 auch die oben erwähnte Schrift von Red Devil über die Kronstadt-Rebellion und der Text Rätedemokratie statt Parteidiktatur von Cajo Brendel enthalten. Nr. 2 bis Nr. 4. waren Einzeltexte von Nelke: Leo Trotzki und der sowjetische Staatskapitalismus, Charaktermasken des bürgerlichen Nationalismus sowie Vom Parteimarxismus zum Rätekommunismus.

Letzterer Text brachte auch den eigenen Entwicklungsweg von Nelke – und dessen Fehler – zum Ausdruck. Die zwei größten Fehler von Nelke waren, dass er damals die Begriffe „ArbeiterInnendemokratie“ und „proletarischer Antifaschismus“ benutzte. Das waren geistige Unklarheiten. Der Begriff Demokratie für die parlamentarische Herrschaftstechnik ist mit Absicht klassenneutral, eben „Volksherrschaft“. Der Begriff der „ArbeiterInnendemokratie“, also „ArbeiterInnenvolksherrschaft“ ist ein Ausdruck geistig-begrifflicher Unklarheit. Hier wird der Klassenbegriff „ArbeiterInnen“ mit dem klassenneutralen des „Volkes“ verbunden. Später ersetzte Nelke den Begriff „ArbeiterInnendemokratie“ durch den von der „klassenkämpferischen Selbstorganisation beziehungsweise revolutionären Selbstaufhebung des Proletariats“. Auch der Begriff „proletarischer Antifaschismus“ war unklar. Später wurde er durch die Begriffe „revolutionärer Kampf gegen den Faschismus als untrennbarer Teil des Antikapitalismus“ und „Gegen Nazis – aber ohne Antifaideologie“ überwunden. Durch Diskussionen mit anderen GenossInnen und Selbstkritik konnte Nelke diese Fehler aus den Jahren 2000/2001 konsequent überwinden. Er entschloss sich die Nr. 1 bis Nr. 5 der Sozialen Befreiung aufgrund der geistigen Unklarheiten nicht mehr herauszubringen.

Im Jahr 2002 veröffentlichte Nelke im Eigenverlag die Schrift Der Terror des Kapitals. Diese wurde im Jahre 2005 von dem anarchosyndikalistischen Medienvertrieb Syndikat A als Buch herausgegeben. Nach der Veröffentlichung dieses Buches geriet Nelke bis Ende 2011 in eine Periode des schöpferischen Chaos. Er schrieb zwar viel, aber er fand lange keinen Rahmen – bis ab Februar 2012 wieder regelmäßig Broschüren der Sozialen Befreiung erschienen. Unter anderem: Drei Kräfte gegen das Proletariat: Der Staat, die Nazis und der Antifaschismus (Februar 2012), die Trilogie über die Sowjetunion aus dem Jahre 2012 (Der sowjetische Staatskapitalismus und Imperialismus (1917-1991), Schriften zur Russischen Revolution (1917-921) und Der Marxismus und die Sowjetunion), Der Kampf des jüdischen Proletariats (1900-1945) im März 2013, Der spanische BürgerInnenkrieg (1936-1939) im September 2014, Die revolutionäre Nachkriegskrise in Deutschland (1918-1923) im November 2014, Coronaviruspandemie und Klassenkampf (Juli 2020), Politik und Antipolitik (August 2021) und 1921-2021: 100 Jahre parteifeindlicher Kommunismus (September 2021). Auch erschienen mehrere Zweiteiler, beispielsweise über Frauen im Kapitalismus (Juni 2016)sowie Kommunismus und Feminismus (Juli 216), oder Der chinesische Kapitalismus (November 2015 und Februar 2016), Klassenkämpfe in der BRD (Mai und Juli 2017) und Aufstieg und Niedergang des US-amerikanischen Kapitalismus (November 2021 und Januar 2022) Außerdem erschienen die unregelmäßigen Serien Schriften zum Klassenkampf, Antinationale Schriften und Globale Klassenkämpfe bei Sozialer Befreiung – mit logistischer und verlegerischer Unterstützung von GenossInnen aus Nürnberg, über die weiter unten in diesem Kapitel noch mehr zu lesen sein wird.

Die Genossen Red Devil und Nelke gründeten 2000 die Unabhängigen Rätekommunisten als Zusammenschluss von Bibliothek des Widerstandes und Soziale Befreiung. Im Jahr 2000/2001 erschien das erste Flugblatt unserer Gruppierung Es bleibt dabei: Auch demokratischer Kapitalismus bedeutet Ausbeutung und Unterdrückung. Eine Anmerkung von Red Devil zu diesem Flugblatt aus dem Jahre 2005 bringt die permanente geistige Weiterentwicklung und schöpferische Selbstkritik unserer Tendenz zum Ausdruck: „Die Leserschaft sehe es uns nach: In diesem unserem ersten Flugblatt haben wir noch einen enormen Ballast, jede Menge Altlasten unserer politischen Herkunft mit uns herumgetragen. Wir würden es heute nicht mehr so schreiben, sehen vieles anders, haben unsere Kritik verschärft und begriffliche Unklarheiten, die zugleich oft inhaltlich waren, überwunden. Die Leserschaft sehe gerade dieses Flugblatt als ein historisches Dokument und einen Beleg, der zeigt, wie schwer es ist, mit Traditionen zu brechen, dass es aber gleichzeitig möglich ist, dies zu tun. Es zeigt wie sehr wir damals noch der Linken nahestanden (trotz aller Kritik). Aber Grundlinien unserer Orientierung sind darin bereits vorhanden. Einige Änderungen vollzogen wir über die Zeit bereits: So wich z.B. das Wort ,Marxismus‘ der Formulierung ,historischer Materialismus‘, ,Sozialismus‘ dem Wort ,Kommunismus‘. Von ,demokratischen und sozialen Rechten‘ würden wir heute auch nicht mehr sprechen.“ (Red Devil, in einer Anmerkung zu Es bleibt dabei: Auch demokratischer Kapitalismus bedeutet Ausbeutung und Unterdrückung!, in: Derselbe: Widerworte – Gegen die kapitalistische Verfasstheit der Gesellschaft (2000-2005), Bibliothek des Widerstandes, Lübeck 2006, S. 4/5.)

Im Verlaufe des Jahres 2001 konnten die Unabhängigen Rätekommunisten neue einzelne Mitglieder in Frankfurt am Main, Nürnberg und aus der Nähe von Hannover gewinnen. Diese Einzelmitglieder sind heute aus verschiedenen Gründen nicht mehr dabei. Sie waren eine Zeitlang WeggefährtInnen, die wesentliches zu unserer Tendenz beitrugen. Wir denken respektvoll und dankbar an sie.

Am 30. November 2002 hielten wir auf einer Veranstaltung, die vorwiegend von linkskommunistischen Organisationen und Strömungen organisiert wurden, unseren Vortrag Der bürgerliche Charakter des Bolschewismus (abgedruckt in: Red Devil, Widerworte – Gegen die kapitalistische Verfasstheit der Gesellschaft, Grundlegende Texte, Bibliothek des Widerstandes, Lübeck 2008, S. 16-32). Die LinkskommunistInnen, besonders von der IKS, versuchten vergeblich gegen unsere harte Kritik am staatskapitalistischen Lenin/Trotzki-Regime den Mythos vom bolschewistischen Oktoberstaatsstreich als angeblicher „proletarischer Revolution“ zu verteidigen. Wir überwanden in diesem Vortrag auch schon die schematischen Tendenzen von Cajo Brendel bei der Analyse der Russischen Revolution.

Im März 2002 jährte sich die Bombardierung Lübecks im Zweiten Weltkrieg zum sechzigsten Mal. Sowohl die NeofaschistInnen als auch die AntifaschistInnen organisierten Veranstaltungen, in denen beide Seiten den imperialistischen Charakter dieses Großgemetzels leugneten. Wir von den Unabhängigen Rätekommunisten machten diesen in unserem Flugblatt Es gibt keine richtige Seite in einem imperialistischen Krieg deutlich, in dem wir den Antifaschismus als imperialistische Kriegsideologie hart angriffen. Dieses Flugblatt wurde auf der Antifademo in Lübeck verteilt. Im Oktober 2003 verteilten wir unser sehr wichtiges Flugblatt Recht auf Faulheit? Recht auf Arbeit? Nieder mit der Lohnarbeit! auf einer zentralen Gewerkschaftsdemonstration in Berlin.Es war ein Schlag in das Gesicht aller SozialreformistInnen, die die kapitalistische Ausbeutung „sozialverträglich“ mitgestalten wollen. (Beide Flugblätter sind abgedruckt in: Widerworte – Gegen die kapitalistische Verfasstheit der Gesellschaft (2000-2005), a.a.O., S. 9-19 und S. 28-33).

2004 organisierten Menschen aus Österreich eine Vortragsreise von GenossInnen unserer Tendenz durch dieses Land, in der wir unsere Positionen darlegten und diskutierten. Im gleichen Jahr erschien auch die wichtige Broschüre Zur Kritik der Arbeiterbewegung, des Marxismus und der Linken von Red Devil. In dieser Broschüre wird bereits Marx/Engels und auch der historische Rätekommunismus konsequent kritisiert. Der damalige Name unserer Gruppe, nämlich Unabhängige Rätekommunisten, stimmte immer weniger mit unseren Positionen überein. Wir ließen den Rätekommunismus hinter uns. Unsere Strömung entwickelte sich über ihn hinaus. Wir suchten einen anderen Namen, gaben uns aber keinen neuen. Der alte Name wurde einfach abgelegt. Später wurde der Begriff „sozialrevolutionäres Netzwerk“ benutzt.

Im Verlauf des Jahres 2004 entwickelte sich in Deutschland auch eine sozialreformistische Bewegung gegen die Einführung von Arbeitslosengeld II, besonders in Form von Montagsdemonstrationen. Diese Bewegung war natürlich zu schwach und zu zahm, um die staatlichen Angriffe wirklich zurückzuschlagen. GenossInnen aus Bad Salzungen und Nürnberg verteilten auf einer Demonstration in Nürnberg im November 2004 das Flugblatt Montagsdemos – Erfolgversprechender sozialer Protest? In diesem Flugblatt kritisierten wir die Beschränkung auf die Straße, getrennt vom Klassenkampf, und die sozialreformistische Orientierung. Es war mit Einige sozialrevolutionäre ArbeiterInnen und Arbeitslose unterzeichnet. Selbstverständlich nahmen lohnarbeitende Mitglieder unserer Tendenz auch am Klassenkampf teil. Im Oktober 2006 organisierte die DGB-Bonzokratie in mehreren deutschen Städten lahme Protestdemos. Unsere Tendenz verteilte während dieser in Frankfurt am Main und München das Flugblatt Wir wollen leben, nicht länger nur überleben, in dem wir die Rolle der Gewerkschaften als Co-Mangerinnen der Ausbeutung hart kritisierten (abgedruckt in: Red Devil, Widerworte – Gegen die kapitalistische Verfasstheit der Gesellschaft (2006-2007), Bibliothek des Widerstandes, Lübeck 2007, S. 32-36).

Bei Faschoaufmärschen in Bad Salzungen und Nürnberg während der 2000er Jahre bekämpften wir sowohl den Neofaschismus als auch das demokratische System und standen damit im totalen Gegensatz zum linksbürgerlichen Antifaschismus, der sich als Verteidiger der Demokratie als kapitalistischer Staatsform inszeniert. Wir verteilten bei diesen Anlässen unser Flugblatt Kein Bock auf Nazis und Demokratie auf Antifademonstrationen in Bad Salzungen, Nürnberg und Berlin. Damit konfrontierten wir den Antifaschismus mit revolutionärer Kritik (abgedruckt in Gruppe Sozialer Widerstand, Texte zum Widerstand, Nürnberg 2011, S. 19-22).

Im Februar 2010 wurde unsere Tendenz von AnarchistInnen aus der Schweiz zu den Anarchietagen in Winterthur eingeladen. Wir hielten dort unseren Vortrag Die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats (veröffentlicht in Texte zum Widerstand, a.a.O., S. 34-41). Während der Anarchietage kam es zu einem heftigen Schlagabtausch zwischen uns und der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft FAU, deren Opportunismus, Reformismus und Gewerkschaftsfetischismus wir scharf kritisierten.

Ab März 2010 entwickelte sich in Nürnberg das zuerst von zwei GenossInnen getragene Projekt Sozialer Widerstand. Zwischen 2011 und 2015 bildete sich in dieser Stadt auch eine Ortsgruppe – mindestens drei Mitglieder – unserer Tendenz. Die Gruppe Sozialer Widerstand machte wichtige praktische Erfahrungen, zum Beispiel in der Solidarität mit Geflüchteten, bei der Organisation von öffentlichen Veranstaltungen und beim Agieren auf Gewerkschafts- und sozialen Protestdemonstrationen. Bei den von uns organisierten öffentlichen Veranstaltungen in Nürnberg knüpften wir an den sozialen Alltagserfahrungen unserer Klasse an. Zum Beispiel in der Veranstaltung Der eine bekommt einen Scheißjob und der andere eben nicht. Doch wir blieben bei diesen proletarischen Alltagserfahrungen selbstverständlich nicht stehen, sondern entwickelten revolutionäre Perspektiven und diskutierten diese. Maßstab für den Erfolg unserer Veranstaltungen war für uns stets, wie weit es uns gelang, dass ProletarierInnen außerhalb der linken Politszene sie besuchten. Diesem Maßstab wurden wir mal mehr, mal weniger und manchmal überhaupt nicht gerecht. 2015 brach die Gruppe Sozialer Widerstand als Ortsgruppezusammen. Sozialer Widerstand ist aber noch als Projekt aktiv.

Unsere Tendenz stellte auch regelmäßig ihre Publikationen auf der Linken Literaturmesse in Nürnberg vor, die jeweils im Spätherbst stattfindet. Auf dieser griffen wir die linkspolitische Ideologieproduktion immer von unserem konsequent antipolitischen Standpunkt aus an. Als wir auf der Linken Literaturmesse 2016 unsere Broschüre Der spanische BürgerInnenkrieg (1936-1939) vorstellen wollten, war das für die Linksreaktion zu viel. Sie wollte uns das Maul stopfen, um unsere revolutionäre Kritik am sozialreaktionären Antifaschismus zu ersticken. Zuerst versuchte sie auf einem Treffen der Verlage unsere Veranstaltung zu verhindern, was ihr aber nicht gelang. Auf dem Treffen der Verlage, wo auch unsere Tendenz anwesend war, hetzte besonders die linksreaktionäre Tageszeitung junge Welt gegen uns. Sie stellte unsere revolutionäre Kritik am Antifaschismus mit der bürgerlich-antikommunistischen Totalitarismus-Ideologie auf eine Stufe. Auf dem Treffen der VerlegerInnen gelang es diesen Herren und Damen jedoch nicht unsere Veranstaltung zu verhindern.

Das taten dann die Volksfront-AntifaschistInnen, besonders die von der VVN-BdA, die sonst im normalen politischen Tagesgeschäft mit ganz breiten Bündnissen die kapitalistische Demokratie gegen „rechts“ verteidigen. Wobei natürlich das, was als „rechts“ zu gelten hat, die Antifa des Kapitals bestimmen will. So verleumdete die VVN-BdA uns SozialrevolutionärInnen als „rechte Provokateure“. Dass der VVN-BdA von der rechten Fraktion des Kapitals als „linksextremistisch“ beschimpft wird, das hat diese Truppe nun wirklich nicht verdient. Wo sie sich doch bei der Verteidigung der Demokratie so reinhängt. Der VVN-BdA ist der wahre antifaschistische Verfassungsschutz dieses Landes! Als solcher verhinderte er durch seine zahlenmäßige Überlegenheit in Form von Sabotage und ständige Störung unsere Veranstaltung. Wir wollten durch diese den sozialreaktionären Charakter des Antifaschismus aufzeigen. Das tat jetzt der VVN-BdA und andere Antifa-Idioten selbst, indem sie unsere Veranstaltung boykottierten. Vielen Dank dafür! Auch wenn sie nicht auf der Literaturmesse anwesend waren, gab uns doch die bekundete Solidarität von linkskommunistischen Strömungen und Gruppen aus Deutschland, den Niederlanden und aus Frankreich viel Kraft.

In den Niederlanden ist seit Dezember 2011 das von einem Einzelgenossen getragene Projekt des Sociaal Revolutionäire Vonk als Teil unserer Tendenz aktiv. Es organisierte im Jahre 2017 zusammen mit LinkskommunistInnen ein Treffen zur Russischen Revolution. Auf dieser hielt der Genosse ein Vortrag und die Unterschiede zum Linkskommunismus wurden deutlich.

Seit Juni 2010 gehört das Internetforum in russischer Sprache, tenox.livejournal.com zu unserer Tendenz. Durch seine Aktivitäten stieß ein Einzelgenosse aus Russland zu uns. Das Internetforum auf Armenisch, rgfront.livejornal.com, existiert seit Oktober 2011.

Fazit: Sehr wenig Leute haben also relativ viel auf die Beine gestellt. Das entspricht den Anforderungen an SozialrevolutionärInnen in nichtrevolutionären Zeiten. Und wir haben auch noch einiges vor. Wir wollen zusammen mit anderen sozialrevolutionären Individuen, Gruppen und Tendenzen langfristig eine globale antipolitisch-sozialrevolutionäre Strömung hervorbringen. Diese kann nicht mechanisch aufgebaut werden, sondern kann nur vielleicht im dynamischen Wechselverhältnis mit der Radikalisierung des Klassenkampfes entstehen. Notwendig ist sie als Teil der Radikalisierung des Weltproletariats auf jeden Fall!

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Keine Stimme für die Demokratie! https://astendenz.blackblogs.org/2025/02/13/keine-stimme-fuer-die-demokratie/ Thu, 13 Feb 2025 12:37:48 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=301 Zu den vorgezogenen Bundestagswahlen am 23. Februar 2025

Der demokratische Politrummel präsentiert mal wieder: Freie Wahlen

Wenn überall in den Städten und Dörfern unseres geliebten Staates Plakate mit den Gesichtern unserer noch mehr geliebten BerufspolitikerInnen hängen, wir bei Veranstaltungen ihren klugen Reden lauschen, dann wissen wir alle: Eine Sternstunde der Demokratie naht mal wieder. Freie Wahlen!

In der auch wir regierten ProletarierInnen – sowohl lohnabhängige als auch erwerbslose – durch die Stimmen-Arithmetik mitentscheiden können, wer den nationalkapitalistischen Saftladen Deutschland regiert. Regierte ProletarierInnen können ein klein wenig mitentscheiden, wer von den BerufspolitikerInnen, welche politische Parteien sie (mit)regieren! Was für ein gewaltiger zivilisatorischer Fortschritt!!! Kann es in der ganzen Galaxis etwas Schöneres geben als unsere Demokratie? Nur StaatsfeindInnen können diese Frage mit ja beantworten!

Was alles nicht durch demokratische Wahlen entschieden wird

Bei der demokratischen Herrschaftstechnik der freien Wahlen ist sehr entscheidend, was alles nicht durch sie entschieden wird. Prozesse, deren Reproduktion die Grundlage des billigen Polittheaters darstellen. Die sozialökonomische Basis der freien Wahlen ist die kapitalistische Produktionsweise. Wir ProletarierInnen sind getrennt von den Produktionsmitteln, die kleinbürgerliches, kapitalistisches oder staatliches Eigentum darstellen. So können wir keine Produkte für uns selbst herstellen. Fast alle Güter und Dienstleistungen kosten im Kapitalismus Geld. Also müssen wir irgendwie Geld verdienen. ProletarierInnen können nur Geld verdienen, wenn sie ihre Arbeitskraft an produktions- und handelsmittelbesitzenden KleinbürgerInnen, KapitalistInnen oder den Staat vermieten.

Kapitalistische und kleinbürgerliche Unternehmen mieten unsere Arbeitskräfte nur an, wenn wir in Form der Preise der Waren und Dienstleistungen mehr Geld produzieren als deren Produktion kostet. Wir müssen also an der Arbeit mehr Geld produzieren (Landwirtschaft, Industrie und die produktiven Sektoren der Dienstleistungsbranchen) beziehungsweise realisieren (Handel, Banken und Versicherungen), als unser Lohn sowie die Produktionsmittel (Rohstoffe, Halbfabrikate, Werkzeuge, Maschinen und Anlagen) und die Handelsmittel (Waren und Kredite) kosten. Das ist der Mehrwert, den sich unsere AusbeuterInnen in die eigene Tasche stecken. Wir können grundsätzlich nur dann unsere Arbeitskraft vermieten, wenn sie das Geld unserer AusbeuterInnen vermehrt.

Nicht wenige ProletarierInnen werden von kriselnden Unternehmen auf die Straße gesetzt. Dauert die Arbeitslosigkeit nicht länger als maximal zwei Jahre an, gibt es Geld von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung, in die die LohnarbeiterInnen und ihre AusbeuterInnen einzahlen, während die langzeiterwerbslosen ProletarierInnen durch das steuerfinanzierte staatliche Bürgergeld mehr schlecht als recht am Leben gehalten werden. Wer nicht jede „zumutbare“ Arbeit annimmt, bekommt die Unterstützung gekürzt oder gar gestrichen. Das ist die repressive Elendsverwaltung unserer erwerbslosen Klassengeschwister durch den Staat, dessen regierende Charaktermasken durch die freien Wahlen mitbestimmt werden. Diese freien Wahlen ändern nichts an unserer kapitalistischen Ausbeutung und staatlichen Elendsverwaltung, sondern haben diese zur Grundlage.

Genauso klar ist: Wer auch durch diese Wahlen ermächtigt wird, den Staat zu regieren, es ändert nichts an der Klassenherrschaft der Bourgeoisie. Die Bourgeoisie ist die herrschende kapitalistische Klasse. Deren sozialökonomischer Kern sind die KapitalistInnen und großen WirtschaftsmanagerInnen, die die „Wirtschaft“ beherrschen, von unserer Ausbeutung leben und diese organisieren. Politische Ausläufer der Bourgeoisie stellen die hohen BerufspolitikerInnen dar, die in einer Demokratie arbeitsteilig entweder den Staat regieren oder eine parlamentarisch-staatsloyale Opposition bilden. So wie die KapitalistInnen nach unten fließend in das produktions- und handelsmittelbesitzende KleinbürgerInnentum übergehen, ist es auch ähnlich bei der Politbourgeoisie. Die Hinterbänklerinnen stellen ein PolitkleinbürgerInnentum dar. Die BerufspolitikerInnen monopolisieren die Politik als gesamtgesellschaftlich-staatliche Organisation der kapitalistischen Nation.

Während die sozialökonomische Klassenherrschaft der KapitalistInnen und MangerInnen in „der Wirtschaft“ durch den Wahlrummel überhaupt nicht unmittelbar tangiert wird, wird durch freie Wahlen mitentschieden, welche politische Parteien den Staat regieren und welche in ihm parlamentarisch-systemloyal opponieren. Aber auch dies mehr indirekt. Das klassenübergreifende Wahlvolk ermächtigt mit seinen Stimmen die jeweiligen politischen Parteien für den Einzug in die Parlamente der Bundesländer und in den Bundestag. Wobei die Parteien, die in die Parlamente einziehen wollen, mindestes fünf Prozent der WählerInnenstimmen oder drei Direktmandate ergattern müssen. Aus den Stimmenanteilen der Parteien zimmern diese dann möglichst eine Regierung mit parlamentarischer Mehrheit. Wobei auch Minderheitsregierungen möglich sind. Die Partei mit den meisten WählerInnenstimmen wird also nicht automatisch-zwingend Regierungspartei, wenn deren Stimmenanteil unter 50 Prozent liegt.

Freie Wahlen sind also gerade in Deutschland mehr eine symbolische Ermächtigung und Legitimierung von demokratischer Herrschaft, als dass sie irgendetwas wirklich Wichtiges entscheiden würden. Für die herrschenden demokratischen PolitikerInnen ist diese Legitimation aber sehr wichtig. Wenn sich Proteste entwickeln, geben sie gerne – und auch etwas bockig – kund: „Wir sind aber demokratisch legitimiert!“ Übersetzt heißt das: „Ihr habt uns durch eure Stimme ermächtigt. Jetzt kochen wir die übelschmeckende Suppe, die ihr auslöffeln müsst.“ Übrigens müssen auch die Leute die Suppe auslöffeln, die das regierende Personal überhaupt nicht durch ihre Stimme ermächtigt haben.

Durch freie Wahlen konkurrieren die demokratischen Parteien als Basiseinheiten der bürgerlichen Politik um die Beherrschung der Staatsmacht. Sie wollen alle das Gleiche: Die Deutschland AG managen. Möglichst als regierende Charaktermasken, aber zur Not auch in der Opposition. Der deutsche Staat ist, vollkommen egal, wer ihn regiert, der politische Gewaltapparat der nationalen Kapitalvermehrung. Parlamentarische Parteien sind der politische Ausdruck der kapitalistischen Klassenherrschaft. Auf der einen Seite die bürgerlich-bürokratischen Parteiapparate aus hauptamtlichen FunktionärInnen, BerufspolitikerInnen und -ideologInnen, auf der anderen die kleinbürgerlich-proletarische Basis als Manövriermasse. Die Demokratie ist eine pluralistische Mehrparteiendiktatur.

Regierende PolitikerInnen und ParlamentarierInnen werden direkt vom Staat finanziert. Die Haupteinnahmequelle des Staates ist die Besteuerung der auf seinem Territorium lebenden Menschen. Indem er den Geldlohn (Lohnsteuern) und den Konsum (Mehrwertsteuern) des Proletariats besteuert, eignet sich der Staat einen Teil des Mehrwertes an. Wenn er den Gewinn der KapitalistInnen und die Gehälter der ManagerInnen sowie deren Konsum besteuert, verteilt er einen Teil des Mehrwertes von der Privatwirtschaft an sich selbst um. Hier in aller Deutlichkeit: Die Steuern, die die Bourgeoisie an den Staat zahlt, haben wir, die ProletarierInnen, erarbeitet.

Der Staat sowie die regierenden und oppositionell-parlamentarischen BerufspolitikerInnen leben also so wie die KapitalistInnen und ManagerInnen von unserer Ausbeutung. BerufspolitikerInnen sind unsere strukturellen KlassenfeindInnen! Sie leben mit von unserer Ausbeutung und organisieren sie gesamtgesellschaftlich-staatlich. Es gibt für klassenbewusste ProletarierInnen nicht den geringsten Grund, die politische Herrschaft der BerufspolitikerInnen durch die Teilnahme am Politrummel der freien Wahlen auch noch zu legitimieren. Denn wir können mittig, links, rechts, ungültig oder gar nicht wählen: Wir werden immer die Reproduktion des Kapitals und des Staates bekommen. Gewählt werden neue Regierungen, aber der Staat bleibt. Die Demokratie ist nur eine besondere politische Form der kapitalistischen Diktatur.

Demokratie heißt „Volksherrschaft“. Doch das „Volk“ ist eine ideologische Konstruktion, es besteht praktisch aus den drei Klassen Bourgeoisie, KleinbürgerInnentum und Proletariat. Diese drei Klassen konkurrieren untereinander und fechten Klassenkämpfe aus. Das „Volk“ ist also nicht in der Lage, solidarisch den Staat zu regieren. Dann wäre der Staat auch gar nicht notwendig. Denn der Staat ist immer der politische Gewaltapparat einer herrschenden Klasse gegen eine sozialökonomisch ausgebeutete und politisch beherrschte Klasse. Die ideologische „Volksherrschaft“ (=Demokratie) ist in Wirklichkeit die kapitalistische Klassenherrschaft der Bourgeoisie.

Wenn ProletarierInnen als Teil des klassenübergreifenden Wahlvolks die BerufspolitikerInnen ermächtigen und legitimieren, den Staat zu managen – dann sind sie sehr kleinbürgerlich. Keine Stimme für die demokratischen Politbonzen! Bekämpfen wir den kapitalistischen Staat, egal wer ihn regiert!

Niedergang und tiefe Krise des deutschen Nationalkapitals

Dass die Wahlen diesmal etwas früher stattfinden, weil die Koalition aus SPD, den linksliberalen Grünen und der marktradikalen FDP (Fick Das Proletariat) zerbrach, als der sozialdemokratische Bundeskanzler den ultraliberalen Finanzminister Christian Lindner entließ, ist ein kleines Symptom des Niederganges und der tiefen Krise der Deutschland AG.

Die Vermehrung des bundesdeutschen Nationalkapitals – alle kleinbürgerlichen und kapitalistischen Unternehmen auf dem Territorium der BRD – verlief von 1950 bis 1973 beschleunigt. Jedoch geriet Deutschland 1974 wie das gesamte Westeuropa und Nordamerika in die strukturelle Profitproduktionskrise. Und zwar durch den tendenziellen Fall der durchschnittlichen Profitrate. Letztere stellt das Verhältnis zwischen den Profiten auf der einen und den Produktionsmittel- und den Lohnkosten auf der anderen Seite dar. Durch die technische Entwicklung werden potenziell immer mehr Funktionen der lebenden Arbeitskräfte zu denen der Maschinerie. Dadurch steigen die Produktionsmittelkosten – tendenziell schneller als die Profitmasse. Das ist der tendenzielle Fall der Profitrate.

Die wichtigste Kompensation des tendenziellen Falles der Profitrate ist der über den Anstieg der Profitmasse. Größere Kapitale können sich von „ihren“ Lohnabhängigen eine höhere Profitmasse produzieren lassen. Durch die größere Konzentration und Zentralisation des nationalen Kapitals – die untrennbar mit der Entstehung mächtiger Oligopole sowie mit dem Verschwinden von zu kleinen und/oder kriselnden Unternehmen von den verschiedenen Märkten verbunden ist – und die Vergesellschaftung des kapitalistischen Eigentums an Produktions- und Handelsmitteln durch Aktiengesellschaften erhöht sich die Profitmasse. Dies ist Folge und Bedingung eines wachsenden Konkurrenzkampfes.

Die wichtigste Gegentendenz zum tendenziellen Fall der Profitrate ist die Erhöhung der Mehrwertrate, des Verhältnisses zwischen dem Mehrwert und den Lohnkosten. Die Erhöhung der Mehrwertrate ist die Verschärfung der Ausbeutung der Lohnabhängigen durch die Bourgeoisie. Dies kann durch Reallohnsenkungen erfolgen. In der BRD geschah dies in der letzten Zeit dadurch, dass die Geldlöhne nicht so schnell und stark anstiegen wie die Warenpreise. Oder durch eine Vergrößerung der Ausbeutung, entweder durch eine Verlängerung der Arbeitszeit ohne einen Lohnausglich oder durch eine Intensivierung der Ausbeutung. So, dass die Lohnabhängigen in der gleichen Zeit mehr Tausch- und Mehrwert produzieren.

Doch die Erhöhung der Mehrwertrate durch die Verschärfung der Ausbeutung gelingt der Bourgeoisie nicht immer. So war es zum Beispiel in der BRD während der Periode der beschleunigten Vermehrung des Nationalkapitals von 1950 bis 1973. In dieser Zeit gelangten wichtige Konsumgüter wie Automobile, Waschmaschinen, Kühlschränke und Fernseher auch in proletarische Haushalte, was die Reallöhne erhöhte. Das war gut für die Profitrealisation der Konsumgüterindustrie und den Einzelhandel durch den Verkauf der Waren an die Lohnabhängigen, aber nicht für die gesamtgesellschaftliche Profitproduktion in Form der kapitalistischen Ausbeutung des Proletariats.

Außerdem existierte in den zyklischen Aufschwüngen während des Nachkriegsaufschwunges praktisch Vollbeschäftigung, was das Kräfteverhältnis im reproduktiven Klassenkampf im Rahmen des Kapitalismus zugunsten des Proletariats verschob. Auch durch wilde Streiks – ohne und gegen die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaften – übte das klassenkämpferische Proletariat gewaltigen Druck auf die Mehrwert- und Profitraten aus. Besonders während des proletarischen 1968, der Radikalisierung des Klassenkampfes am Ende des kapitalistischen Nachkriegsaufschwunges. In der BRD war das proletarische 1968 vor allem durch die wilden Septemberstreiks von 1969 und die wilde Streikwelle im Jahre 1973 geprägt. Durch den proletarischen Klassenkampf sank in der BRD zwischen 1950 und 1973 nicht nur die durchschnittliche Profit-, sondern auch die Mehrwertrate.

Die Folge: 1974 geriet Westdeutschland in die strukturelle Profitproduktionskrise. Diese war wie die Periode der beschleunigten Vermehrung des Nationalkapitals durch den Zyklus Aufschwung-Krise-Aufschwung geprägt. Der Unterschied war allerdings, dass die Aufschwünge in der strukturellen Profitproduktionskrise nicht mehr so langanhaltend und expansiv waren wie in der Periode der beschleunigten Kapitalvermehrung. Dafür wurden die Krisen häufiger und tiefer. Als Beispiele seien die Weltwirtschaftskrise 1974/75 und die tiefe Krisen Anfang der 1980er und 2000er Jahre, die weltweite Finanzkrise ab 2007, die globale Depression der kapitalistischen Warenproduktion 2008/2009, die schwere Krise von 2020, die von der internationalen COVID-19-Pandemie nicht ausgelöst, aber extrem verschärft wurde, sowie die jetzige, die 2023 begann, genannt. 2023 sank das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozent und 2024 um 0,2 Prozent.

Diese Krise des deutschen Nationalkapitals war mit einer globalen Zuspitzung der imperialistischen Konflikte verbunden, in deren größten Berlin mitmischte. Die Regierung aus SPD, Grünen und FDP führt als Teil der westlich-imperialistischen Bündnisse seit der direkten russländischen Invasion in der Ukraine ab Februar 2022 einen indirekten militärischen Krieg und einen Wirtschaftskrieg gegen Moskau. Auch Deutschland rüstet das Kiewer Regime auf. Der Wirtschaftskrieg gegen Russland ließen die globalen Energie- und Lebensmittelpreise hochschnellen. SozialrevolutionärInnen müssen in diesem Gemetzel sowohl Russland und seine Verbündeten als auch den ukrainischen Staat sowie NATO/EU kompromisslos bekämpfen.

Das demokratische Parteienkartell gegen das Proletariat

Aufrüstung und Krieg sind teuer für den Staat, aber sehr lukrativ für private Rüstungskapitale wie Rheinmetall. Krise, Krieg und Aufrüstung forcierten den Klassenkampf von oben. Der Staat und das demokratische Parteienkartell greifen besonders das migrantische und erwerbslose Proletariat hart an. So verschärfte die Ampel-Regierung die Sanktionen gegen Bürgergeld-Beziehende, die nicht jede „zumutbare“ Arbeit annehmen. Auf diese Weise wird der strukturelle Zwang auf uns, irgendwie Geld verdienen zu müssen, weil fast alles welches kostet, durch staatlichen Zwang zur Lohnarbeit noch verschärft. CDU/CSU und AfD schreien bereits nach Arbeitszwang für Bürgergeld-Beziehende.

Aber auch Erwerbslose lassen sich von der nationalistischen Hetze gegen das migrantische Proletariat – die vom BSW über die demokratische Mitte bis zur AfD reicht – aufhetzen. Die alte Bundesregierung, in der auch die grünen Linksliberalen sitzen, schiebt massiv Flüchtlinge ab – unter anderem auch in das von der islamistischen Taliban regierte Afghanistan. Die demokratischen NationalistInnen setzten für Asylsuchende statt Bargeldleistungen diskriminierende und stigmatisierende Bezahlkarten durch.

Die mittige, rechts- und linksnationalistische Opposition aus CDU/CSU, FDP, AfD und BSW musste da natürlich noch eine Schippe drauflegen. Und dies geschah am 29. Januar und 31. Januar 2025, indem die Unionsparteien, FDP, AfD und BSW zusammen für migrationsfeindliche Anträge stimmten. Am 29. Januar kam eine Mehrheit zustande, am 31. Januar nicht.

Daraufhin entwickelten sich Massenproteste gegen die CDU. Und auch mehr dagegen, dass die Union zusammen mit der AfD stimmte, als dass der nationalistische Inhalt kritisiert wurde. Wo waren die Massendemonstrationen, als die sozialdemokratisch-liberale Bundesregierung Grenzkotrollen einführte, massenweise unsere migrantischen Klassengeschwister abschob? In ihrer demonstrativ zur Schau gestellten Bravheit und – teilweise auch gut gespielten – Naivität war das Aufbäumen der liberalen Anständigkeit nichts weiter als ein Spielzeug der mittig-linken Fraktion des Kapitals.

Die massive rassistische und sozialdarwinistische Hetze von Regierung und parlamentarischer Opposition gegen die migrantischen und erwerbslosen Klassengeschwister findet leider auch die Unterstützung von vielen Lohnabhängigen. Ja, die ProletarierInnen sind als Konkurrenzindividuen auf den Arbeits- und Konsumgütermärkten anfällig gegenüber dem Konkurrenzchauvinismus in Form von Nationalismus/Rassismus, Sexismus, Sozialdarwinismus und religiöser Fundamentalismus. Nur im und durch gemeinsamen Klassenkampf kann das Proletariat diese Spaltungslinien überwinden. Doch noch ist in Deutschland der sich verschärfenden kapitalistischen Krisendynamik im Proletariat der spaltende Konkurrenzchauvinismus wesentlich stärker als der vereinigende kollektive Klassenkampf.

Am schlimmsten sind dabei der Nationalismus/Rassismus vieler „biodeutscher“ ProletarierInnen gegen unsere migrantischen Klassengeschwister und die sozialdarwinistische Abwertung des arbeitslosen Proletariats durch nicht wenige Lohnabhängige. Als Kollektiv atomisierter Konkurrenzindividuen kann sich das Proletariat nicht gegen die einzelkapitalistischen und staatlichen Angriffe wehren.

Und diese Angriffe werden mit der neuen Bundesregierung, die sehr wahrscheinlich eine CDU/CSU geführte unter dem Bundeskanzler Friedrich Merz sein wird, mit Sicherheit zunehmen. Krise, Aufrüstung und Krieg verlangen vom politischen Gewaltapparat des Kapitals, egal wer ihn regiert, selbst bei einer Lockerung der Schuldenbremse Sozialkürzungen. Das Proletariat ermächtigt am 23. Februar 2025 die regierenden SparkommissarInnen. Die proletarischen Kälber wählen ihre Schlächter selber. Das ist gelebte Demokratie!

Keine Stimme für die extreme Mitte, die Rechts- und Linksreaktion!

Keine Stimme für die extreme Mitte! Die marktextreme FDP ist die Avantgarde der asozialen Angriffe auf das Proletariat. Ihr fanatisches Festhalten an der Schuldenbremse, während sie gleichzeitig wie die gesamte extreme Mitte weiter für Aufrüstung – besonders der Ukraine im Stellvertreterkrieg gegen Russland – trommelt, kann nur durch massive Sozialkürzungen finanziert werden.

Indem der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz deshalb den FDP-Finanzminister Christian Lindner im Dezember 2024 rauswarf und damit den Grund für die vorgezogenen Bundestagswahlen lieferte, bot er sich der sozialdemokratischen StammwählerInnenschaft als kleineres Übel an. Die alte Lüge: Es wird zwar schlimm, aber mit der Sozialdemokratie nicht ganz so schlimm. Mit dieser Lüge auf den Lippen ist die SPD zu allen Schandtaten bereit. Zum Beispiel zu schärferen Sanktionen gegen Bürgergeld-BezieherInnen, wenn sie nicht ganz so brav mitspielen, wie es der Staat gerne hätte. Scholz war auch Kriegskanzler. Mordwerkzeug made in Germany ermöglichten die Gemetzel in der Ukraine und im Gazastreifen mit. Jede/r, die/der es wagte die Aufrüstung der zionistischen Mordbuben und Folterknechte zu kritisieren, wurde vom herrschenden Kartell der DemokratInnen als „Antisemit/in“ beschimpft. Allerdings will Scholz im Gegensatz zu CDU/CSU, FDP, und Bündnis 90/Die Grünen dem Kiewer Regime keinen Taurus liefern. Das erscheint ihm zu riskant. Doch auch die imperialistischen KritikerInnen wollen nicht wirklich den indirekten Krieg gegen Russland zu einem direkten radikalisieren. Sie wagen nur etwas mehr als Scholz. Das Zögern verkauft die SPD als „Besonnenheit“.

Überhaupt nicht „besonnen“ treten im imperialistischen Hauen und Stechen die linksliberalen Grünen auf. Es ist bei ihnen Tradition: Wenn sie Regierungen beitreten, knallt es kurz darauf ordentlich. So wie 1999, als Deutschland als Teil der NATO den ersten direkten Krieg nach 1945 führte, den gegen Jugoslawien. Unter dem grünen Außenminister Joschka Fischer, der sich vom einstigen linken kleinbürgerlichen Streetfighter zum großbürgerlichen NATO-Fighter mauserte. Was für ein Aufstieg! Der den der ganzen Partei symbolisierte. Aus den politisierenden KleinbürgerInnen der 1980er Jahre wurden Politbourgeois. Und auch im indirekten Fight gegen Moskau sind die grünen kriegsgeilen Baerböcke (m/w/d) ganz vorne mit dabei. Ja, wenn es tödlich kracht, wird feministische Außenpolitik gemacht! Und auch die grünen Männer stehen da nicht zurück. Ist es nicht rührend, wie ehemalige Wehrdienstverweigerer ihre späte Liebe zur Bundeswehr zelebrieren? Nein, das zählt unter Linksliberalen nicht als „toxische Männlichkeit“. Frau Baerbock hat schon angekündigt, gerne weiterhin Außenministerin in einer wahrscheinlich CDU/CSU-geführten Regierung zu bleiben. Die Grünen beherrschen meisterlich die Disziplin, der Union in den Arsch zu kriechen, auch wenn sie ihn demonstrativ wegdreht.

Die CDU wird wahrscheinlich nach den Wahlen vom 23. Februar 2025 den Kanzler stellen. Unter dem jetzigen CDU-Boss Friedrich Merz wurde die Partei, die sich unter Angela Merkel deutlich liberalisiert hatte – dies ist aus unserem Munde kein naives Lob, sondern lediglich eine nüchterne Feststellung –, wieder stärker rechtskonservativ. Allein, um der rechtsnationalistischen AfD Stimmen wegzunehmen, befleißigt sich Merz eines ekelhaften Gossennationalismus und -rassismus. Und er schürt einen massiven Sozialdarwinismus gegen Bürgergeld-Beziehende. Unter ihm als Kanzler kann und muss mit weiteren scharfen Angriffen auf das migrantische und erwerbslose Proletariat – Geldkürzungen, Formen von staatlichen Arbeitszwanges, Massenabschiebungen, Grenzschließungen – gerechnet werden. Und auch die oberen Schichten unserer Klasse werden unter ihm nichts zu lachen haben. Aufrüstung und Krieg kosten verdammt viel Geld. Selbst wenn die regierenden CDU/CSU vielleicht ein wenig an der Schuldenbremse herumreformieren werden, wird die weitere Aufrüstung der Bundesrepublik – die von dem gesamten herrschenden demokratischen Parteienkartell nicht in Frage gestellt wird – sehr wahrscheinlich durch Forcierung der Sozialkürzungen finanziert werden.

Keine Stimme für Die Linke der Bourgeoisie! Die niedergehende Partei Die Linke ist ein Zerfallsprodukt der Todeskrise des ostdeutschen Staatskapitalismus und der Sozialdemokratie. Eine Vorläuferin der Formation war die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED), die Partei der DDR-Staatsbourgeoisie. Während deren Todeskrise 1989/90 transformierte sich die SED zur Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). Letztere war eine sozialdemokratische Formation mit Bekenntnis zu Marktwirtschaft und Demokratie. Doch weil es in der BRD mit der SPD ja schon eine sozialdemokratische Formation gab, blinkte die PDS in der Opposition links, um als Regierungspartei von einzelnen Bundesländern und Kommunen rechts abzubiegen.

Die PDS hatte wie die SPD das Problem, dass die Sozialdemokratie während der strukturellen Profitproduktionskrise in der Opposition und in Wahlkämpfen zwar noch Illusionen in den Sozialstaat schüren, dann aber als Regierungspartei diese Illusionen nicht bedienen konnte. So organisierte auch die PDS als Regierungspersonal in Bundesländern und Kommunen Privatisierungen und Sozialkürzungen mit.

Die SPD-Grünen-Bundesregierung von 1998 bis 2005 war mit ihren Kriegen in Jugoslawien und Afghanistan sowie Sozialkürzungen (Hartz IV) ein starker Tobak – auch für einige bis dahin stramme SozialdemokratInnen und einige Gewerkschaftsbonzen. Aus diesem Unmut entstand 2005 die linkssozialdemokratische Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG), die 2007 mit der PDS zur Partei Die Linke verschmolz.

Das, was weiter oben über die PDS als Regierungspartei in den Bundesländern geschrieben wurde, traf auch für Die Linke zu. Der Linke Bodo Ramelow regierte beispielsweise von 2014 bis 2024 das ostdeutsche Bundesland Thüringen als Ministerpräsident und stieg dadurch in die Politbourgeoisie auf. Er wusste, was von ihm verlangt wurde und lieferte. Ramelow trat für Rüstungslieferungen an das Kiewer Regime und für die Widereinführung der Wehrpflicht in der BRD ein. Heute ist die Führung der Linkspartei der Meinung, dass nicht jeder, der für die Aufrüstung der Ukraine ist, zwangsläufig ein Militarist und ein Gegner dessen ein Putinknecht sei. Wenn schon kein Frieden auf Erden, dann wenigstens in der Partei durch Formelkompromisse.

Keine Stimme für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)! Als Frau Wagenknecht noch eine auf „Kommunistin“ machte, weinte sie mit mancher Träne im Knopfloch besonders dem Walter-Ulbricht-Regime der staatskapitalistischen DDR hinterher. Das war besonders im Westen der BRD nicht wirklich zu vermitteln. Deshalb macht die Grande Dame des Linkskonservativismus zwar weiter eine auf Zurück in die Zukunft. Aber jetzt verklärt sie den privatkapitalistischen Nachkriegsaufschwung der BRD bis 1973. Und hetzt massiv gegen MigrantInnen und Bürgergeld-BezieherInnen.

Das BSW ist aus nationalistischen Gründen gegen die Aufrüstung der Ukraine und den Wirtschaftskrieg Deutschlands gegen Russland. Das ist nicht gut für „unsere“ Wirtschaft. Oder frei nach Oskar Lafontaine: „Unsere“ Rohstoffe müssen „wir“ dort kaufen, wo sie am billigsten sind. Und Sevim Dagdelen skandiert dazu die alte Parole des linksnationalen und antiamerikanischen „Antiimperialismus“: „Ami go home!“ Ganz, ganz schlechtes Polittheater. Was davon ablenken soll, dass das BSW in Brandenburg und Thüringen zwei ostdeutsche Bundesländer mitregiert. Zusammen mit den Kriegstreiberparteien SPD und CDU. Vorher nötigte das BSW ihren Koalitionspartnern auf der Ebene der entsprechenden Bundesländer verbal einige kritische Töne zur bundesdeutschen Außenpolitik ab. Während das Morden mit deutschen Waffen in der Ukraine und in Gaza weiterging. Wer ernsthaft glaubt, eine Stimme für das BSW wäre Kampf gegen den deutschen Imperialismus, dem/der ist nicht mehr zu helfen.

Keine Stimme für den Marxismus-Leninismus und Trotzkismus! An dem demokratischen Wahlrummel nehmen auch sogenannte „kommunistische“ und „revolutionäre“ Parteien teil. Doch wirkliche SozialrevolutionärInnen bekämpfen diese Ermächtigungs- und Legitimationsshow für die herrschende Politik von außen. Die LeninistInnen behaupten, dass sie die Parlamente als Tribüne für die Revolution nutzen würden. Doch das ist Unsinn! Die Parlamente sind die Quasselbuden und die Abstimmungsmaschinen der Bourgeoisie. RevolutionärInnen haben in diesen Instanzen demokratischer Herrschaft nichts zu suchen.

Und was die marxistisch-leninistischen und trotzkistischen Parteien unter „Revolution“ verstehen, ist finsterste Sozialreaktion! Angefangen mit dem Staatstreich der bolschewistischen Partei im Oktober 1917 in Russland – nach dem alten russländischen Kalender – eroberten marxistisch-leninistische Politbonzen in einigen Nationen Eurasiens, Afrikas und auf Kuba die politische Macht, verstaatlichten die Industrie und nannten das „Sozialismus“. Doch es war Staatskapitalismus. Der Staat beutete die Lohnarbeit des Proletariats aus. Inzwischen privatisierten die marxistisch-leninistischen Parteien Chinas, Vietnams und Kubas das Kapital und nennen es immer noch „Sozialismus“.

Zur Bundestagswahl 2025 tritt die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) an. Mit dem bescheuerten Slogan „Make Socialism Great Again“ geht sie auf Stimmenfang. Unter „Sozialismus“ versteht die MLPD das Stalin-Regime in der Sowjetunion und den chinesischen Staatskapitalismus unter Mao. Make MLPD Gaga Again!

Auch die TrotzkistInnen sind nicht besser. Der Namensgeber dieser Politsekten, Leo Trotzki, war neben Lenin der führende Staatsbourgeois von „Sowjet“-Russland – bevor er ab 1923 schrittweise von Stalin entmachtet wurde. Als regierende Charaktermaske von „Sowjet“-Russland ging Trotzki brutal gegen das klassenkämpferisch-revolutionäre Proletariat vor, so schlug er im März 1921 als blutbefleckter Henker den Kronstädter Aufstand nieder. Und heute verkaufen uns die Trotzki-Sekten diesen konterrevolutionären Massenmörder als „Alternative zum Stalinismus“.

Die Demokratie lässt auch die TrotzkistInnen in ihren jeweiligen Narrenkostümen am Politrummel der freien Wahlen teilnehmen. So rufen die Sozialistische Alternative (SAV) und die Sozialistische Organisation Solidarität (SOL) für die Wahl der niedergehenden Partei Die Linke auf, während die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) für sich selbst auf Stimmenfang geht.

Keine Stimme für die Rechtsreaktion! Leider ist absehbar, dass auch am 23. Februar viele ProletarierInnen der rechtsnationalistischen und rassistischen Alternative für Deutschland (AfD) ihre Stimme geben werden. Das ist ein Ausdruck der tiefen nationalistischen Spaltung des Proletariats – sowohl weltweit als auch in Deutschland. Und es zeugt auch von verdammt wenig Klassenbewusstsein, diese rechtsdemokratische Partei mit neofaschistischen Tendenzen zu wählen. Damit ist nicht nur der Politflirt von US-Milliardär Elon Musk mit der AfD-Nationalistin Alice Weidel gemeint. Auch die Angriffe der AfD auf das erwerbslose Proletariat sprechen eine deutliche Sprache. So verlangt der rechtsnationale Verein, dass es Arbeitslosengeld erst nach drei Jahren Beschäftigung geben und zunächst auf 6 Monate beschränkt sein soll. MigrantInnen sollen nach Meinung der RechtsnationalistInnen erst nach zehn Jahren Beschäftigung Bürgergeld beantragen dürfen.

Klar, diese Partei stellt besonders für unsere migrantischen Klassengeschwister eine Gefahr dar. So befindet sich in ihrem Wahlprogramm der nationalistische Kampfbegriff „Remigration“. Jedoch wird der massenhafte Rauswurf von auch in diesem Land integrierten Lohnabhängigen mit dem Kapital kaum Realpolitik werden können. Jedoch wenn sich die AfD auf den Rauswurf der neu hinzugekommenen und nichtbleibeberechtigten MigrantInnen beschränken würde – wo wäre dann der Unterschied zu den Parteien der extremen Mitte, die das bereits als Realpolitik betreiben? Aber um als Oppositionspartei weiter zu wachsen, ist der Gossen-Nationalismus genau das Richtige – später wird mensch dann sehen, was davon realpolitisch umsetzbar ist. So fordert die Partei etwa ein Kopftuchverbot in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen.

Die AfD lehnt die Aufrüstung der Ukraine durch Deutschland und auch den Wirtschaftskrieg Berlins gegen Russland aus nationalistischen Gründen ab. Sie ist für die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Und trommelt weiterhin für den deutschen Austritt aus der Gemeinschaftswährung des Euro, aber nicht mehr für einen der BRD aus der EU.

Die AfD und die noch weiter rechtsstehenden neofaschistischen Parteien müssen bekämpft werden, aber nicht an der Wahlurne, nicht im Rahmen des demokratischen Staates und der kleinbürgerlichen Antifa! Die Ärzte am Krankenbett des Kapitalismus – einschließlich der gleichnamigen Popband – kennen nur eine Melodie: Verteidigung dieser Demokratie gegen den Neofaschismus. Wahlkreuze gegen Hakenkreuze. Doch diese Demokratie ist durch den Neofaschismus gar nicht gefährdet. Die große Mehrheit des Groß- und Oligopolkapitals verteidigt diese Staatsform. Gefährdet sind besonders unsere migrantischen Klassengeschwister – durch den Staat und andere gewaltbereite RassistInnen. Staatsgewalt und rassistischer Straßenterror gegen das migrantische Proletariat ergänzen sich. Die Bullen sind die Hooligans des demokratischen Staates.

Es ist der deutsche Staat, egal wer ihn regiert, der das Proletariat in In- und AusländerInnen spaltet. Der Staat ist das Hauptsubjekt des deutschen Nationalismus. Mit ihm zusammen können und wollen wir klassenbewussten ProletarierInnen nicht die extremen RechtsnationalistInnen bekämpfen. Doch nicht wenige linksliberale und marxistisch-leninistische (MLPD!) Antifa-SpießerInnen verlangen vom politischen Gewaltapparat des Kapitals das Verbot der AfD und der neofaschistischen Parteien – und heulen dann rum, wenn die staatliche Repression sie selbst trifft. Übrigens ist die Forderung nach einem Verbot der AfD ganz tief in der extremen Mitte angekommen. Wer AfD-Parteitage blockiert, aber nicht die der demokratischen Konkurrenz – wie beispielsweise der kriegsgeilen Grünen –, ist naiv oder heuchlerisch. Große Teile der Antifa als Politprostituierte des demokratischen Parteienkartells.

Nichtwählen ist noch kein Widerstand

Durch die Nichtteilnahme am demokratischen Politrummel der freien Wahlen zeigen wir klassenkämpferisch-revolutionäre ProletarierInnen, dass wir nicht bereit sind, den Kakao, durch den wir von Kapital und Staat gezogen werden, auch noch zu trinken. Es ist eine kleine Möglichkeit, um den BerufspolitikerInnen den Stinkefinger zu zeigen: Wählt euch doch selbst, ihr Polit-IdiotInnen!

Aber: Nichtwählen ist noch kein Widerstand. Für lohnabhängige ProletarierInnen ist der Arbeitsplatz der unmittelbarste Ort des Widerstandes gegen die AusbeuterInnen, die ChefInnen und Chefchens. Wer kennt ihn von uns nicht, den konspirativ-illegalen Alltagsklassenkampf, in dem wir unsere Bosse verarschen und/oder die digitale Überwachungstechnik austricksen. Durch diesen alltäglichen Widerstand zeigen wir den Bossen, dass wir bereit dazu sind, unsere Interessen und Bedürfnisse gegen ihre Kapitalvermehrung und staatliche Verwaltung zu setzen. So erleichtern wir uns ein wenig die Lohnarbeit.

Doch der alltägliche Widerstand in Form des konspirativ-illegalen Alltagsklassenkampfes reicht nicht aus. Wir sind gezwungen, um höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten zu kämpfen, um unsere biosoziale Reproduktion gegen die kapitalistische Ausbeutung und die staatliche Elendsverwaltung durchzusetzen. Das demokratische Streikrecht dieses Landes und die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate setzen diesem notwendigen Kampf enge Grenzen.

In diesem Staat gelten politische Arbeitsniederlegungen gegen den politischen Gewaltapparat als Gesetzgeber als illegal. Nur Streiks gegen den Staat als „Arbeitgeber“ (= Ausbeuter) im öffentlichen Dienst sind legal. Allerdings nur für Angestellte, BeamtInnen haben in Deutschland kein Streikrecht. Genauso wenig wie die Lohnabhängigen, die von den großen christlichen Kirchen ausgebeutet werden.

Lohnabhängige dürfen in der BRD nur dann legal die Arbeit niederlegen, wenn sie erstens von einer Gewerkschaft organisiert werden und zweitens die Streikziele in einem Tarifvertrag münden können. Indem das demokratische Streikrecht in Deutschland an das Tarifvertragssystem gebunden ist, welches die Lohnarbeit nur mitverwalten, aber eben nicht überwinden kann, betoniert es die den Kapitalismus reproduzierenden Grenzen des Klassenkampfes ein. Es gibt den bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparaten ein Streikmonopol, was die klassenkämpferische Selbstorganisation der Lohnabhängigen stark einschränkt. Das demokratische Streikrecht der BRD ist eine effektive Waffe der deutschen Bourgeoisie gegen das klassenkämpferische Proletariat.

Die Gewerkschaften in Deutschland sind außer dem Tarifvertragssystem und das an dieses gekoppelte demokratische Streikrecht auch durch die kapitalistische Wirtschafts- und Arbeitsdemokratie in viele Einzel- und in das deutsche Nationalkapital integriert. Kapitalistische Wirtschaftsdemokratie ist das Sitzen von Gewerkschaftsbonzen in den Aufsichtsräten großer Konzerne, während die Arbeitsdemokratie in der BRD durch gesetzlich-sozialreformistische Betriebs- und Personalräte verkörpert wird. Letztere sind keine reproduktiven Klassenkampforganisationen, sondern sind gesetzlich dem Betriebsfrieden unterworfen. Sie haben ein abgestuftes Mitbestimmungsrecht. Betriebs- und Personalräte sind Parlamente der Lohnabhängigen. Die Listen von Gewerkschaften und von „Unabhängigen“ konkurrieren bei den Wahlen zu den Organen der kapitalistischen Arbeitsdemokratie wie die politischen Parteien bei den gesamtgesellschaftlichen Parlamentswahlen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und seine Mitgliedsorganisationen sind in diesen kapitalistischen Staat integriert. Sie sind strukturell unfähig und unwillig, größere Angriffe der Einzelunternehmen und des Staats zurückzuschlagen. Zum Beispiel die Industriegewerkschaft Metall (IG M) bei Volkswagen. Dort tragen die Gewerkschaftsbonzen Reallohnverlust und einen Massenabbau von Arbeitskräften mit. Davor riskierten sie die große Lippe und mobilisierten ein wenig die lohnabhängige Basis. Immer dasselbe miese Spiel.

Der DGB ist der Hausgewerkschaftsbund des deutschen Imperialismus. Die DGB-Bonzen unterstützten den NATO-Krieg in Jugoslawien 1999, die Aufrüstung des Kiewer Regimes und den Wirtschaftskrieg gegen Russland ab 2022 sowie das massenmörderische Israel. So erklärte sich der DGB am 10. Oktober 2023 mit den zionistischen MassenmörderInnen solidarisch. Die IG Metall verteidigt die Arbeitsplätze (= Ausbeutungsplätze) in der deutschen Produktion von Mordwerkzeug. Dass im DGB auch eine Bullengewerkschaft, die Gewerkschaft der Polizei (GdP) dabei ist, passt wie die Faust auf das Auge. Der ganze Verein ist ein Zivilbulle des deutschen Staates gegen das klassenkämpferisch-revolutionäre Proletariat. Der DGB ist der mieseste unserer Klassenfeinde. Er kann nicht klassenkämpferisch-sozialemanzipatorisch reformiert werden. Der DGB muss langfristig revolutionär zerschlagen werden!

Bereits heute ist unsere kollektive klassenkämpferische Selbstorganisation die Alternative zum DGB und seine Mitgliedsorganisationen. Besonders in längeren Arbeitsniederlegungen, die offiziell noch von den Gewerkschaftsapparaten „geführt“ werden, bildet sich oft unterirdisch eine Doppelherrschaft zwischen den Gewerkschaftsbonzen auf der einen und der proletarischen Selbstorganisation auf der anderen Seite heraus.

Jedoch die reifste Form erreicht die proletarischen Selbstorganisation innerhalb des reproduktiven Klassenkampfes im wilden, gewerkschaftsunabhängigen Streik. Dauert die Arbeitsniederlegung nur eine relativ kurze Zeit und ist die Belegschaft eher klein, dann nimmt die Selbstorganisation oft einen informellen Charakter an. Bei längeren Ausständen, und/oder wenn die Belegschaften größer sind beziehungsweise sich mehrere an den wilden Ausständen beteiligen, dann sind gewerkschaftsunabhängige Streikkomitees notwendig.

Um uns gegen die Angriffe der kommenden Bundesregierung, ihre Aufrüstung und ihre Sozialkürzungen erfolgreich wehren zu können, sind das demokratische Streikrecht und dieser erbärmliche Bonzenzuchtverein DGB sowie seine Mitgliedsorganisationen nur Hindernisse. Wir müssen gegen diesen Staat kämpfen, in den die Gewerkschaften integriert sind. Gegen die Kriege des deutschen Imperialismus, die der DGB unterstützt! Legal, illegal, scheißegal!

Vielleicht führt die sich zuspitzende kapitalistische Krisendynamik in Deutschland und weltweit irgendwann einmal zur Radikalisierung des Klassenkampfes zu einer sozialen Revolution. Dann wird sich eine revolutionäre Klassenkampforganisation – die auf der Selbstorganisation des Proletariats beruht – herausbilden müssen, die die Warenproduktion aufhebt und den Staat zerschlägt, um den Weg für eine klassen- und staatenlose Gemeinschaft freizumachen.

Die Demokratie ist nur eine besondere politische Form der kapitalistischen Diktatur.

Nieder mit der Diktatur des Kapitals!

Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST)

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Prozionistische und propalästinensische Gewerkschaften spalten das Weltproletariat https://astendenz.blackblogs.org/2025/02/05/prozionistische-und-propalaestinensische-gewerkschaften-spalten-das-weltproletariat/ Wed, 05 Feb 2025 14:53:10 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=297 Zionismus und palästinensischer Nationalismus

Zu den schlimmsten und blutrünstigsten Spaltern des Weltproletariats gehören das zionistische Regime in Israel und der palästinensische Nationalismus. Konkurrenzförmig-arbeitsteilig organisieren sie das permanente Gemetzel an der jüdischen und palästinensischen Zivilbevölkerung. Zum Gründungsakt des zionistischen Terrorregimes Israel im Jahre 1948 gehörte die nationalistische Vertreibung von 750.000 PalästinenserInnen. Ab 1967 hält der israelische Imperialismus die palästinensischen Gebiete Ostjerusalem, Westjordanland und Gazastreifen besetzt. Israel ist ein rassistischer Apartheidstaat. Er beutete das palästinensische Proletariat rassistisch extrahart aus und verhinderte die Entstehung einer palästinensischen ökonomischen Bourgeoisie. Es bildete sich lediglich eine erbärmliche palästinensische Politbourgeoisie, die einen eigen Nationalstaat anstrebt, der jedoch wie immer nur kapitalistisch-sozialreaktionär sein kann.

Der palästinensische Nationalismus ist ein struktureller Klassenfeind des Weltproletariats. Von der islamistischen Hamas über die Fatah/PLO bis zu den marxistisch-leninistischen Organisationen DFLP und PFLP. Sie sind alle zur Ermordung von jüdischen ZivilistInnen bereit. Der nationalistische Antizionismus geht fließend in Antijudaismus über. Die palästinensischen KleinbürgerInnen und ProletarierInnen sind für Hamas, PFLP und DFLP nur Manövriermasse, die sie in ihrem blutigen Konkurrenzkampf gegen Israel skrupellos opfern. Gegen die zionistische Unterdrückung hilft kein palästinensischer Nationalismus, sondern nur die mögliche soziale Weltrevolution, die von Israel wie von allen anderen Staaten nichts übrig lassen wird.

Am 7. Oktober 2023 überfielen palästinensische NationalistInnen vom Gazastreifen aus Israel und massakrierten die jüdische Zivilbevölkerung. Sie nahmen auch Geiseln. Hamas & Co. gaben damit dem zionistischen Regime den Vorwand für den Massenmord an der palästinensischen Zivilbevölkerung. Bei diesem ermordete der politische Gewaltapparat Israels im Gazastreifen über 46.000 Menschen – bis die Vereinbarung vom 15. Januar 2025 über einen Waffenstillstand am 19. Januar 2025 in Kraft trat. Doch eines ist sicher: Das permanente Gemetzel wird weitergehen. Auch fochten die ZionistInnen und die libanesische islamistische Miliz Hisbollah, die vom iranischen Imperialismus unterstützt wird, ihren blutigen Konkurrenzkampf auf Kosten der israelischen und libanesischen Zivilbevölkerung aus.

Der Generalstreik der Histadrut vom 2. September 2024

Gegen das Gemetzel, was der Zionismus und der palästinensische Nationalismus arbeitsteilig-konkurrenzförmig organisieren, hilft nur die Verschwisterung der jüdischen und palästinensischen ProletarierInnen auf klassenkämpferisch-revolutionärer Grundlage. Gleichzeitig muss das Weltproletariat die Bewaffnung von Zionismus und palästinensischen Nationalismus durch klassenkämpferische Aktionen be- und verhindern. Doch so weit war der Klassenkampf 2023/24 weder in Israel/Palästina noch weltweit. Das israelische Proletariat war und ist zu tief in den Zionismus integriert und das palästinensische in den entsprechenden Nationalismus.

Doch obwohl die israelischen Lohnabhängigen mehrheitlich tief in den Zionismus integriert waren, entwickelte sich doch Anfang September 2024 eine größere nationalpazifistische Bewegung. Diese richtete sich nicht grundsätzlich gegen den Krieg Israels gegen den Gazastreifen, sondern wollte erstmal eine Waffenruhe und die Freilassung jener Geiseln erreichen, die die Hamas bei ihrem Angriff auf Israel am 7. Oktober 2023 verschleppt hatte. Die tief in den israelischen Staat integrierte zionistische Gewerkschaft Histadrut war aufgrund des Druckes gezwungen, für den 2. September 2024 einen Generalstreik aufzurufen, der jedoch per Gerichtsbeschluss beendet wurde.

Jakob Reimann schrieb in der jungen Welt über den rasch beendeten Generalstreik am 2. September 2024 in Israel: „Wenigstens für ein paar Stunden standen Teile des Landes still: In ganz Israel blieben am Montag (2. September 2024) viele Banken und Geschäfte geschlossen, Busse und Züge fuhren nicht, und auch Flugzeuge am Ben-Gurion-Airport in Tel Aviv blieben am Boden, nachdem die größte Gewerkschaft, Histadrut, ihre Hunderttausenden Mitglieder zum Generalstreik aufgerufen hatte. Bereits am Sonntag (1. September 2024) war es in mehreren Städten des Landes zu Massenprotesten gekommen, bei denen Berichten zufolge eine halbe Million Menschen die extrem rechte Regierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu aufforderte, endlich eine Vereinbarung mit der Hamas über einen Waffenstillstand und die Freilassung der mutmaßlich noch 101 im Gazastreifen verbliebenen Geiseln zuzustimmen.

Auslöser des zivilen Ungehorsams war die Meldung vom späten Sonnabend (31. August 2024), dass das israelische Militär die Leichen von sechs weiteren Geiseln aus einem Tunnel im Süden der in Schutt und Asche liegenden Küstenenklave geborgen hatte. Die Opfer sollen kurz zuvor noch am Leben gewesen sein. Drei von ihnen waren laut AP in der ersten Phase des im Juli (2024) ausgehandelten Abkommens freigelassen worden, dessen Zustandekommen an einer Blockadehaltung Netanjahus scheiterte.

Die Reaktionen der ultrarechten Regierung auf den Generalstreik waren erwartbar. Anstatt in Kriegszeiten der israelischen Wirtschaft unter die Arme zu greifen, würde der Histadrut-Vorsitzende Arnon Bar-David ,in Wirklichkeit den Traum von (Hamas-Führer Jaha, jW) Sinwar erfüllen´, behauptete der extrem rechte Finanzminister Bezalel Smotrich laut Times of Israel auf einer Pressekonferenz am Sonntag (1. September 2024); Bar-David vertrete die ,Interessen der Hamas´. Minister Jizhak Wasserlauf forderte indes Gesetzesänderungen, die es ermöglichten, den Gewerkschaftsführer persönlich zu verfolgen und Schadensersatzansprüche gegen ihn geltend zu machen.

Um die Mittagszeit gab das israelische Arbeitsgericht am Montag (2. September 2024) schließlich einer Eingabe des Finanzministers Smotrich statt und ordnete das Ende des Streiks für 14.30 Uhr (Ortszeit) an. Histadrut-Chef Bar-David respektiere die Entscheidung des Gerichts, heißt es in einer Erklärung, aus der Times of Israel zitiert. Der als regierungsnah geltenden Gewerkschaftsfunktionär bedankte sich bei den ,Hunderttausenden von Bürgern´, um dann selbst in das Kostüm des Streikbrechers zu schlüpfen: ,Wir leben in einem Rechtsstaat und respektieren die Entscheidung des Gerichts, deshalb weise ich alle an, um 14.30 Uhr zur Arbeit zurückzukehren´, so Bar-David laut Reuters.

Unterdessen ruft das Forum der Geiseln und vermissten Familien, dass sich nach dem 7. Oktober (2023) gegründet hatte, auf, die Protestaktionen fortzusetzen. Es gehe nicht um einen Streik, ,sondern um die Rettung der 101 Geiseln, die von Netanjahu im Stich gelassen wurden´. Für den Abend hatte das Forum landesweit erneut eine Vielzahl von Protestaktionen angekündigt, auch vor dem Wohnhaus von Netanjahu. Dass die Regierung, insbesondere die ultrarechten Koalitionspartner, jedoch kein Interesse an der Freilassung der Geiseln hat, stellte der Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, unmissverständlich klar. ,Heute haben wir die Macht in der Regierung´ erklärte der Faschist am Montag (2. September 2024) gegenüber seinen Anhängern, und ,ich schäme mich nicht, zu sagen, dass wir diese Macht nutzen, um ein rücksichtsloses Abkommen zu verhindern und jegliche Verhandlungen zu stoppen.´“ (Jakob Reimann, Streik ohne Biss, in: junge Welt vom 3. September 2024, S. 1.)

Aus den Schilderungen ging eindeutig hervor, wie sich die zionistische Histadrut sich der kapitalistischen Diktatur, der einzigen Demokratie im Nahen Osten, beugte. Die Gewerkschaft führte den gerichtlich beendeten Generalstreik nicht als Klassenkampf von Lohnabhängigen gegen das Nationalkapital. Die Histadrut mobilisierte begrenzt die Lohnabhängigen in einem innerbürgerlichen Konflikt.

Ido Arad stellte vollkommen richtig fest: „Der israelische Gewerkschaftsbund Histadrut hat am Montag (2. September 2024) mit einem Generalstreik zu einem Deal zur Befreiung der Geiseln aufgerufen. Doch dieser Protest sollte nicht als ein Aufruf für ein Ende des Kriegs in Gaza missverstanden werden. Denn diese zwei erklärten Ziele der Regierung von Premierminister Benjamin Netanjahu, sowohl die Hamas auszulöschen und parallel dazu eine Befreiung der israelischen Geiseln zu erreichen, teilt Histadrut weiterhin. Auch wenn die Ziele von Anfang an eine unlösbare Spannung zwischen sich zwei gegenüberstehenden Interessengruppen in der israelischen Gesellschaft bedeuteten.

Die erste, rechtskonservative Gruppe bleibt Netanjahu treu und ist bereit, ihn auch um den Preis getöteter Geiseln zu unterstützen. Sie sieht in der Zerstörung Gazas und des Westjordanlands eine Gelegenheit, neue Verhältnisse in den besetzten Gebieten zu schaffen. Die andere Gruppe, die Liberalen, sieht in dem Geiseldilemma ein Symbol für Netanjahus moralische Korruption. Die Protestbewegung für die Befreiung der Geiseln ist eine weitere Etappe im Kampf dieser Gruppe, die unliebsame israelische Regierung endlich loszuwerden. (…)

Diese gesellschaftliche Spannung brach mit der Nachricht von sechs getöteten Geiseln in Form des Generalstreiks am Montag (2. September 2024) auf. Doch die Unterstützer des Streiks und die Demonstranten haben ihre eigene ,pragmatische´ Sicht auf Israels Krieg gegen Gaza: Die Regierung solle zunächst ein Abkommen schließen, um die Geiseln zu befreien. Danach könnte sie sich wieder der zweiten, nicht weniger wichtigen Aufgabe widmen, die Hamas zu zerstören. Die Kriegsverbrechen der israelischen Armee, das von Israel verursachte Hungern und die verbreiteten Krankheiten haben dabei – verglichen mit dem Kampf gegen Netanjahu und seine Regierung – wenig Bedeutung. (…)

Der Streik von Histadrut ist zudem nicht aus einem Impuls der Arbeiterbewegung in Israel entstanden. Er entspricht auch in keiner Weise ihren Interessen.“ (Ido Arad, Keine Kriegsgegner, in: junge Welt vom 3. September 2024, S. 8.)

Nein, der gerichtlich beendete Generalstreik vom 2. September 2024 stellte kein proletarischer Klassenkampf gegen den massenmörderischen Zionismus dar. Der Histadrut organisierte ihn im Interesse der liberalen Fraktion des israelischen Nationalkapitals. Diese liberale Fraktion ist genauso massenmörderisch wie die rechtskonservativ-faschistische – nicht nur in Israel.

Die propalästinensische Gewerkschaftsdemo vom 20. Oktober 2024

Wie bereits geschrieben, ist es ein Ausdruck proletarisch-klassenkämpferischer Solidarität, wenn die KollegInnen der Logistikbranche den Waffentransport an Kriegsschauplätze be- und verhindern. Dagegen ist eine von Gewerkschaften organisierte Solidaritätsdemo mit „Palästina“ nur sehr bedingt ein branchenübergreifender Klassenkampf in Form einer von Lohnabhängigen dominierten Straßenbewegung. Außerdem ist „Solidarität mit Palästina“ linksnationalistische Scheiße. RevolutionärInnen kämpfen gegen alle Nationalismen als Spaltungspraxen und -ideologien des Weltproletariats – einschließlich des Zionismus und palästinensischen Nationalismus.

Gerrit Hoeckman schrieb im linksreaktionären Käseblatt junge Welt über die linksnationalistische Pro-Palästina-Demonstration in Belgien im Oktober 2024: „Rund 32.000 Menschen haben am Sonntag (20. Oktober 2024) nach Angaben der Polizei in Brüssel für einen Waffenstillstand in Gaza und im Libanon demonstriert. Die Veranstalter zählten über 70.000 Teilnehmende. Auch die belgischen Gewerkschaften waren mittenmang. ,Israel verstößt seit Jahrzehnten ungestraft gegen das Völkerrecht. Nur internationaler Druck kann dies beenden und dem palästinensischen Volk Gerechtigkeit bringen´, stellte die sozialistische Gewerkschaft ABVV-FGTB vorab auf ihrer Internetseite fest. (Anmerkung der AST: Das „palästinensische Volk“ ist eine ideologische Abstraktion. Es ist gespalten in Politbourgeoisie, KleinbürgerInnentum und Proletariat. KleinbürgerInnentum und Proletariat sind das Manövriermasse der nationalistischen Politbourgeoisie und politisierenden KleinbürgerInnen. Solidarität mit dem „palästinensischen Volk“ ist sozialreaktionäre Solidarität mit dem palästinensischen Nationalismus!)

Die Forderungen sind klar: sofortiger und dauerhafter Waffenstillstand, Schutz aller Zivilisten und Freilassung aller Gefangenen. Die völkerrechtswidrige ,Besetzung und Kolonisierung der palästinensischen Gebiete´ müsse genauso beendet werden wie die ,Apartheidpolitik´. Das sei nur durch politischen und wirtschaftlichen Druck möglich. Die ABVV-FGTB verlangt ein umfassendes Waffenembargo gegen Israel. Die belgische Regierung müsse sich außerdem für ein Aussetzen des Assoziierungsabkommens zwischen der EU und Israel stark machen, um Handel und Investitionen zu behindern beziehungsweise zu verbieten. Jede Kooperation mit den illegalen israelischen Siedlungen auf der Westbank müsse komplett verboten werden. Die ABVV-FTGB unterstützt Südafrikas Klage gegen Israel vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag.

(Anmerkung der AST: Die sozialistischen Gewerkschaftsbonzen unterstützen den palästinensischen Nationalismus, der auch eine Spielkarte anderer Staat ist. Damit mobilisiert der sozialistische Gewerkschaftsapparat die Lohnabhängigen für den globalen Konkurrenzkampf der Nationen. In diesem macht unter anderem das ANC-Killerregime in Südafrika, das sehr blutig gegen das Proletariat vorgeht, gegen Israel mobil. Wir stehen für den proletarischen Klassenkampf gegen Israel, bekämpfen aber die nationalistische Mobilmachung gegen das zionistische Regime.)

,Als Gewerkschafter sind wir solidarisch mit dem palästinensischen Volk, seinen Gewerkschaften und Beschäftigten, die ebenfalls unter den wirtschaftlichen und menschlichen Folgen der Besatzung und des Völkermordes schwer zu leiden haben´, erklärte ,Jong ABVV´, die flämische Jugendorganisation der sozialistischen Gewerkschaft auf ihrer Homepage, warum ein geschlossener Block der Gewerkschaft auf der Solidaritätsdemo wichtig war.

,Jegliche Verherrlichung von Kriegsverbrechen, Angriffe auf Zivilisten oder jegliche Äußerung von Antisemitismus, Islamophobie und jeder anderen Form von Rassismus führt zum Ausschluss´, erinnerte der Gewerkschaftsnachwuchs die Teilnehmenden an den Verhaltenskodex. ,Nur die palästinensische Nationalflagge ist erlaubt.´ Alle hielten sich daran. Soweit bekannt, gab es keine Zwischenfälle. Die Demonstrierenden riefen nur friedlich, aber lautstark ihre Parolen. (Anmerkung der AST: Auch die palästinensische Nationalflagge gehört wie alle nationalistischen Symbole in den Schmutz getreten!)

Die belgischen Gewerkschaften sprachen sich mit als erste in Europa gegen Waffenlieferungen an Israel aus. ,Wir, die verschiedenen im Bereich der Bodenabfertigung tätigen Gewerkschaften, rufen unsere Mitglieder auf, die Abfertigung von Flügen einzustellen, die militärisches Gerät transportieren´, hieß es bereits im November 2023 in einer gemeinsamen Erklärung.

Hier und dort streuen Werktätige tatsächlich Sand ins Getriebe der Kriegsmaschinerie. Zuletzt ist das in der Nacht zum 19. Oktober (2024) im griechischen Piräus gelungen, wo Dockarbeiter die Verladung von Munition für Israel verhindert haben.

Die Gewerkschaften in Deutschland verfechten zwar die Zweistaatenlösung und fordern einen sofortigen Waffenstillstand, üben aber nur wohltemperierte Kritik am israelischen Vorgehen im Gazastreifen. ,Häufig werden politische Äußerungen in Gewerkschaften, insbesondere zu Themen rund um Krieg und Migration, damit zurückgehalten, dass es ,nur´ um Arbeitsthemen gehen sollte oder darf´, beschwerte sich der Landesverband Berlin der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) Anfang Juli (2024). Die GEW-Bundesgeschäftsstelle reagierte zwei Wochen später mit einem weiteren zahnlosen Appell: ,Die israelische Regierung muss ihrer Verantwortung umgehend nachkommen, die Zivilbevölkerung in Gaza zu schützen, deren Versorgung sicherzustellen und die bestehende humanitäre Katastrophe zu beenden.´

Manche an der Basis haben die wohlfeilen Worthülsen satt. Die Waffenlieferungen an Israel müssten umgehend gestoppt werden, verlangt etwa das Berliner Netzwerk ,Gewerkschafter:innen für Gaza´. Und in einem offenen Brief an den DGB postulierte im Sommer eine Gruppe von Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern aus München: ,Schweigen ist keine Option.´“ (Gerrit Hoeckman, In Belgien geht was, in: junge Welt vom 24. Oktober 2024, S. 15.)

In ganz klaren Worten: Die Gewerkschaftsdemo am 20. Oktober 2024 in Belgien war linksnationalistisch und damit absolut sozialreaktionär – genauso wie die prozionistischen Aufmärsche überall auf der Welt!

Wo Waffenlieferungen nach Israel blockiert werden, unterstützen wir das. Allerdings: wenn solche Aktionen mit einer propalästinensisch-nationalistischen Ideologieproduktion verbunden sind, dann kritisieren wir das.

Zur Situation in Deutschland: Die ZionistInnen verrichten ihr blutiges Handwerk mit freundlicher Unterstützung des deutschen Imperialismus. Während die deutschen FaschistInnen einst sechs Millionen europäische Juden und Jüdinnen ermordeten, helfen die deutschen DemokratInnen durch Waffenlieferungen an Israel heute den zionistischen Massenmord am Laufen zu halten. Das ist antifaschistische Vergangenheitsbewältigung und zugleich die blutige Kontinuität des deutschen Imperialismus.

So wie einst die deutschen Nazis bestimmten, wer Jude oder Jüdin war, bestimmen heute deutsche DemokratInnen wer ein/e „Antisemit/in“ ist. Nach diesen ExpertInnen sind auch Juden und Jüdinnen, die den Terrorstaat Israel hart kritisieren, „AntisemitInnen“. Die herrschenden DemokratInnen gehen hart gegen die Palästina-Solidarität vor, die wir von antinationalen Positionen ausgehend kritisieren. Wir lehnen die staatliche Repression zugunsten des zionistischen Mordregimes grundsätzlich ab. Und kämpfen dagegen, dass Prozionismus und propalästinensischer Nationalismus das Proletariat auch in Deutschland spalten.

Der DGB ist der Hausgewerkschaftsbund des deutschen Imperialismus. Die DGB-Bonzen unterstützten den NATO-Krieg in Jugoslawien 1999, die Aufrüstung des Kiewer Regimes und den Wirtschaftskrieg gegen Russland ab 2022 sowie das massenmörderische Israel. So erklärte sich der DGB am 10. Oktober 2023 mit den zionistischen MassenmörderInnen solidarisch. Die IG Metall verteidigt die Arbeitsplätze (= Ausbeutungsplätze) in der deutschen Produktion von Mordwerkzeug. Dass im DGB auch eine Bullengewerkschaft, die Gewerkschaft der Polizei (GdP) dabei ist, passt wie die Faust auf das Auge. Der ganze Verein ist ein Zivilbulle des deutschen Staates gegen das klassenkämpferisch-revolutionäre Proletariat. Der DGB ist der mieseste unserer Klassenfeinde. Er kann nicht klassenkämpferisch-sozialemanzipatorisch reformiert werden. Der DGB muss langfristig revolutionär zerschlagen werden!

Für die revolutionäre Zerschlagung des Zionismus und des palästinensischen Nationalismus!

Nieder mit dem deutschen Imperialismus!

Hoch die antinationale Solidarität!

Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST)

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Die konsequente Kritik des Anarchosyndikalismus und des Parteimarxismus ist eine absolute Notwendigkeit! https://astendenz.blackblogs.org/2024/12/07/die-konsequente-kritik-des-anarchosyndikalismus-und-des-parteimarxismus-ist-eine-absolute-notwendigkeit/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/12/07/die-konsequente-kritik-des-anarchosyndikalismus-und-des-parteimarxismus-ist-eine-absolute-notwendigkeit/#respond Sat, 07 Dec 2024 23:41:38 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=286 Eine Selbstkritik

Wie schmal der Grat zwischen Opportunismus und SektiererInnentum ist, auf dem sich SozialrevolutionärInnen bewegen, wird besonders deutlich, wenn sie auf der einen oder anderen Seite heruntergefallen sind. Sowie sie dies bemerken, sind Selbstkritik und Fehlerkorrektur angesagt. Damit der Weg auf dem schmalen Grat weitergeht.

Opportunistischer „Minimalkonsens“ in der Antikriegsfrage

So heißt es in unserer Schrift Für eine revolutionäre Antikriegsposition vom Januar 2024: „Das Vertreten von revolutionären Antikriegspositionen ist für die Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST) ein wichtiger praktisch-geistiger Impuls zur Radikalisierung des proletarischen Klassenkampfes und -bewusstseins. Wir halten es für richtig, möglich und notwendig, im Kampf gegen das permanente kapitalistische Abschlachten ein Bündnis mit anderen revolutionären Kräften (zum Beispiel: Links- und RätekommunistInnen sowie revolutionäre AnarchistInnen) einzugehen.

Nach Meinung der AST ist dafür ein Minimalkonsens einer revolutionären Antikriegsposition notwendig, die sowohl ein Absinken in den Sumpf des Sozialreformismus, der grundsätzlich nur den Kapitalismus und damit auch die Quelle der zwischenstaatlichen Konkurrenz reproduzieren kann, verhindert als auch gegen das SektiererInnentum schützt.

Der von uns unten formulierte Minimalkonsens einer revolutionären Antikriegsposition ist nach unserer Meinung das praktisch-geistige Fundament für das gemeinsame Agieren von RevolutionärInnen in der Frage des Kampfes gegen den kapitalistischen Krieg. Diese Gemeinsamkeit kann bei internationalen Treffen, das gemeinsame Agieren auf reformistisch-pazifistischen ,Friedensdemonstrationen´ und in öffentlichen Diskussionsveranstaltungen zum Ausdruck kommen. Wichtig ist dabei auch, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen revolutionären Kräften nicht verschwiegen oder unter den Teppich gekehrt werden. Also, dass die unterschiedlichen Subjekte in den verschiedenen praktischen revolutionären Antikriegsbündnissen ihre praktisch-geistige Eigenständigkeit bewahren können.

Unser Minimalkonsens für eine revolutionäre Antikriegsposition:

1. Der bürgerliche Frieden innerhalb des Kapitalismus ist keine Alternative zum imperialistischen Krieg, sondern dessen Quelle.

2. Nationale ,Befreiung´ und ,Selbstbestimmung´ sind Futter der zwischenstaatlichen Konkurrenz. Nationale ,Befreiung´ führt nur zur Neugründung kapitalistischer Staaten beziehungsweise nationaler ,Autonomie´ in bestehenden (zum Beispiel: kurdischer Nationalismus in Syrien und im Irak) und ist Spielzeug der Imperialismen. Im permanenten Konkurrenzkampf der Nationen unterstützen RevolutionärInnen keine Seite, sondern bekämpfen alle Seiten. Langfristig muss das Weltproletariat alle Nationen als Scheingemeinschaften aus Kapital und Lohnarbeit revolutionär zerschlagen und die klassen- und staatenlose Weltgemeinschaft gebären.

3. Gegen den prokapitalistischen und proimperialistischen Antifaschismus. SozialrevolutionärInnen bekämpfen die Demokratie kompromisslos – so wie alle anderen Staatsformen. Sie kämpfen gegen FaschistInnen, Nazis sowie Militärputsche und -diktaturen, aber verteidigen niemals die Demokratie. So wie der Antifaschismus im Zweiten Weltkrieg und im spanischen BürgerInnenkrieg demokratische Regimes gegen faschistische Staaten und Militärputsche unterstützte und damit das große kapitalistische Massaker am Weltproletariat mit organisierte, ist er auch heute in den verschiedenen Gemetzeln Teil der Rechtfertigungsideologien.

4. Nur das klassenkämpferisch-revolutionäre Proletariat hat die Potenz die imperialistischen Kriege progressiv durch die Zertrümmerung des Kapitalismus zu beenden.

Innerhalb dieses Minimalkonsenses sind wir zu Bündnissen mit anderen revolutionären Kräften bereit und solidarisch mit ihren Aktivitäten gegen den permanenten kapitalistischen Weltkrieg.“ (Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz, Für eine revolutionäre Antikriegsposition, in: Dieselbe, Schriften gegen kapitalistischen Krieg und Frieden (2022-2024), S. 31.)

KennerInnen unserer Positionen werden folgenden Widerspruch in diesem Minimalkonsens in der Antikriegsfrage erkennen: Die vier Punkte sind sowohl für radikale AnarchosyndikalistInnen als auch ParteimarxistInnen (besonders für „LinkskommunistInnen“) annehmbar, obwohl wir bestreiten, dass es in der Praxis revolutionäre Gewerkschaften und Parteien geben kann. Letztendlich kann nur die soziale Revolution kapitalistischen Frieden und Krieg überwinden. Okay, das ist auch im vierten Punkt des Minimalkonsenses ausgedrückt. Aber was nutz es, wenn sich radikale AnarchosyndikalistInnen, ParteimarxistInnen sowie gewerkschafts- und parteifeindliche RevolutionärInnen abstrakt zur „Revolution“ bekennen, sich aber konkret jeweils etwas anderes darunter vorstellen?

Nun könnte mensch argumentieren – so, wie wir damals –, dass mensch mit diesen Unterschieden leben müsse, um notwendig das SektiererInnentum in der Antikriegsfrage zu überwinden. Doch diese Argumentation ist aus zwei Gründen fadenscheinig.

Erstens wird unsere notwendige Kritik am Parteimarxismus und Anarchosyndikalismus praktisch abgeschwächt, wenn wir in der Antikriegsfrage mit den radikalsten Ausdrücken der beiden Strömungen zusammenwirken würden.

Zweitens kann die Praxis von revolutionären Kleingruppen sowieso nicht kapitalistischen Frieden und Krieg aufheben. Das kann nur das klassenkämpferisch-revolutionäre Proletariat. Revolutionäre Kleingruppen können nur Impulse zur Radikalisierung des Klassenbewusstseins geben. Die Darlegung, dass es keine revolutionären Parteien und Gewerkschaften geben kann, gehört untrennbar zu unseren Positionen. Wenn wir dies zugunsten von praktischen Bündnissen mit radikalen ParteimarxistInnen und AnarchosyndikalistInnen abschwächen würden, dann wäre das opportunistisch.

Dann ist es besser, wenn radikale AnarchosyndikalistInnen und ParteimarxistInnen auf der einen Seite und gewerkschafts- und parteifeindliche RevolutionärInnen auf der anderen ihre Gegnerschaft zum imperialistischen Krieg und bürgerlichen Frieden getrennt voneinander zum Ausdruck bringen. Erstens wird dann unsere Kritik am Parteimarxismus und Anarchosyndikalismus nicht abgeschwächt. Das ist kein SektiererInnentum. Denn erstens gibt es weltweit mehrere sozialrevolutionäre Gruppen, die sowohl Gewerkschaften als auch politische Parteien grundsätzlich bekämpfen, mit denen die AST das Bündnis nicht nur in der Antikriegsfrage suchen muss. Und zweitens wäre ein opportunistisches Bündnis mit radikalen parteimarxistischen und anarchosyndikalistischen Organisationen in nichtrevolutionären Zeiten kurzfristig genauso wenig wirksam wie keines. Aber: „Getrennt marschieren und getrennt zuschlagen“ sorgt für mehr geistige Klarheit, die immer auch eine langfristige praktische Auswirkung hat.

So fehlte beim Minimalkonsens in der Antikriegsfrage der fünfte Punkt: „Da es keine revolutionären politischen Parteien und Gewerkschaften geben kann, sind für uns keine praktischen Bündnisse mit parteimarxistischen und anarchosyndikalistischen Organisationen möglich.“

Natürlich muss noch definiert werden, was wir unter einem praktischen Bündnis verstehen, nämlich das gemeinsame Agieren unter einer theoretischen Plattform. So kann die AST kein gemeinsames Flugblatt mit AnarchosyndikalistInnen und ParteimarxistInnen schreiben und verteilen. Was kein praktisches Bündnis darstellt, ist zum Beispiel eine öffentliche Veranstaltung, auf der neben marxistischen Parteien und anarchosyndikalistischen Gewerkschaften auch die AST ihre unterschiedlichen Auffassungen darlegt. So etwas sorgt für geistige Klarheit. Deshalb kann die AST an einer öffentlichen Antikriegsveranstaltung, wo sie unter anderem ihre Gewerkschafts- und Parteifeindlichkeit darlegt, teilnehmen.

Keine Einheitsfront mit dem Parteimarxismus und Anarchosyndilaismus!

Unsere fehlende geistige Klarheit beim Formulieren eines „Minimalkonsenses“ in der Antikriegsfrage führte teilweise zu einer opportunistischen Praxis, die wir hier kritisieren werden.

Der fehlerhafte „Minimalkonsens“ ermöglichte praktische Bündnisse mit radikalen anarchosyndikalistischen und parteimarxistischen Organisationen. Er hatte deshalb eine opportunistische Tendenz. Das fühlten auch wir instinktiv beim Abfassen des Textes Für eine revolutionäre Antikriegsposition. So versuchten wir das praktische Bündnis irgendwie auf einzelne AnarchosyndikalistInnen zu beschränken, aber anarchosyndikalistische Gewerkschaften draußen zu halten. Was allerdings in der Praxis unmöglich ist. So hieß es an anderer Stelle unserer Schrift, aber eben nicht bei der Formulierung des „Minimalkonsens“: „Mit den Gewerkschaften und ihren hauptamtlichen FunktionärInnen sind keine revolutionären Antikriegsbündnisse möglich.“ (Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz, Für eine revolutionäre Antikriegsposition, a.a.O., S. 20.)

Beim „Linkskommunismus“ logen wir uns selbst in die eigene Tasche, indem wir uns sagten, dass zwar die Internationale „Kommunistische“ Strömung (I„K“S) und die Internationalistische „Kommunistische“ Tendenz (I„K“T) den Aufbau „revolutionärer Parteien“ anstreben, aber selbst (noch) keine sind. Nein, sie sind „nur“ ideologische ParteimarxistInnen! Aber der versuchte Selbstbetrug zeigte auch auf, dass wir uns in unserem teilweisen Opportunismus selbst nicht wohl fühlten. Was eine Voraussetzung dafür war, dass wir ihn später bewusst überwinden konnten.

Die AST hatte bis in das Jahr 2024 hinein noch die Illusion, dass sie in der Frage einer revolutionären Antikriegsposition mit „linkskommunistischen“ Organisationen praktisch in Form eines Bündnisses zusammenwirken könne. Inzwischen hat sich die AST von dieser Illusion befreit und lehnt jedes organisatorische Bündnis mit dem „linkskommunistischen“ Parteimarxismus ab.

Dies ist kein SektiererInnentum. Nur die Radikalisierung des proletarischen Klassenkampfes zur sozialen Revolution kann die imperialistischen Gemetzel und die Gefahr eines atomaren Overkills überwinden. Dem würden auch die „LinkskommunistInnen“ zustimmen. Doch was sie sich konkret unter einer sozialen Revolution vorstellen, ist alter parteimarxistischer Müll, der schon lange dekadent und potenziell konterrevolutionär ist. Während wir antipolitischen SozialrevolutionärInnen unter der sozialen Revolution die Aufhebung der Warenproduktion und die Zerschlagung des Staates durch das sich selbst aufhebende Proletariat verstehen, strebt der „Linkskommunismus“ noch immer die unmögliche „politische Machteroberung des Proletariats“ an. Eine „Kommunistische“ Partei soll es dabei „führen“, aber nicht die politische Macht übernehmen, sondern eben das Proletariat. Was dieses aber in der Wirklichkeit gar nicht kann, sondern nur politische Parteien und BerufspolitikerInnen können die politische Macht erobern. So wie im Oktober 1917 – nach dem alten russländischen Kalender – die bolschewistische Partei die politische Staatsmacht in Russland eroberte. Interessanterweise sieht der „Linkskommunismus“ in diesem bolschewistischen Staatsstreich, der folgerichtig in einem staatskapitalistischen Regime mündete, noch immer eine „proletarische Revolution“. Die heutigen „LinkskommunistInnen“ der I„K“T und der I„K“S lehnen die politische Machteroberung durch „Kommunistische“ Parteien ab. Doch sie halten an dem parteimarxistischen Dogma fest, dass in einer sozialen Revolution das Proletariat die politische Macht erobern solle, was es praktisch nicht kann. Es kann möglicherweise nur den Staat antipolitisch-sozialrevolutionär zerschlagen, das heißt, sich selbst aufheben. Nach der „linkskommunistischen“ Ideologieproduktion soll jedoch ein „Halbstaat“ entstehen. Es kann jedoch in der Wirklichkeit keine „Halbstaaten“ geben. Sondern nur ganze Staaten und die sind immer sozialreaktionär. Gerade das, was sich der „Linkskommunismus“ unter „Revolution“ vorstellt, sind also seine konterrevolutionär-sozialreaktionären Tendenzen. Es liegt auf der Hand, dass es deshalb keine organisatorischen Bündnisse zwischen „LinkskommunistInnen“ und antipolitischen SozialrevolutionärInnen geben kann.

2023/2024 hatte die AST im Rahmen ihrer Antikriegsaktivitäten gewisse Kontakte zur I„K“S und zur I„K“T, die jedoch noch nicht in wirklichen praktischen Bündnissen mündeten. Diese Kontakte sehen wir heute als Fehler an. Keine Einheitsfronten zwischen antipolitischen SozialrevolutionärInnen und dem „Linkskommunismus“! Außerdem nahmen wir an mehreren Online-Treffen von verschiedenen Gruppen teil, die eine Neuauflage der nationalpazifistischen „Zimmerwald-Konferenz“ anstrebten und diese idealisierten. Doch irgendwann verließen wir diese Treffen – auf dem die I„K“S zum Beispiel die revolutionäre Kritik am Antifaschismus praktisch fallen ließ wie eine heiße Kartoffel. Dass wir überhaupt anfänglich an diesen Treffen teilnahmen, war ebenfalls ein Fehler.

Außerdem bekamen wir durch unseren opportunistischen „Minimalkonsens“ in der Antikriegsfrage auch Zustimmung von falschen Seiten, nämlich von leninistischen AntistalinistInnen und radikalen AnarchosyndikalistInnen. Eben weil unser damaliger „Minimalkonsens“ in der Antikriegsfrage nicht den Ausschluss von Einheitsfronten mit parteimarxistischen und anarchosyndikalistischen Organisationen enthielt. Ein Fehler!

Selbstkritische Fehlerkorrektur

Die selbstkritische Reflektion unserer geistigen Unklarheiten und praktischen Fehler führten zu deren Korrektur. Noch einmal in aller Deutlichkeit: Die AST lehnt jedes praktische Bündnis mit parteimarxistischen und anarchosyndikalistischen Organisationen ab. Wir treten für eine globale Vernetzung von revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen auf der Grundlage einer scharfen Kritik an Parteimarxismus und Anarchosyndikalismus ein (siehe unsere gleichnamige Schrift).

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6. Der Rätekommunismus https://astendenz.blackblogs.org/2024/11/24/6-der-raetekommunismus/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/11/24/6-der-raetekommunismus/#respond Sun, 24 Nov 2024 13:03:47 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=278 Wie wir bereits im Kapitel III.5 schrieben, entwickelte sich bereits innerhalb der KAPD der parteifeindliche Kommunismus heraus. Diese verkörperte damals den geistigen und praktisch wirksamen Höhepunkt des marxistischen Denkens in Deutschland. Bereichert um die praktischen Erfahrungen der Revolution und Konterrevolution ab 1918 erkannte diese Strömung den allgemein bürgerlichen Charakter der politischen Parteiorganisation. Das war auch der Hauptstreitpunkt zwischen dieser Strömung und der KAPD-Mehrheit. Davon abgeleitet war es die Frage des Verhältnisses zwischen KAPD und der „Kommunistischen“ Internationale als Werkzeug des sowjetischen Imperialismus. Die parteifeindliche Strömung um Otto Rühle und Franz Pfemfert begann auch 1920 als erste radikalmarxistische Tendenz die bolschewistisch-staatskapitalistische Parteidiktatur in „Sowjet“-Russland zu kritisieren und lehnte im Gegensatz zur damaligen KAPD-Mehrheit den Beitritt zu der von Moskau beherrschten sozialreaktionären „Kommunistischen“ Internationale ab. Die Trennung des parteifeindlichen Kommunismus von der KAPD erfolgte im Oktober 1920. Doch die parteifeindliche Strömung wirkte noch ein Jahr in der mit der KAPD verbundenen AAUD, bevor sie sich im Oktober 1921 in Form der Allgemeinen Arbeiter-Union-Einheitsorganisation (AAUE) ihre eigene Organisation schuf.

Die Märzkämpfe in Mitteldeutschland im Jahre 1921 vertieften den Graben zwischen der KAPD und dem parteifeindlichen Kommunismus. Während der Märzkämpfe luden sich eine proprivatkapitalistisch-sozialdemokratische Polizeiprovokation und der Putschismus der „Kommunistischen“ Internationale als Arm des sowjetischen Imperialismus gegenseitig auf – und verheizten das klassenkämpferische Proletariat, mit dem Ergebnis von hundert toten ProletarierInnen. Im Dezember 1920 vereinigte sich der linke USPD-Flügel mit der „K“PD zur V„K“PD. Moskau glaubte nun, ein starkes politisches Instrument in der Hand zu haben, um auch in Deutschland ein staatskapitalistisches Regime installieren zu können. Der sowjetische Staatskapitalismus hatte gerade im März 1921 durch die Niederschlagung des Kronstädter Aufstandes die Russische Revolution konterrevolutionär beendet, spielte sich aber in Deutschland durch seinen Putschismus als Gralshüter der Weltrevolution auf. So beschoss die moskauhörige „Kommunistische“ Internationale im Frühjahr 1921 den Putschismus zur bestimmenden Politik der V„K“PD zu machen. Bernd Langer schrieb darüber, ohne den sozialreaktionären staatskapitalistischen Putschismus korrekt auf den Begriff zu bringen: „Um den Glauben an die Weltrevolution aufrecht zu erhalten und von den innenpolitischen Problemen abzulenken, brauchen die Bolschewiki ein revolutionäres Signal. Eine kommunistische Erhebung in Deutschland soll, unabhängig von ihrem Erfolg, die Fortführung der Weltrevolution dokumentieren. Eine ,Offensivstrategie‘ wird entworfen, nach der eine kommunistische Partei immer und unter allen Umständen verpflichtet ist anzugreifen. Sehr wahrscheinlich sind die Betreiber der deutschen Revolutionsidee im ,Kleinen Büro‘ des EKKI (Führung der „Kommunistischen“ Internationale, Anmerkung von Nelke) zu finden, zu denen Sinowjew, Bucharin und Radek gehören. Die bekannte Parteilinke Ruth Fischer schreibt dazu später, dass ,die Aktion in Deutschland… von einer kleinen Clique um Sinowjew und Bela Kun in der russischen Partei ausgeheckt worden war‘. (Ruth Fischer, Stalin and German Communism: A Study in the Origins of the State Party, mit einer Einleitung von Sidney B. Fay, Cambridge 1948, S. 174/175.)“ (Bernd Langer, Revolution und bewaffnete Aufstände in Deutschland 1918-1923, AktivDruck & Verlag, Göttingen 2009, S. 309.)

Der oben erwähnte ehemalige Oberbonze der ungarischen „Räterepublik“, Bela Kun, kam als Vertreter der „Kommunistischen“ Internationale nach Deutschland, um die V„K“PD in ihrem Putschismus anzutreiben. Der staatskapitalistische Putschismus Moskaus und der V„K“PD stützte sich auf die Provokationen der privatkapitalistischen Konterrevolution, welche die Klassenkämpfe in Mitteldeutschland zuspitzten. Die damalige preußische Provinz Sachsen, die dem heutigen Sachsen-Anhalt ohne Dessau und dem nördlichen Teil Thüringens entspricht, war damals ein Herd von Klassenkämpfen, wo auch (V)„K“PD, KAPD und die AAUD ihre Hochburgen hatten. So zählte die AAUD in den Leuna-Werken während der Zeit der Märzkämpfe 10.000 Mitglieder. Um dem klassenkämpferischen Proletariat Mitteldeutschlands eine entscheidende Niederlage zu bereiten, begann am 19. März 1921 der Einmarsch der preußischen Sicherheitspolizei (Sipo) in Mitteldeutschland. Die Gruben und Fabriken wurden unter polizeiliche Aufsicht gestellt.

Die mitteldeutsche V„K“PD schätzte richtig ein, dass der Einmarsch der Bullen bei der Mehrheit des lokalen Proletariats kein revolutionäres Sein und Bewusstsein hervorrief. Aber Moskau erwartete einen Aufstand! Also musste durch die „Offensiv“-Strategie dem Proletariat auf die Sprünge geholfen werden. Die Zentrale der V„K“PD schickte ihren erfahrenen Sabotage-Fachmann Hugo Eberlein ins mitteldeutsche Industrierevier. Um die Stimmung anzuheizen war von Eberlein unter anderem die Vortäuschung der Entführung von V„K“PD-FunktionärInnen, die Sprengung der Konsumgenossenschaft der ArbeiterInnen in Halle und das in die Luft jagen eines Polizei-Munitionswagens geplant. Dieser reaktionäre Putschismus, der mit der sozialrevolutionären Strategie der Verschärfung und Zuspitzung des reproduktiven Klassenkampfes nicht das Geringste zu tun hatte, scheiterte jedoch an der technischen Unvollkommenheit der V„K“PD.

Dass es überhaupt zum bewaffneten Kampf in Mitteldeutschland kam, ist dem militanten Arbeiter Max Hoelz zu verdanken. Hoelz wurde während des Kapp-Putsches von den „kommunistischen“ Bonzen wegen Mangel an Disziplin aus der „K“PD ausgeschlossen und hatte sich daraufhin der KAPD angenähert. Hoelz traf am 21. März 1921 in Mansfeld ein und begann sofort für den Generalstreik zu mobilisieren. Am folgenden Tag weiteten sich auch die Streiks in Mansfeld-Eisleben aus. Teilweise gingen bewaffnete Gruppen von ArbeiterInnen gegen Streikunwillige vor. Hoelz versuchte durch seine unermüdliche Aktivität das Proletariat in die Aktion hinein zu peitschen. In der Nacht zum 23. März wurde unter der Führung von Hoelz versucht, die von der Sipo davor verhafteten ArbeiterInnen in Eisleben zu befreien. Die von Hoelz geführten und unabhängig von der V„K“PD-Zentrale handelnden ArbeiterInnen holten ihre Waffen aus während des Kapp-Putsches angelegten Verstecken und griffen die Polizeihundertschaften an. Doch der Polizei gelang es ihre Position in Eisleben zu halten. Aber die Region befand sich jetzt im bewaffneten Aufstand. Selbst die lokale Zentrale der V„K“PD in Halle hatte keine Kontrolle über diese Kämpfe. Im Aufstandsgebiet Mansfeld-Eisleben kam es zu Reibereien zwischen der örtlichen V„K“PD und Max Hoelz. Letzterer organisierte selbstherrlich eine „Armee“, der zwischen 1.000 und 2.000 Kämpfer angehörten. Diese Armee wurde für die nächsten zehn Tage zum Schrecken der privatkapitalistischen Sozialreaktion: der GutsbesitzerInnen, der Bourgeoisie und der Bullen. Hoelz‘ Methoden waren Plünderungen und Bankraub, das Niederbrennen der Villen der Bourgeoisie und das Sprengen von Gebäuden, Eisenbahnzügen sowie diverser anderer Einrichtungen. Die privatkapitalistische Konterrevolution nutzte den bewaffneten Kampf, um am 24. März 1921 den nichtmilitärischen Ausnahmezustand über die preußische Provinz Sachsen und Hamburg zu verhängen.

Max Hoelz ließ sich von den Zentralen von V„K“PD und KAPD nicht reinreden. Er organisierte selbständig seine militärischen Operationen. Der Analyse von Hans-Manfred Bock ist nur zuzustimmen: „Die Agitation der VKPD und der KAPD trug zur Zuspitzung der Lage bei, aber die Führung der ausbrechenden Kämpfe lag nicht bei den Zentralen der beiden kommunistischen Parteien.“ (Hans Manfred Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918-1923, a.a.O., S. 301.) Die Berliner KAPD-Zentrale ließ sich von der V „K“PD in ihren Putschismus hineinziehen. Beide „kommunistische“ Parteien riefen unter Aufstands-Parolen am 24. März 1921 zum reichsweiten Generalstreik auf, dem jedoch nur 200.000 ArbeiterInnen deutschlandweit folgten. Diese mangelhafte Beteiligung am Generalstreik zeigte eindeutig, dass im März 1921 in Deutschland keine revolutionäre Situation bestand. Übrigens ist unsere Charakterisierung des staatskapitalistischen Putschismus nicht davon abhängig, ob putschistische Partei-„Kommunismen“ in Situationen handeln, die als revolutionär oder als nichtrevolutionär einzuschätzen sind. Es sind das Ziel, die politische Eroberung der Staatsmacht, und die dabei angewendeten politisch-militärischen Methoden, die das klassenkämpferische Proletariat zur Manövriermasse von Parteizentralen degradieren, die den Putschismus charakterisieren. Der Bolschewismus kam 1917 durch eine putschistische Strategie und Taktik in einer revolutionären Situation bei einer schwachen russischen Bourgeoisie an die Macht, V„K“PD und die Berliner KAPD-Zentrale scheiterten mit ihrem Putschismus im März 1921 in einer nichtrevolutionären Situation an der starken deutschen Bourgeoisie. Die schwersten Kämpfe fanden in Leuna zwischen dem 23. und 30. März statt, wo dem dortigen Proletariat von der privatkapitalistischen Sozialreaktion eine blutige Niederlage beigebracht wurde. Am 1. April besiegte die letztere bei Beesenstedt, einem Dorf zwischen Halle und Mansfeld, auch die 200 bewaffneten Arbeiter unter Führung von Max Hoelz. Am selben Tag verkündete die V„K“PD das Ende von ihrem kläglichen Generalstreik. Den letzten Grüppchen gelang noch eine bewaffnete Gegenwehr bis zum 3. April 1921.

Während die V„K“PD sich bald wieder vom Putschismus distanzierte und ihren parlamentarischen und gewerkschaftlichen Sozialreformismus reproduzierte – um dann zwei Jahre später einen noch eindeutigeren Putschismus zu betreiben –, stellte die Niederlage im März 1921 das Ende der KAPD als handlungsfähiger Partei dar und sie degenerierte endgültig zur politideologischen Sekte. In den Märzkämpfen von 1921 erwies sich die KAPD-Zentrale objektiv eindeutig als „kommunistisch“. Ihr putschistisches Verhalten bewies eindeutig die Richtigkeit der revolutionären Parteikritik. Sie ließ sich von Moskau und der V„K“PD in einen sozialreaktionären Putschismus hineinziehen. In den Märzkämpfen von 1921 setzte sich auch in der „K“APD endgültig der objektiv gegebene bürgerlich-reaktionäre Charakter der Parteiorganisation gegen die illusorische revolutionäre Subjektivität vieler ihrer Mitglieder durch. Parteien müssen als politische Organisationen danach streben, die Staatsmacht zu erobern. Da die „K“APD den Parlamentarismus ablehnte, blieb ihr nur der Putschismus zur Eroberung der politischen Macht. Die Eroberung der politischen Macht durch Parteien kann den Kapitalismus nur reproduzieren. Nur die antipolitische Zerschlagung des Staates, die zugleich die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats darstellt, vermag den Weg zur klassen- und staatenlosen Gesellschaft freizukämpfen. Während sich die KAPD in den Putschismus des sowjetischen Imperialismus, der „Kommunistischen“ Internationale und der V„K“PD hineinziehen ließ, kritisierte dies die parteifeindliche Strömung, die damals noch Teil der AAUD war, scharf.

Nachdem der radikalmarxistisch-parteifeindliche Flügel mit der KAPD gebrochen hatte, blieb er noch ein Jahr in der AAUD. Doch dieses Jahr war eines der erbittertsten Fraktionskämpfe zwischen den ParteifeindInnen und den KAPD-AnhängerInnen innerhalb der Union. Die Vorstellungen über die praktischen Aufgaben einer revolutionären Klassenkampforganisation waren zwischen den verschiedenen Fraktionen gar nicht so unterschiedlich. Was sie trennte, war die Haltung zur KAPD. Und so trennten sich die theoretisch klarsten und praktisch konsequentesten parteifeindlichen RevolutionärInnen um Otto Rühle und Franz Pfemfert im Oktober 1921 von der AAUD und bildeten die Allgemeine Arbeiter-Union-Einheitsorganisation (AAUE). Die AAUE verstand sich als antiparlamentarische und gewerkschaftsfeindliche revolutionäre Klassenkampforganisation. Antigewerkschaftlich bedeutete, dass sie Tarifverträge mit der Bourgeoisie und das Mitwirken in den gesetzlich-sozialpartnerschaftlichen Betriebsräten grundsätzlich ablehnte. Diese Grundhaltung wird auch heute noch vom bewusst antipolitischen Kommunismus geteilt. Im Geburtsjahr der AAUE waren die ArbeiterInnen- und Soldatenräte als Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats bereits von der Konterrevolution vernichtet. Aber es gab noch hunderttausende antiparlamentarisch und gewerkschaftsfeindlich eingestellte ProletarierInnen – und ebenfalls zehntausende parteifeindliche, die zur Massenbasis der AAUE wurden. Im Glossar des Buches von Marcel Bois, Kommunisten gegen Hitler und Stalin. Die linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik wird für das Jahr 1922 eine Mitgliedszahl der AAUE von 75.000 genannt (Berlin 2014, S. 535.) Bei Wikipedia können wir lesen: „Über die Mitgliederzahlen gibt es keine genaueren Angaben, die von Pfemfert genannten anfänglichen 60.000 Mitglieder dürften jedoch übertrieben gewesen sein.“ (Wikipedia, Stichwort: Allgemeine Arbeiter-Union-Einheitsorganisation.)

Aber die soziale Basis von zehntausenden revolutionären ProletarierInnen und Intellektuellen (neben Rühle und Pfemfert zum Beispiel der Dichter Oskar Kanehl und der bekannte Strafverteidiger in politischen Prozessen, James Broh) konnte die AAUE in der Phase der relativen Stabilisierung des deutschen Kapitalismus ab 1924 nicht erhalten. Nach dem endgültigen Sieg der Konterrevolution waren revolutionäre Klassenkampforganisationen eine objektiv-subjektive Unmöglichkeit. Jetzt konnten sich bewusste SozialrevolutionärInnen nur noch in kleinen Gruppen organisieren. Der heutige konsequent antipolitische Kommunismus nennt sie antipolitisch-sozialrevolutionäre Gruppen. In der Weimarer Republik hatten viele SozialrevolutionärInnen noch die Illusionen, dass sich bald wieder eine neue Revolution entwickeln würde. Die AAUE strebte das Aufgehen in einem neuen Rätesystem an. Doch real verlor sie ihre Massenbasis und spaltete sich in einzelne Richtungen und Gruppen auf.

Da entwickelte sich zum Beispiel die individualistische und organisationsfeindliche Heidenauer Richtung, die sich 1923 selbst auflöste. Außerdem entwickelte sich noch die opportunistisch-sozialreformistische Zwickauer Richtung, die für die Teilnahme an den gesetzlich-sozialpartnerschaftlichen Betriebsräten eintrat. Diese opportunistische Tendenz verließ 1923 die AAUE in Richtung der anarcho-reformistischen Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD, siehe 1. Teil, Kapitel II.5).

Rühle brach 1925 mit der AAUE, weil er sich opportunistisch an die Individualpsychologie anpasste, mit der er dem Proletariat das autoritäre Bewusstsein austreiben wollte. Er erkannte nicht, dass nur der Klassenkampf die kollektive Therapie des Proletariats vom autoritär-bürgerlichen Sein und Bewusstsein sein konnte. Die von bewussten RevolutionärInnen angewandte Psychologie kann dabei nur ein Hilfsmittel sein – nachdem sie vorher aus einer bürgerlichen Wissenschaft zu einem Teil einer revolutionären Theorie umgeformt worden ist. Revolutionär wirken kann die Psychologie nur als Sozialpsychologie und Bestandteil der materialistisch-dialektischen Weltbetrachtung. Rühles Individualpsychologie war zu schematisch, zu biologistisch und eben zu stark auf das Individuum zugeschnitten, um diesen Anspruch erfüllen zu können. Da die Mehrheit der AAUE berechtigterweise von Rühles Individualpsychologie nicht viel hielt, kam es 1925 zum Bruch. Rühle blieb auch nach diesem seinen rätekommunistischen Überzeugungen treu.

Franz Pfemfert, der 1925 in dem Konflikt mit Rühle noch auf der Seite der AAUE-Mehrheit stand, brach später ebenfalls mit dieser. Auch dieser Pionier des Rätekommunismus war den psychischen und geistigen Anforderungen an RevolutionärInnen nach dem Triumpf der Konterrevolution nicht gewachsen. So spaltete sich Pfemfert Ende der 1920er /Anfang der 1930er Jahre mit einem Teil der AAUE von dieser ab und verschmolz mit einer radikalen „K“PD-Abspaltung um Iwan Katz zum Spartakusbund II. Diese Organisation reproduzierte durch eine „kritische“ Wahlunterstützung der „K“PD wieder den Parlamentarismus und die opportunistische Anpassung an den Partei-„Kommunismus“, war also ein Ausdruck des geistigen Niederganges als einer Folge der siegreichen Konterrevolution.

Außerdem entwickelte sich in der AAUE eine „2. Zwickauer Richtung“ um die Wochenzeitungen Proletarischer Zeitgeist (Zwickau)und Von Unten Auf. Laut Wikipedia zeigte sie „Nähe zu anarchistischen Positionen und starke Intellektuellenfeindlichkeit. 1924 schloss sich dieser Organisation eine Gruppe ehemaliger KPD-Mitglieder um Ketty Guttmann und konnte sich bis zur teilweisen Zerschlagung während der Zeit des Nationalsozialismus halten. Die Hamburger Gruppe um Otto Reimers gab in der Illegalität bis Mitte 1934 den Mahnruf heraus, anderen lokalen Gruppen gelang es teilweise die NS-Zeit zu überdauern. (…) Versuche der Strömung um den Proletarischen Zeitgeist, nach 1945 in der Zwickauer Region die Organisation wieder herzustellen, wurde 1948 repressiv unterbunden, der leitende Aktivist der Gruppe, Willhelm Jelinek, starb 1952 unter ungeklärten Umständen im Zuchthaus Bautzen.“

Die progressivste Tendenz der AAUE war die rätekommunistische Frankfurt-Breslauer Richtung, die mit Otto Rühle im Kontakt blieb und im Jahr 1931 mit den Resten der AAUD – diese trennte sich 1929 von der niedergehenden KAPD – zur Kommunistischen Arbeiter-Union Deutschlands (KAUD) verschmolz. Diese rätekommunistische Organisation verfügte natürlich nicht mehr über eine proletarische Massenbasis wie die beiden ArbeiterInnenunionen in der revolutionären Nachkriegskrise. In nichtrevolutionären Zeiten können revolutionäre Organisationen nur wenige Mitglieder haben. So konnten nur wenige die Transformation von der einstigen revolutionären Klassenkampforganisation AAUD über die Spaltung und schließlich erfolgende Wiedervereinig zur KAUD mit vollziehen, die sich bewusst als Gruppe einer sozialrevolutionären Minderheit organisierte. Die KAUD hatte bei ihrer Gründung 343 Mitglieder. Diese Minderheit, welche die Kontinuität des revolutionären Bewusstseins auch in nichtrevolutionären Zeiten verkörperte, konnte natürlich nach der kampflosen Kapitulation des Proletariats in Deutschland gegenüber den Nazis, welche SPD und „K“PD 1933 organisierten, nicht mehr lange bestehen.

Diese Organisation stellte in der Haupttendenz eine revolutionäre Alternative zu Parteimarxismus und Anarchosyndikalismus dar. So heißt es in ihrer Schrift Was will die Kommunistische Arbeiter-Union (KAU)? aus dem Jahre 1932 völlig richtig: „Gewerkschaft und Partei sind historische Erscheinungsformen. Auf Grund ihrer organisatorischen Struktur müssen sie an einer bestimmten Stufe der kapitalistischen Entwicklung versagen, weil ihr Organisationssystem dem Kapitalismus entlehnt ist.“ Dazu ist noch zu sagen, dass auch die radikalsten Parteien (KAPD) und Gewerkschaften (I.W.W.) objektiv keine Organe der sozialen Revolution sein konnten, aber die reaktionärsten Parteien und Gewerkschafen der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung durchaus nicht versagten, sondern zumindest für eine längere Zeit hervorragend für die Kapitalvermehrung funktionierten und funktionieren.

Leider hatte die KAUD trotz ihrer Gewerkschaftskritik gewisse syndikalistische Tendenzen. So schlossen sich die KAUD und die IWW in Deutschland zu einem Kartell zusammen. Aus heutiger Sicht war es ein Fehler, dass die KAUD der anarchosyndikalistischen FAUD, die in den 1920er Jahren klar in ihrer Anpassung an die gesetzlichen Betriebsräte ihre sozialreformistisch-opportunistischen Tendenzen gezeigt hatte (siehe 1. Teil, Kapitel II.5), ein festes Bündnis „gegen Faschismus und Reaktion“ vorschlug, was die AnarchosyndikalistInnen aber ablehnten. Diese Bemühungen der KAUD zeigten jedoch deren Schwächen. Aus unserer heutigen Sicht geht eine Gruppe der sozialrevolutionären Minderheit, die die KAUD objektiv war, niemals feste Bündnisse mit marxistischen Parteien und anarchosyndikalistische Gewerkschaften ein. Die proletarischen Mitglieder von antipolitisch-sozialrevolutionären Gruppen nehmen natürlich am Klassenkampf teil, ohne sich an dessen reproduktiven Grenzen opportunistisch anzupassen (siehe Kapitel IV.2). Das Bündnisangebot an die FAUD zeigt deutlich, dass sich die KAUD nicht im ausreichenden Maße der Aufgabe von SozialrevolutionärInnen in nichtrevolutionären Zeiten bewusst war.

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1920/21 stellten sich keine bekannten SozialrevolutionärInnen der Niederlande auf die Seite der parteifeindlichen Strömung um Rühle und Pfemfert in Deutschland. Erst später, im Jahre 1927 begann sich mit dem Niedergang der KAPN (siehe Kapitel III.5) die Gruppe Internationaler Kommunisten (GIK) als klare parteifeindliche Strömung herauszubilden. Die GIK nannte damals die Organisation der SozialrevolutionärInnen „Arbeitsgruppe“ und lehnte den Parteibegriff klar ab, wenn auch diese Organisation sich noch nicht als antipolitische verstand. So schrieb das Gründungsmitglied der GIK Henk Canne Meijer: „Wenn mit dem Begriff ,Partei‘ der spezifische Herrschaftscharakter der Partei, die neuen Arbeitsgruppen aber gerade dagegen ihre Propaganda richten und auch, insofern sie ein politisches Programm haben, sich im völligen Gegensatz zu den bekannten Parteiauffassungen befinden, haben die neuen Arbeitsgruppen mit dem, was man unter ,Partei‘ versteht, so gut wie nichts gemein. Sie sind davon wesentlich verschieden und können darum nicht als Parteien angesehen werden. Wir nennen sie vorläufig Arbeitsgruppen und müssen es der weiteren Entwicklung überlassen, welchen Namen sie schließlich erhalten.“ (Henk Canne Meijer, Das Werden einer neuen Arbeiterbewegung, in: Anton Pannekoek/Willy Huhn/Henk Canne Meijer/Paul Mattick, Partei und Revolution, Karin Kramer Verlag o.J., Westberlin, S. 38.)

Während des Zweiten Weltkrieges hörte die GIK auf zu bestehen, aber einige ihrer Mitglieder waren in den linkskommunistischen Organisationen Marx-Lenin-Luxemburg-Front (MLLF) und Spartacus-Bund (ab 1944, siehe Kapitel III.5) aktiv. Durch den Communistenbond Spartacus wurde die klare Haltung des Rätekommunismus gegenüber der Partei als Organisationsform vorübergehend wieder aufgegeben. So war die größte geistige Errungenschaft der europäischen revolutionären Nachkriegskrise, nämlich die Erkenntnis, dass die Partei eine bürgerliche Organisationsform darstellt, durch den Sieg der Sozialreaktion danach für ein paar Jahre verlorengegangen.

Durch Paul Mattick (1904-1981) entwickelte sich der Rätekommunismus auch in den USA. Mattick wirkte in den 1920er Jahren in der KAPD und der AAUD mit – die Bedeutung der Kritik Rühles an der Parteiorganisation hatte er nie verstanden – und emigrierte Mitte der 1920er Jahre in die USA, wo er seinem leicht parteiförmigen und syndikalismusnahen, aber auch antileninistischen Rätekommunismus treu blieb. In den 1920er Jahren hielt Mattick auch in den USA die Kontakte zu der KAPD und der AAUD aufrecht. Er beschäftigte sich besonders mit der Kapitalismuskritik von Marx. Im Gegensatz zu den KonsumtionskrisentheoretikerInnen hielt er sein ganzes Leben daran fest, dass die Profitproduktion das Zentrum einer materialistischen Krisentheorie zu sein hat. Er war sich der großen Bedeutung der kapitalistischen Krisendynamik für den proletarischen Klassenkampf bewusst.

Gegen Ende der 1920er Jahre zog Mattick nach Chicago. Dort strebte er an, die verschiedenen deutschsprachigen ArbeiterInnenverbände zu vereinigen. Er war auch hochaktiv in der Arbeitslosenbewegung, die sich als Folge der Weltwirtschaftskrise entwickelte. Diese Bewegung wurde vom US-Staat durch brutale Repression und staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen des New Deal zerschlagen. Mattick wurde Mitglied der radikalgewerkschaftlichen Indsutrial Workers of the World (IWW). Er schrieb auch 1933 deren Programm Die Todeskrise des kapitalistischen Systems und die Aufgaben des Proletariats. Im Jahre 1934 gründete Mattick zusammen mit Freunden aus der IWW sowie den Ausgeschlossenen aus der leninistischen Proletarian Party die United Workers Party. Dies zeigte deutlich, dass Mattick den Parteimarxismus nicht hinter sich gelassen hatte. Doch durch Kontakte zur konsequent parteifeindlichen GIK in den Niederlanden, wurde diese Partei später in Group of Council Communists umbenannt. Aber bei Mattick gab es wahrscheinlich nie wirklich einen Bruch mit dem Parteimarxismus, wie auch Äußerungen von ihm nach dem Zweiten Weltkrieg nahelegen (siehe weiter unten in diesem Kapitel). Die Group of Council Communists gab in den 1930er Jahren die Zeitschrift International Council Correspondenze heraus, das war die US-amerikanische Parallele zu dem Organ Rätekorrespondenz der GIK. Auch der Linkskommunist Karl Korsch hatte enge Kontakte zu den US-amerikanischen RätekommunistInnen. Mattick stand mit Korsch seit 1935 in Kontakt. Nach dem Verschwinden des Rätekommunismus als organisierte Kraft in Europa benannte Mattick 1938 die International Council Correspondenze 1938 in Living Marxism und ab 1942 in New Essays um. Auch die Group of Council Communists überlebte den Zweiten Weltkrieg nicht. Mattick war auch als isolierte Einzelperson ein konsequenter Gegner des Eintritts der USA in den Zweiten Weltkrieg.

Dieser und der Kalte Krieg, der in den USA zu einem massiven Antikommunismus führte, isolierten Mattick zu einer radikalen Einzelperson. Er zog aufs Land und schlug sich durch Gelegenheitsjobs und seiner Tätigkeit als Schriftsteller durch. Paul Mattick begann sich ab den 1940er Jahren mit dem Ökonomen Keynes kritisch zu beschäftigen, der den wachsenden Staatsinterventionismus innerhalb des Privatkapitalismus ideologisierte. 1969 erschien Matticks sehr verdienstvolles Werk Marx and Keynes. The Limits of Mixed Economy, welches später auch auf Deutsch erschien. Mattick wies in diesem Buch nach, dass der Staatsinterventionismus nicht wirklich die Profitproduktionskrise eindämmen konnte, sondern diese im Gegenteil mit hervorbrachte, was die strukturelle Profitproduktionskrise in Nordamerika und Westeuropa ab 1974 bestätigte. Durch das kleinbürgerlich-radikale und proletarische 1968 – die StudentInnenbewegung und der radikalisierte Klassenkampf am Ende des kapitalistischen Nachkriegsaufschwunges – wurde auch Mattick aus seiner Isolation befreit.

Auch in den Niederlanden wurde der Rätekommunismus nach dem Zweiten Weltkrieg als eigenständige theoretische Strömung wiedergeboren. Im Dezember 1964 spalteten sich traditionelle Rätekommunisten wie Cajo Brendel, Theo Maassen und Jupp Meulencamp vom linkskommunistischen Spartacusbond (siehe Kapitel III.5) ab und gaben die theoretische Monatszeitschrift Daad en Gedachte heraus. Diese existierte bis Ende der 1990er Jahre. Cajo Brendel (1915-2007) wurde zu einem bedeutenden Theoretiker des Rätekommunismus, der sich Zeit seines geistigen Schaffens in den von Pannekoek geschaffenen Bahnen bewegte. Er hielt bis zu seinem Tod daran fest, dass die Partei- und Gewerkschaftsorganisation unvereinbar mit der proletarischen Selbstorganisation im Klassenkampf war. Allerdings fiel Cajo Brendel hinter der Position der KAUD und der GIK zurück, indem er die Bedeutung der bewusst revolutionären proletarischen Minderheiten und den von ihnen organisierten Gruppen immer weniger Bedeutung beimaß. Dagegen überschätzte er die Bedeutung von Spontaneität und Klasseninstinkt für den revolutionären Prozess auf geradezu groteske Weise. Mit Cajo Brendel starb der traditionelle Rätekommunismus als theoretische Strömung in den Niederlanden.

In Deutschland entwickelte sich Willy Huhn (1909-1970) nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem bedeutenden rätekommunistischen Theoretiker. Er war der Sohn eines deutschnationalen Polizeibeamten. Seine Familie wurde 1919 aus Metz ausgewiesen. Sie siedelte nach Berlin über. Dort arbeitete Willy Huhn als kaufmännischer Angestellter. Im Jahre 1929 starb sein Vater. Nach dessen Tod tat er das, was sein Vater davor verboten hatte: er wurde am linken Flügel der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung aktiv. Zunächst trat Huhn dem linkssozialdemokratischen Zentralverband der Angestellten bei, im Jahre 1930 dann der Jugendorganisation der SPD, der Jungsozialistischen Vereinigung Groß-Berlins. Die sozialdemokratischen Politbonzen lösten jedoch diese Organisation auf, da sie für die SPD zu radikale Positionen vertrat. Huhn wurde 1931 Mitglied der Linksabspaltung der SPD, der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD). Dort hatte er auch Kontakt zu den linkskommunistischen Roten Kämpfern, die am Ende der Weimarer Republik in SPD und SAPD wirkten (siehe Kapitel III.5).

Während des deutschen Faschismus wurde Huhn kurzzeitig 1933 und 1934 inhaftiert. Als Einzelgänger analysierte er während der Nazidiktatur die staatsinterventionistischen und staatskapitalistischen Tendenzen des Weltkapitalismus und dessen Subjekte Sozialdemokratie, Bolschewismus, Faschismus und Nationalsozialismus. Durch die Isolierung in feindlicher Umgebung, entwickelte sich Huhn allerdings während des Zweiten Weltkrieges in eine gefährliche Richtung. Diese bestand darin, dass er 1942 in für einen Freund geschriebenen Essay die angebliche „geschichtliche Notwendigkeit des Ostfeldzugs“ der Nazis rechtfertigte. Das war natürlich sozialreaktionär – genau wie die antifaschistische Kriegstreiberei des Kremlnahen Partei-„Kommunismus“. Wirkliche KommunistInnen mussten gegen alle Seiten des imperialistischen Gemetzels kämpfen. „Später war sich Huhn im Klaren, dass er der Nazi-Propaganda auf dem Leim gegangen war.“ (Felix Klopotek, Rätekommunismus. Geschichte – Theorie, Schmetterling Verlag, Stuttgart 2021, S. 152.)

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Willy Huhn in der SBZ und Westberlin ein bekannter rätekommunistischer Theoretiker. Bei Wikipedia können wir daüber lesen: „Nach 1945 schloss er sich zunächst unter Beibehaltung seiner rätekommunistischen Ansichten der KPD und 1946 der SED an und war bis 1948 als Lehrer und Leiter von Volkshochschulen in Ostberlin und Gera tätig. Nach seiner Übersiedlung nach West-Berlin 1948 arbeitete er am dortigen August Bebel Institut. 1951 wurde er wieder arbeitslos. 1954 wurde er aus der SPD, der er 1948 wieder beigetreten war, ausgeschlossen, da er deren Rolle in der Novemberrevolution kritisiert hatte. Von 1950 bis 1952 war er Chefredakteur der Zeitschrift Pro und contra. In den Jahren 1954/55 war er Mitglied im Arbeitsausschuss der Internationale der Kriegsdienstgegner (IDK). Danach schrieb er überwiegend in kleinen linkssozialistischen Periodika.

In den 1960er Jahren avancierte Huhn zusammen mit dem zwanzig Jahre jüngeren Michael Mauke zu einem Stichwortgeber und Mentor des dezidiert marxistischen Flügels des SDS. Willy Huhn zählt somit zu den ganz wenigen Personen, die die Verbindung zwischen der neuen Linken und dem radikalen Teil der alten Arbeiterbewegung der Weimarer Republik aktiv verkörperten (…). Zu Huhns Schülern gehörte Christian Riechers, der ab Ende der 60er Jahre als erster (west-)deutscher Antonio Gramsci-Forscher bekannt wurde. (Anmerkung von Nelke: Später näherte sich Riechers dem italienischen Linkskommunismus an.) Huhn erarbeitete für seinen Schülerkreis mehrere Dutzend Manuskripte, die sich verschiedenen zeitgeistigen Fragen (u.a. Deutschland und die Kriegsschuldfrage) und Aspekten der marxistischen Kritik (u.a. Marx und Engels zur polnischen Frage) widmeten. Diese Manuskripte kursierten als hektographierte Typoskripte. Stil und Arbeitsweise lehnte Huhn bewusst an die politischen Schriften von Karl Marx an (Herr Vogt, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, Der Bürgerkrieg in Frankreich). Exzerpte, kommentierte Zitatsammlungen, freie Explikation des Themas gehen bei Huhn ineinander über.

Huhn war ein Vertreter des revolutionären Defätismus: Er war ein unerbittlicher Kritiker des deutschen Nationalismus in allen Schattierungen, ohne sich positiv auf die West- oder Ost-Mächte zu beziehen.

Während der 1968er-Rebellion wurde Huhn von den Linken wegen seines großen Wissens bewundert, doch er stand der Bewegung auch kritisch gegenüber. Die Projektgruppe Räte im SDS (Mitarbeit u.a. Bernd Rabehl) ist maßgeblich von Huhn inspiriert worden. 1970 starb er nach längerer Krankheit.“ (Wikipedia, Stichwort Willy Huhn.)

Unsere Kritik an Huhn: Er war zwar ein scharfer Kritiker der Sozialdemokratie und des Bolschewismus, aber er lehnte die Partei nicht grundsätzlich als bürgerlich-bürokratische Organisation ab. Er war ja auch Mitglied der verschiedenen Parteien (in der Weimarer Republik SAPD, in der sowjetischen Besatzungszone „K“PD/SED und in Westberlin SPD) beziehungsweise hatte zu Beginn der 1930er Jahre Kontakt zu den Roten Kämpfern. Auch sein relativ starkes Engagement in der kleinbürgerlich-radikalen Studierendenbewegung von „1968“ – deren spätere marxistisch-leninistische Entartung in den 1970er Jahren alles andere als zufällig war, sondern Ausdruck des kleinbürgerlich-reaktionären Charakters der meisten Linksintellektuellen – muss aus revolutionärer Sicht kritisiert werden. Für Huhn stellte fälschlicherweise der Parteimarxismus einer Rosa Luxemburg eine revolutionäre Alternative zum Leninismus dar (siehe weiter unten in diesem Kapitel).

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Der Rätekommunismus in Deutschland, in den Niederlanden und in den USA war während der 1930er Jahren mit dem rechtsreaktionären Faschismus, dem linksreaktionären Antifaschismus und dem spanischen BürgerInnenkrieg konfrontiert. Er war leider in diesen Fragen nicht so klar und eindeutig wie der italienische Linkskommunismus (siehe Kapitel III.5).

So wandte Rühle den Faschismus-Begriff auch auf den leninistischen Partei-„Kommunismus“ an, wie mensch bei seiner Schrift Brauner und Roter Faschismus (veröffentlicht in: Gottfried Mergner, Otto Rühle: Schriften. Perspektiven einer Revolution in hochindustrialisierten Ländern, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1971, S. 8-71) schon am Titel unschwer erkennen kann. Den sowjetischen Staatskapitalismus und Stalinismus als „roten Faschismus“ zu bezeichnen, ist einfach eine sehr ungenaue Begrifflichkeit und gleichzeitig ein gefundenes Fressen für demokratische AntikommunistInnen sowie ihres libertär-anarchistischen Schwanzes. Und für stalinistische AntifaschistInnen gibt das Ganze auch ein willkommener Vorwand, um die revolutionäre Bolschewismus-Kritik mit bürgerlichem Antikommunismus auf eine Stufe zu stellen und ein großes moralisierendes Geschrei zu veranstalten, dass die RevolutionärInnen sie angeblich mit FaschistInnen gleichsetzen würden. Doch so etwas machen wir heutigen SozialrevolutionärInnen natürlich nicht. Für uns sind die nachstalinistischen Partei-„KommunistInnen“ selbstverständlich keine „roten FaschistInnen“, sondern ganz miese LinksreaktionärInnen. Obwohl Rühle sich des Unterschiedes zwischen dem im nationalsozialistischen Deutschland vorherrschenden Privateigentum an Produktionsmitteln und dem Staatseigentum in der Sowjetunion bewusst war, nannte er auch das Naziregime „staatskapitalistisch“. Das war eine falsche Begrifflichkeit. Der NS-Faschismus war eine Strömung des Staatsinterventionismus beziehungsweise Etatismus auf der Grundlage des Privateigentums. Staatskapitalistisch war die UdSSR, aber nicht der Faschismus.

Gänzlich auf dem analytischen Holzweg war Rühle mit seiner Schrift Weltkrieg – Weltfaschismus – Weltrevolution (veröffentlicht in: Gottfried Mergner, Otto Rühle: Schriften. Perspektiven einer Revolution in hochindustrialisierten Ländern, a.a.O., S. 73-175.) angekommen. Hier wird nicht nur die falsche Gleichsetzung von Staatskapitalismus und Faschismus fortgeführt, sondern auch völlig danebenliegend die besondere Entwicklung des faschistischen Italiens und des nationalsozialistischen Deutschlands auf den gesamten Privatkapitalismus verallgemeinert. Nach Rühle war die parlamentarische Demokratie die kapitalistische Staatsform der Vergangenheit und der Faschismus die der Gegenwart und der Zukunft. Er sah einen drohenden Weltfaschismus. Der antifaschistisch-reaktionären Verteidigung der Demokratie als kapitalistische Staatsform gegen den Faschismus durch die Liberalen, SozialdemokratInnen, StalinistInnen und TrotzkistInnen stellte er zwar den revolutionären Kampf gegen den Kapitalismus gegenüber, aber Rühle bekämpfte den reaktionären Antifaschismus mit dem falschen Argument, dass die kapitalistischen Demokratien von heute zwangsläufig die faschistischen Regimes von morgen wären und es keinen Sinn hätte, die Vergangenheit gegen die Gegenwart zu verteidigen. Die weltfaschistische Gegenwart ließe sich nur durch die weltkommunistische Zukunft bekämpfen. Das war extremer Schematismus, mit dem sich Demokratie und Faschismus als kapitalistische Staatsformen nur schwer bekämpfen ließen. Auch kleinbürgerlich-demokratische Tendenzen lassen sich in Rühles „Weltfaschismus“-Ideologe finden. Aus der richtigen Beobachtung, dass in Deutschland ohne Putsch, aber ganz rechtsstaatlich-legal die Demokratie in den NS-Faschismus transformiert wurde, schloss Rühle, dass dies auch in den anderen kapitalistischen Ländern so ähnlich laufen würde. So nannte er die repressiven Tendenzen in den kapitalistischen Demokratien „faschistisch“. Das ist die typische Manier aller kleinbürgerlichen DemokratInnen ihr unbeflecktes demokratisches Ideal gegen die massenmörderische Wirklichkeit der Demokratie als sozialreaktionäre kapitalistische Staatsform zu verteidigen. Die Gräueltaten der Demokratie werden als „undemokratisch“ und „faschistisch“ bezeichnet.

Wenn der globale Kapitalismus angeblich auf den „Weltfaschismus“ zu tendierte, selbst der Bolschewismus nichts anderes als „roter Faschismus“ darstellte, wozu dann noch den Antifaschismus als konterrevolutionäre Ideologie kritisieren? Paul Mattick besetzte diesen Begriff 1945 dann auch positiv und erklärte den Rätekommunismus zur Avantgarde des Antitotlitarismus: „Rühle zweifelte nicht daran, dass Totalitarismus für die Arbeiter schlimmer war als die bürgerliche Demokratie. Er hatte von Anfang an den bolschewistischen Totalitarismus bekämpft; er bekämpfte auch den deutschen Faschismus, aber nicht im Namen der bürgerlichen Demokratie, denn er wusste, dass über kurz oder lang die bürgerliche Demokratie in Faschismus oder Staatskapitalismus umschlüge.“ (Paul Mattick, Otto Rühle und die deutsche Arbeiterbewegung, in: Derselbe, Spontaneität und Organisation. Vier Versuche über praktische und theoretische Probleme der Arbeiterbewegung, Frankfurt am Main 1975,S. 36/37.)

Als erstes fällt hier die völlig schematische Gegenübersetzung von Demokratie und Totalitarismus auf. Für SozialrevolutionärInnen gibt es keinen Gegensatz zwischen Demokratie und Totalitarismus, weil auch in der Demokratie die Herrschaft der Ware-Geld-Beziehung über die menschlichen Bedürfnisse unumschränkt und totalitär ist, genauso wie die soziale Herrschaft des Kapitals über das Proletariat oder die Herrschaft der Politik über die gesamtgesellschaftliche Organisation. Der demokratische Totalitarismus ist lediglich geschickter und verschleierter als der „kommunistisch“-staatskapitalistische oder der faschistische/nationalsozialistische.

Diese falschen Ansichten Rühles über einen Weltfaschismus wurden damals auch von in der Illegalität agierenden deutschen RätekommunistInnen vertreten. Der bedeutendste Theoretiker des Rätekommunismus, Anton Pannekoek, trat dieser Ideologie vom Weltfaschismus scharfsinnig und konsequent entgegen. In der Schrift Staatskapitalismus und Diktatur (abgedruckt in: Anton Pannekoek, Arbeiterräte. Texte zur sozialen Revolution, Germinal Verlag, Fernwald (Annerod) 2008, S. 530-540) aus dem Jahre 1936 unterschied Pannekoek klar zwischen dem auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Staatsinterventionismus und dem Staatskapitalismus (Sowjetunion). Auch der falschen Verallgemeinerung, dass weltweit der Übergang von der Demokratie zum Faschismus bevorstehe, trat er bewusst entgegen.

Die praktische Probe des spanischen BürgerInnenkrieges, wo SozialrevolutionärInnen sowohl das antifaschistische Volksfront-Regime und den sowjetischen Imperialismus als auch die putschenden spanischen Generäle sowie den italienischen und deutschen Faschismus bekämpfen mussten, bestanden zwar Mattick und die Group of Council Communists in den USA, aber nicht die GIK in den Niederlanden. Mattick schrieb im Jahre 1937: „Die Volksfront ist nicht ein geringeres Übel für die Arbeiter. Es ist nur eine weitere Form der kapitalistischen Diktatur in Ergänzung zum Faschismus. Der Kampf muss gegen den Kapitalismus geführt werden.“ (Zitiert nach Red Devil, Widerworte – Gegen die kapitalistische Verfasstheit der Gesellschaft. Historische Texte, Bibliothek des Widerstandes, Lübeck 2010, S. 32.)

Allerdings verlor der niederländische Rätekommunismus teilweise die Orientierung und ihre US-amerikanischen GesinnungsgenossInnen kritisierten dies nicht in der notwendigen Schärfe. Die Groups of Council Communists gaben ab 1934 die International Council Correspondence heraus. In dieser Zeitung war auch ein Artikel der holländischen RätekommunistInnen, der GIK, abgedruckt, der teilweise gegenüber der antifaschistischen Sozialreaktion kapitulierte. So hieß es in dem Text zwar, dass die proletarische Revolution nur „siegreich sein kann, wenn sie international ist“, andernfalls werde sie „mit Waffengewalt niedergeworfen oder durch die imperialistischen Interessen deformiert werden“, aber eben auch: „Die spanischen Arbeiter können sich nicht erlauben, effektiv gegen die Gewerkschaften zu kämpfen, denn das würde zu einem vollständigen Scheitern an den militärischen Fronten führen. Sie haben keine Alternative. Sie müssen gegen die Faschisten kämpfen, um ihr Leben zu retten, sie müssen jede Hilfe, gleichgültig woher sie kommt, akzeptieren.“ (H. Wagner, Anarchism and the Spanish Revolution, in: International Council Correspondence Nr. 5/6, Juni 1937.) Als ob der Antifaschismus nicht genau so blutig das Leben der ArbeiterInnen gefährdete!

…..

Der heutige Kommunismus muss notwendig antipolitisch sein. Dies beinhaltet vor allem zwei Dinge: Erstens lehnt er die politische Partei als Organisationsform für das klassenkämpferische Proletariat und die SozialrevolutionärInnen ab. Zweitens sieht er das Wesen der sozialen Revolution nicht in der „politischen Machteroberung des Proletariats“, sondern in der antipolitischen Zerschlagung des Staates durch das sich selbst revolutionär aufhebenden Proletariats (siehe Kapitel V.5). Der antipolitische Kommunismus überwindet also konsequent den Parteimarxismus. Während der historische Rätekommunismus nicht bewusst antipolitisch war und deshalb auch nicht konsequent genug mit dem Parteimarxismus brach.

Die parteifeindliche AAUE überwand sowohl Parlamentarismus und Putschismus. Aber sie verstand sich noch nicht als bewusst antipolitisch, sondern als ökonomisch-politische Einheitsorganisation. Mit den Worten von Otto Rühle: „Der revolutionäre Einheitskampf, geführt von politischen Parteien ohne wirtschaftliche Organisationen endet mit dem Misserfolg – die deutsche Revolution seit 1918 beweist es. Aber ebenso muss der revolutionäre Einheitskampf mit einem Fiasko enden, wenn nur die wirtschaftlichen Organisationen aktiv vorgehen, dagegen die politischen Parteien versagen – Italien und die fehlgeschlagene Aktion der Syndikalisten sind dafür Beweis genug. Hier wie dort wurde die Niederlage verschuldet dadurch, dass ein Flügel der organisierten Arbeiterschaft lahm blieb – in Deutschland der wirtschaftliche (die Expropriation der Betriebe, Bergwerke, Banken, Ländereien unterblieb, während die politischen Positionen in unseren Händen waren), in Italien der politische (die Arbeiter waren Herr der Betriebe, sie unterließen aber, Regierung, Parlament, Polizei, Militarismus usw. zu beseitigen). Hätte eine Einheitsorganisation bestanden, wäre dies unmöglich gewesen. Sie hätte in Deutschland, indem sie politisch siegte, sich ganz von selbst wirtschaftlich verankert, und in Italien, indem sie wirtschaftlich Fuß fasste, ganz von selbst ihre politische Manifestation gefunden. Der Dualismus der proletarischen Organisationen ist ein Erbteil aus vorrevolutionärer Zeit, das heute in der revolutionären Phase zum Verhängnis der Arbeiterklasse wird. Er muss verschwinden und der Einheit Platz machen. Einheitskämpfe verlangen Einheitsorganisationen.“ (Otto Rühle, Grundfragen der Organisation, 1970, S. 36.)

Diese Aussagen Rühles sind aus heutiger sozialrevolutionärer Sicht reichlich konfus. Sie belegen, dass Otto Rühle und die AAUE noch nicht bewusst antipolitisch waren. Rühle bewegte sich irgendwo zwischen Parteimarxismus und einem bewusst antipolitischen Kommunismus. Aus dem Zitat geht hervor, dass er noch mit dem Parteimarxismus die falsche Vorstellung teilte, dass das Wesen der sozialen Revolution „die politische Machteroberung der ArbeiterInnenklasse“ sei. Doch das Proletariat kann die politische Macht gar nicht erobern. Das können nur sozialdemokratische oder „kommunistische“ BerufspolitikerInnen im Namen des Proletariats. Und sozialdemokratische und „kommunistische“ Regierungen konnten nur den Kapitalismus in privater oder verstaatlichter Form reproduzieren. Der heutige antipolitische Kommunismus tritt für die zukünftige antipolitische Zerschlagung des Staates durch das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat ein.

Völlig konfus ist Rühles Behauptung, dass in Deutschland 1918/19 „die politischen Positionen in unseren Händen“ gewesen seien. In Gesamtdeutschland lag 1918/19 die politische Macht bei der SPD, die sie im Interesse der Bourgeoisie konterrevolutionär ausübte. Die politische Macht der verschiedenen lokalen Räterepubliken (Bremen, München) lag entweder in den Händen von konfusen AnarchistInnen, oder in den von politischen Parteien (SPD, USPD und KPD). Die Bremer und die 2. Bayerische Räterepublik waren Mischprodukte aus einer Radikalisierung des Klassenkampfes und der Errichtung von embryonalen staatskapitalistischen Regimes.

Zu Rühles Ausführungen zu der revolutionären Nachkriegskrise in Italien 1919/1920: Es ist richtig, dass sich in diesem Land ArbeiterInnenräte bildeten, die die Betriebe besetzten. Aber diese Betriebsbesetzungen waren weder mit der antipolitischen Zerschlagung des Staates noch mit der Aufhebung der Warenproduktion verbunden. Beide zusammen bilden möglicherweise in der Zukunft die notwendigen Teilprozesse der revolutionären Selbstaufhebung des Proletariats und der Herausbildung einer klassen- und staatenlosen Gesellschaft. In Rühles Ausführungen über Italien kommen gewisse antipolitischen Tendenzen zum Ausdruck.

Aber: In nichtrevolutionären Zeiten sollte die Minderheit der bewusst revolutionären ProletarierInnen und Intellektuellen keine ökonomisch-politischen Einheitsorganisationen bilden, sondern sich in antipolitisch-sozialrevolutionären Gruppen organisieren (siehe Kapitel V.1). In revolutionären Zeiten sind revolutionäre Klassenkampforganisationen notwendig, für die die Bezeichnung ökonomisch-politische Einheitsorganisationen eine falsche Begrifflichkeit wäre, weil sie für die revolutionäre Aufhebung der kapitalistischen Ökonomie und der bürgerlichen Politik kämpfen müssen. Die revolutionären Klassenkampforganisationen, die sich nur in und mit den möglichen Revolutionen der Zukunft entwickeln können, haben nicht die Aufgabe der „politischen Machteroberung durch die ArbeiterInnenklasse“, sondern müssen die organisatorische Basis für die antipolitische Zerschlagung des Staates durch das sich revolutionär selbst aufhebende Proletariat sein. Auch scheiterte die europäische revolutionäre Nachkriegskrise nicht an der Nichtexistenz einer ökonomisch-politischen Einheitsorganisation, wie mensch das obige Rühle-Zitat interpretieren könnte, sondern am mangelnden revolutionären Klassenbewusstsein der Mehrheit des Proletariats. Es fehlte keine ökonomisch-politische Einheitsorganisation, sondern das bewusste und organisierte Streben, Warenproduktion und Politik aufzuheben. Politische „ArbeiterInnenparteien“ und Gewerkschaften erwiesen sich nicht deshalb als nicht- und konterrevolutionär, weil sich in ihnen der Dualismus von ökonomischen und politischen Organisationen äußerte, sondern weil sie bürgerlich-bürokratische Organisationen waren und sind, die nur den Kapitalismus reproduzieren können. Rühle erfasste auch mit dem von ihm aufgestellten Ziel der angeblichen Eroberung der ökonomischen und politischen Macht durch die Arbeiterklasse nicht das Wesen der revolutionären Selbstaufhebung des Proletariats.

Schauen wir uns jetzt das Verhältnis des niederländischen Rätekommunismus zum Parteimarxismus an. In den Niederlanden hatte die europäische revolutionäre Nachkriegskrise nicht so große Auswirkungen gehabt. Deshalb hatte dort der Rätekommunismus von Anfang an keine proletarische Massenbasis. Die GIK, die ab 1927 von einer kleinen Minderheit von sozialrevolutionären ProletarierInnen und Intellektuellen getragen wurde, verstand sich nicht als ökonomisch-politische Einheitsorganisation wie die AAUE, sondern als eine Arbeitsgruppe. Das Selbstverständnis der GIK kam dem, was wir als eine antipolitisch-sozialrevolutionäre Gruppe verstehen, schon recht nahe. Der große rätekommunistische Theoretiker der Niederlande, Anton Pannekoek, wirkte am Rande der GIK, war aber nicht aktives Mitglied von ihr. GIK und Pannekoek nannten die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung „alte ArbeiterInnenbewegung“ und die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats „neue ArbeiterInnenbewegung“.

Lesen wir, was Pannekoek 1936 über den Unterschied von politischen Parteien und den Arbeitsgruppen schrieb: „Wir sehen erst die allerersten Anfänge einer neuen Arbeiterbewegung emporkommen; der Glaube an die Partei ist das schwerste Hemmnis, das die Arbeiterklasse jetzt machtlos macht. Daher vermeiden wir es, eine neue Partei zu bilden; nicht, weil wir zu wenig sind – jede Partei musste klein anfangen –, sondern weil eine Partei jetzt eine Organisation bedeutet, die die Arbeiterklasse führen und beherrschen will. Demgegenüber stellen wir das Prinzip: die Arbeiterklasse wird nur emporkommen und siegen können, wenn sie selbst ihre Geschicke in die Hand nimmt. Die Arbeiter sollen nicht gläubig die Lösungen eines Anderen, einer Gruppe, auch nicht die unsrigen, sondern selbst denken, selbst handeln, selbst entschließen. Daher betrachten wir ihr als natürliches Organ zur Aufklärung in dieser Zeit des Übergangs die Arbeitsgruppen, die sich selbst bildenden, ihren Weg selbst suchenden Studien- und Diskussionsorganisation.“ (Anton Pannekoek, Partei und Arbeiterklasse, in: Derselbe: Arbeiterräte, a.a.O., S. 498.)

Wir sehen erstens eine große Übereinstimmung zwischen dem, was Pannekoek und die GIK „Arbeitsgruppe“ nannten und wir „antipolitisch-sozialrevolutionäre Gruppe“ nennen: eine kleine Organisation von revolutionären ProletarierInnen und Intellektuellen, die nicht das Proletariat führen, sondern praktisch-geistige Impulse zur klassenkämpferischen Selbstorganisation geben will. Zweitens sehen wir auch den großen Unterschied im Selbstverständnis zwischen GIK und der AAUE. Doch die AAUE entstand in der Revolution und hatte am Anfang eine proletarische Massenbasis. Es ist klar, dass sich zehntausende revolutionäre ProletarierInnen und Intellektuelle größere Aufgaben stellten als ein paar 20 Menschen (GIK). So sah sich die AAUE am Anfang subjektiv als das an, was sie durch den kommenden absoluten Sieg der Konterrevolution und Sozialreaktion objektiv nicht mehr sein konnte: als eine revolutionäre Klassenkampforganisation. Die KAUD verstand dies insofern, dass sie keine „Allgemeine“, sondern eine „Kommunistische Arbeiter-Union“ sein wollte.

Drittens finden wir die Abgrenzung Pannekoeks der „Arbeitsgruppen“ zu den politischen Parteien nicht begrifflich genau genug. Begriffliche Ungenauigkeiten sind meistens der Ausdruck von geistiger Unklarheit. So auch in diesem Fall. Die Kritik an den politischen Parteien von Pannekoek ging nicht genug in die Tiefe. Das lag daran, dass auch die GIK und Pannekoek noch nicht bewusst antipolitisch waren. Sie waren durch ihren prinzipiellen Antiparlamentarismus, der Ablehnung der Partei als Organisationsform für das klassenkämpferische Proletariat und den Zusammenschluss der revolutionären Minderheit schon nicht mehr politisch – aber eben auch noch nicht bewusst antipolitisch. So fehlte in Pannekoeks Analyse die Erkenntnis, dass politische Parteien als Basiseinheiten der bürgerlichen Politik den Kapitalismus nur reproduzieren, aber eben nicht überwinden können. Die begriffliche Gegenüberstellung von politischen Parteien einerseits und den antipolitisch-sozialrevolutionären Gruppen andererseits durch den heutigen bewusst antipolitischen Kommunismus ist wesentlich klarer.

Wir würden auch nie behaupten, dass mensch die antipolitisch-sozialrevolutionären Gruppen auch „Parteien“ nennen könnte. Genau dies schrieb aber Pannekoek über das, was er und die GIK „Arbeitsgruppen“ nannte: „Wenn dabei nun Personen mit gleichen Grundanschauungen sich zusammentun, zur Besprechung der praktischen Möglichkeiten, zur Klärung durch Diskussionen, zur Propaganda ihrer Ansichten, dann kann man solche Gruppen auch Parteien nennen. Der Name ist gleichgültig; das Wesentliche ist, dass in der Sache diese Parteien eine ganz andere Rolle haben als was die Parteien von heute für sich beanspruchen.“ (Anton Pannekoek, Partei und Arbeiterklasse, a.a.O., S. 500.)

Der Name ist eben nicht gleichgültig. Wenn zwei verschiedene, ja sich ausschließende Gebilde, mit dem gleichen Begriff belegt werden, kann dies nur zur geistigen Verwirrung führen. Es geht um begriffliche Klarheit. Wenn mensch etwas anderes will als die politischen Parteien – einschließlich sozialdemokratische und „kommunistische“ –, dann sollte mensch es auch nicht „Parteien“ nennen. Alles andere führt zur begrifflichen Ungenauigkeit und gedanklichen Unklarheit. Die Unklarheit Pannekoeks in der Frage der Partei beruhte darauf, dass Pannekoek noch nicht bewusst antipolitisch war.

Pannekoek überwand die politische Partei als bürgerliche Organisationsform also nicht konsequent genug. Auch den Marxismus, der als Ideologie des kleinbürgerlichen Radikalismus zwischen Kapitalvermehrung und proletarischen Klassenkampf hilflos hin und her schwankte, kritisierte Pannekoek nicht. Und dies obwohl schon der Marxismus des 19. Jahrhunderts von dem dialektischen Widerspruch einer antikapitalistischen Theorie und einer oft nationalkapitalistischen Praxis geprägt war. Ein Widerspruch, der durch die staatskapitalistische Ideologie des Marxismus-Leninismus sozialreaktionär und durch den nachmarxistischen und nachanarchistischen Kommunismus revolutionär gelöst wurde. Pannekoek war sich dieses Widerspruches des Marxismus und des Wirkens von Marx und Engels überhaupt nicht bewusst, wie folgende Aussage belegt: „So ist der Marxismus als Theorie der proletarischen Revolution nur eine Realität und zugleich eine lebendige Kraft in den Köpfen und Herzen des revolutionären Proletariats.“ (Anton Pannekoek, Lenin als Philosoph. Kritische Betrachtung der philosophischen Grundlagen des Leninismus, in: Derselbe: Arbeiterräte, a.a.O., S. 307.)

Auch kritisierte Pannekoek im Alter nicht mehr konsequent genug die Demokratie als politische Herrschaftsform des Kapitals. So übertrieb er in den 1950er Jahren die Bedeutung der bürgerlichen Narrenfreiheiten für den proletarischen Klassenkampf. In dem Artikel Volksdemokratie aus dem Jahre 1950 verteidigte er sogar die bürgerlichen Narrenfreiheiten gegen die staatskapitalistischen Parteidiktaturen Osteuropas! Er schrieb: „Für die moderne Arbeiterklasse in einem hochentwickeltem Land sind diese geistigen Freiheiten wie Redefreiheit, Diskussionsfreiheit und Organisationsfreiheit allerdings – wie die Luft zum Atmen – unabdingbare Voraussetzungen in ihrem Kampf um Freiheit. Für die Arbeiter unter dem westlichen Kapitalismus verkörpert der Begriff Demokratie diese Freiheiten; in den Ländern des Ostens haben sie nur etwas, das, wenngleich in doppelter Ausführung (Anmerkung von Nelke: Pannekoek meint den Begriff „Volksdemokratie“ – also Volksvolksherrschaft), für die Arbeiter bloß ein leerer Name ist.“ (Anton Pannekoek, Volksdemokratie, in: Derselbe, Arbeiterräte, a.a.O., S. 673.)

Der Klassencharakter bürgerlicher Rechte und Freiheiten in einer Demokratie wird von Pannekoek überhaupt nicht mehr analysiert. Pressefreiheit ist zum Beispiel im demokratischen Kapitalismus im Wesentlichen die Freiheit der Bourgeoisie ihre Meinung zu verkaufen, also eine Unterabteilung der Handelsfreiheit, welche auf das Privat-/Staatseigentum an Produktionsmitteln (Druckereien, Redaktionen, Theaterbuhnen, Filmstudios, Internetplattformen…) beruht. Die ArbeiterInnen im Privatkapitalismus besaßen und besitzen die großen Produktionsmittel zur Meinungsproduktion genau so wenig, wie sie diese im staatskapitalistischen Ostblock besaßen. Während die Bourgeoisie durch die bürgerliche Pressefreiheit ihre Meinung verkauft, kaufen die ProletarierInnen die Meinungen einer fremden Klasse. Dadurch wird die ökonomische Klassenherrschaft der Bourgeoisie auch eine geistige. Selbstverständlich haben ArbeiterInnen in einem demokratischen Kapitalismus formal die gleiche Pressefreiheit wie Medienkonzerne. Sollen sie der Bourgeoisie und ihrer Demokratie dafür noch dankbar sein und die bürgerliche Pressefreiheit rühmen?! Nein, proletarische RevolutionärInnennutzen die bürgerliche Pressefreiheit, um ihren Klassencharakter zu demaskieren.

Auch hielt Pannekoek am marxistischen Dogma, dass das Wesen der sozialen Revolution die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat sei, fest. Verdeutlichen wir dies an sein Werk Arbeiterräte. Er schrieb dessen Kern 1941/42. Eine niederländische Ausgabe erschien in zwei Teilen im Jahre 1946, während eine englischsprachige Fassung zuerst seit März 1948 als Beilage der in Melbourne von J.A. Dawson herausgegebenen Zeitschrift Southern Advocate For Workers Councils und schließlich 1950 in Melbourne in Buchform herauskam.

Zunächst muss gesagt werden, dass wir die innere Gliederung von Arbeiterräte nicht für glücklich halten. Pannekoek schildert zuerst die Organisation einer nachkapitalistischen Gesellschaft und erst danach die mögliche Überwindung des Kapitalismus. Das widerspricht der notwendigen Reihenfolge dieser Möglichkeit. Der bewusst antipolitische Kommunismus beginnt seine Schilderung dieser Möglichkeit dagegen immer mit den revolutionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes, geht dann zur Skizzierung der möglichen Weltrevolution über und beschreibt schließlich die aus dieser vielleicht hervorgehenden klassen- und staatenlosen Gesellschaft. Auch in dieser Schrift wenden wir diese Darstellungsmethode an. Wir finden, dass auf diese Weise der mögliche weltrevolutionäre Prozess am besten dargestellt werden kann.

Pannekoek dagegen ging in Arbeiterräte den umgekehrten Weg. Zuerst beschrieb er die klassen- und staatenlose Gesellschaft, dann den Kampf des Proletariats und die mögliche soziale Revolution und schließlich den Charakter des Kapitalismus. Pannekoek begründete diese Herangehensweise so: „Mit der Aufgabe der Arbeiterklasse, die Produktion in ihre eigenen Hände zu übernehmen und sie zu organisieren, mussten wir uns zuerst befassen. Zur Durchführung des Kampfes muss man das Ziel in klaren und deutlichen Umrissen vor Augen liegend sehen. Aber der Kampf selbst, die Eroberung der Macht über die Produktion, ist der hauptsächliche und schwierige Teil des Werkes. In diesem Kampf werden sich auch die Arbeiterräte entwickeln.“ (Anton Pannekoek, Arbeiterräte, a.a.O., S. 78.) Das bewusste Ziel der klassen- und staatenlosen Weltgemeinschaft stellt sich jedoch in nichtrevolutionären Zeiten nur eine kleine Minderheit von ProletarierInnen und Intellektuellen. Außerdem kann auf dieses Ziel in der Einleitung oder im Vorwort hingewiesen werden, um dann in der theoretischen Widerspiegelung des möglichen revolutionären Prozesses seiner praktisch notwendigen Reihenfolge zu folgen. Wir halten auch bei der Analyse und Kritik von Pannekoeks Arbeiterräte diese Methode bei. Wir beschreiben also zuerst, wie sich Pannekoek die soziale Revolution vorstellt und dann seine Auffassungen von der klassen- und staatenlosen Gesellschaft.

Für Pannekoek war bereits die soziale Revolution ein globaler und relativ lange andauernder Prozess. Er bestand für ihn in der Zerschlagung des kapitalistischen Staates durch die politische Machteroberung des Proletariats mit Hilfe der ArbeiterInnenräte. Nun, für uns waren die ArbeiterInnenräte die konkrete geschichtliche Form der allgemeinen klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats während der europäischen revolutionären Nachkriegskrise. Wir weisen im Kapitel V.4 darauf hin, dass diese proletarisch-klassenkämpferische Selbstorganisation in einem möglichen zukünftigen revolutionären Prozess ganz andere Formen annehmen muss. Zweitens kann die Zerschlagung des Staates nur durch das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat erfolgen. Die soziale Revolution ist eben nicht die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat, wie auch noch Pannekoek annahm: „Der wesentliche Inhalt der Revolution der Arbeiterklasse, ähnlich wie bei früheren Revolutionen, besteht in dem Übergang der Herrschaft von einer Klasse auf eine andere.“ (Anton Pannekoek, Arbeiterräte, a.a.O., S. 114.) Nein, eben nicht. Die soziale Revolution kann nur die Selbstaufhebung des Proletariats sein, die zugleich die Fremdaufhebung von KleinbürgerInnentum und Bourgeoisie ist.

Weiterhin schrieb Pannekoek: „Die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiter, die Abschaffung des Kapitalismus, die Einführung eines neuen Rechts, die Aneignung der Unternehmen, der Aufbau der neuen Gemeinschaft, das Schaffen eines neuen Systems der Produktion sind nicht verschiedene, nacheinander stattfindende Ereignisse. Sie finden gleichzeitig nebeneinander statt in einem Prozess gesellschaftlichen Geschehens und gesellschaftlicher Umwandlungen. Oder noch richtiger: Sie sind eins. Sie sind die mit verschiedenen Namen bezeichneten Seiten derselben großen gesellschaftlichen Umwälzung: der Organisation der Arbeit durch die arbeitenden Menschen selbst.“ (Anton Pannekoek, Arbeiterräte, a.a.O., S. 121.)

Pannekoek verwickelte sich hier in Widersprüche: Wenn die politische Machteroberung des Proletariats nur ein anderer Name für die Überwindung des Kapitalismus und die Herausbildung der klassen- und staatenlosen Gesellschaft sein soll, dann bedeutet dies logisch, dass es die ArbeiterInnenklasse auch nach der siegreichen sozialen Revolution noch gibt. Doch die ArbeiterInnenklasse kann es nur im Kapitalismus geben, jedoch nicht in der klassen- und staatenlosen Gesellschaft. Pannekoek konnte sich einfach nicht vom marxistischen Dogma lösen, dass die soziale Revolution die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat sei. Doch die soziale Revolution ist die Überwindung der Politik durch das sich selbst aufhebende Proletariat.

Nun, in der sozialen Wirklichkeit ist das Proletariat immer Objekt der Politik. Das Proletariat kann überhaupt nicht die politische Macht erobern, da in seiner objektiven Klassenbildung die Trennung von der Politik von Anfang an feststeht. Die politische Macht können nur BerufspolitikerInnen im Namen des Proletariats erobern. Dies war und ist dann auch die politische Praxis von Sozialdemokratie und Partei-„Kommunismus“, die dadurch aber nur Kapital und Staat reproduzieren konnten und können. Diese Praxis kritisierte auch Pannekoek: „In früherer Zeit hat man sich die kommende soziale Revolution anders vorgestellt. Zuerst sollte die Arbeiterklasse durch Wahlen, eventuell von bewaffneten Kämpfen oder politischen Streiks dabei unterstützt, im Parlament die Mehrheit und damit die politische Macht erobern. Dann sollte die aus Sprechern, Führern und Politikern bestehende neue Regierung durch Erlass von Gesetzen, durch eine neue Rechtsprechung die Kapitalistenklasse enteignen und die Produktion organisieren. Es läge also nur zur Hälfte an den Arbeitern selbst; der wichtigste Teil der Aufgabe, der Neuaufbau der Gesellschaft, die Organisation der Arbeit wäre das Werk sozialistischer Politiker und Funktionäre. In dieser Anschauung tritt die damalige Schwäche der Arbeiterklasse hervor; arm und elend, ohne wirtschaftliche Macht, sollte sie durch andere, durch fähige Führer und eine gütige Regierung in das gelobte Land des Überflusses geleitet werden. Und dort vorerst Untertan bleiben, selbstverständlich, denn Freiheit kann nicht geschenkt, sondern nur erkämpft werden. Diese bequeme Illusion ist durch das Wachstum der kapitalistischen Macht zerstreut worden. Die Arbeiter müssen nun erkennen, dass sie nur durch die höchste Entfaltung ihrer Macht darauf hoffen können, die Freiheit zu erringen; politische Gewalt, Herrschaft über die Gesellschaft muss auf wirtschaftlicher Macht, auf Herrschaft über die Arbeit fußen.“ (Anton Pannekoek, Arbeiterräte, a.a.O., S. 121.)

Pannekoek stellte also nicht der Fremdbestimmung des Proletariats durch die Politik vollkommen klar die Überwindung der Politik durch das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat entgegen, sondern die politische Herrschaft des Proletariats. Diese sollte aber nicht die Form eines „ArbeiterInnenstaates“ (= Staatskapitalismus) einnehmen wie im Marxismus-Leninismus, sondern die eines staatenlosen Rätesystems. Pannekoek dachte sich also die politische Herrschaft des Proletariats staatenlos, eine begriffliche Ungenauigkeit, da es nach der Zerschlagung des bürgerlichen Staates weder eine ArbeiterInnenklasse noch die Politik als staatenförmige Organisation der Klassengesellschaft, die monopolisiert von BerufspolitikerInnen ausgeübt wird, geben kann. Das Proletariat befreit sich jedoch nicht von kapitalistischer Ausbeutung, indem es politische Herrschaft ausübt, wie Pannekoek behauptete, sondern indem es die Politik überwindet und sich selbst als Klasse revolutionär aufhebt.

Dies sind die Widersprüche, in die sich Pannekoek in seinem II. Teil Der Kampf in seinem Buch Arbeiterräte verrannte. Wie bereits geschrieben, beschrieb er die klassen- und staatenlose Gesellschaft, die möglicherweise aus dem proletarischen Klassenkampf und einer sozialen Revolution hervorgehen kann, bereits weiter oben in seinem Buch, im I. Teil Das Ziel. Dort verrannte er sich in weitere Widersprüche zwischen Politik und Antipolitik. Denn in diesem Teil beschrieb Pannekoek, wie die ArbeiterInnen mit Hilfe der ArbeiterInnenräte die Produktion kollektiv leiten und planen. Also eine nachkapitalistische Gesellschaft, doch in der gibt es weder das Proletariat noch deren revolutionären Selbstorganisation. Eine nachkapitalistische Gesellschaft kann nur das Ergebnis der revolutionären Selbstaufhebung des Proletariats sein – ein Umschlag der revolutionären Klassenorganisation des Proletariats in die klassenlose Selbstorganisation freier ProduzentInnen. Diese revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats konnte Pannekoek nicht erfassen. So konstruierte er den Widerspruch einer politischen Herrschaft des Proletariats in Form von ArbeiterInnenräten in einer nachkapitalistischen Gesellschaft.

Pannekoek schrieb: „Vor rund siebzig Jahren wies Marx darauf hin, dass es zwischen der Herrschaft des Kapitalismus und der endgültigen Organisation einer freien Menschheit eine Übergangszeit geben wird, in der die Arbeiterklasse zwar die ausschließliche Macht über die Gesellschaft ausübt, die Bourgeoisie aber noch nicht verschwunden ist. Er nannte diesen Zustand die Diktatur des Proletariats. Damals hatte dieses Wort Diktatur noch nicht den verhängnisvollen Klang der modernen despotischen Systeme und konnte auch noch nicht für die Diktatur einer herrschenden Partei, wie im späteren Russland (Pannekoek meint die Sowjetunion, Anmerkung von Nelke), missbraucht werden. Es bedeutete einfach, dass die über die Gesellschaft herrschende Gewalt von den Kapitalisten auf die Arbeiterklasse übergegangen sei. In den revolutionären Bewegungen von 1918/19 haben vollkommen im Bann parlamentarischer Ideen stehende Sozialisten den Versuch gemacht, diese Auffassung dadurch zu verwirklichen, dass sie den besitzenden Klassen das Wahlrecht bei der Bildung politischer Körperschaften entzogen. Es ist klar, dass dies nur als eine Verletzung der Demokratie empfunden werden konnte, da es zum instinktmäßigen Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden im Widerspruch stand. Wir sehen nun, dass die Räteorganisation in der Praxis verwirklicht, was Marx theoretisch vorwegnahm, wobei deren praktische Gestalt aber damals noch nicht ausgedacht werden konnte. Wenn die Produktion von den Produzenten selbst geregelt wird, ist die frühere Ausbeuterklasse automatisch, ohne irgendwelche künstliche Bestimmung, von der Teilnahme an Entscheidungen ausgeschlossen. Es stellt sich jetzt heraus, dass die von Marx verkündete Diktatur des Proletariats mit der Arbeiterdemokratie der Räteorganisation identisch ist.“ (Anton Pannekoek, Arbeiterräte, a.a.O., S. 70.)

Wir übergehen hier Pannekoeks bedenkliche Ausführungen über Demokratie, Diktatur und „instinktmäßige Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden“, die stark nach verinnerlichter liberaldemokratischer Ideologie riechen, und gehen gleich zu dem Wesentlichen über. Sowohl Marx als auch Pannekoek leisteten sich den Widerspruch, dass sie die nachkapitalistische Existenz, ja sogar die politische Herrschaft der ArbeiterInnenklasse annahmen, einer Klasse, die es nur im Kapitalismus geben kann. So wie es „zwischen der Herrschaft des Kapitalismus und der endgültigen Organisation einer freien Menschheit“ auch noch eine Bourgeoisie geben sollte, die jedoch durch die Diktatur des Proletariats unterdrückt werden sollte. Aber die Bourgeoisie kann nur durch die Ausbeutung der Lohnarbeit sozialökonomisch existieren, das Proletariat wäre also weiter ausgebeutet, würde aber die politische Herrschaft ausüben. Die Diktatur des Proletariats als politische Herrschaftsform ist also reines Hirngespinnst, was niemals zur materiellen Gewalt werden kann. Während bei Marx die Diktatur des Proletariats die Form eines Staates annehmen sollte (siehe Kapitel III.3), war sie bei Pannekoek die staatenlose Räteherrschaft. Bei Pannekoek war die Bourgeoisie als „frühere Ausbeuterklasse“ durch die Räteherrschaft als Diktatur des Proletariats „von der Teilnahme an Entscheidungen“ ausgeschlossen. Weiter oben hatte er jedoch geschrieben, dass es die Bourgeoisie in der Übergangszeit vom Kapitalismus zum Kommunismus noch geben soll. Die Bourgeoisie kann aber nur als ausbeutende Klasse existieren. Die „frühere Ausbeuterklasse“ ist bereits die revolutionär aufgehobene Bourgeoisie. Und wenn die Bourgeoisie aufgehoben ist, gibt es auch kein Proletariat mehr und auch nicht dessen Diktatur. Sondern „nur“ eine klassen- und staatenlose Gesellschaft. Und in dieser haben ehemalige Bourgeois jetzt als Teil der freien ProduzentInnen ebenfalls Einfluss. Sie werden als herrschende Klasse aufgehoben, haben aber als Menschen die Chance sich in die klassen- und staatenlose Gesellschaft zu integrieren. Dieses Angebot muss mit einem kompromisslosen Kampf gegen die Konterrevolution verbunden werden. Auch diesen Kampf führt bereits eine klassen- und staatenlose Gesellschaft, aber nicht mehr das Proletariat, was sich zu diesem Zeitpunkt bereits revolutionär aufgehoben hat.

Für den bewusst antipolitischen Kommunismus ist die Diktatur des Proletariats überhaupt keine politische Herrschaftsform, sondern der militante Kampf dieser Klasse gegen KapitalistInnen, Wirtschaftsbosse, BerufspolitikerInnen, Bullen, SoldatInnen und GeheimdienstlerInnen. Die proletarische Diktatur ist Gewalt und Zwang dieser Klasse gegenüber den Klassenfeinden. Sie entwickelt sich bereits im reproduktiven Klassenkampf. In der möglichen sozialen Revolution erlebt die Diktatur des Proletariats ihren Höhepunkt. Indem sie die Warenproduktion überwindet und den Staat zerschlägt, geht sie selbst in die klassen- und staatenlose Gesellschaft über. Die revolutionäre Diktatur des Proletariats überwindet den Kapitalismus, ist aber keine nachkapitalistische Übergangsgesellschaft. Das real existierende Rätesystem in Deutschland 1918/19 übte übrigens auch keine Diktatur des Proletariats aus, sondern fügte sich der Diktatur des Kapitals, indem es sich, infiltriert von sozialdemokratischen FunktionärInnen und BerufspolitikerInnen, zugunsten einer parlamentarisch-demokratischen Republik selbst auflöste. Auch in dieser Frage ist also Rätefetischismus völlig unangebracht

Wenn Pannekoek seine imaginäre Räteherrschaft genauer beschrieb, zeigte er doch gewisse antipolitische Tendenzen. Er beschrieb nämlich die Räte als Aufhebung der Politik: „Ganz anders ist die Organisation der gemeinschaftlichen Produktion mittels der Arbeiterräte. Die gesellschaftliche Produktion ist hier nicht in eine Vielzahl gesonderter Unternehmen aufgeteilt, von denen jedes einzelne die beschränkte Lebensaufgabe einer Person oder einer Personengruppe ist; jetzt bildet sie ein zusammenhängendes Ganzes, für das die Gesamtheit der Arbeiter zu sorgen hat und das als gemeinsame Aufgabe alle ihre Gedanken beschäftigt hält. Die allgemeine Regulierung ist keine Nebensache, die einer kleinen Gruppe von Spezialisten überlassen bleibt; sie bildet vielmehr die Hauptsache, die die Aufmerksamkeit von allen miteinander erfordert. Es gibt keine Trennung zwischen Politik, als die Lebensbeschäftigung einer Gruppe von Spezialisten, und Wirtschaft, als der Lebensbeschäftigung der großen Masse der Produzenten. Für die eine und einzige Gemeinschaft der Produzenten sind nun Politik und Wirtschaft zu einer Einheit von allgemeiner Regulierung und praktischer produktiver Arbeit verschmolzen, die zur wesentlichen Aufgabe aller wird.

Dieser Charakter spiegelt sich in der ganzen Praxis wider. Die Räte sind keine Politiker, keine Regierung. Sie sind Boten, die die Meinungen, die Absichten und das Wollen der Arbeitergruppen vermitteln und überbringen. Doch nicht wie unbeteiligte Botenjungen, die Briefe oder Mitteilungen, von denen sie selbst nichts wissen, austragen. Sie nehmen an den Beratungen in den Belegschaften teil, als energische Vertreter der Ansichten, die die allgemeine Zustimmung fanden. Als Delegierte der Gruppen sind sie nun nicht nur fähig, diese in der Räteversammlung zu verteidigen, sie sind auch unabhängig genug, anderen Gründen zugänglich zu sein und ihrer Gruppe über die noch allgemeineren Mehrheitsauffassungen zu berichten. So sind sie die Organe der gesellschaftlichen Verbindung und Diskussion.“ (Anton Pannekoek, Arbeiterräte, a.a.O., S. 67/68.)

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Cajo Brendel überwand zwar geistig konsequent die politische Partei als Organisationsform des klassenkämpferischen Proletariats, allerdings war auch er nicht bewusst antipolitisch. Er reproduzierte die Auffassung von Anton Pannekoek, dass die soziale Revolution gleichbedeutend mit der politischen Machteroberung des Proletariats mittels der ArbeiterInnenräte sei. Auch Cajo Brendel war kein Kritiker der nationalkapitalistischen Politik von Marx und Engels.

Anders als für Cajo Brendel war für Willy Huhn und Paul Mattick der Parteimarxismus einer Rosa Luxemburg eine angebliche Alternative zum Marxismus-Leninismus und Trotzkismus. So zitierte Huhn zustimmend folgende Ausführungen von Rosa Luxemburg auf dem Gründungsparteitag der KPD: „Der Spartakusbund ist keine Partei, die über die Arbeitermasse oder durch die Arbeitermasse zur Herrschaft gelangen will. Der Spartakusbund ist nur der zielbewussteste Teil des Proletariats, der die ganze breite Masse der Arbeiterschaft bei jedem Schritt auf ihre geschichtlichen Aufgaben hinweist, der in jedem Einzelstadium der Revolution das sozialistische Endziel und in allen nationalen Fragen die Interessen der proletarischen Weltrevolution vertritt. (…)

Der Spartakusbund wird nie anders die Regierungsgewalt übernehmen als durch den klaren unzweideutigen Willen der großen Mehrheit der proletarischen Masse in ganz Deutschland, nie anders als kraft ihrer bewussten Zustimmung zu den Ansichten, Zielen und Kampfmethoden des Spartakusbundes. (…) Der Sieg des Spartakusbundes steht nicht am Anfang, sondern am Ende der Revolution; er ist identisch mit dem Sieg der großen Millionenmasse des sozialistischen Proletariats.“ (Rosa Luxemburg, Was will der Spartakusbund?, Berlin 1918, S. 13-14 des Sonderdruckes. Zitiert nach: Willy Huhn, Trotzki und die proletarische Revolution, in: Derselbe, Trotzki – der gescheiterte Stalin, Karin Kramer Verlag, Berlin (West) 1973, S. 63.)

Wir sehen in dem Zitat vor allem ein Widerspruch bei Rosa Luxemburg selbst. Zuerst sagte sie, dass der Spartakusbund, also die gegründete KPD, nicht die Herrschaft über die ArbeiterInnenklasse anstreben würde, dann führte sie aus, dass die Partei die Regierungsgewalt, also das Management des Staates erobern wolle. Nun das Ringen um den Staatsapparat kann aber objektiv nichts anderes sein als die politische Herrschaft über das Proletariat. Alle Regierungen – einschließlich der linken – bewiesen, beweisen es und werden es beweisen. Die Partei wollte die politische Macht – und die ArbeiterInnen sollten dem zustimmen. Dies bewegte sich vollständig im Rahmen des Parteimarxismus. Auch die Aussage Luxemburgs, dass der Sieg des Spartakusbundes/der KPD – einer politischen Partei – am Ende der sozialen Revolution stehen würde und identisch wäre mit dem Sieg des Proletariats, ist typische parteimarxistische Ideologie. Doch das Ende der sozialen Revolution ist nicht die Eroberung des Staates durch eine politische Partei, sondern die klassen- und staatenlose Gesellschaft nach der antipolitischen Zerschlagung des Staates durch das sich revolutionär aufhebende Proletariat. Sicher, Rosa Luxemburg hat an anderer Stelle die politische Parteidiktatur der Bolschewiki in „Sowjet“-Russland kritisiert, aber objektiv wollte sie nicht viel anderes: die politische Herrschaft der KPD. Anstatt dies zu kritisieren, schrieb Huhn: „Wir meinen: zwischen dieser ,luxemburgistischen‘ und der von Lenin und Trotzki entwickelten bolschewistischen Auffassung über die Rolle der Partei klaffen grundverschiedene Welten auf.“ (Willy Huhn, Trotzki und die proletarische Revolution, a.a.O., S. 63.)

Anders als Huhn meinen wir dagegen: Die oben zitierten Aussagen von Rosa Luxemburg sind selbst ein Ausdruck des Parteimarxismus und deshalb keine grundlegende Alternative zum Marxismus-Leninismus und Trotzkismus. Natürlich betonte Rosa Luxemburg die Selbstorganisation des klassenkämpferischen Proletariats viel stärker als Lenin oder Trotzki, nachdem dieser Bolschewik geworden ist. Aber von einem Klassengegensatz zwischen Parteimarxismus und selbstorganisierten proletarischen Klassenkampf hatte Rosa Luxemburg keinen Schimmer, ihr geistig-praktisches Wirken war Ausdruck dieses Gegensatzes. Müssen wir hier wirklich daran erinnern, dass sie, was den organisatorischen Bruch mit der Sozialdemokratie anging, zum Jagen getragen werden musste? Oder dass ihr Parteimarxismus selbst noch in der revolutionären Nachkriegskrise auch die Reproduktion des parlamentarischen Sozialreformismus, also die Beteiligung der Partei an Wahlen beinhaltete? Aber durch den Widerstand durch die antiparlamentarische Mehrheit auf dem Gründungsparteitag der KPD erst mal nicht zur materiellen Gewalt wurde? Auch wir ehren Rosa Luxemburg als subjektiv ehrliche Revolutionärin, kritisieren sie aber zugleich scharf als parteimarxistische Ideologin.

Auch Paul Mattick idealisierte den Parteimarxismus Rosa Luxemburgs: „Mit dem Wiederaufleben der Arbeiterbewegung in der sich verschärfenden Krisensituation werden auch neue Anstrengungen gemacht werden, eine den revolutionären Klassenkampf fördernde anstatt ihn hemmende Theorie zu vermitteln. Und auf dem Boden der Theorie werden sich klassenbewusste Arbeiter organisieren, um auf die revolutionäre Entwicklung einwirken zu können. Aber, nach den Erfahrungen der Vergangenheit, nicht mehr, um die Revolution für die Massen zu machen, sondern um den Arbeitermassen in ihrer Revolution den größten Beistand zu leisten. Da sich die Arbeiter in Bezug auf das Klassenbewusstsein nicht gleichmäßig entwickeln, wird es stets eine Gruppe von Arbeitern geben, die nicht nur aus der Notwendigkeit heraus, sondern aufgrund ihres revolutionären Bewusstseins, in den revolutionären Prozess einzugreifen versucht. Aber nicht als Partei, die im Lenin‘schen Sinne die revolutionäre Bewegung zu beherrschen sucht, um sich selbst zur Staatsmacht zu verhelfen, sondern im Sinne Rosa Luxemburgs, um als Teil der Arbeiterschaft die Interessen des Gesamtproletariats wahrzunehmen: Die Organisation der Revolution und der neuen Gesellschaft durch die Eigeninitiative und die Selbstbestimmung der arbeitenden Bevölkerung.“ (Paul Mattick, Weltwirtschaftskrise und Arbeiterbewegung, Syndikat A, S. 37)

Ähm, Rosa Luxemburg wollte den ArbeiterInnen in der Revolution nicht nur Beistand leisten und als Teil der Klasse deren Gesamtinteressen wahrnehmen – übrigens war sie sozial keine Proletarierin, sondern objektiv eine kleinbürgerliche Berufsideologin der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung –, sondern die politische Machteroberung der Partei KPD, an deren Spitze sie stand. Wir sagen gegen Mattick ganz klar: RevolutionärInnen dürfen sich nicht in politischen Parteien organisieren, sondern können dies „nur“ in antipolitisch-sozialrevolutionären Gruppen tun. Die Bedeutung des Bruches mit politischen Parteien durch Otto Rühle – wie ideologisch deformiert diese auch gewesen sein mag – konnte Mattick nicht erfassen: „Keine der beiden Gruppen (KAPD/AAUD auf der einen, die AAUE auf der anderen Seite, Anmerkung von Nelke) konnte ihre Theorie beweisen, die Geschichte ging an beiden vorüber, sie argumentierten innerhalb eines Vakuums. Weder die Kommunistische Arbeiter-Partei noch die beiden Allgemeinen Arbeiter-Unionen konnten den Status ,ultra-linker‘ Sekten überwinden. Ihre internen Differenzen wirkten geradezu gekünstelt, denn es gab tatsächlich keinen Unterschied zwischen der Kommunistischen Arbeiter-Partei und der Allgemeinen Arbeiter-Unionen. Entgegen ihren Theorien arbeiteten auch die Rühle-Anhänger nicht in den Fabriken; die theoretischen Divergenzen hatten keinerlei praktische Bedeutung.“ (Paul Mattick, Otto Rühle und die deutsche Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 30.)

Klar, nach dem endgültigen Sieg der Konterrevolution konnte die AAUE nur das Gleiche tun wie die KAPD: ihre Ideen verbreiten, die nicht mehr zur materiellen Gewalt werden konnten… Und Otto Rühle vertrat noch nicht die antipolitisch-sozialrevolutionäre Gruppe als Alternative zur politischen Partei, sondern die ökonomisch-politische Einheitsorganisation, die die AAUE sein wollte, aber nach dem Sieg der Konterrevolution nicht mehr sein konnte. Auch die KAPD war nach 1921 nicht mehr das, was sie sein wollte: eine revolutionsmachende Partei. Mal abgesehen, davon, dass es sozialrevolutionäre Parteien objektiv nicht geben kann. Aber in Zeiten, wo diese unterschiedlichen Ideen noch zur materiellen Gewalt werden konnten, entsprach diesen unterschiedlichen Ideen des radikalen KAPD-Parteimarxismus und des parteifeindlichen Kommunismus auch eine unterschiedliche Praxis: Otto Rühle brach mit Moskau 1920, während sich die KAPD von den Kremlherren 1921 in eine putschistische Politik hineinziehen ließ. Der Putschismus gehörte neben dem Parlamentarismus zu den Taktiken des Parteimarxismus, auch zu denen der antiparlamentarischen KAPD im Jahre 1921 – was der parteifeindliche Kommunismus scharf kritisierte.

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Der heutige Kommunismus ist notwendig antinational. Er bekämpft im permanenten Konkurrenzkampf der Nationen alle und unterstütz keine – selbstverständlich auch nicht jene, die noch keinen Staat hervorgebracht haben, wie zum Beispiel den palästinensischen Nationalismus. SozialrevolutionärInnen treten für die antipolitische Zerschlagung Israels ein, aber nicht für einen palästinensischen Staat.

Die beiden radikalen Marxisten Franz Pfemfert und Anton Pannekoek, die sich in den 1920er Jahren zu Theoretikern des Rätekommunismus herausbildeten, vertraten bereits vor 1914 antinationale Positionen. So trat Pannekoek dem sozialdemokratischen Nationalismus schon vor 1914 entgegen. Cajo Brendel schrieb darüber: „Als 1913 die Jahrhundertfeier der Leipziger Völkerschlacht bevorstand, als ganz Deutschland in der Erinnerung an ,die Befreiung von den napoleonischen Armeen‘ schwelgte und auch die Parteipresse der biedermännischen Sozialdemokratie ihr Scherflein beitrug, kritisierte Pannekoek in der ,Bremer Bürgerzeitung‘ den bürgerlichen Rausch mit großer Schärfe. Er hielt eine ,Leipzig-Gedenkfeier‘ für ein Stück Nationalismus und bezeichnete sie als eine ,Orgie des Byzantinismus und der Geschichtsfälschung‘. Dann führte er aus, dass jene Ereignisse, die als ,Völkerschlacht‘ hingestellt werden, mit dem proletarischen Klassenkampf nichts zu schaffen haben.“ (Cajo Brendel, Anton Pannekoek. Denker der Revolution, ca ira Verlag, Freiburg 2001, S. 169.)

In einer Anmerkung dazu führte Cajo weiter aus: „Der Aufsatz ,Nachbetrachtung zur Völkerschlachtfeier‘ erschien am 25. Oktober 1913. Er wurde auch in der ,Leipziger Volkszeitung‘ veröffentlicht. Es war keineswegs Pannekoeks erste Stellungnahme zu dieser Frage. Er erzählt, dass Franz Mehring gegen ihn polemisierte, da dieser gegenüber dem preußischen Militarismus und Absolutismus häufig frühbürgerliche Vorstellungen von ,Demokratie‘ und ,Freiheit‘ hervorgehoben hatte. Pannekoeks Auffassung hierzu unterscheidet sich deutlich von der des bekanntesten Historikers der deutschen Partei. Mit dem Pannekoekschen Satz: ,Wer Leipzig feiern will, soll auch Sedan feiern‘, wurde Mehring in seiner ganzen Denkart getroffen (vgl. ,Herrinneringen‘, S. 174).“ (Cajo Brendel, Anton Pannekoek, a.a.O., S. 218.)

Anton Pannekoek bezog nach seinem Bruch mit der Sozialdemokratie und dem Partei-„Kommunismus“ antinationale Positionen, die nicht identisch mit dem „Internationalismus“ sind, wie Cajo Brendel ausführte: „In seinem Buch über die Arbeiterräte trägt Pannekoek seinen Standpunkt nochmals vor. Er macht klar, dass die Arbeiterklasse, sobald sie revolutionär vorgeht, sich vom Nationalismus befreien wird, dass ihre Organisation, ihre gegenseitige und freiwillige Zusammenarbeit, nicht an den Landesgrenzen aufhört. Er legt dar, dass das nichtnationale Wesen der Arbeiterklasse etwas anderes bedeutet als „Internationalismus“. Dieser kann auch eine friedliche Zusammenarbeit der verschiedenen Nationen ausdrücken, ,wie in einem imaginären bürgerlichen Idealvölkerbund‘. Aber ,für die sich befreienden Arbeiter sind die Nationen ganz verschwunden. (…) Der Nationalismus verschwindet von der Erde mit der Klasse, zu der er gehört.‘ (vgl. ,Herrineringen‘, S. 214 f.)“ (Cajo Brendel, Anton Pannekoek, a.a.O., S. 169.)

Zu diesen Ausführungen von Cajo Brendel von uns drei Anmerkungen. Erstens ist es richtig, dass das Proletariat als Klassenkampf- und potenziell revolutionäres Subjekt notwendig tendenziell antinational ist, da die mögliche soziale Weltrevolution nur eine permanente Kette der Zerschlagung aller Nationalstaaten sein kann. Zweitens waren und sind Links- und Rätekommunismus als theoretische Ausdrücke des proletarischen Klassenkampfes im Unterschied zur nationalkapitalistischen Sozialdemokratie und zum Rechtsleninismus zwar tendenziell, aber eben nicht konsequent antinational. So unterblieb zum Beispiel bei beiden marxistischen Strömungen eine systematische und scharfe Kritik der reaktionären nationalkapitalistischen Tendenzen bei Marx und Engels. Drittens drückt sich inhaltliche Konsequenz auch immer in begrifflicher Genauigkeit aus, während Inkonsequenz in verschwommener Wortwahl Gestalt annimmt. So bezeichneten/bezeichnen sich die nur tendenziell, aber nicht konsequent-bewusst antinationalen linkskommunistischen Strömungen wie die IKT und die IKS selbst nicht als antinational, sondern nur als „internationalistisch“. Demgegenüber ist der nachmarxistische und nachanarchistische Kommunismus inhaltlich konsequent und begrifflich klar absolut antinational.

Von einer antinationalen Position aus kritisierte der radikale Marxist – der selbst nicht in der SPD desorganisiert war – und spätere Pionier des parteifeindlichen Kommunismus, Franz Pfemfert, die deutsche Sozialdemokratie bereits vor 1914. So schrieb Pfemfert bereits am 18. Juni 1913 in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Die Aktion über den grundsätzlich bürgerlichen Charakter der SPD: „Das ist keine Arbeiterpartei mehr, das ist eine bürgerliche Reformpartei mit sozialistischem Vorwand. Sie hat ihre Massen musterhaft organisiert. (Auch die ,Viktoria‘-Lebensversicherung ist eine musterhafte Organisation.) Sie hält auf ,eiserne Disziplin‘. (Wie der preußische Militarismus.) Sie ist die größte politische Organisation der Welt. Aber sie ist nicht, was sie vortäuschen möchte: eine revolutionäre Partei. Wie sollte sie es auch sein! Sie ist lange schon der letzte Erwerbszweig aller verkrachten bürgerlichen Politiker. Jeder Wanderredner, der über die nötigen Schlagworte verfügt, sieht in der Sozialdemokratie eine Zuflucht, jeder intellektuelle Bankrotteur, jeder ehrgeizige Karrierehascher. Wer ihrer Kompromisswirtschaft förderlich sein kann, wird von der Partei mit offenen Armen empfangen. Und so hat die Sozialdemokratie Diplomaten, Redner, Demagogen, Strategen, sie besitzt die reichhaltigste Musterkollektion an ,Führern‘, sie kann auf die revolutionären Sozialisten, die (wie R.L.= Rosa Luxemburg) sich in ihren Reihen störend bemerkbar machen, spottend verzichten.“ (Die Aktion, 18. Juni 1913, zitiert nach: Franz Pfemfert – Zur Erinnerung an einen revolutionären Intellektuellen, in: Die Aktion, Heft 209, Edition Nautilus, Hamburg 2004, S. 31.) Die objektiv konterrevolutionäre Sozialdemokratie verzichtete ab 1914 nicht nur auf subjektiv revolutionäre Kräfte, zwischen 1918 und 1923 organisierte sie deren massenhafte Ermordung.

Schon 1913 hatte Pfemfert den bürgerlich-nationalen Charakter des sozialdemokratischen Internationalismus offengelegt: „Die Sozialdemokratie ist stolz auf ihren Internationalismus. In Wahrheit handelt es sich nicht darum, international zu sein, sondern antinational. In Wahrheit ist der ,Internationalismus‘ Humbug, Schwindel, Phrase. Und es sind nur feige Ausflüchte, wenn man zwischen Nationalismus und Chauvinismus einen Unterschied feststellen möchte. Es gibt hier keinen Unterschied; es ist keine Frage der Vernunft, es ist lediglich eine Angelegenheit des Zufalls, wann die Krankheit Nationalismus chauvinistische Fieberzustände bringt. Wer gegen Chauvinismus redet und den Nationalismus gutheißt, treibt Unfug!

Die Sozialdemokratie muss antinational sein, will sie eine geistige Partei darstellen. Sie muss, will sie die Befreiung der Menschheit ernstlich, antipatriotisch sein, denn die Macht der herrschenden Klasse wurzelt allein im Patriotismus. Wenn die reaktionären Parteien patriotisch sind, so ist das begreiflich. Wer aber für die Freiheit ist, wer gegen Krieg und Unterdrückung ist, der muss, sei er Arbeiter oder Bürger, den Patriotismus als eine Sklavenmoral ablehnen. Bleibt die Sozialdemokratie bei ihrem stimmzettelmehrenden Nationalismus, dann ist sie ewig zur Ohnmacht verdammt.“ (Die Aktion, 21. Mai 1913, zitiert nach: Franz Pfemfert – Zur Erinnerung an einen revolutionären Intellektuellen, a.a.O., S. 37.)

Der zweite Absatz des Zitats ist natürlich stark idealistisch. Was soll eine „geistige Partei“ sein? Auch schreibt Pfemfert nicht, zu was sich die Sozialdemokratie objektiv entwickelte, nämlich zu einer offen nationalkapitalistischen Kraft, sondern er forderte sie auf antinational zu sein. Doch mächtig werden konnte das sozialdemokratische BerufspolitikerInnentum nur als nationale Kraft. Aber der Kerngedanke wurde vom Pfemfert bereits 1913 völlig klar formuliert: Subjektiv revolutionäre Kräfte dürfen nicht lediglich internationalistisch, sie müssen bewusst antinational sein. Auch wenn das Subjekt der antinationalen Grundhaltung bei Pfemfert nicht materialistisch das sich möglicherweise selbst revolutionär aufhebende Proletariat, sondern idealistisch und klassenneutral „freiheitsliebende“ ArbeiterInnen und BürgerInnen sind. Das Predigen von abstrakter und klassenneutraler „Freiheit“ stellt eine anarchistische Gepflogenheit dar, die stark an liberale Angewohnheiten erinnert.

Die radikalmarxistischen Pioniere des Rätekommunismus Anton Pannekoek und Franz Pfemfert entwickelten also bereits vor 1914 antinationale Positionen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es notwendig, sowohl den kolonialen Imperialismus als auch die antikoloniale Herausbildung neuer privat- oder staatskapitalistischer Nationen konsequent von einem antinationalen Standpunkt als sozialreaktionär zu kritisieren. Der Niedergangs-Rätekommunismus war dazu nicht in der Lage. Er betrachtete die politische Machteroberung von marxistisch-leninistischen Parteibonzen in Asien, Afrika und auf Kuba als eine „bürgerliche Revolution“ und damit irgendwie „fortschrittlich“. Wir haben bereits im Kapitel II.8 darauf hingewiesen, dass der marxistische Begriff der „bürgerlichen Revolution“ ungenau hinsichtlich der politischen Machteroberung von klassischer Bourgeoisie in Westeuropa und marxistisch-leninistischer Parteiapparate in einigen Ländern Eurasiens und Afrikas sowie auf Kuba ist und deren absolut sozialreaktionären Charakter verschleiert.

So schrieb Paul Mattick 1970: „In einem kapitalistisch-unentwickelten Land ist die bürgerliche Revolution, historisch gesehen, auch vom Arbeiterstandpunkt aus fortschrittlich, da erst die entwickelte kapitalistische Gesellschaft dem Sozialismus eine Chance gibt.“ (Paul Mattick, Der Leninismus und die Arbeiterbewegung des Westens, in: Anton Pannekoek, Paul Mattick u. a., Marxistischer Anti-Leninismus, a.a.O., S. 201.)

Mattick verwechselt hier wieder die antifeudale Revolution (England und Frankreich) beziehungsweise die antifeudal-antiprivatkapitalistische Revolution (Russland), bei der die kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Sozialbewegung und das sozial noch sehr schwache, aber sehr klassenkämpferische russische Proletariat die vorwärtstreibenden Elemente waren, mit der bürgerlichen beziehungsweise der staatskapitalistischen Konterrevolution der klassischen Bourgeoisie und der Staatsbourgeoisie. Selbst in dem Land, wo die Bourgeoisie in Folge einer antifeudalen Revolution zum ersten Mal an die politische Macht gelangte, in England, war dies für das vorindustrielle Proletariat kein „Fortschritt“. Nein, die Herrschaft der Bourgeoisie verkörperte von Anfang an finstere Sozialreaktion, die auf der Ausbeutung des vorindustriellen Proletariats beruhte, gegen die sich der Frühkommunismus in Form der Diggers wehrte. Klar, das vorindustrielle Proletariat war sozial noch zu schwach und auch geistig zu unreif, um die Bourgeoisie zu stürzen. So wie auch das revolutionäre Proletariat in Form des Kronstädter Aufstandes im März 1921 gegen den staatskapitalistischen Bolschewismus nicht siegen konnte. Aber die Diggers und der Kronstädter Aufstand verkörperten die Tatsache, dass die bürgerliche Machtübernahme von Bourgeois und marxistischen Parteibonzen auch „in einem kapitalistisch-unentwickelten Land“ „vom ArbeiterInnenstandpunkt“ aus gesehen absolut sozialreaktionär und konterrevolutionär war! Ja, es stimmt: die kapitalistische Industrialisierung schafft auch die Möglichkeit der revolutionären Selbstaufhebung des Proletariats – die vorher absolut unmöglich war. Aber die mögliche revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats ist die Folge der kapitalistischen Industrialisierung als sozialreaktionärem Prozess, jedoch nicht mit ihr identisch. Ein sozialreaktionärer Prozess wird nicht dadurch „fortschrittlich“, weil er auch mit der Möglichkeit schwanger geht, ihn revolutionär aufzuheben!

Mit den marxistischen Dogmen im Kopf von der angeblichen ursprünglichen „Fortschrittlichkeit“ von „bürgerlicher Revolution“ und Bourgeoise/marxistisch-leninistischen Parteibonzen in kapitalistisch-unentwickelten Ländern konnte Mattick auch die sozialreaktionäre Herausbildung neuer staatskapitalistischer Nationen in Asien, Afrika und auf Kuba in Folge der nationalen „Befreiung“ gegen den westlichen Kolonialismus und Imperialismus nicht konsequent-revolutionär kritisieren. Für ihn war der sozialreaktionäre Prozess der Herausbildung neuer Nationalstaaten „bürgerlich-revolutionär“: „Die „national-revolutionären Bewegungen der Dritten Welt sind nicht Zeichen einer herannahenden weltweiten sozialistischen Revolution, sondern aus der Not geborene Versuche der eigenen Kapitalisation, deren erste Voraussetzung der Kampf gegen den alten Imperialismus ist. In dem Maße, in dem es den national-revolutionären Ländern gelingt, sich von fremder Ausbeutung zu befreien, vertiefen sich die dem Kapitalismus eigenen Schwierigkeiten und tragen zu seiner Auflösung bei. Als Ausdruck des zerfallenden Kapitalismus sind diese Bewegungen vom proletarischen Klassenstandpunkt zu begrüßen; aber das ändert nichts an der Tatsache, dass sich die Ziele der proletarischen Revolution nicht mit denen der nationalen Selbständigkeitsbestrebungen vereinbaren lassen. Zu einer Zeit, in der sich Länder, die sich auf dem Leninismus berufen, als Feinde gegenüberstehen, ja sich gegenseitig zu zerstören drohen und in der national-staatskapitalistische Interessen, wie alle nationalen Interessen, als imperialistische Interessen auftreten, ist es nicht mehr möglich, von einer Identität der national-revolutionären und der proletarischen Bewegung zu sprechen.

Es wäre natürlich schön, wenn sich die anti-kapitalistischen und anti-imperialistischen Bewegungen in einer großen gemeinsamen Front gegen den imperialistischen Kapitalismus zusammenfassen und unter eine einheitliche revolutionäre Führung bringen ließen. Aber das ist nur in der Vorstellung, nur als Idee möglich, da die Verschiedenheiten der materiellen und sozialen Zustände in den einzelnen Ländern eine solche revolutionäre Einheitsfront ausschließen. Die national-revolutionären Bewegungen können nicht zum Sozialismus führen, und die einzige Revolution, die die Arbeiter des Westens machen können, ist die sozialistische Revolution.“ (Paul Mattick, Der Leninismus und die Arbeiterbewegung des Westens, a.a.O., S. 202/203.)

Mattick nannte also die Nationalismen in der „Dritten Welt“ (=Trikont), die zur Herausbildung neuer kapitalistischer Staaten führten und absolut sozialreaktionär waren, „revolutionär“. Er blendete hier völlig aus, dass die reaktionären Linksnationalismen in „ihren“ Ländern – zum Beispiel in China, Vietnam und auf Kuba – brutal-terroristisch gegen das klassenkämpferische Proletariat und den kleinbürgerlichen Radikalismus (Trotzkismus und Anarchismus) vorgingen. Der marxistisch-leninistische Linksnationalismus im Trikont war also von Anfang an ein struktureller Klassenfeind des Weltproletariats und nicht „vom proletarischen Klassenstandpunkt aus zu begrüßen“ wie Mattick behauptete. Und auch seine Behauptung, dass die staatskapitalistischen Linksnationalismen zur Auflösung des Kapitalismus beigetragen hätten, war sachlich falsch. Sie waren Durchsetzungsformen des Weltkapitalismus. Zwar erkannte Mattick den Gegensatz von proletarischer Revolution und den „national-revolutionären Bewegungen der Dritten Welt“, aber den absolut sozialreaktionären Charakter der letzteren sah er nicht. Im Gegenteil, er behauptete, dass es „schön“ wäre, wenn sich der linksnationale „Antiimperialismus“ im Trikont mit dem Antikapitalismus vereinen ließe. Oh je! Die absolute Trennung von beiden ist noch immer notwendig!

Weil er den sozialen Prozess durch die marxistische Ideologie-Brille nur verzerrt sah, erkannte Mattick nicht den absolut sozialreaktionären Charakter der leninistischen Linksnationalismen im Trikont. Im Trikont stand damals nach dem verknöcherten marxistischen Schema die kapitalistische Industrialisierung auf der historischen Tagesordnung, aber noch nicht die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats wie im Westen. Klar, die objektiven Bedingungen waren im Trikont damals noch nicht reif für die soziale Revolution – wie heute auf der ganzen Welt noch nicht die subjektiven Bedingungen dazu reif sind. Aber nur, weil die objektiven und subjektiven Bedingungen für die mögliche soziale Revolution noch nicht reif waren und sind, war und ist eine absolut sozialreaktionäre Erscheinung wie der leninistische Linksnationalismus nicht „fortschrittlich“! Matticks Inkonsequenz gegenüber dem Linksnationalismus im Trikont war ein Ausdruck der subjektiven Unreife der damaligen kommunistischen Bewegung.

Cajo Brendel legte die gleiche Inkonsequenz gegenüber dem leninistischen Linksnationalismus an den Tag. Auch für Brendel war der Leninismus „bürgerlich-revolutionär“, und damit zwar nicht proletarisch-revolutionär, aber dennoch irgendwie „fortschrittlich“. So schrieb er in der Einführung zur englischen Ausgabe der Thesen über die chinesische Revolution: „Die Kämpfe der Kolonialvölker haben die revolutionäre Bewegung etwas gelehrt. Die Tatsache, dass schlecht bewaffnete bäuerliche Bevölkerungen den enormen Streitkräften des modernen Imperialismus haben standhalten können, hat den Mythos von der Unbesiegbarkeit der militärischen, technologischen und wissenschaftlichen Macht des Abendlandes erschüttert. Ihr Kampf hat zudem Millionen von Menschen die Brutalität und den Rassismus des Kapitalismus deutlich gemacht und hat viele Menschen – vor allem Junge und Studenten – dazu gebracht, gegen ihre eigenen Regime zu kämpfen.“ (Zitiert nach: Philippe Bourrinet, Holländischer Rätekommunismus: Von den „Groepen van Internationale Coomunisten“ zum „Spartacusbond“, in: Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit Nr. 13, Fernwald (Annerod) 1994, S. 45/46.)

Was hier auffällt, ist das völlige Fehlen einer Klassenanalyse. Es ist hier bei Brendel klassenneutral von „Kolonialvölkern“ die Rede. Diese waren aber klassengespalten in eine schwache Bourgeoisie, GroßgrundbesitzerInnen, in BäuerInnen, ArbeiterInnen – und kleinbürgerliche BerufspolitikerInnen. Letztere führten leitend sozialreaktionäre Guerillakriege mit bäuerlicher Basis, die bei einem Sieg zur Gründung von Nationalstaaten führten. Natürlich war der kleinbürgerliche Radikalismus des Westens von dem Agieren seines Klassen- und Gesinnungsbruders im Trikont begeistert. Aber der kleinbürgerliche Radikalismus ist nun mal letztendlich nicht sozialrevolutionär. Es wäre die Aufgabe von Cajo Brendel gewesen, den kleinbürgerlichen Radikalen, die von den imperialistischen Kriegen des Westens moralisch abgestoßen waren, die Wahrheit über den absolut sozialreaktionären Charakter der leninistischen Linksnationalismen im Trikont zu sagen. Doch das konnte er nicht, wegen seinen marxistischen Dogmen von der „bürgerlichen Revolution“. So fehlte Cajo Brendel in dieser wichtigen Frage die notwendige Konsequenz. Im Vietnamkrieg war zum Beispiel sowohl ein revolutionärer Kampf gegen das staatskapitalistische Regime in Hanoi als auch den US-Imperialismus notwendig.

Trotz seiner Inkonsequenzen und Fehler verkörperte der Rätekommunismus unsterbliche Verdienste und Errungenschaften. Er war die radikalmarxistische Strömung, die als erstes mit dem Lenin/Trotzki-Regime brach und dieses als staatskapitalistisch analysierte. Der Rätekommunismus war der geistige Ausdruck der praktischen klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats gegen Kapital, Staat und bürgerlich-bürokratische Gewerkschafts- und Parteiapparate der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung. Er war nicht nur antistalinistisch wie der italienische Linkskommunismus, sondern antileninistisch. Die konsequentesten Ausformungen des Rätekommunismus waren nicht nur antiparlamentarisch, sondern lehnten auch die politische Partei als Organisationsform für das klassenkämpferische Proletariat und die SozialrevolutionärInnen klar ab.

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Boykott jüdischer Geschäfte 1. April 1933 und Flüchtlingscamp Jabalia in Gaza nach dem Raketenangriff 10.Oktober 2023

Gleich zu Beginn dieser Schrift sei hier angemerkt, dass wir den alten Begriff Antijudaismus zur Umschreibung des Chauvinismus gegen Jüdinnen und Juden benutzen. Und dies aus zwei Gründen. Erstens ist der Begriff „Antisemitismus“ wesentlich ungenauer. Juden und Jüdinnen sind nicht die einzigen SemitInnen, der sogenannte „Antisemitismus“ richtet sich jedoch meistens ausschließlich gegen die erstgenannten. Wir können einen religiösen und einen rassistischen sowie seit der Existenz des Staates Israel einen nationalistischen Antijudaismus unterscheiden, die sich in der Praxis durchmischten und durchmischen. Und zweitens ist „Antisemitismus“ zu einem Kampfbegriff des Prozionismus und des Staates Israel verkommen, der sich auch gegen israelkritische und antizionistische Jüdinnen und Juden richtet. Selbstverständlich gibt es auch einen gegen den Staat Israel gerichteten Antijudaismus, aber auch eine konsequente und radikale Kritik an Israel und am Zionismus, die nicht auf Antijudaismus beruht. Dazu gehört eindeutig unserer antinationaler Antizionismus, der den jüdischen Nationalismus genauso konsequent wie alle anderen Nationalismen – einschließlich des palästinensischen – bekämpft.

Des Weiteren sei angemerkt, dass die Geschichte des europäischen Antijudaismus, der faschistische Massenmord an den Jüdinnen und Juden, der sozialreaktionäre Charakter von Zionismus und palästinensischen Nationalismus hier nur kurz geschildert werden kann. Wir empfehlen unsere zwei Broschüren Der Kampf des jüdischen Proletariats (1900-1945) sowie Zionismus und arabischer Nationalismus.

Europäischer Antijudaismus und Zionismus

Den ChristInnen war es im europäischen Mittelalter von der Kirche verboten Zins zu nehmen. So betrieben oft Juden im Auftrag und im Interesse der Feudalherren Finanzgeschäfte. Dafür wurden die Juden oft zum Sündenbock für die Misswirtschaft. Das feudale System wusch sich rein, indem es auf den „schmutzigen Juden“ verwies. Die Judenverfolgung hatte auch damals schon – trotz der irrationalen Ideologie, die sie produzierte – einen rationalen, die Herrschaft sichernden Kern. In der ständischen Gesellschaft des Feudalismus wurde der Charakter des Judentums als vorindustriekapitalistisches Handelsvolk verrechtlicht und zementiert.

Im Gegensatz zu einer Verschwörungslegende des Antijudaismus waren die Juden eben nicht die „ErfinderInnen“ des modernen europäischen Kapitalismus, sondern sie wurden im Gegenteil mit der Herausbildung einer christlichen Handels-, Finanz- und schließlich Industriebourgeoisie ziemlich an den Rand gedrängt und Verfolgungen sowie Vertreibungen ausgesetzt. Zuerst wurden die Juden von einer ab dem 11. Jahrhundert entstehenden christlichen Handelsbourgeoisie aus dem Handel verdrängt. Es blieb ihnen oft nur noch das Wuchergeschäft. Der Antijudaismus ist eine extrem ideologisch verzerrte Widerspiegelung der Tatsachen, dass die Juden durch ihr Handelsmonopol bis zum 11. Jahrhundert den Tauschwert in einer noch vorwiegend von der Naturalwirtschaft geprägten Gesellschaft verkörperten und dann, als das Geld immer stärker den Feudalismus aushöhlte und zerstörte, von einer christlichen Handelsbourgeoisie immer mehr in den Wucher verdrängt wurden. Aber im modernen Kapitalismus verkörpern die Juden nicht mehr und nicht weniger das Geld als alle anderen Sprach-, Religions- und Kulturgemeinschaften auch.

In dem Maße, wie sich in den feudal-bürgerlichen Gesellschaften eine christliche Handelsbourgeoisie, welche auch den Geldhandel betrieb, entwickelte, konnten die Juden ab dem 12. Jahrhundert aus dem Handel verdrängt und vorübergehend vertrieben werden. Vorher nicht, weil das schwerwiegende sozialökonomische Folgen gehabt hätte. Die jüdische Religionsgemeinschaft wurde immer stärker von der anderen Bevölkerung isoliert. Zwischen 1099 und 1291 wurde die jüdische Bevölkerung in Palästina durch Kreuzfahrer und Seldschuken dezimiert. Seit dem 13. Jahrhundert erfolgte die zwangsweise Ansiedlung in geschlossene Stadtviertel (Judengasse, Judenviertel, Judenquartier, Ghetto). So wurden die Juden in den Jahren 1182, 1268 und 1306 aus Frankreich vertrieben. Die Juden wurden also als vorindustriekapitalistisches Handelsvolk mit der Entwicklung einer christlichen Handelsbourgeoisie zunehmend verdrängt und nach Osteuropa vertrieben. Die Pest von 1348-51 wurde in ganz Europa zu einer barbarischen Judenverfolgung zum Anlass genommen. Sie forderte Zehntausende von Opfern und führte zu einer starken jüdischen Auswanderung, besonders von Deutschland nach Polen. Joachim Kahl bemerkt zu Recht: „So umfassend wurden die Juden ausgerottet, dass die Katastrophe dieser Jahre auf faschistische Pogrome unter Hitler vorausweist.“ (Joachim Kahl, Das Elend des Christentums, Rowohlt Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg, 1968/1993, S. 48.)

Mit der Entwicklung des Industriekapitalismus und der Entstehung moderner demokratischer Rechtsstaaten als den effektivsten politischen Formen der sozialen Diktatur des Kapitals in Westeuropa, bestand für die Juden dort immer stärker sowohl die Möglichkeit als auch die Notwendigkeit sich als vorindustriekapitalistisches Handelsvolk aufzuheben und sich in die entstehenden Nationalstaaten zu assimilieren. Bei einer geglückten Assimilation würden die Juden sich sozial in die drei Hauptklassen Bourgeoisie, KleinbürgerInnentum und Proletariat spalten und als Religions- und Kulturgemeinschaft die Religionsfreiheit genießen. Die Juden würden sich durch den Nationalismus in erster Linie als FranzösInnen, EngländerInnen, Deutsche usw. fühlen, und ihr Judentum wäre wie jede Religion Privatsache. Diese Assimilation war auch im 19. Jahrhundert in Westeuropa relativ erfolgreich. Doch diese relative Assimilation war auch in Westeuropa immer wieder durch mal stärkere und mal schwächere Schübe des Antijudaismus geprägt. Besonders das KleinbürgerInnentum – aber auch Teile des Proletariats und der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung – waren durchaus anfällig gegenüber dieser chauvinistischen Ideologie.

In Osteuropa –besonders im zaristischen Russland – war der Kapitalismus zu schwach entwickelt, um das Judentum zu assimilieren. Der Kapitalismus war zwar auch dort Ende des 19. Jahrhunderts/Anfang des 20. Jahrhunderts schon so stark, dass es massenhaft das jüdische Kleinhandwerk ruinierte, aber eben zu schwach, um das ruinierte jüdische KleinbürgerInnentum vollständig in ein Proletariat transformieren zu können. Das erzeugte in der jüdischen Bevölkerung – besonders im russisch annektierten Teil Polens – eine große Arbeitslosigkeit und ein für das Kapital unproduktives Elend. Zwar entwickelte sich auch ein jüdisches Proletariat, doch das wurde vorwiegend im zugrunde gehenden jüdischen Kleinhandwerk ausgebeutet. Im russisch annektierten Teil Polens verboten die polnischen Berufsgewerkschaften bis zum Sturz des Zarismus den jüdischen ProletarierInnen die Arbeit in der Industrie. Der überlebte Zarismus versuchte sich zu erhalten, indem er die soziale Wut – besonders der BäuerInnen – auf die Juden lenkte. Die Organisation bzw. Duldung antijüdischer Pogrome hatte für den russischen Zarismus eine herrschaftsstabilisierende Funktion. Er schürte auch die antijüdische Verschwörungsideologie nach Leibeskräften und produzierte das antijüdische Machwerk Protokolle der Weisen von Zion. Diese Hetzschrift gehörte international zur Lieblingslektüre aller JudenhasserInnen, unter ihnen auch Adolf Hitler.

Die Nichtintegration der Juden im ökonomisch unterentwickelten Osteuropa hatte drei Folgen: Die Emigration nach Westeuropa, in die USA und nach Palästina, die Entstehung einer besonderen jüdischen institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung im zaristischen Russland sowie in Zwischenkriegspolen in Form des sozialdemokratischen Bundes und die Entwicklung des jüdischen Nationalismus, des Zionismus. Die Ankunft jüdischer MigrantInnen aus Osteuropa stärkte auch in Westeuropa den Antijudaismus als reaktionäre chauvinistische Konkurrenzideologie. Mehrere europäische Nationalstaaten versuchten die jüdische Emigration gesetzlich einzuschränken. So erließ Großbritannien 1905 das berüchtigte Fremdengesetz, mit dem den osteuropäischen Juden und Jüdinnen die Migration auf die Insel verunmöglicht wurde.

Die sogenannte „jüdische Frage“ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestand aus der Nichtassimilation der Juden und Jüdinnen durch den noch schwachen osteuropäischen Kapitalismus und die Rückgängigmachung der relativen Assimilation durch den deutschen Krisenkapitalismus in seiner NS-faschistischen Form und schließlich im antijüdischen Massenmord. Die relative Assimilation der Juden in Westeuropa im 19. Jahrhundert beruhte auf der beschleunigten Kapitalvermehrung. Doch diese geriet ab 1913 in die strukturelle Profitproduktionskrise.

Der Erste Weltkrieg war für das globale Rüstungskapital ein gefundenes Fressen und bescherte dem US-Nationalkapital ein Extraaufschwung, während Europa in Blut und organisiertem Chaos versank. Der Krieg führte zur Verschärfung des Klassenkampfes, der in der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923) mündete, die jedoch der globale Kapitalismus konterrevolutionär löste – dazu gehörte auch der bolschewistische Staatskapitalismus in „Sowjet“-Russland, welcher 1921 die Kronstädter Matrosen als Avantgarde der Revolution massakrierte. Zwischen 1923 und 1929 stabilisierten sich der westeuropäische und der nordamerikanische Kapitalismus etwas – um dann 1929 in der Weltwirtschaftskrise zu landen.

Diese Krise machte in Deutschland den Faschismus als kleinbürgerlich-reaktionäre Massenbewegung im Interesse der Bourgeoisie groß. Er war Fleisch vom Fleische des deutschen KleinbürgerInnentums, das durch die Weltwirtschaftskrise massenhaft ruiniert wurde. Die ruinierten KleinbürgerInnen konnten nicht in der ArbeiterInnenklasse aufgehen, da diese selbst unter der Massenarbeitslosigkeit litt. Der Antijudaismus der Nazis entsprach den sozialökonomischen und sozialpsychologischen Bedürfnissen der von der Krise bedrohten KleinbürgerInnen. Wenn jemand vernichtet werden sollte, dann nicht sie, sondern die jüdische Konkurrenz! Kauft nicht bei Juden, sondern bei braven „arischen“ Deutschen! Die KleinbürgerInnen projizierten massenhaft ihren ganzen Hass auf die Juden, ihre eigene Geldgier auf die „Geldjuden“, ihre Angst und Abscheu vor dem klassenkämpferischen Proletariat in den „jüdischen Bolschewismus“, ihre Enttäuschung in die Weimarer „Judenrepublik“ – die sie nicht retten wollte oder konnte – und das angeblich „jüdische“ Bankkapital, bei dem sie massenhaft verschuldet waren. Der NS-Antijudaismus stärkte schon während der Weimarer Republik den Kapitalismus ideologisch, indem er den „arischen schaffenden“ Industriekapitalismus gegen das „raffende jüdische Finanzkapital“ ausspielte.

Für die Nazis waren die Juden eine geldgierige „Rasse“. Hier ein Zitat von Hitler, welches das ziemlich gut veranschaulicht. So schrieb er am 16. September 1919: „Der Antisemitismus als politische Bewegung darf nicht und kann nicht bestimmt werden durch Momente des Gefühls, sondern durch die Erkenntnisse von Tatsachen. Tatsachen aber sind: Zunächst ist das Judentum unbedingt Rasse und nicht Religionsgemeinschaft. Und der Jude selbst bezeichnet sich nie als jüdischen Deutschen, jüdischen Polen oder etwa jüdischen Amerikaner, sondern stets als deutschen, polnischen oder amerikanischen Juden. Noch nie hat der Jude von fremden Völkern, in deren Mitte er lebt, viel mehr angenommen als die Sprache. Und damit ergibt sich die Tatsache, dass zwischen uns eine nichtdeutsche, fremde Rasse lebt, nicht gewillt und auch nicht imstande, ihre Rasseneigenarten zu opfern, ihr eigenes Fühlen, Denken und Streben zu verleugnen, und die dennoch politisch die gleichen Rechte besitzt wie wir selber. Bewegt sich schon das Gefühl des Juden im rein Materiellen, so noch mehr sein Denken und Streben. Der Tanz ums Goldene Kalb wird zum erbarmungslosen Kampf um alle jene Güter, die nach unserem inneren Gefühl nicht die höchsten und einzig erstrebenswerten auf dieser Erde sein sollen.

Sein Mittel zum Kampf ist jene öffentliche Meinung, die nie ausgedrückt wird durch die Presse, wohl aber immer durch sie geführt und gefälscht wird. Seine Macht ist die Macht des Geldes, dass sich in Form des Zinses in seinen Händen mühe- und endlos vermehrt, und den Völkern jenes gefährlichste Joch aufzwingt, dass sie seines anfänglichen goldenen Schimmers wegen so schwer in seinen späteren traurigen Folgen zu erkennen vermögen. Alles was Menschen zu Höherem streben lässt, sei es Religion, Sozialismus, Demokratie, es ist ihm alles nur Mittel zum Zweck, Geld- und Herrschgier zu befriedigen. Sein Wirken wird in seinen Folgen zur Rassentuberkulose der Völker.“

Hier sehen wir deutlich, wie der Kleinbürger Hitler den negativen Geldfetischismus mit der „wissenschaftlichen Rassenlehre“ verknüpfte. Die eigene kleinbürgerliche Konzentration auf das Geld wurde auf die „anderen“, die Juden und Jüdinnen, projiziert und diese Objekte der eigenen Projektion fanatisch bekämpft. Nun ja, indem die Nazis 1933 von der Mehrheit der deutschen Bourgeoisie als ihre offiziellen Folterknechte und Mordbuben gemietet wurden, konnten nicht wenige Nazibonzen ihre Taschen mit Geld füllen. Durch die „Arisierung der deutschen Wirtschaft“ konnten „arische“ KapitalistInnen auf Kosten der enteigneten jüdischen Bourgeoisie ihr Geld vermehren. Negativer Geldfetischismus, der rassistisch auf die Juden projiziert wurde, als Moment des Konkurrenzkampfes im Rahmen der Kapitalvermehrung.

Auch die Bourgeoisie beherrscht die Kapitalvermehrung nicht, sie wird von ihr beherrscht. Sie wird vom Aufschwung emporgehoben – und dann in die Krise geschleudert. Für die KleinbürgerInnen fällt die Höhe des Aufschwunges wesentlich niedriger, dafür aber der Fall umso tiefer aus. Von der sozialökonomischen und psychologischen Vernichtung bedroht, wollten sie überleben, indem sie andere vernichteten. Eine Zwischenstellung zwischen dem Großkapital, dass es besonders in der Krise massenhaft ruinierte, und dem Proletariat, welches es embryonal ausbeutete, einnehmend, lief das KleinbürgerInnentum während der Weltwirtschaftskrise in Deutschland im Interesse der Bourgeoisie antijüdisch und antikommunistisch Amok und machte den Faschismus zu einer Massenbewegung. Als die deutsche Bourgeoisie 1933 den Nazis die politische Macht übergab, wurde ihr Antijudaismus zur massenmörderischen Gewalt. Der Antijudaismus wurde wie die Vorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg und die Zerschlagung der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung (Sozialdemokratie, Gewerkschaften und Partei-„Kommunismus“) zur völkischen Krisenlösungsstrategie der Nazis. Indem die Bourgeoisie ihre Herrschaftsform Demokratie in den Faschismus transformierte, entwickelte sich dieser aus einer kleinbürgerlichen Massenbewegung in eine großbürgerliche politische Strömung.

Beim staatlichen Antijudaismus der Nazis verschmolz die kalte technokratische Rationalität der Kapitalvermehrung mit einer überfanatischen irrationalen Vernichtungsideologie und gipfelte schließlich im millionenfachen kapitalistisch-industriellen Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden. Die Verdrängung der Juden und Jüdinnen durch den NS-Staat aus Wirtschaft, Politik und Kultur, eröffnete neue Karrieren für „arische“ Deutsche, besonders für überzeugte Nazis. Die jüdische Bourgeoisie wurde im Interesse ihrer „arischen“ Konkurrenz enteignet, wodurch die Konzentration und Zentralisation des Kapitals zunahmen. So schufen die Nazis massenhaft für das Kapital unproduktive jüdische Armut. Der Kapitalismus vernichtete und vernichtet massenhaft unproduktive Armut, indem er die Armen mehr oder weniger sich selbst überlässt. Ein monströser Massenmord! Die modernen Sozialstaaten in den kapitalistischen Metropolen mildern den Terror gegen das nichtlohnarbeitende Proletariat etwas ab – aber nur SozialdemokratInnen kommen auf die Idee, die Tatsache, dass die entwickelten kapitalistischen Staaten ihre Armen nicht mehr massenhaft verhungern und erfrieren, sondern sie auf niedrigem Niveau dahinvegetieren lassen, als „zivilisatorische Errungenschaft“ zu feiern. Doch die Nazis waren keine SozialdemokratInnen, sie waren konsequente SozialdarwinistInnen. Nachdem sie den Jüdinnen und Juden die sozialökonomische Grundlage ihrer Existenz genommen hatten, vernichteten sie sie physisch. Die Nazis waren die ultrafanatischen Übertreiber jenes kapitalistischen Sozialdarwinismus, der sonst die Menschen durch die unsichtbare Hand des Marktes tötete und noch immer tötet.

Die physische Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden begann mit dem Zweiten Weltkrieg. Das hatte sehr viel mit der ultrafanatisch-antijüdischen ideologischen Verklärung dieses imperialistischen Gemetzels durch die Nazis zu tun. Für diese stellte der Zweite Weltkrieg ein Endkampf zwischen „arischen Herrenmenschen“ und „jüdischen Untermenschen“ dar, wodurch die sozialökonomische Basis des Blutbades als militärischer Konkurrenzkampf zwischen imperialistischen Staaten ideologisch verschleiert wurde.

Beim kapitalistisch-industriellen Massenmord verschmolz die Rationalität der Kapitalvermehrung untrennbar mit der massenmörderischen Irrationalität des fanatischen Judenhasses. Einige Juden wurden von der SS an das deutsche Kapital (z.B. Krupp) als SklavInnen verkauft, wo das „Judenmaterial“ zu Tode gearbeitet wurde. Aus Geld muss mehr Geld gemacht werden! Dass ist der massenmörderische kategorische Imperativ des Kapitals. Und wenn noch so viele Menschen sterben müssen! Wer zählt die Millionen SklavInnen und LohnarbeiterInnen, die das Kapital in seiner Geschichte weltweit zu tote gearbeitet hat?! Nein, der Massenmord des deutschen Faschismus war kein Zivilisationsbruch, er war der bisher extremste Ausdruck der kapitalistischen Zivilisationsbarbarei.

Auschwitz als Zivilisationsbruch zu bezeichnen, heißt davon zu abstrahieren, dass sich das Kapital nur durch das Auftürmen von Leichenbergen vermehrte und vermehrt. In der Fabrik und auf den Schlachtfeldern unzähliger Kriege wurden in der Geschichte Millionen Menschen zum Wohle der Kapitalvermehrung umgebracht. In einer Geschichte voller Gemetzel ist das größte Gemetzel kein Zivilisationsbruch! Außerdem ist das Gerede über „Zivilisationsbruch“ extrem eurozentristisch. In Australien, Asien, Afrika, Ozeanien und Amerika wurden zum Wohle der europäisch-„weißen“ kapitalistischen Zivilisation Menschen „nichtweißer“ Hautfarbe massenhaft massakriert. Die Nazis hatten ihren Massenmord mitten in Europa organisiert und millionenfach „Weiße“ einem Vernichtungsrassismus ausgesetzt, das war das Neue. Außerdem nutzten sie für ihre Mordorgie die modernen kapitalistischen Produktivkräfte, die immer auch Zerstörungskräfte gegen das arbeitende Proletariat und die Natur waren und sind. Diesen Zusammenhang soll das Gerede über den angeblichen „Zivilisationsbruch“ verschleiern. Es dient der Verteidigung der alltäglichen kapitalistischen Zivilisationsbarbarei und seiner technokratischen Todesfabrikation.

Auschwitz verkörpert auf ideologisch extrem verzerrte Weise den Konkurrenz- und Klassenkampf von oben in einer der krisenhaftesten Zeiten des Kapitalismus, der seine Zivilisationsbarbarei extrem verschärfte und in Deutschland in faschistischer Form zugleich rational-technokratisch-kalt und irrational-ideologisch durchdrehend die Krise zu lösen versuchte. Durch den Judenhass wurde der Konkurrenzkampf auf völkisch-rassistische Art und Weise gelöst, eine für das Kapital unproduktive jüdische Armut geschaffen und diese technokratisch vernichtet, woran auch das Kapital verdiente. Und nicht nur das Kapital. Nach der Deportation der deutschen Jüdinnen und Juden in die Vernichtungsfabrik Auschwitz wurden ihre Haushalte versteigert. An den Versteigerungen nahmen Menschen aller Klassen und Schichten teil. So stärkte sich die „Volksgemeinschaft“ als Scheinrealität und realer Schein durch den rassistischen Ausschluss der Juden als Beutegemeinschaft der Aasgeier.

Im Zweiten Weltkrieg triumphierte global der Klassenkampf von oben gegen das Proletariat. Das Proletariat tötete und wurde getötet im Interesse der einzelnen Nationalstaaten, die ihren blutigen Konkurrenzkampf ausfochten. Der kapitalistisch-industrielle Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden war Teil des imperialistischen Gemetzels. Der antifaschistische Imperialismus der staatskapitalistischen Sowjetunion und der privatkapitalistischen Demokratien machte vor dem Gemetzel seine Geschäfte mit dem Faschismus auf Kosten des Proletariats, so wie er nach dessen Beginn seinen militärischen Konkurrenzkampf gegen die Nazis ebenfalls auf deren Kosten ausgefochten hatte. Die imperialistischen Demokratien bombardierten deutsche ZivilistInnen, aber nicht die antijüdischen faschistischen Massenmordzentren.

Auch der kapitalistisch-industrielle Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden verkörperte nicht nur dadurch den ideologisch extrem verzerrten Klassenkampf von oben, indem er das von den Nazis völkisch-technokratisch geschaffene unproduktive jüdische Elend sehr zum Vorteil einiger Privatkapitale auslöschte. Die Nazis projizierten auch ihren nationalistischen Hass auf den „proletarischen Internationalismus“ der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung auf das gesamte Judentum. Der „proletarische Internationalismus“ war und ist stark beschränkt, weil er in seinen Hauptströmungen nicht konsequent den kapitalistischen Nationalismus hinter sich lässt. Deshalb ist er aus antinational-sozialrevolutionärer Sicht scharf zu kritisieren. Aber es muss auch bedacht werden, dass der „proletarische Internationalismus“ für viele jüdische ArbeiterInnen und Intellektuelle (Rosa Luxemburg, Karl Radek, Leo Trotzki…) in Osteuropa eine relativ progressive Form war, mit der sie ihre Nichtassimilation und den blutigen Antijudaismus verarbeiten konnten, ohne jüdische NationalistInnen (ZionistInnen) zu werden. Die Nazis projizierten ihren leidenschaftlich-krankhaften Hass gegen den proletarischen Internationalismus auf alle Juden, von denen viele in Westeuropa sich leidenschaftlich-reaktionär zu den Nationen bekannten, in denen sie lebten, oder jüdische NationalistInnen/ ZionistInnen waren. In seiner ersten „großen“ Rede vom 13. August 1920 teilte Hitler seinen ZuhörerInnen mit, dass er ein Judenfeind sei, weil „die Juden international sind, die Gleichheit aller Völker und die internationale Solidarität predigen, (und) es ihr Ziel ist, die Rassen zu entnationalisieren“ (siehe: E. Jäckel, Hitler als Ideologe, Calmann Levy 1973). Der kapitalistisch-industrielle Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden richtete sich auch ideologisch extrem verzerrt gegen den proletarischen Internationalismus.

…..

Es gehört zu den historischen Fakten, dass nicht in erster Linie die ZionistInnen – die im großen Stil ihre schmutzigen Politgeschäfte mit den größten JudenmörderInnen, von dem russischen Zaren bis zu den deutschen Nazis, machten – gegen den mörderischen europäischen Antijudaismus kämpften, sondern die jüdische institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung, der sozialdemokratische Bund. Dieser organisierte den militanten Selbstschutz des jüdischen Proletariats gegen den gewaltsamen Antijudaismus. Zuerst im zaristischen Russland (bis 1917), dann im Zwischenkriegspolen und schließlich gegen den deutschen faschistischen Imperialismus auf erobertem polnischem Gebiet. Das muss bei aller Kritik an der jüdischen Sozialdemokratie, die wie jede strukturell unfähig war, den Kapitalismus wirklich revolutionär zu bekämpfen, klar betont werden. Den letzten Kampf, den gegen den deutschen Faschismus, verlor der Bund heroisch. Nutznießer dieser Niederlage war der Zionismus.

Als jüdischer Nationalismus war der Zionismus so wie alle Nationalismen von Anfang an sozialreaktionär. Er war die nationalistische Antwort auf den antijüdisch-völkischen Wahn. Er band das jüdische Proletariat praktisch-ideologisch an die jüdische Bourgeoisie und verschmolz antagonistische Klassen zu einer scheinbar nationalen Schicksalsgemeinschaft. Diese reaktionäre Ideologie lenkte die jüdischen ProletarierInnen vom Klassenkampf ab, spaltete sie von ihren nichtjüdischen Klassengeschwistern ab und hetzte sie auf das palästinensische KleinbürgerInnentum und das entstehende Proletariat. Der Zionismus wollte in Palästina, wo einst antike jüdische Königreiche bestanden, einen modernen jüdischen bürgerlichen Staat schaffen, was ihm schließlich im Jahre 1948 auch gelang. Israel stellte eine bürgerlich-reaktionäre Lösung der „jüdischen Frage“ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar, die auf chauvinistische Weise die sich heute akut zuspitzende „palästinensische Frage“ schuf.

Gründungsvater des Zionismus war Theodor Herzl und seine Geburtsurkunde war dessen 1896 erschienene Buch Der Judenstaat. Durch die Gründung der Zionistischen Weltorganisation (WZO) bekam der Zionismus seine institutionalisierte Form. Die WZO war nach Nationalstaaten organisiert und jährlich fanden in den jeweiligen Nationalstaaten Wahlen zum Zionistischen Weltkongress statt. Unterstützt von einigen jüdischen Bankiers und FabrikbesitzerInnen konnte Herzl im August 1897 in Basel den 1. Zionistenkongress eröffnen. Diese Zionistenkongresse fanden einmal jährlich, später alle zwei Jahre statt. Um die jüdisch-zionistische Ansiedlung in Palästina zu finanzieren, wurde 1899 in London die „Jüdische Kolonialbank“ gegründet. 1901 folgte die Gründung des „Jüdischen Nationalfonds zur Förderung des Bodenkaufs“.

Es gehört zu den ekelhaftesten Leistungen des antifaschistischen Moralismus mit Verweis auf Auschwitz jede konsequente Kritik am Zionismus und dem Staat Israel mit dem inflationär gebrauchten „Antisemitismus“-Vorwurf zum Schweigen zu bringen. Diese moraltriefende Meinungsdiktatur des Zionismus und Prozionismus betreibt fast niemand so gründlich wie die deutsche Bourgeoisie und die von ihr materiell und geistig abhängende Lumpenintelligenz samt den „Antideutschen“. Solidarität mit Israel ist deutsche Staatsräson! So wie es in anderen Zeiten deutsche Staatsräson war, nicht bei Juden zu kaufen, aber dafür deren Haushaltsartikel, als sie deportiert wurden. Gegenüber dieser ungenießbaren (anti-)deutsch-nationalen Moralsoße halten wir fest: Israel durch Auschwitz zu rechtfertigen heißt völkischen Wahn mit völkischem Wahn zu rechtfertigen. Nein, das ist keine Gleichsetzung des Zionismus mit dem NS-Faschismus, ihr verdammten Israel-Apologeten! ZionistInnen sind keine Nazis, sondern Apartheid-DemokratInnen. Selbst für aufmerksame bürgerlich-humanistische BeobachterInnen sind gewisse Parallelen zwischen dem Antijudaismus und dem zionistisch-rassistischen Chauvinismus gegenüber AraberInnen – besonders PalästinenserInnen – nicht zu leugnen. Auch nicht- oder antizionistische Jüdinnen und Juden sahen und sehen diese unübersehbaren Parallelen. Spätestens hier sehen wir die reaktionäre Wirkung der Ideologie von Auschwitz als „Zivilisationsbruch“: Der kapitalistisch-industrielle Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden soll aus dem Gesamtkontext der bürgerlichen Zivilisationsbarbarei herausgelöst werden. Sie dient dazu, andere Massenmorde des Kapitals, darunter auch die Israels, zu verharmlosen und zu relativieren.

Sozialrevolutionäre Antinationale sind ganz klar konsequente AntizionistInnen – so wie sie auch grundsätzliche GegnerInnen des arabischen Nationalismus sind. Nationen sind politische Durchsetzungsformen des Kapitalismus. Es gibt keine „fortschrittlichen“ oder gar antikapitalistischen Nationalismen. Weil der kleinbürgerlich-„antiimperialistische“ und proarabisch-nationalistische Antizionismus nicht antinational und damit auch nicht antikapitalistisch ist, ist er aus sozialrevolutionär-antinationaler Sicht grundsätzlich reaktionär. Auch hatte dieser proarabisch-nationalistische Antizionismus in der Vergangenheit starke antijüdische Tendenzen und verharmlost bis auf den heutigen Tag mehr oder weniger stark den Antijudaismus des palästinensischen Nationalismus. Antizionismus kann nur als untrennbarer Bestandteil des antinational-sozialrevolutionären Universalismus progressiv sein.

Es waren die Nichtassimilation und Nichtintegration der Juden und Jüdinnen in Osteuropa sowie der wachsende Antijudaismus in Westeuropa, der im industriellen Massenmord des deutschen Faschismus gipfelte, während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die den Zionismus groß machten und schließlich auch alle seine jüdischen GegnerInnen besiegen ließ. Antijudaismus und Zionismus teilten im Gegensatz zu jüdischen bürgerlichen AssimilationistInnen und „proletarisch-internationalistischen“ Juden eine Grundannahme, nämlich, dass Juden und Jüdinnen nicht Teil der Nationen seien, in denen sie lebten. Eine Zurückdrängung des Antijudaismus in Europa durch die Assimilation/Integration in die privatkapitalistischen Nationen oder in zu schaffende „sozialistische Staaten“ – die in der Praxis nur staatskapitalistisch sein konnten – hätte dem Zionismus seinen sozialökonomischen und psychologisch-ideologischen Boden entzogen. Antijudaismus und Zionismus gingen also von Anfang an objektiv eine reaktionäre Symbiose ein, was die frühen ZionistInnen offen zugaben.

So formulierte der ehemalige Präsident des Jüdischen Weltkongresses und der Zionistischen Weltorganisation, Nahum Goldmann: „Die Gefahr der Assimilation der jüdischen Gemeinschaft unter den Völkern, in deren Mitte sie leben, ist sehr viel ernster als die äußere Bedrohung durch den Antisemitismus.“ (Le Monde, 13.1.1966, zitiert nach Nathan Weinstock, Le sionisme contre israel, Paris 1966, S. 38.) Auch der Gründungsvater des Zionismus, Herzl, kämpfte nicht gegen den Antijudaismus, sondern predigte bereits 1895 die passive Anpassung an ihn, was dann später zum praktischen Programm des Zionismus wurde. Der erste Eintrag in seinem Zionistischen Tagebuch lautete: „In Paris also gewann ich ein freieres Verhältnis zum Antisemitismus, den ich historisch zu verstehen und zu entschuldigen anfing. Vor allem erkannte ich die Leere und Nutzlosigkeit der Bestrebungen ,zur Abwehr des Antisemitismus‘.“ (Alex et al. Bein, Theodor Herzl –Briefe und Tagebücher, Bd. 2: 1883-1896, Propyläen Verlag, Berlin u.a. 1985, S. 46.)

Die ZionistInnen stimmten vor der Staatsgründung Israels mit den Judenhassern darin überein, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland keine Deutschen, in Frankreich keine Franzosen usw. seien. Nun, als proletarische RevolutionärInnen fühlen wir uns auch nicht als Deutsche, Franzosen usw., sondern als Teil des globalen Proletariats, und wir bekämpfen sowohl die Integration von ProletarierInnen in die jeweiligen Nationalstaaten als auch die rassistische Ausgrenzung „ausländischer“ Klassengeschwister aus ihr. Doch als der Zionismus als jüdischer Nationalismus in der Vergangenheit gegen die Assimilation der jüdischen Bevölkerung in die jeweiligen Nationalstaaten zu Felde zog, begünstigte er eindeutig den Antijudaismus. Ja, einige ZionistInnen paktierten offen mit den Judenhassern. Einer von ihnen war Max Nordau, welcher am 21. Dezember 1903 in einem Interview mit der fanatisch antijüdischen Zeitung La Libre Parole von Eduard Drumont unter anderem sagte, der Zionismus sei „nicht eine Frage der Religion, sondern ausschließlich eine der Rasse, und es gibt niemanden, mit dem ich in diesem Punkt mehr übereinstimme als mit Monsieur Drumont.“. (Desmond Steward, Theodor Herzl. Artist and Politican, Quartet Books, New York 1974, S. 322.)

Der Zionismus war und ist eine rassistische Ideologie. Herzl war zwar Kosmopolit, doch nach Herzls Tod im Jahre 1904, wurde der Zionismus immer rassistischer. Lenni Brenner schrieb über den Rassismus des frühen Zionismus: „Die deutschen Universitätsabsolventen, die die Zionistische Weltorganisation nach Herzls Tod übernahmen, entwickelten eine modernistisch-rassistische Ideologie des jüdischen Separatismus. Sie selbst waren stark von ihren pangermanistischen Kommilitonen im Wandervogel beeinflusst, die die deutschen Universitäten vor 1914 dominierten. Diese Chauvinisten lehnten die Juden ab, weil sie nicht von germanischem Blut waren, deshalb niemals zum deutschen Volk gehören konnten und überhaupt Fremde auf deutschem Boden waren. Alle jüdischen Studenten waren gezwungen, sich mit diesen Konzeptionen auseinander zu setzten. Einige tendierten eher nach links und traten den Sozialdemokraten bei. Für sie war das lediglich bourgeoiser Nationalismus, der entsprechend bekämpft werden musste. Die meisten blieben konventionell kaisertreue, überzeugte Nationalisten, die darauf beharrten, dass 1000 Jahre auf deutschem Boden sie zu ,Deutschen mosaischen Glaubens‘ gemacht hätten. Wieder andere jedoch übernahmen die Ideologie des Wandervogels und übersetzten sie einfach in die zionistische Terminologie. Sie stimmten mit den Antisemiten in mehreren wichtigen Punkten überein: Juden gehörten nicht zum deutschen Volk, und selbstverständlich sollten sich Deutsche und Juden nicht sexuell vermischen – nicht aus den traditionellen religiösen Gründen, sondern wegen ihres eigenen einzigartigen Blutes. Da sie nicht teutonischen Blutes waren, brauchten sie notgedrungen ihren eigenen Boden – Palästina.“ (Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus. Über die unheimliche Zusammenarbeit von Faschisten und Zionisten, Kai Homilius Verlag, Berlin 2007, S. 59/60.)

Da die meisten Juden und Jüdinnen, wenn sie aus Osteuropa migrierten, sich nach Westeuropa oder in die USA, aber eben nicht nach Palästina begaben, mussten die ZionistInnen den besonderen palästinensischen Boden ideologisch mystifizieren und verklären. So hetzten nicht wenige ZionistInnen in Anlehnung an den Antijudaismus als eine Form des negativen Geldfetischismus gegen die Juden als „Parasiten“ bei ihren jeweiligen „Gastgebern“, solange sie keinen „eigenen“ Staat geschaffen hätten. In Palästina sollten sich die Jüdinnen und Juden aus vorwiegenden StädterInnen in BäuerInnen verwandeln, die den palästinensischen Boden bearbeiten würden. Intellektuelle und Kommerzielle Tätigkeiten wurden verunglimpft, um körperlich-produktive Arbeit wurde ein Kult betrieben. Durch die „Negation“ (Verneinung) der Diaspora sollten die Jüdinnen und Juden zu neuen Menschen werden.

Heute gehört es zum politischen Geschäft des Zionismus und seiner (anti-)deutschen FreundInnen, alle Jüdinnen und Juden, die sich nicht vom Zionismus vereinnahmen lassen, als „sich selbst hassende Juden“ abzuqualifizieren. Doch bevor der Zionismus seinen eigenen Staat im Nahen Osten schaffen konnte, schürte er selbst systematisch den jüdischen Selbsthass. Ziel war, dass die Jüdinnen und Juden sich in den verschiedenen Nationalstaaten selbst als „Fremdkörper“ ansehen und sich nach „nationaler Erlösung“ in Palästina sehnen sollten. Hier ein Beispiel. So formulierte die zionistische Jugendorganisation Hashomer Hatzair (Junge Wächter) bereits 1917: „Der Jude ist eine Karikatur des normalen, natürlichen Menschen, sowohl physisch als auch geistig. Als Individuum in der Gesellschaft rebelliert er ständig und streift den Harnisch sozialer Verpflichtungen ab, kennt weder Ordnung noch Disziplin.“ (Hashomer Hatzair, Our Shomer, Weltanschauung, Dezember 1936, S. 26.) Diese Worte wurden 1936 (!) wieder veröffentlicht.

Auschwitz und Zionismus

Keine politische Kraft instrumentalisiert Auschwitz für reaktionäre Ziele so pervers wie der Zionismus und der Staat Israel. Doch zur historischen Wahrheit gehört auch, dass der Zionismus mit den deutschen Nazis paktierte. Untersuchen wir also das Wechselverhältnis zwischen Auschwitz und dem Zionismus als Vorgeschichte des Staates Israel.

Die deutsche Zionistische Vereinigung für Deutschland (ZVfD) führte in der Weimarer Republik noch nicht mal einen antifaschistischen Kampf – einen revolutionären Kampf konnte sie als bürgerliche Organisation natürlich nicht führen – gegen die Nazis. Der Historiker Stephen Poppel führte in seinem Buch Zionism in Germany aus, dass die Jüdische Rundschau, die Zeitung des ZVfD „bis 1931 nicht damit begann, sich systematisch und detailliert mit der antijüdischen Agitation und Gewalt auseinander zu setzen“. (Stephen Poppel, Zionism in Germany 1897-1933. The Shaping of a Jewish Identity, The Jewish Publication Society, Philadelphia 1977, S. 119.) Das ist noch sehr gelinde ausgedrückt. So drückte der führende ZVfD-Funktionär Siegfried Moses das Desinteresse des deutschen Zionismus an der Bekämpfung des Antijudaismus aus: „Für uns ist eben die Bekämpfung des Antisemitismus nicht eine zentrale Aufgabe von gleichbleibender Tragweite und gleichbleibenden Gewicht, wie es für uns die Palästina-Arbeit und in etwas anderem Sinne auch die Gemeindearbeit ist.“ (Jüdische Rundschau vom 25.7.1930.) Hier wird deutlich ausgesprochen, dass für die ZionistInnen der Kampf für einen jüdischen Staat in Palästina stets Vorrang gegenüber dem (bürgerlichen) Kampf gegen den Antijudaismus hatte.

Deshalb konnten die deutschen ZionistInnen auch keinen gemeinsamen Kampf mit jüdischen AssimilationistInnen, die sich als „Deutsche“ sahen, gegen den Antijudaismus führen. Der bürgerliche Kampf gegen den Antijudaismus war der Kampf für die Integration der Juden in die bestehenden Nationalstaaten und dessen Verteidigung. Doch der Zionismus strebte die Gründung eines jüdischen Nationalstaates an und bekämpfte die Assimilation stärker als den Antijudaismus. Er stimmte mit dem Nazi-Antijudaismus darin überein, dass Juden in Deutschland keine „Deutschen“ seien. Nun, aus antinational-sozialrevolutionärer Sicht waren sowohl die jüdischen AssimilationistInnen als auch die ZionistInnen bürgerliche NationalistInnen. Doch einen antinational-sozialrevolutionären Standpunkt, der im erklärten Ziel der Zerschlagung aller Nationalstaaten zum Ausdruck kommt, vertrat damals nur eine verschwindend kleine Minderheit in Deutschland. Aber nur ein solcher hätte dem praktischen Kampf gegen den Nazi-Antijudaismus die nötige geistige Klarheit geben können. Doch einen solchen geistig klaren Kampf hätte nur ein sozialrevolutionäres Proletariat führen können. Aber der erste revolutionäre Anlauf des modernen Proletariats in Deutschland wurde von Sozialdemokratie und Partei-„Kommunismus“ in Blut und Sozialreformismus erstickt. Diese Niederlage noch in den Knochen wurde das Proletariat in Deutschland von SPD und „K“PD in die kampflose Kapitulation gegenüber den Nazis geführt.

Doch wenn nicht das Proletariat – und jüdische ArbeiterInnen als Teil von ihm – die Nazis stoppen konnte, so konnten es bürgerliche Juden erst recht nicht. Den jüdischen AssimilationistInnen in Deutschland wurde der materielle Boden entzogen, als der Nationalsozialismus die Assimilation der Juden in Deutschland rückgängig machte. Die ZionistInnen des ZVfD erhofften sich davon anfangs noch eine Stärkung des jüdischen Nationalismus und boten den Nazis die Zusammenarbeit an. Dabei gaben sie den Nazis noch Recht in ihrem Antijudaismus und bezogen klar Stellung gegen die bisherige Assimilation der Juden in der Weimarer Republik. So hieß es in der offiziellen Äußerung der Zionistischen Vereinigung für Deutschland zur Stellung der Juden im neuen deutschen Staat vom 21. Juni 1933: „Der Zionismus täuscht sich nicht über die Problematik der jüdischen Situation, die vor allem in der anormalen Berufsschichtung und in dem Mangel einer nicht in der eigenen Tradition verwurzelten geistigen und sittlichen Haltung besteht. Der Zionismus erkannte schon vor Jahrzehnten, dass als Folge der assimilatorischen Entwicklung Verfallserscheinungen eintreten mussten, die er durch die Verwirklichung seiner, das jüdische Leben von Grund aus ändernden Forderung zu überwinden sucht. Wir sind der Ansicht, dass eine den nationalen Staat wirklich befriedigende Antwort auf die Judenfrage nur herbeigeführt werden kann, wenn die auf gesellschaftliche, kulturelle und sittliche Erneuerung der Juden hinzielende jüdische Bewegung dabei mitwirkt, ja, dass eine solche nationale Erneuerung erst die entscheidenden sozialen und seelischen Voraussetzungen für alle Regelungen schaffen muss. Der Zionismus glaubt, dass eine Wiedergeburt des Volkslebens, wie sie im deutschen Leben durch Bindung an die christlichen und nationalen Werte erfolgt, auch in der jüdischen Volksgruppe vor sich gehen müsse. Auch für den Juden müssen Abstammung, Religion, Schicksalsgemeinschaft und Artbewusstsein von entscheidender Bedeutung für seine Lebensgestaltung sein. Dies erfordert Überwindung des im liberalen Zeitalter entstandenen egoistischen Individualismus durch Gemeinsinn und Verantwortungsfreudigkeit.“ (Zitiert nach: Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 351.) Diese „Äußerung“ des deutschen Zionismus gipfelte im Bekenntnis: „Der Zionismus will die Auswanderung der Juden nach Palästina so gestalten, dass dadurch eine Entlastung der jüdischen Position in Deutschland erfolgt.“ (Ebenda, S. 352.)

Der 1937 Deutschland verlassende Rabbi und Zionist Joachim Prinz schrieb über die allgemeine Stimmung des Zionismus während der ersten Monate 1933 in Deutschland: „Jeder in Deutschland wusste, dass nur die Zionisten die Juden gegenüber der Nazi-Regierung verantwortlich vertreten konnten. Wir alle waren sicher, dass die Regierung eines Tages eine Konferenz mit den Juden am runden Tisch einberufen würde, auf der – nachdem die Unruhen und Grausamkeiten der Revolution vorbei wären – der neue Status der deutschen Juden diskutiert werden könnte. Die Regierung erklärte höchst feierlich, dass es kein anderes Land in der Welt gäbe, das so ernsthaft versuchte, das Judenproblem zu lösen wie Deutschland. Lösung der Judenfrage? Das war unser zionistischer Traum! Wir hatten das Bestehen der Judenfrage nie bestritten! Dissimilation? Das war unser eigener Aufruf! (…) In einer Erklärung, bemerkenswert für ihren Stolz und Würde, forderten wir eine Konferenz.“ (Joachim Prinz, Zionism under the Nazi Goverment, in: Young Zionist vom November 1937.)

Und die Nazis begünstigten auch die ZionistInnen gegenüber anderen jüdischen Strömungen, so ähnlich wie die „weißen“ SklavenhalterInnen in den USA die HaussklavInnen gegenüber den FeldsklavInnen begünstigten. Die deutschen Nazis traten auch mit der Zionistischen Weltorganisation in Geschäftsbeziehungen, welche jüdische Menschen und jüdisches Geld nach Palästina brachten (siehe weiter unten). Nein, es ist nicht übertrieben, wenn wir den Zionismus als Hauptfeind des jüdischen Proletariats bezeichnen. Stets war er bereit dazu, mit den größten europäischen Judenmördern zu paktieren, dadurch das jüdische Proletariat gegenüber dem mörderischen Antijudaismus zu entwaffnen und es in Palästina auf dessen palästinensischen Klassengeschwister zu hetzen. Dadurch kreuzten sich in den 1930er Jahren der nationalsozialistische Antijudaismus und der Zionismus bei der bürgerlichen Lösung der so genannten „Judenfrage“.

Vom Zionismus wird heute die Organisation der illegalen Auswanderung einer Minderheit von europäischen Juden und Jüdinnen während ihrer industriellen Massenvernichtung als sein Beitrag bezeichnet, um diesen Massenmord abzumildern. In Wirklichkeit verstärkten die ZionistInnen mit der Auslese – wer nach Palästina durfte und wer sterben musste – den Klassencharakter des faschistischen Judenmordes. Die ZionistInnen retteten nicht die kranken, schwachen, alten, assimilierten und armen Jüdinnen und Juden, sondern nur gesunde, junge Juden und möglichst hebräisch sprechende ZionistInnen. In Ungarn kam es zu einer direkten Kollaboration des Zionismus mit den Nazis bei der Organisierung des kapitalistisch-industriellen Massenmordes an den ungarischen Jüdinnen und Juden. Als die Nazis am 19. März 1944 Ungarn besetzten, bedeutete das für 450 000 ungarische Juden den Tod. Für die Deportation der ungarischen Juden in die NS-Vernichtungslager war Adolf Eichmann verantwortlich. Er war sehr besorgt, dass die Todeszüge mit ungarischen Juden zu Aufständen in Ungarn führen könnten. Doch zum Glück der Nazis gab es den kooperationsbereiten ungarischen Zionisten Rezso Kasztner. Der Deal bestand darin, dass ein Zug von Kasztner ausgewählter Juden in die „neutrale Schweiz“ fahren konnte, während er den Nazis half, die für die Deportation notwendige Ordnung herzustellen.

Eichmann beschrieb den Deal mit Kasztner folgendermaßen: „Dieser Dr. Kasztner war ein junger Mann etwa in meinem Alter, ein eiskalter Anwalt und fanatischer Zionist. Er erklärte sich bereit, dabei behilflich zu sein, die Juden davon abzuhalten, sich gegen die Deportation zu wehren – und sogar für Ordnung in den Sammellagern zu sorgen – wenn ich beide Augen zudrücken und ein paar Hundert oder Tausende jungen Juden erlauben würde, illegal nach Palästina auszuwandern. Das war ein gutes Angebot. 15.000 oder 20.000 Juden – letztlich könnten es auch ein paar mehr gewesen sein – für Ordnung in den Lagern, der Preis erschien mir nicht zu hoch. (…) Ich glaube, dass Kasztner Tausende oder Hunderttausende von seinem Blut geopfert hätte, um sein politisches Ziel zu erreichen. Er interessierte sich nicht für die alten Juden oder für die, die sich in der ungarischen Gesellschaft assimiliert hatten. Aber er versuchte unglaublich hartnäckig, biologisch wertvolles jüdisches Blut zu retten – das heißt menschliches Material, das zu harter Arbeit und zur Fortpflanzung geeignet war. So sagte er: ,Sie können die anderen haben, aber geben sie mir diese Gruppe.‘ Und da Kasztner uns einen großen Dienst erwiesen hatte, indem er uns half, die Deportationslager ruhig zu halten, ließ ich diese Gruppe entkommen. Schließlich gab ich mich nicht mit kleinen Gruppen von eintausend Juden oder so ab.“ (Adolf Eichmann, I Transported Them tot he Butcher, in: Life vom 5. Dezember 1960, S. 146.)

Nirgendwo kreuzten sich die zwei reaktionären Lösungswege der so genannten „Judenfrage“, der des faschistischen Massenmordes und der zionistische eines jüdischen Staates so offensichtlich wie in Ungarn. Im Jahre 1944 fuhren viele Züge mit Juden aus Ungarn heraus. Die meisten Juden wurden in den Tod transportiert. Doch ein Zug mit zionistischer Prominenz sicherte für diese das Überleben. Kasztner sicherte das Überleben der zionistischen Prominenz Ungarns und half dafür den Nazis, andere ungarische Juden und Jüdinnen zu vergasen. Und Kasztner war der SS dafür so dankbar, dass er auch nach dem Zweiten Weltkrieg zu Gunsten des SS-Obersturmführers Hermann Krumey, der in Nürnberg auf seinen Prozess wartete, eidesstattlich versicherte: „In einer Zeit, da Leben und Tod vieler von ihm abhingen, hat Krumey seine Pflichten in einem lobenswerten Geist guten Willens verrichtet.“ (Zitiert nach Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 341.) Kasztner verhinderte auch, dass SS-Oberst Becher gehenkt wurde, indem er eidesstattlich behauptete, dass dieser Nazi alles Menschenmögliche getan habe, um die Juden zu retten.

Am 14. Mai 1948 wurde der zionistische Staat Israel proklamiert. In ihm lebten Überlebende der faschistischen Judenverfolgung und die zionistischen Kollaborateure zusammen. Das führte notwendigerweise zu sozialen Konflikten. Diese wurden, so wie es sich für die einzige Demokratie im Nahen Osten gehört, auf rechtstaatliche Weise gelöst. Im Jahre 1953 führte die Regierung von Ben-Gurion einen Prozess gegen den Flugblattautor Malchiel Gruenwald wegen Beleidigung. Gruenwald hatte in einem Flugblatt richtigerweise Kasztner als Kollaborateur bezeichnet. Doch Kasztners Kollaboration mit dem deutschen Faschismus befand sich im Einklang mit der Hauptlinie des Zionismus. Deshalb stellte sich der „ArbeiterInnenzionismus“ mit der ganzen Autorität des israelischen Staates hinter ihn. Doch die Fakten sprachen zu sehr gegen Kasztner – und damit gegen den Zionismus und den Staat Israel. Am 21. Juni 1953 entschied der Richter Halevi, dass Kasztner nicht verleumdet worden war, dass dieser jedoch bei seinen Taten nicht von der Absicht auf finanziellen Gewinn geleitet worden sei. Doch die „ArbeiterInnenzionistInnen“ konnten das Urteil nicht akzeptieren und gingen in Revision, denn mit Kasztner könnten sie jetzt alle potenziell ungestraft als Kollaborateure bezeichnet werden. Der Revision wurde stattgegeben, und der Streit vor Gericht ging in eine neue Runde.

Es ging also dem israelischen Rechtstaat in den 1950er Jahren darum, dass mensch zionistische Kollaborateure mit dem deutschen Faschismus nicht so nennen durfte. Selbstverständlich konnte Kasztner in der einzigen Demokratie im Nahen Osten für die Mitorganisation des Mordes an 450 000 ungarischen Juden nicht rechtstaatlich zur Verantwortung gezogen werden. Doch er wurde zu Verantwortung gezogen. Am 3. März 1957 wurde Kasztner von Zeev Eckstein erschossen. Eckstein wurde, wie es sich für einen demokratischen Rechtstaat gehört, wegen Mordes verurteilt. Doch mit Kasztners Tod war die rechtstaatliche Klärung der Frage, ob mensch zionistische Kollaborateure mit dem Nationalsozialismus in Israel auch ungestraft so nennen durfte, noch nicht beendet. Das Gericht entschied am 17. Januar 1958 mit drei gegen zwei Stimmen, dass Kasztners Verhalten während des Zweiten Weltkrieges in Ungarn nicht als Kollaboration bezeichnet werden könne. Es entschied aber mit allen fünf Stimmen, dass Kasztner Meineid begannen habe, als er zu Gunsten von SS-Oberst Becher intervenierte.

Der israelische Generalstaatsanwalt Chaim Cohen musste während des Prozesses offen zugeben: „Eichmann, der Vernichtungschef, wusste, dass die Juden sich friedlich verhalten und keinen Widerstand leisten würden, wenn er ihnen erlaubte, die prominenten Persönlichkeiten unter ihnen zu retten, dass der ,Zug der Prominenten‘ auf Eichmanns Anweisung hin organisiert wurde, um die Ausrottung des ganzen Volkes zu erleichtern.“ Die zionistische Elite Ungarns blieb am Leben und half dafür den Nazis andere ungarische Juden und Jüdinnen zu ermorden. Doch Cohen betrachtete das Verhalten von Kasztner zu Recht im Einklang stehend mit dem Gesamtverhalten des Zionismus während des kapitalistisch-industriellen Massenmordes an den europäischen Juden und Jüdinnen: „Kasztner hat nicht mehr und nicht weniger getan, indem er diese Juden gerettet und nach Palästina gebracht hat … Man darf es riskieren – eigentlich ist man dazu verpflichtet, dieses Risiko einzugehen –viele zu verlieren, um einige zu retten… Es war immer unsere zionistische Tradition, bei der Organisation der Emigration die wenigen aus den vielen herauszufiltern. Aber sind wir deshalb Verräter?“ (Zitiert nach Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 340.)

Lenni Brenner schrieb über die Verteidigung von Kasztner durch den Arbeiterzionismus: „Der Verrat eines einzelnen Zionisten an den Juden hätte keinerlei besondere Bedeutung gehabt: Keine Bewegung ist verantwortlich für die Taten Abtrünniger. Doch die Arbeiterzionisten betrachteten Kasztner nie als Verräter. Im Gegenteil, sie bestanden darauf, dass, wenn er schuldig wäre, sie es auch wären.“ (Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 342.) Ja, die so genannten „ArbeiterInnenzionistInnen“ gehörten zu den Todfeinden des Weltproletariats! Wir stimmen Lenni Brenner auch im Folgenden zu: „Doch der bei weitem wichtigste Aspekt der Kasztner-Gruenwald-Affäre lag darin, dass durch sie die Arbeitsphilosophie der WZO während der gesamten Nazizeit offengelegt wurde: die Inkaufnahme des Verrats an vielen im Interesse einer selektiven Immigration nach Palästina.“ (Ebenda.) Der Verrats-Begriff passt hier nicht. Zionistische PolitikerInnen waren und sind wie alle anderen auch nur ihren eigenen Interessen und denen der Kapitalvermehrung verpflichtet. Sie schufen einen jüdischen Staat und gingen dabei über unzählige jüdische und palästinensische Leichen. ZionistInnen den Verrat an Juden vorzuwerfen, heißt einen jüdisch-nationalen Standpunkt einzunehmen.

Britischer Imperialismus, Zionismus und palästinensischer Nationalismus in Palästina bis 1948

Palästina, den Ort, den der Zionismus als Raum für seinen jüdischen Nationalstaat beanspruchte und der von AraberInnen bewohnt war, gehörte seit 1517 zum Osmanischen Reich. Im imperialistischen Gemetzel des Ersten Weltkrieges eroberte Großbritannien 1917/18 Palästina. Der britische Imperialismus lavierte in Palästina zwischen arabischen Nationalismus und Zionismus. Einerseits versprachder britische Hochkommissar in Ägypten in der sogenannten Hussein-McMahon-Korrespondenz im Jahre 1916 dem Scherifen von Mekka, dass er dessen Wunsch nach einem unabhängigen und geeinten arabischen Großreich auch in diesem Gebiet unterstützen werde. Andererseits sicherte 1917 der britische Außenminister dem Zionismus in der Balfour-Erklärung die Unterstützung für „eine nationale Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“ zu. Allerdings war dort auch die Rede davon, dass „nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nichtjüdischen Gemeinschaften in Palästina (…) in Frage stellen könnte.“

Großbritannien errichtete nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in Palästina eine Militärverwaltung. Auf der Konferenz der Siegermächte von San Remo im April 1920, bei der die siegreichen Imperialismen des Weltkrieges um die arabischen Gebiete des zerschlagenen Osmanischen Reiches schacherten, sicherte sich Großbritannien das Mandat für Palästina. Der britische Imperialismus ließ sich das 1922 von dem internationalen Schiedsgericht der Nationalstaaten, dem Völkerbund, bestätigen. Die Präambel des Palästina-Mandats nahm eindeutig Bezug auf die Balfour-Deklaration. In der Folgezeit entwickelten sich bewaffnete Kämpfe zwischen britischen Imperialismus, dem sich entwickelnden palästinensischen Nationalismus und Zionismus in Palästina.

Der Zionismus setzte den bereits im Osmanischen Reich begonnenen Aneignungsprozess des Bodens fort. Dabei wurde der einheimischen und ausländischen Bourgeoisie das Land abgekauft. Auch mussten manche verschuldete palästinensische KleinbäuerInnen (Fellachen) unter der großen Steuerlast des Osmanischen Reiches und einer Überschuldung bei Wucherern ihr Land verkaufen. Palästinensische BäuerInnen, die auf dem Boden als PächterInnen lebten und arbeiteten, wurden von den ZionistInnen weggejagt, wenn sie durch Kauf die neuen BesitzerInnen des Landes wurden. Durch diese Trennung vom Land wurden viele Fellachen proletarisiert. Anfangs wurden die PalästinenserInnen noch als TagelöhnerInnen auf zionistischen Farmen und in Industriebetrieben geduldet.

Doch dann ging der Zionismus auch gegen die Beschäftigung palästinensischer LohnarbeiterInnen bei jüdischen KleinbürgerInnen, KapitalistInnen und Institutionen vor. Dabei spielte der sozialdemokratische „ArbeiterInnenzionismus“ eine besonders reaktionäre Rolle. Während SozialrevolutionärInnen für die Aufhebung der Lohnarbeit kämpften und kämpfen, trat der „ArbeiterInnenzionismus“ mit der reaktionären Parole von der „jüdischen Arbeit“ hervor. Diese sollte das jüdische Proletariat an die jüdische Bourgeoisie schmieden und die palästinensischen ProletarierInnen rassistisch ausschließen. Die palästinensischen ProletarierInnen fanden im Laufe der Zeit kaum noch Arbeit auf Zitrusplantagen und in Industriebetrieben, welche von den ZionistInnen betrieben wurden. Jüdische SiedlerInnen und KapitalistInnen, die weiterhin palästinensische LohnarbeiterInnen beschäftigten, weil diese billiger waren als die „jüdische Arbeit“, wurden durch zionistische Gewerkschaften bekämpft. Der Konflikt wurde schließlich dadurch gelöst, dass der Zionismus die „jüdische Arbeit“ subventionierte, so dass diese genau so billig wurde wie jene, die davor von den palästinensischen LohnarbeiterInnen verrichtet wurde.

Die Institutionalisierung der zionistischen Sozialpartnerschaft aus Kapital und Arbeit war die Histadrut, die Gewerkschaft, kapitalistische und quasistaatliche Organisation in einem war. Sie war das Organisationszentrum des „ArbeiterInnenzionismus“. Die britische Gruppe Aufheben schrieb über die Histadrut: „Schon in den 20er Jahren waren über drei Viertel der jüdischen Arbeiter in der Histadrut organisiert, die nach der britischen Regierung der größte Arbeitgeber war. Sie betrieb auch die Arbeitsvermittlungsstellen und war eng mit den Handels- und Produktionsgenossenschaften verbunden. Mit dieser Struktur stellte die Histadrut eine lebenswichtige Grundlage der ,Quasi-Regierung‘ der zionistischen Organisationen dar. Sie organisierte Ausbildung, Einwanderung und wirtschaftliche und kulturelle Angelegenheiten. Der zionistische Staat verwurzelte sich also bereits vor 1948 in korporatistischen sozialdemokratischen Formen.“ (Aufheben, Hintergründe der Intifada des 21. Jahrhunderts, Beilage zum Wildcat-Zirkular 62, Februar 2002, S. 12.) Während in Osteuropa jüdische und nichtjüdische Bourgeoisie das jüdische Proletariat nicht in den Kapitalismus zu integrieren vermochten, integrierte der Zionismus in Palästina jüdische Arbeit in das Kapital und quasistaatliche Strukturen und hetzte das jüdische Proletariat gegen seine palästinensischen Klassengeschwister.

Dass diese Integrationsleistung vorwiegend vom sozialdemokratischen „ArbeiterInnenzionismus“ erreicht wurde, war alles andere als ein Zufall. Auch in Europa zeigte die Sozialdemokratie während des Ersten Weltkrieges und der revolutionären Nachkriegskrise ihre konterrevolutionären Qualitäten. Doch Undank ist der Bourgeoisie Lohn. Diese setzte in Europa zunehmend auf den Faschismus, welcher die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung (Sozialdemokratie, Partei-„Kommunismus“ und Gewerkschaften) zerschlug, obwohl gerade letztere es war, die die revolutionäre Nachkriegskrise in Europa konterrevolutionär beendete. Auch in Palästina machte die äußerste zionistische Reaktion mobil, um den „ArbeiterInnenzionismus“ zu zerschlagen.

Der Zionismus brachte weltweit eine faschistoide Form hervor, den Revisionismus unter Führung von Wladimir Jabotinsky. Dieser bekämpfte ab 1923, von ultrareaktionären Positionen ausgehend, die seiner Meinung nach zu vorsichtige Führung der WZO. Jabotinsky bezeichnete sich selbst nicht als Faschist, aber viele seiner AnhängerInnen flirteten offen mit dem Faschismus. Lenni Brenner bezeichnete Jabotinsky „als den liberal-imperialistischen Kopf eines faschistischen Körpers“. (Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 175.) Ähnlich wie der europäische Faschismus setzte der Revisionismus bei seiner antikommunistischen und antisozialdemokratischen Mobilisierung auf den Mittelstand. Seine soziale Basis in Palästina stellte das jüdische KleinbürgerInnentum dar, das vorwiegend aus Polen nach Palästina kam. Nachdem Jabotinsky, bevor er Führer des Revisionismus wurde, die Miliz der „ArbeiterInnenzionistInnen“, die Hagana führend mit aufgebaut hatte, schuf er nun die bewaffnete Jugendorganisation des Revisionismus, die Betar, dessen Uniform bezeichnenderweise das Braunhemd war. Der Revisionismus verließ die WZO im Oktober 1934 und schuf sich seine eigene globale Organisation, die Neue Zionistische Organisation (NZO). Die RevisionistInnen lehnten auch im Gegensatz zur WZO-Führung die im Juni 1922 erfolgte Teilung Palästinas in für die zionistische Besiedlung freigegebenen Gebiete westlich des Jordan und das Emirat Transjordanien (das heutige Jordanien) westlich des Flusses ab und forderten auch die verstärkte jüdische Besiedlung östlich des Jordan.

Der Revisionismus ging zu Beginn der 1930er Jahre militant gegen den „ArbeiterInnenzionismus“ und seine institutionalisierte Form, die Histadrut, vor, was wir uns von Lenni Brenner schildern lassen wollen: „Palästina erlebte nun, wie die Zionisten durch die Histadrut Tausende von Arabern aus ihren angestammten Saisonjobs in den jüdischen Orangenhainen vertrieben und wie die faschistischen Revisionisten über die Histadrut herfielen. Doch während die arabischen Arbeiter immer noch keine Führung hatten, um sich zu verteidigen, war die Histadrut gut organisiert. Nach einer Serie von heftigen Zusammenstößen, darunter auch eine entscheidende Schlacht in Haifa am 17. Oktober 1934, bei der 1.500 Arbeiterzionisten das Hauptquartier der Revisionisten stürmten und Dutzende Faschisten verletzten, ebbte die Kampagne der Revisionisten ab. Die Mitglieder der Histadrut wären gern bereit gewesen, den faschistischen Angriff zu beantworten, indem man den Kampf im Lager des Feindes fortsetzte, doch die Führung der Arbeiterzionisten war nicht willens, den Faschismus in Palästina zu bekämpfen, so wenig wie anderswo auch, und so ließ man die Faschisten davonkommen aus Angst, dass ein ernsthafter Kampf gegen sie die mittelständische Anhängerschaft des Zionismus in der Diaspora abschrecken könnte.“ (Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 172.)

Die vom „ArbeiterInnenzionismus“ beherrschte jüdische institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung kämpfte also einen doppelten Kampf: Einen gegen palästinensische Lohnarbeit und einen gegen den zionistischen Revisionismus, der sie zu zerschlagen drohte. Der „ArbeiterInnenzionismus“ wurde zum Motor eines jüdisch-völkischen Kapitalismus, in dem PalästinenserInnen entweder an den Rand gedrängt oder ganz ausgeschlossen wurden. Der staatskapitalistische DDR-Ideologe Peter Jacobs beschrieb die soziale Situation der palästinensischen Bevölkerung um 1929: „In Palästina herrschten ärmliche Lebensverhältnisse vor. Die Wirtschaft überwand gerade erst das Stadium der Manufaktur. Wolle, Baumwolle und Seidengarn verarbeitete man noch auf Handwebstühlen. Gerber, Glasbläser, Teppichknüpfer und Strohmattenflechter produzierten hauptsächlich für die örtlichen Märkte; Maschinen gab es eigentlich nur in den Getreidemühlen und in den Olivenpressereien, in denen Speiseöl und Seifen auch für den Export in andere arabische Länder hergestellt wurden. Fast die gesamte Ökonomie hing von der Landwirtschaft ab. Etwa 85 Prozent der palästinensischen Bevölkerung gehörten den Klassen und Schichten der Kleinbauern und Pächter, der Kleinhändler und Kleingewerbetreibenden und den städtischen Unterschichten (wie Schuhputzer, Lastenträger und Bettler) an.“ (Peter Jacobs, Der Aufstand der Steine, Verlag Neues Leben, Ostberlin 1989, S. 18.)

Es gelang den traditionellen palästinensischen Oberschichten, der sich herausbildenden Bourgeoisie und den nationalistischen Intellektuellen die soziale Wut der KleinbäuerInnen und der ProletarierInnen auf den britischen Imperialismus und den Zionismus in nationalistische Bahnen zu lenken. Das palästinensische Proletariat war noch eine Minderheit und außerdem noch zu unbewusst, um seinen eigenständigen Klassenkampf gegen britischen Imperialismus, Zionismus und palästinensische Oberschichten zu führen. So wurden die KleinbäuerInnen und ProletarierInnen zur Manövriermasse des palästinensischen Nationalismus.

Als am 19. April 1936 britische Bullen in Jaffa auf arabisch-nationalistische DemonstrantInnen schossen, welche gegen den britischen Imperialismus und die jüdische Einwanderung demonstrierten, kam es in der Stadt zu einem kleinbürgerlich-proletarischen Streik, an dem sich von HändlerInnen über die Straßenbauarbeiter bis zu den Zeitungsjungen flächendeckend die gesamte palästinensische Bevölkerung der Stadt beteiligte. Am 21. April rief in Nablus ein bürgerliches Fünfparteienkomitee den Generalstreik aus. In dem sich formierenden Nationalkomitee, waren das städtische BürgerInnentum, die BäuerInnen und das Proletariat scheinbar in einer Schicksalsgemeinschaft vereint. In Wirklichkeit wurde das Proletariat für fremde bürgerliche Klasseninteressen verheizt. Dem Wesen des bürgerlichen Nationalismus entsprachen auch die Kampfformen. So rief eine Konferenz der nationalen Komitees in Jerusalem zu einer Kampagne des zivilen Ungehorsams und zu Steuerzahlungsverweigerungen auf.

Der vom palästinensischen Nationalismus total beherrschte Generalstreik wurde vom Zionismus genutzt, um seine sozialökonomische Infrastruktur in Palästina auszubauen. Nathan Weinstock schrieb darüber: „Während die arabischen Arbeiter in der Verwaltung, den öffentlichen Diensten (…) und den arabischen Handelsunternehmen streiken, ergreifen die Zionisten die Gelegenheit, die entscheidenden Positionen in der Wirtschaft des Landes zu erobern. Unbeabsichtigt vollendete der Generalstreik die zionistischen Separationsbestrebungen.“ (Nathan Weinstock, Das Ende Israels?, Wagenbach, Berlin 1975, S. 152.)

Der bürgerlich-proletarische Generalstreik ging schnell in einen bewaffneten nationalistischen Aufstand über, bei dem Landstraßen blockiert, Telegrafenleitungen unterbrochen, Züge zum Entgleisen gebracht und Sprengstoffanschläge auf die Erdölleitung von Kirkuk nach Haifa verübt wurden. Es bildeten sich Guerillagruppen, welche mit Gewehren, Lanzen und Speeren bewaffnet, die Außenposten der britischen Armee und der Polizei angriffen. Der britische Imperialismus zerschlug mit Gewalt den palästinensisch-nationalistischen Aufstand, wobei er sich auch auf den Zionismus als Hilfsbullen stützen konnte. Das entsprach ganz der Funktion, die Großbritannien dem jüdischen Nationalismus von Anfang an zugedacht hatte. Die Zionisten stellten also bei der Niederschlagung des palästinensisch-nationalistischen Aufstandes 2.800 Hilfsbullen. Bei diesem nationalistischen Gemetzel zwischen 1936 und 1939 starben 2.287 PalästinenserInnen, 450 Juden und 140 Briten. Der Aufstand stand unter der Führung des Großmuftis von Jerusalem Hadsch Mohammed Amin al-Husseini.

Der britische Imperialismus reagierte nicht nur mit Gewalt auf den palästinensisch-nationalistischen Aufstand, sondern auch mit der alten Spalte-und-Herrsche-Strategie. Die Peel-Kommission legte 1937 einen Teilungsplan für das palästinensische Mandatsgebiet vor. Galiläa und ein Küstenstreifen sollten „jüdisch“ werden, während die größeren Teile Palästinas einschließlich der Wüstenregionen für „die AraberInnen“ vorgesehen waren. Dieser Teilungsplan des britischen Imperialismus spaltete die ZionistInnen. Eine Mehrheit, zu der auch die spätere israelische Ministerpräsidentin Golda Meir gehörte, lehnte den britischen Teilungsplan ab, während eine Minderheit um Ben Gurion in dem jüdischen Kleinstaat eine Basis zur späteren Expansion sah. Doch die britische Woodhead-Kommission lehnte dann 1939 im MacDonald-Weißbuch den vorigen Teilungsplan ab. Dieses Weißbuch wurde vom Zionismus abgelehnt, weil sie auch die Auflösung der zionistischen Miliz Hagana vorsah. Inzwischen hatte der Zweite Weltkrieg begonnen und der britische Imperialismus setzte in der Konkurrenz zu den Nazis wieder auf den arabischen Nationalismus als potenziellen Verbündeten.

Doch der Großmufti von Jerusalem Hadsch Mohammed Amin al-Husseini verbündete sich mit den Nazis gegen den britischen Imperialismus und den Zionismus, was den reaktionären Charakter des palästinensischen Nationalismus unterstrich. Bei Wikipedia können wir über das Bündnis aus palästinensischen Nationalismus und NS-Faschismus lesen: „Der Großmufti von Jerusalem Hadsch Mohammed Amin al-Husseini, der enge Kontakte zum Deutschen Reich pflegte und nach seiner Flucht aus Palästina (1937) im Jahre 1941 an einem pro-deutschen Putschversuch im Irak beteiligt war, hoffte während des Krieges auf einen Sieg Deutschlands. Ab 1941 lebte er als persönlicher Gast Hitlers in Deutschland und war als SS-Mann am Aufbau von moslemischen Truppen der Waffen-SS in Bosnien beteiligt. Auch in Ägypten gab es pro-deutsche Bestrebungen, die etwa von Anwar as-Sadat unterstützt wurden.“ (Wikipedia, Stichwort Palästina Region)

Was weniger bekannt ist, ist, dass auch der Zionismus teilweise mit dem Faschismus paktierte. Auch in diesem Wikipedia-Beitrag lesen wir nichts darüber. Wir können aber bei Wikipedia lesen, wie der Zionismus in wachsenden Gegensatz zum britischen Imperialismus geriet: „Die Ziele der jüdischen Bevölkerungsminderheit waren eine Forcierung der Einwanderung, ein möglichst großer jüdischer Staat und – zu diesem frühen Zeitpunkt – eine Beibehaltung des britischen Mandats. Diese positive Einstellung zur britischen Mandatsmacht änderte sich in den 1930er- und 1940er-Jahren. Zwischen 1924 und 1932 kam es zur vierten Immigrationswelle, von 1933 bis 1939 kam die fünfte, wodurch die jüdische Bevölkerung in Palästina stark wuchs.“ (Ebenda.)

Der Zionismus hatte mit Hilfe des britischen Imperialismus einen Fuß in Palästina drin, doch er strebte danach selbst zum Hausherren zu werden. Wikipedia: „Auf dem außerordentlichen Zionistischen Kongress in Biltmore am 8. Mai 1942 in New York (so benannt nach dem Biltmore Hotel) kündigte die Zionistische Weltorganisation das Bündnis mit Großbritannien auf, erklärte offen die Absicht, einen jüdischen Staat in Palästina zu gründen und berief sich dabei auf eine Zusage des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson.“ (Ebenda.) Der führende Vertreter des „ArbeiterInnenzionismus“ setzte dabei verstärkt auf den US-Imperialismus, wie auch Wikipedia schrieb: „In den letzten Kriegsjahren versuchte Ben Gurion die Kontakte in die USA zu verbessern, die er als neue Macht im Nahen Osten aufsteigen sah, während bei Chaim Weizmann der Fokus weiterhin auf dem Vereinigten Königreich lag.“ (Ebenda.)

Der Zionismus mobilisierte während des Zweiten Weltkrieges trotz des zunehmenden Zerwürfnisses jüdisches Kanonenfutter für den britischen Imperialismus. Wikipedia: „Im Zweiten Weltkrieg kämpften schließlich 27.500 jüdische Soldaten aus Palästina in der britischen Armee. Diese bildeten später einen wichtigen Teil der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte. Männer wie Mosche Dajan oder Jitzchak Rabin kämpften z. B. gegen das vom Vichy-Regime verwaltete Syrien. Zu Kampfeinsätzen in Deutschland kam es jedoch kaum. Ben Gurion vertrat das Konzept des Palästina-Zentrismus, das davon ausging, in Europa nicht handlungsfähig zu sein. Gleichzeitig versuchten die Juden deshalb, die illegale Einwanderung zu verstärken und somit den europäischen Juden einen Fluchtort zu geben, denn zwischen 1939 und 1944 konnten nur 15.000 legal einwandern.“ (Ebenda.)

Was wie gesagt in dem oben zitierten Beitrag fehlt, ist die Kollaboration des Zionismus mit dem Faschismus, die wir deshalb jetzt genauer unter die Lupe nehmen wollen. Der Zionismus passte sich nicht nur an den italienischen Faschismus, sondern auch dem deutschen Nationalsozialismus an. Am weitesten ging natürlich der Revisionismus. Sein eigener faschistoider Charakter sah am Anfang, noch bevor dieser von der deutschen Bourgeoisie an die Macht gebracht wurde, im Hitler-Faschismus eine verwandte Seele: „Ja, wir Revisionisten hegen für Hitler eine große Achtung. Hitler hat Deutschland gerettet. Sonst wäre es schon vor vier Jahren zugrunde gegangen. Und hätte Hitler seinen Antisemitismus abgelegt – wir würden mit ihm gehen.“ (Elis Lubrany, Hitler in Jerusalem, in: Die Weltbühne vom 31. Mai 1932.) Gegen den linken Flügel des Zionismus bekannten sich große Teile des Revisionismus in Palästina offen zum Faschismus, mit ideologischen Verbindungen zum Nationalsozialismus: „Wenn provinzielle Führer des linken Flügels des unbedeutenden Teils des Zionismus wie Berl Locker uns Betarim Hitleristen nennen, dann stört uns das überhaupt nicht … Die Lockers und ihre Freunde wollen in Palästina eine Kolonie Moskaus mit einer arabischen statt einer jüdischen Mehrheit errichten, mit einer roten Fahne statt einer weiß-blauen, mit der Internationale statt der Hatikvah… Wenn Herzl ein Faschist und ein Anhänger Hitlers war, wenn eine jüdische Mehrheit auf beiden Seiten des Jordans und ein jüdischer Staat in Palästina, der die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Probleme des jüdischen Volkes löst, Hitlerismus sind, dann sind wir Hitleristen.“ (Jerusalem or Moscow –Herzl or Lenin, in: Betar Monthly vom 15. August 1931.)

Als dann jedoch die deutschen RevisionistInnen nach der Machtübergabe an die Nazis offen mit diesen paktierten, war das für den Führer des Revisionismus, Jabotinsky, zu viel. Im März 1933 schwenkte Jabotinsky zu einer antinazistischen Haltung um. Der Führer des Revisionismus war sogar zu einer inkonsequenten Unterstützung des Boykottes deutscher Waren bereit. Damit wurde der faschistoide Revisionismus konsequenter antinazistisch als die linkeren Varianten des Zionismus.

Denn auch der nichtrevisionistische Zionismus verhielt sich gegenüber dem deutschen Faschismus so, wie er sich bisher zu allen judenfeindlichen Strömungen verhalten hat: pragmatisch und bereit zur Zusammenarbeit. Nach Meinung der nichtdeutschen ZionistInnen gab es auch eine gute Basis, um mit den Nazis ins politische Geschäft zu kommen: Juden raus! Und zwar nach Palästina, damit die ZionistInnen endlich ihren jüdischen Staat gründen konnten. Auf diese Weise versuchten sich Faschismus und Zionismus bis 1939 gemeinsam an der Lösung der „Judenfrage“.

Während andere Teile der jüdischen Weltbewegung versuchten, einen ökonomischen Boykott Deutschlands zu organisieren, was aus sozialrevolutionärer Sicht als bürgerlicher Antifaschismus kritisiert werden muss, schloss die Zionistische Weltorganisation, WZO, mit den Nazis ökonomische Geschäfte ab. Durch ein Transferabkommen (Haavara) zwischen den Nazis und den ZionistInnen konnten auswanderungsbereite deutsche Jüdinnen und Juden zwischen August 1933 und September 1939 ihr Kapital in Deutschland bei einer Transferbank einzahlen. Palästinensisch-zionistische Importeure nutzten dieses Kapital, um deutsche Waren zu kaufen und dann in Palästina weiterzuverkaufen. In Palästina erhielten dann die jüdisch-deutschen EinwandererInnen ihr eingezahltes Geld mit 30-50% Verlust zurück. Die nicht- und antizionistischen Juden und Jüdinnen überall auf der Welt – besonders die proletarischen – bekämpften diese faschistisch-zionistische Geschäftsbeziehung. Doch diese ließ den Zionismus in Palästina ökonomisch gewaltig erstarken. Etwa sechzig Prozent des Kapitals, das zwischen 1933 und 1939 in Palästina investiert wurde, stammt von jüdisch-deutschen EinwanderInnen.

Doch die ZionistInnen hätten gerne mit den Nazis noch enger zusammengearbeitet. Feivel Polkes, sozialdemokratischer „Arbeiter“-Zionist und Vertreter ihrer Miliz, der Hagana, traf sich am 26. Februar 1937 in Berlin mit Adolf Eichmann. Polkes bot den deutschen Nazis an, dass die „ArbeiterInnen“-ZionistInnen die deutschen außenpolitischen Interessen im Vorderen Orient tatkräftig unterstützen und auch ein wenig für sie spionieren würden, die Nazis sollten dafür ihre Devisenverordnungen für nach Palästina auswandernde deutsche Jüdinnen und Juden lockern. Doch die Nazis gingen auf dieses politische Geschäft nicht ein.

Am weitesten ging die rechtszionistische Sterngruppe, die nach Abraham Stern benannt wurde und sich selbst als „totalitär“ bezeichnete. Sie bot den deutschen Nazis 1941 die militärische Zusammenarbeit im Zweiten Weltkrieg an. Doch die Nazis gingen auf dieses Angebot nicht ein. Im demokratisch-zionistischen Israel wurde das ehemalige Mitglied der Stern-Gruppe Yitzhak Yzernitzky Außenminister und Ministerpräsident, während Stern selbst durch eine Briefmarke geehrt wurde. Und heute wagt es dieses reaktionäre zionistische Pack eine moralisierende Gesinnungsdiktatur auszuüben und jede wirkliche Kritik am Zionismus und am Staat Israel als „antisemitisch“ zu denunzieren! Der antifaschistische Moralismus hilft der zionistischen Reaktion dabei prächtig – weit über die so genannten „Antideutschen“ hinaus. Neben der Verklärung der Demokratie und des Zweiten Weltkrieges gehört die Verschleierung des sozialreaktionären Charakters des Zionismus zu den widerlichsten und ekelhaftesten Erscheinungen des Antifaschismus.

Jedoch weil der deutsche Faschismus nicht auf die Avancen eines Teil der ZionistInnen einging, verbündete sich der jüdische Nationalismus in Palästina mit dem britischen Imperialismus. Die ZionistInnen bildeten noch während des Zweiten Weltkrieges Milizen, über die Peter Jacobs schrieb: „Die Hagana bildete 1941, von den Briten geduldet, die Palmach (Sturmkommando), die deutsche Truppen mit Partisanengruppen bekämpfen sollte, falls es Hitlers Afrikakorps gelänge, nach Palästina vorzustoßen. Palmach-Leute sprangen später über dem besetzten Griechenland und anderswo hinter den feindlichen Linien ab und leisteten den westlichen Alliierten manchen wertvollen Dienst mit Aufklärungs- und Sabotageaktionen. (Anmerkung der AST: Dieses Lob des staatskapitalistischen Ideologen Jacobs für die Handlangerdienste des Zionismus für den alliierten Imperialismus versteht sich von selbst, gab es doch zu dieser Zeit das antifaschistisch-reaktionäre Bündnis zwischen dem sowjetischen Staatskapitalismus und den privatkapitalistischen Demokratien.) Ihre Führer freilich dachten schon zu dieser Zeit daran, die militärischen Erfahrungen für den bevorstehenden Kampf um die zionistische Herrschaft über Palästina zu verwerten. Die Palmach wurde zum Stoßtrupp in den Kämpfen zwischen 1945 und 1949 und bildete nachher die Elitetruppe der israelischen Armee. Yigal Allon, später stellvertretender israelischer Ministerpräsident, begann seine Offizierskarriere in der Palmach.

Neben der Hagana und ihren Ablegern, radikaler noch und rücksichtslosem Terror verschrieben, bereitete sich die 1937 gegründete Geheimorganisation Irgun auf die Entscheidungsschlacht vor. Ihr führender Kopf war seit 1943 der ein Jahr zuvor eingewanderte Menachem Begin. Die Irgun organisierte zu dieser Zeit in Palästina Menschenraub, Lynchmorde und das Massaker von Deir Yassin. Die britischen Behörden setzten Begin an die Spitze ihrer Liste der meistgesuchten Verbrecher. 1977 brachte es Begin in Israel zum Ministerpräsidenten.

(Anmerkung der AST: Die RevisionistInnen planten schon in den 1930er Jahren den bewaffneten Aufstand gegen die britische Mandatsmacht in Palästina. Als der revisionistische Führer Begin im Mai 1942 in Palästina ankam, fand er den dortigen Revisionismus in einem Zerfallsprozess vor. Er wurde zum Anführer der revisionistischen Miliz Irgun und begann diese zu reorganisieren. Die Miliz der ArbeiterInnenzionistInnen, die Hagana, begann die Irgun an der Seite des britischen Imperialismus anzugreifen, doch der revisionistische Zionismus schlug nicht offensiv gegen die Hagana zurück. Die RevisionistInnen planten schon den zukünftigen gemeinsamen bewaffneten Kampf mit der Hagana gegen den britischen Imperialismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Irgun griff auch nie militärische Ziele an, um sich nicht nachsagen zu lassen sie behindere die britische Seite des imperialistischen Kriegsgemetzels. So war der revisionistische Aufstand gegen die britische Mandatsmacht im Januar 1944 rein symbolisch, mit dem die Briten schnell fertig wurden.)

Von der Irgun spaltete sich 1940 die Lechi ab (auch Sternbande genannt, nach ihrem Begründer Abraham Stern). Sie spezialisierte sich auf den individuellen Terror. Am 6. November 1944 ermordeten Lechi-Mitglieder in Kairo den britischen Staatsminister Lord Walter Edmund Moyne. Militärischer Operationschef der Lechi war von Anfang an der spätere Nachfolger Begins im Amt des israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Shamir.“ (Peter Jacobs, Der Aufstand der Steine, a.a.O., S. 52/53.)

Als in Europa der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, begannen die zionistischen Milizen Hagana („ArbeiterInnenzionismus“), Irgun (Revisionistischer Zionismus), Lechi (Sterngruppe) ihren Terrorkrieg gegen den britischen Imperialismus. Zwischen September 1945 und Juli 1946 griffen die drei zionistischen Milizen Kasernen, Landebahnen und Eisenbahnlinien an. So detonierten am 31. Oktober 1945 im Hafen von Haifa mehrere Bomben.

Peter Jacobs schrieb über den reaktionären zionistischen Untergrundkrieg gegen den britischen Imperialismus: „Wie eine Feuerwerkskaskade zündeten zionistische Saboteure Sprengsätze im ganzen Land. Brücken flogen in die Luft, Polizeistationen fielen in Trümmer, der Bahnhof von Lydda brannte, und die Eisenbahnlinie von Haifa nach Al-Kantara am Suezkanal wurde an mehr als 50 Stellen unterbrochen.

Aus dem Untergrund meldete sich die Radiostation Kol Israel, die sich auch Stimme des Widerstands nannte und die die Schläge gegen die neuralgischen Punkte der Mandatsmacht koordinierte. Zionisten verbreiteten Terror im gelobten Land.

Den spektakulärsten Bombenanschlag erlebte am 22. Juli 1946 Jerusalem. An diesem heißen, trockenen Sommertag stieg über dem Zionsberg wie ein Fanal eine Staubwolke auf. Bis zur Al-Aksa-Moschee und zum Damaskustor war eine Erschütterung zu spüren. Eine Explosion von 350 Kilogramm TNT-Sprengstoff riss den Südflügel des ,König David‘-Hotels weg, jener mit altorientalischem Prunk ausgestatteten Luxusherberge, in der sich das militärische Hauptquartier der britischen Mandatstruppen befand. Rettungsmannschaften bargen später 91 Tote, darunter 41 Araber, 17 Juden und 28 Briten.“ (Peter Jacobs, Der Aufstand der Steine, a.a.O., S. 53/54.) Bei Wikipedia können wir über den Anschlag auf das König David Hotel lesen: „Im letzten Moment zog sich die Hagana zurück und der Irgun unter Führung des späteren Premierministers Menachem Begin führte den Anschlag alleine aus.“ (Wikipedia, Stichwort Palästina [Region].)

Der britische Imperialismus ging mit Gegengewalt gegen die zionistische Offensive vor, worüber wir bei Wikipedia lesen können: „Die britische Verwaltung konnte diesen Zustand nicht länger dulden. Die Palestine Police plante darum zusammen mit dem britischen Militär eine Operation, die die jüdischen Gruppen schwächen sollte. Darum begann die britische Armee mit massiven Schlägen gegen die jüdischen Untergrundbewegungen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich 100.000 Mann der britischen Armee in Palästina. Es gab Ausgangssperren in den größeren Städten; das Gebäude der Jewish Agency wurde durchsucht und Akten beschlagnahmt. 4000 Juden, unter ihnen etwa Mosche Scharet und Jitzchak Rabin, wurden verhaftet. Golda Meir wurde als Frau verschont. Ben Gurion hielt sich gerade in Frankreich auf.“ (Ebenda.)

Doch Palästina wurde nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur vom chauvinistisch-reaktionären Konkurrenzkampf zwischen Zionismus und britischem Imperialismus erschüttert, sondern auch vom proletarischen Klassenkampf, in dem jüdische und arabische ArbeiterInnen gemeinsam agierten. So brachen 1946 und 1947 „in Haifa Streiks aus, bei denen jüdische und arabische Arbeiter solidarisch Seite an Seite gekämpft haben (Arbeiter und Angestellte des Staates, die in der Petroleum-Raffinerie beschäftigt waren). Dennoch wuchs der Chauvinismus auf beiden Seiten, da sich die internen Spannungen zwischen Juden und Arabern verschärften und von der KP Konzessionen an den Chauvinismus gemacht wurden. Die KP besaß einen großen Einfluss unter den arabischen Arbeitern. Eine zionistische Provokation bewirkte in der Raffinerie von Haifa ein Massaker gegen die jüdischen Arbeiter, an dem die am wenigsten bewussten arabischen Arbeiter teilnehmen. Seit diesem Zeitpunkt weicht die Solidarität der Klassen dem Partikularismus. Die jüdischen und arabischen Arbeiter treiben eigene Forderungen, insbesondere in Bezug auf ihre Sicherheit, voran. Der Krieg von 1948 fügt zu den ideologischen Barrieren, die das jüdische und arabische Proletariat trennt, noch das materielle Hindernis der Staatsgrenze hinzu.“ (Nathan Weinstock, Das Ende Israels?, a.a.O., S. 212.)

Das Sein und Bewusstsein des proletarischen Klassenkampfes war also viel zu schwach, um über die Nationalismen zu siegen, so siegten die Nationalismen als Klassenkampf der Bourgeoisie gegen das Proletariat. Jüdische und arabische ProletarierInnen schlugen und schlagen sich im Interesse der jüdischen und arabischen Bourgeoisie den Schädel ein…

Der Zionismus triumphierte 1948 über die UNO, dieser imperialistischen Institutionalisierung der internationalen Gemeinschaft der Nationalstaaten, den britischen Imperialismus, den palästinensischen Nationalismus und das multiethnische Proletariat Palästinas.

Besonders Ben Gurion erkannte, dass mit Gewalt allein der britische Imperialismus nicht zu besiegen war. Er setzte auf die „internationale Gemeinschaft“ – ganz besonders auf den US-Imperialismus, wie wir auch bei Wikipedia lesen können: „Seit Mai 1946 verfolgte David Ben Gurion eine neue Strategie, um Druck auf die USA auszuüben. Er förderte nach Pogromen etwa in Polen die Einwanderung von osteuropäischen Juden nach Deutschland, Österreich und Italien, damit diese in den Einflussbereich der Amerikaner kämen und diese damit zum Handeln zwängen. Dies wurde als die Bricha-Bewegung bekannt. Die Hagana begann, osteuropäische Juden schon in Deutschland im Hebräischen zu unterrichten. Im Lande wurden jüdische Siedlungen an strategisch wichtigen Orten eingerichtet. Beispielsweise wurden an Jom Kippur 1946 zehn Siedlungen im nördlichen Negev gegründet. Gleichzeitig begannen die Vorbereitungen für den Krieg. Man begann militärisch nicht mehr in kleinen Einheiten wie im Widerstand gegen die Mandatsmacht zu denken. Wichtige Organisatoren der Hagana zu dieser Zeit waren Mosche Sneh, Jisrael Galili und Jaakow Dori; Chef der Operationsabteilung der Hagana war Jigael Jadin.

Es ist unter Historikern immer noch umstritten, wer oder was den Rückzug der Briten letztlich bewirkte. Es gab unbestreitbar wichtige britische Interessen in der Region. Die Interessen der Briten in diesem Gebiet lagen insbesondere in der Mittellage zu Indien begründet. Und tatsächlich, als Indien 1947 geteilt und unabhängig wurde, versuchte das Vereinigte Königreich das Mandat erst an die USA dann an den Völkerbund zurückzugeben. Ein wichtiger Punkt waren die Ölreserven der Region – eine Pipeline verlief etwa vom Irak zum wichtigen Hafen Haifas. Die Lage des Landes am Mittelmeer und in relativer Nähe zum Suez-Kanal war ebenfalls von strategischer Bedeutung. Der britische Generalstab sah die Region deshalb für den Fall eines Dritten Weltkrieges als unverzichtbar an. Allerdings waren sich die Briten der Tatsache bewusst, dass sie weder von Juden noch von Arabern im Land gewünscht waren. Das militärische Engagement war zudem sehr kostspielig, auch kam es zu nicht unerheblichen Verlusten an Menschenleben. Die öffentliche Meinung im Königreich stand dem Mandat, besonders aufgrund der Meldungen über den jüdischen Widerstand, zunehmend ablehnend gegenüber. Hinzu kam der Druck der USA. Die Abhängigkeit des Königreiches von amerikanischer Wiederaufbauhilfe in Milliardenhöhe gerade nach dem harten Winter wird deshalb sicherlich eine Rolle gespielt haben.“ (Wikipedia, Stichwort Palästina [Region].)

Die UNO-Unterorganisation UNSCOP (United Nations Special Committee on Palestine) begann sich unter dem Vorsitz des schwedischen Juristen Emil Sandström in Palästina einzumischen. Sie trat für die Teilung Palästinas in einen arabischen und in einen jüdischen Staat ein. Diese imperialistisch-nationalistische Teilung Palästinas wurde von den meisten damaligen Nationalstaaten unterstützt, auch vom sowjetisch geführten staatskapitalistischen Block. Nur das staatskapitalistische Jugoslawien, was sich gerade vom sowjetischen Imperialismus loslöste, Indien und der Iran traten für einen binationalen und föderalistischen Staat ein. Am 29. November 1947 beschloss die UNO-Vollversammlung die Teilung Palästinas. Nach diesem UNO-Plan sollte das britische Mandat über Palästina spätestens bis zum 1. August 1948 erlöschen. An dessen Stelle sollten ein palästinensisch-arabischer und ein palästinensisch-jüdischer Staat treten. Die „internationale Gemeinschaft“ der privat- und staatskapitalistischen Nationen wollte außerdem aus Jerusalem eine „internationalisierte“ Stadt machen. Der UNO-Imperialismus wollte Palästina nach Staatsgebieten teilen, wo entweder „die Juden“ oder „die Araber“ eine Mehrheit bildeten, beide Staaten und Jerusalem sollten eine Föderation bilden. Nach diesem Beschluss hätte der jüdische Staat ein Territorium von 14.900 Quadratkilometern gehabt, etwa 56 Prozent des Gebietes Palästina. Der arabisch-palästinensische Staat hätte nach dem Willen der UNO über 11.000 Quadratkilometer (42 Prozent Palästinas) Boden verfügt und Jerusalem über 2 Prozent.

Doch es ging nicht nach dem Willen der „internationalen Gemeinschaft“ der Nationalstaaten. Es kam zu einem blutigen Konkurrenzkampf zwischen palästinensischen Nationalismus und Zionismus, bei dem das Proletariat verheizt wurde.

Israel und palästinensischer Nationalismus

Bei der Staatsgründung Israels 1948 vertrieb der Zionismus als jüdischer Nationalismus rund 750.000 palästinensische AraberInnen, die seitdem vorwiegend als Flüchtlinge in arabischen Staaten oft im sozialen Elend leben. Der kapitalistisch-reaktionäre Staat Israel war kaum gegründet, da überfielen die reaktionären arabischen Nachbarstaaten Ägypten, Jordanien, Syrien, Libanon und Irak am 15. Mai 1948, kurz nach 0 Uhr, das zionistische Regime. Das Hauptziel des Krieges war die Verhinderung eines jüdischen Staates. Da sich Kriege immer auch gegen die Zivilbevölkerung richten, ging in diesem Krieg der reaktionäre arabisch-nationalistische Antizionismus nahtlos in den Antijudaismus über, so wie auf Seiten Israels der Zionismus immer antiarabischer und rassistischer wurde. Außerdem wolle Jordanien sich durch den Krieg das Westjordanland einverleiben, was die anderen am Krieg teilnehmenden arabischen Regimes verhindern wollten. Doch die arabische Offensive wurde schon bald durch die israelische Gegenoffensive aufgehalten und umgekehrt.

Dieser Krieg war natürlich von allen Seiten sozialreaktionär, einfach aus dem Grund, weil dessen Subjekte, die Nationalstaaten, objektiv nur reaktionär sein können. Bei dem internationalen Schlagen und Vertragen der Nationalstaaten und Nationalkapitale, dürfen SozialrevolutionärInnen niemals eine Seite wählen, denn die globalen Kooperationen und ökonomischen, politisch-diplomatischen, ideologischen und militärischen Konkurrenzkämpfe zwischen ihnen gehen alle auf Kosten des Proletariats. Bei dieser grundsätzlichen Haltung, die sowohl den bürgerlichen Frieden als auch den imperialistischen Krieg zwischen Nationalstaaten kompromisslos bekämpft, ist es unerheblich, welche politische Staatsformen die Kontrahenten haben oder wer den Krieg angefangen hat. Das Pack schlägt und verträgt sich – und zwar immer auf Kosten des Proletariats. Proletarische und intellektuelle RevolutionärInnen bekämpfen auch den bürgerlichen Frieden als imperialistischen Vor- und Nachkrieg und als besondere Form des Klassenkrieges von oben, den die Bourgeoisie gegen das Proletariat führt.

Das imperialistische Gemetzel von 1948/49 war dann auch eines auf Kosten der jüdischen und arabischen Zivilbevölkerung, also des KleinbürgerInnentums und des Proletariats. Nach offiziellen Angaben Israels starben in diesem imperialistischen Krieg 5.700 bis 5.800 Juden und Jüdinnen, davon waren rund 25 Prozent ZivilistInnen. Ekelhafte Leichenmathematik! Die offizielle ägyptische Leichen- und Krüppelstatistik zählte 1.400 Tote und 3.731 Kriegsversehrte der „eigenen“ Nation während des Krieges von 1948.

Dieses imperialistische Gemetzel endete im Jahre 1949 mit separaten Friedensverhandlungen zwischen Israel und den arabischen Regimes unter Oberaufsicht des internationalen Schiedsgerichts der Nationalismen, der UNO. Dem imperialistischen Krieg folgte ein imperialistischer Frieden. Den Gazastreifen verleibte sich Ägypten ein, während Jordanien das Westjordanland annektierte. Die Stadt Jerusalem wurden durch Israel und Jordanien geteilt, wobei Westjerusalem zu Israel kam und Ostjerusalem zu einem Teil Jordaniens wurde. Diese territorialen Ergebnisse des imperialistischen Krieges und Friedens von 1948/49 sollten durch den nächsten imperialistischen Krieg von 1967 revidiert werden. Außerdem brachte der imperialistische Krieg und Frieden 1948/49 Israel international anerkannte Grenzen, die ein Territorium umfasste, welches rund 75 Prozent Palästinas ausmachten.

In Folge des Prozesses der Staatsgründung Israels und des Krieges von 1948/49 flüchteten bis zu 750.000 palästinensische AraberInnen oder wurden von der zionistischen Sozialreaktion vertrieben. Diejenigen, die nicht flüchteten oder vertrieben wurden, bekamen zwar die israelische StaatsbürgerInnenschaft, blieben aber eine vom Zionismus diskriminierte Minderheit. Um die palästinensischen Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern in den arabischen Staaten – vor allem in Jordanien (Westjordanland), Ägypten (Gazastreifen), Libanon und Syrien – „kümmerte“ sich die UN-Organisation Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). Die UNO war und ist nicht nur ein internationales Schiedsgericht, sondern auch eine Art globales Sozialamt für die untersten Schichten des Proletariats, um den „sozialen Frieden“ des Weltkapitalismus zu stabilisieren. Als Israel im Oktober 2024 das Wirken der UNRWA auf seinem Territorium sowie in den besetzten palästinensischen Gebieten verbot, war das Teil seines rassistischen Massenmordes.

Seit dem Krieg gegen arabische Staaten von 1967 besetzt Israel die palästinensischen Gebiete Ostjerusalem, Westjordanland und Gazastreifen. Das zionistische Regime Israels ließ die palästinensischen NationalistInnen ab 1994 im Gazastreifen und Westjordanland ein wenig Autonomie spielen. Die Palästinensische Autonomiebehörde ist eine strukturelle Klassenfeindin des Weltproletariats. In Westjordanland regierten die Politbonzen der Fatah, im Gazastreifen herrschte seit 2007 die islamistische Hamas. Während die Fatah offiziell den militärischen Kampf gegen Israel aufgegeben hat, führte ihn die Hamas weiter. Während Fatah und PLO für einen palästinensischen Staat auf den Territorien der von Israel besetzten Gebiete Ostjerusalem, Westjordanland und Gazastreifen kämpfen, ist das Ziel der IslamistInnen die nationalistische Zerschlagung Israels und ein palästinensischer oder panarabischer Staat, der sich mindestens über die Territorien des heutigen Israel und die von ihm besetzten palästinensischen Gebiete erstrecken soll. Der palästinensische Nationalismus war und ist Spielkarte arabischer Regimes, zum Beispiel Katars und Irans. In der Vergangenheit wurde er vom Block staatskapitalistischer Nationen unter Führung des sowjetischen Imperialismus unterstützt.

Während der Staat Israel 2005 die zionistischen Siedlungen im Gazastreifen auflösen ließ und auch die israelische Armee dieses Gebiet räumte – allerdings es nach dem Wahlsieg der Hamas 2006 blockierte –, forcierte er den Siedlungsbau im Westjordanland. Dort befanden sich 2018 133 von Israel unterstützte zionistische Siedlungen, in denen 448.672 Menschen lebten. Außerdem ist dieses Gebiet von der israelischen Armee besetzt. Das Westjordanland ist von einer Sperranlage umgeben. 85 Prozent des Territoriums verlaufen innerhalb des Westjordanlandes und etwa 15 Prozent direkt entlang der Grünen Linie. Palästinensische Menschen in Westjordanland werden von der israelischen Apartheid-Demokratie massiv unterdrückt. Gegen diese Unterdrückung hilft jedoch keine nationale „Befreiung“, sondern nur die sozialrevolutionäre Nullstaatenlösung, der Kampf für die klassen- und staatenlose Weltgemeinschaft. Zionismus und palästinensischer Nationalismus rieben sich aneinander und luden sich gegenseitig auf – zum permanenten blutigen Amoklauf.

Indem der Zionismus sowohl die PalästinenserInnen mit israelischer StaatsbürgerInnenschaft als auch jene in den besetzten palästinensischen Gebieten Ostjerusalem, Gazastreifen und Westjordanland objektiv diskriminiert, ist er strukturell rassistisch, der Träger eines Apartheidregimes. Bis zum Gemetzel ab dem Oktober 2023, dass Islamismus und Zionismus arbeitsteilig-konkurrenzförmig in Israel/Palästina organisieren, war der letztgenannte auch ein Ausbeutungsrassismus, der die billige Arbeitskraft von palästinensischen ProletarierInnen in Israel ausbeutete. Der palästinensische Nationalismus war und ist vom Islamismus bis zum Marxismus-Leninismus absolut sozialreaktionär. Ein palästinensischer Staat kann nur kapitalistisch-sozialreaktionär sein. Indem die palästinensisch-nationalistischen Organisationen von den islamistischen bis zu den marxistisch-leninistischen in der Praxis zur Gewaltanwendung gegen die jüdische Zivilbevölkerung bereit waren und sind, bilden sie objektiv eine Spielart eines strukturellen nationalistischen Antijudaismus. Ideologisch geht der palästinensisch-nationalistische Antizionismus fließend in Antijudaismus über.

Die islamistische Hamas nahm in ihrem fanatischen Konkurrenzkampf gegen Israel – unter anderem durch den regelmäßigen Beschuss mit Kassam-Raketen und durch Terroranschläge – die Zivilbevölkerung des Gazastreifens in Geiselhaft. Auch benutzten die islamistischen Mordbuben den permanenten Krieg gegen den Zionismus als Vorwand, um die Bevölkerung des Gazastreifens zu indoktrinieren und zu terrorisieren. Die Hamas richtete seit 2007 regelmäßig Menschen, die sie der Kollaboration mit Israel beschuldigte.

Die israelische Armee und der zionistisch-rassistische SiedlerInnen-Mob überzogen die palästinensische Zivilbevölkerung ebenfalls mit Terror. Das zionistische Regime Israels und die Hamas führten einen permanenten Krieg gegeneinander. Sie brauchten sich einander, um den sozialen Protest in Israel und im Gazastreifen im Nationalismus ersticken zu können. Ganz besonders, seitdem Israel seit November 2022 von einem extremen zionistisch-rassistischen Regime regiert wird.

In dieser permanenten Geschichte des gegeneinander Massakrierens gab es einige Episoden, in denen die Intensität zunahm und mensch deshalb von einzelnen Kriegen sprechen kann. So entfaltete sich vom 10. Mai bis zum 21. Mai 2021 der Israel-Gaza-Konflikt, die auch Operation Guardian of the Walls genannt wurde. Bei diesem Massaker kamen mindestens 248 PalästinenserInnen – unter ihnen 66 Kinder – und 13 Israelis ums Leben. Dieses Gemetzel wurde am 21. Mai 2021 durch eine Waffenruhe beendet.

Das islamistisch-zionistische Massaker ab dem 7. Oktober 2023

Am Morgen des 7. Oktobers 2023 griffen die palästinensischen NationalistInnen vom Gazastreifen aus Israel an. Die militärischen Einheiten der Hamas überfielen viele Kibbuzim und kleine Ortschaften im Grenzgebiet. Auch gelang es ihnen, einen israelischen Militärstützpunkt vorübergehend zu überrennen. Dem islamistisch-nationalistischen Pack fielen hauptsächlich jüdische ZivilistInnen zum Opfer. Insgesamt starben bei dem Massaker 815 ZivilistInnen und 384 SoldatInnen. Die Hamas-ReaktionärInnen verschleppten viele ZivilistInnen, aber auch einige SoldatInnen in den Gazastreifen, insgesamt 251 Menschen. Außerdem schossen die IslamistInnen 5.000 Raketen auf Israel.

An diesem nationalistisch-sozialreaktionären Überfall nahm auch die palästinensische Linksreaktion in Form der marxistisch-leninistischen Organisationen Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas (DFLP) teil. Durch die reaktionäre Ideologie von der nationalen „Befreiung“ ist der Leninismus in Palästina nur noch der Schwanz des Islamismus. Dieser Schmutz haftet auch an der globalen linksnationalen „Palästina-Solidarität“! Das sagen wir ganz klar, genauso klar, wie wir uns gegen die staatliche Repression gegen diese in den westlichen Demokratien wenden.

Die islamistische Hamas hat mit seinem Massaker an der jüdischen Zivilbevölkerung den Vorwand für den zionistischen Massenmord im Gazastreifen geliefert, dem inzwischen mehr als 43.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Der Zionismus hat seinen Ausbeutungsrassismus palästinensischer Arbeitskräfte eingestellt und ist zum Vernichtungsrassismus übergegangen.

Und das zionistische Regime rechtfertigt seinen Massenmord mit rassistischer Ideologie, der die palästinensischen Menschen entmenschlicht: „Ob Israels Präsident Isaac Herzog am 14. Oktober vergangenen Jahres (2023) auf einer Pressekonferenz verkündete: ,Es ist ein ganzes Volk, das verantwortlich ist. Diese Rhetorik über Zivilisten, die angeblich nicht involviert wären, ist absolut unwahr, (…) und wir werden kämpfen, bis wir ihr Rückgrat brechen‘, oder Premierminister Netanjahu schon am 8. Oktober (2023): ,Wir werden Gaza zu einer Insel aus Ruinen machen‘, oder der Sprecher der israelischen Armee Daniel Hagari am 10. Oktober (2023) in Haaretz: ,Wir werfen Hunderte Tonnen von Bomben auf Gaza. Der Fokus liegt auf Zerstörung, nicht auf Genauigkeit‘, oder Verteidigungsminister Joaw Gallant am 9. Oktober (2023) im Fernsehen: ,Es wird keinen Strom geben, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff, alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen Tiermenschen und handeln entsprechend.‘ Oder der Generalmajor der israelischen Armee, Ghassan Allan, bei einer Ansprache am 9. Oktober (2023): ,Tiermenschen werden entsprechend behandelt, ihr wolltet die Hölle und ihr kriegt die Hölle‘ und ein Veteran der israelischen Armee, Ezra Yachin, am 13. Oktober (2023) bei einer Ansprache an Reservisten: ,Löscht ihre Familien aus, ihre Mütter und Kinder. Diese Tiere dürfen nicht länger leben.‘ Schließlich die Abgeordnete der Regierungspartei Tally Gotliv am 9. Oktober (2023) in der Knesset: ,Jericho-Rakete! Weltuntergangswaffe. Das ist meine Meinung. Mächtige Raketen sollen ohne Grenzen abgefeuert, Gaza zerschlagen und dem Erdboden gleichgemacht werden. Ohne Gnade.‘ Diese Sammlung offen genozidaler Äußerungen ließe sich bis in die unmittelbare Gegenwart ergänzen.“ (Norman Paech, Apartheid und die Folgen, in: junge Welt vom 23. Oktober 2024, S. 13.)

Fazit: Zionismus ist faktisch rassistischer Massenmord. In Deutschland kompensieren fast alle NationalistInnen – von der Mehrzahl der Rechtskonservativen bis zum Großteil der Linksliberalen – die „dunklen Jahre“ der deutschen Nationalgeschichte, den Nationalsozialismus (1933-1945) mit einem mörderischen Prozionismus. Der faschistische Judenmord wird durch deutsch-demokratische Hilfe beim zionistischen Massenmord wieder „gut gemacht.“ Nein, wir können wirklich nicht so viel fressen, wie wir kotzen mögen.

Zionismus ist faktisch massenmörderischer Rassismus. Wer das in Deutschland so klar sagt, bekommt mit der „Antisemitismus“-Keule eine übergebraten. Auch und gerade, wenn antizionistische Juden und Jüdinnen diese Klarsicht zeigen. Wir sind mit ihnen solidarisch!

Hoch die antinationale Solidarität des Weltproletariats!

Auch in Deutschland spalten Antijudaismus, Zionismus und palästinensischer Nationalismus das multiethnische und mulikulturelle Weltproletariat. Antijudaismus, Zionismus und palästinensischer Nationalismus sind Teil der nationalistischen Spaltungslinien. Ansatzweise können solche Spaltungslinien bereits im reproduktiven Klassenkampf im Rahmen des Kapitalismus überwunden werden. Aber um solche nationalistischen Amokläufe wie der im Nahen Osten progressiv und ein für alle Mal zu beenden, bedarf es der antinationalen Zerschlagung aller Nationalismen – einschließlich des Zionismus und des palästinensischen – durch das sich revolutionär selbst aufhebende Weltproletariat. Das ist die sozialrevolutionäre Nullstaatenlösung – eine klassen- und staatenlose Weltgemeinschaft.

Antinationale SozialrevolutionärInnen stehen zwischen allen Stühlen. Das ist genau die richtige Position, um in einer möglichen revolutionären Situation, in der sich der globale Klassenkampf zur Weltrevolution radikalisiert, die regierenden MordnationalistInnen von ihren Stühlen zu werfen und dorthin zu befördern, wo sie hingehören: in den Schmutz der Weltgeschichte.

Nieder mit dem zionistischen Regime Israel!

Gegen jeden Antijudaismus!

Nieder mit dem objektiv antijüdischen palästinensischen Nationalismus!

Hoch die antinationale Solidarität des Weltproletariats!

Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz

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Der deutsche Nationalpazifismus und seine kriegerischen KritikerInnen https://astendenz.blackblogs.org/2024/10/06/der-deutsche-nationalpazifismus-und-seine-kriegerischen-kritikerinnen/ Sun, 06 Oct 2024 22:52:45 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=262
BSW Führerin Sahra Wagenknecht hält auf der Friedensdemonstration in Berlin eine Rede, 3. Oktober 2024

Zur Friedendemonstration am 3. Oktober 2024 in Berlin

Der Pazifismus

Der Pazifismus tritt als bürgerliche Ideologie für Frieden und Kooperation zwischen den Staaten und für deren freiwillige kollektive Abrüstung ein. Das ist ein Berg aus Illusionen, der angesichts imperialistischer Gemetzel rasch in sich zusammenfällt. Zwischen kapitalistischen Staaten herrscht nun mal Konkurrenz und der Frieden zwischen ihnen ist lediglich die nichtmilitärische Form der Konkurrenz, der auf Hochrüstung beruht. Die Staaten werden niemals freiwillig kollektiv nennenswert abrüsten. Die Forderung an die Staaten, sie sollten das tun, ist illusorisch. Es kann nur eine wirkliche Abrüstung geben: die weltrevolutionäre Zerschlagung aller Staaten! Klassenkrieg statt bürgerlicher Frieden!

Bürgerlicher Frieden kann im Weltkapitalismus nur der Zustand zwischen den Kriegen sein. Die PazifistInnen behaupten Diplomatie sei eine Alternative zum imperialistischen Krieg. Dass die DiplomatInnen von denselben Staaten in Marsch gesetzt werden, die auch Armeen auf- und einmarschieren lassen, irritiert sie dabei nicht sonderlich. Die Diplomatie ist eine Waffengattung des nichtmilitärischen Konkurrenzkampfes, wo das wirtschaftliche und militärische Potenzial von Staaten als deren Basis immer die wichtigste Rolle spielt. Staatliche Diplomatie bereitet im Frieden den Krieg vor und im Krieg den Frieden, aber grundsätzlich verhindern kann und will sie den Krieg nicht.

Wenn Staaten ihre Interessen nicht diplomatisch durchsetzen können und sie meinen, sie müssten und könnten Krieg führen, dann tun sie es auch. Nur ein Atomkrieg können sie nicht siegreich gegeneinander führen. Das wäre der kollektive atomare Overkill. Aber Stellvertreterkriege wie in der Ukraine können und wollen sie führen. Die Gefahr eines Atomkrieges mit inbegriffen.

Der imperialistische Stellvertreterkrieg in der Ukraine

Die Ukraine war lange Bestandteil des russländischen und sowjetischen Imperiums. Dagegen kämpften ukrainische NationalistInnen. Der ukrainische Nationalismus war genauso reaktionär wie der russländische beziehungsweise der sowjetische Imperialismus. Sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg war der ukrainische Nationalismus eine Spielkarte in der Hand des deutschen Imperialismus. Gorbatschows Perestroika führte zur Kapitulation des sowjetischen Imperialismus im ersten Kalten Krieg und 1991 zum Zerfall der Sowjetunion. Dadurch entstanden sowohl Russland als auch die Ukraine als neue Nationalstaaten. Zwischen dem kollektiven Westen und Russland entfaltete sich am Anfang eine begrenzte Kooperation. Vor allem aber nutzte der westliche Imperialismus die Todeskrise des sowjetischen Staatskapitalismus beziehungsweise die Transformationskrise zum Privatkapitalismus in Russland zu einer Ostexpansion von EU und NATO, also in der vorherigen Einflusssphäre des Kremls, aus. Auch den imperialistischen Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999 führte die NATO gegen den Willen Moskaus.

Die Ukraine war kulturell-mental gespalten. Während sich im Westen des Landes der ukrainische Nationalismus entfaltete und eher prowestlich geprägt war und ist, war der Osten eher prorussisch. Die Ukraine lavierte lange zwischen dem westlichen und dem russischen Imperialismus. Das war ab 2013 nicht mehr möglich, weil sowohl der kollektive Westen als auch Russland die Ukraine im jeweils alleinigen Einflussgebiet haben wollte. Die EU strebte ein Assoziationsabkommen mit der Ukraine an, was Moskau durch Druckaufbau vorübergehend verhinderte. Im November 2013 lehnte der damalige ukrainische Präsident Janukowitsch das Assoziationsabkommen mit der EU ab. Daraufhin entfaltete sich auf dem Maidan eine reaktionäre Protestbewegung, die auch vom westlichen Imperialismus massiv unterstützt wurde. Die Maidan-Bewegung hatte einen prowestlich-demokratischen und einen ultranationalistisch-faschistischen Flügel. Letzterer wurde immer stärker zur militanten Avantgarde der reaktionären Bewegung. Deshalb bezeichnen wir diese als demokratisch-faschistische Sozialreaktion. SozialrevolutionärInnen mussten weltweit sowohl das Janukowitsch Regime und den russländischen Imperialismus als auch den imperialistischen Westen und die Maidan-Reaktion bekämpfen.

Im Februar 2014 stürzte die vom westlichen Imperialismus unterstützte Maidan-Reaktion durch einen Staatsstreich das Janukowitsch-Regime. Das entstehende prowestliche Regime ist extrem nationalistisch, blieb aber formal demokratisch. In dieser Demokratie sind FaschistInnen tief integriert. Ein extremer Ausdruck der demokratisch-faschistischen Sozialreaktion. Diese ging ultrarepressiv gegen Russischsprachige sowie gegen vermeintliche oder wirkliche prorussische Kräfte vor. Die Ukraine wurde auch ohne formelle Mitgliedschaft in EU und NATO fester Bestandteil des westlichen Imperialismus. Als solcher wurde sie lange vor dem russischen Einmarsch im Februar 2022 massiv von der NATO aufgerüstet.

Nach dem prowestlichen Staatsstreich vom Februar 2014 ging auch der russländische Imperialismus in die Offensive. Der Kreml annektierte im März 2014 die Halbinsel Krim. Diese hatte für Moskau als Stützpunkt seiner Schwarzmeerflotte eine große militärstrategische Bedeutung. Im Osten der Ukraine entwickelte sich im April 2014 der BürgerInnenkrieg. Es gelang prorussischen Kräften die sogenannten „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk zu gründen, gegen die der ukrainische Staat militärisch vorging. Der russländische Imperialismus unterstützte die beiden „Volksrepubliken“. Der ukrainische BürgerInnenkrieg war von Anfang an untrennbar mit dem zweiten Kalten Krieg zwischen russischen und westlichen Imperialismus verbunden. SozialrevolutionärInnen mussten sowohl das Kiewer Regime und den kollektiven Westen als auch die sogenannten „Volksrepubliken“ und den russländischen Imperialismus bekämpfen. Im BürgerInnenkrieg in der Ukraine wurden bis zum Einmarsch der russländischen Armee mehr als 14.000 Menschen getötet.

Es gab von Seiten der verfeindeten Imperialismen den Versuch, den BürgerInnenkrieg in der Ukraine diplomatisch zu befrieden. So wurden dann zwischen dem Regime in Kiew und den „Volksrepubliken“ im September 2014 und im Februar 2015 die beiden Waffenstillstandsabkommen Minsk I und Minsk II abgeschlossen. Die drei Garantiemächte dieses Waffenstillstandes waren Deutschland, Frankreich und Russland. Dieser Waffenstillstand wurde von beiden Seiten immer wieder gebrochen. Der in Minsk II versprochene besondere Status für die nicht vom ukrainischen Regime kontrollierten Donbass-Gebiete wurde nicht umgesetzt. Kurz vor der imperialistischen Invasion des Kremls in der Ukraine forcierte das Kiewer Regime seine militärischen Angriffe gegen die „Donbass-Republiken“.

In den Monaten vor der imperialistischen Invasion Russlands in der Ukraine begann Moskau militärisch und diplomatisch aufzurüsten. Der Kreml konzentrierte Truppen an der ukrainischen Grenze und verlangte ultimativ vom westlichen Imperialismus ein Ende der NATO-Osterweiterung, worauf dieser selbstverständlich nicht einging. Der kollektive Westen wiederum warnte Moskau vor einer militärischen Invasion in der Ukraine und drohte mit einer harten Antwort. Die Diplomatie konnte den imperialistischen Interessengegensatz zwischen dem Westen und Russland nicht mehr ausbalancieren. So knallte es wie bereits 2013/14 im Februar 2022 abermals in der Ukraine.

Am 21. Februar 2022 erkannte der Kreml die „Volksrepubliken“ auch formal an. Ab dem 24. Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. An dem Angriffskrieg Moskaus nahmen auch die „Volksrepubliken“ im Donbass teil. Auch Belarus war am gegenseitigen Abschlachten in der Ukraine beteiligt. Um die NATO von einer direkten Teilnahme am Gemetzel in der Ukraine abzuhalten, versetzte Russlands Präsident Putin die „Abschreckungswaffen“ – wozu auch die Atomwaffen gehören – in Alarmbereitschaft. Doch selbstverständlich hätte auch Russland den atomaren Gegenschlag des westlichen Imperialismus nicht überlebt. Moskau war gezwungen, die Führung des indirekten Krieges des kollektiven Westens gegen Russland hinzunehmen, wenn es nicht einen atomaren Overkill riskieren wollte.

Der indirekte Krieg des westlichen Imperialismus gegen Russland besteht in der Aufrüstung der Ukraine, deren Versorgung mit Geheimdienstinformationen und der Ausbildung ukrainischer Streitkräfte. Die Ukraine instrumentalisiert die NATO, um sich als Nation zu behaupten und die NATO die Ukraine, um Russland entscheidend zu schwächen. Für alle Imperialismen stellen lebende Menschen nichts als Figuren des großen Spiels dar. Außerdem führt der kollektive Westen einen massiven Wirtschaftskrieg gegen Russland. Durch das militärische Gemetzel in der Ukraine sowie den Wirtschaftskrieg sind die Preise für Lebens- und Düngemittel sowie für Energie enorm gestiegen. Das Massaker in der Ukraine sowie der Wirtschaftskrieg ist verschärfter Klassenkampf von oben gegen das Weltproletariat.

Zunächst war das sichtliche Ziel Moskaus Kiew einzunehmen, um das prowestliche Regime zu stürzen. Jedoch stieß der russische Imperialismus, wie zu erwarten war, auf den erbitterten Widerstand des ukrainischen Nationalismus. Deshalb gab der russische Imperialismus dieses ursprüngliche Ziel Ende März 2022 auf und konzentrierte sich auf das Gemetzel in der Ost- und Südukraine. Inzwischen hat Russland die davor ukrainischen Gebiete Donezk, Lugansk, Saporischschja und Cherson annektiert. Die ukrainische Gegenoffensive war nicht sehr erfolgreich, führte allerdings 2024 zu Angriffen auf dem Boden Russlands. Dies zeigt, wie relativ „Angriff“ und „Verteidigung“ in einem imperialistischen Gemetzel sind.

Das BSW – Avantgarde des deutschen Nationalpazifismus

Den Wirtschafts- und den indirekten militärischen Krieg, den Deutschland als Teil der EU und NATO ab der russländischen Invasion in der Ukraine ab Februar 2022 gegen Moskau führt, lehnt Wagenknecht von nationalistischen Positionen ausgehend ab. Im Gegensatz zu den Linksliberalen in ihrer ehemaligen Partei, Die Linke, die größtenteils auch durch Waffenlieferungen den ukrainischen Nationalismus gegen Russland unterstützen wollen.

Der Begriff „Nationalpazifismus“ ist geradezu maßgeschneidert für Frau Wagenknecht. Eine Nationalpazifistin wie sie ist für Diplomatie statt Krieg in der Ukraine. Und vor allem gegen den Wirtschaftskrieg gegen Russland, der auch für das deutsche Nationalkapital durch den Anstieg der Energiekosten eine größere Belastung darstellt. Wagenknecht legt sich mächtig gegen den Wirtschaftskrieg ins Zeug, wobei sie objektiv den Unwillen jener Einzelkapitale zum Ausdruck bringt, deren Geschäfte er beeinträchtigt. Während die Hardcore-ImperialistInnen für einen Siegfrieden der NATO/Ukraine gegen Russland eintreten und dafür massenhaft Menschenleben zu opfern bereit sind, kämpft Frau Wagenknecht für einen Kompromissfrieden zwischen dem kollektiven Westen und Moskau, bei der die Ukraine wahrscheinlich einige Federn lassen müsste. Während die Hardcore-ImperialistInnen im Westen die Ukraine als Schlachtfeld nutzen, um Russland zu schwächen, wird das Land bei NationalpazifistInnen zum Verhandlungsgegenstand. Der bürgerliche Frieden innerhalb des Kapitalismus ist eben keine progressive Alternative zum imperialistischen Krieg.

Deshalb bekämpfen antipolitische SozialrevolutionärInnen sowohl die kriegsgeilen Baerböcke als auch die nationalpazifistischen Wagenknechte. Für sie gehören sowohl Russland als auch die NATO/die Ukraine zu ihren strukturellen Klassenfeinden. Wir treten nicht für einen Schacherfrieden zwischen den kapitalistischen Ausbeuterstaaten ein, sondern für den kompromisslosen Klassenkrieg zu deren antipolitisch-sozialrevolutionären Zerschlagung. Die soziale Revolution entwickelt sich möglicherweise aus der extremen Radikalisierung des proletarischen Klassenkampfes in tiefen Krisensituationen. Als kleine Minderheit bereiten heutige antipolitische SozialrevolutionärInnen durch ihre scharfe Kritik an allem Bestehenden die mögliche Revolution praktisch-geistig vor.

Die Berliner Friedensdemonstration am 3. Oktober und ihre sozialreaktionären KritikerInnen

In ihrer Rede auf der Berliner Friedensdemonstration am 3. Oktober 2024 zog Wagenknecht alle Register ihres demagogischen Könnens. Erst mal stellte sie dem antirussischen Chauvinismus der regierenden Charaktermasken Deutschlands ihren oppositionellen deutschnationalen Antiamerikanismus gegenüber: „Wenn Putin ein Verbrecher ist, was ist mit den ganzen US-Politikern, die die vielen Kriege in den letzten Jahren verantwortet haben?“ Für Wagenknecht sei jeder ein Verbrecher, der einen Krieg beginne. Da haben wir wieder die Unterscheidung zwischen „Angriff“ und „Verteidigung“, die die imperialistische Konkurrenz verschleiert.

Außerdem ist die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock für Wagenknecht eine schlechte regierende Charaktermaske, „ein Sicherheitsrisiko für Deutschland“. Klar, Sahra würde das besser machen, das Regieren von Deutschland. Sie würde sich nicht von Washington Raketen in das Land stellen lassen. (Alle Wagenknecht-Zitate von der Demonstration am 3. Oktober 2024: www.zeit.de/politik/deutschland/2014-10/friedensdemo-berlin-nie-wieder-krieg-ukraine-gaza-sahra-wagenknecht.)

Die nationalpazifistischen OrganisatorInnen der Berliner Friedensdemonstration treten für einen imperialistischen Schacherfrieden zwischen dem kollektiven Westen und dem Kreml ein – gegen den und auf Kosten des ukrainischen Nationalismus. In den Worten des Mitgliedes der Initiative „Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder“ und Mitorganisatorin der Demonstration, Jutta Keusch-Henken: „Deutschland muss sich dafür stark machen, Verhandlungen zu führen. Das ist der einzige Weg, wie dieses Grauen in der Ukraine (…) beendet werden kann. Will die Ukraine verhandeln? Ist mir nicht bekannt. Putin erklärt zumindest immer mal wieder, er verweigere keine Verhandlungen. (…) Zum anderen wurde verlangt (…): dass Russland zuerst mal aus der Ukraine abziehen muss. Das zu fordern, ist unrealistisch. Verhandlungen müssen auf einer Basis stattfinden, auf der man Kompromisse finden kann. Aber dass Russland von der Krim und von allem wieder abzieht, ist illusorisch.“ (Zitiert nach: „Nur Verhandlungen können dieses Grauen beenden.“ Ein Gespräch mit Jutta Keusch-Henken, in: junge Welt vom 28./29. September 2024, S. 3.)

So wie der imperialistische Stellvertreterkrieg zwischen NATO und Russland auf Kosten der ukrainischen Zivilbevölkerung geführt wird, wollen die NationalpazifistInnen auf deren Kosten mit dem Kreml Frieden schließen. Ein solcher Frieden, der die vorherige imperialistische Expansion Russlands legitimiert und absegnet, kann nur die Quelle neuer Kriege sein. Bei denen die ukrainischen NationalistInnen die KleinbürgerInnen und ProletarierInnen weiter oder wieder im blutigen Konkurrenzkampf mit Moskau verheizen werden.

Kein Wunder, dass die ukrainischen NationalistInnen den deutschen Nationalpazifismus kompromisslos bekämpfen. Sie machen unter der Parole „Euer Frieden ist unser Todesurteil“ Front gegen die Berliner Friedensdemonstration. Und in der Tat: Einigt sich der kollektive Westen mit Moskau auf einen imperialistischen Kompromissfrieden, dann wird die Ukraine als Staat ziemlich geschwächt.

Während Teile der Partei Die Linken für eine Weiterbewaffnung der Ukraine und damit einer Beteiligung am imperialistischen Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland das Wort reden, sind andere Teil des Nationalpazifismus. Beide Teile der Partei sind objektiv prokapitalistisch, nationalistisch und proimperialistisch. Die Pro-NATO-Linksliberalen innerhalb der Partei Die Linken sind besonders von „den Alten“ entsetz, die massenweise an der Berliner Demonstration teilnahmen. So ätzte Carsten Penzlin, Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung Mecklenburg-Vorpommern, am 26. September 2024 über den Kurznachrichtendienst X gegen „ganze Busladungen“ von Linke-Mitgliedern, die an der Berliner Friedensdemonstration teilnehmen wollten: „Damit vergraulen wir viele junge Leute, die noch Hoffnung auf uns setzen, aber was interessiert das die Alten mit ihrem blinden Pazifismus und NATO-Hass?“ (Zitiert nach: junge Welt vom 27. September 2024, S. 4.)

Zu den linksliberalen Pro-NATO-Kräften innerhalb der Partei Die Linken gehört auch das Netzwerk Progressive Linke. Dieses Netzwerk machte Stimmung gegen den deutschen Nationalpazifismus und die Demonstration vom 3. Oktober 2024 in Berlin: „Wir sind der Auffassung, Friedensdemonstrationen sollten nicht stattfinden, ohne den größten derzeitigen Krieg, den völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine, seine Opfer, seinen Verursacher und dessen Verbrechen ins Zentrum zu stellen.“ (Zitiert nach: junge Welt vom 30. September 2024, S. 8.) Nun, der Krieg in der Ukraine wird nicht nur von Russland, sondern auch vom ukrainischen Nationalismus direkt und von der NATO indirekt geführt. Doch diese Linksliberalen stehen ja genau auf dieser anderen Seite des imperialistischen Gemetzels, den die deutschen NationalpazifistInnen durch einen Schacherfrieden mit Moskau beenden wollen. So wenig wie die OrganisatorInnen der Berliner Demonstration am 3. Oktober 2024 Russland kritisieren wollten, wollten die Linksliberalen sich gegen die NATO und den ukrainischen Nationalismus wenden: „Wir unterstützen daher den Aufruf der DFG-VK Berlin-Brandenburg für dezentrale Aktionen am 2. und 3. Oktober 2024 ,Russland führt Angriffskrieg!´“ Die genannten Aktionen richteten sich einseitig gegen Russland, waren also versteckt pro-NATO.

Und außerdem störte die NATO-Linksliberalen an der Berliner Friedensdemonstration am 3. Oktober die Nähe Der Linken zum linksnationalen BSW: „Wir distanzieren uns daher klar vom Aufruf zu einer bundesweiten ,Friedensdemonstration´, der nicht zuletzt die Friedensbewegung spaltet. Gleiches gilt für den Aufruf der Partei Die Linke zu dieser Veranstaltung. Obwohl letzterer verschiedene Kritikpunkte aufnimmt, halten wir ihn für einen gravierenden Fehler und bekräftigen daher nochmals:

Diese Mobilisierung lässt über die benannte Kritik hinaus Die Linke als Teil einer politischen Gemeinschaft mit dem nationalistischen und rassistischen BSW erscheinen. Das ist für uns, die wir seit Jahren für eine klare Trennung von dieser reaktionären Politik kämpfen, nicht vertretbar.“

Auch innerhalb der SPD riefen einige Teile zu der nationalpazifistischen Demonstration am 3. Oktober in Berlin auf. Also jener Partei, die seit 2022 den indirekten militärischen und Wirtschaftskrieg gegen Russland mitorganisiert. Nun, ein militärischer Siegfrieden von NATO und Ukraine gegen Russland ist sehr unwahrscheinlich und birgt ein Atomkriegsrisiko in sich. Aber ewig dauern kann dieser Krieg auch nicht. Also wird wohl früher oder später ein imperialistischer Schacherfrieden mit Moskau unausweichlich. Das dämmert auch Teilen der SPD. Außerdem wollten sie den Nationalpazifismus nicht allein dem BSW überlassen. So riefen sie auch zur Teilnahme an der Berliner Friedensdemonstration vom 3. Oktober 2024 auf.

Allerdings war ihnen der Aufruf des Demobündnisses zu prorussisch. So verfassten die SPD-PazifistInnen einen eigenen Aufruf, in dem sie sich zur imperialistischen Solidarität mit dem bluttriefenden sowie die Zivilbevölkerung tyrannisierenden und verheizenden ukrainischen Nationalismus bekannten. Auch räumten sie mit gewissen Missverständnissen auf: „Die SPD ist seit ihrer Gründung vor 161 Jahren – bei allen historischen Irrungen und Wirrungen – immer eine Friedenspartei gewesen…“ (Zitiert nach: junge Welt vom 25. September 2024, S. 8.) Schön, dass das mal endlich so deutlich gesagt wird: Die Mitorganisation des Ersten Weltkrieges, der NATO-Invasion gegen Jugoslawien 1999 und schließlich des militärischen Stellvertreterkrieges gegen Russland ab 2022 durch die SPD – alles nur „historische Irrungen und Wirrungen“. Stimmt, wenn die SPD irrtümlicherweise mal keine Kriege führt, ja dann ist sie für den Frieden. Der den Krieg vorbereitet. Und wenn die SPD-Führung Krieg führt, bereiten andere SozialdemokratInnen den kommenden Frieden vor. Aber das SPD-Mitglied Stegner hatte es auf der Berliner Friedensdemonstration schwer, die deutsch-imperialistische Solidarität mit dem ukrainischen Nationalismus zu verteidigen. Dementsprechende Ausführungen gingen in Pfiffen und Buhrufen unter.

Neben den drei sozialdemokratischen Formationen BSW, Die Linke und SPD riefen auch die Deutsche „Kommunistische“ Partei (D„K“P) und die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) zu der nationalpazifistischen Demonstration für einen imperialistischen Frieden mit Moskau auf. Bei der D„K“P wundert das nicht, ist sie doch ein „kritischer“ Lautsprecher der Kreml-Melodie. Nun, die maoistische MLPD rief zwar zu der Demonstration auf, kritisierte aber auch: „Im Aufruf (gemeint ist der Demonstrationsaufruf der OrganisatorInnen, Anmerkung der AST) ist allerdings keine ausdrückliche Kritik am neuimperialistischen Russland oder an anderen neuimperialistischen Mächten wie dem faschistischen Iran enthalten, was die MLPD kritisch sieht. Bei aller Berechtigung des Hauptstoßes gegen NATO und Bundesregierung muss man sich zugleich gegen alle Imperialisten wenden.“ (www.rf-news.de/2024/kw39/mlpd-ruft-zur-beteiligung-an-der-friedensdemonstration-am-3-10-auf.)

Die MLPD ist nur der „kritische“ Schwanz des Nationalpazifismus. Und der angebliche „Hauptstoß“ gegen „die Bundesregierung“, die die Partei in dem Aufruf zur Berliner Friedensdemonstration gesehen haben will, ist kein revolutionärer Kampf gegen den deutschen Imperialismus. Nein, Berlin soll nach Meinung der führenden NationalpazifistInnen die Avantgarde des imperialistischen Friedens mit dem Kreml werden. Zwar behauptet die maoistische Partei gegen alle Imperialismen zu sein. Der Kampf gegen diese ist jedoch innerhalb nationalpazifistischer Demonstrationen unmöglich. Zu denen können zwar auch antipolitische SozialrevolutionärInnen hingehen, aber nur wenn sie den Nationalpazifismus hart kritisieren, jedoch niemals mitorganisieren. Das imperialistische Abschlachten und der bürgerliche Frieden innerhalb des Kapitalismus als dessen Quelle können nur durch das klassenkämpferisch-revolutionäre Proletariat beendet werden!

Nieder mit dem westlichen und russländischen Imperialismus sowie dem ukrainischen Nationalismus und deutschen Nationalpazifismus!

Hoch die antinationale Solidarität des Weltproletariats!

Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST)

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4. Der Anarchismus zwischen Individualismus, Liberalismus und Kommunismus https://astendenz.blackblogs.org/2024/10/01/4-der-anarchismus-zwischen-individualismus-liberalismus-und-kommunismus/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/10/01/4-der-anarchismus-zwischen-individualismus-liberalismus-und-kommunismus/#respond Tue, 01 Oct 2024 22:38:45 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=260 Wir heutigen SozialrevolutionärInnen stützen uns bei der Kritik an Marx und Engels als PolitikerInnen der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung auch kritisch auf Bakunin. Aber wenn wir Bakunin in der Auseinandersetzung mit Marx zustimmend zitieren, ist das nicht als Parteinahme für den Anarchismus misszuverstehen. In Deutschland, so schrieb Bakunin in Staatlichkeit und Anarchie, „unterwerfen sich die deutschen Arbeiter blind ihren Führern, während die Führer, die Organisateure der sozialdemokratischen deutschen Partei, sie weder zur Freiheit noch zur internationalen Brüderschaft führen, sondern unter das Joch des pangermanistischen Staates.“ (Zitiert nach: Rudolf Bahro, Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus, Verlag Tribüne Berlin, 1990, S. 47/48.)

Rudolf Bahro war früher mal oppositioneller Marxist gegen die SED-Parteidiktatur. Später vertrat dieser Mann sehr krude ökoidealistische Positionen, die auch ökofaschistische Bestandteile enthielten. Doch sein halbmaterialistisches Buch Die Alternative ist ein interessantes Werk. So schrieb Bahro zu Bakunins Kritik an der Sozialdemokratie: „Was Engels 1895 nicht ahnte, das stellte sich Bakunin 1873 fast leibhaftig vor, den ,Aufbruch‘ der deutschen Sozialdemokratie im Jahre 1914.“ (Rudolf Bahro, Die Alternative, a.a.O.,S. 48.)

Doch Bakunin sagte nicht nur die zukünftige Rolle der SPD als Instrument des deutschen Imperialismus voraus. Bahro schrieb: „Und so können wir heute mit ungläubigem Erstaunen in Marxens eigenem Exzerpt nachlesen, was Bakunin auf dem Grunde der marxistischen Theorie und Praxis gesehen haben wollte (MEW 18/603, 625, 628, 635 ff.). Bakunin hatte dort gesehen ,einen Despotismus der regierenden Minderheit, um so viel gefährlicher, als sie erscheint als Ausdruck des so genannten Volkswillens‘. ,Aber diese Minderheit, sagen die Marxisten‘, (Marx fragt dazwischen: Wo?), ,wird aus Arbeitern bestehen. Ja, mit Erlaubnis, aus gewesenen Arbeitern, aber die, sobald sie nur Repräsentanten oder Regierer des Volkes geworden sind, aufhören Arbeiter zu sein und sehn werden auf die ganze allgemeine Arbeiterwelt von der Höhe der Staatlichkeit; sie werden nicht mehr das Volk vertreten, sondern sich und ihre Ansprüche auf die Volksregierung‘. Diese ,intelligente und deswegen privilegierte Minderheit‘ werde regieren, ,wie wenn sie die wirklichen Interessen des Volkes besser begriffe als das Volk selbst‘. Man werde den Begriff ,wissenschaftlicher Sozialismus‘ zur Begründung solcher Ansprüche missbrauchen. Der so genannte Volksstaat Wilhelm Liebknechts, den er Marx zuschrieb, werde nichts anderes sein, ,als die sehr despotische Lenkung der Volksmassen durch (eine) neue und sehr wenig zahlreiche Aristokratie wirklicher oder angeblicher Gelehrten. Das Volk ist nicht wissenschaftlich, das bedeutet, es wird ganz und gar befreit werden von der Sorge um die Regierung, es wird ganz und gar eingeschlossen werden im regierten Stall‘. ,Da die Wissenschaft nicht allen zugänglich ist, werden die Wenigen alles leiten‘, so ,dass am andern Tag der Revolution (eine) neue gesellschaftliche Organisation gegründet werden muss nicht durch freie Vereinigung volkstümlicher Organisationen, Gemeinden, Amtsbezirke, Gebiete von unten nach oben…, sondern durch die diktatorische Gewalt jener gelehrten Minorität‘. (…)

Marx brach angesichts der Bakuninschen ,Regierung der Gelehrten‘ in den Ruf aus: ,quelle reverie!‘ – ,welche Phantasterei!‘ Er tat das, obwohl Bakunin gerade in diesem Punkt noch etwas konkreter phantasierte: Sie, die Marxisten, gründen, nachdem das Volk alle Macht in ihre Hände gegeben hat, ,eine einzige Staatsbank, konzentrierend in ihren Händen alle kommerziell-industrielle, ländliche und selbst wissenschaftliche Produktion, und sie teilen die Masse des Volkes in zwei Armeen: industrielle und agrikole unter dem unmittelbaren Kommando von Staatsingenieuren, die einen neuen privilegierten wissenschaftlich-politischen Stand bilden‘. Dieser letzte Ausdruck ist von frappierender Genauigkeit. Man musste wahrscheinlich Anarchist und Russe sein, um hinter der Autorität Marxens und seiner Lehre im Jahre 1873 den Schatten Stalins zu gewahren. Marx sah den Schatten nicht, konnte und wollte ihn nicht sehen.“ (Rudolf Bahro, Die Alternative, a.a.O.,S. 46-48.) Bakunin gebührt das Verdienst, den sozialreaktionären Charakter der marxistischen Parteipolitik klar benannt und hellsichtig vorausgesehen zu haben.

Allerdings waren Bakunins Vorstellungen von Geheimgesellschaften, in denen sich die SozialrevolutionärInnen organisieren sollten, ebenfalls sehr autoritär geprägt. Nach diesen Vorstellungen war zum Beispiel die militante Organisation des spanischen Anarchosyndikalismus FAI geformt. Diese sah sich gegenüber der anarchosyndikalistischen CNT als Eliteorganisation, welche über die ideologische Reinheit der Bewegung wachte. Der Anarchosyndikalismus hatte starke antipolitische und antiparlamentarische Tendenzen, also das woran es dem Marxismus mangelte. Und er verkörperte in seinen besten Zeiten – also vor dem Ersten Weltkrieg – auch wesentlich radikalere Formen des reproduktiven Klassenkampfes als die christlichen oder sozialdemokratischen Gewerkschaften. Aber der Anarchosyndikalismus verkörperte eben doch eine Ideologie und Praxis der globalen Gewerkschaftsbewegung. Gewerkschaften sind jedoch generell keine revolutionären Organisationen, sie sind der bürokratisch entfremdete Ausdruck des reproduktiven Klassenkampfes. Auch der Anarchosyndikalismus wurde zu einer Strömung des globalen Gewerkschaftsreformismus (siehe 1. Teil, Kapitel II.5).

Diese sozialreaktionäre Entwicklung des Anarchosyndikalismus wurde übrigens vom deutschen Anarchisten Gustav Landauer noch vor dem Ersten Weltkrieg vorausgesagt: „Das Buhlen um die Massen hat die französischen revolutionären Syndikalisten im Laufe der Jahre genauso heruntergebracht wie die Parlamentssozialisten.“ (Zitiert nach Hans Manfred Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918-1923, a.a.O., S. 18.) In der Tat wurde der französische Syndikalismus, verkörpert in der CGT, nach 1914 offen sozialreformistisch.

Allerdings war Landauer und der von ihm im Jahre 1909 gegründete Sozialistische Bund nicht in der Lage eine sozialrevolutionäre Alternative zu Parteimarxismus und Anarchosyndikalismus zu formulieren, wie auch in der Darstellung von Hans Manfred Bock deutlich wird: „Der Sozialismus soll nicht – wie Landauer es der ,verflachten‘ Sozialdemokratie vorwirft – in fatalistischer Weise erwartet, sondern er muss sofort begonnen werden. ,Nicht warten! Heißt unsere Losung. Keine Trennung mehr zwischen Zuständen der Gegenwart, Übergangsgärung und wunderbarer Zukunft.‘ (Sozialist, 1. Jg. [1909], Nr. 2.) Da die Verwirklichung des sozialistischen Ziels einer neuen Lebensform im großen Maßstabe des Proletariats als Klasse hier und jetzt nicht möglich zu sein scheint, gilt die Parole: ,Durch Absonderung zur Gemeinschaft!‘ (Sozialist, 1 Jg. [1909], Nr. 10.) In der Vereinigung weniger Gleichgesinnter ist die neue und bessere Form der Verbindung zwischen den Menschen realisierbar. Das kann die Form von Siedlungszellen annehmen (Artikel 9 des Sozialistischen Bundes); in ihnen geben die Pioniere des Sozialismus ,ein Vorbild der Gerechtigkeit und der freudigen Arbeit‘ (Artikel 11 des Sozialistischen Bundes). Die Siedlungsunternehmen sind für Landauer lediglich exemplarische Verwirklichungen des Sozialismus, ,nicht Mittel zur Erreichung des Zieles‘. In ihnen kann man zwar ,aus dem Kapitalismus austreten‘, nicht aber ihn abschaffen; dass ist erst durch die allmähliche Bekehrung der Menschen zum Sozialismus möglich. Sozialismus ist für Landauer immer im Werden begriffen; ,aller Sozialismus ist stets nur ein relativer Sozialismus und jede Generation hat ihre eigene Aufgabe im unendlichen Prozess der Verwirklichung einer freien Ordnung sozialer Gerechtigkeit‘. (Helmut Rüdiger, Ein freiheitlicher Sozialist, in: Gustav Landauer. Worte der Würdigung, Darmstadt o.J. (1950), S. 17.) In diesem Sinne ist der Kernsatz von Landauers politischer Theorie zu verstehen, dass nämlich Sozialismus ,zu jeder Zeit und bei jedem Stand der Technik möglich (sei), wenn eine genügende Anzahl Menschen ihn wollen, die vom Geiste der Gerechtigkeit erfüllt sind‘. (Zitiert nach Helmut Rüdiger, Ein freiheitlicher Sozialist, a.a.O., S. 16.) Diese extrem voluntaristische, sämtliche objektiven Bedingungen gesellschaftlicher Transformation eliminierende Definition, die (…) geschichtlich als Reaktion auf die ,kautskyanische‘ Ausformung des Marxismus zu verstehen ist, wurde zum unermüdlich wiederholten Grundsatz der FAUD-Propaganda (Anmerkung von Nelke: die FAUD war die anarchosyndikalistische Gewerkschaft in der Weimarer Republik nach dem Ersten Weltkrieg).“ (Hans Manfred Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918-1923, a.a.O., S. 18/19.)

Wir sehen hier deutlich die theoretischen Schwachstellen von Landauers anarchistischer Ideologie-Produktion. Zunächst ist hier sein extremer Subjektivismus, der von allen objektiven Voraussetzungen der sozialen Befreiung abstrahiert. Dann war da die Ideologisierung der kleinbürgerlichen Siedlungsunternehmen. Durch Absonderung entstehen nur Nischen für alternative KleinbürgerInnen innerhalb des Kapitalismus. Aber mit richtigem Instinkt hatte Landauer die Schwachstelle des sozialdemokratischen Parteimarxismus herausgefunden: das fatalistische Warten auf den „Sozialismus“, so lange nämlich bis die Produktivkräfte reif für ihn waren. Und so lange betrieb die SPD kleinbürgerlichen Sozialreformismus – bis die Revolution kam und sich die Sozialdemokratie als konterrevolutionär erwies. Das ist die Erfahrung mit der Sozialdemokratie und dem Anarchosyndikalismus, die uns verallgemeinern lässt: Die strukturellen ReformistInnen von heute werden die KonterrevolutionärInnen von morgen sein!

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Der promarktwirtschaftliche Anarchokapitalismus und Individualanarchismus bringt den Individualismus der bürgerlichen Marktsubjekte ideologisch zum Ausdruck. Auch ProletarierInnen sind als VermieterInnen ihrer Arbeitskraft auf den Arbeitsmärkten und als KundInnen der Konsumgütermärkte kleinbürgerliche Marktsubjekte und Konkurrenzindividuen. Das klassenkämpferische Proletariat überwindet ansatzweise als kollektive Solidargemeinschaft den Konkurrenzindividualismus. Ganz überwunden kann er nur möglicherweise durch die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats.

Demgegenüber schwankte der kommunistische Anarchismus des Intellektuellen Erich Mühsam hilflos zwischen kleinbürgerlichen Individualismus und dem kollektiven Klassenkampf des Proletariats. Erich Mühsam distanzierte sich vom individualistischen Anarchismus, der jede gesellschaftliche Organisation ablehnt. So schrieb Mühsam: „Entschiedene Abgrenzung aber ist geboten gegenüber den nur individualistischen Anarchisten, die in der egoistischen Steigerung und Durchsetzung der Persönlichkeit allein das Mittel zur Verneinung des Staates und der Autorität erblicken und selbst den Sozialismus wie jede allgemeine Gesellschaftsorganisation schon als Unterdrückung des auf sich selbst ruhenden Ich zurückweisen. Sie schließen die Augen vor der naturgegebenen Tatsache, dass der Mensch ein gesellschaftlich lebendes Wesen ist und die Menschheit eine Gattung, in der jedes Individuum auf die Gesamtheit, die Gesamtheit auf jedes Individuum angewiesen ist. Wir bestreiten die Möglichkeit und auch die Wünschbarkeit des vom Ganzen losgelösten Individuums, dessen vermeintliche Freiheit nichts anderes sein könnte als Vereinsamung, mit der Folge des Untergangs im sozial luftleeren Raum. Wir behaupten: niemand kann frei sein, solange es nicht alle sind. Die Freiheit aller aber und damit die Freiheit eines jeden setzt voraus die Gemeinschaft im Sozialismus.“ (Erich Mühsam, Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Was ist kommunistischer Anarchismus?, Verlag Klaus Suhl, Berlin, S. 10.)

So weit so gut. Aber auch der kommunistische Anarchismus Erich Mühsams ist nicht frei von kleinbürgerlichen Individualismus. So verherrlichte Mühsam den bürgerlichen Individualismus der am kleinen Privateigentum klebenden BäuerInnen in einer solchen Art und Weise, die auf sozialrevolutionäre ArbeiterInnen nur höchst befremdlich wirken kann. Mühsam brachte den kleinbürgerlichen Anteil seiner Theorie so auf den Punkt: „Der Bauer, soweit er nicht schon als Ausgebeuteter, dem Großgrundbesitz und der Staatskasse Verschuldeter oder auch selbst zum kapitalistischen Ausbeuter Erniedrigter dem bäuerlichen Naturgefühl entfremdet ist, hat Heimatliebe, weil er wirklich Heimat hat. Ein bestimmtes Stück Land umfängt ihn, ernährt ihn, ist ihm in Sorge und Freude vertraut; seine Arbeit verschmilzt mit seinem ganzen persönlichen Leben, seine Scholle ist sein Nest, die Natur, ganz gebunden an die Landschaft, ist sein Besitzgut, und von ihr hängt das Gedeihen oder das Misslingen seines Daseins ab. Der Bauer fühlt sich nicht als Eigentümer des Bodens, sondern als Besitzer; er sitzt darauf mit denen, die viel weniger seine machtunterworfene Familie als seine in gegenseitiger Verpflichtung verbundenen Helfer sind. Wohl hat das Priestertum auch in der Bauernschaft den Geist der Autorität hochzüchten können, so dass bei der Beharrlichkeit des bäuerlichen Denkens die Grundsätze des ehelichen Gebundenheit und der Vaterhoheit, zumal in einer geschickt gefädelten Verquickung mit den Regelungen des Familien- und Erbrechts die Welterneuerung auch auf dem Lande noch genügend Vorurteile der Macht zu überwinden haben wird. Dennoch hat hier der kommunistische Anarchismus nicht das unzugänglichste, sondern das dankbarste Feld seiner Zukunft zu erkennen.“ (Ebenda, S. 62.)

Ab einer bestimmten Stufe wird der Idealismus lächerlich. Mühsam hat in dieser Frage die Grenze weit überschritten. Was für eine grobe Idealisierung der „Idiotie des Landlebens“ (Karl Marx), die Jahrhundertelang aus Analphabetismus, religiöser Beschränktheit und schwerer körperlicher Arbeit bestand! Was für eine grobe Idealisierung der patriarchalen bäuerlichen Familie! Welche Blindheit gegenüber dem kleinbäuerlichen Privateigentum, das Mühsam so pathetisch verherrlicht! Kleines Privateigentum strebt im Allgemeinen dahin ein mittleres/großes zu werden. Und mittleres/großes Privateigentum ist undenkbar ohne Lohnarbeit. Eine Gesellschaft, die auf der Ausbeutung von Lohnarbeit beruht, kann nicht ohne Staat auskommen. Indem Mühsam sich geistig nicht über die kleinbürgerliche Warenproduktion erhebt, kann er sich auch geistig nicht vom Staat befreien.

Es ist kein Zufall, dass der Anarchist Mühsam die KleinbäuerInnen verherrlicht. Historisch gesehen ist der Anarchismus der radikalere Bruder des Liberalismus. Er ist die Ideologie der militanten KleinbürgerInnen, die ihr Privateigentum gegen die bedrohliche Konkurrenz, gegen das Großkapital verteidigen. Selbst der Anarchismus Erich Mühsams, der sich auch positiv auf den kollektiven proletarischen Klassenkampf bezog, konnte sich nicht ganz von diesem kleinbürgerlichen Ursprung abnabeln. Für uns ist das kleinbäuerliche Eigentum nichts, was sich lohnt zu verteidigen. Ganz im Gegenteil, für uns sind KleinbäuerInnen vor allen Dingen eine konservative soziale Schicht. Für Mühsam sah die Sache anders aus: „Jeder Bauer ist, ohne es zu wissen, Anarchist…“ (Ebenda, S. 63.) Hier wird kleinbürgerlicher Individualismus zum Grundbestandteil des Anarchismus erklärt und damit unsere materialistische Kritik bestätigt.

Während der Russischen Revolution vereinigte sich der Anarchismus in der Ukraine mit der Agrarbewegung der KleinbäuerInnen und LandproletarierInnen in Form der Machno-Bewegung (1918-1921). Diese Bewegung bestand vor allem aus einer Guerilla-Armee mit bäuerlich-landproletarischer Basis. Ihre führende Figur war Nestor Machno, ein anarchistischer Multifunktionär, um den auch ein Personenkult betrieben wurde. Die Machno-Bewegung kämpfte gegen den österreichisch-deutschen Imperialismus und gegen die einheimische monarchistische, demokratische und bolschewistisch-staatskapitalistische Reaktion. Mit der letzteren bildete sie teilweise Zweckbündnisse gegen die feudal-privatkapitalistische Konterrevolution – aber schließlich zerschlug das staatskapitalistische Lenin/Trotzki-Regime die Machno-Bewegung ultrabrutal und repressiv. Auch wenn sich heutige SozialrevolutionärInnen positiv auf den Kampf der Machno-Bewegung gegen alle seine Feinde beziehen können, so ist doch auch Kritik an ihren avantgardistischen und kleinbürgerlichen Tendenzen angebracht. Machno war ein anarchistischer Multifunktionär und unangefochtener Führer der ganzen Bewegung. Innerhalb vieler Variationen der anarchistischen Geschichtsbetrachtung wird diese bedenkliche Tendenz der herausragenden Bedeutung eines einzelnen Individuums kaum kritisch beleuchtet. So können wir die Machno-Bewegung kaum als eine sozialrevolutionäre Bewegung betrachten, die in ihrer eigenen Organisationsform die Politik aufgehoben hätte. Personenkult reproduziert politische Herrschaft und dass es einen Personenkult um Machno in dieser anarchistischen Bewegung gegeben hat, ist wohl kaum zu leugnen. Auch ist eine bäuerliche Guerilla-Armee – das trifft auch auf die marxistisch-leninistischen zu – mit ihrer militärischen Disziplin und getrennt vom industrieproletarischen Klassenkampf objektiv ein quasistaatlicher Apparat.

Als kleinbäuerlich-landproletarische Bewegung konnte die Machno-Bewegung aus sich heraus auch nicht aktiv gegen die Warenproduktion kämpfen, wie überhaupt die objektiven und subjektiven Bedingungen für eine revolutionäre Aufhebung der Warenproduktion in der damaligen Ukraine noch nicht gegeben waren. Die Bevölkerungsmehrheit, die ukrainischen BäuerInnen waren kleinbürgerliche PrivatproduzentInnen, die für sich selbst und für den Markt landwirtschaftliche Produkte herstellten. Das bäuerliche Kleineigentum bedeutete soziale Differenzierung. Auf der einen Seite KleinbäuerInnen, deren Land zu klein war, als dass es sie ernähren konnte. Das heißt, dass sie nebenher Lohnarbeit bei reicheren BäuerInnen leisten mussten, um zu überleben. Selbst wenn das Geld vorübergehend abgeschafft worden wäre, mensch also zum Naturaltausch zurückgegangen wäre, hätte die soziale Basis von Warenproduktion und Lohnarbeit, das bäuerliche Privateigentum noch bestanden. Und keine Kraft hätte damals die BäuerInnen massenhaft dazu bewegen können, freiwillig auf das Privateigentum an Boden zu verzichten. Und dieses kleinbäuerliche Eigentum hätte Ware, Geld, Kapital und Lohnarbeit reproduziert.

Die Machno-Bewegung war Teil der urwüchsigen Agrarbewegung innerhalb der Russischen Revolution. GutsbesitzerInnen wurden verjagt oder getötet, ihr Land aufgeteilt. Diese Bewegung half also dabei ganz viel bäuerliches Kleineigentum zu schaffen. Bäuerliches Kleineigentum kann aber keine Basis für eine klassen- und staatenlose Gesellschaft sein, da die kleinbürgerliche Produktionsweise schon embryonal die Lohnarbeit und damit auf der einen Seite Kapital und auf der anderen Proletariat erzeugt. Selbst wenn die Machno-Bewegung auch gegen den Bolschewismus militärisch gesiegt hätte, die soziale Differenzierung ihrer sozialen Basis hätte sie wahrscheinlich von innen zersetzt und zerstört. Auch wenn die ukrainischen BäuerInnen zu dieser Zeit vorwiegend für den unmittelbaren Bedarf produzierten und nur das landwirtschaftliche Mehrprodukt in den Austausch geriet, war doch das kleinbäuerliche Privateigentum die Basis für eine kleinbürgerliche Warenproduktion und damit auch die Grundlage für Kapital und Lohnarbeit in der Landwirtschaft.

Auch die Agrarkommunen, die am Rande der Machno-Bewegung von den ärmsten Schichten gegründet und später vom Bolschewismus zerschlagen wurden, hätten an dieser Entwicklung mit Sicherheit nichts ändern können, da sie nur Inseln im privatbäuerlichen Meer waren und Agrargenossenschaften unter solchen Bedingungen ökonomisch nichts anderes darstellen können als kleinbürgerlich-kollektive Formen der Warenproduktion. Für deren Überwindung waren in der damaligen Ukraine weder die objektiven noch die subjektiven Bedingungen herangereift.

Die Zerschlagung der Machno-Bewegung durch den „sowjet“-russischen Staatskapitalismus ist ein eindeutiger Beleg dafür. So lange das Proletariat noch nicht die objektive und subjektive Reife zu seiner sozialrevolutionären Selbstaufhebung besitzt, bestimmt der unerbittliche bürgerliche Konkurrenzkampf die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung. Der Große frisst ohne Erbarmen den Kleinen. Teil dieses gnadenlosen Konkurrenzkampfes ist die Unterwerfung des bäuerlichen Dorfes unter die kapitalistische Stadt. Die russische Bourgeoisie erwies sich in der russischen Revolution als zu schwach, um die Agrarrevolte zu unterdrücken und das Dorf der kapitalistischen Zivilisationsbarbarei zu unterwerfen. Deshalb wurde die Bourgeoisie von den Bolschewiki, welche sich auch sozialdemagogisch auf die russische BäuerInnenbewegung stützte, hinweggefegt. Doch die Bolschewiki waren trotz ihrer „kommunistischen“ Ideologie nur die staatskapitalistische Lösung der Krise des russischen Staates. So unterwarf sich der sowjetische Staatskapitalismus das bäuerliche Dorf. In der Ukraine auf imperialistische Weise durch den Einmarsch der Roten Armee und die brutale Zerschlagung der Machno-Bewegung.

Sowohl die progressiven als auch die kleinbürgerlichen Tendenzen der Machno-Bewegung kommen in dem Buch ihres aktiven Mitkämpfers und späteren Historikers, Peter A. Arschinoff, zum Ausdruck. Wobei die kleinbürgerlichen Tendenzen der Bewegung in Geschichte der Machno-Bewegung nur durch kritisches Lesen zum Ausdruck kommen. Obwohl Arschinoff selbst von industrieproletarischer Herkunft und ein militanter Klassenkämpfer war, verschmolz er so stark mit der kleinbäuerlich-landproletarischen Machno-Bewegung, dass er deren kleinbürgerliche Tendenzen kaum noch wahrnahm. Die avantgardistischen Tendenzen reproduzierte Arschinoff geradezu unkritisch. An vielen Stellen seines Buches über die Machnobewegung formuliert Arschinoff sehr avantgardistisch, so dass nicht die KleinbäuerInnen und LandprletarierInnen als handelnde Subjekte erscheinen, sondern als Objekte des Organisationstalentes von Machno. Er betrieb in seinem Buch auch einen manchmal nur schwer ertragbaren Personenkult um Machno.

Nach der sozialreaktionären Zerschlagung der Machno-Bewegung durch den Bolschewismus musste auch Arschinoff in das westeuropäische Exil gehen. Dort verschärften sich seine avantgardistischen Tendenzen, die von seinen anarchistischen Gegnern als „Anarchobolschewismus“ bezeichnet wurden. Nach und nach zersetzte sich seine sozialrevolutionäre Einstellung. Er wurde von Depressionen und Heimweh geplagt. In den 1930er Jahren schrieb er antianarchistische Schriften und ging in die staatskapitalistische Sowjetunion zurück. Dort wurde er während der Säuberungen 1937 hingerichtet.

Bei aller Kritik an den kleinbürgerlichen Tendenzen der Machno-Bewegung und seines Geschichtsschreibers, die antipolitischen und antidemokratischen Tendenzen des Anarchismus brachte Arschinoff sehr gut auf den Punkt: „Der Anarchismus seinerseits lehnte die Demokratie als eine der Formen der Staatlichkeit ab; er lehnte auch die politische Revolution als Mittel zu deren Begründung ab.“ (Peter A. Arschinoff, Geschichte der Machno-Bewegung, Unrast Verlag, Münster 1098, S. 40.)

Welch eine Klarheit und revolutionäre Konsequenz im Verhältnis zur Demokratie! Für viele heutige linke KleinbürgerInnen ist Anarchie „direkte Demokratie“! Diese sozialreaktionäre Tendenz lässt und ließ nicht wenige AnarchistInnen in der Ukraine und in Belarus als erbärmlicher Schwanz der Liberaldemokratie agieren. Ukrainische AnarchistInnen verklärten die sozialreaktionäre Bewegung auf dem Maidan, die von prowestlichen DemokratInnen und faschistischen UltranationalistInnen angeführt wurde, zur „Revolution“. Diese „Revolution“ mündete 2014 jedoch nur im Sturz des Janukowitsch-Regimes und der Errichtung einer prowestlichen Regierung. Bei der Reproduktion des Staates. Zum Teufel mit dem libertären Schwanz der Bourgeoisie und des westlichen Menschenrechts-Imperialismus, den einige „AnarchistInnen“ bilden! Nicht nur in der Ukraine, sondern auch n Belarus. Während wirkliche SozialrevolutionärInnen sowohl das Lukaschenko-Regime als auch die liberaldemokratische und prowestliche Opposition in diesem Land bekämpfen.

Nehmen wir uns an den progressiven Tendenzen von Arschinoff ein Beispiel. Kritisieren wir scharf den Parteimarxismus und die Demokratie – einschließlich ihres „anarchistischen“ Schwanzes –, aber verbinden wir sie mit der revolutionärsten Tendenz des Marxismus, der materialistisch-dialektischen Geschichtsbetrachtung, die keinen Raum lässt für eine idealistische Verklärung der kleinbäuerlich-landproletarischen Machno-Bewegung.

Da wo die AnarchistInnen gegen die materialistisch-dialektische Gesellschaftsanalyse – die selbstverständlich von marxistischen Dogmen gereinigt werden muss – anschreiben, wird es sehr idealistisch. So schrieb der anarchosyndikalistische Ideologe Rudolf Rocker: „Das geistige Leben des Menschen wird nie ausschließlich oder auch nur hauptsächlich durch seine Zugehörigkeit zu einer besonderen Klasse bestimmt… Was die meisten Menschen einer sozialen Bewegung näher bringt, sind nicht die unmittelbaren Ergebnisse des modernen Wirtschaftslebens, sondern ein beleidigtes Gerechtigkeitsgefühl, dass sich gegen diese Verhältnisse auflehnt.“ (Zitiert nach Red Devil, Zur Kritik der Arbeiterbewegung, des Marxismus und der Linken, Bibliothek des Widerstandes, Lübeck 2004, S. 53.)

Total falsch! Das Bewusstsein von Klassen wird hauptsächlich von ihrer Stellung in den Produktionsverhältnissen geprägt. Auch das Gerechtigkeitsgefühl. Dieses ist bei Bourgeoisie und ProletarierInnen völlig gegensätzlich. Die großen WirtschaftsmanagerInnen organisieren die Ausbeutung der LohnarbeiterInnen und kassieren dafür verdammt hohe Gehälter. Das müssen sie natürlich sozialpsychologisch ausblenden, um funktionieren zu können. Also sind sie in ihrer Ideologieproduktion, falsches Bewusstsein, wie es aber notwendig aus dem sozialen Sein hervorgeht, verantwortlich für den Erhalt der Arbeitsplätze (=Ausbeutungsplätze) der Lohnabhängigen. Und wenn sie Leute zur Profitmaximierung entlassen „müssen“, dann tun sie das selbstverständlich nur, um die restlichen Arbeitsplätze erhalten zu können. Natürlich kostet auch die Organisation des kapitalistischen Ausbeutungsprozesses viel Kraft und Nerven. Damit rechtfertigen die ManagerInnen ihre hohen Gehälter, die natürlich in ihren Augen „gerecht“ sind. Viele ProletarierInnen finden dies nun wiederum überhaupt nicht gerecht. Nicht wenige finden ihre Löhne ungerecht niedrig. Einige finden es deshalb sehr gerecht, wenn sie kleinere Produktionsmittel und Produkte aus dem kapitalistischen Betrieb in ihren eigenen Haushalt umverteilen. Ihr Gerechtigkeitsgefühl kollidiert mit dem geschriebenen und gefühlten Recht der Bourgeoisie, dass das kapitalistische Eigentum an Produktionsmittel sanktioniert und rechtfertigt. Die KapitalistInnen wiederum finden diese proletarische Umverteilung überhaupt nicht gerecht. Da geben sie dem Pack so tolle Arbeitsplätze – und werden zum Dank auch noch bestohlen.

Wir sehen an diesem kleinen Beispiel, wie sich das Gerechtigkeitsgefühl von Bourgeois und klassenkämpferischen ProletarierInnen aufgrund ihrer unterschiedlichen Stellung im Produktionsprozess grundlegend unterscheidet. Das ihre jeweilige Ethik eine Klassenethik ist. Und es ist absolut falsch, wenn Erich Mühsam behauptet: „Jede Erklärung, was Gerechtigkeit sei, erübrigt sich. Denn das Vermögen, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, ist eine dem Menschen von Natur innewohnende Gabe.“ (Zitiert nach Red Devil, Zur Kritik der Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 54.) Das Gerechtigkeitsempfinden ist als Teil der Ethik kein Produkt der Natur, sondern der sozialen Verhältnisse der Menschen. Was Gerechtigkeit und was Unrecht ist, wird von den untereinander konkurrierenden Marktsubjekten und gegeneinander kämpfenden Klassen völlig unterschiedlich empfunden.

Übrigens fand es der anarchosyndikalistische Ideologe Rudolf Rocker sehr „gerecht“, während des Zweiten Weltkrieges, der von allen Seiten ein imperialistisches Abschlachten war, für den Kriegseintritt der USA zu trommeln. Ob die Angehörigen der zivilen Opfer des US-Imperialismus im Zweiten Weltkrieg das auch so „gerecht“ fanden?! Die überaus reichliche Ausdünstung von Moral hinderte viele kleinbürgerliche AnarchistInnen nicht daran, die kapitalistische Zivilisationsbarbarei mit zu organisieren. Rudolf Rocker war ein kleinbürgerlicher Ethiker einer angeblich über den Klassen stehenden Moral. Und ein Mitproduzent eines antifaschistischen Moralismus, der durch die Unterstützung des US-Imperialismus im Zweiten Weltkrieg über Leichen ging. KleinbürgerInnen produzieren kleinbürgerliche Moral. Im Fall Rockers war die überaus reichliche Moralausdünstung mit der massenhaften Leichenproduktion des Kapitalismus kompatibel. Er stellte seine Ethik in den Dienst des US-Imperialismus. Später passte er sich dem demokratischen Antikommunismus an, der mit einer revolutionären Kritik des Leninismus nicht das Geringste zu tun hat.

Der Anarchismus ist keine revolutionäre Alternative zum Parteimarxismus. Das lässt sich wunderbar am Buch Leuchtfeuer in der Karibik. Eine libertäre Betrachtung der kubanischen Revolution von Sam Dolgoff aus dem Jahre 1983 erkennen. Das Buch enthält nützliche Informationen über das staatskapitalistische Castro-Regime, aber eine materialistische und revolutionäre Kritik an ihm stellt es nicht dar. Während es für die marxistische und nachmarxistisch-kommunistische Kritik an den „sozialistischen“ Staaten am zentralsten ist, deren kapitalistischen Charakter nachzuweisen, fällt das oben genannte Buch durch eine unglaublich seichte und abstrakte „Freiheits“-Rhetorik auf. Liberal und libertär klingt nicht nur ähnlich vom Begriff her, sie sind auch geistesverwandt. Der Anarchismus ist letztendlich lediglich der radikalere Zwillingsbruder des Liberalismus, seine kommunistischen Tendenzen waren und sind viel zu schwach und unreif.

So lesen wir in dem Buch schon in der Einleitung folgendes idealistisches Freiheitsgedöns über Kuba: „Kubas gegenwärtiger ,Sozialismus‘ unterscheidet sich von der humanistischen und libertären Werten eines wirklichen Sozialismus wie die Tyrannei von der Freiheit.“ (Sam Dolgoff, Leuchtfeuer in der Karibik. Eine libertäre Betrachtung der kubanischen Revolution, Libertad Verlag, Westberlin 1983, S. 9.) An dem Zitat wird der Idealismus des Anarchismus deutlich. Es wird nicht materialistisch der nationalkapitalistische Charakter des kubanischen „Sozialismus“ analysiert, sondern idealistisch die Nichtübereinstimmung der materiellen Verhältnisse auf Kuba mit irgendwelchen kleinbürgerlichen Idealen – die übrigens allesamt privatkapitalistisch-demokratischen Ursprungs sind – festgestellt und es werden leere Freiheitsphrasen gedroschen. Und der kapitalistische Charakter Kubas und anderer „sozialistischer Staaten“ wird nicht klar erkannt: „…durch nichts unterscheidet sich das kubanische Militär von den Armeen der kapitalistischen und sozialistischen Großmächte.“ (Ebenda, S. 45.) Hier wird ein falscher Gegensatz zwischen privatkapitalistischen und angeblichen „sozialistischen Großmächten“ aufgemacht.

Und was bietet das Buch für Alternativen? Die Verwaltung der Industrie durch die Gewerkschaften statt durch den Staat, also Gewerkschaftskapitalismus statt Staatskapitalismus. Freiwillige GenossInnenschaften statt staatsförmige Zwangskollektive in der Landwirtschaft, erstere sind aber auch nur kleinbürgerlich-kollektive Formen der Warenproduktion. Gewerkschaftskapitalismus und kleinbürgerlich-kollektive Warenproduktion im Rahmen des demokratischen Staates – genau dies organisierte bekanntlich der Anarchosyndikalismus als struktureller Linksnationalist im spanischen BürgerInnenkrieg (siehe das Kapitel II.4 im 1. Teil). Und genau dieses Beispiel wird auch in dem Buch über Kuba hochgehalten. Die abstrakte „Freiheit“, mit dem der Autor Sam Dolgoff hausieren geht, entpuppt sich also konkret als bürgerliche, die „libertäre Betrachtung“ als anarchistischer Schwanz des privatkapitalistisch-demokratischen Antikommunismus.

Selbst kommunistische AnarchistInnen waren zu einer wirklichen revolutionären Kritik an der Warenproduktion unfähig. Proletarische RevolutionärInnen bekämpfen die asoziale Ware-Geld-Beziehung als verdinglichte menschlich-gesellschaftliche Erscheinung und reagieren sich nicht am Ding Geld beziehungsweise an den Banken ab. Unser nachmarxistischer und nachanarchistischer Kommunismus hat den negativen Geldfetischismus, der teilweise auch vom kommunistischen Anarchismus betrieben wurde, überwunden. Kritisieren wir den negativen Geldfetischismus im kommunistischen Anarchismus. Unter anderem zeigte die erste Phase der Bayerischen „Räterepublik“ (vom 7. bis zum 13. April 1919), dass die kommunistischen Anarchisten Mühsam und Landauer noch starke praktische und ideologische Berührungspunkte zum reaktionären wirtschaftsliberalen Flügel des Anarchismus hatten. So war in der ersten „Räterepublik“ der wirtschaftsliberale Anarchist Silvio Gesell mit Unterstützung von Landauer Mitglied der „Räteregierung“.

Der wirtschaftsliberal-anarchistische Silvio Gesell hatte nichts gegen die kapitalistische Warenproduktion an sich, als negativer Geldfetischist reagierte er sich am zinstragenden Bankkapital ab. Als ArbeiterInnen galten ihm fast alle Klassen und Schichten der kapitalistischen Gesellschaft, von den KönigInnen bis zu den HilfsarbeiterInnen – nur die von Kapitalzinsen Lebenden galten ihm als SchmarotzerInnen. Das war die alte Gegenüberstellung des „produktiven“ Kapitals, das in der Industrie und im Handel angelegt war, gegen das „schmarotzende“ zinstragende Kapital. Diese Ideologie, die nicht nur von Gesell produziert wurde, unterschlägt, dass im Kapitalismus nur das Proletariat und das KleinbürgerInnentum produktiv sind. Ersteres vermehrt durch dessen Arbeit das Kapital der Bourgeoisie. Der Zins, von dem einige Angehörige der Bourgeoisie leben, ist lediglich ein Teil des Mehrwertes, der durch die Ausbeutung des Proletariats entsteht. Auch unterschlug Gesell, dass es auch dem Industrie- und Handelskapital um die Vermehrung des Tauschwertes, also des Geldes, geht. Gießkannen, Panzer und pazifistische Bücher werden nur hergestellt, wenn ihre Produktion und Verkauf den KapitalistInnen mehr einbringen als das Ganze kostet. Allerdings verband Gesell seinen negativen Geldfetischismus nicht mit dem Antijudaismus, er stellte also das zinstragende Kapital nicht als „jüdisches“ dar. Total reaktionär war seine Ideologie trotzdem, weil sie die Quelle des kapitalistischen Geldreichtums, die Ausbeutung des Proletariats im Produktionsprozess, verdunkelte. Gesell war also ein Freund der kapitalistischen Warenproduktion und ein negativer Geldfetischist. Er kam auf die Idee ein „Schwundgeld“ oder „Knochengeld“ zu schaffen, das Geld sollte also aus einem Material geschaffen werden, das seine Substanz verlieren würde und deshalb nicht gehortet werden könnte…

Noch esoterisch-verblödeter war Gesells Freiland-Ideologie. Damit schuf er eine richtig reaktionäre Schollen- und Heimatideologie. Im Gegensatz zu den industriellen Produktionsmitteln, die auch nach Gesells Ideologie Privateigentum bleiben sollten, sollte der Boden verstaatlicht werden und an die Menschen verpachtet werden. Es ist klar, dass die Menschen mit dem meisten Geld auch das meiste Land hätten pachten können…

Erich Mühsam schrieb später über Gesell: „Gesells Freiland-Lehre ist stark anfechtbar, seine Geldtheorie dagegen scheint berufen, nicht, wie er annahm das Wirtschaftsregulativ der freiheitlichen Gesellschaft zu werden, wohl aber das Übergangsverfahren vom kapitalistischen Währungssystem zum geldlosen Kommunismus zu ermöglichen.“ (Erich Mühsam, Ein Wegbahner. Nachruf zum Tode Gesells 1930, in: Klaus Schmitt (Hg.), Silvio Gesell. Marx der Anarchisten? Texte zur Befreiung der Marktwirtschaft vom Kapitalismus und der Kinder und Mütter vom patriarchalischen Bodenunrecht,Karin Kramer Verlag, Berlin 1989, S. 297.) Der letzte Satz ist natürlich Unsinn. Mühsam zeigt sich hier als negativer Geldfetischist, der sich am Ding Geld abreagiert, anstatt darüber nachzudenken wie die verdinglichten Tauschverhältnisse der Warenproduktion, also die Ware-Geld-Beziehung durch eine klassen- und staatenlose gesamtgesellschaftliche Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel aufgehoben werden kann (siehe Kapitel V.4).

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Auch war und ist der Anarchismus in seinen Hauptströmungen nicht konsequent antinational. Bakunin war während der Revolution von 1848/49 kein antinationaler Gegenspieler von Marx und Engels, sondern ein panslawisch-linksnationaler. Der kommunistische Anarchist Kropotkin nistete sich nach der Februarrevolution von 1917 in das entstehende und rasch verfaulende russische demokratische Regime ein und verteidigte dieses auch linksnationalistisch im Ersten Weltkrieg, den die DemokratInnen weiterführten. Zuvor hatte er sich schon im Jahre 1914 nationalistisch auf die Seite Frankreichs im imperialistischen Krieg gegen Deutschland gestellt. Auch nahm der Anarchosyndikalismus im spanischen BürgerInnenkrieg eine sozialreaktionär-linksnationalistische Haltung ein (siehe Kapitel I.6 im 1. Teil).

Selbst der kurdische Linksnationalist Öcalan knüpfte ideologisch an den Anarchismus an. Der Marxismus-Leninismus war durch die Transformation des globalen Staatskapitalismus in den Privatkapitalismus nicht mehr zeitgemäß. Wikipedia schreibt über die aktuelle Ideologie-Brühe, die Herr Öcalan in türkischer Haft zusammenpanschte: „In den letzten Jahren lässt er sich durch Murray Bookchins Konzept des confederalism zum sogenannten Demokratischen Konföderalismus inspirieren. Weitere Inspirationsquellen sind Immanuel Wallerstein, Fernand Braudel, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno.“ (Wikipedia, Stichwort Abdullah Öcalan.) Das ist eine krude Mischung aus Linksliberalismus und libertär weichgespülten Marxismus und Anarchismus, die nichts anderes als eine ideologische Kapitulation gegenüber Privatkapitalismus und Demokratie als Staatsform bedeutet – aber gerade deshalb beim kleinbürgerlich-linken Publikum im Westen gut ankommt. Demokratischer Konföderalismus in der Türkei bedeutet nichts anderes, als dass die KurdInnen innerhalb des türkischen Nationalstaates eine Art Unternation bilden sollen. Doch das Einigeln in bestehende Nationalstaaten ist nicht weniger sozialreaktionär wie die Gründung von neuen. Sozialrevolutionär ist nur die Vorbereitung der möglichen weltweiten Zerschlagung aller Nationalstaaten.

Herr Öcalan strebt also für die Türkei etwas an, was die kurdischen NationalistInnen im Nordirak und in Nordsyrien sich im 21. Jahrhundert schon faktisch-praktisch erkämpft haben: die nationale Autonomie mit unterstaatlichen Strukturen innerhalb anderer bestehender Nationalstaaten. Im Irak nutzte der kurdische Nationalismus 2003 den imperialistischen Konflikt zwischen den USA und dem Saddam-Hussein-Regime um sich eine nationale Autonomie im sich neuformierenden irakischen Staat zu erobern. Beim imperialistischen Sturz des Hussein-Regimes diente sich der irakisch-kurdische Nationalismus den USA als Verbündeter an, dafür bekam er seine eigene politisch-territoriale Spielwiese zugewiesen. Auch im syrischen BürgerInnenkrieg (ab 2011) gelang es dem kurdischen Linksnationalismus im Bündnis mit dem US-Imperialismus autonome staatliche Strukturen innerhalb des Nationalstaates Syrien aufzubauen. Auch AnarchistInnen gehören zu den linken UnterstützerInnen des syrisch-kurdischen Linksnationalismus. Dieser ist entgegen dem „antikapitalistischen“ Geschwätz seiner linken Lautsprecher eindeutig privatkapitalistisch-prostaatlich. Die syrisch-kurdischen BerufspolitikerInnen haben lediglich die Förderung von GenossInnenschaften als kleinbürgerlich-kollektiver Form der Warenproduktion als Nische im Weltkapitalismus versprochen. Doch das reicht linken KleinbürgerInnen, um internationalistisch den kapitalistischen kurdischen Linksnationalismus zu unterstützen…

Große Teile des Anarchismus in der Ukraine zeigten während des Angriffskrieges des russischen Imperialismus auf dieses Land ab dem 24. Februar 2022, wie chauvinistisch-nationalistisch verblödet sie sind. Sie verteidigten den ukrainischen Staat sowie den NATO-Imperialismus und organisierten auf diese Weise diesen Stellvertreterkrieg mit.

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3. Marx/Engels zwischen Kapitalismuskritik und nationalkapitalistischer Politik https://astendenz.blackblogs.org/2024/08/27/3-marx-engels-zwischen-kapitalismuskritik-und-nationalkapitalistischer-politik/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/08/27/3-marx-engels-zwischen-kapitalismuskritik-und-nationalkapitalistischer-politik/#respond Tue, 27 Aug 2024 12:42:53 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=252 Die beiden bürgerlichen Intellektuellen Marx und Engels – von ihrem sozialen Biotop her waren und blieben Marx und Engels ein Leben lang bürgerliche Intellektuelle, das ist keine Denunziation, sondern eine nüchterne Feststellung – schufen zwischen 1844 und 1848 die Grundlage dessen, was mensch heute Marxismus nennt. Sie nannten es „wissenschaftlichen Kommunismus“. Das war und ist von den MarxistInnen als Abgrenzung zum utopischen ArbeiterInnenkommunismus gemeint. Nun, wir heutigen nachmarxistischen und nachanarchistischen KommunistInnen kritisieren die Wissenschaft grundsätzlich als bürgerlich-elitäres Bewusstsein – was natürlich nicht heißt, dass wir alle theoretischen Forschungsergebnisse von ihr ablehnen würden – und streben ihre revolutionäre Aufhebung in einer hochentwickelten Allgemeinbildung einer klassen- und staatenlosen Gesellschaft an. Der Marxismus stellte geschichtlich ein höheres Niveau der Kapitalismus-Kritik dar. Er knüpfte ideengeschichtlich am utopischen ArbeiterInnenkommunismus an, aber auch am naturwissenschaftlichen Materialismus und an der idealistischen Dialektik Hegels. Aus den Letztgenannten schufen er eine Synthese, nämlich die materialistisch-dialektische Weltbetrachtung als revolutionäre Denkmethode, auf der auch seine Analyse und Kritik des Kapitalismus fußte. Die Schaffung der Grundlagen der materialistisch-dialektischen Denkmethode ist das bleibende Verdienst von Marx und Engels, an der auch wir nachmarxistischen und nachanarchistischen KommunistInnen kritisch-schöpferisch anknüpfen. Allerdings muss diese Denkmethode von marxistischen Dogmen gereinigt werden. Dies wurde durch die Praxis notwendig und möglich.

Dazu gehört auch eine materialistisch-dialektische Kritik des Marxismus. Diesen sehen wir als eine wichtige Etappe der Entwicklung des modernen Kommunismus an, der aber aufgrund seiner Unreife auch antikommunistische Tendenzen hatte und schließlich in Form des Marxismus-Leninismus und Trotzkismus in staatskapitalistischen Nationalismus umschlug. Schon bei Marx und Engels hatte der „proletarische Internationalismus“ eindeutig linksnationale Tendenzen, ja war objektiv Teil des bürgerlichen Internationalismus.

Zur konsequenten Bekämpfung der bürgerlichen Nationalstaaten braucht mensch ein antipolitisches, antinationales und antikapitalistisches Bewusstsein. Alle drei bilden ein untrennbares Dreieck der sozialrevolutionären Theorie und Praxis. Nun, der Marxismus war in der Praxis nicht antipolitisch und antinational – und deshalb auch nicht wirklich antikapitalistisch. Aber es gab bei Marx in seinen Frühschriften gewisse antipolitische Tendenzen, die aber nicht zu seiner eigenen Praxis wurden und die der politische Parteimarxismus nur praktisch in den Dreck treten konnte. So schrieb Marx 1844: „Wo es politische Parteien gibt, findet jede den Grund eines jeden Übels darin, dass statt ihrer ihr Widerpart sich am Staatsruder befindet. Selbst die radikalen und revolutionären Politiker suchen den Grund des Übels nicht im Wesen des Staates, sondern in einer bestimmten Staatsform, an deren Stelle sie eine andere Staatsform setzen wollen.“ (Karl Marx, Kritische Randglossen, MEW Bd. 1, S. 401.)

Dies ist auch eine sehr gute Kritik am Parteimarxismus, der die sozialreaktionäre Tradition der Politik fortsetzte. Die marxistischen Parteien reproduzierten ein kleinbürgerliches BerufspolitikerInnentum, welches die Klassenspaltung der bürgerlichen Gesellschaft zum Ausdruck brachte, aber nicht überwinden konnte. PolitikerInnen müssen nach Macht streben, so wie KapitalistInnen nach Profit streben müssen. KapitalistInnen, die nicht nach Profit streben und diesen nicht zur Vermehrung des Kapitals verwenden, sondern diesen zum größten Teil in soziale Projekte investieren, können sich im Konkurrenzkampf mit anderen KapitalistInnen nicht lange behaupten. So ähnlich ist es auch mit PolitikerInnen, die in ihrem Geschäft noch zu sehr an Ideen und Zielen gebunden sind, die mit der Erringung und Erhaltung der politischen Macht nichts oder nicht viel zu tun haben – sie werden innerhalb ihrer eigenen Partei von den skrupellosen MachtopportunistInnen verdrängt.

Politik als staatsförmige Organisation der Industriegesellschaft reproduziert das Kapital und der Kapitalismus reproduziert die bürgerliche Politik in Form des Nationalstaates. Auch der sozialdemokratische und „kommunistische“ Parteimarxismus reproduzierte das Kapital. Die Sozialdemokratie des Westens schmiegte sich an eine starke Bourgeoisie an und wurde Teil der privatkapitalistischen Sozialreaktion. Dabei warf die Sozialdemokratie die marxistische Ideologie über Bord. Der Partei-„Kommunismus“ eroberte entweder selbständig in industriell unterentwickelten Ländern in Osteuropa und im Trikont oder auch in industriell entwickelten Gebieten (zum Beispiel Ostdeutschland) mit „Hilfe“ des sowjetischen Imperialismus die politische Macht. In diesen Nationen etablierte sich für eine gewisse Zeit der Staatskapitalismus. Der Marxismus-Leninismus wurde zur Herrschaftsideologie des Staatskapitalismus.

Aber die oben zitierte scharfe Kritik an der Politik von Marx ging auch schon in der eigenen Praxis und in der seines Freundes Engels als Politideologen der internationalen institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung (Bund der Kommunisten, Internationale Arbeiterassoziation, Sozialistische Internationale) verloren. Die Politik, die Marx und Engels betrieben, war objektiv nationalkapitalistisch, da im Industriezeitalter jede Realpolitik nur Nation und Kapital reproduzieren kann.

Schauen wir uns dies genauer an. Nachdem Marx und Engels die Grundlagen ihrer Theorie geschaffen hatten, gründeten sie Anfang 1846 in Brüssel das Kommunistische Korrespondenz-Komitee. Es verfolgte das Ziel ihren wissenschaftlichen Kommunismus zur führenden Ideologie der jungen Bewegung zu machen. Marx und Engels gelang es mit Hilfe dieser Organisation den Bund der Gerechten in den Bund der Kommunisten umzuformen. Diese praktisch-geistige Transformation stellte der Übergang vom utopischen ArbeiterInnenkommunismus zum Marxismus dar. Das Kommunistische Korrespondenz-Komitee übte einen immer größeren geistigen Einfluss auf den Bund der Gerechten aus. Am 30. März 1846 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Marx auf der einen und Weitling als Theoretiker des utopischen ArbeiterInnenkommunismus auf der anderen Seite. In diesem Streit kritisierte Marx auch den Putschismus Weitlings.

Dieser geistige Streit endete innerhalb des Bundes der Gerechten mit dem Sieg des wissenschaftlichen Kommunismus. Im Januar 1847 forderte dessen Zentrale in London Marx und Engels auf, dem Bund beizutreten und an dessen Reorganisation mitzuwirken. Marx und Engels traten bei. Er wurde 1847 in Bund der Kommunisten umbenannt. Dieser war wie sein Vorläufer eine internationale politische Organisation der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung. Sie stellte gewissermaßen den Beginn des marxistischen „proletarischen Internationalismus“ dar. Die von Marx geprägte Losung „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ wurde zum Kampfruf des Bundes der Kommunisten. Und diese Losung ist auch noch heute – wenn auch in viel reiferer Form – die Quintessenz des antinational-sozialrevolutionären Universalismus.

Doch beim Bund der Kommunisten war dies noch nicht antinational, sondern lediglich übernational gemeint. Der Marxismus war noch nicht antinational, sein Internationalismus war gleichzeitig ein Linksnationalismus. Im Marxismus entwickelte sich der dialektische Widerspruch zwischen einer materialistisch-dialektischen Kapitalismuskritik und einer staatskapitalistischen Ideologie-Produktion. Das von Marx und Engels Anfang 1848 geschriebene Manifest der kommunistischen Partei stellte ein staatskapitalistisches Programm dar. Dass der angeblich erste Schritt zur kommunistischen Aufhebung des Kapitalismus die politische Eroberung der Staatsmacht durch das Proletariat sei – was in Wirklichkeit nur die kapitalistische Produktionsweise reproduzieren konnte – übernahm der Marxismus vom politischen Flügel des utopischen ArbeiterInnenkommunismus: „Wir sahen schon oben, dass der erste Schritt in der Arbeiterrevolution die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie ist. Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, die Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staates, d. h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren.“ (Marx/Engels, Manifest der kommunistischen Partei, Dietz Verlag Berlin 1977, S. 66.) Also, als erste Etappe der sozialen Revolution die Verstaatlichung der Produktionsmittel – Staatskapitalismus!

Natürlich wollten Marx/Engels keinen Staatskapitalismus schaffen, sondern die Aufhebung der Lohnarbeit durch den Kommunismus erreichen. Und in diesem Kommunismus sollte es kein Staat mehr geben. Der Staat sollte nach der Revolution „friedlich“ absterben. Im Manifest hieß es: „Sind im Laufe der Entwicklung die Klassenunterschiede verschwunden und ist alle Produktion in den Händen der assoziierten Individuen konzentriert, so verliert die öffentliche Gewalt den politischen Charakter. Die politische Gewalt im eigentlichen Sinne ist die organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer anderen. Wenn das Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse vereint, durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse aufhebt, so hebt es mit diesen Produktionsverhältnissen die Existenzbedingungen des Klassengegensatzes, die Klassen überhaupt und damit seine eigene Herrschaft als Klasse auf. An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“ (Ebenda, S. 68.)

Marx und Engels veränderten auch ihre Auffassung vom Staat unter dem Einfluss der Pariser Kommune. Sie schrieben im deutschen Vorwort von 1872 zum Manifest der kommunistischen Partei: „Gegenüber der immensen Fortentwicklung der großen Industrie in den letzten fünfundzwanzig Jahren und der mit ihr fortschreitenden Parteiorganisation der Arbeiterklasse, gegenüber den praktischen Erfahrungen, zuerst der Februarrevolution und noch weit mehr der Pariser Kommune, wo das Proletariat zum ersten mal zwei Monate lang die politische Gewalt innehatte, ist dieses Programm heute stellenweise veraltet. Namentlich hat die Kommune den Beweis geliefert, dass ,die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und für ihre eigenen Zwecke in Bewegung setzen kann.‘ (Siehe Der Bürgerkrieg in Frankreich. Adresse des Generalrahts der Internationalen Arbeiter-Association (…) wo dies weiter entwickelt ist.)“ (Ebenda, S. 10.)

Diese Stelle ist aber nicht in dem Sinne misszuverstehen, dass Marx/Engels vollständig ihr altes reformistisches Programm zur Aufhebung des Staates über Bord geworfen hatten. So schrieb Marx 1875 in Kritik des Gothaer Programms: „Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen Gesellschaft in die andere. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts anderes sein kann, als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.“ (MEW, Bd. 19, S. 28.)

Die Theorie von Marx/Engels verbindet also eine grundsätzliche Staatsfeindlichkeit mit einer reformistischen Idee des Absterbens des Staates. Diese Theorie ist falsch. Denn der Staat ist ein hierarchisches Instrument, das vom Proletariat unmöglich beherrscht werden kann. Durch die staatliche Besitzergreifung der Produktionsmittel ergibt sich eine riesige Machtfülle für eine entstehende Staatsbourgeoisie. Doch Marx/Engels haben ihre Staatsfeindlichkeit subjektiv ehrlich gemeint. Sie lässt sich aber durch ihr reformistisches Programm nicht verwirklichen. Wir übernehmen von Marx/Engels die grundsätzliche Staatsfeindlichkeit, lehnen aber ihren Reformismus in dieser Frage ab.

Der marxistische „proletarische Internationalismus“ war also von Anfang an eine staatskapitalistische Variante des bürgerlichen Internationalismus als Interaktion der Nationen. Der Antikapitalismus war zwar von Marx und Engels subjektiv ehrlich gemeint, wurde aber objektiv zu einer Ideologie einer nationalkapitalistischen Politik.

Marx und Engels waren die geistigen Urgroßväter des nationalkapitalistischen „Sozialismus“. Sie waren aber auch dessen ersten Kritiker. Im zweiten Band von Kapital gab Marx folgende Erklärung für das „gesellschaftliche Kapital = Summe der individuellen Kapitale (inkl. der Aktienkapitale resp. des Staatskapitals, soweit Regierungen produktive Lohnarbeit in Bergwerken, Eisenbahnen etc. anwenden, als industrielle Kapitalisten fungieren)“. (Karl Marx, Das Kapital. Zweiter Band, Dietz Verlag Berlin 1975, S. 101.) Friedrich Engels schrieb im Anti-Dühring: „Aber weder die Verwandlung in Aktiengesellschaften noch die in Staatseigentum, hebt die Kapitaleigenschaft der Produktivkräfte auf.“ (Friedrich Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, in MEAW Bd. V., S. 305.) So kann die materialistische Dialektik mit Hilfe der revolutionären Tendenzen des Marxismus die „sozialistischen Länder“ als staatskapitalistisch analysieren.

Aber bereits das Agieren von Marx und Engels in Deutschland während der Revolution von 1848/49 war objektiv nationaldemokratisch-staatskapitalistisch, also sozialreaktionär. Marx/Engels hielten als bürgerliche Intellektuelle den Kapitalismus trotz aller Kritik an ihm für „fortschrittlich“ gegenüber dem Feudalismus. Doch der Kapitalismus war aus heutiger sozialrevolutionärer Sicht von Anfang an absolut sozialreaktionär. Indem der Marxismus den modernen, auf doppelt freier Lohnarbeit beruhenden Industriekapitalismus im Kampf gegen vorindustriekapitalistische Zustände unterstützte, wurde er latent sozialreaktionär. So als der von Marx und Engels geführte Bund der Kommunistenwährend der Revolution von 1848/49 gegen die Kleinstaaterei und den Fürstenabsolutismus im deutschen Sprachraum einen großdeutschen – also einschließlich der österreichischen Gebiete, wo vorwiegend deutsch gesprochen wurde – und parlamentarisch-republikanischen Nationalstaat mit Staatseigentum an Banken, Transportmitteln, Gruben und Bergwerken forderten. Marx und Engels forderten also einen bürgerlichen Staat, da nach ihrer richtigen Einschätzung in Deutschland die objektiven und subjektiven Bedingungen für eine siegreiche soziale Revolution noch nicht reif waren. So richtig wie diese Einschätzung auch war, so falsch war die Schlussfolgerung. Doch der Kommunismus war damals noch nicht reif für folgende Schlussfolgerung: SozialrevolutionärInnen müssen auch unter Bedingungen, die noch nicht reif für die soziale Revolution sind, konsequent gegen alle Klassengesellschaften und Staaten kämpfen. Vor der Isolation von allen bürgerlichen Kräften, in die sie dadurch geraten, dürfen sie keine Angst haben. Die Forderung nach einem deutschen, parlamentarisch-demokratisch-republikanischen Nationalstaat mit Staatseigentum an Banken, Transportmitteln, Gruben und Bergwerken war objektiv nationalkapitalistisch und sozialreaktionär.

In Frankreich war eine solche demokratisch-republikanische Staatsform Ergebnis der Februarrevolution von 1848. Und sie erwies sich von Anfang an als strukturelle Klassenfeindin des Proletariats. Im Juni 1848 organisierte die demokratische Republik in Frankreich ein Massenmord am klassenkämpferischen Proletariat. Marx und Engels verurteilten dies scharf, hielten aber an der Forderung nach einer demokratischen Republik für Deutschland fest. In der Revolution von 1848/49 erwies sich also der „proletarische Internationalismus“ des Bundes der Kommunisten in der Praxis als bürgerlicher Internationalismus, als Interaktion der Nationen. In Deutschland agierte er als eine nationaldemokratische Kraft. Der Bund der Kommunisten war in der politischen Praxis kleinbürgerlich-internationalistisch und linksnational, weil er noch nicht reif zu einer antinationalen Antipolitik – die auch wirklich antikapitalistisch gewesen wäre – war. Er war deshalb auch nicht wirklich sozialrevolutionär, sondern kleinbürgerlich-radikal. Der Bund der Kommunisten löste sich im Jahre 1852 auf.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich vor allem in Europa die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung als bürokratisch entfremdeter Ausdruck des reproduktiven Klassenkampfes im Rahmen des Kapitalismus. Die politischen „ArbeiterInnen“-Parteien und Gewerkschaften waren von ihrem Inhalt und ihren Formen her von Anfang an bürgerlich. Sie reproduzierten die Klassenspaltung des Kapitalismus in Form von bürgerlich-bürokratischen Partei- und Gewerkschaftsapparaten und einer weitgehend ohnmächtigen kleinbürgerlich-proletarischen Basis. Die Apparate der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung aus hauptamtlichen FunktionionärInnen sowie BerufspolitikerInnen und -ideologInnen bestand größtenteils aus kleinbürgerlichen Intellektuellen und ehemaligen Lohnabhängigen. Gewerkschaften wurden im 20. Jahrhundert durch das Tarifvertragssystem zu Co-Managerinnen der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnarbeit, während sozialdemokratische und „kommunistische“ Parteien als regierende Charaktermasken den Kapitalismus in privater und verstaatlichter Form reproduzierten.

Die sich im 19. Jahrhundert heraus entwickelnde institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung erwies sich im 20. Jahrhundert sozialreaktionär und konterrevolutionär. Sie war auch im 19. Jahrhundert nur in der Ideologie „revolutionär“, in der Praxis war sie sozialreformistisch. Gewerkschaften strebten praktisch eine Milderung der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnarbeit an, deren Aufhebung teilweise nur ideologisch. Doch ihre Apparate – einschließlich der anarchosyndikalistischen Gewerkschaften – integrierten sich in der Wirklichkeit immer stärker in den Kapitalismus. Die sozialdemokratischen Parteien betrieben in der Wirklichkeit einen parlamentarischen Sozialreformismus und integrierten sich in Westeuropa immer stärker in die Demokratie. Die kleinbürgerlichen BerufspolitikerInnen und -ideologInnen der Sozialdemokratie strebten in ihrer Mehrheit materiell und sozialpsychologisch danach großbürgerlich zu werden, das heißt nach der vollen Anerkennung durch die Bourgeoisie als deren politisches Regierungspersonal.

Marx und Engels waren Politideologen der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung. Sie reproduzierten ideologisch die Grenzen des reproduktiven Klassenkampfes und passten sich an den gewerkschaftlichen und parlamentarischen Sozialreformismus sowie das nichtrevolutionäre Bewusstsein der Mehrheit des Proletariats an. Sie kritisierten lediglich die gröbsten Auswüchse des gewerkschaftlichen und parlamentarischen Sozialreformismus, aber eben diesen nicht grundsätzlich. Im 19. Jahrhundert – also zur Wirkungszeit von Marx und Engels – hatte sich die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung noch nicht offen sozialreaktionär und konterrevolutionär erwiesen. Sie konnten also noch nicht Klassenkampferfahrungen theoretisch verallgemeinern, die den totalen Klassengegensatz zwischen Proletariat und institutionalisierter ArbeiterInnenbewegung offenlegten. Aber Marx und Engels passten sich ideologisch immer stärker an den Sozialreformismus an. Der vorgeblich „revolutionäre“ Marxismus wurde in der Praxis sozialreformistisch und der praktische Sozialreformismus der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung wurde teilweise ideologisch „revolutionär“, indem er sich zum Marxismus bekannte. Natürlich war der Marxismus nur eine Ideologie von vielen innerhalb der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung

Die globalen Partei- und Gewerkschaftsapparate strebten bereits im 19. Jahrhundert zur übernationalen Interaktion, zum Internationalismus. Doch dieser „proletarische Internationalismus“ der Partei- und Gewerkschaftsapparate war eben nicht antinational, sondern lediglich übernational. So wurde im Jahre 1864 von englischen GewerkschafterInnen und französischen EmigrantInnen in London die Internationale Arbeiterassoziation (IAA) gegründet. Marx wurde als Mitglied des vorläufigen Organisationskomitees eingeladen und er hatte entscheidenden praktischen Einfluss auf dieses.

Auch der „proletarische Internationalismus“ der Internationalen Arbeiterassoziation erwies sich in der politischen Praxis als bürgerlich-internationalistisch und linksnational. Zum Beispiel in seiner Haltung zum US-amerikanischen BürgerInnenkrieg (1861-1865). Die Internationale Arbeiterassoziation unterstützte in diesem die industriekapitalistischen Nordstaaten gegen die agrarkapitalistischen Südstaaten. Das war objektiv sozialreaktionär. Wirklich antinational-sozialrevolutionäre Kräfte hätten beide kriegführende Seiten gleichermaßen bekämpfen müssen. Gegen Sklaverei und Lohnarbeit! Indem die Internationale Arbeiterassoziation die Herausbildung der kapitalistischen Industrienation USA „kritisch“ unterstützte, war sie bürgerlich-internationalistisch und linksnational. Ihre führenden VertreterInnen – einschließlich von Karl Marx – schleimten sich bei Abraham Lincoln, der regierenden Charaktermaske der auf der Ausbeutung der Lohnarbeit beruhenden US-amerikanischen Industrienation, durch einen Brief, der zwischen dem 22. und 29. November 1864 geschrieben wurde, so richtig ein.

Und zum bürgerlichen Internationalismus der Internationalen Arbeiterassoziation passte auch ihr zunehmender parlamentarischer Sozialreformismus. In seiner Rede zum Kongress der Internationalen Arbeiterassoziation 1872 in Den Haag sagte Marx: „Der Arbeiter muss eines Tages die politische Gewalt ergreifen, um die neue Organisation der Arbeit aufzubauen… Aber wir haben nicht behauptet, dass die Wege, um zu diesem Ziel zu gelangen, überall dieselben seien… und wir leugnen nicht, dass es Länder gibt, wie Amerika, England, und wenn mir eure Institutionen besser bekannt wären, würde ich vielleicht noch Holland hinzufügen, wo die Arbeiter auf friedlichem Wege zu ihrem Ziel gelangen können.“ (Karl Marx, Rede über den Haager Kongress, in: MEW 18, S. 160.) Wenn sich das Proletariat sozial befreien will, muss es den Staat zerschlagen! Von dieser sozialrevolutionären Wahrheit war die Internationale Arbeiterassoziation meilenweit entfernt. Sie war objektiv eine bürgerlich-sozialreformistische, und damit eine sozialreaktionäre Kraft, die das Proletariat in die kapitalistische Politik zu integrieren half.

Marx orientierte als führender Politideologe der Internationalen Arbeiterassoziation auf die „politische Machteroberung durch die ArbeiterInnenklasse“. Doch die ArbeiterInnenklasse kann gar nicht die politische Macht erobern, dass konnten in der Praxis nur marxistische BerufspolitikerInnen im Namen, aber gegen die Interessen des Proletariats. Weil die politische Machteroberung nur die kapitalistische Produktionsweise reproduzieren kann. Der Streit zwischen den Parteimarxismen wurde später nur darum geführt, ob die politische Macht in Form von freien Wahlen oder durch Staatsstreiche beziehungsweise Guerillakriege erobert werden sollte. Und einige von marxistischen Politbonzen beherrschte Staaten verleibten sich dann alle industriellen Produktionsmittel ein und beuteten die Lohnarbeit aus. Der kommunistische Anarchismus und Anarchosyndikalismus waren und sind mit ihren Gewerkschaftsfetischismus, ihrer BäuerInnentümelei und ihrer Verherrlichung von genossenschaftlicher „Selbstorganisation“ im Rahmen von Kapital und Staat selbst stark von sozialreaktionären Tendenzen geprägt, aber den staatkapitalistischen Charakter des Marxismus kritisierten diese Strömungen schon früh und weitsichtig. Am politideologischen Streit zwischen Marx und Bakunin zerbrach auch die Internationale Arbeiterassoziation. Sie löste sich 1876 auf.

Im Jahre 1889 bildeten die sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften der verschiedenen Nationen die Sozialistische Internationale (auch Zweite Internationale) genannt. Friedrich Engels war der inoffizielle Chefideologe der Sozialistischen Internationale – und ihres Sozialreformismus. Der alte Engels kam immer mehr zu der „Erkenntnis“, dass die Eroberung des Staates Aufgabe der „ArbeiterInnenpartei“ sei – also eines bürgerlichen Wahlvereines. So schrieb er 1895 – auch unter dem Druck sozialdemokratischer Parteifunktionäre: „Mit dieser erfolgreichen Benutzung des allgemeinen Stimmrechts war aber eine ganz neue Kampfweise des Proletariats in Wirksamkeit getreten, und diese bildete sich rasch weiter aus. Man fand, dass die Staatseinrichtungen, in denen die Herrschaft der Bourgeoisie sich organisierte, noch weitere Handhaben bietet, vermittelst deren die Arbeiterklasse diese selben Staatseinrichtungen bekämpfen kann. Man beteiligte sich an den Wahlen für Einzellandtage, Gemeinderäte, Gewerbegerichte, man machte der Bourgeoisie jeden Posten streitig, bei dessen Besetzung ein genügender Teil des Proletariats mitsprach. Und so geschah es, dass Bourgeoisie und Regierung dahin kamen, sich weit mehr zu fürchten vor der gesetzlichen als vor der ungesetzlichen Aktion der Arbeiterpartei, vor den Erfolgen der Wahl als vor denen der Rebellion.“ (Friedrich Engels, Einleitung zu Karl Marx` Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850, in MEW Bd.7, S. 520.) Der parlamentarische Sozialreformismus des Marxismus war und ist objektiv antikommunistisch.

…..

Weiter oben haben wir geschrieben, dass die Schaffung der Grundlagen einer materialistisch-dialektische Weltbetrachtung – Natur, menschliche Gesellschaft und Erkenntnisentwicklung – sowie einer auf dieser fußenden Analyse und Kritik des Kapitalismus die bleibenden Verdienste von Marx und Engels waren. Hier wollen wir aufzeigen, dass der Marxismus von Anfang an auch nur eine inkonsequente Verwirklichung der materialistisch-dialektischen Gesellschaftsanalyse war. Es gab im Denken von Marx und Engels starke geschichtsidealistische und technokratische Tendenzen – also einen tendenziellen Rückfall in den naturwissenschaftlichen Materialismus der Bourgeoisie. Mit diesem wollen wir uns hier auseinandersetzen. Dabei werden auch die methodischen Unterschiede zwischen dem Marxismus und dem nachmarxistischen und nachanarchistischen Kommunismus deutlich.

So ist der Kommunismus für uns eine materiell verwurzelte Möglichkeit, die sich aus der radikalen Zuspitzung des Klassenkampfes in extremen Ausnahmesituationen ergeben kann (siehe Kapitel V.1). Für Marx war dies zu wenig. Für ihn war der Kommunismus eine automatische Gesetzmäßigkeit. So schrieben er und Engels: „Mit der Entwicklung der großen Industrie wird also unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst weggezogen, worauf sie produziert und die Produkte sich aneignet. Sie produziert vor allem ihre eigenen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich.“ (Karl Marx/Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, S. 474.) Im Kapital erhob Marx dann diesen Geschichtsdogmatismus vom angeblichen „gesetzmäßigen und unvermeidlichen Sieg der ArbeiterInnenklasse“ zu einer „Naturnotwendigkeit“: „Aber die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation.“ (Karl Marx, Das Kapital. Erster Band, Dietz-Verlag Berlin 1973, S. 791.)

Im Marxismus gab und gibt es auch starke technokratische Tendenzen. So sind viele MarxistInnen ganz begeistert von der Entwicklung der kapitalistischen Produktivkräfte, ohne die sozialen Folgen weiter zu betrachten. Auch hierin können sie sich auf Marx als Geschichtsphilosophen berufen. In seiner geschichtsphilosophischen Konstruktion hatte das Kapital die historische Mission die Produktivkräfte zu entwickeln. So schrieb er im 3. Band des Kapitals über den bürgerlichen Ökonomen Ricardo: „Was ihm vorgeworfen wird, dass er um die ,Menschen‘ unbekümmert, bei Betrachtung der kapitalistischen Produktion nur die Entwicklung der Produktivkräfte im Auge hat – mit welchen Opfern an Menschen und Kapitalwerten immer erkauft – ist gerade das Bedeutende an ihm. Die Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit ist die historische Aufgabe und Berechtigung des Kapitals. Eben damit schafft es unbewusst die materiellen Bedingungen einer höhern Produktionsform.“ (MEW 25, S. 269.) Durch diese technokratische Sichtweise verstieg sich Friedrich Engels während der Revolution von 1848/49 die imperialistische Eroberung großer Teile Mexikos durch die USA zu rechtfertigen, weil durch diese die kapitalistischen Produktivkräfte enorm weiterentwickelt wurden!

Diese technokratischen Tendenzen des Marxismus stehen im engen Zusammenhang mit seinen naiv fortschrittsgläubigen, geschichtsidealistischen und dogmatischen Bestandteilen. Wir wissen ja schon, dass bei Marx der Kommunismus so sicher war, wie der Morgen nach der Nacht. Mit einer solchen Ideologie einer naturnotwendigen Entwicklung der Gesellschaft wird die Kritik an den kapitalistischen Produktivkräften als Zerstörern der menschlichen und außermenschlichen Natur doch stark abgeschwächt. Das Kapital, welches Marx als Kritiker der politischen Ökonomie scharf kritisiert, bekommt bei ihm eine geschichtsphilosophische Mission – ähnlich wie das Proletariat. Das Kapital entwickelt die Produktivkräfte (dessen historische Mission) und die ArbeiterInnenklasse übernimmt diese und führt sich und die ganze Menschheit zum Kommunismus (die historische Mission des Proletariats). Jede Klasse hat also eine von der Geschichte klar vorgezeichnete Aufgabe. Der historische Materialismus wird zum Automatismus und das Kapital schafft technologischen Fortschritt, der naturnotwendig zum Kommunismus führt, seine Barbarei ist nur von kurzer Dauer. Der lebendige Mensch verschwindet hinter einer historisch vorgegebenen Entwicklung der Produktivkräfte. Der Glaube an „historische Missionen“ ist nicht weniger religiös als der an den heiligen Geist. Es gibt in der menschlichen Geschichte keine „objektiven Gesetzmäßigkeiten“ ohne subjektive Tat. Zwischen beiden gibt es sehr enge Wechselwirkungen. Eine objektive sozialrevolutionäre Möglichkeit wird ohne radikale subjektive Aktion nicht zum wirklichen sozialrevolutionären Prozess und ein subjektiver Wille zur sozialrevolutionären Veränderung wird ohne die dazu notwendigen objektiven Bedingungen nicht zur materiellen Gewalt.

Wir sehen also, dass sich das sozialdemokratische und partei-„kommunistische“ TechnokratInnentum auch zu Recht auf Marx berufen kann. Diese reaktionären Tendenzen des Marxismus waren im sowjetischen Marxismus-Leninismus sehr stark ausgeprägt und sie sind auch bei einigen LinksmarxistInnen festzustellen.

Wir sind radikale Kapitalismus-KritikerInnen aber keine Idealistinnen des „technologischen Fortschritts“. Dabei stehen wir in der Tradition der sozialrevolutionären Tendenz bei Marx. Denn Marx war noch immer der beste Kritiker von Marx. Wenn er auch verblendet war von seiner geschichtsphilosophischen Konstruktion, so erkannte er dennoch grundsätzlich, dass technologischer Fortschritt der Produktivkräfte nicht unbedingt mit sozialem Fortschritt verbunden sein musste, ja oft in der Entwicklung technologischer Fortschritt durch sozialen Rückschritt erkauft wurde. So schrieb er: „Erst wenn eine große soziale Revolution die Ergebnisse der bürgerlichen Epoche, den Weltmarkt und die modernen Produktivkräfte gemeistert und der gemeinsamen Kontrolle der am weitesten fortgeschrittenen Völker unterworfen hat, erst dann wird der menschliche Fortschritt nicht mehr jenem scheußlichen Götzen gleichen, der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte.“ (MEW 9, S. 226.) Was der Geschichtsphilosoph Marx verkleisterte und idealisierte, nahm der Marx als Kritiker der politischen Ökonomie schonungslos auseinander: „Jeder Fortschritt ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit (zugleich) ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. (…) Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (Karl Marx, Das Kapital Bd. 1, (1867) MEW Bd. 23, Dietz Verlag, Berlin 1988, S. 529/530.)

Marx mahnte einen schonenden menschlichen Umgang mit der Natur an, die im Kapitalismus nicht möglich ist, aber in einer klassenlosen Gesellschaft zu einer Selbstverständlichkeit gehören sollte: „Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias (gute Familienväter) den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.“ (Karl Marx, Das Kapital Bd. 3, (1894)MEW Bd. 25, Dietz Verlag, Berlin 1972, S. 784.) Wenn auch die Formulierung verdammt patriarchal rüberkommt, ist die Warnung vor menschlichem Größenwahn, sich über die Natur als ihr absoluter Beherrscher erheben zu können, heute aktueller als damals.

Friedrich Engels blies in das gleiche Horn: „Schmeicheln wir uns nicht zu sehr mit unseren menschlichen Erfolgen über die Natur. Für jeden solchen Sieg, rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andre, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben. Die Leute, die in Mesopotamien, Griechenland, Kleinasien und anderswo die Wälder ausrotteten, um urbares Land zu gewinnen, träumten nicht, dass sie damit den Grundstein zur jetzigen Verödung jener Länder legten, indem sie ihnen mit den Wäldern die Ansammlungszentren und Behälter der Feuchtigkeit entzogen. Die Italiener der Alpen, als sie die am Nordhang des Gebirges so sorgsam gehegten Tannenwälder am Südhang vernutzten, ahnten nicht, dass sie damit der Sennwirtschaft auf ihrem Gebiet die Wurzel abgruben; sie ahnten noch weniger, dass sie dadurch ihren Bergquellen für den größten Teil des Jahres das Wasser entzogen, damit diese zur Regenzeit umso wütendere Flutströme über die Ebene ergießen könnten. Die Verbreiter der Kartoffel in Europa wussten nicht, dass sie mit den mehligen Knollen zugleich die Skrofelkrankheit verbreiten. Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, dass wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand der außer der Natur steht – sondern dass wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn und dass unsre ganze Herrschaft über sie besteht, im Vorzug vorallen anderen Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.“ (Friedrich Engels, Dialektik der Natur, Dietz Verlag, Berlin 1952, S. 190/191.)

So weit so gut. Doch wie das bei Engels nun mal so war, folgte darauf ein Abschnitt, der nicht auf soziale Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse setzte, sondern auf die bürgerliche Naturwissenschaft: „Und in der Tat lernen wir mit jedem Tag ihre Gesetze richtiger verstehn und die näheren und entfernteren Nachwirkungen unsrer Eingriffe in den herkömmlichen Gang der Natur erkennen. Namentlich seit den gewaltigen Fortschritten der Naturwissenschaften werden wir mehr und mehr in den Stand gesetzt, auch die entfernteren Nachwirkungen wenigstens unserer gewöhnlichsten Produktionshandlungen kennen und damit beherrschen zu lernen. Je mehr dies aber geschieht, desto mehr werden sich die Menschen wieder als eins mit der Natur nicht nur fühlen, sondern auch wissen, und je unmöglicher wird jene widersinnige und widernatürliche Vorstellung von einem Gegensatz zwischen Geist und Materie, Mensch und Natur, Seele und Leib, wie sie seit dem Verfall des klassischen Altertums in Europa aufgekommen und im Christentum ihre höchste Ausbildung erhalten hat.“ (Ebenda, S. 191.) Doch dazu ist die soziale Revolution nötig. Die bürgerliche Naturwissenschaft hat nur zur Ausbeutung lohnabhängiger Menschen durch den Kapitalismus sowie zur weiteren Entfremdung zwischen Natur und selbstentfremdeten Menschen beigetragen.

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