bolschewismus – Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz https://astendenz.blackblogs.org Es lebe die Möglichkeit der klassen- und staatenlosen Weltgemeinschaft! Wed, 25 Dec 2024 23:37:30 +0000 de-CH hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 6. Der Rätekommunismus https://astendenz.blackblogs.org/2024/11/24/6-der-raetekommunismus/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/11/24/6-der-raetekommunismus/#respond Sun, 24 Nov 2024 13:03:47 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=278 Wie wir bereits im Kapitel III.5 schrieben, entwickelte sich bereits innerhalb der KAPD der parteifeindliche Kommunismus heraus. Diese verkörperte damals den geistigen und praktisch wirksamen Höhepunkt des marxistischen Denkens in Deutschland. Bereichert um die praktischen Erfahrungen der Revolution und Konterrevolution ab 1918 erkannte diese Strömung den allgemein bürgerlichen Charakter der politischen Parteiorganisation. Das war auch der Hauptstreitpunkt zwischen dieser Strömung und der KAPD-Mehrheit. Davon abgeleitet war es die Frage des Verhältnisses zwischen KAPD und der „Kommunistischen“ Internationale als Werkzeug des sowjetischen Imperialismus. Die parteifeindliche Strömung um Otto Rühle und Franz Pfemfert begann auch 1920 als erste radikalmarxistische Tendenz die bolschewistisch-staatskapitalistische Parteidiktatur in „Sowjet“-Russland zu kritisieren und lehnte im Gegensatz zur damaligen KAPD-Mehrheit den Beitritt zu der von Moskau beherrschten sozialreaktionären „Kommunistischen“ Internationale ab. Die Trennung des parteifeindlichen Kommunismus von der KAPD erfolgte im Oktober 1920. Doch die parteifeindliche Strömung wirkte noch ein Jahr in der mit der KAPD verbundenen AAUD, bevor sie sich im Oktober 1921 in Form der Allgemeinen Arbeiter-Union-Einheitsorganisation (AAUE) ihre eigene Organisation schuf.

Die Märzkämpfe in Mitteldeutschland im Jahre 1921 vertieften den Graben zwischen der KAPD und dem parteifeindlichen Kommunismus. Während der Märzkämpfe luden sich eine proprivatkapitalistisch-sozialdemokratische Polizeiprovokation und der Putschismus der „Kommunistischen“ Internationale als Arm des sowjetischen Imperialismus gegenseitig auf – und verheizten das klassenkämpferische Proletariat, mit dem Ergebnis von hundert toten ProletarierInnen. Im Dezember 1920 vereinigte sich der linke USPD-Flügel mit der „K“PD zur V„K“PD. Moskau glaubte nun, ein starkes politisches Instrument in der Hand zu haben, um auch in Deutschland ein staatskapitalistisches Regime installieren zu können. Der sowjetische Staatskapitalismus hatte gerade im März 1921 durch die Niederschlagung des Kronstädter Aufstandes die Russische Revolution konterrevolutionär beendet, spielte sich aber in Deutschland durch seinen Putschismus als Gralshüter der Weltrevolution auf. So beschoss die moskauhörige „Kommunistische“ Internationale im Frühjahr 1921 den Putschismus zur bestimmenden Politik der V„K“PD zu machen. Bernd Langer schrieb darüber, ohne den sozialreaktionären staatskapitalistischen Putschismus korrekt auf den Begriff zu bringen: „Um den Glauben an die Weltrevolution aufrecht zu erhalten und von den innenpolitischen Problemen abzulenken, brauchen die Bolschewiki ein revolutionäres Signal. Eine kommunistische Erhebung in Deutschland soll, unabhängig von ihrem Erfolg, die Fortführung der Weltrevolution dokumentieren. Eine ,Offensivstrategie‘ wird entworfen, nach der eine kommunistische Partei immer und unter allen Umständen verpflichtet ist anzugreifen. Sehr wahrscheinlich sind die Betreiber der deutschen Revolutionsidee im ,Kleinen Büro‘ des EKKI (Führung der „Kommunistischen“ Internationale, Anmerkung von Nelke) zu finden, zu denen Sinowjew, Bucharin und Radek gehören. Die bekannte Parteilinke Ruth Fischer schreibt dazu später, dass ,die Aktion in Deutschland… von einer kleinen Clique um Sinowjew und Bela Kun in der russischen Partei ausgeheckt worden war‘. (Ruth Fischer, Stalin and German Communism: A Study in the Origins of the State Party, mit einer Einleitung von Sidney B. Fay, Cambridge 1948, S. 174/175.)“ (Bernd Langer, Revolution und bewaffnete Aufstände in Deutschland 1918-1923, AktivDruck & Verlag, Göttingen 2009, S. 309.)

Der oben erwähnte ehemalige Oberbonze der ungarischen „Räterepublik“, Bela Kun, kam als Vertreter der „Kommunistischen“ Internationale nach Deutschland, um die V„K“PD in ihrem Putschismus anzutreiben. Der staatskapitalistische Putschismus Moskaus und der V„K“PD stützte sich auf die Provokationen der privatkapitalistischen Konterrevolution, welche die Klassenkämpfe in Mitteldeutschland zuspitzten. Die damalige preußische Provinz Sachsen, die dem heutigen Sachsen-Anhalt ohne Dessau und dem nördlichen Teil Thüringens entspricht, war damals ein Herd von Klassenkämpfen, wo auch (V)„K“PD, KAPD und die AAUD ihre Hochburgen hatten. So zählte die AAUD in den Leuna-Werken während der Zeit der Märzkämpfe 10.000 Mitglieder. Um dem klassenkämpferischen Proletariat Mitteldeutschlands eine entscheidende Niederlage zu bereiten, begann am 19. März 1921 der Einmarsch der preußischen Sicherheitspolizei (Sipo) in Mitteldeutschland. Die Gruben und Fabriken wurden unter polizeiliche Aufsicht gestellt.

Die mitteldeutsche V„K“PD schätzte richtig ein, dass der Einmarsch der Bullen bei der Mehrheit des lokalen Proletariats kein revolutionäres Sein und Bewusstsein hervorrief. Aber Moskau erwartete einen Aufstand! Also musste durch die „Offensiv“-Strategie dem Proletariat auf die Sprünge geholfen werden. Die Zentrale der V„K“PD schickte ihren erfahrenen Sabotage-Fachmann Hugo Eberlein ins mitteldeutsche Industrierevier. Um die Stimmung anzuheizen war von Eberlein unter anderem die Vortäuschung der Entführung von V„K“PD-FunktionärInnen, die Sprengung der Konsumgenossenschaft der ArbeiterInnen in Halle und das in die Luft jagen eines Polizei-Munitionswagens geplant. Dieser reaktionäre Putschismus, der mit der sozialrevolutionären Strategie der Verschärfung und Zuspitzung des reproduktiven Klassenkampfes nicht das Geringste zu tun hatte, scheiterte jedoch an der technischen Unvollkommenheit der V„K“PD.

Dass es überhaupt zum bewaffneten Kampf in Mitteldeutschland kam, ist dem militanten Arbeiter Max Hoelz zu verdanken. Hoelz wurde während des Kapp-Putsches von den „kommunistischen“ Bonzen wegen Mangel an Disziplin aus der „K“PD ausgeschlossen und hatte sich daraufhin der KAPD angenähert. Hoelz traf am 21. März 1921 in Mansfeld ein und begann sofort für den Generalstreik zu mobilisieren. Am folgenden Tag weiteten sich auch die Streiks in Mansfeld-Eisleben aus. Teilweise gingen bewaffnete Gruppen von ArbeiterInnen gegen Streikunwillige vor. Hoelz versuchte durch seine unermüdliche Aktivität das Proletariat in die Aktion hinein zu peitschen. In der Nacht zum 23. März wurde unter der Führung von Hoelz versucht, die von der Sipo davor verhafteten ArbeiterInnen in Eisleben zu befreien. Die von Hoelz geführten und unabhängig von der V„K“PD-Zentrale handelnden ArbeiterInnen holten ihre Waffen aus während des Kapp-Putsches angelegten Verstecken und griffen die Polizeihundertschaften an. Doch der Polizei gelang es ihre Position in Eisleben zu halten. Aber die Region befand sich jetzt im bewaffneten Aufstand. Selbst die lokale Zentrale der V„K“PD in Halle hatte keine Kontrolle über diese Kämpfe. Im Aufstandsgebiet Mansfeld-Eisleben kam es zu Reibereien zwischen der örtlichen V„K“PD und Max Hoelz. Letzterer organisierte selbstherrlich eine „Armee“, der zwischen 1.000 und 2.000 Kämpfer angehörten. Diese Armee wurde für die nächsten zehn Tage zum Schrecken der privatkapitalistischen Sozialreaktion: der GutsbesitzerInnen, der Bourgeoisie und der Bullen. Hoelz‘ Methoden waren Plünderungen und Bankraub, das Niederbrennen der Villen der Bourgeoisie und das Sprengen von Gebäuden, Eisenbahnzügen sowie diverser anderer Einrichtungen. Die privatkapitalistische Konterrevolution nutzte den bewaffneten Kampf, um am 24. März 1921 den nichtmilitärischen Ausnahmezustand über die preußische Provinz Sachsen und Hamburg zu verhängen.

Max Hoelz ließ sich von den Zentralen von V„K“PD und KAPD nicht reinreden. Er organisierte selbständig seine militärischen Operationen. Der Analyse von Hans-Manfred Bock ist nur zuzustimmen: „Die Agitation der VKPD und der KAPD trug zur Zuspitzung der Lage bei, aber die Führung der ausbrechenden Kämpfe lag nicht bei den Zentralen der beiden kommunistischen Parteien.“ (Hans Manfred Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918-1923, a.a.O., S. 301.) Die Berliner KAPD-Zentrale ließ sich von der V „K“PD in ihren Putschismus hineinziehen. Beide „kommunistische“ Parteien riefen unter Aufstands-Parolen am 24. März 1921 zum reichsweiten Generalstreik auf, dem jedoch nur 200.000 ArbeiterInnen deutschlandweit folgten. Diese mangelhafte Beteiligung am Generalstreik zeigte eindeutig, dass im März 1921 in Deutschland keine revolutionäre Situation bestand. Übrigens ist unsere Charakterisierung des staatskapitalistischen Putschismus nicht davon abhängig, ob putschistische Partei-„Kommunismen“ in Situationen handeln, die als revolutionär oder als nichtrevolutionär einzuschätzen sind. Es sind das Ziel, die politische Eroberung der Staatsmacht, und die dabei angewendeten politisch-militärischen Methoden, die das klassenkämpferische Proletariat zur Manövriermasse von Parteizentralen degradieren, die den Putschismus charakterisieren. Der Bolschewismus kam 1917 durch eine putschistische Strategie und Taktik in einer revolutionären Situation bei einer schwachen russischen Bourgeoisie an die Macht, V„K“PD und die Berliner KAPD-Zentrale scheiterten mit ihrem Putschismus im März 1921 in einer nichtrevolutionären Situation an der starken deutschen Bourgeoisie. Die schwersten Kämpfe fanden in Leuna zwischen dem 23. und 30. März statt, wo dem dortigen Proletariat von der privatkapitalistischen Sozialreaktion eine blutige Niederlage beigebracht wurde. Am 1. April besiegte die letztere bei Beesenstedt, einem Dorf zwischen Halle und Mansfeld, auch die 200 bewaffneten Arbeiter unter Führung von Max Hoelz. Am selben Tag verkündete die V„K“PD das Ende von ihrem kläglichen Generalstreik. Den letzten Grüppchen gelang noch eine bewaffnete Gegenwehr bis zum 3. April 1921.

Während die V„K“PD sich bald wieder vom Putschismus distanzierte und ihren parlamentarischen und gewerkschaftlichen Sozialreformismus reproduzierte – um dann zwei Jahre später einen noch eindeutigeren Putschismus zu betreiben –, stellte die Niederlage im März 1921 das Ende der KAPD als handlungsfähiger Partei dar und sie degenerierte endgültig zur politideologischen Sekte. In den Märzkämpfen von 1921 erwies sich die KAPD-Zentrale objektiv eindeutig als „kommunistisch“. Ihr putschistisches Verhalten bewies eindeutig die Richtigkeit der revolutionären Parteikritik. Sie ließ sich von Moskau und der V„K“PD in einen sozialreaktionären Putschismus hineinziehen. In den Märzkämpfen von 1921 setzte sich auch in der „K“APD endgültig der objektiv gegebene bürgerlich-reaktionäre Charakter der Parteiorganisation gegen die illusorische revolutionäre Subjektivität vieler ihrer Mitglieder durch. Parteien müssen als politische Organisationen danach streben, die Staatsmacht zu erobern. Da die „K“APD den Parlamentarismus ablehnte, blieb ihr nur der Putschismus zur Eroberung der politischen Macht. Die Eroberung der politischen Macht durch Parteien kann den Kapitalismus nur reproduzieren. Nur die antipolitische Zerschlagung des Staates, die zugleich die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats darstellt, vermag den Weg zur klassen- und staatenlosen Gesellschaft freizukämpfen. Während sich die KAPD in den Putschismus des sowjetischen Imperialismus, der „Kommunistischen“ Internationale und der V„K“PD hineinziehen ließ, kritisierte dies die parteifeindliche Strömung, die damals noch Teil der AAUD war, scharf.

Nachdem der radikalmarxistisch-parteifeindliche Flügel mit der KAPD gebrochen hatte, blieb er noch ein Jahr in der AAUD. Doch dieses Jahr war eines der erbittertsten Fraktionskämpfe zwischen den ParteifeindInnen und den KAPD-AnhängerInnen innerhalb der Union. Die Vorstellungen über die praktischen Aufgaben einer revolutionären Klassenkampforganisation waren zwischen den verschiedenen Fraktionen gar nicht so unterschiedlich. Was sie trennte, war die Haltung zur KAPD. Und so trennten sich die theoretisch klarsten und praktisch konsequentesten parteifeindlichen RevolutionärInnen um Otto Rühle und Franz Pfemfert im Oktober 1921 von der AAUD und bildeten die Allgemeine Arbeiter-Union-Einheitsorganisation (AAUE). Die AAUE verstand sich als antiparlamentarische und gewerkschaftsfeindliche revolutionäre Klassenkampforganisation. Antigewerkschaftlich bedeutete, dass sie Tarifverträge mit der Bourgeoisie und das Mitwirken in den gesetzlich-sozialpartnerschaftlichen Betriebsräten grundsätzlich ablehnte. Diese Grundhaltung wird auch heute noch vom bewusst antipolitischen Kommunismus geteilt. Im Geburtsjahr der AAUE waren die ArbeiterInnen- und Soldatenräte als Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats bereits von der Konterrevolution vernichtet. Aber es gab noch hunderttausende antiparlamentarisch und gewerkschaftsfeindlich eingestellte ProletarierInnen – und ebenfalls zehntausende parteifeindliche, die zur Massenbasis der AAUE wurden. Im Glossar des Buches von Marcel Bois, Kommunisten gegen Hitler und Stalin. Die linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik wird für das Jahr 1922 eine Mitgliedszahl der AAUE von 75.000 genannt (Berlin 2014, S. 535.) Bei Wikipedia können wir lesen: „Über die Mitgliederzahlen gibt es keine genaueren Angaben, die von Pfemfert genannten anfänglichen 60.000 Mitglieder dürften jedoch übertrieben gewesen sein.“ (Wikipedia, Stichwort: Allgemeine Arbeiter-Union-Einheitsorganisation.)

Aber die soziale Basis von zehntausenden revolutionären ProletarierInnen und Intellektuellen (neben Rühle und Pfemfert zum Beispiel der Dichter Oskar Kanehl und der bekannte Strafverteidiger in politischen Prozessen, James Broh) konnte die AAUE in der Phase der relativen Stabilisierung des deutschen Kapitalismus ab 1924 nicht erhalten. Nach dem endgültigen Sieg der Konterrevolution waren revolutionäre Klassenkampforganisationen eine objektiv-subjektive Unmöglichkeit. Jetzt konnten sich bewusste SozialrevolutionärInnen nur noch in kleinen Gruppen organisieren. Der heutige konsequent antipolitische Kommunismus nennt sie antipolitisch-sozialrevolutionäre Gruppen. In der Weimarer Republik hatten viele SozialrevolutionärInnen noch die Illusionen, dass sich bald wieder eine neue Revolution entwickeln würde. Die AAUE strebte das Aufgehen in einem neuen Rätesystem an. Doch real verlor sie ihre Massenbasis und spaltete sich in einzelne Richtungen und Gruppen auf.

Da entwickelte sich zum Beispiel die individualistische und organisationsfeindliche Heidenauer Richtung, die sich 1923 selbst auflöste. Außerdem entwickelte sich noch die opportunistisch-sozialreformistische Zwickauer Richtung, die für die Teilnahme an den gesetzlich-sozialpartnerschaftlichen Betriebsräten eintrat. Diese opportunistische Tendenz verließ 1923 die AAUE in Richtung der anarcho-reformistischen Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD, siehe 1. Teil, Kapitel II.5).

Rühle brach 1925 mit der AAUE, weil er sich opportunistisch an die Individualpsychologie anpasste, mit der er dem Proletariat das autoritäre Bewusstsein austreiben wollte. Er erkannte nicht, dass nur der Klassenkampf die kollektive Therapie des Proletariats vom autoritär-bürgerlichen Sein und Bewusstsein sein konnte. Die von bewussten RevolutionärInnen angewandte Psychologie kann dabei nur ein Hilfsmittel sein – nachdem sie vorher aus einer bürgerlichen Wissenschaft zu einem Teil einer revolutionären Theorie umgeformt worden ist. Revolutionär wirken kann die Psychologie nur als Sozialpsychologie und Bestandteil der materialistisch-dialektischen Weltbetrachtung. Rühles Individualpsychologie war zu schematisch, zu biologistisch und eben zu stark auf das Individuum zugeschnitten, um diesen Anspruch erfüllen zu können. Da die Mehrheit der AAUE berechtigterweise von Rühles Individualpsychologie nicht viel hielt, kam es 1925 zum Bruch. Rühle blieb auch nach diesem seinen rätekommunistischen Überzeugungen treu.

Franz Pfemfert, der 1925 in dem Konflikt mit Rühle noch auf der Seite der AAUE-Mehrheit stand, brach später ebenfalls mit dieser. Auch dieser Pionier des Rätekommunismus war den psychischen und geistigen Anforderungen an RevolutionärInnen nach dem Triumpf der Konterrevolution nicht gewachsen. So spaltete sich Pfemfert Ende der 1920er /Anfang der 1930er Jahre mit einem Teil der AAUE von dieser ab und verschmolz mit einer radikalen „K“PD-Abspaltung um Iwan Katz zum Spartakusbund II. Diese Organisation reproduzierte durch eine „kritische“ Wahlunterstützung der „K“PD wieder den Parlamentarismus und die opportunistische Anpassung an den Partei-„Kommunismus“, war also ein Ausdruck des geistigen Niederganges als einer Folge der siegreichen Konterrevolution.

Außerdem entwickelte sich in der AAUE eine „2. Zwickauer Richtung“ um die Wochenzeitungen Proletarischer Zeitgeist (Zwickau)und Von Unten Auf. Laut Wikipedia zeigte sie „Nähe zu anarchistischen Positionen und starke Intellektuellenfeindlichkeit. 1924 schloss sich dieser Organisation eine Gruppe ehemaliger KPD-Mitglieder um Ketty Guttmann und konnte sich bis zur teilweisen Zerschlagung während der Zeit des Nationalsozialismus halten. Die Hamburger Gruppe um Otto Reimers gab in der Illegalität bis Mitte 1934 den Mahnruf heraus, anderen lokalen Gruppen gelang es teilweise die NS-Zeit zu überdauern. (…) Versuche der Strömung um den Proletarischen Zeitgeist, nach 1945 in der Zwickauer Region die Organisation wieder herzustellen, wurde 1948 repressiv unterbunden, der leitende Aktivist der Gruppe, Willhelm Jelinek, starb 1952 unter ungeklärten Umständen im Zuchthaus Bautzen.“

Die progressivste Tendenz der AAUE war die rätekommunistische Frankfurt-Breslauer Richtung, die mit Otto Rühle im Kontakt blieb und im Jahr 1931 mit den Resten der AAUD – diese trennte sich 1929 von der niedergehenden KAPD – zur Kommunistischen Arbeiter-Union Deutschlands (KAUD) verschmolz. Diese rätekommunistische Organisation verfügte natürlich nicht mehr über eine proletarische Massenbasis wie die beiden ArbeiterInnenunionen in der revolutionären Nachkriegskrise. In nichtrevolutionären Zeiten können revolutionäre Organisationen nur wenige Mitglieder haben. So konnten nur wenige die Transformation von der einstigen revolutionären Klassenkampforganisation AAUD über die Spaltung und schließlich erfolgende Wiedervereinig zur KAUD mit vollziehen, die sich bewusst als Gruppe einer sozialrevolutionären Minderheit organisierte. Die KAUD hatte bei ihrer Gründung 343 Mitglieder. Diese Minderheit, welche die Kontinuität des revolutionären Bewusstseins auch in nichtrevolutionären Zeiten verkörperte, konnte natürlich nach der kampflosen Kapitulation des Proletariats in Deutschland gegenüber den Nazis, welche SPD und „K“PD 1933 organisierten, nicht mehr lange bestehen.

Diese Organisation stellte in der Haupttendenz eine revolutionäre Alternative zu Parteimarxismus und Anarchosyndikalismus dar. So heißt es in ihrer Schrift Was will die Kommunistische Arbeiter-Union (KAU)? aus dem Jahre 1932 völlig richtig: „Gewerkschaft und Partei sind historische Erscheinungsformen. Auf Grund ihrer organisatorischen Struktur müssen sie an einer bestimmten Stufe der kapitalistischen Entwicklung versagen, weil ihr Organisationssystem dem Kapitalismus entlehnt ist.“ Dazu ist noch zu sagen, dass auch die radikalsten Parteien (KAPD) und Gewerkschaften (I.W.W.) objektiv keine Organe der sozialen Revolution sein konnten, aber die reaktionärsten Parteien und Gewerkschafen der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung durchaus nicht versagten, sondern zumindest für eine längere Zeit hervorragend für die Kapitalvermehrung funktionierten und funktionieren.

Leider hatte die KAUD trotz ihrer Gewerkschaftskritik gewisse syndikalistische Tendenzen. So schlossen sich die KAUD und die IWW in Deutschland zu einem Kartell zusammen. Aus heutiger Sicht war es ein Fehler, dass die KAUD der anarchosyndikalistischen FAUD, die in den 1920er Jahren klar in ihrer Anpassung an die gesetzlichen Betriebsräte ihre sozialreformistisch-opportunistischen Tendenzen gezeigt hatte (siehe 1. Teil, Kapitel II.5), ein festes Bündnis „gegen Faschismus und Reaktion“ vorschlug, was die AnarchosyndikalistInnen aber ablehnten. Diese Bemühungen der KAUD zeigten jedoch deren Schwächen. Aus unserer heutigen Sicht geht eine Gruppe der sozialrevolutionären Minderheit, die die KAUD objektiv war, niemals feste Bündnisse mit marxistischen Parteien und anarchosyndikalistische Gewerkschaften ein. Die proletarischen Mitglieder von antipolitisch-sozialrevolutionären Gruppen nehmen natürlich am Klassenkampf teil, ohne sich an dessen reproduktiven Grenzen opportunistisch anzupassen (siehe Kapitel IV.2). Das Bündnisangebot an die FAUD zeigt deutlich, dass sich die KAUD nicht im ausreichenden Maße der Aufgabe von SozialrevolutionärInnen in nichtrevolutionären Zeiten bewusst war.

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1920/21 stellten sich keine bekannten SozialrevolutionärInnen der Niederlande auf die Seite der parteifeindlichen Strömung um Rühle und Pfemfert in Deutschland. Erst später, im Jahre 1927 begann sich mit dem Niedergang der KAPN (siehe Kapitel III.5) die Gruppe Internationaler Kommunisten (GIK) als klare parteifeindliche Strömung herauszubilden. Die GIK nannte damals die Organisation der SozialrevolutionärInnen „Arbeitsgruppe“ und lehnte den Parteibegriff klar ab, wenn auch diese Organisation sich noch nicht als antipolitische verstand. So schrieb das Gründungsmitglied der GIK Henk Canne Meijer: „Wenn mit dem Begriff ,Partei‘ der spezifische Herrschaftscharakter der Partei, die neuen Arbeitsgruppen aber gerade dagegen ihre Propaganda richten und auch, insofern sie ein politisches Programm haben, sich im völligen Gegensatz zu den bekannten Parteiauffassungen befinden, haben die neuen Arbeitsgruppen mit dem, was man unter ,Partei‘ versteht, so gut wie nichts gemein. Sie sind davon wesentlich verschieden und können darum nicht als Parteien angesehen werden. Wir nennen sie vorläufig Arbeitsgruppen und müssen es der weiteren Entwicklung überlassen, welchen Namen sie schließlich erhalten.“ (Henk Canne Meijer, Das Werden einer neuen Arbeiterbewegung, in: Anton Pannekoek/Willy Huhn/Henk Canne Meijer/Paul Mattick, Partei und Revolution, Karin Kramer Verlag o.J., Westberlin, S. 38.)

Während des Zweiten Weltkrieges hörte die GIK auf zu bestehen, aber einige ihrer Mitglieder waren in den linkskommunistischen Organisationen Marx-Lenin-Luxemburg-Front (MLLF) und Spartacus-Bund (ab 1944, siehe Kapitel III.5) aktiv. Durch den Communistenbond Spartacus wurde die klare Haltung des Rätekommunismus gegenüber der Partei als Organisationsform vorübergehend wieder aufgegeben. So war die größte geistige Errungenschaft der europäischen revolutionären Nachkriegskrise, nämlich die Erkenntnis, dass die Partei eine bürgerliche Organisationsform darstellt, durch den Sieg der Sozialreaktion danach für ein paar Jahre verlorengegangen.

Durch Paul Mattick (1904-1981) entwickelte sich der Rätekommunismus auch in den USA. Mattick wirkte in den 1920er Jahren in der KAPD und der AAUD mit – die Bedeutung der Kritik Rühles an der Parteiorganisation hatte er nie verstanden – und emigrierte Mitte der 1920er Jahre in die USA, wo er seinem leicht parteiförmigen und syndikalismusnahen, aber auch antileninistischen Rätekommunismus treu blieb. In den 1920er Jahren hielt Mattick auch in den USA die Kontakte zu der KAPD und der AAUD aufrecht. Er beschäftigte sich besonders mit der Kapitalismuskritik von Marx. Im Gegensatz zu den KonsumtionskrisentheoretikerInnen hielt er sein ganzes Leben daran fest, dass die Profitproduktion das Zentrum einer materialistischen Krisentheorie zu sein hat. Er war sich der großen Bedeutung der kapitalistischen Krisendynamik für den proletarischen Klassenkampf bewusst.

Gegen Ende der 1920er Jahre zog Mattick nach Chicago. Dort strebte er an, die verschiedenen deutschsprachigen ArbeiterInnenverbände zu vereinigen. Er war auch hochaktiv in der Arbeitslosenbewegung, die sich als Folge der Weltwirtschaftskrise entwickelte. Diese Bewegung wurde vom US-Staat durch brutale Repression und staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen des New Deal zerschlagen. Mattick wurde Mitglied der radikalgewerkschaftlichen Indsutrial Workers of the World (IWW). Er schrieb auch 1933 deren Programm Die Todeskrise des kapitalistischen Systems und die Aufgaben des Proletariats. Im Jahre 1934 gründete Mattick zusammen mit Freunden aus der IWW sowie den Ausgeschlossenen aus der leninistischen Proletarian Party die United Workers Party. Dies zeigte deutlich, dass Mattick den Parteimarxismus nicht hinter sich gelassen hatte. Doch durch Kontakte zur konsequent parteifeindlichen GIK in den Niederlanden, wurde diese Partei später in Group of Council Communists umbenannt. Aber bei Mattick gab es wahrscheinlich nie wirklich einen Bruch mit dem Parteimarxismus, wie auch Äußerungen von ihm nach dem Zweiten Weltkrieg nahelegen (siehe weiter unten in diesem Kapitel). Die Group of Council Communists gab in den 1930er Jahren die Zeitschrift International Council Correspondenze heraus, das war die US-amerikanische Parallele zu dem Organ Rätekorrespondenz der GIK. Auch der Linkskommunist Karl Korsch hatte enge Kontakte zu den US-amerikanischen RätekommunistInnen. Mattick stand mit Korsch seit 1935 in Kontakt. Nach dem Verschwinden des Rätekommunismus als organisierte Kraft in Europa benannte Mattick 1938 die International Council Correspondenze 1938 in Living Marxism und ab 1942 in New Essays um. Auch die Group of Council Communists überlebte den Zweiten Weltkrieg nicht. Mattick war auch als isolierte Einzelperson ein konsequenter Gegner des Eintritts der USA in den Zweiten Weltkrieg.

Dieser und der Kalte Krieg, der in den USA zu einem massiven Antikommunismus führte, isolierten Mattick zu einer radikalen Einzelperson. Er zog aufs Land und schlug sich durch Gelegenheitsjobs und seiner Tätigkeit als Schriftsteller durch. Paul Mattick begann sich ab den 1940er Jahren mit dem Ökonomen Keynes kritisch zu beschäftigen, der den wachsenden Staatsinterventionismus innerhalb des Privatkapitalismus ideologisierte. 1969 erschien Matticks sehr verdienstvolles Werk Marx and Keynes. The Limits of Mixed Economy, welches später auch auf Deutsch erschien. Mattick wies in diesem Buch nach, dass der Staatsinterventionismus nicht wirklich die Profitproduktionskrise eindämmen konnte, sondern diese im Gegenteil mit hervorbrachte, was die strukturelle Profitproduktionskrise in Nordamerika und Westeuropa ab 1974 bestätigte. Durch das kleinbürgerlich-radikale und proletarische 1968 – die StudentInnenbewegung und der radikalisierte Klassenkampf am Ende des kapitalistischen Nachkriegsaufschwunges – wurde auch Mattick aus seiner Isolation befreit.

Auch in den Niederlanden wurde der Rätekommunismus nach dem Zweiten Weltkrieg als eigenständige theoretische Strömung wiedergeboren. Im Dezember 1964 spalteten sich traditionelle Rätekommunisten wie Cajo Brendel, Theo Maassen und Jupp Meulencamp vom linkskommunistischen Spartacusbond (siehe Kapitel III.5) ab und gaben die theoretische Monatszeitschrift Daad en Gedachte heraus. Diese existierte bis Ende der 1990er Jahre. Cajo Brendel (1915-2007) wurde zu einem bedeutenden Theoretiker des Rätekommunismus, der sich Zeit seines geistigen Schaffens in den von Pannekoek geschaffenen Bahnen bewegte. Er hielt bis zu seinem Tod daran fest, dass die Partei- und Gewerkschaftsorganisation unvereinbar mit der proletarischen Selbstorganisation im Klassenkampf war. Allerdings fiel Cajo Brendel hinter der Position der KAUD und der GIK zurück, indem er die Bedeutung der bewusst revolutionären proletarischen Minderheiten und den von ihnen organisierten Gruppen immer weniger Bedeutung beimaß. Dagegen überschätzte er die Bedeutung von Spontaneität und Klasseninstinkt für den revolutionären Prozess auf geradezu groteske Weise. Mit Cajo Brendel starb der traditionelle Rätekommunismus als theoretische Strömung in den Niederlanden.

In Deutschland entwickelte sich Willy Huhn (1909-1970) nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem bedeutenden rätekommunistischen Theoretiker. Er war der Sohn eines deutschnationalen Polizeibeamten. Seine Familie wurde 1919 aus Metz ausgewiesen. Sie siedelte nach Berlin über. Dort arbeitete Willy Huhn als kaufmännischer Angestellter. Im Jahre 1929 starb sein Vater. Nach dessen Tod tat er das, was sein Vater davor verboten hatte: er wurde am linken Flügel der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung aktiv. Zunächst trat Huhn dem linkssozialdemokratischen Zentralverband der Angestellten bei, im Jahre 1930 dann der Jugendorganisation der SPD, der Jungsozialistischen Vereinigung Groß-Berlins. Die sozialdemokratischen Politbonzen lösten jedoch diese Organisation auf, da sie für die SPD zu radikale Positionen vertrat. Huhn wurde 1931 Mitglied der Linksabspaltung der SPD, der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD). Dort hatte er auch Kontakt zu den linkskommunistischen Roten Kämpfern, die am Ende der Weimarer Republik in SPD und SAPD wirkten (siehe Kapitel III.5).

Während des deutschen Faschismus wurde Huhn kurzzeitig 1933 und 1934 inhaftiert. Als Einzelgänger analysierte er während der Nazidiktatur die staatsinterventionistischen und staatskapitalistischen Tendenzen des Weltkapitalismus und dessen Subjekte Sozialdemokratie, Bolschewismus, Faschismus und Nationalsozialismus. Durch die Isolierung in feindlicher Umgebung, entwickelte sich Huhn allerdings während des Zweiten Weltkrieges in eine gefährliche Richtung. Diese bestand darin, dass er 1942 in für einen Freund geschriebenen Essay die angebliche „geschichtliche Notwendigkeit des Ostfeldzugs“ der Nazis rechtfertigte. Das war natürlich sozialreaktionär – genau wie die antifaschistische Kriegstreiberei des Kremlnahen Partei-„Kommunismus“. Wirkliche KommunistInnen mussten gegen alle Seiten des imperialistischen Gemetzels kämpfen. „Später war sich Huhn im Klaren, dass er der Nazi-Propaganda auf dem Leim gegangen war.“ (Felix Klopotek, Rätekommunismus. Geschichte – Theorie, Schmetterling Verlag, Stuttgart 2021, S. 152.)

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Willy Huhn in der SBZ und Westberlin ein bekannter rätekommunistischer Theoretiker. Bei Wikipedia können wir daüber lesen: „Nach 1945 schloss er sich zunächst unter Beibehaltung seiner rätekommunistischen Ansichten der KPD und 1946 der SED an und war bis 1948 als Lehrer und Leiter von Volkshochschulen in Ostberlin und Gera tätig. Nach seiner Übersiedlung nach West-Berlin 1948 arbeitete er am dortigen August Bebel Institut. 1951 wurde er wieder arbeitslos. 1954 wurde er aus der SPD, der er 1948 wieder beigetreten war, ausgeschlossen, da er deren Rolle in der Novemberrevolution kritisiert hatte. Von 1950 bis 1952 war er Chefredakteur der Zeitschrift Pro und contra. In den Jahren 1954/55 war er Mitglied im Arbeitsausschuss der Internationale der Kriegsdienstgegner (IDK). Danach schrieb er überwiegend in kleinen linkssozialistischen Periodika.

In den 1960er Jahren avancierte Huhn zusammen mit dem zwanzig Jahre jüngeren Michael Mauke zu einem Stichwortgeber und Mentor des dezidiert marxistischen Flügels des SDS. Willy Huhn zählt somit zu den ganz wenigen Personen, die die Verbindung zwischen der neuen Linken und dem radikalen Teil der alten Arbeiterbewegung der Weimarer Republik aktiv verkörperten (…). Zu Huhns Schülern gehörte Christian Riechers, der ab Ende der 60er Jahre als erster (west-)deutscher Antonio Gramsci-Forscher bekannt wurde. (Anmerkung von Nelke: Später näherte sich Riechers dem italienischen Linkskommunismus an.) Huhn erarbeitete für seinen Schülerkreis mehrere Dutzend Manuskripte, die sich verschiedenen zeitgeistigen Fragen (u.a. Deutschland und die Kriegsschuldfrage) und Aspekten der marxistischen Kritik (u.a. Marx und Engels zur polnischen Frage) widmeten. Diese Manuskripte kursierten als hektographierte Typoskripte. Stil und Arbeitsweise lehnte Huhn bewusst an die politischen Schriften von Karl Marx an (Herr Vogt, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, Der Bürgerkrieg in Frankreich). Exzerpte, kommentierte Zitatsammlungen, freie Explikation des Themas gehen bei Huhn ineinander über.

Huhn war ein Vertreter des revolutionären Defätismus: Er war ein unerbittlicher Kritiker des deutschen Nationalismus in allen Schattierungen, ohne sich positiv auf die West- oder Ost-Mächte zu beziehen.

Während der 1968er-Rebellion wurde Huhn von den Linken wegen seines großen Wissens bewundert, doch er stand der Bewegung auch kritisch gegenüber. Die Projektgruppe Räte im SDS (Mitarbeit u.a. Bernd Rabehl) ist maßgeblich von Huhn inspiriert worden. 1970 starb er nach längerer Krankheit.“ (Wikipedia, Stichwort Willy Huhn.)

Unsere Kritik an Huhn: Er war zwar ein scharfer Kritiker der Sozialdemokratie und des Bolschewismus, aber er lehnte die Partei nicht grundsätzlich als bürgerlich-bürokratische Organisation ab. Er war ja auch Mitglied der verschiedenen Parteien (in der Weimarer Republik SAPD, in der sowjetischen Besatzungszone „K“PD/SED und in Westberlin SPD) beziehungsweise hatte zu Beginn der 1930er Jahre Kontakt zu den Roten Kämpfern. Auch sein relativ starkes Engagement in der kleinbürgerlich-radikalen Studierendenbewegung von „1968“ – deren spätere marxistisch-leninistische Entartung in den 1970er Jahren alles andere als zufällig war, sondern Ausdruck des kleinbürgerlich-reaktionären Charakters der meisten Linksintellektuellen – muss aus revolutionärer Sicht kritisiert werden. Für Huhn stellte fälschlicherweise der Parteimarxismus einer Rosa Luxemburg eine revolutionäre Alternative zum Leninismus dar (siehe weiter unten in diesem Kapitel).

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Der Rätekommunismus in Deutschland, in den Niederlanden und in den USA war während der 1930er Jahren mit dem rechtsreaktionären Faschismus, dem linksreaktionären Antifaschismus und dem spanischen BürgerInnenkrieg konfrontiert. Er war leider in diesen Fragen nicht so klar und eindeutig wie der italienische Linkskommunismus (siehe Kapitel III.5).

So wandte Rühle den Faschismus-Begriff auch auf den leninistischen Partei-„Kommunismus“ an, wie mensch bei seiner Schrift Brauner und Roter Faschismus (veröffentlicht in: Gottfried Mergner, Otto Rühle: Schriften. Perspektiven einer Revolution in hochindustrialisierten Ländern, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1971, S. 8-71) schon am Titel unschwer erkennen kann. Den sowjetischen Staatskapitalismus und Stalinismus als „roten Faschismus“ zu bezeichnen, ist einfach eine sehr ungenaue Begrifflichkeit und gleichzeitig ein gefundenes Fressen für demokratische AntikommunistInnen sowie ihres libertär-anarchistischen Schwanzes. Und für stalinistische AntifaschistInnen gibt das Ganze auch ein willkommener Vorwand, um die revolutionäre Bolschewismus-Kritik mit bürgerlichem Antikommunismus auf eine Stufe zu stellen und ein großes moralisierendes Geschrei zu veranstalten, dass die RevolutionärInnen sie angeblich mit FaschistInnen gleichsetzen würden. Doch so etwas machen wir heutigen SozialrevolutionärInnen natürlich nicht. Für uns sind die nachstalinistischen Partei-„KommunistInnen“ selbstverständlich keine „roten FaschistInnen“, sondern ganz miese LinksreaktionärInnen. Obwohl Rühle sich des Unterschiedes zwischen dem im nationalsozialistischen Deutschland vorherrschenden Privateigentum an Produktionsmitteln und dem Staatseigentum in der Sowjetunion bewusst war, nannte er auch das Naziregime „staatskapitalistisch“. Das war eine falsche Begrifflichkeit. Der NS-Faschismus war eine Strömung des Staatsinterventionismus beziehungsweise Etatismus auf der Grundlage des Privateigentums. Staatskapitalistisch war die UdSSR, aber nicht der Faschismus.

Gänzlich auf dem analytischen Holzweg war Rühle mit seiner Schrift Weltkrieg – Weltfaschismus – Weltrevolution (veröffentlicht in: Gottfried Mergner, Otto Rühle: Schriften. Perspektiven einer Revolution in hochindustrialisierten Ländern, a.a.O., S. 73-175.) angekommen. Hier wird nicht nur die falsche Gleichsetzung von Staatskapitalismus und Faschismus fortgeführt, sondern auch völlig danebenliegend die besondere Entwicklung des faschistischen Italiens und des nationalsozialistischen Deutschlands auf den gesamten Privatkapitalismus verallgemeinert. Nach Rühle war die parlamentarische Demokratie die kapitalistische Staatsform der Vergangenheit und der Faschismus die der Gegenwart und der Zukunft. Er sah einen drohenden Weltfaschismus. Der antifaschistisch-reaktionären Verteidigung der Demokratie als kapitalistische Staatsform gegen den Faschismus durch die Liberalen, SozialdemokratInnen, StalinistInnen und TrotzkistInnen stellte er zwar den revolutionären Kampf gegen den Kapitalismus gegenüber, aber Rühle bekämpfte den reaktionären Antifaschismus mit dem falschen Argument, dass die kapitalistischen Demokratien von heute zwangsläufig die faschistischen Regimes von morgen wären und es keinen Sinn hätte, die Vergangenheit gegen die Gegenwart zu verteidigen. Die weltfaschistische Gegenwart ließe sich nur durch die weltkommunistische Zukunft bekämpfen. Das war extremer Schematismus, mit dem sich Demokratie und Faschismus als kapitalistische Staatsformen nur schwer bekämpfen ließen. Auch kleinbürgerlich-demokratische Tendenzen lassen sich in Rühles „Weltfaschismus“-Ideologe finden. Aus der richtigen Beobachtung, dass in Deutschland ohne Putsch, aber ganz rechtsstaatlich-legal die Demokratie in den NS-Faschismus transformiert wurde, schloss Rühle, dass dies auch in den anderen kapitalistischen Ländern so ähnlich laufen würde. So nannte er die repressiven Tendenzen in den kapitalistischen Demokratien „faschistisch“. Das ist die typische Manier aller kleinbürgerlichen DemokratInnen ihr unbeflecktes demokratisches Ideal gegen die massenmörderische Wirklichkeit der Demokratie als sozialreaktionäre kapitalistische Staatsform zu verteidigen. Die Gräueltaten der Demokratie werden als „undemokratisch“ und „faschistisch“ bezeichnet.

Wenn der globale Kapitalismus angeblich auf den „Weltfaschismus“ zu tendierte, selbst der Bolschewismus nichts anderes als „roter Faschismus“ darstellte, wozu dann noch den Antifaschismus als konterrevolutionäre Ideologie kritisieren? Paul Mattick besetzte diesen Begriff 1945 dann auch positiv und erklärte den Rätekommunismus zur Avantgarde des Antitotlitarismus: „Rühle zweifelte nicht daran, dass Totalitarismus für die Arbeiter schlimmer war als die bürgerliche Demokratie. Er hatte von Anfang an den bolschewistischen Totalitarismus bekämpft; er bekämpfte auch den deutschen Faschismus, aber nicht im Namen der bürgerlichen Demokratie, denn er wusste, dass über kurz oder lang die bürgerliche Demokratie in Faschismus oder Staatskapitalismus umschlüge.“ (Paul Mattick, Otto Rühle und die deutsche Arbeiterbewegung, in: Derselbe, Spontaneität und Organisation. Vier Versuche über praktische und theoretische Probleme der Arbeiterbewegung, Frankfurt am Main 1975,S. 36/37.)

Als erstes fällt hier die völlig schematische Gegenübersetzung von Demokratie und Totalitarismus auf. Für SozialrevolutionärInnen gibt es keinen Gegensatz zwischen Demokratie und Totalitarismus, weil auch in der Demokratie die Herrschaft der Ware-Geld-Beziehung über die menschlichen Bedürfnisse unumschränkt und totalitär ist, genauso wie die soziale Herrschaft des Kapitals über das Proletariat oder die Herrschaft der Politik über die gesamtgesellschaftliche Organisation. Der demokratische Totalitarismus ist lediglich geschickter und verschleierter als der „kommunistisch“-staatskapitalistische oder der faschistische/nationalsozialistische.

Diese falschen Ansichten Rühles über einen Weltfaschismus wurden damals auch von in der Illegalität agierenden deutschen RätekommunistInnen vertreten. Der bedeutendste Theoretiker des Rätekommunismus, Anton Pannekoek, trat dieser Ideologie vom Weltfaschismus scharfsinnig und konsequent entgegen. In der Schrift Staatskapitalismus und Diktatur (abgedruckt in: Anton Pannekoek, Arbeiterräte. Texte zur sozialen Revolution, Germinal Verlag, Fernwald (Annerod) 2008, S. 530-540) aus dem Jahre 1936 unterschied Pannekoek klar zwischen dem auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Staatsinterventionismus und dem Staatskapitalismus (Sowjetunion). Auch der falschen Verallgemeinerung, dass weltweit der Übergang von der Demokratie zum Faschismus bevorstehe, trat er bewusst entgegen.

Die praktische Probe des spanischen BürgerInnenkrieges, wo SozialrevolutionärInnen sowohl das antifaschistische Volksfront-Regime und den sowjetischen Imperialismus als auch die putschenden spanischen Generäle sowie den italienischen und deutschen Faschismus bekämpfen mussten, bestanden zwar Mattick und die Group of Council Communists in den USA, aber nicht die GIK in den Niederlanden. Mattick schrieb im Jahre 1937: „Die Volksfront ist nicht ein geringeres Übel für die Arbeiter. Es ist nur eine weitere Form der kapitalistischen Diktatur in Ergänzung zum Faschismus. Der Kampf muss gegen den Kapitalismus geführt werden.“ (Zitiert nach Red Devil, Widerworte – Gegen die kapitalistische Verfasstheit der Gesellschaft. Historische Texte, Bibliothek des Widerstandes, Lübeck 2010, S. 32.)

Allerdings verlor der niederländische Rätekommunismus teilweise die Orientierung und ihre US-amerikanischen GesinnungsgenossInnen kritisierten dies nicht in der notwendigen Schärfe. Die Groups of Council Communists gaben ab 1934 die International Council Correspondence heraus. In dieser Zeitung war auch ein Artikel der holländischen RätekommunistInnen, der GIK, abgedruckt, der teilweise gegenüber der antifaschistischen Sozialreaktion kapitulierte. So hieß es in dem Text zwar, dass die proletarische Revolution nur „siegreich sein kann, wenn sie international ist“, andernfalls werde sie „mit Waffengewalt niedergeworfen oder durch die imperialistischen Interessen deformiert werden“, aber eben auch: „Die spanischen Arbeiter können sich nicht erlauben, effektiv gegen die Gewerkschaften zu kämpfen, denn das würde zu einem vollständigen Scheitern an den militärischen Fronten führen. Sie haben keine Alternative. Sie müssen gegen die Faschisten kämpfen, um ihr Leben zu retten, sie müssen jede Hilfe, gleichgültig woher sie kommt, akzeptieren.“ (H. Wagner, Anarchism and the Spanish Revolution, in: International Council Correspondence Nr. 5/6, Juni 1937.) Als ob der Antifaschismus nicht genau so blutig das Leben der ArbeiterInnen gefährdete!

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Der heutige Kommunismus muss notwendig antipolitisch sein. Dies beinhaltet vor allem zwei Dinge: Erstens lehnt er die politische Partei als Organisationsform für das klassenkämpferische Proletariat und die SozialrevolutionärInnen ab. Zweitens sieht er das Wesen der sozialen Revolution nicht in der „politischen Machteroberung des Proletariats“, sondern in der antipolitischen Zerschlagung des Staates durch das sich selbst revolutionär aufhebenden Proletariats (siehe Kapitel V.5). Der antipolitische Kommunismus überwindet also konsequent den Parteimarxismus. Während der historische Rätekommunismus nicht bewusst antipolitisch war und deshalb auch nicht konsequent genug mit dem Parteimarxismus brach.

Die parteifeindliche AAUE überwand sowohl Parlamentarismus und Putschismus. Aber sie verstand sich noch nicht als bewusst antipolitisch, sondern als ökonomisch-politische Einheitsorganisation. Mit den Worten von Otto Rühle: „Der revolutionäre Einheitskampf, geführt von politischen Parteien ohne wirtschaftliche Organisationen endet mit dem Misserfolg – die deutsche Revolution seit 1918 beweist es. Aber ebenso muss der revolutionäre Einheitskampf mit einem Fiasko enden, wenn nur die wirtschaftlichen Organisationen aktiv vorgehen, dagegen die politischen Parteien versagen – Italien und die fehlgeschlagene Aktion der Syndikalisten sind dafür Beweis genug. Hier wie dort wurde die Niederlage verschuldet dadurch, dass ein Flügel der organisierten Arbeiterschaft lahm blieb – in Deutschland der wirtschaftliche (die Expropriation der Betriebe, Bergwerke, Banken, Ländereien unterblieb, während die politischen Positionen in unseren Händen waren), in Italien der politische (die Arbeiter waren Herr der Betriebe, sie unterließen aber, Regierung, Parlament, Polizei, Militarismus usw. zu beseitigen). Hätte eine Einheitsorganisation bestanden, wäre dies unmöglich gewesen. Sie hätte in Deutschland, indem sie politisch siegte, sich ganz von selbst wirtschaftlich verankert, und in Italien, indem sie wirtschaftlich Fuß fasste, ganz von selbst ihre politische Manifestation gefunden. Der Dualismus der proletarischen Organisationen ist ein Erbteil aus vorrevolutionärer Zeit, das heute in der revolutionären Phase zum Verhängnis der Arbeiterklasse wird. Er muss verschwinden und der Einheit Platz machen. Einheitskämpfe verlangen Einheitsorganisationen.“ (Otto Rühle, Grundfragen der Organisation, 1970, S. 36.)

Diese Aussagen Rühles sind aus heutiger sozialrevolutionärer Sicht reichlich konfus. Sie belegen, dass Otto Rühle und die AAUE noch nicht bewusst antipolitisch waren. Rühle bewegte sich irgendwo zwischen Parteimarxismus und einem bewusst antipolitischen Kommunismus. Aus dem Zitat geht hervor, dass er noch mit dem Parteimarxismus die falsche Vorstellung teilte, dass das Wesen der sozialen Revolution „die politische Machteroberung der ArbeiterInnenklasse“ sei. Doch das Proletariat kann die politische Macht gar nicht erobern. Das können nur sozialdemokratische oder „kommunistische“ BerufspolitikerInnen im Namen des Proletariats. Und sozialdemokratische und „kommunistische“ Regierungen konnten nur den Kapitalismus in privater oder verstaatlichter Form reproduzieren. Der heutige antipolitische Kommunismus tritt für die zukünftige antipolitische Zerschlagung des Staates durch das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat ein.

Völlig konfus ist Rühles Behauptung, dass in Deutschland 1918/19 „die politischen Positionen in unseren Händen“ gewesen seien. In Gesamtdeutschland lag 1918/19 die politische Macht bei der SPD, die sie im Interesse der Bourgeoisie konterrevolutionär ausübte. Die politische Macht der verschiedenen lokalen Räterepubliken (Bremen, München) lag entweder in den Händen von konfusen AnarchistInnen, oder in den von politischen Parteien (SPD, USPD und KPD). Die Bremer und die 2. Bayerische Räterepublik waren Mischprodukte aus einer Radikalisierung des Klassenkampfes und der Errichtung von embryonalen staatskapitalistischen Regimes.

Zu Rühles Ausführungen zu der revolutionären Nachkriegskrise in Italien 1919/1920: Es ist richtig, dass sich in diesem Land ArbeiterInnenräte bildeten, die die Betriebe besetzten. Aber diese Betriebsbesetzungen waren weder mit der antipolitischen Zerschlagung des Staates noch mit der Aufhebung der Warenproduktion verbunden. Beide zusammen bilden möglicherweise in der Zukunft die notwendigen Teilprozesse der revolutionären Selbstaufhebung des Proletariats und der Herausbildung einer klassen- und staatenlosen Gesellschaft. In Rühles Ausführungen über Italien kommen gewisse antipolitischen Tendenzen zum Ausdruck.

Aber: In nichtrevolutionären Zeiten sollte die Minderheit der bewusst revolutionären ProletarierInnen und Intellektuellen keine ökonomisch-politischen Einheitsorganisationen bilden, sondern sich in antipolitisch-sozialrevolutionären Gruppen organisieren (siehe Kapitel V.1). In revolutionären Zeiten sind revolutionäre Klassenkampforganisationen notwendig, für die die Bezeichnung ökonomisch-politische Einheitsorganisationen eine falsche Begrifflichkeit wäre, weil sie für die revolutionäre Aufhebung der kapitalistischen Ökonomie und der bürgerlichen Politik kämpfen müssen. Die revolutionären Klassenkampforganisationen, die sich nur in und mit den möglichen Revolutionen der Zukunft entwickeln können, haben nicht die Aufgabe der „politischen Machteroberung durch die ArbeiterInnenklasse“, sondern müssen die organisatorische Basis für die antipolitische Zerschlagung des Staates durch das sich revolutionär selbst aufhebende Proletariat sein. Auch scheiterte die europäische revolutionäre Nachkriegskrise nicht an der Nichtexistenz einer ökonomisch-politischen Einheitsorganisation, wie mensch das obige Rühle-Zitat interpretieren könnte, sondern am mangelnden revolutionären Klassenbewusstsein der Mehrheit des Proletariats. Es fehlte keine ökonomisch-politische Einheitsorganisation, sondern das bewusste und organisierte Streben, Warenproduktion und Politik aufzuheben. Politische „ArbeiterInnenparteien“ und Gewerkschaften erwiesen sich nicht deshalb als nicht- und konterrevolutionär, weil sich in ihnen der Dualismus von ökonomischen und politischen Organisationen äußerte, sondern weil sie bürgerlich-bürokratische Organisationen waren und sind, die nur den Kapitalismus reproduzieren können. Rühle erfasste auch mit dem von ihm aufgestellten Ziel der angeblichen Eroberung der ökonomischen und politischen Macht durch die Arbeiterklasse nicht das Wesen der revolutionären Selbstaufhebung des Proletariats.

Schauen wir uns jetzt das Verhältnis des niederländischen Rätekommunismus zum Parteimarxismus an. In den Niederlanden hatte die europäische revolutionäre Nachkriegskrise nicht so große Auswirkungen gehabt. Deshalb hatte dort der Rätekommunismus von Anfang an keine proletarische Massenbasis. Die GIK, die ab 1927 von einer kleinen Minderheit von sozialrevolutionären ProletarierInnen und Intellektuellen getragen wurde, verstand sich nicht als ökonomisch-politische Einheitsorganisation wie die AAUE, sondern als eine Arbeitsgruppe. Das Selbstverständnis der GIK kam dem, was wir als eine antipolitisch-sozialrevolutionäre Gruppe verstehen, schon recht nahe. Der große rätekommunistische Theoretiker der Niederlande, Anton Pannekoek, wirkte am Rande der GIK, war aber nicht aktives Mitglied von ihr. GIK und Pannekoek nannten die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung „alte ArbeiterInnenbewegung“ und die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats „neue ArbeiterInnenbewegung“.

Lesen wir, was Pannekoek 1936 über den Unterschied von politischen Parteien und den Arbeitsgruppen schrieb: „Wir sehen erst die allerersten Anfänge einer neuen Arbeiterbewegung emporkommen; der Glaube an die Partei ist das schwerste Hemmnis, das die Arbeiterklasse jetzt machtlos macht. Daher vermeiden wir es, eine neue Partei zu bilden; nicht, weil wir zu wenig sind – jede Partei musste klein anfangen –, sondern weil eine Partei jetzt eine Organisation bedeutet, die die Arbeiterklasse führen und beherrschen will. Demgegenüber stellen wir das Prinzip: die Arbeiterklasse wird nur emporkommen und siegen können, wenn sie selbst ihre Geschicke in die Hand nimmt. Die Arbeiter sollen nicht gläubig die Lösungen eines Anderen, einer Gruppe, auch nicht die unsrigen, sondern selbst denken, selbst handeln, selbst entschließen. Daher betrachten wir ihr als natürliches Organ zur Aufklärung in dieser Zeit des Übergangs die Arbeitsgruppen, die sich selbst bildenden, ihren Weg selbst suchenden Studien- und Diskussionsorganisation.“ (Anton Pannekoek, Partei und Arbeiterklasse, in: Derselbe: Arbeiterräte, a.a.O., S. 498.)

Wir sehen erstens eine große Übereinstimmung zwischen dem, was Pannekoek und die GIK „Arbeitsgruppe“ nannten und wir „antipolitisch-sozialrevolutionäre Gruppe“ nennen: eine kleine Organisation von revolutionären ProletarierInnen und Intellektuellen, die nicht das Proletariat führen, sondern praktisch-geistige Impulse zur klassenkämpferischen Selbstorganisation geben will. Zweitens sehen wir auch den großen Unterschied im Selbstverständnis zwischen GIK und der AAUE. Doch die AAUE entstand in der Revolution und hatte am Anfang eine proletarische Massenbasis. Es ist klar, dass sich zehntausende revolutionäre ProletarierInnen und Intellektuelle größere Aufgaben stellten als ein paar 20 Menschen (GIK). So sah sich die AAUE am Anfang subjektiv als das an, was sie durch den kommenden absoluten Sieg der Konterrevolution und Sozialreaktion objektiv nicht mehr sein konnte: als eine revolutionäre Klassenkampforganisation. Die KAUD verstand dies insofern, dass sie keine „Allgemeine“, sondern eine „Kommunistische Arbeiter-Union“ sein wollte.

Drittens finden wir die Abgrenzung Pannekoeks der „Arbeitsgruppen“ zu den politischen Parteien nicht begrifflich genau genug. Begriffliche Ungenauigkeiten sind meistens der Ausdruck von geistiger Unklarheit. So auch in diesem Fall. Die Kritik an den politischen Parteien von Pannekoek ging nicht genug in die Tiefe. Das lag daran, dass auch die GIK und Pannekoek noch nicht bewusst antipolitisch waren. Sie waren durch ihren prinzipiellen Antiparlamentarismus, der Ablehnung der Partei als Organisationsform für das klassenkämpferische Proletariat und den Zusammenschluss der revolutionären Minderheit schon nicht mehr politisch – aber eben auch noch nicht bewusst antipolitisch. So fehlte in Pannekoeks Analyse die Erkenntnis, dass politische Parteien als Basiseinheiten der bürgerlichen Politik den Kapitalismus nur reproduzieren, aber eben nicht überwinden können. Die begriffliche Gegenüberstellung von politischen Parteien einerseits und den antipolitisch-sozialrevolutionären Gruppen andererseits durch den heutigen bewusst antipolitischen Kommunismus ist wesentlich klarer.

Wir würden auch nie behaupten, dass mensch die antipolitisch-sozialrevolutionären Gruppen auch „Parteien“ nennen könnte. Genau dies schrieb aber Pannekoek über das, was er und die GIK „Arbeitsgruppen“ nannte: „Wenn dabei nun Personen mit gleichen Grundanschauungen sich zusammentun, zur Besprechung der praktischen Möglichkeiten, zur Klärung durch Diskussionen, zur Propaganda ihrer Ansichten, dann kann man solche Gruppen auch Parteien nennen. Der Name ist gleichgültig; das Wesentliche ist, dass in der Sache diese Parteien eine ganz andere Rolle haben als was die Parteien von heute für sich beanspruchen.“ (Anton Pannekoek, Partei und Arbeiterklasse, a.a.O., S. 500.)

Der Name ist eben nicht gleichgültig. Wenn zwei verschiedene, ja sich ausschließende Gebilde, mit dem gleichen Begriff belegt werden, kann dies nur zur geistigen Verwirrung führen. Es geht um begriffliche Klarheit. Wenn mensch etwas anderes will als die politischen Parteien – einschließlich sozialdemokratische und „kommunistische“ –, dann sollte mensch es auch nicht „Parteien“ nennen. Alles andere führt zur begrifflichen Ungenauigkeit und gedanklichen Unklarheit. Die Unklarheit Pannekoeks in der Frage der Partei beruhte darauf, dass Pannekoek noch nicht bewusst antipolitisch war.

Pannekoek überwand die politische Partei als bürgerliche Organisationsform also nicht konsequent genug. Auch den Marxismus, der als Ideologie des kleinbürgerlichen Radikalismus zwischen Kapitalvermehrung und proletarischen Klassenkampf hilflos hin und her schwankte, kritisierte Pannekoek nicht. Und dies obwohl schon der Marxismus des 19. Jahrhunderts von dem dialektischen Widerspruch einer antikapitalistischen Theorie und einer oft nationalkapitalistischen Praxis geprägt war. Ein Widerspruch, der durch die staatskapitalistische Ideologie des Marxismus-Leninismus sozialreaktionär und durch den nachmarxistischen und nachanarchistischen Kommunismus revolutionär gelöst wurde. Pannekoek war sich dieses Widerspruches des Marxismus und des Wirkens von Marx und Engels überhaupt nicht bewusst, wie folgende Aussage belegt: „So ist der Marxismus als Theorie der proletarischen Revolution nur eine Realität und zugleich eine lebendige Kraft in den Köpfen und Herzen des revolutionären Proletariats.“ (Anton Pannekoek, Lenin als Philosoph. Kritische Betrachtung der philosophischen Grundlagen des Leninismus, in: Derselbe: Arbeiterräte, a.a.O., S. 307.)

Auch kritisierte Pannekoek im Alter nicht mehr konsequent genug die Demokratie als politische Herrschaftsform des Kapitals. So übertrieb er in den 1950er Jahren die Bedeutung der bürgerlichen Narrenfreiheiten für den proletarischen Klassenkampf. In dem Artikel Volksdemokratie aus dem Jahre 1950 verteidigte er sogar die bürgerlichen Narrenfreiheiten gegen die staatskapitalistischen Parteidiktaturen Osteuropas! Er schrieb: „Für die moderne Arbeiterklasse in einem hochentwickeltem Land sind diese geistigen Freiheiten wie Redefreiheit, Diskussionsfreiheit und Organisationsfreiheit allerdings – wie die Luft zum Atmen – unabdingbare Voraussetzungen in ihrem Kampf um Freiheit. Für die Arbeiter unter dem westlichen Kapitalismus verkörpert der Begriff Demokratie diese Freiheiten; in den Ländern des Ostens haben sie nur etwas, das, wenngleich in doppelter Ausführung (Anmerkung von Nelke: Pannekoek meint den Begriff „Volksdemokratie“ – also Volksvolksherrschaft), für die Arbeiter bloß ein leerer Name ist.“ (Anton Pannekoek, Volksdemokratie, in: Derselbe, Arbeiterräte, a.a.O., S. 673.)

Der Klassencharakter bürgerlicher Rechte und Freiheiten in einer Demokratie wird von Pannekoek überhaupt nicht mehr analysiert. Pressefreiheit ist zum Beispiel im demokratischen Kapitalismus im Wesentlichen die Freiheit der Bourgeoisie ihre Meinung zu verkaufen, also eine Unterabteilung der Handelsfreiheit, welche auf das Privat-/Staatseigentum an Produktionsmitteln (Druckereien, Redaktionen, Theaterbuhnen, Filmstudios, Internetplattformen…) beruht. Die ArbeiterInnen im Privatkapitalismus besaßen und besitzen die großen Produktionsmittel zur Meinungsproduktion genau so wenig, wie sie diese im staatskapitalistischen Ostblock besaßen. Während die Bourgeoisie durch die bürgerliche Pressefreiheit ihre Meinung verkauft, kaufen die ProletarierInnen die Meinungen einer fremden Klasse. Dadurch wird die ökonomische Klassenherrschaft der Bourgeoisie auch eine geistige. Selbstverständlich haben ArbeiterInnen in einem demokratischen Kapitalismus formal die gleiche Pressefreiheit wie Medienkonzerne. Sollen sie der Bourgeoisie und ihrer Demokratie dafür noch dankbar sein und die bürgerliche Pressefreiheit rühmen?! Nein, proletarische RevolutionärInnennutzen die bürgerliche Pressefreiheit, um ihren Klassencharakter zu demaskieren.

Auch hielt Pannekoek am marxistischen Dogma, dass das Wesen der sozialen Revolution die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat sei, fest. Verdeutlichen wir dies an sein Werk Arbeiterräte. Er schrieb dessen Kern 1941/42. Eine niederländische Ausgabe erschien in zwei Teilen im Jahre 1946, während eine englischsprachige Fassung zuerst seit März 1948 als Beilage der in Melbourne von J.A. Dawson herausgegebenen Zeitschrift Southern Advocate For Workers Councils und schließlich 1950 in Melbourne in Buchform herauskam.

Zunächst muss gesagt werden, dass wir die innere Gliederung von Arbeiterräte nicht für glücklich halten. Pannekoek schildert zuerst die Organisation einer nachkapitalistischen Gesellschaft und erst danach die mögliche Überwindung des Kapitalismus. Das widerspricht der notwendigen Reihenfolge dieser Möglichkeit. Der bewusst antipolitische Kommunismus beginnt seine Schilderung dieser Möglichkeit dagegen immer mit den revolutionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes, geht dann zur Skizzierung der möglichen Weltrevolution über und beschreibt schließlich die aus dieser vielleicht hervorgehenden klassen- und staatenlosen Gesellschaft. Auch in dieser Schrift wenden wir diese Darstellungsmethode an. Wir finden, dass auf diese Weise der mögliche weltrevolutionäre Prozess am besten dargestellt werden kann.

Pannekoek dagegen ging in Arbeiterräte den umgekehrten Weg. Zuerst beschrieb er die klassen- und staatenlose Gesellschaft, dann den Kampf des Proletariats und die mögliche soziale Revolution und schließlich den Charakter des Kapitalismus. Pannekoek begründete diese Herangehensweise so: „Mit der Aufgabe der Arbeiterklasse, die Produktion in ihre eigenen Hände zu übernehmen und sie zu organisieren, mussten wir uns zuerst befassen. Zur Durchführung des Kampfes muss man das Ziel in klaren und deutlichen Umrissen vor Augen liegend sehen. Aber der Kampf selbst, die Eroberung der Macht über die Produktion, ist der hauptsächliche und schwierige Teil des Werkes. In diesem Kampf werden sich auch die Arbeiterräte entwickeln.“ (Anton Pannekoek, Arbeiterräte, a.a.O., S. 78.) Das bewusste Ziel der klassen- und staatenlosen Weltgemeinschaft stellt sich jedoch in nichtrevolutionären Zeiten nur eine kleine Minderheit von ProletarierInnen und Intellektuellen. Außerdem kann auf dieses Ziel in der Einleitung oder im Vorwort hingewiesen werden, um dann in der theoretischen Widerspiegelung des möglichen revolutionären Prozesses seiner praktisch notwendigen Reihenfolge zu folgen. Wir halten auch bei der Analyse und Kritik von Pannekoeks Arbeiterräte diese Methode bei. Wir beschreiben also zuerst, wie sich Pannekoek die soziale Revolution vorstellt und dann seine Auffassungen von der klassen- und staatenlosen Gesellschaft.

Für Pannekoek war bereits die soziale Revolution ein globaler und relativ lange andauernder Prozess. Er bestand für ihn in der Zerschlagung des kapitalistischen Staates durch die politische Machteroberung des Proletariats mit Hilfe der ArbeiterInnenräte. Nun, für uns waren die ArbeiterInnenräte die konkrete geschichtliche Form der allgemeinen klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats während der europäischen revolutionären Nachkriegskrise. Wir weisen im Kapitel V.4 darauf hin, dass diese proletarisch-klassenkämpferische Selbstorganisation in einem möglichen zukünftigen revolutionären Prozess ganz andere Formen annehmen muss. Zweitens kann die Zerschlagung des Staates nur durch das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat erfolgen. Die soziale Revolution ist eben nicht die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat, wie auch noch Pannekoek annahm: „Der wesentliche Inhalt der Revolution der Arbeiterklasse, ähnlich wie bei früheren Revolutionen, besteht in dem Übergang der Herrschaft von einer Klasse auf eine andere.“ (Anton Pannekoek, Arbeiterräte, a.a.O., S. 114.) Nein, eben nicht. Die soziale Revolution kann nur die Selbstaufhebung des Proletariats sein, die zugleich die Fremdaufhebung von KleinbürgerInnentum und Bourgeoisie ist.

Weiterhin schrieb Pannekoek: „Die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiter, die Abschaffung des Kapitalismus, die Einführung eines neuen Rechts, die Aneignung der Unternehmen, der Aufbau der neuen Gemeinschaft, das Schaffen eines neuen Systems der Produktion sind nicht verschiedene, nacheinander stattfindende Ereignisse. Sie finden gleichzeitig nebeneinander statt in einem Prozess gesellschaftlichen Geschehens und gesellschaftlicher Umwandlungen. Oder noch richtiger: Sie sind eins. Sie sind die mit verschiedenen Namen bezeichneten Seiten derselben großen gesellschaftlichen Umwälzung: der Organisation der Arbeit durch die arbeitenden Menschen selbst.“ (Anton Pannekoek, Arbeiterräte, a.a.O., S. 121.)

Pannekoek verwickelte sich hier in Widersprüche: Wenn die politische Machteroberung des Proletariats nur ein anderer Name für die Überwindung des Kapitalismus und die Herausbildung der klassen- und staatenlosen Gesellschaft sein soll, dann bedeutet dies logisch, dass es die ArbeiterInnenklasse auch nach der siegreichen sozialen Revolution noch gibt. Doch die ArbeiterInnenklasse kann es nur im Kapitalismus geben, jedoch nicht in der klassen- und staatenlosen Gesellschaft. Pannekoek konnte sich einfach nicht vom marxistischen Dogma lösen, dass die soziale Revolution die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat sei. Doch die soziale Revolution ist die Überwindung der Politik durch das sich selbst aufhebende Proletariat.

Nun, in der sozialen Wirklichkeit ist das Proletariat immer Objekt der Politik. Das Proletariat kann überhaupt nicht die politische Macht erobern, da in seiner objektiven Klassenbildung die Trennung von der Politik von Anfang an feststeht. Die politische Macht können nur BerufspolitikerInnen im Namen des Proletariats erobern. Dies war und ist dann auch die politische Praxis von Sozialdemokratie und Partei-„Kommunismus“, die dadurch aber nur Kapital und Staat reproduzieren konnten und können. Diese Praxis kritisierte auch Pannekoek: „In früherer Zeit hat man sich die kommende soziale Revolution anders vorgestellt. Zuerst sollte die Arbeiterklasse durch Wahlen, eventuell von bewaffneten Kämpfen oder politischen Streiks dabei unterstützt, im Parlament die Mehrheit und damit die politische Macht erobern. Dann sollte die aus Sprechern, Führern und Politikern bestehende neue Regierung durch Erlass von Gesetzen, durch eine neue Rechtsprechung die Kapitalistenklasse enteignen und die Produktion organisieren. Es läge also nur zur Hälfte an den Arbeitern selbst; der wichtigste Teil der Aufgabe, der Neuaufbau der Gesellschaft, die Organisation der Arbeit wäre das Werk sozialistischer Politiker und Funktionäre. In dieser Anschauung tritt die damalige Schwäche der Arbeiterklasse hervor; arm und elend, ohne wirtschaftliche Macht, sollte sie durch andere, durch fähige Führer und eine gütige Regierung in das gelobte Land des Überflusses geleitet werden. Und dort vorerst Untertan bleiben, selbstverständlich, denn Freiheit kann nicht geschenkt, sondern nur erkämpft werden. Diese bequeme Illusion ist durch das Wachstum der kapitalistischen Macht zerstreut worden. Die Arbeiter müssen nun erkennen, dass sie nur durch die höchste Entfaltung ihrer Macht darauf hoffen können, die Freiheit zu erringen; politische Gewalt, Herrschaft über die Gesellschaft muss auf wirtschaftlicher Macht, auf Herrschaft über die Arbeit fußen.“ (Anton Pannekoek, Arbeiterräte, a.a.O., S. 121.)

Pannekoek stellte also nicht der Fremdbestimmung des Proletariats durch die Politik vollkommen klar die Überwindung der Politik durch das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat entgegen, sondern die politische Herrschaft des Proletariats. Diese sollte aber nicht die Form eines „ArbeiterInnenstaates“ (= Staatskapitalismus) einnehmen wie im Marxismus-Leninismus, sondern die eines staatenlosen Rätesystems. Pannekoek dachte sich also die politische Herrschaft des Proletariats staatenlos, eine begriffliche Ungenauigkeit, da es nach der Zerschlagung des bürgerlichen Staates weder eine ArbeiterInnenklasse noch die Politik als staatenförmige Organisation der Klassengesellschaft, die monopolisiert von BerufspolitikerInnen ausgeübt wird, geben kann. Das Proletariat befreit sich jedoch nicht von kapitalistischer Ausbeutung, indem es politische Herrschaft ausübt, wie Pannekoek behauptete, sondern indem es die Politik überwindet und sich selbst als Klasse revolutionär aufhebt.

Dies sind die Widersprüche, in die sich Pannekoek in seinem II. Teil Der Kampf in seinem Buch Arbeiterräte verrannte. Wie bereits geschrieben, beschrieb er die klassen- und staatenlose Gesellschaft, die möglicherweise aus dem proletarischen Klassenkampf und einer sozialen Revolution hervorgehen kann, bereits weiter oben in seinem Buch, im I. Teil Das Ziel. Dort verrannte er sich in weitere Widersprüche zwischen Politik und Antipolitik. Denn in diesem Teil beschrieb Pannekoek, wie die ArbeiterInnen mit Hilfe der ArbeiterInnenräte die Produktion kollektiv leiten und planen. Also eine nachkapitalistische Gesellschaft, doch in der gibt es weder das Proletariat noch deren revolutionären Selbstorganisation. Eine nachkapitalistische Gesellschaft kann nur das Ergebnis der revolutionären Selbstaufhebung des Proletariats sein – ein Umschlag der revolutionären Klassenorganisation des Proletariats in die klassenlose Selbstorganisation freier ProduzentInnen. Diese revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats konnte Pannekoek nicht erfassen. So konstruierte er den Widerspruch einer politischen Herrschaft des Proletariats in Form von ArbeiterInnenräten in einer nachkapitalistischen Gesellschaft.

Pannekoek schrieb: „Vor rund siebzig Jahren wies Marx darauf hin, dass es zwischen der Herrschaft des Kapitalismus und der endgültigen Organisation einer freien Menschheit eine Übergangszeit geben wird, in der die Arbeiterklasse zwar die ausschließliche Macht über die Gesellschaft ausübt, die Bourgeoisie aber noch nicht verschwunden ist. Er nannte diesen Zustand die Diktatur des Proletariats. Damals hatte dieses Wort Diktatur noch nicht den verhängnisvollen Klang der modernen despotischen Systeme und konnte auch noch nicht für die Diktatur einer herrschenden Partei, wie im späteren Russland (Pannekoek meint die Sowjetunion, Anmerkung von Nelke), missbraucht werden. Es bedeutete einfach, dass die über die Gesellschaft herrschende Gewalt von den Kapitalisten auf die Arbeiterklasse übergegangen sei. In den revolutionären Bewegungen von 1918/19 haben vollkommen im Bann parlamentarischer Ideen stehende Sozialisten den Versuch gemacht, diese Auffassung dadurch zu verwirklichen, dass sie den besitzenden Klassen das Wahlrecht bei der Bildung politischer Körperschaften entzogen. Es ist klar, dass dies nur als eine Verletzung der Demokratie empfunden werden konnte, da es zum instinktmäßigen Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden im Widerspruch stand. Wir sehen nun, dass die Räteorganisation in der Praxis verwirklicht, was Marx theoretisch vorwegnahm, wobei deren praktische Gestalt aber damals noch nicht ausgedacht werden konnte. Wenn die Produktion von den Produzenten selbst geregelt wird, ist die frühere Ausbeuterklasse automatisch, ohne irgendwelche künstliche Bestimmung, von der Teilnahme an Entscheidungen ausgeschlossen. Es stellt sich jetzt heraus, dass die von Marx verkündete Diktatur des Proletariats mit der Arbeiterdemokratie der Räteorganisation identisch ist.“ (Anton Pannekoek, Arbeiterräte, a.a.O., S. 70.)

Wir übergehen hier Pannekoeks bedenkliche Ausführungen über Demokratie, Diktatur und „instinktmäßige Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden“, die stark nach verinnerlichter liberaldemokratischer Ideologie riechen, und gehen gleich zu dem Wesentlichen über. Sowohl Marx als auch Pannekoek leisteten sich den Widerspruch, dass sie die nachkapitalistische Existenz, ja sogar die politische Herrschaft der ArbeiterInnenklasse annahmen, einer Klasse, die es nur im Kapitalismus geben kann. So wie es „zwischen der Herrschaft des Kapitalismus und der endgültigen Organisation einer freien Menschheit“ auch noch eine Bourgeoisie geben sollte, die jedoch durch die Diktatur des Proletariats unterdrückt werden sollte. Aber die Bourgeoisie kann nur durch die Ausbeutung der Lohnarbeit sozialökonomisch existieren, das Proletariat wäre also weiter ausgebeutet, würde aber die politische Herrschaft ausüben. Die Diktatur des Proletariats als politische Herrschaftsform ist also reines Hirngespinnst, was niemals zur materiellen Gewalt werden kann. Während bei Marx die Diktatur des Proletariats die Form eines Staates annehmen sollte (siehe Kapitel III.3), war sie bei Pannekoek die staatenlose Räteherrschaft. Bei Pannekoek war die Bourgeoisie als „frühere Ausbeuterklasse“ durch die Räteherrschaft als Diktatur des Proletariats „von der Teilnahme an Entscheidungen“ ausgeschlossen. Weiter oben hatte er jedoch geschrieben, dass es die Bourgeoisie in der Übergangszeit vom Kapitalismus zum Kommunismus noch geben soll. Die Bourgeoisie kann aber nur als ausbeutende Klasse existieren. Die „frühere Ausbeuterklasse“ ist bereits die revolutionär aufgehobene Bourgeoisie. Und wenn die Bourgeoisie aufgehoben ist, gibt es auch kein Proletariat mehr und auch nicht dessen Diktatur. Sondern „nur“ eine klassen- und staatenlose Gesellschaft. Und in dieser haben ehemalige Bourgeois jetzt als Teil der freien ProduzentInnen ebenfalls Einfluss. Sie werden als herrschende Klasse aufgehoben, haben aber als Menschen die Chance sich in die klassen- und staatenlose Gesellschaft zu integrieren. Dieses Angebot muss mit einem kompromisslosen Kampf gegen die Konterrevolution verbunden werden. Auch diesen Kampf führt bereits eine klassen- und staatenlose Gesellschaft, aber nicht mehr das Proletariat, was sich zu diesem Zeitpunkt bereits revolutionär aufgehoben hat.

Für den bewusst antipolitischen Kommunismus ist die Diktatur des Proletariats überhaupt keine politische Herrschaftsform, sondern der militante Kampf dieser Klasse gegen KapitalistInnen, Wirtschaftsbosse, BerufspolitikerInnen, Bullen, SoldatInnen und GeheimdienstlerInnen. Die proletarische Diktatur ist Gewalt und Zwang dieser Klasse gegenüber den Klassenfeinden. Sie entwickelt sich bereits im reproduktiven Klassenkampf. In der möglichen sozialen Revolution erlebt die Diktatur des Proletariats ihren Höhepunkt. Indem sie die Warenproduktion überwindet und den Staat zerschlägt, geht sie selbst in die klassen- und staatenlose Gesellschaft über. Die revolutionäre Diktatur des Proletariats überwindet den Kapitalismus, ist aber keine nachkapitalistische Übergangsgesellschaft. Das real existierende Rätesystem in Deutschland 1918/19 übte übrigens auch keine Diktatur des Proletariats aus, sondern fügte sich der Diktatur des Kapitals, indem es sich, infiltriert von sozialdemokratischen FunktionärInnen und BerufspolitikerInnen, zugunsten einer parlamentarisch-demokratischen Republik selbst auflöste. Auch in dieser Frage ist also Rätefetischismus völlig unangebracht

Wenn Pannekoek seine imaginäre Räteherrschaft genauer beschrieb, zeigte er doch gewisse antipolitische Tendenzen. Er beschrieb nämlich die Räte als Aufhebung der Politik: „Ganz anders ist die Organisation der gemeinschaftlichen Produktion mittels der Arbeiterräte. Die gesellschaftliche Produktion ist hier nicht in eine Vielzahl gesonderter Unternehmen aufgeteilt, von denen jedes einzelne die beschränkte Lebensaufgabe einer Person oder einer Personengruppe ist; jetzt bildet sie ein zusammenhängendes Ganzes, für das die Gesamtheit der Arbeiter zu sorgen hat und das als gemeinsame Aufgabe alle ihre Gedanken beschäftigt hält. Die allgemeine Regulierung ist keine Nebensache, die einer kleinen Gruppe von Spezialisten überlassen bleibt; sie bildet vielmehr die Hauptsache, die die Aufmerksamkeit von allen miteinander erfordert. Es gibt keine Trennung zwischen Politik, als die Lebensbeschäftigung einer Gruppe von Spezialisten, und Wirtschaft, als der Lebensbeschäftigung der großen Masse der Produzenten. Für die eine und einzige Gemeinschaft der Produzenten sind nun Politik und Wirtschaft zu einer Einheit von allgemeiner Regulierung und praktischer produktiver Arbeit verschmolzen, die zur wesentlichen Aufgabe aller wird.

Dieser Charakter spiegelt sich in der ganzen Praxis wider. Die Räte sind keine Politiker, keine Regierung. Sie sind Boten, die die Meinungen, die Absichten und das Wollen der Arbeitergruppen vermitteln und überbringen. Doch nicht wie unbeteiligte Botenjungen, die Briefe oder Mitteilungen, von denen sie selbst nichts wissen, austragen. Sie nehmen an den Beratungen in den Belegschaften teil, als energische Vertreter der Ansichten, die die allgemeine Zustimmung fanden. Als Delegierte der Gruppen sind sie nun nicht nur fähig, diese in der Räteversammlung zu verteidigen, sie sind auch unabhängig genug, anderen Gründen zugänglich zu sein und ihrer Gruppe über die noch allgemeineren Mehrheitsauffassungen zu berichten. So sind sie die Organe der gesellschaftlichen Verbindung und Diskussion.“ (Anton Pannekoek, Arbeiterräte, a.a.O., S. 67/68.)

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Cajo Brendel überwand zwar geistig konsequent die politische Partei als Organisationsform des klassenkämpferischen Proletariats, allerdings war auch er nicht bewusst antipolitisch. Er reproduzierte die Auffassung von Anton Pannekoek, dass die soziale Revolution gleichbedeutend mit der politischen Machteroberung des Proletariats mittels der ArbeiterInnenräte sei. Auch Cajo Brendel war kein Kritiker der nationalkapitalistischen Politik von Marx und Engels.

Anders als für Cajo Brendel war für Willy Huhn und Paul Mattick der Parteimarxismus einer Rosa Luxemburg eine angebliche Alternative zum Marxismus-Leninismus und Trotzkismus. So zitierte Huhn zustimmend folgende Ausführungen von Rosa Luxemburg auf dem Gründungsparteitag der KPD: „Der Spartakusbund ist keine Partei, die über die Arbeitermasse oder durch die Arbeitermasse zur Herrschaft gelangen will. Der Spartakusbund ist nur der zielbewussteste Teil des Proletariats, der die ganze breite Masse der Arbeiterschaft bei jedem Schritt auf ihre geschichtlichen Aufgaben hinweist, der in jedem Einzelstadium der Revolution das sozialistische Endziel und in allen nationalen Fragen die Interessen der proletarischen Weltrevolution vertritt. (…)

Der Spartakusbund wird nie anders die Regierungsgewalt übernehmen als durch den klaren unzweideutigen Willen der großen Mehrheit der proletarischen Masse in ganz Deutschland, nie anders als kraft ihrer bewussten Zustimmung zu den Ansichten, Zielen und Kampfmethoden des Spartakusbundes. (…) Der Sieg des Spartakusbundes steht nicht am Anfang, sondern am Ende der Revolution; er ist identisch mit dem Sieg der großen Millionenmasse des sozialistischen Proletariats.“ (Rosa Luxemburg, Was will der Spartakusbund?, Berlin 1918, S. 13-14 des Sonderdruckes. Zitiert nach: Willy Huhn, Trotzki und die proletarische Revolution, in: Derselbe, Trotzki – der gescheiterte Stalin, Karin Kramer Verlag, Berlin (West) 1973, S. 63.)

Wir sehen in dem Zitat vor allem ein Widerspruch bei Rosa Luxemburg selbst. Zuerst sagte sie, dass der Spartakusbund, also die gegründete KPD, nicht die Herrschaft über die ArbeiterInnenklasse anstreben würde, dann führte sie aus, dass die Partei die Regierungsgewalt, also das Management des Staates erobern wolle. Nun das Ringen um den Staatsapparat kann aber objektiv nichts anderes sein als die politische Herrschaft über das Proletariat. Alle Regierungen – einschließlich der linken – bewiesen, beweisen es und werden es beweisen. Die Partei wollte die politische Macht – und die ArbeiterInnen sollten dem zustimmen. Dies bewegte sich vollständig im Rahmen des Parteimarxismus. Auch die Aussage Luxemburgs, dass der Sieg des Spartakusbundes/der KPD – einer politischen Partei – am Ende der sozialen Revolution stehen würde und identisch wäre mit dem Sieg des Proletariats, ist typische parteimarxistische Ideologie. Doch das Ende der sozialen Revolution ist nicht die Eroberung des Staates durch eine politische Partei, sondern die klassen- und staatenlose Gesellschaft nach der antipolitischen Zerschlagung des Staates durch das sich revolutionär aufhebende Proletariat. Sicher, Rosa Luxemburg hat an anderer Stelle die politische Parteidiktatur der Bolschewiki in „Sowjet“-Russland kritisiert, aber objektiv wollte sie nicht viel anderes: die politische Herrschaft der KPD. Anstatt dies zu kritisieren, schrieb Huhn: „Wir meinen: zwischen dieser ,luxemburgistischen‘ und der von Lenin und Trotzki entwickelten bolschewistischen Auffassung über die Rolle der Partei klaffen grundverschiedene Welten auf.“ (Willy Huhn, Trotzki und die proletarische Revolution, a.a.O., S. 63.)

Anders als Huhn meinen wir dagegen: Die oben zitierten Aussagen von Rosa Luxemburg sind selbst ein Ausdruck des Parteimarxismus und deshalb keine grundlegende Alternative zum Marxismus-Leninismus und Trotzkismus. Natürlich betonte Rosa Luxemburg die Selbstorganisation des klassenkämpferischen Proletariats viel stärker als Lenin oder Trotzki, nachdem dieser Bolschewik geworden ist. Aber von einem Klassengegensatz zwischen Parteimarxismus und selbstorganisierten proletarischen Klassenkampf hatte Rosa Luxemburg keinen Schimmer, ihr geistig-praktisches Wirken war Ausdruck dieses Gegensatzes. Müssen wir hier wirklich daran erinnern, dass sie, was den organisatorischen Bruch mit der Sozialdemokratie anging, zum Jagen getragen werden musste? Oder dass ihr Parteimarxismus selbst noch in der revolutionären Nachkriegskrise auch die Reproduktion des parlamentarischen Sozialreformismus, also die Beteiligung der Partei an Wahlen beinhaltete? Aber durch den Widerstand durch die antiparlamentarische Mehrheit auf dem Gründungsparteitag der KPD erst mal nicht zur materiellen Gewalt wurde? Auch wir ehren Rosa Luxemburg als subjektiv ehrliche Revolutionärin, kritisieren sie aber zugleich scharf als parteimarxistische Ideologin.

Auch Paul Mattick idealisierte den Parteimarxismus Rosa Luxemburgs: „Mit dem Wiederaufleben der Arbeiterbewegung in der sich verschärfenden Krisensituation werden auch neue Anstrengungen gemacht werden, eine den revolutionären Klassenkampf fördernde anstatt ihn hemmende Theorie zu vermitteln. Und auf dem Boden der Theorie werden sich klassenbewusste Arbeiter organisieren, um auf die revolutionäre Entwicklung einwirken zu können. Aber, nach den Erfahrungen der Vergangenheit, nicht mehr, um die Revolution für die Massen zu machen, sondern um den Arbeitermassen in ihrer Revolution den größten Beistand zu leisten. Da sich die Arbeiter in Bezug auf das Klassenbewusstsein nicht gleichmäßig entwickeln, wird es stets eine Gruppe von Arbeitern geben, die nicht nur aus der Notwendigkeit heraus, sondern aufgrund ihres revolutionären Bewusstseins, in den revolutionären Prozess einzugreifen versucht. Aber nicht als Partei, die im Lenin‘schen Sinne die revolutionäre Bewegung zu beherrschen sucht, um sich selbst zur Staatsmacht zu verhelfen, sondern im Sinne Rosa Luxemburgs, um als Teil der Arbeiterschaft die Interessen des Gesamtproletariats wahrzunehmen: Die Organisation der Revolution und der neuen Gesellschaft durch die Eigeninitiative und die Selbstbestimmung der arbeitenden Bevölkerung.“ (Paul Mattick, Weltwirtschaftskrise und Arbeiterbewegung, Syndikat A, S. 37)

Ähm, Rosa Luxemburg wollte den ArbeiterInnen in der Revolution nicht nur Beistand leisten und als Teil der Klasse deren Gesamtinteressen wahrnehmen – übrigens war sie sozial keine Proletarierin, sondern objektiv eine kleinbürgerliche Berufsideologin der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung –, sondern die politische Machteroberung der Partei KPD, an deren Spitze sie stand. Wir sagen gegen Mattick ganz klar: RevolutionärInnen dürfen sich nicht in politischen Parteien organisieren, sondern können dies „nur“ in antipolitisch-sozialrevolutionären Gruppen tun. Die Bedeutung des Bruches mit politischen Parteien durch Otto Rühle – wie ideologisch deformiert diese auch gewesen sein mag – konnte Mattick nicht erfassen: „Keine der beiden Gruppen (KAPD/AAUD auf der einen, die AAUE auf der anderen Seite, Anmerkung von Nelke) konnte ihre Theorie beweisen, die Geschichte ging an beiden vorüber, sie argumentierten innerhalb eines Vakuums. Weder die Kommunistische Arbeiter-Partei noch die beiden Allgemeinen Arbeiter-Unionen konnten den Status ,ultra-linker‘ Sekten überwinden. Ihre internen Differenzen wirkten geradezu gekünstelt, denn es gab tatsächlich keinen Unterschied zwischen der Kommunistischen Arbeiter-Partei und der Allgemeinen Arbeiter-Unionen. Entgegen ihren Theorien arbeiteten auch die Rühle-Anhänger nicht in den Fabriken; die theoretischen Divergenzen hatten keinerlei praktische Bedeutung.“ (Paul Mattick, Otto Rühle und die deutsche Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 30.)

Klar, nach dem endgültigen Sieg der Konterrevolution konnte die AAUE nur das Gleiche tun wie die KAPD: ihre Ideen verbreiten, die nicht mehr zur materiellen Gewalt werden konnten… Und Otto Rühle vertrat noch nicht die antipolitisch-sozialrevolutionäre Gruppe als Alternative zur politischen Partei, sondern die ökonomisch-politische Einheitsorganisation, die die AAUE sein wollte, aber nach dem Sieg der Konterrevolution nicht mehr sein konnte. Auch die KAPD war nach 1921 nicht mehr das, was sie sein wollte: eine revolutionsmachende Partei. Mal abgesehen, davon, dass es sozialrevolutionäre Parteien objektiv nicht geben kann. Aber in Zeiten, wo diese unterschiedlichen Ideen noch zur materiellen Gewalt werden konnten, entsprach diesen unterschiedlichen Ideen des radikalen KAPD-Parteimarxismus und des parteifeindlichen Kommunismus auch eine unterschiedliche Praxis: Otto Rühle brach mit Moskau 1920, während sich die KAPD von den Kremlherren 1921 in eine putschistische Politik hineinziehen ließ. Der Putschismus gehörte neben dem Parlamentarismus zu den Taktiken des Parteimarxismus, auch zu denen der antiparlamentarischen KAPD im Jahre 1921 – was der parteifeindliche Kommunismus scharf kritisierte.

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Der heutige Kommunismus ist notwendig antinational. Er bekämpft im permanenten Konkurrenzkampf der Nationen alle und unterstütz keine – selbstverständlich auch nicht jene, die noch keinen Staat hervorgebracht haben, wie zum Beispiel den palästinensischen Nationalismus. SozialrevolutionärInnen treten für die antipolitische Zerschlagung Israels ein, aber nicht für einen palästinensischen Staat.

Die beiden radikalen Marxisten Franz Pfemfert und Anton Pannekoek, die sich in den 1920er Jahren zu Theoretikern des Rätekommunismus herausbildeten, vertraten bereits vor 1914 antinationale Positionen. So trat Pannekoek dem sozialdemokratischen Nationalismus schon vor 1914 entgegen. Cajo Brendel schrieb darüber: „Als 1913 die Jahrhundertfeier der Leipziger Völkerschlacht bevorstand, als ganz Deutschland in der Erinnerung an ,die Befreiung von den napoleonischen Armeen‘ schwelgte und auch die Parteipresse der biedermännischen Sozialdemokratie ihr Scherflein beitrug, kritisierte Pannekoek in der ,Bremer Bürgerzeitung‘ den bürgerlichen Rausch mit großer Schärfe. Er hielt eine ,Leipzig-Gedenkfeier‘ für ein Stück Nationalismus und bezeichnete sie als eine ,Orgie des Byzantinismus und der Geschichtsfälschung‘. Dann führte er aus, dass jene Ereignisse, die als ,Völkerschlacht‘ hingestellt werden, mit dem proletarischen Klassenkampf nichts zu schaffen haben.“ (Cajo Brendel, Anton Pannekoek. Denker der Revolution, ca ira Verlag, Freiburg 2001, S. 169.)

In einer Anmerkung dazu führte Cajo weiter aus: „Der Aufsatz ,Nachbetrachtung zur Völkerschlachtfeier‘ erschien am 25. Oktober 1913. Er wurde auch in der ,Leipziger Volkszeitung‘ veröffentlicht. Es war keineswegs Pannekoeks erste Stellungnahme zu dieser Frage. Er erzählt, dass Franz Mehring gegen ihn polemisierte, da dieser gegenüber dem preußischen Militarismus und Absolutismus häufig frühbürgerliche Vorstellungen von ,Demokratie‘ und ,Freiheit‘ hervorgehoben hatte. Pannekoeks Auffassung hierzu unterscheidet sich deutlich von der des bekanntesten Historikers der deutschen Partei. Mit dem Pannekoekschen Satz: ,Wer Leipzig feiern will, soll auch Sedan feiern‘, wurde Mehring in seiner ganzen Denkart getroffen (vgl. ,Herrinneringen‘, S. 174).“ (Cajo Brendel, Anton Pannekoek, a.a.O., S. 218.)

Anton Pannekoek bezog nach seinem Bruch mit der Sozialdemokratie und dem Partei-„Kommunismus“ antinationale Positionen, die nicht identisch mit dem „Internationalismus“ sind, wie Cajo Brendel ausführte: „In seinem Buch über die Arbeiterräte trägt Pannekoek seinen Standpunkt nochmals vor. Er macht klar, dass die Arbeiterklasse, sobald sie revolutionär vorgeht, sich vom Nationalismus befreien wird, dass ihre Organisation, ihre gegenseitige und freiwillige Zusammenarbeit, nicht an den Landesgrenzen aufhört. Er legt dar, dass das nichtnationale Wesen der Arbeiterklasse etwas anderes bedeutet als „Internationalismus“. Dieser kann auch eine friedliche Zusammenarbeit der verschiedenen Nationen ausdrücken, ,wie in einem imaginären bürgerlichen Idealvölkerbund‘. Aber ,für die sich befreienden Arbeiter sind die Nationen ganz verschwunden. (…) Der Nationalismus verschwindet von der Erde mit der Klasse, zu der er gehört.‘ (vgl. ,Herrineringen‘, S. 214 f.)“ (Cajo Brendel, Anton Pannekoek, a.a.O., S. 169.)

Zu diesen Ausführungen von Cajo Brendel von uns drei Anmerkungen. Erstens ist es richtig, dass das Proletariat als Klassenkampf- und potenziell revolutionäres Subjekt notwendig tendenziell antinational ist, da die mögliche soziale Weltrevolution nur eine permanente Kette der Zerschlagung aller Nationalstaaten sein kann. Zweitens waren und sind Links- und Rätekommunismus als theoretische Ausdrücke des proletarischen Klassenkampfes im Unterschied zur nationalkapitalistischen Sozialdemokratie und zum Rechtsleninismus zwar tendenziell, aber eben nicht konsequent antinational. So unterblieb zum Beispiel bei beiden marxistischen Strömungen eine systematische und scharfe Kritik der reaktionären nationalkapitalistischen Tendenzen bei Marx und Engels. Drittens drückt sich inhaltliche Konsequenz auch immer in begrifflicher Genauigkeit aus, während Inkonsequenz in verschwommener Wortwahl Gestalt annimmt. So bezeichneten/bezeichnen sich die nur tendenziell, aber nicht konsequent-bewusst antinationalen linkskommunistischen Strömungen wie die IKT und die IKS selbst nicht als antinational, sondern nur als „internationalistisch“. Demgegenüber ist der nachmarxistische und nachanarchistische Kommunismus inhaltlich konsequent und begrifflich klar absolut antinational.

Von einer antinationalen Position aus kritisierte der radikale Marxist – der selbst nicht in der SPD desorganisiert war – und spätere Pionier des parteifeindlichen Kommunismus, Franz Pfemfert, die deutsche Sozialdemokratie bereits vor 1914. So schrieb Pfemfert bereits am 18. Juni 1913 in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Die Aktion über den grundsätzlich bürgerlichen Charakter der SPD: „Das ist keine Arbeiterpartei mehr, das ist eine bürgerliche Reformpartei mit sozialistischem Vorwand. Sie hat ihre Massen musterhaft organisiert. (Auch die ,Viktoria‘-Lebensversicherung ist eine musterhafte Organisation.) Sie hält auf ,eiserne Disziplin‘. (Wie der preußische Militarismus.) Sie ist die größte politische Organisation der Welt. Aber sie ist nicht, was sie vortäuschen möchte: eine revolutionäre Partei. Wie sollte sie es auch sein! Sie ist lange schon der letzte Erwerbszweig aller verkrachten bürgerlichen Politiker. Jeder Wanderredner, der über die nötigen Schlagworte verfügt, sieht in der Sozialdemokratie eine Zuflucht, jeder intellektuelle Bankrotteur, jeder ehrgeizige Karrierehascher. Wer ihrer Kompromisswirtschaft förderlich sein kann, wird von der Partei mit offenen Armen empfangen. Und so hat die Sozialdemokratie Diplomaten, Redner, Demagogen, Strategen, sie besitzt die reichhaltigste Musterkollektion an ,Führern‘, sie kann auf die revolutionären Sozialisten, die (wie R.L.= Rosa Luxemburg) sich in ihren Reihen störend bemerkbar machen, spottend verzichten.“ (Die Aktion, 18. Juni 1913, zitiert nach: Franz Pfemfert – Zur Erinnerung an einen revolutionären Intellektuellen, in: Die Aktion, Heft 209, Edition Nautilus, Hamburg 2004, S. 31.) Die objektiv konterrevolutionäre Sozialdemokratie verzichtete ab 1914 nicht nur auf subjektiv revolutionäre Kräfte, zwischen 1918 und 1923 organisierte sie deren massenhafte Ermordung.

Schon 1913 hatte Pfemfert den bürgerlich-nationalen Charakter des sozialdemokratischen Internationalismus offengelegt: „Die Sozialdemokratie ist stolz auf ihren Internationalismus. In Wahrheit handelt es sich nicht darum, international zu sein, sondern antinational. In Wahrheit ist der ,Internationalismus‘ Humbug, Schwindel, Phrase. Und es sind nur feige Ausflüchte, wenn man zwischen Nationalismus und Chauvinismus einen Unterschied feststellen möchte. Es gibt hier keinen Unterschied; es ist keine Frage der Vernunft, es ist lediglich eine Angelegenheit des Zufalls, wann die Krankheit Nationalismus chauvinistische Fieberzustände bringt. Wer gegen Chauvinismus redet und den Nationalismus gutheißt, treibt Unfug!

Die Sozialdemokratie muss antinational sein, will sie eine geistige Partei darstellen. Sie muss, will sie die Befreiung der Menschheit ernstlich, antipatriotisch sein, denn die Macht der herrschenden Klasse wurzelt allein im Patriotismus. Wenn die reaktionären Parteien patriotisch sind, so ist das begreiflich. Wer aber für die Freiheit ist, wer gegen Krieg und Unterdrückung ist, der muss, sei er Arbeiter oder Bürger, den Patriotismus als eine Sklavenmoral ablehnen. Bleibt die Sozialdemokratie bei ihrem stimmzettelmehrenden Nationalismus, dann ist sie ewig zur Ohnmacht verdammt.“ (Die Aktion, 21. Mai 1913, zitiert nach: Franz Pfemfert – Zur Erinnerung an einen revolutionären Intellektuellen, a.a.O., S. 37.)

Der zweite Absatz des Zitats ist natürlich stark idealistisch. Was soll eine „geistige Partei“ sein? Auch schreibt Pfemfert nicht, zu was sich die Sozialdemokratie objektiv entwickelte, nämlich zu einer offen nationalkapitalistischen Kraft, sondern er forderte sie auf antinational zu sein. Doch mächtig werden konnte das sozialdemokratische BerufspolitikerInnentum nur als nationale Kraft. Aber der Kerngedanke wurde vom Pfemfert bereits 1913 völlig klar formuliert: Subjektiv revolutionäre Kräfte dürfen nicht lediglich internationalistisch, sie müssen bewusst antinational sein. Auch wenn das Subjekt der antinationalen Grundhaltung bei Pfemfert nicht materialistisch das sich möglicherweise selbst revolutionär aufhebende Proletariat, sondern idealistisch und klassenneutral „freiheitsliebende“ ArbeiterInnen und BürgerInnen sind. Das Predigen von abstrakter und klassenneutraler „Freiheit“ stellt eine anarchistische Gepflogenheit dar, die stark an liberale Angewohnheiten erinnert.

Die radikalmarxistischen Pioniere des Rätekommunismus Anton Pannekoek und Franz Pfemfert entwickelten also bereits vor 1914 antinationale Positionen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es notwendig, sowohl den kolonialen Imperialismus als auch die antikoloniale Herausbildung neuer privat- oder staatskapitalistischer Nationen konsequent von einem antinationalen Standpunkt als sozialreaktionär zu kritisieren. Der Niedergangs-Rätekommunismus war dazu nicht in der Lage. Er betrachtete die politische Machteroberung von marxistisch-leninistischen Parteibonzen in Asien, Afrika und auf Kuba als eine „bürgerliche Revolution“ und damit irgendwie „fortschrittlich“. Wir haben bereits im Kapitel II.8 darauf hingewiesen, dass der marxistische Begriff der „bürgerlichen Revolution“ ungenau hinsichtlich der politischen Machteroberung von klassischer Bourgeoisie in Westeuropa und marxistisch-leninistischer Parteiapparate in einigen Ländern Eurasiens und Afrikas sowie auf Kuba ist und deren absolut sozialreaktionären Charakter verschleiert.

So schrieb Paul Mattick 1970: „In einem kapitalistisch-unentwickelten Land ist die bürgerliche Revolution, historisch gesehen, auch vom Arbeiterstandpunkt aus fortschrittlich, da erst die entwickelte kapitalistische Gesellschaft dem Sozialismus eine Chance gibt.“ (Paul Mattick, Der Leninismus und die Arbeiterbewegung des Westens, in: Anton Pannekoek, Paul Mattick u. a., Marxistischer Anti-Leninismus, a.a.O., S. 201.)

Mattick verwechselt hier wieder die antifeudale Revolution (England und Frankreich) beziehungsweise die antifeudal-antiprivatkapitalistische Revolution (Russland), bei der die kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Sozialbewegung und das sozial noch sehr schwache, aber sehr klassenkämpferische russische Proletariat die vorwärtstreibenden Elemente waren, mit der bürgerlichen beziehungsweise der staatskapitalistischen Konterrevolution der klassischen Bourgeoisie und der Staatsbourgeoisie. Selbst in dem Land, wo die Bourgeoisie in Folge einer antifeudalen Revolution zum ersten Mal an die politische Macht gelangte, in England, war dies für das vorindustrielle Proletariat kein „Fortschritt“. Nein, die Herrschaft der Bourgeoisie verkörperte von Anfang an finstere Sozialreaktion, die auf der Ausbeutung des vorindustriellen Proletariats beruhte, gegen die sich der Frühkommunismus in Form der Diggers wehrte. Klar, das vorindustrielle Proletariat war sozial noch zu schwach und auch geistig zu unreif, um die Bourgeoisie zu stürzen. So wie auch das revolutionäre Proletariat in Form des Kronstädter Aufstandes im März 1921 gegen den staatskapitalistischen Bolschewismus nicht siegen konnte. Aber die Diggers und der Kronstädter Aufstand verkörperten die Tatsache, dass die bürgerliche Machtübernahme von Bourgeois und marxistischen Parteibonzen auch „in einem kapitalistisch-unentwickelten Land“ „vom ArbeiterInnenstandpunkt“ aus gesehen absolut sozialreaktionär und konterrevolutionär war! Ja, es stimmt: die kapitalistische Industrialisierung schafft auch die Möglichkeit der revolutionären Selbstaufhebung des Proletariats – die vorher absolut unmöglich war. Aber die mögliche revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats ist die Folge der kapitalistischen Industrialisierung als sozialreaktionärem Prozess, jedoch nicht mit ihr identisch. Ein sozialreaktionärer Prozess wird nicht dadurch „fortschrittlich“, weil er auch mit der Möglichkeit schwanger geht, ihn revolutionär aufzuheben!

Mit den marxistischen Dogmen im Kopf von der angeblichen ursprünglichen „Fortschrittlichkeit“ von „bürgerlicher Revolution“ und Bourgeoise/marxistisch-leninistischen Parteibonzen in kapitalistisch-unentwickelten Ländern konnte Mattick auch die sozialreaktionäre Herausbildung neuer staatskapitalistischer Nationen in Asien, Afrika und auf Kuba in Folge der nationalen „Befreiung“ gegen den westlichen Kolonialismus und Imperialismus nicht konsequent-revolutionär kritisieren. Für ihn war der sozialreaktionäre Prozess der Herausbildung neuer Nationalstaaten „bürgerlich-revolutionär“: „Die „national-revolutionären Bewegungen der Dritten Welt sind nicht Zeichen einer herannahenden weltweiten sozialistischen Revolution, sondern aus der Not geborene Versuche der eigenen Kapitalisation, deren erste Voraussetzung der Kampf gegen den alten Imperialismus ist. In dem Maße, in dem es den national-revolutionären Ländern gelingt, sich von fremder Ausbeutung zu befreien, vertiefen sich die dem Kapitalismus eigenen Schwierigkeiten und tragen zu seiner Auflösung bei. Als Ausdruck des zerfallenden Kapitalismus sind diese Bewegungen vom proletarischen Klassenstandpunkt zu begrüßen; aber das ändert nichts an der Tatsache, dass sich die Ziele der proletarischen Revolution nicht mit denen der nationalen Selbständigkeitsbestrebungen vereinbaren lassen. Zu einer Zeit, in der sich Länder, die sich auf dem Leninismus berufen, als Feinde gegenüberstehen, ja sich gegenseitig zu zerstören drohen und in der national-staatskapitalistische Interessen, wie alle nationalen Interessen, als imperialistische Interessen auftreten, ist es nicht mehr möglich, von einer Identität der national-revolutionären und der proletarischen Bewegung zu sprechen.

Es wäre natürlich schön, wenn sich die anti-kapitalistischen und anti-imperialistischen Bewegungen in einer großen gemeinsamen Front gegen den imperialistischen Kapitalismus zusammenfassen und unter eine einheitliche revolutionäre Führung bringen ließen. Aber das ist nur in der Vorstellung, nur als Idee möglich, da die Verschiedenheiten der materiellen und sozialen Zustände in den einzelnen Ländern eine solche revolutionäre Einheitsfront ausschließen. Die national-revolutionären Bewegungen können nicht zum Sozialismus führen, und die einzige Revolution, die die Arbeiter des Westens machen können, ist die sozialistische Revolution.“ (Paul Mattick, Der Leninismus und die Arbeiterbewegung des Westens, a.a.O., S. 202/203.)

Mattick nannte also die Nationalismen in der „Dritten Welt“ (=Trikont), die zur Herausbildung neuer kapitalistischer Staaten führten und absolut sozialreaktionär waren, „revolutionär“. Er blendete hier völlig aus, dass die reaktionären Linksnationalismen in „ihren“ Ländern – zum Beispiel in China, Vietnam und auf Kuba – brutal-terroristisch gegen das klassenkämpferische Proletariat und den kleinbürgerlichen Radikalismus (Trotzkismus und Anarchismus) vorgingen. Der marxistisch-leninistische Linksnationalismus im Trikont war also von Anfang an ein struktureller Klassenfeind des Weltproletariats und nicht „vom proletarischen Klassenstandpunkt aus zu begrüßen“ wie Mattick behauptete. Und auch seine Behauptung, dass die staatskapitalistischen Linksnationalismen zur Auflösung des Kapitalismus beigetragen hätten, war sachlich falsch. Sie waren Durchsetzungsformen des Weltkapitalismus. Zwar erkannte Mattick den Gegensatz von proletarischer Revolution und den „national-revolutionären Bewegungen der Dritten Welt“, aber den absolut sozialreaktionären Charakter der letzteren sah er nicht. Im Gegenteil, er behauptete, dass es „schön“ wäre, wenn sich der linksnationale „Antiimperialismus“ im Trikont mit dem Antikapitalismus vereinen ließe. Oh je! Die absolute Trennung von beiden ist noch immer notwendig!

Weil er den sozialen Prozess durch die marxistische Ideologie-Brille nur verzerrt sah, erkannte Mattick nicht den absolut sozialreaktionären Charakter der leninistischen Linksnationalismen im Trikont. Im Trikont stand damals nach dem verknöcherten marxistischen Schema die kapitalistische Industrialisierung auf der historischen Tagesordnung, aber noch nicht die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats wie im Westen. Klar, die objektiven Bedingungen waren im Trikont damals noch nicht reif für die soziale Revolution – wie heute auf der ganzen Welt noch nicht die subjektiven Bedingungen dazu reif sind. Aber nur, weil die objektiven und subjektiven Bedingungen für die mögliche soziale Revolution noch nicht reif waren und sind, war und ist eine absolut sozialreaktionäre Erscheinung wie der leninistische Linksnationalismus nicht „fortschrittlich“! Matticks Inkonsequenz gegenüber dem Linksnationalismus im Trikont war ein Ausdruck der subjektiven Unreife der damaligen kommunistischen Bewegung.

Cajo Brendel legte die gleiche Inkonsequenz gegenüber dem leninistischen Linksnationalismus an den Tag. Auch für Brendel war der Leninismus „bürgerlich-revolutionär“, und damit zwar nicht proletarisch-revolutionär, aber dennoch irgendwie „fortschrittlich“. So schrieb er in der Einführung zur englischen Ausgabe der Thesen über die chinesische Revolution: „Die Kämpfe der Kolonialvölker haben die revolutionäre Bewegung etwas gelehrt. Die Tatsache, dass schlecht bewaffnete bäuerliche Bevölkerungen den enormen Streitkräften des modernen Imperialismus haben standhalten können, hat den Mythos von der Unbesiegbarkeit der militärischen, technologischen und wissenschaftlichen Macht des Abendlandes erschüttert. Ihr Kampf hat zudem Millionen von Menschen die Brutalität und den Rassismus des Kapitalismus deutlich gemacht und hat viele Menschen – vor allem Junge und Studenten – dazu gebracht, gegen ihre eigenen Regime zu kämpfen.“ (Zitiert nach: Philippe Bourrinet, Holländischer Rätekommunismus: Von den „Groepen van Internationale Coomunisten“ zum „Spartacusbond“, in: Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit Nr. 13, Fernwald (Annerod) 1994, S. 45/46.)

Was hier auffällt, ist das völlige Fehlen einer Klassenanalyse. Es ist hier bei Brendel klassenneutral von „Kolonialvölkern“ die Rede. Diese waren aber klassengespalten in eine schwache Bourgeoisie, GroßgrundbesitzerInnen, in BäuerInnen, ArbeiterInnen – und kleinbürgerliche BerufspolitikerInnen. Letztere führten leitend sozialreaktionäre Guerillakriege mit bäuerlicher Basis, die bei einem Sieg zur Gründung von Nationalstaaten führten. Natürlich war der kleinbürgerliche Radikalismus des Westens von dem Agieren seines Klassen- und Gesinnungsbruders im Trikont begeistert. Aber der kleinbürgerliche Radikalismus ist nun mal letztendlich nicht sozialrevolutionär. Es wäre die Aufgabe von Cajo Brendel gewesen, den kleinbürgerlichen Radikalen, die von den imperialistischen Kriegen des Westens moralisch abgestoßen waren, die Wahrheit über den absolut sozialreaktionären Charakter der leninistischen Linksnationalismen im Trikont zu sagen. Doch das konnte er nicht, wegen seinen marxistischen Dogmen von der „bürgerlichen Revolution“. So fehlte Cajo Brendel in dieser wichtigen Frage die notwendige Konsequenz. Im Vietnamkrieg war zum Beispiel sowohl ein revolutionärer Kampf gegen das staatskapitalistische Regime in Hanoi als auch den US-Imperialismus notwendig.

Trotz seiner Inkonsequenzen und Fehler verkörperte der Rätekommunismus unsterbliche Verdienste und Errungenschaften. Er war die radikalmarxistische Strömung, die als erstes mit dem Lenin/Trotzki-Regime brach und dieses als staatskapitalistisch analysierte. Der Rätekommunismus war der geistige Ausdruck der praktischen klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats gegen Kapital, Staat und bürgerlich-bürokratische Gewerkschafts- und Parteiapparate der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung. Er war nicht nur antistalinistisch wie der italienische Linkskommunismus, sondern antileninistisch. Die konsequentesten Ausformungen des Rätekommunismus waren nicht nur antiparlamentarisch, sondern lehnten auch die politische Partei als Organisationsform für das klassenkämpferische Proletariat und die SozialrevolutionärInnen klar ab.

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Boykott jüdischer Geschäfte 1. April 1933 und Flüchtlingscamp Jabalia in Gaza nach dem Raketenangriff 10.Oktober 2023

Gleich zu Beginn dieser Schrift sei hier angemerkt, dass wir den alten Begriff Antijudaismus zur Umschreibung des Chauvinismus gegen Jüdinnen und Juden benutzen. Und dies aus zwei Gründen. Erstens ist der Begriff „Antisemitismus“ wesentlich ungenauer. Juden und Jüdinnen sind nicht die einzigen SemitInnen, der sogenannte „Antisemitismus“ richtet sich jedoch meistens ausschließlich gegen die erstgenannten. Wir können einen religiösen und einen rassistischen sowie seit der Existenz des Staates Israel einen nationalistischen Antijudaismus unterscheiden, die sich in der Praxis durchmischten und durchmischen. Und zweitens ist „Antisemitismus“ zu einem Kampfbegriff des Prozionismus und des Staates Israel verkommen, der sich auch gegen israelkritische und antizionistische Jüdinnen und Juden richtet. Selbstverständlich gibt es auch einen gegen den Staat Israel gerichteten Antijudaismus, aber auch eine konsequente und radikale Kritik an Israel und am Zionismus, die nicht auf Antijudaismus beruht. Dazu gehört eindeutig unserer antinationaler Antizionismus, der den jüdischen Nationalismus genauso konsequent wie alle anderen Nationalismen – einschließlich des palästinensischen – bekämpft.

Des Weiteren sei angemerkt, dass die Geschichte des europäischen Antijudaismus, der faschistische Massenmord an den Jüdinnen und Juden, der sozialreaktionäre Charakter von Zionismus und palästinensischen Nationalismus hier nur kurz geschildert werden kann. Wir empfehlen unsere zwei Broschüren Der Kampf des jüdischen Proletariats (1900-1945) sowie Zionismus und arabischer Nationalismus.

Europäischer Antijudaismus und Zionismus

Den ChristInnen war es im europäischen Mittelalter von der Kirche verboten Zins zu nehmen. So betrieben oft Juden im Auftrag und im Interesse der Feudalherren Finanzgeschäfte. Dafür wurden die Juden oft zum Sündenbock für die Misswirtschaft. Das feudale System wusch sich rein, indem es auf den „schmutzigen Juden“ verwies. Die Judenverfolgung hatte auch damals schon – trotz der irrationalen Ideologie, die sie produzierte – einen rationalen, die Herrschaft sichernden Kern. In der ständischen Gesellschaft des Feudalismus wurde der Charakter des Judentums als vorindustriekapitalistisches Handelsvolk verrechtlicht und zementiert.

Im Gegensatz zu einer Verschwörungslegende des Antijudaismus waren die Juden eben nicht die „ErfinderInnen“ des modernen europäischen Kapitalismus, sondern sie wurden im Gegenteil mit der Herausbildung einer christlichen Handels-, Finanz- und schließlich Industriebourgeoisie ziemlich an den Rand gedrängt und Verfolgungen sowie Vertreibungen ausgesetzt. Zuerst wurden die Juden von einer ab dem 11. Jahrhundert entstehenden christlichen Handelsbourgeoisie aus dem Handel verdrängt. Es blieb ihnen oft nur noch das Wuchergeschäft. Der Antijudaismus ist eine extrem ideologisch verzerrte Widerspiegelung der Tatsachen, dass die Juden durch ihr Handelsmonopol bis zum 11. Jahrhundert den Tauschwert in einer noch vorwiegend von der Naturalwirtschaft geprägten Gesellschaft verkörperten und dann, als das Geld immer stärker den Feudalismus aushöhlte und zerstörte, von einer christlichen Handelsbourgeoisie immer mehr in den Wucher verdrängt wurden. Aber im modernen Kapitalismus verkörpern die Juden nicht mehr und nicht weniger das Geld als alle anderen Sprach-, Religions- und Kulturgemeinschaften auch.

In dem Maße, wie sich in den feudal-bürgerlichen Gesellschaften eine christliche Handelsbourgeoisie, welche auch den Geldhandel betrieb, entwickelte, konnten die Juden ab dem 12. Jahrhundert aus dem Handel verdrängt und vorübergehend vertrieben werden. Vorher nicht, weil das schwerwiegende sozialökonomische Folgen gehabt hätte. Die jüdische Religionsgemeinschaft wurde immer stärker von der anderen Bevölkerung isoliert. Zwischen 1099 und 1291 wurde die jüdische Bevölkerung in Palästina durch Kreuzfahrer und Seldschuken dezimiert. Seit dem 13. Jahrhundert erfolgte die zwangsweise Ansiedlung in geschlossene Stadtviertel (Judengasse, Judenviertel, Judenquartier, Ghetto). So wurden die Juden in den Jahren 1182, 1268 und 1306 aus Frankreich vertrieben. Die Juden wurden also als vorindustriekapitalistisches Handelsvolk mit der Entwicklung einer christlichen Handelsbourgeoisie zunehmend verdrängt und nach Osteuropa vertrieben. Die Pest von 1348-51 wurde in ganz Europa zu einer barbarischen Judenverfolgung zum Anlass genommen. Sie forderte Zehntausende von Opfern und führte zu einer starken jüdischen Auswanderung, besonders von Deutschland nach Polen. Joachim Kahl bemerkt zu Recht: „So umfassend wurden die Juden ausgerottet, dass die Katastrophe dieser Jahre auf faschistische Pogrome unter Hitler vorausweist.“ (Joachim Kahl, Das Elend des Christentums, Rowohlt Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg, 1968/1993, S. 48.)

Mit der Entwicklung des Industriekapitalismus und der Entstehung moderner demokratischer Rechtsstaaten als den effektivsten politischen Formen der sozialen Diktatur des Kapitals in Westeuropa, bestand für die Juden dort immer stärker sowohl die Möglichkeit als auch die Notwendigkeit sich als vorindustriekapitalistisches Handelsvolk aufzuheben und sich in die entstehenden Nationalstaaten zu assimilieren. Bei einer geglückten Assimilation würden die Juden sich sozial in die drei Hauptklassen Bourgeoisie, KleinbürgerInnentum und Proletariat spalten und als Religions- und Kulturgemeinschaft die Religionsfreiheit genießen. Die Juden würden sich durch den Nationalismus in erster Linie als FranzösInnen, EngländerInnen, Deutsche usw. fühlen, und ihr Judentum wäre wie jede Religion Privatsache. Diese Assimilation war auch im 19. Jahrhundert in Westeuropa relativ erfolgreich. Doch diese relative Assimilation war auch in Westeuropa immer wieder durch mal stärkere und mal schwächere Schübe des Antijudaismus geprägt. Besonders das KleinbürgerInnentum – aber auch Teile des Proletariats und der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung – waren durchaus anfällig gegenüber dieser chauvinistischen Ideologie.

In Osteuropa –besonders im zaristischen Russland – war der Kapitalismus zu schwach entwickelt, um das Judentum zu assimilieren. Der Kapitalismus war zwar auch dort Ende des 19. Jahrhunderts/Anfang des 20. Jahrhunderts schon so stark, dass es massenhaft das jüdische Kleinhandwerk ruinierte, aber eben zu schwach, um das ruinierte jüdische KleinbürgerInnentum vollständig in ein Proletariat transformieren zu können. Das erzeugte in der jüdischen Bevölkerung – besonders im russisch annektierten Teil Polens – eine große Arbeitslosigkeit und ein für das Kapital unproduktives Elend. Zwar entwickelte sich auch ein jüdisches Proletariat, doch das wurde vorwiegend im zugrunde gehenden jüdischen Kleinhandwerk ausgebeutet. Im russisch annektierten Teil Polens verboten die polnischen Berufsgewerkschaften bis zum Sturz des Zarismus den jüdischen ProletarierInnen die Arbeit in der Industrie. Der überlebte Zarismus versuchte sich zu erhalten, indem er die soziale Wut – besonders der BäuerInnen – auf die Juden lenkte. Die Organisation bzw. Duldung antijüdischer Pogrome hatte für den russischen Zarismus eine herrschaftsstabilisierende Funktion. Er schürte auch die antijüdische Verschwörungsideologie nach Leibeskräften und produzierte das antijüdische Machwerk Protokolle der Weisen von Zion. Diese Hetzschrift gehörte international zur Lieblingslektüre aller JudenhasserInnen, unter ihnen auch Adolf Hitler.

Die Nichtintegration der Juden im ökonomisch unterentwickelten Osteuropa hatte drei Folgen: Die Emigration nach Westeuropa, in die USA und nach Palästina, die Entstehung einer besonderen jüdischen institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung im zaristischen Russland sowie in Zwischenkriegspolen in Form des sozialdemokratischen Bundes und die Entwicklung des jüdischen Nationalismus, des Zionismus. Die Ankunft jüdischer MigrantInnen aus Osteuropa stärkte auch in Westeuropa den Antijudaismus als reaktionäre chauvinistische Konkurrenzideologie. Mehrere europäische Nationalstaaten versuchten die jüdische Emigration gesetzlich einzuschränken. So erließ Großbritannien 1905 das berüchtigte Fremdengesetz, mit dem den osteuropäischen Juden und Jüdinnen die Migration auf die Insel verunmöglicht wurde.

Die sogenannte „jüdische Frage“ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestand aus der Nichtassimilation der Juden und Jüdinnen durch den noch schwachen osteuropäischen Kapitalismus und die Rückgängigmachung der relativen Assimilation durch den deutschen Krisenkapitalismus in seiner NS-faschistischen Form und schließlich im antijüdischen Massenmord. Die relative Assimilation der Juden in Westeuropa im 19. Jahrhundert beruhte auf der beschleunigten Kapitalvermehrung. Doch diese geriet ab 1913 in die strukturelle Profitproduktionskrise.

Der Erste Weltkrieg war für das globale Rüstungskapital ein gefundenes Fressen und bescherte dem US-Nationalkapital ein Extraaufschwung, während Europa in Blut und organisiertem Chaos versank. Der Krieg führte zur Verschärfung des Klassenkampfes, der in der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923) mündete, die jedoch der globale Kapitalismus konterrevolutionär löste – dazu gehörte auch der bolschewistische Staatskapitalismus in „Sowjet“-Russland, welcher 1921 die Kronstädter Matrosen als Avantgarde der Revolution massakrierte. Zwischen 1923 und 1929 stabilisierten sich der westeuropäische und der nordamerikanische Kapitalismus etwas – um dann 1929 in der Weltwirtschaftskrise zu landen.

Diese Krise machte in Deutschland den Faschismus als kleinbürgerlich-reaktionäre Massenbewegung im Interesse der Bourgeoisie groß. Er war Fleisch vom Fleische des deutschen KleinbürgerInnentums, das durch die Weltwirtschaftskrise massenhaft ruiniert wurde. Die ruinierten KleinbürgerInnen konnten nicht in der ArbeiterInnenklasse aufgehen, da diese selbst unter der Massenarbeitslosigkeit litt. Der Antijudaismus der Nazis entsprach den sozialökonomischen und sozialpsychologischen Bedürfnissen der von der Krise bedrohten KleinbürgerInnen. Wenn jemand vernichtet werden sollte, dann nicht sie, sondern die jüdische Konkurrenz! Kauft nicht bei Juden, sondern bei braven „arischen“ Deutschen! Die KleinbürgerInnen projizierten massenhaft ihren ganzen Hass auf die Juden, ihre eigene Geldgier auf die „Geldjuden“, ihre Angst und Abscheu vor dem klassenkämpferischen Proletariat in den „jüdischen Bolschewismus“, ihre Enttäuschung in die Weimarer „Judenrepublik“ – die sie nicht retten wollte oder konnte – und das angeblich „jüdische“ Bankkapital, bei dem sie massenhaft verschuldet waren. Der NS-Antijudaismus stärkte schon während der Weimarer Republik den Kapitalismus ideologisch, indem er den „arischen schaffenden“ Industriekapitalismus gegen das „raffende jüdische Finanzkapital“ ausspielte.

Für die Nazis waren die Juden eine geldgierige „Rasse“. Hier ein Zitat von Hitler, welches das ziemlich gut veranschaulicht. So schrieb er am 16. September 1919: „Der Antisemitismus als politische Bewegung darf nicht und kann nicht bestimmt werden durch Momente des Gefühls, sondern durch die Erkenntnisse von Tatsachen. Tatsachen aber sind: Zunächst ist das Judentum unbedingt Rasse und nicht Religionsgemeinschaft. Und der Jude selbst bezeichnet sich nie als jüdischen Deutschen, jüdischen Polen oder etwa jüdischen Amerikaner, sondern stets als deutschen, polnischen oder amerikanischen Juden. Noch nie hat der Jude von fremden Völkern, in deren Mitte er lebt, viel mehr angenommen als die Sprache. Und damit ergibt sich die Tatsache, dass zwischen uns eine nichtdeutsche, fremde Rasse lebt, nicht gewillt und auch nicht imstande, ihre Rasseneigenarten zu opfern, ihr eigenes Fühlen, Denken und Streben zu verleugnen, und die dennoch politisch die gleichen Rechte besitzt wie wir selber. Bewegt sich schon das Gefühl des Juden im rein Materiellen, so noch mehr sein Denken und Streben. Der Tanz ums Goldene Kalb wird zum erbarmungslosen Kampf um alle jene Güter, die nach unserem inneren Gefühl nicht die höchsten und einzig erstrebenswerten auf dieser Erde sein sollen.

Sein Mittel zum Kampf ist jene öffentliche Meinung, die nie ausgedrückt wird durch die Presse, wohl aber immer durch sie geführt und gefälscht wird. Seine Macht ist die Macht des Geldes, dass sich in Form des Zinses in seinen Händen mühe- und endlos vermehrt, und den Völkern jenes gefährlichste Joch aufzwingt, dass sie seines anfänglichen goldenen Schimmers wegen so schwer in seinen späteren traurigen Folgen zu erkennen vermögen. Alles was Menschen zu Höherem streben lässt, sei es Religion, Sozialismus, Demokratie, es ist ihm alles nur Mittel zum Zweck, Geld- und Herrschgier zu befriedigen. Sein Wirken wird in seinen Folgen zur Rassentuberkulose der Völker.“

Hier sehen wir deutlich, wie der Kleinbürger Hitler den negativen Geldfetischismus mit der „wissenschaftlichen Rassenlehre“ verknüpfte. Die eigene kleinbürgerliche Konzentration auf das Geld wurde auf die „anderen“, die Juden und Jüdinnen, projiziert und diese Objekte der eigenen Projektion fanatisch bekämpft. Nun ja, indem die Nazis 1933 von der Mehrheit der deutschen Bourgeoisie als ihre offiziellen Folterknechte und Mordbuben gemietet wurden, konnten nicht wenige Nazibonzen ihre Taschen mit Geld füllen. Durch die „Arisierung der deutschen Wirtschaft“ konnten „arische“ KapitalistInnen auf Kosten der enteigneten jüdischen Bourgeoisie ihr Geld vermehren. Negativer Geldfetischismus, der rassistisch auf die Juden projiziert wurde, als Moment des Konkurrenzkampfes im Rahmen der Kapitalvermehrung.

Auch die Bourgeoisie beherrscht die Kapitalvermehrung nicht, sie wird von ihr beherrscht. Sie wird vom Aufschwung emporgehoben – und dann in die Krise geschleudert. Für die KleinbürgerInnen fällt die Höhe des Aufschwunges wesentlich niedriger, dafür aber der Fall umso tiefer aus. Von der sozialökonomischen und psychologischen Vernichtung bedroht, wollten sie überleben, indem sie andere vernichteten. Eine Zwischenstellung zwischen dem Großkapital, dass es besonders in der Krise massenhaft ruinierte, und dem Proletariat, welches es embryonal ausbeutete, einnehmend, lief das KleinbürgerInnentum während der Weltwirtschaftskrise in Deutschland im Interesse der Bourgeoisie antijüdisch und antikommunistisch Amok und machte den Faschismus zu einer Massenbewegung. Als die deutsche Bourgeoisie 1933 den Nazis die politische Macht übergab, wurde ihr Antijudaismus zur massenmörderischen Gewalt. Der Antijudaismus wurde wie die Vorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg und die Zerschlagung der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung (Sozialdemokratie, Gewerkschaften und Partei-„Kommunismus“) zur völkischen Krisenlösungsstrategie der Nazis. Indem die Bourgeoisie ihre Herrschaftsform Demokratie in den Faschismus transformierte, entwickelte sich dieser aus einer kleinbürgerlichen Massenbewegung in eine großbürgerliche politische Strömung.

Beim staatlichen Antijudaismus der Nazis verschmolz die kalte technokratische Rationalität der Kapitalvermehrung mit einer überfanatischen irrationalen Vernichtungsideologie und gipfelte schließlich im millionenfachen kapitalistisch-industriellen Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden. Die Verdrängung der Juden und Jüdinnen durch den NS-Staat aus Wirtschaft, Politik und Kultur, eröffnete neue Karrieren für „arische“ Deutsche, besonders für überzeugte Nazis. Die jüdische Bourgeoisie wurde im Interesse ihrer „arischen“ Konkurrenz enteignet, wodurch die Konzentration und Zentralisation des Kapitals zunahmen. So schufen die Nazis massenhaft für das Kapital unproduktive jüdische Armut. Der Kapitalismus vernichtete und vernichtet massenhaft unproduktive Armut, indem er die Armen mehr oder weniger sich selbst überlässt. Ein monströser Massenmord! Die modernen Sozialstaaten in den kapitalistischen Metropolen mildern den Terror gegen das nichtlohnarbeitende Proletariat etwas ab – aber nur SozialdemokratInnen kommen auf die Idee, die Tatsache, dass die entwickelten kapitalistischen Staaten ihre Armen nicht mehr massenhaft verhungern und erfrieren, sondern sie auf niedrigem Niveau dahinvegetieren lassen, als „zivilisatorische Errungenschaft“ zu feiern. Doch die Nazis waren keine SozialdemokratInnen, sie waren konsequente SozialdarwinistInnen. Nachdem sie den Jüdinnen und Juden die sozialökonomische Grundlage ihrer Existenz genommen hatten, vernichteten sie sie physisch. Die Nazis waren die ultrafanatischen Übertreiber jenes kapitalistischen Sozialdarwinismus, der sonst die Menschen durch die unsichtbare Hand des Marktes tötete und noch immer tötet.

Die physische Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden begann mit dem Zweiten Weltkrieg. Das hatte sehr viel mit der ultrafanatisch-antijüdischen ideologischen Verklärung dieses imperialistischen Gemetzels durch die Nazis zu tun. Für diese stellte der Zweite Weltkrieg ein Endkampf zwischen „arischen Herrenmenschen“ und „jüdischen Untermenschen“ dar, wodurch die sozialökonomische Basis des Blutbades als militärischer Konkurrenzkampf zwischen imperialistischen Staaten ideologisch verschleiert wurde.

Beim kapitalistisch-industriellen Massenmord verschmolz die Rationalität der Kapitalvermehrung untrennbar mit der massenmörderischen Irrationalität des fanatischen Judenhasses. Einige Juden wurden von der SS an das deutsche Kapital (z.B. Krupp) als SklavInnen verkauft, wo das „Judenmaterial“ zu Tode gearbeitet wurde. Aus Geld muss mehr Geld gemacht werden! Dass ist der massenmörderische kategorische Imperativ des Kapitals. Und wenn noch so viele Menschen sterben müssen! Wer zählt die Millionen SklavInnen und LohnarbeiterInnen, die das Kapital in seiner Geschichte weltweit zu tote gearbeitet hat?! Nein, der Massenmord des deutschen Faschismus war kein Zivilisationsbruch, er war der bisher extremste Ausdruck der kapitalistischen Zivilisationsbarbarei.

Auschwitz als Zivilisationsbruch zu bezeichnen, heißt davon zu abstrahieren, dass sich das Kapital nur durch das Auftürmen von Leichenbergen vermehrte und vermehrt. In der Fabrik und auf den Schlachtfeldern unzähliger Kriege wurden in der Geschichte Millionen Menschen zum Wohle der Kapitalvermehrung umgebracht. In einer Geschichte voller Gemetzel ist das größte Gemetzel kein Zivilisationsbruch! Außerdem ist das Gerede über „Zivilisationsbruch“ extrem eurozentristisch. In Australien, Asien, Afrika, Ozeanien und Amerika wurden zum Wohle der europäisch-„weißen“ kapitalistischen Zivilisation Menschen „nichtweißer“ Hautfarbe massenhaft massakriert. Die Nazis hatten ihren Massenmord mitten in Europa organisiert und millionenfach „Weiße“ einem Vernichtungsrassismus ausgesetzt, das war das Neue. Außerdem nutzten sie für ihre Mordorgie die modernen kapitalistischen Produktivkräfte, die immer auch Zerstörungskräfte gegen das arbeitende Proletariat und die Natur waren und sind. Diesen Zusammenhang soll das Gerede über den angeblichen „Zivilisationsbruch“ verschleiern. Es dient der Verteidigung der alltäglichen kapitalistischen Zivilisationsbarbarei und seiner technokratischen Todesfabrikation.

Auschwitz verkörpert auf ideologisch extrem verzerrte Weise den Konkurrenz- und Klassenkampf von oben in einer der krisenhaftesten Zeiten des Kapitalismus, der seine Zivilisationsbarbarei extrem verschärfte und in Deutschland in faschistischer Form zugleich rational-technokratisch-kalt und irrational-ideologisch durchdrehend die Krise zu lösen versuchte. Durch den Judenhass wurde der Konkurrenzkampf auf völkisch-rassistische Art und Weise gelöst, eine für das Kapital unproduktive jüdische Armut geschaffen und diese technokratisch vernichtet, woran auch das Kapital verdiente. Und nicht nur das Kapital. Nach der Deportation der deutschen Jüdinnen und Juden in die Vernichtungsfabrik Auschwitz wurden ihre Haushalte versteigert. An den Versteigerungen nahmen Menschen aller Klassen und Schichten teil. So stärkte sich die „Volksgemeinschaft“ als Scheinrealität und realer Schein durch den rassistischen Ausschluss der Juden als Beutegemeinschaft der Aasgeier.

Im Zweiten Weltkrieg triumphierte global der Klassenkampf von oben gegen das Proletariat. Das Proletariat tötete und wurde getötet im Interesse der einzelnen Nationalstaaten, die ihren blutigen Konkurrenzkampf ausfochten. Der kapitalistisch-industrielle Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden war Teil des imperialistischen Gemetzels. Der antifaschistische Imperialismus der staatskapitalistischen Sowjetunion und der privatkapitalistischen Demokratien machte vor dem Gemetzel seine Geschäfte mit dem Faschismus auf Kosten des Proletariats, so wie er nach dessen Beginn seinen militärischen Konkurrenzkampf gegen die Nazis ebenfalls auf deren Kosten ausgefochten hatte. Die imperialistischen Demokratien bombardierten deutsche ZivilistInnen, aber nicht die antijüdischen faschistischen Massenmordzentren.

Auch der kapitalistisch-industrielle Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden verkörperte nicht nur dadurch den ideologisch extrem verzerrten Klassenkampf von oben, indem er das von den Nazis völkisch-technokratisch geschaffene unproduktive jüdische Elend sehr zum Vorteil einiger Privatkapitale auslöschte. Die Nazis projizierten auch ihren nationalistischen Hass auf den „proletarischen Internationalismus“ der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung auf das gesamte Judentum. Der „proletarische Internationalismus“ war und ist stark beschränkt, weil er in seinen Hauptströmungen nicht konsequent den kapitalistischen Nationalismus hinter sich lässt. Deshalb ist er aus antinational-sozialrevolutionärer Sicht scharf zu kritisieren. Aber es muss auch bedacht werden, dass der „proletarische Internationalismus“ für viele jüdische ArbeiterInnen und Intellektuelle (Rosa Luxemburg, Karl Radek, Leo Trotzki…) in Osteuropa eine relativ progressive Form war, mit der sie ihre Nichtassimilation und den blutigen Antijudaismus verarbeiten konnten, ohne jüdische NationalistInnen (ZionistInnen) zu werden. Die Nazis projizierten ihren leidenschaftlich-krankhaften Hass gegen den proletarischen Internationalismus auf alle Juden, von denen viele in Westeuropa sich leidenschaftlich-reaktionär zu den Nationen bekannten, in denen sie lebten, oder jüdische NationalistInnen/ ZionistInnen waren. In seiner ersten „großen“ Rede vom 13. August 1920 teilte Hitler seinen ZuhörerInnen mit, dass er ein Judenfeind sei, weil „die Juden international sind, die Gleichheit aller Völker und die internationale Solidarität predigen, (und) es ihr Ziel ist, die Rassen zu entnationalisieren“ (siehe: E. Jäckel, Hitler als Ideologe, Calmann Levy 1973). Der kapitalistisch-industrielle Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden richtete sich auch ideologisch extrem verzerrt gegen den proletarischen Internationalismus.

…..

Es gehört zu den historischen Fakten, dass nicht in erster Linie die ZionistInnen – die im großen Stil ihre schmutzigen Politgeschäfte mit den größten JudenmörderInnen, von dem russischen Zaren bis zu den deutschen Nazis, machten – gegen den mörderischen europäischen Antijudaismus kämpften, sondern die jüdische institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung, der sozialdemokratische Bund. Dieser organisierte den militanten Selbstschutz des jüdischen Proletariats gegen den gewaltsamen Antijudaismus. Zuerst im zaristischen Russland (bis 1917), dann im Zwischenkriegspolen und schließlich gegen den deutschen faschistischen Imperialismus auf erobertem polnischem Gebiet. Das muss bei aller Kritik an der jüdischen Sozialdemokratie, die wie jede strukturell unfähig war, den Kapitalismus wirklich revolutionär zu bekämpfen, klar betont werden. Den letzten Kampf, den gegen den deutschen Faschismus, verlor der Bund heroisch. Nutznießer dieser Niederlage war der Zionismus.

Als jüdischer Nationalismus war der Zionismus so wie alle Nationalismen von Anfang an sozialreaktionär. Er war die nationalistische Antwort auf den antijüdisch-völkischen Wahn. Er band das jüdische Proletariat praktisch-ideologisch an die jüdische Bourgeoisie und verschmolz antagonistische Klassen zu einer scheinbar nationalen Schicksalsgemeinschaft. Diese reaktionäre Ideologie lenkte die jüdischen ProletarierInnen vom Klassenkampf ab, spaltete sie von ihren nichtjüdischen Klassengeschwistern ab und hetzte sie auf das palästinensische KleinbürgerInnentum und das entstehende Proletariat. Der Zionismus wollte in Palästina, wo einst antike jüdische Königreiche bestanden, einen modernen jüdischen bürgerlichen Staat schaffen, was ihm schließlich im Jahre 1948 auch gelang. Israel stellte eine bürgerlich-reaktionäre Lösung der „jüdischen Frage“ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar, die auf chauvinistische Weise die sich heute akut zuspitzende „palästinensische Frage“ schuf.

Gründungsvater des Zionismus war Theodor Herzl und seine Geburtsurkunde war dessen 1896 erschienene Buch Der Judenstaat. Durch die Gründung der Zionistischen Weltorganisation (WZO) bekam der Zionismus seine institutionalisierte Form. Die WZO war nach Nationalstaaten organisiert und jährlich fanden in den jeweiligen Nationalstaaten Wahlen zum Zionistischen Weltkongress statt. Unterstützt von einigen jüdischen Bankiers und FabrikbesitzerInnen konnte Herzl im August 1897 in Basel den 1. Zionistenkongress eröffnen. Diese Zionistenkongresse fanden einmal jährlich, später alle zwei Jahre statt. Um die jüdisch-zionistische Ansiedlung in Palästina zu finanzieren, wurde 1899 in London die „Jüdische Kolonialbank“ gegründet. 1901 folgte die Gründung des „Jüdischen Nationalfonds zur Förderung des Bodenkaufs“.

Es gehört zu den ekelhaftesten Leistungen des antifaschistischen Moralismus mit Verweis auf Auschwitz jede konsequente Kritik am Zionismus und dem Staat Israel mit dem inflationär gebrauchten „Antisemitismus“-Vorwurf zum Schweigen zu bringen. Diese moraltriefende Meinungsdiktatur des Zionismus und Prozionismus betreibt fast niemand so gründlich wie die deutsche Bourgeoisie und die von ihr materiell und geistig abhängende Lumpenintelligenz samt den „Antideutschen“. Solidarität mit Israel ist deutsche Staatsräson! So wie es in anderen Zeiten deutsche Staatsräson war, nicht bei Juden zu kaufen, aber dafür deren Haushaltsartikel, als sie deportiert wurden. Gegenüber dieser ungenießbaren (anti-)deutsch-nationalen Moralsoße halten wir fest: Israel durch Auschwitz zu rechtfertigen heißt völkischen Wahn mit völkischem Wahn zu rechtfertigen. Nein, das ist keine Gleichsetzung des Zionismus mit dem NS-Faschismus, ihr verdammten Israel-Apologeten! ZionistInnen sind keine Nazis, sondern Apartheid-DemokratInnen. Selbst für aufmerksame bürgerlich-humanistische BeobachterInnen sind gewisse Parallelen zwischen dem Antijudaismus und dem zionistisch-rassistischen Chauvinismus gegenüber AraberInnen – besonders PalästinenserInnen – nicht zu leugnen. Auch nicht- oder antizionistische Jüdinnen und Juden sahen und sehen diese unübersehbaren Parallelen. Spätestens hier sehen wir die reaktionäre Wirkung der Ideologie von Auschwitz als „Zivilisationsbruch“: Der kapitalistisch-industrielle Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden soll aus dem Gesamtkontext der bürgerlichen Zivilisationsbarbarei herausgelöst werden. Sie dient dazu, andere Massenmorde des Kapitals, darunter auch die Israels, zu verharmlosen und zu relativieren.

Sozialrevolutionäre Antinationale sind ganz klar konsequente AntizionistInnen – so wie sie auch grundsätzliche GegnerInnen des arabischen Nationalismus sind. Nationen sind politische Durchsetzungsformen des Kapitalismus. Es gibt keine „fortschrittlichen“ oder gar antikapitalistischen Nationalismen. Weil der kleinbürgerlich-„antiimperialistische“ und proarabisch-nationalistische Antizionismus nicht antinational und damit auch nicht antikapitalistisch ist, ist er aus sozialrevolutionär-antinationaler Sicht grundsätzlich reaktionär. Auch hatte dieser proarabisch-nationalistische Antizionismus in der Vergangenheit starke antijüdische Tendenzen und verharmlost bis auf den heutigen Tag mehr oder weniger stark den Antijudaismus des palästinensischen Nationalismus. Antizionismus kann nur als untrennbarer Bestandteil des antinational-sozialrevolutionären Universalismus progressiv sein.

Es waren die Nichtassimilation und Nichtintegration der Juden und Jüdinnen in Osteuropa sowie der wachsende Antijudaismus in Westeuropa, der im industriellen Massenmord des deutschen Faschismus gipfelte, während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die den Zionismus groß machten und schließlich auch alle seine jüdischen GegnerInnen besiegen ließ. Antijudaismus und Zionismus teilten im Gegensatz zu jüdischen bürgerlichen AssimilationistInnen und „proletarisch-internationalistischen“ Juden eine Grundannahme, nämlich, dass Juden und Jüdinnen nicht Teil der Nationen seien, in denen sie lebten. Eine Zurückdrängung des Antijudaismus in Europa durch die Assimilation/Integration in die privatkapitalistischen Nationen oder in zu schaffende „sozialistische Staaten“ – die in der Praxis nur staatskapitalistisch sein konnten – hätte dem Zionismus seinen sozialökonomischen und psychologisch-ideologischen Boden entzogen. Antijudaismus und Zionismus gingen also von Anfang an objektiv eine reaktionäre Symbiose ein, was die frühen ZionistInnen offen zugaben.

So formulierte der ehemalige Präsident des Jüdischen Weltkongresses und der Zionistischen Weltorganisation, Nahum Goldmann: „Die Gefahr der Assimilation der jüdischen Gemeinschaft unter den Völkern, in deren Mitte sie leben, ist sehr viel ernster als die äußere Bedrohung durch den Antisemitismus.“ (Le Monde, 13.1.1966, zitiert nach Nathan Weinstock, Le sionisme contre israel, Paris 1966, S. 38.) Auch der Gründungsvater des Zionismus, Herzl, kämpfte nicht gegen den Antijudaismus, sondern predigte bereits 1895 die passive Anpassung an ihn, was dann später zum praktischen Programm des Zionismus wurde. Der erste Eintrag in seinem Zionistischen Tagebuch lautete: „In Paris also gewann ich ein freieres Verhältnis zum Antisemitismus, den ich historisch zu verstehen und zu entschuldigen anfing. Vor allem erkannte ich die Leere und Nutzlosigkeit der Bestrebungen ,zur Abwehr des Antisemitismus‘.“ (Alex et al. Bein, Theodor Herzl –Briefe und Tagebücher, Bd. 2: 1883-1896, Propyläen Verlag, Berlin u.a. 1985, S. 46.)

Die ZionistInnen stimmten vor der Staatsgründung Israels mit den Judenhassern darin überein, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland keine Deutschen, in Frankreich keine Franzosen usw. seien. Nun, als proletarische RevolutionärInnen fühlen wir uns auch nicht als Deutsche, Franzosen usw., sondern als Teil des globalen Proletariats, und wir bekämpfen sowohl die Integration von ProletarierInnen in die jeweiligen Nationalstaaten als auch die rassistische Ausgrenzung „ausländischer“ Klassengeschwister aus ihr. Doch als der Zionismus als jüdischer Nationalismus in der Vergangenheit gegen die Assimilation der jüdischen Bevölkerung in die jeweiligen Nationalstaaten zu Felde zog, begünstigte er eindeutig den Antijudaismus. Ja, einige ZionistInnen paktierten offen mit den Judenhassern. Einer von ihnen war Max Nordau, welcher am 21. Dezember 1903 in einem Interview mit der fanatisch antijüdischen Zeitung La Libre Parole von Eduard Drumont unter anderem sagte, der Zionismus sei „nicht eine Frage der Religion, sondern ausschließlich eine der Rasse, und es gibt niemanden, mit dem ich in diesem Punkt mehr übereinstimme als mit Monsieur Drumont.“. (Desmond Steward, Theodor Herzl. Artist and Politican, Quartet Books, New York 1974, S. 322.)

Der Zionismus war und ist eine rassistische Ideologie. Herzl war zwar Kosmopolit, doch nach Herzls Tod im Jahre 1904, wurde der Zionismus immer rassistischer. Lenni Brenner schrieb über den Rassismus des frühen Zionismus: „Die deutschen Universitätsabsolventen, die die Zionistische Weltorganisation nach Herzls Tod übernahmen, entwickelten eine modernistisch-rassistische Ideologie des jüdischen Separatismus. Sie selbst waren stark von ihren pangermanistischen Kommilitonen im Wandervogel beeinflusst, die die deutschen Universitäten vor 1914 dominierten. Diese Chauvinisten lehnten die Juden ab, weil sie nicht von germanischem Blut waren, deshalb niemals zum deutschen Volk gehören konnten und überhaupt Fremde auf deutschem Boden waren. Alle jüdischen Studenten waren gezwungen, sich mit diesen Konzeptionen auseinander zu setzten. Einige tendierten eher nach links und traten den Sozialdemokraten bei. Für sie war das lediglich bourgeoiser Nationalismus, der entsprechend bekämpft werden musste. Die meisten blieben konventionell kaisertreue, überzeugte Nationalisten, die darauf beharrten, dass 1000 Jahre auf deutschem Boden sie zu ,Deutschen mosaischen Glaubens‘ gemacht hätten. Wieder andere jedoch übernahmen die Ideologie des Wandervogels und übersetzten sie einfach in die zionistische Terminologie. Sie stimmten mit den Antisemiten in mehreren wichtigen Punkten überein: Juden gehörten nicht zum deutschen Volk, und selbstverständlich sollten sich Deutsche und Juden nicht sexuell vermischen – nicht aus den traditionellen religiösen Gründen, sondern wegen ihres eigenen einzigartigen Blutes. Da sie nicht teutonischen Blutes waren, brauchten sie notgedrungen ihren eigenen Boden – Palästina.“ (Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus. Über die unheimliche Zusammenarbeit von Faschisten und Zionisten, Kai Homilius Verlag, Berlin 2007, S. 59/60.)

Da die meisten Juden und Jüdinnen, wenn sie aus Osteuropa migrierten, sich nach Westeuropa oder in die USA, aber eben nicht nach Palästina begaben, mussten die ZionistInnen den besonderen palästinensischen Boden ideologisch mystifizieren und verklären. So hetzten nicht wenige ZionistInnen in Anlehnung an den Antijudaismus als eine Form des negativen Geldfetischismus gegen die Juden als „Parasiten“ bei ihren jeweiligen „Gastgebern“, solange sie keinen „eigenen“ Staat geschaffen hätten. In Palästina sollten sich die Jüdinnen und Juden aus vorwiegenden StädterInnen in BäuerInnen verwandeln, die den palästinensischen Boden bearbeiten würden. Intellektuelle und Kommerzielle Tätigkeiten wurden verunglimpft, um körperlich-produktive Arbeit wurde ein Kult betrieben. Durch die „Negation“ (Verneinung) der Diaspora sollten die Jüdinnen und Juden zu neuen Menschen werden.

Heute gehört es zum politischen Geschäft des Zionismus und seiner (anti-)deutschen FreundInnen, alle Jüdinnen und Juden, die sich nicht vom Zionismus vereinnahmen lassen, als „sich selbst hassende Juden“ abzuqualifizieren. Doch bevor der Zionismus seinen eigenen Staat im Nahen Osten schaffen konnte, schürte er selbst systematisch den jüdischen Selbsthass. Ziel war, dass die Jüdinnen und Juden sich in den verschiedenen Nationalstaaten selbst als „Fremdkörper“ ansehen und sich nach „nationaler Erlösung“ in Palästina sehnen sollten. Hier ein Beispiel. So formulierte die zionistische Jugendorganisation Hashomer Hatzair (Junge Wächter) bereits 1917: „Der Jude ist eine Karikatur des normalen, natürlichen Menschen, sowohl physisch als auch geistig. Als Individuum in der Gesellschaft rebelliert er ständig und streift den Harnisch sozialer Verpflichtungen ab, kennt weder Ordnung noch Disziplin.“ (Hashomer Hatzair, Our Shomer, Weltanschauung, Dezember 1936, S. 26.) Diese Worte wurden 1936 (!) wieder veröffentlicht.

Auschwitz und Zionismus

Keine politische Kraft instrumentalisiert Auschwitz für reaktionäre Ziele so pervers wie der Zionismus und der Staat Israel. Doch zur historischen Wahrheit gehört auch, dass der Zionismus mit den deutschen Nazis paktierte. Untersuchen wir also das Wechselverhältnis zwischen Auschwitz und dem Zionismus als Vorgeschichte des Staates Israel.

Die deutsche Zionistische Vereinigung für Deutschland (ZVfD) führte in der Weimarer Republik noch nicht mal einen antifaschistischen Kampf – einen revolutionären Kampf konnte sie als bürgerliche Organisation natürlich nicht führen – gegen die Nazis. Der Historiker Stephen Poppel führte in seinem Buch Zionism in Germany aus, dass die Jüdische Rundschau, die Zeitung des ZVfD „bis 1931 nicht damit begann, sich systematisch und detailliert mit der antijüdischen Agitation und Gewalt auseinander zu setzen“. (Stephen Poppel, Zionism in Germany 1897-1933. The Shaping of a Jewish Identity, The Jewish Publication Society, Philadelphia 1977, S. 119.) Das ist noch sehr gelinde ausgedrückt. So drückte der führende ZVfD-Funktionär Siegfried Moses das Desinteresse des deutschen Zionismus an der Bekämpfung des Antijudaismus aus: „Für uns ist eben die Bekämpfung des Antisemitismus nicht eine zentrale Aufgabe von gleichbleibender Tragweite und gleichbleibenden Gewicht, wie es für uns die Palästina-Arbeit und in etwas anderem Sinne auch die Gemeindearbeit ist.“ (Jüdische Rundschau vom 25.7.1930.) Hier wird deutlich ausgesprochen, dass für die ZionistInnen der Kampf für einen jüdischen Staat in Palästina stets Vorrang gegenüber dem (bürgerlichen) Kampf gegen den Antijudaismus hatte.

Deshalb konnten die deutschen ZionistInnen auch keinen gemeinsamen Kampf mit jüdischen AssimilationistInnen, die sich als „Deutsche“ sahen, gegen den Antijudaismus führen. Der bürgerliche Kampf gegen den Antijudaismus war der Kampf für die Integration der Juden in die bestehenden Nationalstaaten und dessen Verteidigung. Doch der Zionismus strebte die Gründung eines jüdischen Nationalstaates an und bekämpfte die Assimilation stärker als den Antijudaismus. Er stimmte mit dem Nazi-Antijudaismus darin überein, dass Juden in Deutschland keine „Deutschen“ seien. Nun, aus antinational-sozialrevolutionärer Sicht waren sowohl die jüdischen AssimilationistInnen als auch die ZionistInnen bürgerliche NationalistInnen. Doch einen antinational-sozialrevolutionären Standpunkt, der im erklärten Ziel der Zerschlagung aller Nationalstaaten zum Ausdruck kommt, vertrat damals nur eine verschwindend kleine Minderheit in Deutschland. Aber nur ein solcher hätte dem praktischen Kampf gegen den Nazi-Antijudaismus die nötige geistige Klarheit geben können. Doch einen solchen geistig klaren Kampf hätte nur ein sozialrevolutionäres Proletariat führen können. Aber der erste revolutionäre Anlauf des modernen Proletariats in Deutschland wurde von Sozialdemokratie und Partei-„Kommunismus“ in Blut und Sozialreformismus erstickt. Diese Niederlage noch in den Knochen wurde das Proletariat in Deutschland von SPD und „K“PD in die kampflose Kapitulation gegenüber den Nazis geführt.

Doch wenn nicht das Proletariat – und jüdische ArbeiterInnen als Teil von ihm – die Nazis stoppen konnte, so konnten es bürgerliche Juden erst recht nicht. Den jüdischen AssimilationistInnen in Deutschland wurde der materielle Boden entzogen, als der Nationalsozialismus die Assimilation der Juden in Deutschland rückgängig machte. Die ZionistInnen des ZVfD erhofften sich davon anfangs noch eine Stärkung des jüdischen Nationalismus und boten den Nazis die Zusammenarbeit an. Dabei gaben sie den Nazis noch Recht in ihrem Antijudaismus und bezogen klar Stellung gegen die bisherige Assimilation der Juden in der Weimarer Republik. So hieß es in der offiziellen Äußerung der Zionistischen Vereinigung für Deutschland zur Stellung der Juden im neuen deutschen Staat vom 21. Juni 1933: „Der Zionismus täuscht sich nicht über die Problematik der jüdischen Situation, die vor allem in der anormalen Berufsschichtung und in dem Mangel einer nicht in der eigenen Tradition verwurzelten geistigen und sittlichen Haltung besteht. Der Zionismus erkannte schon vor Jahrzehnten, dass als Folge der assimilatorischen Entwicklung Verfallserscheinungen eintreten mussten, die er durch die Verwirklichung seiner, das jüdische Leben von Grund aus ändernden Forderung zu überwinden sucht. Wir sind der Ansicht, dass eine den nationalen Staat wirklich befriedigende Antwort auf die Judenfrage nur herbeigeführt werden kann, wenn die auf gesellschaftliche, kulturelle und sittliche Erneuerung der Juden hinzielende jüdische Bewegung dabei mitwirkt, ja, dass eine solche nationale Erneuerung erst die entscheidenden sozialen und seelischen Voraussetzungen für alle Regelungen schaffen muss. Der Zionismus glaubt, dass eine Wiedergeburt des Volkslebens, wie sie im deutschen Leben durch Bindung an die christlichen und nationalen Werte erfolgt, auch in der jüdischen Volksgruppe vor sich gehen müsse. Auch für den Juden müssen Abstammung, Religion, Schicksalsgemeinschaft und Artbewusstsein von entscheidender Bedeutung für seine Lebensgestaltung sein. Dies erfordert Überwindung des im liberalen Zeitalter entstandenen egoistischen Individualismus durch Gemeinsinn und Verantwortungsfreudigkeit.“ (Zitiert nach: Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 351.) Diese „Äußerung“ des deutschen Zionismus gipfelte im Bekenntnis: „Der Zionismus will die Auswanderung der Juden nach Palästina so gestalten, dass dadurch eine Entlastung der jüdischen Position in Deutschland erfolgt.“ (Ebenda, S. 352.)

Der 1937 Deutschland verlassende Rabbi und Zionist Joachim Prinz schrieb über die allgemeine Stimmung des Zionismus während der ersten Monate 1933 in Deutschland: „Jeder in Deutschland wusste, dass nur die Zionisten die Juden gegenüber der Nazi-Regierung verantwortlich vertreten konnten. Wir alle waren sicher, dass die Regierung eines Tages eine Konferenz mit den Juden am runden Tisch einberufen würde, auf der – nachdem die Unruhen und Grausamkeiten der Revolution vorbei wären – der neue Status der deutschen Juden diskutiert werden könnte. Die Regierung erklärte höchst feierlich, dass es kein anderes Land in der Welt gäbe, das so ernsthaft versuchte, das Judenproblem zu lösen wie Deutschland. Lösung der Judenfrage? Das war unser zionistischer Traum! Wir hatten das Bestehen der Judenfrage nie bestritten! Dissimilation? Das war unser eigener Aufruf! (…) In einer Erklärung, bemerkenswert für ihren Stolz und Würde, forderten wir eine Konferenz.“ (Joachim Prinz, Zionism under the Nazi Goverment, in: Young Zionist vom November 1937.)

Und die Nazis begünstigten auch die ZionistInnen gegenüber anderen jüdischen Strömungen, so ähnlich wie die „weißen“ SklavenhalterInnen in den USA die HaussklavInnen gegenüber den FeldsklavInnen begünstigten. Die deutschen Nazis traten auch mit der Zionistischen Weltorganisation in Geschäftsbeziehungen, welche jüdische Menschen und jüdisches Geld nach Palästina brachten (siehe weiter unten). Nein, es ist nicht übertrieben, wenn wir den Zionismus als Hauptfeind des jüdischen Proletariats bezeichnen. Stets war er bereit dazu, mit den größten europäischen Judenmördern zu paktieren, dadurch das jüdische Proletariat gegenüber dem mörderischen Antijudaismus zu entwaffnen und es in Palästina auf dessen palästinensischen Klassengeschwister zu hetzen. Dadurch kreuzten sich in den 1930er Jahren der nationalsozialistische Antijudaismus und der Zionismus bei der bürgerlichen Lösung der so genannten „Judenfrage“.

Vom Zionismus wird heute die Organisation der illegalen Auswanderung einer Minderheit von europäischen Juden und Jüdinnen während ihrer industriellen Massenvernichtung als sein Beitrag bezeichnet, um diesen Massenmord abzumildern. In Wirklichkeit verstärkten die ZionistInnen mit der Auslese – wer nach Palästina durfte und wer sterben musste – den Klassencharakter des faschistischen Judenmordes. Die ZionistInnen retteten nicht die kranken, schwachen, alten, assimilierten und armen Jüdinnen und Juden, sondern nur gesunde, junge Juden und möglichst hebräisch sprechende ZionistInnen. In Ungarn kam es zu einer direkten Kollaboration des Zionismus mit den Nazis bei der Organisierung des kapitalistisch-industriellen Massenmordes an den ungarischen Jüdinnen und Juden. Als die Nazis am 19. März 1944 Ungarn besetzten, bedeutete das für 450 000 ungarische Juden den Tod. Für die Deportation der ungarischen Juden in die NS-Vernichtungslager war Adolf Eichmann verantwortlich. Er war sehr besorgt, dass die Todeszüge mit ungarischen Juden zu Aufständen in Ungarn führen könnten. Doch zum Glück der Nazis gab es den kooperationsbereiten ungarischen Zionisten Rezso Kasztner. Der Deal bestand darin, dass ein Zug von Kasztner ausgewählter Juden in die „neutrale Schweiz“ fahren konnte, während er den Nazis half, die für die Deportation notwendige Ordnung herzustellen.

Eichmann beschrieb den Deal mit Kasztner folgendermaßen: „Dieser Dr. Kasztner war ein junger Mann etwa in meinem Alter, ein eiskalter Anwalt und fanatischer Zionist. Er erklärte sich bereit, dabei behilflich zu sein, die Juden davon abzuhalten, sich gegen die Deportation zu wehren – und sogar für Ordnung in den Sammellagern zu sorgen – wenn ich beide Augen zudrücken und ein paar Hundert oder Tausende jungen Juden erlauben würde, illegal nach Palästina auszuwandern. Das war ein gutes Angebot. 15.000 oder 20.000 Juden – letztlich könnten es auch ein paar mehr gewesen sein – für Ordnung in den Lagern, der Preis erschien mir nicht zu hoch. (…) Ich glaube, dass Kasztner Tausende oder Hunderttausende von seinem Blut geopfert hätte, um sein politisches Ziel zu erreichen. Er interessierte sich nicht für die alten Juden oder für die, die sich in der ungarischen Gesellschaft assimiliert hatten. Aber er versuchte unglaublich hartnäckig, biologisch wertvolles jüdisches Blut zu retten – das heißt menschliches Material, das zu harter Arbeit und zur Fortpflanzung geeignet war. So sagte er: ,Sie können die anderen haben, aber geben sie mir diese Gruppe.‘ Und da Kasztner uns einen großen Dienst erwiesen hatte, indem er uns half, die Deportationslager ruhig zu halten, ließ ich diese Gruppe entkommen. Schließlich gab ich mich nicht mit kleinen Gruppen von eintausend Juden oder so ab.“ (Adolf Eichmann, I Transported Them tot he Butcher, in: Life vom 5. Dezember 1960, S. 146.)

Nirgendwo kreuzten sich die zwei reaktionären Lösungswege der so genannten „Judenfrage“, der des faschistischen Massenmordes und der zionistische eines jüdischen Staates so offensichtlich wie in Ungarn. Im Jahre 1944 fuhren viele Züge mit Juden aus Ungarn heraus. Die meisten Juden wurden in den Tod transportiert. Doch ein Zug mit zionistischer Prominenz sicherte für diese das Überleben. Kasztner sicherte das Überleben der zionistischen Prominenz Ungarns und half dafür den Nazis, andere ungarische Juden und Jüdinnen zu vergasen. Und Kasztner war der SS dafür so dankbar, dass er auch nach dem Zweiten Weltkrieg zu Gunsten des SS-Obersturmführers Hermann Krumey, der in Nürnberg auf seinen Prozess wartete, eidesstattlich versicherte: „In einer Zeit, da Leben und Tod vieler von ihm abhingen, hat Krumey seine Pflichten in einem lobenswerten Geist guten Willens verrichtet.“ (Zitiert nach Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 341.) Kasztner verhinderte auch, dass SS-Oberst Becher gehenkt wurde, indem er eidesstattlich behauptete, dass dieser Nazi alles Menschenmögliche getan habe, um die Juden zu retten.

Am 14. Mai 1948 wurde der zionistische Staat Israel proklamiert. In ihm lebten Überlebende der faschistischen Judenverfolgung und die zionistischen Kollaborateure zusammen. Das führte notwendigerweise zu sozialen Konflikten. Diese wurden, so wie es sich für die einzige Demokratie im Nahen Osten gehört, auf rechtstaatliche Weise gelöst. Im Jahre 1953 führte die Regierung von Ben-Gurion einen Prozess gegen den Flugblattautor Malchiel Gruenwald wegen Beleidigung. Gruenwald hatte in einem Flugblatt richtigerweise Kasztner als Kollaborateur bezeichnet. Doch Kasztners Kollaboration mit dem deutschen Faschismus befand sich im Einklang mit der Hauptlinie des Zionismus. Deshalb stellte sich der „ArbeiterInnenzionismus“ mit der ganzen Autorität des israelischen Staates hinter ihn. Doch die Fakten sprachen zu sehr gegen Kasztner – und damit gegen den Zionismus und den Staat Israel. Am 21. Juni 1953 entschied der Richter Halevi, dass Kasztner nicht verleumdet worden war, dass dieser jedoch bei seinen Taten nicht von der Absicht auf finanziellen Gewinn geleitet worden sei. Doch die „ArbeiterInnenzionistInnen“ konnten das Urteil nicht akzeptieren und gingen in Revision, denn mit Kasztner könnten sie jetzt alle potenziell ungestraft als Kollaborateure bezeichnet werden. Der Revision wurde stattgegeben, und der Streit vor Gericht ging in eine neue Runde.

Es ging also dem israelischen Rechtstaat in den 1950er Jahren darum, dass mensch zionistische Kollaborateure mit dem deutschen Faschismus nicht so nennen durfte. Selbstverständlich konnte Kasztner in der einzigen Demokratie im Nahen Osten für die Mitorganisation des Mordes an 450 000 ungarischen Juden nicht rechtstaatlich zur Verantwortung gezogen werden. Doch er wurde zu Verantwortung gezogen. Am 3. März 1957 wurde Kasztner von Zeev Eckstein erschossen. Eckstein wurde, wie es sich für einen demokratischen Rechtstaat gehört, wegen Mordes verurteilt. Doch mit Kasztners Tod war die rechtstaatliche Klärung der Frage, ob mensch zionistische Kollaborateure mit dem Nationalsozialismus in Israel auch ungestraft so nennen durfte, noch nicht beendet. Das Gericht entschied am 17. Januar 1958 mit drei gegen zwei Stimmen, dass Kasztners Verhalten während des Zweiten Weltkrieges in Ungarn nicht als Kollaboration bezeichnet werden könne. Es entschied aber mit allen fünf Stimmen, dass Kasztner Meineid begannen habe, als er zu Gunsten von SS-Oberst Becher intervenierte.

Der israelische Generalstaatsanwalt Chaim Cohen musste während des Prozesses offen zugeben: „Eichmann, der Vernichtungschef, wusste, dass die Juden sich friedlich verhalten und keinen Widerstand leisten würden, wenn er ihnen erlaubte, die prominenten Persönlichkeiten unter ihnen zu retten, dass der ,Zug der Prominenten‘ auf Eichmanns Anweisung hin organisiert wurde, um die Ausrottung des ganzen Volkes zu erleichtern.“ Die zionistische Elite Ungarns blieb am Leben und half dafür den Nazis andere ungarische Juden und Jüdinnen zu ermorden. Doch Cohen betrachtete das Verhalten von Kasztner zu Recht im Einklang stehend mit dem Gesamtverhalten des Zionismus während des kapitalistisch-industriellen Massenmordes an den europäischen Juden und Jüdinnen: „Kasztner hat nicht mehr und nicht weniger getan, indem er diese Juden gerettet und nach Palästina gebracht hat … Man darf es riskieren – eigentlich ist man dazu verpflichtet, dieses Risiko einzugehen –viele zu verlieren, um einige zu retten… Es war immer unsere zionistische Tradition, bei der Organisation der Emigration die wenigen aus den vielen herauszufiltern. Aber sind wir deshalb Verräter?“ (Zitiert nach Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 340.)

Lenni Brenner schrieb über die Verteidigung von Kasztner durch den Arbeiterzionismus: „Der Verrat eines einzelnen Zionisten an den Juden hätte keinerlei besondere Bedeutung gehabt: Keine Bewegung ist verantwortlich für die Taten Abtrünniger. Doch die Arbeiterzionisten betrachteten Kasztner nie als Verräter. Im Gegenteil, sie bestanden darauf, dass, wenn er schuldig wäre, sie es auch wären.“ (Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 342.) Ja, die so genannten „ArbeiterInnenzionistInnen“ gehörten zu den Todfeinden des Weltproletariats! Wir stimmen Lenni Brenner auch im Folgenden zu: „Doch der bei weitem wichtigste Aspekt der Kasztner-Gruenwald-Affäre lag darin, dass durch sie die Arbeitsphilosophie der WZO während der gesamten Nazizeit offengelegt wurde: die Inkaufnahme des Verrats an vielen im Interesse einer selektiven Immigration nach Palästina.“ (Ebenda.) Der Verrats-Begriff passt hier nicht. Zionistische PolitikerInnen waren und sind wie alle anderen auch nur ihren eigenen Interessen und denen der Kapitalvermehrung verpflichtet. Sie schufen einen jüdischen Staat und gingen dabei über unzählige jüdische und palästinensische Leichen. ZionistInnen den Verrat an Juden vorzuwerfen, heißt einen jüdisch-nationalen Standpunkt einzunehmen.

Britischer Imperialismus, Zionismus und palästinensischer Nationalismus in Palästina bis 1948

Palästina, den Ort, den der Zionismus als Raum für seinen jüdischen Nationalstaat beanspruchte und der von AraberInnen bewohnt war, gehörte seit 1517 zum Osmanischen Reich. Im imperialistischen Gemetzel des Ersten Weltkrieges eroberte Großbritannien 1917/18 Palästina. Der britische Imperialismus lavierte in Palästina zwischen arabischen Nationalismus und Zionismus. Einerseits versprachder britische Hochkommissar in Ägypten in der sogenannten Hussein-McMahon-Korrespondenz im Jahre 1916 dem Scherifen von Mekka, dass er dessen Wunsch nach einem unabhängigen und geeinten arabischen Großreich auch in diesem Gebiet unterstützen werde. Andererseits sicherte 1917 der britische Außenminister dem Zionismus in der Balfour-Erklärung die Unterstützung für „eine nationale Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“ zu. Allerdings war dort auch die Rede davon, dass „nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nichtjüdischen Gemeinschaften in Palästina (…) in Frage stellen könnte.“

Großbritannien errichtete nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in Palästina eine Militärverwaltung. Auf der Konferenz der Siegermächte von San Remo im April 1920, bei der die siegreichen Imperialismen des Weltkrieges um die arabischen Gebiete des zerschlagenen Osmanischen Reiches schacherten, sicherte sich Großbritannien das Mandat für Palästina. Der britische Imperialismus ließ sich das 1922 von dem internationalen Schiedsgericht der Nationalstaaten, dem Völkerbund, bestätigen. Die Präambel des Palästina-Mandats nahm eindeutig Bezug auf die Balfour-Deklaration. In der Folgezeit entwickelten sich bewaffnete Kämpfe zwischen britischen Imperialismus, dem sich entwickelnden palästinensischen Nationalismus und Zionismus in Palästina.

Der Zionismus setzte den bereits im Osmanischen Reich begonnenen Aneignungsprozess des Bodens fort. Dabei wurde der einheimischen und ausländischen Bourgeoisie das Land abgekauft. Auch mussten manche verschuldete palästinensische KleinbäuerInnen (Fellachen) unter der großen Steuerlast des Osmanischen Reiches und einer Überschuldung bei Wucherern ihr Land verkaufen. Palästinensische BäuerInnen, die auf dem Boden als PächterInnen lebten und arbeiteten, wurden von den ZionistInnen weggejagt, wenn sie durch Kauf die neuen BesitzerInnen des Landes wurden. Durch diese Trennung vom Land wurden viele Fellachen proletarisiert. Anfangs wurden die PalästinenserInnen noch als TagelöhnerInnen auf zionistischen Farmen und in Industriebetrieben geduldet.

Doch dann ging der Zionismus auch gegen die Beschäftigung palästinensischer LohnarbeiterInnen bei jüdischen KleinbürgerInnen, KapitalistInnen und Institutionen vor. Dabei spielte der sozialdemokratische „ArbeiterInnenzionismus“ eine besonders reaktionäre Rolle. Während SozialrevolutionärInnen für die Aufhebung der Lohnarbeit kämpften und kämpfen, trat der „ArbeiterInnenzionismus“ mit der reaktionären Parole von der „jüdischen Arbeit“ hervor. Diese sollte das jüdische Proletariat an die jüdische Bourgeoisie schmieden und die palästinensischen ProletarierInnen rassistisch ausschließen. Die palästinensischen ProletarierInnen fanden im Laufe der Zeit kaum noch Arbeit auf Zitrusplantagen und in Industriebetrieben, welche von den ZionistInnen betrieben wurden. Jüdische SiedlerInnen und KapitalistInnen, die weiterhin palästinensische LohnarbeiterInnen beschäftigten, weil diese billiger waren als die „jüdische Arbeit“, wurden durch zionistische Gewerkschaften bekämpft. Der Konflikt wurde schließlich dadurch gelöst, dass der Zionismus die „jüdische Arbeit“ subventionierte, so dass diese genau so billig wurde wie jene, die davor von den palästinensischen LohnarbeiterInnen verrichtet wurde.

Die Institutionalisierung der zionistischen Sozialpartnerschaft aus Kapital und Arbeit war die Histadrut, die Gewerkschaft, kapitalistische und quasistaatliche Organisation in einem war. Sie war das Organisationszentrum des „ArbeiterInnenzionismus“. Die britische Gruppe Aufheben schrieb über die Histadrut: „Schon in den 20er Jahren waren über drei Viertel der jüdischen Arbeiter in der Histadrut organisiert, die nach der britischen Regierung der größte Arbeitgeber war. Sie betrieb auch die Arbeitsvermittlungsstellen und war eng mit den Handels- und Produktionsgenossenschaften verbunden. Mit dieser Struktur stellte die Histadrut eine lebenswichtige Grundlage der ,Quasi-Regierung‘ der zionistischen Organisationen dar. Sie organisierte Ausbildung, Einwanderung und wirtschaftliche und kulturelle Angelegenheiten. Der zionistische Staat verwurzelte sich also bereits vor 1948 in korporatistischen sozialdemokratischen Formen.“ (Aufheben, Hintergründe der Intifada des 21. Jahrhunderts, Beilage zum Wildcat-Zirkular 62, Februar 2002, S. 12.) Während in Osteuropa jüdische und nichtjüdische Bourgeoisie das jüdische Proletariat nicht in den Kapitalismus zu integrieren vermochten, integrierte der Zionismus in Palästina jüdische Arbeit in das Kapital und quasistaatliche Strukturen und hetzte das jüdische Proletariat gegen seine palästinensischen Klassengeschwister.

Dass diese Integrationsleistung vorwiegend vom sozialdemokratischen „ArbeiterInnenzionismus“ erreicht wurde, war alles andere als ein Zufall. Auch in Europa zeigte die Sozialdemokratie während des Ersten Weltkrieges und der revolutionären Nachkriegskrise ihre konterrevolutionären Qualitäten. Doch Undank ist der Bourgeoisie Lohn. Diese setzte in Europa zunehmend auf den Faschismus, welcher die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung (Sozialdemokratie, Partei-„Kommunismus“ und Gewerkschaften) zerschlug, obwohl gerade letztere es war, die die revolutionäre Nachkriegskrise in Europa konterrevolutionär beendete. Auch in Palästina machte die äußerste zionistische Reaktion mobil, um den „ArbeiterInnenzionismus“ zu zerschlagen.

Der Zionismus brachte weltweit eine faschistoide Form hervor, den Revisionismus unter Führung von Wladimir Jabotinsky. Dieser bekämpfte ab 1923, von ultrareaktionären Positionen ausgehend, die seiner Meinung nach zu vorsichtige Führung der WZO. Jabotinsky bezeichnete sich selbst nicht als Faschist, aber viele seiner AnhängerInnen flirteten offen mit dem Faschismus. Lenni Brenner bezeichnete Jabotinsky „als den liberal-imperialistischen Kopf eines faschistischen Körpers“. (Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 175.) Ähnlich wie der europäische Faschismus setzte der Revisionismus bei seiner antikommunistischen und antisozialdemokratischen Mobilisierung auf den Mittelstand. Seine soziale Basis in Palästina stellte das jüdische KleinbürgerInnentum dar, das vorwiegend aus Polen nach Palästina kam. Nachdem Jabotinsky, bevor er Führer des Revisionismus wurde, die Miliz der „ArbeiterInnenzionistInnen“, die Hagana führend mit aufgebaut hatte, schuf er nun die bewaffnete Jugendorganisation des Revisionismus, die Betar, dessen Uniform bezeichnenderweise das Braunhemd war. Der Revisionismus verließ die WZO im Oktober 1934 und schuf sich seine eigene globale Organisation, die Neue Zionistische Organisation (NZO). Die RevisionistInnen lehnten auch im Gegensatz zur WZO-Führung die im Juni 1922 erfolgte Teilung Palästinas in für die zionistische Besiedlung freigegebenen Gebiete westlich des Jordan und das Emirat Transjordanien (das heutige Jordanien) westlich des Flusses ab und forderten auch die verstärkte jüdische Besiedlung östlich des Jordan.

Der Revisionismus ging zu Beginn der 1930er Jahre militant gegen den „ArbeiterInnenzionismus“ und seine institutionalisierte Form, die Histadrut, vor, was wir uns von Lenni Brenner schildern lassen wollen: „Palästina erlebte nun, wie die Zionisten durch die Histadrut Tausende von Arabern aus ihren angestammten Saisonjobs in den jüdischen Orangenhainen vertrieben und wie die faschistischen Revisionisten über die Histadrut herfielen. Doch während die arabischen Arbeiter immer noch keine Führung hatten, um sich zu verteidigen, war die Histadrut gut organisiert. Nach einer Serie von heftigen Zusammenstößen, darunter auch eine entscheidende Schlacht in Haifa am 17. Oktober 1934, bei der 1.500 Arbeiterzionisten das Hauptquartier der Revisionisten stürmten und Dutzende Faschisten verletzten, ebbte die Kampagne der Revisionisten ab. Die Mitglieder der Histadrut wären gern bereit gewesen, den faschistischen Angriff zu beantworten, indem man den Kampf im Lager des Feindes fortsetzte, doch die Führung der Arbeiterzionisten war nicht willens, den Faschismus in Palästina zu bekämpfen, so wenig wie anderswo auch, und so ließ man die Faschisten davonkommen aus Angst, dass ein ernsthafter Kampf gegen sie die mittelständische Anhängerschaft des Zionismus in der Diaspora abschrecken könnte.“ (Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 172.)

Die vom „ArbeiterInnenzionismus“ beherrschte jüdische institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung kämpfte also einen doppelten Kampf: Einen gegen palästinensische Lohnarbeit und einen gegen den zionistischen Revisionismus, der sie zu zerschlagen drohte. Der „ArbeiterInnenzionismus“ wurde zum Motor eines jüdisch-völkischen Kapitalismus, in dem PalästinenserInnen entweder an den Rand gedrängt oder ganz ausgeschlossen wurden. Der staatskapitalistische DDR-Ideologe Peter Jacobs beschrieb die soziale Situation der palästinensischen Bevölkerung um 1929: „In Palästina herrschten ärmliche Lebensverhältnisse vor. Die Wirtschaft überwand gerade erst das Stadium der Manufaktur. Wolle, Baumwolle und Seidengarn verarbeitete man noch auf Handwebstühlen. Gerber, Glasbläser, Teppichknüpfer und Strohmattenflechter produzierten hauptsächlich für die örtlichen Märkte; Maschinen gab es eigentlich nur in den Getreidemühlen und in den Olivenpressereien, in denen Speiseöl und Seifen auch für den Export in andere arabische Länder hergestellt wurden. Fast die gesamte Ökonomie hing von der Landwirtschaft ab. Etwa 85 Prozent der palästinensischen Bevölkerung gehörten den Klassen und Schichten der Kleinbauern und Pächter, der Kleinhändler und Kleingewerbetreibenden und den städtischen Unterschichten (wie Schuhputzer, Lastenträger und Bettler) an.“ (Peter Jacobs, Der Aufstand der Steine, Verlag Neues Leben, Ostberlin 1989, S. 18.)

Es gelang den traditionellen palästinensischen Oberschichten, der sich herausbildenden Bourgeoisie und den nationalistischen Intellektuellen die soziale Wut der KleinbäuerInnen und der ProletarierInnen auf den britischen Imperialismus und den Zionismus in nationalistische Bahnen zu lenken. Das palästinensische Proletariat war noch eine Minderheit und außerdem noch zu unbewusst, um seinen eigenständigen Klassenkampf gegen britischen Imperialismus, Zionismus und palästinensische Oberschichten zu führen. So wurden die KleinbäuerInnen und ProletarierInnen zur Manövriermasse des palästinensischen Nationalismus.

Als am 19. April 1936 britische Bullen in Jaffa auf arabisch-nationalistische DemonstrantInnen schossen, welche gegen den britischen Imperialismus und die jüdische Einwanderung demonstrierten, kam es in der Stadt zu einem kleinbürgerlich-proletarischen Streik, an dem sich von HändlerInnen über die Straßenbauarbeiter bis zu den Zeitungsjungen flächendeckend die gesamte palästinensische Bevölkerung der Stadt beteiligte. Am 21. April rief in Nablus ein bürgerliches Fünfparteienkomitee den Generalstreik aus. In dem sich formierenden Nationalkomitee, waren das städtische BürgerInnentum, die BäuerInnen und das Proletariat scheinbar in einer Schicksalsgemeinschaft vereint. In Wirklichkeit wurde das Proletariat für fremde bürgerliche Klasseninteressen verheizt. Dem Wesen des bürgerlichen Nationalismus entsprachen auch die Kampfformen. So rief eine Konferenz der nationalen Komitees in Jerusalem zu einer Kampagne des zivilen Ungehorsams und zu Steuerzahlungsverweigerungen auf.

Der vom palästinensischen Nationalismus total beherrschte Generalstreik wurde vom Zionismus genutzt, um seine sozialökonomische Infrastruktur in Palästina auszubauen. Nathan Weinstock schrieb darüber: „Während die arabischen Arbeiter in der Verwaltung, den öffentlichen Diensten (…) und den arabischen Handelsunternehmen streiken, ergreifen die Zionisten die Gelegenheit, die entscheidenden Positionen in der Wirtschaft des Landes zu erobern. Unbeabsichtigt vollendete der Generalstreik die zionistischen Separationsbestrebungen.“ (Nathan Weinstock, Das Ende Israels?, Wagenbach, Berlin 1975, S. 152.)

Der bürgerlich-proletarische Generalstreik ging schnell in einen bewaffneten nationalistischen Aufstand über, bei dem Landstraßen blockiert, Telegrafenleitungen unterbrochen, Züge zum Entgleisen gebracht und Sprengstoffanschläge auf die Erdölleitung von Kirkuk nach Haifa verübt wurden. Es bildeten sich Guerillagruppen, welche mit Gewehren, Lanzen und Speeren bewaffnet, die Außenposten der britischen Armee und der Polizei angriffen. Der britische Imperialismus zerschlug mit Gewalt den palästinensisch-nationalistischen Aufstand, wobei er sich auch auf den Zionismus als Hilfsbullen stützen konnte. Das entsprach ganz der Funktion, die Großbritannien dem jüdischen Nationalismus von Anfang an zugedacht hatte. Die Zionisten stellten also bei der Niederschlagung des palästinensisch-nationalistischen Aufstandes 2.800 Hilfsbullen. Bei diesem nationalistischen Gemetzel zwischen 1936 und 1939 starben 2.287 PalästinenserInnen, 450 Juden und 140 Briten. Der Aufstand stand unter der Führung des Großmuftis von Jerusalem Hadsch Mohammed Amin al-Husseini.

Der britische Imperialismus reagierte nicht nur mit Gewalt auf den palästinensisch-nationalistischen Aufstand, sondern auch mit der alten Spalte-und-Herrsche-Strategie. Die Peel-Kommission legte 1937 einen Teilungsplan für das palästinensische Mandatsgebiet vor. Galiläa und ein Küstenstreifen sollten „jüdisch“ werden, während die größeren Teile Palästinas einschließlich der Wüstenregionen für „die AraberInnen“ vorgesehen waren. Dieser Teilungsplan des britischen Imperialismus spaltete die ZionistInnen. Eine Mehrheit, zu der auch die spätere israelische Ministerpräsidentin Golda Meir gehörte, lehnte den britischen Teilungsplan ab, während eine Minderheit um Ben Gurion in dem jüdischen Kleinstaat eine Basis zur späteren Expansion sah. Doch die britische Woodhead-Kommission lehnte dann 1939 im MacDonald-Weißbuch den vorigen Teilungsplan ab. Dieses Weißbuch wurde vom Zionismus abgelehnt, weil sie auch die Auflösung der zionistischen Miliz Hagana vorsah. Inzwischen hatte der Zweite Weltkrieg begonnen und der britische Imperialismus setzte in der Konkurrenz zu den Nazis wieder auf den arabischen Nationalismus als potenziellen Verbündeten.

Doch der Großmufti von Jerusalem Hadsch Mohammed Amin al-Husseini verbündete sich mit den Nazis gegen den britischen Imperialismus und den Zionismus, was den reaktionären Charakter des palästinensischen Nationalismus unterstrich. Bei Wikipedia können wir über das Bündnis aus palästinensischen Nationalismus und NS-Faschismus lesen: „Der Großmufti von Jerusalem Hadsch Mohammed Amin al-Husseini, der enge Kontakte zum Deutschen Reich pflegte und nach seiner Flucht aus Palästina (1937) im Jahre 1941 an einem pro-deutschen Putschversuch im Irak beteiligt war, hoffte während des Krieges auf einen Sieg Deutschlands. Ab 1941 lebte er als persönlicher Gast Hitlers in Deutschland und war als SS-Mann am Aufbau von moslemischen Truppen der Waffen-SS in Bosnien beteiligt. Auch in Ägypten gab es pro-deutsche Bestrebungen, die etwa von Anwar as-Sadat unterstützt wurden.“ (Wikipedia, Stichwort Palästina Region)

Was weniger bekannt ist, ist, dass auch der Zionismus teilweise mit dem Faschismus paktierte. Auch in diesem Wikipedia-Beitrag lesen wir nichts darüber. Wir können aber bei Wikipedia lesen, wie der Zionismus in wachsenden Gegensatz zum britischen Imperialismus geriet: „Die Ziele der jüdischen Bevölkerungsminderheit waren eine Forcierung der Einwanderung, ein möglichst großer jüdischer Staat und – zu diesem frühen Zeitpunkt – eine Beibehaltung des britischen Mandats. Diese positive Einstellung zur britischen Mandatsmacht änderte sich in den 1930er- und 1940er-Jahren. Zwischen 1924 und 1932 kam es zur vierten Immigrationswelle, von 1933 bis 1939 kam die fünfte, wodurch die jüdische Bevölkerung in Palästina stark wuchs.“ (Ebenda.)

Der Zionismus hatte mit Hilfe des britischen Imperialismus einen Fuß in Palästina drin, doch er strebte danach selbst zum Hausherren zu werden. Wikipedia: „Auf dem außerordentlichen Zionistischen Kongress in Biltmore am 8. Mai 1942 in New York (so benannt nach dem Biltmore Hotel) kündigte die Zionistische Weltorganisation das Bündnis mit Großbritannien auf, erklärte offen die Absicht, einen jüdischen Staat in Palästina zu gründen und berief sich dabei auf eine Zusage des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson.“ (Ebenda.) Der führende Vertreter des „ArbeiterInnenzionismus“ setzte dabei verstärkt auf den US-Imperialismus, wie auch Wikipedia schrieb: „In den letzten Kriegsjahren versuchte Ben Gurion die Kontakte in die USA zu verbessern, die er als neue Macht im Nahen Osten aufsteigen sah, während bei Chaim Weizmann der Fokus weiterhin auf dem Vereinigten Königreich lag.“ (Ebenda.)

Der Zionismus mobilisierte während des Zweiten Weltkrieges trotz des zunehmenden Zerwürfnisses jüdisches Kanonenfutter für den britischen Imperialismus. Wikipedia: „Im Zweiten Weltkrieg kämpften schließlich 27.500 jüdische Soldaten aus Palästina in der britischen Armee. Diese bildeten später einen wichtigen Teil der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte. Männer wie Mosche Dajan oder Jitzchak Rabin kämpften z. B. gegen das vom Vichy-Regime verwaltete Syrien. Zu Kampfeinsätzen in Deutschland kam es jedoch kaum. Ben Gurion vertrat das Konzept des Palästina-Zentrismus, das davon ausging, in Europa nicht handlungsfähig zu sein. Gleichzeitig versuchten die Juden deshalb, die illegale Einwanderung zu verstärken und somit den europäischen Juden einen Fluchtort zu geben, denn zwischen 1939 und 1944 konnten nur 15.000 legal einwandern.“ (Ebenda.)

Was wie gesagt in dem oben zitierten Beitrag fehlt, ist die Kollaboration des Zionismus mit dem Faschismus, die wir deshalb jetzt genauer unter die Lupe nehmen wollen. Der Zionismus passte sich nicht nur an den italienischen Faschismus, sondern auch dem deutschen Nationalsozialismus an. Am weitesten ging natürlich der Revisionismus. Sein eigener faschistoider Charakter sah am Anfang, noch bevor dieser von der deutschen Bourgeoisie an die Macht gebracht wurde, im Hitler-Faschismus eine verwandte Seele: „Ja, wir Revisionisten hegen für Hitler eine große Achtung. Hitler hat Deutschland gerettet. Sonst wäre es schon vor vier Jahren zugrunde gegangen. Und hätte Hitler seinen Antisemitismus abgelegt – wir würden mit ihm gehen.“ (Elis Lubrany, Hitler in Jerusalem, in: Die Weltbühne vom 31. Mai 1932.) Gegen den linken Flügel des Zionismus bekannten sich große Teile des Revisionismus in Palästina offen zum Faschismus, mit ideologischen Verbindungen zum Nationalsozialismus: „Wenn provinzielle Führer des linken Flügels des unbedeutenden Teils des Zionismus wie Berl Locker uns Betarim Hitleristen nennen, dann stört uns das überhaupt nicht … Die Lockers und ihre Freunde wollen in Palästina eine Kolonie Moskaus mit einer arabischen statt einer jüdischen Mehrheit errichten, mit einer roten Fahne statt einer weiß-blauen, mit der Internationale statt der Hatikvah… Wenn Herzl ein Faschist und ein Anhänger Hitlers war, wenn eine jüdische Mehrheit auf beiden Seiten des Jordans und ein jüdischer Staat in Palästina, der die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Probleme des jüdischen Volkes löst, Hitlerismus sind, dann sind wir Hitleristen.“ (Jerusalem or Moscow –Herzl or Lenin, in: Betar Monthly vom 15. August 1931.)

Als dann jedoch die deutschen RevisionistInnen nach der Machtübergabe an die Nazis offen mit diesen paktierten, war das für den Führer des Revisionismus, Jabotinsky, zu viel. Im März 1933 schwenkte Jabotinsky zu einer antinazistischen Haltung um. Der Führer des Revisionismus war sogar zu einer inkonsequenten Unterstützung des Boykottes deutscher Waren bereit. Damit wurde der faschistoide Revisionismus konsequenter antinazistisch als die linkeren Varianten des Zionismus.

Denn auch der nichtrevisionistische Zionismus verhielt sich gegenüber dem deutschen Faschismus so, wie er sich bisher zu allen judenfeindlichen Strömungen verhalten hat: pragmatisch und bereit zur Zusammenarbeit. Nach Meinung der nichtdeutschen ZionistInnen gab es auch eine gute Basis, um mit den Nazis ins politische Geschäft zu kommen: Juden raus! Und zwar nach Palästina, damit die ZionistInnen endlich ihren jüdischen Staat gründen konnten. Auf diese Weise versuchten sich Faschismus und Zionismus bis 1939 gemeinsam an der Lösung der „Judenfrage“.

Während andere Teile der jüdischen Weltbewegung versuchten, einen ökonomischen Boykott Deutschlands zu organisieren, was aus sozialrevolutionärer Sicht als bürgerlicher Antifaschismus kritisiert werden muss, schloss die Zionistische Weltorganisation, WZO, mit den Nazis ökonomische Geschäfte ab. Durch ein Transferabkommen (Haavara) zwischen den Nazis und den ZionistInnen konnten auswanderungsbereite deutsche Jüdinnen und Juden zwischen August 1933 und September 1939 ihr Kapital in Deutschland bei einer Transferbank einzahlen. Palästinensisch-zionistische Importeure nutzten dieses Kapital, um deutsche Waren zu kaufen und dann in Palästina weiterzuverkaufen. In Palästina erhielten dann die jüdisch-deutschen EinwandererInnen ihr eingezahltes Geld mit 30-50% Verlust zurück. Die nicht- und antizionistischen Juden und Jüdinnen überall auf der Welt – besonders die proletarischen – bekämpften diese faschistisch-zionistische Geschäftsbeziehung. Doch diese ließ den Zionismus in Palästina ökonomisch gewaltig erstarken. Etwa sechzig Prozent des Kapitals, das zwischen 1933 und 1939 in Palästina investiert wurde, stammt von jüdisch-deutschen EinwanderInnen.

Doch die ZionistInnen hätten gerne mit den Nazis noch enger zusammengearbeitet. Feivel Polkes, sozialdemokratischer „Arbeiter“-Zionist und Vertreter ihrer Miliz, der Hagana, traf sich am 26. Februar 1937 in Berlin mit Adolf Eichmann. Polkes bot den deutschen Nazis an, dass die „ArbeiterInnen“-ZionistInnen die deutschen außenpolitischen Interessen im Vorderen Orient tatkräftig unterstützen und auch ein wenig für sie spionieren würden, die Nazis sollten dafür ihre Devisenverordnungen für nach Palästina auswandernde deutsche Jüdinnen und Juden lockern. Doch die Nazis gingen auf dieses politische Geschäft nicht ein.

Am weitesten ging die rechtszionistische Sterngruppe, die nach Abraham Stern benannt wurde und sich selbst als „totalitär“ bezeichnete. Sie bot den deutschen Nazis 1941 die militärische Zusammenarbeit im Zweiten Weltkrieg an. Doch die Nazis gingen auf dieses Angebot nicht ein. Im demokratisch-zionistischen Israel wurde das ehemalige Mitglied der Stern-Gruppe Yitzhak Yzernitzky Außenminister und Ministerpräsident, während Stern selbst durch eine Briefmarke geehrt wurde. Und heute wagt es dieses reaktionäre zionistische Pack eine moralisierende Gesinnungsdiktatur auszuüben und jede wirkliche Kritik am Zionismus und am Staat Israel als „antisemitisch“ zu denunzieren! Der antifaschistische Moralismus hilft der zionistischen Reaktion dabei prächtig – weit über die so genannten „Antideutschen“ hinaus. Neben der Verklärung der Demokratie und des Zweiten Weltkrieges gehört die Verschleierung des sozialreaktionären Charakters des Zionismus zu den widerlichsten und ekelhaftesten Erscheinungen des Antifaschismus.

Jedoch weil der deutsche Faschismus nicht auf die Avancen eines Teil der ZionistInnen einging, verbündete sich der jüdische Nationalismus in Palästina mit dem britischen Imperialismus. Die ZionistInnen bildeten noch während des Zweiten Weltkrieges Milizen, über die Peter Jacobs schrieb: „Die Hagana bildete 1941, von den Briten geduldet, die Palmach (Sturmkommando), die deutsche Truppen mit Partisanengruppen bekämpfen sollte, falls es Hitlers Afrikakorps gelänge, nach Palästina vorzustoßen. Palmach-Leute sprangen später über dem besetzten Griechenland und anderswo hinter den feindlichen Linien ab und leisteten den westlichen Alliierten manchen wertvollen Dienst mit Aufklärungs- und Sabotageaktionen. (Anmerkung der AST: Dieses Lob des staatskapitalistischen Ideologen Jacobs für die Handlangerdienste des Zionismus für den alliierten Imperialismus versteht sich von selbst, gab es doch zu dieser Zeit das antifaschistisch-reaktionäre Bündnis zwischen dem sowjetischen Staatskapitalismus und den privatkapitalistischen Demokratien.) Ihre Führer freilich dachten schon zu dieser Zeit daran, die militärischen Erfahrungen für den bevorstehenden Kampf um die zionistische Herrschaft über Palästina zu verwerten. Die Palmach wurde zum Stoßtrupp in den Kämpfen zwischen 1945 und 1949 und bildete nachher die Elitetruppe der israelischen Armee. Yigal Allon, später stellvertretender israelischer Ministerpräsident, begann seine Offizierskarriere in der Palmach.

Neben der Hagana und ihren Ablegern, radikaler noch und rücksichtslosem Terror verschrieben, bereitete sich die 1937 gegründete Geheimorganisation Irgun auf die Entscheidungsschlacht vor. Ihr führender Kopf war seit 1943 der ein Jahr zuvor eingewanderte Menachem Begin. Die Irgun organisierte zu dieser Zeit in Palästina Menschenraub, Lynchmorde und das Massaker von Deir Yassin. Die britischen Behörden setzten Begin an die Spitze ihrer Liste der meistgesuchten Verbrecher. 1977 brachte es Begin in Israel zum Ministerpräsidenten.

(Anmerkung der AST: Die RevisionistInnen planten schon in den 1930er Jahren den bewaffneten Aufstand gegen die britische Mandatsmacht in Palästina. Als der revisionistische Führer Begin im Mai 1942 in Palästina ankam, fand er den dortigen Revisionismus in einem Zerfallsprozess vor. Er wurde zum Anführer der revisionistischen Miliz Irgun und begann diese zu reorganisieren. Die Miliz der ArbeiterInnenzionistInnen, die Hagana, begann die Irgun an der Seite des britischen Imperialismus anzugreifen, doch der revisionistische Zionismus schlug nicht offensiv gegen die Hagana zurück. Die RevisionistInnen planten schon den zukünftigen gemeinsamen bewaffneten Kampf mit der Hagana gegen den britischen Imperialismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Irgun griff auch nie militärische Ziele an, um sich nicht nachsagen zu lassen sie behindere die britische Seite des imperialistischen Kriegsgemetzels. So war der revisionistische Aufstand gegen die britische Mandatsmacht im Januar 1944 rein symbolisch, mit dem die Briten schnell fertig wurden.)

Von der Irgun spaltete sich 1940 die Lechi ab (auch Sternbande genannt, nach ihrem Begründer Abraham Stern). Sie spezialisierte sich auf den individuellen Terror. Am 6. November 1944 ermordeten Lechi-Mitglieder in Kairo den britischen Staatsminister Lord Walter Edmund Moyne. Militärischer Operationschef der Lechi war von Anfang an der spätere Nachfolger Begins im Amt des israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Shamir.“ (Peter Jacobs, Der Aufstand der Steine, a.a.O., S. 52/53.)

Als in Europa der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, begannen die zionistischen Milizen Hagana („ArbeiterInnenzionismus“), Irgun (Revisionistischer Zionismus), Lechi (Sterngruppe) ihren Terrorkrieg gegen den britischen Imperialismus. Zwischen September 1945 und Juli 1946 griffen die drei zionistischen Milizen Kasernen, Landebahnen und Eisenbahnlinien an. So detonierten am 31. Oktober 1945 im Hafen von Haifa mehrere Bomben.

Peter Jacobs schrieb über den reaktionären zionistischen Untergrundkrieg gegen den britischen Imperialismus: „Wie eine Feuerwerkskaskade zündeten zionistische Saboteure Sprengsätze im ganzen Land. Brücken flogen in die Luft, Polizeistationen fielen in Trümmer, der Bahnhof von Lydda brannte, und die Eisenbahnlinie von Haifa nach Al-Kantara am Suezkanal wurde an mehr als 50 Stellen unterbrochen.

Aus dem Untergrund meldete sich die Radiostation Kol Israel, die sich auch Stimme des Widerstands nannte und die die Schläge gegen die neuralgischen Punkte der Mandatsmacht koordinierte. Zionisten verbreiteten Terror im gelobten Land.

Den spektakulärsten Bombenanschlag erlebte am 22. Juli 1946 Jerusalem. An diesem heißen, trockenen Sommertag stieg über dem Zionsberg wie ein Fanal eine Staubwolke auf. Bis zur Al-Aksa-Moschee und zum Damaskustor war eine Erschütterung zu spüren. Eine Explosion von 350 Kilogramm TNT-Sprengstoff riss den Südflügel des ,König David‘-Hotels weg, jener mit altorientalischem Prunk ausgestatteten Luxusherberge, in der sich das militärische Hauptquartier der britischen Mandatstruppen befand. Rettungsmannschaften bargen später 91 Tote, darunter 41 Araber, 17 Juden und 28 Briten.“ (Peter Jacobs, Der Aufstand der Steine, a.a.O., S. 53/54.) Bei Wikipedia können wir über den Anschlag auf das König David Hotel lesen: „Im letzten Moment zog sich die Hagana zurück und der Irgun unter Führung des späteren Premierministers Menachem Begin führte den Anschlag alleine aus.“ (Wikipedia, Stichwort Palästina [Region].)

Der britische Imperialismus ging mit Gegengewalt gegen die zionistische Offensive vor, worüber wir bei Wikipedia lesen können: „Die britische Verwaltung konnte diesen Zustand nicht länger dulden. Die Palestine Police plante darum zusammen mit dem britischen Militär eine Operation, die die jüdischen Gruppen schwächen sollte. Darum begann die britische Armee mit massiven Schlägen gegen die jüdischen Untergrundbewegungen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich 100.000 Mann der britischen Armee in Palästina. Es gab Ausgangssperren in den größeren Städten; das Gebäude der Jewish Agency wurde durchsucht und Akten beschlagnahmt. 4000 Juden, unter ihnen etwa Mosche Scharet und Jitzchak Rabin, wurden verhaftet. Golda Meir wurde als Frau verschont. Ben Gurion hielt sich gerade in Frankreich auf.“ (Ebenda.)

Doch Palästina wurde nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur vom chauvinistisch-reaktionären Konkurrenzkampf zwischen Zionismus und britischem Imperialismus erschüttert, sondern auch vom proletarischen Klassenkampf, in dem jüdische und arabische ArbeiterInnen gemeinsam agierten. So brachen 1946 und 1947 „in Haifa Streiks aus, bei denen jüdische und arabische Arbeiter solidarisch Seite an Seite gekämpft haben (Arbeiter und Angestellte des Staates, die in der Petroleum-Raffinerie beschäftigt waren). Dennoch wuchs der Chauvinismus auf beiden Seiten, da sich die internen Spannungen zwischen Juden und Arabern verschärften und von der KP Konzessionen an den Chauvinismus gemacht wurden. Die KP besaß einen großen Einfluss unter den arabischen Arbeitern. Eine zionistische Provokation bewirkte in der Raffinerie von Haifa ein Massaker gegen die jüdischen Arbeiter, an dem die am wenigsten bewussten arabischen Arbeiter teilnehmen. Seit diesem Zeitpunkt weicht die Solidarität der Klassen dem Partikularismus. Die jüdischen und arabischen Arbeiter treiben eigene Forderungen, insbesondere in Bezug auf ihre Sicherheit, voran. Der Krieg von 1948 fügt zu den ideologischen Barrieren, die das jüdische und arabische Proletariat trennt, noch das materielle Hindernis der Staatsgrenze hinzu.“ (Nathan Weinstock, Das Ende Israels?, a.a.O., S. 212.)

Das Sein und Bewusstsein des proletarischen Klassenkampfes war also viel zu schwach, um über die Nationalismen zu siegen, so siegten die Nationalismen als Klassenkampf der Bourgeoisie gegen das Proletariat. Jüdische und arabische ProletarierInnen schlugen und schlagen sich im Interesse der jüdischen und arabischen Bourgeoisie den Schädel ein…

Der Zionismus triumphierte 1948 über die UNO, dieser imperialistischen Institutionalisierung der internationalen Gemeinschaft der Nationalstaaten, den britischen Imperialismus, den palästinensischen Nationalismus und das multiethnische Proletariat Palästinas.

Besonders Ben Gurion erkannte, dass mit Gewalt allein der britische Imperialismus nicht zu besiegen war. Er setzte auf die „internationale Gemeinschaft“ – ganz besonders auf den US-Imperialismus, wie wir auch bei Wikipedia lesen können: „Seit Mai 1946 verfolgte David Ben Gurion eine neue Strategie, um Druck auf die USA auszuüben. Er förderte nach Pogromen etwa in Polen die Einwanderung von osteuropäischen Juden nach Deutschland, Österreich und Italien, damit diese in den Einflussbereich der Amerikaner kämen und diese damit zum Handeln zwängen. Dies wurde als die Bricha-Bewegung bekannt. Die Hagana begann, osteuropäische Juden schon in Deutschland im Hebräischen zu unterrichten. Im Lande wurden jüdische Siedlungen an strategisch wichtigen Orten eingerichtet. Beispielsweise wurden an Jom Kippur 1946 zehn Siedlungen im nördlichen Negev gegründet. Gleichzeitig begannen die Vorbereitungen für den Krieg. Man begann militärisch nicht mehr in kleinen Einheiten wie im Widerstand gegen die Mandatsmacht zu denken. Wichtige Organisatoren der Hagana zu dieser Zeit waren Mosche Sneh, Jisrael Galili und Jaakow Dori; Chef der Operationsabteilung der Hagana war Jigael Jadin.

Es ist unter Historikern immer noch umstritten, wer oder was den Rückzug der Briten letztlich bewirkte. Es gab unbestreitbar wichtige britische Interessen in der Region. Die Interessen der Briten in diesem Gebiet lagen insbesondere in der Mittellage zu Indien begründet. Und tatsächlich, als Indien 1947 geteilt und unabhängig wurde, versuchte das Vereinigte Königreich das Mandat erst an die USA dann an den Völkerbund zurückzugeben. Ein wichtiger Punkt waren die Ölreserven der Region – eine Pipeline verlief etwa vom Irak zum wichtigen Hafen Haifas. Die Lage des Landes am Mittelmeer und in relativer Nähe zum Suez-Kanal war ebenfalls von strategischer Bedeutung. Der britische Generalstab sah die Region deshalb für den Fall eines Dritten Weltkrieges als unverzichtbar an. Allerdings waren sich die Briten der Tatsache bewusst, dass sie weder von Juden noch von Arabern im Land gewünscht waren. Das militärische Engagement war zudem sehr kostspielig, auch kam es zu nicht unerheblichen Verlusten an Menschenleben. Die öffentliche Meinung im Königreich stand dem Mandat, besonders aufgrund der Meldungen über den jüdischen Widerstand, zunehmend ablehnend gegenüber. Hinzu kam der Druck der USA. Die Abhängigkeit des Königreiches von amerikanischer Wiederaufbauhilfe in Milliardenhöhe gerade nach dem harten Winter wird deshalb sicherlich eine Rolle gespielt haben.“ (Wikipedia, Stichwort Palästina [Region].)

Die UNO-Unterorganisation UNSCOP (United Nations Special Committee on Palestine) begann sich unter dem Vorsitz des schwedischen Juristen Emil Sandström in Palästina einzumischen. Sie trat für die Teilung Palästinas in einen arabischen und in einen jüdischen Staat ein. Diese imperialistisch-nationalistische Teilung Palästinas wurde von den meisten damaligen Nationalstaaten unterstützt, auch vom sowjetisch geführten staatskapitalistischen Block. Nur das staatskapitalistische Jugoslawien, was sich gerade vom sowjetischen Imperialismus loslöste, Indien und der Iran traten für einen binationalen und föderalistischen Staat ein. Am 29. November 1947 beschloss die UNO-Vollversammlung die Teilung Palästinas. Nach diesem UNO-Plan sollte das britische Mandat über Palästina spätestens bis zum 1. August 1948 erlöschen. An dessen Stelle sollten ein palästinensisch-arabischer und ein palästinensisch-jüdischer Staat treten. Die „internationale Gemeinschaft“ der privat- und staatskapitalistischen Nationen wollte außerdem aus Jerusalem eine „internationalisierte“ Stadt machen. Der UNO-Imperialismus wollte Palästina nach Staatsgebieten teilen, wo entweder „die Juden“ oder „die Araber“ eine Mehrheit bildeten, beide Staaten und Jerusalem sollten eine Föderation bilden. Nach diesem Beschluss hätte der jüdische Staat ein Territorium von 14.900 Quadratkilometern gehabt, etwa 56 Prozent des Gebietes Palästina. Der arabisch-palästinensische Staat hätte nach dem Willen der UNO über 11.000 Quadratkilometer (42 Prozent Palästinas) Boden verfügt und Jerusalem über 2 Prozent.

Doch es ging nicht nach dem Willen der „internationalen Gemeinschaft“ der Nationalstaaten. Es kam zu einem blutigen Konkurrenzkampf zwischen palästinensischen Nationalismus und Zionismus, bei dem das Proletariat verheizt wurde.

Israel und palästinensischer Nationalismus

Bei der Staatsgründung Israels 1948 vertrieb der Zionismus als jüdischer Nationalismus rund 750.000 palästinensische AraberInnen, die seitdem vorwiegend als Flüchtlinge in arabischen Staaten oft im sozialen Elend leben. Der kapitalistisch-reaktionäre Staat Israel war kaum gegründet, da überfielen die reaktionären arabischen Nachbarstaaten Ägypten, Jordanien, Syrien, Libanon und Irak am 15. Mai 1948, kurz nach 0 Uhr, das zionistische Regime. Das Hauptziel des Krieges war die Verhinderung eines jüdischen Staates. Da sich Kriege immer auch gegen die Zivilbevölkerung richten, ging in diesem Krieg der reaktionäre arabisch-nationalistische Antizionismus nahtlos in den Antijudaismus über, so wie auf Seiten Israels der Zionismus immer antiarabischer und rassistischer wurde. Außerdem wolle Jordanien sich durch den Krieg das Westjordanland einverleiben, was die anderen am Krieg teilnehmenden arabischen Regimes verhindern wollten. Doch die arabische Offensive wurde schon bald durch die israelische Gegenoffensive aufgehalten und umgekehrt.

Dieser Krieg war natürlich von allen Seiten sozialreaktionär, einfach aus dem Grund, weil dessen Subjekte, die Nationalstaaten, objektiv nur reaktionär sein können. Bei dem internationalen Schlagen und Vertragen der Nationalstaaten und Nationalkapitale, dürfen SozialrevolutionärInnen niemals eine Seite wählen, denn die globalen Kooperationen und ökonomischen, politisch-diplomatischen, ideologischen und militärischen Konkurrenzkämpfe zwischen ihnen gehen alle auf Kosten des Proletariats. Bei dieser grundsätzlichen Haltung, die sowohl den bürgerlichen Frieden als auch den imperialistischen Krieg zwischen Nationalstaaten kompromisslos bekämpft, ist es unerheblich, welche politische Staatsformen die Kontrahenten haben oder wer den Krieg angefangen hat. Das Pack schlägt und verträgt sich – und zwar immer auf Kosten des Proletariats. Proletarische und intellektuelle RevolutionärInnen bekämpfen auch den bürgerlichen Frieden als imperialistischen Vor- und Nachkrieg und als besondere Form des Klassenkrieges von oben, den die Bourgeoisie gegen das Proletariat führt.

Das imperialistische Gemetzel von 1948/49 war dann auch eines auf Kosten der jüdischen und arabischen Zivilbevölkerung, also des KleinbürgerInnentums und des Proletariats. Nach offiziellen Angaben Israels starben in diesem imperialistischen Krieg 5.700 bis 5.800 Juden und Jüdinnen, davon waren rund 25 Prozent ZivilistInnen. Ekelhafte Leichenmathematik! Die offizielle ägyptische Leichen- und Krüppelstatistik zählte 1.400 Tote und 3.731 Kriegsversehrte der „eigenen“ Nation während des Krieges von 1948.

Dieses imperialistische Gemetzel endete im Jahre 1949 mit separaten Friedensverhandlungen zwischen Israel und den arabischen Regimes unter Oberaufsicht des internationalen Schiedsgerichts der Nationalismen, der UNO. Dem imperialistischen Krieg folgte ein imperialistischer Frieden. Den Gazastreifen verleibte sich Ägypten ein, während Jordanien das Westjordanland annektierte. Die Stadt Jerusalem wurden durch Israel und Jordanien geteilt, wobei Westjerusalem zu Israel kam und Ostjerusalem zu einem Teil Jordaniens wurde. Diese territorialen Ergebnisse des imperialistischen Krieges und Friedens von 1948/49 sollten durch den nächsten imperialistischen Krieg von 1967 revidiert werden. Außerdem brachte der imperialistische Krieg und Frieden 1948/49 Israel international anerkannte Grenzen, die ein Territorium umfasste, welches rund 75 Prozent Palästinas ausmachten.

In Folge des Prozesses der Staatsgründung Israels und des Krieges von 1948/49 flüchteten bis zu 750.000 palästinensische AraberInnen oder wurden von der zionistischen Sozialreaktion vertrieben. Diejenigen, die nicht flüchteten oder vertrieben wurden, bekamen zwar die israelische StaatsbürgerInnenschaft, blieben aber eine vom Zionismus diskriminierte Minderheit. Um die palästinensischen Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern in den arabischen Staaten – vor allem in Jordanien (Westjordanland), Ägypten (Gazastreifen), Libanon und Syrien – „kümmerte“ sich die UN-Organisation Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). Die UNO war und ist nicht nur ein internationales Schiedsgericht, sondern auch eine Art globales Sozialamt für die untersten Schichten des Proletariats, um den „sozialen Frieden“ des Weltkapitalismus zu stabilisieren. Als Israel im Oktober 2024 das Wirken der UNRWA auf seinem Territorium sowie in den besetzten palästinensischen Gebieten verbot, war das Teil seines rassistischen Massenmordes.

Seit dem Krieg gegen arabische Staaten von 1967 besetzt Israel die palästinensischen Gebiete Ostjerusalem, Westjordanland und Gazastreifen. Das zionistische Regime Israels ließ die palästinensischen NationalistInnen ab 1994 im Gazastreifen und Westjordanland ein wenig Autonomie spielen. Die Palästinensische Autonomiebehörde ist eine strukturelle Klassenfeindin des Weltproletariats. In Westjordanland regierten die Politbonzen der Fatah, im Gazastreifen herrschte seit 2007 die islamistische Hamas. Während die Fatah offiziell den militärischen Kampf gegen Israel aufgegeben hat, führte ihn die Hamas weiter. Während Fatah und PLO für einen palästinensischen Staat auf den Territorien der von Israel besetzten Gebiete Ostjerusalem, Westjordanland und Gazastreifen kämpfen, ist das Ziel der IslamistInnen die nationalistische Zerschlagung Israels und ein palästinensischer oder panarabischer Staat, der sich mindestens über die Territorien des heutigen Israel und die von ihm besetzten palästinensischen Gebiete erstrecken soll. Der palästinensische Nationalismus war und ist Spielkarte arabischer Regimes, zum Beispiel Katars und Irans. In der Vergangenheit wurde er vom Block staatskapitalistischer Nationen unter Führung des sowjetischen Imperialismus unterstützt.

Während der Staat Israel 2005 die zionistischen Siedlungen im Gazastreifen auflösen ließ und auch die israelische Armee dieses Gebiet räumte – allerdings es nach dem Wahlsieg der Hamas 2006 blockierte –, forcierte er den Siedlungsbau im Westjordanland. Dort befanden sich 2018 133 von Israel unterstützte zionistische Siedlungen, in denen 448.672 Menschen lebten. Außerdem ist dieses Gebiet von der israelischen Armee besetzt. Das Westjordanland ist von einer Sperranlage umgeben. 85 Prozent des Territoriums verlaufen innerhalb des Westjordanlandes und etwa 15 Prozent direkt entlang der Grünen Linie. Palästinensische Menschen in Westjordanland werden von der israelischen Apartheid-Demokratie massiv unterdrückt. Gegen diese Unterdrückung hilft jedoch keine nationale „Befreiung“, sondern nur die sozialrevolutionäre Nullstaatenlösung, der Kampf für die klassen- und staatenlose Weltgemeinschaft. Zionismus und palästinensischer Nationalismus rieben sich aneinander und luden sich gegenseitig auf – zum permanenten blutigen Amoklauf.

Indem der Zionismus sowohl die PalästinenserInnen mit israelischer StaatsbürgerInnenschaft als auch jene in den besetzten palästinensischen Gebieten Ostjerusalem, Gazastreifen und Westjordanland objektiv diskriminiert, ist er strukturell rassistisch, der Träger eines Apartheidregimes. Bis zum Gemetzel ab dem Oktober 2023, dass Islamismus und Zionismus arbeitsteilig-konkurrenzförmig in Israel/Palästina organisieren, war der letztgenannte auch ein Ausbeutungsrassismus, der die billige Arbeitskraft von palästinensischen ProletarierInnen in Israel ausbeutete. Der palästinensische Nationalismus war und ist vom Islamismus bis zum Marxismus-Leninismus absolut sozialreaktionär. Ein palästinensischer Staat kann nur kapitalistisch-sozialreaktionär sein. Indem die palästinensisch-nationalistischen Organisationen von den islamistischen bis zu den marxistisch-leninistischen in der Praxis zur Gewaltanwendung gegen die jüdische Zivilbevölkerung bereit waren und sind, bilden sie objektiv eine Spielart eines strukturellen nationalistischen Antijudaismus. Ideologisch geht der palästinensisch-nationalistische Antizionismus fließend in Antijudaismus über.

Die islamistische Hamas nahm in ihrem fanatischen Konkurrenzkampf gegen Israel – unter anderem durch den regelmäßigen Beschuss mit Kassam-Raketen und durch Terroranschläge – die Zivilbevölkerung des Gazastreifens in Geiselhaft. Auch benutzten die islamistischen Mordbuben den permanenten Krieg gegen den Zionismus als Vorwand, um die Bevölkerung des Gazastreifens zu indoktrinieren und zu terrorisieren. Die Hamas richtete seit 2007 regelmäßig Menschen, die sie der Kollaboration mit Israel beschuldigte.

Die israelische Armee und der zionistisch-rassistische SiedlerInnen-Mob überzogen die palästinensische Zivilbevölkerung ebenfalls mit Terror. Das zionistische Regime Israels und die Hamas führten einen permanenten Krieg gegeneinander. Sie brauchten sich einander, um den sozialen Protest in Israel und im Gazastreifen im Nationalismus ersticken zu können. Ganz besonders, seitdem Israel seit November 2022 von einem extremen zionistisch-rassistischen Regime regiert wird.

In dieser permanenten Geschichte des gegeneinander Massakrierens gab es einige Episoden, in denen die Intensität zunahm und mensch deshalb von einzelnen Kriegen sprechen kann. So entfaltete sich vom 10. Mai bis zum 21. Mai 2021 der Israel-Gaza-Konflikt, die auch Operation Guardian of the Walls genannt wurde. Bei diesem Massaker kamen mindestens 248 PalästinenserInnen – unter ihnen 66 Kinder – und 13 Israelis ums Leben. Dieses Gemetzel wurde am 21. Mai 2021 durch eine Waffenruhe beendet.

Das islamistisch-zionistische Massaker ab dem 7. Oktober 2023

Am Morgen des 7. Oktobers 2023 griffen die palästinensischen NationalistInnen vom Gazastreifen aus Israel an. Die militärischen Einheiten der Hamas überfielen viele Kibbuzim und kleine Ortschaften im Grenzgebiet. Auch gelang es ihnen, einen israelischen Militärstützpunkt vorübergehend zu überrennen. Dem islamistisch-nationalistischen Pack fielen hauptsächlich jüdische ZivilistInnen zum Opfer. Insgesamt starben bei dem Massaker 815 ZivilistInnen und 384 SoldatInnen. Die Hamas-ReaktionärInnen verschleppten viele ZivilistInnen, aber auch einige SoldatInnen in den Gazastreifen, insgesamt 251 Menschen. Außerdem schossen die IslamistInnen 5.000 Raketen auf Israel.

An diesem nationalistisch-sozialreaktionären Überfall nahm auch die palästinensische Linksreaktion in Form der marxistisch-leninistischen Organisationen Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas (DFLP) teil. Durch die reaktionäre Ideologie von der nationalen „Befreiung“ ist der Leninismus in Palästina nur noch der Schwanz des Islamismus. Dieser Schmutz haftet auch an der globalen linksnationalen „Palästina-Solidarität“! Das sagen wir ganz klar, genauso klar, wie wir uns gegen die staatliche Repression gegen diese in den westlichen Demokratien wenden.

Die islamistische Hamas hat mit seinem Massaker an der jüdischen Zivilbevölkerung den Vorwand für den zionistischen Massenmord im Gazastreifen geliefert, dem inzwischen mehr als 43.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Der Zionismus hat seinen Ausbeutungsrassismus palästinensischer Arbeitskräfte eingestellt und ist zum Vernichtungsrassismus übergegangen.

Und das zionistische Regime rechtfertigt seinen Massenmord mit rassistischer Ideologie, der die palästinensischen Menschen entmenschlicht: „Ob Israels Präsident Isaac Herzog am 14. Oktober vergangenen Jahres (2023) auf einer Pressekonferenz verkündete: ,Es ist ein ganzes Volk, das verantwortlich ist. Diese Rhetorik über Zivilisten, die angeblich nicht involviert wären, ist absolut unwahr, (…) und wir werden kämpfen, bis wir ihr Rückgrat brechen‘, oder Premierminister Netanjahu schon am 8. Oktober (2023): ,Wir werden Gaza zu einer Insel aus Ruinen machen‘, oder der Sprecher der israelischen Armee Daniel Hagari am 10. Oktober (2023) in Haaretz: ,Wir werfen Hunderte Tonnen von Bomben auf Gaza. Der Fokus liegt auf Zerstörung, nicht auf Genauigkeit‘, oder Verteidigungsminister Joaw Gallant am 9. Oktober (2023) im Fernsehen: ,Es wird keinen Strom geben, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff, alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen Tiermenschen und handeln entsprechend.‘ Oder der Generalmajor der israelischen Armee, Ghassan Allan, bei einer Ansprache am 9. Oktober (2023): ,Tiermenschen werden entsprechend behandelt, ihr wolltet die Hölle und ihr kriegt die Hölle‘ und ein Veteran der israelischen Armee, Ezra Yachin, am 13. Oktober (2023) bei einer Ansprache an Reservisten: ,Löscht ihre Familien aus, ihre Mütter und Kinder. Diese Tiere dürfen nicht länger leben.‘ Schließlich die Abgeordnete der Regierungspartei Tally Gotliv am 9. Oktober (2023) in der Knesset: ,Jericho-Rakete! Weltuntergangswaffe. Das ist meine Meinung. Mächtige Raketen sollen ohne Grenzen abgefeuert, Gaza zerschlagen und dem Erdboden gleichgemacht werden. Ohne Gnade.‘ Diese Sammlung offen genozidaler Äußerungen ließe sich bis in die unmittelbare Gegenwart ergänzen.“ (Norman Paech, Apartheid und die Folgen, in: junge Welt vom 23. Oktober 2024, S. 13.)

Fazit: Zionismus ist faktisch rassistischer Massenmord. In Deutschland kompensieren fast alle NationalistInnen – von der Mehrzahl der Rechtskonservativen bis zum Großteil der Linksliberalen – die „dunklen Jahre“ der deutschen Nationalgeschichte, den Nationalsozialismus (1933-1945) mit einem mörderischen Prozionismus. Der faschistische Judenmord wird durch deutsch-demokratische Hilfe beim zionistischen Massenmord wieder „gut gemacht.“ Nein, wir können wirklich nicht so viel fressen, wie wir kotzen mögen.

Zionismus ist faktisch massenmörderischer Rassismus. Wer das in Deutschland so klar sagt, bekommt mit der „Antisemitismus“-Keule eine übergebraten. Auch und gerade, wenn antizionistische Juden und Jüdinnen diese Klarsicht zeigen. Wir sind mit ihnen solidarisch!

Hoch die antinationale Solidarität des Weltproletariats!

Auch in Deutschland spalten Antijudaismus, Zionismus und palästinensischer Nationalismus das multiethnische und mulikulturelle Weltproletariat. Antijudaismus, Zionismus und palästinensischer Nationalismus sind Teil der nationalistischen Spaltungslinien. Ansatzweise können solche Spaltungslinien bereits im reproduktiven Klassenkampf im Rahmen des Kapitalismus überwunden werden. Aber um solche nationalistischen Amokläufe wie der im Nahen Osten progressiv und ein für alle Mal zu beenden, bedarf es der antinationalen Zerschlagung aller Nationalismen – einschließlich des Zionismus und des palästinensischen – durch das sich revolutionär selbst aufhebende Weltproletariat. Das ist die sozialrevolutionäre Nullstaatenlösung – eine klassen- und staatenlose Weltgemeinschaft.

Antinationale SozialrevolutionärInnen stehen zwischen allen Stühlen. Das ist genau die richtige Position, um in einer möglichen revolutionären Situation, in der sich der globale Klassenkampf zur Weltrevolution radikalisiert, die regierenden MordnationalistInnen von ihren Stühlen zu werfen und dorthin zu befördern, wo sie hingehören: in den Schmutz der Weltgeschichte.

Nieder mit dem zionistischen Regime Israel!

Gegen jeden Antijudaismus!

Nieder mit dem objektiv antijüdischen palästinensischen Nationalismus!

Hoch die antinationale Solidarität des Weltproletariats!

Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz

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Vortrag bei der Anarchistischen Buchmesse https://astendenz.blackblogs.org/2024/09/12/vortrag-bei-der-anarchistischen-buchmesse/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/09/12/vortrag-bei-der-anarchistischen-buchmesse/#respond Thu, 12 Sep 2024 22:25:05 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=255 Wir veröffentlichen hier den Vortrag, der bei der Anarchistischen Büchermesse Berlin-Kreuzberg, am 07. September 2024 gehalten wurde.

1. Reproduktiver Klassenkampf und institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung

Die LohnarbeiterInnen führen einen Klassenkampf gegen ihre kapitalistischen AusbeuterInnen. In nichtrevolutionären Zeiten führen sie ihn im Rahmen des Kapitalismus. Wir nennen diesen Klassenkampf reproduktiv, weil er erstens die biosoziale Reproduktion des Proletariats gegen die Tendenz des Kapitals zur Überausbeutung durchsetzt. Überausbeutung das sind Löhne, die nicht reichen, um damit die wichtigsten Lebensmittel zu bezahlen und überlange Arbeitszeiten, die keine körperliche, geistige und mentale Erholung der Arbeitskräfte ermöglichen. Diese Überausbeutung spielte besonders im frühen Industriekapitalismus eine Rolle. Aber auch heute ist sie sowohl im Niedriglohnsektor in den alten Zentren des Kapitalismus Westeuropa, Nordamerika, Japan als auch an seinen neuen Zentren (China) und seiner Peripherie in Osteuropa, Asien, Lateinamerika und Afrika noch weit verbreitet. Das Proletariat setzt also seine biosoziale Reproduktion gegen die Tendenzen des Kapitals zur Überausbeutung durch. Die kapitalistische Überausbeutung gefährdet durch die schwere Beeinträchtigung der biosozialen Reproduktion des Proletariats auch die Quelle des Kapitalverhältnisses selbst, nämlich die Ausbeutung der Arbeitskräfte. Indem das Proletariat durch Klassenkampf seine biosoziale Reproduktion durchsetzt, reproduziert es zweitens auch den Kapitalismus.

Die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung in Form der Gewerkschaften und politischen „ArbeiterInnen“-Parteien stellt den bürokratisch entfremdeten Ausdruck des reproduktiven Klassenkampfes des Proletariats dar. Die Haupttendenz der bürgerlich-bürokratischen Gewerkschafts- und Parteiapparate der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung ist es, sich vollständig in den Kapitalismus zu integrieren. Die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung ist selbst klassengespalten in die BerufspolitikerInnen, -ideologInnen sowie die hauptamtlichen Gewerkschafts- und ParteifunktionärInnen auf der einen und den Lohnabhängigen auf der anderen Seite.

Gewerkschaften sind bürokratisch entfremdete Ausdrücke des reproduktiven Klassenkampfes innerhalb des Kapitalismus. Durch das moderne Tarifvertragssystem, das durch staatliche Gesetze geschaffen wurde und reguliert wird, werden die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate zu Co-Managerinnen der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnabhängigen. In Tarifverträgen zwischen den Einzelkapitalen (Haustarife), den Wirtschaftsbranchen und dem öffentlichen Dienst des Staates auf der einen und den Gewerkschaften auf der anderen Seite werden unter anderem die Lohnhöhe, die wöchentliche Arbeitszeit und die Anzahl der Urlaubstage mit festgelegt. Das Tarifvertragssystem verwaltet das Lohnsystem mit, kann es aber nicht aufheben. Das Gleiche gilt für in das Tarifvertragssystem integrierte Gewerkschaften. Streiks innerhalb des Tarifvertragssystems sind eine stark verrechtlichte Form des reproduktiven Klassenkampfes.

Die Haupttendenz der Gewerkschaftsapparate ist es, sich vollständig in den Kapitalismus zu integrieren. Zum Beispiel der absolut sozialreaktionäre Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) – der Hausgewerkschaftsbund dieses Staates. Das zum DGB auch eine Bullengewerkschaft gehört, passt wie die Faust auf das Auge. Der DGB ist der Zivilbulle des deutschen Staates, der auch dessen Wirtschaftskriege, Rüstungsexporte und Kriege im Wesentlichen unterstützt. Besonders tun sich dabei die Bonzen der Industriegewerkschaft Metall hervor, in dessen Wirkungsbereich die Mordwerkzeuge Made in Germany produziert werden. Es gibt aber auch radikalere Basisgewerkschaften, die teilweise gegen den Militarismus den Klassenkampf organisieren, wie zum Beispiel die USB in Italien. Aber auch diese Gewerkschaft ist reformistisch und nicht revolutionär.

Der Anarchosyndikalismus behauptet, es könne revolutionäre Gewerkschaften geben und er würde sie aufbauen. Doch diese Behauptung widerlegte der Anarchosyndikalismus selbst durch seine opportunistische Anpassung an das Tarifvertragssystem und das sozialreformistische Bewusstsein der Mehrheit des Proletariats. Heute ist der Anarchosyndikalismus untrennbarer Bestandteil des globalen Gewerkschaftsreformismus. Fazit: Gewerkschaften sind Organisationen des reproduktiven Klassenkampfes innerhalb des Kapitalismus. Sie können nicht revolutionär und wirkliche revolutionäre Klassenkampforganisationen keine Gewerkschaften sein.

Politische „ArbeiterInnen“ Parteien (sozialdemokratische, marxistisch-leninistische und trotzkistische) integrieren sich in der Regel in die demokratisch-parlamentarischen Staaten. In Deutschland existieren drei systemloyale sozialdemokratische Parteien, die SPD, die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht. Aber auch sich sehr rrrrevolutionär gebende marxistisch-leninistische und trotzkistische Parteien wie die D„K“P, die MLPD und die Sozialistische Gleichheitspartei treten bei Wahlen an. Sie helfen damit in der Praxis das parlamentarisch-demokratische Herrschaftssystem zu reproduzieren, die ProletarierInnen zum Stimmvieh zu machen, dass in Wahlen die BerufspolitikerInnen ermächtigt, den Staat zu regieren oder systemloyal zu opponieren. Politische Parteien können den Staat nur reproduzieren. Sie sind Fleisch vom Fleische des Kapitalismus.

In Russland eroberte der bolschewistische Parteiapparat im Oktober 1917 durch einen Staatsstreich die politische Macht. Der Partei-„Kommunismus“ (Marxismus-Leninismus, Trotzkismus und „Linkskommunismus“) bezeichnet diesen bolschewistischen Staatstreich bis heute demagogisch als „proletarische Revolution“. Doch die bolschewistischen BerufspolitikerInnen zerstörten die ArbeiterInnen- und Soldatenräte, die aus der Februarrevolution von 1917 hervorgegangen sind, und schlugen die selbständigen Bewegungen der ArbeiterInnen und BäuerInnen brutal nieder, zum Beispiel die Machno-Bewegung und den Kronstädter Aufstand. Die Verstaatlichung der Produktionsmittel im Frühsommer 1918 schuf einen Staatskapitalismus. Später errichteten marxistisch-leninistische Staatsapparate in weiteren Ländern Osteuropas, Asiens, Afrikas und auf Kuba staatskapitalistische Regimes. In Ländern wie China, Vietnam und auf Kuba transformierten beziehungsweise transformieren die herrschenden marxistisch-leninistischen Parteidiktaturen den Staats- in den Privatkapitalismus.

Der Gegensatz zwischen dem klassenkämpferischen Proletariat und den bürgerlich-bürokratischen Apparaten der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung wird bereits ansatzweise im reproduktiven Klassenkampf deutlich und spitzt sich in revolutionären Situationen extrem zu.

Es besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass sich in extremen Situationen der reproduktive Klassenkampf zur sozialen Revolution radikalisiert. Bereits jetzt hat der reproduktive Klassenkampf revolutionäre Tendenzen, die sich auch gegen die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung wenden. Die wichtigste revolutionäre Tendenz ist die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats. Das Proletariat wird im Alltag durch Kapital und Staat fremdorganisiert. Nur durch Klassenkampf können sich die Lohnabhängigen selbst für ihre Bedürfnisse gegen Kapital und Staat organisieren. Dies geschieht bereits im konspirativ-illegalen Alltagsklassenkampf, der unsichtbar ist. Er ist geprägt durch das eigenmächtige Machen von nichtvorgesehenen Pausen, die Umverteilung von kleinerem Betriebseigentum, Sabotage und die produktive Aneignung von Produktionsmitteln. Der konspirativ-illegale Alltagsklassenkampf, den die Gewerkschaften nicht organisieren wollen und können, hat starke revolutionäre Tendenzen.

Verdeutlichen wir dies an den Beispielen Sabotage und produktive Aneignung der Produktionsmittel durch das klassenkämpferische Proletariat. Bei der Sabotage machen die LohnarbeiterInnen das kaputt, was sie kaputt macht, die technischen Produktionsmittel des Kapitals. Dabei täuschen sie einen technischen Defekt vor, um während der Reparatur oder während des Austausches eine kleine Pause zu haben. In der Sabotage erkennen die ProletarierInnen das kapitalistische Eigentum an den Produktionsmitteln praktisch nicht an. Mensch darf legal nur das kaputtmachen, was einem juristisch auch gehört. Bei der Sabotage zerstören die ProletarierInnen jedoch fremdes, kapitalistisches, Eigentum, anstatt damit das Kapital zu vermehren. Das ist eine revolutionäre Tendenz.

Bei der produktiven Aneignung der Produktionsmittel stellen die ProletarierInnen, immer wenn die ChefInnen nicht hinsehen, mit den Produktionsmitteln Dinge für sich selbst her. Auch durch diese Form des konspirativ-illegalen Alltagsklassenkampfes wird das kapitalistische Eigentum an den Produktionsmitteln praktisch nicht anerkannt. Während dieser Aktion produzieren die LohnarbeiterInnen keine Waren oder warenförmige Dienstleistungen für das Kapital, sondern Dinge für sich selbst. Dies ist auch eine illegale Schmälerung und Umverteilung des kapitalistischen Eigentums. Und auch dies ist eine revolutionäre Tendenz. Die produktive Aneignung der Produktionsmittel war und ist sowohl in Handwerksbetrieben als auch an modernen Computerarbeitsplätzen möglich, wo zum Beispiel statt immer nur langweilige Betriebskalkulationen auch Liebesgedichte geschrieben werden können. Diese Form des Klassenkampfes war und ist jedoch nur dort möglich, wo die Intensivierung der Ausbeutung und die Kontrolle der Ausgebeuteten noch nicht so groß ist. Und da der konspirativ-illegale Alltagsklassenkampf nicht den Kapitalismus überwinden kann, bleibt er reproduktiv.

Doch auch der offensichtliche Klassenkampf, der Streik, hat große revolutionäre Tendenzen. Die klassenkämpferischen LohnarbeiterInnen unterbrechen die Warenproduktion, dem Kapital große Verluste zufügend. Allerdings wird der Klassenkampf noch im Rahmen des Kapitalismus geführt, wird die Produktion nur vorrübergehend unterbrochen, um unter möglichst verbesserten Arbeitsbedingungen (höhere Löhne und/oder kürzere Arbeitszeiten) wieder aufgenommen zu werden. Durch die Verrechtlichung des Klassenkampfes und durch das faktische Streikmonopol der Gewerkschaften sind in modernen demokratischen Nationen die revolutionären Tendenzen stark abgestumpft. Jedoch setzt sich die potenziell und tendenziell revolutionäre klassenkämpferische Selbstorganisation auch gegen die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate durch.

Und zwar schon in noch offiziell von den Gewerkschaften kontrollierten Arbeitsniederlegungen. Gerade in längeren Ausständen entwickelt sich nicht selten die Doppelherrschaft aus der klassenkämpferischen Selbstorganisation der Lohnabhängigen auf der einen und den bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparaten auf der anderen Seite. In wilden, von den Gewerkschaften unabhängigen Streiks, entwickelt sich die höchste Form der Selbstorganisation der ProletarierInnen innerhalb des reproduktiven Klassenkampfes. Ist die selbstorganisierte Arbeitsniederlegung relativ kurz und sind die Belegschaften relativ klein, reicht oft die informelle Selbstorganisation. Dauert jedoch der wilde Streik länger an, sind an ihm größere oder mehrere Belegschaften beteiligt, dann sind gewerkschaftsunabhängige Streikkomitees notwendig.

2. RevolutionärInnen in nichtrevolutionären Zeiten

Ausgehend von den praktischen Erfahrungen des Klassenkampfes knüpft die Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST) an den revolutionären Tendenzen von Marxismus und Anarchismus an – und kritisiert deren reaktionären. Die AST tritt für eine globale Vernetzung von revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen ein. Der Kommunismus der Gegenwart und Zukunft ist sowohl nachmarxistisch als auch nachanarchistisch.

Proletarische RevolutionärInnen nehmen bewusst und vorwärtstreibend an dem Kampf ihrer Klasse teil, ohne sich an die reproduktiven Grenzen und an die Gewerkschaften opportunistisch anzupassen. Sie streiken mit für höhere Löhne, betonen aber, dass das ganze Lohnsystem wegmuss. In gewerkschaftlichen Tarifkommissionen, die die Lohnarbeit mitverwalten, haben sie nichts zu suchen. Genauso wenig wie in anderen haupt- oder nebenamtlichen Gewerkschaftsfunktionen sowie innerhalb von gesetzlich-sozialreformistischen Betriebs- und Personalräten.

Das schließt eine einfache Mitgliedschaft in den Gewerkschaften sowie die Benutzung der Betriebs- und Personalräte von außen nicht aus. Sind sie einfache Gewerkschaftsmitglieder, schüren sie den bereits bestehenden Klassenkonflikt zwischen Basis und Führung kräftig weiter an. Proletarische RevolutionärInnen treten Illusionen in die klassenkämpferisch-sozialemanzipatorische Reformierbarkeit von Gewerkschaftsapparaten wie dem DGB und seiner Mitgliedsorganisationen kompromisslos entgegen. Solche und andere Hausgewerkschaften der Bourgeoisie müssen langfristig revolutionär zerschlagen werden. Proletarische RevolutionärInnen knüpfen gegen die Gewerkschaftsapparate an den revolutionären Tendenzen des Klassenkampfes an.

Proletarische und intellektuelle RevolutionärInnen sind konsequent antipolitisch. Sie lehnen bewusst die politische Partei als Organisationsform für den proletarischen Klassenkampf und für die Organisation der SozialrevolutionärInnen ab. Selbstverständlich beteiligen sie sich auch nicht am parlamentarisch-demokratischen Wahlzirkus. Sie haben den kompromisslosen Kampf gegen die Demokratie als kapitalistische Staatsform gewählt. SozialrevolutionärInnen kämpfen gegen Neonazis sowie Militärputsche und -diktaturen, verteidigen aber niemals die Demokratie als kapitalistische Staatsform.

SozialrevolutionärInnen sind kompromisslos antinational. Sie bekämpfen die Nation als Scheingemeinschaft aus Kapital und Lohnarbeit. In der globalen Konkurrenz der Nationen bekämpfen sie alle Seiten, unterstützen aber keine. Nationale „Befreiung“ ist Reproduktion der kapitalistischen Ausbeutung unter einem neuen Firmenschild. SozialrevolutionärInnen bereiten sich praktisch-geistig auf die mögliche Weltrevolution vor, die alle Nationen zerschlagen und die klassen- sowie staatenlose Weltgemeinschaft gebären muss.

Der antipolitische Kommunismus will nicht die Lohnabhängigen führen, sondern ist der bewusste Ausdruck der klassenkämpferischen Selbstorganisation gegen die groß- und kleinbürgerliche Politik, die nur die kapitalistische Ausbeutung zu reproduzieren vermag. Die AST ist sich auch des großen Unterschiedes einer kleinen Organisation der antipolitischen SozialrevolutionärInnen in nichtrevolutionären Zeiten zu der revolutionären Klassenkampforganisation, die möglicherweise den Kapitalismus aufhebt, bewusst. Sie strebt bewusst das Aufgehen in der möglichen zukünftigen revolutionären Klassenkampforganisation des Proletariats an.

3. Die mögliche soziale Weltrevolution

Es besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass sich der Klassenkampf in extremen Ausnahmesituationen zur sozialen Revolution radikalisiert. Eine revolutionäre Situation entwickelt sich heraus, wenn die Bourgeoisie nicht mehr so herrschen kann wie bisher, während das Proletariat nicht mehr weiter so arbeiten und leben kann und will. Nicht jede extreme Ausnahmesituation führt aber automatisch zur Herausbildung einer revolutionären Situation.

Der bisher reifste Ausdruck einer revolutionären Situation war die europäische revolutionäre Nachkriegskrise (1917-1923). Die extreme Ausgangssituation des proletarischen Massenelends während und nach dem imperialistischen Gemetzel des Ersten Weltkrieges (1914-1918) radikalisierte den Klassenkampf zur Revolution.

Nur in und mit einem revolutionären Prozess kann sich auch eine revolutionäre Klassenkampforganisation entwickeln. Die mögliche revolutionäre Klassenkampforganisation muss sich grundsätzlich sowohl von der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung als auch von den heutigen sozialrevolutionären Kleingruppen unterscheiden. Sie muss sich zur Organisation der revolutionären Selbstaufhebung des Proletariats entwickeln, zum Subjekt der Revolution!

Die ArbeiterInnen- und Soldatenräte der europäischen revolutionären Nachkriegskrise waren nur tendenziell und potenziell Organe einer revolutionären Klassenkampforganisation, die von innen deformiert waren. In Deutschland von sozialdemokratischen und in „Sowjet“-Russland von bolschewistischen BerufspolitikerInnen. Die ArbeiterInnen- und Soldatenräte wurden schließlich von der Konterrevolution zerschlagen.

Die mögliche zukünftige revolutionäre Klassenkampforganisation wird sowohl durch informelle Aktion des Proletariats als auch durch offizielle Organe geprägt sein. Sie muss sich sowohl an den Arbeitsplätzen der Lohnabhängigen als auch in den Wohngebieten des Proletariats entfalten. Sie wird am Anfang noch stark durch Spontaneität und Instinkt geprägt sein, muss sich jedoch ziemlich schnell zu einem bewussten Subjekt der sozialen Revolution entwickeln, sonst wird sie von der kapitalistischen Konterrevolution zerschlagen – so wie in der europäischen revolutionären Nachkriegskrise.

Vorwiegend spontan und instinktiv wird die revolutionäre Klassenkampforganisation deshalb sein, weil die Herausbildung einer revolutionären Situation ein objektiv-subjektiver Prozess ist, der unmöglich geplant werden kann, sondern am Anfang unvermeidlich durch das halbbewusste Spiel von sich verschärfender kapitalistischer Krise und der spontanen klassenkämpferischen Reaktion des Proletariats geprägt sein wird. Die revolutionäre Situation ist ein Ausdruck der Tatsache, dass im Kapitalismus die gesellschaftlichen Entwicklungsprozesse stärker den klaren menschlichen Willen beherrschen, als dass es umgekehrt ist.

Die extreme Verschärfung der kapitalistischen Krise ist die objektive Ausgangslage, auf deren Grundlage sich der Klassenkampf zur sozialen Revolution radikalisieren kann, aber nicht automatisch muss. Getrieben von den Erfordernissen der biosozialen Reproduktion, die die extreme Verschärfung der kapitalistischen Krise immer stärker gefährdet – tritt vielleicht das Proletariat größtenteils spontan und instinktiv in den sich verschärfenden Klassenkampf.

Spontanität meint hier, dass die klassenkämpferischen ProletarierInnen morgen vielleicht Dinge tun werden, die sie heute noch nicht zu denken wagen. Instinktives Verhalten ist das Handeln, bevor dessen Konsequenzen bewusst durch den Kopf gegangen sind. Praktisches Handeln, getrieben durch die eisernen Notwendigkeiten der extremen Ausgangssituation und das unbestimmte Bauchgefühl, selbst etwas kollektiv als kämpfende Klasse tun zu müssen. Klar, es gibt heute schon eine nanokleine Minderheit von SozialrevolutionärInnen, die bewusst eine Revolution anstreben. Doch die bewusste praktisch-geistige Vorbereitung auf die Herausbildung einer revolutionären Situation ist in erster Linie die Bereitschaft nackt in einen Ozean zu springen, in dem gerade ein gewaltiger Sturm tobt.

Die sich in einer revolutionären Situation möglicherweise herausbildende revolutionäre Klassenkampforganisation muss sich rasch zu einem bewussten Subjekt der sozialen Revolution radikalisieren – sonst wird sie von der kapitalistischen Konterrevolution zerschlagen. Diese Notwendigkeit trifft auf die große Schwierigkeit, dass die übergroße Mehrheit des Proletariats vor der Herausbildung der revolutionären Situation lediglich ein reproduktiv-sozialreformistisches Bewusstsein hat. Es ist also besonders am Anfang des sozialrevolutionären Prozesses notwendig, dass sich innerhalb der Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats bewusst revolutionäre Fraktionen und Strömungen bilden. Die sozialrevolutionären Gruppen der vorrevolutionären Zeit gehen dabei in der sich herausbildenden revolutionären Klassenkampforganisation auf. Die bewussten revolutionären Kräfte – die immer stärker werden müssen – werden aus den AltrevolutionärInnen bestehen und aus jenen Menschen, die sich erst mit dem revolutionären Prozess zu bewussten RevolutionärInnen entwickeln.

Die sich in der revolutionären Situation herausbildenden Organe der revolutionären Klassenkampforganisation können nur die klassen- und staatenlose Gemeinschaft gebären, wenn sie bereits mit deren Organisationsprinzipien schwanger gehen. Sie müssen sich zum bewussten Ausdruck der revolutionären Selbstaufhebung des Proletariats entwickeln. BerufspolitikerInnen sowie hauptamtliche Gewerkschafts- und ParteifunktionärInnen haben in den Organen der revolutionären Klassenkampforganisation nichts zu suchen. Diesen Bonzen muss ordentlich der Stinkefinger gezeigt werden! Sie sind Fleisch vom Fleische des Kapitalismus und können diesen nur reproduzieren. Auch dürfen sich in den tendenziell und potenziell revolutionären Organen keine neuen hauptamtlichen Funktionen herausbilden. In ihnen dürfen alle Funktionen nur nebenamtlich sein, müssen oft rotieren und unter der kollektiven Kontrolle des sich revolutionär selbst aufhebenden Proletariats stehen. Nur so werden sie zu bewussten Organen der sozialen Revolution.

Skizzieren wir den möglichen zukünftigen Prozess der revolutionären Selbstaufhebung des Proletariats etwas genauer. Die ProletarierInnen sind untrennbarer Teil der Warenproduktion. Im Produktionsprozess produzieren sie Waren für das Kapitel. Gleichzeitig sind die ProletarierInnen auf den Arbeits- und Konsumgütermärkten selbst kleinbürgerliche Marktsubjekte und Konkurrenzindividuen, was sie anfällig gegenüber bürgerlicher Ideologie macht. ProletarierInnen können sich aber nur von kapitalistischer Ausbeutung befreien, wenn sie die Warenproduktion überwinden. Und sie können nur die Warenproduktion überwinden, indem sie sich selbst sowohl als kleinbürgerliche Marktsubjekte als auch als Objekte der kapitalistischen Ausbeutung aufheben.

Die Warenproduktion beruht auf voneinander getrennten Wirtschaftseinheiten, die mittels der Ware-Geld-Beziehung ihre Produkte austauschen müssen. Indem das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat die Produktionsmittel in gesamtgesellschaftliche Verfügungsgewalt überführt, hebt es die voneinander getrennten Wirtschaftseinheiten auf. Es schafft dadurch eine ökonomische Gemeinschaft, in der die Produkte nicht mehr mittels der Ware-Geld-Beziehung ausgetauscht werden müssen, sondern kollektiv-solidarisch verteilt werden können. Die Menschen der entstehenden klassen- und staatenlosen Gemeinschaft dürfen keine passiven Objekte der innergesellschaftlichen Güterverteilung sein, sondern müssen deren aktive Subjekte werden.

Das Geld wird als Ausdruck des Tauschwertes nicht abgeschafft, sondern durch die Aufhebung der Warenproduktion funktionslos. Die gesamtgesellschaftliche Produktion, die von den unmittelbaren ProduzentInnen gemeinschaftlich-solidarisch – und ohne Wirtschaftsbosse und BerufspolitikerInnen – geplant und organisiert wird, wird unmittelbar auf den Gebrauchswert, also die nützlichen Eigenschaften der Güter, gerichtet sein. Da die Güter nicht mehr getauscht, sondern innergesellschaftlich verteilt werden, haben sie auch keinen Tauschwert mehr.

Bei der skizzenhaften Darstellung der möglichen revolutionären Aufhebung der Warenproduktion wurde es bereits deutlich: diese ist nur bei gleichzeitiger antipolitischer Zerschlagung des Staates möglich. Indem sich die selbst revolutionär aufhebenden ProletarierInnen den Staat antipolitisch zerschlagen, überwinden sie ihre eigene Staatsbürgerlichkeit als politische Identität. Diese besteht darin, dass sie als Steuerzahlende und Steuerproduzierende, als Beschäftigte im öffentlichen Dienst sowie in Staatsunternehmen die ökonomischen Ausbeutungsobjekte des politischen Gewaltapparates sind. Außerdem sind sie die politisch verwalteten Objekte des Staates als Gesetzgeber. In den kapitalistischen Demokratien ermächtigen und legitimieren die ProletarierInnen in freien Wahlen die BerufspolitikerInnen in ihrem Namen den Staat zu regieren oder systemloyal-parlamentarisch zu opponieren. Als WählerInnen sind ProletarierInnen kleinbürgerlich. Um den Staat zu zerschlagen, müssen die ProletarierInnen praktisch-geistig ihre eigene kleinbürgerliche Identität als StaatsbürgerInnen überwinden.

Der politische Gewaltapparat wird im direkten bewaffneten Kampf dem sich selbst revolutionär aufhebenden Proletariat immer überlegen sein. Die Stärken des Proletariats liegen woanders – in seiner zahlenmäßigen Größe, die im revolutionären Prozess entstehende hochaktive kollektive Kampf- und Solidargemeinschaft, die sich ansatzweise bereits im reproduktiven Klassenkampf entwickelt. Die antipolitisch-sozialrevolutionäre Zerschlagung des Staates ist nur möglich, wenn Teile der Repressionsapparate (Polizei, Militär und Geheimdienste) sich neutralisieren lassen oder gar bewaffnet der sozialen Revolution anschließen. Ja, Bullen, BerufssoldatInnen und GeheimdienstlerInnen wird die staatliche Repression antrainiert. Doch wenn sie auf einmal nicht nur gegen Minderheiten vorgehen sollen, sondern gegen die Mehrheit der Bevölkerung, wird dies nicht spurlos an ihnen vorbeigehen.

Doch der Staatsapparat besteht nicht nur aus den Repressionsorganen, in denen die reaktionärsten Teile der staatlich dienenden Lohnabhängigen beschäftigt sind. Deren progressiven Teile der müssen im Staatsapparat und im öffentlichen Dienst Organe der revolutionären Klassenkampforganisation schaffen. Deren wichtigstes Ziel ist die Aushöhlung des Staates von innen. Ohne diese wird die Zerschlagung von außen nicht möglich sein.

Auch die Bildung von sozialrevolutionären Milizen wird wahrscheinlich notwendig sein. Diese müssen jedoch unter der kollektiven Kontrolle des sich revolutionär selbst aufhebenden Proletariats stehen. Abgesonderte Militärapparate dürfen sich nicht herausbilden. Dies wären Embryos eines reproduzierten Staates. Bei der Zerschlagung des Staates werden wahrscheinlich sozialrevolutionäre Kommunen eine wichtige Rolle spielen. Die revolutionären Kräfte müssen ihre Wohngebiete zu bullenfreien Orten machen, in denen die lokalen BerufspolitikerInnen entmachtet werden. Lokale klassen- und staatenlose Gemeinschaften als Bollwerk zur Zerschlagung des zentralen Staatsapparates.

Durch die antipolitische Zerschlagung des Staates ist jedoch die innere und äußere Konterrevolution noch nicht besiegt. Die innere Konterrevolution wird aus marodierenden Banden der reaktionärsten Teile der aufgehobenen Klassen der überwundenen kapitalistischen Gesellschaft bestehen. Die klassen- und staatenlose Gesellschaft muss die innere bewaffnete Konterrevolution ohne abgesonderte militärische Apparate besiegen. Die Besiegten müssen in die klassen- und staatenlose Gesellschaft integriert werden.

Die äußere Konterrevolution – das werden die noch bestehenden kapitalistischen Staaten sein. Das revolutionäre Proletariat eines Landes, mehrerer Länder, eines Kontinents kann mit seiner revolutionären Selbstaufhebung unmöglich warten, bis die Klassengeschwister weltweit so weit sind. Deshalb wird die Weltrevolution unvermeidlich mit der gleichzeitigen Existenz von sich bereits herausbildenden klassen- und staatenlosen Gemeinschaften und noch bestehenden kapitalistischen Staaten verbunden sein. Letztere werden versuchen – wenn ihre innere Lage es zulässt – mit militärischer Gewalt die klassen- und staatenlosen Gesellschaften von außen zu zerstören. Die klassen- und staatenlosen Gesellschaften müssen sich kollektiv bewaffnet gegen die militärischen Angriffe des kapitalistischen Imperialismus verteidigen – ohne von der Gemeinschaft getrennte Militärapparate abzusondern. Dies wäre die Reproduktion des Staates.

Zwischen den schon bestehenden klassen- und staatenlosen Gemeinschaften und den noch existierenden kapitalistischen Staaten darf es keinen Handel – auch keinen Naturaltausch – geben, weil dies die erstgenannten deformieren würde. Dagegen muss sich aus den sich entwickelnden klassen- und staatenlosen Gesellschaften und dem noch bestehenden klassenkämpferisch-revolutionären Proletariat der kapitalistischen Staaten eine feste Kampf- und Solidargemeinschaft der Weltrevolution herausbilden. Letztgenannte ist erst zu Ende, wenn der letzte Staat antipolitisch zerschlagen ist. Wenn wir im Auge behalten, dass die Bourgeoisie mit ihren Atomwaffen die ganze Menschheit ausrotten kann, dann ist uns bewusst, dass eine Weltrevolution ein großes Risiko darstellen wird. Doch das Risiko eines atomaren Overkills besteht auch ohne Weltrevolution. Vielleicht gelingt es ja dem sich möglicherweise selbst revolutionär aufhebenden Weltproletariat den atomaren Amoklauf der Bourgeoisie zu verhindern.

4. Die klassen- und staatenlose Gemeinschaft

Die aus der Weltrevolution möglicherweise hervorgehende planetare klassen- und staatenlose Gemeinschaft, ist die Voraussetzung dafür, dass sich der globale Universalismus einer kollektiv-solidarischen Menschheit herausentwickelt, deren gemeinsame Heimat die Erde ist. Die klassen- und staatenlose Weltgemeinschaft kann kein widerspruchsloses Paradies sein, aber bürgerliche Identitäten wie Klasse, Nation, „Rasse“ und soziale Geschlechterrollen werden dann Geschichte sein!

Die Aufhebung der Warenproduktion und die antipolitische Zerschlagung des Staates sind auch die gesellschaftlichen Voraussetzungen der Überwindung des Patriarchats, der binär-heterosexuell-monogamen Normierung, des Konkurrenzindividualismus, der Trennung von geistig-leitender und körperlich-ausführender Tätigkeit sowie die Aufhebung der Entfremdung des Menschen von der außermenschlichen Natur.

Die sozialrevolutionäre Aufhebung der Warenproduktion sowie des sozialen und sexuellen Elends ist auch die Voraussetzung der Überwindung der Prostitution. Diese überwiegend patriarchale Ware-Geld-Perversion der Sexualität ist innerhalb des Kapitalismus nicht aufzuheben, sondern durch staatliche Verbote nur in den Untergrund zu treiben. Durch die Zerschlagung des Staates wird auch die Ehe als staatlich institutionalisierte Form der monogamen Kleinfamilie überwunden. Die klassen- und staatenlose Gemeinschaft wird von den verschiedenen Formen der Liebesbeziehungen (Monogamie, Polyamorie und Beziehungsanarchie) und der Sexualität (Hetero-, Homo- und Bisexualität) keine bevorzugen und keine benachteiligen. Sie wird auch die sozialen Geschlechterrollen aufheben und die freie Entfaltung aller individuellen Geschlechtsidentitäten ermöglichen.

Die klassen- und staatenlose Gesellschaft wird die biosozialen Reproduktionstätigkeiten, die in den Privathaushalten der kapitalistischen Gesellschaft vorwiegend von Frauen verrichtet wird, auf freiwilliger Grundlage und bei Gewährung individueller Freiräume größtenteils vergesellschaften. Dadurch werden die heutigen Privathaushalte und die weitgehende Kopplung von Liebesbeziehungen und biosozialen Reproduktionstätigkeiten im Kapitalismus überwunden. Die biosozialen Reproduktionstätigkeiten müssen fair auf alle Geschlechter aufgeteilt werden.

Durch die Überwindung der Warenproduktion und der Privathaushalte auf der einen und der antipolitischen Zerschlagung des Staates auf der anderen Seite werden sowohl der Konkurrenzindividualismus als auch die staatsförmige Zwangskollektivität des Kapitalismus durch kollektiv-solidarische Beziehungen der Individuen der klassen- und staatenlosen Gesellschaft ersetzt. Das kollektive Zusammenleben der Menschen wird aber nicht widerspruchsfrei sein, die klassen- und staatenlose Gesellschaft muss bewusst mit diesen Widersprüchen umgehen.

Sie muss auch den Gegensatz aller Klassengesellschaften, nämlich den zwischen geistig-leitender und körperlich- ausführender produktiver Tätigkeit überwinden. Dies geschieht dadurch, dass die unmittelbaren ProduzentInnen die Produktion auch kollektiv-solidarisch ohne Wirtschaftsbosse und BerufspolitikerInnen leiten und organisieren. Dies ist nur möglich, wenn die Zeit der produktiven Tätigkeit für alle Gesellschaftsmitglieder verkürzt wird, so dass genug Zeit für die kollektive Leitung und Planung der Produktion sowie für den Lebensgenuss bleibt. Diese Zeitverkürzung für die unmittelbare produktive Tätigkeit kann dadurch erreicht werden, weil viele unproduktive Funktionen, die im Kapitalismus aber unentbehrlich sind wie die des Waren- und des Geldhandels sowie der staatlichen Repression und Verwaltung, in einer klassen- und staatenlosen Gemeinschaft entfallen werden. Mittelfristig muss die Wissenschaft als bürgerlich-elitäres Bewusstsein in der hohen Allgemeinbildung der klassen- und staatenlosen Gemeinschaft aufgelöst werden.

Die kapitalistische Vernutzung unseres blauen Planeten ist mit einer permanenten und sich zuspitzenden ökosozialen Krise verbunden, deren Ausdrücke der durch Treibhausgase verursachte Klimawandel, das massenhafte Artensterben von Pflanzen und Tieren, wachsende Entwaldung, die Vergiftung und Vermüllung der Luft, des Bodens und der Gewässer sind. Zoonosen, die Übertragung von Infektionskrankheiten von Tieren auf Menschen, werden durch die kapitalistische Massentierproduktion auf engstem Raum begünstigt.

Die klassen- und staatenlose Gemeinschaft kann und muss vor allem sehr sparsam mit Verpackung und Energie umgehen. Im Kapitalismus ist die Verpackung, die später zum Müll wird, untrennbarer Teil der Werbung, der Warenästhetik, die all unsere Sinne vergewaltigt, damit wir bestimmte Produkte kaufen. Eine Güterproduktion unmittelbar für den Bedarf kann die meiste Verpackung sparen. Außerdem können und müssen die Produkte in einer klassen- und staatenlosen Gesellschaft viel langlebiger sein als die Heutigen im Kapitalismus. Durch die weitgehende Vergesellschaftung der biosozialen Reproduktion und die Aufhebung der heutigen Privathaushalte kann die klassen- und staatenlose Gemeinschaft sparsamer mit Energie und der Produktion von Gütern sein als der Kapitalismus. Energie darf nur aus erneuerbaren Trägern, aber nicht mehr aus Kohle, Erdöl, Erdgas und aus Atomkraft gewonnen werden. Während die klassen- und staatenlose Weltgemeinschaft den motorisierten Individual- und Güterverkehr stark einschränken muss, muss sie den kollektiven Personenverkehr wesentlich ausbauen.

Die klassen- und staatenlose Weltgemeinschaft muss unseren blauen Planeten entgiften, entmüllen und renaturisieren. Die Landwirtschaft muss stark auf natürlichen Dünger und natürliche Schädlingsbekämpfung beruhen. Zoos und die kapitalistische Massentierhaltung müssen zerschlagen und der Verzehr von Fleisch stark reduziert werden. Die Menschen der klassen- und staatenlosen Weltgemeinschaft können und müssen ein grundsätzlich anderes Verhältnis zur pflanzlichen und tierischen Mitwelt entwickeln.

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3. Marx/Engels zwischen Kapitalismuskritik und nationalkapitalistischer Politik https://astendenz.blackblogs.org/2024/08/27/3-marx-engels-zwischen-kapitalismuskritik-und-nationalkapitalistischer-politik/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/08/27/3-marx-engels-zwischen-kapitalismuskritik-und-nationalkapitalistischer-politik/#respond Tue, 27 Aug 2024 12:42:53 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=252 Die beiden bürgerlichen Intellektuellen Marx und Engels – von ihrem sozialen Biotop her waren und blieben Marx und Engels ein Leben lang bürgerliche Intellektuelle, das ist keine Denunziation, sondern eine nüchterne Feststellung – schufen zwischen 1844 und 1848 die Grundlage dessen, was mensch heute Marxismus nennt. Sie nannten es „wissenschaftlichen Kommunismus“. Das war und ist von den MarxistInnen als Abgrenzung zum utopischen ArbeiterInnenkommunismus gemeint. Nun, wir heutigen nachmarxistischen und nachanarchistischen KommunistInnen kritisieren die Wissenschaft grundsätzlich als bürgerlich-elitäres Bewusstsein – was natürlich nicht heißt, dass wir alle theoretischen Forschungsergebnisse von ihr ablehnen würden – und streben ihre revolutionäre Aufhebung in einer hochentwickelten Allgemeinbildung einer klassen- und staatenlosen Gesellschaft an. Der Marxismus stellte geschichtlich ein höheres Niveau der Kapitalismus-Kritik dar. Er knüpfte ideengeschichtlich am utopischen ArbeiterInnenkommunismus an, aber auch am naturwissenschaftlichen Materialismus und an der idealistischen Dialektik Hegels. Aus den Letztgenannten schufen er eine Synthese, nämlich die materialistisch-dialektische Weltbetrachtung als revolutionäre Denkmethode, auf der auch seine Analyse und Kritik des Kapitalismus fußte. Die Schaffung der Grundlagen der materialistisch-dialektischen Denkmethode ist das bleibende Verdienst von Marx und Engels, an der auch wir nachmarxistischen und nachanarchistischen KommunistInnen kritisch-schöpferisch anknüpfen. Allerdings muss diese Denkmethode von marxistischen Dogmen gereinigt werden. Dies wurde durch die Praxis notwendig und möglich.

Dazu gehört auch eine materialistisch-dialektische Kritik des Marxismus. Diesen sehen wir als eine wichtige Etappe der Entwicklung des modernen Kommunismus an, der aber aufgrund seiner Unreife auch antikommunistische Tendenzen hatte und schließlich in Form des Marxismus-Leninismus und Trotzkismus in staatskapitalistischen Nationalismus umschlug. Schon bei Marx und Engels hatte der „proletarische Internationalismus“ eindeutig linksnationale Tendenzen, ja war objektiv Teil des bürgerlichen Internationalismus.

Zur konsequenten Bekämpfung der bürgerlichen Nationalstaaten braucht mensch ein antipolitisches, antinationales und antikapitalistisches Bewusstsein. Alle drei bilden ein untrennbares Dreieck der sozialrevolutionären Theorie und Praxis. Nun, der Marxismus war in der Praxis nicht antipolitisch und antinational – und deshalb auch nicht wirklich antikapitalistisch. Aber es gab bei Marx in seinen Frühschriften gewisse antipolitische Tendenzen, die aber nicht zu seiner eigenen Praxis wurden und die der politische Parteimarxismus nur praktisch in den Dreck treten konnte. So schrieb Marx 1844: „Wo es politische Parteien gibt, findet jede den Grund eines jeden Übels darin, dass statt ihrer ihr Widerpart sich am Staatsruder befindet. Selbst die radikalen und revolutionären Politiker suchen den Grund des Übels nicht im Wesen des Staates, sondern in einer bestimmten Staatsform, an deren Stelle sie eine andere Staatsform setzen wollen.“ (Karl Marx, Kritische Randglossen, MEW Bd. 1, S. 401.)

Dies ist auch eine sehr gute Kritik am Parteimarxismus, der die sozialreaktionäre Tradition der Politik fortsetzte. Die marxistischen Parteien reproduzierten ein kleinbürgerliches BerufspolitikerInnentum, welches die Klassenspaltung der bürgerlichen Gesellschaft zum Ausdruck brachte, aber nicht überwinden konnte. PolitikerInnen müssen nach Macht streben, so wie KapitalistInnen nach Profit streben müssen. KapitalistInnen, die nicht nach Profit streben und diesen nicht zur Vermehrung des Kapitals verwenden, sondern diesen zum größten Teil in soziale Projekte investieren, können sich im Konkurrenzkampf mit anderen KapitalistInnen nicht lange behaupten. So ähnlich ist es auch mit PolitikerInnen, die in ihrem Geschäft noch zu sehr an Ideen und Zielen gebunden sind, die mit der Erringung und Erhaltung der politischen Macht nichts oder nicht viel zu tun haben – sie werden innerhalb ihrer eigenen Partei von den skrupellosen MachtopportunistInnen verdrängt.

Politik als staatsförmige Organisation der Industriegesellschaft reproduziert das Kapital und der Kapitalismus reproduziert die bürgerliche Politik in Form des Nationalstaates. Auch der sozialdemokratische und „kommunistische“ Parteimarxismus reproduzierte das Kapital. Die Sozialdemokratie des Westens schmiegte sich an eine starke Bourgeoisie an und wurde Teil der privatkapitalistischen Sozialreaktion. Dabei warf die Sozialdemokratie die marxistische Ideologie über Bord. Der Partei-„Kommunismus“ eroberte entweder selbständig in industriell unterentwickelten Ländern in Osteuropa und im Trikont oder auch in industriell entwickelten Gebieten (zum Beispiel Ostdeutschland) mit „Hilfe“ des sowjetischen Imperialismus die politische Macht. In diesen Nationen etablierte sich für eine gewisse Zeit der Staatskapitalismus. Der Marxismus-Leninismus wurde zur Herrschaftsideologie des Staatskapitalismus.

Aber die oben zitierte scharfe Kritik an der Politik von Marx ging auch schon in der eigenen Praxis und in der seines Freundes Engels als Politideologen der internationalen institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung (Bund der Kommunisten, Internationale Arbeiterassoziation, Sozialistische Internationale) verloren. Die Politik, die Marx und Engels betrieben, war objektiv nationalkapitalistisch, da im Industriezeitalter jede Realpolitik nur Nation und Kapital reproduzieren kann.

Schauen wir uns dies genauer an. Nachdem Marx und Engels die Grundlagen ihrer Theorie geschaffen hatten, gründeten sie Anfang 1846 in Brüssel das Kommunistische Korrespondenz-Komitee. Es verfolgte das Ziel ihren wissenschaftlichen Kommunismus zur führenden Ideologie der jungen Bewegung zu machen. Marx und Engels gelang es mit Hilfe dieser Organisation den Bund der Gerechten in den Bund der Kommunisten umzuformen. Diese praktisch-geistige Transformation stellte der Übergang vom utopischen ArbeiterInnenkommunismus zum Marxismus dar. Das Kommunistische Korrespondenz-Komitee übte einen immer größeren geistigen Einfluss auf den Bund der Gerechten aus. Am 30. März 1846 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Marx auf der einen und Weitling als Theoretiker des utopischen ArbeiterInnenkommunismus auf der anderen Seite. In diesem Streit kritisierte Marx auch den Putschismus Weitlings.

Dieser geistige Streit endete innerhalb des Bundes der Gerechten mit dem Sieg des wissenschaftlichen Kommunismus. Im Januar 1847 forderte dessen Zentrale in London Marx und Engels auf, dem Bund beizutreten und an dessen Reorganisation mitzuwirken. Marx und Engels traten bei. Er wurde 1847 in Bund der Kommunisten umbenannt. Dieser war wie sein Vorläufer eine internationale politische Organisation der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung. Sie stellte gewissermaßen den Beginn des marxistischen „proletarischen Internationalismus“ dar. Die von Marx geprägte Losung „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ wurde zum Kampfruf des Bundes der Kommunisten. Und diese Losung ist auch noch heute – wenn auch in viel reiferer Form – die Quintessenz des antinational-sozialrevolutionären Universalismus.

Doch beim Bund der Kommunisten war dies noch nicht antinational, sondern lediglich übernational gemeint. Der Marxismus war noch nicht antinational, sein Internationalismus war gleichzeitig ein Linksnationalismus. Im Marxismus entwickelte sich der dialektische Widerspruch zwischen einer materialistisch-dialektischen Kapitalismuskritik und einer staatskapitalistischen Ideologie-Produktion. Das von Marx und Engels Anfang 1848 geschriebene Manifest der kommunistischen Partei stellte ein staatskapitalistisches Programm dar. Dass der angeblich erste Schritt zur kommunistischen Aufhebung des Kapitalismus die politische Eroberung der Staatsmacht durch das Proletariat sei – was in Wirklichkeit nur die kapitalistische Produktionsweise reproduzieren konnte – übernahm der Marxismus vom politischen Flügel des utopischen ArbeiterInnenkommunismus: „Wir sahen schon oben, dass der erste Schritt in der Arbeiterrevolution die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie ist. Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, die Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staates, d. h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren.“ (Marx/Engels, Manifest der kommunistischen Partei, Dietz Verlag Berlin 1977, S. 66.) Also, als erste Etappe der sozialen Revolution die Verstaatlichung der Produktionsmittel – Staatskapitalismus!

Natürlich wollten Marx/Engels keinen Staatskapitalismus schaffen, sondern die Aufhebung der Lohnarbeit durch den Kommunismus erreichen. Und in diesem Kommunismus sollte es kein Staat mehr geben. Der Staat sollte nach der Revolution „friedlich“ absterben. Im Manifest hieß es: „Sind im Laufe der Entwicklung die Klassenunterschiede verschwunden und ist alle Produktion in den Händen der assoziierten Individuen konzentriert, so verliert die öffentliche Gewalt den politischen Charakter. Die politische Gewalt im eigentlichen Sinne ist die organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer anderen. Wenn das Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse vereint, durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse aufhebt, so hebt es mit diesen Produktionsverhältnissen die Existenzbedingungen des Klassengegensatzes, die Klassen überhaupt und damit seine eigene Herrschaft als Klasse auf. An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“ (Ebenda, S. 68.)

Marx und Engels veränderten auch ihre Auffassung vom Staat unter dem Einfluss der Pariser Kommune. Sie schrieben im deutschen Vorwort von 1872 zum Manifest der kommunistischen Partei: „Gegenüber der immensen Fortentwicklung der großen Industrie in den letzten fünfundzwanzig Jahren und der mit ihr fortschreitenden Parteiorganisation der Arbeiterklasse, gegenüber den praktischen Erfahrungen, zuerst der Februarrevolution und noch weit mehr der Pariser Kommune, wo das Proletariat zum ersten mal zwei Monate lang die politische Gewalt innehatte, ist dieses Programm heute stellenweise veraltet. Namentlich hat die Kommune den Beweis geliefert, dass ,die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und für ihre eigenen Zwecke in Bewegung setzen kann.‘ (Siehe Der Bürgerkrieg in Frankreich. Adresse des Generalrahts der Internationalen Arbeiter-Association (…) wo dies weiter entwickelt ist.)“ (Ebenda, S. 10.)

Diese Stelle ist aber nicht in dem Sinne misszuverstehen, dass Marx/Engels vollständig ihr altes reformistisches Programm zur Aufhebung des Staates über Bord geworfen hatten. So schrieb Marx 1875 in Kritik des Gothaer Programms: „Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen Gesellschaft in die andere. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts anderes sein kann, als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.“ (MEW, Bd. 19, S. 28.)

Die Theorie von Marx/Engels verbindet also eine grundsätzliche Staatsfeindlichkeit mit einer reformistischen Idee des Absterbens des Staates. Diese Theorie ist falsch. Denn der Staat ist ein hierarchisches Instrument, das vom Proletariat unmöglich beherrscht werden kann. Durch die staatliche Besitzergreifung der Produktionsmittel ergibt sich eine riesige Machtfülle für eine entstehende Staatsbourgeoisie. Doch Marx/Engels haben ihre Staatsfeindlichkeit subjektiv ehrlich gemeint. Sie lässt sich aber durch ihr reformistisches Programm nicht verwirklichen. Wir übernehmen von Marx/Engels die grundsätzliche Staatsfeindlichkeit, lehnen aber ihren Reformismus in dieser Frage ab.

Der marxistische „proletarische Internationalismus“ war also von Anfang an eine staatskapitalistische Variante des bürgerlichen Internationalismus als Interaktion der Nationen. Der Antikapitalismus war zwar von Marx und Engels subjektiv ehrlich gemeint, wurde aber objektiv zu einer Ideologie einer nationalkapitalistischen Politik.

Marx und Engels waren die geistigen Urgroßväter des nationalkapitalistischen „Sozialismus“. Sie waren aber auch dessen ersten Kritiker. Im zweiten Band von Kapital gab Marx folgende Erklärung für das „gesellschaftliche Kapital = Summe der individuellen Kapitale (inkl. der Aktienkapitale resp. des Staatskapitals, soweit Regierungen produktive Lohnarbeit in Bergwerken, Eisenbahnen etc. anwenden, als industrielle Kapitalisten fungieren)“. (Karl Marx, Das Kapital. Zweiter Band, Dietz Verlag Berlin 1975, S. 101.) Friedrich Engels schrieb im Anti-Dühring: „Aber weder die Verwandlung in Aktiengesellschaften noch die in Staatseigentum, hebt die Kapitaleigenschaft der Produktivkräfte auf.“ (Friedrich Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, in MEAW Bd. V., S. 305.) So kann die materialistische Dialektik mit Hilfe der revolutionären Tendenzen des Marxismus die „sozialistischen Länder“ als staatskapitalistisch analysieren.

Aber bereits das Agieren von Marx und Engels in Deutschland während der Revolution von 1848/49 war objektiv nationaldemokratisch-staatskapitalistisch, also sozialreaktionär. Marx/Engels hielten als bürgerliche Intellektuelle den Kapitalismus trotz aller Kritik an ihm für „fortschrittlich“ gegenüber dem Feudalismus. Doch der Kapitalismus war aus heutiger sozialrevolutionärer Sicht von Anfang an absolut sozialreaktionär. Indem der Marxismus den modernen, auf doppelt freier Lohnarbeit beruhenden Industriekapitalismus im Kampf gegen vorindustriekapitalistische Zustände unterstützte, wurde er latent sozialreaktionär. So als der von Marx und Engels geführte Bund der Kommunistenwährend der Revolution von 1848/49 gegen die Kleinstaaterei und den Fürstenabsolutismus im deutschen Sprachraum einen großdeutschen – also einschließlich der österreichischen Gebiete, wo vorwiegend deutsch gesprochen wurde – und parlamentarisch-republikanischen Nationalstaat mit Staatseigentum an Banken, Transportmitteln, Gruben und Bergwerken forderten. Marx und Engels forderten also einen bürgerlichen Staat, da nach ihrer richtigen Einschätzung in Deutschland die objektiven und subjektiven Bedingungen für eine siegreiche soziale Revolution noch nicht reif waren. So richtig wie diese Einschätzung auch war, so falsch war die Schlussfolgerung. Doch der Kommunismus war damals noch nicht reif für folgende Schlussfolgerung: SozialrevolutionärInnen müssen auch unter Bedingungen, die noch nicht reif für die soziale Revolution sind, konsequent gegen alle Klassengesellschaften und Staaten kämpfen. Vor der Isolation von allen bürgerlichen Kräften, in die sie dadurch geraten, dürfen sie keine Angst haben. Die Forderung nach einem deutschen, parlamentarisch-demokratisch-republikanischen Nationalstaat mit Staatseigentum an Banken, Transportmitteln, Gruben und Bergwerken war objektiv nationalkapitalistisch und sozialreaktionär.

In Frankreich war eine solche demokratisch-republikanische Staatsform Ergebnis der Februarrevolution von 1848. Und sie erwies sich von Anfang an als strukturelle Klassenfeindin des Proletariats. Im Juni 1848 organisierte die demokratische Republik in Frankreich ein Massenmord am klassenkämpferischen Proletariat. Marx und Engels verurteilten dies scharf, hielten aber an der Forderung nach einer demokratischen Republik für Deutschland fest. In der Revolution von 1848/49 erwies sich also der „proletarische Internationalismus“ des Bundes der Kommunisten in der Praxis als bürgerlicher Internationalismus, als Interaktion der Nationen. In Deutschland agierte er als eine nationaldemokratische Kraft. Der Bund der Kommunisten war in der politischen Praxis kleinbürgerlich-internationalistisch und linksnational, weil er noch nicht reif zu einer antinationalen Antipolitik – die auch wirklich antikapitalistisch gewesen wäre – war. Er war deshalb auch nicht wirklich sozialrevolutionär, sondern kleinbürgerlich-radikal. Der Bund der Kommunisten löste sich im Jahre 1852 auf.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich vor allem in Europa die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung als bürokratisch entfremdeter Ausdruck des reproduktiven Klassenkampfes im Rahmen des Kapitalismus. Die politischen „ArbeiterInnen“-Parteien und Gewerkschaften waren von ihrem Inhalt und ihren Formen her von Anfang an bürgerlich. Sie reproduzierten die Klassenspaltung des Kapitalismus in Form von bürgerlich-bürokratischen Partei- und Gewerkschaftsapparaten und einer weitgehend ohnmächtigen kleinbürgerlich-proletarischen Basis. Die Apparate der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung aus hauptamtlichen FunktionionärInnen sowie BerufspolitikerInnen und -ideologInnen bestand größtenteils aus kleinbürgerlichen Intellektuellen und ehemaligen Lohnabhängigen. Gewerkschaften wurden im 20. Jahrhundert durch das Tarifvertragssystem zu Co-Managerinnen der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnarbeit, während sozialdemokratische und „kommunistische“ Parteien als regierende Charaktermasken den Kapitalismus in privater und verstaatlichter Form reproduzierten.

Die sich im 19. Jahrhundert heraus entwickelnde institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung erwies sich im 20. Jahrhundert sozialreaktionär und konterrevolutionär. Sie war auch im 19. Jahrhundert nur in der Ideologie „revolutionär“, in der Praxis war sie sozialreformistisch. Gewerkschaften strebten praktisch eine Milderung der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnarbeit an, deren Aufhebung teilweise nur ideologisch. Doch ihre Apparate – einschließlich der anarchosyndikalistischen Gewerkschaften – integrierten sich in der Wirklichkeit immer stärker in den Kapitalismus. Die sozialdemokratischen Parteien betrieben in der Wirklichkeit einen parlamentarischen Sozialreformismus und integrierten sich in Westeuropa immer stärker in die Demokratie. Die kleinbürgerlichen BerufspolitikerInnen und -ideologInnen der Sozialdemokratie strebten in ihrer Mehrheit materiell und sozialpsychologisch danach großbürgerlich zu werden, das heißt nach der vollen Anerkennung durch die Bourgeoisie als deren politisches Regierungspersonal.

Marx und Engels waren Politideologen der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung. Sie reproduzierten ideologisch die Grenzen des reproduktiven Klassenkampfes und passten sich an den gewerkschaftlichen und parlamentarischen Sozialreformismus sowie das nichtrevolutionäre Bewusstsein der Mehrheit des Proletariats an. Sie kritisierten lediglich die gröbsten Auswüchse des gewerkschaftlichen und parlamentarischen Sozialreformismus, aber eben diesen nicht grundsätzlich. Im 19. Jahrhundert – also zur Wirkungszeit von Marx und Engels – hatte sich die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung noch nicht offen sozialreaktionär und konterrevolutionär erwiesen. Sie konnten also noch nicht Klassenkampferfahrungen theoretisch verallgemeinern, die den totalen Klassengegensatz zwischen Proletariat und institutionalisierter ArbeiterInnenbewegung offenlegten. Aber Marx und Engels passten sich ideologisch immer stärker an den Sozialreformismus an. Der vorgeblich „revolutionäre“ Marxismus wurde in der Praxis sozialreformistisch und der praktische Sozialreformismus der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung wurde teilweise ideologisch „revolutionär“, indem er sich zum Marxismus bekannte. Natürlich war der Marxismus nur eine Ideologie von vielen innerhalb der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung

Die globalen Partei- und Gewerkschaftsapparate strebten bereits im 19. Jahrhundert zur übernationalen Interaktion, zum Internationalismus. Doch dieser „proletarische Internationalismus“ der Partei- und Gewerkschaftsapparate war eben nicht antinational, sondern lediglich übernational. So wurde im Jahre 1864 von englischen GewerkschafterInnen und französischen EmigrantInnen in London die Internationale Arbeiterassoziation (IAA) gegründet. Marx wurde als Mitglied des vorläufigen Organisationskomitees eingeladen und er hatte entscheidenden praktischen Einfluss auf dieses.

Auch der „proletarische Internationalismus“ der Internationalen Arbeiterassoziation erwies sich in der politischen Praxis als bürgerlich-internationalistisch und linksnational. Zum Beispiel in seiner Haltung zum US-amerikanischen BürgerInnenkrieg (1861-1865). Die Internationale Arbeiterassoziation unterstützte in diesem die industriekapitalistischen Nordstaaten gegen die agrarkapitalistischen Südstaaten. Das war objektiv sozialreaktionär. Wirklich antinational-sozialrevolutionäre Kräfte hätten beide kriegführende Seiten gleichermaßen bekämpfen müssen. Gegen Sklaverei und Lohnarbeit! Indem die Internationale Arbeiterassoziation die Herausbildung der kapitalistischen Industrienation USA „kritisch“ unterstützte, war sie bürgerlich-internationalistisch und linksnational. Ihre führenden VertreterInnen – einschließlich von Karl Marx – schleimten sich bei Abraham Lincoln, der regierenden Charaktermaske der auf der Ausbeutung der Lohnarbeit beruhenden US-amerikanischen Industrienation, durch einen Brief, der zwischen dem 22. und 29. November 1864 geschrieben wurde, so richtig ein.

Und zum bürgerlichen Internationalismus der Internationalen Arbeiterassoziation passte auch ihr zunehmender parlamentarischer Sozialreformismus. In seiner Rede zum Kongress der Internationalen Arbeiterassoziation 1872 in Den Haag sagte Marx: „Der Arbeiter muss eines Tages die politische Gewalt ergreifen, um die neue Organisation der Arbeit aufzubauen… Aber wir haben nicht behauptet, dass die Wege, um zu diesem Ziel zu gelangen, überall dieselben seien… und wir leugnen nicht, dass es Länder gibt, wie Amerika, England, und wenn mir eure Institutionen besser bekannt wären, würde ich vielleicht noch Holland hinzufügen, wo die Arbeiter auf friedlichem Wege zu ihrem Ziel gelangen können.“ (Karl Marx, Rede über den Haager Kongress, in: MEW 18, S. 160.) Wenn sich das Proletariat sozial befreien will, muss es den Staat zerschlagen! Von dieser sozialrevolutionären Wahrheit war die Internationale Arbeiterassoziation meilenweit entfernt. Sie war objektiv eine bürgerlich-sozialreformistische, und damit eine sozialreaktionäre Kraft, die das Proletariat in die kapitalistische Politik zu integrieren half.

Marx orientierte als führender Politideologe der Internationalen Arbeiterassoziation auf die „politische Machteroberung durch die ArbeiterInnenklasse“. Doch die ArbeiterInnenklasse kann gar nicht die politische Macht erobern, dass konnten in der Praxis nur marxistische BerufspolitikerInnen im Namen, aber gegen die Interessen des Proletariats. Weil die politische Machteroberung nur die kapitalistische Produktionsweise reproduzieren kann. Der Streit zwischen den Parteimarxismen wurde später nur darum geführt, ob die politische Macht in Form von freien Wahlen oder durch Staatsstreiche beziehungsweise Guerillakriege erobert werden sollte. Und einige von marxistischen Politbonzen beherrschte Staaten verleibten sich dann alle industriellen Produktionsmittel ein und beuteten die Lohnarbeit aus. Der kommunistische Anarchismus und Anarchosyndikalismus waren und sind mit ihren Gewerkschaftsfetischismus, ihrer BäuerInnentümelei und ihrer Verherrlichung von genossenschaftlicher „Selbstorganisation“ im Rahmen von Kapital und Staat selbst stark von sozialreaktionären Tendenzen geprägt, aber den staatkapitalistischen Charakter des Marxismus kritisierten diese Strömungen schon früh und weitsichtig. Am politideologischen Streit zwischen Marx und Bakunin zerbrach auch die Internationale Arbeiterassoziation. Sie löste sich 1876 auf.

Im Jahre 1889 bildeten die sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften der verschiedenen Nationen die Sozialistische Internationale (auch Zweite Internationale) genannt. Friedrich Engels war der inoffizielle Chefideologe der Sozialistischen Internationale – und ihres Sozialreformismus. Der alte Engels kam immer mehr zu der „Erkenntnis“, dass die Eroberung des Staates Aufgabe der „ArbeiterInnenpartei“ sei – also eines bürgerlichen Wahlvereines. So schrieb er 1895 – auch unter dem Druck sozialdemokratischer Parteifunktionäre: „Mit dieser erfolgreichen Benutzung des allgemeinen Stimmrechts war aber eine ganz neue Kampfweise des Proletariats in Wirksamkeit getreten, und diese bildete sich rasch weiter aus. Man fand, dass die Staatseinrichtungen, in denen die Herrschaft der Bourgeoisie sich organisierte, noch weitere Handhaben bietet, vermittelst deren die Arbeiterklasse diese selben Staatseinrichtungen bekämpfen kann. Man beteiligte sich an den Wahlen für Einzellandtage, Gemeinderäte, Gewerbegerichte, man machte der Bourgeoisie jeden Posten streitig, bei dessen Besetzung ein genügender Teil des Proletariats mitsprach. Und so geschah es, dass Bourgeoisie und Regierung dahin kamen, sich weit mehr zu fürchten vor der gesetzlichen als vor der ungesetzlichen Aktion der Arbeiterpartei, vor den Erfolgen der Wahl als vor denen der Rebellion.“ (Friedrich Engels, Einleitung zu Karl Marx` Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850, in MEW Bd.7, S. 520.) Der parlamentarische Sozialreformismus des Marxismus war und ist objektiv antikommunistisch.

…..

Weiter oben haben wir geschrieben, dass die Schaffung der Grundlagen einer materialistisch-dialektische Weltbetrachtung – Natur, menschliche Gesellschaft und Erkenntnisentwicklung – sowie einer auf dieser fußenden Analyse und Kritik des Kapitalismus die bleibenden Verdienste von Marx und Engels waren. Hier wollen wir aufzeigen, dass der Marxismus von Anfang an auch nur eine inkonsequente Verwirklichung der materialistisch-dialektischen Gesellschaftsanalyse war. Es gab im Denken von Marx und Engels starke geschichtsidealistische und technokratische Tendenzen – also einen tendenziellen Rückfall in den naturwissenschaftlichen Materialismus der Bourgeoisie. Mit diesem wollen wir uns hier auseinandersetzen. Dabei werden auch die methodischen Unterschiede zwischen dem Marxismus und dem nachmarxistischen und nachanarchistischen Kommunismus deutlich.

So ist der Kommunismus für uns eine materiell verwurzelte Möglichkeit, die sich aus der radikalen Zuspitzung des Klassenkampfes in extremen Ausnahmesituationen ergeben kann (siehe Kapitel V.1). Für Marx war dies zu wenig. Für ihn war der Kommunismus eine automatische Gesetzmäßigkeit. So schrieben er und Engels: „Mit der Entwicklung der großen Industrie wird also unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst weggezogen, worauf sie produziert und die Produkte sich aneignet. Sie produziert vor allem ihre eigenen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich.“ (Karl Marx/Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, S. 474.) Im Kapital erhob Marx dann diesen Geschichtsdogmatismus vom angeblichen „gesetzmäßigen und unvermeidlichen Sieg der ArbeiterInnenklasse“ zu einer „Naturnotwendigkeit“: „Aber die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation.“ (Karl Marx, Das Kapital. Erster Band, Dietz-Verlag Berlin 1973, S. 791.)

Im Marxismus gab und gibt es auch starke technokratische Tendenzen. So sind viele MarxistInnen ganz begeistert von der Entwicklung der kapitalistischen Produktivkräfte, ohne die sozialen Folgen weiter zu betrachten. Auch hierin können sie sich auf Marx als Geschichtsphilosophen berufen. In seiner geschichtsphilosophischen Konstruktion hatte das Kapital die historische Mission die Produktivkräfte zu entwickeln. So schrieb er im 3. Band des Kapitals über den bürgerlichen Ökonomen Ricardo: „Was ihm vorgeworfen wird, dass er um die ,Menschen‘ unbekümmert, bei Betrachtung der kapitalistischen Produktion nur die Entwicklung der Produktivkräfte im Auge hat – mit welchen Opfern an Menschen und Kapitalwerten immer erkauft – ist gerade das Bedeutende an ihm. Die Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit ist die historische Aufgabe und Berechtigung des Kapitals. Eben damit schafft es unbewusst die materiellen Bedingungen einer höhern Produktionsform.“ (MEW 25, S. 269.) Durch diese technokratische Sichtweise verstieg sich Friedrich Engels während der Revolution von 1848/49 die imperialistische Eroberung großer Teile Mexikos durch die USA zu rechtfertigen, weil durch diese die kapitalistischen Produktivkräfte enorm weiterentwickelt wurden!

Diese technokratischen Tendenzen des Marxismus stehen im engen Zusammenhang mit seinen naiv fortschrittsgläubigen, geschichtsidealistischen und dogmatischen Bestandteilen. Wir wissen ja schon, dass bei Marx der Kommunismus so sicher war, wie der Morgen nach der Nacht. Mit einer solchen Ideologie einer naturnotwendigen Entwicklung der Gesellschaft wird die Kritik an den kapitalistischen Produktivkräften als Zerstörern der menschlichen und außermenschlichen Natur doch stark abgeschwächt. Das Kapital, welches Marx als Kritiker der politischen Ökonomie scharf kritisiert, bekommt bei ihm eine geschichtsphilosophische Mission – ähnlich wie das Proletariat. Das Kapital entwickelt die Produktivkräfte (dessen historische Mission) und die ArbeiterInnenklasse übernimmt diese und führt sich und die ganze Menschheit zum Kommunismus (die historische Mission des Proletariats). Jede Klasse hat also eine von der Geschichte klar vorgezeichnete Aufgabe. Der historische Materialismus wird zum Automatismus und das Kapital schafft technologischen Fortschritt, der naturnotwendig zum Kommunismus führt, seine Barbarei ist nur von kurzer Dauer. Der lebendige Mensch verschwindet hinter einer historisch vorgegebenen Entwicklung der Produktivkräfte. Der Glaube an „historische Missionen“ ist nicht weniger religiös als der an den heiligen Geist. Es gibt in der menschlichen Geschichte keine „objektiven Gesetzmäßigkeiten“ ohne subjektive Tat. Zwischen beiden gibt es sehr enge Wechselwirkungen. Eine objektive sozialrevolutionäre Möglichkeit wird ohne radikale subjektive Aktion nicht zum wirklichen sozialrevolutionären Prozess und ein subjektiver Wille zur sozialrevolutionären Veränderung wird ohne die dazu notwendigen objektiven Bedingungen nicht zur materiellen Gewalt.

Wir sehen also, dass sich das sozialdemokratische und partei-„kommunistische“ TechnokratInnentum auch zu Recht auf Marx berufen kann. Diese reaktionären Tendenzen des Marxismus waren im sowjetischen Marxismus-Leninismus sehr stark ausgeprägt und sie sind auch bei einigen LinksmarxistInnen festzustellen.

Wir sind radikale Kapitalismus-KritikerInnen aber keine Idealistinnen des „technologischen Fortschritts“. Dabei stehen wir in der Tradition der sozialrevolutionären Tendenz bei Marx. Denn Marx war noch immer der beste Kritiker von Marx. Wenn er auch verblendet war von seiner geschichtsphilosophischen Konstruktion, so erkannte er dennoch grundsätzlich, dass technologischer Fortschritt der Produktivkräfte nicht unbedingt mit sozialem Fortschritt verbunden sein musste, ja oft in der Entwicklung technologischer Fortschritt durch sozialen Rückschritt erkauft wurde. So schrieb er: „Erst wenn eine große soziale Revolution die Ergebnisse der bürgerlichen Epoche, den Weltmarkt und die modernen Produktivkräfte gemeistert und der gemeinsamen Kontrolle der am weitesten fortgeschrittenen Völker unterworfen hat, erst dann wird der menschliche Fortschritt nicht mehr jenem scheußlichen Götzen gleichen, der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte.“ (MEW 9, S. 226.) Was der Geschichtsphilosoph Marx verkleisterte und idealisierte, nahm der Marx als Kritiker der politischen Ökonomie schonungslos auseinander: „Jeder Fortschritt ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit (zugleich) ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. (…) Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (Karl Marx, Das Kapital Bd. 1, (1867) MEW Bd. 23, Dietz Verlag, Berlin 1988, S. 529/530.)

Marx mahnte einen schonenden menschlichen Umgang mit der Natur an, die im Kapitalismus nicht möglich ist, aber in einer klassenlosen Gesellschaft zu einer Selbstverständlichkeit gehören sollte: „Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias (gute Familienväter) den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.“ (Karl Marx, Das Kapital Bd. 3, (1894)MEW Bd. 25, Dietz Verlag, Berlin 1972, S. 784.) Wenn auch die Formulierung verdammt patriarchal rüberkommt, ist die Warnung vor menschlichem Größenwahn, sich über die Natur als ihr absoluter Beherrscher erheben zu können, heute aktueller als damals.

Friedrich Engels blies in das gleiche Horn: „Schmeicheln wir uns nicht zu sehr mit unseren menschlichen Erfolgen über die Natur. Für jeden solchen Sieg, rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andre, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben. Die Leute, die in Mesopotamien, Griechenland, Kleinasien und anderswo die Wälder ausrotteten, um urbares Land zu gewinnen, träumten nicht, dass sie damit den Grundstein zur jetzigen Verödung jener Länder legten, indem sie ihnen mit den Wäldern die Ansammlungszentren und Behälter der Feuchtigkeit entzogen. Die Italiener der Alpen, als sie die am Nordhang des Gebirges so sorgsam gehegten Tannenwälder am Südhang vernutzten, ahnten nicht, dass sie damit der Sennwirtschaft auf ihrem Gebiet die Wurzel abgruben; sie ahnten noch weniger, dass sie dadurch ihren Bergquellen für den größten Teil des Jahres das Wasser entzogen, damit diese zur Regenzeit umso wütendere Flutströme über die Ebene ergießen könnten. Die Verbreiter der Kartoffel in Europa wussten nicht, dass sie mit den mehligen Knollen zugleich die Skrofelkrankheit verbreiten. Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, dass wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand der außer der Natur steht – sondern dass wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn und dass unsre ganze Herrschaft über sie besteht, im Vorzug vorallen anderen Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.“ (Friedrich Engels, Dialektik der Natur, Dietz Verlag, Berlin 1952, S. 190/191.)

So weit so gut. Doch wie das bei Engels nun mal so war, folgte darauf ein Abschnitt, der nicht auf soziale Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse setzte, sondern auf die bürgerliche Naturwissenschaft: „Und in der Tat lernen wir mit jedem Tag ihre Gesetze richtiger verstehn und die näheren und entfernteren Nachwirkungen unsrer Eingriffe in den herkömmlichen Gang der Natur erkennen. Namentlich seit den gewaltigen Fortschritten der Naturwissenschaften werden wir mehr und mehr in den Stand gesetzt, auch die entfernteren Nachwirkungen wenigstens unserer gewöhnlichsten Produktionshandlungen kennen und damit beherrschen zu lernen. Je mehr dies aber geschieht, desto mehr werden sich die Menschen wieder als eins mit der Natur nicht nur fühlen, sondern auch wissen, und je unmöglicher wird jene widersinnige und widernatürliche Vorstellung von einem Gegensatz zwischen Geist und Materie, Mensch und Natur, Seele und Leib, wie sie seit dem Verfall des klassischen Altertums in Europa aufgekommen und im Christentum ihre höchste Ausbildung erhalten hat.“ (Ebenda, S. 191.) Doch dazu ist die soziale Revolution nötig. Die bürgerliche Naturwissenschaft hat nur zur Ausbeutung lohnabhängiger Menschen durch den Kapitalismus sowie zur weiteren Entfremdung zwischen Natur und selbstentfremdeten Menschen beigetragen.

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Für die globale Vernetzung von revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen! https://astendenz.blackblogs.org/2024/07/02/fuer-die-globale-vernetzung-von-revolutionaeren-anarchistinnen-und-antileninistischen-kommunistinnen/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/07/02/fuer-die-globale-vernetzung-von-revolutionaeren-anarchistinnen-und-antileninistischen-kommunistinnen/#respond Tue, 02 Jul 2024 22:16:37 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=225 Die massenmörderische Krisen- und Kriegsdynamik des globalen Kapitalismus schreit geradezu nach einer planetaren Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen. Das Weltproletariat wird erbarmungslos von der Weltbourgeoisie verheizt. Der Klassenkampf des Proletariats wird noch immer innerhalb des reproduktiven Rahmens des Kapitalismus geführt, dessen Perspektive für die ProletarierInnen nur Ausbeutung, Arbeitslosigkeit, staatliche Elendsverwaltung, eine sich vertiefende ökosoziale Kriese und Krieg beziehungsweise einen asozialen Frieden bedeuten kann.

Die globale institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung (Gewerkschaften und politische Parteien) ist der bürokratische Ausdruck der den Kapitalismus reproduzierenden Grenzen des proletarischen Klassenkampfes. Die bürgerlich-bürokratischen Partei- und Gewerkschaftsapparate integrierten sich mehrheitlich in den Kapitalismus und wurden Fleisch von seinem Fleische. Anarchosyndikalismus und Parteimarxismus (Linke Sozialdemokratie, Marxismus-Leninismus, Trotzkismus und Linkskommunismus) sind entweder selbst Teil des kapitalistischen Problems oder außerstande eine revolutionäre Alternative zu Kapital, Staat und institutionalisierter ArbeiterInnenbewegung zu entwickeln.

Letzteres trifft besonders auf den Linkskommunismus zu. Er ist aufgrund seines Antiparlamentarismus, seiner Gewerkschaftsfeindlichkeit und seiner Ablehnung der nationalen Befreiung/Selbstbestimmung zu radikal, um sich in den Kapitalismus zu integrieren, aber zu parteimarxistisch-ideologisch borniert, um den konterrevolutionären Charakter des staatstragenden Bolschewismus ab 1917 zu erkennen und zu begreifen, dass die politische Partei grundsätzlich eine bürgerlich-bürokratische Organisationsform ist, die nur den Kapitalismus reproduzieren, aber eben nicht revolutionär überwinden kann. Das peinliche Rumgeeiere in der Staatsfrage – der berühmt-berüchtigte „Halbstaat“, den die LinkskommunistInnen in der Revolution aufmachen wollen –, ist eine antirevolutionäre Tendenz. Erstens kann es nur ganze Staaten geben und zweitens sind die immer konterrevolutionär!

Eine globale Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen als organisatorisch-inhaltliche Alternative zu Anarchosyndikalismus und Parteimarxismus ist also absolut notwendig. Die Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST) strebt mittelfristig eine globale Föderation dieser revolutionären Kräfte an.

Keine bürokratisch-zentralistische und ideologisch-dogmatische „Internationale“!

Wir streben keine bürokratisch-zentralistische Internationale an, mit einem riesigen globalen Apparat, der die einzelnen Sektionen in den verschiedenen Nationen anführt. Nein, die globale Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen, die wir mittelfristig und geduldig mit euch zusammen aufbauen wollen, soll klar und eindeutig mit der bürokratisch-zentralistischen und ideologisch-dogmatischen Tradition der parteimarxistischen (sozialdemokratischen, marxistisch-leninistischen und trotzkistischen) vier Internationalen brechen. Selbstverständlich soll sie sich auch von internationalen anarchosyndikalistischen und linkskommunistischen Zusammenschlüssen unterscheiden.

Die globale Vernetzung soll die unterschiedlichen theoretisch-kulturellen Ursprünge und Traditionen nicht einebnen, sondern produktiv zusammenführen. Sie soll praktische Gemeinschaftserlebnisse von Individuen und Kleingruppen sowie die inhaltliche Diskussion zwischen ihnen ermöglichen und damit Vereinzelung überwinden. Ganz auf der kollektiven Solidarität der Individuen und Gruppen beruhen. Einzeln und frei wie ein Baum, dabei geschwisterlich wie ein Wald!

Natürlich ist dabei auch eine Beliebigkeit zu verhindern. Die Vernetzung von revolutionären Gruppen und Individuen kann kein Selbstzweck, sondern muss die gemeinsame praktisch-geistige Vorbereitung auf die mögliche Weltrevolution sein.

Diskussionsgrundlage für einen inhaltlichen Minimalkonsens einer globalen Föderation von revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen

Damit die globale Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen eine klare organisatorisch-inhaltliche Alternative zu Parteimarxismus und Anarchosyndikalismus werden kann, muss sie auf klaren Grundprinzipien beruhen. Die AST schlägt zur Diskussion folgende Punkte vor.

1. Für die revolutionäre Aufhebung der Warenproduktion. Die Warenproduktion basiert auf global voneinander getrennten kleinbürgerlichen und kapitalistischen Wirtschaftseinheiten, die ihre Produkte mittels der Ware-Geld-Beziehung austauschen müssen. Das Geld ist der verselbständigte Ausdruck des Tauschwertes. Basis des Tauschwertes ist der Produktionswert, die durchschnittliche, gesellschaftlich notwendige Herstellungszeit einer Ware. Je höher der Produktionswert einer Ware ist, umso höher ist in der Regel auch ihr Tauschwert. Außerdem wird der Tauschwert auch durch die Marktkonkurrenz aus Nachfrage und Angebot bestimmt.

Indem das sich revolutionär selbst aufhebende Proletariat die Produktionsmittel und die soziale Infrastruktur in gesamtgesellschaftliche Verfügungsgewalt überführt und den Staat zerschlägt, schafft es die Voraussetzungen für die Aufhebung des Tauschwertes. Überwindung des Tauschwertes heißt, dass in der klassen- und staatenlosen Gemeinschaft die Produkte nicht getauscht – auch nicht durch einen Naturaltausch ohne Geld! – sondern gesamtgesellschaftlich kollektiv-solidarisch verteilt werden. Die Individuen sind keine passiven Objekte der gesamtgesellschaftlichen Leitung und Planung der Produktion sowie der Verteilung der Produkte, sondern deren aktive Subjekte.

RevolutionärInnen kritisieren jegliche „Vergesellschaftung“ innerhalb von Warenproduktion und Staat als Scheinalternative. GenossInnenschaften und „selbstverwaltete“ Betriebe innerhalb des Kapitalismus sind im besten Falle kleinbürgerlich-kollektive Formen der Warenproduktion und gehen fließend in Kapitalgesellschaften über.

2. Für die revolutionäre Zerschlagung aller Staaten. Staaten sind grundsätzlich sozialreaktionäre Gewaltapparate von Klassengesellschaften. Im Kapitalismus sind die Staaten die politischen Gewaltapparate der Kapitalvermehrung. Es kann keine „progressiven“ oder „sozialistischen“ Staaten geben. Das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat muss den Staat zerschlagen! Die „Halbstaaten“ einer angeblichen „Übergangsgesellschaft“, die der Linkskommunismus herbeiphantasiert, kann es nicht geben. Zwischen dem kapitalistischen Staat und der klassen- und staatenlosen Gemeinschaft gibt es keine staatsförmige „Übergangsgesellschaft“, sondern „nur“ die mögliche revolutionäre Zerschlagung des Staates! Den Staat zu zerschlagen, heißt die gesamtgesellschaftlich-kollektive Organisation des Lebens ohne Gewaltapparate und BerufspolitikerInnen.

Da das Proletariat eines Landes, einer Gruppe von Ländern, eines Kontinents unmöglich mit der sozialen Revolution warten kann, bis ihre Klassengeschwister weltweit so weit sind, kann die Weltrevolution nur eine permanente Kette der Zerschlagung der Nationalstaaten sein. In der Weltrevolution wird es also sowohl schon mögliche klassen- und staatenlose Gemeinschaften als auch noch kapitalistische Staaten geben. Der revolutionäre Kampf gegen die Konterrevolution – sowohl von marodierenden Banden als auch von Staaten – beruht auf der kollektiven Militanz des sich selbst revolutionär aufhebenden Proletariats beziehungsweise der klassen- und staatenlosen Gemeinschaft, aber nicht auf von der Gesellschaft getrennten Gewaltapparaten. Letztere wären der reproduzierte Staat. In der Praxis wird es schwer werden, notwendige revolutionäre Gewalt gegen die Konterrevolution auszuüben, ohne den Staat zu reproduzieren. Aber der reproduzierte Staat ist die Konterrevolution! Deshalb kompromissloser Kampf gegen die linkskommunistische Ideologie von dem „Halbstaat“ in der angeblichen „Übergangsperiode“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus! Die Weltrevolution ist erst zu Ende, wenn alle kapitalistischen Staaten revolutionär zerschlagen sind.

3. Gegen die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung (Gewerkschaften und politische Parteien). Gewerkschaften sind der bürokratisch entfremdete Ausdruck des reproduktiven Klassenkampfes des Proletariats innerhalb des Kapitalismus. Im frühen Kapitalismus ging die Bourgeoisie noch total repressiv gegen den proletarischen Klassenkampf vor. Streiks und Gewerkschaften waren absolut verboten. Doch große Teile der herrschenden Klasse erkannten in einem sozialen Lernprozess – auch aufgrund des Druckes des klassenkämpferischen Proletariats – dass in einer Klassengesellschaft der Klassenkampf nicht effektiv absolut zu verbieten ist. So wurde in den verschiedenen Staaten der reproduktive Klassenkampf und die Gewerkschafen unter bestimmten Bedingungen legalisiert. Der Klassenkampf wurde verrechtlicht und damit tendenziell entradikalisiert. Die Gewerkschaften wurden durch das durch staatliche Gesetze regulierte Tarifvertragssystem, gesetzlich-sozialpartnerschaftliche Betriebsräte und das Sitzen von Gewerkschaftsbonzen in den Aufsichtsräten der Konzerne zu Co-Managerinnen der kapitalistischen Ausbeutung.

Die meisten Gewerkschaften sind durch einen antagonistischen Klassengegensatz geprägt. Auf der einen Seite die bürgerlich-bürokratischen Apparate der hauptamtlichen FunktionärInnen – die sozial nicht (mehr) zum Proletariat gehören – und auf der anderen die ehrenamtlichen FunktionärInnen und die lohnabhängige Basis als Manövriermasse. Die Haupttendenz der Gewerkschaftsapparate ist es, sich vollständig in den kapitalistischen Staat zu integrieren.

Gewerkschaften können grundsätzlich nur einen reproduktiv-sozialreformistischen Klassenkampf um höhere Löhne, für kürzere Arbeitszeiten und eine geringere Arbeitsintensität sowie gegen die Angriffe von Kapital und Staat innerhalb des Kapitalismus, aber eben keinen revolutionären für die klassen- und staatenlose Gesellschaft führen. Selbstverständlich gibt es zwischen ihnen große Unterschiede. So gibt es total sozialreaktionäre Gewerkschaften, die völlig in die jeweiligen Staaten integriert sind und auch deren imperialistischen Kriege unterstützen, aber auch Basisgewerkschaften, die gegen Aufrüstung, Waffenhandel und Krieg einen pazifistisch-reformistischen Klassenkampf führen.

Die Behauptungen des Anarchosyndikalismus, es könne revolutionäre Gewerkschaften geben und er würde sie aufbauen, hat er durch seine eigene Praxis widerlegt. Durch seine Anpassung an das Tarifvertragssystem, gesetzlich-sozialpartnerschaftliche Betriebsräte und das reformistische Bewusstsein der Mehrheit des Proletariats wurde der Anarchosyndikalismus selbst zu einer Strömung des globalen Gewerkschaftsreformismus. Gewerkschaften sind die Organisationsform des reproduktiven Klassenkampfes innerhalb des Kapitalismus, aber eben keine revolutionären zur dessen Zerschlagung. Gewerkschaften können nicht revolutionär und revolutionäre Klassenkampforganisationen (siehe Punkt 5) keine Gewerkschaften sein!

In nichtrevolutionären Zeiten können RevolutionärInnen einfache Mitglieder von Gewerkschaften sein. Aber sie dürfen keine neben- oder hauptamtlichen Funktionen in ihnen übernehmen. Gewerkschaften müssen grundsätzlich durch revolutionäre Klassenkampforganisationen, die sich allerdings erst möglicherweise in der sozialen Revolution herausbilden können, ersetzt werden. Berits im reproduktiven Klassenkampf innerhalb des Kapitalismus entwickelt sich die proletarische Selbstorganisation als Alternative zur Gewerkschaftsbürokratie (siehe Punkt 5). Völlig in den kapitalistischen Staat integrierte Gewerkschaftsapparate, die auch imperialistische Kriege unterstützen, müssen aktiv in der sozialen Revolution zerschlagen werden!

Politische Parteien bildeten sich ab dem 19. Jahrhundert zu zwar nicht absolut notwendigen, doch weit verbreiteten Basiseinheiten der bürgerlichen Politik. Parlamentarische Demokratien sind pluralistische Mehrparteiendiktaturen. In ihnen konkurrieren die politischen Parteien in Form von freien Wahlen um die Beherrschung des Staatsapparates. Freie Wahlen machen aus ProletarierInnen Stimmvieh, dass ihre strukturellen KlassenfeindInnen, die BerufspolitikerInne,n dazu ermächtigt, entweder den kapitalistischen Staat zu regieren oder systemloyal zu opponieren. Neben den Demokratien gab und gibt es noch faschistische und marxistisch-leninistische (siehe Punkt 4) Einparteiendiktaturen.

Politische Parteien sind klassengespalten in bürgerlich-bürokratische Apparate aus hauptamtlichen FunktionärInnen sowie BerufspolitikerInnen und -ideologInnen auf der einen und der kleinbürgerlich-proletarischen Basis auf der anderen Seite. Mensch kann zwischen kleinbürgerlich-radikalen Protest-/Aufstandsparteien und großbürgerlichen Systemparteien unterscheiden.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildeten sich sozialdemokratische Massenparteien als politischer Flügel der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung. Einige von ihnen betrogen sich selbst und das Proletariat mit einer „revolutionären“ Ideologie, die aber nicht mit ihrer Praxis des parlamentarischen Sozialreformismus übereinstimmte, sondern diese verschleierte. Sie nahmen an Wahlen teil und integrierten sich immer stärker in das parlamentarische System. Die bürgerlich-bürokratischen Apparate der sozialdemokratischen Parteien strebten als Haupttendenz an, von der Bourgeoisie voll anerkanntes Regierungspersonal des kapitalistischen Staates zu werden.

Für die europäische Sozialdemokratie kam dieser Moment im Jahre 1914, den Beginn des Ersten Weltkrieges und der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923). Die meisten europäischen sozialdemokratischen Parteien unterstützten den Ersten Weltkrieg auf der Seite ihres jeweiligen Nationalstaates. Nur pazifistische und radikale Teile der Sozialdemokratie waren gegen die Kriegsbeteiligung. Während der europäischen revolutionären Nachkriegskrise wurde die Sozialdemokratie – besonders die deutsche SPD – offen konterrevolutionär, die blutig das klassenkämpferisch-revolutionäre Proletariat niederschlug. Heute ist die Sozialdemokratie vollständig in den Kapitalismus integriert.

Infolge der europäischen revolutionären Nachkriegskrise spaltete sich der radikale Flügel der Sozialdemokratie weltweit sowohl als Partei-„Kommunismus“ als auch als Rätekommunismus ab. In einigen Nationen entstanden marxistisch-leninistische Parteidiktaturen (siehe Punkt 4). In hochentwickelten privatkapitalistischen Demokratien integrierten sich marxistisch-leninistische und trotzkistische Parteien in das parlamentarische System. Indem Marxismus-Leninismus und Trotzkismus an parlamentarischen Wahlen teilnehmen, helfen sie dabei die Demokratie als Diktatur des Kapitals praktisch-geistig zu reproduzieren und die ProletarierInnen zum Stimmvieh abzurichten und braven demokratischen StaatsbürgerInnen zu erziehen.

Die sich vernetzenden Gruppen des revolutionären Anarchismus und des antileninistischen Kommunismus lehnen die politische Partei als Organisationsform des klassenkämpferischen Proletariats und der revolutionären Minderheiten ab. Ihre Kleingruppen sind weder Gewerkschaften noch politische Parteien und sie streben es auch nicht an, es zu werden.

4. Revolutionärer Antileninismus. Die politische Machtübernahme der bolschewistischen Partei im Oktober 1917 – nach dem alten russischen Kalender – stellte keine „proletarische Revolution“ dar, wie der Parteimarxismus einschließlich des Linkskommunismus behauptet, sondern der Prologder staatskapitalistischen Konterrevolution. Das sozialreaktionäre Lenin-Trotzki-Regime zerschlug die Sowjets als Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats. Ab der Verstaatlichung der Großindustrie im Frühsommer 1918 war es staatskapitalistisch. Es folgten weitere sozialreaktionäre politische Machteroberungen von marxistisch-leninistischen Parteiapparaten und die Herausbildung staatskapitalistischer Regimes in Euroasien, Afrika und auf Kuba.

Die ultrazentralistischen und überbürokratischen staatskapitalistischen Produktionsverhältnisse begünstigten die ursprüngliche, nachholende und beschleunigte Industrialisierung von einstigen Agrarnationen, aber auf Dauer konnten sie nicht der Konkurrenz des hochentwickelten Privatkapitalismus standhalten, weshalb sich in den marxistisch-leninistischen Staatsparteien proprivatkapitalistische Reformfraktionen entwickelten und die politische Macht eroberten. Diese transformierten dann den Staats- in den Privatkapitalismus. In der Sowjetunion und in Osteuropa zerfielen die marxistisch-leninistischen Parteidiktaturen. In China, Vietnam und auf Kuba wurde und wird das Kapital unter der Herrschaft der marxistisch-leninistischen Parteien privatisiert.

5. Für die klassenkämpferische Selbstorganisation und die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats. Das Proletariat kann nur in klassenkämpferischer Selbstorganisation seine Interessen und Bedürfnisse gegen Kapital und Staat durchsetzen. Die klassenkämpferische Selbstorganisation richtet sich bereits im reproduktiven Klassenkampf innerhalb des Kapitalismus gegen die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate. Besonders in längeren Arbeitsniederlegungen, die offiziell von den Gewerkschaften geführt werden, entwickeln sich teilweise Formen der Doppelherrschaft. Auf der einen Seite die Selbstorganisation der Basis und auf der anderen die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate. Die höchste Form nimmt die Selbstorganisation der Lohnabhängigen im reproduktiven Klassenkampf in gewerkschaftsunabhängigen wilden Streiks an. Ist die Arbeitsniederlegung relativ kurz und sind die Belegschaften verhältnismäßig klein, reicht oft bereits die informelle Selbstorganisation der Lohnabhängigen. Dauert der wilde Streik jedoch länger und/oder stehen größere beziehungsweise mehrere Belegschaften in ihm, dann werden offizielle Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation, gewerkschaftsunabhängige Streikkomitees, notwendig.

Revolutionäre Kleingruppen orientieren sich auf die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats, lehnen aber den Anspruch auf dessen „Führung“ ab. Ihre Funktion ist es praktisch-geistige Impulse zur Radikalisierung des Klassenkampfes zu geben. Wohl wissend, dass der Hauptimpuls zur Radikalisierung des Proletariats dessen eigener praktischer Kampf ist. RevolutionärInnen lehnen jede Stellvertreterpolitik gegenüber dem Proletariat einschließlich des Guerillakrieges getrennt vom Klassenkampf ab.

In außerordentlichen Situationen kann sich der proletarische Klassenkampf zur sozialen Revolution radikalisieren. Dann ist die revolutionäre Klassenkampforganisation notwendig. Wir verstehen darunter die Organisation der Revolution. Diese wird sowohl durch die informelle Aktion des Proletariats als auch durch offizielle Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation geprägt sein. Die Aufgabe der revolutionären Klassenkampforganisation wird die Aufhebung der Warenproduktion (Punkt 1) und die revolutionäre Zerschlagung des Staates (Punkt 2) sein. Gelingt dies, dann transformiert sich die revolutionäre Klassenkampforganisation in die klassen- und staatenlose Gemeinschaft. Die revolutionäre Klassenkampforganisation ist also die Selbstaufhebung des Proletariats als Prozess.

Diese revolutionäre Organisation des Proletariats kann nur die Warenproduktion aufheben und den Staat zerschlagen, wenn sie ganz auf der kollektiv-solidarischen Selbstorganisation der Klasse ohne bürokratische Apparate und BerufspolitikerInnen beruht. Hauptamtliche Gewerkschafts- und ParteifunktionärInnen sowie BerufspolitikerInnen haben in der revolutionären Klassenkampforganisation des Proletariats nichts zu suchen! Revolutionäre Kleingruppen der vorrevolutionären Zeit gehen in der revolutionären Klassenkampforganisation auf. Diese kann nur die klassen- und staatenlose Gesellschaft gebären, wenn sie bereits mit deren Organisationsprinzipien schwanger geht.

Wir wissen nicht, wie die zukünftige revolutionäre Klassenkampforganisation aussehen wird. Die ArbeiterInnen- und Soldatenräte der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923) waren nur potenziell und tendenziell revolutionär. Sie hatten sich noch nicht das klare Ziel der Aufhebung der Warenproduktion und der revolutionären Zerschlagung des Staates gestellt. Und sie wurden zum Beispiel in Russland zuerst von menschewistischen und „sozialrevolutionären“ BerufspolitikerInnen deformiert, die versuchten die Sowjets in den proprivatkapitalistischen Staat zu integrieren. Später wurden bolschewistische BerufspolitikerInnen in den Sowjets immer stärker. Die Bolschewiki forderten demagogisch: „Alle Macht den Sowjets!“ Als sie dann mit Hilfe der Sowjets die politische Macht erobert hatten, zerschlugen sie diese als Organe des selbstorganisierten Klassenkampfes. Daraus gibt es nur eine Lehre zu ziehen: BerufspolitikerInnen raus aus der revolutionären Klassenkampforganisation! Allen politischen Parteien – auch den linkskommunistischen – und Gewerkschaften einschließlich der anarchosyndikalistischen, die die Führung des revolutionären Proletariats anstreben, muss ordentlich auf die Finger geklopft werden!

6. Revolutionäre Kritik des Antifaschismus. SozialrevolutionärInnen bekämpfen die Demokratie kompromisslos – so wie alle anderen Staatsformen. Sie kämpfen gegen FaschistInnen, Nazis sowie Militärputsche und -diktaturen, aber verteidigen niemals die Demokratie. So wie der Antifaschismus im Zweiten Weltkrieg und im spanischen BürgerInnenkrieg demokratische Regimes gegen faschistische Staaten und Militärputsche unterstützte und damit das große kapitalistische Massaker am Weltproletariat mit organisierte, ist er auch heute in den verschiedenen Gemetzeln Teil der Rechtfertigungsideologien und Mobilisierung für die Demokratie. RevolutionärInnen lehnen Einheits- und Volksfronten mit bürgerlichen Kräften – einschließlich der Sozialdemokratie, des Marxismus-Leninismus und des Trotzkismus gegen den Neofaschismus ab. Sie bekämpfen ihn auf klassenkämpferisch-revolutionärer Grundlage.

Das ist die Lehre aus dem spanischen BürgerInnenkrieg (1936-1939), bei dem die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung – von den StalinistInnen und SozialdemokratInnen über die linkssozialistische POUM bis zur anarchosyndikalistischen CNT – mit anderen bürgerlichen Kräften eine Volksfront bildete, gegen die die Generäle unter Franco putschten. Die Volksfront führte sowohl einen innerkapitalistischen und sozialreaktionären BürgerInnenkrieg gegen die putschenden Generale als auch einen Klassenkampf von oben gegen das Proletariat und den linken Flügel der Volksfront (POUM und Basis der CNT). Den Klassenkampf von oben gewann die Volksfront, während sie den BürgerInnenkrieg gegen Franco verlor. RevolutionärInnen mussten sowohl die Volksfront als auch die putschenden Generäle bekämpfen.

7. Gegen nationale „Befreiung“/Selbstbestimmung/Autonomie. Die Nationen sind Zwangs- und Scheingemeinschaften aus Kapital und Lohnarbeit. Ihr organisierender Kern ist der Nationalstaat. Nationen beruhen ökonomisch auf der erfolgreichen Vermehrung des Nationalkapitals, politisch auf der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols und ideologisch auf den Nationalismus. Der Letztgenannte integriert die Lohnabhängigen in die jeweiligen Nationalstaaten und spaltet das Weltproletariat. Dieses wird in der globalen Interaktion der Nationen – sowohl kooperative Konkurrenz als auch konkurrenzförmige Kooperation – erbarmungslos verheizt. Die ProletarierInnen werden durch den Nationalismus in blutigen Gemetzeln aufeinandergehetzt – im Interesse des Weltkapitalismus.

RevolutionärInnen bekämpfen die nationalistische Benachteiligung und Unterdrückung von kulturellen, sprachlichen und religiösen Minderheiten sowie den Rassismus gegen Menschen mit bestimmten Hautfarben. Aber auch dagegen, dass aus diesen Minderheiten durch nationalistische Politik neue Nationen geformt werden. Für die dann entweder Autonomie in bestehenden Nationalstaaten verlangt und durchgesetzt (wie zum Beispiel „die KurdInnen“ im Nordirak und in Syrien) oder einen neuen unabhängigen Nationalstaat aufgemacht werden. Nationale „Befreiung“/Selbstbestimmung und Autonomie kann nur Kapital und Staat reproduzieren, aber eben nicht überwinden. Gegen nationalistische Unterdrückung hilft keine nationale „Befreiung“, sondern nur die soziale Befreiung von der Nation durch die mögliche Weltrevolution und die globale klassen- und staatenlose Gemeinschaft. In der globalen Konkurrenz der Nationen unterstützen die RevolutionärInnen keinen, sondern bekämpfen alle.

8. Gegen den Pazifismus. Der (klein)bürgerliche Pazifismus tritt für den bürgerlichen Frieden sowohl innerhalb der als auch zwischen den kapitalistischen Staaten ein. Doch dieser ist lediglich die nichtmilitärische Form der Konkurrenz aller gegen alle. Er ist asozial und gewalttätig. Im Inneren beruht er auf dem staatlichen Gewaltmonopol und in der Außenpolitik auf Aufrüstung. Der bürgerliche Frieden innerhalb des Kapitalismus ist nicht die Alternative zum Krieg, sondern dessen Quelle.

Der Pazifismus verlangt die freiwillige, kooperative und nennenswerte Abrüstung der kapitalistischen Staaten. Doch die ist aufgrund der globalen Konkurrenz illusorisch. Es kann nur eine wirkliche Abrüstung geben: die Zerschlagung aller Staaten durch die mögliche globale Revolution. Kompromissloser Klassenkrieg! Weltproletariat gegen Weltbourgeoisie!

9. Grundsätzliche Kritik sowohl des kapitalistischen Patriarchats als auch der bürgerlichen Frauenemanzipation im Kapitalismus. Für den revolutionären Kampf gegen das kapitalistische Patriarchat. Das kapitalistische Patriarchat ist sowohl klassenübergreifend als auch klassenspezifisch. Frauen sind innerhalb der Bourgeoisie (Kapitalistinnen, Managerinnen, Berufspolitikerinnen und Spitzenbeamtinnen) unterrepräsentiert, während die Proletarierinnen einer sexistischen Extrauausbeutung unterworfen werden. So sind zum Beispiel Frauenlöhne durchschnittlich niedriger als Männerlöhne. Ein Ausdruck des kapitalistischen Patriarchats ist auch, dass die meisten biosozialen Reproduktionstätigkeiten (einkaufen, reinigen der Wohnung, Pflege von kranken und/alten Menschen, Beaufsichtigung und Erziehung von Kindern…) sowohl innerfamiliär als auch durch Lohnarbeit durchschnittlich hauptsächlich von Frauen verrichtet werden. Weitere Aspekte des kapitalistischen Patriarchats sind die Degradierung der Frauenkörper zum Sexualobjekt – besonders in Pornographie und Prostitution –, patriarchal-sexistische Gewalt gegen Frauen einschließlich von Femiziden sowie staatliche Repression gegen Abtreibungen.

Der (klein)bürgerliche Feminismus kämpft für Gleichberechtigung von Frauen und Männern innerhalb des Kapitalismus und damit der Klassenspaltung. Er erkämpfte in seiner Geschichte das Frauenwahlrecht, die Zulassung von Frauen zu bestimmten Berufen und immer mehr Berufspolitikerinnen und Wirtschaftsmanagerinnen. Und auch die sexistische Extraausbeutung der Frauen konnte abgemildert werden. Die völlige Durchsetzung der bürgerlichen Frauenemanzipation innerhalb des Kapitalismus würde bedeuten, dass Frauen innerhalb der Bourgeoisie nicht mehr unterrepräsentiert und die Proletarierinnen nicht mehr sexistisch extra ausgebeutet werden sowie die biosozialen Reproduktionstätigkeiten gleichmäßig unter den Geschlechtern, aber ungleichmäßig zwischen den Klassen verteilt werden. Die Durchsetzung von Punkt eins ist wahrscheinlicher als der Punkte 2 und 3. Jedoch haben die Proletarierinnen nichts davon, wenn sie von mehr Politikerinnen regiert, von Kapitalistinnen ausgebeutet und von Chefinnen herumkommandiert werden. Der bürgerliche Feminismus führt geradewegs zur „feministischen Außenpolitik“ kapitalistisch-imperialistischer Staaten…

Auch wenn der (klein)bürgerliche Feminismus es noch so sehr leugnet: es gibt auch weiblichen Sexismus gegen Männer. Klar, die bürgerliche Kleinfamilie ist grundsätzlich – auch von ihrer Geschichte her – patriarchal und vom männlichen Sexismus geprägt. Aber es gibt auch zwischenmenschliche Beziehungen, in denen Frauen Männer unterdrücken. Und auch sexuelle Belästigung von Männern durch Frauen. Dieser weibliche Sexismus kommt auch teilweise im (klein)bürgerlichen Feminismus zum Ausdruck. Zum Beispiel wenn in der feministischen Ideologie teilweise unterschwellig anklingt, aber manchmal auch offen behauptet wird: Frauen sind die besseren Menschen. Oder wenn einige Feministinnen gegen trans Frauen als „Männer in Frauenkleidern“ hetzen. Das ist nicht „nur“ transfeindlich, sondern auch sexistisch gegen Männer. RevolutionärInnen bekämpfen den weiblichen Sexismus genauso konsequent wie den männlichen.

RevolutionärInnen stellen der bürgerlichen Frauenemanzipation im Kapitalismus grundsätzlich den revolutionären Kampf gegen das Patriarchat gegenüber. Durch die soziale Revolution sowie die klassen- und staatenlose Gemeinschaft können viele biosoziale Reproduktionstätigkeiten, die im Kapitalismus hauptsächlich innerfamiliär und von Frauen verrichtet werden, auf freiwilliger Grundlage vergesellschaftet und auf alle Geschlechter fair verteilt werden. Nur durch die revolutionäre Aufhebung der Ware-Geld-Beziehung sowie des sozialen und sexuellen Elends kann auch die Prostitution überwunden werden. Ihr staatliches Verbot, die Teile des Feminismus fordern, können diese nur in den Untergrund treiben und das Leben der Prostituierten erschweren.

10. Gegen heterosexuelle und geschlechtliche Normierungen – aber auch gegen die verlogene staatliche „Regenbogentoleranz“ und kleinbürgerliche Identitätspolitik. RevolutionärInnen bekämpfen sowohl die staatliche Repression gegen Menschen, die der heterosexuellen und binären Geschlechternorm nicht entsprechen – homo-/bisexuelle, nichtbinäre und trans Menschen – in jenen Ländern, wo diese besteht, als auch die verlogene „Regenbogentoleranz“ von in dieser Frage liberaleren Nationen und Staatenbündnisse. Grundsätzlich braucht der Kapitalismus keine heterosexuellen und geschlechtlichen Normierungen. Solange Schwule, Lesben, nichtbinäre und trans Menschen durch fleißige Produktion und aufgeschlossenem Konsum das Kapital vermehren sowie brave StaatsbürgerInnen sind, ist für den modernen Liberalismus alles in Ordnung. Liberale Staaten und Staatenbündnisse wie die Europäische Union (EU) machen auch die „Regenbogentoleranz“ zur imperialistischen Waffe gegen Staaten, mit denen sie aus anderen Gründen konkurrieren und die repressiv die heterosexuelle und geschlechtliche Normierung durchsetzen.

RevolutionärInnen unterschieden zwischen biologischen Geschlechtern, sozialen Geschlechterrollen und individuellen Geschlechtsidentitäten. Soziale Geschlechterrollen wollen sie durch die soziale Revolution aufheben (siehe Punkt 9), während sie alle individuelle Geschlechtsidentitäten tolerieren, solange die sich nicht gegen andere richten. Soll jede/r nach seiner/ihrer Fasson glücklich werden. Aber RevolutionärInnen wissen auch, dass im Kapitalismus alle Identitäten – unter anderem „Nation“, Hautfarbe, Religion, biologisches Geschlecht, soziale Geschlechterrolle und individuell Geschlechtsidentität sowie sexuelle Orientierung – zu Kostümen im Konkurrenzkampf aller gegen alle werden. Der rechtskonservativ-neofaschistische Konkurrenzchauvinismus gegen „AusländerInnen“, „Nichtweiße“, Homosexuelle, nichtbinäre und trans Menschen genau wie die linksliberale Hetze gegen „cis-Männer“ und „alte, weiße Männer“ – damit die jungen, „nichtweißen“ Frauen innerhalb von KleinbürgerInnentum und Bourgeoisie ordentlich Karriere machen können. RevolutionärInnen bekämpfen sowohl die rechtskonservativ-neofaschistische als auch die linksliberale Identitätspolitik als Konkurrenzchauvinismus und Spaltung des Weltproletariats.

11. Grundsätzliche Kritik des bürgerlichen „Umweltschutzes“ innerhalb des Kapitalismus. Für die Reinigung des Planeten von kapitalistischem Dreck! Das kapitalistische Produktionsverhältnis, in dem sich alles um die grenzenlose Vermehrung des Tauschwertes/Geldes dreht, ist absolut sozialreaktionär und zerstörerisch gegen die pflanzliche und tierische Mitwelt. Die massenhafte Vergiftung, Zubetonierung, Vermüllung und Entwaldung unseres Planeten, der Klimawandel und das massenhafte Artensterben sind lebensgefährliche Ausdrücke der vom Kapitalismus permanent produzierten sozialökologischen Krise. Die technokratischen Versuche der kapitalistischen Staaten den Klimawandel zumindest einzudämmen, verschärfen diese Krise nur. Elektromobilität statt Verbrennungsmotor! Auf dass der lebensgefährliche, ressourcenverschwenderische und zerstörerische, aber eben auch sehr profitable Individualverkehr weiter reproduziert wird. Und Wälder für neue Autobahnen weichen müssen. Eindämmung des Klimawandels durch Windräder in „Naturschutzgebieten“! So sehen die „Lösungen“ der kapitalistischen Technokratie aus.

Auch die klassenübergreifende Umweltbewegung ist aus sich heraus nicht in der Lage, die kapitalistische Vernichtung der pflanzlichen und tierischen Mitwelt sowie den Klimawandel aufzuhalten. Nur die mögliche Weltrevolution kann durch die Überwindung der kapitalistischen Produktions- und Konsumtionsverhältnisse die ökosoziale Krise eindämmen. Dies spricht nicht dagegen, dass RevolutionärInnen an lokalen Bewegungen gegen konkrete kapitalistische Naturzerstörungen teilnehmen, um radikalisierende Impulse zu geben. Aber sie müssen immer die strukturelle kleinbürgerliche Beschränktheit auch der radikalsten klassenübergreifenden Umweltbewegung kritisieren. In der institutionalisierten Umweltbewegung, also in den verschiedenen kleinbürgerlichen Vereinen, haben RevolutionärInnen grundsätzlich nichts verloren.

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Schriften gegen kapitalistischen Krieg und Frieden (2022-2024) https://astendenz.blackblogs.org/2024/05/23/schriften-gegen-kapitalistischen-krieg-und-frieden-2022-2024/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/05/23/schriften-gegen-kapitalistischen-krieg-und-frieden-2022-2024/#respond Thu, 23 May 2024 10:27:15 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=209 Unsere neue Broschüre „Schriften gegen kapitalistischen Krieg und Frieden (2022-2024)“ (ca. 31 Seiten) von Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 3-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de oder direkt bei uns auch als E-Book bestellen.

Inhalt

Einleitung

Das imperialistische Gemetzel in der Ukraine

Klassenkampf und antinationale Solidarität gegen den imperialistischen Krieg!

Gegen Frieden und Krieg der Weltbourgeoisie!

Alle Staaten weltweit sind objektiv strukturelle Klassenfeinde des Weltproletariats

DGB – Hausgewerkschaftsbund des deutschen Imperialismus

Der Krieg in der Ukraine und der DGB

Das staatliche Gewalt- und das gewerkschaftliche Streikmonopol

Klassenkämpferische Selbstorganisation statt DGB!

Für eine revolutionäre Antikriegsposition!

Die extreme Verschärfung der zwischenstaatlichen Konkurrenz

Gegen NATO-„Anarchismus“ und Kreml-„Kommunismus“!

Gegen Sozialreformismus, Pazifismus und Nationalismus!

Die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung und der imperialistische Krieg

Der Antifaschismus als Kriegsideologie

Für die Radikalisierung des proletarischen Klassenkampfes!

Unser Minimalkonsens für eine revolutionäre Antikriegsposition

Einleitung

Ob in der Ukraine oder in Israel/Palästina oder an unzähligen weiteren Orten: Überall sehen wir, dass das Proletariat gnadenlos im Konkurrenzkampf der kapitalistischen Staaten verheizt wird.

In Deutschland herrscht offiziell Frieden. Doch Berlin exportiert seit Jahrzehnten das Gemetzel. Ob der NATO-Krieg gegen Jugoslawien (1999), die imperialistische Besatzung von Afghanistan (2001-2021), der Stellvertreterkrieg zwischen NATO und Russland in der Ukraine oder das Gemetzel im Gazastreifen: Der deutsche Imperialismus ist dabei. In Jugoslawien und Afghanistan mordete er direkt mit, in der Ukraine und in Palästina tut er das indirekt, indem er sowohl das Kiewer Regime als auch das zionistische Israel aufrüstet.

Für das Proletariat in diesem Land heißt es wieder mal: Kanonen statt Butter. Die Aufrüstung kostet viel Geld. Der Wirtschaftskrieg, den der deutsche Imperialismus als Teil von EU und NATO gegen den russländischen führt, hatte einen enormen Anstieg der Lebensmittel- und Energiekosten zur Folge.

Fazit: Die Weltbourgeoisie verheizt das globale Proletariat gnadenlos im internationalen Konkurrenzkampf. Der bürgerliche Frieden innerhalb der und zwischen den kapitalistischen Staaten ist nur die nichtmilitärische Form des unerbittlichen Kampfes aller gegen alle. Der bürgerliche Frieden ist keine Alternative zum imperialistischen Krieg, sondern dessen Quelle! Er ist eine Form des Klassenkrieges der Bourgeoisie gegen das Proletariat!

Trotz vereinzelter Klassenkämpfe gegen Aufrüstung, Waffenhandel und die Führung von Kriegen, lässt sich das Weltproletariat im Großen und Ganzen noch als Manövriermasse des Weltkapitals benutzen, nationalistisch spalten und blutig aufeinanderhetzen. Das muss anders werden!

Als einen kleinen bescheidenen Beitrag zur notwendigen Radikalisierung des Proletariats veröffentlichen wir, die Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST), Schriften gegen kapitalistischen Krieg und Frieden, die zwischen Ende 2022 und Anfang 2024 entstanden sind.

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8. Marxismus-Leninismus und Trotzkismus https://astendenz.blackblogs.org/2024/04/27/8-marxismus-leninismus-und-trotzkismus/ Sat, 27 Apr 2024 23:55:26 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=203 Der Marxismus-Leninismus ist die Herrschaftsideologie der Staatsbourgeoisie in den staatskapitalistischen Ländern und die von bürgerlich-bürokratischen Parteiapparaten im Privatkapitalismus. Seit 1924 bezeichnete die „Kommunistische“ Partei der Sowjetunion („K“PdSU) sich selbst als marxistisch-leninistisch. Der Marxismus-Leninismus ist die Verkörperung der staatskapitalistisch-reaktionären Tendenzen bei Marx und Engels, aber auch die praktische Verneinung der revolutionären Tendenzen des Marxismus. Er ist nichts anderes als rotlackierter Antikommunismus. Seine Behauptung, er wäre „wissenschaftlicher Kommunismus“ ist eine schmutzige Lüge, mit der der Marxismus-Leninismus sich selbst und das Weltproletariat betrügt. Indem er staatskapitalistische Regimes ideologisch als „sozialistische Staaten“ verklärt – so wie der privatkapitalistische Antikommunismus – ist er Teil des geistigen Überbaues des globalen Kapitalismus.

Der Marxismus-Leninismus verklärt staatskapitalistische Parteidiktaturen als angebliche „Diktaturen des Proletariats“. Er zelebrierte geradezu eine Religion um die Partei, die nach einem bekannten Lied angeblich immer Recht haben sollte. In Wirklichkeit sind prostaatskapitalistische „kommunistische“ Parteien die widerlichsten der bürgerlichen Parteien. Der Marxismus-Leninismus bezeichnet die staatskapitalistischen Produktionsverhältnisse als „sozialistisch“, Und der „Sozialismus“ sollte werdender Kommunismus gewesen sein. In Wirklichkeit war der „Sozialismus“ ein primitiver Kapitalismus. Der Marxismus-Leninismus brachte das Bedürfnis von ursprünglichen Agrarnationen in Eurasien und Afrika sowie auf Kuba nach einer nachholenden und beschleunigten Industrialisierung ideologisch verklärend zum Ausdruck – die bereits vor der Verstaatlichung der Produktionsmittel industrialisierten Gebiete Ostdeutschland und Tschechoslowakei wurden nur durch die Expansion des sowjetischen Imperialismus staatskapitalistisch. Der Marxismus-Leninismus war also eine Zeitlang eine praktisch wirkende Ideologie der Kapitalvermehrung.

Als Herrschaftsideologie des Staatskapitalismus war der Marxismus-Leninismus das Gegenteil einer kommunistischen Theorie. Der Kommunismus ist der theoretisch-praktische Ausdruck der möglichen revolutionären Selbstaufhebung des Proletariats und einer sich herausbildenden klassen- und staatenlosen Gesellschaft. Die materialistisch-dialektische Gesellschaftsanalyse des Staatskapitalismus war im Marxismus-Leninismus eine verbotene und kriminalisierte Methode. Indem er die gesellschaftlichen Verhältnisse im „sozialistischen“ Staatskapitalismus verklärte, war er methodisch kein geschichtsanalytischer Materialismus mehr, sondern eine Form des Idealismus. Bei der Analyse des Privatkapitalismus stellt er ebenfalls nur bedingt eine materialistisch-dialektische Gesellschaftsanalyse dar. Denn die Analyse des Privatkapitalismus sollte sowohl die Kooperation mit ihm als auch die Konkurrenz gegen ihn von Seiten staatskapitalistischer Nationen ideologisch rechtfertigen. Der Marxismus-Leninismus reproduzierte den naturwissenschaftlichen Materialismus des Industriekapitalismus des 19. Jahrhunderts mit seiner Vergötterung der naturzerstörenden Technik. Er war eine durch und durch technokratische Ideologie. Seine Propaganda gegen die Religion ähnelte dem bürgerlichen Atheismus.

Der vom Marxismus-Leninismus propagierte „proletarische Internationalismus“ erwies sich als globale Interaktion der staatskapitalistischen Nationen, also als vulgärer bürgerlicher Nationalismus. So spaltete sich dann auch der internationale Marxismus-Leninismus an nationalen Linien. Als erste Nation brach 1948 das staatskapitalistische Jugoslawien mit dem sowjetischen Imperialismus. Der Titoismus entwickelte sich als eine jugoslawisch-nationale Ausprägung des Marxismus-Leninismus. 1960 kam es zum Bruch zwischen den staatskapitalistischen Nationen China und Sowjetunion. Es entwickelte sich der Maoismus als chinesische Eigenart des Marxismus-Leninismus. Während des Bruches zwischen Moskau und Peking stellte sich der albanische Staatskapitalismus auf die Seite Chinas. Im Jahre 1979 kam es auch zum Bruch zwischen Albanien und China. Die Ideen des Oberbonzen von Albanien, Enver Hoxha, wurden zu einer albanischen Spielart des globalen Marxismus-Leninismus.

Die vom klassischen Marxismus-Leninismus verklärten staatskapitalistischen Produktionsverhältnisse wurden jedoch nach der ursprünglichen Industrialisierung zu einem Hemmnis der weiteren Produktivkraftentwicklung, die im Kapitalismus auch immer eine Destruktivkraftentwicklung ist. Der Staatskapitalismus konnte in der globalen Konkurrenz mit den hochentwickelten privatkapitalistischen Nationen immer weniger mithalten. Es begann sich die Todeskrise des Staatskapitalismus zu entwickeln. Innerhalb der marxistisch-leninistischen Staatsparteien entwickelten sich proprivatkapitalistische Fraktionen. In Chinas wird ab 1979 die Transformation zum Privatkapitalismus betrieben, in Vietnam ab 1986. Bei der Reproduktion der politischen Diktatur der marxistisch-leninistischen Staatsparteien. In der Sowjetunion und in Osteuropa zerfielen die marxistisch-leninistischen Parteidiktaturen bei der Transformation zum Privatkapitalismus. Seit 1991 ist der klassische Marxismus-Leninismus als Ideologie des Staatskapitalismus dekadent. Aber er passte sich opportunistisch an den Privatkapitalismus an.

Innerhalb des Privatkapitalismus betrieben und betreiben marxistisch-leninistische Parteien einen gewerkschaftlichen und parlamentarischen Sozialreformismus. Sie übernahmen innerhalb der bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate haupt- und ehrenamtliche Funktion und beteiligten und beteiligen sich am Politzirkus der Wahlen, womit sie eindeutig der Bourgeoisie dabei halfen und helfen, ihr demokratisches Herrschaftssystem zu reproduzieren.

Gleichzeitig waren prosowjetische, prochinesische und proalbanische marxistisch-leninistische Parteien im Privatkapitalismus Einflussagenten der entsprechenden staatskapitalistischen Nationen. So wurde die „Kommunistische“ Partei der USA vom sowjetischen Imperialismus von 1919 bis 1989 finanziell ausgehalten. Da die Sowjetunion im Zweiten Weltkrieg mit den USA verbunden war, unterstützte die „K“P der USA in diesem imperialistischen Gemetzel Washington. Dann im ersten Kalten Krieg zwischen Privat- und Staatskapitalismus wurde die „Kommunistische“ Partei der USA antikommunistischer Repression unterworfen. Wirkliche SozialrevolutionärInnen bekämpften und bekämpfen sowohl proprivatkapitalistischen Antikommunismus als auch den prostaatskapitalistischen Marxismus-Leninismus.

…..

Der Trotzkismus gehört nicht zu der kommunistischen Abspaltung vom Marxismus-Leninismus. Dieser ist selbst eine prostaatskapitalistisch-linksnationale politische Strömung. Er ist der radikalere Zwillingsbruder des Stalinismus aus der gleichen sozialreaktionären und konterrevolutionären Familie des Leninismus.

Er führte ab 1923 eine inkonsequente leninistisch-staatskapitalistische Opposition gegen das Stalin-Regime an. Die trotzkistische Linksopposition akzeptierte bis 1933 die Parteidiktatur in der Sowjetunion, kämpfte aber gegen deren „Bürokratisierung“ und für innerparteiliche Demokratie. Letztere ist ein bürgerliches Ideal, was als materielle Gewalt nur die Herrschaft des bürokratisch-hierarchischen Apparates reproduzieren kann. Der Trotzkismus lehnte die stalinistische Ideologie vom „Sozialismus in einem Land“ ab, aber er trat für die Verteidigung der Sowjetunion als angeblich „bürokratisch degenerierten ArbeiterInnenstaat“ im globalen Konkurrenzkampf mit dem privatkapitalistischen Imperialismus ein. Er leugnete den imperialistischen Charakter der Sowjetunion. Außerdem unterstützte der Trotzkismus die nationale „Befreiung“ in den kolonialen und halbkolonialen Ländern. So stellte er sich im innerkapitalistischen Gemetzel zwischen Japan und China (1937-1945) auf die Seite des letztgenannten Landes. Der Trotzkismus war und ist also wie der Marxismus-Leninismus eine Strömung des Linksnationalismus.

Als linksnationale Strömung warf der Trotzkismus dem Stalinismus vor, die Sowjetunion zu ruinieren. Er war in der Sowjetunion durch und durch nationalkapitalistisch. Trotzki und seine Anhänger verteidigten das Staatseigentum an den Produktionsmitteln und damit die staatskapitalistische Ausbeutung des Proletariats. Dadurch war der Trotzkismus absolut sozialreaktionär. Er war zwar eine kleinbürgerlich-radikale Ausscheidung beziehungsweise Abspaltung des sowjetischen Staatskapitalismus, aber selbst nationalkapitalistisch. Während der Neuen Ökonomischen Politik (NEP), welche zwischen 1921 und 1928 das KleinbürgerInnentum in der Landwirtschaft und im Handel im Rahmen der verstaatlichten Industrie begünstigte, trat der Trotzkismus für eine stärkere Besteuerung der BäuerInnen und eine beschleunigte Industrialisierung des Landes ein. Als Stalin ab 1929 die Landwirtschaft zwangskollektivierte und die Industrialisierung extrem beschleunigte, kritisierte dies Trotzki zwar als „bürokratisches Abenteuertum“, verteidigte aber die staatskapitalistische Industrialisierung als „Errungenschaft des ArbeiterInnenstaates“ grundsätzlich.

Innerhalb des Privatkapitalismus betrieb und betreibt der Trotzkismus eine Politik des gewerkschaftlichen und parlamentarischen Sozialreformismus einschließlich von Einheitsfronten mit der Sozialdemokratie und dem Marxismus-Leninismus. Besonders letzteres war selbstmörderisch. So war der Trotzkismus in Vietnam in den 1930er Jahren relativ stark. Doch er ging eine Einheitsfront mit den StalinistInnen ein. Letztere bauten in den 1940er Jahren die Guerillaorganisation Viet Minh auf, die auch blutig gegen TrotzkistInnen vorging.

Nach Trotzkis Ansicht hätte auch in Deutschland nur eine Einheitsfront aus Sozialdemokratie und Stalinismus die Machtübergabe an die Nazis verhindern können. Eine Einheitsfront aus jenen zwei bürgerlich-bürokratischen Parteiapparaten, die real arbeitsteilig-konkurrenzförmig die kampflose Kapitulation des Proletariats organisiert hatten?! Wirkliche RevolutionärInnen traten für den selbstorganisierten Klassenkampf – unabhängig von und gegen die Partei- und Gewerkschaftsapparate – gegen Weimarer Republik und Nazis ein.

Nach der Machtübertragung an die Nazis im Jahre 1933 hielt Trotzki die von Moskau geführte „Kommunistische“ Internationale nicht mehr für reformierbar. Er trat jetzt für den Aufbau einer „Vierten Internationale“ ein, die offiziell 1938 gegründet wurde und später in mehrere globalen trotzkistischen Zusammenschlüsse zerfiel. Heute ist der Trotzkismus in seinen Hauptströmungen stark sozialdemokratisiert. So wirken in Deutschland in der Partei Die Linke, die einige Bundesländer und Kommunen mitregiert, also zum Politpersonal der Bourgeoisie gehört, auch einige TrotzkistInnen mit.

Der spanische BürgerInnenkrieg (1936-1939, siehe Kapitel I.7) stellte alle marxistischen und anarchistischen Kräfte vor die Wahl: Lässt du dich von der antifaschistischen Sozialreaktion schlucken oder nicht? Der Trotzkismus integrierte sich in die antifaschistische Sozialreaktion. Er wurde zu seiner äußersten linken Schwanzfeder. Trotzki lehnte zwar die Volksfront ab, aber er und die von ihn geführte Bewegung unterstützen den von ihr betriebenen antifaschistisch-nationalkapitalistischen BürgerInnenkrieg gegen Franco. So fehlte der trotzkistischen Kritik an der antifaschistischen Volksfront die radikale Spitze. Weiter oben haben wir ja auch gesehen, dass Trotzki ein leninistischer Einheitsfront-Antifaschist gewesen ist. Nach Trotzkis kruder Ideologie war in einer antifaschistischen Einheitsfront nur Platz für die bürgerlich-bürokratischen Apparate der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung, aber nicht für die „normalen“ bürgerlich-demokratischen Parteien. Als ob nicht schon die Einheitsfront aus Leninismus/Stalinismus und Sozialdemokratie lediglich den Kapitalismus reproduzieren kann! Trotzki konnte und wollte nicht begreifen, dass die stalinistische Volksfront nur die konsequente Fortsetzung der reaktionären leninistischen Einheitsfront mit der Sozialdemokratie darstellte.

Seine Haltung zum spanischen BürgerInnenkrieg war ein Paradebeispiel bolschewistisch-opportunistischer Taktik-Spielchen, eine strukturelle Unfähigkeit mit der antifaschistischen Sozialreaktion wirklich zu brechen. So wollte die einstige regierende Charaktermaske des sowjetischen Staatskapitalismus zwar einen „revolutionären“ Kampf gegen das Volksfront-Regime führen, gleichzeitig aber deren antifaschistisch-sozialreaktionären Krieg gegen Franco unterstützen. Trotzki behauptete, dass es die Pflicht des Proletariats sei, selbst die verfaulende Demokratie gegen den Faschismus/Franquismus zu verteidigen. Nein, das Proletariat musste sich in Wirklichkeit sowohl gegen die Nationaldemokratie als auch gegen Faschismus und Militärdiktatur verteidigen. Der Trotzkismus half dabei das Proletariat als Manövriermasse in einem BürgerInnen- und imperialistischen Krieg zu verheizen. Er half dabei, dass das Proletariat in Spanien sich für den Unterschied zwischen den Folterkellern Stalins und Francos massakrieren ließ.

Der Trotzkismus unterstützte im Zweiten Weltkrieg prinzipiell die staatskapitalistische Sowjetunion. Damit war er während des Zweiten Weltkrieges von Anfang an ein „kritisches“ Anhängsel des sowjetischen Imperialismus. In Frankreich und Italien beteiligte sich der Trotzkismus am bürgerlich-antifaschistischen Partisanenkampf und schürte dabei auch einen ekelhaften Nationalismus. Die trotzkistischen Komitees für die IV. Internationale badeten sich geradezu im französischen Nationalismus und sahen sich selbst als Verteidiger der „Reichtümer, die Generationen von französischen Arbeitern und Bauern angehäuft haben (…) der handwerklichen und wissenschaftlichen Schätze Frankreichs (…) des großartigen Beitrags, den französische Schriftsteller und Gelehrte für das geistige Erbe der Menschheit geleistet haben.“ (Bulletin du comité pour la IVème Internationale, Nr. 2 vom 20. September 1940, zitiert nach: Internationale Kommunistische Strömung, Die italienische kommunistische Linke. Ein Beitrag zur Geschichte der revolutionären Bewegung 1926-45, Selbstverlag im Eigendruck, Köln 2007, S. 237.)

Auch in Italien betrieben die TrotzkistInnen während des Zweiten Weltkrieges nationalistische Hetze. Hier ein Beispiel des antideutschen Chauvinismus und italienischen Nationalismus, den die trotzkistische Zeitung Bandiera Rossa (Rote Fahne) verbreitete: „Erinnern wir uns daran, dass unsere Söhne, unsere Brüder, unsere Häuser noch der Schande der teutonischen Grausamkeiten ausgesetzt sind, dass unsere Frauen, unsere Städte noch unter dem Blutbad dieser Sippe leiden.“ (Partecipare alla guerra, in: Bandiera Rossa Nr. 6 vom 17. März 1944.) Selbstverständlich unterstützten die linksnationalen TrotzkistInnen den antifaschistisch-sozialreaktionären Krieg der Partisanen in Italien. Und sie unterstützten den sowjetischen Imperialismus, den sie ideologisch „als das stärkste Bollwerk der proletarischen Revolution“ verklärten. Als die imperialistischen Alliierten Rom eroberten, feierten die trotzkistischen Linksnationalen den Sieg der US-amerikanischen Truppen als ein „Sieg der Kräfte der Zivilisation“. (Zitiert nach: Internationale Kommunistische Strömung, Die italienische kommunistische Linke, a.a.O., S. 241.)

Nur Abspaltungen des Trotzkismus – wie zum Beispiel die Revolutionären Kommunisten Deutschlands (RKD) und die Gruppen der Communistes Révolutionnaires (CR) –, die sich weigerten die staatskapitalistische UdSSR im Zweiten Weltkrieg zu verteidigen, wurden nicht von der antifaschistischen Sozialreaktion aufgesogen. Und auch der Links- und der Rätekommunismus führten einen heldenhaften Kampf sowohl gegen die faschistischen als auch die antifaschistischen KriegstreiberInnen.

Der Trotzkismus schwankte hilflos zwischen Staats- und Privatkapitalismus. Ab den 1930er Jahren hielt Trotzki die Sowjetunion für nicht mehr reformierbar, bezeichnete diese aber weiterhin als einen „bürokratisch entarteten ArbeiterInnenstaat“. Der orthodoxe Trotzkismus trat ab Mitte der 1930er Jahre für eine „politische Revolution“ ein, welche das Staatseigentum an den Produktionsmitteln – und damit auch die Ausbeutung des Proletariats – aber beibehalten sollte. Das Staatseigentum an den Produktionsmitteln sollte nach Meinung des Trotzkismus mit etwas verbunden werden, was er „ArbeiterInnendemokratie“ nannte und mit politischen Parteienpluralismus und unabhängigen Gewerkschaften verbunden war, also einer normalen bürgerlichen Demokratie als Herrschaftssystem des Privatkapitalismus verdammt ähnlich war. Die „politische Revolution“ des Trotzkismus sollte also ökonomischen Staatskapitalismus mit politischer Demokratie verbinden.

Das war nicht nur sozialreaktionär, sondern auch utopisch. Absoluter Staatskapitalismus ist mit politischer Demokratie nicht vereinbar. In einer pluralistisch-demokratischen Mehrparteiendiktatur im Privatkapitalismus sind die regierenden BerufspolitikerInnen wähl- und abwählbar. Im Staatskapitalismus waren die regierenden BerufspolitikerInnen eine auch sozial herrschende Klasse, sie bildeten eine Staatsbourgeoisie. Nur in ihrer Regierungsfunktion verfügten die BerufspolitikerInnen auch über das Staatseigentum, das heißt, sie konnten über die zentralstaatliche Planung bestimmen was, wo und wie produziert wurde. Durch eine politische Demokratie wäre die herrschende Staatsbourgeoisie abwählbar gewesen. Doch keine herrschende Klasse lässt sich einfach abwählen. Auch in Demokratien lassen sich PrivateigentümerInnen und die WirtschaftsmanagerInnen nicht von ihren Belegschaften wählen und abwählen. Indem die TrotzkistInnen das Staatseigentum an Produktionsmitteln verteidigten, waren sie prostaatskapitalistisch, jedoch indem sie für „ArbeiterInnendemokratie“ im Staatskapitalismus eintraten objektiv proprivatkapitalistisch.

Dieses hilflose Schwanken zwischen Privat- und Staatskapitalismus führte auch nach Trotzkis Tod dazu, dass sich diese Strömung in verdammt viele Einzelbestandteile aufspaltete. Einige TrotzkistInnen unterstützten zum Beispiel im staatskapitalistischen Polen in den 1980er Jahren die proprivatkapitalistische Gewerkschaft Solidarność, während andere die staatliche Repression der polnischen Staatsbourgeoisie unter Jaruzelski gegen diese „kritisch“ verteidigten. Einige TrotzkistInnen unterschieden bei Gorbatschows beginnender Transformation zum Privatkapitalismus feinsinnig zwischen promarktwirtschaftlicher Perestroika und der prodemokratischen Glasnost. Sie bekämpften die Perestroika als marktwirtschaftliche Aufweichung der staatskapitalistischen Planökonomie, aber unterstützten Glasnost als Weg zur „ArbeiterInnendemokratie“ – womit sie eindeutig unter Beweis stellten, dass dieses trotzkistische Konstrukt der normalen bürgerlichen Demokratie zum Verwechseln ähnlich ist. Einige trotzkistische Strömungen erkannten allerdings auch, dass die von den marxistisch-leninistischen Parteien regierten Nationen staatskapitalistisch waren.

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7. Der Bolschewismus https://astendenz.blackblogs.org/2024/04/18/7-der-bolschewismus/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/04/18/7-der-bolschewismus/#respond Thu, 18 Apr 2024 22:51:53 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=200 Dem Bolschewismus gelang es im Oktober 1917 – nach dem alten russischen Kalender – als kleinbürgerlich-radikale Strömung der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung auf dem Rücken des klassenkämpferischen Proletariats die politische Macht zu erobern und eine staatskapitalistische Parteidiktatur zu errichten. Schauen wir uns diesen Prozess genauer an. Bis einschließlich des Linkskommunismus (siehe Kapitel III.5) idealisiert der Parteimarxismus den Bolschewismus vor seiner politischen Machtübernahme als eine angeblich „proletarisch-revolutionäre“ Partei.

Der von Lenin geführte Bolschewismus war eine kleinbürgerlich-radikale Strömung innerhalb der russischen Sozialdemokratie, während der Menschewismus eine kleinbürgerlich-reformistische war. Russland vor 1917 war noch eine Agrarnation, in der die kapitalistische Industrialisierung noch in ihren Kinderschuhen steckte. Allerdings war die russische Industrieproduktion in riesigen Großbetrieben konzentriert. Das russische Proletariat war zwar zahlenmäßig noch sehr schwach, aber sehr klassenkämpferisch, was es bereits in der Revolution von 1905 zeigte. Die russische Sozialdemokratie – Menschewismus und Bolschewismus – stellte der politideologisch entfremdete Ausdruck des proletarischen Klassenkampfes dar. Der Menschewismus passte sich an die schwache russische Bourgeoisie an, die mit den GroßgrundbesitzerInnen ökonomisch und politisch stark verschmolzen war. Die russische Sozialdemokratie konnte sich in keine parlamentarische Demokratie integrieren, weil es diese in Russland nicht gab. Der Zarismus stellte eine Mischung aus asiatischem Despotismus und europäischem Absolutismus dar, und wie letzterer die Staatsform einer Übergangsgesellschaft vom Feudalismus zum Industriekapitalismus. Die von Lenin geformte bolschewistische Partei war eine kleinbürgerlich-radikale Umsturzkraft in einem Land mit einer noch schwachen Bourgeoisie, die deshalb von der erstgenannten überwunden werden konnte.

Lenins kleinbürgerlich-radikale Ideologieproduktion richtete sich bereits vor dem bolschewistischen Staatsstreich im Oktober 1917 sowohl gegen Bourgeoisie als auch gegen das Proletariat. Seine Konzeption einer zentralisierten und disziplinierten Partei entsprach den Bedürfnissen der politischen Machtübernahme der bolschewistischen BerufspolitikerInnen. Die nannte Lenin „BerufsrevolutionärInnen“. Der bolschewistische Parteiapparat von „BerufsrevolutionärInnen“ bestand aus kleinbürgerlichen Intellektuellen und ehemaligen LohnarbeiterInnen. Es liegt auf der Hand, dass dieser Apparat die proletarische Basis beherrschte, aber nicht anders herum. Nach Lenins Konzeption hatten die Intellektuellen das „sozialistische Bewusstsein“ – sprich die Parteiideologie – in das Proletariat zu tragen, um es zur Manövriermasse des kleinbürgerlichen Radikalismus zu machen.

Dem Ersten Weltkrieg, in den Russland an der Seite von England und Frankreich trat, war der Zarismus nicht gewachsen. Der Zarismus geriet in seine Todeskrise, die europäische revolutionäre Nachkriegskrise begann mit der Februarrevolution von 1917 – nach dem alten russischen Kalender –, deren Haupttriebkraft das Proletariat war. In Folge der Februarrevolution entstanden auch die Räte (Sowjets) der ArbeiterInnen und Soldaten als Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats und der vorwiegend kleinbäuerlichen Soldaten. Doch die Sowjets wurden von kleinbürgerlichen BerufspolitikerInnen des reformistischen Menschewismus und der „sozialrevolutionären“ BäuerInnenpartei beherrscht. Diese halfen Bourgeoisie und GroßgrundbesitzerInnen nach dem Sturz des Zarismus durch die Februarrevolution eine konterrevolutionäre provisorische Regierung auf Basis der parlamentarischen Demokratie zu bilden. Die provisorische Regierung führte jedoch den Ersten Weltkrieg weiter, was sie in den Konflikt mit den kriegsmüden Soldaten brachte. Weil die Bourgeoisie zu sehr mit dem Großgrundbesitz verschmolzen war, war sie auch unfähig zu einer radikalen Bodenreform, welche die BäuerInnen forderten und selbst „wild“ durch eine radikale Agrarbewegung umzusetzen begannen. Diese strebte kleines Privateigentum an Land an, war also kleinbürgerlich-radikal.

Die Februarrevolution gebar auch eine Doppelherrschaft. Auf der einen Seite die provisorische Regierung und auf der anderen die Sowjets als politisch deformierte Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats. Diese Doppelherrschaft wurde am Anfang abgefedert und gemildert, indem die die Sowjets beherrschenden menschewistischen und „sozialrevolutionären“ BerufspolitikerInnen schließlich auch in die provisorische Regierung eintraten. Diese versuchte die Sowjets in die parlamentarische Demokratie aufzulösen. Dies gelang aber nicht, weil die provisorische Regierung als Machtapparat zu schwach war, um die russische Revolution konterrevolutionär zu beenden. So wurden die kleinbürgerlich-radikalen BerufspolitikerInnen des Bolschewismus innerhalb der Sowjets immer stärker. Der Bolschewismus strebte danach als kleinbürgerlich-radikale Umsturzpartei mit Hilfe der Sowjets die provisorische Regierung zu stürzen. Doch seine Parole „Alle Macht den Sowjets“ war objektiv demagogisch, wie sich nach seiner politischen Machteroberung im Oktober 1917 zeigen sollte. Der Bolschewismus strebte keine wirkliche Sowjetmacht, sondern seine Parteimacht an.

Der Oktoberstaatsstreich von 1917 stellte keine proletarische Revolution dar. Sondern er war die politische Machtübernahme bolschewistischer BerufspolitikerInnen im Namen der Sowjets, die nachträglich mit einer schwachen Mehrheit von einem Sowjetkongress legitimiert wurde. Für den Parteimarxismus – einschließlich des Linkskommunismus – war die politische Machtübernahme innerhalb des russischen Staates durch die bolschewistischen BerufspolitikerInnen eine „proletarische Revolution“. Doch die soziale Revolution kann nur die antipolitische Zerschlagung des Staates durch das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat sein. Die politische Eroberung des Staates durch BerufspolitikerInnen kann objektiv nur sozialreaktionär sein. Und auch die politische Machtübernahme des Bolschewismus im Oktober 1917 war von Anfang an absolut sozialreaktionär. Der Rätekommunismus kam mit seiner Klassifizierung des bolschewistischen Oktoberstaatsstreiches als „bürgerlicher Revolution“ dieser geschichtlichen Tatsache schon wesentlich näher. Ja, die Übernahme der politischen Macht durch den Bolschewismus war bürgerlich, aber „revolutionär“ war sie nicht, sondern absolut sozialreaktionär. Der Rätekommunismus (siehe Kapitel III.6) übernahm vom Marxismus den falschen Begriff von der „bürgerlichen Revolution“. Dieser ideologisierte die politische Machtübernahme der radikal antifeudalen Fraktion der Bourgeoisie (England) beziehungsweise des kleinbürgerlichen Radikalismus (Frankreich) während der antifeudalen Revolutionen. Doch sowohl in England als auch in Frankreich ging die antifeudale Revolution in die bürgerliche Konterrevolution über (siehe Kapitel I.8). Die politische Machtübernahme von Cromwell in England und die der kleinbürgerlich-radikalen Jakobiner stellte der Höhepunkt der antifeudalen Revolution und zugleich der Umschlagmoment in die bürgerliche Konterrevolution dar. Der bolschewistische Oktoberstaatsstreich von 1917 war der Höhepunkt einer antifeudal-antiprivatkapitalistischen Revolution und der Umschlagmoment in die parteimarxistische Konterrevolution.

Der bolschewistische Staatsapparat zerschlug die Sowjets als Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats. Die Verstaatlichung der großindustriellen Produktionsmittel im Sommer 1918 machte aus „Sowjet“-Russland ein staatskapitalistisches Regime. Das Verstaatlichen der Produktionsmittel, das ist das Radikalste, was eine kleinbürgerliche Politik gegen das Privatkapital machen kann – es wird dadurch enteignet – und zugleich das Reaktionärste, was sie dem Proletariat antun kann – es wird der staatskapitalistischen Ausbeutung unterworfen. Durch die politische Machtübernahme im Oktober 1917 und die Verstaatlichung der Großindustrie im Sommer 1918 transformierte sich das bolschewistisch-kleinbürgerliche BerufspolitikerInnentum in eine Staatsbourgeoisie und ihre kleinbürgerliche Umsturzpartei in eine großbürokratische Staatspartei. Diese nannte sich bald „kommunistisch“, um vor sich selbst und dem Weltproletariat ihren staatskapitalistisch-reaktionären Charakter zu verbergen. Die nun herrschende bolschewistische Partei musste sich sowohl gegen die privatkapitalistische Konkurrenz militärisch verteidigen – der BürgerInnen- und imperialistische Interventionskrieg (1918-1921) – als auch als staatskapitalistische Kraft eigenständige BäuerInnenbewegungen (Machnobewegung) und den proletarischen Klassenkampf bekämpfen. Indem das staatskapitalistische Lenin/Trotzki-Regime im März 1921 den Kronstädter Aufstand blutig niederschlug, beendete sie die Russische Revolution konterrevolutionär. Nach dem BürgerInnen- und imperialistischen Interventionskrieg errichtete der Partei-„Kommunismus“ seine Diktatur.

Indem das bolschewistische BerufspolitikerInnentum im Oktober 1917 eine kleinbürgerliche Bodenreform organisierte, sicherte es sich die politische Macht gegen ihre Konkurrenz. Gleichzeitig schuf es dadurch auch eine kleinbürgerliche Warenproduktion in der Landwirtschaft, die nicht wirklich mit der staatskapitalistischen Industrieproduktion vereinbar war. Durch die Neue Ökonomische Politik (NEP) förderte der bolschewistische Staatsapparat zwischen 1921 und 1928 noch die kleinbäuerliche Agrarproduktion. Diese differenzierte sich sozial aus und gebar auf der einen Seite kleines Agrarkapital, welches das auf der anderen Seite entstehende Landproletariat (Knechte und Mägde) ausbeutete. Wäre die NEP weiter befolgt worden, hätte dies zur Entstehung eines Privatkapitalismus in der Agrarproduktion geführt. Doch das Stalin-Regime kollektivierte ab 1928 die Agrarproduktion zwangsweise und betrieb ab dieser Zeit auch eine beschleunigte Industrialisierungspolitik.

Damit übernahm das Stalin-Regime, das den toten Lenin beerbte und sich selbst ab 1924 marxistisch-leninistisch nannte, auch das Programm der Linken Opposition unter Trotzki, Sinowjew und Kamenev, die sich ab 1923 nach und nach innerhalb der herrschenden Staatsbourgeoisie herausbildete – Sinowjew und Kamenev hatten sich am Anfang mit Stalin gegen Trotzki verbündet, aber dieses Bündnis zerbrach schließlich. Die Linke Opposition trat zwischen 1923 und 1928 für eine beschleunigte Industrialisierung, eine stärkere Besteuerung der sich entwickelnden GroßbäuerInnen und mehr innerparteiliche Demokratie im Rahmen der Parteidiktatur ein. 1927 kapitulierten Sinowjew und Kamenev, während die nicht kapitulierenden Anhänger Trotzkis und er selbst verbannt wurden. Der Trotzkismus wurde aus der Staatsbourgeoisie repressiv ausgeschieden. Indem Trotzki – einst neben Lenin der zweitmächtigste Mann im frühen bolschewistischen Regime – von Stalin entmachtet wurde, fiel er aus der Staatsbourgeoisie heraus und wurde wieder das, was er vor dem Oktoberstaatstreich von 1917 war, ein kleinbürgerlicher Radikaler. Der Trotzkismus entstand als eine Strömung des kleinbürgerlichen Radikalismus (siehe Kapitel II.8). Das Stalin-Regime wies Trotzki 1929 aus der Sowjetunion aus und ließ ihn 1940 in Mexiko ermorden. Auch die meisten TrotzkistInnen in der Sowjetunion wurden ermordet.

Der politische Machtkampf zwischen Stalin und Trotzki offenbarte auch die soziale Spaltung der sowjetischen Staatsbourgeoisie in zwei Schichten. Die eine Schicht bestand aus ehemaligen kleinbürgerlich-radikalen BerufspolitikerInnen des Parteimarxismus – nicht nur der bolschewistischen Partei, Trotzki zum Beispiel wurde erst 1917 Bolschewik –, während die andere Schicht aus Karrieristen bestand, die sich erst dem siegreichen Bolschewismus anschlossen, um innerhalb der Staatsbourgeoisie Karriere zu machen. Stalin war der ehemalige bolschewistische „Berufsrevolutionär“, der sich auch sozialpsychologisch vollständig vom kleinbürgerlichen Radikalismus reinigen konnte und zum führenden Staatsbourgeois wurde, der herrschen wollte und alles andere dem unterordnete. Trotzki war der blutige Henker von Kronstadt, aber zu sehr mit seiner eigenen kleinbürgerlich-radikalen Vergangenheit verbunden, um sich vollständig zum Staatsbourgeois zu transformieren. Er sah sich noch immer als „proletarischer Revolutionär“ und begann inkonsequent das Stalin-Regime zu bekämpfen – ohne dessen staatskapitalistische Basis erkennen zu wollen und zu können, er verteidigte es bis zu seiner Ermordung als „bürokratisch entarteten ArbeiterInnenstaat“. Aber auch die linientreuen StalinistInnen mit einer kleinbürgerlich-radikalen Vergangenheit in Lenins Umsturzpartei wurden in den 1930er Jahren blutig aus der Staatsbourgeoisie heraus „gesäubert“, die freiwerdenden Posten wurden von den Karrieristen übernommen, die der Partei erst nach ihrem Sieg beigetreten waren.

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5. Gewerkschaften https://astendenz.blackblogs.org/2024/02/23/5-gewerkschaften/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/02/23/5-gewerkschaften/#respond Fri, 23 Feb 2024 23:02:36 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=184 Die Gewerkschaften sind die im Weltkapitalismus vorherrschende Organisationsform des reproduktiven Klassenkampfes. Reproduktive Klassenkampforganisationen können nur den Vermietungspreis der Arbeitskraft, die Löhne, aber nicht das Lohnsystem überwinden. Sie können die Bedingungen der Ausbeutung verbessern (Kürzung der Arbeitszeit, mehr Urlaub, Bezahlung von Krankentagen, Verringerung der Arbeitsintensität, Mindeststandards beim Personal…), aber diese nicht grundsätzlich aufheben. Letzteres ist die Aufgabe der revolutionären Klassenkampforganisation des Proletariats, die sich nur in und mit der möglichen sozialen Revolution herausbilden können (siehe Kapitel V.3). Solange der Klassenkampf innerhalb des Kapitalismus geführt wird, sind nur reproduktive Klassenkampforganisationen möglich. Diese müssen sich vollständig an die reproduktiven Grenzen des Klassenkampfes anpassen, sonst können sie ihn nicht organisieren und führen. Anders die sozialrevolutionäre Minderheit der Lohnabhängigen. Diese nehmen selbstverständlich am Klassenkampf teil, ohne sich an dessen reproduktiven Grenzen anzupassen. Sie wollen nicht den reproduktiven Klassenkampf führen oder organisieren, sondern mithelfen ihn zu radikalisieren – über die den Kapitalismus reproduzierenden Grenzen hinaus. Ständige reproduktive Klassenkampforganisationen mit zu organisieren, heißt dagegen zwangsläufig sich opportunistisch an Kapital, Staat und das sozialreformistische Klassenbewusstsein der Mehrheit des Proletariats anzupassen.

Zu Beginn der kapitalistischen Produktionsweise verbot der Staat total den Streik und diesen organisierenden und führenden Gewerkschaften. Im Geburtsland des modernen Industriekapitalismus, in England, gab es schon recht früh Gewerkschaften. Die früheste war die Free Journeymen Printers von 1666. Bis in das frühe 19. Jahrhundert hinein waren in England Gewerkschaften durch das Koalitionsverbot illegalisiert. Deshalb tarnten sie sich oft als „Unterstützungskassen“, um sich vor der polizeilichen Verfolgung zu schützen. Das Koalitionsverbot fiel im Jahre 1825.

Der reproduktive Klassenkampf und die Gewerkschaften erkämpften sich einerseits selbst die Legalität, andererseits war dies das Ergebnis einer kapitalistischen Modernisierung. In einer Gesellschaft, die auf Ausbeutung beruht, ist es unmöglich, den Klassenkampf vollständig zu unterdrücken. Diese Versuche dazu im frühen Industriekapitalismus waren doch etwas zu grobschlächtig. Indem der bürgerliche Staat unter bestimmten Voraussetzungen die Arbeitsniederlegung erlaubte, und die sich entwickelnden Gewerkschaften in die Einzel- und Nationalkapitale integrierte, konnte er die reproduktiven Grenzen des Klassenkampfes viel besser setzen und verteidigen, als durch ein absolutes Verbot.

Nach der Legalisierung der Gewerkschaften bildeten diese auch rasch bürgerlich-bürokratische Apparate aus hauptamtlichen FunktionärInnen und OrganisationsbeamtInnen heraus. Es dauerte allerdings noch eine ganze Weile bis die Einzelkapitale die Gewerkschaften als Verhandlungspartner anerkannten. Der Staat schuf mit seinen Gesetzen den Handlungsrahmen für das Agieren der Gewerkschaften. Deshalb waren und sind die meisten Gewerkschaften absolut staatstragend, wenn sie sich teilweise auch durch eine radikale „antikapitalistische“ Ideologie – „Sozialismus“, „Kommunismus“ und „Anarcho“-Syndikalismus“ (siehe zu letzterem weiter unten in diesem Kapitel) – schmücken.

Die einzelnen Gewerkschaften der verschiedenen kapitalistischen Nationen schlossen sich zu großen Zentralverbänden zusammen. In den USA gründete sich zum Beispiel 1886 die American Federation of Labor (AFL). Das war eine sehr berufsständische Organisation, deren Einzelorganisationen oft nur FacharbeiterInnen aufnahmen. Gegen diese eindeutig reformistische AFL gründete sich 1905 die wesentlich radikalere Industrial Workers of the World (IWW). Diese organisierte alle Lohnabhängige des kapitalistischen Produktionsprozesses, unabhängig von ihrer Qualifikation. So organisierten sich dann auch in der IWW die auf nationalistisch-rassistische und patriarchal-sexistische Weise besonders ausgebeutete und unterdrückte Teile des US-amerikanischen Proletariats: MigrantInnen, Frauen und niedrig qualifizierte MassenarbeiterInnen. Die IWW war eine sehr radikale Gewerkschaft, aber auch sie war nicht revolutionär. Das konnte sie auch nicht sein, weil Gewerkschaften nun mal nur einen reproduktiven Klassenkampf führen können. Und das tat die IWW auf sehr radikale Weise. Vielleicht können zukünftig die radikalsten Basisgewerkschaften ohne bürgerlich-bürokratische Apparate in einer revolutionären Situation (siehe Kapitel V.1) in der revolutionären Klassenkampforganisation des Proletariats aufgehen. Aber nur, indem sie sich selbst als Gewerkschaften, also als Organe des reproduktiven Klassenkampfes, auflösen. Das werden nur die wenigsten schaffen, wenn überhaupt. Die großen Gewerkschaftsapparate sind solche reaktionären Hindernisse, die nur durch das sich möglicherweise selbst revolutionär aufhebende Proletariat zerschlagen werden können.

Der AFL unterstützte zum Beispiel den Ersten und den Zweiten Weltkrieg des US-Imperialismus. Während des ersten großen globalen kapitalistischen Abschlachtens handelte die AFL mit Washington ein Deal aus: Verzicht auf Streiks für den Achtstundentag. Die IWW war gegen den Kriegseintritt der USA im Jahre 1917, hielt sich aber in der Antikriegsagitation zurück. Doch der US-Imperialismus nutzte das imperialistische Abschlachten, um die IWW als radikale Massengewerkschaft zu zerschlagen. Im Jahre 1917 hatte die IWW ihren Höhepunkt mit 100.000 Mitgliedern erreicht. Die Repression des US-Imperialismus traf sie mit voller Wucht. So wurden in Chicago zehntausende IWW-Mitglieder in Massenprozessen zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt. Auch ließ das US-Regime führende AktivistInnen dieser radikalen Gewerkschaft ermorden. Nach dieser brutalen Repression blieben nur noch Reste von der IWW übrig.

Aber der Klassenkampf ging auch in den USA weiter. Besonders in den 1930er Jahren organisierten die gering qualifizierten MassenarbeiterInnen vor allem in der Automobilindustrie wilde Streiks, also von den Gewerkschaften unabhängige Arbeitsniederlegungen. Wir erinnern uns, dass die meisten AFL-Gewerkschaften nur qualifizierte FacharbeiterInnen aufnahmen. Die gering qualifizierten MassenarbeiterInnen hingen also nicht an der Gewerkschaftskette. Das versuchten weitsichtige ModernisiererInnen sowohl innerhalb der Bourgeoisie als auch innerhalb der Gewerkschaftsbonzokratie zu verändern, indem sie im Jahre 1935 den Congress of Industrial Organizations (CIO) gründeten. Der CIO war ein Verband von Industriegewerkschaften, die alle Lohnabhängigen, also auch die niedrigqualifizierten MassenarbeiterInnen, aufnahm. Während des Zweiten Weltkrieges standen sowohl AFL als auch CIO fest auf der Seite des US-Imperialismus. Im Jahre 1955 vereinigten sich beide zum AFL-CIO. Ein durch und durch sozialreaktionärer Gewerkschaftsapparat, der auch den Vietnamkrieg Washingtons unterstützte.

Zwischen bürgerlich-bürokratischen Gewerkschafts-Apparaten, wie zum Beispiel dem AFL-CIO, der total in die nordamerikanischen Nationalkapitale USA und Kanada integriert ist, und der lohnabhängigen Basis besteht ein absoluter Klassengegensatz. Dieser kommt bereits im reproduktiven Klassenkampf zum Ausdruck. Besonders in Form von wilden Streiks. Am stärksten entfalteten die sich bisher am Ende des kapitalistischen Nachkriegsaufschwunges in Westeuropa und in Nordamerika, am Ende der 1960er und am Anfang der 1970er Jahre, im proletarischen 1968. In wilden Streiks kommt die klassenkämpferische Selbstorganisation der Lohnabhängigen gegen Kapital, Staat und Gewerkschaftsbonzokratie zum Ausdruck – sowohl in unsichtbar-informeller als auch in sichtbar-offizieller Form, zum Beispiel in gewerkschaftsunabhängigen Streikkomitees. Bleibt der Klassenkampf jedoch im Rahmen des Kapitalismus kann auch die klassenkämpferische Selbstorganisation in Form von wilden Streiks nur innerhalb reproduktiver Schranken erfolgen. Wenn das klassenkämpferische Proletariat im Rahmen des Kapitalismus bleibt, dann kann es sich im besten Falle zu Tode siegen. So blieb das proletarische 1968 trotz starker revolutionärer Tendenzen besonders in Frankreich und Italien in den Kapitalismus reproduzierenden Grenzen, drückte aber gewaltig auf die Mehrwert- und Profitraten. Auf diese Weise trug das klassenkämpferische Proletariat mit dazu bei, dass der westeuropäische und nordamerikanische Kapitalismus in die strukturelle Profitproduktionskrise geriet. Diese führte zu einer strukturellen Massenarbeitslosigkeit und zu veränderten Kräfteverhältnissen zu Ungunsten der Lohnabhängigen, was die Bourgeoisie zur „neoliberalen“ Offensive im Klassenkampf von oben nutzte (siehe Kapitel I.10).

Fazit: Innerhalb des reproduktiven Klassenkampfes können nur ansatzweise Alternativen zu den Gewerkschaften in Form von informeller Organisation und unabhängigen Streikkomitees entstehen. Nur wenn der Klassenkampf seine reproduktiven Grenzen sprengt, kann er auch revolutionäre Organisationen hervorbringen, die die reaktionären Gewerkschaftsapparate zerschlagen können und müssen.

…..

In Westdeutschland/der BRD bildete sich nach 1945 ein Viereck aus demokratischem Streikrecht, dem Tarifvertragssystem, Gewerkschaftsapparaten und gesetzlich-sozialreformistischen Betriebs- und Personalräten, in denen der Klassenkampf effektiv reproduktiv eingesperrt ist. Dieses System der Befriedung des Klassengegensatzes wurde nach der friedlichen Annexion Ostdeutschlands durch die BRD auch auf dieses Gebiet erfolgreich übertragen.

Das demokratische Streikrecht der BRD erklärt alle Arbeitsniederlegungen, die nicht von den Gewerkschaften organisiert werden, für illegal. Die Gewerkschaften werden von ihrer zentralen Bürokratie beherrscht. Hauptamtliche Gewerkschaftsbonzen gehören sozial nicht zum Proletariat. Das demokratische Streikrecht der BRD gibt also einer bürgerlichen Bonzenschicht die Kontrolle über die Hauptwaffe des proletarischen Klassenkampfes, die Arbeitsniederlegung. Dies ist ein gewaltiger Angriff auf die wichtigste revolutionäre Tendenz des reproduktiven Klassenkampfes: die Selbstorganisation des Proletariats. Auch die Gewerkschaftsbürokratie darf in Deutschland nur zu Ausständen aufrufen, die Ziele verfolgen, die in einem Tarifvertrag zwischen Gewerkschaften und den Kapitalverbänden – es sind aber auch Haustarifverträge zwischen Einzelkapitalen und Gewerkschaften möglich – münden können. In Tarifverträgen werden wichtige Arbeits- und Lebensbedingungen wie zum Beispiel die Höhe des Lohnes, die Arbeitszeit und die Anzahl der Urlaubstage geklärt. Durch die staatsrechtlich gewährte Tarifautonomie werden die bürgerlichen Gewerkschaftsapparate zu Co-Managerinnen von Kapitel und Staat. Das Tarifvertragssystem, welches die kapitalistische Ausbeutung der Lohnarbeit zur Grundlage hat, ist eine effektive Zwangsjacke für den proletarischen Klassenkampf.

Der bundesdeutsche Staat schützt sich als Gesetzgeber besonders effektiv gegen den proletarischen Klassenkampf. In der BRD gelten „politische“ Streiks als illegal. Damit sind machtvolle branchenübergreifende Arbeitsniederlegungen gegen den politischen Gewaltapparat in Deutschland verboten. Lediglich gegen den Staat als „Arbeitgeber“ im öffentlichen Dienst sind Ausstände legal. Allerdings nur für die Angestellten, die BeamtInnen dürfen auch nicht streiken. Der größte Gewerkschaftsverband, der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) ist viel zu gesetzestreu, um auch nur auf die Idee zu kommen, sich das „politische“ Streikrecht und das der BeamtInnen durch Arbeitsniederlegungen zu erkämpfen. Das demokratische Streikrecht und das Tarifvertragsrecht schützen die deutsche Bourgeoisie effektiver gegen den proletarischen Klassenkampf, als es ein totales Verbot von Arbeitsniederlegungen je tun könnte.

Das demokratische Streikrecht, die staatlich gewährte Tarifautonomie und tief in die Einzel- sowie in das Nationalkapital integrierte Gewerkschaftsapparate verniedlichen den Klassenkampf zur „Tarifauseinandersetzung“. Die kapitalismusreproduzierenden Grenzen der Klassenauseinandersetzung zwischen Bourgeoisie und Proletariat werden in Beton gegossen. Der größte Teil der Tarifauseinandersetzungen finden am Verhandlungstisch, an dem die VertreterInnen der Kapitalverbände und des Staates (öffentlicher Dienst) auf der einen und die Gewerkschaftsbonzen auf der anderen Seite sitzen, statt. Für die GewerkschaftsfunktionärInnen ist allein die Tatsache, dass die Bourgeoisie sie durch Tarifverträge zu Co-ManagerInnen der kapitalistischen Ausbeutung macht, sehr entscheidend. Sie sind deshalb in der Regel zu großen Zugeständnissen auf Kosten der lohnabhängigen Gewerkschaftsbasis bereit. Allerdings übt die letztere auch einen gewissen Druck auf die Gewerkschaftsbürokratie aus. Für die lohnabhängige Basis ist im Gegensatz zu den Gewerkschaftsbonzen, die selbst zu den von ihnen ausgehandelten Tarifen nicht leben müssen, sehr wichtig was in den Verträgen konkret drinsteht. Die Kapital- und StaatsvertreterInnen zähmen mit Hilfe des Tarifvertragssystems und der Gewerkschaftsapparate das klassenkämpferische Proletariat. Sie wollen an Lohnkosten sparen. Deshalb verhandeln die VertreterInnen von Kapital und Staat in der Regel härter als die GewerkschaftsfunktionärInnen.

Bereits während der Verhandlungen finden in Deutschland Warnstreiks statt. Zu denen mobilisiert die Gewerkschaftsbürokratie die lohnabhängige Basis. Die erstere nutzen die lohnabhängige Basis, um Druck auf ihre VerhandlungspartnerInnen auszuüben. Reicht das nicht und wird kein Ergebnis am Verhandlungstisch erreicht, den die Bonzen „ihrer“ Basis als „Erfolg“ verkaufen können, dann lässt die zentrale Gewerkschaftsbürokratie in der Regel Urabstimmungen über einen unbefristeten Streik organisieren. Darin muss sich dann die Mehrheit der Gewerkschaftsbasis für den Klassenkampf aussprechen. Manchmal unterlassen Gewerkschaften aber auch die Urabstimmungen, wie zum Beispiel die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (Verdi) beim Poststreik von 2015. Das tat die Verdi-Bonzokratie, um diesen Streik auch ohne Urabstimmung wieder beenden zu können. Die Gewerkschaftsdemokratie ist also wie die parlamentarische im Gesamtstaat reine Stimmenarithmetik. Sie verkörpert die Herrschaft des bürgerlich-bürokratischen Apparates über die lohnabhängige Basis.

Beim gewerkschaftlich geführten Streik benutzt der Apparat die klassenkämpferische Basis um auf die Kapital- und StaatsvertreterInnen Druck auszuüben, um sie zu Zugeständnissen im Tarifvertragsgeschäft zu bewegen. Dazu ist er zur beschränkten Mobilisierung der klassenkämpferischen Lohnabhängigen bereit. Diese wiederum nutzen die Gewerkschaften, um legal für ihre Interessen streiken zu können. Der Gewerkschaftsapparat passt während einer von ihm organisierten Arbeitsniederlegung auf, dass sich das klassenkämpferische Proletariat auch ja „schön“ an die bürgerlichen Gesetze – das Recht der Bourgeoisie! – hält. Die lohnabhängige Basis einschließlich der ehrenamtlichen FunktionärInnen strebt im Klassenkampf tendenziell zu radikaleren Aktionen als die hauptamtliche Gewerkschaftsbonzokratie. So entwickelt sich bereits in gewerkschaftlich kontrollierten Streiks – besonders in länger andauernden – die Doppelherrschaft aus der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats auf der einen und der Gewerkschaftsapparate auf der anderen Seite. In Deutschland zahlen die Gewerkschaften während der Arbeitsniederlegung an ihre Mitglieder – und nur an diese! – Streikgeld. Dieses ist ein gewaltiges Druckmittel der Gewerkschaftsbonzen gegen die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats! Wenn im Kampf Lohnabhängige zu radikaleren Aktionen streben, drohen die Gewerkschaftsapparate damit, bestimmten Streiks die gewerkschaftliche Unterstützung zu entziehen. So geschah dies zum Beispiel während des Ausstandes bei Neupack 2012/2013, in dem die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) genau mit dieser Drohung die klassenkämpferische Belegschaft disziplinierte.

Da die hauptamtlichen Gewerkschaftsbonzen selbst nicht zu den von ihnen ausgehandelten Tarifen arbeiten und leben müssen, ein Streik aber den Apparaten viel Geld kostet, sind sie relativ schnell dabei, eine Arbeitsniederlegung zu beenden. Das klassenkämpferische Proletariat wiederum fühlt selbst in gewerkschaftlich gebremsten Ausständen seine Kraft. Außerdem muss es materiell die faulen Kompromisse beim Tarifschacher ausbaden. Erzielen die Gewerkschaftsapparate mit den VertreterInnen von Kapital oder Staat ein Verhandlungsergebnis, dann müssen die ersteren die klassenkämpferische Basis wieder erfolgreich demobilisieren können. Das geschieht mit den Mitteln der Gewerkschaftsdemokratie, mit der Urabstimmung über das Ergebnis der Tarifverhandlung. Bei der Industriegewerkschaft Metall (IG M) reicht aus, wenn nur eine Minderheit der Basis von 25 Prozent für den jeweiligen Tarifschacher der Bonzen stimmt. Auch wird bei der Urabstimmung das klassenkämpferische Kollektiv in jeweils getrennt voneinander abstimmende Individuen zerstückelt. So kommt es, dass die Mechanismen der Gewerkschaftsdemokratie meistens für die notwendigen Zahlen sorgen, um den Tarifschacher erfolgreich beenden zu können. Gerade die Demobilisierung der klassenkämpferischen Basis am Ende des Tarifschachers sorgt nicht selten für Unmut bei radikalisierten Lohnabhängigen. Viele denken dann, dass bei einem längeren Streik ein für sie besseres Ergebnis herausgekommen wäre.

Manchmal gelingt es auch dem klassenkämpferischen Proletariat die Gewerkschaftsbonzen vor sich her zu treiben. So war das zum Beispiel beim Streik in der Metallindustrie von Schleswig-Hollstein im Jahre 1956 für die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall. Die IG-Metall-Bonzen versuchten den Streik mehrere Male zu beenden. Doch die klassenkämpferische Basis stimmte zwei Mal gegen den Tarifschacher der Apparate. Jedes Mal musste nachverhandelt werden. Beim dritten Mal stimmte zwar immer noch eine Minderheit für die Annahme des Ergebnisses der Tarifverhandlungen, aber nach der IG-Metall-Demokratie reichte diese aus, damit die FunktionärInnen den Streik beenden konnten.

Auch wenn es manchmal in Tarifkonflikten der Gewerkschaftsbasis gelingt, erheblichen Druck auf die bürgerlich-bürokratischen Apparate auszuüben, letztendlich bestimmen die Bonzen das Tarifgeschäft, sie werden durch dieses zu Co-ManagerInnen von Kapital und Staat, während die Lohnabhängigen Ausbeutungsobjekte bleiben. Während der jeweiligen Laufzeit eines Tarifvertrages herrscht Friedenspflicht, das heißt, dass die den Tarifvertrag unterzeichnende Gewerkschaft während dieser Zeit nicht zu Streiks aufrufen darf. Außerdem ist die Gewerkschaftsbürokratie in ihrem Tarifvertragsgeschäft auch zu Öffnungsklauseln, wodurch Einzelkapitale unter bestimmten Bedingungen von den Flächentarifverträgen ihrer Branche abweichen können, bereit. Mit Hilfe des Tarifvertragssystems und der in das Nationalkapital integrierten Gewerkschaftsapparate gelingt es der Bourgeoisie den proletarischen Klassenkampf erheblich zu zähmen. Allerdings muss sie dafür auch einen materiellen Preis zahlen. In Betrieben, in denen ein Tarifvertrag existiert, sind die Löhne und Gehälter durchschnittlich höher als in solchen, wo keine existieren. Gerade mit zunehmender Krisendynamik wollen deshalb immer mehr Einzelkapitale auf das Co-Management der Gewerkschaftsapparate verzichten und die Arbeitsbedingungen lieber eigenmächtig festlegen. So arbeiteten im Jahre 2018 in der BRD nur noch 46 Prozent der Lohnabhängigen in Unternehmen, die an Tarifverträge mit Gewerkschaften gebunden waren.

Dabei sind die Gewerkschaftsbonzen durchaus grundsätzlich dazu bereit, in ihrem Tarifvertragsschacher die Arbeits- und Lebensbedingungen des Proletariats unter das gesetzlich geregelte Maß zu drücken. Hauptsache, die Bourgeoisie erkennt sie als Co-ManagerInnen der kapitalistischen Ausbeutung an. Auch die Leiharbeitsbranche weiß, was es am DGB hat. Während das staatliche Gesetz es vorsah, ab September 2018 die Höchstüberlassungsdauer der LeiharbeiterInnen in den Entleihfirmen auf 18 Monate zu begrenzen, gab es im Mai 2019 109 Tarifverträge mit den Gewerkschaften, die eine Ausdehnung auf 24 und teilweise bis 120 Monate vorsahen.

Neben dem Tarifvertragssystem sind die Gewerkschaftsbürokratien in der BRD auch durch die kapitalistische Wirtschafts- und Arbeitsdemokratie in viele Einzelkapitale und in das deutsche Nationalkapital integriert. Kapitalistische Wirtschaftsdemokratie bedeutet, dass die Gewerkschaftsbonzen in den Aufsichtsräten großer Konzerne sitzen. Gerade hier wird der Charakter der Gewerkschaften als Co-Managerinnen des Kapitals besonders deutlich. Die kapitalistische Arbeitsdemokratie ist in der BRD durch Betriebs- und Personalräte (letztere im öffentlichen Dienst) verkörpert. Diese sind gesetzlich dem „Betriebsfrieden“, also der nur ideologisch existierenden „Sozialpartnerschaft“ aus Kapital und Lohnarbeit verpflichtet. Sie dürfen auch nicht zu Streiks aufrufen.

Die Betriebs- und Personalräte sind Parlamente der Lohnabhängigen, in denen sich Gewerkschaftslisten und alternative oder unabhängige Listen um dessen Sitze streiten. Die meisten von ihnen werden aber von den DGB-Gewerkschaften dominiert. Sie haben als Organe der kapitalistischen Arbeitsdemokratie abgestufte Mitbestimmungsrechte im Betrieb. Betriebs- und Personalräte sind also objektiv Co-Managerinnen der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnarbeit. Die kapitalistische Arbeitsdemokratie schürt im Proletariat das StellvertreterInnen-Denken a la „Betriebsrat, mach das mal für mich“, den Legalismus und den Sozialreformismus. Der Legalismus der kapitalistischen Arbeitsdemokratie schürt bei den Lohnabhängigen die Illusion, sie müssten nicht knallhart – auch mit illegalen Methoden – für ihre eigenen Interessen kämpfen, sondern sie bräuchten nur die Betriebs- und Personalräte wählen, die das dann für sie stellvertretend machen sollen. Objektiv sind die Betriebs- und Personalräte sozialreaktionär, weil sie die Lohnabhängigen in die kapitalistische Arbeitsdemokratie integrieren. Sie sind auch korrumpierend. Durch die legalen und illegalen Privilegien der Betriebs- und Personalräte gegenüber „normalen“ Lohnabhängigen verwandeln sich ursprünglich subjektiv-ehrliche proletarische KlassenkampfaktivistInnen in abgehobene Bonzen.

Subjektiv sind die objektiv-strukturell sozialreaktionären Betriebs- und Personalräte sehr unterschiedlich. Viele Betriebsräte gerade von Großbetrieben sind auch subjektiv totale Co-ManagerInnen der kapitalistischen Ausbeutung. Besonders deutlich wird dies bei „betrieblichen Wettbewerbsbündnissen“ zwischen den Wirtschaftskapitänen und den Betriebsräten. In ihnen erklären sich die Betriebsräte für in der Regel sehr verschwommene und unverbindlich gehaltene Zusagen des kapitalistischen Managements in einem bestimmten Zeitraum keine betriebsbedingten Kündigungen vorzunehmen, keine Standorte zu schließen oder für bestimmte Produktlinien an bestimmten Orten zu „Zugeständnissen“ der Lohnabhängigen in Form von Lohneinbußen oder verschlechterte Arbeitsbedingungen bereit. Also für das wage Zugeständnis der Bourgeoisie, dass die kapitalistische Ausbeutung in einem bestimmten Betrieb weitergeht, sind die Betriebsräte bereit dazu, diese mit zu verschärfen. In diesen „betrieblichen Wettbewerbsbündnissen“ kommt der sozialreaktionäre Charakter der Betriebsräte als Co-ManagerInnen der kapitalistischen Ausbeutung unverblümt zum Ausdruck. In ihnen wird auch das ganze Ausmaß des produktiven und „unproduktiven“ Elends des Proletariats deutlich. Das produktive Elend der Lohnarbeit ist allumfassend, aber das materielle und psychisch-mentale Elend der für das Kapital „unproduktiven“ Erwerbslosigkeit wird von vielen ProletarierInnen als noch drückender wahrgenommen. Aufgrund dessen sind viele Lohnabhängige zu materiellen Zugeständnissen zum mehr als unsicheren Erhalt des Ausbeutungsplatzes bereit. So verstärkt das kapitalistische Management mit Hilfe von Betriebsräten die Ausbeutung – und meistens werden auch weiterhin Arbeitsplätze abgebaut.

Auf der anderen Seite gibt es subjektiv-ehrliche klassenkämpferische Betriebs- und Personalräte, die versuchen in den objektiv-strukturell sozialreaktionären Organen der kapitalistischen Arbeitsdemokratie das Beste für die Belegschaft herauszuholen. Und das ist eben nicht sehr viel. Für dieses Wenige reproduzieren sie subjektiv die objektiv sozialreaktionäre kapitalistische Arbeitsdemokratie, ihre StellvertreterInnenideologie, ihren Legalismus und ihren Sozialreformismus aktiv mit. Subjektiv klassenkämpferische Betriebs- und Personalräte drohen im sozialreformistischen Kleinklein der kapitalistischen Arbeitsdemokratie zu ertrinken.

Auf der anderen Seite wollen viele Einzelkapitale auf die Betriebsräte als Organe der „Mitbestimmung“ verzichten und lieber ohne die Co-ManagerInnen alleine in ihrem Betrieb entscheiden. Sie gehen in Form von Versetzungen und Entlassungen gegen Betriebsräte vor. Auch wenn diese einzelkapitalistischen Repressionen vor den Arbeitsgerichten oft keinen Bestand haben – der deutsche Staat strebt ja als ideeller Gesamtkapitalist die Integration der Lohnabhängigen in die kapitalistische Arbeitsdemokratie an –, zermürben sie die KollegInnen psychisch-mental, nicht selten geben sie auf und verlassen den Betrieb. Im Jahre 2018 arbeiteten nur noch 41 Prozent der Lohnabhängigen in einem Betrieb, in der es ein Betriebsrat gab. 2009 waren es noch 44 Prozent gewesen.

Der Parteimarxismus – außer dem Linkskommunismus (siehe Kapitel III.5) – schürt gefährliche Illusionen in die Gewerkschaften. Die Linkssozialdemokratie, der Marxismus-Leninismus und der Trotzkismus versuchen Einfluss auf die Gewerkschaftsbürokratie zu bekommen, indem sie ihre AktivistInnen in deren ehren- und hauptamtliche Funktionen platzieren. Damit hilft der Parteimarxismus dabei, ursprünglich subjektiv-ehrliche proletarische KlassenkampfaktivistInnen in die objektiv reaktionären Gewerkschaftsapparate zu integrieren. Auch nimmt der Parteimarxismus – außer dem Linkskommunismus – an der kapitalistischen Arbeitsdemokratie teil. Parteimarxistische AktivistInnen lassen sich entweder auf den offiziellen Gewerkschaftslisten oder auf oppositionell-alternativen Listen passiv in die Betriebs- und Personalräte hineinwählen. Damit stärken sie objektiv die sozialreaktionäre kapitalistische Arbeitsdemokratie und die von dieser produzierten Ideologien wie Legalismus, StellvertreterInnentum und Sozialreformismus. Linkssozialdemokratie, Marxismus-Leninismus und Trotzkismus passen sich auch an das sozialreformistische Mehrheitsbewusstsein des Proletariats an.

Proletarische RevolutionärInnen nehmen bewusst am Klassenkampf teil, ohne sich an dessen reproduktiven Grenzen und die von diesen erzeugten sozialreformistischen Ideologien anzupassen. Sie streiken für höhere Löhne, weil sie selbst auch das Geld brauchen, machen aber deutlich, dass, um das Elend des Proletariats grundsätzlich aufzuheben, die Überwindung der Warenproduktion, der Politik und der Lohnarbeit notwendig ist. Proletarische RevolutionärInnen bekämpfen konsequent die sozialreformistische Ideologie der Geldumverteilung. Diese kommt in dem unglaublich dämlichen Spruch zum Ausdruck: „Geld ist genug da, es ist nur in den falschen Händen.“ Total falsch! Geld ist im Kapitalismus dazu da, um es in den Händen der Bourgeoisie grenzenlos und unaufhörlich weiter zu vermehren. Wenn das Proletariat sein produktives und „unproduktives“ Elend aufheben will, muss es die Ware-Geld-Beziehung überwinden. Das bisschen Geld, was durch reproduktiven Klassenkampf von der Bourgeoisie zum Proletariat umverteilt werden kann, hebt dessen Hauptzweck nicht auf und kann auch die Ausbeutung und Entfremdung der unmittelbaren ProduzentInnen vom Produktionsprozess nicht aufheben. Proletarische RevolutionärInnen kämpfen mit für höhere Löhne, sie haben aber in den gewerkschaftlichen Tarifkommissionen, die das Lohnsystem mit verwalten, nichts zu suchen. Sie nutzen die objektiv-subjektive Radikalisierung des Proletariats im und durch Klassenkampf, um zu betonen, dass zur Beseitigung des proletarischen Elends das Lohnsystem wegmuss.

Proletarische RevolutionärInnen legen die Arbeit mit dafür nieder, um die Arbeitszeit zu verkürzen, weil sie die freie Zeit genau wie ihre KollegInnen und Klassengeschwister bitter nötig haben, machen aber gleichzeitig deutlich, dass jede Minute Lohnarbeit eine zu viel ist! Sie wenden sich konsequent gegen das Geschwätz von Gewerkschaftsbonzen über „gute Arbeit“ im Rahmen des Kapitalismus. „Gute Arbeit“ kann es für Lohnabhängige als Ausbeutungsobjekte, die von sich selbst, den Produktionsmitteln und den gesamten Produktionsprozess entfremdet sind, grundsätzlich nicht geben! Das bisschen Erleichterung der Arbeits- und Lebensbedingungen, das durch Klassenkampf – auch und gerade durch dessen konspirativ-illegale Formen, die die Gewerkschaftsbonzen nicht organisieren können und wollen – erreichbar ist, vermag es nie und nimmer den Durst und den Hunger nach Leben zu stillen! Proletarische Arbeitszeit zum Beispiel für die Zerstörungsmittel der imperialistischen Armeen ist verlorene Zeit! Und was machen die Gewerkschaftsapparate? Dieses miese NationalistInnenpack setzt sich für den deutschen Rüstungsstandort ein! Jede Sekunde Lohnarbeit ist eine zu viel!

Proletarische RevolutionärInnen nutzen im Einzelfall die Betriebs- und Personalräte von außen, um ihre individuellen und kollektiven Interessen durchzusetzen. Aber sie stehen grundsätzlich praktisch-geistig der kapitalistischen Arbeitsdemokratie feindlich gegenüber. Sie wollen den Laden nicht „mitbestimmen“, sondern kaputt hauen! Deshalb haben sie innerhalb der Organe der kapitalistischen Arbeitsdemokratie nichts zu suchen, auch wenn sie wissen, dass der Kampf gegen den Kapitalismus auf jeden Fall noch sehr lange dauern und vielleicht niemals siegreich verlaufen wird. Sie stellen der kapitalistischen Arbeitsdemokratie ganz praktisch schon hier und heute die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats gegenüber. Illegal-konspirativer Klassenkampf statt Legalismus und „Betriebsfrieden“! Kollektive Selbstaktivität statt Delegierung der Interessen auf Betriebs- und Personalräte! Nieder mit dem demokratischen Stimmzettelfetischismus, der in der Gesamtgesellschaft Politbonzen und in den Großkonzernen Betriebsratsfürsten ermächtigt. Nieder mit Herrschaftsmechanismen, statt diese als Stimmvieh zu legitimieren!

…..

Der Anarchosyndikalismus behauptet, er könne und werde „revolutionäre Gewerkschaften“ aufbauen. Weiter oben haben wir die Gewerkschaften als Organisationsformen des reproduktiven Klassenkampfes analysiert. Der Anarchosyndikalismus kann also nur den Kapitalismus reproduzierende Organisationen aufbauen. Und das tat und tut er auch. Er passte und passt sich in der Realität an das Tarifvertragssystem und die gesetzlich-sozialreformistischen Betriebs- und Personalräte an. Der Anarchosyndikalismus wurde eindeutig zu einer Strömung des globalen Gewerkschaftsreformismus. Durch die Mitorganisation des innerkapitalistischen Gemetzels des spanischen BürgerInnenkrieges (siehe die Kapitel I.7 und II.4) wurde er offensichtlich sozialreaktionär.

Aber seine Dekadenz als sozialrevolutionäre Theorie und Praxis zeigte er schon wesentlich früher, unter anderem in den 1920er Jahren in Deutschland. Schon während der revolutionären Nachkriegskrise und erst recht danach zeigte auch die anarchosyndikalistische FAUD ihren opportunistisch-reformistischen Charakter. Zur Zeit der revolutionären Nachkriegskrise waren diese opportunistisch-sozialreformistischen Tendenzen, die während der relativen Stabilisierung des Kapitalismus (1924-1929) deutlich sichtbar wurden, noch überdeckt, aber sie waren im inkonsequenten Verhältnis der FAUD zu den sozialpartnerschaftlichen Betriebsräten schon vorhanden.

Bock schrieb darüber: „Eine ähnlich kompromisslose Stellung wie zu den politischen Parteien nahm die Geschäftskommission (der FAUD) zu den gesetzlichen Betriebsräten ein. Schon im August hatte Karl Roche (radikaler syndikalistischer Marxist, der sich zwischen FAUD einerseits und den radikalmarxistischen Organisationen AAUD/AAUE (siehe die Kapitel III.5 und III.6) andererseits bewegte, Anmerkung von Nelke) im Namen der ,Freien Vereinigung‘ (Vorläuferorganisation der FAUD, Anmerkung von Nelke) erklärt, die syndikalistischen Arbeiter könnten sich an den gesetzlichen Betriebsräten nicht beteiligen, da sie den Klassenkampf mit den Methoden der direkten Aktion führten. ,Die syndikalistischen Kampfmittel sind mit den Aufgaben eines Betriebsrates unverträglich.‘ (Der Syndikalist, 1. Jg., Nr. 36.) Auf dem Gründungskongress der FAUD (S) kam ein Kompromiss zustande, indem man diese in einer Resolution zur Betriebsrätefrage zwar prinzipiell ablehnte, aber gleichzeitig einräumte, dass örtliche Verhältnisse, organisatorische und praktische Gründe in den Betriebsbelegschaften zu einer Beteiligung von FAUD-Mitgliedern an den Wahlen zu den Betriebsräten führen könnten. Gleich nach dem Kongress setzte im Syndikalist eine andauernde und heftige Kampagne zum Boykott der Wahlen zu den Betriebsräten ein, und diese Haltung der Geschäftskommission blieb auch in den folgenden Jahren unverändert. Eine besondere Position nahmen in dieser wie in vielen anderen Fragen die FAUD-Organisationen im Ruhrgebiet ein, die sich niemals in ihrer Mehrheit den Einfluss der Berliner Geschäftskommission unterwarfen. Sie beteiligten sich zum Teil und mit nicht geringen Erfolgen an den Betriebsrätewahlen.“ (Hans Manfred Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918-1923, Verlag Anton Hein, Meisenheim am Glan 1969, S. 172.)

Bock war kein Revolutionär. Aber auch ihm hätte beim genaueren Lesen seiner eigenen Schrift eigentlich auffallen müssen, dass ein Widerspruch zwischen der am Anfang behaupteten Kompromisslosigkeit und dem dann geschilderten Kompromiss bestand. So eine opportunistische Tendenz der Anpassung an Tarifvertrags- und Betriebsratssystem gab es in den vom radikalen Marxismus geprägten Klassenkampforganisationen, AAUD und AAUE, nicht. Jede opportunistische Anpassung an die Betriebsräte von lokalen Gruppen führte zum Ausschluss aus der Gesamtbewegung.

Der faule opportunistische Kompromiss der FAUD gegenüber den gesetzlich-sozialpartnerschaftlichen Betriebsräten zeigte schon bald während der relativen Stabilisierung des deutschen Kapitalismus in einigen Regionen deutlich seine reaktionären Tendenzen, wie auch heutige anarchosyndyndikalistische IdeologInnen zugeben müssen: „Im thüringischen Sömmerda mussten die syndikalistischen Betriebsräte bei Rheinmetall, welche schon Anfang der 20-er Jahre tätig waren, dagegen viele Zugeständnisse machen. Ende des Jahres 1924 wurden in den elfköpfigen Betriebsrat 8 Syndikalisten gewählt. Sie durften jedoch nur die zu entlassenden KollegInnen bestimmen und verhielten sich bei Protesten gegen Abzüge aufgrund von Akkordberechnungsfehlern passiv und traten Streikabsichten entgegen. Ähnlich ernüchternde Erfahrungen wurden aus Oberschlesien vermeldet. Hier seien syndikalistische Betriebsräte gar die Ursache für den örtlichen Mitgliederrückgang gewesen. Sie wurden zu Gegnern der direkten Aktion und erklärten der FAUD auf Nachfragen hin, dass sie ja schließlich nicht nur von syndikalistischen Betriebsangehörigen gewählt worden wären und daher der Gewerkschaft keine Rechenschaft darüber schuldig seien, ob ihre Handlungen nun syndikalistisch waren oder nicht.“ (H. Döhring, Syndikalismus nach 1945, in: FAU Bremen (Hg.), Syndikalismus. Geschichte und Perspektiven, S. 20.) Die heutige bundesdeutsche anarchosyndikalistische Möchtegerngewerkschaft FAU steht eindeutig in dieser reformistischen Tradition der opportunistischen Anpassung an das Tarifvertrags- und Betriebsratssystem der Bourgeoisie.

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Für eine revolutionäre Antikriegsposition! https://astendenz.blackblogs.org/2024/01/09/fuer-eine-revolutionaere-antikriegsposition/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/01/09/fuer-eine-revolutionaere-antikriegsposition/#respond Tue, 09 Jan 2024 00:25:13 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=157 Die extreme Verschärfung der zwischenstaatlichen Konkurrenz

Die internationale Staatengemeinschaft des Weltkapitalismus beruht auf der kooperativen Konkurrenz und der konkurrenzförmigen Kooperation der kapitalistischen Nationen. Letztere sind Zwangsgemeinschaften aus Kapital und Lohnarbeit, die durch die nationalistische Ideologie und die Praxis des Nationalstaates am Leben gehalten werden. Nationen sind also Scheingemeinschaften aus AusbeuterInnen und Ausgebeuteten, UnterdrückerInnen und Unterdrückten.

Der Nationalismus nutzt der herrschenden kapitalistischen Klasse, der Bourgeoisie (KapitalistInnen, WirtschaftsmanagerInnen, hohe BerufspolitikerInnen und SpitzenbeamtInnen des Staates), um die Lohnabhängigen in der zwischenstaatlichen Konkurrenz gnadenlos zu verheizen.

Die zwischenstaatliche Konkurrenz basiert auf der kapitalistischen Ökonomie (der Kampf um Rohstoffquellen, billige Arbeitskräfte und Absatzmärkte), lässt sich aber nicht auf diese einengen. Staaten führen mitunter auch für ihre nationale Souveränität über ökonomisch nicht so bedeutungsvolle Territorien blutige Kriege.

Der bürgerliche Frieden ist lediglich die nichtmilitärische Form des zwischenstaatlichen Konkurrenzkampfes. Er ist keine Alternative zum imperialistischen Krieg, sondern dessen Quelle. Die friedliche Kooperation der kapitalistischen Staaten untereinander ist eine besondere Form des Klassenkrieges gegen das Weltproletariat. Das kapitalistische Pack schlägt und verträgt sich – aber immer auf unsere Kosten!

Frieden und Krieg sind innerhalb des Weltkapitalismus keine starren Gegensätze, sondern gehen dialektisch ineinander über. Die Staaten bereiten im Frieden den nächsten Krieg und im Krieg den kommenden Frieden vor. Das Proletariat wird in Frieden und Krieg verheizt. Proletarischer Klassenkrieg dem kapitalistischen Frieden, der auf der Ausbeutung der Lohnarbeit beruht!

Die kapitalistische Krisendynamik hat die Tendenz, die zwischenstaatliche Konkurrenz zu verschärfen und diese spitzt wiederum die kapitalistische Krise zu. Sowohl die Wirtschaftskriege als auch die verschiedenen militärischen Massaker sind die extremsten Ausdrücke der zwischenstaatlichen Konkurrenz. In beiden wird das Leben, die Gesundheit und das Glück von Abermillionen ProletarierInnen und KleinbürgerInnen auf dem Altar der nationalen Souveränität und den Interessen der Nation geopfert. Das Weltproletariat massakriert sich gegenseitig im permanenten kapitalistischen Weltkrieg. Es ist die Manövriermasse der friedlichen Kooperation und der kriegerischen Konflikte. Der kapitalistische Krieg ist die extremste Form des politischen Klassenkampfes von oben, den die Bourgeoisie gegen das Proletariat führt.

Egal ob im imperialistischen Stellvertreterkrieg zwischen NATO und Russland in der Ukraine ab Februar 2022, dem Massaker, das die islamistische Hamas und das zionistische Regime arbeitsteilig-konkurrenzförmig in Israel/Palästina organisieren, oder bei der militärischen Eroberung von Bergkarabach und Zerschlagung der Republik „Arzach“ als bisheriger Spielkarte des armenischen Imperialismus – die er schließlich preisgeben musste – durch Aserbaidschan im September 2023: ProletarierInnen werden in der zwischenstaatlichen Konkurrenz ermordet, verstümmelt, psychisch kaputtgemacht, vergewaltigt und vertrieben.

Es ist die Aufgabe der bürgerlichen Politik, Frieden und Krieg zu organisieren. Wir können dabei die Rechts- und die Linksreaktion sowie die extreme Mitte unterscheiden. All diese Kräfte wollen nur das eine: den Staat als politischen Gewaltapparat der Kapitalvermehrung regieren. Dazu müssen sie „regierungsfähig“ sein – das heißt, bereit zum totalen Klassenkrieg gegen das Proletariat. Der im Inland wird „Innenpolitik“ genannt und der im Ausland „Außenpolitik“.

Auch große Teile der linkspolitischen KleinbürgerInnen, die noch nicht völlig in den jeweiligen kapitalistischen Nationalstaat integriert sind, können mit ihrer Realpolitik nur den bürgerlichen Frieden und den imperialistischen Krieg reproduzieren.

Gegen NATO-„Anarchismus“ und Kreml-„Kommunismus“!

Auch der imperialistische Stellvertreterkrieg zwischen NATO und Russland in der Ukraine hat seine jeweiligen linken UnterstützerInnen. Die kapitalistisch-reaktionäre Fratze der globalen Linksreaktion ist unter „anarchistischen“ oder „kommunistischen“ Masken verhüllt.

So unterstützen weltweit einige „AnarchistInnen“ das Kiewer Regime und die NATO gegen den russländischen Imperialismus in der Ukraine. Sowohl ideologisch als auch praktisch, indem sie innerhalb der ukrainischen Streitkräfte für diesen Nationalstaat und den westlichen Imperialismus töten und getötet werden.

In Russland unterstützt die „Kommunistische“ Partei der Russländischen Föderation („K“PRF) den Krieg Moskaus in der Ukraine. Während das Verhalten der „K“PRF eindeutig national-chauvinistisch ist, können einige marxistisch-leninistische Parteien in der Ukraine und innerhalb der NATO-Nationen – in der BRD zum Beispiel die Deutsche „Kommunistische“ Partei (D„K“P) –, die bei diesem imperialistischen Gemetzel auf der Seite Russlands stehen, sich mit scheinradikalen Phrasen wie „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“ schmücken. Es gibt jedoch weder Haupt- noch NebenfeindInnen für RevolutionärInnen. Der Feind ist der Weltkapitalismus mit all seinen nationalen und politischen Charaktermasken – einschließlich der linken KriegstreiberInnen.

Kompromissloser Kampf gegen den NATO-„Anarchismus“ und Kreml-„Kommunismus“! Kann es etwas Ekelhafteres geben, als mit „kommunistischen“ und „anarchistischen“ Phrasen die Massaker des Weltkapitals am Weltproletariat mitzuorganisieren?! Reißen wir der globalen Linksreaktion, dieser widerlichen Eiterbeule des Weltkapitalismus, die „anarchistischen“ und „kommunistischen“ Masken herunter!

Gegen Sozialreformismus, Pazifismus und Nationalismus!

Aber auch unter jenen politischen Kräften, die sich im imperialistischen Gemetzel zwischen NATO und Russland in der Ukraine nicht offen auf eine der beiden Seiten stellen, sind die meisten bürgerlich-reformistisch und national.

Bürgerliche ReformistInnen und PazifistInnen stellen die Quelle des imperialistischen Krieges, den bürgerlichen Frieden innerhalb des Kapitalismus, als Alternative zum ersteren dar. Der von ihnen gewünschte Zustand ist die friedliche Kooperation der kapitalistischen Staaten – also der Ausbeuter und strukturellen Klassenfeinde des Weltproletariats. Diese friedliche Kooperation gibt es ja auch. Aber eben nur untrennbar zusammen mit dem Krieg, der militärischen Form der zwischenstaatlichen Konkurrenz. PazifistInnen wollen die Staaten erhalten, aber diese sollen bitte schön keine Kriege mehr untereinander führen. Das ist total unrealistisch.

PazifistInnen fordern die kooperative und freiwillige militärische Abrüstung der Staaten. Doch das werden diese niemals tun. Es kann nur eine wirkliche Abrüstung geben – die globale antipolitisch-sozialrevolutionäre Zerschlagung aller Staaten durch das Weltproletariat.

ReformistInnen und PazifistInnen werden jetzt sagen, dass diese mögliche globale soziale Revolution unrealistisch sei. Und jene ReformistInnen, die sich selbst und andere durch eine „revolutionäre“ Maske betrügen, stellen durch eine messerscharfe Analyse fest, dass ja jetzt keine revolutionäre Situation bestehe. Im hier und jetzt fordern alle ReformistInnen und PazifistInnen, dass die KriegstreiberInnen Waffenstillstände und Frieden schließen.

Das ist insofern realistisch, dass kein Krieg ewig dauern kann. Entweder siegt eine Seite militärisch, dann gibt es einen Siegfrieden zugunsten dieser Seite oder der Krieg wird wegen Erschöpfung beider Seiten durch einen Kompromissfrieden eingestellt. So endete zum Beispiel der Koreakrieg (1950-1953). Da im indirekten Krieg zwischen den Atomwaffenmächten NATO und Russland in der Ukraine keine Seite militärisch gewinnen kann, ohne den atomaren Overkill zu riskieren, wird es wahrscheinlich irgendwann einen Kompromissfrieden geben. Der Krieg ist schon jetzt ziemlich festgefahren, aber noch sind beide Seiten nicht zu einem Kompromissfrieden bereit.

Doch der Zyklus aus Frieden und Krieg kann durch Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen nicht überwunden werden. Der bürgerliche Frieden als Quelle des imperialistischen Krieges kann nur durch die soziale Weltrevolution überwunden werden. Diese stellt keine Gesetzmäßigkeit dar, sondern eine Möglichkeit, die sich aus der Radikalisierung des proletarischen Klassenkampfes ergeben kann. Auch in nichtrevolutionären Zeiten bekämpfen RevolutionärInnen Kapital und Staat konsequent. Einschließlich von Sozialreformismus und Pazifismus, die nur Kapital, Staat und Nation praktisch-geistig reproduzieren können.

Die (klein)bürgerlichen KriegsgegnerInnen sind national, während eine revolutionäre Antikriegsposition nur antinational sein kann. In Deutschland führt die extreme Mitte den indirekten militärischen Krieg in der Ukraine sowie den Wirtschaftskrieg der NATO und der EU gegen Russland mit viel Leidenschaft für den demokratischen Menschenrechtsfanatismus. Der deutsche Imperialismus kämpft für das globale Menschenrecht – besonders dort, wo er mit den Regierungen eine Rechnung offen hat.

Die völkisch-rechtsnationalistische Alternative für Deutschland (AfD) und das sozialdemokratisch-linksnationale „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) werfen der Bundesregierung vor, diese würde im Wirtschaftskrieg gegen Russland nicht deutsche, sondern US-amerikanische Interessen vertreten. Die Dummköpfe der Regierung würden durch den Boykott russländischen Gases „unsere Wirtschaft“ ruinieren. AfD und BSW vertreten objektiv die Interessen jener Einzelkapitale, deren ökonomischen Interessen durch den Wirtschaftskrieg gegen Russland unter die Räder kommen.

Die deutsche Industrie ist nicht „unsere“. Wir werden in ihr als Lohnabhängige ausgebeutet und im globalen Konkurrenzkampf verheizt. Das eint uns mit unseren globalen Klassengeschwistern. Revolutionäre ProletarierInnen fühlen sich nicht als „Deutsche“ „FranzösInnen“, „RussInnen“ „UkrainerInnen“, „Israelis“ oder „PalästinenserInnen“, sondern als Teil des Weltproletariats. Als Teil der Klasse, die potenziell den Kapitalismus zertrümmern, sich selbst revolutionär aufheben und dabei die klassen- und staatenlose Gesellschaft gebären kann!

Wir revolutionären ProletarierInnen müssen weltweit gegen die nationalistischen, rassistischen, religiösen und sexistischen Spaltungslinien kämpfen.

Unsere Solidarität ist antinational. Nationale „Befreiung“ und „Selbstbestimmung“ schaffen nur neue kapitalistische Staaten beziehungsweise nationale Autonomie innerhalb von bestehenden. Unsere Solidarität mit der jüdischen/israelischen und palästinensischen Zivilbevölkerung richtet sich gegen die zionistischen und islamistischen KriegstreiberInnen. SozialrevolutionärInnen müssen weltweit Prozionismus und die linksnationale Palästina-Solidarität bekämpfen. Das zionistische Israel muss wie alle Staaten antipolitisch-sozialrevolutionär zerschlagen werden, wenn wir ProletarierInnen uns weltweit aus kapitalistischer Ausbeutung und politischer Elendsverwaltung befreien wollen. Wer für einen palästinensischen Staat – der nur kapitalistisch sein kann – eintritt, ist ein struktureller Klassenfeind des Weltproletariats. Das Hamas-Regime im Gazastreifen gab und gibt uns ein Vorgeschmack darauf, wie sozialreaktionär ein palästinensischer Staat wäre!

Nicht nur die Hamas, sondern auch die marxistisch-leninistischen Kräfte Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und Demokratische Volksfront zur Befreiung Palästinas (DFLP) sind Teil des nationalistischen Gemetzels, bei der die israelischen und palästinensischen Lohnabhängigen aufeinandergehetzt und massenweise abgeschlachtet werden. Keine Solidarität mit dem zionistischen Staat Israel und auch keine mit dem palästinensischen Nationalismus!

Wir bekämpfen auch mit aller Entschiedenheit die nationalpazifistische Phrase von der „Völkerverständigung“. Wer sind die „Völker“? Die klassengespaltenen – Bourgeoisie, KleinbürgerInnentum und Proletariat – Insassen der kapitalistischen Staaten. Hinter der ideologischen „Volksherrschaft“ (Demokratie), die jeder Staat beansprucht zu sein, verbirgt sich die reale Herrschaft der Bourgeoisie. „Völkerverständigung“ ist real nichts anderes als die Kooperation der Staaten im Frieden – eine nette Phrase für die Zeit vor dem Gemetzel. Und im Krieg heißt es praktisch: „Völker“, massakriert euch gegenseitig zum Wohle der kapitalistischen Nationen.

RevolutionärInnen treten dafür ein, dass sich das Weltproletariat klassenkämpferisch aus den klassenneutralen „Völkern“ herausschält und sich zur revolutionären Zerschlagung des globalen Kapitalismus vereint – sonst wird es ewig in der zwischenstaatlichen Konkurrenz Manövriermasse bleiben, die in unzähligen Gemetzeln verheizt wird. Weltweiter Klassenkrieg für die Zerschlagung aller Nationen statt „Völkerverständigung“!

Die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung und der imperialistische Krieg

Die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung in Form von Gewerkschaften und politischen „ArbeiterInnen“-Parteien ist der bürgerlich-bürokratisch entfremdete Ausdruck des reproduktiven Klassenkampfes der Lohnabhängigen.

Im „Normalfall“ der kapitalistischen Entwicklung entfaltet sich der Klassenkampf innerhalb der Grenzen des Kapitalismus. Das Proletariat kämpft für eine bessere biosoziale Reproduktion innerhalb des Kapitalismus – für höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten, eine geringere Arbeitsintensität und gegen den Klassenkampf von oben. Wir nennen diesen Klassenkampf reproduktiv. Nur eine nanokleine Minderheit der Lohnabhängigen und Intellektuellen strebt in nichtrevolutionären Zeiten bewusst eine soziale Revolution an.

Jedoch hat bereits der reproduktive Klassenkampf seine revolutionären Tendenzen und Potenzen. Im und durch ihn, besonders in branchenübergreifenden Massenstreiks, wird der Riss zwischen AusbeuterInnen und Ausgebeuteten innerhalb der Nationen deutlich. Es ist notwendig, dass das klassenkämpferische Proletariat die nationalistisch-rassistischen Spaltungslinien überwindet. Manchmal gelingt das dem Proletariat bereits im reproduktiven Klassenkampf, manchmal jedoch auch nicht.

Die Lohnabhängigen organisieren sich bereits im Ringen für höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten und gegen die Angriffe von oben klassenkämpferisch gegen die Interessen von Kapital und Staat selbst – für ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse. Die klassenkämpferische Selbstorganisation der Lohnabhängigen ist eine gewaltige revolutionäre Tendenz und Potenz. Sie richtet sich tendenziell und potenziell auch gegen die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschafts- und Parteiapparate der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung.

Im frühen Industriekapitalismus gingen auch die demokratischen Staaten absolut repressiv gegen das klassenkämpferische Proletariat, die Gewerkschaften und politische „ArbeiterInnen“-Parteien vor. Streiks sowie Gewerkschaften waren absolut verboten und das Proletariat hatte noch kein Wahlrecht.

Doch große Teile der Weltbourgeoisie lernte in einem längeren praktischen Prozess, dass in einer Klassengesellschaft der Klassenkampf nicht effektiv absolut zu verbieten war. Das war eine zu unflexible Keule, die auch der Bourgeoisie auf die eigenen Füße fiel. Der moderne Industriekapitalismus verwirklicht das allgemeine Wahlrecht, befriedet den Klassenkampf durch ein demokratisches Streikrecht und integriert Gewerkschaften sowie politische „ArbeiterInnen“-Parteien in die jeweiligen Nationalstaaten. Das sind wesentlich effektivere Waffen gegen das klassenkämpferische Proletariat.

Sehen wir uns das am Beispiel der BRD genauer an. Das demokratische Streikrecht in Deutschland erlaubt keine „politischen Streiks“ gegen den Staat als Gesetzgeber. Nur gegen den Staat als „Arbeitgeber“ (= Ausbeuter) im öffentlichen Dienst dürfen die Lohnabhängigen legal die Arbeit niederlegen. Und auch nur die Angestellten, BeamtInnen haben in der BRD kein Streikrecht. Lohnabhängige können in Deutschland nur unter zwei Bedingungen legal in den Ausstand treten: Erstens, wenn diese unter der offiziellen Führung von Gewerkschaften stehen und zweitens, wenn sie für Dinge (Löhne, Arbeitszeit…) geführt werden, die in einem Tarifvertrag zwischen Kapital/Staat auf der einen und den Gewerkschaften auf der anderen Seite münden können.

Das demokratische Streikrecht der BRD gibt also den bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparaten – deren hauptamtliche FunktionärInnen objektiv sozial nicht zum Proletariat gehören, sondern eine besondere Schicht von ManagerInnen darstellen – ein Streikmonopol. Das ist eine sehr effektive Waffe gegen die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats. Durch das Tarifvertragssystem wurden die deutschen Gewerkschaftsapparte zu Co-Managerinnen der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnarbeit.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und seine Einzelgewerkschaften sind tief in den deutschen Staat integriert. Der DGB ist der Hausgewerkschaftsbund des deutschen Imperialismus. Als solcher unterstützt er auch imperialistische Kriege. Zum Beispiel 1999 den NATO-Krieg unter deutscher Beteiligung gegen Jugoslawien. Und auch der Wirtschaftskrieg gegen Russland und die Aufrüstung der Ukraine durch Deutschland wird vom DGB-Apparat und den Führungen seiner Mitgliedsgewerkschaften unterstützt. Das ist „gute“ alte Gewerkschaftstradition: Die deutschen Gewerkschaften standen schon im Ersten Weltkrieg auf der Seite des deutschen Imperialismus.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sind nicht sozialemanzipatorisch und klassenkämpferisch reformierbar, sie müssen langfristig durch die revolutionäre Klassenkampforganisation des Proletariats zerschlagen werden. Selbstverständlich können RevolutionärInnen in nichtrevolutionären Zeiten einfache Gewerkschaftsmitglieder sein, jedoch haben sie in neben- und hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktion nichts zu suchen.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sind klassengespalten in einem bürgerlich-bürokratischen Apparat auf der einen und der lohnabhängig-klassenkämpferischen Basis auf der anderen Seite. Dieser Klassengegensatz zwischen den Gewerkschaftsapparaten und den Lohnabhängigen kommt bereits im reproduktiven Klassenkampf zum Ausdruck. Besonders in längeren, offiziell noch unter Gewerkschaftskontrolle stehenden Arbeitsniederlegungen entwickelt sich eine Doppelherrschaft aus der informellen klassenkämpferischen Selbstorganisation der Lohnabhängigen auf der einen und den Gewerkschaftsapparaten auf der anderen Seite heraus. Der wilde Streik ohne und gegen die Gewerkschaftsapparate ist der Höhepunkt der Selbstorganisation der Lohnabhängigen im reproduktiven Klassenkampf. Sind die Ausstände kurz und sind die Streikbelegschaften relativ klein, reicht oft schon die informelle Form der klassenkämpferischen Selbstorganisation aus. Bei längeren Arbeitsniederlegungen und größeren und/oder mehreren streikenden Belegschaften sind gewerkschaftsunabhängige Streikkomitees nötig.

Selbstverständlich gibt es global radikalere Gewerkschaften als den DGB, die teilweise auch Antikriegsaktionen organisieren, wie zum Beispiel in Italien die USB, allerdings auf pazifistisch-reformistischer Grundlage. Gewerkschaften sind Organisationen des reproduktiven Klassenkampfes, können aber nicht revolutionär sein. Die Behauptung des Anarchosyndikalismus, es könne revolutionäre Gewerkschaften geben und er würde sie aufbauen, hat er selbst durch seine eigene Praxis widerlegt. Durch seine opportunistische Anpassung an das Tarifvertragssystem und das reformistische Bewusstsein der Mehrheit der Lohnabhängigen ist der Anarchosyndikalismus schon lange Teil des globalen Gewerkschaftsreformismus.

Mit den Gewerkschafen und ihren hauptamtlichen FunktionärInnen sind keine revolutionären Antikriegsbündnisse möglich.

Nicht nur die Gewerkschaftsapparate, sondern auch die politischen Parteiapparate der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung zeigten und zeigen im imperialistischen Krieg ihr sozialreaktionäres Gesicht. Bei den parlamentarisch-politischen „ArbeiterInnen“-Parteien können wir zwischen sozialdemokratischen, marxistisch-leninistischen und trotzkistischen unterscheiden. Alle „ArbeiterInnen“-Parteien sind klassengespalten in einen bürgerlich-bürokratischen Apparat und eine kleinbürgerlich-proletarische Basis. Die Haupttendenz der Parteiapparate ist es, sich in den Kapitalismus zu integrieren.

Sozialdemokratische Parteien wurden und werden durch den parlamentarischen Sozialreformismus – im Parlament für soziale Reformen ringen – in den Kapitalismus integriert. Die politische Macht wird für sozialdemokratische Parteien wichtiger als die sozialen Reformen. Aber auch letztere können nur Kapital und Staat reproduzieren, stehen also in einem sozialreaktionären Gesamtzusammenhang. Der parlamentarische Sozialreformismus reproduziert die Lohnabhängigen als Stimmvieh, die im politischen Wahlzirkus BerufspolitikerInnen ermächtigen den bürgerlichen Staat zu regieren oder systemloyal in ihm zu opponieren. Die Sozialdemokratie entwickelte sich weltgeschichtlich aus einem pseudorevolutionären BürgerInnen-Schreck zuerst zu einer objektiv systemloyalen Oppositions- und schließlich zu einer anerkannten Regierungskraft des Kapitalismus.

Die Sozialdemokratie hat als Regierungspartei schon viele Gemetzel mitorganisiert. Auch die deutsche. So organisierte die SPD auf Seiten des deutschen Imperialismus 1914 den Ersten Weltkrieg mit, 1999 den NATO-Krieg gegen Jugoslawien, die militärische Besetzung Afghanistans ab 2001 und den indirekten Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine durch die Bewaffnung des Kiewer Regimes und die Mitausbildung seiner SoldatInnen.

In Deutschland gibt es noch zwei weitere sozialdemokratische Formationen, die Partei Die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Über das linksnationale Agieren der BSW haben wir schon oben geschrieben. Die Partei Die Linke unterstützt in großen Teilen – besonders dort, wo sie bereits Regierungsverantwortung übernimmt – den deutschen Imperialismus gegen Russland.

Aber auch die marxistisch-leninistischen und trotzkistischen Parteiapparate haben sich bereits als strukturelle Klassenfeinde des Proletariats erwiesen. In Agrarnationen konnten marxistisch-leninistische Parteiapparate durch Staatsstreiche (zum Beispiel der bolschewistische Oktoberstaatsstreich von 1917), durch siegreiche BürgerInnen- und Guerillakriege (beispielsweise: China, Kuba und Vietnam) die politische Macht erobern und die industriellen Produktionsmittel verstaatlichen. Das nannte und nennt der Marxismus-Leninismus „Sozialismus“. Wir nennen es Staatskapitalismus. Die von den marxistisch-leninistischen Politbonzen beherrschten Staaten beuteten die Lohnabhängigen kapitalistisch aus. Auch durch die Expansion des sowjetischen Imperialismus nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden in Osteuropa staatskapitalistische Regimes.

Der Staatskapitalismus ermöglichte einigen Agrarnationen sich ursprünglich, nachholend und beschleunigt zu industrialisieren, konnte aber langfristig nicht erfolgreich gegen den hochentwickelten Privatkapitalismus konkurrieren. Deshalb entwickelten sich in den marxistisch-leninistischen Staatsparteien proprivatkapitalistische Fraktionen, die das Kapital wieder privatisierten. Während die staatskapitalistische Sowjetunion nationalistisch in privatkapitalistische Nachfolgerstaaten zerfiel – einschließlich von Russland und der Ukraine – und sich die marxistisch-leninistischen Regimes Osteuropas in Demokratien umwandelten, entwickelte sich die Transformation vom Staats- zum Privatkapitalismus in China, Vietnam (in den beiden Ländern ist sie abgeschlossen) und auf Kuba (dort nimmt sie auch gewaltig an Fahrt auf) unter der Diktatur der „Kommunistischen“ Parteien.

In hochentwickelten privatkapitalistischen Nationen war und ist die selbständige politische Machteroberung von marxistisch-leninistischen Parteiapparaten unmöglich. Sie scheitert hier an der starken Macht der Bourgeoisie. Außerdem wäre der Staatskapitalismus in bereits industrialisierten Nationen auch kein ökonomisch-technischer „Fortschritt“ – der selbstverständlich im Kapitalismus immer sozialreaktionär sowie die tierische und pflanzliche Mitwelt zerstörend ist. Im Privatkapitalismus war für die marxistisch-leninistischen Parteien also nur die Reproduktion des parlamentarischen und gewerkschaftlichen Sozialreformismus in verbalradikaler Verpackung möglich.

Außerdem agierten sie als verlängerter Arm der Außenpolitik staatskapitalistischer Nationen – die untereinander auch konkurrierten und Kriege führten. Die prosowjetischen marxistisch-leninistischen Parteien unterstützten Moskau sowohl im Zweiten Weltkrieg als auch im ersten Kalten Krieg, die maoistischen das mit dem Kreml ab 1960 verfeindete Peking… Auf diese Weise wurden die marxistisch-leninistischen Parteien zu aktiven Kräften der zwischenstaatlichen Konkurrenz, die das Weltproletariat verheizt und spaltet. Die D„K“P unterstützte zwei Jahrzehntelang lang die staatskapitalistischen Nationen DDR und Sowjetunion, heute im zweiten Kalten Krieg die privatkapitalistischen Staaten Russland und China. Die maoistische Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) bekämpft zwar auch den russländischen und chinesischen Imperialismus, aber auf von uns oben kritisierten sozialreformistischen, pazifistischen und nationalistischen Grundlagen.

Der Trotzkismus entstand durch Machtkämpfe innerhalb der staatskapitalistischen „Kommunistischen“ Partei der Sowjetunion („K“PdSU). Trotzki war von 1918 bis 1923 in der staatskapitalistischen Sowjetunion neben Lenin der führende Staatsbourgeois, der aber später von Stalin schrittweise entmachtet und schließlich 1929 aus der Sowjetunion ausgewiesen und 1940 von einem Kremlagenten ermordet wurde. Der orthodoxe Trotzkismus bezeichnete die Sowjetunion und andere staatskapitalistische Regimes als „bürokratisch deformierte ArbeiterInnenstaaten“. Im Zweiten Weltkrieg, der von allen Seiten ein imperialistisches Abschlachten war, unterstützte der Trotzkismus den sowjetischen Imperialismus. Innerhalb des Privatkapitalismus vertritt der Trotzkismus ähnlich wie der Marxismus-Leninismus einen gewerkschaftlichen und parlamentarischen Sozialreformismus, der nur Kapital und Staat praktisch-geistig reproduzieren kann.

Wenn auch einige linkssozialdemokratische, marxistisch-leninistische und trotzkistische Gruppierungen in einzelnen heutigen imperialistischen Kriegen beide Seiten bekämpfen, nehmen sie jedoch grundsätzlich zum zwischenstaatlichen Konkurrenzkampf keinen revolutionären Standpunkt ein. Die meisten von ihnen unterstützen die nationale „Befreiung“ und „Selbstbestimmung“. Diese kann jedoch nur kapitalistisch-sozialreaktionär und Futter des globalen Konkurrenzkampfes der Nationen sein. Revolutionäre Kräfte können und dürfen deshalb grundsätzlich keine Antikriegsbündnisse mit der linken Sozialdemokratie, dem Marxismus-Leninismus und Trotzkismus eingehen.

Zu einem radikalen Bruch mit dem parlamentarischen und gewerkschaftlichen Sozialreformismus war und ist nur der Links- und Rätekommunismus, einige revolutionäre AnarchistInnen und unser antipolitischer Kommunismus fähig. Der gewerkschaftsfeindliche und antiparlamentarische, aber parteiförmige Linkskommunismus bildete sich während der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923) und danach besonders in Deutschland (die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD)), in den Niederlanden und in Italien heraus. Die konsequentesten LinkskommunistInnen lehnen auch die nationale „Befreiung“ und „Selbstbestimmung ab. Allerdings ideologisiert der Linkskommunismus den bolschewistischen Oktoberstaatsstreich von 1917 zur „proletarischen Revolution“. Die progressivste Tendenz des Linkskommunismus war und ist aber die konsequente Kritik des Antifaschismus und dass er sowohl im spanischen BürgerInnen- als auch im Zweiten Weltkrieg alle Seiten bekämpft hat.

Der noch radikalere Rätekommunismus brach mit dem Mythos der „proletarischen Oktoberrevolution“ in Russland 1917. Allerdings erkannten auch viele RätekommunistInnen nicht den absolut sozialreaktionären Charakter der politischen Machteroberung der leninistischen Parteiapparate und ideologisierten diese zur „bürgerlichen Revolution“, die zwar nicht proletarisch-revolutionär, aber doch irgendwie „fortschrittlich“ gewesen sei. Auch brachen nicht alle RätekommunistInnen grundsätzlich mit der politischen Partei als bürgerlich-bürokratischer Organisationsform (zum Beispiel Paul Mattick und Willy Huhn), im Gegensatz zu Cajo Brendel.

Während des Zweiten Weltkrieges zerbrachen die rätekommunistischen Organisationen in den Niederlanden und den USA. Die RätekommunistInnen bekämpften aber als Individuen sowohl die faschistische als auch die antifaschistische Seite des großen Massakers. Dies taten auch die LinkskommunistInnen und einige revolutionäre AnarchistInnen.

Die Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST) knüpft an den revolutionären Tendenzen von Links- und Rätekommunismus an, kritisiert aber auch deren objektiv sozialreaktionären. Im Gegensatz zum Parteimarxismus hält sie nicht die politische Machteroberung des Proletariats und die Verstaatlichung der industriellen Produktionsmittel für das Wesen der sozialen Revolution, sondern die antipolitische Zerschlagung des Staates und die Überwindung der Warenproduktion durch das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat. Die AST lehnt die Beteiligung an parlamentarischen Wahlen und die politische Partei als Organisationsform für das klassenkämpferische Proletariat sowie die revolutionären Kräfte grundsätzlich ab. Sie bekämpft sowohl den bürgerlichen Frieden als auch den imperialistischen Krieg.

Der Antifaschismus als Kriegsideologie

Revolutionärer Antikapitalismus heißt auch Kampf gegen Nazis/FaschistInnen und den prokapitalistischen Antifaschismus. Der Antifaschismus verteidigt die Demokratie als sozialreaktionäre kapitalistische Staatsform gegen andere kapitalistische Staatsformen wie die Militärdiktatur und den Faschismus. Im spanischen BürgerInnenkrieg (1936-1939) und dem Zweiten Weltkrieg (1936-1945) spielte der Antifaschismus eine wichtige Rolle als Kriegsideologie. Das tut er auch im Stellvertreterkrieg zwischen NATO und Russland in der Ukraine.

Nach der eurozentristischen bürgerlichen Geschichtsschreibung begann der Zweite Weltkrieg im Jahre 1939 mit dem Überfall des deutschen Imperialismus auf Polen. Eine materialistisch-dialektische Geschichtsbetrachtung hat guten Grund für die Ansicht, dass der Zweite Weltkrieg im Jahre 1936 begann. Zwei größere blutige Gemetzel begannen in diesem Jahr und 1937: der spanische BürgerInnenkrieg und der japanische Überfall auf China.

In Spanien regierte ab Januar 1936 eine prokapitalistisch-demokratische, antifaschistische Volksfrontregierung aus den Organisationen der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung – die sozialdemokratische, die stalinistische und die linkssozialistische Partei POUM sowie die anarchosyndikalistische Gewerkschaft CNT (die beiden letztgenannten Kräfte traten dem sozialreaktionären Volksfront-Regime erst nach dem Militärputsch bei) – und der liberaldemokratischen Mitte (Republikanische Union, Republikanische Linke, katalanische Esquerra Republicana des Catalunya). Dieses prokapitalistische und demokratisch-antifaschistisch-sozialreaktionäre Volksfrontregime geriet sowohl mit dem klassenkämpferischen Proletariat als auch mit der antidemokratischen Fraktion der spanischen Bourgeoisie aneinander. Letztere unterstützte den Militärputsch vom 17. Juli 1936. Gegen den Militärputsch entwickelte sich der reproduktive Klassenkampf des Proletariats, der durch starke prodemokratische Illusionen geprägt war. Eine sozialrevolutionäre Strömung, die es damals in Spanien nicht gab, hätte sich am Klassenkampf gegen den Militärputsch beteiligen und zugleich die prodemokratischen Illusionen und das Volksfront-Regime bekämpfen müssen. Sie hätte auf einen revolutionären Sturz des Volksfront-Regimes und auf einen revolutionären Klassenkrieg gegen das putschende Militär orientieren müssen.

Die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung – StalinistInnen, SozialdemokratInnen, aber auch POUM und die anarchosyndikalistische CNT – überführte jedoch den reproduktiven Klassenkampf des Proletariats in einen innerkapitalistisch-sozialreaktionären BürgerInnenkrieg zwischen dem demokratischen Volksfront-Regime und den putschenden Militärs, zu deren führenden Gestalt sich immer stärker General Franco entwickelte. Dieser BürgerInnenkrieg wurde auch schnell internationalisiert. Während der italienische und deutsche Faschismus das putschende Militär unterstützten, Frankreich und Großbritannien offiziell „neutral“ blieben, was Franco begünstigte, griff der sowjetische Staatskapitalismus militärisch auf Seiten des Volksfrontregimes ein. Der sowjetische Imperialismus strebte damals ein Bündnis mit Frankreich und Großbritannien an, weshalb Moskau auch den demokratischen Privatkapitalismus in Spanien verteidigte. Die sowjetische Geheimpolizei ging in Spanien mit Folter und Mord gegen das klassenkämpferische Proletariat, den Trotzkismus und gegen den linken Flügel des Volksfront-Regimes, CNT und POUM, vor. CNT und POUM waren aber nichts anderes als das linke Feigenblatt des Volksfrontregimes, zu dessen bluttriefenden Schnauze sich immer stärker der sowjetische Imperialismus und die von ihm ausgehaltenen stalinistischen Mordbuben und Folterknechte entwickelten.

Der sowjetische Imperialismus führte den Klassenkampf von oben gegen das klassenkämpferische Proletariat, den Trotzkismus, und den linken Flügel der Volksfront wesentlich konsequenter als gegen Franco. Weshalb er auch den ersten Krieg gewann und den zweiten verlor. Im Mai 1937 provozierte der Stalinismus in Barcelona durch Repression gegen die CNT einen proletarischen Klassenkampf gegen ihn. CNT-Führung und POUM-Apparat bremsten das klassenkämpferische Proletariat und hinderten es daran mit dem Volksfront-Regime abzurechnen. So blieb dieses an der politischen Macht. Die StalinistInnen zerschlugen im Juni 1937 die POUM. Der Trotzkismus bekämpfte das Volksfront-Regime politisch, unterstützte aber dessen sozialreaktionären Krieg militärisch. Eine wirkliche sozialrevolutionäre Strömung durfte das demokratische Volksfront-Regime nicht gegen den Militärputsch verteidigen, sondern musste beide kompromisslos bekämpfen. Das taten damals der italienische Linkskommunismus – italienisch vom Entstehungsort her, international in der Orientierung – und die rätekommunistische Organisation in den USA, Groups of Council Communists. Nach dem Sieg im BürgerInnenkrieg 1939 errichtete Franco eine Militärdiktatur, die ab sein Tod 1975 wieder in eine Demokratie transformiert wurde.

Der Zweite Weltkrieg begann in Asien 1937 mit der Invasion des japanischen Imperialismus in China. Eine wirkliche sozialrevolutionäre Strömung in China hätte sowohl den japanischen Imperialismus als auch den chinesischen Nationalismus konsequent als Ausdrücke der kapitalistischen Zivilisationsbarbarei bekämpfen müssen. Doch eine solche sozialrevolutionäre Strömung gab es in China nicht, die verfeindeten partei-„kommunistischen“ Zwillingsbrüder Stalinismus-Maoismus und Trotzkismus wurden – wenn auch auf unterschiedliche Weise – zu Charaktermasken des chinesischen Nationalismus.

Bevor nach der bürgerlichen Geschichtsbetrachtung der Zweite Weltkrieg in Europa durch den Überfall des deutschen Imperialismus auf Polen am 1. September 1939 begann, machten alle späteren Hauptmächte der Antihitlerkoalition – Großbritannien, Frankreich, die USA und die Sowjetunion – noch ökonomische und politische Geschäfte mit den Nazis.

Das US-amerikanische Finanzkapital investierte in den italienischen und deutschen Faschismus. Großbritannien und Frankreich lieferten dem deutschen Imperialismus im Münchener Abkommen vom 29. September 1938 die tschechoslowakischen Grenzgebiete in Böhmen und Mähren aus. Und auch die staatskapitalistische Sowjetunion paktierte mit dem deutschen Faschismus – bis der letztere die erstgenannte im Sommer 1941 überfiel. Während des Nichtangriffspaktes mit Deutschland zwischen 1939 und 1941 versuchte sich die UdSSR in imperialistischer Politik gegen schwächere privatkapitalistische Nationen. In der Umarmung zwischen Hitler und Stalin von 1939 wurde Polen zerquetscht. Während Deutschland Westpolen annektierte, schluckte die UdSSR Ostpolen. Auch die imperialistische Einverleibung der baltischen Regimes Estland, Lettland und Litauen verlief erfolgreich.

Doch als Hitler dann am 22. Juni 1941 die UdSSR angreifen ließ, war wieder mal ein Bündnis mit den Demokratien angesagt. Kurz nach dem deutschen Angriff auf die UdSSR, signalisierte Washington Moskau Unterstützung. Die USA lieferten der Sowjetunion bis zum November 1941 Güter im Wert von rund 145 Millionen US-Dollar, um den Zusammenbruch des Staates während der faschistischen Offensive zu verhindern. Washington hielt zu diesem Zeitpunkt Nazideutschland für den gefährlicheren Feind. So kam es zu dem antifaschistischen und sozialreaktionären Bündnis zwischen den privatkapitalistischen Nationen USA, Großbritannien und später auch Frankreich mit der staatskapitalistischen Sowjetunion, nachdem davor alle vier Mächte ihre jeweils eigenen politischen Geschäfte mit den Nazis getätigt hatten.

Bis zum Überfall auf die Sowjetunion übte der deutsche Imperialismus seine Aggressionen in Form von Blitzkriegen aus. Das waren die Angriffe auf Polen, Dänemark, die Benelux-Länder und Frankreich, dem Balkan sowie in Nordafrika. Den imperialistischen Raubkrieg gegen die Sowjetunion ideologisierte der deutsche Faschismus zur Vernichtung des „jüdischen Bolschewismus“ und als Eroberung von „Lebensraum im Osten“ für die „arische Herrenrasse“. Hier gingen extremer Imperialismus und völkisch-rassistischer Wahnsinn eine untrennbare massenmörderische Synthese ein. Die Aggression gegen die Sowjetunion war als Vernichtungskrieg konzipiert. Der deutsche Faschismus organisierte den millionenfachen Hungertod sowjetischer Kriegsgefangener und ZivilistInnen, die Ermordung sowjetischer Offiziere und Kommissare. Dieser Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion war mit der industriellen Ermordung von sechs Millionen Juden und Jüdinnen sowie hunderttausenden Roma und Sinti verbunden.

Doch entgegen der antifaschistischen Ideologie führte auch der sowjetische Staatskapitalismus keinen „gerechten Krieg“, sondern ebenfalls einen imperialistischen, wie die Ausdehnung seiner Herrschaft über Osteuropa nach 1945 bewies. Die sowjetischen Soldaten wurden getötet und töteten für die sozialen Interessen der nationalen Staatsbourgeoisie. SozialrevolutionärInnen mussten sowohl den deutschen als auch den sowjetischen Imperialismus bekämpfen. Während der globale Stalinismus und Trotzkismus den sowjetischen Imperialismus unterstützten, bekämpften Links- und RätekommunistInnen sowie einige AnarchistInnen alle Seiten des imperialistischen Gemetzels.

Der Zweite Weltkrieg endete in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8./9. Mai 1945. Doch das Gemetzel ging in Asien weiter. Am Ende des Zweiten Weltkrieges wendete der US-Imperialismus die Atombombe als Massenvernichtungswaffe gegen die japanische Zivilbevölkerung an, am 6. August in Hiroshima und am 9. August 1945 in Nagasaki, wodurch ungefähr 335.000 Menschen getötet und 400.000 verstümmelt wurden. Rund 100.000 Menschen wurden sofort bei den Atombombenabwürfen ermordet. An den Folgeschäden der atomaren Aggression starben bis Ende 1945 weitere 130.000 Menschen. Und in den Folgejahren ging das Sterben weiter. Das atomare Massaker des US-Imperialismus war bereits eine Warnung an und Bedrohung des antifaschistisch-imperialistischen Verbündeten des Zweiten Weltkrieges und Hauptgegners des beginnenden Kalten Krieges, den sowjetischen Staatskapitalismus. Der Zweite Weltkrieg endete mit der Kapitulation Japans am 2. September 1945.

Während des Zweiten Weltkrieges starben 80 Millionen Menschen – in Kampfhandlungen regulärer Truppen, als Opfer des industriellen Massenmordes des deutschen Faschismus an Juden und Jüdinnen sowie Roma und Sinti, Kriegshandlungen aller Seiten gegen ZivilistInnen sowie deren gewaltsamen Vertreibung und im antifaschistischen und objektiv prokapitalistischen Partisanenkampf. 80 Millionen Menschen starben in diesem massenmörderischen Konkurrenzkampf der Nationalstaaten, der zugleich ein getrennt-gemeinsamer Klassenkampf der Weltbourgeoisie gegen das Weltproletariat war und die blutige Grundlage für den kapitalistischen Nachkriegsaufschwung schuf.

Dieses imperialistische Gemetzel brachte Orte der Zivilisationsbarbarei wie Auschwitz und Hiroshima hervor. Nur Nazis können auf die Idee kommen, Auschwitz durch Hiroshima zu relativieren – aber auch nur völlig sozialreaktionäre AntifaschistInnen verharmlosen und relativieren Hiroshima durch Auschwitz und verklären den Zweiten Weltkrieg von Seiten der antifaschistischen Alliierten zu einer fortschrittlichen und gerechten Angelegenheit! Doch die antifaschistischen Alliierten haben zuvor die Nazis mitfinanziert (US-Finanzkapital), ihnen die Tschechoslowakei durch das Münchner Abkommen ausgeliefert (Großbritannien und Frankreich) und mit ihnen Polen aufgeteilt (Sowjetunion)! Sie haben nicht die Zufahrtswege nach Auschwitz bombardiert, aber massenhaft Wohnviertel in Deutschland. Haltet das Maul, ihr Nazis und demokratischen/partei-„kommunistischen“ AntifaschistInnen! Wir werden euch daran hindern, auch noch auf die Gräber der Menschen zu pissen, die eure politischen Eltern massenhaft umgebracht haben! Schweigt, ihr faschistischen und antifaschistischen Geschichtsfälscher! Der Zweite Weltkrieg war der blutigste Klassenkampf des Weltkapitalismus – einschließlich der staatskapitalistischen Sowjetunion – gegen das Weltproletariat, welches sich für die Ziele und Interessen seiner Klassenfeinde gegenseitig abschlachtete. Die ProletarierInnen haben sich nicht gegenseitig umgebracht für die „arische Rasse“ oder für die „Freiheit“, sondern für die Profite der IG Farben und von General Motors. Der letztgenannte Konzern rüstete während des Blutbades sowohl die USA als auch über seine deutsche Tochter Opel das Hitler-Regime auf und verdiente daran prächtig. USA und Sowjetunion waren die Hauptgewinner des imperialistischen Gemetzels. Und der sozialreaktionäre Antifaschismus ist so zynisch, den alliierten Bombenterror gegen die Zivilbevölkerung in Deutschland und die brutale Eroberung und Ausplünderung Osteuropas durch die Sowjetunion auch noch als „Befreiung“ zu feiern!

Auch im imperialistischen Stellvertreterkrieg zwischen NATO und Russland in der Ukraine spielt der Antifaschismus als Kriegsideologie auf beiden Seiten eine wichtige Rolle. Der Kreml begründet seinen imperialistischen Krieg gegen die Ukraine propagandistisch mit deren „Entnazifizierung“ und auch westliche Kriegshetzer sowie ihr kleinbürgerlicher Schwanz benutzen den Antifaschismus als Kriegsideologie gegen den russländischen Imperialismus. Wir haben es also mit einer Kreml- und einer NATO-Antifa zu tun. Selbstverständlich gibt es auch AntifaschistInnen, die im imperialistischen Krieg in der Ukraine keine Seite unterstützen. Aber grundsätzlich ist der Antifaschismus eine prokapitalistische und proimperialistische Ideologie und Praxis, die nicht das Geringste mit einem revolutionären Antikapitalismus zu tun hat.

Für die Radikalisierung des proletarischen Klassenkampfes!

Das kapitalistische Abschlachten kann nicht durch pazifistische Demonstrationen beendet werden. Dies kann nur durch eine mögliche Radikalisierung des globalen proletarischen Klassenkampfes zur sozialen Weltrevolution geschehen. Die Lohnabhängigen produzieren und reproduzieren im bürgerlichen Arbeitsprozess die Macht von Kapital und Staat. Sie sind es auch, die diese Macht potenziell zerstören können.

Es besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass sich in extremen Situationen der globale proletarische Klassenkampf zur Weltrevolution radikalisiert. So ähnlich wie in der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923). Die kapitalistische Krisendynamik und der imperialistische Erste Weltkrieg führten zu einer extremen Verelendung des Proletariats und der unter Schichten des KleinbürgerInnentums. Das war die Ausgangssituation für die Zunahme des proletarischen Klassenkampfes am Ende des Ersten Weltkrieges in Europa, darunter auch Massenstreiks gegen das kapitalistische Großmassaker.

In Deutschland radikalisierte sich der proletarische Klassenkampf Ende 1918 zur Novemberrevolution, die das imperialistische Abschlachten beendete. Aber die Mehrheit des klassenkämpferischen Proletariats trat zwar gegen den imperialistischen Krieg ein, aber noch nicht gegen dessen Quelle, der bürgerliche Frieden innerhalb des Kapitalismus. Die Konterrevolution, zu dessen politischer Hauptkraft sich die SPD entwickelte, beendete den Krieg, der für den deutschen Imperialismus sowieso nicht mehr gewinnbar war, und nahm auf diese Weise dem proletarischen Klassenkampf schon viel Wind aus den Segeln. Das Proletariat hatte mehrheitlich die konstitutionelle Monarchie in Form des Deutschen Kaiserreiches satt, hatte aber noch starke parlamentarisch-demokratische Illusionen. So konnte die politische Konterrevolution das Kaiserreich in die Weimarer Republik transformieren, die konterrevolutionär gegen das klassenkämpferische Proletariat vorging. Dabei floss ArbeiterInnenblut in Strömen.

Doch in der Novemberrevolution von 1918 entwickelten sich auch die ArbeiterInnen- und Soldatenräte als Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats. Diese waren jedoch nur potenziell revolutionär. Um wirklich zu bewussten Organen der sozialen Revolution zu werden, hätten die Räte die Warenproduktion aufheben und den Staat antipolitisch zerschlagen und dabei die klassen- und staatenlose Gesellschaft gebären müssen.

Für den kapitalistischen Staat wiederum war es notwendig, die ArbeiterInnen- und Soldatenräte als praktische Beeinträchtigung seines Gewaltmonopols zu zerschlagen. Und dies gelang der Konterrevolution 1918/19. Dies hatte vorwiegend zwei Gründe. Erstens kämpfte die Mehrheit des Proletariats damals noch nicht bewusst für ein Rätesystem als Alternative zur kapitalistischen Demokratie. Nur eine große Minderheit der Klasse trat für „Alle Macht den Räten!“ ein. Und auch diese Minderheit war durch die parteimarxistische Ideologie verwirrt. Für viele subjektiv revolutionäre ProletarierInnen und Intellektuelle waren die ArbeiterInnenräte das organisatorische Gerüst eines „ArbeiterInnenstaates“ – ein ideologisches Konstrukt, das sich in der Praxis als Staatskapitalismus entpuppte. Zu der Zeit, wo sich die akute Phase (1918/19) der revolutionären Nachkriegskrise in Deutschland (1918-1923) entfaltete, war das bolschewistische Regime in „Sowjet“-Russland bereits staatskapitalistisch und hatte die wirklichen Sowjets (Räte) als Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats bereits konterrevolutionär liquidiert. Dennoch hegten noch viele SozialrevolutionärInnen in Deutschland Illusionen in das konterrevolutionäre Lenin-Trotzki-Regime, die radikalsten (Links- und RätekommunistInnen) überwanden diese 1920/21. Die Mehrheit des Proletariats kämpfte damals also noch nicht bewusst für das Rätesystem als Schwert gegen den Kapitalismus und Werkzeug für die klassen- und staatenlose Gesellschaft.

Zweitens wurden die ArbeiterInnen- und Soldatenräte von sozialdemokratischen BerufspolitikerInnen, die danach trachteten das potenziell revolutionäre Rätesystem konterrevolutionär zu zerschlagen, von innen deformiert. So beherrschten sozialdemokratische FunktionärInnen den 1. Reichsrätekongress Ende 1918 in Berlin. Dieser beschloss die Entmachtung der Räte zugunsten einer zu wählenden Nationalversammlung. Die sozialdemokratische Konterrevolution ging nach diesem Sieg ein festes Bündnis mit der Generalität und den Freikorps ein, um den klassenkämpferisch-revolutionären Proletariat blutige Niederlagen zu bereiten. Dadurch bereitete die konterrevolutionäre Sozialdemokratie den Faschismus in Deutschland vor, vor dem dann die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung kampflos kapitulierte…

Die Hauptlehren, die proletarische RevolutionärInnen aus der Novemberrevolution von 1918 ziehen können, lauten: Erstens: Nur das klassenkämpferische Proletariat hat die Potenz imperialistische Kriege zu beenden. Zweitens wird aber die kapitalistische Konterrevolution neue Kriege vorbereiten, wenn nicht auch das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat den bürgerlichen Frieden innerhalb des Kapitalismus beendet. Der globale proletarische Klassenkrieg muss die klassen- und staatenlose Weltgemeinschaft gebären, um das kapitalistische Abschlachten von Menschen zu beenden.

Proletarische RevolutionärInnen nehmen bewusst am Kampf ihrer Klasse teil, um diesen über seine den Kapitalismus reproduzierenden Grenzen hinaus zu radikalisieren. Intellektuelle RevolutionärInnen unterstützen sie dabei. RevolutionärInnen geben also praktisch-geistige Impulse zur Radikalisierung des proletarischen Klassenkampfes. Dabei aber immer wissend, dass der Hauptimpuls zur Radikalisierung des proletarischen Seins und Bewusstseins immer ihr eigener kollektiver Kampf ist.

Das auf und ab des proletarischen Klassenkampfes ist in vorrevolutionären Zeiten stark durch die kapitalistische Krisendynamik, von Spontaneität und Instinkt der Lohnabhängigen sowie durch das Agieren der bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate geprägt.

Der kapitalistische Aufschwung schafft mit seiner relativ geringen Arbeitslosigkeit oder gar Vollbeschäftigung bessere Bedingungen für den reproduktiven Klassenkampf innerhalb des Kapitalismus. In der sich verschärfenden kapitalistischen Krise – die oft mit einer Zunahme und Zuspitzung der zwischenstaatlichen Konkurrenz verbunden ist –, verschlechtern sich die Kampfbedingungen der Lohnabhängigen, die Bourgeoisie geht im Klassenkampf von oben in die Offensive. Das klassenkämpferische Proletariat reagiert entweder auf diesen steigenden Druck durch eine Forcierung seiner Aktivität oder eben nicht. In der gegenwärtigen kapitalistischen Krisendynamik verschärfte sich der Klassenkampf der Lohnabhängigen besonders in Großbritannien und in den USA.

Die große Bedeutung von Spontaneität und Instinkt im Klassenkampf ergibt sich daraus, dass im Kapitalismus die sozialen Prozesse stärker die Menschen lenken, als das es andersherum ist. Das gesellschaftliche Gesamtkapital der einzelnen Staaten, das Nationalkapital, verlangt von jeder nationalen Bourgeoisie gebieterisch: Vermehre mich, komme was wolle, sonst wird die Nation untergebuttert im globalen Konkurrenzkampf. Die krisenhafte Kapitalvermehrung und die unerbittliche globale Konkurrenz in der Weltwirtschaft und in der Außenpolitik beherrscht die Bourgeoisie, aber sie bekommt diese Prozesse kaum unter Kontrolle.

Das Proletariat bekommt die wachsende kapitalistische Krisendynamik und die sich verschärfende zwischenstaatliche Konkurrenz zu spüren, beginnt sich zu wehren, oft instinktiv und spontan. Der proletarische Klasseninstinkt ist das Vorbewusste, das Bauchgefühl, was die Lohnabhängigen oft kollektiv zum Handeln drängt, noch bevor die möglichen Konsequenzen dieses Handelns klar durchdacht werden. Spontanes Handeln heißt, heute Dinge zu tun, die gestern kaum denkbar waren.

Spontaneität und Klasseninstinkt spielen im Klassenkampf eine große Rolle, dürfen aber nicht von RevolutionärInnen idealisiert werden. Spontan und instinktiv kann das Proletariat wild für höhere Löhne streiken, aber nicht Trägerin einer möglichen sozialen Revolution sein. Je bewusster und organisierter das Proletariat ist, umso besser ist es. Organisation und Bewusstsein der kämpfenden Lohnabhängigen dürfen aber nicht mit den bürgerlich-bürokratischen Gewerkschafts- und Parteiapparaten der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung gleichgesetzt werden. Die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats auch gegen die Partei- und Gewerkschaftsbonzen muss klarer und bewusster werden! Dafür müssen proletarische RevolutionärInnen praktisch-geistige Impulse geben!

Massenstreiks gegen die imperialistischen Massaker können nur auf der kollektiven Selbstorganisation der Lohnabhängigen beruhen. Gegen das gegenseitige Abschlachten, welches Russland und die NATO arbeitsteilig-konkurrenzförmig in der Ukraine organisieren, ist zum Beispiel ein unbefristeter, branchenübergreifender Massenstreik in Russland, Belarus, der Ukraine sowie in allen NATO und EU-Staaten notwendig, um es progressiv zu beenden.

Dass ein solcher Massenstreik bisher noch nicht materielle Gewalt geworden ist, hat wesentlich drei Ursachen: Erstens werden die Arbeit und das Leben der Lohnabhängigen in Russland und in den Ländern des kollektiven Westens noch nicht so extrem von diesem Krieg beeinträchtigt, wie es in den beiden Weltkriegen der Fall war. Zweitens lassen sich noch viel zu viel ProletarierInnen von der nationalistischen Praxis und Ideologie das Hirn vernebeln. Drittens organisieren die großen Gewerkschaften keinen Klassenkampf gegen den Krieg, ja ihre Apparate unterstützen oft das imperialistische Gemetzel und den Wirtschaftskrieg. Kleinere Gewerkschaften, die ein wenig gegen den Krieg mobilisieren, sind zu schwach, um einen branchenübergreifenden Massenstreik zu organisieren. Deshalb werden sich bei der weiteren Zuspitzung der zwischenstaatlichen Konkurrenz möglicherweise herausbildende Massenstreiks gegen imperialistische Kriege wild sein und auf der kollektiven Selbstorganisation des Proletariats beruhen.

Mögliche Massenstreiks gegen den Krieg werden starke revolutionäre Tendenzen und Potenzen haben. Wenn der Klassenkampf seine reproduktiven Grenzen sprengt und sich zur sozialen Revolution radikalisiert – dann ist die revolutionäre Klassenkampforganisation des Proletariats möglich und notwendig. Wir wissen heute noch nicht, wie die revolutionäre Klassenkampforganisation konkret aussehen wird. Wir wissen lediglich, dass politische Parteien und Gewerkschaften nicht revolutionär sein können. Sie stellen bürgerlich-bürokratische Apparate dar, deren Haupttendenz es ist, sich in den Kapitalismus zu integrieren. Auch müssen sie ganz anders sein als die ArbeiterInnenräte der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1921). Diese waren von sozialdemokratischen und bolschewistischen BerufspolitikerInnen („Sowjet“-Russland) deformiert und wurden schließlich von der Konterrevolution liquidiert. Auch wird die konkrete Ausgangslage in einer zukünftigen revolutionären Situation eine ganz andere sein als damals.

Die mögliche revolutionäre Klassenkampforganisation des Proletariats wird wahrscheinlich sowohl in der informellen Aktion der ProletarierInnen als auch in offiziellen Organen zum Ausdruck kommen. Überall müssen Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation gebildet werden: An den Arbeitsplätzen (Privatwirtschaft und im Staatssektor) und in den Wohngebieten. Diese dürfen keine Herrschaft über das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat anstreben, sondern müssen sich zu dessen geschmeidigen Werkzeug zur Zerschlagung des Kapitalismus entwickeln. In den Organen der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats darf kein Platz sein für hauptamtliche GewerkschaftsfunktionärInnen und BerufspolitikerInnen, da diese nur den Kapitalismus reproduzieren können. Nur wenn die revolutionäre Klassenkampforganisation mit den Organisationsprinzipien einer klassen- und staatenlosen Gemeinschaft schwanger geht, kann sie die letztere durch die Zerstörung des Kapitalismus gebären.

Die revolutionäre Klassenkampforganisation muss sich zu einem immer klareren und bewussteren Subjekt der sozialen Revolution entwickeln. Auch mit Hilfe von den revolutionären Kleingruppen aus der vorrevolutionären Zeit, die in der revolutionären Klassenkampforganisation aufgehen müssen. Entweder zerschlägt die revolutionäre Klassenkampforganisation den Kapitalismus oder sie wird von der Konterrevolution zerstört.

Indem das Proletariat antipolitisch den Staat zerschlägt, die Produktionsmittel in gesamtgesellschaftliche Verfügungsgewalt überführt und die Warenproduktion überwindet, hebt es sich selbst revolutionär auf und gebärt die klassen- und staatenlose Gemeinschaft. Da das Proletariat in einem Land, einer Ländergruppe, eines Kontinents unmöglich warten kann, bis ihre Klassengeschwister global dazu in der Lage sind, kann die Weltrevolution nur eine permanente Kette der Staatszerschlagung sein. In der Weltrevolution werden also noch existierende kapitalistische Staaten und bereits sich entwickelnde klassen- und staatenlose Gemeinschaften gegeneinander bestehen. Zwischen diesen kann und darf es aber keine friedliche Koexistenz geben, keinen Handel – auch keinen Naturaltausch.

Die kapitalistischen Staaten werden, wenn sie dazu noch in der Lage sind, versuchen die klassen- und staatenlosen Gemeinschaften militärisch von außen zu zerschlagen. Dagegen müssen sich die klassen- und staatenlosen Gemeinschaften kollektiv verteidigen, ohne besondere militärische Apparate herauszubilden – diese wären der reproduzierte Staat. Die sich herausentwickelnden klassen- und staatenlosen Gemeinschaften müssen während der möglichen Weltrevolution ein festes Bündnis mit dem klassenkämpferisch-revolutionären Proletariat der kapitalistischen Staaten eingehen. Die Weltrevolution ist erst zu Ende, wenn der letzte Staat antipolitisch-sozialrevolutionär zerschlagen ist. Dies wird die endgültige Geburt der klassen- und staatenlosen Weltgemeinschaft sein.

Wenn wir bedenken, dass die kapitalistische Sozialreaktion die zerstörerische Potenz hat, alles menschliche Leben auszulöschen, dann wissen wir, dass diese kein Spaziergang sein kann. Doch das Risiko eines atomaren Overkills besteht auch ohne globale soziale Revolution. Und dieses Risiko kann auch nur weltrevolutionär überwunden werden. Vielleicht ist auch eine siegreiche Weltrevolution im Atomwaffenzeitalter möglich, so ähnlich wie die Atomwaffenmächte ja auch bis jetzt ihre imperialistische Konkurrenz ohne Selbstmord austragen.

Wir wissen nicht, ob sich eine globale soziale Revolution entwickeln oder ob diese siegreich sein wird. Aber selbst, wenn dies nicht der Fall sein sollte, ist der kompromisslose Kampf gegen Kapital, Staat und Nation im hier und jetzt das einzig Richtige!

Unser Minimalkonsens für eine revolutionäre Antikriegsposition

Das Vertreten von revolutionären Antikriegspositionen ist für die Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST) ein wichtiger praktisch-geistiger Impuls zur Radikalisierung des proletarischen Klassenkampfes und -bewusstseins. Wir halten es für richtig, möglich und notwendig, im Kampf gegen das permanente kapitalistische Abschlachten ein Bündnis mit anderen revolutionären Kräften (zum Beispiel: Links- und RätekommunistInnen sowie revolutionäre AnarchistInnen) einzugehen.

Nach Meinung der AST ist dafür ein Minimalkonsens einer revolutionären Antikriegsposition notwendig, die sowohl ein Absinken in den Sumpf des Sozialreformismus, der grundsätzlich nur den Kapitalismus und damit auch die Quelle der zwischenstaatlichen Konkurrenz reproduzieren kann, verhindert als auch gegen das SektiererInnentum schützt.

Der von uns unten formulierte Minimalkonsens einer revolutionären Antikriegsposition ist nach unserer Meinung das praktisch-geistige Fundament für das gemeinsame Agieren von RevolutionärInnen in der Frage des Kampfes gegen den kapitalistischen Krieg. Diese Gemeinsamkeit kann in internationalen Treffen, das gemeinsame Agieren auf reformistisch-pazifistischen „Friedensdemonstrationen“ und in öffentlichen Diskussionsveranstaltungen zum Ausdruck kommen. Wichtig ist dabei auch, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen revolutionären Kräften nicht verschwiegen oder unter den Teppich gekehrt werden. Also, dass die unterschiedlichen Subjekte in den verschiedenen praktischen revolutionären Antikriegsbündnissen ihre praktisch-geistige Eigenständigkeit bewahren können.

Unser Minimalkonsens für eine revolutionäre Antikriegsposition:

1. Der bürgerliche Frieden innerhalb des Kapitalismus ist keine Alternative zum imperialistischen Krieg, sondern dessen Quelle.

2. Nationale „Befreiung“ und „Selbstbestimmung“ sind Futter der zwischenstaatlichen Konkurrenz. Nationale „Befreiung“ führt nur zur Neugründung kapitalistischer Staaten beziehungsweise nationaler „Autonomie“ in bestehenden (zum Beispiel: kurdischer Nationalismus in Syrien und im Irak) und ist Spielzeug der Imperialismen. Im permanenten Konkurrenzkampf der Nationen unterstützen RevolutionärInnen keine Seite, sondern bekämpfen alle Seiten. Langfristig muss das Weltproletariat alle Nationen als Scheingemeinschaften aus Kapital und Lohnarbeit revolutionär zerschlagen und die klassen- und staatenlose Weltgemeinschaft gebären.

3. Gegen den prokapitalistischen und proimperialistischen Antifaschismus. SozialrevolutionärInnen bekämpfen die Demokratie kompromisslos – so wie alle anderen Staatsformen. Sie kämpfen gegen FaschistInnen, Nazis sowie Militärputsche und -diktaturen, aber verteidigen niemals die Demokratie. So wie der Antifaschismus im Zweiten Weltkrieg und im spanischen BürgerInnenkrieg demokratische Regimes gegen faschistische Staaten und Militärputsche unterstützte und damit das große kapitalistische Massaker am Weltproletariat mit organisierte, ist er auch heute in den verschiedenen Gemetzeln Teil der Rechtfertigungsideologien.

4. Nur das klassenkämpferisch-revolutionäre Proletariat hat die Potenz die imperialistischen Kriege progressiv durch die Zertrümmerung des Kapitalismus zu beenden.

Innerhalb dieses Minimalkonsenses sind wir zu Bündnissen mit anderen revolutionären Kräften bereit und solidarisch mit ihren Aktivitäten gegen den permanenten kapitalistischen Weltkrieg.

Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST)

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