geschlechtsidentität – Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz https://astendenz.blackblogs.org Es lebe die Möglichkeit der klassen- und staatenlosen Weltgemeinschaft! Wed, 25 Dec 2024 23:30:15 +0000 de-CH hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 4. Der Anarchismus zwischen Individualismus, Liberalismus und Kommunismus https://astendenz.blackblogs.org/2024/10/01/4-der-anarchismus-zwischen-individualismus-liberalismus-und-kommunismus/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/10/01/4-der-anarchismus-zwischen-individualismus-liberalismus-und-kommunismus/#respond Tue, 01 Oct 2024 22:38:45 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=260 Wir heutigen SozialrevolutionärInnen stützen uns bei der Kritik an Marx und Engels als PolitikerInnen der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung auch kritisch auf Bakunin. Aber wenn wir Bakunin in der Auseinandersetzung mit Marx zustimmend zitieren, ist das nicht als Parteinahme für den Anarchismus misszuverstehen. In Deutschland, so schrieb Bakunin in Staatlichkeit und Anarchie, „unterwerfen sich die deutschen Arbeiter blind ihren Führern, während die Führer, die Organisateure der sozialdemokratischen deutschen Partei, sie weder zur Freiheit noch zur internationalen Brüderschaft führen, sondern unter das Joch des pangermanistischen Staates.“ (Zitiert nach: Rudolf Bahro, Die Alternative. Zur Kritik des real existierenden Sozialismus, Verlag Tribüne Berlin, 1990, S. 47/48.)

Rudolf Bahro war früher mal oppositioneller Marxist gegen die SED-Parteidiktatur. Später vertrat dieser Mann sehr krude ökoidealistische Positionen, die auch ökofaschistische Bestandteile enthielten. Doch sein halbmaterialistisches Buch Die Alternative ist ein interessantes Werk. So schrieb Bahro zu Bakunins Kritik an der Sozialdemokratie: „Was Engels 1895 nicht ahnte, das stellte sich Bakunin 1873 fast leibhaftig vor, den ,Aufbruch‘ der deutschen Sozialdemokratie im Jahre 1914.“ (Rudolf Bahro, Die Alternative, a.a.O.,S. 48.)

Doch Bakunin sagte nicht nur die zukünftige Rolle der SPD als Instrument des deutschen Imperialismus voraus. Bahro schrieb: „Und so können wir heute mit ungläubigem Erstaunen in Marxens eigenem Exzerpt nachlesen, was Bakunin auf dem Grunde der marxistischen Theorie und Praxis gesehen haben wollte (MEW 18/603, 625, 628, 635 ff.). Bakunin hatte dort gesehen ,einen Despotismus der regierenden Minderheit, um so viel gefährlicher, als sie erscheint als Ausdruck des so genannten Volkswillens‘. ,Aber diese Minderheit, sagen die Marxisten‘, (Marx fragt dazwischen: Wo?), ,wird aus Arbeitern bestehen. Ja, mit Erlaubnis, aus gewesenen Arbeitern, aber die, sobald sie nur Repräsentanten oder Regierer des Volkes geworden sind, aufhören Arbeiter zu sein und sehn werden auf die ganze allgemeine Arbeiterwelt von der Höhe der Staatlichkeit; sie werden nicht mehr das Volk vertreten, sondern sich und ihre Ansprüche auf die Volksregierung‘. Diese ,intelligente und deswegen privilegierte Minderheit‘ werde regieren, ,wie wenn sie die wirklichen Interessen des Volkes besser begriffe als das Volk selbst‘. Man werde den Begriff ,wissenschaftlicher Sozialismus‘ zur Begründung solcher Ansprüche missbrauchen. Der so genannte Volksstaat Wilhelm Liebknechts, den er Marx zuschrieb, werde nichts anderes sein, ,als die sehr despotische Lenkung der Volksmassen durch (eine) neue und sehr wenig zahlreiche Aristokratie wirklicher oder angeblicher Gelehrten. Das Volk ist nicht wissenschaftlich, das bedeutet, es wird ganz und gar befreit werden von der Sorge um die Regierung, es wird ganz und gar eingeschlossen werden im regierten Stall‘. ,Da die Wissenschaft nicht allen zugänglich ist, werden die Wenigen alles leiten‘, so ,dass am andern Tag der Revolution (eine) neue gesellschaftliche Organisation gegründet werden muss nicht durch freie Vereinigung volkstümlicher Organisationen, Gemeinden, Amtsbezirke, Gebiete von unten nach oben…, sondern durch die diktatorische Gewalt jener gelehrten Minorität‘. (…)

Marx brach angesichts der Bakuninschen ,Regierung der Gelehrten‘ in den Ruf aus: ,quelle reverie!‘ – ,welche Phantasterei!‘ Er tat das, obwohl Bakunin gerade in diesem Punkt noch etwas konkreter phantasierte: Sie, die Marxisten, gründen, nachdem das Volk alle Macht in ihre Hände gegeben hat, ,eine einzige Staatsbank, konzentrierend in ihren Händen alle kommerziell-industrielle, ländliche und selbst wissenschaftliche Produktion, und sie teilen die Masse des Volkes in zwei Armeen: industrielle und agrikole unter dem unmittelbaren Kommando von Staatsingenieuren, die einen neuen privilegierten wissenschaftlich-politischen Stand bilden‘. Dieser letzte Ausdruck ist von frappierender Genauigkeit. Man musste wahrscheinlich Anarchist und Russe sein, um hinter der Autorität Marxens und seiner Lehre im Jahre 1873 den Schatten Stalins zu gewahren. Marx sah den Schatten nicht, konnte und wollte ihn nicht sehen.“ (Rudolf Bahro, Die Alternative, a.a.O.,S. 46-48.) Bakunin gebührt das Verdienst, den sozialreaktionären Charakter der marxistischen Parteipolitik klar benannt und hellsichtig vorausgesehen zu haben.

Allerdings waren Bakunins Vorstellungen von Geheimgesellschaften, in denen sich die SozialrevolutionärInnen organisieren sollten, ebenfalls sehr autoritär geprägt. Nach diesen Vorstellungen war zum Beispiel die militante Organisation des spanischen Anarchosyndikalismus FAI geformt. Diese sah sich gegenüber der anarchosyndikalistischen CNT als Eliteorganisation, welche über die ideologische Reinheit der Bewegung wachte. Der Anarchosyndikalismus hatte starke antipolitische und antiparlamentarische Tendenzen, also das woran es dem Marxismus mangelte. Und er verkörperte in seinen besten Zeiten – also vor dem Ersten Weltkrieg – auch wesentlich radikalere Formen des reproduktiven Klassenkampfes als die christlichen oder sozialdemokratischen Gewerkschaften. Aber der Anarchosyndikalismus verkörperte eben doch eine Ideologie und Praxis der globalen Gewerkschaftsbewegung. Gewerkschaften sind jedoch generell keine revolutionären Organisationen, sie sind der bürokratisch entfremdete Ausdruck des reproduktiven Klassenkampfes. Auch der Anarchosyndikalismus wurde zu einer Strömung des globalen Gewerkschaftsreformismus (siehe 1. Teil, Kapitel II.5).

Diese sozialreaktionäre Entwicklung des Anarchosyndikalismus wurde übrigens vom deutschen Anarchisten Gustav Landauer noch vor dem Ersten Weltkrieg vorausgesagt: „Das Buhlen um die Massen hat die französischen revolutionären Syndikalisten im Laufe der Jahre genauso heruntergebracht wie die Parlamentssozialisten.“ (Zitiert nach Hans Manfred Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918-1923, a.a.O., S. 18.) In der Tat wurde der französische Syndikalismus, verkörpert in der CGT, nach 1914 offen sozialreformistisch.

Allerdings war Landauer und der von ihm im Jahre 1909 gegründete Sozialistische Bund nicht in der Lage eine sozialrevolutionäre Alternative zu Parteimarxismus und Anarchosyndikalismus zu formulieren, wie auch in der Darstellung von Hans Manfred Bock deutlich wird: „Der Sozialismus soll nicht – wie Landauer es der ,verflachten‘ Sozialdemokratie vorwirft – in fatalistischer Weise erwartet, sondern er muss sofort begonnen werden. ,Nicht warten! Heißt unsere Losung. Keine Trennung mehr zwischen Zuständen der Gegenwart, Übergangsgärung und wunderbarer Zukunft.‘ (Sozialist, 1. Jg. [1909], Nr. 2.) Da die Verwirklichung des sozialistischen Ziels einer neuen Lebensform im großen Maßstabe des Proletariats als Klasse hier und jetzt nicht möglich zu sein scheint, gilt die Parole: ,Durch Absonderung zur Gemeinschaft!‘ (Sozialist, 1 Jg. [1909], Nr. 10.) In der Vereinigung weniger Gleichgesinnter ist die neue und bessere Form der Verbindung zwischen den Menschen realisierbar. Das kann die Form von Siedlungszellen annehmen (Artikel 9 des Sozialistischen Bundes); in ihnen geben die Pioniere des Sozialismus ,ein Vorbild der Gerechtigkeit und der freudigen Arbeit‘ (Artikel 11 des Sozialistischen Bundes). Die Siedlungsunternehmen sind für Landauer lediglich exemplarische Verwirklichungen des Sozialismus, ,nicht Mittel zur Erreichung des Zieles‘. In ihnen kann man zwar ,aus dem Kapitalismus austreten‘, nicht aber ihn abschaffen; dass ist erst durch die allmähliche Bekehrung der Menschen zum Sozialismus möglich. Sozialismus ist für Landauer immer im Werden begriffen; ,aller Sozialismus ist stets nur ein relativer Sozialismus und jede Generation hat ihre eigene Aufgabe im unendlichen Prozess der Verwirklichung einer freien Ordnung sozialer Gerechtigkeit‘. (Helmut Rüdiger, Ein freiheitlicher Sozialist, in: Gustav Landauer. Worte der Würdigung, Darmstadt o.J. (1950), S. 17.) In diesem Sinne ist der Kernsatz von Landauers politischer Theorie zu verstehen, dass nämlich Sozialismus ,zu jeder Zeit und bei jedem Stand der Technik möglich (sei), wenn eine genügende Anzahl Menschen ihn wollen, die vom Geiste der Gerechtigkeit erfüllt sind‘. (Zitiert nach Helmut Rüdiger, Ein freiheitlicher Sozialist, a.a.O., S. 16.) Diese extrem voluntaristische, sämtliche objektiven Bedingungen gesellschaftlicher Transformation eliminierende Definition, die (…) geschichtlich als Reaktion auf die ,kautskyanische‘ Ausformung des Marxismus zu verstehen ist, wurde zum unermüdlich wiederholten Grundsatz der FAUD-Propaganda (Anmerkung von Nelke: die FAUD war die anarchosyndikalistische Gewerkschaft in der Weimarer Republik nach dem Ersten Weltkrieg).“ (Hans Manfred Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918-1923, a.a.O., S. 18/19.)

Wir sehen hier deutlich die theoretischen Schwachstellen von Landauers anarchistischer Ideologie-Produktion. Zunächst ist hier sein extremer Subjektivismus, der von allen objektiven Voraussetzungen der sozialen Befreiung abstrahiert. Dann war da die Ideologisierung der kleinbürgerlichen Siedlungsunternehmen. Durch Absonderung entstehen nur Nischen für alternative KleinbürgerInnen innerhalb des Kapitalismus. Aber mit richtigem Instinkt hatte Landauer die Schwachstelle des sozialdemokratischen Parteimarxismus herausgefunden: das fatalistische Warten auf den „Sozialismus“, so lange nämlich bis die Produktivkräfte reif für ihn waren. Und so lange betrieb die SPD kleinbürgerlichen Sozialreformismus – bis die Revolution kam und sich die Sozialdemokratie als konterrevolutionär erwies. Das ist die Erfahrung mit der Sozialdemokratie und dem Anarchosyndikalismus, die uns verallgemeinern lässt: Die strukturellen ReformistInnen von heute werden die KonterrevolutionärInnen von morgen sein!

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Der promarktwirtschaftliche Anarchokapitalismus und Individualanarchismus bringt den Individualismus der bürgerlichen Marktsubjekte ideologisch zum Ausdruck. Auch ProletarierInnen sind als VermieterInnen ihrer Arbeitskraft auf den Arbeitsmärkten und als KundInnen der Konsumgütermärkte kleinbürgerliche Marktsubjekte und Konkurrenzindividuen. Das klassenkämpferische Proletariat überwindet ansatzweise als kollektive Solidargemeinschaft den Konkurrenzindividualismus. Ganz überwunden kann er nur möglicherweise durch die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats.

Demgegenüber schwankte der kommunistische Anarchismus des Intellektuellen Erich Mühsam hilflos zwischen kleinbürgerlichen Individualismus und dem kollektiven Klassenkampf des Proletariats. Erich Mühsam distanzierte sich vom individualistischen Anarchismus, der jede gesellschaftliche Organisation ablehnt. So schrieb Mühsam: „Entschiedene Abgrenzung aber ist geboten gegenüber den nur individualistischen Anarchisten, die in der egoistischen Steigerung und Durchsetzung der Persönlichkeit allein das Mittel zur Verneinung des Staates und der Autorität erblicken und selbst den Sozialismus wie jede allgemeine Gesellschaftsorganisation schon als Unterdrückung des auf sich selbst ruhenden Ich zurückweisen. Sie schließen die Augen vor der naturgegebenen Tatsache, dass der Mensch ein gesellschaftlich lebendes Wesen ist und die Menschheit eine Gattung, in der jedes Individuum auf die Gesamtheit, die Gesamtheit auf jedes Individuum angewiesen ist. Wir bestreiten die Möglichkeit und auch die Wünschbarkeit des vom Ganzen losgelösten Individuums, dessen vermeintliche Freiheit nichts anderes sein könnte als Vereinsamung, mit der Folge des Untergangs im sozial luftleeren Raum. Wir behaupten: niemand kann frei sein, solange es nicht alle sind. Die Freiheit aller aber und damit die Freiheit eines jeden setzt voraus die Gemeinschaft im Sozialismus.“ (Erich Mühsam, Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Was ist kommunistischer Anarchismus?, Verlag Klaus Suhl, Berlin, S. 10.)

So weit so gut. Aber auch der kommunistische Anarchismus Erich Mühsams ist nicht frei von kleinbürgerlichen Individualismus. So verherrlichte Mühsam den bürgerlichen Individualismus der am kleinen Privateigentum klebenden BäuerInnen in einer solchen Art und Weise, die auf sozialrevolutionäre ArbeiterInnen nur höchst befremdlich wirken kann. Mühsam brachte den kleinbürgerlichen Anteil seiner Theorie so auf den Punkt: „Der Bauer, soweit er nicht schon als Ausgebeuteter, dem Großgrundbesitz und der Staatskasse Verschuldeter oder auch selbst zum kapitalistischen Ausbeuter Erniedrigter dem bäuerlichen Naturgefühl entfremdet ist, hat Heimatliebe, weil er wirklich Heimat hat. Ein bestimmtes Stück Land umfängt ihn, ernährt ihn, ist ihm in Sorge und Freude vertraut; seine Arbeit verschmilzt mit seinem ganzen persönlichen Leben, seine Scholle ist sein Nest, die Natur, ganz gebunden an die Landschaft, ist sein Besitzgut, und von ihr hängt das Gedeihen oder das Misslingen seines Daseins ab. Der Bauer fühlt sich nicht als Eigentümer des Bodens, sondern als Besitzer; er sitzt darauf mit denen, die viel weniger seine machtunterworfene Familie als seine in gegenseitiger Verpflichtung verbundenen Helfer sind. Wohl hat das Priestertum auch in der Bauernschaft den Geist der Autorität hochzüchten können, so dass bei der Beharrlichkeit des bäuerlichen Denkens die Grundsätze des ehelichen Gebundenheit und der Vaterhoheit, zumal in einer geschickt gefädelten Verquickung mit den Regelungen des Familien- und Erbrechts die Welterneuerung auch auf dem Lande noch genügend Vorurteile der Macht zu überwinden haben wird. Dennoch hat hier der kommunistische Anarchismus nicht das unzugänglichste, sondern das dankbarste Feld seiner Zukunft zu erkennen.“ (Ebenda, S. 62.)

Ab einer bestimmten Stufe wird der Idealismus lächerlich. Mühsam hat in dieser Frage die Grenze weit überschritten. Was für eine grobe Idealisierung der „Idiotie des Landlebens“ (Karl Marx), die Jahrhundertelang aus Analphabetismus, religiöser Beschränktheit und schwerer körperlicher Arbeit bestand! Was für eine grobe Idealisierung der patriarchalen bäuerlichen Familie! Welche Blindheit gegenüber dem kleinbäuerlichen Privateigentum, das Mühsam so pathetisch verherrlicht! Kleines Privateigentum strebt im Allgemeinen dahin ein mittleres/großes zu werden. Und mittleres/großes Privateigentum ist undenkbar ohne Lohnarbeit. Eine Gesellschaft, die auf der Ausbeutung von Lohnarbeit beruht, kann nicht ohne Staat auskommen. Indem Mühsam sich geistig nicht über die kleinbürgerliche Warenproduktion erhebt, kann er sich auch geistig nicht vom Staat befreien.

Es ist kein Zufall, dass der Anarchist Mühsam die KleinbäuerInnen verherrlicht. Historisch gesehen ist der Anarchismus der radikalere Bruder des Liberalismus. Er ist die Ideologie der militanten KleinbürgerInnen, die ihr Privateigentum gegen die bedrohliche Konkurrenz, gegen das Großkapital verteidigen. Selbst der Anarchismus Erich Mühsams, der sich auch positiv auf den kollektiven proletarischen Klassenkampf bezog, konnte sich nicht ganz von diesem kleinbürgerlichen Ursprung abnabeln. Für uns ist das kleinbäuerliche Eigentum nichts, was sich lohnt zu verteidigen. Ganz im Gegenteil, für uns sind KleinbäuerInnen vor allen Dingen eine konservative soziale Schicht. Für Mühsam sah die Sache anders aus: „Jeder Bauer ist, ohne es zu wissen, Anarchist…“ (Ebenda, S. 63.) Hier wird kleinbürgerlicher Individualismus zum Grundbestandteil des Anarchismus erklärt und damit unsere materialistische Kritik bestätigt.

Während der Russischen Revolution vereinigte sich der Anarchismus in der Ukraine mit der Agrarbewegung der KleinbäuerInnen und LandproletarierInnen in Form der Machno-Bewegung (1918-1921). Diese Bewegung bestand vor allem aus einer Guerilla-Armee mit bäuerlich-landproletarischer Basis. Ihre führende Figur war Nestor Machno, ein anarchistischer Multifunktionär, um den auch ein Personenkult betrieben wurde. Die Machno-Bewegung kämpfte gegen den österreichisch-deutschen Imperialismus und gegen die einheimische monarchistische, demokratische und bolschewistisch-staatskapitalistische Reaktion. Mit der letzteren bildete sie teilweise Zweckbündnisse gegen die feudal-privatkapitalistische Konterrevolution – aber schließlich zerschlug das staatskapitalistische Lenin/Trotzki-Regime die Machno-Bewegung ultrabrutal und repressiv. Auch wenn sich heutige SozialrevolutionärInnen positiv auf den Kampf der Machno-Bewegung gegen alle seine Feinde beziehen können, so ist doch auch Kritik an ihren avantgardistischen und kleinbürgerlichen Tendenzen angebracht. Machno war ein anarchistischer Multifunktionär und unangefochtener Führer der ganzen Bewegung. Innerhalb vieler Variationen der anarchistischen Geschichtsbetrachtung wird diese bedenkliche Tendenz der herausragenden Bedeutung eines einzelnen Individuums kaum kritisch beleuchtet. So können wir die Machno-Bewegung kaum als eine sozialrevolutionäre Bewegung betrachten, die in ihrer eigenen Organisationsform die Politik aufgehoben hätte. Personenkult reproduziert politische Herrschaft und dass es einen Personenkult um Machno in dieser anarchistischen Bewegung gegeben hat, ist wohl kaum zu leugnen. Auch ist eine bäuerliche Guerilla-Armee – das trifft auch auf die marxistisch-leninistischen zu – mit ihrer militärischen Disziplin und getrennt vom industrieproletarischen Klassenkampf objektiv ein quasistaatlicher Apparat.

Als kleinbäuerlich-landproletarische Bewegung konnte die Machno-Bewegung aus sich heraus auch nicht aktiv gegen die Warenproduktion kämpfen, wie überhaupt die objektiven und subjektiven Bedingungen für eine revolutionäre Aufhebung der Warenproduktion in der damaligen Ukraine noch nicht gegeben waren. Die Bevölkerungsmehrheit, die ukrainischen BäuerInnen waren kleinbürgerliche PrivatproduzentInnen, die für sich selbst und für den Markt landwirtschaftliche Produkte herstellten. Das bäuerliche Kleineigentum bedeutete soziale Differenzierung. Auf der einen Seite KleinbäuerInnen, deren Land zu klein war, als dass es sie ernähren konnte. Das heißt, dass sie nebenher Lohnarbeit bei reicheren BäuerInnen leisten mussten, um zu überleben. Selbst wenn das Geld vorübergehend abgeschafft worden wäre, mensch also zum Naturaltausch zurückgegangen wäre, hätte die soziale Basis von Warenproduktion und Lohnarbeit, das bäuerliche Privateigentum noch bestanden. Und keine Kraft hätte damals die BäuerInnen massenhaft dazu bewegen können, freiwillig auf das Privateigentum an Boden zu verzichten. Und dieses kleinbäuerliche Eigentum hätte Ware, Geld, Kapital und Lohnarbeit reproduziert.

Die Machno-Bewegung war Teil der urwüchsigen Agrarbewegung innerhalb der Russischen Revolution. GutsbesitzerInnen wurden verjagt oder getötet, ihr Land aufgeteilt. Diese Bewegung half also dabei ganz viel bäuerliches Kleineigentum zu schaffen. Bäuerliches Kleineigentum kann aber keine Basis für eine klassen- und staatenlose Gesellschaft sein, da die kleinbürgerliche Produktionsweise schon embryonal die Lohnarbeit und damit auf der einen Seite Kapital und auf der anderen Proletariat erzeugt. Selbst wenn die Machno-Bewegung auch gegen den Bolschewismus militärisch gesiegt hätte, die soziale Differenzierung ihrer sozialen Basis hätte sie wahrscheinlich von innen zersetzt und zerstört. Auch wenn die ukrainischen BäuerInnen zu dieser Zeit vorwiegend für den unmittelbaren Bedarf produzierten und nur das landwirtschaftliche Mehrprodukt in den Austausch geriet, war doch das kleinbäuerliche Privateigentum die Basis für eine kleinbürgerliche Warenproduktion und damit auch die Grundlage für Kapital und Lohnarbeit in der Landwirtschaft.

Auch die Agrarkommunen, die am Rande der Machno-Bewegung von den ärmsten Schichten gegründet und später vom Bolschewismus zerschlagen wurden, hätten an dieser Entwicklung mit Sicherheit nichts ändern können, da sie nur Inseln im privatbäuerlichen Meer waren und Agrargenossenschaften unter solchen Bedingungen ökonomisch nichts anderes darstellen können als kleinbürgerlich-kollektive Formen der Warenproduktion. Für deren Überwindung waren in der damaligen Ukraine weder die objektiven noch die subjektiven Bedingungen herangereift.

Die Zerschlagung der Machno-Bewegung durch den „sowjet“-russischen Staatskapitalismus ist ein eindeutiger Beleg dafür. So lange das Proletariat noch nicht die objektive und subjektive Reife zu seiner sozialrevolutionären Selbstaufhebung besitzt, bestimmt der unerbittliche bürgerliche Konkurrenzkampf die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung. Der Große frisst ohne Erbarmen den Kleinen. Teil dieses gnadenlosen Konkurrenzkampfes ist die Unterwerfung des bäuerlichen Dorfes unter die kapitalistische Stadt. Die russische Bourgeoisie erwies sich in der russischen Revolution als zu schwach, um die Agrarrevolte zu unterdrücken und das Dorf der kapitalistischen Zivilisationsbarbarei zu unterwerfen. Deshalb wurde die Bourgeoisie von den Bolschewiki, welche sich auch sozialdemagogisch auf die russische BäuerInnenbewegung stützte, hinweggefegt. Doch die Bolschewiki waren trotz ihrer „kommunistischen“ Ideologie nur die staatskapitalistische Lösung der Krise des russischen Staates. So unterwarf sich der sowjetische Staatskapitalismus das bäuerliche Dorf. In der Ukraine auf imperialistische Weise durch den Einmarsch der Roten Armee und die brutale Zerschlagung der Machno-Bewegung.

Sowohl die progressiven als auch die kleinbürgerlichen Tendenzen der Machno-Bewegung kommen in dem Buch ihres aktiven Mitkämpfers und späteren Historikers, Peter A. Arschinoff, zum Ausdruck. Wobei die kleinbürgerlichen Tendenzen der Bewegung in Geschichte der Machno-Bewegung nur durch kritisches Lesen zum Ausdruck kommen. Obwohl Arschinoff selbst von industrieproletarischer Herkunft und ein militanter Klassenkämpfer war, verschmolz er so stark mit der kleinbäuerlich-landproletarischen Machno-Bewegung, dass er deren kleinbürgerliche Tendenzen kaum noch wahrnahm. Die avantgardistischen Tendenzen reproduzierte Arschinoff geradezu unkritisch. An vielen Stellen seines Buches über die Machnobewegung formuliert Arschinoff sehr avantgardistisch, so dass nicht die KleinbäuerInnen und LandprletarierInnen als handelnde Subjekte erscheinen, sondern als Objekte des Organisationstalentes von Machno. Er betrieb in seinem Buch auch einen manchmal nur schwer ertragbaren Personenkult um Machno.

Nach der sozialreaktionären Zerschlagung der Machno-Bewegung durch den Bolschewismus musste auch Arschinoff in das westeuropäische Exil gehen. Dort verschärften sich seine avantgardistischen Tendenzen, die von seinen anarchistischen Gegnern als „Anarchobolschewismus“ bezeichnet wurden. Nach und nach zersetzte sich seine sozialrevolutionäre Einstellung. Er wurde von Depressionen und Heimweh geplagt. In den 1930er Jahren schrieb er antianarchistische Schriften und ging in die staatskapitalistische Sowjetunion zurück. Dort wurde er während der Säuberungen 1937 hingerichtet.

Bei aller Kritik an den kleinbürgerlichen Tendenzen der Machno-Bewegung und seines Geschichtsschreibers, die antipolitischen und antidemokratischen Tendenzen des Anarchismus brachte Arschinoff sehr gut auf den Punkt: „Der Anarchismus seinerseits lehnte die Demokratie als eine der Formen der Staatlichkeit ab; er lehnte auch die politische Revolution als Mittel zu deren Begründung ab.“ (Peter A. Arschinoff, Geschichte der Machno-Bewegung, Unrast Verlag, Münster 1098, S. 40.)

Welch eine Klarheit und revolutionäre Konsequenz im Verhältnis zur Demokratie! Für viele heutige linke KleinbürgerInnen ist Anarchie „direkte Demokratie“! Diese sozialreaktionäre Tendenz lässt und ließ nicht wenige AnarchistInnen in der Ukraine und in Belarus als erbärmlicher Schwanz der Liberaldemokratie agieren. Ukrainische AnarchistInnen verklärten die sozialreaktionäre Bewegung auf dem Maidan, die von prowestlichen DemokratInnen und faschistischen UltranationalistInnen angeführt wurde, zur „Revolution“. Diese „Revolution“ mündete 2014 jedoch nur im Sturz des Janukowitsch-Regimes und der Errichtung einer prowestlichen Regierung. Bei der Reproduktion des Staates. Zum Teufel mit dem libertären Schwanz der Bourgeoisie und des westlichen Menschenrechts-Imperialismus, den einige „AnarchistInnen“ bilden! Nicht nur in der Ukraine, sondern auch n Belarus. Während wirkliche SozialrevolutionärInnen sowohl das Lukaschenko-Regime als auch die liberaldemokratische und prowestliche Opposition in diesem Land bekämpfen.

Nehmen wir uns an den progressiven Tendenzen von Arschinoff ein Beispiel. Kritisieren wir scharf den Parteimarxismus und die Demokratie – einschließlich ihres „anarchistischen“ Schwanzes –, aber verbinden wir sie mit der revolutionärsten Tendenz des Marxismus, der materialistisch-dialektischen Geschichtsbetrachtung, die keinen Raum lässt für eine idealistische Verklärung der kleinbäuerlich-landproletarischen Machno-Bewegung.

Da wo die AnarchistInnen gegen die materialistisch-dialektische Gesellschaftsanalyse – die selbstverständlich von marxistischen Dogmen gereinigt werden muss – anschreiben, wird es sehr idealistisch. So schrieb der anarchosyndikalistische Ideologe Rudolf Rocker: „Das geistige Leben des Menschen wird nie ausschließlich oder auch nur hauptsächlich durch seine Zugehörigkeit zu einer besonderen Klasse bestimmt… Was die meisten Menschen einer sozialen Bewegung näher bringt, sind nicht die unmittelbaren Ergebnisse des modernen Wirtschaftslebens, sondern ein beleidigtes Gerechtigkeitsgefühl, dass sich gegen diese Verhältnisse auflehnt.“ (Zitiert nach Red Devil, Zur Kritik der Arbeiterbewegung, des Marxismus und der Linken, Bibliothek des Widerstandes, Lübeck 2004, S. 53.)

Total falsch! Das Bewusstsein von Klassen wird hauptsächlich von ihrer Stellung in den Produktionsverhältnissen geprägt. Auch das Gerechtigkeitsgefühl. Dieses ist bei Bourgeoisie und ProletarierInnen völlig gegensätzlich. Die großen WirtschaftsmanagerInnen organisieren die Ausbeutung der LohnarbeiterInnen und kassieren dafür verdammt hohe Gehälter. Das müssen sie natürlich sozialpsychologisch ausblenden, um funktionieren zu können. Also sind sie in ihrer Ideologieproduktion, falsches Bewusstsein, wie es aber notwendig aus dem sozialen Sein hervorgeht, verantwortlich für den Erhalt der Arbeitsplätze (=Ausbeutungsplätze) der Lohnabhängigen. Und wenn sie Leute zur Profitmaximierung entlassen „müssen“, dann tun sie das selbstverständlich nur, um die restlichen Arbeitsplätze erhalten zu können. Natürlich kostet auch die Organisation des kapitalistischen Ausbeutungsprozesses viel Kraft und Nerven. Damit rechtfertigen die ManagerInnen ihre hohen Gehälter, die natürlich in ihren Augen „gerecht“ sind. Viele ProletarierInnen finden dies nun wiederum überhaupt nicht gerecht. Nicht wenige finden ihre Löhne ungerecht niedrig. Einige finden es deshalb sehr gerecht, wenn sie kleinere Produktionsmittel und Produkte aus dem kapitalistischen Betrieb in ihren eigenen Haushalt umverteilen. Ihr Gerechtigkeitsgefühl kollidiert mit dem geschriebenen und gefühlten Recht der Bourgeoisie, dass das kapitalistische Eigentum an Produktionsmittel sanktioniert und rechtfertigt. Die KapitalistInnen wiederum finden diese proletarische Umverteilung überhaupt nicht gerecht. Da geben sie dem Pack so tolle Arbeitsplätze – und werden zum Dank auch noch bestohlen.

Wir sehen an diesem kleinen Beispiel, wie sich das Gerechtigkeitsgefühl von Bourgeois und klassenkämpferischen ProletarierInnen aufgrund ihrer unterschiedlichen Stellung im Produktionsprozess grundlegend unterscheidet. Das ihre jeweilige Ethik eine Klassenethik ist. Und es ist absolut falsch, wenn Erich Mühsam behauptet: „Jede Erklärung, was Gerechtigkeit sei, erübrigt sich. Denn das Vermögen, zwischen Recht und Unrecht zu unterscheiden, ist eine dem Menschen von Natur innewohnende Gabe.“ (Zitiert nach Red Devil, Zur Kritik der Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 54.) Das Gerechtigkeitsempfinden ist als Teil der Ethik kein Produkt der Natur, sondern der sozialen Verhältnisse der Menschen. Was Gerechtigkeit und was Unrecht ist, wird von den untereinander konkurrierenden Marktsubjekten und gegeneinander kämpfenden Klassen völlig unterschiedlich empfunden.

Übrigens fand es der anarchosyndikalistische Ideologe Rudolf Rocker sehr „gerecht“, während des Zweiten Weltkrieges, der von allen Seiten ein imperialistisches Abschlachten war, für den Kriegseintritt der USA zu trommeln. Ob die Angehörigen der zivilen Opfer des US-Imperialismus im Zweiten Weltkrieg das auch so „gerecht“ fanden?! Die überaus reichliche Ausdünstung von Moral hinderte viele kleinbürgerliche AnarchistInnen nicht daran, die kapitalistische Zivilisationsbarbarei mit zu organisieren. Rudolf Rocker war ein kleinbürgerlicher Ethiker einer angeblich über den Klassen stehenden Moral. Und ein Mitproduzent eines antifaschistischen Moralismus, der durch die Unterstützung des US-Imperialismus im Zweiten Weltkrieg über Leichen ging. KleinbürgerInnen produzieren kleinbürgerliche Moral. Im Fall Rockers war die überaus reichliche Moralausdünstung mit der massenhaften Leichenproduktion des Kapitalismus kompatibel. Er stellte seine Ethik in den Dienst des US-Imperialismus. Später passte er sich dem demokratischen Antikommunismus an, der mit einer revolutionären Kritik des Leninismus nicht das Geringste zu tun hat.

Der Anarchismus ist keine revolutionäre Alternative zum Parteimarxismus. Das lässt sich wunderbar am Buch Leuchtfeuer in der Karibik. Eine libertäre Betrachtung der kubanischen Revolution von Sam Dolgoff aus dem Jahre 1983 erkennen. Das Buch enthält nützliche Informationen über das staatskapitalistische Castro-Regime, aber eine materialistische und revolutionäre Kritik an ihm stellt es nicht dar. Während es für die marxistische und nachmarxistisch-kommunistische Kritik an den „sozialistischen“ Staaten am zentralsten ist, deren kapitalistischen Charakter nachzuweisen, fällt das oben genannte Buch durch eine unglaublich seichte und abstrakte „Freiheits“-Rhetorik auf. Liberal und libertär klingt nicht nur ähnlich vom Begriff her, sie sind auch geistesverwandt. Der Anarchismus ist letztendlich lediglich der radikalere Zwillingsbruder des Liberalismus, seine kommunistischen Tendenzen waren und sind viel zu schwach und unreif.

So lesen wir in dem Buch schon in der Einleitung folgendes idealistisches Freiheitsgedöns über Kuba: „Kubas gegenwärtiger ,Sozialismus‘ unterscheidet sich von der humanistischen und libertären Werten eines wirklichen Sozialismus wie die Tyrannei von der Freiheit.“ (Sam Dolgoff, Leuchtfeuer in der Karibik. Eine libertäre Betrachtung der kubanischen Revolution, Libertad Verlag, Westberlin 1983, S. 9.) An dem Zitat wird der Idealismus des Anarchismus deutlich. Es wird nicht materialistisch der nationalkapitalistische Charakter des kubanischen „Sozialismus“ analysiert, sondern idealistisch die Nichtübereinstimmung der materiellen Verhältnisse auf Kuba mit irgendwelchen kleinbürgerlichen Idealen – die übrigens allesamt privatkapitalistisch-demokratischen Ursprungs sind – festgestellt und es werden leere Freiheitsphrasen gedroschen. Und der kapitalistische Charakter Kubas und anderer „sozialistischer Staaten“ wird nicht klar erkannt: „…durch nichts unterscheidet sich das kubanische Militär von den Armeen der kapitalistischen und sozialistischen Großmächte.“ (Ebenda, S. 45.) Hier wird ein falscher Gegensatz zwischen privatkapitalistischen und angeblichen „sozialistischen Großmächten“ aufgemacht.

Und was bietet das Buch für Alternativen? Die Verwaltung der Industrie durch die Gewerkschaften statt durch den Staat, also Gewerkschaftskapitalismus statt Staatskapitalismus. Freiwillige GenossInnenschaften statt staatsförmige Zwangskollektive in der Landwirtschaft, erstere sind aber auch nur kleinbürgerlich-kollektive Formen der Warenproduktion. Gewerkschaftskapitalismus und kleinbürgerlich-kollektive Warenproduktion im Rahmen des demokratischen Staates – genau dies organisierte bekanntlich der Anarchosyndikalismus als struktureller Linksnationalist im spanischen BürgerInnenkrieg (siehe das Kapitel II.4 im 1. Teil). Und genau dieses Beispiel wird auch in dem Buch über Kuba hochgehalten. Die abstrakte „Freiheit“, mit dem der Autor Sam Dolgoff hausieren geht, entpuppt sich also konkret als bürgerliche, die „libertäre Betrachtung“ als anarchistischer Schwanz des privatkapitalistisch-demokratischen Antikommunismus.

Selbst kommunistische AnarchistInnen waren zu einer wirklichen revolutionären Kritik an der Warenproduktion unfähig. Proletarische RevolutionärInnen bekämpfen die asoziale Ware-Geld-Beziehung als verdinglichte menschlich-gesellschaftliche Erscheinung und reagieren sich nicht am Ding Geld beziehungsweise an den Banken ab. Unser nachmarxistischer und nachanarchistischer Kommunismus hat den negativen Geldfetischismus, der teilweise auch vom kommunistischen Anarchismus betrieben wurde, überwunden. Kritisieren wir den negativen Geldfetischismus im kommunistischen Anarchismus. Unter anderem zeigte die erste Phase der Bayerischen „Räterepublik“ (vom 7. bis zum 13. April 1919), dass die kommunistischen Anarchisten Mühsam und Landauer noch starke praktische und ideologische Berührungspunkte zum reaktionären wirtschaftsliberalen Flügel des Anarchismus hatten. So war in der ersten „Räterepublik“ der wirtschaftsliberale Anarchist Silvio Gesell mit Unterstützung von Landauer Mitglied der „Räteregierung“.

Der wirtschaftsliberal-anarchistische Silvio Gesell hatte nichts gegen die kapitalistische Warenproduktion an sich, als negativer Geldfetischist reagierte er sich am zinstragenden Bankkapital ab. Als ArbeiterInnen galten ihm fast alle Klassen und Schichten der kapitalistischen Gesellschaft, von den KönigInnen bis zu den HilfsarbeiterInnen – nur die von Kapitalzinsen Lebenden galten ihm als SchmarotzerInnen. Das war die alte Gegenüberstellung des „produktiven“ Kapitals, das in der Industrie und im Handel angelegt war, gegen das „schmarotzende“ zinstragende Kapital. Diese Ideologie, die nicht nur von Gesell produziert wurde, unterschlägt, dass im Kapitalismus nur das Proletariat und das KleinbürgerInnentum produktiv sind. Ersteres vermehrt durch dessen Arbeit das Kapital der Bourgeoisie. Der Zins, von dem einige Angehörige der Bourgeoisie leben, ist lediglich ein Teil des Mehrwertes, der durch die Ausbeutung des Proletariats entsteht. Auch unterschlug Gesell, dass es auch dem Industrie- und Handelskapital um die Vermehrung des Tauschwertes, also des Geldes, geht. Gießkannen, Panzer und pazifistische Bücher werden nur hergestellt, wenn ihre Produktion und Verkauf den KapitalistInnen mehr einbringen als das Ganze kostet. Allerdings verband Gesell seinen negativen Geldfetischismus nicht mit dem Antijudaismus, er stellte also das zinstragende Kapital nicht als „jüdisches“ dar. Total reaktionär war seine Ideologie trotzdem, weil sie die Quelle des kapitalistischen Geldreichtums, die Ausbeutung des Proletariats im Produktionsprozess, verdunkelte. Gesell war also ein Freund der kapitalistischen Warenproduktion und ein negativer Geldfetischist. Er kam auf die Idee ein „Schwundgeld“ oder „Knochengeld“ zu schaffen, das Geld sollte also aus einem Material geschaffen werden, das seine Substanz verlieren würde und deshalb nicht gehortet werden könnte…

Noch esoterisch-verblödeter war Gesells Freiland-Ideologie. Damit schuf er eine richtig reaktionäre Schollen- und Heimatideologie. Im Gegensatz zu den industriellen Produktionsmitteln, die auch nach Gesells Ideologie Privateigentum bleiben sollten, sollte der Boden verstaatlicht werden und an die Menschen verpachtet werden. Es ist klar, dass die Menschen mit dem meisten Geld auch das meiste Land hätten pachten können…

Erich Mühsam schrieb später über Gesell: „Gesells Freiland-Lehre ist stark anfechtbar, seine Geldtheorie dagegen scheint berufen, nicht, wie er annahm das Wirtschaftsregulativ der freiheitlichen Gesellschaft zu werden, wohl aber das Übergangsverfahren vom kapitalistischen Währungssystem zum geldlosen Kommunismus zu ermöglichen.“ (Erich Mühsam, Ein Wegbahner. Nachruf zum Tode Gesells 1930, in: Klaus Schmitt (Hg.), Silvio Gesell. Marx der Anarchisten? Texte zur Befreiung der Marktwirtschaft vom Kapitalismus und der Kinder und Mütter vom patriarchalischen Bodenunrecht,Karin Kramer Verlag, Berlin 1989, S. 297.) Der letzte Satz ist natürlich Unsinn. Mühsam zeigt sich hier als negativer Geldfetischist, der sich am Ding Geld abreagiert, anstatt darüber nachzudenken wie die verdinglichten Tauschverhältnisse der Warenproduktion, also die Ware-Geld-Beziehung durch eine klassen- und staatenlose gesamtgesellschaftliche Verfügungsgewalt über die Produktionsmittel aufgehoben werden kann (siehe Kapitel V.4).

…..

Auch war und ist der Anarchismus in seinen Hauptströmungen nicht konsequent antinational. Bakunin war während der Revolution von 1848/49 kein antinationaler Gegenspieler von Marx und Engels, sondern ein panslawisch-linksnationaler. Der kommunistische Anarchist Kropotkin nistete sich nach der Februarrevolution von 1917 in das entstehende und rasch verfaulende russische demokratische Regime ein und verteidigte dieses auch linksnationalistisch im Ersten Weltkrieg, den die DemokratInnen weiterführten. Zuvor hatte er sich schon im Jahre 1914 nationalistisch auf die Seite Frankreichs im imperialistischen Krieg gegen Deutschland gestellt. Auch nahm der Anarchosyndikalismus im spanischen BürgerInnenkrieg eine sozialreaktionär-linksnationalistische Haltung ein (siehe Kapitel I.6 im 1. Teil).

Selbst der kurdische Linksnationalist Öcalan knüpfte ideologisch an den Anarchismus an. Der Marxismus-Leninismus war durch die Transformation des globalen Staatskapitalismus in den Privatkapitalismus nicht mehr zeitgemäß. Wikipedia schreibt über die aktuelle Ideologie-Brühe, die Herr Öcalan in türkischer Haft zusammenpanschte: „In den letzten Jahren lässt er sich durch Murray Bookchins Konzept des confederalism zum sogenannten Demokratischen Konföderalismus inspirieren. Weitere Inspirationsquellen sind Immanuel Wallerstein, Fernand Braudel, Max Horkheimer und Theodor W. Adorno.“ (Wikipedia, Stichwort Abdullah Öcalan.) Das ist eine krude Mischung aus Linksliberalismus und libertär weichgespülten Marxismus und Anarchismus, die nichts anderes als eine ideologische Kapitulation gegenüber Privatkapitalismus und Demokratie als Staatsform bedeutet – aber gerade deshalb beim kleinbürgerlich-linken Publikum im Westen gut ankommt. Demokratischer Konföderalismus in der Türkei bedeutet nichts anderes, als dass die KurdInnen innerhalb des türkischen Nationalstaates eine Art Unternation bilden sollen. Doch das Einigeln in bestehende Nationalstaaten ist nicht weniger sozialreaktionär wie die Gründung von neuen. Sozialrevolutionär ist nur die Vorbereitung der möglichen weltweiten Zerschlagung aller Nationalstaaten.

Herr Öcalan strebt also für die Türkei etwas an, was die kurdischen NationalistInnen im Nordirak und in Nordsyrien sich im 21. Jahrhundert schon faktisch-praktisch erkämpft haben: die nationale Autonomie mit unterstaatlichen Strukturen innerhalb anderer bestehender Nationalstaaten. Im Irak nutzte der kurdische Nationalismus 2003 den imperialistischen Konflikt zwischen den USA und dem Saddam-Hussein-Regime um sich eine nationale Autonomie im sich neuformierenden irakischen Staat zu erobern. Beim imperialistischen Sturz des Hussein-Regimes diente sich der irakisch-kurdische Nationalismus den USA als Verbündeter an, dafür bekam er seine eigene politisch-territoriale Spielwiese zugewiesen. Auch im syrischen BürgerInnenkrieg (ab 2011) gelang es dem kurdischen Linksnationalismus im Bündnis mit dem US-Imperialismus autonome staatliche Strukturen innerhalb des Nationalstaates Syrien aufzubauen. Auch AnarchistInnen gehören zu den linken UnterstützerInnen des syrisch-kurdischen Linksnationalismus. Dieser ist entgegen dem „antikapitalistischen“ Geschwätz seiner linken Lautsprecher eindeutig privatkapitalistisch-prostaatlich. Die syrisch-kurdischen BerufspolitikerInnen haben lediglich die Förderung von GenossInnenschaften als kleinbürgerlich-kollektiver Form der Warenproduktion als Nische im Weltkapitalismus versprochen. Doch das reicht linken KleinbürgerInnen, um internationalistisch den kapitalistischen kurdischen Linksnationalismus zu unterstützen…

Große Teile des Anarchismus in der Ukraine zeigten während des Angriffskrieges des russischen Imperialismus auf dieses Land ab dem 24. Februar 2022, wie chauvinistisch-nationalistisch verblödet sie sind. Sie verteidigten den ukrainischen Staat sowie den NATO-Imperialismus und organisierten auf diese Weise diesen Stellvertreterkrieg mit.

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Für die globale Vernetzung von revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen! https://astendenz.blackblogs.org/2024/07/02/fuer-die-globale-vernetzung-von-revolutionaeren-anarchistinnen-und-antileninistischen-kommunistinnen/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/07/02/fuer-die-globale-vernetzung-von-revolutionaeren-anarchistinnen-und-antileninistischen-kommunistinnen/#respond Tue, 02 Jul 2024 22:16:37 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=225 Die massenmörderische Krisen- und Kriegsdynamik des globalen Kapitalismus schreit geradezu nach einer planetaren Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen. Das Weltproletariat wird erbarmungslos von der Weltbourgeoisie verheizt. Der Klassenkampf des Proletariats wird noch immer innerhalb des reproduktiven Rahmens des Kapitalismus geführt, dessen Perspektive für die ProletarierInnen nur Ausbeutung, Arbeitslosigkeit, staatliche Elendsverwaltung, eine sich vertiefende ökosoziale Kriese und Krieg beziehungsweise einen asozialen Frieden bedeuten kann.

Die globale institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung (Gewerkschaften und politische Parteien) ist der bürokratische Ausdruck der den Kapitalismus reproduzierenden Grenzen des proletarischen Klassenkampfes. Die bürgerlich-bürokratischen Partei- und Gewerkschaftsapparate integrierten sich mehrheitlich in den Kapitalismus und wurden Fleisch von seinem Fleische. Anarchosyndikalismus und Parteimarxismus (Linke Sozialdemokratie, Marxismus-Leninismus, Trotzkismus und Linkskommunismus) sind entweder selbst Teil des kapitalistischen Problems oder außerstande eine revolutionäre Alternative zu Kapital, Staat und institutionalisierter ArbeiterInnenbewegung zu entwickeln.

Letzteres trifft besonders auf den Linkskommunismus zu. Er ist aufgrund seines Antiparlamentarismus, seiner Gewerkschaftsfeindlichkeit und seiner Ablehnung der nationalen Befreiung/Selbstbestimmung zu radikal, um sich in den Kapitalismus zu integrieren, aber zu parteimarxistisch-ideologisch borniert, um den konterrevolutionären Charakter des staatstragenden Bolschewismus ab 1917 zu erkennen und zu begreifen, dass die politische Partei grundsätzlich eine bürgerlich-bürokratische Organisationsform ist, die nur den Kapitalismus reproduzieren, aber eben nicht revolutionär überwinden kann. Das peinliche Rumgeeiere in der Staatsfrage – der berühmt-berüchtigte „Halbstaat“, den die LinkskommunistInnen in der Revolution aufmachen wollen –, ist eine antirevolutionäre Tendenz. Erstens kann es nur ganze Staaten geben und zweitens sind die immer konterrevolutionär!

Eine globale Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen als organisatorisch-inhaltliche Alternative zu Anarchosyndikalismus und Parteimarxismus ist also absolut notwendig. Die Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST) strebt mittelfristig eine globale Föderation dieser revolutionären Kräfte an.

Keine bürokratisch-zentralistische und ideologisch-dogmatische „Internationale“!

Wir streben keine bürokratisch-zentralistische Internationale an, mit einem riesigen globalen Apparat, der die einzelnen Sektionen in den verschiedenen Nationen anführt. Nein, die globale Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen, die wir mittelfristig und geduldig mit euch zusammen aufbauen wollen, soll klar und eindeutig mit der bürokratisch-zentralistischen und ideologisch-dogmatischen Tradition der parteimarxistischen (sozialdemokratischen, marxistisch-leninistischen und trotzkistischen) vier Internationalen brechen. Selbstverständlich soll sie sich auch von internationalen anarchosyndikalistischen und linkskommunistischen Zusammenschlüssen unterscheiden.

Die globale Vernetzung soll die unterschiedlichen theoretisch-kulturellen Ursprünge und Traditionen nicht einebnen, sondern produktiv zusammenführen. Sie soll praktische Gemeinschaftserlebnisse von Individuen und Kleingruppen sowie die inhaltliche Diskussion zwischen ihnen ermöglichen und damit Vereinzelung überwinden. Ganz auf der kollektiven Solidarität der Individuen und Gruppen beruhen. Einzeln und frei wie ein Baum, dabei geschwisterlich wie ein Wald!

Natürlich ist dabei auch eine Beliebigkeit zu verhindern. Die Vernetzung von revolutionären Gruppen und Individuen kann kein Selbstzweck, sondern muss die gemeinsame praktisch-geistige Vorbereitung auf die mögliche Weltrevolution sein.

Diskussionsgrundlage für einen inhaltlichen Minimalkonsens einer globalen Föderation von revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen

Damit die globale Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen eine klare organisatorisch-inhaltliche Alternative zu Parteimarxismus und Anarchosyndikalismus werden kann, muss sie auf klaren Grundprinzipien beruhen. Die AST schlägt zur Diskussion folgende Punkte vor.

1. Für die revolutionäre Aufhebung der Warenproduktion. Die Warenproduktion basiert auf global voneinander getrennten kleinbürgerlichen und kapitalistischen Wirtschaftseinheiten, die ihre Produkte mittels der Ware-Geld-Beziehung austauschen müssen. Das Geld ist der verselbständigte Ausdruck des Tauschwertes. Basis des Tauschwertes ist der Produktionswert, die durchschnittliche, gesellschaftlich notwendige Herstellungszeit einer Ware. Je höher der Produktionswert einer Ware ist, umso höher ist in der Regel auch ihr Tauschwert. Außerdem wird der Tauschwert auch durch die Marktkonkurrenz aus Nachfrage und Angebot bestimmt.

Indem das sich revolutionär selbst aufhebende Proletariat die Produktionsmittel und die soziale Infrastruktur in gesamtgesellschaftliche Verfügungsgewalt überführt und den Staat zerschlägt, schafft es die Voraussetzungen für die Aufhebung des Tauschwertes. Überwindung des Tauschwertes heißt, dass in der klassen- und staatenlosen Gemeinschaft die Produkte nicht getauscht – auch nicht durch einen Naturaltausch ohne Geld! – sondern gesamtgesellschaftlich kollektiv-solidarisch verteilt werden. Die Individuen sind keine passiven Objekte der gesamtgesellschaftlichen Leitung und Planung der Produktion sowie der Verteilung der Produkte, sondern deren aktive Subjekte.

RevolutionärInnen kritisieren jegliche „Vergesellschaftung“ innerhalb von Warenproduktion und Staat als Scheinalternative. GenossInnenschaften und „selbstverwaltete“ Betriebe innerhalb des Kapitalismus sind im besten Falle kleinbürgerlich-kollektive Formen der Warenproduktion und gehen fließend in Kapitalgesellschaften über.

2. Für die revolutionäre Zerschlagung aller Staaten. Staaten sind grundsätzlich sozialreaktionäre Gewaltapparate von Klassengesellschaften. Im Kapitalismus sind die Staaten die politischen Gewaltapparate der Kapitalvermehrung. Es kann keine „progressiven“ oder „sozialistischen“ Staaten geben. Das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat muss den Staat zerschlagen! Die „Halbstaaten“ einer angeblichen „Übergangsgesellschaft“, die der Linkskommunismus herbeiphantasiert, kann es nicht geben. Zwischen dem kapitalistischen Staat und der klassen- und staatenlosen Gemeinschaft gibt es keine staatsförmige „Übergangsgesellschaft“, sondern „nur“ die mögliche revolutionäre Zerschlagung des Staates! Den Staat zu zerschlagen, heißt die gesamtgesellschaftlich-kollektive Organisation des Lebens ohne Gewaltapparate und BerufspolitikerInnen.

Da das Proletariat eines Landes, einer Gruppe von Ländern, eines Kontinents unmöglich mit der sozialen Revolution warten kann, bis ihre Klassengeschwister weltweit so weit sind, kann die Weltrevolution nur eine permanente Kette der Zerschlagung der Nationalstaaten sein. In der Weltrevolution wird es also sowohl schon mögliche klassen- und staatenlose Gemeinschaften als auch noch kapitalistische Staaten geben. Der revolutionäre Kampf gegen die Konterrevolution – sowohl von marodierenden Banden als auch von Staaten – beruht auf der kollektiven Militanz des sich selbst revolutionär aufhebenden Proletariats beziehungsweise der klassen- und staatenlosen Gemeinschaft, aber nicht auf von der Gesellschaft getrennten Gewaltapparaten. Letztere wären der reproduzierte Staat. In der Praxis wird es schwer werden, notwendige revolutionäre Gewalt gegen die Konterrevolution auszuüben, ohne den Staat zu reproduzieren. Aber der reproduzierte Staat ist die Konterrevolution! Deshalb kompromissloser Kampf gegen die linkskommunistische Ideologie von dem „Halbstaat“ in der angeblichen „Übergangsperiode“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus! Die Weltrevolution ist erst zu Ende, wenn alle kapitalistischen Staaten revolutionär zerschlagen sind.

3. Gegen die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung (Gewerkschaften und politische Parteien). Gewerkschaften sind der bürokratisch entfremdete Ausdruck des reproduktiven Klassenkampfes des Proletariats innerhalb des Kapitalismus. Im frühen Kapitalismus ging die Bourgeoisie noch total repressiv gegen den proletarischen Klassenkampf vor. Streiks und Gewerkschaften waren absolut verboten. Doch große Teile der herrschenden Klasse erkannten in einem sozialen Lernprozess – auch aufgrund des Druckes des klassenkämpferischen Proletariats – dass in einer Klassengesellschaft der Klassenkampf nicht effektiv absolut zu verbieten ist. So wurde in den verschiedenen Staaten der reproduktive Klassenkampf und die Gewerkschafen unter bestimmten Bedingungen legalisiert. Der Klassenkampf wurde verrechtlicht und damit tendenziell entradikalisiert. Die Gewerkschaften wurden durch das durch staatliche Gesetze regulierte Tarifvertragssystem, gesetzlich-sozialpartnerschaftliche Betriebsräte und das Sitzen von Gewerkschaftsbonzen in den Aufsichtsräten der Konzerne zu Co-Managerinnen der kapitalistischen Ausbeutung.

Die meisten Gewerkschaften sind durch einen antagonistischen Klassengegensatz geprägt. Auf der einen Seite die bürgerlich-bürokratischen Apparate der hauptamtlichen FunktionärInnen – die sozial nicht (mehr) zum Proletariat gehören – und auf der anderen die ehrenamtlichen FunktionärInnen und die lohnabhängige Basis als Manövriermasse. Die Haupttendenz der Gewerkschaftsapparate ist es, sich vollständig in den kapitalistischen Staat zu integrieren.

Gewerkschaften können grundsätzlich nur einen reproduktiv-sozialreformistischen Klassenkampf um höhere Löhne, für kürzere Arbeitszeiten und eine geringere Arbeitsintensität sowie gegen die Angriffe von Kapital und Staat innerhalb des Kapitalismus, aber eben keinen revolutionären für die klassen- und staatenlose Gesellschaft führen. Selbstverständlich gibt es zwischen ihnen große Unterschiede. So gibt es total sozialreaktionäre Gewerkschaften, die völlig in die jeweiligen Staaten integriert sind und auch deren imperialistischen Kriege unterstützen, aber auch Basisgewerkschaften, die gegen Aufrüstung, Waffenhandel und Krieg einen pazifistisch-reformistischen Klassenkampf führen.

Die Behauptungen des Anarchosyndikalismus, es könne revolutionäre Gewerkschaften geben und er würde sie aufbauen, hat er durch seine eigene Praxis widerlegt. Durch seine Anpassung an das Tarifvertragssystem, gesetzlich-sozialpartnerschaftliche Betriebsräte und das reformistische Bewusstsein der Mehrheit des Proletariats wurde der Anarchosyndikalismus selbst zu einer Strömung des globalen Gewerkschaftsreformismus. Gewerkschaften sind die Organisationsform des reproduktiven Klassenkampfes innerhalb des Kapitalismus, aber eben keine revolutionären zur dessen Zerschlagung. Gewerkschaften können nicht revolutionär und revolutionäre Klassenkampforganisationen (siehe Punkt 5) keine Gewerkschaften sein!

In nichtrevolutionären Zeiten können RevolutionärInnen einfache Mitglieder von Gewerkschaften sein. Aber sie dürfen keine neben- oder hauptamtlichen Funktionen in ihnen übernehmen. Gewerkschaften müssen grundsätzlich durch revolutionäre Klassenkampforganisationen, die sich allerdings erst möglicherweise in der sozialen Revolution herausbilden können, ersetzt werden. Berits im reproduktiven Klassenkampf innerhalb des Kapitalismus entwickelt sich die proletarische Selbstorganisation als Alternative zur Gewerkschaftsbürokratie (siehe Punkt 5). Völlig in den kapitalistischen Staat integrierte Gewerkschaftsapparate, die auch imperialistische Kriege unterstützen, müssen aktiv in der sozialen Revolution zerschlagen werden!

Politische Parteien bildeten sich ab dem 19. Jahrhundert zu zwar nicht absolut notwendigen, doch weit verbreiteten Basiseinheiten der bürgerlichen Politik. Parlamentarische Demokratien sind pluralistische Mehrparteiendiktaturen. In ihnen konkurrieren die politischen Parteien in Form von freien Wahlen um die Beherrschung des Staatsapparates. Freie Wahlen machen aus ProletarierInnen Stimmvieh, dass ihre strukturellen KlassenfeindInnen, die BerufspolitikerInne,n dazu ermächtigt, entweder den kapitalistischen Staat zu regieren oder systemloyal zu opponieren. Neben den Demokratien gab und gibt es noch faschistische und marxistisch-leninistische (siehe Punkt 4) Einparteiendiktaturen.

Politische Parteien sind klassengespalten in bürgerlich-bürokratische Apparate aus hauptamtlichen FunktionärInnen sowie BerufspolitikerInnen und -ideologInnen auf der einen und der kleinbürgerlich-proletarischen Basis auf der anderen Seite. Mensch kann zwischen kleinbürgerlich-radikalen Protest-/Aufstandsparteien und großbürgerlichen Systemparteien unterscheiden.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildeten sich sozialdemokratische Massenparteien als politischer Flügel der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung. Einige von ihnen betrogen sich selbst und das Proletariat mit einer „revolutionären“ Ideologie, die aber nicht mit ihrer Praxis des parlamentarischen Sozialreformismus übereinstimmte, sondern diese verschleierte. Sie nahmen an Wahlen teil und integrierten sich immer stärker in das parlamentarische System. Die bürgerlich-bürokratischen Apparate der sozialdemokratischen Parteien strebten als Haupttendenz an, von der Bourgeoisie voll anerkanntes Regierungspersonal des kapitalistischen Staates zu werden.

Für die europäische Sozialdemokratie kam dieser Moment im Jahre 1914, den Beginn des Ersten Weltkrieges und der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923). Die meisten europäischen sozialdemokratischen Parteien unterstützten den Ersten Weltkrieg auf der Seite ihres jeweiligen Nationalstaates. Nur pazifistische und radikale Teile der Sozialdemokratie waren gegen die Kriegsbeteiligung. Während der europäischen revolutionären Nachkriegskrise wurde die Sozialdemokratie – besonders die deutsche SPD – offen konterrevolutionär, die blutig das klassenkämpferisch-revolutionäre Proletariat niederschlug. Heute ist die Sozialdemokratie vollständig in den Kapitalismus integriert.

Infolge der europäischen revolutionären Nachkriegskrise spaltete sich der radikale Flügel der Sozialdemokratie weltweit sowohl als Partei-„Kommunismus“ als auch als Rätekommunismus ab. In einigen Nationen entstanden marxistisch-leninistische Parteidiktaturen (siehe Punkt 4). In hochentwickelten privatkapitalistischen Demokratien integrierten sich marxistisch-leninistische und trotzkistische Parteien in das parlamentarische System. Indem Marxismus-Leninismus und Trotzkismus an parlamentarischen Wahlen teilnehmen, helfen sie dabei die Demokratie als Diktatur des Kapitals praktisch-geistig zu reproduzieren und die ProletarierInnen zum Stimmvieh abzurichten und braven demokratischen StaatsbürgerInnen zu erziehen.

Die sich vernetzenden Gruppen des revolutionären Anarchismus und des antileninistischen Kommunismus lehnen die politische Partei als Organisationsform des klassenkämpferischen Proletariats und der revolutionären Minderheiten ab. Ihre Kleingruppen sind weder Gewerkschaften noch politische Parteien und sie streben es auch nicht an, es zu werden.

4. Revolutionärer Antileninismus. Die politische Machtübernahme der bolschewistischen Partei im Oktober 1917 – nach dem alten russischen Kalender – stellte keine „proletarische Revolution“ dar, wie der Parteimarxismus einschließlich des Linkskommunismus behauptet, sondern der Prologder staatskapitalistischen Konterrevolution. Das sozialreaktionäre Lenin-Trotzki-Regime zerschlug die Sowjets als Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats. Ab der Verstaatlichung der Großindustrie im Frühsommer 1918 war es staatskapitalistisch. Es folgten weitere sozialreaktionäre politische Machteroberungen von marxistisch-leninistischen Parteiapparaten und die Herausbildung staatskapitalistischer Regimes in Euroasien, Afrika und auf Kuba.

Die ultrazentralistischen und überbürokratischen staatskapitalistischen Produktionsverhältnisse begünstigten die ursprüngliche, nachholende und beschleunigte Industrialisierung von einstigen Agrarnationen, aber auf Dauer konnten sie nicht der Konkurrenz des hochentwickelten Privatkapitalismus standhalten, weshalb sich in den marxistisch-leninistischen Staatsparteien proprivatkapitalistische Reformfraktionen entwickelten und die politische Macht eroberten. Diese transformierten dann den Staats- in den Privatkapitalismus. In der Sowjetunion und in Osteuropa zerfielen die marxistisch-leninistischen Parteidiktaturen. In China, Vietnam und auf Kuba wurde und wird das Kapital unter der Herrschaft der marxistisch-leninistischen Parteien privatisiert.

5. Für die klassenkämpferische Selbstorganisation und die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats. Das Proletariat kann nur in klassenkämpferischer Selbstorganisation seine Interessen und Bedürfnisse gegen Kapital und Staat durchsetzen. Die klassenkämpferische Selbstorganisation richtet sich bereits im reproduktiven Klassenkampf innerhalb des Kapitalismus gegen die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate. Besonders in längeren Arbeitsniederlegungen, die offiziell von den Gewerkschaften geführt werden, entwickeln sich teilweise Formen der Doppelherrschaft. Auf der einen Seite die Selbstorganisation der Basis und auf der anderen die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate. Die höchste Form nimmt die Selbstorganisation der Lohnabhängigen im reproduktiven Klassenkampf in gewerkschaftsunabhängigen wilden Streiks an. Ist die Arbeitsniederlegung relativ kurz und sind die Belegschaften verhältnismäßig klein, reicht oft bereits die informelle Selbstorganisation der Lohnabhängigen. Dauert der wilde Streik jedoch länger und/oder stehen größere beziehungsweise mehrere Belegschaften in ihm, dann werden offizielle Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation, gewerkschaftsunabhängige Streikkomitees, notwendig.

Revolutionäre Kleingruppen orientieren sich auf die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats, lehnen aber den Anspruch auf dessen „Führung“ ab. Ihre Funktion ist es praktisch-geistige Impulse zur Radikalisierung des Klassenkampfes zu geben. Wohl wissend, dass der Hauptimpuls zur Radikalisierung des Proletariats dessen eigener praktischer Kampf ist. RevolutionärInnen lehnen jede Stellvertreterpolitik gegenüber dem Proletariat einschließlich des Guerillakrieges getrennt vom Klassenkampf ab.

In außerordentlichen Situationen kann sich der proletarische Klassenkampf zur sozialen Revolution radikalisieren. Dann ist die revolutionäre Klassenkampforganisation notwendig. Wir verstehen darunter die Organisation der Revolution. Diese wird sowohl durch die informelle Aktion des Proletariats als auch durch offizielle Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation geprägt sein. Die Aufgabe der revolutionären Klassenkampforganisation wird die Aufhebung der Warenproduktion (Punkt 1) und die revolutionäre Zerschlagung des Staates (Punkt 2) sein. Gelingt dies, dann transformiert sich die revolutionäre Klassenkampforganisation in die klassen- und staatenlose Gemeinschaft. Die revolutionäre Klassenkampforganisation ist also die Selbstaufhebung des Proletariats als Prozess.

Diese revolutionäre Organisation des Proletariats kann nur die Warenproduktion aufheben und den Staat zerschlagen, wenn sie ganz auf der kollektiv-solidarischen Selbstorganisation der Klasse ohne bürokratische Apparate und BerufspolitikerInnen beruht. Hauptamtliche Gewerkschafts- und ParteifunktionärInnen sowie BerufspolitikerInnen haben in der revolutionären Klassenkampforganisation des Proletariats nichts zu suchen! Revolutionäre Kleingruppen der vorrevolutionären Zeit gehen in der revolutionären Klassenkampforganisation auf. Diese kann nur die klassen- und staatenlose Gesellschaft gebären, wenn sie bereits mit deren Organisationsprinzipien schwanger geht.

Wir wissen nicht, wie die zukünftige revolutionäre Klassenkampforganisation aussehen wird. Die ArbeiterInnen- und Soldatenräte der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923) waren nur potenziell und tendenziell revolutionär. Sie hatten sich noch nicht das klare Ziel der Aufhebung der Warenproduktion und der revolutionären Zerschlagung des Staates gestellt. Und sie wurden zum Beispiel in Russland zuerst von menschewistischen und „sozialrevolutionären“ BerufspolitikerInnen deformiert, die versuchten die Sowjets in den proprivatkapitalistischen Staat zu integrieren. Später wurden bolschewistische BerufspolitikerInnen in den Sowjets immer stärker. Die Bolschewiki forderten demagogisch: „Alle Macht den Sowjets!“ Als sie dann mit Hilfe der Sowjets die politische Macht erobert hatten, zerschlugen sie diese als Organe des selbstorganisierten Klassenkampfes. Daraus gibt es nur eine Lehre zu ziehen: BerufspolitikerInnen raus aus der revolutionären Klassenkampforganisation! Allen politischen Parteien – auch den linkskommunistischen – und Gewerkschaften einschließlich der anarchosyndikalistischen, die die Führung des revolutionären Proletariats anstreben, muss ordentlich auf die Finger geklopft werden!

6. Revolutionäre Kritik des Antifaschismus. SozialrevolutionärInnen bekämpfen die Demokratie kompromisslos – so wie alle anderen Staatsformen. Sie kämpfen gegen FaschistInnen, Nazis sowie Militärputsche und -diktaturen, aber verteidigen niemals die Demokratie. So wie der Antifaschismus im Zweiten Weltkrieg und im spanischen BürgerInnenkrieg demokratische Regimes gegen faschistische Staaten und Militärputsche unterstützte und damit das große kapitalistische Massaker am Weltproletariat mit organisierte, ist er auch heute in den verschiedenen Gemetzeln Teil der Rechtfertigungsideologien und Mobilisierung für die Demokratie. RevolutionärInnen lehnen Einheits- und Volksfronten mit bürgerlichen Kräften – einschließlich der Sozialdemokratie, des Marxismus-Leninismus und des Trotzkismus gegen den Neofaschismus ab. Sie bekämpfen ihn auf klassenkämpferisch-revolutionärer Grundlage.

Das ist die Lehre aus dem spanischen BürgerInnenkrieg (1936-1939), bei dem die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung – von den StalinistInnen und SozialdemokratInnen über die linkssozialistische POUM bis zur anarchosyndikalistischen CNT – mit anderen bürgerlichen Kräften eine Volksfront bildete, gegen die die Generäle unter Franco putschten. Die Volksfront führte sowohl einen innerkapitalistischen und sozialreaktionären BürgerInnenkrieg gegen die putschenden Generale als auch einen Klassenkampf von oben gegen das Proletariat und den linken Flügel der Volksfront (POUM und Basis der CNT). Den Klassenkampf von oben gewann die Volksfront, während sie den BürgerInnenkrieg gegen Franco verlor. RevolutionärInnen mussten sowohl die Volksfront als auch die putschenden Generäle bekämpfen.

7. Gegen nationale „Befreiung“/Selbstbestimmung/Autonomie. Die Nationen sind Zwangs- und Scheingemeinschaften aus Kapital und Lohnarbeit. Ihr organisierender Kern ist der Nationalstaat. Nationen beruhen ökonomisch auf der erfolgreichen Vermehrung des Nationalkapitals, politisch auf der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols und ideologisch auf den Nationalismus. Der Letztgenannte integriert die Lohnabhängigen in die jeweiligen Nationalstaaten und spaltet das Weltproletariat. Dieses wird in der globalen Interaktion der Nationen – sowohl kooperative Konkurrenz als auch konkurrenzförmige Kooperation – erbarmungslos verheizt. Die ProletarierInnen werden durch den Nationalismus in blutigen Gemetzeln aufeinandergehetzt – im Interesse des Weltkapitalismus.

RevolutionärInnen bekämpfen die nationalistische Benachteiligung und Unterdrückung von kulturellen, sprachlichen und religiösen Minderheiten sowie den Rassismus gegen Menschen mit bestimmten Hautfarben. Aber auch dagegen, dass aus diesen Minderheiten durch nationalistische Politik neue Nationen geformt werden. Für die dann entweder Autonomie in bestehenden Nationalstaaten verlangt und durchgesetzt (wie zum Beispiel „die KurdInnen“ im Nordirak und in Syrien) oder einen neuen unabhängigen Nationalstaat aufgemacht werden. Nationale „Befreiung“/Selbstbestimmung und Autonomie kann nur Kapital und Staat reproduzieren, aber eben nicht überwinden. Gegen nationalistische Unterdrückung hilft keine nationale „Befreiung“, sondern nur die soziale Befreiung von der Nation durch die mögliche Weltrevolution und die globale klassen- und staatenlose Gemeinschaft. In der globalen Konkurrenz der Nationen unterstützen die RevolutionärInnen keinen, sondern bekämpfen alle.

8. Gegen den Pazifismus. Der (klein)bürgerliche Pazifismus tritt für den bürgerlichen Frieden sowohl innerhalb der als auch zwischen den kapitalistischen Staaten ein. Doch dieser ist lediglich die nichtmilitärische Form der Konkurrenz aller gegen alle. Er ist asozial und gewalttätig. Im Inneren beruht er auf dem staatlichen Gewaltmonopol und in der Außenpolitik auf Aufrüstung. Der bürgerliche Frieden innerhalb des Kapitalismus ist nicht die Alternative zum Krieg, sondern dessen Quelle.

Der Pazifismus verlangt die freiwillige, kooperative und nennenswerte Abrüstung der kapitalistischen Staaten. Doch die ist aufgrund der globalen Konkurrenz illusorisch. Es kann nur eine wirkliche Abrüstung geben: die Zerschlagung aller Staaten durch die mögliche globale Revolution. Kompromissloser Klassenkrieg! Weltproletariat gegen Weltbourgeoisie!

9. Grundsätzliche Kritik sowohl des kapitalistischen Patriarchats als auch der bürgerlichen Frauenemanzipation im Kapitalismus. Für den revolutionären Kampf gegen das kapitalistische Patriarchat. Das kapitalistische Patriarchat ist sowohl klassenübergreifend als auch klassenspezifisch. Frauen sind innerhalb der Bourgeoisie (Kapitalistinnen, Managerinnen, Berufspolitikerinnen und Spitzenbeamtinnen) unterrepräsentiert, während die Proletarierinnen einer sexistischen Extrauausbeutung unterworfen werden. So sind zum Beispiel Frauenlöhne durchschnittlich niedriger als Männerlöhne. Ein Ausdruck des kapitalistischen Patriarchats ist auch, dass die meisten biosozialen Reproduktionstätigkeiten (einkaufen, reinigen der Wohnung, Pflege von kranken und/alten Menschen, Beaufsichtigung und Erziehung von Kindern…) sowohl innerfamiliär als auch durch Lohnarbeit durchschnittlich hauptsächlich von Frauen verrichtet werden. Weitere Aspekte des kapitalistischen Patriarchats sind die Degradierung der Frauenkörper zum Sexualobjekt – besonders in Pornographie und Prostitution –, patriarchal-sexistische Gewalt gegen Frauen einschließlich von Femiziden sowie staatliche Repression gegen Abtreibungen.

Der (klein)bürgerliche Feminismus kämpft für Gleichberechtigung von Frauen und Männern innerhalb des Kapitalismus und damit der Klassenspaltung. Er erkämpfte in seiner Geschichte das Frauenwahlrecht, die Zulassung von Frauen zu bestimmten Berufen und immer mehr Berufspolitikerinnen und Wirtschaftsmanagerinnen. Und auch die sexistische Extraausbeutung der Frauen konnte abgemildert werden. Die völlige Durchsetzung der bürgerlichen Frauenemanzipation innerhalb des Kapitalismus würde bedeuten, dass Frauen innerhalb der Bourgeoisie nicht mehr unterrepräsentiert und die Proletarierinnen nicht mehr sexistisch extra ausgebeutet werden sowie die biosozialen Reproduktionstätigkeiten gleichmäßig unter den Geschlechtern, aber ungleichmäßig zwischen den Klassen verteilt werden. Die Durchsetzung von Punkt eins ist wahrscheinlicher als der Punkte 2 und 3. Jedoch haben die Proletarierinnen nichts davon, wenn sie von mehr Politikerinnen regiert, von Kapitalistinnen ausgebeutet und von Chefinnen herumkommandiert werden. Der bürgerliche Feminismus führt geradewegs zur „feministischen Außenpolitik“ kapitalistisch-imperialistischer Staaten…

Auch wenn der (klein)bürgerliche Feminismus es noch so sehr leugnet: es gibt auch weiblichen Sexismus gegen Männer. Klar, die bürgerliche Kleinfamilie ist grundsätzlich – auch von ihrer Geschichte her – patriarchal und vom männlichen Sexismus geprägt. Aber es gibt auch zwischenmenschliche Beziehungen, in denen Frauen Männer unterdrücken. Und auch sexuelle Belästigung von Männern durch Frauen. Dieser weibliche Sexismus kommt auch teilweise im (klein)bürgerlichen Feminismus zum Ausdruck. Zum Beispiel wenn in der feministischen Ideologie teilweise unterschwellig anklingt, aber manchmal auch offen behauptet wird: Frauen sind die besseren Menschen. Oder wenn einige Feministinnen gegen trans Frauen als „Männer in Frauenkleidern“ hetzen. Das ist nicht „nur“ transfeindlich, sondern auch sexistisch gegen Männer. RevolutionärInnen bekämpfen den weiblichen Sexismus genauso konsequent wie den männlichen.

RevolutionärInnen stellen der bürgerlichen Frauenemanzipation im Kapitalismus grundsätzlich den revolutionären Kampf gegen das Patriarchat gegenüber. Durch die soziale Revolution sowie die klassen- und staatenlose Gemeinschaft können viele biosoziale Reproduktionstätigkeiten, die im Kapitalismus hauptsächlich innerfamiliär und von Frauen verrichtet werden, auf freiwilliger Grundlage vergesellschaftet und auf alle Geschlechter fair verteilt werden. Nur durch die revolutionäre Aufhebung der Ware-Geld-Beziehung sowie des sozialen und sexuellen Elends kann auch die Prostitution überwunden werden. Ihr staatliches Verbot, die Teile des Feminismus fordern, können diese nur in den Untergrund treiben und das Leben der Prostituierten erschweren.

10. Gegen heterosexuelle und geschlechtliche Normierungen – aber auch gegen die verlogene staatliche „Regenbogentoleranz“ und kleinbürgerliche Identitätspolitik. RevolutionärInnen bekämpfen sowohl die staatliche Repression gegen Menschen, die der heterosexuellen und binären Geschlechternorm nicht entsprechen – homo-/bisexuelle, nichtbinäre und trans Menschen – in jenen Ländern, wo diese besteht, als auch die verlogene „Regenbogentoleranz“ von in dieser Frage liberaleren Nationen und Staatenbündnisse. Grundsätzlich braucht der Kapitalismus keine heterosexuellen und geschlechtlichen Normierungen. Solange Schwule, Lesben, nichtbinäre und trans Menschen durch fleißige Produktion und aufgeschlossenem Konsum das Kapital vermehren sowie brave StaatsbürgerInnen sind, ist für den modernen Liberalismus alles in Ordnung. Liberale Staaten und Staatenbündnisse wie die Europäische Union (EU) machen auch die „Regenbogentoleranz“ zur imperialistischen Waffe gegen Staaten, mit denen sie aus anderen Gründen konkurrieren und die repressiv die heterosexuelle und geschlechtliche Normierung durchsetzen.

RevolutionärInnen unterschieden zwischen biologischen Geschlechtern, sozialen Geschlechterrollen und individuellen Geschlechtsidentitäten. Soziale Geschlechterrollen wollen sie durch die soziale Revolution aufheben (siehe Punkt 9), während sie alle individuelle Geschlechtsidentitäten tolerieren, solange die sich nicht gegen andere richten. Soll jede/r nach seiner/ihrer Fasson glücklich werden. Aber RevolutionärInnen wissen auch, dass im Kapitalismus alle Identitäten – unter anderem „Nation“, Hautfarbe, Religion, biologisches Geschlecht, soziale Geschlechterrolle und individuell Geschlechtsidentität sowie sexuelle Orientierung – zu Kostümen im Konkurrenzkampf aller gegen alle werden. Der rechtskonservativ-neofaschistische Konkurrenzchauvinismus gegen „AusländerInnen“, „Nichtweiße“, Homosexuelle, nichtbinäre und trans Menschen genau wie die linksliberale Hetze gegen „cis-Männer“ und „alte, weiße Männer“ – damit die jungen, „nichtweißen“ Frauen innerhalb von KleinbürgerInnentum und Bourgeoisie ordentlich Karriere machen können. RevolutionärInnen bekämpfen sowohl die rechtskonservativ-neofaschistische als auch die linksliberale Identitätspolitik als Konkurrenzchauvinismus und Spaltung des Weltproletariats.

11. Grundsätzliche Kritik des bürgerlichen „Umweltschutzes“ innerhalb des Kapitalismus. Für die Reinigung des Planeten von kapitalistischem Dreck! Das kapitalistische Produktionsverhältnis, in dem sich alles um die grenzenlose Vermehrung des Tauschwertes/Geldes dreht, ist absolut sozialreaktionär und zerstörerisch gegen die pflanzliche und tierische Mitwelt. Die massenhafte Vergiftung, Zubetonierung, Vermüllung und Entwaldung unseres Planeten, der Klimawandel und das massenhafte Artensterben sind lebensgefährliche Ausdrücke der vom Kapitalismus permanent produzierten sozialökologischen Krise. Die technokratischen Versuche der kapitalistischen Staaten den Klimawandel zumindest einzudämmen, verschärfen diese Krise nur. Elektromobilität statt Verbrennungsmotor! Auf dass der lebensgefährliche, ressourcenverschwenderische und zerstörerische, aber eben auch sehr profitable Individualverkehr weiter reproduziert wird. Und Wälder für neue Autobahnen weichen müssen. Eindämmung des Klimawandels durch Windräder in „Naturschutzgebieten“! So sehen die „Lösungen“ der kapitalistischen Technokratie aus.

Auch die klassenübergreifende Umweltbewegung ist aus sich heraus nicht in der Lage, die kapitalistische Vernichtung der pflanzlichen und tierischen Mitwelt sowie den Klimawandel aufzuhalten. Nur die mögliche Weltrevolution kann durch die Überwindung der kapitalistischen Produktions- und Konsumtionsverhältnisse die ökosoziale Krise eindämmen. Dies spricht nicht dagegen, dass RevolutionärInnen an lokalen Bewegungen gegen konkrete kapitalistische Naturzerstörungen teilnehmen, um radikalisierende Impulse zu geben. Aber sie müssen immer die strukturelle kleinbürgerliche Beschränktheit auch der radikalsten klassenübergreifenden Umweltbewegung kritisieren. In der institutionalisierten Umweltbewegung, also in den verschiedenen kleinbürgerlichen Vereinen, haben RevolutionärInnen grundsätzlich nichts verloren.

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4. GenossInnenschaften und selbstverwaltete Betriebe https://astendenz.blackblogs.org/2024/01/29/4-genossinnenschaften-und-selbstverwaltete-betriebe/ Mon, 29 Jan 2024 01:33:37 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=176 GenossInnenschaften sind kleinbürgerlich-kollektive Formen der Warenproduktion. Sie gehen im Privatkapitalismus nahtlos in Kapitalgesellschaften über. Der utopische Sozialismus hatte zu Beginn des 19. Jahrhunderts große Illusionen in GenossInnenschaften. Der bürgerliche Sozialreformist Robert Owen sowie seine kleinbürgerlichen und proletarischen AnhängerInnen sahen in den GenossInnenschaften einen Weg die kapitalistische Ausbeutung zu überwinden. Noch heute sehen verschiedene anarchistische und marxistische IdeologInnen in GenossInnenschaften eine Form der Vergesellschaftung der Produktionsmittel – im Rahmen von Warenproduktion und Staat. Vielleicht können einige Menschen in Form von GenossInnenschaften ein angenehmeres Leben führen als sie es als Lohnabhängige in einem „normalen“ kapitalistischen Betrieb führen könnten – aber die GenossInnenschaften können nur eine Nische innerhalb der bürgerlichen Gesellschaft sein, aber keine gesamtgesellschaftliche Alternative zu dieser, die sie wirklich aufhebt.

Auch im entwickelten Industriekapitalismus führten verschiedene Belegschaften von Betrieben, die von ihren kapitalistischen EigentümerInnen geschlossen werden sollten, diese unter kollektiver Regie als „selbstverwaltete Betriebe“ weiter. Klar, innerhalb des Kapitalismus sind solche „selbstverwalteten Betriebe“ besser als die Arbeitslosigkeit. Aber diese Betriebe sind nicht wirklich „selbstverwaltet“, sondern vom kapitalistischen Markt organisiert, für den sie Produkte und Dienstleistungen liefern müssen, um überleben zu können. Außerdem können sie nur im Rahmen staatlicher Gesetzlichkeit fungieren. „Selbstverwaltete Betriebe“ stellen also keine wirkliche Alternative zum Kapitalismus dar, sie reproduzieren die Ware-Geld-Beziehung innerhalb des Staates. SozialrevolutionärInnen müssen diese Grenzen der „selbstverwalteten Betriebe“ klar erkennen und benennen und scharf jenen Sozialreformismus kritisieren, die diese zur angeblichen „Alternative zum Kapitalismus“ hochstilisieren.

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Wir schrieben bereits im Kapitel I.7 wie die anarchosyndikalistische Gewerkschaft CNT das innerkapitalistische Gemetzel des spanischen BürgerInnenkrieges (1936-1939) mit organisierte, während wirkliche SozialrevolutionärInnen beide kriegführende Seiten, also sowohl die putschenden Generäle unter Franco als auch das antifaschistische Volksfront-Regime bekämpfen mussten. Die sozialreaktionären CNT-Bonzen traten stattdessen in die Volksfront-Regierung ein. Dies wird auch heute von einigen anarchosyndikalistischen IdeologInnen als „Fehler“ bezeichnet – was für eine Verniedlichung! Aber auf ihre „Kollektivierungen“ während des spanischen BürgerInnenkrieges sind die AnarchoideologInnen noch heute verdammt stolz und erzählen über diese einen Haufen schmutziger Lügen.

Die Wahrheit: Die CNT organisierte auf „kollektivistische“ Weise den Kapitalismus, als viele PrivatkapitalistInnen ins Lager der putschenden Generäle geflohen waren und das klassenkämpferische Proletariat in größte Wallung geraten war. Die CNT war also zu Beginn des Militärputsches eine verdammt wichtige Konterrevolutionärin, die das reaktionäre Volksfront-Regime durch „Kollektivierungen“ im Rahmen von Staat und kapitalistischer Warenproduktion am Laufen hielt. Wir SozialrevolutionärInnen kritisieren diese „Kollektivierungen“ ganz klar als Anarchokapitalismus, während die republikanisch-stalinistische Konterrevolution in ihrem Verlauf bestrebt war diese anarchokapitalistischen Experimente zu beenden und das Privateigentum an den Produktionsmitteln wieder herzustellen. So erforderte der konsequente Schutz des Privateigentums an Produktionsmitteln die konterrevolutionäre Frontstellung gegen den CNT-Anarchokapitalismus.

Besonders in der Landwirtschaft ging die CNT gegen den Großgrundbesitz vor – um dann die Landbevölkerung in Form von „Kollektiven“ im Interesse des kapitalistisch-antifaschistischen Krieges auszubeuten. Die StalinistInnen, die selbst in der UdSSR eine brutale Zwangskollektivierung durchgezogen hatten, waren während des spanischen BürgerInnenkrieges die Avantgarde einer nicht weniger brutalen Zwangsentkollektivierung. Sie organisierten privatbesitzende BäuerInnen in der Gewerkschaft UGT – die sie auch sonst immer erfolgreicher unterwanderten – gegen die kleinbürgerlich-kollektive Warenproduktion. Besonders in Aragon, wo die CNT sehr stark war, ging die stalinistische Konterrevolution im August 1937 massiv gegen die kleinbürgerlichen Kollektive vor. Landwirtschaftliche Kollektive, Unternehmen unter gewerkschaftskapitalistischer UGT/CNT-Kontrolle und Genossenschaften in den Städten wurden vom republikanisch-stalinistischen Block massiv zerstört. So wurden die anarchokapitalistischen Experimente in der Fleisch- und Molkereiwirtschaft in Katalonien im Juni 1937 beendet und die Betriebe den früheren PrivateigentümerInnen zurückgegeben.

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Wir wollen uns hier mit kollektiven Formen der Agrarproduktion im Rahmen von Klassengesellschaften auseinandersetzen, weil diese ebenfalls von vielen sozialreformistischen IdeologInnen – sowohl von marxistischen als auch anarchistischen – idealisiert werden. Auch nachdem sich der Urkommunismus in die verschiedenen Klassengesellschaften transformiert hatte, blieben teilweise gewisse kollektive Formen des Eigentums, der Produktion und des Konsums in der Landwirtschaft bestehen. Zum Beispiel hielt sich im zaristischen Russland die alte Dorfgemeinde – bis sie von den kapitalistischen Agrarreformen nach der niedergeschlagenen Revolution von 1905 zerstört wurde. Einige MarxistInnen, LinksnationalistInnen und andere politische Wirrköpfe idealisieren diese Reste des gemeinschaftlichen Eigentums in der Agrarproduktion innerhalb von Klassengesellschaften als „Agrarkommunismus“. Wir betonen demgegenüber, dass dieser Begriff eine Idealisierung des Gemeinschaftseigentums darstellt. Wenn die Gemeinschaft durch soziale Ungleichheit und die Herausbildung von Klassenherrschaft geprägt ist, ist diese und ihr Eigentum nicht mehr kommunistisch.

Wir wollen diesen „Agrarkommunismus“, wie er in Form der Allmende im deutschen Feudalismus weiterbestand, analysieren und kritisieren. Wir haben bereits im Kapitel I.2 die militärische Demokratie der GermanInnen als sich auflösenden Urkommunismus beziehungsweise sich entwickelnde Klassengesellschaft beschrieben. Im 5. und 6. Jahrhundert wurde bei einigen germanischen Stammesverbänden – so auch bei den Franken – das Gemeinschaftseigentum an Ackerland aufgehoben. Es wurde Privateigentum (Allod). Im Gegensatz dazu blieben Weide, Wald und Gewässer im Gemeinschaftsbesitz der Dörfer (Allmende). Diese Allmende entwickelte sich im Rahmen des Feudalismus und des Agrarkapitalismus.

Schauen wir uns die Transformation der Allmende im Feudalismus und sich entwickelnden Agrarkapitalismus genauer an. Die Dörfer differenzierten sich durch die feudal-kapitalistische Entwicklung immer stärker aus. Neben einem breiten bäuerlichen Mittelstand entwickelte sich auch eine Schicht von landarmen und landlosen DorfbewohnerInnen, die Lohnarbeit leisten mussten, um überleben zu können. Sie wurden Knechte und Mägde der reicheren BäuerInnen. Doch das sich herausbildende Landproletariat konnte sich nicht allein durch Lohnarbeit ernähren. Zum Lebenserhalt trug neben der Armenfürsorge der Kirche auch die Allmende als dörflicher Gemeinschaftsbesitz an Wiesen, Weiden, Wäldern und Gewässern bei. Indem die KleinbäuerInnen und das entstehende Landproletariat das Gemeinschaftseigentum und die kollektiven Rechte der Allmende nutzen konnten – zum Beispiel das Recht auf die Ährenlese nach der Ernte oder das Recht ein kleines Vieh auf der Dorfwiese zu weiden –, konnten sie sich ihre biosoziale Reproduktion sichern. Die Allmende sicherte und regulierte also die soziale Differenzierung und die sich entwickelnde kapitalistische Ausbeutung der Lohnarbeit im Dorfe. Sie war ein Rest des Urkommunismus, das bereits von der feudal-kapitalistischen Klassengesellschaft deformiert war. In ihrer Erleichterung der biosozialen Reproduktion der Dorfarmut gleicht sie dem heutigen bürgerlichen Sozialstaat. Hier schließt sich der Kreis. Große Teile der kleinbürgerlichen politischen Linken verklären sowohl den sozialreaktionären Wirkungszusammenhang der alten Allmende wie des modernen bürgerlichen Sozialstaates.

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In Bolivien bildete sich während des linksbürgerlichen Morales-Regimes (2005-2019) eine regelrechte GenossInnenschaftsbourgeoisie heraus. Die ersten GenossInnenschaften im bolivianischen Bergbausektor wurden bereits während der Weltwirtschaftskrise von 1929 gegründet. Deren Bedeutung nahm mal ab und mal zu. Während der neoliberalen Offensive der Privatbourgeoisie wurde in Bolivien im Jahre 1985 die Zerschlagung des staatlichen Bergbau-Konsortiums COMIBOL zugunsten multinationaler Konzerne beschlossen. Die entlassenen LohnarbeiterInnen gingen zuerst in die Städte und suchten dort neue Jobs. Als sie dort jedoch keine fanden, kehrten sie in die Minen zurück. Diese Rückkehr war mit Klassenkämpfen verbunden. Die neugegründeten GenossInnenschaften absorbierten einen Teil der Arbeitslosen, die der privatisierte Bergbausektor produzierte. Auch betrieben sie im Gegensatz zu den Privatinvestoren die alten und wenig profitablen Bergwerke. Durch die staatliche Legalisierung der GenossInnenschaften wurde der Klassenkampf befriedet.

Das linksreaktionäre Regime der MAS unterstützte seit 2005 die GenossInnenschaften. Aus ihren Reihen entwickelte sich eine neue Bourgeoisie. Durch die hohen Rohstoffpreise stiegen auch die bolivianischen Bergbauexporte von einem Preis von 500 Millionen US-Dollar 2006 auf über 3 Milliarden US-Dollar 2013. Aus der Produktion der Bergbauexporte stammten immerhin 30 Prozent von den GenossInnenschaften. Beim Gold waren es 71 Prozent, bei Zinn 41 Prozent, beim Silber 37 Prozent. Der von der Linksreaktion regierte Staat überantwortete seit 2008 43 Prozent der von ihm vergebenen Territoriums diesen Bergbaukooperativen. Deren Zahl verdreifachte sich von 447 im Jahr 2008 bis 2013 auf 1 400. Im letztgenannten Jahr beschäftigten sie 120 000 ArbeiterInnen, 90 Prozent der im Bergwerkssektor Tätigen. Der Staat unterstützte die GenossInnenschaften auch dadurch, dass diese nur wenig Steuern bezahlen mussten. Sie zahlten nur 4 Prozent Umsatzsteuer und lediglich ein Prozent des Produktionswerts als Konzessionsgebühr für die Ausbeutung der COMIBOL-Minen. So gingen im Jahre 2012 lediglich 44 Millionen US-Dollar ihrer Exporteinnahmen von 1,059 Milliarden an den Staat.

Die sozialen Unterschiede zwischen den bolivianischen GenossInnenschaften waren sehr ausgeprägt. Mehr als 80 Prozent der Bergbaukooperativen bestanden aus zehn bis fünfzig GenossenschafterInnen. Zwei Prozent von ihnen hatten mehr als 200 Mitglieder. Das Kapital der GenossInnenschaften war stark konzentriert und zentralisiert. So befanden sich 74 Prozent der Produktion in den Händen von 12 Prozent der Bergbaukooperativen. Dementsprechend waren auch die Gewinne sehr ungleich verteilt. Während um 2015 einige GenossenschafterInnen monatlich um die 60 000 Bolivianos – um diese Zeit etwa 8 500 Dollar – erhielten, bekamen die embryonal kapitalistisch ausgebeuteten LohnarbeiterInnen der Kooperative lediglich 1 500 Bolivianos (215 US-Dollar). Bei den großen GenossInnenschaften waren bis zu 80 Prozent der Beschäftigten LohnarbeiterInnen. Das waren schon keine kleinbürgerlich-kollektiven Formen der Warenproduktion mehr, das waren bereits kapitalistische Unternehmen! Lediglich 10 GenossInnenschaften hatten um 2015 mehr als 300 Mitglieder.

Die kapitalistischen GroßgenossInnenschaften sind sozial stark ausdifferenziert und auch von großer Ungleichheit geprägt. Lediglich formal waren alle ArbeiterInnen GenossenschafterInnen. In der Wirklichkeit existierten unterschiedliche Kategorien. So gab es vom Land kommende Hilfskräfte. Diese jobbten in den Kooperativen als SaisonarbeiterInnen, um ihr karges Einkommen aus der Agrarproduktion auszubessern. Auch unqualifizierte Arbeitskräfte wurden eine längere Zeit – manchmal Jahre – als Lohnabhängige ausgebeutet, bis sie Mitglieder der GenossInnenschaften werden konnten. Viele GenossenschafterInnen hatten TagelöhnerInnen unter Vertrag, die sie embryonal kapitalistisch ausbeuteten. So schufteten im Cerro Rico von Potosí vier HilfsarbeiterInnen für eine/n Genossenschafter/in. Der Gewinn wurde dann folgendermaßen aufgeteilt: Die GenossenInnenschafterInnen bekamen 40 Prozent, während es bei den TagelöhnerInnen 60 Prozent waren. So verdienten die TagelöhnerInnen nur etwa zwischen 700 und 1 000 Bolivianos (100-140 Dollar).

Auch gab es so genannte Zweithände, das war eine Kategorie zwischen TagelöhnerInnen und GenossenschafterInnen. Aber auch letztere waren nicht gleich. Es gab drei bis vier unterschiedliche Kategorien von ihnen. Die Rechte der GenossenschafterInnen waren ausdifferenziert und nur die oberen Kategorien hatten Anspruch auf Prämien und Zusatzzahlungen. In manchen Kooperativen übten nur wenige Mitglieder Führungsfunktionen aus.

Die Arbeit war so organisiert, dass sich die einzelnen GenossenschafterInnen ihren eigenen Platz im Stollen suchten. Diesen Platz beuteten sie dann unabhängig aus. Die GenossenschafterInnen konnten sich untereinander zusammenschließen oder Lohnabhängige einstellen und ausbeuten. Einnahmen der Kooperativen waren abhängig vom Mineraliengehalt des abgebauten Gesteins. In den größten GenossInnenschaften von Potosí widmete sich deren Management Führungsaufgaben, während die TagelöhnerInnen das Gestein abbauten. Die Führungstätigkeit im Management der Kooperativen enthielt die Möglichkeit des Aufstiegs in die Politik, zumal enge Verbindungen zur regierenden MAS bestanden. Große Kooperativen verfügten über bürgerlich-bürokratische Apparate. Diese entfalteten ihre politökonomische Macht über Büros, BuchhalterInnen, FahrerInnen, IngenieurInnen, Sicherheitspersonal und eine bessere technische Ausstattung. Auch konnten sie wegen ihres größeren Umsatzes zu besseren Preisen verkaufen. Die soziale Differenzierung innerhalb der Kooperativen war also sehr groß, sie gingen fließend in Kapitalgesellschaften über.

So entwickelte sich im linksreaktionären Regime der MAS eine GenossInnenschafts-Bourgeoisie. Diese besetzte Verwaltungsposten oder war mit dem Führungsmanagement eng verbunden. Sie kontrollierte wertvolle Mineralienvorkommen, gliederte Aufgaben aus und investierte in Technologie. Die GenossInnenschafts-Bourgeoisie eignet sich hohe Profite an. Sie handelte wie KapitalistInnen und große Wirtschaftsbosse. Diese Emporkömmlinge hatten direkte Beziehungen zu den VermarkterInnen. In einigen Fällen konnten sie auch Verträge mit ausländischen InvestorInnen zur Risikoaufteilung aushandeln.

So entwickelte sich eine neue Schicht der Bourgeoisie in Bolivien, deren Macht und Prestige auf der Kontrolle der produktiven Tätigkeit der anderen GenossInnenschafterInnen und der TagelöhnerInnen gründete. Das GenossInnenschafts-Proletariat schuftete währenddessen sehr hart – oft mit manuellen Werkzeugen – in den Minen. Indem die GenossInnenschafts-Bourgeoisie die Arbeit organisierte, eignete sie sich auch den Mehrwert an, den das Proletariat in den Kooperativen produzierte. Diese neue Schicht der herrschenden kapitalistischen Klasse kontrollierte selbstverständlich auch den GenossInnenschaftsverband Federación Nacional de Cooperativas Mineras de Bolivia (FENCOMIN), der vor dem Verfall der Rohstoffpreise etwa ein Drittel der Bergbauexporte des Landes organisierte.

Und diese GenossInnenschafts-Bourgeoisie strebte auch in die Politik, sie stärkte die linke Fraktion des bolivianischen Nationalkapitals. Eine führende Figur dieser Schicht der Bourgeoisie stellt zum Beispiel der Senator der regierenden MAS für das Departement Potosí, Efraín Condori, dar. Bevor dieser Herr sein Unwesen als linker Politbonze trieb, arbeitete er in den 1980er Jahren noch in der Mine Catavi – damals noch zum staatlichen Konsortium COMIBOL gehörend. In den 1990er Jahren wurde Condori in der GenossInnenschaft 20 de Octubre aktiv. Von dieser Kooperative wurde er schließlich zum Präsidenten gewählt. Zwischen 1998 und 2000 stieg dieser Emporkömmling zum Präsidenten des GenossInnenschaftsverbandes FENCOMIN auf. Und schließlich wurde er Politbonze der regierenden MAS. Das ist alles, was die Linksreaktion vermag: Der Aufstieg ehemaliger ProletarierInnen in die Bourgeoisie.

Eine weitere führende Figur der GenossInnenschafts-Bourgeoisie ist Pascal Huarachi. Dieser war zuerst ein StudentInnenführer, ab 1996 dann Bildungsbeauftragter der BergbaugenossInnenschaft von Chorolque. Zwischen 2002 und 2004 war der Mann ein führender Sekretär des GenossInnenschaftsverbandes FENCOMIN. In den Jahren 2005/2006 war er dessen Vorsitzender. Auch er stieg zum Senator der regierenden MAS auf. Außer den Senatoren stammten um 2015 sechs Kongressabgeordnete aus den Bergbaukooperativen. In dieser Zeit stellten sie 8 Prozent der Regierungsfraktion der linksreaktionären MAS. Auch der erste Bergbauminister von Evo Morales war ebenfalls ein früherer Vorsitzender der FENCOMIN. Dieser Verband hatte auch großen Einfluss innerhalb des Bergbauministeriums. Um 2015 herum waren mindestens zwei Genossenschafter Staatssekretäre.

Zwischen der GenossInnenschafts-Bourgeoisie als Teil der herrschenden kapitalistischen Klasse und den linken Politbonzen der MAS gab es also enge soziale Verflechtungen. Allerdings war diese auch nicht frei von Konflikten. Die Bergbaukooperativen übten teilweise Druck auf die regierenden linken BerufspolitikerInnen aus, damit diese Gesetze im Interesse der GenossInnenschafts-Bourgeoisie machten. Zum Beispiel vor den Wahlen von 2014. Da unterstützte der FENCOMIN die linke MAS erst nach der Verabschiedung eines für die GenossInnenschafts-Bourgeoisie vorteilhaften Gesetzes. Dieses 2014 verabschiedete Gesetz begünstigte den Bergbau gegenüber der Agrarproduktion. So beinhalteten die staatlich vergebenen Bergbaukonzessionen die Möglichkeit BäuerInnen zu enteignen. Auch richtet sich das Bergbaugesetz der regierenden Linksreaktion gegen die Interessen der amerikanischen UreinwohnerInnen von Bolivien. Trotz der plurinationalen Ideologie der MAS-Bonzen sind diese wie die regierende Rechtsreaktion vor ihr die politischen Charaktermasken der kapitalistischen Ausbeutung der Bodenschätze. Das Bergbaugesetz von 2014 erkannte nur drei Arten von Bergbauunternehmen an, nämlich privat- und staatskapitalistische, sowie genossenschaftliche. Wie wir weiter oben darlegten, ist der Übergang der GenossInnenschaften in Kapitalgesellschaften sehr fließend. Nach der Ansicht des Forschungszentrums Centro de Estudios para el Desarrollo Laboral y Agrario (CEDLA) zwang das Bergbaugesetz die uramerikanischen Gemeinschaften dazu „eine kapitalistische, marktorientierte Organisationsform anzunehmen, und eigene soziokollektive Strukturen aufzugeben“. (CEDLA, Ley Minera del MAS. Privatista y antiindígena, in: Boletín de Seguimiento a Polícas Públicas, Nr. 282014, S. 5, online: www.redunitas.org/CEDLA_control_ciudadano_26.pdf.)

Aus sozialrevolutionärer Sicht ist dazu zu sagen, dass diese „eigenen soziokollektiven Strukturen“ der amerikanischen UreinwohnerInnen innerhalb des bürgerlichen Nationalstaates Bolivien im besten Falle an bäuerlich-urkommunistische Traditionen anknüpfen und eine kollektiv-kleinbürgerliche Form der Warenproduktion verkörpern können. Sie können also nur weniger kapitalistisch ausgeprägt sein wie die großen Bergbaukooperativen, aber keine wirkliche nachkapitalistischeAlternative darstellen. Das linksreaktionäre MAS-Regime bekämpfte mit dem Bergbaugesetz von 2014 gewisse Traditionen des vorkapitalistischen BäuerInnen-Kommunismus. Selbstverständlich kann der antikapitalistische Kommunismus schöpferisch-kritisch an den Traditionen des vorkapitalistischenKommunismus anknüpfen, er macht sich aber keine Illusionen über deren Charakter innerhalb kapitalistischer Nationen. Aber er bekämpft auch dessen Zerstörung durch die kapitalistische Sozialreaktion, zu der auch die linke MAS-Regierung in Bolivien gehörte. Die Zerstörung bäuerlich-urkommunistischer Traditionen durch die bolivianische regierende Linksreaktion war nur die andere Seite der Medaille der Herausbildung einer GensossenInnenschafts-Bourgeoisie als linkspolitischer Beitrag zur Neuzusammensetzung der herrschenden kapitalistischen Klasse in Lateinamerika. Als das MAS-Regime den Bau einer Straße durch ein Gebiet der amerikanischen UreinwohnerInnen in Ost-Bolivien plante, konnten sich die linken Politbonzen auf die – auch von ihnen herangezüchteten – GenossInnenschafts-Bourgeoisie voll verlassen. Sie mobilisierte zu den Großdemonstrationen der Regierung, wofür sie das Regime mit zwei Gesetzen zugunsten des Bergbaus belohnte.

Der kleinbürgerlich-demokratische Intellektuelle und Forscher am Dokumentations- und Informationszentrum Bolivien (CEDIB), Pablo Vilegas, schrieb, dass keine andere gesellschaftliche Gruppe über eine solche Macht verfüge, wie sie im Rahmen der Bergbaukonzessionen zugestanden werde. Die Schürfrechte seien „durch Normen geschützt, die eher einer Monarchie als einer Demokratie entsprechen“. (Pablo Villegas, Ley de minería a costa de la democracia, in: Petropress, Nr. 33, Februar-August 2014, Cochabamba, Cedib, S. 26.) Typisches linksdemokratisches Gebaren, die großen Ideale der Demokratie gegen deren Wirklichkeit als kapitalistisches Staatssystem zu verteidigen. Nach der Analyse der CEDLA boten die gesetzlichen Regelungen der regierenden Linksreaktion den Bergbauunternehmen und ihren InvestorInnen Schutz vor „den Aktionen von Individuen oder Gruppen, die Bergbaugebiete und ihre Installationen besetzen oder besetzen planen.“ (CEDLA, Ley Minera del MAS, a.a.O., S. 6.) Das linksreaktionäre Regime schützte auf diese Weise das Bergbaukapital vor sozialen Protest.

Es wurde auf diese Weise „zu einem Instrument der Konzessionsinhaber“, wie Villegas schrieb. Die BesitzerInnen von Schürfrechten würden nach Ansicht dieses kleinbürgerlichen Demokraten auf widersprüchliche Weise sogar „über dem Parlament“ stehen, was nach dieser Denkrichtung ein schweres Verbrechen gegen die demokratischen Ideale darstellt. Das linksreaktionäre Regime hatte nach Villegas den GenossInnenschaften Privilegien eingeräumt, nachdem diese ihre politische Unterstützung von der Verabschiedung des Bergbaugesetzes abhängig gemacht hatten. Zum anderen setze die regierende MAS „die Polizei ein, um oppositionellen Verbänden wie CONAMAQ oder CIDOB (Anmerkung von Nelke: Organisationen der amerikanischen UreinwohnerInnen) den Organisationsstatus abzuerkennen und ihre Funktionen von der Regierung gegründeten Organisationen zu übertragen.“ (Pablo Villegas, Ley de minería a costa de la democracia, a.a.O., S. 28.) Wie wir sehen, muss die politische Linke, wenn sie zu einer regierenden Charaktermaske der Demokratie als realer kapitalistisch-sozialreaktionärer Staatsform wird, auch jene linksdemokratischen Illusionen, die sie woanders als Oppositionskraft selbst schürt, mit Füßen treten. SozialrevolutionärInnen belustigen sich über die kleinbürgerlich-demokratischen Ideale und bekämpfen die reale Demokratie kompromisslos.

Und die Demokratie ist auch ein Futternapf für linke Politbonzen und die GenossInnenschafts-Bourgeoisie. Dies bekamen auch die kleinbürgerliche DemokratInnen der CEDLA mit. Auch nach ihrer Ansicht unterstützte die Regierung „die Kooperativisten als Angehörige einer aufstrebenden Bourgeoisie, die wiederum das neue plurinationale Bolivien stärken soll“. (CEDLA, Ley Minera del MAS, a.a.O.) Neben der aufstrebenden GenossInnenschafts-Bourgeoisie unterstützt die linke MAS auch die HändlerInnen und mittleren AgrarproduzentInnen im Norden der Provinz Santa Cruz. Auf diese Weise baute die linke Fraktion des Kapitals ihre eigene ökonomische Basis aus, während andererseits sich neuformierende Teile der Bourgeoisie in der Linksreaktion ihre politische Vertretung sahen.

Die GenossInnenschafts-Bourgeoisie versteckte sich hinter der proletarischen Maske. In Wahlkampagnen für die MAS setzten sich die Bourgeois der Kooperativen BergarbeiterInnenhelme auf. Sie reproduzierten damit auf demagogisch-ideologische Weise Symbole der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung. Deren bürgerlich-bürokratischen Partei- und Gewerkschaftsapparate sind aber schon lange global Teil der linken Fraktion des Kapitals. Unter der proletarischen Maske mobilisierte die GenossInnenschafts-Bourgeoisie auch die LohnarbeiterInnen des Bergbaus – sowohl für als auch gegen die regierenden linken Politbonzen der MAS. So beteiligte sich auch die kapitalistische und bürokratische Führungsschicht der Bergbaukooperativen an den sozialen Kämpfen, wie zum Beispiel an denen in Potosí – die am stärksten von Bergbau geprägte Provinz in Bolivien. Die GenossInnenschafts-Bourgeoisie war zentraler Akteur der dortigen Bewegungen von 2007, 2010 und 2015. Selbstverständlich gehörte sie auch dem Comité Cívico Potosinista (COMCIBO; Bürgerkomitee von Potosí) an. Dieses organisierte 2015 einen dreiwöchigen Streik mit Verkehrsblockaden und Straßenprotesten.

2015, als die Rohstoffpreise fielen, stellte das COMCIBO einen Forderungskatalog, der aus 26 Punkten bestand. Unter anderem wurden Maßnahmen zur Strukturförderung gefordert. Außerdem mobilisierte die GenossInnenschafts-Bourgeoisie die proletarische Basis der Bergbaukooperativen für die Eröffnung der bereits vor 40 Jahren errichteten, aber nie in Betrieb genommene Minenanlage von Karachipampa und die Sanierung des Silberbergs von Potosí, deren Zusammenbruch und damit die Verschüttung der Gräben drohte. Dieser Cerro Rico de Potosí war eines der größten des von den GenossInnenschaften ausgebeuteten Silbervorkommens.

Durch Kampf und Kooperation im Verhältnis zur regierenden Linksreaktion hatten sich die Bergbaukooperativen und deren Bourgeoisie an der Spitze vier Privilegien erkämpft: Erstens zahlten sie weniger Abgaben und keine Mehrwertsteuer. Zweitens waren sie wegen ihrem vorgeblichen sozialen Charakter und weil sie angeblich nicht gewinnorientiert waren, von den normalen Verpflichtungen des Steuersystems befreit. Drittens wurden sie von der linken Regierung bei der Vermarktung ihrer Produkte unterstützt. Und viertens war für die Bergbaukooperativen auch die Umweltschutzgesetzgebung nicht bindend. Die linken BerufspolitikerInnen verbünden sich mit der herausbildenden Bourgeoisie der GenossInnenschaften und mit der Gewerkschaftsbonzokratie, um in der Konkurrenz mit der Rechtsreaktion über eine stabile sozialökonomische Basis verfügen zu können. Während die Führungselite der Bergbaukooperativen die Unterstützung durch das linke Regimes nutzte, um ihren weiteren sozialen Aufstieg politisch abzusichern. Sowohl in der Kooperation als auch im Konflikt mit der regierenden Linksreaktion setzte sie sich die proletarische Maske auf und mobilisiert die Basis der GenossInnenschaften. Die Hauptgeschädigten der Kooperation der linken Politbonzen mit der GenossInnenschafts-Bourgeoisie waren die von ihr ausgebeuteten TagelöhnerInnen in den Bergbaukooperativen sowie die uramerikanischen Dorfgemeinschaften in den Anden, die die Bodenschätze, die ihnen formal gehörten, selbst nicht abbauen konnten – der Abbau könnte auch im besten Falle höchstens kleinbürgerlich-kollektiv im Rahmen der Warenproduktion erfolgen –, weil sie weder über die dafür notwendigen Geldmittel verfügten noch vom Staat unterstützt wurden. Doch trotz der Unterstützung durch die regierende Linksreaktion suchte die aufstrebende Bourgeoisie der Bergbaukooperativen auch das Bündnis mit dem Privatkapital, um die Führung im Sektor zu übernehmen. Pablo Poveda vermutete: „Tendenziell geht die Entwicklung dahin, dass die Bergbaugenossenschaften und die für sie geltenden Sonderregeln zu einem Einfallstor für das ausländische Kapital werden und dass auf diese Weise die verschwundene Klasse des mittleren Bergbauunternehmertums in Bolivien ersetzt wird.“ (Pablo Poveda, Formas de productión de la cooperativas mineras en Bolivia, CEDLA, La Paz 2014, S. 85.)

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5. Biosoziale Reproduktionsverhältnisse, Familie und Prostitution https://astendenz.blackblogs.org/2023/04/15/5-biosoziale-reproduktionsverhaeltnisse-familie-und-prostitution/ Sat, 15 Apr 2023 01:09:44 +0000 http://astendenz.blackblogs.org/?p=94 Die biologischen Geschlechter männlich und weiblich sorgen durch das Zeugen und Gebären vom neuen Leben für die biosoziale Reproduktion der Menschheit. Soziale Geschlechterrollen, also was in einer bestimmten Gesellschaft als „männlich“ und „weiblich“ gilt, hat aber nicht viel mit den biologischen Geschlechtern zu tun. Zum Beispiel hat die Norm, dass es in der Regel fast überall als „unmännlich“ gilt, Röcke zu tragen, nichts mit dem biologischen Geschlecht zu tun. Das Überkreuzliegen von biologischem Geschlecht, sozialer Geschlechterrolle und individueller Geschlechtsidentität führte auch zur Entwicklung von Transgender und nichtbinärer Geschlechtsidentität. Transgender sind Personen, deren individuelle Geschlechtsidentität nicht ihrem eingetragenen Geschlecht entspricht. Nichtbinäre Geschlechtsidentitäten sind dadurch geprägt, dass sie außerhalb der Zweigeschlechtlichkeit liegen. Sie ordnen sich nicht eindeutig und immer den Kategorien „männlich“ und „weiblich“ unter. Auch die Homo- und Bisexualität weichen von dieser heterosexuellen Norm ab. Bürgerliche Staaten unterdrückten allgemein alle Abweichungen von der heterosexuellen Normierung. Ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts kam es auch aufgrund der sozialen und politischen Bewegung all jener Menschen, die von der heterosexuellen und/oder binärgeschlechtlichen Normierung abweichen in einigen Staaten zu einer gewissen Liberalisierung der Familienpolitik und Legalisierung von Transgender, Homo- und Bisexualität sowie nichtbinären Geschlechtsidentitäten. Sozialrevolutionäre Antipolitik kämpft entschieden gegen die staatliche Repression gegen nichtheterosexuelle Menschen, Transgender und Personen mit einer nichtbinären Geschlechtsidentität. Außerdem strebt sie eine totale Aufhebung sozialer Geschlechterrollen und der heterosexuellen Normierung in einer nachkapitalistisch-nachpolitischen, klassen- und staatenlosen Weltgemeinschaft an.

Aber noch immer ist die monogam-heterosexuelle Kleinfamilie aus Mann, Frau und Kindern das vorherrschende biosoziale Reproduktionsverhältnis im Kapitalismus. Die rechtsstaatliche Institutionalisierung der bürgerlichen Kleinfamilie stellt die Ehe dar. Diese hat sich in einigen Ländern liberalisiert und auch gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren geöffnet. Aber die Ehe ist im Prinzip in der Regel unvereinbar mit allen nichtmonogamen Liebes- und Sexualbeziehungen. Der bürgerliche Staat begünstigt in der Regel noch immer Familien und Ehen als vorherrschende biosoziale Reproduktionsverhältnisse. Seine konkrete Familienpolitik ist auch abhängig von den allgemeinen Entwicklungstendenzen der Kapitalvermehrung. In westlichen Gesellschaften leben immer mehr Menschen in Singlehaushalten.

In diesen Privathaushalten – egal ob die von Singles, monogamen Paaren/Familien/Ehen oder Kommunen der Polyamorie – reproduzieren sich die Menschen biosozial. Bourgeoisie sowie produktions- und handelsmittelbesitzende KleinbürgerInnen reproduzieren sich als PrivateigentümerInnen. Hier ist auch die Vererbung von Privateigentum an Produktionsmitteln/Firmenanteilen an den Nachwuchs sehr wichtig. Dagegen reproduzieren kleinbürgerliche und proletarische Lohnabhängige in diesen Privathaushalten ihre Arbeitskraft biosozial. Dazu sind auch biosoziale Reproduktionstätigkeiten nötig (Einkaufen, Saubermachen, Kochen, das Behüten und die Erziehung von Kindern sowie die Pflege von kranken und/oder älteren Familienmitgliedern). Bourgeoisie und das obere KleinbürgerInnentum können die biosozialen Reproduktionstätigkeiten weitgehend auf privat dienende Lohnabhängige beziehungsweise auf die privatkapitalistisch organisierte Dienstleistungsbranche abwälzen. Das ist in den Single- und Paarhaushalten des unteren KleinbürgerInnentums und des Proletariats nicht möglich.

Hier sind die biosozialen Reproduktionstätigkeiten auch im westlichen Kapitalismus noch immer vorwiegend Frauensache. In der lohnabhängigen Familie hat sich dort folgendes Rollenmodell durchgesetzt: Der Mann ist meistens der Hauptverdiener in einem Vollzeitjob, während die Frau meistens weniger verdient – oft auch in Teilzeit- und/oder nichtsozialversicherungspflichtigen Minijobs. Gleichzeitig verrichtet sie den größten Teil der biosozialen Reproduktionstätigkeiten. Selbstverständlich gibt es auch heterosexuelle Paare/Familien/Ehen, in der die Frauen die Haupt- oder Alleinverdienerinnen sind und die Männer den größten Teil der innerfamiliär-biosozialen Reproduktionstätigkeiten verrichten. Doch das ist eine Minderheitentendenz. Und es gibt auch Paar- und Familienhaushalte, in denen die biosozialen Reproduktionstätigkeiten fair auf Mann und Frau verteilt werden.

Aber egal ob in Single- oder Paarhaushalten, ob vorwiegend von den Frauen, den Männern oder gleichberechtigt ausgeübt: Innerfamiliär-biosoziale Reproduktionstätigkeiten dienen bei Lohnabhängigen dazu, eine vermietbare Arbeitskraft zu reproduzieren. Ein ungepflegter und/oder durch Drogen geschädigter Körper lässt sich wesentlich schwerer an dessen potenzielle AusbeuterInnen vermieten. Biosoziale Reproduktionstätigkeit erhält also den Tauschwert der Arbeitskraft, fügt dieser aber keinen neuen hinzu. Sie ist tendenziell lohnsparend. So ist zum Beispiel selbst kochen kostengünstiger als in das Restaurant gehen.

Dort wo die biosoziale Reproduktionstätigkeit noch vorwiegend patriarchal-sexistisch durch die Frauen erfolgt, wird sie praktisch durch „ihren“ Mann ausgebeutet. Sie produziert Gebrauchswert für die ganze Familie, für sich, den Mann und die Kinder, während er sich in der Freizeit weitgehend ausruhen kann und muss, damit er wieder fit ist für den Job. Sind die Frauen auch noch lohnabhängig, dann leiden sie unter einer starken Doppelbelastung aus Job und innerfamiliär-biosozialen Reproduktionstätigkeiten. Die bürgerliche Kleinfamilie ist noch immer stark patriarchal-sexistisch geprägt.

Der Staat greift durch seine Politik in die biosoziale Reproduktion der Menschen ein. Besonders überwacht er die Gebärfunktion der Frauen. In den meisten Ländern ist er weit davon entfernt diese Funktion den Frauen als freie Kontrolle über ihren eigenen Körper zu überlassen, sondern er schuf und schafft ein mehr oder weniger repressives Abtreibungsverbot. Dieses wiederum wird von der klassenübergreifenden Frauenbewegung bekämpft, durch ihren Druck kam es in einigen Ländern zu mehr oder weniger konsequenten Legalisierung des Schwangerschaftsabbruches. Auch stellte der politische Gewaltapparat bis in das 20. Jahrhundert hinein Mann und Frau in der Familie nicht rechtlich gleich. Lange Zeit war die Frau in der bürgerlichen Kleinfamilie weitgehend entmündigt und ihrem Mann auch juristisch unterworfen. Der antipolitische Kommunismus strebt die Zerschlagung der Ehe als staatlich sanktionierte Form der bürgerlichen Kleinfamilie und die Gleichberechtigung aller Formen von Liebes- und Sexualbeziehungen in einer klassen- und staatenlosen Weltgemeinschaft an.

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Der Mensch ist ein soziales Wesen, aber im Kapitalismus auch ein asoziales Marktsubjekt und Konkurrenzindividuum. Die meisten Menschen – besonders die lohnabhängigen – werden in der verdinglichten, geldproduzierenden Arbeit nicht glücklich. Ganz im Gegenteil. Sie erwarten deshalb von ihren Partnerschaftsbeziehungen beziehungsweise Familien und Ehen, dass sie glücklich machen. Sozusagen das biosoziale Reproduktionsverhältnis als Oase des Glücks im kapitalistischen Meer der Konkurrenz-Asozialität, stumpfsinnig machender Lohnarbeit und Ware-Geld-Verdinglichung menschlicher Beziehungen. Dadurch werden allerdings viele Paarbeziehungen, Familien und Ehen emotional überfrachtet. Die Menschen machen sich gegenseitig zum Objekt eines totalitären Glücksanspruchs. Aus der tiefen Erfüllung aus gegenseitiger Zuneigung am Beginn einer Beziehung, die in dem schönen Kompliment zum Ausdruck kommt „Du machst mich glücklich“ wird schnell der absolute Anspruch: „Mache mich glücklich!“ Dieses Besitzdenken kann Liebe und Zärtlichkeit nur töten und Quelle von körperlicher, psychischer und emotionaler Gewalt sein – bis hin zum Mord. Bei der Ausübung von körperlicher Gewalt in Paarbeziehungen, Familien und Ehen sind die Männer oft die Täter und die Frauen die Opfer. Aber es gibt auch Frauen, die „ihren“ Männern durch psychisch-emotionale oder gar körperliche Gewalt das Privatleben zur Hölle machen. Sehr oft werden also im Kapitalismus aus biosozialen Reproduktionsverhältnissen asoziale Gewaltverhältnisse.

Das bürgerliche Alltagsbewusstsein produziert Sprüche über das Verhältnis von menschlichen Solidarbeziehungen und dem Ware-Geld-Verhältnis, die erstmal banal klingen, aber eine tiefe Wahrheit über die Warengesellschaft offenbaren. „Bei Geld hört die Freundschaft auf“ sagt zum Beispiel sehr viel darüber aus, wie die konkurrenzförmige Jagd nach dem verselbständigten Ausdruck des Tauschwertes auch zwischenmenschliche Solidarbeziehungen zerstören. „Liebe kann man nicht kaufen“ bedeutet aber auch, dass diese zwischenmenschliche Zärtlichkeit für kein Geld der Welt zu haben ist. Ficken kann mensch dagegen für Geld. Prostitution heißt aber auch im Gegenzug von der Ware-Geld-Beziehung gefickt zu werden. Die Prostitution ist eine Ware-Geld-Perversion der Sexualität. Sie beruht auf dem sozialen Elend der Prostituierten, irgendwie Geld verdienen zu müssen, und dem sexuellen Elend der FreierInnen. Die Prostitution ist noch stark patriarchal-sexistisch geprägt. Das heißt, dass die meisten Prostituierten weiblich und die meisten FreierInnen männlich sind. Aber auch Frauen können sich Callboys mieten. Dies ist eine Minderheitenströmung innerhalb der Prostitution. Der bürgerliche Staat kann die Prostitution legalisieren oder verbieten – aber aufheben kann er sie nicht, da es die herrschende Warengesellschaft selbst ist, die sie hervorbringt. Ein Teil des kleinbürgerlichen Mittelstandsfeminismus tritt für das Verbot der Prostitution bei der Kriminalisierung der Freier ein. Der antipolitische Kommunismus kämpft für eine sozialrevolutionäre Überwindung der Prostitution durch die Aufhebung der Ware-Geld-Beziehungen sowie des sozialen und sexuellen Elends.

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