imperialismus – Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz https://astendenz.blackblogs.org Es lebe die Möglichkeit der klassen- und staatenlosen Weltgemeinschaft! Thu, 10 Apr 2025 22:17:01 +0000 de-CH hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Die IG Metall bei VW https://astendenz.blackblogs.org/2025/03/15/die-ig-metall-bei-vw/ Sat, 15 Mar 2025 22:24:30 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=321 Dieses Flugblatt wurde am 15. März 2025 bei dem Aktionstag der IG Metall in Hannover verteilt.

Die kapitalistische Ausbeutung der Lohnarbeit

Unsere Ausbeutung besteht darin, dass wir Lohnabhängigen mehr Geld produzieren, als wir als Lohn ausgezahlt bekommen. Unsere Arbeitszeit ist durch eine unsichtbare Grenze geteilt. In der selbstreproduktiven Arbeitszeit produzieren wir eine neue Geldsumme – neben der Übertragung der Produktionsmittelkosten auf das neu entstehende Produkt –, die unserem Lohn entspricht. In der Mehrarbeitszeit produzieren wir den Mehrwert, den sich die kapitalistischen Unternehmen aneignen. Arbeit findet im Kapitalismus in der Regel nur dann statt, wenn aus ihr genug Profit herausgepresst werden kann.

Die IG Metall – Co-Managerin der kapitalistischen Ausbeutung

Gewerkschaften können grundsätzlich nur die kapitalistische Ausbeutung der Lohnarbeit – durch Erkämpfung höherer Löhne, kürzerer Arbeitszeiten und geringerer Arbeitsintensität – abmildern, aber eben nicht überwinden. Sie führen einen Klassenkampf innerhalb des Kapitalismus. Gewerkschaften können und wollen keinen revolutionären Kampf gegen den Kapitalismus führen. In nichtrevolutionären Zeiten strebt nur eine kleine Minderheit der Lohnabhängigen bewusst eine soziale Revolution an.

Doch die meisten Gewerkschaften führen auch nur einen inkonsequenten Kampf um höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten. Wie wir an der IG Metall sehr gut sehen können, ist es eine Haupttendenz der bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate sich vollständig in die kapitalistischen Unternehmen und in den kapitalistischen Staat zu integrieren. Der Apparat der IG-Metall ist über das staatliche Streikrecht, das Tarifvertragssystem, das Sitzen von Gewerkschaftsbonzen in den Aufsichtsräten und Betriebsräte Co-Manager der kapitalistischen Metall- und Elektroindustrie. Hauptamtlichen GewerkschaftsfunktionärInnen und Betriebsräte gehören eindeutig nicht zur Klasse der Lohnabhängigen. Sie stellen eine Art Co-ManagerInnen der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnarbeit dar.

Durch das Tarifvertragssystem verwalten die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate, unter anderem die IG Metall, die kapitalistische Ausbeutung von uns Lohnabhängigen mit. Durch Tarifverträge zwischen dem „Arbeitgeber“-Verband Gesamtmetall (Flächentarif) beziehungsweise kapitalistischen Einzelunternehmen (Haustarife) auf der einen Seite und der IG Metall auf der anderen werden die Lohnhöhe und die Arbeitszeit mitbestimmt. Die oben beschriebene kapitalistische Ausbeutung der Lohnarbeit kann durch das Tarifvertragssystem nicht aufgehoben, sondern nur abgemildert werden.

Durch das Tarifvertragssystem wird der Klassenkampf zwischen Kapital und Lohnarbeit verrechtlicht und entschärft. Daran ist besonders der Staat als ideeller Gesamtkapitalist und politischer Gewaltapparat der kapitalistischen Ausbeutung interessiert. So schafft er die gesetzliche Grundlage für die Tarifautonomie von kapitalistischen Unternehmen und Gewerkschaften. Arbeitsniederlegungen sind in der BRD grundsätzlich nur dann legal, wenn erstens die Streikziele in einem Tarifvertrag münden können und zweitens, wenn sie von einer Gewerkschaft organisiert werden. Wilde Streiks ohne und gegen den Willen von zentralen Gewerkschaftsapparaten sind nicht legal.

Auf dieser gesetzlichen Grundlage wird die IG Metall zur Co-Managerin der kapitalistischen Ausbeutung in der Metall- und Elektroindustrie. Sie übt praktisch in dieser das Streikmonopol aus. Die IG Metall ist ein wichtiger Ordnungsfaktor. Sie schloss in ihrer Geschichte nicht wenige klassenkämpferische KollegInnen aus. Während Arbeitsniederlegungen passt der Apparat der Gewerkschaft scharf darauf auf, dass sich die KollegInnen auch ja brav an das bürgerliche Gesetzbuch halten. Außerdem zahlt die IG Metall während der von ihr organisierten Ausständen an ihre Mitglieder – und nur an diese! – Streikgeld. Der IG-Metall-Apparat ist also ein wichtiger Ordnungsfaktor, der sehr verantwortungsbewusst gegenüber Kapital und Staat hin und wieder seine klassenkämpferische Basis mobilisiert – und nach Tarifvertragsabschluss auch wieder demobilisiert.

Während der Laufzeiten von Tarifverträgen ist die IG Metall an die Friedenspflicht gebunden. In der sie nicht zu Streiks aufrufen darf. Das ist für die einzelnen Metall- und Elektrounternehmen ein wichtiger Grund, sich auf das Co-Management mit der IG Metall einzulassen. Der Klassenkampf ist dann berechenbar und weitgehend unter der Kontrolle der wirtschafts- und staatstragenden IG Metall. Allerdings müssen die Unternehmen dafür auch einen materiellen Preis zahlen. Die Löhne sind in tarifvertragsgebundenen Unternehmen höher als in Firmen ohne Tarifvertrag. Allerdings können Einzelunternehmen, die die Gewerkschaft an Bord lassen, sich in Krisensituationen auf das große Entgegenkommen der IG-Metall-Bonzen verlassen. Siehe VW und weiter unten in diesem Flugblatt.

Durch das Tarifvertragssystem wird der bürgerlich-bürokratische Apparat der IG Metall also zum Co-Manager der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnarbeit. Außerdem sitzen IG-Metall-FunktionärInnen in den Aufsichtsräten großer Konzerne und die Gewerkschaft dominiert die meisten Betriebsräte in der Metall- und Elektroindustrie. Die Betriebsräte sind noch nicht mal Klassenkampforganisationen. Sie dürfen nicht zu Ausständen aufrufen und sind gesetzlich dem Betriebsfrieden verpflichtet. Gerade in der Autoindustrie sind nicht wenige BetriebsratsfürstInnen der IG Metall im wahrsten Sinne des Wortes Co-ManagerInnen des Kapitals. Siehe VW.

Die Gewerkschaft und der Betriebsrat bei Volkswagen

Die Rolle der IG Metall als Co-Managerin der kapitalistischen Ausbeutung wird bei dem Autokonzern Volkswagen (VW) überdeutlich. Die Gewerkschaft dominiert den Betriebsrat bei VW. Die IG-Metall-BetriebsratsfürstInnen wurden in den letzten Jahren regelrecht von dem Autokonzern eingekauft – auch mit illegalen Methoden. Die dann vor Gericht geklärt wurden und werden.

Aber nicht nur die IG-Metall-Betriebsräte waren und sind bei VW gute Co-ManagerInnen. Auch der Gewerkschaftsapparat lässt sich von diesem Konzern gerne einbinden. Gegen die Lohnabhängigen! Als der Gewinn bei VW im Jahre 2024 um zwei Drittel einbrach, war das Prinzip Maximalprofit gefährdet. Der Konzern musste handeln, indem er Leute rausschmeißt und die bleibenden Lohnabhängigen noch härter ausbeutet. So ging er Ende 2024 im Klassenkampf von oben in die Offensive. Die VW-Bosse verkündeten Anfang September 2024 Lohnkostensenkungen, die Entlassung von LeiharbeiterInnen und auch die Stammbelegschaft sollte reduziert werden.

Der IG-Metall-Apparat war von Anfang an bereit diese Angriffe auf ihre eigene Basis mitzutragen. Der Schaden sollte nur begrenzt werden. So machten die IG-Metall-Bonzen konstruktive Verbesserungsvorschläge, wie VW auf Kosten der Belegschaft sparen könnte. Gegenüber der Belegschaft hielten die FunktionärInnen dieser Gewerkschaft „kämpferische“ Reden und mobilisierten diese auch ein wenig. Schließlich einigte sich die IG Metall mit den VW-Bossen Ende Dezember 2024 auf folgende Angriffe auf die Lohnabhängigen: Bis zum Jahre 2030 sollen 35.000 Arbeitsstellen abgebaut werden. Die Zahl an neuen Ausbildungsstellen soll ab 2026 von 1.400 auf 600 gekürzt werden. Dafür verzichtete die IG Metall auf Lohnerhöhungen.

Die Gewerkschaft teilte mit, dass die im Abschluss der Metall- und Elektroindustrie vereinbarte Erhöhung bis 2030 „als Teilfinanzierung von Instrumenten zum Umgang mit Personalüberhängen ohne betriebsbedingte Kündigungen“ dienen werde. Die demagogischen Gewerkschaftsbonzen führten weiter aus: „Damit üben sich Beschäftigte in einem temporären Verzicht, verhindern damit aber gemeinsam den Kahlschlag an den VW-Standorten und helfen sich solidarisch gegenseitig.“ Welcher Kahlschlag wird denn durch den Lohnverzicht, den die IG Metall organisiert hatte, verhindert?! Die IG Metall stimmte Stellenabbau und Lohnkürzung zu. Sie war solidarisch mit VW – gegen die Lohnabhängigen. So eine Gewerkschaft ist ein Segen für Kapital und Staat. Ja, die IG-Metall-Bonzen erwiesen sich bei VW als echte VertreterInnen der ArbeiterInnen. StaubsaugervertreterInnen verkaufen Staubsauger und die IG Metall die ArbeiterInnen!

KollegInnen, ihr werdet von der IG Metall desorganisiert!

Sie ist ein Bonzenzuchtverein, aber für euch keine brauchbare Klassenkampforganisation!

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Auf wessen Seite steht die IG Metall? https://astendenz.blackblogs.org/2025/03/15/auf-wessen-seite-steht-die-ig-metall/ Sat, 15 Mar 2025 22:18:15 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=319 Dieses Flugblatt wurde am 15. März 2025 bei dem Aktionstag der IG Metall in Hannover verteilt.

IG Metall: Co-Managerin von Rüstungskapital und Staat

Die IG-Metall ist die Co-Managerin des deutschen Rüstungskapitals. Und damit eine Gewährleisterin einer reibungslosen Produktion des Mordwerkzeuges, womit der deutsche Staat sich selbst und seine Verbündeten – unter anderem Israel und die Ukraine – aufrüstet.

Der deutsche Imperialismus rüstet massiv auf – mit der Unterstützung des bürgerlich-bürokratischen Apparates der IG Metall. Dabei wird auch nichtmilitärische Produktion auf die von Mordwerkzeug umgestellt. Zum Beispiel in Görlitz. Dort wird der Waggonbau auf Panzerproduktion umgestellt. Der IG-Metall-Bezirksleiter Berlin-Brandenburg-Sachsen, Dirk Schulze, sagte zu dieser Umstellung der Produktion: „Sicherlich sind nicht alle glücklich über die Umstellung auf eine Fertigung von Wehrtechnik. Das kann ich verstehen. Unbestreitbar aber ist, dass wir – leider – in diesen Zeiten diese Produktion benötigen.“

Ein bewusstes Rumgeeiere in einer Klassenfrage: Für wen ist Rüstungsproduktion notwendig? Und auf wessen Kosten wird sie produziert und angewendet? Nun, die Rüstungsproduktion ist notwendig für den kapitalistischen Staat Deutschland, der mit dem Mordwerkzeug indirekte Kriege führt – indem er es an die befreundeten Kriegsnationen Israel und Ukraine schickt – und sich auf potenziellen direkten Krieg vorbereitet. Und für die Rüstungsunternehmen, die mit der Produktion und dem Verkauf der Tötungsmittel ihren Profit machen, ist diese selbstverständlich auch notwendig.

Die IG Metall ist Teil des herrschenden deutschen Nationalismus. Als Co-Managerin des Rüstungskapitals und des deutschen Staates ist die Produktion von Mordwerkzeug auch für den Apparat dieser Gewerkschaft „notwendig“. Indem die IG-Metall-Bonzen kapitalistische und staatliche Notwendigkeiten verteidigen, zeigen sie ihre Unentbehrlichkeit für die deutsche Nation.

Auf wessen Kosten erfolgt die Rüstungsproduktion und deren Anwendung? Viele Menschen bezahlen als Manövriermasse des zwischenstaatlichen Konkurrenzkampfes ihre kriegerische Anwendung mit ihrer Gesundheit und ihrem Leben. Ihre Herstellung erfordert die Arbeitskraft der KollegInnen in der Rüstungsindustrie. Sie produzieren in Form der Preise für das Mordwerkzeug mehr Geld als sie in Form des Lohnes kosten. Die Differenz ist der Profit, den sich die Rüstungsbourgeoisie einsteckt. Die KollegInnen der Rüstungsindustrie sind deren Ausbeutungsmaterial.

Klar, bleiben wir Lohnabhängige „brauchen“ auch wir die Rüstungsproduktion als Teil unserer Arbeitsplätze (= Orte der Ausbeutung). Aber wir müssen nicht notwendig Lohnabhängige (Ausbeutungsmaterial) und StaatsbürgerInnen (Manövriermasse des zwischenstaatlichen Konkurrenzkampfes) bleiben. Wir können perspektivisch auch Kapitalismus und Staat revolutionär überwinden. Kapital, Staat und Gewerkschaften wie die IG Metall wollen das selbstverständlich nicht.

Die IG Metall und das Gemetzel in der Ukraine

In der Ukraine führt der deutsche Imperialismus als Teil von EU und NATO einen Stellvertreterkrieg gegen den russländischen Imperialismus – mit Hilfe der IG Metall. Das Gemetzel in der Ukraine und der Wirtschaftskrieg ist von allen Beteiligten ein Klassenkampf von oben gegen uns, die Lohnabhängigen der ganzen Welt. Die kapitalistischen Staaten Deutschland, die europäischen Verbündeten, die Ukraine, die USA und Russland tragen ihre Konkurrenzkämpfe auf Kosten der Lohnabhängigen aus. Die EU und NATO expandierten imperialistisch nach Osteuropa, die einstige Einflusssphäre des Kremls. Bei der Ukraine sagte Moskau Njet. Der russische Imperialismus überfiel 2022 die Ukraine. NATO und EU rüsten die Ukraine auf – was ein indirekter, Stellvertreterkrieg, darstellt – und führen ein Wirtschaftskrieg gegen Russland, um ihren Rivalen zu schwächen. Für die Staaten Russland, USA, Ukraine und jene der EU sind ihre Insassen – unter ihnen wir Lohnabhängigen – nichts als lebendige Schachfiguren im großen geopolitischen Spiel. Imperialistische „Solidarität mit der Ukraine“ ist keine Solidarität mit den Lohnabhängigen dieses Landes, die für „ihre“ KapitalistInnen und Politbonzen sowie für NATO und EU schuften, morden und sterben sollen!

Was ist notwendig? Dass die Lohnabhängigen Russlands, der Ukraine, der EU und der NATO durch einen unbefristeten branchenübergreifenden Massenstreik das Gemetzel der kapitalistischen Staaten beenden! Doch die Lohnabhängigen sind überall zu stark in die jeweiligen Nationen, diese politischen Zwangsgemeinschaften aus Kapital und Lohnarbeit, integriert. Die großen Gewerkschaftsapparate unterstützen das Gemetzel in der Ukraine und den Wirtschaftskrieg auf der Seite ihres jeweiligen Staates. Unter anderem die IG Metall in Deutschland. Den Wirtschaftskrieg gegen Russland, unter dessen Folgen – erhöhte Lebensmittel- und Energiepreise – die Lohnabhängigen der ganzen Welt litten, unterstützten die Bonzen der IG Metall zusammen mit dem Kapitalverband Bund der Deutschen Industrie (BDI) am 1. März 2022 durch eine gemeinsame Erklärung.

Dem US-Imperialismus unter Trump wird dieser Stellvertreterkrieg mit Russland in der Ukraine zu teuer. Er strebt einen imperialistischen Schacherfrieden mit dem Kreml auf Kosten der ukrainischen Bevölkerung an. Außerdem will er die Rohstoffe der Ukraine plündern, auf die auch schon die EU ein Auge geworfen hat. Weder Washington noch Moskau wollen die EU am Verhandlungstisch sitzen haben. Auch der deutsche Imperialismus bekommt so seine drittklassige Rolle aufgezeigt. Der zieht daraus drei Schlussfolgerungen: Aufrüsten, Aufrüsten und nochmals Aufrüsten. Dafür sollen auch ordentlich Staatsschulden gemacht werden. Für uns Lohnabhängige heißt es: Kanonen statt Butter.

Die deutschen Gewerkschaften stehen auf der Seite der forcierten Aufrüstung des deutschen und EU-Imperialismus. Die Erste Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, bekannte sich eindeutig zur Aufrüstung: „Den jetzigen Vorstoß begrüßen wir klar. Die wirtschaftliche, gesellschaftliche und die geopolitische Situation erfordern Weitblick.“

Diese Beispiele machen überdeutlich: Die IG Metall macht dabei mit, uns als Manövriermasse für den zwischenstaatlichen Konkurrenzkampf zuzurichten. So wie die deutschen Gewerkschaften 1914 das Gemetzel des Ersten Weltkrieges mitorganisiert hatten. Die IG Metall ist der verlängerte Arm des deutschen Imperialismus.

Die klassenkämpferisch-revolutionäre Alternative zur IG Metall

Der Apparat der IG Metall beantwortet durch seine Praxis jeden Tag, wo er steht: Auf der Seite von Kapital und Staat. Selbst im Klassenkampf innerhalb des Kapitalismus für höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten ist diese Gewerkschaft für Lohnabhängige kaum zu gebrauchen. Gehen Kapital und Staat zur Gegenoffensive über, zeigt es sich, dass diese Gewerkschaft nicht zur Gegenwehr für Lohnabhängige taugt. Mit der IG Metall ist viel Imperialismus und Krieg zu machen. Aber effektiven Klassenkampf von unten ganz sicher nicht!

Klar, innerhalb des durch staatliche Gesetze regulierten Tarifvertragssystems, dass nur Streiks erlaubt, wenn sie erstens von Gewerkschaften geführt und zweitens die Streikziele in Tarifverträge münden können, hat die IG Metall ein absolutes Monopol auf Arbeitsniederlegungen in der Metall- und Elektroindustrie. Ja, der Staat schafft sich die Gesetze, damit das klassenkämpferische Proletariat innerhalb des legalen Rahmens nicht viel machen kann. Der kapitalistische Staat schmiedet durch sein demokratisches Streikrecht, das Tarifvertragssystem und seine Hausgewerkschaft IG Metall eine sehr schwere Kette für die Lohnabhängigen der Metallbranche.

Und doch gibt es wilde Streiks. Arbeitsniederlegungen ohne und gegen die zentralen Gewerkschaftsapparate. Besonders viele selbstorganisierte Arbeitsniederlegungen entfalteten sich in der BRD 1969 und 1973 – auch im Geschäftsbereich der IG Metall.

Der Kapitalismus wird auch in Deutschland immer krisenhafter. Kapitalistische Unternehmen und der Staat werden die Lohnabhängigen härter angreifen müssen. Der deutsche Imperialismus tritt in der globalen Konkurrenz immer aggressiver auf. Wie lange kann es also noch Frieden in der BRD geben, während Deutschland auf der Welt direkte und indirekte Kriege mitführt?! Die BerufspolitikerInnen wollen Deutschland „kriegstüchtig“ machen. Das heißt: Wir Lohnabhängigen sollen stärker ausgebeutet werden. Wir sollen für Kapital und Staat mehr Reichtum produzieren. Und der Staat gibt mehr Geld für Mordwerkzeug aus. Deutsche SoldatInnen sollen perspektivisch in militärischen zwischenstaatlichen Konkurrenzkämpfen töten und sterben. So wie sie bereits in Afghanistan bis 2021 töteten und starben. Wollen wir uns wirklich als Manövriermasse von Kapital und Staat im internationalen Konkurrenzkampf verheizen lassen?!

Der deutsche Staat will „kriegstüchtig“ werden. Wenn wir uns nicht verheizen lassen wollen, müssen wir klassenkampftüchtig werden! Die IG Metall ist kriegstüchtig. Sie ist die Hausgewerkschaft der deutschen Rüstungsindustrie und des deutschen Imperialismus. Sie kann deshalb kein Mittel des Klassenkampfes gegen den deutschen Imperialismus sein!

Wie gesagt, die Alternative zu den bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparaten ist die klassenkämpferische Selbstorganisation. Radikalisiert sich der Klassenkampf in der BRD, was aufgrund der Vertiefung der kapitalistischen Krise und der globalen Konkurrenz nicht unwahrscheinlich ist, dann werden vielleicht auch wilde Streiks zunehmen. Wenn sich der Klassenkampf zur sozialen Revolution radikalisiert – die vielleicht die kapitalistische Produktionsweise aufhebt, den Staat zerschlägt und in der klassen- und staatenlosen Gemeinschaft mündet –, dann ist die revolutionäre Klassenkampforganisation, die unvereinbar mit Gewerkschaften ist, notwendig.

KollegInnen, die klassenkämpferisch-revolutionäre Alternative zu den Gewerkschaften sind wir selbst!

Und nur wir selbst!

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Keine Stimme für die Demokratie! https://astendenz.blackblogs.org/2025/02/13/keine-stimme-fuer-die-demokratie/ Thu, 13 Feb 2025 12:37:48 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=301 Zu den vorgezogenen Bundestagswahlen am 23. Februar 2025

Der demokratische Politrummel präsentiert mal wieder: Freie Wahlen

Wenn überall in den Städten und Dörfern unseres geliebten Staates Plakate mit den Gesichtern unserer noch mehr geliebten BerufspolitikerInnen hängen, wir bei Veranstaltungen ihren klugen Reden lauschen, dann wissen wir alle: Eine Sternstunde der Demokratie naht mal wieder. Freie Wahlen!

In der auch wir regierten ProletarierInnen – sowohl lohnabhängige als auch erwerbslose – durch die Stimmen-Arithmetik mitentscheiden können, wer den nationalkapitalistischen Saftladen Deutschland regiert. Regierte ProletarierInnen können ein klein wenig mitentscheiden, wer von den BerufspolitikerInnen, welche politische Parteien sie (mit)regieren! Was für ein gewaltiger zivilisatorischer Fortschritt!!! Kann es in der ganzen Galaxis etwas Schöneres geben als unsere Demokratie? Nur StaatsfeindInnen können diese Frage mit ja beantworten!

Was alles nicht durch demokratische Wahlen entschieden wird

Bei der demokratischen Herrschaftstechnik der freien Wahlen ist sehr entscheidend, was alles nicht durch sie entschieden wird. Prozesse, deren Reproduktion die Grundlage des billigen Polittheaters darstellen. Die sozialökonomische Basis der freien Wahlen ist die kapitalistische Produktionsweise. Wir ProletarierInnen sind getrennt von den Produktionsmitteln, die kleinbürgerliches, kapitalistisches oder staatliches Eigentum darstellen. So können wir keine Produkte für uns selbst herstellen. Fast alle Güter und Dienstleistungen kosten im Kapitalismus Geld. Also müssen wir irgendwie Geld verdienen. ProletarierInnen können nur Geld verdienen, wenn sie ihre Arbeitskraft an produktions- und handelsmittelbesitzenden KleinbürgerInnen, KapitalistInnen oder den Staat vermieten.

Kapitalistische und kleinbürgerliche Unternehmen mieten unsere Arbeitskräfte nur an, wenn wir in Form der Preise der Waren und Dienstleistungen mehr Geld produzieren als deren Produktion kostet. Wir müssen also an der Arbeit mehr Geld produzieren (Landwirtschaft, Industrie und die produktiven Sektoren der Dienstleistungsbranchen) beziehungsweise realisieren (Handel, Banken und Versicherungen), als unser Lohn sowie die Produktionsmittel (Rohstoffe, Halbfabrikate, Werkzeuge, Maschinen und Anlagen) und die Handelsmittel (Waren und Kredite) kosten. Das ist der Mehrwert, den sich unsere AusbeuterInnen in die eigene Tasche stecken. Wir können grundsätzlich nur dann unsere Arbeitskraft vermieten, wenn sie das Geld unserer AusbeuterInnen vermehrt.

Nicht wenige ProletarierInnen werden von kriselnden Unternehmen auf die Straße gesetzt. Dauert die Arbeitslosigkeit nicht länger als maximal zwei Jahre an, gibt es Geld von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung, in die die LohnarbeiterInnen und ihre AusbeuterInnen einzahlen, während die langzeiterwerbslosen ProletarierInnen durch das steuerfinanzierte staatliche Bürgergeld mehr schlecht als recht am Leben gehalten werden. Wer nicht jede „zumutbare“ Arbeit annimmt, bekommt die Unterstützung gekürzt oder gar gestrichen. Das ist die repressive Elendsverwaltung unserer erwerbslosen Klassengeschwister durch den Staat, dessen regierende Charaktermasken durch die freien Wahlen mitbestimmt werden. Diese freien Wahlen ändern nichts an unserer kapitalistischen Ausbeutung und staatlichen Elendsverwaltung, sondern haben diese zur Grundlage.

Genauso klar ist: Wer auch durch diese Wahlen ermächtigt wird, den Staat zu regieren, es ändert nichts an der Klassenherrschaft der Bourgeoisie. Die Bourgeoisie ist die herrschende kapitalistische Klasse. Deren sozialökonomischer Kern sind die KapitalistInnen und großen WirtschaftsmanagerInnen, die die „Wirtschaft“ beherrschen, von unserer Ausbeutung leben und diese organisieren. Politische Ausläufer der Bourgeoisie stellen die hohen BerufspolitikerInnen dar, die in einer Demokratie arbeitsteilig entweder den Staat regieren oder eine parlamentarisch-staatsloyale Opposition bilden. So wie die KapitalistInnen nach unten fließend in das produktions- und handelsmittelbesitzende KleinbürgerInnentum übergehen, ist es auch ähnlich bei der Politbourgeoisie. Die Hinterbänklerinnen stellen ein PolitkleinbürgerInnentum dar. Die BerufspolitikerInnen monopolisieren die Politik als gesamtgesellschaftlich-staatliche Organisation der kapitalistischen Nation.

Während die sozialökonomische Klassenherrschaft der KapitalistInnen und MangerInnen in „der Wirtschaft“ durch den Wahlrummel überhaupt nicht unmittelbar tangiert wird, wird durch freie Wahlen mitentschieden, welche politische Parteien den Staat regieren und welche in ihm parlamentarisch-systemloyal opponieren. Aber auch dies mehr indirekt. Das klassenübergreifende Wahlvolk ermächtigt mit seinen Stimmen die jeweiligen politischen Parteien für den Einzug in die Parlamente der Bundesländer und in den Bundestag. Wobei die Parteien, die in die Parlamente einziehen wollen, mindestes fünf Prozent der WählerInnenstimmen oder drei Direktmandate ergattern müssen. Aus den Stimmenanteilen der Parteien zimmern diese dann möglichst eine Regierung mit parlamentarischer Mehrheit. Wobei auch Minderheitsregierungen möglich sind. Die Partei mit den meisten WählerInnenstimmen wird also nicht automatisch-zwingend Regierungspartei, wenn deren Stimmenanteil unter 50 Prozent liegt.

Freie Wahlen sind also gerade in Deutschland mehr eine symbolische Ermächtigung und Legitimierung von demokratischer Herrschaft, als dass sie irgendetwas wirklich Wichtiges entscheiden würden. Für die herrschenden demokratischen PolitikerInnen ist diese Legitimation aber sehr wichtig. Wenn sich Proteste entwickeln, geben sie gerne – und auch etwas bockig – kund: „Wir sind aber demokratisch legitimiert!“ Übersetzt heißt das: „Ihr habt uns durch eure Stimme ermächtigt. Jetzt kochen wir die übelschmeckende Suppe, die ihr auslöffeln müsst.“ Übrigens müssen auch die Leute die Suppe auslöffeln, die das regierende Personal überhaupt nicht durch ihre Stimme ermächtigt haben.

Durch freie Wahlen konkurrieren die demokratischen Parteien als Basiseinheiten der bürgerlichen Politik um die Beherrschung der Staatsmacht. Sie wollen alle das Gleiche: Die Deutschland AG managen. Möglichst als regierende Charaktermasken, aber zur Not auch in der Opposition. Der deutsche Staat ist, vollkommen egal, wer ihn regiert, der politische Gewaltapparat der nationalen Kapitalvermehrung. Parlamentarische Parteien sind der politische Ausdruck der kapitalistischen Klassenherrschaft. Auf der einen Seite die bürgerlich-bürokratischen Parteiapparate aus hauptamtlichen FunktionärInnen, BerufspolitikerInnen und -ideologInnen, auf der anderen die kleinbürgerlich-proletarische Basis als Manövriermasse. Die Demokratie ist eine pluralistische Mehrparteiendiktatur.

Regierende PolitikerInnen und ParlamentarierInnen werden direkt vom Staat finanziert. Die Haupteinnahmequelle des Staates ist die Besteuerung der auf seinem Territorium lebenden Menschen. Indem er den Geldlohn (Lohnsteuern) und den Konsum (Mehrwertsteuern) des Proletariats besteuert, eignet sich der Staat einen Teil des Mehrwertes an. Wenn er den Gewinn der KapitalistInnen und die Gehälter der ManagerInnen sowie deren Konsum besteuert, verteilt er einen Teil des Mehrwertes von der Privatwirtschaft an sich selbst um. Hier in aller Deutlichkeit: Die Steuern, die die Bourgeoisie an den Staat zahlt, haben wir, die ProletarierInnen, erarbeitet.

Der Staat sowie die regierenden und oppositionell-parlamentarischen BerufspolitikerInnen leben also so wie die KapitalistInnen und ManagerInnen von unserer Ausbeutung. BerufspolitikerInnen sind unsere strukturellen KlassenfeindInnen! Sie leben mit von unserer Ausbeutung und organisieren sie gesamtgesellschaftlich-staatlich. Es gibt für klassenbewusste ProletarierInnen nicht den geringsten Grund, die politische Herrschaft der BerufspolitikerInnen durch die Teilnahme am Politrummel der freien Wahlen auch noch zu legitimieren. Denn wir können mittig, links, rechts, ungültig oder gar nicht wählen: Wir werden immer die Reproduktion des Kapitals und des Staates bekommen. Gewählt werden neue Regierungen, aber der Staat bleibt. Die Demokratie ist nur eine besondere politische Form der kapitalistischen Diktatur.

Demokratie heißt „Volksherrschaft“. Doch das „Volk“ ist eine ideologische Konstruktion, es besteht praktisch aus den drei Klassen Bourgeoisie, KleinbürgerInnentum und Proletariat. Diese drei Klassen konkurrieren untereinander und fechten Klassenkämpfe aus. Das „Volk“ ist also nicht in der Lage, solidarisch den Staat zu regieren. Dann wäre der Staat auch gar nicht notwendig. Denn der Staat ist immer der politische Gewaltapparat einer herrschenden Klasse gegen eine sozialökonomisch ausgebeutete und politisch beherrschte Klasse. Die ideologische „Volksherrschaft“ (=Demokratie) ist in Wirklichkeit die kapitalistische Klassenherrschaft der Bourgeoisie.

Wenn ProletarierInnen als Teil des klassenübergreifenden Wahlvolks die BerufspolitikerInnen ermächtigen und legitimieren, den Staat zu managen – dann sind sie sehr kleinbürgerlich. Keine Stimme für die demokratischen Politbonzen! Bekämpfen wir den kapitalistischen Staat, egal wer ihn regiert!

Niedergang und tiefe Krise des deutschen Nationalkapitals

Dass die Wahlen diesmal etwas früher stattfinden, weil die Koalition aus SPD, den linksliberalen Grünen und der marktradikalen FDP (Fick Das Proletariat) zerbrach, als der sozialdemokratische Bundeskanzler den ultraliberalen Finanzminister Christian Lindner entließ, ist ein kleines Symptom des Niederganges und der tiefen Krise der Deutschland AG.

Die Vermehrung des bundesdeutschen Nationalkapitals – alle kleinbürgerlichen und kapitalistischen Unternehmen auf dem Territorium der BRD – verlief von 1950 bis 1973 beschleunigt. Jedoch geriet Deutschland 1974 wie das gesamte Westeuropa und Nordamerika in die strukturelle Profitproduktionskrise. Und zwar durch den tendenziellen Fall der durchschnittlichen Profitrate. Letztere stellt das Verhältnis zwischen den Profiten auf der einen und den Produktionsmittel- und den Lohnkosten auf der anderen Seite dar. Durch die technische Entwicklung werden potenziell immer mehr Funktionen der lebenden Arbeitskräfte zu denen der Maschinerie. Dadurch steigen die Produktionsmittelkosten – tendenziell schneller als die Profitmasse. Das ist der tendenzielle Fall der Profitrate.

Die wichtigste Kompensation des tendenziellen Falles der Profitrate ist der über den Anstieg der Profitmasse. Größere Kapitale können sich von „ihren“ Lohnabhängigen eine höhere Profitmasse produzieren lassen. Durch die größere Konzentration und Zentralisation des nationalen Kapitals – die untrennbar mit der Entstehung mächtiger Oligopole sowie mit dem Verschwinden von zu kleinen und/oder kriselnden Unternehmen von den verschiedenen Märkten verbunden ist – und die Vergesellschaftung des kapitalistischen Eigentums an Produktions- und Handelsmitteln durch Aktiengesellschaften erhöht sich die Profitmasse. Dies ist Folge und Bedingung eines wachsenden Konkurrenzkampfes.

Die wichtigste Gegentendenz zum tendenziellen Fall der Profitrate ist die Erhöhung der Mehrwertrate, des Verhältnisses zwischen dem Mehrwert und den Lohnkosten. Die Erhöhung der Mehrwertrate ist die Verschärfung der Ausbeutung der Lohnabhängigen durch die Bourgeoisie. Dies kann durch Reallohnsenkungen erfolgen. In der BRD geschah dies in der letzten Zeit dadurch, dass die Geldlöhne nicht so schnell und stark anstiegen wie die Warenpreise. Oder durch eine Vergrößerung der Ausbeutung, entweder durch eine Verlängerung der Arbeitszeit ohne einen Lohnausglich oder durch eine Intensivierung der Ausbeutung. So, dass die Lohnabhängigen in der gleichen Zeit mehr Tausch- und Mehrwert produzieren.

Doch die Erhöhung der Mehrwertrate durch die Verschärfung der Ausbeutung gelingt der Bourgeoisie nicht immer. So war es zum Beispiel in der BRD während der Periode der beschleunigten Vermehrung des Nationalkapitals von 1950 bis 1973. In dieser Zeit gelangten wichtige Konsumgüter wie Automobile, Waschmaschinen, Kühlschränke und Fernseher auch in proletarische Haushalte, was die Reallöhne erhöhte. Das war gut für die Profitrealisation der Konsumgüterindustrie und den Einzelhandel durch den Verkauf der Waren an die Lohnabhängigen, aber nicht für die gesamtgesellschaftliche Profitproduktion in Form der kapitalistischen Ausbeutung des Proletariats.

Außerdem existierte in den zyklischen Aufschwüngen während des Nachkriegsaufschwunges praktisch Vollbeschäftigung, was das Kräfteverhältnis im reproduktiven Klassenkampf im Rahmen des Kapitalismus zugunsten des Proletariats verschob. Auch durch wilde Streiks – ohne und gegen die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaften – übte das klassenkämpferische Proletariat gewaltigen Druck auf die Mehrwert- und Profitraten aus. Besonders während des proletarischen 1968, der Radikalisierung des Klassenkampfes am Ende des kapitalistischen Nachkriegsaufschwunges. In der BRD war das proletarische 1968 vor allem durch die wilden Septemberstreiks von 1969 und die wilde Streikwelle im Jahre 1973 geprägt. Durch den proletarischen Klassenkampf sank in der BRD zwischen 1950 und 1973 nicht nur die durchschnittliche Profit-, sondern auch die Mehrwertrate.

Die Folge: 1974 geriet Westdeutschland in die strukturelle Profitproduktionskrise. Diese war wie die Periode der beschleunigten Vermehrung des Nationalkapitals durch den Zyklus Aufschwung-Krise-Aufschwung geprägt. Der Unterschied war allerdings, dass die Aufschwünge in der strukturellen Profitproduktionskrise nicht mehr so langanhaltend und expansiv waren wie in der Periode der beschleunigten Kapitalvermehrung. Dafür wurden die Krisen häufiger und tiefer. Als Beispiele seien die Weltwirtschaftskrise 1974/75 und die tiefe Krisen Anfang der 1980er und 2000er Jahre, die weltweite Finanzkrise ab 2007, die globale Depression der kapitalistischen Warenproduktion 2008/2009, die schwere Krise von 2020, die von der internationalen COVID-19-Pandemie nicht ausgelöst, aber extrem verschärft wurde, sowie die jetzige, die 2023 begann, genannt. 2023 sank das deutsche Bruttoinlandsprodukt um 0,3 Prozent und 2024 um 0,2 Prozent.

Diese Krise des deutschen Nationalkapitals war mit einer globalen Zuspitzung der imperialistischen Konflikte verbunden, in deren größten Berlin mitmischte. Die Regierung aus SPD, Grünen und FDP führt als Teil der westlich-imperialistischen Bündnisse seit der direkten russländischen Invasion in der Ukraine ab Februar 2022 einen indirekten militärischen Krieg und einen Wirtschaftskrieg gegen Moskau. Auch Deutschland rüstet das Kiewer Regime auf. Der Wirtschaftskrieg gegen Russland ließen die globalen Energie- und Lebensmittelpreise hochschnellen. SozialrevolutionärInnen müssen in diesem Gemetzel sowohl Russland und seine Verbündeten als auch den ukrainischen Staat sowie NATO/EU kompromisslos bekämpfen.

Das demokratische Parteienkartell gegen das Proletariat

Aufrüstung und Krieg sind teuer für den Staat, aber sehr lukrativ für private Rüstungskapitale wie Rheinmetall. Krise, Krieg und Aufrüstung forcierten den Klassenkampf von oben. Der Staat und das demokratische Parteienkartell greifen besonders das migrantische und erwerbslose Proletariat hart an. So verschärfte die Ampel-Regierung die Sanktionen gegen Bürgergeld-Beziehende, die nicht jede „zumutbare“ Arbeit annehmen. Auf diese Weise wird der strukturelle Zwang auf uns, irgendwie Geld verdienen zu müssen, weil fast alles welches kostet, durch staatlichen Zwang zur Lohnarbeit noch verschärft. CDU/CSU und AfD schreien bereits nach Arbeitszwang für Bürgergeld-Beziehende.

Aber auch Erwerbslose lassen sich von der nationalistischen Hetze gegen das migrantische Proletariat – die vom BSW über die demokratische Mitte bis zur AfD reicht – aufhetzen. Die alte Bundesregierung, in der auch die grünen Linksliberalen sitzen, schiebt massiv Flüchtlinge ab – unter anderem auch in das von der islamistischen Taliban regierte Afghanistan. Die demokratischen NationalistInnen setzten für Asylsuchende statt Bargeldleistungen diskriminierende und stigmatisierende Bezahlkarten durch.

Die mittige, rechts- und linksnationalistische Opposition aus CDU/CSU, FDP, AfD und BSW musste da natürlich noch eine Schippe drauflegen. Und dies geschah am 29. Januar und 31. Januar 2025, indem die Unionsparteien, FDP, AfD und BSW zusammen für migrationsfeindliche Anträge stimmten. Am 29. Januar kam eine Mehrheit zustande, am 31. Januar nicht.

Daraufhin entwickelten sich Massenproteste gegen die CDU. Und auch mehr dagegen, dass die Union zusammen mit der AfD stimmte, als dass der nationalistische Inhalt kritisiert wurde. Wo waren die Massendemonstrationen, als die sozialdemokratisch-liberale Bundesregierung Grenzkotrollen einführte, massenweise unsere migrantischen Klassengeschwister abschob? In ihrer demonstrativ zur Schau gestellten Bravheit und – teilweise auch gut gespielten – Naivität war das Aufbäumen der liberalen Anständigkeit nichts weiter als ein Spielzeug der mittig-linken Fraktion des Kapitals.

Die massive rassistische und sozialdarwinistische Hetze von Regierung und parlamentarischer Opposition gegen die migrantischen und erwerbslosen Klassengeschwister findet leider auch die Unterstützung von vielen Lohnabhängigen. Ja, die ProletarierInnen sind als Konkurrenzindividuen auf den Arbeits- und Konsumgütermärkten anfällig gegenüber dem Konkurrenzchauvinismus in Form von Nationalismus/Rassismus, Sexismus, Sozialdarwinismus und religiöser Fundamentalismus. Nur im und durch gemeinsamen Klassenkampf kann das Proletariat diese Spaltungslinien überwinden. Doch noch ist in Deutschland der sich verschärfenden kapitalistischen Krisendynamik im Proletariat der spaltende Konkurrenzchauvinismus wesentlich stärker als der vereinigende kollektive Klassenkampf.

Am schlimmsten sind dabei der Nationalismus/Rassismus vieler „biodeutscher“ ProletarierInnen gegen unsere migrantischen Klassengeschwister und die sozialdarwinistische Abwertung des arbeitslosen Proletariats durch nicht wenige Lohnabhängige. Als Kollektiv atomisierter Konkurrenzindividuen kann sich das Proletariat nicht gegen die einzelkapitalistischen und staatlichen Angriffe wehren.

Und diese Angriffe werden mit der neuen Bundesregierung, die sehr wahrscheinlich eine CDU/CSU geführte unter dem Bundeskanzler Friedrich Merz sein wird, mit Sicherheit zunehmen. Krise, Aufrüstung und Krieg verlangen vom politischen Gewaltapparat des Kapitals, egal wer ihn regiert, selbst bei einer Lockerung der Schuldenbremse Sozialkürzungen. Das Proletariat ermächtigt am 23. Februar 2025 die regierenden SparkommissarInnen. Die proletarischen Kälber wählen ihre Schlächter selber. Das ist gelebte Demokratie!

Keine Stimme für die extreme Mitte, die Rechts- und Linksreaktion!

Keine Stimme für die extreme Mitte! Die marktextreme FDP ist die Avantgarde der asozialen Angriffe auf das Proletariat. Ihr fanatisches Festhalten an der Schuldenbremse, während sie gleichzeitig wie die gesamte extreme Mitte weiter für Aufrüstung – besonders der Ukraine im Stellvertreterkrieg gegen Russland – trommelt, kann nur durch massive Sozialkürzungen finanziert werden.

Indem der sozialdemokratische Bundeskanzler Olaf Scholz deshalb den FDP-Finanzminister Christian Lindner im Dezember 2024 rauswarf und damit den Grund für die vorgezogenen Bundestagswahlen lieferte, bot er sich der sozialdemokratischen StammwählerInnenschaft als kleineres Übel an. Die alte Lüge: Es wird zwar schlimm, aber mit der Sozialdemokratie nicht ganz so schlimm. Mit dieser Lüge auf den Lippen ist die SPD zu allen Schandtaten bereit. Zum Beispiel zu schärferen Sanktionen gegen Bürgergeld-BezieherInnen, wenn sie nicht ganz so brav mitspielen, wie es der Staat gerne hätte. Scholz war auch Kriegskanzler. Mordwerkzeug made in Germany ermöglichten die Gemetzel in der Ukraine und im Gazastreifen mit. Jede/r, die/der es wagte die Aufrüstung der zionistischen Mordbuben und Folterknechte zu kritisieren, wurde vom herrschenden Kartell der DemokratInnen als „Antisemit/in“ beschimpft. Allerdings will Scholz im Gegensatz zu CDU/CSU, FDP, und Bündnis 90/Die Grünen dem Kiewer Regime keinen Taurus liefern. Das erscheint ihm zu riskant. Doch auch die imperialistischen KritikerInnen wollen nicht wirklich den indirekten Krieg gegen Russland zu einem direkten radikalisieren. Sie wagen nur etwas mehr als Scholz. Das Zögern verkauft die SPD als „Besonnenheit“.

Überhaupt nicht „besonnen“ treten im imperialistischen Hauen und Stechen die linksliberalen Grünen auf. Es ist bei ihnen Tradition: Wenn sie Regierungen beitreten, knallt es kurz darauf ordentlich. So wie 1999, als Deutschland als Teil der NATO den ersten direkten Krieg nach 1945 führte, den gegen Jugoslawien. Unter dem grünen Außenminister Joschka Fischer, der sich vom einstigen linken kleinbürgerlichen Streetfighter zum großbürgerlichen NATO-Fighter mauserte. Was für ein Aufstieg! Der den der ganzen Partei symbolisierte. Aus den politisierenden KleinbürgerInnen der 1980er Jahre wurden Politbourgeois. Und auch im indirekten Fight gegen Moskau sind die grünen kriegsgeilen Baerböcke (m/w/d) ganz vorne mit dabei. Ja, wenn es tödlich kracht, wird feministische Außenpolitik gemacht! Und auch die grünen Männer stehen da nicht zurück. Ist es nicht rührend, wie ehemalige Wehrdienstverweigerer ihre späte Liebe zur Bundeswehr zelebrieren? Nein, das zählt unter Linksliberalen nicht als „toxische Männlichkeit“. Frau Baerbock hat schon angekündigt, gerne weiterhin Außenministerin in einer wahrscheinlich CDU/CSU-geführten Regierung zu bleiben. Die Grünen beherrschen meisterlich die Disziplin, der Union in den Arsch zu kriechen, auch wenn sie ihn demonstrativ wegdreht.

Die CDU wird wahrscheinlich nach den Wahlen vom 23. Februar 2025 den Kanzler stellen. Unter dem jetzigen CDU-Boss Friedrich Merz wurde die Partei, die sich unter Angela Merkel deutlich liberalisiert hatte – dies ist aus unserem Munde kein naives Lob, sondern lediglich eine nüchterne Feststellung –, wieder stärker rechtskonservativ. Allein, um der rechtsnationalistischen AfD Stimmen wegzunehmen, befleißigt sich Merz eines ekelhaften Gossennationalismus und -rassismus. Und er schürt einen massiven Sozialdarwinismus gegen Bürgergeld-Beziehende. Unter ihm als Kanzler kann und muss mit weiteren scharfen Angriffen auf das migrantische und erwerbslose Proletariat – Geldkürzungen, Formen von staatlichen Arbeitszwanges, Massenabschiebungen, Grenzschließungen – gerechnet werden. Und auch die oberen Schichten unserer Klasse werden unter ihm nichts zu lachen haben. Aufrüstung und Krieg kosten verdammt viel Geld. Selbst wenn die regierenden CDU/CSU vielleicht ein wenig an der Schuldenbremse herumreformieren werden, wird die weitere Aufrüstung der Bundesrepublik – die von dem gesamten herrschenden demokratischen Parteienkartell nicht in Frage gestellt wird – sehr wahrscheinlich durch Forcierung der Sozialkürzungen finanziert werden.

Keine Stimme für Die Linke der Bourgeoisie! Die niedergehende Partei Die Linke ist ein Zerfallsprodukt der Todeskrise des ostdeutschen Staatskapitalismus und der Sozialdemokratie. Eine Vorläuferin der Formation war die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED), die Partei der DDR-Staatsbourgeoisie. Während deren Todeskrise 1989/90 transformierte sich die SED zur Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS). Letztere war eine sozialdemokratische Formation mit Bekenntnis zu Marktwirtschaft und Demokratie. Doch weil es in der BRD mit der SPD ja schon eine sozialdemokratische Formation gab, blinkte die PDS in der Opposition links, um als Regierungspartei von einzelnen Bundesländern und Kommunen rechts abzubiegen.

Die PDS hatte wie die SPD das Problem, dass die Sozialdemokratie während der strukturellen Profitproduktionskrise in der Opposition und in Wahlkämpfen zwar noch Illusionen in den Sozialstaat schüren, dann aber als Regierungspartei diese Illusionen nicht bedienen konnte. So organisierte auch die PDS als Regierungspersonal in Bundesländern und Kommunen Privatisierungen und Sozialkürzungen mit.

Die SPD-Grünen-Bundesregierung von 1998 bis 2005 war mit ihren Kriegen in Jugoslawien und Afghanistan sowie Sozialkürzungen (Hartz IV) ein starker Tobak – auch für einige bis dahin stramme SozialdemokratInnen und einige Gewerkschaftsbonzen. Aus diesem Unmut entstand 2005 die linkssozialdemokratische Wahlalternative für Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG), die 2007 mit der PDS zur Partei Die Linke verschmolz.

Das, was weiter oben über die PDS als Regierungspartei in den Bundesländern geschrieben wurde, traf auch für Die Linke zu. Der Linke Bodo Ramelow regierte beispielsweise von 2014 bis 2024 das ostdeutsche Bundesland Thüringen als Ministerpräsident und stieg dadurch in die Politbourgeoisie auf. Er wusste, was von ihm verlangt wurde und lieferte. Ramelow trat für Rüstungslieferungen an das Kiewer Regime und für die Widereinführung der Wehrpflicht in der BRD ein. Heute ist die Führung der Linkspartei der Meinung, dass nicht jeder, der für die Aufrüstung der Ukraine ist, zwangsläufig ein Militarist und ein Gegner dessen ein Putinknecht sei. Wenn schon kein Frieden auf Erden, dann wenigstens in der Partei durch Formelkompromisse.

Keine Stimme für das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW)! Als Frau Wagenknecht noch eine auf „Kommunistin“ machte, weinte sie mit mancher Träne im Knopfloch besonders dem Walter-Ulbricht-Regime der staatskapitalistischen DDR hinterher. Das war besonders im Westen der BRD nicht wirklich zu vermitteln. Deshalb macht die Grande Dame des Linkskonservativismus zwar weiter eine auf Zurück in die Zukunft. Aber jetzt verklärt sie den privatkapitalistischen Nachkriegsaufschwung der BRD bis 1973. Und hetzt massiv gegen MigrantInnen und Bürgergeld-BezieherInnen.

Das BSW ist aus nationalistischen Gründen gegen die Aufrüstung der Ukraine und den Wirtschaftskrieg Deutschlands gegen Russland. Das ist nicht gut für „unsere“ Wirtschaft. Oder frei nach Oskar Lafontaine: „Unsere“ Rohstoffe müssen „wir“ dort kaufen, wo sie am billigsten sind. Und Sevim Dagdelen skandiert dazu die alte Parole des linksnationalen und antiamerikanischen „Antiimperialismus“: „Ami go home!“ Ganz, ganz schlechtes Polittheater. Was davon ablenken soll, dass das BSW in Brandenburg und Thüringen zwei ostdeutsche Bundesländer mitregiert. Zusammen mit den Kriegstreiberparteien SPD und CDU. Vorher nötigte das BSW ihren Koalitionspartnern auf der Ebene der entsprechenden Bundesländer verbal einige kritische Töne zur bundesdeutschen Außenpolitik ab. Während das Morden mit deutschen Waffen in der Ukraine und in Gaza weiterging. Wer ernsthaft glaubt, eine Stimme für das BSW wäre Kampf gegen den deutschen Imperialismus, dem/der ist nicht mehr zu helfen.

Keine Stimme für den Marxismus-Leninismus und Trotzkismus! An dem demokratischen Wahlrummel nehmen auch sogenannte „kommunistische“ und „revolutionäre“ Parteien teil. Doch wirkliche SozialrevolutionärInnen bekämpfen diese Ermächtigungs- und Legitimationsshow für die herrschende Politik von außen. Die LeninistInnen behaupten, dass sie die Parlamente als Tribüne für die Revolution nutzen würden. Doch das ist Unsinn! Die Parlamente sind die Quasselbuden und die Abstimmungsmaschinen der Bourgeoisie. RevolutionärInnen haben in diesen Instanzen demokratischer Herrschaft nichts zu suchen.

Und was die marxistisch-leninistischen und trotzkistischen Parteien unter „Revolution“ verstehen, ist finsterste Sozialreaktion! Angefangen mit dem Staatstreich der bolschewistischen Partei im Oktober 1917 in Russland – nach dem alten russländischen Kalender – eroberten marxistisch-leninistische Politbonzen in einigen Nationen Eurasiens, Afrikas und auf Kuba die politische Macht, verstaatlichten die Industrie und nannten das „Sozialismus“. Doch es war Staatskapitalismus. Der Staat beutete die Lohnarbeit des Proletariats aus. Inzwischen privatisierten die marxistisch-leninistischen Parteien Chinas, Vietnams und Kubas das Kapital und nennen es immer noch „Sozialismus“.

Zur Bundestagswahl 2025 tritt die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) an. Mit dem bescheuerten Slogan „Make Socialism Great Again“ geht sie auf Stimmenfang. Unter „Sozialismus“ versteht die MLPD das Stalin-Regime in der Sowjetunion und den chinesischen Staatskapitalismus unter Mao. Make MLPD Gaga Again!

Auch die TrotzkistInnen sind nicht besser. Der Namensgeber dieser Politsekten, Leo Trotzki, war neben Lenin der führende Staatsbourgeois von „Sowjet“-Russland – bevor er ab 1923 schrittweise von Stalin entmachtet wurde. Als regierende Charaktermaske von „Sowjet“-Russland ging Trotzki brutal gegen das klassenkämpferisch-revolutionäre Proletariat vor, so schlug er im März 1921 als blutbefleckter Henker den Kronstädter Aufstand nieder. Und heute verkaufen uns die Trotzki-Sekten diesen konterrevolutionären Massenmörder als „Alternative zum Stalinismus“.

Die Demokratie lässt auch die TrotzkistInnen in ihren jeweiligen Narrenkostümen am Politrummel der freien Wahlen teilnehmen. So rufen die Sozialistische Alternative (SAV) und die Sozialistische Organisation Solidarität (SOL) für die Wahl der niedergehenden Partei Die Linke auf, während die Sozialistische Gleichheitspartei (SGP) für sich selbst auf Stimmenfang geht.

Keine Stimme für die Rechtsreaktion! Leider ist absehbar, dass auch am 23. Februar viele ProletarierInnen der rechtsnationalistischen und rassistischen Alternative für Deutschland (AfD) ihre Stimme geben werden. Das ist ein Ausdruck der tiefen nationalistischen Spaltung des Proletariats – sowohl weltweit als auch in Deutschland. Und es zeugt auch von verdammt wenig Klassenbewusstsein, diese rechtsdemokratische Partei mit neofaschistischen Tendenzen zu wählen. Damit ist nicht nur der Politflirt von US-Milliardär Elon Musk mit der AfD-Nationalistin Alice Weidel gemeint. Auch die Angriffe der AfD auf das erwerbslose Proletariat sprechen eine deutliche Sprache. So verlangt der rechtsnationale Verein, dass es Arbeitslosengeld erst nach drei Jahren Beschäftigung geben und zunächst auf 6 Monate beschränkt sein soll. MigrantInnen sollen nach Meinung der RechtsnationalistInnen erst nach zehn Jahren Beschäftigung Bürgergeld beantragen dürfen.

Klar, diese Partei stellt besonders für unsere migrantischen Klassengeschwister eine Gefahr dar. So befindet sich in ihrem Wahlprogramm der nationalistische Kampfbegriff „Remigration“. Jedoch wird der massenhafte Rauswurf von auch in diesem Land integrierten Lohnabhängigen mit dem Kapital kaum Realpolitik werden können. Jedoch wenn sich die AfD auf den Rauswurf der neu hinzugekommenen und nichtbleibeberechtigten MigrantInnen beschränken würde – wo wäre dann der Unterschied zu den Parteien der extremen Mitte, die das bereits als Realpolitik betreiben? Aber um als Oppositionspartei weiter zu wachsen, ist der Gossen-Nationalismus genau das Richtige – später wird mensch dann sehen, was davon realpolitisch umsetzbar ist. So fordert die Partei etwa ein Kopftuchverbot in öffentlichen Einrichtungen wie Schulen.

Die AfD lehnt die Aufrüstung der Ukraine durch Deutschland und auch den Wirtschaftskrieg Berlins gegen Russland aus nationalistischen Gründen ab. Sie ist für die Wiedereinführung der Wehrpflicht. Und trommelt weiterhin für den deutschen Austritt aus der Gemeinschaftswährung des Euro, aber nicht mehr für einen der BRD aus der EU.

Die AfD und die noch weiter rechtsstehenden neofaschistischen Parteien müssen bekämpft werden, aber nicht an der Wahlurne, nicht im Rahmen des demokratischen Staates und der kleinbürgerlichen Antifa! Die Ärzte am Krankenbett des Kapitalismus – einschließlich der gleichnamigen Popband – kennen nur eine Melodie: Verteidigung dieser Demokratie gegen den Neofaschismus. Wahlkreuze gegen Hakenkreuze. Doch diese Demokratie ist durch den Neofaschismus gar nicht gefährdet. Die große Mehrheit des Groß- und Oligopolkapitals verteidigt diese Staatsform. Gefährdet sind besonders unsere migrantischen Klassengeschwister – durch den Staat und andere gewaltbereite RassistInnen. Staatsgewalt und rassistischer Straßenterror gegen das migrantische Proletariat ergänzen sich. Die Bullen sind die Hooligans des demokratischen Staates.

Es ist der deutsche Staat, egal wer ihn regiert, der das Proletariat in In- und AusländerInnen spaltet. Der Staat ist das Hauptsubjekt des deutschen Nationalismus. Mit ihm zusammen können und wollen wir klassenbewussten ProletarierInnen nicht die extremen RechtsnationalistInnen bekämpfen. Doch nicht wenige linksliberale und marxistisch-leninistische (MLPD!) Antifa-SpießerInnen verlangen vom politischen Gewaltapparat des Kapitals das Verbot der AfD und der neofaschistischen Parteien – und heulen dann rum, wenn die staatliche Repression sie selbst trifft. Übrigens ist die Forderung nach einem Verbot der AfD ganz tief in der extremen Mitte angekommen. Wer AfD-Parteitage blockiert, aber nicht die der demokratischen Konkurrenz – wie beispielsweise der kriegsgeilen Grünen –, ist naiv oder heuchlerisch. Große Teile der Antifa als Politprostituierte des demokratischen Parteienkartells.

Nichtwählen ist noch kein Widerstand

Durch die Nichtteilnahme am demokratischen Politrummel der freien Wahlen zeigen wir klassenkämpferisch-revolutionäre ProletarierInnen, dass wir nicht bereit sind, den Kakao, durch den wir von Kapital und Staat gezogen werden, auch noch zu trinken. Es ist eine kleine Möglichkeit, um den BerufspolitikerInnen den Stinkefinger zu zeigen: Wählt euch doch selbst, ihr Polit-IdiotInnen!

Aber: Nichtwählen ist noch kein Widerstand. Für lohnabhängige ProletarierInnen ist der Arbeitsplatz der unmittelbarste Ort des Widerstandes gegen die AusbeuterInnen, die ChefInnen und Chefchens. Wer kennt ihn von uns nicht, den konspirativ-illegalen Alltagsklassenkampf, in dem wir unsere Bosse verarschen und/oder die digitale Überwachungstechnik austricksen. Durch diesen alltäglichen Widerstand zeigen wir den Bossen, dass wir bereit dazu sind, unsere Interessen und Bedürfnisse gegen ihre Kapitalvermehrung und staatliche Verwaltung zu setzen. So erleichtern wir uns ein wenig die Lohnarbeit.

Doch der alltägliche Widerstand in Form des konspirativ-illegalen Alltagsklassenkampfes reicht nicht aus. Wir sind gezwungen, um höhere Löhne und kürzere Arbeitszeiten zu kämpfen, um unsere biosoziale Reproduktion gegen die kapitalistische Ausbeutung und die staatliche Elendsverwaltung durchzusetzen. Das demokratische Streikrecht dieses Landes und die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate setzen diesem notwendigen Kampf enge Grenzen.

In diesem Staat gelten politische Arbeitsniederlegungen gegen den politischen Gewaltapparat als Gesetzgeber als illegal. Nur Streiks gegen den Staat als „Arbeitgeber“ (= Ausbeuter) im öffentlichen Dienst sind legal. Allerdings nur für Angestellte, BeamtInnen haben in Deutschland kein Streikrecht. Genauso wenig wie die Lohnabhängigen, die von den großen christlichen Kirchen ausgebeutet werden.

Lohnabhängige dürfen in der BRD nur dann legal die Arbeit niederlegen, wenn sie erstens von einer Gewerkschaft organisiert werden und zweitens die Streikziele in einem Tarifvertrag münden können. Indem das demokratische Streikrecht in Deutschland an das Tarifvertragssystem gebunden ist, welches die Lohnarbeit nur mitverwalten, aber eben nicht überwinden kann, betoniert es die den Kapitalismus reproduzierenden Grenzen des Klassenkampfes ein. Es gibt den bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparaten ein Streikmonopol, was die klassenkämpferische Selbstorganisation der Lohnabhängigen stark einschränkt. Das demokratische Streikrecht der BRD ist eine effektive Waffe der deutschen Bourgeoisie gegen das klassenkämpferische Proletariat.

Die Gewerkschaften in Deutschland sind außer dem Tarifvertragssystem und das an dieses gekoppelte demokratische Streikrecht auch durch die kapitalistische Wirtschafts- und Arbeitsdemokratie in viele Einzel- und in das deutsche Nationalkapital integriert. Kapitalistische Wirtschaftsdemokratie ist das Sitzen von Gewerkschaftsbonzen in den Aufsichtsräten großer Konzerne, während die Arbeitsdemokratie in der BRD durch gesetzlich-sozialreformistische Betriebs- und Personalräte verkörpert wird. Letztere sind keine reproduktiven Klassenkampforganisationen, sondern sind gesetzlich dem Betriebsfrieden unterworfen. Sie haben ein abgestuftes Mitbestimmungsrecht. Betriebs- und Personalräte sind Parlamente der Lohnabhängigen. Die Listen von Gewerkschaften und von „Unabhängigen“ konkurrieren bei den Wahlen zu den Organen der kapitalistischen Arbeitsdemokratie wie die politischen Parteien bei den gesamtgesellschaftlichen Parlamentswahlen.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und seine Mitgliedsorganisationen sind in diesen kapitalistischen Staat integriert. Sie sind strukturell unfähig und unwillig, größere Angriffe der Einzelunternehmen und des Staats zurückzuschlagen. Zum Beispiel die Industriegewerkschaft Metall (IG M) bei Volkswagen. Dort tragen die Gewerkschaftsbonzen Reallohnverlust und einen Massenabbau von Arbeitskräften mit. Davor riskierten sie die große Lippe und mobilisierten ein wenig die lohnabhängige Basis. Immer dasselbe miese Spiel.

Der DGB ist der Hausgewerkschaftsbund des deutschen Imperialismus. Die DGB-Bonzen unterstützten den NATO-Krieg in Jugoslawien 1999, die Aufrüstung des Kiewer Regimes und den Wirtschaftskrieg gegen Russland ab 2022 sowie das massenmörderische Israel. So erklärte sich der DGB am 10. Oktober 2023 mit den zionistischen MassenmörderInnen solidarisch. Die IG Metall verteidigt die Arbeitsplätze (= Ausbeutungsplätze) in der deutschen Produktion von Mordwerkzeug. Dass im DGB auch eine Bullengewerkschaft, die Gewerkschaft der Polizei (GdP) dabei ist, passt wie die Faust auf das Auge. Der ganze Verein ist ein Zivilbulle des deutschen Staates gegen das klassenkämpferisch-revolutionäre Proletariat. Der DGB ist der mieseste unserer Klassenfeinde. Er kann nicht klassenkämpferisch-sozialemanzipatorisch reformiert werden. Der DGB muss langfristig revolutionär zerschlagen werden!

Bereits heute ist unsere kollektive klassenkämpferische Selbstorganisation die Alternative zum DGB und seine Mitgliedsorganisationen. Besonders in längeren Arbeitsniederlegungen, die offiziell noch von den Gewerkschaftsapparaten „geführt“ werden, bildet sich oft unterirdisch eine Doppelherrschaft zwischen den Gewerkschaftsbonzen auf der einen und der proletarischen Selbstorganisation auf der anderen Seite heraus.

Jedoch die reifste Form erreicht die proletarischen Selbstorganisation innerhalb des reproduktiven Klassenkampfes im wilden, gewerkschaftsunabhängigen Streik. Dauert die Arbeitsniederlegung nur eine relativ kurze Zeit und ist die Belegschaft eher klein, dann nimmt die Selbstorganisation oft einen informellen Charakter an. Bei längeren Ausständen, und/oder wenn die Belegschaften größer sind beziehungsweise sich mehrere an den wilden Ausständen beteiligen, dann sind gewerkschaftsunabhängige Streikkomitees notwendig.

Um uns gegen die Angriffe der kommenden Bundesregierung, ihre Aufrüstung und ihre Sozialkürzungen erfolgreich wehren zu können, sind das demokratische Streikrecht und dieser erbärmliche Bonzenzuchtverein DGB sowie seine Mitgliedsorganisationen nur Hindernisse. Wir müssen gegen diesen Staat kämpfen, in den die Gewerkschaften integriert sind. Gegen die Kriege des deutschen Imperialismus, die der DGB unterstützt! Legal, illegal, scheißegal!

Vielleicht führt die sich zuspitzende kapitalistische Krisendynamik in Deutschland und weltweit irgendwann einmal zur Radikalisierung des Klassenkampfes zu einer sozialen Revolution. Dann wird sich eine revolutionäre Klassenkampforganisation – die auf der Selbstorganisation des Proletariats beruht – herausbilden müssen, die die Warenproduktion aufhebt und den Staat zerschlägt, um den Weg für eine klassen- und staatenlose Gemeinschaft freizumachen.

Die Demokratie ist nur eine besondere politische Form der kapitalistischen Diktatur.

Nieder mit der Diktatur des Kapitals!

Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST)

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6. Der Rätekommunismus https://astendenz.blackblogs.org/2024/11/24/6-der-raetekommunismus/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/11/24/6-der-raetekommunismus/#respond Sun, 24 Nov 2024 13:03:47 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=278 Wie wir bereits im Kapitel III.5 schrieben, entwickelte sich bereits innerhalb der KAPD der parteifeindliche Kommunismus heraus. Diese verkörperte damals den geistigen und praktisch wirksamen Höhepunkt des marxistischen Denkens in Deutschland. Bereichert um die praktischen Erfahrungen der Revolution und Konterrevolution ab 1918 erkannte diese Strömung den allgemein bürgerlichen Charakter der politischen Parteiorganisation. Das war auch der Hauptstreitpunkt zwischen dieser Strömung und der KAPD-Mehrheit. Davon abgeleitet war es die Frage des Verhältnisses zwischen KAPD und der „Kommunistischen“ Internationale als Werkzeug des sowjetischen Imperialismus. Die parteifeindliche Strömung um Otto Rühle und Franz Pfemfert begann auch 1920 als erste radikalmarxistische Tendenz die bolschewistisch-staatskapitalistische Parteidiktatur in „Sowjet“-Russland zu kritisieren und lehnte im Gegensatz zur damaligen KAPD-Mehrheit den Beitritt zu der von Moskau beherrschten sozialreaktionären „Kommunistischen“ Internationale ab. Die Trennung des parteifeindlichen Kommunismus von der KAPD erfolgte im Oktober 1920. Doch die parteifeindliche Strömung wirkte noch ein Jahr in der mit der KAPD verbundenen AAUD, bevor sie sich im Oktober 1921 in Form der Allgemeinen Arbeiter-Union-Einheitsorganisation (AAUE) ihre eigene Organisation schuf.

Die Märzkämpfe in Mitteldeutschland im Jahre 1921 vertieften den Graben zwischen der KAPD und dem parteifeindlichen Kommunismus. Während der Märzkämpfe luden sich eine proprivatkapitalistisch-sozialdemokratische Polizeiprovokation und der Putschismus der „Kommunistischen“ Internationale als Arm des sowjetischen Imperialismus gegenseitig auf – und verheizten das klassenkämpferische Proletariat, mit dem Ergebnis von hundert toten ProletarierInnen. Im Dezember 1920 vereinigte sich der linke USPD-Flügel mit der „K“PD zur V„K“PD. Moskau glaubte nun, ein starkes politisches Instrument in der Hand zu haben, um auch in Deutschland ein staatskapitalistisches Regime installieren zu können. Der sowjetische Staatskapitalismus hatte gerade im März 1921 durch die Niederschlagung des Kronstädter Aufstandes die Russische Revolution konterrevolutionär beendet, spielte sich aber in Deutschland durch seinen Putschismus als Gralshüter der Weltrevolution auf. So beschoss die moskauhörige „Kommunistische“ Internationale im Frühjahr 1921 den Putschismus zur bestimmenden Politik der V„K“PD zu machen. Bernd Langer schrieb darüber, ohne den sozialreaktionären staatskapitalistischen Putschismus korrekt auf den Begriff zu bringen: „Um den Glauben an die Weltrevolution aufrecht zu erhalten und von den innenpolitischen Problemen abzulenken, brauchen die Bolschewiki ein revolutionäres Signal. Eine kommunistische Erhebung in Deutschland soll, unabhängig von ihrem Erfolg, die Fortführung der Weltrevolution dokumentieren. Eine ,Offensivstrategie‘ wird entworfen, nach der eine kommunistische Partei immer und unter allen Umständen verpflichtet ist anzugreifen. Sehr wahrscheinlich sind die Betreiber der deutschen Revolutionsidee im ,Kleinen Büro‘ des EKKI (Führung der „Kommunistischen“ Internationale, Anmerkung von Nelke) zu finden, zu denen Sinowjew, Bucharin und Radek gehören. Die bekannte Parteilinke Ruth Fischer schreibt dazu später, dass ,die Aktion in Deutschland… von einer kleinen Clique um Sinowjew und Bela Kun in der russischen Partei ausgeheckt worden war‘. (Ruth Fischer, Stalin and German Communism: A Study in the Origins of the State Party, mit einer Einleitung von Sidney B. Fay, Cambridge 1948, S. 174/175.)“ (Bernd Langer, Revolution und bewaffnete Aufstände in Deutschland 1918-1923, AktivDruck & Verlag, Göttingen 2009, S. 309.)

Der oben erwähnte ehemalige Oberbonze der ungarischen „Räterepublik“, Bela Kun, kam als Vertreter der „Kommunistischen“ Internationale nach Deutschland, um die V„K“PD in ihrem Putschismus anzutreiben. Der staatskapitalistische Putschismus Moskaus und der V„K“PD stützte sich auf die Provokationen der privatkapitalistischen Konterrevolution, welche die Klassenkämpfe in Mitteldeutschland zuspitzten. Die damalige preußische Provinz Sachsen, die dem heutigen Sachsen-Anhalt ohne Dessau und dem nördlichen Teil Thüringens entspricht, war damals ein Herd von Klassenkämpfen, wo auch (V)„K“PD, KAPD und die AAUD ihre Hochburgen hatten. So zählte die AAUD in den Leuna-Werken während der Zeit der Märzkämpfe 10.000 Mitglieder. Um dem klassenkämpferischen Proletariat Mitteldeutschlands eine entscheidende Niederlage zu bereiten, begann am 19. März 1921 der Einmarsch der preußischen Sicherheitspolizei (Sipo) in Mitteldeutschland. Die Gruben und Fabriken wurden unter polizeiliche Aufsicht gestellt.

Die mitteldeutsche V„K“PD schätzte richtig ein, dass der Einmarsch der Bullen bei der Mehrheit des lokalen Proletariats kein revolutionäres Sein und Bewusstsein hervorrief. Aber Moskau erwartete einen Aufstand! Also musste durch die „Offensiv“-Strategie dem Proletariat auf die Sprünge geholfen werden. Die Zentrale der V„K“PD schickte ihren erfahrenen Sabotage-Fachmann Hugo Eberlein ins mitteldeutsche Industrierevier. Um die Stimmung anzuheizen war von Eberlein unter anderem die Vortäuschung der Entführung von V„K“PD-FunktionärInnen, die Sprengung der Konsumgenossenschaft der ArbeiterInnen in Halle und das in die Luft jagen eines Polizei-Munitionswagens geplant. Dieser reaktionäre Putschismus, der mit der sozialrevolutionären Strategie der Verschärfung und Zuspitzung des reproduktiven Klassenkampfes nicht das Geringste zu tun hatte, scheiterte jedoch an der technischen Unvollkommenheit der V„K“PD.

Dass es überhaupt zum bewaffneten Kampf in Mitteldeutschland kam, ist dem militanten Arbeiter Max Hoelz zu verdanken. Hoelz wurde während des Kapp-Putsches von den „kommunistischen“ Bonzen wegen Mangel an Disziplin aus der „K“PD ausgeschlossen und hatte sich daraufhin der KAPD angenähert. Hoelz traf am 21. März 1921 in Mansfeld ein und begann sofort für den Generalstreik zu mobilisieren. Am folgenden Tag weiteten sich auch die Streiks in Mansfeld-Eisleben aus. Teilweise gingen bewaffnete Gruppen von ArbeiterInnen gegen Streikunwillige vor. Hoelz versuchte durch seine unermüdliche Aktivität das Proletariat in die Aktion hinein zu peitschen. In der Nacht zum 23. März wurde unter der Führung von Hoelz versucht, die von der Sipo davor verhafteten ArbeiterInnen in Eisleben zu befreien. Die von Hoelz geführten und unabhängig von der V„K“PD-Zentrale handelnden ArbeiterInnen holten ihre Waffen aus während des Kapp-Putsches angelegten Verstecken und griffen die Polizeihundertschaften an. Doch der Polizei gelang es ihre Position in Eisleben zu halten. Aber die Region befand sich jetzt im bewaffneten Aufstand. Selbst die lokale Zentrale der V„K“PD in Halle hatte keine Kontrolle über diese Kämpfe. Im Aufstandsgebiet Mansfeld-Eisleben kam es zu Reibereien zwischen der örtlichen V„K“PD und Max Hoelz. Letzterer organisierte selbstherrlich eine „Armee“, der zwischen 1.000 und 2.000 Kämpfer angehörten. Diese Armee wurde für die nächsten zehn Tage zum Schrecken der privatkapitalistischen Sozialreaktion: der GutsbesitzerInnen, der Bourgeoisie und der Bullen. Hoelz‘ Methoden waren Plünderungen und Bankraub, das Niederbrennen der Villen der Bourgeoisie und das Sprengen von Gebäuden, Eisenbahnzügen sowie diverser anderer Einrichtungen. Die privatkapitalistische Konterrevolution nutzte den bewaffneten Kampf, um am 24. März 1921 den nichtmilitärischen Ausnahmezustand über die preußische Provinz Sachsen und Hamburg zu verhängen.

Max Hoelz ließ sich von den Zentralen von V„K“PD und KAPD nicht reinreden. Er organisierte selbständig seine militärischen Operationen. Der Analyse von Hans-Manfred Bock ist nur zuzustimmen: „Die Agitation der VKPD und der KAPD trug zur Zuspitzung der Lage bei, aber die Führung der ausbrechenden Kämpfe lag nicht bei den Zentralen der beiden kommunistischen Parteien.“ (Hans Manfred Bock, Syndikalismus und Linkskommunismus von 1918-1923, a.a.O., S. 301.) Die Berliner KAPD-Zentrale ließ sich von der V „K“PD in ihren Putschismus hineinziehen. Beide „kommunistische“ Parteien riefen unter Aufstands-Parolen am 24. März 1921 zum reichsweiten Generalstreik auf, dem jedoch nur 200.000 ArbeiterInnen deutschlandweit folgten. Diese mangelhafte Beteiligung am Generalstreik zeigte eindeutig, dass im März 1921 in Deutschland keine revolutionäre Situation bestand. Übrigens ist unsere Charakterisierung des staatskapitalistischen Putschismus nicht davon abhängig, ob putschistische Partei-„Kommunismen“ in Situationen handeln, die als revolutionär oder als nichtrevolutionär einzuschätzen sind. Es sind das Ziel, die politische Eroberung der Staatsmacht, und die dabei angewendeten politisch-militärischen Methoden, die das klassenkämpferische Proletariat zur Manövriermasse von Parteizentralen degradieren, die den Putschismus charakterisieren. Der Bolschewismus kam 1917 durch eine putschistische Strategie und Taktik in einer revolutionären Situation bei einer schwachen russischen Bourgeoisie an die Macht, V„K“PD und die Berliner KAPD-Zentrale scheiterten mit ihrem Putschismus im März 1921 in einer nichtrevolutionären Situation an der starken deutschen Bourgeoisie. Die schwersten Kämpfe fanden in Leuna zwischen dem 23. und 30. März statt, wo dem dortigen Proletariat von der privatkapitalistischen Sozialreaktion eine blutige Niederlage beigebracht wurde. Am 1. April besiegte die letztere bei Beesenstedt, einem Dorf zwischen Halle und Mansfeld, auch die 200 bewaffneten Arbeiter unter Führung von Max Hoelz. Am selben Tag verkündete die V„K“PD das Ende von ihrem kläglichen Generalstreik. Den letzten Grüppchen gelang noch eine bewaffnete Gegenwehr bis zum 3. April 1921.

Während die V„K“PD sich bald wieder vom Putschismus distanzierte und ihren parlamentarischen und gewerkschaftlichen Sozialreformismus reproduzierte – um dann zwei Jahre später einen noch eindeutigeren Putschismus zu betreiben –, stellte die Niederlage im März 1921 das Ende der KAPD als handlungsfähiger Partei dar und sie degenerierte endgültig zur politideologischen Sekte. In den Märzkämpfen von 1921 erwies sich die KAPD-Zentrale objektiv eindeutig als „kommunistisch“. Ihr putschistisches Verhalten bewies eindeutig die Richtigkeit der revolutionären Parteikritik. Sie ließ sich von Moskau und der V„K“PD in einen sozialreaktionären Putschismus hineinziehen. In den Märzkämpfen von 1921 setzte sich auch in der „K“APD endgültig der objektiv gegebene bürgerlich-reaktionäre Charakter der Parteiorganisation gegen die illusorische revolutionäre Subjektivität vieler ihrer Mitglieder durch. Parteien müssen als politische Organisationen danach streben, die Staatsmacht zu erobern. Da die „K“APD den Parlamentarismus ablehnte, blieb ihr nur der Putschismus zur Eroberung der politischen Macht. Die Eroberung der politischen Macht durch Parteien kann den Kapitalismus nur reproduzieren. Nur die antipolitische Zerschlagung des Staates, die zugleich die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats darstellt, vermag den Weg zur klassen- und staatenlosen Gesellschaft freizukämpfen. Während sich die KAPD in den Putschismus des sowjetischen Imperialismus, der „Kommunistischen“ Internationale und der V„K“PD hineinziehen ließ, kritisierte dies die parteifeindliche Strömung, die damals noch Teil der AAUD war, scharf.

Nachdem der radikalmarxistisch-parteifeindliche Flügel mit der KAPD gebrochen hatte, blieb er noch ein Jahr in der AAUD. Doch dieses Jahr war eines der erbittertsten Fraktionskämpfe zwischen den ParteifeindInnen und den KAPD-AnhängerInnen innerhalb der Union. Die Vorstellungen über die praktischen Aufgaben einer revolutionären Klassenkampforganisation waren zwischen den verschiedenen Fraktionen gar nicht so unterschiedlich. Was sie trennte, war die Haltung zur KAPD. Und so trennten sich die theoretisch klarsten und praktisch konsequentesten parteifeindlichen RevolutionärInnen um Otto Rühle und Franz Pfemfert im Oktober 1921 von der AAUD und bildeten die Allgemeine Arbeiter-Union-Einheitsorganisation (AAUE). Die AAUE verstand sich als antiparlamentarische und gewerkschaftsfeindliche revolutionäre Klassenkampforganisation. Antigewerkschaftlich bedeutete, dass sie Tarifverträge mit der Bourgeoisie und das Mitwirken in den gesetzlich-sozialpartnerschaftlichen Betriebsräten grundsätzlich ablehnte. Diese Grundhaltung wird auch heute noch vom bewusst antipolitischen Kommunismus geteilt. Im Geburtsjahr der AAUE waren die ArbeiterInnen- und Soldatenräte als Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats bereits von der Konterrevolution vernichtet. Aber es gab noch hunderttausende antiparlamentarisch und gewerkschaftsfeindlich eingestellte ProletarierInnen – und ebenfalls zehntausende parteifeindliche, die zur Massenbasis der AAUE wurden. Im Glossar des Buches von Marcel Bois, Kommunisten gegen Hitler und Stalin. Die linke Opposition der KPD in der Weimarer Republik wird für das Jahr 1922 eine Mitgliedszahl der AAUE von 75.000 genannt (Berlin 2014, S. 535.) Bei Wikipedia können wir lesen: „Über die Mitgliederzahlen gibt es keine genaueren Angaben, die von Pfemfert genannten anfänglichen 60.000 Mitglieder dürften jedoch übertrieben gewesen sein.“ (Wikipedia, Stichwort: Allgemeine Arbeiter-Union-Einheitsorganisation.)

Aber die soziale Basis von zehntausenden revolutionären ProletarierInnen und Intellektuellen (neben Rühle und Pfemfert zum Beispiel der Dichter Oskar Kanehl und der bekannte Strafverteidiger in politischen Prozessen, James Broh) konnte die AAUE in der Phase der relativen Stabilisierung des deutschen Kapitalismus ab 1924 nicht erhalten. Nach dem endgültigen Sieg der Konterrevolution waren revolutionäre Klassenkampforganisationen eine objektiv-subjektive Unmöglichkeit. Jetzt konnten sich bewusste SozialrevolutionärInnen nur noch in kleinen Gruppen organisieren. Der heutige konsequent antipolitische Kommunismus nennt sie antipolitisch-sozialrevolutionäre Gruppen. In der Weimarer Republik hatten viele SozialrevolutionärInnen noch die Illusionen, dass sich bald wieder eine neue Revolution entwickeln würde. Die AAUE strebte das Aufgehen in einem neuen Rätesystem an. Doch real verlor sie ihre Massenbasis und spaltete sich in einzelne Richtungen und Gruppen auf.

Da entwickelte sich zum Beispiel die individualistische und organisationsfeindliche Heidenauer Richtung, die sich 1923 selbst auflöste. Außerdem entwickelte sich noch die opportunistisch-sozialreformistische Zwickauer Richtung, die für die Teilnahme an den gesetzlich-sozialpartnerschaftlichen Betriebsräten eintrat. Diese opportunistische Tendenz verließ 1923 die AAUE in Richtung der anarcho-reformistischen Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD, siehe 1. Teil, Kapitel II.5).

Rühle brach 1925 mit der AAUE, weil er sich opportunistisch an die Individualpsychologie anpasste, mit der er dem Proletariat das autoritäre Bewusstsein austreiben wollte. Er erkannte nicht, dass nur der Klassenkampf die kollektive Therapie des Proletariats vom autoritär-bürgerlichen Sein und Bewusstsein sein konnte. Die von bewussten RevolutionärInnen angewandte Psychologie kann dabei nur ein Hilfsmittel sein – nachdem sie vorher aus einer bürgerlichen Wissenschaft zu einem Teil einer revolutionären Theorie umgeformt worden ist. Revolutionär wirken kann die Psychologie nur als Sozialpsychologie und Bestandteil der materialistisch-dialektischen Weltbetrachtung. Rühles Individualpsychologie war zu schematisch, zu biologistisch und eben zu stark auf das Individuum zugeschnitten, um diesen Anspruch erfüllen zu können. Da die Mehrheit der AAUE berechtigterweise von Rühles Individualpsychologie nicht viel hielt, kam es 1925 zum Bruch. Rühle blieb auch nach diesem seinen rätekommunistischen Überzeugungen treu.

Franz Pfemfert, der 1925 in dem Konflikt mit Rühle noch auf der Seite der AAUE-Mehrheit stand, brach später ebenfalls mit dieser. Auch dieser Pionier des Rätekommunismus war den psychischen und geistigen Anforderungen an RevolutionärInnen nach dem Triumpf der Konterrevolution nicht gewachsen. So spaltete sich Pfemfert Ende der 1920er /Anfang der 1930er Jahre mit einem Teil der AAUE von dieser ab und verschmolz mit einer radikalen „K“PD-Abspaltung um Iwan Katz zum Spartakusbund II. Diese Organisation reproduzierte durch eine „kritische“ Wahlunterstützung der „K“PD wieder den Parlamentarismus und die opportunistische Anpassung an den Partei-„Kommunismus“, war also ein Ausdruck des geistigen Niederganges als einer Folge der siegreichen Konterrevolution.

Außerdem entwickelte sich in der AAUE eine „2. Zwickauer Richtung“ um die Wochenzeitungen Proletarischer Zeitgeist (Zwickau)und Von Unten Auf. Laut Wikipedia zeigte sie „Nähe zu anarchistischen Positionen und starke Intellektuellenfeindlichkeit. 1924 schloss sich dieser Organisation eine Gruppe ehemaliger KPD-Mitglieder um Ketty Guttmann und konnte sich bis zur teilweisen Zerschlagung während der Zeit des Nationalsozialismus halten. Die Hamburger Gruppe um Otto Reimers gab in der Illegalität bis Mitte 1934 den Mahnruf heraus, anderen lokalen Gruppen gelang es teilweise die NS-Zeit zu überdauern. (…) Versuche der Strömung um den Proletarischen Zeitgeist, nach 1945 in der Zwickauer Region die Organisation wieder herzustellen, wurde 1948 repressiv unterbunden, der leitende Aktivist der Gruppe, Willhelm Jelinek, starb 1952 unter ungeklärten Umständen im Zuchthaus Bautzen.“

Die progressivste Tendenz der AAUE war die rätekommunistische Frankfurt-Breslauer Richtung, die mit Otto Rühle im Kontakt blieb und im Jahr 1931 mit den Resten der AAUD – diese trennte sich 1929 von der niedergehenden KAPD – zur Kommunistischen Arbeiter-Union Deutschlands (KAUD) verschmolz. Diese rätekommunistische Organisation verfügte natürlich nicht mehr über eine proletarische Massenbasis wie die beiden ArbeiterInnenunionen in der revolutionären Nachkriegskrise. In nichtrevolutionären Zeiten können revolutionäre Organisationen nur wenige Mitglieder haben. So konnten nur wenige die Transformation von der einstigen revolutionären Klassenkampforganisation AAUD über die Spaltung und schließlich erfolgende Wiedervereinig zur KAUD mit vollziehen, die sich bewusst als Gruppe einer sozialrevolutionären Minderheit organisierte. Die KAUD hatte bei ihrer Gründung 343 Mitglieder. Diese Minderheit, welche die Kontinuität des revolutionären Bewusstseins auch in nichtrevolutionären Zeiten verkörperte, konnte natürlich nach der kampflosen Kapitulation des Proletariats in Deutschland gegenüber den Nazis, welche SPD und „K“PD 1933 organisierten, nicht mehr lange bestehen.

Diese Organisation stellte in der Haupttendenz eine revolutionäre Alternative zu Parteimarxismus und Anarchosyndikalismus dar. So heißt es in ihrer Schrift Was will die Kommunistische Arbeiter-Union (KAU)? aus dem Jahre 1932 völlig richtig: „Gewerkschaft und Partei sind historische Erscheinungsformen. Auf Grund ihrer organisatorischen Struktur müssen sie an einer bestimmten Stufe der kapitalistischen Entwicklung versagen, weil ihr Organisationssystem dem Kapitalismus entlehnt ist.“ Dazu ist noch zu sagen, dass auch die radikalsten Parteien (KAPD) und Gewerkschaften (I.W.W.) objektiv keine Organe der sozialen Revolution sein konnten, aber die reaktionärsten Parteien und Gewerkschafen der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung durchaus nicht versagten, sondern zumindest für eine längere Zeit hervorragend für die Kapitalvermehrung funktionierten und funktionieren.

Leider hatte die KAUD trotz ihrer Gewerkschaftskritik gewisse syndikalistische Tendenzen. So schlossen sich die KAUD und die IWW in Deutschland zu einem Kartell zusammen. Aus heutiger Sicht war es ein Fehler, dass die KAUD der anarchosyndikalistischen FAUD, die in den 1920er Jahren klar in ihrer Anpassung an die gesetzlichen Betriebsräte ihre sozialreformistisch-opportunistischen Tendenzen gezeigt hatte (siehe 1. Teil, Kapitel II.5), ein festes Bündnis „gegen Faschismus und Reaktion“ vorschlug, was die AnarchosyndikalistInnen aber ablehnten. Diese Bemühungen der KAUD zeigten jedoch deren Schwächen. Aus unserer heutigen Sicht geht eine Gruppe der sozialrevolutionären Minderheit, die die KAUD objektiv war, niemals feste Bündnisse mit marxistischen Parteien und anarchosyndikalistische Gewerkschaften ein. Die proletarischen Mitglieder von antipolitisch-sozialrevolutionären Gruppen nehmen natürlich am Klassenkampf teil, ohne sich an dessen reproduktiven Grenzen opportunistisch anzupassen (siehe Kapitel IV.2). Das Bündnisangebot an die FAUD zeigt deutlich, dass sich die KAUD nicht im ausreichenden Maße der Aufgabe von SozialrevolutionärInnen in nichtrevolutionären Zeiten bewusst war.

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1920/21 stellten sich keine bekannten SozialrevolutionärInnen der Niederlande auf die Seite der parteifeindlichen Strömung um Rühle und Pfemfert in Deutschland. Erst später, im Jahre 1927 begann sich mit dem Niedergang der KAPN (siehe Kapitel III.5) die Gruppe Internationaler Kommunisten (GIK) als klare parteifeindliche Strömung herauszubilden. Die GIK nannte damals die Organisation der SozialrevolutionärInnen „Arbeitsgruppe“ und lehnte den Parteibegriff klar ab, wenn auch diese Organisation sich noch nicht als antipolitische verstand. So schrieb das Gründungsmitglied der GIK Henk Canne Meijer: „Wenn mit dem Begriff ,Partei‘ der spezifische Herrschaftscharakter der Partei, die neuen Arbeitsgruppen aber gerade dagegen ihre Propaganda richten und auch, insofern sie ein politisches Programm haben, sich im völligen Gegensatz zu den bekannten Parteiauffassungen befinden, haben die neuen Arbeitsgruppen mit dem, was man unter ,Partei‘ versteht, so gut wie nichts gemein. Sie sind davon wesentlich verschieden und können darum nicht als Parteien angesehen werden. Wir nennen sie vorläufig Arbeitsgruppen und müssen es der weiteren Entwicklung überlassen, welchen Namen sie schließlich erhalten.“ (Henk Canne Meijer, Das Werden einer neuen Arbeiterbewegung, in: Anton Pannekoek/Willy Huhn/Henk Canne Meijer/Paul Mattick, Partei und Revolution, Karin Kramer Verlag o.J., Westberlin, S. 38.)

Während des Zweiten Weltkrieges hörte die GIK auf zu bestehen, aber einige ihrer Mitglieder waren in den linkskommunistischen Organisationen Marx-Lenin-Luxemburg-Front (MLLF) und Spartacus-Bund (ab 1944, siehe Kapitel III.5) aktiv. Durch den Communistenbond Spartacus wurde die klare Haltung des Rätekommunismus gegenüber der Partei als Organisationsform vorübergehend wieder aufgegeben. So war die größte geistige Errungenschaft der europäischen revolutionären Nachkriegskrise, nämlich die Erkenntnis, dass die Partei eine bürgerliche Organisationsform darstellt, durch den Sieg der Sozialreaktion danach für ein paar Jahre verlorengegangen.

Durch Paul Mattick (1904-1981) entwickelte sich der Rätekommunismus auch in den USA. Mattick wirkte in den 1920er Jahren in der KAPD und der AAUD mit – die Bedeutung der Kritik Rühles an der Parteiorganisation hatte er nie verstanden – und emigrierte Mitte der 1920er Jahre in die USA, wo er seinem leicht parteiförmigen und syndikalismusnahen, aber auch antileninistischen Rätekommunismus treu blieb. In den 1920er Jahren hielt Mattick auch in den USA die Kontakte zu der KAPD und der AAUD aufrecht. Er beschäftigte sich besonders mit der Kapitalismuskritik von Marx. Im Gegensatz zu den KonsumtionskrisentheoretikerInnen hielt er sein ganzes Leben daran fest, dass die Profitproduktion das Zentrum einer materialistischen Krisentheorie zu sein hat. Er war sich der großen Bedeutung der kapitalistischen Krisendynamik für den proletarischen Klassenkampf bewusst.

Gegen Ende der 1920er Jahre zog Mattick nach Chicago. Dort strebte er an, die verschiedenen deutschsprachigen ArbeiterInnenverbände zu vereinigen. Er war auch hochaktiv in der Arbeitslosenbewegung, die sich als Folge der Weltwirtschaftskrise entwickelte. Diese Bewegung wurde vom US-Staat durch brutale Repression und staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen des New Deal zerschlagen. Mattick wurde Mitglied der radikalgewerkschaftlichen Indsutrial Workers of the World (IWW). Er schrieb auch 1933 deren Programm Die Todeskrise des kapitalistischen Systems und die Aufgaben des Proletariats. Im Jahre 1934 gründete Mattick zusammen mit Freunden aus der IWW sowie den Ausgeschlossenen aus der leninistischen Proletarian Party die United Workers Party. Dies zeigte deutlich, dass Mattick den Parteimarxismus nicht hinter sich gelassen hatte. Doch durch Kontakte zur konsequent parteifeindlichen GIK in den Niederlanden, wurde diese Partei später in Group of Council Communists umbenannt. Aber bei Mattick gab es wahrscheinlich nie wirklich einen Bruch mit dem Parteimarxismus, wie auch Äußerungen von ihm nach dem Zweiten Weltkrieg nahelegen (siehe weiter unten in diesem Kapitel). Die Group of Council Communists gab in den 1930er Jahren die Zeitschrift International Council Correspondenze heraus, das war die US-amerikanische Parallele zu dem Organ Rätekorrespondenz der GIK. Auch der Linkskommunist Karl Korsch hatte enge Kontakte zu den US-amerikanischen RätekommunistInnen. Mattick stand mit Korsch seit 1935 in Kontakt. Nach dem Verschwinden des Rätekommunismus als organisierte Kraft in Europa benannte Mattick 1938 die International Council Correspondenze 1938 in Living Marxism und ab 1942 in New Essays um. Auch die Group of Council Communists überlebte den Zweiten Weltkrieg nicht. Mattick war auch als isolierte Einzelperson ein konsequenter Gegner des Eintritts der USA in den Zweiten Weltkrieg.

Dieser und der Kalte Krieg, der in den USA zu einem massiven Antikommunismus führte, isolierten Mattick zu einer radikalen Einzelperson. Er zog aufs Land und schlug sich durch Gelegenheitsjobs und seiner Tätigkeit als Schriftsteller durch. Paul Mattick begann sich ab den 1940er Jahren mit dem Ökonomen Keynes kritisch zu beschäftigen, der den wachsenden Staatsinterventionismus innerhalb des Privatkapitalismus ideologisierte. 1969 erschien Matticks sehr verdienstvolles Werk Marx and Keynes. The Limits of Mixed Economy, welches später auch auf Deutsch erschien. Mattick wies in diesem Buch nach, dass der Staatsinterventionismus nicht wirklich die Profitproduktionskrise eindämmen konnte, sondern diese im Gegenteil mit hervorbrachte, was die strukturelle Profitproduktionskrise in Nordamerika und Westeuropa ab 1974 bestätigte. Durch das kleinbürgerlich-radikale und proletarische 1968 – die StudentInnenbewegung und der radikalisierte Klassenkampf am Ende des kapitalistischen Nachkriegsaufschwunges – wurde auch Mattick aus seiner Isolation befreit.

Auch in den Niederlanden wurde der Rätekommunismus nach dem Zweiten Weltkrieg als eigenständige theoretische Strömung wiedergeboren. Im Dezember 1964 spalteten sich traditionelle Rätekommunisten wie Cajo Brendel, Theo Maassen und Jupp Meulencamp vom linkskommunistischen Spartacusbond (siehe Kapitel III.5) ab und gaben die theoretische Monatszeitschrift Daad en Gedachte heraus. Diese existierte bis Ende der 1990er Jahre. Cajo Brendel (1915-2007) wurde zu einem bedeutenden Theoretiker des Rätekommunismus, der sich Zeit seines geistigen Schaffens in den von Pannekoek geschaffenen Bahnen bewegte. Er hielt bis zu seinem Tod daran fest, dass die Partei- und Gewerkschaftsorganisation unvereinbar mit der proletarischen Selbstorganisation im Klassenkampf war. Allerdings fiel Cajo Brendel hinter der Position der KAUD und der GIK zurück, indem er die Bedeutung der bewusst revolutionären proletarischen Minderheiten und den von ihnen organisierten Gruppen immer weniger Bedeutung beimaß. Dagegen überschätzte er die Bedeutung von Spontaneität und Klasseninstinkt für den revolutionären Prozess auf geradezu groteske Weise. Mit Cajo Brendel starb der traditionelle Rätekommunismus als theoretische Strömung in den Niederlanden.

In Deutschland entwickelte sich Willy Huhn (1909-1970) nach dem Zweiten Weltkrieg zu einem bedeutenden rätekommunistischen Theoretiker. Er war der Sohn eines deutschnationalen Polizeibeamten. Seine Familie wurde 1919 aus Metz ausgewiesen. Sie siedelte nach Berlin über. Dort arbeitete Willy Huhn als kaufmännischer Angestellter. Im Jahre 1929 starb sein Vater. Nach dessen Tod tat er das, was sein Vater davor verboten hatte: er wurde am linken Flügel der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung aktiv. Zunächst trat Huhn dem linkssozialdemokratischen Zentralverband der Angestellten bei, im Jahre 1930 dann der Jugendorganisation der SPD, der Jungsozialistischen Vereinigung Groß-Berlins. Die sozialdemokratischen Politbonzen lösten jedoch diese Organisation auf, da sie für die SPD zu radikale Positionen vertrat. Huhn wurde 1931 Mitglied der Linksabspaltung der SPD, der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD). Dort hatte er auch Kontakt zu den linkskommunistischen Roten Kämpfern, die am Ende der Weimarer Republik in SPD und SAPD wirkten (siehe Kapitel III.5).

Während des deutschen Faschismus wurde Huhn kurzzeitig 1933 und 1934 inhaftiert. Als Einzelgänger analysierte er während der Nazidiktatur die staatsinterventionistischen und staatskapitalistischen Tendenzen des Weltkapitalismus und dessen Subjekte Sozialdemokratie, Bolschewismus, Faschismus und Nationalsozialismus. Durch die Isolierung in feindlicher Umgebung, entwickelte sich Huhn allerdings während des Zweiten Weltkrieges in eine gefährliche Richtung. Diese bestand darin, dass er 1942 in für einen Freund geschriebenen Essay die angebliche „geschichtliche Notwendigkeit des Ostfeldzugs“ der Nazis rechtfertigte. Das war natürlich sozialreaktionär – genau wie die antifaschistische Kriegstreiberei des Kremlnahen Partei-„Kommunismus“. Wirkliche KommunistInnen mussten gegen alle Seiten des imperialistischen Gemetzels kämpfen. „Später war sich Huhn im Klaren, dass er der Nazi-Propaganda auf dem Leim gegangen war.“ (Felix Klopotek, Rätekommunismus. Geschichte – Theorie, Schmetterling Verlag, Stuttgart 2021, S. 152.)

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Willy Huhn in der SBZ und Westberlin ein bekannter rätekommunistischer Theoretiker. Bei Wikipedia können wir daüber lesen: „Nach 1945 schloss er sich zunächst unter Beibehaltung seiner rätekommunistischen Ansichten der KPD und 1946 der SED an und war bis 1948 als Lehrer und Leiter von Volkshochschulen in Ostberlin und Gera tätig. Nach seiner Übersiedlung nach West-Berlin 1948 arbeitete er am dortigen August Bebel Institut. 1951 wurde er wieder arbeitslos. 1954 wurde er aus der SPD, der er 1948 wieder beigetreten war, ausgeschlossen, da er deren Rolle in der Novemberrevolution kritisiert hatte. Von 1950 bis 1952 war er Chefredakteur der Zeitschrift Pro und contra. In den Jahren 1954/55 war er Mitglied im Arbeitsausschuss der Internationale der Kriegsdienstgegner (IDK). Danach schrieb er überwiegend in kleinen linkssozialistischen Periodika.

In den 1960er Jahren avancierte Huhn zusammen mit dem zwanzig Jahre jüngeren Michael Mauke zu einem Stichwortgeber und Mentor des dezidiert marxistischen Flügels des SDS. Willy Huhn zählt somit zu den ganz wenigen Personen, die die Verbindung zwischen der neuen Linken und dem radikalen Teil der alten Arbeiterbewegung der Weimarer Republik aktiv verkörperten (…). Zu Huhns Schülern gehörte Christian Riechers, der ab Ende der 60er Jahre als erster (west-)deutscher Antonio Gramsci-Forscher bekannt wurde. (Anmerkung von Nelke: Später näherte sich Riechers dem italienischen Linkskommunismus an.) Huhn erarbeitete für seinen Schülerkreis mehrere Dutzend Manuskripte, die sich verschiedenen zeitgeistigen Fragen (u.a. Deutschland und die Kriegsschuldfrage) und Aspekten der marxistischen Kritik (u.a. Marx und Engels zur polnischen Frage) widmeten. Diese Manuskripte kursierten als hektographierte Typoskripte. Stil und Arbeitsweise lehnte Huhn bewusst an die politischen Schriften von Karl Marx an (Herr Vogt, Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte, Der Bürgerkrieg in Frankreich). Exzerpte, kommentierte Zitatsammlungen, freie Explikation des Themas gehen bei Huhn ineinander über.

Huhn war ein Vertreter des revolutionären Defätismus: Er war ein unerbittlicher Kritiker des deutschen Nationalismus in allen Schattierungen, ohne sich positiv auf die West- oder Ost-Mächte zu beziehen.

Während der 1968er-Rebellion wurde Huhn von den Linken wegen seines großen Wissens bewundert, doch er stand der Bewegung auch kritisch gegenüber. Die Projektgruppe Räte im SDS (Mitarbeit u.a. Bernd Rabehl) ist maßgeblich von Huhn inspiriert worden. 1970 starb er nach längerer Krankheit.“ (Wikipedia, Stichwort Willy Huhn.)

Unsere Kritik an Huhn: Er war zwar ein scharfer Kritiker der Sozialdemokratie und des Bolschewismus, aber er lehnte die Partei nicht grundsätzlich als bürgerlich-bürokratische Organisation ab. Er war ja auch Mitglied der verschiedenen Parteien (in der Weimarer Republik SAPD, in der sowjetischen Besatzungszone „K“PD/SED und in Westberlin SPD) beziehungsweise hatte zu Beginn der 1930er Jahre Kontakt zu den Roten Kämpfern. Auch sein relativ starkes Engagement in der kleinbürgerlich-radikalen Studierendenbewegung von „1968“ – deren spätere marxistisch-leninistische Entartung in den 1970er Jahren alles andere als zufällig war, sondern Ausdruck des kleinbürgerlich-reaktionären Charakters der meisten Linksintellektuellen – muss aus revolutionärer Sicht kritisiert werden. Für Huhn stellte fälschlicherweise der Parteimarxismus einer Rosa Luxemburg eine revolutionäre Alternative zum Leninismus dar (siehe weiter unten in diesem Kapitel).

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Der Rätekommunismus in Deutschland, in den Niederlanden und in den USA war während der 1930er Jahren mit dem rechtsreaktionären Faschismus, dem linksreaktionären Antifaschismus und dem spanischen BürgerInnenkrieg konfrontiert. Er war leider in diesen Fragen nicht so klar und eindeutig wie der italienische Linkskommunismus (siehe Kapitel III.5).

So wandte Rühle den Faschismus-Begriff auch auf den leninistischen Partei-„Kommunismus“ an, wie mensch bei seiner Schrift Brauner und Roter Faschismus (veröffentlicht in: Gottfried Mergner, Otto Rühle: Schriften. Perspektiven einer Revolution in hochindustrialisierten Ländern, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1971, S. 8-71) schon am Titel unschwer erkennen kann. Den sowjetischen Staatskapitalismus und Stalinismus als „roten Faschismus“ zu bezeichnen, ist einfach eine sehr ungenaue Begrifflichkeit und gleichzeitig ein gefundenes Fressen für demokratische AntikommunistInnen sowie ihres libertär-anarchistischen Schwanzes. Und für stalinistische AntifaschistInnen gibt das Ganze auch ein willkommener Vorwand, um die revolutionäre Bolschewismus-Kritik mit bürgerlichem Antikommunismus auf eine Stufe zu stellen und ein großes moralisierendes Geschrei zu veranstalten, dass die RevolutionärInnen sie angeblich mit FaschistInnen gleichsetzen würden. Doch so etwas machen wir heutigen SozialrevolutionärInnen natürlich nicht. Für uns sind die nachstalinistischen Partei-„KommunistInnen“ selbstverständlich keine „roten FaschistInnen“, sondern ganz miese LinksreaktionärInnen. Obwohl Rühle sich des Unterschiedes zwischen dem im nationalsozialistischen Deutschland vorherrschenden Privateigentum an Produktionsmitteln und dem Staatseigentum in der Sowjetunion bewusst war, nannte er auch das Naziregime „staatskapitalistisch“. Das war eine falsche Begrifflichkeit. Der NS-Faschismus war eine Strömung des Staatsinterventionismus beziehungsweise Etatismus auf der Grundlage des Privateigentums. Staatskapitalistisch war die UdSSR, aber nicht der Faschismus.

Gänzlich auf dem analytischen Holzweg war Rühle mit seiner Schrift Weltkrieg – Weltfaschismus – Weltrevolution (veröffentlicht in: Gottfried Mergner, Otto Rühle: Schriften. Perspektiven einer Revolution in hochindustrialisierten Ländern, a.a.O., S. 73-175.) angekommen. Hier wird nicht nur die falsche Gleichsetzung von Staatskapitalismus und Faschismus fortgeführt, sondern auch völlig danebenliegend die besondere Entwicklung des faschistischen Italiens und des nationalsozialistischen Deutschlands auf den gesamten Privatkapitalismus verallgemeinert. Nach Rühle war die parlamentarische Demokratie die kapitalistische Staatsform der Vergangenheit und der Faschismus die der Gegenwart und der Zukunft. Er sah einen drohenden Weltfaschismus. Der antifaschistisch-reaktionären Verteidigung der Demokratie als kapitalistische Staatsform gegen den Faschismus durch die Liberalen, SozialdemokratInnen, StalinistInnen und TrotzkistInnen stellte er zwar den revolutionären Kampf gegen den Kapitalismus gegenüber, aber Rühle bekämpfte den reaktionären Antifaschismus mit dem falschen Argument, dass die kapitalistischen Demokratien von heute zwangsläufig die faschistischen Regimes von morgen wären und es keinen Sinn hätte, die Vergangenheit gegen die Gegenwart zu verteidigen. Die weltfaschistische Gegenwart ließe sich nur durch die weltkommunistische Zukunft bekämpfen. Das war extremer Schematismus, mit dem sich Demokratie und Faschismus als kapitalistische Staatsformen nur schwer bekämpfen ließen. Auch kleinbürgerlich-demokratische Tendenzen lassen sich in Rühles „Weltfaschismus“-Ideologe finden. Aus der richtigen Beobachtung, dass in Deutschland ohne Putsch, aber ganz rechtsstaatlich-legal die Demokratie in den NS-Faschismus transformiert wurde, schloss Rühle, dass dies auch in den anderen kapitalistischen Ländern so ähnlich laufen würde. So nannte er die repressiven Tendenzen in den kapitalistischen Demokratien „faschistisch“. Das ist die typische Manier aller kleinbürgerlichen DemokratInnen ihr unbeflecktes demokratisches Ideal gegen die massenmörderische Wirklichkeit der Demokratie als sozialreaktionäre kapitalistische Staatsform zu verteidigen. Die Gräueltaten der Demokratie werden als „undemokratisch“ und „faschistisch“ bezeichnet.

Wenn der globale Kapitalismus angeblich auf den „Weltfaschismus“ zu tendierte, selbst der Bolschewismus nichts anderes als „roter Faschismus“ darstellte, wozu dann noch den Antifaschismus als konterrevolutionäre Ideologie kritisieren? Paul Mattick besetzte diesen Begriff 1945 dann auch positiv und erklärte den Rätekommunismus zur Avantgarde des Antitotlitarismus: „Rühle zweifelte nicht daran, dass Totalitarismus für die Arbeiter schlimmer war als die bürgerliche Demokratie. Er hatte von Anfang an den bolschewistischen Totalitarismus bekämpft; er bekämpfte auch den deutschen Faschismus, aber nicht im Namen der bürgerlichen Demokratie, denn er wusste, dass über kurz oder lang die bürgerliche Demokratie in Faschismus oder Staatskapitalismus umschlüge.“ (Paul Mattick, Otto Rühle und die deutsche Arbeiterbewegung, in: Derselbe, Spontaneität und Organisation. Vier Versuche über praktische und theoretische Probleme der Arbeiterbewegung, Frankfurt am Main 1975,S. 36/37.)

Als erstes fällt hier die völlig schematische Gegenübersetzung von Demokratie und Totalitarismus auf. Für SozialrevolutionärInnen gibt es keinen Gegensatz zwischen Demokratie und Totalitarismus, weil auch in der Demokratie die Herrschaft der Ware-Geld-Beziehung über die menschlichen Bedürfnisse unumschränkt und totalitär ist, genauso wie die soziale Herrschaft des Kapitals über das Proletariat oder die Herrschaft der Politik über die gesamtgesellschaftliche Organisation. Der demokratische Totalitarismus ist lediglich geschickter und verschleierter als der „kommunistisch“-staatskapitalistische oder der faschistische/nationalsozialistische.

Diese falschen Ansichten Rühles über einen Weltfaschismus wurden damals auch von in der Illegalität agierenden deutschen RätekommunistInnen vertreten. Der bedeutendste Theoretiker des Rätekommunismus, Anton Pannekoek, trat dieser Ideologie vom Weltfaschismus scharfsinnig und konsequent entgegen. In der Schrift Staatskapitalismus und Diktatur (abgedruckt in: Anton Pannekoek, Arbeiterräte. Texte zur sozialen Revolution, Germinal Verlag, Fernwald (Annerod) 2008, S. 530-540) aus dem Jahre 1936 unterschied Pannekoek klar zwischen dem auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruhenden Staatsinterventionismus und dem Staatskapitalismus (Sowjetunion). Auch der falschen Verallgemeinerung, dass weltweit der Übergang von der Demokratie zum Faschismus bevorstehe, trat er bewusst entgegen.

Die praktische Probe des spanischen BürgerInnenkrieges, wo SozialrevolutionärInnen sowohl das antifaschistische Volksfront-Regime und den sowjetischen Imperialismus als auch die putschenden spanischen Generäle sowie den italienischen und deutschen Faschismus bekämpfen mussten, bestanden zwar Mattick und die Group of Council Communists in den USA, aber nicht die GIK in den Niederlanden. Mattick schrieb im Jahre 1937: „Die Volksfront ist nicht ein geringeres Übel für die Arbeiter. Es ist nur eine weitere Form der kapitalistischen Diktatur in Ergänzung zum Faschismus. Der Kampf muss gegen den Kapitalismus geführt werden.“ (Zitiert nach Red Devil, Widerworte – Gegen die kapitalistische Verfasstheit der Gesellschaft. Historische Texte, Bibliothek des Widerstandes, Lübeck 2010, S. 32.)

Allerdings verlor der niederländische Rätekommunismus teilweise die Orientierung und ihre US-amerikanischen GesinnungsgenossInnen kritisierten dies nicht in der notwendigen Schärfe. Die Groups of Council Communists gaben ab 1934 die International Council Correspondence heraus. In dieser Zeitung war auch ein Artikel der holländischen RätekommunistInnen, der GIK, abgedruckt, der teilweise gegenüber der antifaschistischen Sozialreaktion kapitulierte. So hieß es in dem Text zwar, dass die proletarische Revolution nur „siegreich sein kann, wenn sie international ist“, andernfalls werde sie „mit Waffengewalt niedergeworfen oder durch die imperialistischen Interessen deformiert werden“, aber eben auch: „Die spanischen Arbeiter können sich nicht erlauben, effektiv gegen die Gewerkschaften zu kämpfen, denn das würde zu einem vollständigen Scheitern an den militärischen Fronten führen. Sie haben keine Alternative. Sie müssen gegen die Faschisten kämpfen, um ihr Leben zu retten, sie müssen jede Hilfe, gleichgültig woher sie kommt, akzeptieren.“ (H. Wagner, Anarchism and the Spanish Revolution, in: International Council Correspondence Nr. 5/6, Juni 1937.) Als ob der Antifaschismus nicht genau so blutig das Leben der ArbeiterInnen gefährdete!

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Der heutige Kommunismus muss notwendig antipolitisch sein. Dies beinhaltet vor allem zwei Dinge: Erstens lehnt er die politische Partei als Organisationsform für das klassenkämpferische Proletariat und die SozialrevolutionärInnen ab. Zweitens sieht er das Wesen der sozialen Revolution nicht in der „politischen Machteroberung des Proletariats“, sondern in der antipolitischen Zerschlagung des Staates durch das sich selbst revolutionär aufhebenden Proletariats (siehe Kapitel V.5). Der antipolitische Kommunismus überwindet also konsequent den Parteimarxismus. Während der historische Rätekommunismus nicht bewusst antipolitisch war und deshalb auch nicht konsequent genug mit dem Parteimarxismus brach.

Die parteifeindliche AAUE überwand sowohl Parlamentarismus und Putschismus. Aber sie verstand sich noch nicht als bewusst antipolitisch, sondern als ökonomisch-politische Einheitsorganisation. Mit den Worten von Otto Rühle: „Der revolutionäre Einheitskampf, geführt von politischen Parteien ohne wirtschaftliche Organisationen endet mit dem Misserfolg – die deutsche Revolution seit 1918 beweist es. Aber ebenso muss der revolutionäre Einheitskampf mit einem Fiasko enden, wenn nur die wirtschaftlichen Organisationen aktiv vorgehen, dagegen die politischen Parteien versagen – Italien und die fehlgeschlagene Aktion der Syndikalisten sind dafür Beweis genug. Hier wie dort wurde die Niederlage verschuldet dadurch, dass ein Flügel der organisierten Arbeiterschaft lahm blieb – in Deutschland der wirtschaftliche (die Expropriation der Betriebe, Bergwerke, Banken, Ländereien unterblieb, während die politischen Positionen in unseren Händen waren), in Italien der politische (die Arbeiter waren Herr der Betriebe, sie unterließen aber, Regierung, Parlament, Polizei, Militarismus usw. zu beseitigen). Hätte eine Einheitsorganisation bestanden, wäre dies unmöglich gewesen. Sie hätte in Deutschland, indem sie politisch siegte, sich ganz von selbst wirtschaftlich verankert, und in Italien, indem sie wirtschaftlich Fuß fasste, ganz von selbst ihre politische Manifestation gefunden. Der Dualismus der proletarischen Organisationen ist ein Erbteil aus vorrevolutionärer Zeit, das heute in der revolutionären Phase zum Verhängnis der Arbeiterklasse wird. Er muss verschwinden und der Einheit Platz machen. Einheitskämpfe verlangen Einheitsorganisationen.“ (Otto Rühle, Grundfragen der Organisation, 1970, S. 36.)

Diese Aussagen Rühles sind aus heutiger sozialrevolutionärer Sicht reichlich konfus. Sie belegen, dass Otto Rühle und die AAUE noch nicht bewusst antipolitisch waren. Rühle bewegte sich irgendwo zwischen Parteimarxismus und einem bewusst antipolitischen Kommunismus. Aus dem Zitat geht hervor, dass er noch mit dem Parteimarxismus die falsche Vorstellung teilte, dass das Wesen der sozialen Revolution „die politische Machteroberung der ArbeiterInnenklasse“ sei. Doch das Proletariat kann die politische Macht gar nicht erobern. Das können nur sozialdemokratische oder „kommunistische“ BerufspolitikerInnen im Namen des Proletariats. Und sozialdemokratische und „kommunistische“ Regierungen konnten nur den Kapitalismus in privater oder verstaatlichter Form reproduzieren. Der heutige antipolitische Kommunismus tritt für die zukünftige antipolitische Zerschlagung des Staates durch das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat ein.

Völlig konfus ist Rühles Behauptung, dass in Deutschland 1918/19 „die politischen Positionen in unseren Händen“ gewesen seien. In Gesamtdeutschland lag 1918/19 die politische Macht bei der SPD, die sie im Interesse der Bourgeoisie konterrevolutionär ausübte. Die politische Macht der verschiedenen lokalen Räterepubliken (Bremen, München) lag entweder in den Händen von konfusen AnarchistInnen, oder in den von politischen Parteien (SPD, USPD und KPD). Die Bremer und die 2. Bayerische Räterepublik waren Mischprodukte aus einer Radikalisierung des Klassenkampfes und der Errichtung von embryonalen staatskapitalistischen Regimes.

Zu Rühles Ausführungen zu der revolutionären Nachkriegskrise in Italien 1919/1920: Es ist richtig, dass sich in diesem Land ArbeiterInnenräte bildeten, die die Betriebe besetzten. Aber diese Betriebsbesetzungen waren weder mit der antipolitischen Zerschlagung des Staates noch mit der Aufhebung der Warenproduktion verbunden. Beide zusammen bilden möglicherweise in der Zukunft die notwendigen Teilprozesse der revolutionären Selbstaufhebung des Proletariats und der Herausbildung einer klassen- und staatenlosen Gesellschaft. In Rühles Ausführungen über Italien kommen gewisse antipolitischen Tendenzen zum Ausdruck.

Aber: In nichtrevolutionären Zeiten sollte die Minderheit der bewusst revolutionären ProletarierInnen und Intellektuellen keine ökonomisch-politischen Einheitsorganisationen bilden, sondern sich in antipolitisch-sozialrevolutionären Gruppen organisieren (siehe Kapitel V.1). In revolutionären Zeiten sind revolutionäre Klassenkampforganisationen notwendig, für die die Bezeichnung ökonomisch-politische Einheitsorganisationen eine falsche Begrifflichkeit wäre, weil sie für die revolutionäre Aufhebung der kapitalistischen Ökonomie und der bürgerlichen Politik kämpfen müssen. Die revolutionären Klassenkampforganisationen, die sich nur in und mit den möglichen Revolutionen der Zukunft entwickeln können, haben nicht die Aufgabe der „politischen Machteroberung durch die ArbeiterInnenklasse“, sondern müssen die organisatorische Basis für die antipolitische Zerschlagung des Staates durch das sich revolutionär selbst aufhebende Proletariat sein. Auch scheiterte die europäische revolutionäre Nachkriegskrise nicht an der Nichtexistenz einer ökonomisch-politischen Einheitsorganisation, wie mensch das obige Rühle-Zitat interpretieren könnte, sondern am mangelnden revolutionären Klassenbewusstsein der Mehrheit des Proletariats. Es fehlte keine ökonomisch-politische Einheitsorganisation, sondern das bewusste und organisierte Streben, Warenproduktion und Politik aufzuheben. Politische „ArbeiterInnenparteien“ und Gewerkschaften erwiesen sich nicht deshalb als nicht- und konterrevolutionär, weil sich in ihnen der Dualismus von ökonomischen und politischen Organisationen äußerte, sondern weil sie bürgerlich-bürokratische Organisationen waren und sind, die nur den Kapitalismus reproduzieren können. Rühle erfasste auch mit dem von ihm aufgestellten Ziel der angeblichen Eroberung der ökonomischen und politischen Macht durch die Arbeiterklasse nicht das Wesen der revolutionären Selbstaufhebung des Proletariats.

Schauen wir uns jetzt das Verhältnis des niederländischen Rätekommunismus zum Parteimarxismus an. In den Niederlanden hatte die europäische revolutionäre Nachkriegskrise nicht so große Auswirkungen gehabt. Deshalb hatte dort der Rätekommunismus von Anfang an keine proletarische Massenbasis. Die GIK, die ab 1927 von einer kleinen Minderheit von sozialrevolutionären ProletarierInnen und Intellektuellen getragen wurde, verstand sich nicht als ökonomisch-politische Einheitsorganisation wie die AAUE, sondern als eine Arbeitsgruppe. Das Selbstverständnis der GIK kam dem, was wir als eine antipolitisch-sozialrevolutionäre Gruppe verstehen, schon recht nahe. Der große rätekommunistische Theoretiker der Niederlande, Anton Pannekoek, wirkte am Rande der GIK, war aber nicht aktives Mitglied von ihr. GIK und Pannekoek nannten die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung „alte ArbeiterInnenbewegung“ und die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats „neue ArbeiterInnenbewegung“.

Lesen wir, was Pannekoek 1936 über den Unterschied von politischen Parteien und den Arbeitsgruppen schrieb: „Wir sehen erst die allerersten Anfänge einer neuen Arbeiterbewegung emporkommen; der Glaube an die Partei ist das schwerste Hemmnis, das die Arbeiterklasse jetzt machtlos macht. Daher vermeiden wir es, eine neue Partei zu bilden; nicht, weil wir zu wenig sind – jede Partei musste klein anfangen –, sondern weil eine Partei jetzt eine Organisation bedeutet, die die Arbeiterklasse führen und beherrschen will. Demgegenüber stellen wir das Prinzip: die Arbeiterklasse wird nur emporkommen und siegen können, wenn sie selbst ihre Geschicke in die Hand nimmt. Die Arbeiter sollen nicht gläubig die Lösungen eines Anderen, einer Gruppe, auch nicht die unsrigen, sondern selbst denken, selbst handeln, selbst entschließen. Daher betrachten wir ihr als natürliches Organ zur Aufklärung in dieser Zeit des Übergangs die Arbeitsgruppen, die sich selbst bildenden, ihren Weg selbst suchenden Studien- und Diskussionsorganisation.“ (Anton Pannekoek, Partei und Arbeiterklasse, in: Derselbe: Arbeiterräte, a.a.O., S. 498.)

Wir sehen erstens eine große Übereinstimmung zwischen dem, was Pannekoek und die GIK „Arbeitsgruppe“ nannten und wir „antipolitisch-sozialrevolutionäre Gruppe“ nennen: eine kleine Organisation von revolutionären ProletarierInnen und Intellektuellen, die nicht das Proletariat führen, sondern praktisch-geistige Impulse zur klassenkämpferischen Selbstorganisation geben will. Zweitens sehen wir auch den großen Unterschied im Selbstverständnis zwischen GIK und der AAUE. Doch die AAUE entstand in der Revolution und hatte am Anfang eine proletarische Massenbasis. Es ist klar, dass sich zehntausende revolutionäre ProletarierInnen und Intellektuelle größere Aufgaben stellten als ein paar 20 Menschen (GIK). So sah sich die AAUE am Anfang subjektiv als das an, was sie durch den kommenden absoluten Sieg der Konterrevolution und Sozialreaktion objektiv nicht mehr sein konnte: als eine revolutionäre Klassenkampforganisation. Die KAUD verstand dies insofern, dass sie keine „Allgemeine“, sondern eine „Kommunistische Arbeiter-Union“ sein wollte.

Drittens finden wir die Abgrenzung Pannekoeks der „Arbeitsgruppen“ zu den politischen Parteien nicht begrifflich genau genug. Begriffliche Ungenauigkeiten sind meistens der Ausdruck von geistiger Unklarheit. So auch in diesem Fall. Die Kritik an den politischen Parteien von Pannekoek ging nicht genug in die Tiefe. Das lag daran, dass auch die GIK und Pannekoek noch nicht bewusst antipolitisch waren. Sie waren durch ihren prinzipiellen Antiparlamentarismus, der Ablehnung der Partei als Organisationsform für das klassenkämpferische Proletariat und den Zusammenschluss der revolutionären Minderheit schon nicht mehr politisch – aber eben auch noch nicht bewusst antipolitisch. So fehlte in Pannekoeks Analyse die Erkenntnis, dass politische Parteien als Basiseinheiten der bürgerlichen Politik den Kapitalismus nur reproduzieren, aber eben nicht überwinden können. Die begriffliche Gegenüberstellung von politischen Parteien einerseits und den antipolitisch-sozialrevolutionären Gruppen andererseits durch den heutigen bewusst antipolitischen Kommunismus ist wesentlich klarer.

Wir würden auch nie behaupten, dass mensch die antipolitisch-sozialrevolutionären Gruppen auch „Parteien“ nennen könnte. Genau dies schrieb aber Pannekoek über das, was er und die GIK „Arbeitsgruppen“ nannte: „Wenn dabei nun Personen mit gleichen Grundanschauungen sich zusammentun, zur Besprechung der praktischen Möglichkeiten, zur Klärung durch Diskussionen, zur Propaganda ihrer Ansichten, dann kann man solche Gruppen auch Parteien nennen. Der Name ist gleichgültig; das Wesentliche ist, dass in der Sache diese Parteien eine ganz andere Rolle haben als was die Parteien von heute für sich beanspruchen.“ (Anton Pannekoek, Partei und Arbeiterklasse, a.a.O., S. 500.)

Der Name ist eben nicht gleichgültig. Wenn zwei verschiedene, ja sich ausschließende Gebilde, mit dem gleichen Begriff belegt werden, kann dies nur zur geistigen Verwirrung führen. Es geht um begriffliche Klarheit. Wenn mensch etwas anderes will als die politischen Parteien – einschließlich sozialdemokratische und „kommunistische“ –, dann sollte mensch es auch nicht „Parteien“ nennen. Alles andere führt zur begrifflichen Ungenauigkeit und gedanklichen Unklarheit. Die Unklarheit Pannekoeks in der Frage der Partei beruhte darauf, dass Pannekoek noch nicht bewusst antipolitisch war.

Pannekoek überwand die politische Partei als bürgerliche Organisationsform also nicht konsequent genug. Auch den Marxismus, der als Ideologie des kleinbürgerlichen Radikalismus zwischen Kapitalvermehrung und proletarischen Klassenkampf hilflos hin und her schwankte, kritisierte Pannekoek nicht. Und dies obwohl schon der Marxismus des 19. Jahrhunderts von dem dialektischen Widerspruch einer antikapitalistischen Theorie und einer oft nationalkapitalistischen Praxis geprägt war. Ein Widerspruch, der durch die staatskapitalistische Ideologie des Marxismus-Leninismus sozialreaktionär und durch den nachmarxistischen und nachanarchistischen Kommunismus revolutionär gelöst wurde. Pannekoek war sich dieses Widerspruches des Marxismus und des Wirkens von Marx und Engels überhaupt nicht bewusst, wie folgende Aussage belegt: „So ist der Marxismus als Theorie der proletarischen Revolution nur eine Realität und zugleich eine lebendige Kraft in den Köpfen und Herzen des revolutionären Proletariats.“ (Anton Pannekoek, Lenin als Philosoph. Kritische Betrachtung der philosophischen Grundlagen des Leninismus, in: Derselbe: Arbeiterräte, a.a.O., S. 307.)

Auch kritisierte Pannekoek im Alter nicht mehr konsequent genug die Demokratie als politische Herrschaftsform des Kapitals. So übertrieb er in den 1950er Jahren die Bedeutung der bürgerlichen Narrenfreiheiten für den proletarischen Klassenkampf. In dem Artikel Volksdemokratie aus dem Jahre 1950 verteidigte er sogar die bürgerlichen Narrenfreiheiten gegen die staatskapitalistischen Parteidiktaturen Osteuropas! Er schrieb: „Für die moderne Arbeiterklasse in einem hochentwickeltem Land sind diese geistigen Freiheiten wie Redefreiheit, Diskussionsfreiheit und Organisationsfreiheit allerdings – wie die Luft zum Atmen – unabdingbare Voraussetzungen in ihrem Kampf um Freiheit. Für die Arbeiter unter dem westlichen Kapitalismus verkörpert der Begriff Demokratie diese Freiheiten; in den Ländern des Ostens haben sie nur etwas, das, wenngleich in doppelter Ausführung (Anmerkung von Nelke: Pannekoek meint den Begriff „Volksdemokratie“ – also Volksvolksherrschaft), für die Arbeiter bloß ein leerer Name ist.“ (Anton Pannekoek, Volksdemokratie, in: Derselbe, Arbeiterräte, a.a.O., S. 673.)

Der Klassencharakter bürgerlicher Rechte und Freiheiten in einer Demokratie wird von Pannekoek überhaupt nicht mehr analysiert. Pressefreiheit ist zum Beispiel im demokratischen Kapitalismus im Wesentlichen die Freiheit der Bourgeoisie ihre Meinung zu verkaufen, also eine Unterabteilung der Handelsfreiheit, welche auf das Privat-/Staatseigentum an Produktionsmitteln (Druckereien, Redaktionen, Theaterbuhnen, Filmstudios, Internetplattformen…) beruht. Die ArbeiterInnen im Privatkapitalismus besaßen und besitzen die großen Produktionsmittel zur Meinungsproduktion genau so wenig, wie sie diese im staatskapitalistischen Ostblock besaßen. Während die Bourgeoisie durch die bürgerliche Pressefreiheit ihre Meinung verkauft, kaufen die ProletarierInnen die Meinungen einer fremden Klasse. Dadurch wird die ökonomische Klassenherrschaft der Bourgeoisie auch eine geistige. Selbstverständlich haben ArbeiterInnen in einem demokratischen Kapitalismus formal die gleiche Pressefreiheit wie Medienkonzerne. Sollen sie der Bourgeoisie und ihrer Demokratie dafür noch dankbar sein und die bürgerliche Pressefreiheit rühmen?! Nein, proletarische RevolutionärInnennutzen die bürgerliche Pressefreiheit, um ihren Klassencharakter zu demaskieren.

Auch hielt Pannekoek am marxistischen Dogma, dass das Wesen der sozialen Revolution die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat sei, fest. Verdeutlichen wir dies an sein Werk Arbeiterräte. Er schrieb dessen Kern 1941/42. Eine niederländische Ausgabe erschien in zwei Teilen im Jahre 1946, während eine englischsprachige Fassung zuerst seit März 1948 als Beilage der in Melbourne von J.A. Dawson herausgegebenen Zeitschrift Southern Advocate For Workers Councils und schließlich 1950 in Melbourne in Buchform herauskam.

Zunächst muss gesagt werden, dass wir die innere Gliederung von Arbeiterräte nicht für glücklich halten. Pannekoek schildert zuerst die Organisation einer nachkapitalistischen Gesellschaft und erst danach die mögliche Überwindung des Kapitalismus. Das widerspricht der notwendigen Reihenfolge dieser Möglichkeit. Der bewusst antipolitische Kommunismus beginnt seine Schilderung dieser Möglichkeit dagegen immer mit den revolutionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes, geht dann zur Skizzierung der möglichen Weltrevolution über und beschreibt schließlich die aus dieser vielleicht hervorgehenden klassen- und staatenlosen Gesellschaft. Auch in dieser Schrift wenden wir diese Darstellungsmethode an. Wir finden, dass auf diese Weise der mögliche weltrevolutionäre Prozess am besten dargestellt werden kann.

Pannekoek dagegen ging in Arbeiterräte den umgekehrten Weg. Zuerst beschrieb er die klassen- und staatenlose Gesellschaft, dann den Kampf des Proletariats und die mögliche soziale Revolution und schließlich den Charakter des Kapitalismus. Pannekoek begründete diese Herangehensweise so: „Mit der Aufgabe der Arbeiterklasse, die Produktion in ihre eigenen Hände zu übernehmen und sie zu organisieren, mussten wir uns zuerst befassen. Zur Durchführung des Kampfes muss man das Ziel in klaren und deutlichen Umrissen vor Augen liegend sehen. Aber der Kampf selbst, die Eroberung der Macht über die Produktion, ist der hauptsächliche und schwierige Teil des Werkes. In diesem Kampf werden sich auch die Arbeiterräte entwickeln.“ (Anton Pannekoek, Arbeiterräte, a.a.O., S. 78.) Das bewusste Ziel der klassen- und staatenlosen Weltgemeinschaft stellt sich jedoch in nichtrevolutionären Zeiten nur eine kleine Minderheit von ProletarierInnen und Intellektuellen. Außerdem kann auf dieses Ziel in der Einleitung oder im Vorwort hingewiesen werden, um dann in der theoretischen Widerspiegelung des möglichen revolutionären Prozesses seiner praktisch notwendigen Reihenfolge zu folgen. Wir halten auch bei der Analyse und Kritik von Pannekoeks Arbeiterräte diese Methode bei. Wir beschreiben also zuerst, wie sich Pannekoek die soziale Revolution vorstellt und dann seine Auffassungen von der klassen- und staatenlosen Gesellschaft.

Für Pannekoek war bereits die soziale Revolution ein globaler und relativ lange andauernder Prozess. Er bestand für ihn in der Zerschlagung des kapitalistischen Staates durch die politische Machteroberung des Proletariats mit Hilfe der ArbeiterInnenräte. Nun, für uns waren die ArbeiterInnenräte die konkrete geschichtliche Form der allgemeinen klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats während der europäischen revolutionären Nachkriegskrise. Wir weisen im Kapitel V.4 darauf hin, dass diese proletarisch-klassenkämpferische Selbstorganisation in einem möglichen zukünftigen revolutionären Prozess ganz andere Formen annehmen muss. Zweitens kann die Zerschlagung des Staates nur durch das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat erfolgen. Die soziale Revolution ist eben nicht die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat, wie auch noch Pannekoek annahm: „Der wesentliche Inhalt der Revolution der Arbeiterklasse, ähnlich wie bei früheren Revolutionen, besteht in dem Übergang der Herrschaft von einer Klasse auf eine andere.“ (Anton Pannekoek, Arbeiterräte, a.a.O., S. 114.) Nein, eben nicht. Die soziale Revolution kann nur die Selbstaufhebung des Proletariats sein, die zugleich die Fremdaufhebung von KleinbürgerInnentum und Bourgeoisie ist.

Weiterhin schrieb Pannekoek: „Die Eroberung der politischen Macht durch die Arbeiter, die Abschaffung des Kapitalismus, die Einführung eines neuen Rechts, die Aneignung der Unternehmen, der Aufbau der neuen Gemeinschaft, das Schaffen eines neuen Systems der Produktion sind nicht verschiedene, nacheinander stattfindende Ereignisse. Sie finden gleichzeitig nebeneinander statt in einem Prozess gesellschaftlichen Geschehens und gesellschaftlicher Umwandlungen. Oder noch richtiger: Sie sind eins. Sie sind die mit verschiedenen Namen bezeichneten Seiten derselben großen gesellschaftlichen Umwälzung: der Organisation der Arbeit durch die arbeitenden Menschen selbst.“ (Anton Pannekoek, Arbeiterräte, a.a.O., S. 121.)

Pannekoek verwickelte sich hier in Widersprüche: Wenn die politische Machteroberung des Proletariats nur ein anderer Name für die Überwindung des Kapitalismus und die Herausbildung der klassen- und staatenlosen Gesellschaft sein soll, dann bedeutet dies logisch, dass es die ArbeiterInnenklasse auch nach der siegreichen sozialen Revolution noch gibt. Doch die ArbeiterInnenklasse kann es nur im Kapitalismus geben, jedoch nicht in der klassen- und staatenlosen Gesellschaft. Pannekoek konnte sich einfach nicht vom marxistischen Dogma lösen, dass die soziale Revolution die Eroberung der politischen Macht durch das Proletariat sei. Doch die soziale Revolution ist die Überwindung der Politik durch das sich selbst aufhebende Proletariat.

Nun, in der sozialen Wirklichkeit ist das Proletariat immer Objekt der Politik. Das Proletariat kann überhaupt nicht die politische Macht erobern, da in seiner objektiven Klassenbildung die Trennung von der Politik von Anfang an feststeht. Die politische Macht können nur BerufspolitikerInnen im Namen des Proletariats erobern. Dies war und ist dann auch die politische Praxis von Sozialdemokratie und Partei-„Kommunismus“, die dadurch aber nur Kapital und Staat reproduzieren konnten und können. Diese Praxis kritisierte auch Pannekoek: „In früherer Zeit hat man sich die kommende soziale Revolution anders vorgestellt. Zuerst sollte die Arbeiterklasse durch Wahlen, eventuell von bewaffneten Kämpfen oder politischen Streiks dabei unterstützt, im Parlament die Mehrheit und damit die politische Macht erobern. Dann sollte die aus Sprechern, Führern und Politikern bestehende neue Regierung durch Erlass von Gesetzen, durch eine neue Rechtsprechung die Kapitalistenklasse enteignen und die Produktion organisieren. Es läge also nur zur Hälfte an den Arbeitern selbst; der wichtigste Teil der Aufgabe, der Neuaufbau der Gesellschaft, die Organisation der Arbeit wäre das Werk sozialistischer Politiker und Funktionäre. In dieser Anschauung tritt die damalige Schwäche der Arbeiterklasse hervor; arm und elend, ohne wirtschaftliche Macht, sollte sie durch andere, durch fähige Führer und eine gütige Regierung in das gelobte Land des Überflusses geleitet werden. Und dort vorerst Untertan bleiben, selbstverständlich, denn Freiheit kann nicht geschenkt, sondern nur erkämpft werden. Diese bequeme Illusion ist durch das Wachstum der kapitalistischen Macht zerstreut worden. Die Arbeiter müssen nun erkennen, dass sie nur durch die höchste Entfaltung ihrer Macht darauf hoffen können, die Freiheit zu erringen; politische Gewalt, Herrschaft über die Gesellschaft muss auf wirtschaftlicher Macht, auf Herrschaft über die Arbeit fußen.“ (Anton Pannekoek, Arbeiterräte, a.a.O., S. 121.)

Pannekoek stellte also nicht der Fremdbestimmung des Proletariats durch die Politik vollkommen klar die Überwindung der Politik durch das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat entgegen, sondern die politische Herrschaft des Proletariats. Diese sollte aber nicht die Form eines „ArbeiterInnenstaates“ (= Staatskapitalismus) einnehmen wie im Marxismus-Leninismus, sondern die eines staatenlosen Rätesystems. Pannekoek dachte sich also die politische Herrschaft des Proletariats staatenlos, eine begriffliche Ungenauigkeit, da es nach der Zerschlagung des bürgerlichen Staates weder eine ArbeiterInnenklasse noch die Politik als staatenförmige Organisation der Klassengesellschaft, die monopolisiert von BerufspolitikerInnen ausgeübt wird, geben kann. Das Proletariat befreit sich jedoch nicht von kapitalistischer Ausbeutung, indem es politische Herrschaft ausübt, wie Pannekoek behauptete, sondern indem es die Politik überwindet und sich selbst als Klasse revolutionär aufhebt.

Dies sind die Widersprüche, in die sich Pannekoek in seinem II. Teil Der Kampf in seinem Buch Arbeiterräte verrannte. Wie bereits geschrieben, beschrieb er die klassen- und staatenlose Gesellschaft, die möglicherweise aus dem proletarischen Klassenkampf und einer sozialen Revolution hervorgehen kann, bereits weiter oben in seinem Buch, im I. Teil Das Ziel. Dort verrannte er sich in weitere Widersprüche zwischen Politik und Antipolitik. Denn in diesem Teil beschrieb Pannekoek, wie die ArbeiterInnen mit Hilfe der ArbeiterInnenräte die Produktion kollektiv leiten und planen. Also eine nachkapitalistische Gesellschaft, doch in der gibt es weder das Proletariat noch deren revolutionären Selbstorganisation. Eine nachkapitalistische Gesellschaft kann nur das Ergebnis der revolutionären Selbstaufhebung des Proletariats sein – ein Umschlag der revolutionären Klassenorganisation des Proletariats in die klassenlose Selbstorganisation freier ProduzentInnen. Diese revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats konnte Pannekoek nicht erfassen. So konstruierte er den Widerspruch einer politischen Herrschaft des Proletariats in Form von ArbeiterInnenräten in einer nachkapitalistischen Gesellschaft.

Pannekoek schrieb: „Vor rund siebzig Jahren wies Marx darauf hin, dass es zwischen der Herrschaft des Kapitalismus und der endgültigen Organisation einer freien Menschheit eine Übergangszeit geben wird, in der die Arbeiterklasse zwar die ausschließliche Macht über die Gesellschaft ausübt, die Bourgeoisie aber noch nicht verschwunden ist. Er nannte diesen Zustand die Diktatur des Proletariats. Damals hatte dieses Wort Diktatur noch nicht den verhängnisvollen Klang der modernen despotischen Systeme und konnte auch noch nicht für die Diktatur einer herrschenden Partei, wie im späteren Russland (Pannekoek meint die Sowjetunion, Anmerkung von Nelke), missbraucht werden. Es bedeutete einfach, dass die über die Gesellschaft herrschende Gewalt von den Kapitalisten auf die Arbeiterklasse übergegangen sei. In den revolutionären Bewegungen von 1918/19 haben vollkommen im Bann parlamentarischer Ideen stehende Sozialisten den Versuch gemacht, diese Auffassung dadurch zu verwirklichen, dass sie den besitzenden Klassen das Wahlrecht bei der Bildung politischer Körperschaften entzogen. Es ist klar, dass dies nur als eine Verletzung der Demokratie empfunden werden konnte, da es zum instinktmäßigen Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden im Widerspruch stand. Wir sehen nun, dass die Räteorganisation in der Praxis verwirklicht, was Marx theoretisch vorwegnahm, wobei deren praktische Gestalt aber damals noch nicht ausgedacht werden konnte. Wenn die Produktion von den Produzenten selbst geregelt wird, ist die frühere Ausbeuterklasse automatisch, ohne irgendwelche künstliche Bestimmung, von der Teilnahme an Entscheidungen ausgeschlossen. Es stellt sich jetzt heraus, dass die von Marx verkündete Diktatur des Proletariats mit der Arbeiterdemokratie der Räteorganisation identisch ist.“ (Anton Pannekoek, Arbeiterräte, a.a.O., S. 70.)

Wir übergehen hier Pannekoeks bedenkliche Ausführungen über Demokratie, Diktatur und „instinktmäßige Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden“, die stark nach verinnerlichter liberaldemokratischer Ideologie riechen, und gehen gleich zu dem Wesentlichen über. Sowohl Marx als auch Pannekoek leisteten sich den Widerspruch, dass sie die nachkapitalistische Existenz, ja sogar die politische Herrschaft der ArbeiterInnenklasse annahmen, einer Klasse, die es nur im Kapitalismus geben kann. So wie es „zwischen der Herrschaft des Kapitalismus und der endgültigen Organisation einer freien Menschheit“ auch noch eine Bourgeoisie geben sollte, die jedoch durch die Diktatur des Proletariats unterdrückt werden sollte. Aber die Bourgeoisie kann nur durch die Ausbeutung der Lohnarbeit sozialökonomisch existieren, das Proletariat wäre also weiter ausgebeutet, würde aber die politische Herrschaft ausüben. Die Diktatur des Proletariats als politische Herrschaftsform ist also reines Hirngespinnst, was niemals zur materiellen Gewalt werden kann. Während bei Marx die Diktatur des Proletariats die Form eines Staates annehmen sollte (siehe Kapitel III.3), war sie bei Pannekoek die staatenlose Räteherrschaft. Bei Pannekoek war die Bourgeoisie als „frühere Ausbeuterklasse“ durch die Räteherrschaft als Diktatur des Proletariats „von der Teilnahme an Entscheidungen“ ausgeschlossen. Weiter oben hatte er jedoch geschrieben, dass es die Bourgeoisie in der Übergangszeit vom Kapitalismus zum Kommunismus noch geben soll. Die Bourgeoisie kann aber nur als ausbeutende Klasse existieren. Die „frühere Ausbeuterklasse“ ist bereits die revolutionär aufgehobene Bourgeoisie. Und wenn die Bourgeoisie aufgehoben ist, gibt es auch kein Proletariat mehr und auch nicht dessen Diktatur. Sondern „nur“ eine klassen- und staatenlose Gesellschaft. Und in dieser haben ehemalige Bourgeois jetzt als Teil der freien ProduzentInnen ebenfalls Einfluss. Sie werden als herrschende Klasse aufgehoben, haben aber als Menschen die Chance sich in die klassen- und staatenlose Gesellschaft zu integrieren. Dieses Angebot muss mit einem kompromisslosen Kampf gegen die Konterrevolution verbunden werden. Auch diesen Kampf führt bereits eine klassen- und staatenlose Gesellschaft, aber nicht mehr das Proletariat, was sich zu diesem Zeitpunkt bereits revolutionär aufgehoben hat.

Für den bewusst antipolitischen Kommunismus ist die Diktatur des Proletariats überhaupt keine politische Herrschaftsform, sondern der militante Kampf dieser Klasse gegen KapitalistInnen, Wirtschaftsbosse, BerufspolitikerInnen, Bullen, SoldatInnen und GeheimdienstlerInnen. Die proletarische Diktatur ist Gewalt und Zwang dieser Klasse gegenüber den Klassenfeinden. Sie entwickelt sich bereits im reproduktiven Klassenkampf. In der möglichen sozialen Revolution erlebt die Diktatur des Proletariats ihren Höhepunkt. Indem sie die Warenproduktion überwindet und den Staat zerschlägt, geht sie selbst in die klassen- und staatenlose Gesellschaft über. Die revolutionäre Diktatur des Proletariats überwindet den Kapitalismus, ist aber keine nachkapitalistische Übergangsgesellschaft. Das real existierende Rätesystem in Deutschland 1918/19 übte übrigens auch keine Diktatur des Proletariats aus, sondern fügte sich der Diktatur des Kapitals, indem es sich, infiltriert von sozialdemokratischen FunktionärInnen und BerufspolitikerInnen, zugunsten einer parlamentarisch-demokratischen Republik selbst auflöste. Auch in dieser Frage ist also Rätefetischismus völlig unangebracht

Wenn Pannekoek seine imaginäre Räteherrschaft genauer beschrieb, zeigte er doch gewisse antipolitische Tendenzen. Er beschrieb nämlich die Räte als Aufhebung der Politik: „Ganz anders ist die Organisation der gemeinschaftlichen Produktion mittels der Arbeiterräte. Die gesellschaftliche Produktion ist hier nicht in eine Vielzahl gesonderter Unternehmen aufgeteilt, von denen jedes einzelne die beschränkte Lebensaufgabe einer Person oder einer Personengruppe ist; jetzt bildet sie ein zusammenhängendes Ganzes, für das die Gesamtheit der Arbeiter zu sorgen hat und das als gemeinsame Aufgabe alle ihre Gedanken beschäftigt hält. Die allgemeine Regulierung ist keine Nebensache, die einer kleinen Gruppe von Spezialisten überlassen bleibt; sie bildet vielmehr die Hauptsache, die die Aufmerksamkeit von allen miteinander erfordert. Es gibt keine Trennung zwischen Politik, als die Lebensbeschäftigung einer Gruppe von Spezialisten, und Wirtschaft, als der Lebensbeschäftigung der großen Masse der Produzenten. Für die eine und einzige Gemeinschaft der Produzenten sind nun Politik und Wirtschaft zu einer Einheit von allgemeiner Regulierung und praktischer produktiver Arbeit verschmolzen, die zur wesentlichen Aufgabe aller wird.

Dieser Charakter spiegelt sich in der ganzen Praxis wider. Die Räte sind keine Politiker, keine Regierung. Sie sind Boten, die die Meinungen, die Absichten und das Wollen der Arbeitergruppen vermitteln und überbringen. Doch nicht wie unbeteiligte Botenjungen, die Briefe oder Mitteilungen, von denen sie selbst nichts wissen, austragen. Sie nehmen an den Beratungen in den Belegschaften teil, als energische Vertreter der Ansichten, die die allgemeine Zustimmung fanden. Als Delegierte der Gruppen sind sie nun nicht nur fähig, diese in der Räteversammlung zu verteidigen, sie sind auch unabhängig genug, anderen Gründen zugänglich zu sein und ihrer Gruppe über die noch allgemeineren Mehrheitsauffassungen zu berichten. So sind sie die Organe der gesellschaftlichen Verbindung und Diskussion.“ (Anton Pannekoek, Arbeiterräte, a.a.O., S. 67/68.)

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Cajo Brendel überwand zwar geistig konsequent die politische Partei als Organisationsform des klassenkämpferischen Proletariats, allerdings war auch er nicht bewusst antipolitisch. Er reproduzierte die Auffassung von Anton Pannekoek, dass die soziale Revolution gleichbedeutend mit der politischen Machteroberung des Proletariats mittels der ArbeiterInnenräte sei. Auch Cajo Brendel war kein Kritiker der nationalkapitalistischen Politik von Marx und Engels.

Anders als für Cajo Brendel war für Willy Huhn und Paul Mattick der Parteimarxismus einer Rosa Luxemburg eine angebliche Alternative zum Marxismus-Leninismus und Trotzkismus. So zitierte Huhn zustimmend folgende Ausführungen von Rosa Luxemburg auf dem Gründungsparteitag der KPD: „Der Spartakusbund ist keine Partei, die über die Arbeitermasse oder durch die Arbeitermasse zur Herrschaft gelangen will. Der Spartakusbund ist nur der zielbewussteste Teil des Proletariats, der die ganze breite Masse der Arbeiterschaft bei jedem Schritt auf ihre geschichtlichen Aufgaben hinweist, der in jedem Einzelstadium der Revolution das sozialistische Endziel und in allen nationalen Fragen die Interessen der proletarischen Weltrevolution vertritt. (…)

Der Spartakusbund wird nie anders die Regierungsgewalt übernehmen als durch den klaren unzweideutigen Willen der großen Mehrheit der proletarischen Masse in ganz Deutschland, nie anders als kraft ihrer bewussten Zustimmung zu den Ansichten, Zielen und Kampfmethoden des Spartakusbundes. (…) Der Sieg des Spartakusbundes steht nicht am Anfang, sondern am Ende der Revolution; er ist identisch mit dem Sieg der großen Millionenmasse des sozialistischen Proletariats.“ (Rosa Luxemburg, Was will der Spartakusbund?, Berlin 1918, S. 13-14 des Sonderdruckes. Zitiert nach: Willy Huhn, Trotzki und die proletarische Revolution, in: Derselbe, Trotzki – der gescheiterte Stalin, Karin Kramer Verlag, Berlin (West) 1973, S. 63.)

Wir sehen in dem Zitat vor allem ein Widerspruch bei Rosa Luxemburg selbst. Zuerst sagte sie, dass der Spartakusbund, also die gegründete KPD, nicht die Herrschaft über die ArbeiterInnenklasse anstreben würde, dann führte sie aus, dass die Partei die Regierungsgewalt, also das Management des Staates erobern wolle. Nun das Ringen um den Staatsapparat kann aber objektiv nichts anderes sein als die politische Herrschaft über das Proletariat. Alle Regierungen – einschließlich der linken – bewiesen, beweisen es und werden es beweisen. Die Partei wollte die politische Macht – und die ArbeiterInnen sollten dem zustimmen. Dies bewegte sich vollständig im Rahmen des Parteimarxismus. Auch die Aussage Luxemburgs, dass der Sieg des Spartakusbundes/der KPD – einer politischen Partei – am Ende der sozialen Revolution stehen würde und identisch wäre mit dem Sieg des Proletariats, ist typische parteimarxistische Ideologie. Doch das Ende der sozialen Revolution ist nicht die Eroberung des Staates durch eine politische Partei, sondern die klassen- und staatenlose Gesellschaft nach der antipolitischen Zerschlagung des Staates durch das sich revolutionär aufhebende Proletariat. Sicher, Rosa Luxemburg hat an anderer Stelle die politische Parteidiktatur der Bolschewiki in „Sowjet“-Russland kritisiert, aber objektiv wollte sie nicht viel anderes: die politische Herrschaft der KPD. Anstatt dies zu kritisieren, schrieb Huhn: „Wir meinen: zwischen dieser ,luxemburgistischen‘ und der von Lenin und Trotzki entwickelten bolschewistischen Auffassung über die Rolle der Partei klaffen grundverschiedene Welten auf.“ (Willy Huhn, Trotzki und die proletarische Revolution, a.a.O., S. 63.)

Anders als Huhn meinen wir dagegen: Die oben zitierten Aussagen von Rosa Luxemburg sind selbst ein Ausdruck des Parteimarxismus und deshalb keine grundlegende Alternative zum Marxismus-Leninismus und Trotzkismus. Natürlich betonte Rosa Luxemburg die Selbstorganisation des klassenkämpferischen Proletariats viel stärker als Lenin oder Trotzki, nachdem dieser Bolschewik geworden ist. Aber von einem Klassengegensatz zwischen Parteimarxismus und selbstorganisierten proletarischen Klassenkampf hatte Rosa Luxemburg keinen Schimmer, ihr geistig-praktisches Wirken war Ausdruck dieses Gegensatzes. Müssen wir hier wirklich daran erinnern, dass sie, was den organisatorischen Bruch mit der Sozialdemokratie anging, zum Jagen getragen werden musste? Oder dass ihr Parteimarxismus selbst noch in der revolutionären Nachkriegskrise auch die Reproduktion des parlamentarischen Sozialreformismus, also die Beteiligung der Partei an Wahlen beinhaltete? Aber durch den Widerstand durch die antiparlamentarische Mehrheit auf dem Gründungsparteitag der KPD erst mal nicht zur materiellen Gewalt wurde? Auch wir ehren Rosa Luxemburg als subjektiv ehrliche Revolutionärin, kritisieren sie aber zugleich scharf als parteimarxistische Ideologin.

Auch Paul Mattick idealisierte den Parteimarxismus Rosa Luxemburgs: „Mit dem Wiederaufleben der Arbeiterbewegung in der sich verschärfenden Krisensituation werden auch neue Anstrengungen gemacht werden, eine den revolutionären Klassenkampf fördernde anstatt ihn hemmende Theorie zu vermitteln. Und auf dem Boden der Theorie werden sich klassenbewusste Arbeiter organisieren, um auf die revolutionäre Entwicklung einwirken zu können. Aber, nach den Erfahrungen der Vergangenheit, nicht mehr, um die Revolution für die Massen zu machen, sondern um den Arbeitermassen in ihrer Revolution den größten Beistand zu leisten. Da sich die Arbeiter in Bezug auf das Klassenbewusstsein nicht gleichmäßig entwickeln, wird es stets eine Gruppe von Arbeitern geben, die nicht nur aus der Notwendigkeit heraus, sondern aufgrund ihres revolutionären Bewusstseins, in den revolutionären Prozess einzugreifen versucht. Aber nicht als Partei, die im Lenin‘schen Sinne die revolutionäre Bewegung zu beherrschen sucht, um sich selbst zur Staatsmacht zu verhelfen, sondern im Sinne Rosa Luxemburgs, um als Teil der Arbeiterschaft die Interessen des Gesamtproletariats wahrzunehmen: Die Organisation der Revolution und der neuen Gesellschaft durch die Eigeninitiative und die Selbstbestimmung der arbeitenden Bevölkerung.“ (Paul Mattick, Weltwirtschaftskrise und Arbeiterbewegung, Syndikat A, S. 37)

Ähm, Rosa Luxemburg wollte den ArbeiterInnen in der Revolution nicht nur Beistand leisten und als Teil der Klasse deren Gesamtinteressen wahrnehmen – übrigens war sie sozial keine Proletarierin, sondern objektiv eine kleinbürgerliche Berufsideologin der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung –, sondern die politische Machteroberung der Partei KPD, an deren Spitze sie stand. Wir sagen gegen Mattick ganz klar: RevolutionärInnen dürfen sich nicht in politischen Parteien organisieren, sondern können dies „nur“ in antipolitisch-sozialrevolutionären Gruppen tun. Die Bedeutung des Bruches mit politischen Parteien durch Otto Rühle – wie ideologisch deformiert diese auch gewesen sein mag – konnte Mattick nicht erfassen: „Keine der beiden Gruppen (KAPD/AAUD auf der einen, die AAUE auf der anderen Seite, Anmerkung von Nelke) konnte ihre Theorie beweisen, die Geschichte ging an beiden vorüber, sie argumentierten innerhalb eines Vakuums. Weder die Kommunistische Arbeiter-Partei noch die beiden Allgemeinen Arbeiter-Unionen konnten den Status ,ultra-linker‘ Sekten überwinden. Ihre internen Differenzen wirkten geradezu gekünstelt, denn es gab tatsächlich keinen Unterschied zwischen der Kommunistischen Arbeiter-Partei und der Allgemeinen Arbeiter-Unionen. Entgegen ihren Theorien arbeiteten auch die Rühle-Anhänger nicht in den Fabriken; die theoretischen Divergenzen hatten keinerlei praktische Bedeutung.“ (Paul Mattick, Otto Rühle und die deutsche Arbeiterbewegung, a.a.O., S. 30.)

Klar, nach dem endgültigen Sieg der Konterrevolution konnte die AAUE nur das Gleiche tun wie die KAPD: ihre Ideen verbreiten, die nicht mehr zur materiellen Gewalt werden konnten… Und Otto Rühle vertrat noch nicht die antipolitisch-sozialrevolutionäre Gruppe als Alternative zur politischen Partei, sondern die ökonomisch-politische Einheitsorganisation, die die AAUE sein wollte, aber nach dem Sieg der Konterrevolution nicht mehr sein konnte. Auch die KAPD war nach 1921 nicht mehr das, was sie sein wollte: eine revolutionsmachende Partei. Mal abgesehen, davon, dass es sozialrevolutionäre Parteien objektiv nicht geben kann. Aber in Zeiten, wo diese unterschiedlichen Ideen noch zur materiellen Gewalt werden konnten, entsprach diesen unterschiedlichen Ideen des radikalen KAPD-Parteimarxismus und des parteifeindlichen Kommunismus auch eine unterschiedliche Praxis: Otto Rühle brach mit Moskau 1920, während sich die KAPD von den Kremlherren 1921 in eine putschistische Politik hineinziehen ließ. Der Putschismus gehörte neben dem Parlamentarismus zu den Taktiken des Parteimarxismus, auch zu denen der antiparlamentarischen KAPD im Jahre 1921 – was der parteifeindliche Kommunismus scharf kritisierte.

…..

Der heutige Kommunismus ist notwendig antinational. Er bekämpft im permanenten Konkurrenzkampf der Nationen alle und unterstütz keine – selbstverständlich auch nicht jene, die noch keinen Staat hervorgebracht haben, wie zum Beispiel den palästinensischen Nationalismus. SozialrevolutionärInnen treten für die antipolitische Zerschlagung Israels ein, aber nicht für einen palästinensischen Staat.

Die beiden radikalen Marxisten Franz Pfemfert und Anton Pannekoek, die sich in den 1920er Jahren zu Theoretikern des Rätekommunismus herausbildeten, vertraten bereits vor 1914 antinationale Positionen. So trat Pannekoek dem sozialdemokratischen Nationalismus schon vor 1914 entgegen. Cajo Brendel schrieb darüber: „Als 1913 die Jahrhundertfeier der Leipziger Völkerschlacht bevorstand, als ganz Deutschland in der Erinnerung an ,die Befreiung von den napoleonischen Armeen‘ schwelgte und auch die Parteipresse der biedermännischen Sozialdemokratie ihr Scherflein beitrug, kritisierte Pannekoek in der ,Bremer Bürgerzeitung‘ den bürgerlichen Rausch mit großer Schärfe. Er hielt eine ,Leipzig-Gedenkfeier‘ für ein Stück Nationalismus und bezeichnete sie als eine ,Orgie des Byzantinismus und der Geschichtsfälschung‘. Dann führte er aus, dass jene Ereignisse, die als ,Völkerschlacht‘ hingestellt werden, mit dem proletarischen Klassenkampf nichts zu schaffen haben.“ (Cajo Brendel, Anton Pannekoek. Denker der Revolution, ca ira Verlag, Freiburg 2001, S. 169.)

In einer Anmerkung dazu führte Cajo weiter aus: „Der Aufsatz ,Nachbetrachtung zur Völkerschlachtfeier‘ erschien am 25. Oktober 1913. Er wurde auch in der ,Leipziger Volkszeitung‘ veröffentlicht. Es war keineswegs Pannekoeks erste Stellungnahme zu dieser Frage. Er erzählt, dass Franz Mehring gegen ihn polemisierte, da dieser gegenüber dem preußischen Militarismus und Absolutismus häufig frühbürgerliche Vorstellungen von ,Demokratie‘ und ,Freiheit‘ hervorgehoben hatte. Pannekoeks Auffassung hierzu unterscheidet sich deutlich von der des bekanntesten Historikers der deutschen Partei. Mit dem Pannekoekschen Satz: ,Wer Leipzig feiern will, soll auch Sedan feiern‘, wurde Mehring in seiner ganzen Denkart getroffen (vgl. ,Herrinneringen‘, S. 174).“ (Cajo Brendel, Anton Pannekoek, a.a.O., S. 218.)

Anton Pannekoek bezog nach seinem Bruch mit der Sozialdemokratie und dem Partei-„Kommunismus“ antinationale Positionen, die nicht identisch mit dem „Internationalismus“ sind, wie Cajo Brendel ausführte: „In seinem Buch über die Arbeiterräte trägt Pannekoek seinen Standpunkt nochmals vor. Er macht klar, dass die Arbeiterklasse, sobald sie revolutionär vorgeht, sich vom Nationalismus befreien wird, dass ihre Organisation, ihre gegenseitige und freiwillige Zusammenarbeit, nicht an den Landesgrenzen aufhört. Er legt dar, dass das nichtnationale Wesen der Arbeiterklasse etwas anderes bedeutet als „Internationalismus“. Dieser kann auch eine friedliche Zusammenarbeit der verschiedenen Nationen ausdrücken, ,wie in einem imaginären bürgerlichen Idealvölkerbund‘. Aber ,für die sich befreienden Arbeiter sind die Nationen ganz verschwunden. (…) Der Nationalismus verschwindet von der Erde mit der Klasse, zu der er gehört.‘ (vgl. ,Herrineringen‘, S. 214 f.)“ (Cajo Brendel, Anton Pannekoek, a.a.O., S. 169.)

Zu diesen Ausführungen von Cajo Brendel von uns drei Anmerkungen. Erstens ist es richtig, dass das Proletariat als Klassenkampf- und potenziell revolutionäres Subjekt notwendig tendenziell antinational ist, da die mögliche soziale Weltrevolution nur eine permanente Kette der Zerschlagung aller Nationalstaaten sein kann. Zweitens waren und sind Links- und Rätekommunismus als theoretische Ausdrücke des proletarischen Klassenkampfes im Unterschied zur nationalkapitalistischen Sozialdemokratie und zum Rechtsleninismus zwar tendenziell, aber eben nicht konsequent antinational. So unterblieb zum Beispiel bei beiden marxistischen Strömungen eine systematische und scharfe Kritik der reaktionären nationalkapitalistischen Tendenzen bei Marx und Engels. Drittens drückt sich inhaltliche Konsequenz auch immer in begrifflicher Genauigkeit aus, während Inkonsequenz in verschwommener Wortwahl Gestalt annimmt. So bezeichneten/bezeichnen sich die nur tendenziell, aber nicht konsequent-bewusst antinationalen linkskommunistischen Strömungen wie die IKT und die IKS selbst nicht als antinational, sondern nur als „internationalistisch“. Demgegenüber ist der nachmarxistische und nachanarchistische Kommunismus inhaltlich konsequent und begrifflich klar absolut antinational.

Von einer antinationalen Position aus kritisierte der radikale Marxist – der selbst nicht in der SPD desorganisiert war – und spätere Pionier des parteifeindlichen Kommunismus, Franz Pfemfert, die deutsche Sozialdemokratie bereits vor 1914. So schrieb Pfemfert bereits am 18. Juni 1913 in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift Die Aktion über den grundsätzlich bürgerlichen Charakter der SPD: „Das ist keine Arbeiterpartei mehr, das ist eine bürgerliche Reformpartei mit sozialistischem Vorwand. Sie hat ihre Massen musterhaft organisiert. (Auch die ,Viktoria‘-Lebensversicherung ist eine musterhafte Organisation.) Sie hält auf ,eiserne Disziplin‘. (Wie der preußische Militarismus.) Sie ist die größte politische Organisation der Welt. Aber sie ist nicht, was sie vortäuschen möchte: eine revolutionäre Partei. Wie sollte sie es auch sein! Sie ist lange schon der letzte Erwerbszweig aller verkrachten bürgerlichen Politiker. Jeder Wanderredner, der über die nötigen Schlagworte verfügt, sieht in der Sozialdemokratie eine Zuflucht, jeder intellektuelle Bankrotteur, jeder ehrgeizige Karrierehascher. Wer ihrer Kompromisswirtschaft förderlich sein kann, wird von der Partei mit offenen Armen empfangen. Und so hat die Sozialdemokratie Diplomaten, Redner, Demagogen, Strategen, sie besitzt die reichhaltigste Musterkollektion an ,Führern‘, sie kann auf die revolutionären Sozialisten, die (wie R.L.= Rosa Luxemburg) sich in ihren Reihen störend bemerkbar machen, spottend verzichten.“ (Die Aktion, 18. Juni 1913, zitiert nach: Franz Pfemfert – Zur Erinnerung an einen revolutionären Intellektuellen, in: Die Aktion, Heft 209, Edition Nautilus, Hamburg 2004, S. 31.) Die objektiv konterrevolutionäre Sozialdemokratie verzichtete ab 1914 nicht nur auf subjektiv revolutionäre Kräfte, zwischen 1918 und 1923 organisierte sie deren massenhafte Ermordung.

Schon 1913 hatte Pfemfert den bürgerlich-nationalen Charakter des sozialdemokratischen Internationalismus offengelegt: „Die Sozialdemokratie ist stolz auf ihren Internationalismus. In Wahrheit handelt es sich nicht darum, international zu sein, sondern antinational. In Wahrheit ist der ,Internationalismus‘ Humbug, Schwindel, Phrase. Und es sind nur feige Ausflüchte, wenn man zwischen Nationalismus und Chauvinismus einen Unterschied feststellen möchte. Es gibt hier keinen Unterschied; es ist keine Frage der Vernunft, es ist lediglich eine Angelegenheit des Zufalls, wann die Krankheit Nationalismus chauvinistische Fieberzustände bringt. Wer gegen Chauvinismus redet und den Nationalismus gutheißt, treibt Unfug!

Die Sozialdemokratie muss antinational sein, will sie eine geistige Partei darstellen. Sie muss, will sie die Befreiung der Menschheit ernstlich, antipatriotisch sein, denn die Macht der herrschenden Klasse wurzelt allein im Patriotismus. Wenn die reaktionären Parteien patriotisch sind, so ist das begreiflich. Wer aber für die Freiheit ist, wer gegen Krieg und Unterdrückung ist, der muss, sei er Arbeiter oder Bürger, den Patriotismus als eine Sklavenmoral ablehnen. Bleibt die Sozialdemokratie bei ihrem stimmzettelmehrenden Nationalismus, dann ist sie ewig zur Ohnmacht verdammt.“ (Die Aktion, 21. Mai 1913, zitiert nach: Franz Pfemfert – Zur Erinnerung an einen revolutionären Intellektuellen, a.a.O., S. 37.)

Der zweite Absatz des Zitats ist natürlich stark idealistisch. Was soll eine „geistige Partei“ sein? Auch schreibt Pfemfert nicht, zu was sich die Sozialdemokratie objektiv entwickelte, nämlich zu einer offen nationalkapitalistischen Kraft, sondern er forderte sie auf antinational zu sein. Doch mächtig werden konnte das sozialdemokratische BerufspolitikerInnentum nur als nationale Kraft. Aber der Kerngedanke wurde vom Pfemfert bereits 1913 völlig klar formuliert: Subjektiv revolutionäre Kräfte dürfen nicht lediglich internationalistisch, sie müssen bewusst antinational sein. Auch wenn das Subjekt der antinationalen Grundhaltung bei Pfemfert nicht materialistisch das sich möglicherweise selbst revolutionär aufhebende Proletariat, sondern idealistisch und klassenneutral „freiheitsliebende“ ArbeiterInnen und BürgerInnen sind. Das Predigen von abstrakter und klassenneutraler „Freiheit“ stellt eine anarchistische Gepflogenheit dar, die stark an liberale Angewohnheiten erinnert.

Die radikalmarxistischen Pioniere des Rätekommunismus Anton Pannekoek und Franz Pfemfert entwickelten also bereits vor 1914 antinationale Positionen. Nach dem Zweiten Weltkrieg war es notwendig, sowohl den kolonialen Imperialismus als auch die antikoloniale Herausbildung neuer privat- oder staatskapitalistischer Nationen konsequent von einem antinationalen Standpunkt als sozialreaktionär zu kritisieren. Der Niedergangs-Rätekommunismus war dazu nicht in der Lage. Er betrachtete die politische Machteroberung von marxistisch-leninistischen Parteibonzen in Asien, Afrika und auf Kuba als eine „bürgerliche Revolution“ und damit irgendwie „fortschrittlich“. Wir haben bereits im Kapitel II.8 darauf hingewiesen, dass der marxistische Begriff der „bürgerlichen Revolution“ ungenau hinsichtlich der politischen Machteroberung von klassischer Bourgeoisie in Westeuropa und marxistisch-leninistischer Parteiapparate in einigen Ländern Eurasiens und Afrikas sowie auf Kuba ist und deren absolut sozialreaktionären Charakter verschleiert.

So schrieb Paul Mattick 1970: „In einem kapitalistisch-unentwickelten Land ist die bürgerliche Revolution, historisch gesehen, auch vom Arbeiterstandpunkt aus fortschrittlich, da erst die entwickelte kapitalistische Gesellschaft dem Sozialismus eine Chance gibt.“ (Paul Mattick, Der Leninismus und die Arbeiterbewegung des Westens, in: Anton Pannekoek, Paul Mattick u. a., Marxistischer Anti-Leninismus, a.a.O., S. 201.)

Mattick verwechselt hier wieder die antifeudale Revolution (England und Frankreich) beziehungsweise die antifeudal-antiprivatkapitalistische Revolution (Russland), bei der die kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Sozialbewegung und das sozial noch sehr schwache, aber sehr klassenkämpferische russische Proletariat die vorwärtstreibenden Elemente waren, mit der bürgerlichen beziehungsweise der staatskapitalistischen Konterrevolution der klassischen Bourgeoisie und der Staatsbourgeoisie. Selbst in dem Land, wo die Bourgeoisie in Folge einer antifeudalen Revolution zum ersten Mal an die politische Macht gelangte, in England, war dies für das vorindustrielle Proletariat kein „Fortschritt“. Nein, die Herrschaft der Bourgeoisie verkörperte von Anfang an finstere Sozialreaktion, die auf der Ausbeutung des vorindustriellen Proletariats beruhte, gegen die sich der Frühkommunismus in Form der Diggers wehrte. Klar, das vorindustrielle Proletariat war sozial noch zu schwach und auch geistig zu unreif, um die Bourgeoisie zu stürzen. So wie auch das revolutionäre Proletariat in Form des Kronstädter Aufstandes im März 1921 gegen den staatskapitalistischen Bolschewismus nicht siegen konnte. Aber die Diggers und der Kronstädter Aufstand verkörperten die Tatsache, dass die bürgerliche Machtübernahme von Bourgeois und marxistischen Parteibonzen auch „in einem kapitalistisch-unentwickelten Land“ „vom ArbeiterInnenstandpunkt“ aus gesehen absolut sozialreaktionär und konterrevolutionär war! Ja, es stimmt: die kapitalistische Industrialisierung schafft auch die Möglichkeit der revolutionären Selbstaufhebung des Proletariats – die vorher absolut unmöglich war. Aber die mögliche revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats ist die Folge der kapitalistischen Industrialisierung als sozialreaktionärem Prozess, jedoch nicht mit ihr identisch. Ein sozialreaktionärer Prozess wird nicht dadurch „fortschrittlich“, weil er auch mit der Möglichkeit schwanger geht, ihn revolutionär aufzuheben!

Mit den marxistischen Dogmen im Kopf von der angeblichen ursprünglichen „Fortschrittlichkeit“ von „bürgerlicher Revolution“ und Bourgeoise/marxistisch-leninistischen Parteibonzen in kapitalistisch-unentwickelten Ländern konnte Mattick auch die sozialreaktionäre Herausbildung neuer staatskapitalistischer Nationen in Asien, Afrika und auf Kuba in Folge der nationalen „Befreiung“ gegen den westlichen Kolonialismus und Imperialismus nicht konsequent-revolutionär kritisieren. Für ihn war der sozialreaktionäre Prozess der Herausbildung neuer Nationalstaaten „bürgerlich-revolutionär“: „Die „national-revolutionären Bewegungen der Dritten Welt sind nicht Zeichen einer herannahenden weltweiten sozialistischen Revolution, sondern aus der Not geborene Versuche der eigenen Kapitalisation, deren erste Voraussetzung der Kampf gegen den alten Imperialismus ist. In dem Maße, in dem es den national-revolutionären Ländern gelingt, sich von fremder Ausbeutung zu befreien, vertiefen sich die dem Kapitalismus eigenen Schwierigkeiten und tragen zu seiner Auflösung bei. Als Ausdruck des zerfallenden Kapitalismus sind diese Bewegungen vom proletarischen Klassenstandpunkt zu begrüßen; aber das ändert nichts an der Tatsache, dass sich die Ziele der proletarischen Revolution nicht mit denen der nationalen Selbständigkeitsbestrebungen vereinbaren lassen. Zu einer Zeit, in der sich Länder, die sich auf dem Leninismus berufen, als Feinde gegenüberstehen, ja sich gegenseitig zu zerstören drohen und in der national-staatskapitalistische Interessen, wie alle nationalen Interessen, als imperialistische Interessen auftreten, ist es nicht mehr möglich, von einer Identität der national-revolutionären und der proletarischen Bewegung zu sprechen.

Es wäre natürlich schön, wenn sich die anti-kapitalistischen und anti-imperialistischen Bewegungen in einer großen gemeinsamen Front gegen den imperialistischen Kapitalismus zusammenfassen und unter eine einheitliche revolutionäre Führung bringen ließen. Aber das ist nur in der Vorstellung, nur als Idee möglich, da die Verschiedenheiten der materiellen und sozialen Zustände in den einzelnen Ländern eine solche revolutionäre Einheitsfront ausschließen. Die national-revolutionären Bewegungen können nicht zum Sozialismus führen, und die einzige Revolution, die die Arbeiter des Westens machen können, ist die sozialistische Revolution.“ (Paul Mattick, Der Leninismus und die Arbeiterbewegung des Westens, a.a.O., S. 202/203.)

Mattick nannte also die Nationalismen in der „Dritten Welt“ (=Trikont), die zur Herausbildung neuer kapitalistischer Staaten führten und absolut sozialreaktionär waren, „revolutionär“. Er blendete hier völlig aus, dass die reaktionären Linksnationalismen in „ihren“ Ländern – zum Beispiel in China, Vietnam und auf Kuba – brutal-terroristisch gegen das klassenkämpferische Proletariat und den kleinbürgerlichen Radikalismus (Trotzkismus und Anarchismus) vorgingen. Der marxistisch-leninistische Linksnationalismus im Trikont war also von Anfang an ein struktureller Klassenfeind des Weltproletariats und nicht „vom proletarischen Klassenstandpunkt aus zu begrüßen“ wie Mattick behauptete. Und auch seine Behauptung, dass die staatskapitalistischen Linksnationalismen zur Auflösung des Kapitalismus beigetragen hätten, war sachlich falsch. Sie waren Durchsetzungsformen des Weltkapitalismus. Zwar erkannte Mattick den Gegensatz von proletarischer Revolution und den „national-revolutionären Bewegungen der Dritten Welt“, aber den absolut sozialreaktionären Charakter der letzteren sah er nicht. Im Gegenteil, er behauptete, dass es „schön“ wäre, wenn sich der linksnationale „Antiimperialismus“ im Trikont mit dem Antikapitalismus vereinen ließe. Oh je! Die absolute Trennung von beiden ist noch immer notwendig!

Weil er den sozialen Prozess durch die marxistische Ideologie-Brille nur verzerrt sah, erkannte Mattick nicht den absolut sozialreaktionären Charakter der leninistischen Linksnationalismen im Trikont. Im Trikont stand damals nach dem verknöcherten marxistischen Schema die kapitalistische Industrialisierung auf der historischen Tagesordnung, aber noch nicht die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats wie im Westen. Klar, die objektiven Bedingungen waren im Trikont damals noch nicht reif für die soziale Revolution – wie heute auf der ganzen Welt noch nicht die subjektiven Bedingungen dazu reif sind. Aber nur, weil die objektiven und subjektiven Bedingungen für die mögliche soziale Revolution noch nicht reif waren und sind, war und ist eine absolut sozialreaktionäre Erscheinung wie der leninistische Linksnationalismus nicht „fortschrittlich“! Matticks Inkonsequenz gegenüber dem Linksnationalismus im Trikont war ein Ausdruck der subjektiven Unreife der damaligen kommunistischen Bewegung.

Cajo Brendel legte die gleiche Inkonsequenz gegenüber dem leninistischen Linksnationalismus an den Tag. Auch für Brendel war der Leninismus „bürgerlich-revolutionär“, und damit zwar nicht proletarisch-revolutionär, aber dennoch irgendwie „fortschrittlich“. So schrieb er in der Einführung zur englischen Ausgabe der Thesen über die chinesische Revolution: „Die Kämpfe der Kolonialvölker haben die revolutionäre Bewegung etwas gelehrt. Die Tatsache, dass schlecht bewaffnete bäuerliche Bevölkerungen den enormen Streitkräften des modernen Imperialismus haben standhalten können, hat den Mythos von der Unbesiegbarkeit der militärischen, technologischen und wissenschaftlichen Macht des Abendlandes erschüttert. Ihr Kampf hat zudem Millionen von Menschen die Brutalität und den Rassismus des Kapitalismus deutlich gemacht und hat viele Menschen – vor allem Junge und Studenten – dazu gebracht, gegen ihre eigenen Regime zu kämpfen.“ (Zitiert nach: Philippe Bourrinet, Holländischer Rätekommunismus: Von den „Groepen van Internationale Coomunisten“ zum „Spartacusbond“, in: Archiv für die Geschichte des Widerstandes und der Arbeit Nr. 13, Fernwald (Annerod) 1994, S. 45/46.)

Was hier auffällt, ist das völlige Fehlen einer Klassenanalyse. Es ist hier bei Brendel klassenneutral von „Kolonialvölkern“ die Rede. Diese waren aber klassengespalten in eine schwache Bourgeoisie, GroßgrundbesitzerInnen, in BäuerInnen, ArbeiterInnen – und kleinbürgerliche BerufspolitikerInnen. Letztere führten leitend sozialreaktionäre Guerillakriege mit bäuerlicher Basis, die bei einem Sieg zur Gründung von Nationalstaaten führten. Natürlich war der kleinbürgerliche Radikalismus des Westens von dem Agieren seines Klassen- und Gesinnungsbruders im Trikont begeistert. Aber der kleinbürgerliche Radikalismus ist nun mal letztendlich nicht sozialrevolutionär. Es wäre die Aufgabe von Cajo Brendel gewesen, den kleinbürgerlichen Radikalen, die von den imperialistischen Kriegen des Westens moralisch abgestoßen waren, die Wahrheit über den absolut sozialreaktionären Charakter der leninistischen Linksnationalismen im Trikont zu sagen. Doch das konnte er nicht, wegen seinen marxistischen Dogmen von der „bürgerlichen Revolution“. So fehlte Cajo Brendel in dieser wichtigen Frage die notwendige Konsequenz. Im Vietnamkrieg war zum Beispiel sowohl ein revolutionärer Kampf gegen das staatskapitalistische Regime in Hanoi als auch den US-Imperialismus notwendig.

Trotz seiner Inkonsequenzen und Fehler verkörperte der Rätekommunismus unsterbliche Verdienste und Errungenschaften. Er war die radikalmarxistische Strömung, die als erstes mit dem Lenin/Trotzki-Regime brach und dieses als staatskapitalistisch analysierte. Der Rätekommunismus war der geistige Ausdruck der praktischen klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats gegen Kapital, Staat und bürgerlich-bürokratische Gewerkschafts- und Parteiapparate der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung. Er war nicht nur antistalinistisch wie der italienische Linkskommunismus, sondern antileninistisch. Die konsequentesten Ausformungen des Rätekommunismus waren nicht nur antiparlamentarisch, sondern lehnten auch die politische Partei als Organisationsform für das klassenkämpferische Proletariat und die SozialrevolutionärInnen klar ab.

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Gegen Antijudaismus und Zionismus! https://astendenz.blackblogs.org/2024/11/14/gegen-antijudaismus-und-zionismus/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/11/14/gegen-antijudaismus-und-zionismus/#respond Thu, 14 Nov 2024 16:03:00 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=281
Boykott jüdischer Geschäfte 1. April 1933 und Flüchtlingscamp Jabalia in Gaza nach dem Raketenangriff 10.Oktober 2023

Gleich zu Beginn dieser Schrift sei hier angemerkt, dass wir den alten Begriff Antijudaismus zur Umschreibung des Chauvinismus gegen Jüdinnen und Juden benutzen. Und dies aus zwei Gründen. Erstens ist der Begriff „Antisemitismus“ wesentlich ungenauer. Juden und Jüdinnen sind nicht die einzigen SemitInnen, der sogenannte „Antisemitismus“ richtet sich jedoch meistens ausschließlich gegen die erstgenannten. Wir können einen religiösen und einen rassistischen sowie seit der Existenz des Staates Israel einen nationalistischen Antijudaismus unterscheiden, die sich in der Praxis durchmischten und durchmischen. Und zweitens ist „Antisemitismus“ zu einem Kampfbegriff des Prozionismus und des Staates Israel verkommen, der sich auch gegen israelkritische und antizionistische Jüdinnen und Juden richtet. Selbstverständlich gibt es auch einen gegen den Staat Israel gerichteten Antijudaismus, aber auch eine konsequente und radikale Kritik an Israel und am Zionismus, die nicht auf Antijudaismus beruht. Dazu gehört eindeutig unserer antinationaler Antizionismus, der den jüdischen Nationalismus genauso konsequent wie alle anderen Nationalismen – einschließlich des palästinensischen – bekämpft.

Des Weiteren sei angemerkt, dass die Geschichte des europäischen Antijudaismus, der faschistische Massenmord an den Jüdinnen und Juden, der sozialreaktionäre Charakter von Zionismus und palästinensischen Nationalismus hier nur kurz geschildert werden kann. Wir empfehlen unsere zwei Broschüren Der Kampf des jüdischen Proletariats (1900-1945) sowie Zionismus und arabischer Nationalismus.

Europäischer Antijudaismus und Zionismus

Den ChristInnen war es im europäischen Mittelalter von der Kirche verboten Zins zu nehmen. So betrieben oft Juden im Auftrag und im Interesse der Feudalherren Finanzgeschäfte. Dafür wurden die Juden oft zum Sündenbock für die Misswirtschaft. Das feudale System wusch sich rein, indem es auf den „schmutzigen Juden“ verwies. Die Judenverfolgung hatte auch damals schon – trotz der irrationalen Ideologie, die sie produzierte – einen rationalen, die Herrschaft sichernden Kern. In der ständischen Gesellschaft des Feudalismus wurde der Charakter des Judentums als vorindustriekapitalistisches Handelsvolk verrechtlicht und zementiert.

Im Gegensatz zu einer Verschwörungslegende des Antijudaismus waren die Juden eben nicht die „ErfinderInnen“ des modernen europäischen Kapitalismus, sondern sie wurden im Gegenteil mit der Herausbildung einer christlichen Handels-, Finanz- und schließlich Industriebourgeoisie ziemlich an den Rand gedrängt und Verfolgungen sowie Vertreibungen ausgesetzt. Zuerst wurden die Juden von einer ab dem 11. Jahrhundert entstehenden christlichen Handelsbourgeoisie aus dem Handel verdrängt. Es blieb ihnen oft nur noch das Wuchergeschäft. Der Antijudaismus ist eine extrem ideologisch verzerrte Widerspiegelung der Tatsachen, dass die Juden durch ihr Handelsmonopol bis zum 11. Jahrhundert den Tauschwert in einer noch vorwiegend von der Naturalwirtschaft geprägten Gesellschaft verkörperten und dann, als das Geld immer stärker den Feudalismus aushöhlte und zerstörte, von einer christlichen Handelsbourgeoisie immer mehr in den Wucher verdrängt wurden. Aber im modernen Kapitalismus verkörpern die Juden nicht mehr und nicht weniger das Geld als alle anderen Sprach-, Religions- und Kulturgemeinschaften auch.

In dem Maße, wie sich in den feudal-bürgerlichen Gesellschaften eine christliche Handelsbourgeoisie, welche auch den Geldhandel betrieb, entwickelte, konnten die Juden ab dem 12. Jahrhundert aus dem Handel verdrängt und vorübergehend vertrieben werden. Vorher nicht, weil das schwerwiegende sozialökonomische Folgen gehabt hätte. Die jüdische Religionsgemeinschaft wurde immer stärker von der anderen Bevölkerung isoliert. Zwischen 1099 und 1291 wurde die jüdische Bevölkerung in Palästina durch Kreuzfahrer und Seldschuken dezimiert. Seit dem 13. Jahrhundert erfolgte die zwangsweise Ansiedlung in geschlossene Stadtviertel (Judengasse, Judenviertel, Judenquartier, Ghetto). So wurden die Juden in den Jahren 1182, 1268 und 1306 aus Frankreich vertrieben. Die Juden wurden also als vorindustriekapitalistisches Handelsvolk mit der Entwicklung einer christlichen Handelsbourgeoisie zunehmend verdrängt und nach Osteuropa vertrieben. Die Pest von 1348-51 wurde in ganz Europa zu einer barbarischen Judenverfolgung zum Anlass genommen. Sie forderte Zehntausende von Opfern und führte zu einer starken jüdischen Auswanderung, besonders von Deutschland nach Polen. Joachim Kahl bemerkt zu Recht: „So umfassend wurden die Juden ausgerottet, dass die Katastrophe dieser Jahre auf faschistische Pogrome unter Hitler vorausweist.“ (Joachim Kahl, Das Elend des Christentums, Rowohlt Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg, 1968/1993, S. 48.)

Mit der Entwicklung des Industriekapitalismus und der Entstehung moderner demokratischer Rechtsstaaten als den effektivsten politischen Formen der sozialen Diktatur des Kapitals in Westeuropa, bestand für die Juden dort immer stärker sowohl die Möglichkeit als auch die Notwendigkeit sich als vorindustriekapitalistisches Handelsvolk aufzuheben und sich in die entstehenden Nationalstaaten zu assimilieren. Bei einer geglückten Assimilation würden die Juden sich sozial in die drei Hauptklassen Bourgeoisie, KleinbürgerInnentum und Proletariat spalten und als Religions- und Kulturgemeinschaft die Religionsfreiheit genießen. Die Juden würden sich durch den Nationalismus in erster Linie als FranzösInnen, EngländerInnen, Deutsche usw. fühlen, und ihr Judentum wäre wie jede Religion Privatsache. Diese Assimilation war auch im 19. Jahrhundert in Westeuropa relativ erfolgreich. Doch diese relative Assimilation war auch in Westeuropa immer wieder durch mal stärkere und mal schwächere Schübe des Antijudaismus geprägt. Besonders das KleinbürgerInnentum – aber auch Teile des Proletariats und der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung – waren durchaus anfällig gegenüber dieser chauvinistischen Ideologie.

In Osteuropa –besonders im zaristischen Russland – war der Kapitalismus zu schwach entwickelt, um das Judentum zu assimilieren. Der Kapitalismus war zwar auch dort Ende des 19. Jahrhunderts/Anfang des 20. Jahrhunderts schon so stark, dass es massenhaft das jüdische Kleinhandwerk ruinierte, aber eben zu schwach, um das ruinierte jüdische KleinbürgerInnentum vollständig in ein Proletariat transformieren zu können. Das erzeugte in der jüdischen Bevölkerung – besonders im russisch annektierten Teil Polens – eine große Arbeitslosigkeit und ein für das Kapital unproduktives Elend. Zwar entwickelte sich auch ein jüdisches Proletariat, doch das wurde vorwiegend im zugrunde gehenden jüdischen Kleinhandwerk ausgebeutet. Im russisch annektierten Teil Polens verboten die polnischen Berufsgewerkschaften bis zum Sturz des Zarismus den jüdischen ProletarierInnen die Arbeit in der Industrie. Der überlebte Zarismus versuchte sich zu erhalten, indem er die soziale Wut – besonders der BäuerInnen – auf die Juden lenkte. Die Organisation bzw. Duldung antijüdischer Pogrome hatte für den russischen Zarismus eine herrschaftsstabilisierende Funktion. Er schürte auch die antijüdische Verschwörungsideologie nach Leibeskräften und produzierte das antijüdische Machwerk Protokolle der Weisen von Zion. Diese Hetzschrift gehörte international zur Lieblingslektüre aller JudenhasserInnen, unter ihnen auch Adolf Hitler.

Die Nichtintegration der Juden im ökonomisch unterentwickelten Osteuropa hatte drei Folgen: Die Emigration nach Westeuropa, in die USA und nach Palästina, die Entstehung einer besonderen jüdischen institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung im zaristischen Russland sowie in Zwischenkriegspolen in Form des sozialdemokratischen Bundes und die Entwicklung des jüdischen Nationalismus, des Zionismus. Die Ankunft jüdischer MigrantInnen aus Osteuropa stärkte auch in Westeuropa den Antijudaismus als reaktionäre chauvinistische Konkurrenzideologie. Mehrere europäische Nationalstaaten versuchten die jüdische Emigration gesetzlich einzuschränken. So erließ Großbritannien 1905 das berüchtigte Fremdengesetz, mit dem den osteuropäischen Juden und Jüdinnen die Migration auf die Insel verunmöglicht wurde.

Die sogenannte „jüdische Frage“ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bestand aus der Nichtassimilation der Juden und Jüdinnen durch den noch schwachen osteuropäischen Kapitalismus und die Rückgängigmachung der relativen Assimilation durch den deutschen Krisenkapitalismus in seiner NS-faschistischen Form und schließlich im antijüdischen Massenmord. Die relative Assimilation der Juden in Westeuropa im 19. Jahrhundert beruhte auf der beschleunigten Kapitalvermehrung. Doch diese geriet ab 1913 in die strukturelle Profitproduktionskrise.

Der Erste Weltkrieg war für das globale Rüstungskapital ein gefundenes Fressen und bescherte dem US-Nationalkapital ein Extraaufschwung, während Europa in Blut und organisiertem Chaos versank. Der Krieg führte zur Verschärfung des Klassenkampfes, der in der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923) mündete, die jedoch der globale Kapitalismus konterrevolutionär löste – dazu gehörte auch der bolschewistische Staatskapitalismus in „Sowjet“-Russland, welcher 1921 die Kronstädter Matrosen als Avantgarde der Revolution massakrierte. Zwischen 1923 und 1929 stabilisierten sich der westeuropäische und der nordamerikanische Kapitalismus etwas – um dann 1929 in der Weltwirtschaftskrise zu landen.

Diese Krise machte in Deutschland den Faschismus als kleinbürgerlich-reaktionäre Massenbewegung im Interesse der Bourgeoisie groß. Er war Fleisch vom Fleische des deutschen KleinbürgerInnentums, das durch die Weltwirtschaftskrise massenhaft ruiniert wurde. Die ruinierten KleinbürgerInnen konnten nicht in der ArbeiterInnenklasse aufgehen, da diese selbst unter der Massenarbeitslosigkeit litt. Der Antijudaismus der Nazis entsprach den sozialökonomischen und sozialpsychologischen Bedürfnissen der von der Krise bedrohten KleinbürgerInnen. Wenn jemand vernichtet werden sollte, dann nicht sie, sondern die jüdische Konkurrenz! Kauft nicht bei Juden, sondern bei braven „arischen“ Deutschen! Die KleinbürgerInnen projizierten massenhaft ihren ganzen Hass auf die Juden, ihre eigene Geldgier auf die „Geldjuden“, ihre Angst und Abscheu vor dem klassenkämpferischen Proletariat in den „jüdischen Bolschewismus“, ihre Enttäuschung in die Weimarer „Judenrepublik“ – die sie nicht retten wollte oder konnte – und das angeblich „jüdische“ Bankkapital, bei dem sie massenhaft verschuldet waren. Der NS-Antijudaismus stärkte schon während der Weimarer Republik den Kapitalismus ideologisch, indem er den „arischen schaffenden“ Industriekapitalismus gegen das „raffende jüdische Finanzkapital“ ausspielte.

Für die Nazis waren die Juden eine geldgierige „Rasse“. Hier ein Zitat von Hitler, welches das ziemlich gut veranschaulicht. So schrieb er am 16. September 1919: „Der Antisemitismus als politische Bewegung darf nicht und kann nicht bestimmt werden durch Momente des Gefühls, sondern durch die Erkenntnisse von Tatsachen. Tatsachen aber sind: Zunächst ist das Judentum unbedingt Rasse und nicht Religionsgemeinschaft. Und der Jude selbst bezeichnet sich nie als jüdischen Deutschen, jüdischen Polen oder etwa jüdischen Amerikaner, sondern stets als deutschen, polnischen oder amerikanischen Juden. Noch nie hat der Jude von fremden Völkern, in deren Mitte er lebt, viel mehr angenommen als die Sprache. Und damit ergibt sich die Tatsache, dass zwischen uns eine nichtdeutsche, fremde Rasse lebt, nicht gewillt und auch nicht imstande, ihre Rasseneigenarten zu opfern, ihr eigenes Fühlen, Denken und Streben zu verleugnen, und die dennoch politisch die gleichen Rechte besitzt wie wir selber. Bewegt sich schon das Gefühl des Juden im rein Materiellen, so noch mehr sein Denken und Streben. Der Tanz ums Goldene Kalb wird zum erbarmungslosen Kampf um alle jene Güter, die nach unserem inneren Gefühl nicht die höchsten und einzig erstrebenswerten auf dieser Erde sein sollen.

Sein Mittel zum Kampf ist jene öffentliche Meinung, die nie ausgedrückt wird durch die Presse, wohl aber immer durch sie geführt und gefälscht wird. Seine Macht ist die Macht des Geldes, dass sich in Form des Zinses in seinen Händen mühe- und endlos vermehrt, und den Völkern jenes gefährlichste Joch aufzwingt, dass sie seines anfänglichen goldenen Schimmers wegen so schwer in seinen späteren traurigen Folgen zu erkennen vermögen. Alles was Menschen zu Höherem streben lässt, sei es Religion, Sozialismus, Demokratie, es ist ihm alles nur Mittel zum Zweck, Geld- und Herrschgier zu befriedigen. Sein Wirken wird in seinen Folgen zur Rassentuberkulose der Völker.“

Hier sehen wir deutlich, wie der Kleinbürger Hitler den negativen Geldfetischismus mit der „wissenschaftlichen Rassenlehre“ verknüpfte. Die eigene kleinbürgerliche Konzentration auf das Geld wurde auf die „anderen“, die Juden und Jüdinnen, projiziert und diese Objekte der eigenen Projektion fanatisch bekämpft. Nun ja, indem die Nazis 1933 von der Mehrheit der deutschen Bourgeoisie als ihre offiziellen Folterknechte und Mordbuben gemietet wurden, konnten nicht wenige Nazibonzen ihre Taschen mit Geld füllen. Durch die „Arisierung der deutschen Wirtschaft“ konnten „arische“ KapitalistInnen auf Kosten der enteigneten jüdischen Bourgeoisie ihr Geld vermehren. Negativer Geldfetischismus, der rassistisch auf die Juden projiziert wurde, als Moment des Konkurrenzkampfes im Rahmen der Kapitalvermehrung.

Auch die Bourgeoisie beherrscht die Kapitalvermehrung nicht, sie wird von ihr beherrscht. Sie wird vom Aufschwung emporgehoben – und dann in die Krise geschleudert. Für die KleinbürgerInnen fällt die Höhe des Aufschwunges wesentlich niedriger, dafür aber der Fall umso tiefer aus. Von der sozialökonomischen und psychologischen Vernichtung bedroht, wollten sie überleben, indem sie andere vernichteten. Eine Zwischenstellung zwischen dem Großkapital, dass es besonders in der Krise massenhaft ruinierte, und dem Proletariat, welches es embryonal ausbeutete, einnehmend, lief das KleinbürgerInnentum während der Weltwirtschaftskrise in Deutschland im Interesse der Bourgeoisie antijüdisch und antikommunistisch Amok und machte den Faschismus zu einer Massenbewegung. Als die deutsche Bourgeoisie 1933 den Nazis die politische Macht übergab, wurde ihr Antijudaismus zur massenmörderischen Gewalt. Der Antijudaismus wurde wie die Vorbereitung auf den Zweiten Weltkrieg und die Zerschlagung der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung (Sozialdemokratie, Gewerkschaften und Partei-„Kommunismus“) zur völkischen Krisenlösungsstrategie der Nazis. Indem die Bourgeoisie ihre Herrschaftsform Demokratie in den Faschismus transformierte, entwickelte sich dieser aus einer kleinbürgerlichen Massenbewegung in eine großbürgerliche politische Strömung.

Beim staatlichen Antijudaismus der Nazis verschmolz die kalte technokratische Rationalität der Kapitalvermehrung mit einer überfanatischen irrationalen Vernichtungsideologie und gipfelte schließlich im millionenfachen kapitalistisch-industriellen Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden. Die Verdrängung der Juden und Jüdinnen durch den NS-Staat aus Wirtschaft, Politik und Kultur, eröffnete neue Karrieren für „arische“ Deutsche, besonders für überzeugte Nazis. Die jüdische Bourgeoisie wurde im Interesse ihrer „arischen“ Konkurrenz enteignet, wodurch die Konzentration und Zentralisation des Kapitals zunahmen. So schufen die Nazis massenhaft für das Kapital unproduktive jüdische Armut. Der Kapitalismus vernichtete und vernichtet massenhaft unproduktive Armut, indem er die Armen mehr oder weniger sich selbst überlässt. Ein monströser Massenmord! Die modernen Sozialstaaten in den kapitalistischen Metropolen mildern den Terror gegen das nichtlohnarbeitende Proletariat etwas ab – aber nur SozialdemokratInnen kommen auf die Idee, die Tatsache, dass die entwickelten kapitalistischen Staaten ihre Armen nicht mehr massenhaft verhungern und erfrieren, sondern sie auf niedrigem Niveau dahinvegetieren lassen, als „zivilisatorische Errungenschaft“ zu feiern. Doch die Nazis waren keine SozialdemokratInnen, sie waren konsequente SozialdarwinistInnen. Nachdem sie den Jüdinnen und Juden die sozialökonomische Grundlage ihrer Existenz genommen hatten, vernichteten sie sie physisch. Die Nazis waren die ultrafanatischen Übertreiber jenes kapitalistischen Sozialdarwinismus, der sonst die Menschen durch die unsichtbare Hand des Marktes tötete und noch immer tötet.

Die physische Vernichtung der europäischen Jüdinnen und Juden begann mit dem Zweiten Weltkrieg. Das hatte sehr viel mit der ultrafanatisch-antijüdischen ideologischen Verklärung dieses imperialistischen Gemetzels durch die Nazis zu tun. Für diese stellte der Zweite Weltkrieg ein Endkampf zwischen „arischen Herrenmenschen“ und „jüdischen Untermenschen“ dar, wodurch die sozialökonomische Basis des Blutbades als militärischer Konkurrenzkampf zwischen imperialistischen Staaten ideologisch verschleiert wurde.

Beim kapitalistisch-industriellen Massenmord verschmolz die Rationalität der Kapitalvermehrung untrennbar mit der massenmörderischen Irrationalität des fanatischen Judenhasses. Einige Juden wurden von der SS an das deutsche Kapital (z.B. Krupp) als SklavInnen verkauft, wo das „Judenmaterial“ zu Tode gearbeitet wurde. Aus Geld muss mehr Geld gemacht werden! Dass ist der massenmörderische kategorische Imperativ des Kapitals. Und wenn noch so viele Menschen sterben müssen! Wer zählt die Millionen SklavInnen und LohnarbeiterInnen, die das Kapital in seiner Geschichte weltweit zu tote gearbeitet hat?! Nein, der Massenmord des deutschen Faschismus war kein Zivilisationsbruch, er war der bisher extremste Ausdruck der kapitalistischen Zivilisationsbarbarei.

Auschwitz als Zivilisationsbruch zu bezeichnen, heißt davon zu abstrahieren, dass sich das Kapital nur durch das Auftürmen von Leichenbergen vermehrte und vermehrt. In der Fabrik und auf den Schlachtfeldern unzähliger Kriege wurden in der Geschichte Millionen Menschen zum Wohle der Kapitalvermehrung umgebracht. In einer Geschichte voller Gemetzel ist das größte Gemetzel kein Zivilisationsbruch! Außerdem ist das Gerede über „Zivilisationsbruch“ extrem eurozentristisch. In Australien, Asien, Afrika, Ozeanien und Amerika wurden zum Wohle der europäisch-„weißen“ kapitalistischen Zivilisation Menschen „nichtweißer“ Hautfarbe massenhaft massakriert. Die Nazis hatten ihren Massenmord mitten in Europa organisiert und millionenfach „Weiße“ einem Vernichtungsrassismus ausgesetzt, das war das Neue. Außerdem nutzten sie für ihre Mordorgie die modernen kapitalistischen Produktivkräfte, die immer auch Zerstörungskräfte gegen das arbeitende Proletariat und die Natur waren und sind. Diesen Zusammenhang soll das Gerede über den angeblichen „Zivilisationsbruch“ verschleiern. Es dient der Verteidigung der alltäglichen kapitalistischen Zivilisationsbarbarei und seiner technokratischen Todesfabrikation.

Auschwitz verkörpert auf ideologisch extrem verzerrte Weise den Konkurrenz- und Klassenkampf von oben in einer der krisenhaftesten Zeiten des Kapitalismus, der seine Zivilisationsbarbarei extrem verschärfte und in Deutschland in faschistischer Form zugleich rational-technokratisch-kalt und irrational-ideologisch durchdrehend die Krise zu lösen versuchte. Durch den Judenhass wurde der Konkurrenzkampf auf völkisch-rassistische Art und Weise gelöst, eine für das Kapital unproduktive jüdische Armut geschaffen und diese technokratisch vernichtet, woran auch das Kapital verdiente. Und nicht nur das Kapital. Nach der Deportation der deutschen Jüdinnen und Juden in die Vernichtungsfabrik Auschwitz wurden ihre Haushalte versteigert. An den Versteigerungen nahmen Menschen aller Klassen und Schichten teil. So stärkte sich die „Volksgemeinschaft“ als Scheinrealität und realer Schein durch den rassistischen Ausschluss der Juden als Beutegemeinschaft der Aasgeier.

Im Zweiten Weltkrieg triumphierte global der Klassenkampf von oben gegen das Proletariat. Das Proletariat tötete und wurde getötet im Interesse der einzelnen Nationalstaaten, die ihren blutigen Konkurrenzkampf ausfochten. Der kapitalistisch-industrielle Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden war Teil des imperialistischen Gemetzels. Der antifaschistische Imperialismus der staatskapitalistischen Sowjetunion und der privatkapitalistischen Demokratien machte vor dem Gemetzel seine Geschäfte mit dem Faschismus auf Kosten des Proletariats, so wie er nach dessen Beginn seinen militärischen Konkurrenzkampf gegen die Nazis ebenfalls auf deren Kosten ausgefochten hatte. Die imperialistischen Demokratien bombardierten deutsche ZivilistInnen, aber nicht die antijüdischen faschistischen Massenmordzentren.

Auch der kapitalistisch-industrielle Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden verkörperte nicht nur dadurch den ideologisch extrem verzerrten Klassenkampf von oben, indem er das von den Nazis völkisch-technokratisch geschaffene unproduktive jüdische Elend sehr zum Vorteil einiger Privatkapitale auslöschte. Die Nazis projizierten auch ihren nationalistischen Hass auf den „proletarischen Internationalismus“ der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung auf das gesamte Judentum. Der „proletarische Internationalismus“ war und ist stark beschränkt, weil er in seinen Hauptströmungen nicht konsequent den kapitalistischen Nationalismus hinter sich lässt. Deshalb ist er aus antinational-sozialrevolutionärer Sicht scharf zu kritisieren. Aber es muss auch bedacht werden, dass der „proletarische Internationalismus“ für viele jüdische ArbeiterInnen und Intellektuelle (Rosa Luxemburg, Karl Radek, Leo Trotzki…) in Osteuropa eine relativ progressive Form war, mit der sie ihre Nichtassimilation und den blutigen Antijudaismus verarbeiten konnten, ohne jüdische NationalistInnen (ZionistInnen) zu werden. Die Nazis projizierten ihren leidenschaftlich-krankhaften Hass gegen den proletarischen Internationalismus auf alle Juden, von denen viele in Westeuropa sich leidenschaftlich-reaktionär zu den Nationen bekannten, in denen sie lebten, oder jüdische NationalistInnen/ ZionistInnen waren. In seiner ersten „großen“ Rede vom 13. August 1920 teilte Hitler seinen ZuhörerInnen mit, dass er ein Judenfeind sei, weil „die Juden international sind, die Gleichheit aller Völker und die internationale Solidarität predigen, (und) es ihr Ziel ist, die Rassen zu entnationalisieren“ (siehe: E. Jäckel, Hitler als Ideologe, Calmann Levy 1973). Der kapitalistisch-industrielle Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden richtete sich auch ideologisch extrem verzerrt gegen den proletarischen Internationalismus.

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Es gehört zu den historischen Fakten, dass nicht in erster Linie die ZionistInnen – die im großen Stil ihre schmutzigen Politgeschäfte mit den größten JudenmörderInnen, von dem russischen Zaren bis zu den deutschen Nazis, machten – gegen den mörderischen europäischen Antijudaismus kämpften, sondern die jüdische institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung, der sozialdemokratische Bund. Dieser organisierte den militanten Selbstschutz des jüdischen Proletariats gegen den gewaltsamen Antijudaismus. Zuerst im zaristischen Russland (bis 1917), dann im Zwischenkriegspolen und schließlich gegen den deutschen faschistischen Imperialismus auf erobertem polnischem Gebiet. Das muss bei aller Kritik an der jüdischen Sozialdemokratie, die wie jede strukturell unfähig war, den Kapitalismus wirklich revolutionär zu bekämpfen, klar betont werden. Den letzten Kampf, den gegen den deutschen Faschismus, verlor der Bund heroisch. Nutznießer dieser Niederlage war der Zionismus.

Als jüdischer Nationalismus war der Zionismus so wie alle Nationalismen von Anfang an sozialreaktionär. Er war die nationalistische Antwort auf den antijüdisch-völkischen Wahn. Er band das jüdische Proletariat praktisch-ideologisch an die jüdische Bourgeoisie und verschmolz antagonistische Klassen zu einer scheinbar nationalen Schicksalsgemeinschaft. Diese reaktionäre Ideologie lenkte die jüdischen ProletarierInnen vom Klassenkampf ab, spaltete sie von ihren nichtjüdischen Klassengeschwistern ab und hetzte sie auf das palästinensische KleinbürgerInnentum und das entstehende Proletariat. Der Zionismus wollte in Palästina, wo einst antike jüdische Königreiche bestanden, einen modernen jüdischen bürgerlichen Staat schaffen, was ihm schließlich im Jahre 1948 auch gelang. Israel stellte eine bürgerlich-reaktionäre Lösung der „jüdischen Frage“ in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts dar, die auf chauvinistische Weise die sich heute akut zuspitzende „palästinensische Frage“ schuf.

Gründungsvater des Zionismus war Theodor Herzl und seine Geburtsurkunde war dessen 1896 erschienene Buch Der Judenstaat. Durch die Gründung der Zionistischen Weltorganisation (WZO) bekam der Zionismus seine institutionalisierte Form. Die WZO war nach Nationalstaaten organisiert und jährlich fanden in den jeweiligen Nationalstaaten Wahlen zum Zionistischen Weltkongress statt. Unterstützt von einigen jüdischen Bankiers und FabrikbesitzerInnen konnte Herzl im August 1897 in Basel den 1. Zionistenkongress eröffnen. Diese Zionistenkongresse fanden einmal jährlich, später alle zwei Jahre statt. Um die jüdisch-zionistische Ansiedlung in Palästina zu finanzieren, wurde 1899 in London die „Jüdische Kolonialbank“ gegründet. 1901 folgte die Gründung des „Jüdischen Nationalfonds zur Förderung des Bodenkaufs“.

Es gehört zu den ekelhaftesten Leistungen des antifaschistischen Moralismus mit Verweis auf Auschwitz jede konsequente Kritik am Zionismus und dem Staat Israel mit dem inflationär gebrauchten „Antisemitismus“-Vorwurf zum Schweigen zu bringen. Diese moraltriefende Meinungsdiktatur des Zionismus und Prozionismus betreibt fast niemand so gründlich wie die deutsche Bourgeoisie und die von ihr materiell und geistig abhängende Lumpenintelligenz samt den „Antideutschen“. Solidarität mit Israel ist deutsche Staatsräson! So wie es in anderen Zeiten deutsche Staatsräson war, nicht bei Juden zu kaufen, aber dafür deren Haushaltsartikel, als sie deportiert wurden. Gegenüber dieser ungenießbaren (anti-)deutsch-nationalen Moralsoße halten wir fest: Israel durch Auschwitz zu rechtfertigen heißt völkischen Wahn mit völkischem Wahn zu rechtfertigen. Nein, das ist keine Gleichsetzung des Zionismus mit dem NS-Faschismus, ihr verdammten Israel-Apologeten! ZionistInnen sind keine Nazis, sondern Apartheid-DemokratInnen. Selbst für aufmerksame bürgerlich-humanistische BeobachterInnen sind gewisse Parallelen zwischen dem Antijudaismus und dem zionistisch-rassistischen Chauvinismus gegenüber AraberInnen – besonders PalästinenserInnen – nicht zu leugnen. Auch nicht- oder antizionistische Jüdinnen und Juden sahen und sehen diese unübersehbaren Parallelen. Spätestens hier sehen wir die reaktionäre Wirkung der Ideologie von Auschwitz als „Zivilisationsbruch“: Der kapitalistisch-industrielle Massenmord an den europäischen Jüdinnen und Juden soll aus dem Gesamtkontext der bürgerlichen Zivilisationsbarbarei herausgelöst werden. Sie dient dazu, andere Massenmorde des Kapitals, darunter auch die Israels, zu verharmlosen und zu relativieren.

Sozialrevolutionäre Antinationale sind ganz klar konsequente AntizionistInnen – so wie sie auch grundsätzliche GegnerInnen des arabischen Nationalismus sind. Nationen sind politische Durchsetzungsformen des Kapitalismus. Es gibt keine „fortschrittlichen“ oder gar antikapitalistischen Nationalismen. Weil der kleinbürgerlich-„antiimperialistische“ und proarabisch-nationalistische Antizionismus nicht antinational und damit auch nicht antikapitalistisch ist, ist er aus sozialrevolutionär-antinationaler Sicht grundsätzlich reaktionär. Auch hatte dieser proarabisch-nationalistische Antizionismus in der Vergangenheit starke antijüdische Tendenzen und verharmlost bis auf den heutigen Tag mehr oder weniger stark den Antijudaismus des palästinensischen Nationalismus. Antizionismus kann nur als untrennbarer Bestandteil des antinational-sozialrevolutionären Universalismus progressiv sein.

Es waren die Nichtassimilation und Nichtintegration der Juden und Jüdinnen in Osteuropa sowie der wachsende Antijudaismus in Westeuropa, der im industriellen Massenmord des deutschen Faschismus gipfelte, während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die den Zionismus groß machten und schließlich auch alle seine jüdischen GegnerInnen besiegen ließ. Antijudaismus und Zionismus teilten im Gegensatz zu jüdischen bürgerlichen AssimilationistInnen und „proletarisch-internationalistischen“ Juden eine Grundannahme, nämlich, dass Juden und Jüdinnen nicht Teil der Nationen seien, in denen sie lebten. Eine Zurückdrängung des Antijudaismus in Europa durch die Assimilation/Integration in die privatkapitalistischen Nationen oder in zu schaffende „sozialistische Staaten“ – die in der Praxis nur staatskapitalistisch sein konnten – hätte dem Zionismus seinen sozialökonomischen und psychologisch-ideologischen Boden entzogen. Antijudaismus und Zionismus gingen also von Anfang an objektiv eine reaktionäre Symbiose ein, was die frühen ZionistInnen offen zugaben.

So formulierte der ehemalige Präsident des Jüdischen Weltkongresses und der Zionistischen Weltorganisation, Nahum Goldmann: „Die Gefahr der Assimilation der jüdischen Gemeinschaft unter den Völkern, in deren Mitte sie leben, ist sehr viel ernster als die äußere Bedrohung durch den Antisemitismus.“ (Le Monde, 13.1.1966, zitiert nach Nathan Weinstock, Le sionisme contre israel, Paris 1966, S. 38.) Auch der Gründungsvater des Zionismus, Herzl, kämpfte nicht gegen den Antijudaismus, sondern predigte bereits 1895 die passive Anpassung an ihn, was dann später zum praktischen Programm des Zionismus wurde. Der erste Eintrag in seinem Zionistischen Tagebuch lautete: „In Paris also gewann ich ein freieres Verhältnis zum Antisemitismus, den ich historisch zu verstehen und zu entschuldigen anfing. Vor allem erkannte ich die Leere und Nutzlosigkeit der Bestrebungen ,zur Abwehr des Antisemitismus‘.“ (Alex et al. Bein, Theodor Herzl –Briefe und Tagebücher, Bd. 2: 1883-1896, Propyläen Verlag, Berlin u.a. 1985, S. 46.)

Die ZionistInnen stimmten vor der Staatsgründung Israels mit den Judenhassern darin überein, dass Jüdinnen und Juden in Deutschland keine Deutschen, in Frankreich keine Franzosen usw. seien. Nun, als proletarische RevolutionärInnen fühlen wir uns auch nicht als Deutsche, Franzosen usw., sondern als Teil des globalen Proletariats, und wir bekämpfen sowohl die Integration von ProletarierInnen in die jeweiligen Nationalstaaten als auch die rassistische Ausgrenzung „ausländischer“ Klassengeschwister aus ihr. Doch als der Zionismus als jüdischer Nationalismus in der Vergangenheit gegen die Assimilation der jüdischen Bevölkerung in die jeweiligen Nationalstaaten zu Felde zog, begünstigte er eindeutig den Antijudaismus. Ja, einige ZionistInnen paktierten offen mit den Judenhassern. Einer von ihnen war Max Nordau, welcher am 21. Dezember 1903 in einem Interview mit der fanatisch antijüdischen Zeitung La Libre Parole von Eduard Drumont unter anderem sagte, der Zionismus sei „nicht eine Frage der Religion, sondern ausschließlich eine der Rasse, und es gibt niemanden, mit dem ich in diesem Punkt mehr übereinstimme als mit Monsieur Drumont.“. (Desmond Steward, Theodor Herzl. Artist and Politican, Quartet Books, New York 1974, S. 322.)

Der Zionismus war und ist eine rassistische Ideologie. Herzl war zwar Kosmopolit, doch nach Herzls Tod im Jahre 1904, wurde der Zionismus immer rassistischer. Lenni Brenner schrieb über den Rassismus des frühen Zionismus: „Die deutschen Universitätsabsolventen, die die Zionistische Weltorganisation nach Herzls Tod übernahmen, entwickelten eine modernistisch-rassistische Ideologie des jüdischen Separatismus. Sie selbst waren stark von ihren pangermanistischen Kommilitonen im Wandervogel beeinflusst, die die deutschen Universitäten vor 1914 dominierten. Diese Chauvinisten lehnten die Juden ab, weil sie nicht von germanischem Blut waren, deshalb niemals zum deutschen Volk gehören konnten und überhaupt Fremde auf deutschem Boden waren. Alle jüdischen Studenten waren gezwungen, sich mit diesen Konzeptionen auseinander zu setzten. Einige tendierten eher nach links und traten den Sozialdemokraten bei. Für sie war das lediglich bourgeoiser Nationalismus, der entsprechend bekämpft werden musste. Die meisten blieben konventionell kaisertreue, überzeugte Nationalisten, die darauf beharrten, dass 1000 Jahre auf deutschem Boden sie zu ,Deutschen mosaischen Glaubens‘ gemacht hätten. Wieder andere jedoch übernahmen die Ideologie des Wandervogels und übersetzten sie einfach in die zionistische Terminologie. Sie stimmten mit den Antisemiten in mehreren wichtigen Punkten überein: Juden gehörten nicht zum deutschen Volk, und selbstverständlich sollten sich Deutsche und Juden nicht sexuell vermischen – nicht aus den traditionellen religiösen Gründen, sondern wegen ihres eigenen einzigartigen Blutes. Da sie nicht teutonischen Blutes waren, brauchten sie notgedrungen ihren eigenen Boden – Palästina.“ (Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus. Über die unheimliche Zusammenarbeit von Faschisten und Zionisten, Kai Homilius Verlag, Berlin 2007, S. 59/60.)

Da die meisten Juden und Jüdinnen, wenn sie aus Osteuropa migrierten, sich nach Westeuropa oder in die USA, aber eben nicht nach Palästina begaben, mussten die ZionistInnen den besonderen palästinensischen Boden ideologisch mystifizieren und verklären. So hetzten nicht wenige ZionistInnen in Anlehnung an den Antijudaismus als eine Form des negativen Geldfetischismus gegen die Juden als „Parasiten“ bei ihren jeweiligen „Gastgebern“, solange sie keinen „eigenen“ Staat geschaffen hätten. In Palästina sollten sich die Jüdinnen und Juden aus vorwiegenden StädterInnen in BäuerInnen verwandeln, die den palästinensischen Boden bearbeiten würden. Intellektuelle und Kommerzielle Tätigkeiten wurden verunglimpft, um körperlich-produktive Arbeit wurde ein Kult betrieben. Durch die „Negation“ (Verneinung) der Diaspora sollten die Jüdinnen und Juden zu neuen Menschen werden.

Heute gehört es zum politischen Geschäft des Zionismus und seiner (anti-)deutschen FreundInnen, alle Jüdinnen und Juden, die sich nicht vom Zionismus vereinnahmen lassen, als „sich selbst hassende Juden“ abzuqualifizieren. Doch bevor der Zionismus seinen eigenen Staat im Nahen Osten schaffen konnte, schürte er selbst systematisch den jüdischen Selbsthass. Ziel war, dass die Jüdinnen und Juden sich in den verschiedenen Nationalstaaten selbst als „Fremdkörper“ ansehen und sich nach „nationaler Erlösung“ in Palästina sehnen sollten. Hier ein Beispiel. So formulierte die zionistische Jugendorganisation Hashomer Hatzair (Junge Wächter) bereits 1917: „Der Jude ist eine Karikatur des normalen, natürlichen Menschen, sowohl physisch als auch geistig. Als Individuum in der Gesellschaft rebelliert er ständig und streift den Harnisch sozialer Verpflichtungen ab, kennt weder Ordnung noch Disziplin.“ (Hashomer Hatzair, Our Shomer, Weltanschauung, Dezember 1936, S. 26.) Diese Worte wurden 1936 (!) wieder veröffentlicht.

Auschwitz und Zionismus

Keine politische Kraft instrumentalisiert Auschwitz für reaktionäre Ziele so pervers wie der Zionismus und der Staat Israel. Doch zur historischen Wahrheit gehört auch, dass der Zionismus mit den deutschen Nazis paktierte. Untersuchen wir also das Wechselverhältnis zwischen Auschwitz und dem Zionismus als Vorgeschichte des Staates Israel.

Die deutsche Zionistische Vereinigung für Deutschland (ZVfD) führte in der Weimarer Republik noch nicht mal einen antifaschistischen Kampf – einen revolutionären Kampf konnte sie als bürgerliche Organisation natürlich nicht führen – gegen die Nazis. Der Historiker Stephen Poppel führte in seinem Buch Zionism in Germany aus, dass die Jüdische Rundschau, die Zeitung des ZVfD „bis 1931 nicht damit begann, sich systematisch und detailliert mit der antijüdischen Agitation und Gewalt auseinander zu setzen“. (Stephen Poppel, Zionism in Germany 1897-1933. The Shaping of a Jewish Identity, The Jewish Publication Society, Philadelphia 1977, S. 119.) Das ist noch sehr gelinde ausgedrückt. So drückte der führende ZVfD-Funktionär Siegfried Moses das Desinteresse des deutschen Zionismus an der Bekämpfung des Antijudaismus aus: „Für uns ist eben die Bekämpfung des Antisemitismus nicht eine zentrale Aufgabe von gleichbleibender Tragweite und gleichbleibenden Gewicht, wie es für uns die Palästina-Arbeit und in etwas anderem Sinne auch die Gemeindearbeit ist.“ (Jüdische Rundschau vom 25.7.1930.) Hier wird deutlich ausgesprochen, dass für die ZionistInnen der Kampf für einen jüdischen Staat in Palästina stets Vorrang gegenüber dem (bürgerlichen) Kampf gegen den Antijudaismus hatte.

Deshalb konnten die deutschen ZionistInnen auch keinen gemeinsamen Kampf mit jüdischen AssimilationistInnen, die sich als „Deutsche“ sahen, gegen den Antijudaismus führen. Der bürgerliche Kampf gegen den Antijudaismus war der Kampf für die Integration der Juden in die bestehenden Nationalstaaten und dessen Verteidigung. Doch der Zionismus strebte die Gründung eines jüdischen Nationalstaates an und bekämpfte die Assimilation stärker als den Antijudaismus. Er stimmte mit dem Nazi-Antijudaismus darin überein, dass Juden in Deutschland keine „Deutschen“ seien. Nun, aus antinational-sozialrevolutionärer Sicht waren sowohl die jüdischen AssimilationistInnen als auch die ZionistInnen bürgerliche NationalistInnen. Doch einen antinational-sozialrevolutionären Standpunkt, der im erklärten Ziel der Zerschlagung aller Nationalstaaten zum Ausdruck kommt, vertrat damals nur eine verschwindend kleine Minderheit in Deutschland. Aber nur ein solcher hätte dem praktischen Kampf gegen den Nazi-Antijudaismus die nötige geistige Klarheit geben können. Doch einen solchen geistig klaren Kampf hätte nur ein sozialrevolutionäres Proletariat führen können. Aber der erste revolutionäre Anlauf des modernen Proletariats in Deutschland wurde von Sozialdemokratie und Partei-„Kommunismus“ in Blut und Sozialreformismus erstickt. Diese Niederlage noch in den Knochen wurde das Proletariat in Deutschland von SPD und „K“PD in die kampflose Kapitulation gegenüber den Nazis geführt.

Doch wenn nicht das Proletariat – und jüdische ArbeiterInnen als Teil von ihm – die Nazis stoppen konnte, so konnten es bürgerliche Juden erst recht nicht. Den jüdischen AssimilationistInnen in Deutschland wurde der materielle Boden entzogen, als der Nationalsozialismus die Assimilation der Juden in Deutschland rückgängig machte. Die ZionistInnen des ZVfD erhofften sich davon anfangs noch eine Stärkung des jüdischen Nationalismus und boten den Nazis die Zusammenarbeit an. Dabei gaben sie den Nazis noch Recht in ihrem Antijudaismus und bezogen klar Stellung gegen die bisherige Assimilation der Juden in der Weimarer Republik. So hieß es in der offiziellen Äußerung der Zionistischen Vereinigung für Deutschland zur Stellung der Juden im neuen deutschen Staat vom 21. Juni 1933: „Der Zionismus täuscht sich nicht über die Problematik der jüdischen Situation, die vor allem in der anormalen Berufsschichtung und in dem Mangel einer nicht in der eigenen Tradition verwurzelten geistigen und sittlichen Haltung besteht. Der Zionismus erkannte schon vor Jahrzehnten, dass als Folge der assimilatorischen Entwicklung Verfallserscheinungen eintreten mussten, die er durch die Verwirklichung seiner, das jüdische Leben von Grund aus ändernden Forderung zu überwinden sucht. Wir sind der Ansicht, dass eine den nationalen Staat wirklich befriedigende Antwort auf die Judenfrage nur herbeigeführt werden kann, wenn die auf gesellschaftliche, kulturelle und sittliche Erneuerung der Juden hinzielende jüdische Bewegung dabei mitwirkt, ja, dass eine solche nationale Erneuerung erst die entscheidenden sozialen und seelischen Voraussetzungen für alle Regelungen schaffen muss. Der Zionismus glaubt, dass eine Wiedergeburt des Volkslebens, wie sie im deutschen Leben durch Bindung an die christlichen und nationalen Werte erfolgt, auch in der jüdischen Volksgruppe vor sich gehen müsse. Auch für den Juden müssen Abstammung, Religion, Schicksalsgemeinschaft und Artbewusstsein von entscheidender Bedeutung für seine Lebensgestaltung sein. Dies erfordert Überwindung des im liberalen Zeitalter entstandenen egoistischen Individualismus durch Gemeinsinn und Verantwortungsfreudigkeit.“ (Zitiert nach: Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 351.) Diese „Äußerung“ des deutschen Zionismus gipfelte im Bekenntnis: „Der Zionismus will die Auswanderung der Juden nach Palästina so gestalten, dass dadurch eine Entlastung der jüdischen Position in Deutschland erfolgt.“ (Ebenda, S. 352.)

Der 1937 Deutschland verlassende Rabbi und Zionist Joachim Prinz schrieb über die allgemeine Stimmung des Zionismus während der ersten Monate 1933 in Deutschland: „Jeder in Deutschland wusste, dass nur die Zionisten die Juden gegenüber der Nazi-Regierung verantwortlich vertreten konnten. Wir alle waren sicher, dass die Regierung eines Tages eine Konferenz mit den Juden am runden Tisch einberufen würde, auf der – nachdem die Unruhen und Grausamkeiten der Revolution vorbei wären – der neue Status der deutschen Juden diskutiert werden könnte. Die Regierung erklärte höchst feierlich, dass es kein anderes Land in der Welt gäbe, das so ernsthaft versuchte, das Judenproblem zu lösen wie Deutschland. Lösung der Judenfrage? Das war unser zionistischer Traum! Wir hatten das Bestehen der Judenfrage nie bestritten! Dissimilation? Das war unser eigener Aufruf! (…) In einer Erklärung, bemerkenswert für ihren Stolz und Würde, forderten wir eine Konferenz.“ (Joachim Prinz, Zionism under the Nazi Goverment, in: Young Zionist vom November 1937.)

Und die Nazis begünstigten auch die ZionistInnen gegenüber anderen jüdischen Strömungen, so ähnlich wie die „weißen“ SklavenhalterInnen in den USA die HaussklavInnen gegenüber den FeldsklavInnen begünstigten. Die deutschen Nazis traten auch mit der Zionistischen Weltorganisation in Geschäftsbeziehungen, welche jüdische Menschen und jüdisches Geld nach Palästina brachten (siehe weiter unten). Nein, es ist nicht übertrieben, wenn wir den Zionismus als Hauptfeind des jüdischen Proletariats bezeichnen. Stets war er bereit dazu, mit den größten europäischen Judenmördern zu paktieren, dadurch das jüdische Proletariat gegenüber dem mörderischen Antijudaismus zu entwaffnen und es in Palästina auf dessen palästinensischen Klassengeschwister zu hetzen. Dadurch kreuzten sich in den 1930er Jahren der nationalsozialistische Antijudaismus und der Zionismus bei der bürgerlichen Lösung der so genannten „Judenfrage“.

Vom Zionismus wird heute die Organisation der illegalen Auswanderung einer Minderheit von europäischen Juden und Jüdinnen während ihrer industriellen Massenvernichtung als sein Beitrag bezeichnet, um diesen Massenmord abzumildern. In Wirklichkeit verstärkten die ZionistInnen mit der Auslese – wer nach Palästina durfte und wer sterben musste – den Klassencharakter des faschistischen Judenmordes. Die ZionistInnen retteten nicht die kranken, schwachen, alten, assimilierten und armen Jüdinnen und Juden, sondern nur gesunde, junge Juden und möglichst hebräisch sprechende ZionistInnen. In Ungarn kam es zu einer direkten Kollaboration des Zionismus mit den Nazis bei der Organisierung des kapitalistisch-industriellen Massenmordes an den ungarischen Jüdinnen und Juden. Als die Nazis am 19. März 1944 Ungarn besetzten, bedeutete das für 450 000 ungarische Juden den Tod. Für die Deportation der ungarischen Juden in die NS-Vernichtungslager war Adolf Eichmann verantwortlich. Er war sehr besorgt, dass die Todeszüge mit ungarischen Juden zu Aufständen in Ungarn führen könnten. Doch zum Glück der Nazis gab es den kooperationsbereiten ungarischen Zionisten Rezso Kasztner. Der Deal bestand darin, dass ein Zug von Kasztner ausgewählter Juden in die „neutrale Schweiz“ fahren konnte, während er den Nazis half, die für die Deportation notwendige Ordnung herzustellen.

Eichmann beschrieb den Deal mit Kasztner folgendermaßen: „Dieser Dr. Kasztner war ein junger Mann etwa in meinem Alter, ein eiskalter Anwalt und fanatischer Zionist. Er erklärte sich bereit, dabei behilflich zu sein, die Juden davon abzuhalten, sich gegen die Deportation zu wehren – und sogar für Ordnung in den Sammellagern zu sorgen – wenn ich beide Augen zudrücken und ein paar Hundert oder Tausende jungen Juden erlauben würde, illegal nach Palästina auszuwandern. Das war ein gutes Angebot. 15.000 oder 20.000 Juden – letztlich könnten es auch ein paar mehr gewesen sein – für Ordnung in den Lagern, der Preis erschien mir nicht zu hoch. (…) Ich glaube, dass Kasztner Tausende oder Hunderttausende von seinem Blut geopfert hätte, um sein politisches Ziel zu erreichen. Er interessierte sich nicht für die alten Juden oder für die, die sich in der ungarischen Gesellschaft assimiliert hatten. Aber er versuchte unglaublich hartnäckig, biologisch wertvolles jüdisches Blut zu retten – das heißt menschliches Material, das zu harter Arbeit und zur Fortpflanzung geeignet war. So sagte er: ,Sie können die anderen haben, aber geben sie mir diese Gruppe.‘ Und da Kasztner uns einen großen Dienst erwiesen hatte, indem er uns half, die Deportationslager ruhig zu halten, ließ ich diese Gruppe entkommen. Schließlich gab ich mich nicht mit kleinen Gruppen von eintausend Juden oder so ab.“ (Adolf Eichmann, I Transported Them tot he Butcher, in: Life vom 5. Dezember 1960, S. 146.)

Nirgendwo kreuzten sich die zwei reaktionären Lösungswege der so genannten „Judenfrage“, der des faschistischen Massenmordes und der zionistische eines jüdischen Staates so offensichtlich wie in Ungarn. Im Jahre 1944 fuhren viele Züge mit Juden aus Ungarn heraus. Die meisten Juden wurden in den Tod transportiert. Doch ein Zug mit zionistischer Prominenz sicherte für diese das Überleben. Kasztner sicherte das Überleben der zionistischen Prominenz Ungarns und half dafür den Nazis, andere ungarische Juden und Jüdinnen zu vergasen. Und Kasztner war der SS dafür so dankbar, dass er auch nach dem Zweiten Weltkrieg zu Gunsten des SS-Obersturmführers Hermann Krumey, der in Nürnberg auf seinen Prozess wartete, eidesstattlich versicherte: „In einer Zeit, da Leben und Tod vieler von ihm abhingen, hat Krumey seine Pflichten in einem lobenswerten Geist guten Willens verrichtet.“ (Zitiert nach Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 341.) Kasztner verhinderte auch, dass SS-Oberst Becher gehenkt wurde, indem er eidesstattlich behauptete, dass dieser Nazi alles Menschenmögliche getan habe, um die Juden zu retten.

Am 14. Mai 1948 wurde der zionistische Staat Israel proklamiert. In ihm lebten Überlebende der faschistischen Judenverfolgung und die zionistischen Kollaborateure zusammen. Das führte notwendigerweise zu sozialen Konflikten. Diese wurden, so wie es sich für die einzige Demokratie im Nahen Osten gehört, auf rechtstaatliche Weise gelöst. Im Jahre 1953 führte die Regierung von Ben-Gurion einen Prozess gegen den Flugblattautor Malchiel Gruenwald wegen Beleidigung. Gruenwald hatte in einem Flugblatt richtigerweise Kasztner als Kollaborateur bezeichnet. Doch Kasztners Kollaboration mit dem deutschen Faschismus befand sich im Einklang mit der Hauptlinie des Zionismus. Deshalb stellte sich der „ArbeiterInnenzionismus“ mit der ganzen Autorität des israelischen Staates hinter ihn. Doch die Fakten sprachen zu sehr gegen Kasztner – und damit gegen den Zionismus und den Staat Israel. Am 21. Juni 1953 entschied der Richter Halevi, dass Kasztner nicht verleumdet worden war, dass dieser jedoch bei seinen Taten nicht von der Absicht auf finanziellen Gewinn geleitet worden sei. Doch die „ArbeiterInnenzionistInnen“ konnten das Urteil nicht akzeptieren und gingen in Revision, denn mit Kasztner könnten sie jetzt alle potenziell ungestraft als Kollaborateure bezeichnet werden. Der Revision wurde stattgegeben, und der Streit vor Gericht ging in eine neue Runde.

Es ging also dem israelischen Rechtstaat in den 1950er Jahren darum, dass mensch zionistische Kollaborateure mit dem deutschen Faschismus nicht so nennen durfte. Selbstverständlich konnte Kasztner in der einzigen Demokratie im Nahen Osten für die Mitorganisation des Mordes an 450 000 ungarischen Juden nicht rechtstaatlich zur Verantwortung gezogen werden. Doch er wurde zu Verantwortung gezogen. Am 3. März 1957 wurde Kasztner von Zeev Eckstein erschossen. Eckstein wurde, wie es sich für einen demokratischen Rechtstaat gehört, wegen Mordes verurteilt. Doch mit Kasztners Tod war die rechtstaatliche Klärung der Frage, ob mensch zionistische Kollaborateure mit dem Nationalsozialismus in Israel auch ungestraft so nennen durfte, noch nicht beendet. Das Gericht entschied am 17. Januar 1958 mit drei gegen zwei Stimmen, dass Kasztners Verhalten während des Zweiten Weltkrieges in Ungarn nicht als Kollaboration bezeichnet werden könne. Es entschied aber mit allen fünf Stimmen, dass Kasztner Meineid begannen habe, als er zu Gunsten von SS-Oberst Becher intervenierte.

Der israelische Generalstaatsanwalt Chaim Cohen musste während des Prozesses offen zugeben: „Eichmann, der Vernichtungschef, wusste, dass die Juden sich friedlich verhalten und keinen Widerstand leisten würden, wenn er ihnen erlaubte, die prominenten Persönlichkeiten unter ihnen zu retten, dass der ,Zug der Prominenten‘ auf Eichmanns Anweisung hin organisiert wurde, um die Ausrottung des ganzen Volkes zu erleichtern.“ Die zionistische Elite Ungarns blieb am Leben und half dafür den Nazis andere ungarische Juden und Jüdinnen zu ermorden. Doch Cohen betrachtete das Verhalten von Kasztner zu Recht im Einklang stehend mit dem Gesamtverhalten des Zionismus während des kapitalistisch-industriellen Massenmordes an den europäischen Juden und Jüdinnen: „Kasztner hat nicht mehr und nicht weniger getan, indem er diese Juden gerettet und nach Palästina gebracht hat … Man darf es riskieren – eigentlich ist man dazu verpflichtet, dieses Risiko einzugehen –viele zu verlieren, um einige zu retten… Es war immer unsere zionistische Tradition, bei der Organisation der Emigration die wenigen aus den vielen herauszufiltern. Aber sind wir deshalb Verräter?“ (Zitiert nach Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 340.)

Lenni Brenner schrieb über die Verteidigung von Kasztner durch den Arbeiterzionismus: „Der Verrat eines einzelnen Zionisten an den Juden hätte keinerlei besondere Bedeutung gehabt: Keine Bewegung ist verantwortlich für die Taten Abtrünniger. Doch die Arbeiterzionisten betrachteten Kasztner nie als Verräter. Im Gegenteil, sie bestanden darauf, dass, wenn er schuldig wäre, sie es auch wären.“ (Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 342.) Ja, die so genannten „ArbeiterInnenzionistInnen“ gehörten zu den Todfeinden des Weltproletariats! Wir stimmen Lenni Brenner auch im Folgenden zu: „Doch der bei weitem wichtigste Aspekt der Kasztner-Gruenwald-Affäre lag darin, dass durch sie die Arbeitsphilosophie der WZO während der gesamten Nazizeit offengelegt wurde: die Inkaufnahme des Verrats an vielen im Interesse einer selektiven Immigration nach Palästina.“ (Ebenda.) Der Verrats-Begriff passt hier nicht. Zionistische PolitikerInnen waren und sind wie alle anderen auch nur ihren eigenen Interessen und denen der Kapitalvermehrung verpflichtet. Sie schufen einen jüdischen Staat und gingen dabei über unzählige jüdische und palästinensische Leichen. ZionistInnen den Verrat an Juden vorzuwerfen, heißt einen jüdisch-nationalen Standpunkt einzunehmen.

Britischer Imperialismus, Zionismus und palästinensischer Nationalismus in Palästina bis 1948

Palästina, den Ort, den der Zionismus als Raum für seinen jüdischen Nationalstaat beanspruchte und der von AraberInnen bewohnt war, gehörte seit 1517 zum Osmanischen Reich. Im imperialistischen Gemetzel des Ersten Weltkrieges eroberte Großbritannien 1917/18 Palästina. Der britische Imperialismus lavierte in Palästina zwischen arabischen Nationalismus und Zionismus. Einerseits versprachder britische Hochkommissar in Ägypten in der sogenannten Hussein-McMahon-Korrespondenz im Jahre 1916 dem Scherifen von Mekka, dass er dessen Wunsch nach einem unabhängigen und geeinten arabischen Großreich auch in diesem Gebiet unterstützen werde. Andererseits sicherte 1917 der britische Außenminister dem Zionismus in der Balfour-Erklärung die Unterstützung für „eine nationale Heimstätte für das jüdische Volk in Palästina“ zu. Allerdings war dort auch die Rede davon, dass „nichts geschehen soll, was die bürgerlichen und religiösen Rechte der bestehenden nichtjüdischen Gemeinschaften in Palästina (…) in Frage stellen könnte.“

Großbritannien errichtete nach dem Ende des Ersten Weltkrieges in Palästina eine Militärverwaltung. Auf der Konferenz der Siegermächte von San Remo im April 1920, bei der die siegreichen Imperialismen des Weltkrieges um die arabischen Gebiete des zerschlagenen Osmanischen Reiches schacherten, sicherte sich Großbritannien das Mandat für Palästina. Der britische Imperialismus ließ sich das 1922 von dem internationalen Schiedsgericht der Nationalstaaten, dem Völkerbund, bestätigen. Die Präambel des Palästina-Mandats nahm eindeutig Bezug auf die Balfour-Deklaration. In der Folgezeit entwickelten sich bewaffnete Kämpfe zwischen britischen Imperialismus, dem sich entwickelnden palästinensischen Nationalismus und Zionismus in Palästina.

Der Zionismus setzte den bereits im Osmanischen Reich begonnenen Aneignungsprozess des Bodens fort. Dabei wurde der einheimischen und ausländischen Bourgeoisie das Land abgekauft. Auch mussten manche verschuldete palästinensische KleinbäuerInnen (Fellachen) unter der großen Steuerlast des Osmanischen Reiches und einer Überschuldung bei Wucherern ihr Land verkaufen. Palästinensische BäuerInnen, die auf dem Boden als PächterInnen lebten und arbeiteten, wurden von den ZionistInnen weggejagt, wenn sie durch Kauf die neuen BesitzerInnen des Landes wurden. Durch diese Trennung vom Land wurden viele Fellachen proletarisiert. Anfangs wurden die PalästinenserInnen noch als TagelöhnerInnen auf zionistischen Farmen und in Industriebetrieben geduldet.

Doch dann ging der Zionismus auch gegen die Beschäftigung palästinensischer LohnarbeiterInnen bei jüdischen KleinbürgerInnen, KapitalistInnen und Institutionen vor. Dabei spielte der sozialdemokratische „ArbeiterInnenzionismus“ eine besonders reaktionäre Rolle. Während SozialrevolutionärInnen für die Aufhebung der Lohnarbeit kämpften und kämpfen, trat der „ArbeiterInnenzionismus“ mit der reaktionären Parole von der „jüdischen Arbeit“ hervor. Diese sollte das jüdische Proletariat an die jüdische Bourgeoisie schmieden und die palästinensischen ProletarierInnen rassistisch ausschließen. Die palästinensischen ProletarierInnen fanden im Laufe der Zeit kaum noch Arbeit auf Zitrusplantagen und in Industriebetrieben, welche von den ZionistInnen betrieben wurden. Jüdische SiedlerInnen und KapitalistInnen, die weiterhin palästinensische LohnarbeiterInnen beschäftigten, weil diese billiger waren als die „jüdische Arbeit“, wurden durch zionistische Gewerkschaften bekämpft. Der Konflikt wurde schließlich dadurch gelöst, dass der Zionismus die „jüdische Arbeit“ subventionierte, so dass diese genau so billig wurde wie jene, die davor von den palästinensischen LohnarbeiterInnen verrichtet wurde.

Die Institutionalisierung der zionistischen Sozialpartnerschaft aus Kapital und Arbeit war die Histadrut, die Gewerkschaft, kapitalistische und quasistaatliche Organisation in einem war. Sie war das Organisationszentrum des „ArbeiterInnenzionismus“. Die britische Gruppe Aufheben schrieb über die Histadrut: „Schon in den 20er Jahren waren über drei Viertel der jüdischen Arbeiter in der Histadrut organisiert, die nach der britischen Regierung der größte Arbeitgeber war. Sie betrieb auch die Arbeitsvermittlungsstellen und war eng mit den Handels- und Produktionsgenossenschaften verbunden. Mit dieser Struktur stellte die Histadrut eine lebenswichtige Grundlage der ,Quasi-Regierung‘ der zionistischen Organisationen dar. Sie organisierte Ausbildung, Einwanderung und wirtschaftliche und kulturelle Angelegenheiten. Der zionistische Staat verwurzelte sich also bereits vor 1948 in korporatistischen sozialdemokratischen Formen.“ (Aufheben, Hintergründe der Intifada des 21. Jahrhunderts, Beilage zum Wildcat-Zirkular 62, Februar 2002, S. 12.) Während in Osteuropa jüdische und nichtjüdische Bourgeoisie das jüdische Proletariat nicht in den Kapitalismus zu integrieren vermochten, integrierte der Zionismus in Palästina jüdische Arbeit in das Kapital und quasistaatliche Strukturen und hetzte das jüdische Proletariat gegen seine palästinensischen Klassengeschwister.

Dass diese Integrationsleistung vorwiegend vom sozialdemokratischen „ArbeiterInnenzionismus“ erreicht wurde, war alles andere als ein Zufall. Auch in Europa zeigte die Sozialdemokratie während des Ersten Weltkrieges und der revolutionären Nachkriegskrise ihre konterrevolutionären Qualitäten. Doch Undank ist der Bourgeoisie Lohn. Diese setzte in Europa zunehmend auf den Faschismus, welcher die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung (Sozialdemokratie, Partei-„Kommunismus“ und Gewerkschaften) zerschlug, obwohl gerade letztere es war, die die revolutionäre Nachkriegskrise in Europa konterrevolutionär beendete. Auch in Palästina machte die äußerste zionistische Reaktion mobil, um den „ArbeiterInnenzionismus“ zu zerschlagen.

Der Zionismus brachte weltweit eine faschistoide Form hervor, den Revisionismus unter Führung von Wladimir Jabotinsky. Dieser bekämpfte ab 1923, von ultrareaktionären Positionen ausgehend, die seiner Meinung nach zu vorsichtige Führung der WZO. Jabotinsky bezeichnete sich selbst nicht als Faschist, aber viele seiner AnhängerInnen flirteten offen mit dem Faschismus. Lenni Brenner bezeichnete Jabotinsky „als den liberal-imperialistischen Kopf eines faschistischen Körpers“. (Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 175.) Ähnlich wie der europäische Faschismus setzte der Revisionismus bei seiner antikommunistischen und antisozialdemokratischen Mobilisierung auf den Mittelstand. Seine soziale Basis in Palästina stellte das jüdische KleinbürgerInnentum dar, das vorwiegend aus Polen nach Palästina kam. Nachdem Jabotinsky, bevor er Führer des Revisionismus wurde, die Miliz der „ArbeiterInnenzionistInnen“, die Hagana führend mit aufgebaut hatte, schuf er nun die bewaffnete Jugendorganisation des Revisionismus, die Betar, dessen Uniform bezeichnenderweise das Braunhemd war. Der Revisionismus verließ die WZO im Oktober 1934 und schuf sich seine eigene globale Organisation, die Neue Zionistische Organisation (NZO). Die RevisionistInnen lehnten auch im Gegensatz zur WZO-Führung die im Juni 1922 erfolgte Teilung Palästinas in für die zionistische Besiedlung freigegebenen Gebiete westlich des Jordan und das Emirat Transjordanien (das heutige Jordanien) westlich des Flusses ab und forderten auch die verstärkte jüdische Besiedlung östlich des Jordan.

Der Revisionismus ging zu Beginn der 1930er Jahre militant gegen den „ArbeiterInnenzionismus“ und seine institutionalisierte Form, die Histadrut, vor, was wir uns von Lenni Brenner schildern lassen wollen: „Palästina erlebte nun, wie die Zionisten durch die Histadrut Tausende von Arabern aus ihren angestammten Saisonjobs in den jüdischen Orangenhainen vertrieben und wie die faschistischen Revisionisten über die Histadrut herfielen. Doch während die arabischen Arbeiter immer noch keine Führung hatten, um sich zu verteidigen, war die Histadrut gut organisiert. Nach einer Serie von heftigen Zusammenstößen, darunter auch eine entscheidende Schlacht in Haifa am 17. Oktober 1934, bei der 1.500 Arbeiterzionisten das Hauptquartier der Revisionisten stürmten und Dutzende Faschisten verletzten, ebbte die Kampagne der Revisionisten ab. Die Mitglieder der Histadrut wären gern bereit gewesen, den faschistischen Angriff zu beantworten, indem man den Kampf im Lager des Feindes fortsetzte, doch die Führung der Arbeiterzionisten war nicht willens, den Faschismus in Palästina zu bekämpfen, so wenig wie anderswo auch, und so ließ man die Faschisten davonkommen aus Angst, dass ein ernsthafter Kampf gegen sie die mittelständische Anhängerschaft des Zionismus in der Diaspora abschrecken könnte.“ (Lenni Brenner, Zionismus und Faschismus, a.a.O., S. 172.)

Die vom „ArbeiterInnenzionismus“ beherrschte jüdische institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung kämpfte also einen doppelten Kampf: Einen gegen palästinensische Lohnarbeit und einen gegen den zionistischen Revisionismus, der sie zu zerschlagen drohte. Der „ArbeiterInnenzionismus“ wurde zum Motor eines jüdisch-völkischen Kapitalismus, in dem PalästinenserInnen entweder an den Rand gedrängt oder ganz ausgeschlossen wurden. Der staatskapitalistische DDR-Ideologe Peter Jacobs beschrieb die soziale Situation der palästinensischen Bevölkerung um 1929: „In Palästina herrschten ärmliche Lebensverhältnisse vor. Die Wirtschaft überwand gerade erst das Stadium der Manufaktur. Wolle, Baumwolle und Seidengarn verarbeitete man noch auf Handwebstühlen. Gerber, Glasbläser, Teppichknüpfer und Strohmattenflechter produzierten hauptsächlich für die örtlichen Märkte; Maschinen gab es eigentlich nur in den Getreidemühlen und in den Olivenpressereien, in denen Speiseöl und Seifen auch für den Export in andere arabische Länder hergestellt wurden. Fast die gesamte Ökonomie hing von der Landwirtschaft ab. Etwa 85 Prozent der palästinensischen Bevölkerung gehörten den Klassen und Schichten der Kleinbauern und Pächter, der Kleinhändler und Kleingewerbetreibenden und den städtischen Unterschichten (wie Schuhputzer, Lastenträger und Bettler) an.“ (Peter Jacobs, Der Aufstand der Steine, Verlag Neues Leben, Ostberlin 1989, S. 18.)

Es gelang den traditionellen palästinensischen Oberschichten, der sich herausbildenden Bourgeoisie und den nationalistischen Intellektuellen die soziale Wut der KleinbäuerInnen und der ProletarierInnen auf den britischen Imperialismus und den Zionismus in nationalistische Bahnen zu lenken. Das palästinensische Proletariat war noch eine Minderheit und außerdem noch zu unbewusst, um seinen eigenständigen Klassenkampf gegen britischen Imperialismus, Zionismus und palästinensische Oberschichten zu führen. So wurden die KleinbäuerInnen und ProletarierInnen zur Manövriermasse des palästinensischen Nationalismus.

Als am 19. April 1936 britische Bullen in Jaffa auf arabisch-nationalistische DemonstrantInnen schossen, welche gegen den britischen Imperialismus und die jüdische Einwanderung demonstrierten, kam es in der Stadt zu einem kleinbürgerlich-proletarischen Streik, an dem sich von HändlerInnen über die Straßenbauarbeiter bis zu den Zeitungsjungen flächendeckend die gesamte palästinensische Bevölkerung der Stadt beteiligte. Am 21. April rief in Nablus ein bürgerliches Fünfparteienkomitee den Generalstreik aus. In dem sich formierenden Nationalkomitee, waren das städtische BürgerInnentum, die BäuerInnen und das Proletariat scheinbar in einer Schicksalsgemeinschaft vereint. In Wirklichkeit wurde das Proletariat für fremde bürgerliche Klasseninteressen verheizt. Dem Wesen des bürgerlichen Nationalismus entsprachen auch die Kampfformen. So rief eine Konferenz der nationalen Komitees in Jerusalem zu einer Kampagne des zivilen Ungehorsams und zu Steuerzahlungsverweigerungen auf.

Der vom palästinensischen Nationalismus total beherrschte Generalstreik wurde vom Zionismus genutzt, um seine sozialökonomische Infrastruktur in Palästina auszubauen. Nathan Weinstock schrieb darüber: „Während die arabischen Arbeiter in der Verwaltung, den öffentlichen Diensten (…) und den arabischen Handelsunternehmen streiken, ergreifen die Zionisten die Gelegenheit, die entscheidenden Positionen in der Wirtschaft des Landes zu erobern. Unbeabsichtigt vollendete der Generalstreik die zionistischen Separationsbestrebungen.“ (Nathan Weinstock, Das Ende Israels?, Wagenbach, Berlin 1975, S. 152.)

Der bürgerlich-proletarische Generalstreik ging schnell in einen bewaffneten nationalistischen Aufstand über, bei dem Landstraßen blockiert, Telegrafenleitungen unterbrochen, Züge zum Entgleisen gebracht und Sprengstoffanschläge auf die Erdölleitung von Kirkuk nach Haifa verübt wurden. Es bildeten sich Guerillagruppen, welche mit Gewehren, Lanzen und Speeren bewaffnet, die Außenposten der britischen Armee und der Polizei angriffen. Der britische Imperialismus zerschlug mit Gewalt den palästinensisch-nationalistischen Aufstand, wobei er sich auch auf den Zionismus als Hilfsbullen stützen konnte. Das entsprach ganz der Funktion, die Großbritannien dem jüdischen Nationalismus von Anfang an zugedacht hatte. Die Zionisten stellten also bei der Niederschlagung des palästinensisch-nationalistischen Aufstandes 2.800 Hilfsbullen. Bei diesem nationalistischen Gemetzel zwischen 1936 und 1939 starben 2.287 PalästinenserInnen, 450 Juden und 140 Briten. Der Aufstand stand unter der Führung des Großmuftis von Jerusalem Hadsch Mohammed Amin al-Husseini.

Der britische Imperialismus reagierte nicht nur mit Gewalt auf den palästinensisch-nationalistischen Aufstand, sondern auch mit der alten Spalte-und-Herrsche-Strategie. Die Peel-Kommission legte 1937 einen Teilungsplan für das palästinensische Mandatsgebiet vor. Galiläa und ein Küstenstreifen sollten „jüdisch“ werden, während die größeren Teile Palästinas einschließlich der Wüstenregionen für „die AraberInnen“ vorgesehen waren. Dieser Teilungsplan des britischen Imperialismus spaltete die ZionistInnen. Eine Mehrheit, zu der auch die spätere israelische Ministerpräsidentin Golda Meir gehörte, lehnte den britischen Teilungsplan ab, während eine Minderheit um Ben Gurion in dem jüdischen Kleinstaat eine Basis zur späteren Expansion sah. Doch die britische Woodhead-Kommission lehnte dann 1939 im MacDonald-Weißbuch den vorigen Teilungsplan ab. Dieses Weißbuch wurde vom Zionismus abgelehnt, weil sie auch die Auflösung der zionistischen Miliz Hagana vorsah. Inzwischen hatte der Zweite Weltkrieg begonnen und der britische Imperialismus setzte in der Konkurrenz zu den Nazis wieder auf den arabischen Nationalismus als potenziellen Verbündeten.

Doch der Großmufti von Jerusalem Hadsch Mohammed Amin al-Husseini verbündete sich mit den Nazis gegen den britischen Imperialismus und den Zionismus, was den reaktionären Charakter des palästinensischen Nationalismus unterstrich. Bei Wikipedia können wir über das Bündnis aus palästinensischen Nationalismus und NS-Faschismus lesen: „Der Großmufti von Jerusalem Hadsch Mohammed Amin al-Husseini, der enge Kontakte zum Deutschen Reich pflegte und nach seiner Flucht aus Palästina (1937) im Jahre 1941 an einem pro-deutschen Putschversuch im Irak beteiligt war, hoffte während des Krieges auf einen Sieg Deutschlands. Ab 1941 lebte er als persönlicher Gast Hitlers in Deutschland und war als SS-Mann am Aufbau von moslemischen Truppen der Waffen-SS in Bosnien beteiligt. Auch in Ägypten gab es pro-deutsche Bestrebungen, die etwa von Anwar as-Sadat unterstützt wurden.“ (Wikipedia, Stichwort Palästina Region)

Was weniger bekannt ist, ist, dass auch der Zionismus teilweise mit dem Faschismus paktierte. Auch in diesem Wikipedia-Beitrag lesen wir nichts darüber. Wir können aber bei Wikipedia lesen, wie der Zionismus in wachsenden Gegensatz zum britischen Imperialismus geriet: „Die Ziele der jüdischen Bevölkerungsminderheit waren eine Forcierung der Einwanderung, ein möglichst großer jüdischer Staat und – zu diesem frühen Zeitpunkt – eine Beibehaltung des britischen Mandats. Diese positive Einstellung zur britischen Mandatsmacht änderte sich in den 1930er- und 1940er-Jahren. Zwischen 1924 und 1932 kam es zur vierten Immigrationswelle, von 1933 bis 1939 kam die fünfte, wodurch die jüdische Bevölkerung in Palästina stark wuchs.“ (Ebenda.)

Der Zionismus hatte mit Hilfe des britischen Imperialismus einen Fuß in Palästina drin, doch er strebte danach selbst zum Hausherren zu werden. Wikipedia: „Auf dem außerordentlichen Zionistischen Kongress in Biltmore am 8. Mai 1942 in New York (so benannt nach dem Biltmore Hotel) kündigte die Zionistische Weltorganisation das Bündnis mit Großbritannien auf, erklärte offen die Absicht, einen jüdischen Staat in Palästina zu gründen und berief sich dabei auf eine Zusage des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson.“ (Ebenda.) Der führende Vertreter des „ArbeiterInnenzionismus“ setzte dabei verstärkt auf den US-Imperialismus, wie auch Wikipedia schrieb: „In den letzten Kriegsjahren versuchte Ben Gurion die Kontakte in die USA zu verbessern, die er als neue Macht im Nahen Osten aufsteigen sah, während bei Chaim Weizmann der Fokus weiterhin auf dem Vereinigten Königreich lag.“ (Ebenda.)

Der Zionismus mobilisierte während des Zweiten Weltkrieges trotz des zunehmenden Zerwürfnisses jüdisches Kanonenfutter für den britischen Imperialismus. Wikipedia: „Im Zweiten Weltkrieg kämpften schließlich 27.500 jüdische Soldaten aus Palästina in der britischen Armee. Diese bildeten später einen wichtigen Teil der Israelischen Verteidigungsstreitkräfte. Männer wie Mosche Dajan oder Jitzchak Rabin kämpften z. B. gegen das vom Vichy-Regime verwaltete Syrien. Zu Kampfeinsätzen in Deutschland kam es jedoch kaum. Ben Gurion vertrat das Konzept des Palästina-Zentrismus, das davon ausging, in Europa nicht handlungsfähig zu sein. Gleichzeitig versuchten die Juden deshalb, die illegale Einwanderung zu verstärken und somit den europäischen Juden einen Fluchtort zu geben, denn zwischen 1939 und 1944 konnten nur 15.000 legal einwandern.“ (Ebenda.)

Was wie gesagt in dem oben zitierten Beitrag fehlt, ist die Kollaboration des Zionismus mit dem Faschismus, die wir deshalb jetzt genauer unter die Lupe nehmen wollen. Der Zionismus passte sich nicht nur an den italienischen Faschismus, sondern auch dem deutschen Nationalsozialismus an. Am weitesten ging natürlich der Revisionismus. Sein eigener faschistoider Charakter sah am Anfang, noch bevor dieser von der deutschen Bourgeoisie an die Macht gebracht wurde, im Hitler-Faschismus eine verwandte Seele: „Ja, wir Revisionisten hegen für Hitler eine große Achtung. Hitler hat Deutschland gerettet. Sonst wäre es schon vor vier Jahren zugrunde gegangen. Und hätte Hitler seinen Antisemitismus abgelegt – wir würden mit ihm gehen.“ (Elis Lubrany, Hitler in Jerusalem, in: Die Weltbühne vom 31. Mai 1932.) Gegen den linken Flügel des Zionismus bekannten sich große Teile des Revisionismus in Palästina offen zum Faschismus, mit ideologischen Verbindungen zum Nationalsozialismus: „Wenn provinzielle Führer des linken Flügels des unbedeutenden Teils des Zionismus wie Berl Locker uns Betarim Hitleristen nennen, dann stört uns das überhaupt nicht … Die Lockers und ihre Freunde wollen in Palästina eine Kolonie Moskaus mit einer arabischen statt einer jüdischen Mehrheit errichten, mit einer roten Fahne statt einer weiß-blauen, mit der Internationale statt der Hatikvah… Wenn Herzl ein Faschist und ein Anhänger Hitlers war, wenn eine jüdische Mehrheit auf beiden Seiten des Jordans und ein jüdischer Staat in Palästina, der die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Probleme des jüdischen Volkes löst, Hitlerismus sind, dann sind wir Hitleristen.“ (Jerusalem or Moscow –Herzl or Lenin, in: Betar Monthly vom 15. August 1931.)

Als dann jedoch die deutschen RevisionistInnen nach der Machtübergabe an die Nazis offen mit diesen paktierten, war das für den Führer des Revisionismus, Jabotinsky, zu viel. Im März 1933 schwenkte Jabotinsky zu einer antinazistischen Haltung um. Der Führer des Revisionismus war sogar zu einer inkonsequenten Unterstützung des Boykottes deutscher Waren bereit. Damit wurde der faschistoide Revisionismus konsequenter antinazistisch als die linkeren Varianten des Zionismus.

Denn auch der nichtrevisionistische Zionismus verhielt sich gegenüber dem deutschen Faschismus so, wie er sich bisher zu allen judenfeindlichen Strömungen verhalten hat: pragmatisch und bereit zur Zusammenarbeit. Nach Meinung der nichtdeutschen ZionistInnen gab es auch eine gute Basis, um mit den Nazis ins politische Geschäft zu kommen: Juden raus! Und zwar nach Palästina, damit die ZionistInnen endlich ihren jüdischen Staat gründen konnten. Auf diese Weise versuchten sich Faschismus und Zionismus bis 1939 gemeinsam an der Lösung der „Judenfrage“.

Während andere Teile der jüdischen Weltbewegung versuchten, einen ökonomischen Boykott Deutschlands zu organisieren, was aus sozialrevolutionärer Sicht als bürgerlicher Antifaschismus kritisiert werden muss, schloss die Zionistische Weltorganisation, WZO, mit den Nazis ökonomische Geschäfte ab. Durch ein Transferabkommen (Haavara) zwischen den Nazis und den ZionistInnen konnten auswanderungsbereite deutsche Jüdinnen und Juden zwischen August 1933 und September 1939 ihr Kapital in Deutschland bei einer Transferbank einzahlen. Palästinensisch-zionistische Importeure nutzten dieses Kapital, um deutsche Waren zu kaufen und dann in Palästina weiterzuverkaufen. In Palästina erhielten dann die jüdisch-deutschen EinwandererInnen ihr eingezahltes Geld mit 30-50% Verlust zurück. Die nicht- und antizionistischen Juden und Jüdinnen überall auf der Welt – besonders die proletarischen – bekämpften diese faschistisch-zionistische Geschäftsbeziehung. Doch diese ließ den Zionismus in Palästina ökonomisch gewaltig erstarken. Etwa sechzig Prozent des Kapitals, das zwischen 1933 und 1939 in Palästina investiert wurde, stammt von jüdisch-deutschen EinwanderInnen.

Doch die ZionistInnen hätten gerne mit den Nazis noch enger zusammengearbeitet. Feivel Polkes, sozialdemokratischer „Arbeiter“-Zionist und Vertreter ihrer Miliz, der Hagana, traf sich am 26. Februar 1937 in Berlin mit Adolf Eichmann. Polkes bot den deutschen Nazis an, dass die „ArbeiterInnen“-ZionistInnen die deutschen außenpolitischen Interessen im Vorderen Orient tatkräftig unterstützen und auch ein wenig für sie spionieren würden, die Nazis sollten dafür ihre Devisenverordnungen für nach Palästina auswandernde deutsche Jüdinnen und Juden lockern. Doch die Nazis gingen auf dieses politische Geschäft nicht ein.

Am weitesten ging die rechtszionistische Sterngruppe, die nach Abraham Stern benannt wurde und sich selbst als „totalitär“ bezeichnete. Sie bot den deutschen Nazis 1941 die militärische Zusammenarbeit im Zweiten Weltkrieg an. Doch die Nazis gingen auf dieses Angebot nicht ein. Im demokratisch-zionistischen Israel wurde das ehemalige Mitglied der Stern-Gruppe Yitzhak Yzernitzky Außenminister und Ministerpräsident, während Stern selbst durch eine Briefmarke geehrt wurde. Und heute wagt es dieses reaktionäre zionistische Pack eine moralisierende Gesinnungsdiktatur auszuüben und jede wirkliche Kritik am Zionismus und am Staat Israel als „antisemitisch“ zu denunzieren! Der antifaschistische Moralismus hilft der zionistischen Reaktion dabei prächtig – weit über die so genannten „Antideutschen“ hinaus. Neben der Verklärung der Demokratie und des Zweiten Weltkrieges gehört die Verschleierung des sozialreaktionären Charakters des Zionismus zu den widerlichsten und ekelhaftesten Erscheinungen des Antifaschismus.

Jedoch weil der deutsche Faschismus nicht auf die Avancen eines Teil der ZionistInnen einging, verbündete sich der jüdische Nationalismus in Palästina mit dem britischen Imperialismus. Die ZionistInnen bildeten noch während des Zweiten Weltkrieges Milizen, über die Peter Jacobs schrieb: „Die Hagana bildete 1941, von den Briten geduldet, die Palmach (Sturmkommando), die deutsche Truppen mit Partisanengruppen bekämpfen sollte, falls es Hitlers Afrikakorps gelänge, nach Palästina vorzustoßen. Palmach-Leute sprangen später über dem besetzten Griechenland und anderswo hinter den feindlichen Linien ab und leisteten den westlichen Alliierten manchen wertvollen Dienst mit Aufklärungs- und Sabotageaktionen. (Anmerkung der AST: Dieses Lob des staatskapitalistischen Ideologen Jacobs für die Handlangerdienste des Zionismus für den alliierten Imperialismus versteht sich von selbst, gab es doch zu dieser Zeit das antifaschistisch-reaktionäre Bündnis zwischen dem sowjetischen Staatskapitalismus und den privatkapitalistischen Demokratien.) Ihre Führer freilich dachten schon zu dieser Zeit daran, die militärischen Erfahrungen für den bevorstehenden Kampf um die zionistische Herrschaft über Palästina zu verwerten. Die Palmach wurde zum Stoßtrupp in den Kämpfen zwischen 1945 und 1949 und bildete nachher die Elitetruppe der israelischen Armee. Yigal Allon, später stellvertretender israelischer Ministerpräsident, begann seine Offizierskarriere in der Palmach.

Neben der Hagana und ihren Ablegern, radikaler noch und rücksichtslosem Terror verschrieben, bereitete sich die 1937 gegründete Geheimorganisation Irgun auf die Entscheidungsschlacht vor. Ihr führender Kopf war seit 1943 der ein Jahr zuvor eingewanderte Menachem Begin. Die Irgun organisierte zu dieser Zeit in Palästina Menschenraub, Lynchmorde und das Massaker von Deir Yassin. Die britischen Behörden setzten Begin an die Spitze ihrer Liste der meistgesuchten Verbrecher. 1977 brachte es Begin in Israel zum Ministerpräsidenten.

(Anmerkung der AST: Die RevisionistInnen planten schon in den 1930er Jahren den bewaffneten Aufstand gegen die britische Mandatsmacht in Palästina. Als der revisionistische Führer Begin im Mai 1942 in Palästina ankam, fand er den dortigen Revisionismus in einem Zerfallsprozess vor. Er wurde zum Anführer der revisionistischen Miliz Irgun und begann diese zu reorganisieren. Die Miliz der ArbeiterInnenzionistInnen, die Hagana, begann die Irgun an der Seite des britischen Imperialismus anzugreifen, doch der revisionistische Zionismus schlug nicht offensiv gegen die Hagana zurück. Die RevisionistInnen planten schon den zukünftigen gemeinsamen bewaffneten Kampf mit der Hagana gegen den britischen Imperialismus nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Irgun griff auch nie militärische Ziele an, um sich nicht nachsagen zu lassen sie behindere die britische Seite des imperialistischen Kriegsgemetzels. So war der revisionistische Aufstand gegen die britische Mandatsmacht im Januar 1944 rein symbolisch, mit dem die Briten schnell fertig wurden.)

Von der Irgun spaltete sich 1940 die Lechi ab (auch Sternbande genannt, nach ihrem Begründer Abraham Stern). Sie spezialisierte sich auf den individuellen Terror. Am 6. November 1944 ermordeten Lechi-Mitglieder in Kairo den britischen Staatsminister Lord Walter Edmund Moyne. Militärischer Operationschef der Lechi war von Anfang an der spätere Nachfolger Begins im Amt des israelischen Ministerpräsidenten Jitzhak Shamir.“ (Peter Jacobs, Der Aufstand der Steine, a.a.O., S. 52/53.)

Als in Europa der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, begannen die zionistischen Milizen Hagana („ArbeiterInnenzionismus“), Irgun (Revisionistischer Zionismus), Lechi (Sterngruppe) ihren Terrorkrieg gegen den britischen Imperialismus. Zwischen September 1945 und Juli 1946 griffen die drei zionistischen Milizen Kasernen, Landebahnen und Eisenbahnlinien an. So detonierten am 31. Oktober 1945 im Hafen von Haifa mehrere Bomben.

Peter Jacobs schrieb über den reaktionären zionistischen Untergrundkrieg gegen den britischen Imperialismus: „Wie eine Feuerwerkskaskade zündeten zionistische Saboteure Sprengsätze im ganzen Land. Brücken flogen in die Luft, Polizeistationen fielen in Trümmer, der Bahnhof von Lydda brannte, und die Eisenbahnlinie von Haifa nach Al-Kantara am Suezkanal wurde an mehr als 50 Stellen unterbrochen.

Aus dem Untergrund meldete sich die Radiostation Kol Israel, die sich auch Stimme des Widerstands nannte und die die Schläge gegen die neuralgischen Punkte der Mandatsmacht koordinierte. Zionisten verbreiteten Terror im gelobten Land.

Den spektakulärsten Bombenanschlag erlebte am 22. Juli 1946 Jerusalem. An diesem heißen, trockenen Sommertag stieg über dem Zionsberg wie ein Fanal eine Staubwolke auf. Bis zur Al-Aksa-Moschee und zum Damaskustor war eine Erschütterung zu spüren. Eine Explosion von 350 Kilogramm TNT-Sprengstoff riss den Südflügel des ,König David‘-Hotels weg, jener mit altorientalischem Prunk ausgestatteten Luxusherberge, in der sich das militärische Hauptquartier der britischen Mandatstruppen befand. Rettungsmannschaften bargen später 91 Tote, darunter 41 Araber, 17 Juden und 28 Briten.“ (Peter Jacobs, Der Aufstand der Steine, a.a.O., S. 53/54.) Bei Wikipedia können wir über den Anschlag auf das König David Hotel lesen: „Im letzten Moment zog sich die Hagana zurück und der Irgun unter Führung des späteren Premierministers Menachem Begin führte den Anschlag alleine aus.“ (Wikipedia, Stichwort Palästina [Region].)

Der britische Imperialismus ging mit Gegengewalt gegen die zionistische Offensive vor, worüber wir bei Wikipedia lesen können: „Die britische Verwaltung konnte diesen Zustand nicht länger dulden. Die Palestine Police plante darum zusammen mit dem britischen Militär eine Operation, die die jüdischen Gruppen schwächen sollte. Darum begann die britische Armee mit massiven Schlägen gegen die jüdischen Untergrundbewegungen. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich 100.000 Mann der britischen Armee in Palästina. Es gab Ausgangssperren in den größeren Städten; das Gebäude der Jewish Agency wurde durchsucht und Akten beschlagnahmt. 4000 Juden, unter ihnen etwa Mosche Scharet und Jitzchak Rabin, wurden verhaftet. Golda Meir wurde als Frau verschont. Ben Gurion hielt sich gerade in Frankreich auf.“ (Ebenda.)

Doch Palästina wurde nach dem Zweiten Weltkrieg nicht nur vom chauvinistisch-reaktionären Konkurrenzkampf zwischen Zionismus und britischem Imperialismus erschüttert, sondern auch vom proletarischen Klassenkampf, in dem jüdische und arabische ArbeiterInnen gemeinsam agierten. So brachen 1946 und 1947 „in Haifa Streiks aus, bei denen jüdische und arabische Arbeiter solidarisch Seite an Seite gekämpft haben (Arbeiter und Angestellte des Staates, die in der Petroleum-Raffinerie beschäftigt waren). Dennoch wuchs der Chauvinismus auf beiden Seiten, da sich die internen Spannungen zwischen Juden und Arabern verschärften und von der KP Konzessionen an den Chauvinismus gemacht wurden. Die KP besaß einen großen Einfluss unter den arabischen Arbeitern. Eine zionistische Provokation bewirkte in der Raffinerie von Haifa ein Massaker gegen die jüdischen Arbeiter, an dem die am wenigsten bewussten arabischen Arbeiter teilnehmen. Seit diesem Zeitpunkt weicht die Solidarität der Klassen dem Partikularismus. Die jüdischen und arabischen Arbeiter treiben eigene Forderungen, insbesondere in Bezug auf ihre Sicherheit, voran. Der Krieg von 1948 fügt zu den ideologischen Barrieren, die das jüdische und arabische Proletariat trennt, noch das materielle Hindernis der Staatsgrenze hinzu.“ (Nathan Weinstock, Das Ende Israels?, a.a.O., S. 212.)

Das Sein und Bewusstsein des proletarischen Klassenkampfes war also viel zu schwach, um über die Nationalismen zu siegen, so siegten die Nationalismen als Klassenkampf der Bourgeoisie gegen das Proletariat. Jüdische und arabische ProletarierInnen schlugen und schlagen sich im Interesse der jüdischen und arabischen Bourgeoisie den Schädel ein…

Der Zionismus triumphierte 1948 über die UNO, dieser imperialistischen Institutionalisierung der internationalen Gemeinschaft der Nationalstaaten, den britischen Imperialismus, den palästinensischen Nationalismus und das multiethnische Proletariat Palästinas.

Besonders Ben Gurion erkannte, dass mit Gewalt allein der britische Imperialismus nicht zu besiegen war. Er setzte auf die „internationale Gemeinschaft“ – ganz besonders auf den US-Imperialismus, wie wir auch bei Wikipedia lesen können: „Seit Mai 1946 verfolgte David Ben Gurion eine neue Strategie, um Druck auf die USA auszuüben. Er förderte nach Pogromen etwa in Polen die Einwanderung von osteuropäischen Juden nach Deutschland, Österreich und Italien, damit diese in den Einflussbereich der Amerikaner kämen und diese damit zum Handeln zwängen. Dies wurde als die Bricha-Bewegung bekannt. Die Hagana begann, osteuropäische Juden schon in Deutschland im Hebräischen zu unterrichten. Im Lande wurden jüdische Siedlungen an strategisch wichtigen Orten eingerichtet. Beispielsweise wurden an Jom Kippur 1946 zehn Siedlungen im nördlichen Negev gegründet. Gleichzeitig begannen die Vorbereitungen für den Krieg. Man begann militärisch nicht mehr in kleinen Einheiten wie im Widerstand gegen die Mandatsmacht zu denken. Wichtige Organisatoren der Hagana zu dieser Zeit waren Mosche Sneh, Jisrael Galili und Jaakow Dori; Chef der Operationsabteilung der Hagana war Jigael Jadin.

Es ist unter Historikern immer noch umstritten, wer oder was den Rückzug der Briten letztlich bewirkte. Es gab unbestreitbar wichtige britische Interessen in der Region. Die Interessen der Briten in diesem Gebiet lagen insbesondere in der Mittellage zu Indien begründet. Und tatsächlich, als Indien 1947 geteilt und unabhängig wurde, versuchte das Vereinigte Königreich das Mandat erst an die USA dann an den Völkerbund zurückzugeben. Ein wichtiger Punkt waren die Ölreserven der Region – eine Pipeline verlief etwa vom Irak zum wichtigen Hafen Haifas. Die Lage des Landes am Mittelmeer und in relativer Nähe zum Suez-Kanal war ebenfalls von strategischer Bedeutung. Der britische Generalstab sah die Region deshalb für den Fall eines Dritten Weltkrieges als unverzichtbar an. Allerdings waren sich die Briten der Tatsache bewusst, dass sie weder von Juden noch von Arabern im Land gewünscht waren. Das militärische Engagement war zudem sehr kostspielig, auch kam es zu nicht unerheblichen Verlusten an Menschenleben. Die öffentliche Meinung im Königreich stand dem Mandat, besonders aufgrund der Meldungen über den jüdischen Widerstand, zunehmend ablehnend gegenüber. Hinzu kam der Druck der USA. Die Abhängigkeit des Königreiches von amerikanischer Wiederaufbauhilfe in Milliardenhöhe gerade nach dem harten Winter wird deshalb sicherlich eine Rolle gespielt haben.“ (Wikipedia, Stichwort Palästina [Region].)

Die UNO-Unterorganisation UNSCOP (United Nations Special Committee on Palestine) begann sich unter dem Vorsitz des schwedischen Juristen Emil Sandström in Palästina einzumischen. Sie trat für die Teilung Palästinas in einen arabischen und in einen jüdischen Staat ein. Diese imperialistisch-nationalistische Teilung Palästinas wurde von den meisten damaligen Nationalstaaten unterstützt, auch vom sowjetisch geführten staatskapitalistischen Block. Nur das staatskapitalistische Jugoslawien, was sich gerade vom sowjetischen Imperialismus loslöste, Indien und der Iran traten für einen binationalen und föderalistischen Staat ein. Am 29. November 1947 beschloss die UNO-Vollversammlung die Teilung Palästinas. Nach diesem UNO-Plan sollte das britische Mandat über Palästina spätestens bis zum 1. August 1948 erlöschen. An dessen Stelle sollten ein palästinensisch-arabischer und ein palästinensisch-jüdischer Staat treten. Die „internationale Gemeinschaft“ der privat- und staatskapitalistischen Nationen wollte außerdem aus Jerusalem eine „internationalisierte“ Stadt machen. Der UNO-Imperialismus wollte Palästina nach Staatsgebieten teilen, wo entweder „die Juden“ oder „die Araber“ eine Mehrheit bildeten, beide Staaten und Jerusalem sollten eine Föderation bilden. Nach diesem Beschluss hätte der jüdische Staat ein Territorium von 14.900 Quadratkilometern gehabt, etwa 56 Prozent des Gebietes Palästina. Der arabisch-palästinensische Staat hätte nach dem Willen der UNO über 11.000 Quadratkilometer (42 Prozent Palästinas) Boden verfügt und Jerusalem über 2 Prozent.

Doch es ging nicht nach dem Willen der „internationalen Gemeinschaft“ der Nationalstaaten. Es kam zu einem blutigen Konkurrenzkampf zwischen palästinensischen Nationalismus und Zionismus, bei dem das Proletariat verheizt wurde.

Israel und palästinensischer Nationalismus

Bei der Staatsgründung Israels 1948 vertrieb der Zionismus als jüdischer Nationalismus rund 750.000 palästinensische AraberInnen, die seitdem vorwiegend als Flüchtlinge in arabischen Staaten oft im sozialen Elend leben. Der kapitalistisch-reaktionäre Staat Israel war kaum gegründet, da überfielen die reaktionären arabischen Nachbarstaaten Ägypten, Jordanien, Syrien, Libanon und Irak am 15. Mai 1948, kurz nach 0 Uhr, das zionistische Regime. Das Hauptziel des Krieges war die Verhinderung eines jüdischen Staates. Da sich Kriege immer auch gegen die Zivilbevölkerung richten, ging in diesem Krieg der reaktionäre arabisch-nationalistische Antizionismus nahtlos in den Antijudaismus über, so wie auf Seiten Israels der Zionismus immer antiarabischer und rassistischer wurde. Außerdem wolle Jordanien sich durch den Krieg das Westjordanland einverleiben, was die anderen am Krieg teilnehmenden arabischen Regimes verhindern wollten. Doch die arabische Offensive wurde schon bald durch die israelische Gegenoffensive aufgehalten und umgekehrt.

Dieser Krieg war natürlich von allen Seiten sozialreaktionär, einfach aus dem Grund, weil dessen Subjekte, die Nationalstaaten, objektiv nur reaktionär sein können. Bei dem internationalen Schlagen und Vertragen der Nationalstaaten und Nationalkapitale, dürfen SozialrevolutionärInnen niemals eine Seite wählen, denn die globalen Kooperationen und ökonomischen, politisch-diplomatischen, ideologischen und militärischen Konkurrenzkämpfe zwischen ihnen gehen alle auf Kosten des Proletariats. Bei dieser grundsätzlichen Haltung, die sowohl den bürgerlichen Frieden als auch den imperialistischen Krieg zwischen Nationalstaaten kompromisslos bekämpft, ist es unerheblich, welche politische Staatsformen die Kontrahenten haben oder wer den Krieg angefangen hat. Das Pack schlägt und verträgt sich – und zwar immer auf Kosten des Proletariats. Proletarische und intellektuelle RevolutionärInnen bekämpfen auch den bürgerlichen Frieden als imperialistischen Vor- und Nachkrieg und als besondere Form des Klassenkrieges von oben, den die Bourgeoisie gegen das Proletariat führt.

Das imperialistische Gemetzel von 1948/49 war dann auch eines auf Kosten der jüdischen und arabischen Zivilbevölkerung, also des KleinbürgerInnentums und des Proletariats. Nach offiziellen Angaben Israels starben in diesem imperialistischen Krieg 5.700 bis 5.800 Juden und Jüdinnen, davon waren rund 25 Prozent ZivilistInnen. Ekelhafte Leichenmathematik! Die offizielle ägyptische Leichen- und Krüppelstatistik zählte 1.400 Tote und 3.731 Kriegsversehrte der „eigenen“ Nation während des Krieges von 1948.

Dieses imperialistische Gemetzel endete im Jahre 1949 mit separaten Friedensverhandlungen zwischen Israel und den arabischen Regimes unter Oberaufsicht des internationalen Schiedsgerichts der Nationalismen, der UNO. Dem imperialistischen Krieg folgte ein imperialistischer Frieden. Den Gazastreifen verleibte sich Ägypten ein, während Jordanien das Westjordanland annektierte. Die Stadt Jerusalem wurden durch Israel und Jordanien geteilt, wobei Westjerusalem zu Israel kam und Ostjerusalem zu einem Teil Jordaniens wurde. Diese territorialen Ergebnisse des imperialistischen Krieges und Friedens von 1948/49 sollten durch den nächsten imperialistischen Krieg von 1967 revidiert werden. Außerdem brachte der imperialistische Krieg und Frieden 1948/49 Israel international anerkannte Grenzen, die ein Territorium umfasste, welches rund 75 Prozent Palästinas ausmachten.

In Folge des Prozesses der Staatsgründung Israels und des Krieges von 1948/49 flüchteten bis zu 750.000 palästinensische AraberInnen oder wurden von der zionistischen Sozialreaktion vertrieben. Diejenigen, die nicht flüchteten oder vertrieben wurden, bekamen zwar die israelische StaatsbürgerInnenschaft, blieben aber eine vom Zionismus diskriminierte Minderheit. Um die palästinensischen Flüchtlinge in den Flüchtlingslagern in den arabischen Staaten – vor allem in Jordanien (Westjordanland), Ägypten (Gazastreifen), Libanon und Syrien – „kümmerte“ sich die UN-Organisation Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). Die UNO war und ist nicht nur ein internationales Schiedsgericht, sondern auch eine Art globales Sozialamt für die untersten Schichten des Proletariats, um den „sozialen Frieden“ des Weltkapitalismus zu stabilisieren. Als Israel im Oktober 2024 das Wirken der UNRWA auf seinem Territorium sowie in den besetzten palästinensischen Gebieten verbot, war das Teil seines rassistischen Massenmordes.

Seit dem Krieg gegen arabische Staaten von 1967 besetzt Israel die palästinensischen Gebiete Ostjerusalem, Westjordanland und Gazastreifen. Das zionistische Regime Israels ließ die palästinensischen NationalistInnen ab 1994 im Gazastreifen und Westjordanland ein wenig Autonomie spielen. Die Palästinensische Autonomiebehörde ist eine strukturelle Klassenfeindin des Weltproletariats. In Westjordanland regierten die Politbonzen der Fatah, im Gazastreifen herrschte seit 2007 die islamistische Hamas. Während die Fatah offiziell den militärischen Kampf gegen Israel aufgegeben hat, führte ihn die Hamas weiter. Während Fatah und PLO für einen palästinensischen Staat auf den Territorien der von Israel besetzten Gebiete Ostjerusalem, Westjordanland und Gazastreifen kämpfen, ist das Ziel der IslamistInnen die nationalistische Zerschlagung Israels und ein palästinensischer oder panarabischer Staat, der sich mindestens über die Territorien des heutigen Israel und die von ihm besetzten palästinensischen Gebiete erstrecken soll. Der palästinensische Nationalismus war und ist Spielkarte arabischer Regimes, zum Beispiel Katars und Irans. In der Vergangenheit wurde er vom Block staatskapitalistischer Nationen unter Führung des sowjetischen Imperialismus unterstützt.

Während der Staat Israel 2005 die zionistischen Siedlungen im Gazastreifen auflösen ließ und auch die israelische Armee dieses Gebiet räumte – allerdings es nach dem Wahlsieg der Hamas 2006 blockierte –, forcierte er den Siedlungsbau im Westjordanland. Dort befanden sich 2018 133 von Israel unterstützte zionistische Siedlungen, in denen 448.672 Menschen lebten. Außerdem ist dieses Gebiet von der israelischen Armee besetzt. Das Westjordanland ist von einer Sperranlage umgeben. 85 Prozent des Territoriums verlaufen innerhalb des Westjordanlandes und etwa 15 Prozent direkt entlang der Grünen Linie. Palästinensische Menschen in Westjordanland werden von der israelischen Apartheid-Demokratie massiv unterdrückt. Gegen diese Unterdrückung hilft jedoch keine nationale „Befreiung“, sondern nur die sozialrevolutionäre Nullstaatenlösung, der Kampf für die klassen- und staatenlose Weltgemeinschaft. Zionismus und palästinensischer Nationalismus rieben sich aneinander und luden sich gegenseitig auf – zum permanenten blutigen Amoklauf.

Indem der Zionismus sowohl die PalästinenserInnen mit israelischer StaatsbürgerInnenschaft als auch jene in den besetzten palästinensischen Gebieten Ostjerusalem, Gazastreifen und Westjordanland objektiv diskriminiert, ist er strukturell rassistisch, der Träger eines Apartheidregimes. Bis zum Gemetzel ab dem Oktober 2023, dass Islamismus und Zionismus arbeitsteilig-konkurrenzförmig in Israel/Palästina organisieren, war der letztgenannte auch ein Ausbeutungsrassismus, der die billige Arbeitskraft von palästinensischen ProletarierInnen in Israel ausbeutete. Der palästinensische Nationalismus war und ist vom Islamismus bis zum Marxismus-Leninismus absolut sozialreaktionär. Ein palästinensischer Staat kann nur kapitalistisch-sozialreaktionär sein. Indem die palästinensisch-nationalistischen Organisationen von den islamistischen bis zu den marxistisch-leninistischen in der Praxis zur Gewaltanwendung gegen die jüdische Zivilbevölkerung bereit waren und sind, bilden sie objektiv eine Spielart eines strukturellen nationalistischen Antijudaismus. Ideologisch geht der palästinensisch-nationalistische Antizionismus fließend in Antijudaismus über.

Die islamistische Hamas nahm in ihrem fanatischen Konkurrenzkampf gegen Israel – unter anderem durch den regelmäßigen Beschuss mit Kassam-Raketen und durch Terroranschläge – die Zivilbevölkerung des Gazastreifens in Geiselhaft. Auch benutzten die islamistischen Mordbuben den permanenten Krieg gegen den Zionismus als Vorwand, um die Bevölkerung des Gazastreifens zu indoktrinieren und zu terrorisieren. Die Hamas richtete seit 2007 regelmäßig Menschen, die sie der Kollaboration mit Israel beschuldigte.

Die israelische Armee und der zionistisch-rassistische SiedlerInnen-Mob überzogen die palästinensische Zivilbevölkerung ebenfalls mit Terror. Das zionistische Regime Israels und die Hamas führten einen permanenten Krieg gegeneinander. Sie brauchten sich einander, um den sozialen Protest in Israel und im Gazastreifen im Nationalismus ersticken zu können. Ganz besonders, seitdem Israel seit November 2022 von einem extremen zionistisch-rassistischen Regime regiert wird.

In dieser permanenten Geschichte des gegeneinander Massakrierens gab es einige Episoden, in denen die Intensität zunahm und mensch deshalb von einzelnen Kriegen sprechen kann. So entfaltete sich vom 10. Mai bis zum 21. Mai 2021 der Israel-Gaza-Konflikt, die auch Operation Guardian of the Walls genannt wurde. Bei diesem Massaker kamen mindestens 248 PalästinenserInnen – unter ihnen 66 Kinder – und 13 Israelis ums Leben. Dieses Gemetzel wurde am 21. Mai 2021 durch eine Waffenruhe beendet.

Das islamistisch-zionistische Massaker ab dem 7. Oktober 2023

Am Morgen des 7. Oktobers 2023 griffen die palästinensischen NationalistInnen vom Gazastreifen aus Israel an. Die militärischen Einheiten der Hamas überfielen viele Kibbuzim und kleine Ortschaften im Grenzgebiet. Auch gelang es ihnen, einen israelischen Militärstützpunkt vorübergehend zu überrennen. Dem islamistisch-nationalistischen Pack fielen hauptsächlich jüdische ZivilistInnen zum Opfer. Insgesamt starben bei dem Massaker 815 ZivilistInnen und 384 SoldatInnen. Die Hamas-ReaktionärInnen verschleppten viele ZivilistInnen, aber auch einige SoldatInnen in den Gazastreifen, insgesamt 251 Menschen. Außerdem schossen die IslamistInnen 5.000 Raketen auf Israel.

An diesem nationalistisch-sozialreaktionären Überfall nahm auch die palästinensische Linksreaktion in Form der marxistisch-leninistischen Organisationen Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und die Demokratische Front zur Befreiung Palästinas (DFLP) teil. Durch die reaktionäre Ideologie von der nationalen „Befreiung“ ist der Leninismus in Palästina nur noch der Schwanz des Islamismus. Dieser Schmutz haftet auch an der globalen linksnationalen „Palästina-Solidarität“! Das sagen wir ganz klar, genauso klar, wie wir uns gegen die staatliche Repression gegen diese in den westlichen Demokratien wenden.

Die islamistische Hamas hat mit seinem Massaker an der jüdischen Zivilbevölkerung den Vorwand für den zionistischen Massenmord im Gazastreifen geliefert, dem inzwischen mehr als 43.000 Menschen zum Opfer gefallen sind. Der Zionismus hat seinen Ausbeutungsrassismus palästinensischer Arbeitskräfte eingestellt und ist zum Vernichtungsrassismus übergegangen.

Und das zionistische Regime rechtfertigt seinen Massenmord mit rassistischer Ideologie, der die palästinensischen Menschen entmenschlicht: „Ob Israels Präsident Isaac Herzog am 14. Oktober vergangenen Jahres (2023) auf einer Pressekonferenz verkündete: ,Es ist ein ganzes Volk, das verantwortlich ist. Diese Rhetorik über Zivilisten, die angeblich nicht involviert wären, ist absolut unwahr, (…) und wir werden kämpfen, bis wir ihr Rückgrat brechen‘, oder Premierminister Netanjahu schon am 8. Oktober (2023): ,Wir werden Gaza zu einer Insel aus Ruinen machen‘, oder der Sprecher der israelischen Armee Daniel Hagari am 10. Oktober (2023) in Haaretz: ,Wir werfen Hunderte Tonnen von Bomben auf Gaza. Der Fokus liegt auf Zerstörung, nicht auf Genauigkeit‘, oder Verteidigungsminister Joaw Gallant am 9. Oktober (2023) im Fernsehen: ,Es wird keinen Strom geben, keine Lebensmittel, keinen Treibstoff, alles ist geschlossen. Wir kämpfen gegen Tiermenschen und handeln entsprechend.‘ Oder der Generalmajor der israelischen Armee, Ghassan Allan, bei einer Ansprache am 9. Oktober (2023): ,Tiermenschen werden entsprechend behandelt, ihr wolltet die Hölle und ihr kriegt die Hölle‘ und ein Veteran der israelischen Armee, Ezra Yachin, am 13. Oktober (2023) bei einer Ansprache an Reservisten: ,Löscht ihre Familien aus, ihre Mütter und Kinder. Diese Tiere dürfen nicht länger leben.‘ Schließlich die Abgeordnete der Regierungspartei Tally Gotliv am 9. Oktober (2023) in der Knesset: ,Jericho-Rakete! Weltuntergangswaffe. Das ist meine Meinung. Mächtige Raketen sollen ohne Grenzen abgefeuert, Gaza zerschlagen und dem Erdboden gleichgemacht werden. Ohne Gnade.‘ Diese Sammlung offen genozidaler Äußerungen ließe sich bis in die unmittelbare Gegenwart ergänzen.“ (Norman Paech, Apartheid und die Folgen, in: junge Welt vom 23. Oktober 2024, S. 13.)

Fazit: Zionismus ist faktisch rassistischer Massenmord. In Deutschland kompensieren fast alle NationalistInnen – von der Mehrzahl der Rechtskonservativen bis zum Großteil der Linksliberalen – die „dunklen Jahre“ der deutschen Nationalgeschichte, den Nationalsozialismus (1933-1945) mit einem mörderischen Prozionismus. Der faschistische Judenmord wird durch deutsch-demokratische Hilfe beim zionistischen Massenmord wieder „gut gemacht.“ Nein, wir können wirklich nicht so viel fressen, wie wir kotzen mögen.

Zionismus ist faktisch massenmörderischer Rassismus. Wer das in Deutschland so klar sagt, bekommt mit der „Antisemitismus“-Keule eine übergebraten. Auch und gerade, wenn antizionistische Juden und Jüdinnen diese Klarsicht zeigen. Wir sind mit ihnen solidarisch!

Hoch die antinationale Solidarität des Weltproletariats!

Auch in Deutschland spalten Antijudaismus, Zionismus und palästinensischer Nationalismus das multiethnische und mulikulturelle Weltproletariat. Antijudaismus, Zionismus und palästinensischer Nationalismus sind Teil der nationalistischen Spaltungslinien. Ansatzweise können solche Spaltungslinien bereits im reproduktiven Klassenkampf im Rahmen des Kapitalismus überwunden werden. Aber um solche nationalistischen Amokläufe wie der im Nahen Osten progressiv und ein für alle Mal zu beenden, bedarf es der antinationalen Zerschlagung aller Nationalismen – einschließlich des Zionismus und des palästinensischen – durch das sich revolutionär selbst aufhebende Weltproletariat. Das ist die sozialrevolutionäre Nullstaatenlösung – eine klassen- und staatenlose Weltgemeinschaft.

Antinationale SozialrevolutionärInnen stehen zwischen allen Stühlen. Das ist genau die richtige Position, um in einer möglichen revolutionären Situation, in der sich der globale Klassenkampf zur Weltrevolution radikalisiert, die regierenden MordnationalistInnen von ihren Stühlen zu werfen und dorthin zu befördern, wo sie hingehören: in den Schmutz der Weltgeschichte.

Nieder mit dem zionistischen Regime Israel!

Gegen jeden Antijudaismus!

Nieder mit dem objektiv antijüdischen palästinensischen Nationalismus!

Hoch die antinationale Solidarität des Weltproletariats!

Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz

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Der deutsche Nationalpazifismus und seine kriegerischen KritikerInnen https://astendenz.blackblogs.org/2024/10/06/der-deutsche-nationalpazifismus-und-seine-kriegerischen-kritikerinnen/ Sun, 06 Oct 2024 22:52:45 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=262
BSW Führerin Sahra Wagenknecht hält auf der Friedensdemonstration in Berlin eine Rede, 3. Oktober 2024

Zur Friedendemonstration am 3. Oktober 2024 in Berlin

Der Pazifismus

Der Pazifismus tritt als bürgerliche Ideologie für Frieden und Kooperation zwischen den Staaten und für deren freiwillige kollektive Abrüstung ein. Das ist ein Berg aus Illusionen, der angesichts imperialistischer Gemetzel rasch in sich zusammenfällt. Zwischen kapitalistischen Staaten herrscht nun mal Konkurrenz und der Frieden zwischen ihnen ist lediglich die nichtmilitärische Form der Konkurrenz, der auf Hochrüstung beruht. Die Staaten werden niemals freiwillig kollektiv nennenswert abrüsten. Die Forderung an die Staaten, sie sollten das tun, ist illusorisch. Es kann nur eine wirkliche Abrüstung geben: die weltrevolutionäre Zerschlagung aller Staaten! Klassenkrieg statt bürgerlicher Frieden!

Bürgerlicher Frieden kann im Weltkapitalismus nur der Zustand zwischen den Kriegen sein. Die PazifistInnen behaupten Diplomatie sei eine Alternative zum imperialistischen Krieg. Dass die DiplomatInnen von denselben Staaten in Marsch gesetzt werden, die auch Armeen auf- und einmarschieren lassen, irritiert sie dabei nicht sonderlich. Die Diplomatie ist eine Waffengattung des nichtmilitärischen Konkurrenzkampfes, wo das wirtschaftliche und militärische Potenzial von Staaten als deren Basis immer die wichtigste Rolle spielt. Staatliche Diplomatie bereitet im Frieden den Krieg vor und im Krieg den Frieden, aber grundsätzlich verhindern kann und will sie den Krieg nicht.

Wenn Staaten ihre Interessen nicht diplomatisch durchsetzen können und sie meinen, sie müssten und könnten Krieg führen, dann tun sie es auch. Nur ein Atomkrieg können sie nicht siegreich gegeneinander führen. Das wäre der kollektive atomare Overkill. Aber Stellvertreterkriege wie in der Ukraine können und wollen sie führen. Die Gefahr eines Atomkrieges mit inbegriffen.

Der imperialistische Stellvertreterkrieg in der Ukraine

Die Ukraine war lange Bestandteil des russländischen und sowjetischen Imperiums. Dagegen kämpften ukrainische NationalistInnen. Der ukrainische Nationalismus war genauso reaktionär wie der russländische beziehungsweise der sowjetische Imperialismus. Sowohl im Ersten als auch im Zweiten Weltkrieg war der ukrainische Nationalismus eine Spielkarte in der Hand des deutschen Imperialismus. Gorbatschows Perestroika führte zur Kapitulation des sowjetischen Imperialismus im ersten Kalten Krieg und 1991 zum Zerfall der Sowjetunion. Dadurch entstanden sowohl Russland als auch die Ukraine als neue Nationalstaaten. Zwischen dem kollektiven Westen und Russland entfaltete sich am Anfang eine begrenzte Kooperation. Vor allem aber nutzte der westliche Imperialismus die Todeskrise des sowjetischen Staatskapitalismus beziehungsweise die Transformationskrise zum Privatkapitalismus in Russland zu einer Ostexpansion von EU und NATO, also in der vorherigen Einflusssphäre des Kremls, aus. Auch den imperialistischen Angriffskrieg gegen Jugoslawien 1999 führte die NATO gegen den Willen Moskaus.

Die Ukraine war kulturell-mental gespalten. Während sich im Westen des Landes der ukrainische Nationalismus entfaltete und eher prowestlich geprägt war und ist, war der Osten eher prorussisch. Die Ukraine lavierte lange zwischen dem westlichen und dem russischen Imperialismus. Das war ab 2013 nicht mehr möglich, weil sowohl der kollektive Westen als auch Russland die Ukraine im jeweils alleinigen Einflussgebiet haben wollte. Die EU strebte ein Assoziationsabkommen mit der Ukraine an, was Moskau durch Druckaufbau vorübergehend verhinderte. Im November 2013 lehnte der damalige ukrainische Präsident Janukowitsch das Assoziationsabkommen mit der EU ab. Daraufhin entfaltete sich auf dem Maidan eine reaktionäre Protestbewegung, die auch vom westlichen Imperialismus massiv unterstützt wurde. Die Maidan-Bewegung hatte einen prowestlich-demokratischen und einen ultranationalistisch-faschistischen Flügel. Letzterer wurde immer stärker zur militanten Avantgarde der reaktionären Bewegung. Deshalb bezeichnen wir diese als demokratisch-faschistische Sozialreaktion. SozialrevolutionärInnen mussten weltweit sowohl das Janukowitsch Regime und den russländischen Imperialismus als auch den imperialistischen Westen und die Maidan-Reaktion bekämpfen.

Im Februar 2014 stürzte die vom westlichen Imperialismus unterstützte Maidan-Reaktion durch einen Staatsstreich das Janukowitsch-Regime. Das entstehende prowestliche Regime ist extrem nationalistisch, blieb aber formal demokratisch. In dieser Demokratie sind FaschistInnen tief integriert. Ein extremer Ausdruck der demokratisch-faschistischen Sozialreaktion. Diese ging ultrarepressiv gegen Russischsprachige sowie gegen vermeintliche oder wirkliche prorussische Kräfte vor. Die Ukraine wurde auch ohne formelle Mitgliedschaft in EU und NATO fester Bestandteil des westlichen Imperialismus. Als solcher wurde sie lange vor dem russischen Einmarsch im Februar 2022 massiv von der NATO aufgerüstet.

Nach dem prowestlichen Staatsstreich vom Februar 2014 ging auch der russländische Imperialismus in die Offensive. Der Kreml annektierte im März 2014 die Halbinsel Krim. Diese hatte für Moskau als Stützpunkt seiner Schwarzmeerflotte eine große militärstrategische Bedeutung. Im Osten der Ukraine entwickelte sich im April 2014 der BürgerInnenkrieg. Es gelang prorussischen Kräften die sogenannten „Volksrepubliken“ Donezk und Lugansk zu gründen, gegen die der ukrainische Staat militärisch vorging. Der russländische Imperialismus unterstützte die beiden „Volksrepubliken“. Der ukrainische BürgerInnenkrieg war von Anfang an untrennbar mit dem zweiten Kalten Krieg zwischen russischen und westlichen Imperialismus verbunden. SozialrevolutionärInnen mussten sowohl das Kiewer Regime und den kollektiven Westen als auch die sogenannten „Volksrepubliken“ und den russländischen Imperialismus bekämpfen. Im BürgerInnenkrieg in der Ukraine wurden bis zum Einmarsch der russländischen Armee mehr als 14.000 Menschen getötet.

Es gab von Seiten der verfeindeten Imperialismen den Versuch, den BürgerInnenkrieg in der Ukraine diplomatisch zu befrieden. So wurden dann zwischen dem Regime in Kiew und den „Volksrepubliken“ im September 2014 und im Februar 2015 die beiden Waffenstillstandsabkommen Minsk I und Minsk II abgeschlossen. Die drei Garantiemächte dieses Waffenstillstandes waren Deutschland, Frankreich und Russland. Dieser Waffenstillstand wurde von beiden Seiten immer wieder gebrochen. Der in Minsk II versprochene besondere Status für die nicht vom ukrainischen Regime kontrollierten Donbass-Gebiete wurde nicht umgesetzt. Kurz vor der imperialistischen Invasion des Kremls in der Ukraine forcierte das Kiewer Regime seine militärischen Angriffe gegen die „Donbass-Republiken“.

In den Monaten vor der imperialistischen Invasion Russlands in der Ukraine begann Moskau militärisch und diplomatisch aufzurüsten. Der Kreml konzentrierte Truppen an der ukrainischen Grenze und verlangte ultimativ vom westlichen Imperialismus ein Ende der NATO-Osterweiterung, worauf dieser selbstverständlich nicht einging. Der kollektive Westen wiederum warnte Moskau vor einer militärischen Invasion in der Ukraine und drohte mit einer harten Antwort. Die Diplomatie konnte den imperialistischen Interessengegensatz zwischen dem Westen und Russland nicht mehr ausbalancieren. So knallte es wie bereits 2013/14 im Februar 2022 abermals in der Ukraine.

Am 21. Februar 2022 erkannte der Kreml die „Volksrepubliken“ auch formal an. Ab dem 24. Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. An dem Angriffskrieg Moskaus nahmen auch die „Volksrepubliken“ im Donbass teil. Auch Belarus war am gegenseitigen Abschlachten in der Ukraine beteiligt. Um die NATO von einer direkten Teilnahme am Gemetzel in der Ukraine abzuhalten, versetzte Russlands Präsident Putin die „Abschreckungswaffen“ – wozu auch die Atomwaffen gehören – in Alarmbereitschaft. Doch selbstverständlich hätte auch Russland den atomaren Gegenschlag des westlichen Imperialismus nicht überlebt. Moskau war gezwungen, die Führung des indirekten Krieges des kollektiven Westens gegen Russland hinzunehmen, wenn es nicht einen atomaren Overkill riskieren wollte.

Der indirekte Krieg des westlichen Imperialismus gegen Russland besteht in der Aufrüstung der Ukraine, deren Versorgung mit Geheimdienstinformationen und der Ausbildung ukrainischer Streitkräfte. Die Ukraine instrumentalisiert die NATO, um sich als Nation zu behaupten und die NATO die Ukraine, um Russland entscheidend zu schwächen. Für alle Imperialismen stellen lebende Menschen nichts als Figuren des großen Spiels dar. Außerdem führt der kollektive Westen einen massiven Wirtschaftskrieg gegen Russland. Durch das militärische Gemetzel in der Ukraine sowie den Wirtschaftskrieg sind die Preise für Lebens- und Düngemittel sowie für Energie enorm gestiegen. Das Massaker in der Ukraine sowie der Wirtschaftskrieg ist verschärfter Klassenkampf von oben gegen das Weltproletariat.

Zunächst war das sichtliche Ziel Moskaus Kiew einzunehmen, um das prowestliche Regime zu stürzen. Jedoch stieß der russische Imperialismus, wie zu erwarten war, auf den erbitterten Widerstand des ukrainischen Nationalismus. Deshalb gab der russische Imperialismus dieses ursprüngliche Ziel Ende März 2022 auf und konzentrierte sich auf das Gemetzel in der Ost- und Südukraine. Inzwischen hat Russland die davor ukrainischen Gebiete Donezk, Lugansk, Saporischschja und Cherson annektiert. Die ukrainische Gegenoffensive war nicht sehr erfolgreich, führte allerdings 2024 zu Angriffen auf dem Boden Russlands. Dies zeigt, wie relativ „Angriff“ und „Verteidigung“ in einem imperialistischen Gemetzel sind.

Das BSW – Avantgarde des deutschen Nationalpazifismus

Den Wirtschafts- und den indirekten militärischen Krieg, den Deutschland als Teil der EU und NATO ab der russländischen Invasion in der Ukraine ab Februar 2022 gegen Moskau führt, lehnt Wagenknecht von nationalistischen Positionen ausgehend ab. Im Gegensatz zu den Linksliberalen in ihrer ehemaligen Partei, Die Linke, die größtenteils auch durch Waffenlieferungen den ukrainischen Nationalismus gegen Russland unterstützen wollen.

Der Begriff „Nationalpazifismus“ ist geradezu maßgeschneidert für Frau Wagenknecht. Eine Nationalpazifistin wie sie ist für Diplomatie statt Krieg in der Ukraine. Und vor allem gegen den Wirtschaftskrieg gegen Russland, der auch für das deutsche Nationalkapital durch den Anstieg der Energiekosten eine größere Belastung darstellt. Wagenknecht legt sich mächtig gegen den Wirtschaftskrieg ins Zeug, wobei sie objektiv den Unwillen jener Einzelkapitale zum Ausdruck bringt, deren Geschäfte er beeinträchtigt. Während die Hardcore-ImperialistInnen für einen Siegfrieden der NATO/Ukraine gegen Russland eintreten und dafür massenhaft Menschenleben zu opfern bereit sind, kämpft Frau Wagenknecht für einen Kompromissfrieden zwischen dem kollektiven Westen und Moskau, bei der die Ukraine wahrscheinlich einige Federn lassen müsste. Während die Hardcore-ImperialistInnen im Westen die Ukraine als Schlachtfeld nutzen, um Russland zu schwächen, wird das Land bei NationalpazifistInnen zum Verhandlungsgegenstand. Der bürgerliche Frieden innerhalb des Kapitalismus ist eben keine progressive Alternative zum imperialistischen Krieg.

Deshalb bekämpfen antipolitische SozialrevolutionärInnen sowohl die kriegsgeilen Baerböcke als auch die nationalpazifistischen Wagenknechte. Für sie gehören sowohl Russland als auch die NATO/die Ukraine zu ihren strukturellen Klassenfeinden. Wir treten nicht für einen Schacherfrieden zwischen den kapitalistischen Ausbeuterstaaten ein, sondern für den kompromisslosen Klassenkrieg zu deren antipolitisch-sozialrevolutionären Zerschlagung. Die soziale Revolution entwickelt sich möglicherweise aus der extremen Radikalisierung des proletarischen Klassenkampfes in tiefen Krisensituationen. Als kleine Minderheit bereiten heutige antipolitische SozialrevolutionärInnen durch ihre scharfe Kritik an allem Bestehenden die mögliche Revolution praktisch-geistig vor.

Die Berliner Friedensdemonstration am 3. Oktober und ihre sozialreaktionären KritikerInnen

In ihrer Rede auf der Berliner Friedensdemonstration am 3. Oktober 2024 zog Wagenknecht alle Register ihres demagogischen Könnens. Erst mal stellte sie dem antirussischen Chauvinismus der regierenden Charaktermasken Deutschlands ihren oppositionellen deutschnationalen Antiamerikanismus gegenüber: „Wenn Putin ein Verbrecher ist, was ist mit den ganzen US-Politikern, die die vielen Kriege in den letzten Jahren verantwortet haben?“ Für Wagenknecht sei jeder ein Verbrecher, der einen Krieg beginne. Da haben wir wieder die Unterscheidung zwischen „Angriff“ und „Verteidigung“, die die imperialistische Konkurrenz verschleiert.

Außerdem ist die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock für Wagenknecht eine schlechte regierende Charaktermaske, „ein Sicherheitsrisiko für Deutschland“. Klar, Sahra würde das besser machen, das Regieren von Deutschland. Sie würde sich nicht von Washington Raketen in das Land stellen lassen. (Alle Wagenknecht-Zitate von der Demonstration am 3. Oktober 2024: www.zeit.de/politik/deutschland/2014-10/friedensdemo-berlin-nie-wieder-krieg-ukraine-gaza-sahra-wagenknecht.)

Die nationalpazifistischen OrganisatorInnen der Berliner Friedensdemonstration treten für einen imperialistischen Schacherfrieden zwischen dem kollektiven Westen und dem Kreml ein – gegen den und auf Kosten des ukrainischen Nationalismus. In den Worten des Mitgliedes der Initiative „Nie wieder Krieg – Die Waffen nieder“ und Mitorganisatorin der Demonstration, Jutta Keusch-Henken: „Deutschland muss sich dafür stark machen, Verhandlungen zu führen. Das ist der einzige Weg, wie dieses Grauen in der Ukraine (…) beendet werden kann. Will die Ukraine verhandeln? Ist mir nicht bekannt. Putin erklärt zumindest immer mal wieder, er verweigere keine Verhandlungen. (…) Zum anderen wurde verlangt (…): dass Russland zuerst mal aus der Ukraine abziehen muss. Das zu fordern, ist unrealistisch. Verhandlungen müssen auf einer Basis stattfinden, auf der man Kompromisse finden kann. Aber dass Russland von der Krim und von allem wieder abzieht, ist illusorisch.“ (Zitiert nach: „Nur Verhandlungen können dieses Grauen beenden.“ Ein Gespräch mit Jutta Keusch-Henken, in: junge Welt vom 28./29. September 2024, S. 3.)

So wie der imperialistische Stellvertreterkrieg zwischen NATO und Russland auf Kosten der ukrainischen Zivilbevölkerung geführt wird, wollen die NationalpazifistInnen auf deren Kosten mit dem Kreml Frieden schließen. Ein solcher Frieden, der die vorherige imperialistische Expansion Russlands legitimiert und absegnet, kann nur die Quelle neuer Kriege sein. Bei denen die ukrainischen NationalistInnen die KleinbürgerInnen und ProletarierInnen weiter oder wieder im blutigen Konkurrenzkampf mit Moskau verheizen werden.

Kein Wunder, dass die ukrainischen NationalistInnen den deutschen Nationalpazifismus kompromisslos bekämpfen. Sie machen unter der Parole „Euer Frieden ist unser Todesurteil“ Front gegen die Berliner Friedensdemonstration. Und in der Tat: Einigt sich der kollektive Westen mit Moskau auf einen imperialistischen Kompromissfrieden, dann wird die Ukraine als Staat ziemlich geschwächt.

Während Teile der Partei Die Linken für eine Weiterbewaffnung der Ukraine und damit einer Beteiligung am imperialistischen Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland das Wort reden, sind andere Teil des Nationalpazifismus. Beide Teile der Partei sind objektiv prokapitalistisch, nationalistisch und proimperialistisch. Die Pro-NATO-Linksliberalen innerhalb der Partei Die Linken sind besonders von „den Alten“ entsetz, die massenweise an der Berliner Demonstration teilnahmen. So ätzte Carsten Penzlin, Vorsitzender der Rosa-Luxemburg-Stiftung Mecklenburg-Vorpommern, am 26. September 2024 über den Kurznachrichtendienst X gegen „ganze Busladungen“ von Linke-Mitgliedern, die an der Berliner Friedensdemonstration teilnehmen wollten: „Damit vergraulen wir viele junge Leute, die noch Hoffnung auf uns setzen, aber was interessiert das die Alten mit ihrem blinden Pazifismus und NATO-Hass?“ (Zitiert nach: junge Welt vom 27. September 2024, S. 4.)

Zu den linksliberalen Pro-NATO-Kräften innerhalb der Partei Die Linken gehört auch das Netzwerk Progressive Linke. Dieses Netzwerk machte Stimmung gegen den deutschen Nationalpazifismus und die Demonstration vom 3. Oktober 2024 in Berlin: „Wir sind der Auffassung, Friedensdemonstrationen sollten nicht stattfinden, ohne den größten derzeitigen Krieg, den völkerrechtswidrigen Überfall Russlands auf die Ukraine, seine Opfer, seinen Verursacher und dessen Verbrechen ins Zentrum zu stellen.“ (Zitiert nach: junge Welt vom 30. September 2024, S. 8.) Nun, der Krieg in der Ukraine wird nicht nur von Russland, sondern auch vom ukrainischen Nationalismus direkt und von der NATO indirekt geführt. Doch diese Linksliberalen stehen ja genau auf dieser anderen Seite des imperialistischen Gemetzels, den die deutschen NationalpazifistInnen durch einen Schacherfrieden mit Moskau beenden wollen. So wenig wie die OrganisatorInnen der Berliner Demonstration am 3. Oktober 2024 Russland kritisieren wollten, wollten die Linksliberalen sich gegen die NATO und den ukrainischen Nationalismus wenden: „Wir unterstützen daher den Aufruf der DFG-VK Berlin-Brandenburg für dezentrale Aktionen am 2. und 3. Oktober 2024 ,Russland führt Angriffskrieg!´“ Die genannten Aktionen richteten sich einseitig gegen Russland, waren also versteckt pro-NATO.

Und außerdem störte die NATO-Linksliberalen an der Berliner Friedensdemonstration am 3. Oktober die Nähe Der Linken zum linksnationalen BSW: „Wir distanzieren uns daher klar vom Aufruf zu einer bundesweiten ,Friedensdemonstration´, der nicht zuletzt die Friedensbewegung spaltet. Gleiches gilt für den Aufruf der Partei Die Linke zu dieser Veranstaltung. Obwohl letzterer verschiedene Kritikpunkte aufnimmt, halten wir ihn für einen gravierenden Fehler und bekräftigen daher nochmals:

Diese Mobilisierung lässt über die benannte Kritik hinaus Die Linke als Teil einer politischen Gemeinschaft mit dem nationalistischen und rassistischen BSW erscheinen. Das ist für uns, die wir seit Jahren für eine klare Trennung von dieser reaktionären Politik kämpfen, nicht vertretbar.“

Auch innerhalb der SPD riefen einige Teile zu der nationalpazifistischen Demonstration am 3. Oktober in Berlin auf. Also jener Partei, die seit 2022 den indirekten militärischen und Wirtschaftskrieg gegen Russland mitorganisiert. Nun, ein militärischer Siegfrieden von NATO und Ukraine gegen Russland ist sehr unwahrscheinlich und birgt ein Atomkriegsrisiko in sich. Aber ewig dauern kann dieser Krieg auch nicht. Also wird wohl früher oder später ein imperialistischer Schacherfrieden mit Moskau unausweichlich. Das dämmert auch Teilen der SPD. Außerdem wollten sie den Nationalpazifismus nicht allein dem BSW überlassen. So riefen sie auch zur Teilnahme an der Berliner Friedensdemonstration vom 3. Oktober 2024 auf.

Allerdings war ihnen der Aufruf des Demobündnisses zu prorussisch. So verfassten die SPD-PazifistInnen einen eigenen Aufruf, in dem sie sich zur imperialistischen Solidarität mit dem bluttriefenden sowie die Zivilbevölkerung tyrannisierenden und verheizenden ukrainischen Nationalismus bekannten. Auch räumten sie mit gewissen Missverständnissen auf: „Die SPD ist seit ihrer Gründung vor 161 Jahren – bei allen historischen Irrungen und Wirrungen – immer eine Friedenspartei gewesen…“ (Zitiert nach: junge Welt vom 25. September 2024, S. 8.) Schön, dass das mal endlich so deutlich gesagt wird: Die Mitorganisation des Ersten Weltkrieges, der NATO-Invasion gegen Jugoslawien 1999 und schließlich des militärischen Stellvertreterkrieges gegen Russland ab 2022 durch die SPD – alles nur „historische Irrungen und Wirrungen“. Stimmt, wenn die SPD irrtümlicherweise mal keine Kriege führt, ja dann ist sie für den Frieden. Der den Krieg vorbereitet. Und wenn die SPD-Führung Krieg führt, bereiten andere SozialdemokratInnen den kommenden Frieden vor. Aber das SPD-Mitglied Stegner hatte es auf der Berliner Friedensdemonstration schwer, die deutsch-imperialistische Solidarität mit dem ukrainischen Nationalismus zu verteidigen. Dementsprechende Ausführungen gingen in Pfiffen und Buhrufen unter.

Neben den drei sozialdemokratischen Formationen BSW, Die Linke und SPD riefen auch die Deutsche „Kommunistische“ Partei (D„K“P) und die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) zu der nationalpazifistischen Demonstration für einen imperialistischen Frieden mit Moskau auf. Bei der D„K“P wundert das nicht, ist sie doch ein „kritischer“ Lautsprecher der Kreml-Melodie. Nun, die maoistische MLPD rief zwar zu der Demonstration auf, kritisierte aber auch: „Im Aufruf (gemeint ist der Demonstrationsaufruf der OrganisatorInnen, Anmerkung der AST) ist allerdings keine ausdrückliche Kritik am neuimperialistischen Russland oder an anderen neuimperialistischen Mächten wie dem faschistischen Iran enthalten, was die MLPD kritisch sieht. Bei aller Berechtigung des Hauptstoßes gegen NATO und Bundesregierung muss man sich zugleich gegen alle Imperialisten wenden.“ (www.rf-news.de/2024/kw39/mlpd-ruft-zur-beteiligung-an-der-friedensdemonstration-am-3-10-auf.)

Die MLPD ist nur der „kritische“ Schwanz des Nationalpazifismus. Und der angebliche „Hauptstoß“ gegen „die Bundesregierung“, die die Partei in dem Aufruf zur Berliner Friedensdemonstration gesehen haben will, ist kein revolutionärer Kampf gegen den deutschen Imperialismus. Nein, Berlin soll nach Meinung der führenden NationalpazifistInnen die Avantgarde des imperialistischen Friedens mit dem Kreml werden. Zwar behauptet die maoistische Partei gegen alle Imperialismen zu sein. Der Kampf gegen diese ist jedoch innerhalb nationalpazifistischer Demonstrationen unmöglich. Zu denen können zwar auch antipolitische SozialrevolutionärInnen hingehen, aber nur wenn sie den Nationalpazifismus hart kritisieren, jedoch niemals mitorganisieren. Das imperialistische Abschlachten und der bürgerliche Frieden innerhalb des Kapitalismus als dessen Quelle können nur durch das klassenkämpferisch-revolutionäre Proletariat beendet werden!

Nieder mit dem westlichen und russländischen Imperialismus sowie dem ukrainischen Nationalismus und deutschen Nationalpazifismus!

Hoch die antinationale Solidarität des Weltproletariats!

Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST)

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3. Marx/Engels zwischen Kapitalismuskritik und nationalkapitalistischer Politik https://astendenz.blackblogs.org/2024/08/27/3-marx-engels-zwischen-kapitalismuskritik-und-nationalkapitalistischer-politik/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/08/27/3-marx-engels-zwischen-kapitalismuskritik-und-nationalkapitalistischer-politik/#respond Tue, 27 Aug 2024 12:42:53 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=252 Die beiden bürgerlichen Intellektuellen Marx und Engels – von ihrem sozialen Biotop her waren und blieben Marx und Engels ein Leben lang bürgerliche Intellektuelle, das ist keine Denunziation, sondern eine nüchterne Feststellung – schufen zwischen 1844 und 1848 die Grundlage dessen, was mensch heute Marxismus nennt. Sie nannten es „wissenschaftlichen Kommunismus“. Das war und ist von den MarxistInnen als Abgrenzung zum utopischen ArbeiterInnenkommunismus gemeint. Nun, wir heutigen nachmarxistischen und nachanarchistischen KommunistInnen kritisieren die Wissenschaft grundsätzlich als bürgerlich-elitäres Bewusstsein – was natürlich nicht heißt, dass wir alle theoretischen Forschungsergebnisse von ihr ablehnen würden – und streben ihre revolutionäre Aufhebung in einer hochentwickelten Allgemeinbildung einer klassen- und staatenlosen Gesellschaft an. Der Marxismus stellte geschichtlich ein höheres Niveau der Kapitalismus-Kritik dar. Er knüpfte ideengeschichtlich am utopischen ArbeiterInnenkommunismus an, aber auch am naturwissenschaftlichen Materialismus und an der idealistischen Dialektik Hegels. Aus den Letztgenannten schufen er eine Synthese, nämlich die materialistisch-dialektische Weltbetrachtung als revolutionäre Denkmethode, auf der auch seine Analyse und Kritik des Kapitalismus fußte. Die Schaffung der Grundlagen der materialistisch-dialektischen Denkmethode ist das bleibende Verdienst von Marx und Engels, an der auch wir nachmarxistischen und nachanarchistischen KommunistInnen kritisch-schöpferisch anknüpfen. Allerdings muss diese Denkmethode von marxistischen Dogmen gereinigt werden. Dies wurde durch die Praxis notwendig und möglich.

Dazu gehört auch eine materialistisch-dialektische Kritik des Marxismus. Diesen sehen wir als eine wichtige Etappe der Entwicklung des modernen Kommunismus an, der aber aufgrund seiner Unreife auch antikommunistische Tendenzen hatte und schließlich in Form des Marxismus-Leninismus und Trotzkismus in staatskapitalistischen Nationalismus umschlug. Schon bei Marx und Engels hatte der „proletarische Internationalismus“ eindeutig linksnationale Tendenzen, ja war objektiv Teil des bürgerlichen Internationalismus.

Zur konsequenten Bekämpfung der bürgerlichen Nationalstaaten braucht mensch ein antipolitisches, antinationales und antikapitalistisches Bewusstsein. Alle drei bilden ein untrennbares Dreieck der sozialrevolutionären Theorie und Praxis. Nun, der Marxismus war in der Praxis nicht antipolitisch und antinational – und deshalb auch nicht wirklich antikapitalistisch. Aber es gab bei Marx in seinen Frühschriften gewisse antipolitische Tendenzen, die aber nicht zu seiner eigenen Praxis wurden und die der politische Parteimarxismus nur praktisch in den Dreck treten konnte. So schrieb Marx 1844: „Wo es politische Parteien gibt, findet jede den Grund eines jeden Übels darin, dass statt ihrer ihr Widerpart sich am Staatsruder befindet. Selbst die radikalen und revolutionären Politiker suchen den Grund des Übels nicht im Wesen des Staates, sondern in einer bestimmten Staatsform, an deren Stelle sie eine andere Staatsform setzen wollen.“ (Karl Marx, Kritische Randglossen, MEW Bd. 1, S. 401.)

Dies ist auch eine sehr gute Kritik am Parteimarxismus, der die sozialreaktionäre Tradition der Politik fortsetzte. Die marxistischen Parteien reproduzierten ein kleinbürgerliches BerufspolitikerInnentum, welches die Klassenspaltung der bürgerlichen Gesellschaft zum Ausdruck brachte, aber nicht überwinden konnte. PolitikerInnen müssen nach Macht streben, so wie KapitalistInnen nach Profit streben müssen. KapitalistInnen, die nicht nach Profit streben und diesen nicht zur Vermehrung des Kapitals verwenden, sondern diesen zum größten Teil in soziale Projekte investieren, können sich im Konkurrenzkampf mit anderen KapitalistInnen nicht lange behaupten. So ähnlich ist es auch mit PolitikerInnen, die in ihrem Geschäft noch zu sehr an Ideen und Zielen gebunden sind, die mit der Erringung und Erhaltung der politischen Macht nichts oder nicht viel zu tun haben – sie werden innerhalb ihrer eigenen Partei von den skrupellosen MachtopportunistInnen verdrängt.

Politik als staatsförmige Organisation der Industriegesellschaft reproduziert das Kapital und der Kapitalismus reproduziert die bürgerliche Politik in Form des Nationalstaates. Auch der sozialdemokratische und „kommunistische“ Parteimarxismus reproduzierte das Kapital. Die Sozialdemokratie des Westens schmiegte sich an eine starke Bourgeoisie an und wurde Teil der privatkapitalistischen Sozialreaktion. Dabei warf die Sozialdemokratie die marxistische Ideologie über Bord. Der Partei-„Kommunismus“ eroberte entweder selbständig in industriell unterentwickelten Ländern in Osteuropa und im Trikont oder auch in industriell entwickelten Gebieten (zum Beispiel Ostdeutschland) mit „Hilfe“ des sowjetischen Imperialismus die politische Macht. In diesen Nationen etablierte sich für eine gewisse Zeit der Staatskapitalismus. Der Marxismus-Leninismus wurde zur Herrschaftsideologie des Staatskapitalismus.

Aber die oben zitierte scharfe Kritik an der Politik von Marx ging auch schon in der eigenen Praxis und in der seines Freundes Engels als Politideologen der internationalen institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung (Bund der Kommunisten, Internationale Arbeiterassoziation, Sozialistische Internationale) verloren. Die Politik, die Marx und Engels betrieben, war objektiv nationalkapitalistisch, da im Industriezeitalter jede Realpolitik nur Nation und Kapital reproduzieren kann.

Schauen wir uns dies genauer an. Nachdem Marx und Engels die Grundlagen ihrer Theorie geschaffen hatten, gründeten sie Anfang 1846 in Brüssel das Kommunistische Korrespondenz-Komitee. Es verfolgte das Ziel ihren wissenschaftlichen Kommunismus zur führenden Ideologie der jungen Bewegung zu machen. Marx und Engels gelang es mit Hilfe dieser Organisation den Bund der Gerechten in den Bund der Kommunisten umzuformen. Diese praktisch-geistige Transformation stellte der Übergang vom utopischen ArbeiterInnenkommunismus zum Marxismus dar. Das Kommunistische Korrespondenz-Komitee übte einen immer größeren geistigen Einfluss auf den Bund der Gerechten aus. Am 30. März 1846 kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Marx auf der einen und Weitling als Theoretiker des utopischen ArbeiterInnenkommunismus auf der anderen Seite. In diesem Streit kritisierte Marx auch den Putschismus Weitlings.

Dieser geistige Streit endete innerhalb des Bundes der Gerechten mit dem Sieg des wissenschaftlichen Kommunismus. Im Januar 1847 forderte dessen Zentrale in London Marx und Engels auf, dem Bund beizutreten und an dessen Reorganisation mitzuwirken. Marx und Engels traten bei. Er wurde 1847 in Bund der Kommunisten umbenannt. Dieser war wie sein Vorläufer eine internationale politische Organisation der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung. Sie stellte gewissermaßen den Beginn des marxistischen „proletarischen Internationalismus“ dar. Die von Marx geprägte Losung „Proletarier aller Länder, vereinigt euch!“ wurde zum Kampfruf des Bundes der Kommunisten. Und diese Losung ist auch noch heute – wenn auch in viel reiferer Form – die Quintessenz des antinational-sozialrevolutionären Universalismus.

Doch beim Bund der Kommunisten war dies noch nicht antinational, sondern lediglich übernational gemeint. Der Marxismus war noch nicht antinational, sein Internationalismus war gleichzeitig ein Linksnationalismus. Im Marxismus entwickelte sich der dialektische Widerspruch zwischen einer materialistisch-dialektischen Kapitalismuskritik und einer staatskapitalistischen Ideologie-Produktion. Das von Marx und Engels Anfang 1848 geschriebene Manifest der kommunistischen Partei stellte ein staatskapitalistisches Programm dar. Dass der angeblich erste Schritt zur kommunistischen Aufhebung des Kapitalismus die politische Eroberung der Staatsmacht durch das Proletariat sei – was in Wirklichkeit nur die kapitalistische Produktionsweise reproduzieren konnte – übernahm der Marxismus vom politischen Flügel des utopischen ArbeiterInnenkommunismus: „Wir sahen schon oben, dass der erste Schritt in der Arbeiterrevolution die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie ist. Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, die Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staates, d. h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren.“ (Marx/Engels, Manifest der kommunistischen Partei, Dietz Verlag Berlin 1977, S. 66.) Also, als erste Etappe der sozialen Revolution die Verstaatlichung der Produktionsmittel – Staatskapitalismus!

Natürlich wollten Marx/Engels keinen Staatskapitalismus schaffen, sondern die Aufhebung der Lohnarbeit durch den Kommunismus erreichen. Und in diesem Kommunismus sollte es kein Staat mehr geben. Der Staat sollte nach der Revolution „friedlich“ absterben. Im Manifest hieß es: „Sind im Laufe der Entwicklung die Klassenunterschiede verschwunden und ist alle Produktion in den Händen der assoziierten Individuen konzentriert, so verliert die öffentliche Gewalt den politischen Charakter. Die politische Gewalt im eigentlichen Sinne ist die organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer anderen. Wenn das Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse vereint, durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse aufhebt, so hebt es mit diesen Produktionsverhältnissen die Existenzbedingungen des Klassengegensatzes, die Klassen überhaupt und damit seine eigene Herrschaft als Klasse auf. An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist.“ (Ebenda, S. 68.)

Marx und Engels veränderten auch ihre Auffassung vom Staat unter dem Einfluss der Pariser Kommune. Sie schrieben im deutschen Vorwort von 1872 zum Manifest der kommunistischen Partei: „Gegenüber der immensen Fortentwicklung der großen Industrie in den letzten fünfundzwanzig Jahren und der mit ihr fortschreitenden Parteiorganisation der Arbeiterklasse, gegenüber den praktischen Erfahrungen, zuerst der Februarrevolution und noch weit mehr der Pariser Kommune, wo das Proletariat zum ersten mal zwei Monate lang die politische Gewalt innehatte, ist dieses Programm heute stellenweise veraltet. Namentlich hat die Kommune den Beweis geliefert, dass ,die Arbeiterklasse nicht die fertige Staatsmaschine einfach in Besitz nehmen und für ihre eigenen Zwecke in Bewegung setzen kann.‘ (Siehe Der Bürgerkrieg in Frankreich. Adresse des Generalrahts der Internationalen Arbeiter-Association (…) wo dies weiter entwickelt ist.)“ (Ebenda, S. 10.)

Diese Stelle ist aber nicht in dem Sinne misszuverstehen, dass Marx/Engels vollständig ihr altes reformistisches Programm zur Aufhebung des Staates über Bord geworfen hatten. So schrieb Marx 1875 in Kritik des Gothaer Programms: „Zwischen der kapitalistischen und der kommunistischen Gesellschaft liegt die Periode der revolutionären Umwandlung der einen Gesellschaft in die andere. Der entspricht auch eine politische Übergangsperiode, deren Staat nichts anderes sein kann, als die revolutionäre Diktatur des Proletariats.“ (MEW, Bd. 19, S. 28.)

Die Theorie von Marx/Engels verbindet also eine grundsätzliche Staatsfeindlichkeit mit einer reformistischen Idee des Absterbens des Staates. Diese Theorie ist falsch. Denn der Staat ist ein hierarchisches Instrument, das vom Proletariat unmöglich beherrscht werden kann. Durch die staatliche Besitzergreifung der Produktionsmittel ergibt sich eine riesige Machtfülle für eine entstehende Staatsbourgeoisie. Doch Marx/Engels haben ihre Staatsfeindlichkeit subjektiv ehrlich gemeint. Sie lässt sich aber durch ihr reformistisches Programm nicht verwirklichen. Wir übernehmen von Marx/Engels die grundsätzliche Staatsfeindlichkeit, lehnen aber ihren Reformismus in dieser Frage ab.

Der marxistische „proletarische Internationalismus“ war also von Anfang an eine staatskapitalistische Variante des bürgerlichen Internationalismus als Interaktion der Nationen. Der Antikapitalismus war zwar von Marx und Engels subjektiv ehrlich gemeint, wurde aber objektiv zu einer Ideologie einer nationalkapitalistischen Politik.

Marx und Engels waren die geistigen Urgroßväter des nationalkapitalistischen „Sozialismus“. Sie waren aber auch dessen ersten Kritiker. Im zweiten Band von Kapital gab Marx folgende Erklärung für das „gesellschaftliche Kapital = Summe der individuellen Kapitale (inkl. der Aktienkapitale resp. des Staatskapitals, soweit Regierungen produktive Lohnarbeit in Bergwerken, Eisenbahnen etc. anwenden, als industrielle Kapitalisten fungieren)“. (Karl Marx, Das Kapital. Zweiter Band, Dietz Verlag Berlin 1975, S. 101.) Friedrich Engels schrieb im Anti-Dühring: „Aber weder die Verwandlung in Aktiengesellschaften noch die in Staatseigentum, hebt die Kapitaleigenschaft der Produktivkräfte auf.“ (Friedrich Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, in MEAW Bd. V., S. 305.) So kann die materialistische Dialektik mit Hilfe der revolutionären Tendenzen des Marxismus die „sozialistischen Länder“ als staatskapitalistisch analysieren.

Aber bereits das Agieren von Marx und Engels in Deutschland während der Revolution von 1848/49 war objektiv nationaldemokratisch-staatskapitalistisch, also sozialreaktionär. Marx/Engels hielten als bürgerliche Intellektuelle den Kapitalismus trotz aller Kritik an ihm für „fortschrittlich“ gegenüber dem Feudalismus. Doch der Kapitalismus war aus heutiger sozialrevolutionärer Sicht von Anfang an absolut sozialreaktionär. Indem der Marxismus den modernen, auf doppelt freier Lohnarbeit beruhenden Industriekapitalismus im Kampf gegen vorindustriekapitalistische Zustände unterstützte, wurde er latent sozialreaktionär. So als der von Marx und Engels geführte Bund der Kommunistenwährend der Revolution von 1848/49 gegen die Kleinstaaterei und den Fürstenabsolutismus im deutschen Sprachraum einen großdeutschen – also einschließlich der österreichischen Gebiete, wo vorwiegend deutsch gesprochen wurde – und parlamentarisch-republikanischen Nationalstaat mit Staatseigentum an Banken, Transportmitteln, Gruben und Bergwerken forderten. Marx und Engels forderten also einen bürgerlichen Staat, da nach ihrer richtigen Einschätzung in Deutschland die objektiven und subjektiven Bedingungen für eine siegreiche soziale Revolution noch nicht reif waren. So richtig wie diese Einschätzung auch war, so falsch war die Schlussfolgerung. Doch der Kommunismus war damals noch nicht reif für folgende Schlussfolgerung: SozialrevolutionärInnen müssen auch unter Bedingungen, die noch nicht reif für die soziale Revolution sind, konsequent gegen alle Klassengesellschaften und Staaten kämpfen. Vor der Isolation von allen bürgerlichen Kräften, in die sie dadurch geraten, dürfen sie keine Angst haben. Die Forderung nach einem deutschen, parlamentarisch-demokratisch-republikanischen Nationalstaat mit Staatseigentum an Banken, Transportmitteln, Gruben und Bergwerken war objektiv nationalkapitalistisch und sozialreaktionär.

In Frankreich war eine solche demokratisch-republikanische Staatsform Ergebnis der Februarrevolution von 1848. Und sie erwies sich von Anfang an als strukturelle Klassenfeindin des Proletariats. Im Juni 1848 organisierte die demokratische Republik in Frankreich ein Massenmord am klassenkämpferischen Proletariat. Marx und Engels verurteilten dies scharf, hielten aber an der Forderung nach einer demokratischen Republik für Deutschland fest. In der Revolution von 1848/49 erwies sich also der „proletarische Internationalismus“ des Bundes der Kommunisten in der Praxis als bürgerlicher Internationalismus, als Interaktion der Nationen. In Deutschland agierte er als eine nationaldemokratische Kraft. Der Bund der Kommunisten war in der politischen Praxis kleinbürgerlich-internationalistisch und linksnational, weil er noch nicht reif zu einer antinationalen Antipolitik – die auch wirklich antikapitalistisch gewesen wäre – war. Er war deshalb auch nicht wirklich sozialrevolutionär, sondern kleinbürgerlich-radikal. Der Bund der Kommunisten löste sich im Jahre 1852 auf.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte sich vor allem in Europa die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung als bürokratisch entfremdeter Ausdruck des reproduktiven Klassenkampfes im Rahmen des Kapitalismus. Die politischen „ArbeiterInnen“-Parteien und Gewerkschaften waren von ihrem Inhalt und ihren Formen her von Anfang an bürgerlich. Sie reproduzierten die Klassenspaltung des Kapitalismus in Form von bürgerlich-bürokratischen Partei- und Gewerkschaftsapparaten und einer weitgehend ohnmächtigen kleinbürgerlich-proletarischen Basis. Die Apparate der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung aus hauptamtlichen FunktionionärInnen sowie BerufspolitikerInnen und -ideologInnen bestand größtenteils aus kleinbürgerlichen Intellektuellen und ehemaligen Lohnabhängigen. Gewerkschaften wurden im 20. Jahrhundert durch das Tarifvertragssystem zu Co-Managerinnen der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnarbeit, während sozialdemokratische und „kommunistische“ Parteien als regierende Charaktermasken den Kapitalismus in privater und verstaatlichter Form reproduzierten.

Die sich im 19. Jahrhundert heraus entwickelnde institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung erwies sich im 20. Jahrhundert sozialreaktionär und konterrevolutionär. Sie war auch im 19. Jahrhundert nur in der Ideologie „revolutionär“, in der Praxis war sie sozialreformistisch. Gewerkschaften strebten praktisch eine Milderung der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnarbeit an, deren Aufhebung teilweise nur ideologisch. Doch ihre Apparate – einschließlich der anarchosyndikalistischen Gewerkschaften – integrierten sich in der Wirklichkeit immer stärker in den Kapitalismus. Die sozialdemokratischen Parteien betrieben in der Wirklichkeit einen parlamentarischen Sozialreformismus und integrierten sich in Westeuropa immer stärker in die Demokratie. Die kleinbürgerlichen BerufspolitikerInnen und -ideologInnen der Sozialdemokratie strebten in ihrer Mehrheit materiell und sozialpsychologisch danach großbürgerlich zu werden, das heißt nach der vollen Anerkennung durch die Bourgeoisie als deren politisches Regierungspersonal.

Marx und Engels waren Politideologen der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung. Sie reproduzierten ideologisch die Grenzen des reproduktiven Klassenkampfes und passten sich an den gewerkschaftlichen und parlamentarischen Sozialreformismus sowie das nichtrevolutionäre Bewusstsein der Mehrheit des Proletariats an. Sie kritisierten lediglich die gröbsten Auswüchse des gewerkschaftlichen und parlamentarischen Sozialreformismus, aber eben diesen nicht grundsätzlich. Im 19. Jahrhundert – also zur Wirkungszeit von Marx und Engels – hatte sich die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung noch nicht offen sozialreaktionär und konterrevolutionär erwiesen. Sie konnten also noch nicht Klassenkampferfahrungen theoretisch verallgemeinern, die den totalen Klassengegensatz zwischen Proletariat und institutionalisierter ArbeiterInnenbewegung offenlegten. Aber Marx und Engels passten sich ideologisch immer stärker an den Sozialreformismus an. Der vorgeblich „revolutionäre“ Marxismus wurde in der Praxis sozialreformistisch und der praktische Sozialreformismus der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung wurde teilweise ideologisch „revolutionär“, indem er sich zum Marxismus bekannte. Natürlich war der Marxismus nur eine Ideologie von vielen innerhalb der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung

Die globalen Partei- und Gewerkschaftsapparate strebten bereits im 19. Jahrhundert zur übernationalen Interaktion, zum Internationalismus. Doch dieser „proletarische Internationalismus“ der Partei- und Gewerkschaftsapparate war eben nicht antinational, sondern lediglich übernational. So wurde im Jahre 1864 von englischen GewerkschafterInnen und französischen EmigrantInnen in London die Internationale Arbeiterassoziation (IAA) gegründet. Marx wurde als Mitglied des vorläufigen Organisationskomitees eingeladen und er hatte entscheidenden praktischen Einfluss auf dieses.

Auch der „proletarische Internationalismus“ der Internationalen Arbeiterassoziation erwies sich in der politischen Praxis als bürgerlich-internationalistisch und linksnational. Zum Beispiel in seiner Haltung zum US-amerikanischen BürgerInnenkrieg (1861-1865). Die Internationale Arbeiterassoziation unterstützte in diesem die industriekapitalistischen Nordstaaten gegen die agrarkapitalistischen Südstaaten. Das war objektiv sozialreaktionär. Wirklich antinational-sozialrevolutionäre Kräfte hätten beide kriegführende Seiten gleichermaßen bekämpfen müssen. Gegen Sklaverei und Lohnarbeit! Indem die Internationale Arbeiterassoziation die Herausbildung der kapitalistischen Industrienation USA „kritisch“ unterstützte, war sie bürgerlich-internationalistisch und linksnational. Ihre führenden VertreterInnen – einschließlich von Karl Marx – schleimten sich bei Abraham Lincoln, der regierenden Charaktermaske der auf der Ausbeutung der Lohnarbeit beruhenden US-amerikanischen Industrienation, durch einen Brief, der zwischen dem 22. und 29. November 1864 geschrieben wurde, so richtig ein.

Und zum bürgerlichen Internationalismus der Internationalen Arbeiterassoziation passte auch ihr zunehmender parlamentarischer Sozialreformismus. In seiner Rede zum Kongress der Internationalen Arbeiterassoziation 1872 in Den Haag sagte Marx: „Der Arbeiter muss eines Tages die politische Gewalt ergreifen, um die neue Organisation der Arbeit aufzubauen… Aber wir haben nicht behauptet, dass die Wege, um zu diesem Ziel zu gelangen, überall dieselben seien… und wir leugnen nicht, dass es Länder gibt, wie Amerika, England, und wenn mir eure Institutionen besser bekannt wären, würde ich vielleicht noch Holland hinzufügen, wo die Arbeiter auf friedlichem Wege zu ihrem Ziel gelangen können.“ (Karl Marx, Rede über den Haager Kongress, in: MEW 18, S. 160.) Wenn sich das Proletariat sozial befreien will, muss es den Staat zerschlagen! Von dieser sozialrevolutionären Wahrheit war die Internationale Arbeiterassoziation meilenweit entfernt. Sie war objektiv eine bürgerlich-sozialreformistische, und damit eine sozialreaktionäre Kraft, die das Proletariat in die kapitalistische Politik zu integrieren half.

Marx orientierte als führender Politideologe der Internationalen Arbeiterassoziation auf die „politische Machteroberung durch die ArbeiterInnenklasse“. Doch die ArbeiterInnenklasse kann gar nicht die politische Macht erobern, dass konnten in der Praxis nur marxistische BerufspolitikerInnen im Namen, aber gegen die Interessen des Proletariats. Weil die politische Machteroberung nur die kapitalistische Produktionsweise reproduzieren kann. Der Streit zwischen den Parteimarxismen wurde später nur darum geführt, ob die politische Macht in Form von freien Wahlen oder durch Staatsstreiche beziehungsweise Guerillakriege erobert werden sollte. Und einige von marxistischen Politbonzen beherrschte Staaten verleibten sich dann alle industriellen Produktionsmittel ein und beuteten die Lohnarbeit aus. Der kommunistische Anarchismus und Anarchosyndikalismus waren und sind mit ihren Gewerkschaftsfetischismus, ihrer BäuerInnentümelei und ihrer Verherrlichung von genossenschaftlicher „Selbstorganisation“ im Rahmen von Kapital und Staat selbst stark von sozialreaktionären Tendenzen geprägt, aber den staatkapitalistischen Charakter des Marxismus kritisierten diese Strömungen schon früh und weitsichtig. Am politideologischen Streit zwischen Marx und Bakunin zerbrach auch die Internationale Arbeiterassoziation. Sie löste sich 1876 auf.

Im Jahre 1889 bildeten die sozialdemokratischen Parteien und Gewerkschaften der verschiedenen Nationen die Sozialistische Internationale (auch Zweite Internationale) genannt. Friedrich Engels war der inoffizielle Chefideologe der Sozialistischen Internationale – und ihres Sozialreformismus. Der alte Engels kam immer mehr zu der „Erkenntnis“, dass die Eroberung des Staates Aufgabe der „ArbeiterInnenpartei“ sei – also eines bürgerlichen Wahlvereines. So schrieb er 1895 – auch unter dem Druck sozialdemokratischer Parteifunktionäre: „Mit dieser erfolgreichen Benutzung des allgemeinen Stimmrechts war aber eine ganz neue Kampfweise des Proletariats in Wirksamkeit getreten, und diese bildete sich rasch weiter aus. Man fand, dass die Staatseinrichtungen, in denen die Herrschaft der Bourgeoisie sich organisierte, noch weitere Handhaben bietet, vermittelst deren die Arbeiterklasse diese selben Staatseinrichtungen bekämpfen kann. Man beteiligte sich an den Wahlen für Einzellandtage, Gemeinderäte, Gewerbegerichte, man machte der Bourgeoisie jeden Posten streitig, bei dessen Besetzung ein genügender Teil des Proletariats mitsprach. Und so geschah es, dass Bourgeoisie und Regierung dahin kamen, sich weit mehr zu fürchten vor der gesetzlichen als vor der ungesetzlichen Aktion der Arbeiterpartei, vor den Erfolgen der Wahl als vor denen der Rebellion.“ (Friedrich Engels, Einleitung zu Karl Marx` Klassenkämpfe in Frankreich 1848 bis 1850, in MEW Bd.7, S. 520.) Der parlamentarische Sozialreformismus des Marxismus war und ist objektiv antikommunistisch.

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Weiter oben haben wir geschrieben, dass die Schaffung der Grundlagen einer materialistisch-dialektische Weltbetrachtung – Natur, menschliche Gesellschaft und Erkenntnisentwicklung – sowie einer auf dieser fußenden Analyse und Kritik des Kapitalismus die bleibenden Verdienste von Marx und Engels waren. Hier wollen wir aufzeigen, dass der Marxismus von Anfang an auch nur eine inkonsequente Verwirklichung der materialistisch-dialektischen Gesellschaftsanalyse war. Es gab im Denken von Marx und Engels starke geschichtsidealistische und technokratische Tendenzen – also einen tendenziellen Rückfall in den naturwissenschaftlichen Materialismus der Bourgeoisie. Mit diesem wollen wir uns hier auseinandersetzen. Dabei werden auch die methodischen Unterschiede zwischen dem Marxismus und dem nachmarxistischen und nachanarchistischen Kommunismus deutlich.

So ist der Kommunismus für uns eine materiell verwurzelte Möglichkeit, die sich aus der radikalen Zuspitzung des Klassenkampfes in extremen Ausnahmesituationen ergeben kann (siehe Kapitel V.1). Für Marx war dies zu wenig. Für ihn war der Kommunismus eine automatische Gesetzmäßigkeit. So schrieben er und Engels: „Mit der Entwicklung der großen Industrie wird also unter den Füßen der Bourgeoisie die Grundlage selbst weggezogen, worauf sie produziert und die Produkte sich aneignet. Sie produziert vor allem ihre eigenen Totengräber. Ihr Untergang und der Sieg des Proletariats sind gleich unvermeidlich.“ (Karl Marx/Friedrich Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, MEW 4, S. 474.) Im Kapital erhob Marx dann diesen Geschichtsdogmatismus vom angeblichen „gesetzmäßigen und unvermeidlichen Sieg der ArbeiterInnenklasse“ zu einer „Naturnotwendigkeit“: „Aber die kapitalistische Produktion erzeugt mit der Notwendigkeit eines Naturprozesses ihre eigene Negation.“ (Karl Marx, Das Kapital. Erster Band, Dietz-Verlag Berlin 1973, S. 791.)

Im Marxismus gab und gibt es auch starke technokratische Tendenzen. So sind viele MarxistInnen ganz begeistert von der Entwicklung der kapitalistischen Produktivkräfte, ohne die sozialen Folgen weiter zu betrachten. Auch hierin können sie sich auf Marx als Geschichtsphilosophen berufen. In seiner geschichtsphilosophischen Konstruktion hatte das Kapital die historische Mission die Produktivkräfte zu entwickeln. So schrieb er im 3. Band des Kapitals über den bürgerlichen Ökonomen Ricardo: „Was ihm vorgeworfen wird, dass er um die ,Menschen‘ unbekümmert, bei Betrachtung der kapitalistischen Produktion nur die Entwicklung der Produktivkräfte im Auge hat – mit welchen Opfern an Menschen und Kapitalwerten immer erkauft – ist gerade das Bedeutende an ihm. Die Entwicklung der Produktivkräfte der gesellschaftlichen Arbeit ist die historische Aufgabe und Berechtigung des Kapitals. Eben damit schafft es unbewusst die materiellen Bedingungen einer höhern Produktionsform.“ (MEW 25, S. 269.) Durch diese technokratische Sichtweise verstieg sich Friedrich Engels während der Revolution von 1848/49 die imperialistische Eroberung großer Teile Mexikos durch die USA zu rechtfertigen, weil durch diese die kapitalistischen Produktivkräfte enorm weiterentwickelt wurden!

Diese technokratischen Tendenzen des Marxismus stehen im engen Zusammenhang mit seinen naiv fortschrittsgläubigen, geschichtsidealistischen und dogmatischen Bestandteilen. Wir wissen ja schon, dass bei Marx der Kommunismus so sicher war, wie der Morgen nach der Nacht. Mit einer solchen Ideologie einer naturnotwendigen Entwicklung der Gesellschaft wird die Kritik an den kapitalistischen Produktivkräften als Zerstörern der menschlichen und außermenschlichen Natur doch stark abgeschwächt. Das Kapital, welches Marx als Kritiker der politischen Ökonomie scharf kritisiert, bekommt bei ihm eine geschichtsphilosophische Mission – ähnlich wie das Proletariat. Das Kapital entwickelt die Produktivkräfte (dessen historische Mission) und die ArbeiterInnenklasse übernimmt diese und führt sich und die ganze Menschheit zum Kommunismus (die historische Mission des Proletariats). Jede Klasse hat also eine von der Geschichte klar vorgezeichnete Aufgabe. Der historische Materialismus wird zum Automatismus und das Kapital schafft technologischen Fortschritt, der naturnotwendig zum Kommunismus führt, seine Barbarei ist nur von kurzer Dauer. Der lebendige Mensch verschwindet hinter einer historisch vorgegebenen Entwicklung der Produktivkräfte. Der Glaube an „historische Missionen“ ist nicht weniger religiös als der an den heiligen Geist. Es gibt in der menschlichen Geschichte keine „objektiven Gesetzmäßigkeiten“ ohne subjektive Tat. Zwischen beiden gibt es sehr enge Wechselwirkungen. Eine objektive sozialrevolutionäre Möglichkeit wird ohne radikale subjektive Aktion nicht zum wirklichen sozialrevolutionären Prozess und ein subjektiver Wille zur sozialrevolutionären Veränderung wird ohne die dazu notwendigen objektiven Bedingungen nicht zur materiellen Gewalt.

Wir sehen also, dass sich das sozialdemokratische und partei-„kommunistische“ TechnokratInnentum auch zu Recht auf Marx berufen kann. Diese reaktionären Tendenzen des Marxismus waren im sowjetischen Marxismus-Leninismus sehr stark ausgeprägt und sie sind auch bei einigen LinksmarxistInnen festzustellen.

Wir sind radikale Kapitalismus-KritikerInnen aber keine Idealistinnen des „technologischen Fortschritts“. Dabei stehen wir in der Tradition der sozialrevolutionären Tendenz bei Marx. Denn Marx war noch immer der beste Kritiker von Marx. Wenn er auch verblendet war von seiner geschichtsphilosophischen Konstruktion, so erkannte er dennoch grundsätzlich, dass technologischer Fortschritt der Produktivkräfte nicht unbedingt mit sozialem Fortschritt verbunden sein musste, ja oft in der Entwicklung technologischer Fortschritt durch sozialen Rückschritt erkauft wurde. So schrieb er: „Erst wenn eine große soziale Revolution die Ergebnisse der bürgerlichen Epoche, den Weltmarkt und die modernen Produktivkräfte gemeistert und der gemeinsamen Kontrolle der am weitesten fortgeschrittenen Völker unterworfen hat, erst dann wird der menschliche Fortschritt nicht mehr jenem scheußlichen Götzen gleichen, der den Nektar nur aus den Schädeln Erschlagener trinken wollte.“ (MEW 9, S. 226.) Was der Geschichtsphilosoph Marx verkleisterte und idealisierte, nahm der Marx als Kritiker der politischen Ökonomie schonungslos auseinander: „Jeder Fortschritt ist nicht nur ein Fortschritt in der Kunst, den Arbeiter, sondern zugleich in der Kunst, den Boden zu berauben, jeder Fortschritt in Steigerung seiner Fruchtbarkeit (zugleich) ein Fortschritt im Ruin der dauernden Quellen dieser Fruchtbarkeit. (…) Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter.“ (Karl Marx, Das Kapital Bd. 1, (1867) MEW Bd. 23, Dietz Verlag, Berlin 1988, S. 529/530.)

Marx mahnte einen schonenden menschlichen Umgang mit der Natur an, die im Kapitalismus nicht möglich ist, aber in einer klassenlosen Gesellschaft zu einer Selbstverständlichkeit gehören sollte: „Selbst eine ganze Gesellschaft, eine Nation, ja alle gleichzeitigen Gesellschaften zusammengenommen, sind nicht Eigentümer der Erde. Sie sind nur ihre Besitzer, ihre Nutznießer, und haben sie als boni patres familias (gute Familienväter) den nachfolgenden Generationen verbessert zu hinterlassen.“ (Karl Marx, Das Kapital Bd. 3, (1894)MEW Bd. 25, Dietz Verlag, Berlin 1972, S. 784.) Wenn auch die Formulierung verdammt patriarchal rüberkommt, ist die Warnung vor menschlichem Größenwahn, sich über die Natur als ihr absoluter Beherrscher erheben zu können, heute aktueller als damals.

Friedrich Engels blies in das gleiche Horn: „Schmeicheln wir uns nicht zu sehr mit unseren menschlichen Erfolgen über die Natur. Für jeden solchen Sieg, rächt sie sich an uns. Jeder hat in erster Linie zwar die Folgen, auf die wir gerechnet, aber in zweiter und dritter Linie hat er ganz andre, unvorhergesehene Wirkungen, die nur zu oft jene ersten Folgen wieder aufheben. Die Leute, die in Mesopotamien, Griechenland, Kleinasien und anderswo die Wälder ausrotteten, um urbares Land zu gewinnen, träumten nicht, dass sie damit den Grundstein zur jetzigen Verödung jener Länder legten, indem sie ihnen mit den Wäldern die Ansammlungszentren und Behälter der Feuchtigkeit entzogen. Die Italiener der Alpen, als sie die am Nordhang des Gebirges so sorgsam gehegten Tannenwälder am Südhang vernutzten, ahnten nicht, dass sie damit der Sennwirtschaft auf ihrem Gebiet die Wurzel abgruben; sie ahnten noch weniger, dass sie dadurch ihren Bergquellen für den größten Teil des Jahres das Wasser entzogen, damit diese zur Regenzeit umso wütendere Flutströme über die Ebene ergießen könnten. Die Verbreiter der Kartoffel in Europa wussten nicht, dass sie mit den mehligen Knollen zugleich die Skrofelkrankheit verbreiten. Und so werden wir bei jedem Schritt daran erinnert, dass wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand der außer der Natur steht – sondern dass wir mit Fleisch und Blut und Hirn ihr angehören und mitten in ihr stehn und dass unsre ganze Herrschaft über sie besteht, im Vorzug vorallen anderen Geschöpfen ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden zu können.“ (Friedrich Engels, Dialektik der Natur, Dietz Verlag, Berlin 1952, S. 190/191.)

So weit so gut. Doch wie das bei Engels nun mal so war, folgte darauf ein Abschnitt, der nicht auf soziale Überwindung der kapitalistischen Produktionsverhältnisse setzte, sondern auf die bürgerliche Naturwissenschaft: „Und in der Tat lernen wir mit jedem Tag ihre Gesetze richtiger verstehn und die näheren und entfernteren Nachwirkungen unsrer Eingriffe in den herkömmlichen Gang der Natur erkennen. Namentlich seit den gewaltigen Fortschritten der Naturwissenschaften werden wir mehr und mehr in den Stand gesetzt, auch die entfernteren Nachwirkungen wenigstens unserer gewöhnlichsten Produktionshandlungen kennen und damit beherrschen zu lernen. Je mehr dies aber geschieht, desto mehr werden sich die Menschen wieder als eins mit der Natur nicht nur fühlen, sondern auch wissen, und je unmöglicher wird jene widersinnige und widernatürliche Vorstellung von einem Gegensatz zwischen Geist und Materie, Mensch und Natur, Seele und Leib, wie sie seit dem Verfall des klassischen Altertums in Europa aufgekommen und im Christentum ihre höchste Ausbildung erhalten hat.“ (Ebenda, S. 191.) Doch dazu ist die soziale Revolution nötig. Die bürgerliche Naturwissenschaft hat nur zur Ausbeutung lohnabhängiger Menschen durch den Kapitalismus sowie zur weiteren Entfremdung zwischen Natur und selbstentfremdeten Menschen beigetragen.

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Für die globale Vernetzung von revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen! https://astendenz.blackblogs.org/2024/07/02/fuer-die-globale-vernetzung-von-revolutionaeren-anarchistinnen-und-antileninistischen-kommunistinnen/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/07/02/fuer-die-globale-vernetzung-von-revolutionaeren-anarchistinnen-und-antileninistischen-kommunistinnen/#respond Tue, 02 Jul 2024 22:16:37 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=225 Die massenmörderische Krisen- und Kriegsdynamik des globalen Kapitalismus schreit geradezu nach einer planetaren Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen. Das Weltproletariat wird erbarmungslos von der Weltbourgeoisie verheizt. Der Klassenkampf des Proletariats wird noch immer innerhalb des reproduktiven Rahmens des Kapitalismus geführt, dessen Perspektive für die ProletarierInnen nur Ausbeutung, Arbeitslosigkeit, staatliche Elendsverwaltung, eine sich vertiefende ökosoziale Kriese und Krieg beziehungsweise einen asozialen Frieden bedeuten kann.

Die globale institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung (Gewerkschaften und politische Parteien) ist der bürokratische Ausdruck der den Kapitalismus reproduzierenden Grenzen des proletarischen Klassenkampfes. Die bürgerlich-bürokratischen Partei- und Gewerkschaftsapparate integrierten sich mehrheitlich in den Kapitalismus und wurden Fleisch von seinem Fleische. Anarchosyndikalismus und Parteimarxismus (Linke Sozialdemokratie, Marxismus-Leninismus, Trotzkismus und Linkskommunismus) sind entweder selbst Teil des kapitalistischen Problems oder außerstande eine revolutionäre Alternative zu Kapital, Staat und institutionalisierter ArbeiterInnenbewegung zu entwickeln.

Letzteres trifft besonders auf den Linkskommunismus zu. Er ist aufgrund seines Antiparlamentarismus, seiner Gewerkschaftsfeindlichkeit und seiner Ablehnung der nationalen Befreiung/Selbstbestimmung zu radikal, um sich in den Kapitalismus zu integrieren, aber zu parteimarxistisch-ideologisch borniert, um den konterrevolutionären Charakter des staatstragenden Bolschewismus ab 1917 zu erkennen und zu begreifen, dass die politische Partei grundsätzlich eine bürgerlich-bürokratische Organisationsform ist, die nur den Kapitalismus reproduzieren, aber eben nicht revolutionär überwinden kann. Das peinliche Rumgeeiere in der Staatsfrage – der berühmt-berüchtigte „Halbstaat“, den die LinkskommunistInnen in der Revolution aufmachen wollen –, ist eine antirevolutionäre Tendenz. Erstens kann es nur ganze Staaten geben und zweitens sind die immer konterrevolutionär!

Eine globale Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen als organisatorisch-inhaltliche Alternative zu Anarchosyndikalismus und Parteimarxismus ist also absolut notwendig. Die Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST) strebt mittelfristig eine globale Föderation dieser revolutionären Kräfte an.

Keine bürokratisch-zentralistische und ideologisch-dogmatische „Internationale“!

Wir streben keine bürokratisch-zentralistische Internationale an, mit einem riesigen globalen Apparat, der die einzelnen Sektionen in den verschiedenen Nationen anführt. Nein, die globale Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen, die wir mittelfristig und geduldig mit euch zusammen aufbauen wollen, soll klar und eindeutig mit der bürokratisch-zentralistischen und ideologisch-dogmatischen Tradition der parteimarxistischen (sozialdemokratischen, marxistisch-leninistischen und trotzkistischen) vier Internationalen brechen. Selbstverständlich soll sie sich auch von internationalen anarchosyndikalistischen und linkskommunistischen Zusammenschlüssen unterscheiden.

Die globale Vernetzung soll die unterschiedlichen theoretisch-kulturellen Ursprünge und Traditionen nicht einebnen, sondern produktiv zusammenführen. Sie soll praktische Gemeinschaftserlebnisse von Individuen und Kleingruppen sowie die inhaltliche Diskussion zwischen ihnen ermöglichen und damit Vereinzelung überwinden. Ganz auf der kollektiven Solidarität der Individuen und Gruppen beruhen. Einzeln und frei wie ein Baum, dabei geschwisterlich wie ein Wald!

Natürlich ist dabei auch eine Beliebigkeit zu verhindern. Die Vernetzung von revolutionären Gruppen und Individuen kann kein Selbstzweck, sondern muss die gemeinsame praktisch-geistige Vorbereitung auf die mögliche Weltrevolution sein.

Diskussionsgrundlage für einen inhaltlichen Minimalkonsens einer globalen Föderation von revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen

Damit die globale Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen eine klare organisatorisch-inhaltliche Alternative zu Parteimarxismus und Anarchosyndikalismus werden kann, muss sie auf klaren Grundprinzipien beruhen. Die AST schlägt zur Diskussion folgende Punkte vor.

1. Für die revolutionäre Aufhebung der Warenproduktion. Die Warenproduktion basiert auf global voneinander getrennten kleinbürgerlichen und kapitalistischen Wirtschaftseinheiten, die ihre Produkte mittels der Ware-Geld-Beziehung austauschen müssen. Das Geld ist der verselbständigte Ausdruck des Tauschwertes. Basis des Tauschwertes ist der Produktionswert, die durchschnittliche, gesellschaftlich notwendige Herstellungszeit einer Ware. Je höher der Produktionswert einer Ware ist, umso höher ist in der Regel auch ihr Tauschwert. Außerdem wird der Tauschwert auch durch die Marktkonkurrenz aus Nachfrage und Angebot bestimmt.

Indem das sich revolutionär selbst aufhebende Proletariat die Produktionsmittel und die soziale Infrastruktur in gesamtgesellschaftliche Verfügungsgewalt überführt und den Staat zerschlägt, schafft es die Voraussetzungen für die Aufhebung des Tauschwertes. Überwindung des Tauschwertes heißt, dass in der klassen- und staatenlosen Gemeinschaft die Produkte nicht getauscht – auch nicht durch einen Naturaltausch ohne Geld! – sondern gesamtgesellschaftlich kollektiv-solidarisch verteilt werden. Die Individuen sind keine passiven Objekte der gesamtgesellschaftlichen Leitung und Planung der Produktion sowie der Verteilung der Produkte, sondern deren aktive Subjekte.

RevolutionärInnen kritisieren jegliche „Vergesellschaftung“ innerhalb von Warenproduktion und Staat als Scheinalternative. GenossInnenschaften und „selbstverwaltete“ Betriebe innerhalb des Kapitalismus sind im besten Falle kleinbürgerlich-kollektive Formen der Warenproduktion und gehen fließend in Kapitalgesellschaften über.

2. Für die revolutionäre Zerschlagung aller Staaten. Staaten sind grundsätzlich sozialreaktionäre Gewaltapparate von Klassengesellschaften. Im Kapitalismus sind die Staaten die politischen Gewaltapparate der Kapitalvermehrung. Es kann keine „progressiven“ oder „sozialistischen“ Staaten geben. Das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat muss den Staat zerschlagen! Die „Halbstaaten“ einer angeblichen „Übergangsgesellschaft“, die der Linkskommunismus herbeiphantasiert, kann es nicht geben. Zwischen dem kapitalistischen Staat und der klassen- und staatenlosen Gemeinschaft gibt es keine staatsförmige „Übergangsgesellschaft“, sondern „nur“ die mögliche revolutionäre Zerschlagung des Staates! Den Staat zu zerschlagen, heißt die gesamtgesellschaftlich-kollektive Organisation des Lebens ohne Gewaltapparate und BerufspolitikerInnen.

Da das Proletariat eines Landes, einer Gruppe von Ländern, eines Kontinents unmöglich mit der sozialen Revolution warten kann, bis ihre Klassengeschwister weltweit so weit sind, kann die Weltrevolution nur eine permanente Kette der Zerschlagung der Nationalstaaten sein. In der Weltrevolution wird es also sowohl schon mögliche klassen- und staatenlose Gemeinschaften als auch noch kapitalistische Staaten geben. Der revolutionäre Kampf gegen die Konterrevolution – sowohl von marodierenden Banden als auch von Staaten – beruht auf der kollektiven Militanz des sich selbst revolutionär aufhebenden Proletariats beziehungsweise der klassen- und staatenlosen Gemeinschaft, aber nicht auf von der Gesellschaft getrennten Gewaltapparaten. Letztere wären der reproduzierte Staat. In der Praxis wird es schwer werden, notwendige revolutionäre Gewalt gegen die Konterrevolution auszuüben, ohne den Staat zu reproduzieren. Aber der reproduzierte Staat ist die Konterrevolution! Deshalb kompromissloser Kampf gegen die linkskommunistische Ideologie von dem „Halbstaat“ in der angeblichen „Übergangsperiode“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus! Die Weltrevolution ist erst zu Ende, wenn alle kapitalistischen Staaten revolutionär zerschlagen sind.

3. Gegen die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung (Gewerkschaften und politische Parteien). Gewerkschaften sind der bürokratisch entfremdete Ausdruck des reproduktiven Klassenkampfes des Proletariats innerhalb des Kapitalismus. Im frühen Kapitalismus ging die Bourgeoisie noch total repressiv gegen den proletarischen Klassenkampf vor. Streiks und Gewerkschaften waren absolut verboten. Doch große Teile der herrschenden Klasse erkannten in einem sozialen Lernprozess – auch aufgrund des Druckes des klassenkämpferischen Proletariats – dass in einer Klassengesellschaft der Klassenkampf nicht effektiv absolut zu verbieten ist. So wurde in den verschiedenen Staaten der reproduktive Klassenkampf und die Gewerkschafen unter bestimmten Bedingungen legalisiert. Der Klassenkampf wurde verrechtlicht und damit tendenziell entradikalisiert. Die Gewerkschaften wurden durch das durch staatliche Gesetze regulierte Tarifvertragssystem, gesetzlich-sozialpartnerschaftliche Betriebsräte und das Sitzen von Gewerkschaftsbonzen in den Aufsichtsräten der Konzerne zu Co-Managerinnen der kapitalistischen Ausbeutung.

Die meisten Gewerkschaften sind durch einen antagonistischen Klassengegensatz geprägt. Auf der einen Seite die bürgerlich-bürokratischen Apparate der hauptamtlichen FunktionärInnen – die sozial nicht (mehr) zum Proletariat gehören – und auf der anderen die ehrenamtlichen FunktionärInnen und die lohnabhängige Basis als Manövriermasse. Die Haupttendenz der Gewerkschaftsapparate ist es, sich vollständig in den kapitalistischen Staat zu integrieren.

Gewerkschaften können grundsätzlich nur einen reproduktiv-sozialreformistischen Klassenkampf um höhere Löhne, für kürzere Arbeitszeiten und eine geringere Arbeitsintensität sowie gegen die Angriffe von Kapital und Staat innerhalb des Kapitalismus, aber eben keinen revolutionären für die klassen- und staatenlose Gesellschaft führen. Selbstverständlich gibt es zwischen ihnen große Unterschiede. So gibt es total sozialreaktionäre Gewerkschaften, die völlig in die jeweiligen Staaten integriert sind und auch deren imperialistischen Kriege unterstützen, aber auch Basisgewerkschaften, die gegen Aufrüstung, Waffenhandel und Krieg einen pazifistisch-reformistischen Klassenkampf führen.

Die Behauptungen des Anarchosyndikalismus, es könne revolutionäre Gewerkschaften geben und er würde sie aufbauen, hat er durch seine eigene Praxis widerlegt. Durch seine Anpassung an das Tarifvertragssystem, gesetzlich-sozialpartnerschaftliche Betriebsräte und das reformistische Bewusstsein der Mehrheit des Proletariats wurde der Anarchosyndikalismus selbst zu einer Strömung des globalen Gewerkschaftsreformismus. Gewerkschaften sind die Organisationsform des reproduktiven Klassenkampfes innerhalb des Kapitalismus, aber eben keine revolutionären zur dessen Zerschlagung. Gewerkschaften können nicht revolutionär und revolutionäre Klassenkampforganisationen (siehe Punkt 5) keine Gewerkschaften sein!

In nichtrevolutionären Zeiten können RevolutionärInnen einfache Mitglieder von Gewerkschaften sein. Aber sie dürfen keine neben- oder hauptamtlichen Funktionen in ihnen übernehmen. Gewerkschaften müssen grundsätzlich durch revolutionäre Klassenkampforganisationen, die sich allerdings erst möglicherweise in der sozialen Revolution herausbilden können, ersetzt werden. Berits im reproduktiven Klassenkampf innerhalb des Kapitalismus entwickelt sich die proletarische Selbstorganisation als Alternative zur Gewerkschaftsbürokratie (siehe Punkt 5). Völlig in den kapitalistischen Staat integrierte Gewerkschaftsapparate, die auch imperialistische Kriege unterstützen, müssen aktiv in der sozialen Revolution zerschlagen werden!

Politische Parteien bildeten sich ab dem 19. Jahrhundert zu zwar nicht absolut notwendigen, doch weit verbreiteten Basiseinheiten der bürgerlichen Politik. Parlamentarische Demokratien sind pluralistische Mehrparteiendiktaturen. In ihnen konkurrieren die politischen Parteien in Form von freien Wahlen um die Beherrschung des Staatsapparates. Freie Wahlen machen aus ProletarierInnen Stimmvieh, dass ihre strukturellen KlassenfeindInnen, die BerufspolitikerInne,n dazu ermächtigt, entweder den kapitalistischen Staat zu regieren oder systemloyal zu opponieren. Neben den Demokratien gab und gibt es noch faschistische und marxistisch-leninistische (siehe Punkt 4) Einparteiendiktaturen.

Politische Parteien sind klassengespalten in bürgerlich-bürokratische Apparate aus hauptamtlichen FunktionärInnen sowie BerufspolitikerInnen und -ideologInnen auf der einen und der kleinbürgerlich-proletarischen Basis auf der anderen Seite. Mensch kann zwischen kleinbürgerlich-radikalen Protest-/Aufstandsparteien und großbürgerlichen Systemparteien unterscheiden.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildeten sich sozialdemokratische Massenparteien als politischer Flügel der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung. Einige von ihnen betrogen sich selbst und das Proletariat mit einer „revolutionären“ Ideologie, die aber nicht mit ihrer Praxis des parlamentarischen Sozialreformismus übereinstimmte, sondern diese verschleierte. Sie nahmen an Wahlen teil und integrierten sich immer stärker in das parlamentarische System. Die bürgerlich-bürokratischen Apparate der sozialdemokratischen Parteien strebten als Haupttendenz an, von der Bourgeoisie voll anerkanntes Regierungspersonal des kapitalistischen Staates zu werden.

Für die europäische Sozialdemokratie kam dieser Moment im Jahre 1914, den Beginn des Ersten Weltkrieges und der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923). Die meisten europäischen sozialdemokratischen Parteien unterstützten den Ersten Weltkrieg auf der Seite ihres jeweiligen Nationalstaates. Nur pazifistische und radikale Teile der Sozialdemokratie waren gegen die Kriegsbeteiligung. Während der europäischen revolutionären Nachkriegskrise wurde die Sozialdemokratie – besonders die deutsche SPD – offen konterrevolutionär, die blutig das klassenkämpferisch-revolutionäre Proletariat niederschlug. Heute ist die Sozialdemokratie vollständig in den Kapitalismus integriert.

Infolge der europäischen revolutionären Nachkriegskrise spaltete sich der radikale Flügel der Sozialdemokratie weltweit sowohl als Partei-„Kommunismus“ als auch als Rätekommunismus ab. In einigen Nationen entstanden marxistisch-leninistische Parteidiktaturen (siehe Punkt 4). In hochentwickelten privatkapitalistischen Demokratien integrierten sich marxistisch-leninistische und trotzkistische Parteien in das parlamentarische System. Indem Marxismus-Leninismus und Trotzkismus an parlamentarischen Wahlen teilnehmen, helfen sie dabei die Demokratie als Diktatur des Kapitals praktisch-geistig zu reproduzieren und die ProletarierInnen zum Stimmvieh abzurichten und braven demokratischen StaatsbürgerInnen zu erziehen.

Die sich vernetzenden Gruppen des revolutionären Anarchismus und des antileninistischen Kommunismus lehnen die politische Partei als Organisationsform des klassenkämpferischen Proletariats und der revolutionären Minderheiten ab. Ihre Kleingruppen sind weder Gewerkschaften noch politische Parteien und sie streben es auch nicht an, es zu werden.

4. Revolutionärer Antileninismus. Die politische Machtübernahme der bolschewistischen Partei im Oktober 1917 – nach dem alten russischen Kalender – stellte keine „proletarische Revolution“ dar, wie der Parteimarxismus einschließlich des Linkskommunismus behauptet, sondern der Prologder staatskapitalistischen Konterrevolution. Das sozialreaktionäre Lenin-Trotzki-Regime zerschlug die Sowjets als Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats. Ab der Verstaatlichung der Großindustrie im Frühsommer 1918 war es staatskapitalistisch. Es folgten weitere sozialreaktionäre politische Machteroberungen von marxistisch-leninistischen Parteiapparaten und die Herausbildung staatskapitalistischer Regimes in Euroasien, Afrika und auf Kuba.

Die ultrazentralistischen und überbürokratischen staatskapitalistischen Produktionsverhältnisse begünstigten die ursprüngliche, nachholende und beschleunigte Industrialisierung von einstigen Agrarnationen, aber auf Dauer konnten sie nicht der Konkurrenz des hochentwickelten Privatkapitalismus standhalten, weshalb sich in den marxistisch-leninistischen Staatsparteien proprivatkapitalistische Reformfraktionen entwickelten und die politische Macht eroberten. Diese transformierten dann den Staats- in den Privatkapitalismus. In der Sowjetunion und in Osteuropa zerfielen die marxistisch-leninistischen Parteidiktaturen. In China, Vietnam und auf Kuba wurde und wird das Kapital unter der Herrschaft der marxistisch-leninistischen Parteien privatisiert.

5. Für die klassenkämpferische Selbstorganisation und die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats. Das Proletariat kann nur in klassenkämpferischer Selbstorganisation seine Interessen und Bedürfnisse gegen Kapital und Staat durchsetzen. Die klassenkämpferische Selbstorganisation richtet sich bereits im reproduktiven Klassenkampf innerhalb des Kapitalismus gegen die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate. Besonders in längeren Arbeitsniederlegungen, die offiziell von den Gewerkschaften geführt werden, entwickeln sich teilweise Formen der Doppelherrschaft. Auf der einen Seite die Selbstorganisation der Basis und auf der anderen die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate. Die höchste Form nimmt die Selbstorganisation der Lohnabhängigen im reproduktiven Klassenkampf in gewerkschaftsunabhängigen wilden Streiks an. Ist die Arbeitsniederlegung relativ kurz und sind die Belegschaften verhältnismäßig klein, reicht oft bereits die informelle Selbstorganisation der Lohnabhängigen. Dauert der wilde Streik jedoch länger und/oder stehen größere beziehungsweise mehrere Belegschaften in ihm, dann werden offizielle Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation, gewerkschaftsunabhängige Streikkomitees, notwendig.

Revolutionäre Kleingruppen orientieren sich auf die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats, lehnen aber den Anspruch auf dessen „Führung“ ab. Ihre Funktion ist es praktisch-geistige Impulse zur Radikalisierung des Klassenkampfes zu geben. Wohl wissend, dass der Hauptimpuls zur Radikalisierung des Proletariats dessen eigener praktischer Kampf ist. RevolutionärInnen lehnen jede Stellvertreterpolitik gegenüber dem Proletariat einschließlich des Guerillakrieges getrennt vom Klassenkampf ab.

In außerordentlichen Situationen kann sich der proletarische Klassenkampf zur sozialen Revolution radikalisieren. Dann ist die revolutionäre Klassenkampforganisation notwendig. Wir verstehen darunter die Organisation der Revolution. Diese wird sowohl durch die informelle Aktion des Proletariats als auch durch offizielle Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation geprägt sein. Die Aufgabe der revolutionären Klassenkampforganisation wird die Aufhebung der Warenproduktion (Punkt 1) und die revolutionäre Zerschlagung des Staates (Punkt 2) sein. Gelingt dies, dann transformiert sich die revolutionäre Klassenkampforganisation in die klassen- und staatenlose Gemeinschaft. Die revolutionäre Klassenkampforganisation ist also die Selbstaufhebung des Proletariats als Prozess.

Diese revolutionäre Organisation des Proletariats kann nur die Warenproduktion aufheben und den Staat zerschlagen, wenn sie ganz auf der kollektiv-solidarischen Selbstorganisation der Klasse ohne bürokratische Apparate und BerufspolitikerInnen beruht. Hauptamtliche Gewerkschafts- und ParteifunktionärInnen sowie BerufspolitikerInnen haben in der revolutionären Klassenkampforganisation des Proletariats nichts zu suchen! Revolutionäre Kleingruppen der vorrevolutionären Zeit gehen in der revolutionären Klassenkampforganisation auf. Diese kann nur die klassen- und staatenlose Gesellschaft gebären, wenn sie bereits mit deren Organisationsprinzipien schwanger geht.

Wir wissen nicht, wie die zukünftige revolutionäre Klassenkampforganisation aussehen wird. Die ArbeiterInnen- und Soldatenräte der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923) waren nur potenziell und tendenziell revolutionär. Sie hatten sich noch nicht das klare Ziel der Aufhebung der Warenproduktion und der revolutionären Zerschlagung des Staates gestellt. Und sie wurden zum Beispiel in Russland zuerst von menschewistischen und „sozialrevolutionären“ BerufspolitikerInnen deformiert, die versuchten die Sowjets in den proprivatkapitalistischen Staat zu integrieren. Später wurden bolschewistische BerufspolitikerInnen in den Sowjets immer stärker. Die Bolschewiki forderten demagogisch: „Alle Macht den Sowjets!“ Als sie dann mit Hilfe der Sowjets die politische Macht erobert hatten, zerschlugen sie diese als Organe des selbstorganisierten Klassenkampfes. Daraus gibt es nur eine Lehre zu ziehen: BerufspolitikerInnen raus aus der revolutionären Klassenkampforganisation! Allen politischen Parteien – auch den linkskommunistischen – und Gewerkschaften einschließlich der anarchosyndikalistischen, die die Führung des revolutionären Proletariats anstreben, muss ordentlich auf die Finger geklopft werden!

6. Revolutionäre Kritik des Antifaschismus. SozialrevolutionärInnen bekämpfen die Demokratie kompromisslos – so wie alle anderen Staatsformen. Sie kämpfen gegen FaschistInnen, Nazis sowie Militärputsche und -diktaturen, aber verteidigen niemals die Demokratie. So wie der Antifaschismus im Zweiten Weltkrieg und im spanischen BürgerInnenkrieg demokratische Regimes gegen faschistische Staaten und Militärputsche unterstützte und damit das große kapitalistische Massaker am Weltproletariat mit organisierte, ist er auch heute in den verschiedenen Gemetzeln Teil der Rechtfertigungsideologien und Mobilisierung für die Demokratie. RevolutionärInnen lehnen Einheits- und Volksfronten mit bürgerlichen Kräften – einschließlich der Sozialdemokratie, des Marxismus-Leninismus und des Trotzkismus gegen den Neofaschismus ab. Sie bekämpfen ihn auf klassenkämpferisch-revolutionärer Grundlage.

Das ist die Lehre aus dem spanischen BürgerInnenkrieg (1936-1939), bei dem die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung – von den StalinistInnen und SozialdemokratInnen über die linkssozialistische POUM bis zur anarchosyndikalistischen CNT – mit anderen bürgerlichen Kräften eine Volksfront bildete, gegen die die Generäle unter Franco putschten. Die Volksfront führte sowohl einen innerkapitalistischen und sozialreaktionären BürgerInnenkrieg gegen die putschenden Generale als auch einen Klassenkampf von oben gegen das Proletariat und den linken Flügel der Volksfront (POUM und Basis der CNT). Den Klassenkampf von oben gewann die Volksfront, während sie den BürgerInnenkrieg gegen Franco verlor. RevolutionärInnen mussten sowohl die Volksfront als auch die putschenden Generäle bekämpfen.

7. Gegen nationale „Befreiung“/Selbstbestimmung/Autonomie. Die Nationen sind Zwangs- und Scheingemeinschaften aus Kapital und Lohnarbeit. Ihr organisierender Kern ist der Nationalstaat. Nationen beruhen ökonomisch auf der erfolgreichen Vermehrung des Nationalkapitals, politisch auf der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols und ideologisch auf den Nationalismus. Der Letztgenannte integriert die Lohnabhängigen in die jeweiligen Nationalstaaten und spaltet das Weltproletariat. Dieses wird in der globalen Interaktion der Nationen – sowohl kooperative Konkurrenz als auch konkurrenzförmige Kooperation – erbarmungslos verheizt. Die ProletarierInnen werden durch den Nationalismus in blutigen Gemetzeln aufeinandergehetzt – im Interesse des Weltkapitalismus.

RevolutionärInnen bekämpfen die nationalistische Benachteiligung und Unterdrückung von kulturellen, sprachlichen und religiösen Minderheiten sowie den Rassismus gegen Menschen mit bestimmten Hautfarben. Aber auch dagegen, dass aus diesen Minderheiten durch nationalistische Politik neue Nationen geformt werden. Für die dann entweder Autonomie in bestehenden Nationalstaaten verlangt und durchgesetzt (wie zum Beispiel „die KurdInnen“ im Nordirak und in Syrien) oder einen neuen unabhängigen Nationalstaat aufgemacht werden. Nationale „Befreiung“/Selbstbestimmung und Autonomie kann nur Kapital und Staat reproduzieren, aber eben nicht überwinden. Gegen nationalistische Unterdrückung hilft keine nationale „Befreiung“, sondern nur die soziale Befreiung von der Nation durch die mögliche Weltrevolution und die globale klassen- und staatenlose Gemeinschaft. In der globalen Konkurrenz der Nationen unterstützen die RevolutionärInnen keinen, sondern bekämpfen alle.

8. Gegen den Pazifismus. Der (klein)bürgerliche Pazifismus tritt für den bürgerlichen Frieden sowohl innerhalb der als auch zwischen den kapitalistischen Staaten ein. Doch dieser ist lediglich die nichtmilitärische Form der Konkurrenz aller gegen alle. Er ist asozial und gewalttätig. Im Inneren beruht er auf dem staatlichen Gewaltmonopol und in der Außenpolitik auf Aufrüstung. Der bürgerliche Frieden innerhalb des Kapitalismus ist nicht die Alternative zum Krieg, sondern dessen Quelle.

Der Pazifismus verlangt die freiwillige, kooperative und nennenswerte Abrüstung der kapitalistischen Staaten. Doch die ist aufgrund der globalen Konkurrenz illusorisch. Es kann nur eine wirkliche Abrüstung geben: die Zerschlagung aller Staaten durch die mögliche globale Revolution. Kompromissloser Klassenkrieg! Weltproletariat gegen Weltbourgeoisie!

9. Grundsätzliche Kritik sowohl des kapitalistischen Patriarchats als auch der bürgerlichen Frauenemanzipation im Kapitalismus. Für den revolutionären Kampf gegen das kapitalistische Patriarchat. Das kapitalistische Patriarchat ist sowohl klassenübergreifend als auch klassenspezifisch. Frauen sind innerhalb der Bourgeoisie (Kapitalistinnen, Managerinnen, Berufspolitikerinnen und Spitzenbeamtinnen) unterrepräsentiert, während die Proletarierinnen einer sexistischen Extrauausbeutung unterworfen werden. So sind zum Beispiel Frauenlöhne durchschnittlich niedriger als Männerlöhne. Ein Ausdruck des kapitalistischen Patriarchats ist auch, dass die meisten biosozialen Reproduktionstätigkeiten (einkaufen, reinigen der Wohnung, Pflege von kranken und/alten Menschen, Beaufsichtigung und Erziehung von Kindern…) sowohl innerfamiliär als auch durch Lohnarbeit durchschnittlich hauptsächlich von Frauen verrichtet werden. Weitere Aspekte des kapitalistischen Patriarchats sind die Degradierung der Frauenkörper zum Sexualobjekt – besonders in Pornographie und Prostitution –, patriarchal-sexistische Gewalt gegen Frauen einschließlich von Femiziden sowie staatliche Repression gegen Abtreibungen.

Der (klein)bürgerliche Feminismus kämpft für Gleichberechtigung von Frauen und Männern innerhalb des Kapitalismus und damit der Klassenspaltung. Er erkämpfte in seiner Geschichte das Frauenwahlrecht, die Zulassung von Frauen zu bestimmten Berufen und immer mehr Berufspolitikerinnen und Wirtschaftsmanagerinnen. Und auch die sexistische Extraausbeutung der Frauen konnte abgemildert werden. Die völlige Durchsetzung der bürgerlichen Frauenemanzipation innerhalb des Kapitalismus würde bedeuten, dass Frauen innerhalb der Bourgeoisie nicht mehr unterrepräsentiert und die Proletarierinnen nicht mehr sexistisch extra ausgebeutet werden sowie die biosozialen Reproduktionstätigkeiten gleichmäßig unter den Geschlechtern, aber ungleichmäßig zwischen den Klassen verteilt werden. Die Durchsetzung von Punkt eins ist wahrscheinlicher als der Punkte 2 und 3. Jedoch haben die Proletarierinnen nichts davon, wenn sie von mehr Politikerinnen regiert, von Kapitalistinnen ausgebeutet und von Chefinnen herumkommandiert werden. Der bürgerliche Feminismus führt geradewegs zur „feministischen Außenpolitik“ kapitalistisch-imperialistischer Staaten…

Auch wenn der (klein)bürgerliche Feminismus es noch so sehr leugnet: es gibt auch weiblichen Sexismus gegen Männer. Klar, die bürgerliche Kleinfamilie ist grundsätzlich – auch von ihrer Geschichte her – patriarchal und vom männlichen Sexismus geprägt. Aber es gibt auch zwischenmenschliche Beziehungen, in denen Frauen Männer unterdrücken. Und auch sexuelle Belästigung von Männern durch Frauen. Dieser weibliche Sexismus kommt auch teilweise im (klein)bürgerlichen Feminismus zum Ausdruck. Zum Beispiel wenn in der feministischen Ideologie teilweise unterschwellig anklingt, aber manchmal auch offen behauptet wird: Frauen sind die besseren Menschen. Oder wenn einige Feministinnen gegen trans Frauen als „Männer in Frauenkleidern“ hetzen. Das ist nicht „nur“ transfeindlich, sondern auch sexistisch gegen Männer. RevolutionärInnen bekämpfen den weiblichen Sexismus genauso konsequent wie den männlichen.

RevolutionärInnen stellen der bürgerlichen Frauenemanzipation im Kapitalismus grundsätzlich den revolutionären Kampf gegen das Patriarchat gegenüber. Durch die soziale Revolution sowie die klassen- und staatenlose Gemeinschaft können viele biosoziale Reproduktionstätigkeiten, die im Kapitalismus hauptsächlich innerfamiliär und von Frauen verrichtet werden, auf freiwilliger Grundlage vergesellschaftet und auf alle Geschlechter fair verteilt werden. Nur durch die revolutionäre Aufhebung der Ware-Geld-Beziehung sowie des sozialen und sexuellen Elends kann auch die Prostitution überwunden werden. Ihr staatliches Verbot, die Teile des Feminismus fordern, können diese nur in den Untergrund treiben und das Leben der Prostituierten erschweren.

10. Gegen heterosexuelle und geschlechtliche Normierungen – aber auch gegen die verlogene staatliche „Regenbogentoleranz“ und kleinbürgerliche Identitätspolitik. RevolutionärInnen bekämpfen sowohl die staatliche Repression gegen Menschen, die der heterosexuellen und binären Geschlechternorm nicht entsprechen – homo-/bisexuelle, nichtbinäre und trans Menschen – in jenen Ländern, wo diese besteht, als auch die verlogene „Regenbogentoleranz“ von in dieser Frage liberaleren Nationen und Staatenbündnisse. Grundsätzlich braucht der Kapitalismus keine heterosexuellen und geschlechtlichen Normierungen. Solange Schwule, Lesben, nichtbinäre und trans Menschen durch fleißige Produktion und aufgeschlossenem Konsum das Kapital vermehren sowie brave StaatsbürgerInnen sind, ist für den modernen Liberalismus alles in Ordnung. Liberale Staaten und Staatenbündnisse wie die Europäische Union (EU) machen auch die „Regenbogentoleranz“ zur imperialistischen Waffe gegen Staaten, mit denen sie aus anderen Gründen konkurrieren und die repressiv die heterosexuelle und geschlechtliche Normierung durchsetzen.

RevolutionärInnen unterschieden zwischen biologischen Geschlechtern, sozialen Geschlechterrollen und individuellen Geschlechtsidentitäten. Soziale Geschlechterrollen wollen sie durch die soziale Revolution aufheben (siehe Punkt 9), während sie alle individuelle Geschlechtsidentitäten tolerieren, solange die sich nicht gegen andere richten. Soll jede/r nach seiner/ihrer Fasson glücklich werden. Aber RevolutionärInnen wissen auch, dass im Kapitalismus alle Identitäten – unter anderem „Nation“, Hautfarbe, Religion, biologisches Geschlecht, soziale Geschlechterrolle und individuell Geschlechtsidentität sowie sexuelle Orientierung – zu Kostümen im Konkurrenzkampf aller gegen alle werden. Der rechtskonservativ-neofaschistische Konkurrenzchauvinismus gegen „AusländerInnen“, „Nichtweiße“, Homosexuelle, nichtbinäre und trans Menschen genau wie die linksliberale Hetze gegen „cis-Männer“ und „alte, weiße Männer“ – damit die jungen, „nichtweißen“ Frauen innerhalb von KleinbürgerInnentum und Bourgeoisie ordentlich Karriere machen können. RevolutionärInnen bekämpfen sowohl die rechtskonservativ-neofaschistische als auch die linksliberale Identitätspolitik als Konkurrenzchauvinismus und Spaltung des Weltproletariats.

11. Grundsätzliche Kritik des bürgerlichen „Umweltschutzes“ innerhalb des Kapitalismus. Für die Reinigung des Planeten von kapitalistischem Dreck! Das kapitalistische Produktionsverhältnis, in dem sich alles um die grenzenlose Vermehrung des Tauschwertes/Geldes dreht, ist absolut sozialreaktionär und zerstörerisch gegen die pflanzliche und tierische Mitwelt. Die massenhafte Vergiftung, Zubetonierung, Vermüllung und Entwaldung unseres Planeten, der Klimawandel und das massenhafte Artensterben sind lebensgefährliche Ausdrücke der vom Kapitalismus permanent produzierten sozialökologischen Krise. Die technokratischen Versuche der kapitalistischen Staaten den Klimawandel zumindest einzudämmen, verschärfen diese Krise nur. Elektromobilität statt Verbrennungsmotor! Auf dass der lebensgefährliche, ressourcenverschwenderische und zerstörerische, aber eben auch sehr profitable Individualverkehr weiter reproduziert wird. Und Wälder für neue Autobahnen weichen müssen. Eindämmung des Klimawandels durch Windräder in „Naturschutzgebieten“! So sehen die „Lösungen“ der kapitalistischen Technokratie aus.

Auch die klassenübergreifende Umweltbewegung ist aus sich heraus nicht in der Lage, die kapitalistische Vernichtung der pflanzlichen und tierischen Mitwelt sowie den Klimawandel aufzuhalten. Nur die mögliche Weltrevolution kann durch die Überwindung der kapitalistischen Produktions- und Konsumtionsverhältnisse die ökosoziale Krise eindämmen. Dies spricht nicht dagegen, dass RevolutionärInnen an lokalen Bewegungen gegen konkrete kapitalistische Naturzerstörungen teilnehmen, um radikalisierende Impulse zu geben. Aber sie müssen immer die strukturelle kleinbürgerliche Beschränktheit auch der radikalsten klassenübergreifenden Umweltbewegung kritisieren. In der institutionalisierten Umweltbewegung, also in den verschiedenen kleinbürgerlichen Vereinen, haben RevolutionärInnen grundsätzlich nichts verloren.

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https://astendenz.blackblogs.org/2024/07/02/fuer-die-globale-vernetzung-von-revolutionaeren-anarchistinnen-und-antileninistischen-kommunistinnen/feed/ 0
11. Sein und Bewusstsein des Proletariats https://astendenz.blackblogs.org/2024/06/22/11-sein-und-bewusstsein-des-proletariats/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/06/22/11-sein-und-bewusstsein-des-proletariats/#respond Sat, 22 Jun 2024 23:58:21 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=221 Das Proletariat ist nicht nur ein potenzielles und tendenzielles Klassenkampfkollektiv. Es zerfällt auf den verschiedenen Arbeits- und Konsumgütermärkten in auch gegeneinander konkurrierende Marktindividuen. Als VermieterInnen ihrer Arbeitskraft und KäuferInnen von Konsumgütern sind auch ProletarierInnen kleinbürgerliche Marktsubjekte und mintunter ekelhaft Konkurrenzindividuen. Als letztere sind sie auch anfällig für die Ideologien des Konkurrenzchauvinismus wie Nationalismus, Rassismus, Sexismus und religiösen Fundamentalismus. Besonders als NationalistInnen und RassistInnen führen nicht wenige ProletarierInnen weltweit einen chauvinistischen Konkurrenzkampf gegen ProletarierInnen anderer Nationalität und/oder Hautfarbe. Nationalistische und rassistische ArbeiterInnen beziehen sich positiv auf ihre „eigene“ Nationalität beziehungsweise Hautfarbe und fordern auf dieser Grundlage wirkliche oder vermeintliche Rechte von Kapital und Staat ein. Sie verlangen in „ihrem“ Land auf dem Arbeitsmarkt und dem Wohnungsmarkt bevorzugt behandelt zu werden. Nicht wenige ProletarierInnen „sehen“ eine nichtvorhandene Bevorzugung der „fremden“ ProletarierInnen durch die einheimischen Politbonzen. Die objektiv reale soziale Entfremdung des Proletariats vom kapitalistischen Produktionsprozess und der bürgerlichen Politik wird nationalistisch und rassistisch uminterpretiert. Nationalistische und rassistische ProletarierInnen fühlen sich „fremd im eigenen Land“. Sie glauben, dass es ihnen deshalb schlecht gehe, weil es „den Fremden“ angeblich zu gut gehen würde. Wenn das linksliberale BildungsbürgerInnentum im Namen eines abstrakten Humanismus gegen diesen konkreten Konkurrenzchauvinismus argumentiert, dringt sie damit bei großen Teilen des Proletariats nicht durch.

Außerdem sind ProletarierInnen in ihrer Freizeit auch KonsumentInnen der bürgerlichen Kulturindustrie und Ideologieproduktion. Doch die kapitalistische Kultur- und Freizeitindustrie vermag den ProletarierInnen nur die Freiheit im Zoo zu verkaufen. Die ProletarierInnen konsumieren die Freizeit als Freiheit im Zoo. Der Zoo ist das Recht für Geld eingesperrte Kreaturen sehen zu können. Das ist der Genuss der Freizeit, um sich in der Arbeitszeit wieder – scheinbar freiwillig, in Wirklichkeit von dem stummen Zwang der Verhältnisse getrieben, der von vielen verinnerlicht wird – in Büros und Betriebe einsperren zu lassen. Selbstverständlich ist das eingesperrte Sein der Tiere nicht vergleichbar mit der doppelten Freiheit der Lohnabhängigen. Tiere können nicht selbst den Zoo zerstören, aber die Lohnarbeit kann sich möglicherweise in einem revolutionären Prozess selbst aufheben. Die mögliche revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats ist notwendigerweise auch die Zerschlagung des Zoos als Ausdruck der kapitalistisch-technokratischen „Naturbeherrschung“ und der menschlichen Entfremdung von der Natur. Arbeit ist der Preis für die Freiheit im Zoo. Sowohl die Lohnarbeit der TierpflegerInnen als auch die von vielen ZoobesucherInnen. Nach den weitverbreiteten Vorstellungen vieler Lohnabhängiger gehen sie arbeiten, um sich unter anderem das Brot und die Spiele, die von der kapitalistischen Kulturindustrie serviert werden, leisten zu können. So bezahlen sie durch ihre Arbeit den ganzen Zirkus, in dem sie sich nicht gerade selten selbst zum Affen machen. Im selbstverlorenen Einrichten im Zoo der kapitalistischen Kulturindustrie ist das Finden der eigenen Identität sehr wichtig. Die bürgerlichen Individuen sollen ihre Identität im Kauf von bestimmten Produkten finden, die massenhaft hergestellt werden – und sie dennoch „unverwechselbar“ machen sollen. Kapitalistische Kultur ist im Wesentlichen die der Bourgeoisie und des KleinbürgerInnentums. ProletarierInnen konsumieren größtenteils die Meinung der herrschenden kapitalistischen Klasse sowie ihrer kleinbürgerlichen Kopflanger, indem sie Zeitungen lesen, im Internet surfen oder auch ganz „unpolitisch“ ins Kino gehen. Wo sie unter anderem Hollywood-Schinken genießen können, in denen amerikanische ActionheldInnen die westliche Freiheit gegen alle möglichen und unmöglichen FeindInnen verteidigen. Natürlich gibt es auch die Kapitalismus-Kritik als Ware. Ganz günstig bei Amazon. Der Kapitalismus verdient auch an dessen Kritik. Und die ProletarierInnen bezahlen für sie – mit ihrer Arbeit und mit ihrem Geld.

Als Marktsubjekte verinnerlichen auch ProletarierInnen in ihrer Mehrheit die Ware-Geld-Beziehung als etwas völlig Normales, zumindest als etwas, was sich nicht ändern lässt. Auch Lohnabhängige – besonders Männer – sind durch die Ware-Geld-Perversion, die Prostitution geprägt. Der menschliche Körper – besonders der weibliche – wird zum Sexualobjekt. In der Prostitution kommt besonders zum Ausdruck, dass die bürgerlichen Marktsubjekte nur noch stark eingeschränkt zu intersubjektiven Beziehungen wie Solidarität, Freundschaft und Liebe fähig sind. Sie vereinsamen in der Einöde des Konkurrenzindividualismus. Und kaufen andere Körper, benutzen sie für Geld. Sex wird zur Arbeit für Geld, zur Sexarbeit. Prostitution heißt von der Ware-Geld-Beziehung gefickt zu werden. SexarbeiterInnen sind Teil des Proletariats. Ihre Entfremdung vom eigenen Körper ist krasser als die von anderen LohnarbeiterInnen. Die Forderungen kleinbürgerlicher Feministinnen nach einem staatlichen Verbot der Prostitution richtet sich gegen die Interessen der SexarbeiterInnen. Staatliche Verbote können die Prostitution nicht wirklich überwinden, sondern nur in den Untergrund treiben. Nur die mögliche sozialrevolutionäre Aufhebung der Ware-Geld-Beziehung sowie des sozialen und sexuellen Elends kann die Prostitution wirklich überwinden.

Auch das Privatleben vieler ProletarierInnen ist kleinbürgerlich-patriarchal geprägt. Lohnabhängige Frauen bekommen noch immer trotz der inzwischen erfolgten rechtlichen Gleichstellung der Geschlechter durchschnittlich weniger Lohn als Männer. Auch in proletarischen Familien verrichten Frauen den größten Teil der biosozialen Reproduktionstätigkeiten (saubermachen, einkaufen, Erziehung und Beaufsichtigen von Kindern, Pflege von kranken und älteren Familienmitgliedern). Durch die innerfamiliären biosozialen Reproduktionstätigkeiten eingeschränkt, arbeiten viele Proletarierinnen in schlecht bezahlten Teilzeit-Jobs. Der Kapitalismus braucht sowohl die Warenproduktion als auch die biosoziale Reproduktionstätigkeit. Aber beide müssen nicht unbedingt strukturell patriarchal geprägt sein. So sind in Deutschland in zehn Prozent der Familienhaushalte Frauen die Hauptverdiener. Und es gibt auch Fälle von Familien, wo die Männer ausschließlich biosozialen Reproduktionstätigkeiten nachgehen. Aber egal, ob nun Frauen oder Männer ausschließlich der biosozialen Reproduktionstätigkeit nachgehen: Ihre Arbeit ist oft eintönig und individuell-vereinsamend. Durch die Berufstätigkeit ehemaliger Hausfrauen werden diese Teil des Kollektivs der ArbeiterInnenklasse – und damit auch möglicherweise des proletarischen Klassenkampfes.

Das Privatleben – besonders die Liebes- und Sexualbeziehungen – ist aufgrund der durch Ausbeutung und Entfremdung geprägten Produktionsverhältnissen oft stark belastet. Da viele lohnabhängige Menschen von den Arbeitsverhältnissen realistischerweise gar nicht erwarten, dass sie sie auch sozial befriedigen oder gar glücklich machen, werden oft alle Ansprüche an das Leben auf die Liebesbeziehungen übertragen – und damit überlastet. Wenn die ProletarierInnen von der Arbeit nach Hause kommen, sind sie oft von dieser ermüdet oder gar von dieser frustriert. Da mensch dem Chef nicht sagen kann, was mensch von ihm hält, wird viel geschluckt. Und dann zuhause ausgekotzt. Und dann ist da der Glücksanspruch an den/die Lebenspartner/in. Mensch lässt sich ja so viel gefallen, dann kann mensch doch erwarten, dass es einem daheim gut geht. Der lohnabhängige Mensch ist auf Arbeit das Objekt der Kapitalvermehrung, in der Freizeit, seinem Privatleben, neigt er sehr stark dazu, seinem Lebenspartner zum Objekt seines Glücksanspruches zu machen. Und zwar sowohl die Männer als auch die Frauen. Und wenn der/die andere dem Glücksanspruch nicht genügen kann oder will – dann entlädt sich schnell die innerhäusliche Gewalt. Da der Kapitalismus noch immer stark patriarchal geprägt ist, überwiegt die körperliche Männergewalt gegen „ihre“ Frauen. Doch vereinzelt werden auch Frauen gegen „ihre“ Männer handgreiflich. Innerhäusliche Gewalt – nicht nur körperliche, sondern auch Psychoterror – ist auch in proletarischen Familien weit verbreitet. Sie ist Ausdruck dafür, dass die Menschen der bürgerlichen Gesellschaft immer weniger zu intersubjektiven Beziehungen fähig sind, sondern sich gegenseitig zum Objekt ihres totalitären Glücksanspruches machen – im Privatleben, das den notwendigen Dreck des Arbeitslebens kompensieren soll.

Auch in der Politik sind ProletarierInnen kleinbürgerlich, die in freien Wahlen die gesamtgesellschaftlichen OrganisatorInnen ihrer Ausbeutung ermächtigen. Egal ob die ProletarierInnen politisch links oder rechts wählen – sie stabilisieren damit die Herrschaft der BerufspolitikerInnen als Überbau der kapitalistischen Produktionsweise. Im Proletariat wird zwar viel geschimpft über die BerufspolitikerInnen, aber der totale Klassengegensatz zwischen Lohnarbeit und Staat wird zurzeit nur von einer Minderheit erkannt. Zu viele ProletarierInnen fallen auf rechtspopulistisches Gezeter „gegen das Establishment“ herein – und sorgen mit ihren Wählerstimmen mit dafür, dass RechtsnationalistInnen eben Teil dieses Politzirkus werden. Allerdings ist es auch Teil des politischen Theaters, wenn einige ProletarierInnen antifaschistische PolitikerInnen wählen. „Nazis“ und AntifaschistInnen reproduzieren nur die Politik als gesamtgesellschaftliche Organisation der kapitalistischen Ausbeutung des Proletariats.

Auch im Produktionsprozess ist das Verhalten manchmal ziemlich asozial. Einige Lohnabhängige schleimen sich bei den Chefs und Chefchens ein und treten nach unten – behandeln also die Auszubildenden und die LeiharbeiterInnen schlecht. Auch Mobbing, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und nationalistische/rassistische Hetze gegen andere KollegInnen gibt es am Arbeitsplatz. Des Weiteren verinnerlichen nicht wenige ProletarierInnen ihre Rolle als produktives menschliches Kapital und entwickeln einen widersprüchlichen ProduzentInnenstolz. Einerseits hat der proletarische ProduzentInnenstolz die auch für den Klassenkampf nicht unwichtige Tendenz, das Selbstbewusstsein des Proletariats zu heben, aber eben auch jene, tendenziell die Ausbeutungsobjektivität der Lohnabhängigen zu leugnen oder auszublenden. Der proletarische ProduzentInnenstolz kann sich sowohl klassenkämpferisch gegen die Bourgeoisie als auch sozialdarwinistisch gegen nichtlohnarbeitende Unterschichten richten. Völlig zu Charaktermasken des menschlichen produktiven Kapitals verkommen Lohnabhängige von umweltschädlicher und Rüstungsproduktion, wenn diese ihre Arbeits- und Ausbeutungsplätze sozialreaktionär gegen die kleinbürgerliche Umwelt- und Friedensbewegung verteidigen. In diesem Fall werden sie auch zur politischen Manövriermasse von bestimmten Fraktionen des Kapitals.

Fazit: Als Marktsubjekte, Familienmenschen, Konsumierende der kapitalistischen Freizeit- und Kulturindustrie, StaatsbürgerInnen und als menschliches produktives Kapital im Produktionsprozess entwickeln ProletarierInnen ein mehr oder weniger kleinbürgerliches Sein und Bewusstsein. Sie stehen nicht von außen der bürgerlichen Gesellschaft gegenüber, sie sind ihr unterprivilegiertester Teil, kleine BürgerInnen. Bei den objektiv-subjektiven kleinbürgerlichen Tendenzen des Proletariats bilden dessen Sein und Bewusstsein eine widersprüchliche Einheit. Auch proletarische RevolutionärInnen, die bewusst die Überwindung des Kapitalismus anstreben, leben nicht außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft. Sie sind objektiv Marktsubjekte, die auch mit ihren Klassengeschwistern auf den Arbeitsmärkten und dem Wohnungsmarkt konkurrieren müssen. Aber sie müssen natürlich die gröbsten Auswüchse des Konkurrenzchauvinismus – Nationalismus, Rassismus, Sozialdarwinismus und Sexismus – in sich selbst zurückdrängen. Jedoch ist auch ihre Prägung durch die bürgerliche Gesellschaft und der von ihr permanent produzierte Wahnsinn nicht zu leugnen. Gerade das Unterbewusstsein auch von proletarischen RevolutionärInnen ist stark von der bürgerlichen Gesellschaft geprägt. Darüber müssen sie kollektiv und individuell selbstkritisch reflektieren, anstatt den Avantgarde-Wahnsinn, dass sie angeblich das Proletariat zu „führen“ hätten, zu kultivieren.

…..

Doch das Sein und Bewusstsein des Proletariats ist auch durch den Klassenkampf geprägt. Nicht nur den offensichtlichen, in Form der Arbeitsniederlegung, sondern auch durch den unsichtbaren illegal-konspirativen Alltagsklassenkampf. Dieser ist sehr reichhaltig an verschiedenen Formen. Er ist geprägt durch heimliche Pausen machen, langsam arbeiten, das faktische Nichtbeachten von Anordnungen der hierarchischen Leitungsebenen unter der Maske der Gehorsamkeit, die Sabotage und die produktive Aneignung der Produktionsmittel.

Sehen wir uns einige Formen genauer an. Der kapitalistische Produktionsprozess ist dadurch geprägt, dass die Arbeitsanweisungen von selbst nicht unmittelbar körperlich Arbeitenden erfolgen. Das macht ihre Anweisungen nicht gerade selten ziemlich unpraktisch. Außerdem ist der kapitalistische Arbeitsprozess immer auch Ausbeutungsprozess der Lohnarbeit. Davon sind auch die Anweisungen der Hierarchie geprägt. So ist bekannt, dass kollektives Arbeiten oft produktiver ist als individuelles. Doch das kollektive Arbeiten kann auch die Basis für einen gemeinsamen Klassenkampf sein – gerade dann, wenn das erstere nicht unter der unmittelbaren Aufsicht der Leitungshierarchie stehen kann. Wie zum Beispiel die Arbeit von Zimmermädchen auf Luxusdampfern. Ein ehemaliges Zimmermädchen berichtet in dem sehr interessanten Buch Lexikon der Sabotage wie sie und ihre Kolleginnen durch die hierarchische Arbeitsorganisation dazu angehalten wurden, die jeweilige Suite allein zu reinigen. Doch das Zimmermädchen und eine Kollegin hielten sich nicht daran. Sie machten die Arbeit zusammen, was sie weniger eintönig machte. Wurden sie erwischt, nahmen sie die Strafe hin – und arbeiteten weiter gemeinsam. Irgendwann hörte die Chefin auf, sie dafür zu bestrafen. Auch andere Zimmermädchen begannen zu zweit zu putzen. So hatten sich die Zimmermädchen durch das Nichtbefolgen der Anordnung ihrer Chefin die Arbeit klassenkämpferisch erleichtert. (Bernhard Halmer, Peter A. Krobath, Lexikon der Sabotage. Betrug, Verweigerung, Racheakte und Schabernack am Arbeitsplatz, Sonderzahl, Wien 2008, S. 77-81.)

Das Nichtbefolgen von Anweisungen der Leitungshierarchie ist eine revolutionäre Tendenz des reproduktiven Klassenkampfes. Aber nur eine Tendenz, denn der kapitalistische Produktions- und Ausbeutungsprozess ging ja auch durch das gemeinsame Putzen weiter. Heimlich nicht auf die Chefs hören, das ist eine revolutionäre Tendenz. Die Chefs offiziell zu entmachten – das ist die soziale Revolution!

Auch die Sabotage an den und die produktive Aneignung der Produktionsmittel ist eine revolutionäre Tendenz des reproduktiven Klassenkampfes. Die Mittel der Produktion bilden im Kapitalismus das Eigentum von nicht unmittelbar Produzierenden. Auch werden sie von technischen SpezialistInnen entwickelt – die dem lohnabhängigen KleinbürgerInnentum angehören –, also ebenfalls von Leuten, die nicht unmittelbar an und mit ihnen arbeiten müssen. Das Ziel der Produktion ist Maximalprofit. Wenn Unfälle von Lohnabhängigen sich nicht zu sehr häufen, werden sie vom Kapital als Kollateralschäden der Produktion behandelt. Kapitalistische Technik ist eine Waffe der Bourgeoisie gegen das Proletariat. Sowohl wenn sie nicht richtig funktioniert und massenhaft die Gesundheit und das Leben des Proletariats gefährdet als auch wenn sie technisch einwandfrei läuft. Im zweiten Fall produzieren die ProletarierInnen mit ihnen fremden Reichtum und für sich selbst oft Langeweile und Stumpfsinn. Sie wenden nicht bewusst selbst Produktionsmittel an, um ein Gut für die unmittelbare individuelle und kollektive Befriedigung von Bedürfnissen herzustellen. Sie wurden von den kapitalistischen BesitzerInnen der Produktionsmittel, den NichtarbeiterInnen, angemietet. ProletarierInnen werden an die Maschinen gestellt, deren Laufzeit oft vom Management bestimmt wird. Sie sind das Anhängsel der Maschinen, nicht die bewussten AnwenderInnen der Produktionsmittel. Die letzteren sind gleichzeitig Zerstörungsmittel der Bourgeoisie gegen die LohnarbeiterInnen.

In der Sabotage machen die ProletarierInnen individuell oder kollektiv das kaputt, was sie kaputt macht. Sie täuschen bewusst technische Defekte vor, um die Ruhe des Produktionsausfalles genießen zu können. Die Sabotage ist Zerstörung fremden Eigentums. Sie ist die faktische Nichtanerkennung des kapitalistischen Eigentums an den Produktionsmitteln. Ob sich die sabotageleistenden ArbeiterInnen sich nun dessen bewusst sind oder nicht. Die Sabotage ist eine revolutionäre Tendenz des reproduktiven Klassenkampfes. Der kapitalistische Produktionsprozess wird durch das Sabotage ausübende Proletariat selbstbewusst verneint. Doch nur für eine Weile. Durch die Reparatur beziehungsweise der Ersetzung der zerstörten Technik wird die Sabotage wieder verneint. Sie ist die Verneinung der Verneinung als Wiederbejahung des kapitalistischen Produktionsprozesses. Vielleicht nutzen auch die ManagerInnen die Sabotage, um die zerstörte Technik nicht einfach durch ein anderes Exemplar derselben Art zu ersetzen, sondern zu einer technologischen Innovation, also zu einer Modernisierung des kapitalistischen Produktionsprozesses. Auch die ProletarierInnen funktionieren wieder als menschliches produktives Kapital. Aber sie sind durch die Sabotage andere geworden. Sie haben sich durch sie klassenkämpferisch eine zusätzliche Pause gegönnt und ihren AusbeuterInnen geschadet. Die ProletarierInnen grinsen in sich hinein, während sie vom Chefchen ermahnt werden, mit der neuen Technik doch bitte sorgsam umzugehen…

Auch die produktive Aneignung von Produktionsmitteln durch die ProletarierInnen gehört zu den revolutionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes. Diese Form des illegal-konspirativen Klassenkampfes ist nur in bestimmten Produktionsprozessen und bei einer eher lückenhaften Kontrolle der Lohnabhängigen durch das Kapital möglich. Zum Beispiel in Handwerksbetrieben und an modernen Computer-Arbeitsplätzen. Bei der produktiven Aneignung stellen die Lohnabhängigen – immer, wenn der Chef nicht hinschauen kann – mit den Produktionsmitteln Dinge für sich selbst her. Zum Beispiel in einer Holzwerkstatt Möbel oder am Computer-Arbeitsplatz Liebesgedichte für die PartnerInnen. Während der Klassenkampfaktion der konspirativ-illegalen produktiven Aneignung hören die Produktionsmittel faktisch auf gegenständliches produktives Kapital zu sein. Mit ihnen wird kein Mehrwert für die Bourgeoisie produziert, sondern Dinge für den persönlichen Gebrauch der Lohnabhängigen. Sie heben durch ihren eigenen Klassenkampf tendenziell die Entfremdung von den Produktionsmitteln auf. Auch die Lohnabhängigen sind während der Aktion faktisch kein menschliches produktives Kapital mehr, sondern sie produzieren für ihre eigene Bedürfnisse. In Form der produktiven Aneignung geht also die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats tendenziell in dessen revolutionäre Selbstaufhebung über. Geschieht diese produktive Aneignung im reproduktiven Rahmen eines illegal-konspirativen Alltagsklassenkampfes, dann ist dies „nur“ eine revolutionäre Tendenz. Denn formal bleiben die Produktionsmittel und die Lohnabhängigen auch während der klassenkämpferischen produktiven Aneignung selbstverständlich gegenständliches und menschliches produktives Kapital. Aber eignet sich das Proletariat die Produktionsmittel auch offiziell produktiv an und überwindet die Ware-Geld-Beziehung und den Staat als Nationalkapital, dann hebt es sich wirklich revolutionär auf.

Der Unterschied zwischen den revolutionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes und der möglichen sozialen Revolution ist der, dass die ersteren sich auch instinktiv-vorbewusst durchsetzen können, während der mögliche sozialrevolutionäre Prozess nur als hochbewusste und glasklare Selbstaufhebung des Proletariats als Überwindung der bürgerlichen Gesellschaft zur materiellen Gewalt werden kann.

Meistens sind sich die Lohnabhängigen der revolutionären Tendenzen ihres eigenen Klassenkampfes nicht bewusst. Sie sind dem entfremdeten kapitalistischen Produktionsprozess ausgeliefert. Ihre sozialen Bedürfnisse sind darauf ausgerichtet, die Not unmittelbar zu wenden. Und diese Notwendigkeit setzt sich oft instinktiv-vorbewusst durch. Der Instinkt ist das noch nicht vollkommen klare Gespür für eine Situation. Die meisten ProletarierInnen kennen die Mehrwert-Theorie als theoretische Erklärung der kapitalistischen Ausbeutung nicht. Aber sie bekommen letztere zu spüren. Sie leiden unter ihr. Eine Form, damit umzugehen, ist die psychisch-mentale Verdrängung der Ausbeutung. Selbst proletarische RevolutionärInnen können an der Arbeit nicht ständig daran denken, dass sie ausgebeutet werden. Das ist zu deprimierend. Eine andere Form ist der illegal-konspirative Alltagsklassenkampf. Dieser ist insofern bewusst, dass die ihn führenden ProletarierInnen wissen, dass sie etwas Verbotenes tun. Aber sie wissen oft nicht, dass ihr eigenes Handeln tendenziell revolutionär ist. Um dies zu wissen, braucht es ein revolutionäres Bewusstsein. Nur wer bewusst eine Revolution anstrebt, vermag auch die revolutionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes zu erkennen. Um den kapitalistischen Produktionsprozess abzumildern, dazu reicht instinktiv-vorbewusstes Spüren der Ausbeutung und lebendiger Kampfeswille, aber um ihn aufzuheben, braucht es auch das theoretische Bewusstsein des möglichen revolutionären Prozesses.

Das Bewusstsein der proletarischen RevolutionärInnen ist die Verschmelzung des Klasseninstinktes mit der materialistischen Dialektik. Es verkörpert die Möglichkeit der sozialen Revolution in seiner größtmöglichen Klarheit. Diese schöpft sich aus der theoretischen Verallgemeinerung der konkreten praktischen Klassenkampf-Erfahrungen des Weltproletariats. Die größtmögliche Klarheit ist dabei auch immer eine historisch beschränkte. Denn revolutionäre Theorie kann immer nur die vergangenen praktischen Erfahrungen verallgemeinern.

Revolutionäres Klassenbewusstsein ist Dialektik in seiner höchsten Dynamik. Proletarische RevolutionärInnen streben nicht die Führung ihrer Klasse, sondern deren kollektive klassenkämpferische Selbstorganisation und -aufhebung an. Sie geben wichtige Impulse für die Radikalisierung des Seins und Bewusstseins des Proletariats. Proletarische RevolutionärInnen machen ihre Klassengeschwister nicht zum Objekt von „Agitation und Propaganda“, sondern treten mit ihnen in einen intersubjektiven Dialog ein. Indem sie die sich oft instinktiv-vorbewusst entfaltenden revolutionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes bewusst machen, verstärken sie diese. Indem sie bewusst die revolutionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes praktisch leben, werden sie zu deren bewussten Ausdruck. Zum bewussten Verbindungsglied zwischen den revolutionären Tendenzen des klassenkämpferischen Heute zum möglichen Morgen der sozialen Revolution.

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Weiter oben haben wir sowohl die kleinbürgerlichen Tendenzen der ProletarierInnen als auch die revolutionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes beschrieben. In der sozialen Wirklichkeit des Proletariats verbinden sich die kleinbürgerlichen und revolutionären Tendenzen zu einem widersprüchlichen Sein und Bewusstsein. Der ehemalige Proletarier und jetzige linke Kleinbürger Christian Baron – ihm gelang der materiell-intellektuelle Aufstieg – hat durch seine geistige Reflektion über die Tiefe des Abgrundes, die zwischen der politischen Linken und der ArbeiterInnenklasse herrscht, ein gewisses Verdienst. In seinem Buch Ein Mann seiner Klasse beschrieb Baron das Sein und Bewusstsein seines proletarischen Vaters. „Beständig kreist die Erzählung dabei um den Vater, der als ein geradezu typischer ,Mann seiner Klasse‘ erscheint. Als Möbelpacker verdient er sein Geld mit körperlicher Stärke, doch zählt er zu den Schwächsten der Gesellschaft. Gelegentlich rächt er sich an ihr, indem er auf Arbeit klaut und seiner Familie fremde Schätze mitbringt, die ,vom Laster gefallen‘ seien. Das sei zwar ,nicht recht‘, aber ,gerecht‘, meint er. Zu einem Protest, der wirklich politisch wäre, findet er jedoch keinen Weg. Seinen Frust baut er stattdessen so ab, wie es schon sein eigener Vater immer tat: Er ergibt sich hemmungslos dem Suff und prügelt regelmäßig Frau und Kinder. Seinen proletarischen Stolz bewahrt er sich, indem er selbst in größter Not jede Hilfe vom ,Sozialstaat‘ verweigert und lieber seine Kinder hungern lässt. Außerdem verschafft es ihm Befriedigung, mit rassistischem Blick wenigstens auf die türkischen ,Kameltreiber‘ herabzusehen.“ (Michael Bittner, Vom Laster gefallen, in: junge Welt Literatur vom 12. März 2020, S. 17.)

Wir sehen hier deutlich, wie der proletarische Vater von Christian Baron von allen reaktionären Tendenzen des sozialen Seins und Bewusstseins geprägt war – einschließlich patriarchaler Gewalt und rassistischer Abgrenzung. Und doch führte auch dieser Mann einen illegalen Alltagsklassenkampf, den die herrschende Bourgeoisie als „Diebstahl“ kriminalisiert – der Raub an Lebenszeit und -kraft des Proletariats durch den kapitalistischen Produktionsprozess ist selbstverständlich ehrenwert und legal. Der Proletarier weiß, dass sein Verhalten das bürgerliche Recht bricht, aber nach seiner klassenkämpferischen Ethik – die moralische Widerspiegelung seiner materiellen Interessen und sozialpsychologischen Bedürfnisse – sorgt er für ausgleichende „Gerechtigkeit“. Im reproduktiven Klassenkampf bewegt sich der Widerspruch zwischen kleinbürgerlichen und revolutionären Tendenzen des Proletariats.

Vom kollektiven Klassenkampf ist im obigen Zitat nicht die Rede. Das ist ein Ausdruck des relativ niedrigen Niveaus des kollektiven proletarischen Widerstandes in der BRD. Im kollektiven Klassenkampf bewegt sich der Widerspruch zwischen kleinbürgerlichen und revolutionären Tendenzen des Proletariats auf einem höheren Niveau. Oben ist von dem individuellen Rassismus eines Möbelpackers als dessen Konkurrenzchauvinismus die Rede. Die Belegschaften vieler Einzelkapitale sind aber multiethnisch und multikulturell zusammengesetzt, im produktiven Alltag mehr oder weniger auch entlang nationalistischer/rassistischer Linien gespalten. Gerät eine solche multiethnisch und multikulturell zusammengesetzte Belegschaft in einen offenen Konflikt mit dem Management des Einzelkapitals, dann wird die Überwindung der nationalistisch-rassistischen Spaltungslinien zu einer Notwendigkeit des kollektiven Klassenkampfes. Und es gibt in der Tat unzählige Beispiele dafür, wie der gemeinsame kollektive soziale Widerstand tendenziell den Nationalismus und Rassismus überwindet. Auch dies ist eine revolutionäre Tendenz des reproduktiven Klassenkampfes.

Doch es gibt auch gegenteilige Beispiele. Wie stark der Nationalismus/Rassismus als bürgerliche Ideologie sogar teilweise noch durch das militant-klassenkämpferische Proletariat reproduziert wird, zeigt uns die Geschichte des Klassenkampfes in Südafrika. Die „weißen“ ArbeiterInnen waren so stark von der rassistischen Ideologie durchdrungen, dass sie diesen sogar noch reproduzierten, als sie einen blutigen Klassenkampf mit der „weißen“ Bourgeoisie Südafrikas ausfochten. So war es zum Beispiel beim großen Streik der „weißen“ BergarbeiterInnen im Jahre 1922. Vier an diesem Streik beteiligte „weiße“ ArbeiterInnen wurden von der bürgerlichen Klassenjustiz zum Tode verurteilt. Aber obwohl die „weiße“ Bourgeoisie den Klassenkrieg gegen das „weiße“ Proletariat mit aller Gnadenlosigkeit führte, also in der Praxis alle Ideologien über einheitlich handelnde „Rassen“ widerlegte, reagierten die „weißen“ BergarbeiterInnen feindselig auf die aktive Solidarität ihrer „schwarzen“ Klassengeschwister. Als die letzteren ebenfalls in den Streik treten wollten, holte die „weiße“ Streikleitung die Polizei, um die „schwarzen“ ArbeiterInnen zur Weiterarbeit zu zwingen.

Auch das „schwarze“ Proletariat reproduzierte in seinem Klassenkampf gegen den rassistischen südafrikanischen Kapitalismus den „schwarzen“ Nationalismus und die institutionalisierte „schwarze“ ArbeiterInnenbewegung, der Gewerkschaftsbund COSATU und die Südafrikanische „Kommunistische“ Partei (SA„C“P) kultivierten den Nationalismus innerhalb des „schwarzen“ Proletariats. COSATU und SA„C“P passten sich auch an die intellektuelle Elite des Afrikanischen Nationalkongress (ANC) an, der dadurch eine proletarische Massenbasis bekam. Die Transformation des politischen Überbaues des südafrikanischen Kapitalismus von der Apartheid zum ANC-Regime – in das auch COSATU und SA„C“P integriert sind – ab den 1990er Jahren widerlegte wieder einmal das marxistisch-leninistische Geschwätz über die angebliche Fortschrittlichkeit des Nationalismus unterdrückter Nationen und der nationalen „Befreiung“. Letztere reproduzierte die Ausbeutung des „weißen“ und des „schwarzen“ Proletariats in Südafrika. Gegen das klassenkämpferische Proletariat ist das ANC-Regime nicht weniger ein tollwütiger Bluthund, wie es das Apartheid-Regime gewesen ist. Hier sehen wir deutlich, dass der reproduktive Klassenkampf nicht immer die rassistischen und nationalistischen Spaltungslinien überwinden kann.

Neben dem Nationalismus/Rassismus ist der Sexismus eine starke Spaltungslinie des Weltproletariats. Proletarische Frauen werden nicht nur im kapitalistischen Produktionsprozess sexistisch extra ausgebeutet und unterdrückt, sondern oft auch daheim in den Familien. Der Journalist und Schriftsteller Christian Baron schrieb darüber, wie der Vater seine Mutter und die Kinder schlug. Gerade proletarische Frauen spüren in dem kollektiven Kampf ihrer Klasse auch ihre individuelle Kraft und Stärke. Der Kampf der proletarischen Frauen hat durch ihre sexistische Extrauausbeutung eine besondere Bedeutung. Er unterscheidet sich auch grundlegend vom kleinbürgerlichen Feminismus. In den letzten Jahren kam es zu einem Aufschwung des Klassenkampfes von Proletarierinnen, zum Beispiel in Spanien und in Lateinamerika. In Spanien kam es jeweils am 8. März 2018 und 2019 zu machtvollen branchenübergreifenden Frauenstreiks als Kern der Straßendemonstrationen.

Branchenübergreifende Massenstreiks sind in der Regel mit proletarischen Straßenbewegungen verbunden. An den machtvollen Massendemonstrationen nehmen auch die nichtlohnarbeitenden Schichten des Proletariats, die innerfamiliären HausarbeiterInnen – überwiegend Frauen –, die Kinder und RentnerInnen sowie die Erwerbs- und Obdachlosen teil. Da die nichtlohnarbeitenden Schichten des Proletariats außerhalb des Produktionsprozesses stehen, ist es für sie schwerer als für die ArbeiterInnen ihre Interessen und Bedürfnisse durchzusetzen. Erwerbs- und Obdachlose sowie die proletarischen Hausfrauen, SchülerInnen und RentnerInnen sind allerdings die Subjekte von Straßenbewegungen. Sowohl von klassenübergreifenden, aber von KleinbürgerInnen politisch dominierten, Sozialbewegungen als auch von vorwiegend proletarischen Straßenbewegungen. So sind Erwerbslosen- und Obdachlosenbewegung proletarisch, während in der oft von Mittelstandsfeministinnen geführten Frauenbewegung die Interessen und Bedürfnisse von Proletarierinnen untergebuttert werden. Branchenübergreifende Massenstreiks die mit machtvollen proletarischen Straßenbewegungen verbunden sind, in denen sich auch die nichtloharbeitenden Unterschichten aktiv einbringen können, sind glanzvolle Höhepunkte des Klassenkampfes. Der gemeinsame kollektive Klassenkampf von Frauen und Männern, „InländerInnen“ und „AusländerInnen“, „Weißen“ und „Farbigen“, Hetero, Homo- und Transsexuellen, LohnarbeiterInnen, proletarischen Hausfrauen/-männer und Erwerbslosen sowie alten und jungen ProletarierInnen schafft tendenziell und potenziell eine Solidargemeinschaft, die ansatzweise über die nur indirekt über die Märkte und den Staat vergesellschafteten Konkurrenzindividuen hinausweist. Im Alltagsleben sind auch ProletarierInnen Konkurrenzindividuen. Doch im kollektiven Klassenkampf überwinden sie ihn notwendigerweise tendenziell.

In ihrem Alltag sind auch ProletarierInnen objektiv Marktsubjekte, nicht wenige von ihnen ideologisieren die Ware-Geld-Beziehung als etwas ganz „Natürliches“ und „Normales“. Aber im Klassenkampf überwinden sie tendenziell die Ware-Geld-Beziehung. Schon individuell, indem sich LohnarbeiterInnen im Produktionsprozess kriminell Produkte aneignen ohne dafür zu bezahlen. Oder auch kollektiv in Form von Plünderungen innerhalb von stark von proletarisch-nichtlohnarbeitenden Unterschichten geprägten Ghettoaufständen und Jugendkrawallen. Während des Streiks hören die LohnarbeiterInnen auf Warenkapital zu produzieren.

Und manchmal sind klassenkämpferische ProletarierInnen des Dienstleistungssektors auch solidarisch gegenüber ihren KundInnen. Ein solcher Klassenkampf war der Streik bei der U-Bahn in Buenos Aires im März 2006, über den Wildcat folgendes berichtete: „Wie ein Streik im öffentlichen Dienst auch geführt werden kann, haben gerade wieder ArbeiterInnen der Subte, der U-Bahn von Buenos Aires vorgeführt: Bahnsteig frei – kassiert wird nicht! Am 15. März konnten sich die Fahrgäste der Subte wieder über einen zeitweiligen Nulltarif freuen. Um ihrer Forderung nach 35 Prozent Lohnerhöhung Nachdruck zu verleihen, hatten die Subte-ArbeiterInnen in den Hauptverkehrszeiten, von 7 bis 10 und von 17 bis 20 Uhr, an den wichtigsten U-Bahn-Stationen die Drehkreuze geöffnet. Diese sind normalerweise nur mit gültigem Führerschein passierbar, und private Wachdienste achten darauf, dass niemand die Barrieren ohne Ticket überspringt. Diese Wachleute sind wiederum gar nicht mit ihrer Auslagerung und den schlechten Arbeitsbedingungen einverstanden. Dreißig von ihnen haben Anfang März in einer der Endstationen für ihre Übernahme durch Metrovias, die Betreibergesellschaft der Subte, demonstriert und dabei – nicht zum ersten Mal – ebenfalls die Fahrgäste umsonst fahren lassen.“ (Buenos Aires: Streik in der U-Bahn – und die Fahrgäste freuen sich, in: Wildcat Nr. 76 vom Frühjahr 2006, S. 66.)

In der Politik sind ProletarierInnen KleinbürgerInnen, die als WählerInnen ihre strukturellen Klassenfeinde, die BerufspolitikerInnen als gesamtgesellschaftliche OrganisatorInnen – sowohl die regierenden Charaktermasken des Staates als auch die systemkonformen parlamentarischen Oppositionellen – ermächtigen. Doch im kollektiven Klassenkampf geraten die ProletarierInnen mit dem Staat als politischen Gewaltapparat der Kapitalvermehrung in Konflikt. Wenn der Staat seine Bullen schickt, wehrt sich manchmal das Proletariat auch militant.

In größeren Klassenkämpfen entfalten sich die revolutionären Tendenzen des Proletariats gewaltig, die Macht des kleinbürgerlichen Alltags über das proletarische Sein und Bewusstsein wird eingeschränkt. Aber solange die Revolution nur tendenziell als potenzielle Möglichkeit kraftvoll aufschimmert, der Klassenkampf aber dennoch (noch?) nicht seine reproduktiven Grenzen sprengt – ja dann, wird er nach gewissen Höhepunkten wieder abflauen. Die Erfahrungen der großen Klassenschlachten sind nicht vergessen, aber der kleinbürgerliche Alltag wird wieder stärker und stärker… Im reproduktiven Klassenkampf kann sich der Widerspruch zwischen kleinbürgerlichen und revolutionären Tendenzen des Proletariats nur bewegen. Progressiv gelöst werden kann er nur durch die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats. Solange das Proletariat existiert, ist es sowohl von kleinbürgerlichen als auch von revolutionären Tendenzen geprägt.

…..

Proletarisch-revolutionäres Klassenbewusstsein – am klarsten in der von marxistischen Dogmen und Entstellungen befreiten materialistischen Dialektik verkörpert – überwindet geistig die praktischen reproduktiven Grenzen der gegenwärtigen Auseinandersetzung mit der Bourgeoisie. Es verallgemeinert nicht „nur“ theoretisch die vergangenen und gegenwärtigen praktischen Klassenkämpfe des Proletariats – es ist der geistige Ausdruck der möglichen sozialen Revolution. Diese gedankliche Vorwegnahme einer möglichen zukünftigen revolutionären Zuspitzung des Klassenkampfes ist auch notwendig, um die vollständige geistige Unabhängigkeit der proletarischen und intellektuellen RevolutionärInnen von der politischen Linken zu gewährleisten. Die politische Linke ist wie die Mitte und die Rechte ein struktureller Klassenfeind des Proletariats. Sie reicht vom kleinbürgerlichen Radikalismus bis zur ökoliberal-multikulturell-sexualtoleranten Fraktion der Bourgeoisie.

Politik ist die staatsförmige Organisation der Klassengesellschaft. Die politische Linke klebt am Staat wie Fliegen an der Scheiße. Sie ist in ihrer westeuropäisch-nordamerikanischen Form in erster Linie das Zerfallsprodukt des kleinbürgerlich-radikalen 1968 – nicht zu verwechseln mit der Zuspitzung des proletarischen Klassenkampfes zu dieser Zeit am Ende des kapitalistischen Nachkriegsaufschwunges. Das kleinbürgerlich-radikale 1968 wurde am Anfang von der Studierendenbewegung verkörpert. Sie zerfiel in unzählige marxistisch-leninistische Politsekten – besonders maoistische. Der Marxismus-Leninismus war und ist die Ideologie des „sozialistischen“ Staatskapitalismus. Es war eine Mischung aus der Wirkung des demokratischen Antikommunismus und eines gesunden Klasseninstinktes, dass in der BRD dieser rotlackierten Sozialreaktion verhältnismäßig wenig ProletarierInnen auf dem Leim gingen. Mangels einer proletarischen Massenbasis zog sich der Marxismus-Leninismus einen ideologischen Blaumann über. Dieses operettenhafte „Weltrevolution“-Spiel – was auch aus Peking und Tirana unterstützt wurde – wurde Ende der 1970er/Anfang der 1980er Jahre ziemlich out. Statt „Weltrevolution“ war jetzt der „Weltfrieden“ und die „Umwelt“ in. In den 1980er Jahren wurden in der BRD Die Grünen als kleinbürgerliche Protestpartei groß – dabei auch massenhaft ehemalige MarxistInnen-LeninistInnen aufsaugend. Diese Partei ist inzwischen großbürgerlich geworden. Zwischen 1998 und 2005 regierten die Grünen das Land mit und führten die BRD in ihren ersten imperialistischen Angriffskrieg. Das war der Krieg gegen Jugoslawien 1999, den die Grünen natürlich nur führten, um ein Auschwitz in Kosovo zu verhindern. Heute verkörpern Bündnis 90/Die Grünen formvollendet den ökoliberal-multikulturell-sexualtoleranten Flügel der deutschen Bourgeoisie. Große Teile der politischen Linken stellen lediglich den Wurmfortsatz dieser linken Fraktion des Kapitals dar.

Proletarische RevolutionärInnen bekämpfen die kleinbürgerliche politische Linke kompromisslos, weil sie nur das Kapitalverhältnis zu reproduzieren vermag. Im Gegensatz zum proletarischen Klassenkampf, der sich möglicherweise revolutionär zuspitzen kann. Da der reproduktive Klassenkampf auch die Schranken des Kapitalismus nicht zu überwinden vermag, muss das proletarisch-revolutionäre Klassenbewusstsein diese Grenzen geistig überwinden, um unabhängig von der ökoliberalen Fraktion des Kapitals zu sein. Dieser linke Flügel der Bourgeoisie beteiligt sich an der imperialistischen Außenpolitik und am asozialen Klassenkrieg von oben – und setzt Homoehe, „schwarze“ Präsidenten und eine gewisse Frauenquotierung in den Führungsebenen von Politik und Wirtschaft durch. Ob er die Folgen des kapitalistisch produzierten Klimawandels allerdings durch grüne Technik auch nur eindämmen kann, ist mehr als fraglich. Die linke Fraktion der Bourgeoisie verkörpert also die sozialreaktionäre kapitalistische Modernisierung.

Im Alltagsbewusstsein des Proletariats mischen sich in Gegnerschaft zur ökoliberal-multikulturell-sexualtoleranten Fraktion des Kapitals sowohl ein gesunder Klasseninstinkt als auch sozialkonservative, rassistische und sexistische Tendenzen. So verteidigen ProletarierInnen ihre alten „schmutzigen“ Arbeitsplätze gegen die öko-technokratische Modernisierung, bei der sie vielleicht in das unproduktive Elend der Erwerbslosigkeit gestoßen werden. Männlich-heterosexuelle Proletarier reagieren ihren sexistischen Konkurrenzchauvinismus gegen „Weiber“ und „Tunten“ ab, die zunehmend auch die Bourgeoisie – von der sie ausgebeutet werden – repräsentieren. Die Mischung von Klasseninstinkt und starken sozialkonservativen, nationalistisch-rassistischen und sexistischen Tendenzen machen nicht wenige ProletarierInnen zur Manövriermasse der rechten Fraktion des Kapitals, die vom Rechtskonservativismus bis zum Neofaschismus reicht. Der linksbürgerliche Antifaschismus ist der Kampf gegen die rechte Fraktion des Kapitals im Rahmen des Kapitalismus.

Proletarisch-revolutionäres Klassenbewusstsein richtet sich konsequent sowohl gegen die rechte als auch die linke Fraktion des Kapitals. Es stellt der kapitalistischen Modernisierung die mögliche sozialrevolutionäre Aufhebung des Kapitalismus gegenüber. Der grünen Technik, die nichts an den kapitalistischen Produktionsverhältnissen ändert, eine klassen- und staatenlose Gesellschaft, die auch ihre Beziehung zur nichtmenschlichen Mitwelt grundsätzlich umwälzen kann und muss. Proletarische RevolutionärInnen verkörpern auch die Verneinung sowohl des noch immer sexistischen und rassistischen Kapitalismus als auch seiner möglichen frauenquotierten, nichtrassistischen und sexualtoleranten Modernisierung. Die mögliche soziale Revolution muss mit der biologistischen Zuschreibung von sozialen Rollen an Geschlecht und Hautfarbe konsequent Schluss machen. Ob dazu auch die kapitalistische Modernisierung fähig ist, muss sich erst noch zeigen. Aber auf jeden Fall ist sie es nur im Rahmen der Klassenspaltung. Nur die mögliche soziale Revolution kann auf wirklich progressive Weise Rassismus und Sexismus aufheben.

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Schriften gegen kapitalistischen Krieg und Frieden (2022-2024) https://astendenz.blackblogs.org/2024/05/23/schriften-gegen-kapitalistischen-krieg-und-frieden-2022-2024/ https://astendenz.blackblogs.org/2024/05/23/schriften-gegen-kapitalistischen-krieg-und-frieden-2022-2024/#respond Thu, 23 May 2024 10:27:15 +0000 https://astendenz.blackblogs.org/?p=209 Unsere neue Broschüre „Schriften gegen kapitalistischen Krieg und Frieden (2022-2024)“ (ca. 31 Seiten) von Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 3-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de oder direkt bei uns auch als E-Book bestellen.

Inhalt

Einleitung

Das imperialistische Gemetzel in der Ukraine

Klassenkampf und antinationale Solidarität gegen den imperialistischen Krieg!

Gegen Frieden und Krieg der Weltbourgeoisie!

Alle Staaten weltweit sind objektiv strukturelle Klassenfeinde des Weltproletariats

DGB – Hausgewerkschaftsbund des deutschen Imperialismus

Der Krieg in der Ukraine und der DGB

Das staatliche Gewalt- und das gewerkschaftliche Streikmonopol

Klassenkämpferische Selbstorganisation statt DGB!

Für eine revolutionäre Antikriegsposition!

Die extreme Verschärfung der zwischenstaatlichen Konkurrenz

Gegen NATO-„Anarchismus“ und Kreml-„Kommunismus“!

Gegen Sozialreformismus, Pazifismus und Nationalismus!

Die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung und der imperialistische Krieg

Der Antifaschismus als Kriegsideologie

Für die Radikalisierung des proletarischen Klassenkampfes!

Unser Minimalkonsens für eine revolutionäre Antikriegsposition

Einleitung

Ob in der Ukraine oder in Israel/Palästina oder an unzähligen weiteren Orten: Überall sehen wir, dass das Proletariat gnadenlos im Konkurrenzkampf der kapitalistischen Staaten verheizt wird.

In Deutschland herrscht offiziell Frieden. Doch Berlin exportiert seit Jahrzehnten das Gemetzel. Ob der NATO-Krieg gegen Jugoslawien (1999), die imperialistische Besatzung von Afghanistan (2001-2021), der Stellvertreterkrieg zwischen NATO und Russland in der Ukraine oder das Gemetzel im Gazastreifen: Der deutsche Imperialismus ist dabei. In Jugoslawien und Afghanistan mordete er direkt mit, in der Ukraine und in Palästina tut er das indirekt, indem er sowohl das Kiewer Regime als auch das zionistische Israel aufrüstet.

Für das Proletariat in diesem Land heißt es wieder mal: Kanonen statt Butter. Die Aufrüstung kostet viel Geld. Der Wirtschaftskrieg, den der deutsche Imperialismus als Teil von EU und NATO gegen den russländischen führt, hatte einen enormen Anstieg der Lebensmittel- und Energiekosten zur Folge.

Fazit: Die Weltbourgeoisie verheizt das globale Proletariat gnadenlos im internationalen Konkurrenzkampf. Der bürgerliche Frieden innerhalb der und zwischen den kapitalistischen Staaten ist nur die nichtmilitärische Form des unerbittlichen Kampfes aller gegen alle. Der bürgerliche Frieden ist keine Alternative zum imperialistischen Krieg, sondern dessen Quelle! Er ist eine Form des Klassenkrieges der Bourgeoisie gegen das Proletariat!

Trotz vereinzelter Klassenkämpfe gegen Aufrüstung, Waffenhandel und die Führung von Kriegen, lässt sich das Weltproletariat im Großen und Ganzen noch als Manövriermasse des Weltkapitals benutzen, nationalistisch spalten und blutig aufeinanderhetzen. Das muss anders werden!

Als einen kleinen bescheidenen Beitrag zur notwendigen Radikalisierung des Proletariats veröffentlichen wir, die Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST), Schriften gegen kapitalistischen Krieg und Frieden, die zwischen Ende 2022 und Anfang 2024 entstanden sind.

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