Breaking the Spell https://breakingthespell.blackblogs.org Anarchistischer Aufbruch gegen die Linke Szene Sat, 15 Jun 2024 00:56:05 +0000 en-GB hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Broschüren/Zine-Version erschienen: Die Null-Staaten-Lösung Für den Kampf gegen Antisemitismus, Nationalismus, Rassismus und deren Linken Vertreter*innen. – Keinen Frieden mit Israel, Palästina und Deutschland! https://breakingthespell.blackblogs.org/broschuren-zine-version-erschienen-die-null-staaten-losung-fur-den-kampf-gegen-antisemitismus-nationalismus-rassismus-und-deren-linken-vertreterinnen-keinen-frieden-mit-israel-palastina-und/ Mon, 27 May 2024 23:06:44 +0000 https://breakingthespell.blackblogs.org/?p=336 Continue reading "Broschüren/Zine-Version erschienen: Die Null-Staaten-Lösung Für den Kampf gegen Antisemitismus, Nationalismus, Rassismus und deren Linken Vertreter*innen. – Keinen Frieden mit Israel, Palästina und Deutschland!"

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Die Broschüren/Zine-Version des Textes „Null-Staaten-Lösung – Für den Kampf gegen Antisemitismus, Nationalismus, Rassismus und deren Linken Vertreter*innen.- Keinen Frieden mit Israel, Palästina und Deutschland!“, soll eine kleines Hilfsmittel sein im Kampf gegen den uns überall umgebenden (linken) Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus. Zum offenen und heimliche Auslegen und verteilen auf Demos, etc:

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Aus der Einleitung:

„Wir leben in einer Welt, die im Nationalismus erstarrt ist. Kaum etwas ist unvorstellbarer, als dass es eine Bewegung geben könnte, die über alle Grenzen hinweg für Befreiung kämpft – nicht für Reformen innerhalb des Staates, sondern dafür dass alle Staaten auf dem Globus fallen. Der Schrecken und das Leid, die der Staat und sein Unterstützer*innen schaffen, ist so normalisierte, erscheint so mächtig, dass wenn es eine andere Reaktion als den nationalistischen Jubel gibt, sie nur ein kaltes Schulterzucken ist. Kulturelle Selbstbestimmung wird nur (noch) im Rahmen von Nationen – Staaten gedacht. Doch damit kann gebrochen werden: Wir können Wut und Hass entwickeln, Abscheu gegen die Idee der Nation. Wir können auch ihren Linken Freund*innen den Kampf ansagen. Wenn wir das nicht tun, wenn wir weiter zusehen, wenn wir den Nationalismus nicht angreifen, zerstören wir etwas in uns. Dann verlieren wir jeden Tag an Empathie – werden innerlich kalt. Dieser Text soll ein kleiner Beitrag sein wieder die brennende Wut dagegen zu entfachen und langfristig Hass zu schüren auf die Nation und ihre Linken Unterstützer*innen.“

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DIE NULL-STAATEN-LÖSUNG: Für den Kampf gegen Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und deren Linken Vertreter*innen. https://breakingthespell.blackblogs.org/nationalismus/ Sun, 21 Jan 2024 20:18:59 +0000 https://breakingthespell.blackblogs.org/?p=203 Continue reading "DIE NULL-STAATEN-LÖSUNG: Für den Kampf gegen Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und deren Linken Vertreter*innen."

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Inhaltsverzeichnis

Vorwort: Wut und Hass gegen den Nationalismus
Einleitung
Zur verwendeten Sprache

Teil 1: Was sind Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus?
1. 1. Staat: Eine Institution zur Unterdrückung und Ausbeutung
1. 2. Nation: „Die Freiheit der Unterdrückung durch das eigene Volk“
1. 3. Nationalismus: Der Glaube an Befreiung durch Aufgabe von vielfältiger Kultur
1. 4. Rassismus
1. 5. Antisemitismus/Juden*Jüdinnenfeindlichkeit

Teil 2: Der Israel-Palästina-Konflikt

2. 1. Die Grundlage: Der europäische Antisemitismus und die nationalistische Antwort
2. 2. Arabischer Nationalismus: Antisemitismus wieder als Herrschaftsmittel
2. 3. „Antizionismus“: Antinationalismus oder getarnter Antisemitismus?!
2. 4. Sowjetischer Antisemitismus
2. 5. Israel-Palästina: Ein einfach zu verstehendes Beispiel wie Nationalismus funktioniert
2. 6. Was wäre wenn der Staat in Europa nicht gewonnen hätte
2. 7. Die Vernichtung der Alternative: Die deutsche und sowjetische Zerstörung des jüdischen Anarchismus
2. 8. Die Auslöschung der Erinnerung: Anarchist*innen/Anarchist*innen mit jüdischen Hintergrund in der Linken Szene
2. 9. Die Bundesrepublik – Ideologische und materielle Profiteurin der Shoah und des Holocaust bis heute 

Teil 3 Linker Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus

3. 1. Nationalismus: Linke Identitätspolitik
3. 2. Der Staat der linke Heilige
3. 3. Rassismus und Antisemitismus
3. 4. Exkurs: Die staatliche geschaffene linke „Anti-Rassismus“ und „Anti-Antisemitismus“-Industrie
3. 5. Die exotisierende Fantasie: Nationale Befreiungs- und Schutzträume
3. 6. Antisemitismus und Rassismus und die Verbindung mit Anti-Anarchismus

Teil 4: Realismus statt Utopie: Die Null-Staaten-Lösung

4. 1. Die Anarchistische Antwort: Der anti-nationale Kampf

Weiterführendes/Quellen

Anhang: Nationalismus im Anarchismus und Fallstrickes eines Anarchistischen Anti-Nationalismus

Vorwort: Wut und Hass gegen den Nationalismus

Wir leben in einer Welt, die im Nationalismus erstarrt ist. Kaum etwas ist unvorstellbarer, als dass es eine Bewegung geben könnte, die über alle Grenzen hinweg für Befreiung kämpft –  nicht für Reformen innerhalb des Staates, sondern dafür dass alle Staaten auf dem Globus fallen. Der Schrecken und das Leid, die der Staat und sein Unterstützer*innen schaffen, ist so normalisierte, erscheint so mächtig, dass wenn es eine andere Reaktion als den nationalistischen Jubel gibt, sie nur ein kaltes Schulterzucken ist. Kulturelle Selbstbestimmung wird nur (noch) im Rahmen von Nationen – Staaten gedacht. Doch damit kann gebrochen werden: Wir können Wut und Hass entwickeln, Abscheu gegen die Idee der Nation. Wir können auch ihren Linken Freund*innen den Kampf ansagen.
Wenn wir das nicht tun, wenn wir weiter zusehen, wenn wir den Nationalismus nicht angreifen, zerstören wir etwas in uns. Dann verlieren wir jeden Tag an Empathie – werden innerlich kalt. Dieser Text soll ein kleiner Beitrag sein wieder die brennende Wut dagegen zu entfachen und langfristig Hass zu schüren auf die Nation und ihre Linken Unterstützer*innen. Er ist mehr als eine kalte Analyse, er ist eine warme Erinnerung an Grundsätze und Grundlinien, welche Anarchist*innen mal hatten – zum Beispiel, dass es mit anarchistischen Vorstellungen absolut unvereinbar ist die allgemeine Bevölkerung – solange von ihr keine direkte Gewalt ausgeht – gewaltsam anzugreifen. Diese absolute Grundhaltung soll verhindern, dass anarchistischen Handeln neue Unterdrückung schafft und ihre Logiken, insbesondere die des Staates, fortführt. Wer also die allgemeine Bevölkerung angreift, egal ob es mit den Mitteln einer (islamistischen) Zwangsmiliz oder eines modernen nationalstaatlichen Militärs geschieht, ist unser*e Feind*in. Unsere Feind*innen sind auch alle, die sich organisieren, um Solches zu rechtfertigen, zu befürworten – gar zu feiern.
Wenn dann die linken Heuchler*innen, die so viel Potential von Veränderung durch ihre Bewegungskontrolle zerstören, mit ihrer nationalistischen Mobilisierung beginnen; wenn sie aufgrund ihrer eigenen Weigerung der Auseinandersetzung mit dem Staat und noch mehr Nationalismus in die Welt tragen, während sie sich gleichzeitig als heldenhafte Bekämpfer*innen des Faschismus und des Patriarchats beweihräuchern, dann sollten wir nicht Räume mit ihnen Teilen, sondern ihnen den Raum nehmen.

Einleitung:

Dass sehr viele Linke die Ermordung der allgemeinen Bevölkerung (einschließlich Babys) feiern und deren Aushungern und Bombardierung als Notwendigkeit verteidigen, ist kein vereinzelter Irrweg der Geschichte: Der Marxismus brachte die Gulags und einen neuen imperialistischen Großstaat. Und der Liberalismus hat als Basis seiner „Freiheit“ die Kolonisierung des gesamten Planeten. Die Linke war schon immer menschenfeindlich!
Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus sind auch kein Fehler innerhalb der Linken, sondern logische Konsequenz ihrer Weltsicht. Um ein Verständnis dafür zu entwickeln, müssen wir zunächst deren Funktion als Mittel der Herrschaft verstehen, denn anders als die vom Staat hochgezogene linksliberale Antidiskriminierungsindustrie uns weismachen will, sind Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus keine falschen Einstellungen in einem richtigen System oder auch strukturellen Fehler dieses System: Sie sind Grundpfeiler von dessen Ordnung oder logischer Ausdruck dieser.
Konflikte durch nationale Befreiung „lösen zu wollen“, heißt daher zugleich nur die Karten der Unterdrückung neu zu mischen und/oder einfach das Spiel fortzusetzen. Der Israel-Palästina-Konflikt ist ein sehr gutes Beispiel dafür. Wie lässt er sich verstehen, wenn wir die nationalistische, staatliche vor allem deutschland- und europatreue Brille absetzen? Darum geht es im zweiten Teil. Das führt anschließend zur Frage: Warum diese Brille so fest im Gesicht eines Großteils der (deutschen) Linken sitzt? Damit verbunden ist deren immenser Rassismus und ihr Antisemitismus. Die sich auch in ihrem Friedensschluss mit Deutschland zeigen.
Klargestellt: Es geht nicht darum die Linke retten zu wollen, aber es ist wichtig den*die Feind*in zu verstehen. Und: Nicht alle Linken sind nationalistische, rassistische und antisemitische Monster. Aber neben tausenden anderen Gründen zeigt sich in der fehlenden, entschlossen und aggressiven Konfrontation der Organisationen, Gruppen und Einzelner, die sich als solche verhalten, die Notwendigkeit den Untergang der Linken und linken Szene vorzutreiben. Aus dieser Feind*innenanalyse besteht der dritte Teil.
Teil 4 ist eine Erinnerung daran, dass die Null-Staaten-Lösung keine Utopie ist, der Frieden mit Staaten hingegen schon, oder ein Frieden der Unterdrückung. Er schließt mit der anarchistischen Antwort: Den weltweiten antinationalen Kampf gegen Staatlichkeit – einschließlich eines erfolgreichen Beispiels, das vom Marxismus zerstört wurde, ab.
Danach gibt es noch Weiterführendes/Quellen und einen Anhang mit kritischen Blick auf Nationalismus im Anarchismus und möglichen Fallstricken eines anarchistischen Antinationalismus.

Zur verwendeten Sprache:

Nicht alle Menschen, die von Antisemitismus als jüdisch definiert und angriffen werden, verstehen sich selbst als jüdisch. Mehrheitlich wird hier trotzdem der Begriff Juden*Jüdinnen benutzt, der sich sowohl auf religiös als kulturell jüdische Menschen bezieht. Hin und wieder wird aber um genau diesen Unterschied zwischen Eigen- und Fremdverständnis aufzuzeigen „Menschen mit jüdischen Hintergrund“ ergänzt.
Im Fall von Anarchist*innen wird durchgängig von jüdischen Anarchist*innen und Anarchist*innen mit jüdischen Hintergrund gesprochen, weil gerade viele Anarchist*innen den Glauben an eine göttliche Autorität und damit die meisten jüdischen religiösen Strömungen bzw. das Judentum als Religion ablehnten und ablehnen, teilweise hatten ihre Familien auch nicht mal einen kulturellen Bezug zum Judentum.
Im Text wird einfachheitshalber der Begriff Israel-Palästina-Konflikt benutzt, dieser ist stark verkürzend, weil viele weitere Staaten beteiligt sind und waren. Im Kapitel zum Konflikt wird darauf zumindest ein Bisschen näher mit eingegangen. Es wird in der Regel bewusst von muslimischen Araber*innen oder Ähnlichen gesprochen, weil es andere arabische Gruppen mit anderen religiösen Überzeugungen gibt, wie arabische Christ*innen und Juden*Jüdinnen. Muslimische Araber*innen sollen auch nicht als einheitliche Gruppe konstruiert werden, sondern nur als in diesem Fall hauptbetroffene Gruppe von anti-muslimischen Rassismus bzw. Adressat*innen von arabischen Nationalismus benannt werden. Der Begriff Rassismus bezeichnet im Rahmen des Textes entweder diesen oder den allgemeinen kolonialen Rassismus, in ein-zwei Sätzen ist deutscher Rassismus gegen Slaw*innen mitgemeint.
Außerdem werden sowohl die Begriffe Juden*Jüdinnenfeindlichkeit als auch Antisemitismus benutzt, meist bezeichnet Ersterer das historische, christliche Phänomen und Letzterer das Moderne.

Teil 1: Was sind Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus?

Als Grundlage um nationalistische Konflikte bzw. Konflikte zwischen Menschen, die einen Staat anstreben zu verstehen, müssen wir zunächst betrachten was Nationalismus eigentlich ist. Nationalismus ist dabei aufgrund des modernen Kolonialsystems unabänderlich mit Rassismus verbunden und auf Grund der europäischen Geschichte häufig auch mit Antisemitismus. Konkret auf den Israel-Palästina-Konflikt bezogen sollte die Bedeutung von Antisemitismus in diesem Fall klar sein. Rassismus und Antisemitismus werden hier daher ebenfalls betrachtet.

1. 1. Staat: Eine Institution zur Unterdrückung und Ausbeutung

„Erst mit dem Entstehen persönlichen Eigentums zur Ausbeutung von Menschen konnte der Staat werden, ist er geworden.“ – Erich Mühsam, Die Befreiung der Gesellschaft vom Staat. Was ist kommunistischer Anarchismus?

Bevor wir über die Nation und Nationalismus sprechen, müssen wir uns zunächst damit beschäftigen was der Staat ist und welche Aufgabe er hat.
Staaten dienen der (Absicherung) von Herrschaft staatlicher und anderer Eliten. Staatliche Eliten sind heutzutage z. B. Politiker*innen, Abgeordnete, Minister*innen, Parteileitungen, aber auch jene die an den Spitzen anderer staatlicher Einrichtungen stehen wie Behörden, Schulen oder Universitäten. Auch Beamt*innen und seine höheren Angestellten profitieren sehr von der Herrschaft des Staates. Zentraler Teil der staatlichen Eliten sind auch alle Polizist*innen und Berufsmilitärs.
Außerdem sichert der Staat auch seine eigene Macht und die anderer Herrschaftsinstitutionen wie die des Kapitalismus, Patriarchats, Kolonialismus und Ableismus1. Die Polizei, die innere Armee des Staates, schützt zum Beispiel das Eigentum der Reichen und Unternehmen damit arme Menschen, auf deren Ausbeutung dieser Reichtum beruht, es sich nicht nehmen können.
Die Polizei terrorisiert außerdem BIPOC-Personen, alle ohne die richtige Staatsbürger*innenschaft oder jene, die beispielsweise nicht als „richtig deutsch“ gelten, um deren Widerstand zu brechen. Das dient dazu ihre Ausbeutung und deren Ausschluss von national und kolonial geplünderten Ressourcen zu gewährleisten.
Die europäische staatliche Schulen erziehen Menschen in dem Glauben, die europäische Kultur einschließlich der (liberalen) Demokratie sei „fortschrittlich“ und vertuschen deren Grundlage: Die weitergeführte Kolonialisierung der restlichen Welt. Außerdem trainieren sie Kindern den Leistungsgedanken an, indem sie diese durch Noten und andere Disziplinierungsmaßnahmen zu Gehorsam erziehen. Was sie nicht nur zu fleißigen, gehorsamen Untertan*innen und miteinander konkurrierenden Arbeiter*innen/Angestellten macht, sondern auch verinnerlichen lässt, wer weniger „leistet“ sei minderwertig – ein Grundlage des Ableismus.
Das Militär und der Grenzschutz (äußere Polizei) der reichen, kolonialistischen und imperialistischen Länder (jeder Staat mit genug Macht wird imperialistisch) sichert den staatlichen und kapitalistischen „Wohlstand“ durch Kriege und Kontrollen. Der Staat ist also eine Institution zur Herrschaft, Unterdrückung und Ausbeutung und deren Absicherung.

¹ Ableismus bezeichnet die Ausgrenzung und Unterdrückung von Menschen, die von der Gesellschaft als „behindert“ eingeordnet werden bzw. von ihr behindert werden.

1. 2. Nation: „Die Freiheit der Unterdrückung durch das eigene Volk“

Wenn eine fremde Armee in ein Land einmarschiert, die Wälder rodet, die Flüsse vergiftet und den Heranwachsenden Treueschwüre abverlangt – wer würde sich nicht bewaffnet zur Wehr setzen? Wenn jedoch die lokale Regierung das gleiche macht, stellen Patriot_innen bereitwillig Gehorsam, Steuern und ihre Kinder zur Verfügung.“– Aus Crimethinc Alles Verändern.

Nation, das bezeichnet einen Staat, der über ein einheitliches Gebiet und ein einheitliches Volk regiert. Im europäischen Mittelalter vor dem Entstehen der heutigen Staaten waren die Menschen oft Untertan*innen mehrere Herrscher*innen zugleich und Herrschaftsbereiche überschnitten sich räumlich. Wer in der selben Stadt oder Region lebte war manchmal nicht nur einer lokalen Autorität unterworfen, sondern es konnte z. B. auch die gesellschaftliche Rolle oder Herkunft dazuführen, dass direkte Nachbar*innen anderen Gesetzen zu folgen hatten.
Im Rahmen von gesellschaftlichen Veränderungen entstand vom Bürger*innentum (reiche Unternehmer*innen) aus die Forderung einheitlich regiert zu werden. König*innen und Kaiser*innen griffen diese Idee auf, um den alten (feudalen) Adel zu entmachten. Die Idee der Nation wurde dann der restlichen Bevölkerung immer schmackhafter gemacht.
Sie wurde als freiheitliche Veränderung verkauft, die der Willkür ein Ende setzen sollte indem jede*r nun wissen konnte welchen Gesetzen er*sie unterworfen war (übrigens auch ein Ursprung der Rechtsstaatsidee). Es breitete sich der falsche Glaube aus: Einem*einer einzigen Herrscher*in bzw. Herrschaftsapparat unterworfen zu sein, sei besser als vielen und es sei besser durch Unterdrücker*innen aus der vermeintlich „eigenen“ Kultur kontrolliert zu werden als von „Fremden“.

1. 3. Nationalismus: Der Glaube an Befreiung durch die Aufgabe von vielfältiger Kultur

Nationalismus ist die entsprechende Ideologie² der Befreiung durch das Entstehen einer Nation. Er beruht dabei auf der Vorstellung von einer einheitlichen Kultur bzw. eines „Volk“ oder „Ethnie“³, die dadurch frei wird, dass sie sich nun selbst regiert.
Diese Vorstellung kann nur funktionieren, wenn mensch annimmt es gebe einheitliche „Völker“ und „Ethnien“. Die eigene Sichtweise ist dann bereits national geprägt. Selbstverständlich gibt es unterschiedliche Gruppen von Menschen mit von einander verschiedenen Werten, Weltsichten und Lebensweisen, also verschiedene Kulturen, aber diese sind nie einheitlich. Kulturen haben zwar Gemeinsamkeiten, es gibt aber auch immer innere Unterschiede und Menschen sind in der Regel Teil mehrerer sich ergänzender, überlappender oder auch manchmal widersprechender Kulturen. Vor allem müssen Kulturen nicht national sein und es existieren auch Kulturen, die das gar nicht können, weil sie anti-staatlich sind. 
Anarchismus gehört zu den anti-staatlichen Kulturen, genauso wie die Kulturen vieler indigener Gruppen. Ihre Kulturen sind mit dem Nationalstaat grundsätzlich unvereinbar. Nationalstaaten können auch keine wirkliche, kulturelle Vielfalt bieten, nicht nur weil anti-staatliche Kulturen ihnen widersprechen, sondern weil die Schaffung eines funktionierenden Staates der zwanghaften Vereinheitlichung der Bevölkerung bedarf. Es müssen Untertan*innen/Staatsbürger*innen geschaffen werden, die daran glauben der Staat bestünde zu ihrem Wohl, so dass sie sich diesem unterwerfen.
Hierfür muss die Jugend eines Staates passend erzogen werden, die primär Institution ist dafür, neben der patriarchalen Familie, die Schule. Damit die Schule funktioniert müssen dort alle die selbe Sprache sprechen oder zumindest eine ausreichend reduzierte Anzahl von Sprachen (ohne unverständliche „Dialekte“- also andere Sprachen). Auch die staatlichen Verwaltungen brauchen einheitliche Sprache damit die Untertan*innen/Bürger*innen entsprechend von ihnen erreicht werden können, um ihnen mitzuteilen wie sie sich zu verhalten haben.
Selbstverständlich hängt Sprache aber auch immer mit der Bedeutung von Wörtern und damit deren Wertung zusammen. Das Wort Staat hat zum Beispiel für Anarchist*innen eine ganz andere Bedeutung als für eine*n Regierungschef*in. Dezentrale anti-autoritäre Gesellschaften, ,da sie nicht versuchen andere zu unterwerfen, können eine große Vielfalt von Bedeutungen zu lassen. Das Einzige worüber sie einig sein müssen ist die Ablehnung von Zentralisierung bzw. Herrschaft.
Der Staat hingegen muss alles, was sich ihm nicht unterordnet, in seiner Sprache und jener, zu der er die Bevölkerung erzieht, als falsch darstellen. Staatliche geschaffene Sprache löscht also Abweichungen von der staatlichen Kultur aus. Das Gleiche tut der globale Kapitalismus mit dem alle heutigen Staaten verbündet und von ihm abhängig sind. Dieser reduziert nicht nur Sprache sondern auch alle andere Bestandteile von Kulturen auf das, was mit ihrer Herrschaft vereinbar ist. Darum leben wir in einer sich immer mehr vereinheitlichenden, globalen Gesellschaft, deren einzigen Abweichungen verschiedene Ideologien und Kulturen des Staates (und Kapitalismus) sind (beispielsweise gibt es liberale, faschistische, marxistische oder islamistische Staaten).
Diese Vereinheitlichung dient auch dem Erhalt der globalen (europäischen) Kolonialordnung. Am Kolonialsystem wirkten auch immer schon Teil der Eliten oder mächtiger Gruppen innerhalb der kolonialisierten Gesellschaften mit (je weniger ungleichwertig die Beziehungen ihrer Mitglieder bzw. je anti-autoritärer die Gesellschaften waren, desto schwerer war es für die Europäer*innen dort Mittäter*innen zu finden).
Im Kolonialsystem gab es grob zwei Formen der Nationalstaatsbildung: In dem sogenannten „Amerikas“ („Amerika“ leitet sich vom Namen eines Kolonisatoren ab, besser ist für „Nordamerika“ Schildkröteninsel/Turtle Island und für „Zentral- und „Mittelamerika“ Abya Yala zu benutzen) und “Australien” konnten eingefallene europäische Eliten, aufgrund (biologischer Kriegsführung) sehr „erfolgreicher“  Massenmorde  an den indigene Bevölkerungen selbst Nationalstaaten gründen, die sich von den kolonialen Elternländern formal trennten.
An anderen Orten nutzten, nachdem die direkte Kolonialherrschaft wegen massiven antikolonialen Kämpfen/Kriegen und Kriegen zwischen europäischen Staaten (vor allem dem 2. Weltkrieg) nicht mehr aufrechtzuerhalten war, diese Staaten ihre Verbindung mit Eliten in den kolonialisierten Ländern, um Befreiungskämpfe in die Bildung von Nationalstaaten zu lenken. Sie unterstützen jene Gruppen, die eine „Befreiung“ in Form eines (National-)Staates anstrebten. Die Herrscher*innen der neu entstehenden Staaten waren dann mit den Kolonialmächten oder anderen neokolonialem Mächten wie der Sowjetunion oder den USA (die USA selbst ist ein weiterhin in „ihrem“ Staatsgebiet kolonisierender Staat) oder (heute) China verbunden.
Die wirtschaftliche und militärische Vormatchstellung europäischer Staaten einschließlich der USA und Sowjetunion und der globale kapitalistische bzw. staatskapitalistische Markt sicherten sie dann gegen Versuche des Sturzes ab, bzw. brachten neue kolonialtreue Eliten gegebenenfalls an die Macht. Gemeinsam mit diesen Eliten und ihre Institutionen führen die Kolonialmächte bis heute die Kolonialisierung, dass heißt Verstaatlichung (Im Englischen „Nationalization“) und Vermarktlichung der kolonisierten Gesellschaften, weiter. Der Nationalstaat und an vielen Orten der Staat an sich ist also ein europäisches Exportprodukt zur fortgesetzten Kolonialisierung und Kontrolle der Welt, welches sich ungleiche Machtverhältnisse in den kolonialisierten Gesellschaften zu nutze macht.

² Ideologie = Weltanschauung bzw. ein Set von Ansichten

³  „Ethnie“ ist ein Begriff für eine Menschengruppe mit einer gemeinsamen Kultur, genauso wie der Begriffs des „Volkes“ wird der Bergriff „Ethnie“, in der Regel benutzt, um gemäß nationalistischer Vorstellungen ein einheitliche Gruppe zu konstruieren und Unterschiede/Widersprüche in dieser unsichtbar zu machen.

1. 4. Rassismus

Rassismus eine Ideologie und Unterdrückungsform, welche während und für die europäische Kolonialisierung der Welt entstand. Er beruht auf der mit der Kolonialisierung entstandenen Identität „Weiß“, welche eine Gemeinsamkeit verschiedener europäische Gruppen konstruiert, die es vorher nicht gab. Davor gab es in Europa eher eine Form der „nationalen“ Konkurrenz zwischen kultureller Identitäten, welche durch sprachliche Gemeinsamkeiten geschaffen wurden, bzw. durch religiöse Konflikte zwischen verschiedenen Fraktionen des Christentums.
Es gab auf jeden Fall kein einheitliches Verständnis wie es die Kategorie „Weiß“, welche es ermöglichte an den kolonialisierten Orten einen Zusammenhalt der Kolonisator*innen zu schaffen. Die Identität als Christ*in kam ihr am nächsten, schuf aber oft kein ähnliches Zusammengehörigkeitsgefühl. So galten beispielsweise Ir*innen und Italiener*innen innerhalb der US-Bevölkerung lange nicht als (richtig) „weiß“ (auch wenn sie nicht die gleiche Unterdrückung wie Schwarze erfuhren), obwohl sie in der Regel Christ*innen waren.
Innerhalb der kolonialen Hierarchien standen/stehen auf jeden Fall Weiße an der Spitze und Schwarze und indigene Menschen ganz Unten, dazwischen sogenannte „Mischlinge“ und andere Gruppen. Diese Rangordnung hat/hatte den Zweck die koloniale Gesellschaftsordnung zur strukturieren. Die Identität „Weiß“ dient/e dazu die europäischen Kolonisator*innen zu einer Einheit zusammen zuschweißen und sie gegen die durch Rassismus abgewerteten Kolonisierten zu mobilisieren. Auch wenn es schon immer Formen kultureller Abwertung und Unterdrückung gab, so unterscheidet sich der Rassismus von diesen durch sein essentielles Verständnis von Identität, das auch teilweise biologistisch ist. Vor dem Aufkommen der europäischen Rassenideologie und teilweise mit ihr überlappend (bis heuteI diente die Abwertung von nicht Christ*innen als Mittel der kolonialen Machtausübung. Aber zumindest theoretisch konnten Nicht-Christ*innen Christ*innen werden. Also sich so verändern, dass sie nicht verfolgt wurden. Wobei klar und eindeutig gesagt werden muss, dass ein Genozid nicht weniger ein Genozid ist, weil er kulturell bzw. religiös und nicht durch biologistischen Rassismus begründet ist.
Es ist jedoch wichtig diesen Aspekt der europäischen Rassenideologie zu verstehen denn beim Antisemitismus vollzog sich eine ähnliche Veränderung. Auch er war zunächst vor allem religiös-kulturell begründet und wurde dann biologisiert. Juden*Jüd*innen hatten nicht mehr „falsche Vorstellungen/einen falschen Glauben“, sondern wurden als „biologische Rasse“ angesehen. Einer der Gründe warum europäische Herrscher*innen, Eliten und ihre Gefolgsleute den biologistischen Rassismus und Antisemitismus entstehen ließen ist, dass eine großer Zahl von Juden*Jüdinen auf der iberischen Halbinsel im 15. Jahrhundert zum Christentum übertrat. Dadurch fiel jenes Merkmal, welches Ausgrenzung und damit bestimmte Machtverhältnisse ermöglichten, weg. Um die Unterdrückung und somit die gesellschaftliche Ordnung zu erhalten, wurde die Idee „unreinen jüdischen Blutes“ geschaffenen.
Es gibt noch mehrere wichtige Verbindungen von Nationalismus und Rassismus. Die Idee des Nationalstaats bezieht sich in den Institutionen, die er anstrebt und schafft, zentral auf die antiken Griechischen Staaten (vor allem die Athener Demokratie) und das Römische Reich/die Republik. Deren Staatswesen und die Werte ihrer Eliten werden bis heute als Vorbilder gesehen. Ein super Beispiel dafür sind die Triumphbögen in vielen europäischen Städten – ein klassisches Symbol des römischen Militarismus und Imperialismus. Sowohl Athen als auch Rom waren Gesellschaften, die im großen Umfang auf Sklaverei beruhten.
Zur Begründung der weltweiten Nationalstaatsbildung wurde außerdem die europäische Aufklärung und allgemein die Fortschrittlichkeit der „europäischen Wissenschaft“ genutzt, die selbe Wissenschaft, welche die Vorstellung „biologischer Menschenrassen“ entwickelte und viele andere Instrumente des Kolonialismus. Kulturelle Rassist*innen wollten und wollten bis heute Menschen weltweit zu „guten, aufgeklärten“ Staatsbürger*innen erziehen und „Nation-Building“ betreiben.
Mit das wichtigste Vorbild republikanischer und zumindest formal demokratischer Nationalstaaten, welche sich bis heute durchgesetzt haben waren außerdem die USA, der bis heute mächtigste Kolonialstaat und damals beteiligt an der millionenfachen Versklavung von Schwarzen Menschen. Rassismus und Nationalismus entspringen also beide dem gleichen grundlegenden Weltbild.
Außereuropäische Staaten haben diese europäische Nationalidee etwas angepasst, aber entweder hatten sie in Teilen schon ähnliche Werte (z.B. Imperialismus und Militarismus, die Grundlage aller größeren Staaten sind), ein Beispiel hierfür ist China, oder übernahmen sie in Laufe ihres Staatsbildungsprozesses.

1. 5. Antisemitismus/Juden*Jüdinnenfeindlichkeit

1. 5. 1. Juden*Jüdinnenfeindlichkeit als Mittel Christlicher Machtausdehnung und Herrschaftssicherung

Einer der wichtigsten Wurzeln des europäischen Antisemitismus ist das Christentum. Um sich vom Judentum abzugrenzen, aus dem das Christentum entstanden war, wurden die ersten christlichen juden*jüdinnenfeindlichen Bilder entwickelt.
Dies diente auch dazu einen Konflikt mit dem römischen Staat zu vermeiden, indem Juden*Jüdinnen die (alleinige) Schuld an der Tötung von Jesus zugeschrieben wurde. Rom selbst war zentral an der Vertreibung von jüdischen Menschen aus dem Gebiet, was heute von Israel und Palästina beansprucht wird, beteiligt, dadurch dass es immer wieder jüdische Aufstände niederschlug. Als das Christentum zur Staatsreligion des römisches Reichs wurde, kam es zur Schlechter-Stellung von Juden*Jüdinnen. Unter anderem einer der grundlegenden Texte christlicher Staatstheorie begründete die vermeintliche „Unterlegenheit“ von Juden*Jüdinnen. 
J
uden*Jüdinnenfeindlichkeit diente erst in der Antike und dann im Mittelalter immer wieder Teilen der christlichen Eliten und religiösen Institutionen dazu ihre Macht auszudehnen. Durch das Christentum entstanden auch erste Formen einer europäischen Identität, die sich in Form von imperialistischen Invasionen – den Kreuzzügen äußerste und zu zahlreichen anti-jüdischen Massenmorden (Pogromen) in Europa führte. Neben den kirchlichen Institutionen benutzten auch immer wieder der (weltliche) Adel und König*innen Juden*Jüdinnenfeindlichkeit als Mittel, um ihre Herrschaft zu sichern, Unmut umzulenken oder gegen Gegner*innen zu mobilisieren. Dass Juden*Jüdinnen dabei aufgrund ihrer Schlechter-Stellung manchmal in bestimmte Berufe gezwungen/gedrängt wurden, nutzten sie teilweise gezielt aus. Zum Beispiel arbeiten an manchen Orten Juden*Jüdinnen als Steuereintreiber*innen oder Geldverleiher*innen, kam es zu Unmut gegen die Eliten konnten diese dann zu Schuldigen erklärt werden. So wurde die Herrschaft der staatlichen Eliten gesichert.
Gerade durch die staatliche und kirchliche Politik verfestigen sich juden*jüdinnenfeindliche Einstellungen in der Bevölkerung. Dabei entstanden selbstverständlich auch Eigendynamiken und die allgemeine Bevölkerung wirkte teils selbständig an deren Verbreitung mit.

1. 5. 2. “Jüdisches Blut“ – das Entstehen “biologischer Menschenrassen”

Diese Machtpolitik der europäischen Staaten und Kirche(n) – die Verfolgung der jüdischen Bevölkerung – wurde lange religiös begründet, dass heißt wer zum Christentum konvertierte hatte eine gewisse Chance ihr zu entkommen. Als an einigen Orten des heute von Spanien beanspruchten Gebietes im 15 Jahrhundert jedoch massenhaft Juden*Jüdinnen zum Christentum übertraten, wurde um sie weiter ausgrenzen zu können die Idee „jüdischen Blutes“ geschaffen. Juden*Jüdinnen wurden damit nicht „nur“ aufgrund ihres Glaubens als „minderwertig“ angesehen, sondern aufgrund einer vermeintlichen biologischen Eigenschaft. Dies ist einer der Ursprünge der europäischen Vorstellung von „Menschenrassen“. Die Vorstellung von einer „jüdischen Rasse“ begann dann später (ab dem 19. Jahrhundert) mit dem Aufkommen der Biologie und der allgemeinen biologistischen Rassenidee massiv an Einfluss zu gewinnen.

1. 5. 3. Nationalismus, Rassismus, Demokratie und Kapitalismuskritik: Der moderne Antisemitismus entsteht

Im 19. Jahrhundert entsteht dann der moderne europäische Antisemitismus, anders als die historische Juden*Jüdinnenfeindlichkeit wird dieser nicht mehr grundlegend christlich begründet, sondern funktioniert auch ohne den christlichen Glauben. Stark ist er verbunden mit Nationalismus und der Vorstellung von Juden*Jüdinnen als „Verschwörer*innen gegen die Nation“ (alias den Staat). Wichtig ist hier zu verstehen, dass der Nationalismus mit einer Demokratisierung der Gesellschaft einherging: Immer mehr Menschen bekamen politische und gesellschaftliche Rechte gegenüber dem Staat, die Zahl konstitutioneller Monarchien mit relevanter Parlamentsmacht nahm stark zu. Die Gesamtbevölkerung musste also nicht nur zentral daran gehindert werden gegen den Staat und seine Eliten aufzubegehren, sondern konnte nun viel aktiver und permanenter in dessen internen Machtkämpfen mobilisiert werden. Antisemitismus wird zum wichtigen Mittel vieler Parteien und Sozialer Bewegungen für genau diese Mobilisierung.
Eine weitere aufkeimenden Quelle des Antisemitismus ist neben Nationalismus und Demokratisierung, die damals entstehende moderne sozialistische Bewegung. Teile von ihr gaben Juden*Jüd*innen die alleinige oder teilweise Schuld an der (kapitalistischen) Ausbeutung. Führende Denker*innen sowohl des Marxismus, als auch Anarchismus äußerten antisemitische Einstellungen: Beispielsweise Marx, Proudhon und Bakunin.
Im Anarchismus wurde mit der konsequenten Ablehnung jeder geld- und eigentumsbasierten Gesellschaft mit inhaltlichen, antisemitischen Einflüssen gebrochen, weil eben Geld und Eigentum, sowie Herrschaft an sich als die Ursachen der Unterdrückung gesehen wurden/werden und es unbedeutsam wurde wer vermeintlich(!) die Kontrolle darüber hat. Antisemitismus war auch für den Marxismus lange Zeit nicht von relevanter Bedeutsamkeit als Mittel, bis er immer stärker in die nationale Politik eingebunden wurde und in verschiedenen Staaten der Welt Marxist*innen die Regierungen übernahmen. So brach zwar die Sowjetunion unter Lenin mit dem offen Antisemitismus der Zarenreichs, zwang aber jüdischen Menschen zur Aufgabe ihrer Kultur. Hebräisch, viele Rituale und Religonssausübung wurden in ihr verboten. Unter Stalin wurde später auch Jiddisch verboten und wieder offen antisemitisch gehandelt (Dazu mehr im Abschnitt: Stalinistischer – linker Antizionismus = Antisemitismus: Wirkmächtig bis heute)
Heutzutage spielt linke (marxistische und liberale) Kapitalismuskritik eine wichtige Rolle bei der Öffnung von Bewegungen für antisemitische Erzählungen. Dazu im Kapitel zu linken Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus mehr. Auch die Selbstbezeichnung „nationalsozialistisch“ und die damit verbundenen Erzählungen durch die Hauptkraft des deutschen Faschismus kann als Versuch gesehen werden Kapitalismuskritik mit Antisemitismus zu verbinden, um so Sozialist*innen für die eigene Sache zu gewinnen.

1. 5. 4. Russisches Reich: Antisemitismus als Aufstandsbekämpfung

Aufgrund der Verfolgung und Unterdrückung seitens der meisten europäischen Staaten zogen Juden*Jüdinnen mit Beginn der Neuzeit in das Königreich Polen/Fürstentum Litauen. Als dieses Ende des 18. Jahrhunderts zwischen Österreich, Preußen und Russland aufgeteilt wurde, fiel ein Großteil unter russische Herrschaft.
Das russische Reich bediente sich dann regelmäßig Antisemitismus um gesellschaftliche Kontrolle auszuüben. Wut und Unmut der Bevölkerung wurden durch antisemitische Propaganda des Staates und seiner Eliten auf Juden*Jüdinnen gelenkt. Zum Beispiel schuf die zaristische Geheimpolizei Okhrana, „die Protokolle der Weisen von Zion“, eines der Grundlagenwerke der antisemitischen Vorstellung von einer “jüdischen Weltverschwörung”. Einer der wichtigsten Aufgaben der Okhrana war übrigens die Bekämpfung des Anarchismus und anderer sozialistischer Bewegungen.
Nach dem Untergang des Zarenreichs wurde dieser offene staatliche Antisemitismus nicht fortgesetzt, Juden*Jüd*innen wurden jedoch durch den sowjetischen Nationalismus zur Aufgabe von Teilen ihrer Kultur gezwungen. Außerdem wurden sehr viele jüdische Anarchist*innen/Anarchist*innen mit jüdischen Hintergrund und sonstige Sozialrevolutiontär*innen ermordet, in Lagern und Knästen inhaftiert oder verbannt, allerdings nicht weil sie jüdisch waren. Als Stalin endgültig an die Macht kam und im Rahmen der Entstehung Israels änderte sich die Politik der UdSSR und Antisemitismus wurde zu einem häufiger genutzten Mittel, dazu mehr im Kapitel zum Israel-Palästina-Konflikt.

1. 5. 5. Die Shoah – Zuspitzung der europäischen Zivilisation

Shoah ist der Begriff für die Ermordung von ungefähr 6 Millionen Juden*Jüdinnen oder Menschen, denen zugeschrieben wurde jüdisch zu sein, durch den deutschen Staat, die Nazis und unter aktiver und passiver Beteiligung eines großen Teils der deutschen Bevölkerung. Es gibt einen staatlich vorangetrieben Mythos über die Shoah. Dieser Mythos sieht sie als „Zivilisationsbruch“ und bezeichnet sie als „singuläres Ereignis“ – unvergleichbar mit anderen Genoziden und Massenmorden. Erstmal ist Vergleichbarkeit und Gleichsetzung nicht das Selbe – Alles kann und sollte verglichen werden, um Unterschiede und Gemeinsamkeiten festzustellen. Der Mythos der „Zivilisationsbruchs“ soll genau dies verhindern. Sein Zweck ist, dass es nicht zu einem Verständnis über die Verbindungen von Rassismus/Kolonialismus und Antisemitismus kommt, dass sich keine generelle Ablehnung der europäischen Zivilisation entwickelt. Sein Zweck ist, dass der Kampf gegen Antisemitismus nicht zu einem gemeinsamen Kampf gegen Deutschland und die anderen europäischen Staaten wird.
Denn die Shoa war keine „Zivilisationsbruch“. Wohlmöglich lassen sich in ihr zwar ein paar „einzigartige“ Elemente finden, wie dass im Vergleich zu anderen Massenmorden ideologisches Denken anteilig wesentlich mehr eine Rolle spielte als wirtschaftliche und machtpolitischen Interessen. Aber die Shoah war weder ein „Zivilisationsbruch“, noch entstand sie aus dem Nichts heraus. Die ideologischen Grundlagen z. B. der Glaube an eine „biologische“ „jüdische Rasse“ bzw. „jüdisches Blut“, wie bereits im Abschnitt zu Antisemitismus beschrieben, sind auch eine der Grundlagen des biologistischen „Rassendenkens“ an sich und waren bereits vor der Shoah jahrhundertelang Teil europäischer Kultur.
Die Vorstellung eines einheitlichen Volkes das und dessen Staat von „Fremdherrschaft befreit“ werden – in der heftigeren Form „gereinigt werden muss” ist Kernelement des modernen, europäischen Staatsgedanken – der Idee der Nation. Daran anschließen tut auch die marxistische Idee die herrschenden Klasse müsse nur durch Mitglieder der Arbeiter*innenklasse ersetzt werden, um den Kapitalismus zu überwinden. Auch hier findet sich die Vorstellung der „Reinigung“ des Staates und das gerade mit der (alleinigen) Schuldzuweisung an eine Gruppe – Klasse von Reichen/Händler*innen. Dies ist ein Phänomen, welches wir auch in vielen antisemitischen Verschwörungserzählungen erleben. Dass die Nazis zumindest im Namen Sozialismus aufgegriffen haben und in unterschiedlicher Form von einer „Verschwörung jüdischer Kapitalisten“ sprachen sollte an dieser Stelle nochmal erwähnt werden.
Ohne modernen Staat und Kapitalismus deren Überwachungs-, Bestrafungs- und Kontrollinstitutionen, sowie Infrastruktur und Technologien wäre die Shoa rein materiell unmöglich gewesen. Lager in den Millionen Menschen ermordet werden können und eine Erfassung der vermeintlichen Abstammung dieser bedürfen einer immensen Zentralisierung von Macht. Und es werden Technologien wie Eisenbahnen und moderne Waffen benötigt. Auch das moderne Lagersystem, einschließlich des Begriffs „Konzentrationslager“ (Englisch: „concentration camp“), stammt aus der europäischen Kolonialherrschaft und der Gewalt und den Vertreibungen in Osteuropa während und nach dem Ersten Weltkrieg. Wie es gelingen kann Menschen massenhaft systematisch in Lagern einzusperren, zur Arbeit zu zwingen und zu ermorden, wurde somit jahrzehntelang weltweit entwickelt bevor Deutschland und die Nazis es anwendeten. Genauso entwickelt wurde die Idee es gebe „rassisch unterlegene Menschen“.
Während viele Juden*Jüdinnen weltweit aus der Shoah ableiten sich gegen jede Form von Genozid insbesondere den fortgesetzten globalen kolonialen Massenmord einzusetzen, dient der Mythos der „Singularität“, Deutschland und Europa bis heute dazu ihr Morden fortzusetzen und auch den Widerstand dagegen zu bekämpfen. Dazu später mehr.

1. 5. 6. Europäischer Antisemitismus nach 1945

In Europa gab es nie einen Bruch mit dem Antisemitismus. Die Eliten beider Deutschlands: Der BRD und DDR bestanden zu großen Teilen aus Nazis, die Bevölkerung hatte sich millionenfach an der Shoah beteiligt oder von ihr profitiert. In Osteuropa wurde alles dem Machterhalt der sowjetischen Führung untergeordnet und jede Erzählung und Auseinandersetzung, die von der Parteilinie abwich, führte erst ins Gulag und in späteren Jahren in den Knast. Dabei sollte erwähnt werden, dass die UdSSR und Deutschland lange zusammenarbeiteten und u.a. Polen gemeinsam aufteilten, was mit dazu führte das hunderttausende Juden*Jüdinnen unter die Herrschaft der Nazis fielen. Auch die Rolle, welche die westeuropäische Staaten + USA spielten – passiv zuzusehen und deren teilweisen Unterstützung des europäischen Faschismus – wurde selbstverständlich nie tiefergehend behandelt. Wer sollte das auch tun? Anarchistische und anti-autoritäre Bewegungen waren nach 1945 überwiegend zerschlagen, anti-nationale Juden*Jüdinnen damit zum Schweigen gebracht worden. Der jüdische Nationalismus musste sich teilweise mit eben jenen europäischen Staaten verbünden, um sein Ziel eines eigenen Staates durchzusetzen.
Durch soziale Bewegungen und jüdische Selbstorganisation gab es dann später Auseinandersetzungen mit der Shoah, aber diese bewegten sich fast ausschließlich im Rahmen des nicht grundsätzlich Staatsbedrohenden (sie erfuhren trotzdem oft Repression). Kein Staat in Europa hatte/hat ein wirkliches Interesse daran, dass die Funktion von Antisemitismus als Mittel staatlicher Politik aufzeigt wurde/wird. Antisemitischen Gruppen werden weiterhin von Teilen des Staates unterstützt, weil diese nicht die staatliche Herrschaft an sich gefährden und gerade Faschist*innen sehr nützlich für den Erhalt des Staates (insbesondere in Krisen) sein können. Ein Beispiel für diese Unterstützung in Deutschland ist der NSU.
Ein nahezu absolutes Tabu bleibt bis heute, dass die Shoah eben Ausdruck der europäischen Zivilisation war und kein „Zivilisationsbruch“, weil diese Analyse, würde nach ihr gehandelt, zum Kampf gegen diese Zivilisation und damit Staat, Kapitalismus und Kolonialismus führen würde. In Deutschland und Osteuropa hieße die Auseinandersetzung mit Antisemitismus auch sich mit der Sowjetunion ehrlich auseinanderzusetzen, etwas woran weder Linke noch Rechte ein wirkliches Interesse haben. Mit dem „Zionismus“ entstand insbesondere nach der Gründung Israels außerdem eine neue Projektionsfläche des Antisemitismus. Dies wird im Kapitel zum Israel-Palästina-Konflikt näher betrachtet, genauso wie der damit verbundene arabische und globale Antisemitismus und Nationalismus.

1. 5. 7. Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus: Die Vorstellung “guter Herrschaft/Herrscher*innen”

Abschließend ist es wichtig zu verstehen, dass weil sie der Schaffung und Absicherung von Herrschaftssystemen dienen Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus auch immer die Vorstellung guter Herrschaft bzw. guter Herrscher*innen beinhalten. Beim Nationalismus ist dies eigentlich am einfachsten zu erkennen, weil er ja den („eigenen“) Staat als eine Herrschaftsform unterstützt und gleichzeitig nur die „Fremdherrschaft“ ablehnt, nicht Herrschaft an sich. Es muss also „gute nationale Herrscher*innen“ geben. 
Beim Rassismus ist diese Aspekt etwas versteckter, er findet sich vor allem in der Identifikation mit der europäischen Zivilisation, welche als Gegenstück zum „Unzivilisierten, Wilden“ gesehen wird. Die Zivilisation, ob sie nun lieber monarchistisch, marxistisch, faschistisch oder liberal-demokratisch sein soll, ist dabei immer einer Form von Herrschaft auf deren Seite sich Weiße stellen und sie gegenüber entweder einer „barbarischen Willkürherrschaft“. der „unzivilisierten Anarchie“, “dem Recht des Stärkeren“4 oder manchmal „Tyrannei“ verteidigen müssen, also vermeintlich schlimmere Formen der Herrschaft oder Herrschaftslosigkeit als etwas Falschem.
Dass Weiße BIPOC Personen beherrschen wird also als Schutz gesehen. Die Weißen werden ihnen gegenüber zu guten Herrscher*innen, die zumindest andere Weiße schützen würden. Oft werden sie aber auch als Erzieher*innen gesehen, die nicht-weiße Menschen in Richtung der europäischen Zivilisationen anleiten sollen. Alle nicht biologistischen Formen von Rassismus haben diese Vorstellung bewusst oder unbewusst, denn sie sehen nicht-weiße Menschen aufgrund ihrer Kultur als unterlegen an, diese ist dann aber zumindest theoretisch veränderbar. Die Frage ist dann nur wie diese vermeintliche Überlegenheit der europäischen Zivilisation sich ausdrücken soll: Die Linksliberale Antwort ist hier zum Beispiel sich Staat und Kapitalismus in Europa unterordnende „Migrant*innen“ zu belohnen, während Konservative eher mehr auf Strafe setzten.
Beim Antisemitismus ist die Vorstellung von „guten“ und „schlechten“ Herrscher*innen eigentlich sehr offensichtlich: Zentraler Bestandteil von antisemitischen Erzählungen ist in der Regel die Vorstellung einer Verschwörung oder eines Verrates. Diese vermeintliche Verschwörung richtet sich gegen den Staat, der normalerweise als Verkörperung des Volkes gesehen wird. Es wird sich eingebildet diese Verschwörung würde Staat oder Gesellschaft, welche ansonsten gut/akzeptabel funktionieren würden, korrumpieren. (Vorgestelltes) Ziel ist dann diese von den „jüdischen Einflüssen zu reinigen“, nach dieser „Reinigung“ ist die Herrschaft angeblich wieder in Ordnung, funktioniert der Staat wieder richtig. Also gibt es nach diesen Erzählungen „schlechte Herrschaft“, wenn diese von Juden*Jüdinnen ausgeübt wird und „gute Herrschaft“, wenn diese von anderen Herrscher*innen (meist Angehörige der „eigenen Nationalität, Rasse, Klasse oder des eigenen Glaubens“) ausgeübt wird. Hier zeigt sich auch die Verbindung zum Nationalismus.
Die mit ihm verbundene Phantasie der „guten Herrscher*innen“ finden wir auch im Israel-Palästina-Konflikt wieder.

4 Hier zeigt sich mal wieder die Projektion staatlicher Gesellschaften und ihrer Mitglieder, denn Recht ist immer das Recht des Stärkeren, weil der Geber des Rechtes der Staat ist, und es dient auch genau dazu die Macht von Institutionen und Gruppen mit mehr gesellschaftlicher Macht durchzusetzen.

Teil 2: Der Israel-Palästina-Konflikt

2. 1. Die Grundlage: Der europäische Antisemitismus und die nationalistische Antwort

Es gab viele Reaktionen von Juden*Jüdinnen auf ihre Verfolgung. Als in Europa ab Mitte des 19. Jahrhunderts der Nationalismus immer mehr erstarkte, verbreitete sich auch die Idee einer jüdischen Nation. Diese war allerdings nicht unangefochten der einzige Weg, den Juden*Jüdinnen und Menschen mit jüdischen Hintergrund, zur Befreiung sahen. Es gab zahlreiche jüdische Anarchisten und andere Sozialist*innen mit jüdischen Hintergrund.
Unter den jüdischen Nationalist*innen wurde intensiv diskutiert, wo ein möglicher jüdischer Staat errichtet werden könnte. Unter vielen Vorschlägen setzte sich klar der Ort des ersten jüdischen Staates durch: Das Gebiet, welches heute von Israel, Palästina und teilweise anderen arabischen Staaten beansprucht wird. In diesem Zusammenhang entstand auch der Begriff Zionismus, der hauptsächlich den jüdischen Nationalismus mit dem Ziel eines Staates dort beschreibt.
Bereits Ende des 19. Jahrhunderts begann dann eine erste größere jüdische Migration in das damals vom osmanischen Reich kontrollierte Gebiet, welche sich nach dem Ersten Weltkrieg und der britischen Machtübernahme in der Region fortsetzte. Die Einwanderung und daraus entstehenden Konflikte, sowie die britische Kolonialpolitik, welche an beide Seiten Versprechungen machte, führten zu vermehrten Spannungen. Unter anderem trugt auch das Eigentum am Land dazu bei: Die unteren Klassen der arabischen Bevölkerung hatten oft keine Kontrolle über den Boden, auf dem sie lebten und den sie zur Ernährung nutzen. Diese Situation stammte noch aus dem osmanischen Reich. Jüdische Siedler*innen kauften nun von den Großgrundbesitzer*innen Land und enteigneten faktisch (teilweise ohne das es ihnen bewusst war) Teile der arabischen Bevölkerung. 
Ab einem gewissen Punkt nutzten auch die (entstehenden) sowohl jüdischen, als auch muslimisch-arabischen Eliten den Konflikt für sich aus, um ihre Macht in Rahmen des jeweiligen Nationalismus zu verstärken. So wurden auch antisemitische Einstellungen immer mehr verbreitet. Die Anführer*innen der zionistischen Bewegungen hingegen nutzten teils koloniale europäische Bilder. Es kam zu immer mehr gewaltsamen Auseinandersetzungen und der Konflikt spitzte sich zunehmend zu.
Während und nach der Shoah wuchs die jüdische Nationalbewegung weiter an, eine zunehmende Anzahl von Juden*Jüdinnen versuchte ein langfristig sicheren Ort zu erreichen.
Aufgrund des Kampfes und direkter Aktionen jüdische Gruppen, sowie der Arbeit von Sympathisant*innen waren die europäischen Weltreiche USA, Großbritannien und Frankreich gezwungen in irgendeiner Weise auf die Forderungen des jüdischen Nationalismus einzugehen.
Sie konnten „das Problem“ wie nach der Shoah mit den überlebenden Juden*Jüdinnen umzugehen war, so auch einfach auf eine kolonialisierte Gruppe verlagern. Es gab zwar andere Option für einen eigenen jüdischen Staat, z. B. Teile des deutschen Staatsgebietes (dort leben wollten viel Juden*Jüdinnen selbstverständlich allerdings auch nicht), aber beide Blöcke brauchten Deutschland im aufkommenden Konflikt zwischen UdSSR und Westalliierten.

1947 – Jüdische Geflüchte bei der Ankunft: “The Germans destroyed our families and homes – don’t you destroy our hopes” (Die Deutschen haben haben unsere Familie und Häuser zerstört, zerstört nicht unsere Hoffnungen”.

1947 beschlossen die Vereinten Nationen (UN) die Aufteilung vom späteren Israel und Palästina (unter Beteiligung der arabischen Staaten, die dagegen stimmten),
Großbritannien zog sich zurück. Im Mai 1948 wurde der Staat Israel ausgerufen, mit der Staatsgründung begann direkt ein Krieg zwischen Israel und einen Bündnis von Ägypten, Transjordanien, dem Irak, Syrien, Libanon, Saudi-Arabien und Yemen (die sich nicht an den Beschluss der UN hielten). Israel gewann und im Anschluss wurden hunderttausende muslimische Araber*innen vertrieben oder flohen.
Es folgten weitere Kriege in unterschiedlichen Konstellationen (immer zwischen Israel und wechselnden arabischen Staaten), sowie Aufstände von Palästinenser*innen und Vertreibungen. Es kam zu Massakern an arabischen Muslimen und Juden*Jüdinnen (letzteres oft durch Anschläge). Diese Entwicklung dauert bis heute an. Einzige Veränderung ist die Zusammensetzung der Beteiligten: Israel wurde eine immer rechter geprägte Gesellschaft und die palästinensische Seite immer islamistischer. Manchen arabische Staaten schlossen Frieden mit Israel und haben inzwischen diplomatische Beziehungen begonnen. Der Iran ist nach der islamistische Machtübernahme 1979 ins anti-israelische Lager gewechselt.
Ein weitere, sehr wichtige Entwicklung, während dieser Zeit bis heute, ist das Erstarken von arabischen und muslimischen Antisemitismus, sowie die weltweite Rechtfertigung des eigenen Antisemitismus mit „Antizionismus“ und dem Kampf für „die Befreiung Palästinas“.

2. 2. Arabischer Nationalismus: Antisemitismus wieder als Herrschaftsmittel

Mit der Zuspitzung des Konfliktes begannen muslimisch-arabische Eliten und auch Bewegungen zunehmend Antisemitismus als Herrschaftsmittel zu nutzen. Die Schuld für die gesellschaftlichen Verhältnisse in „ihren eigenen Ländern“ wurde Israel, dem Zionismus und (damit) oft Juden*Jüdinnen zugeschrieben. Hierbei wurde häufig auch die Erzählung „der internationalen jüdischen Verschwörung“ genutzt. Der Kampf gegen Israel wurde ebenfalls zu einem wichtigen Bindeglied des (pan-)arabischen Nationalismus über die einzelnen Staaten hinweg. Die arabischen Eliten bzw. Teile von ihnen nutzten und nutzen also Antisemitismus und Nationalismus um die eigene Herrschaft abzusichern und die Ausbeutung der eigenen Bevölkerung und deren Unterdrückung aufrechtzuerhalten. Ein Großteil der dabei verwandten Techniken und Vorstellungen wurde bereits durch den europäischen Kolonialismus geschaffen und von Europa übernommen, auch wenn schon (im wesentlich geringeren Ausmaß) Antisemitismus vor der Kolonisierung im arabischen Raum und Staatlichkeit, sowie Vorläufer von modernen Nationalismus, existierten.
So entstanden z.B. überarbeitete, arabische Übersetzungen, des von der zaristischen Geheimpolizei geschaffen antisemitischen Textes der „Protokolle der Weisen von Zion“.
Der vermeintliche Freiheitskampf gegen den Imperialismus und Kolonialmus seitens arabischer Nationalbewegungen ist also kein wirklicher Kampf gegen deren Werte und Institutionen, sondern vielmehr eine Übernahme dieser.
Außerdem dienten Israel, Zionismus und Juden*Jüdinnen als Feindbild des weiteren dazu ihre eigene Zusammenarbeit mit den jeweiligen kolonialen bzw. neokolonialen Mächten wie den USA und der Sowjetunion zu vertuschen. Konsequent die Europäische Zivilisation (zu der auch Russland/die UdSSR gehört) als Feindbild zu verfolgen war (als nationale Machthaber*in) geopolitisch unmöglich, deshalb wurde sich auf einen Block und vor allem den Staat Israel konzentriert.

2. 3. “Antizionismus“: Antinationalismus oder getarnter Antisemitismus?!

Die arabischen Herrscher*innen versteckten/verstecken ihren Antisemitismus oft hinter den Begriff des „Antizionismus“. „Antizionismus“ richtet sich vermeintlich nur gegen jüdischen Nationalismus, nicht gegen das Judentum und Juden*Jüdinnen an sich.
Aus einer jüdischen Sicht, den jüdischen Nationalismus gezielt zu benennen ergibt wahrscheinlich Sinn. Aber warum sollten sich andere Menschen weltweit als „Antizionist*innen“ bezeichnen? Weil jüdischer Nationalismus nach ihrer Ansicht besonders schlimm ist? Das ist eigentlich die einzige mögliche Erklärung…
Ansonsten würden sie sich Antinationalist*innen nennen und damit ihre Ablehnung von Nationalismus an sich ausdrücken. Real sind aber fast alle „Antizionist*innen“ selbst Unterstützer*innen irgendeiner Nation. Dass jüdischer Nationalismus gesondert benannt wird hat einen einzigen Hintergrund: Antisemitismus.
Ja, Israel tut schreckliche Dinge, aber es tut diese nicht weil es jüdisch ist. Es tut diese Dinge weil es ein Staat und eine Nation ist und Teil des weltweiten Kolonial-Systems. Doch arabische Nationalist*innen und all die anderen „Antizionist*innen“ rund um die Welt, einschließlich der staatlichen Linken können die niemals akzeptieren, weil sie sich dann mit ihren eigenen Verhältnis zum Staat auseinandersetzen müssten. Übrigens hat die marxistische Linke den „Antizionismus“ mit geschaffen und in alle Welt getragen.

2. 4. Sowjetischer Antisemitismus

Sie [die Bolschewiki] hassen auch die Juden*Jüdinnen. Wir sind immer die Opfer. Unter den Kommunist*innen gibt es keine gewalttätigen Pogrome des Pöbels, zumindest habe ich von keinen gehört. Aber wir haben die ‘stillen Pogrome’, die systematische Zerstörung von allem, was uns lieb und teuer ist – von unseren Traditionen, Bräuchen und unserer Kultur.” – Alexander Berkmann the Bolshevik Myth.

Die Sowjetunion beendet zunächst den offenen Antisemitismus des Zarenreichs, jedoch wurde jüdische Kultur und Religion unterdrückt. Jiddisch als Sprache wurde zwar anerkannt, jedoch wurde Bezüge zum Judentum und alten Hebräisch-Aramäisch staatlicherseits entfernt. Hebräisch wurde verboten. Dieser kulturelle Auslöschungspolitik wurde auch gegen andere Gruppen geführt z.B. wurden Menschen, vor allem Muslim*innen, in Zentralasien und im Kaukasus die Nutzung des arabischen Alphabetes verboten.

2. 4. 1. Stalinistischer – linker Antizionismus = Antisemitismus: Wirkmächtig bis heute

Unter Stalin bergan wieder eine offene antisemitische Politik. Diese ereichte ihren Hochpunkt nach Entstehen Israels, der sowjetische Staat befürchtete einen Treueverlust seitens „seiner“ recht großen jüdischen Bevölkerung, weil es nun einen jüdischen Staat gab. Ab 1948 kam es deshalb zu einer Welle antisemitischer Repression, die sich als Vorwand die Bekämpfung des Zionismus suchte. Der Zionismus wurde als Feindbild aufgebaut. Die Repression nutzt den jüdischen Hintergrund von Abweichler*innen zusätzlich um gegen diese Stimmung zu machen. Der stalinistische – marxistische „Antizionismus“ dehnte sich weit in die Linke aus.
Diese, vor allem in Deutschland, bestand wesentlich aus Stalinist*innen bzw. hat bis heute nicht mit dem Stalinismus gebrochen. Denken wir nur daran, dass bis heute die Rote Armee in zahlreichen Linken Kreisen z.B. bei sehr vielen Antifas als Befreierin gefeiert/“gewürdigt“ wird. Die Rote Armee hatte nicht nur seit 1918 massenhaft Anarchist*innen und andere Sozialrevolutionär*innen ermordet, inhaftiert und vergewaltigt (+Millionen andere Mitglieder der Arbeiter*innen- Bäuer*innenklassen).
Nein, ganz konkret unterstand sie zum Zeitpunkt der vermeintlichen „Befreiung“ zentral einer Person: Josef Stalin. Und sie dehnte seine Herrschaft aus. Das ist Befreiung für einen großen Anteil der deutschen Linken.  Wenn es nie einen Bruch mit dem Stalinismus gegeben hat, verwundert auch nicht, dass der aus ihm stammende „Antizionismus“ – Antisemitismus in der Linken fortbesteht. Warum die zwei wichtigsten linken Ideologien: Marxismus und Liberalismus grundsätzlich nationalistisch und rassistisch sind und auch immer wieder antisemitisch werden, dazu später mehr.

Der Linke Traum: 1945 Befreiung durch den Stalinismus.

2. 5. Israel-Palästina: Ein einfach zu verstehendes Beispiel wie Nationalismus funktioniert

Auf der Gegenseite des Israel-Palästina-Konfliktes zeigt sich eine ähnliche Logik. Hier ist eine der zentralen Ideologien anti-muslimischer Rassismus, um diesen zu verstecken wird der Islamismus als Feindbild hervorgeholt. Islamismus genauso wie Zionismus existieren und sind beide menschenfeindliche Ideologien der Herrschaft. Aber genauso wie es antisemitisch ist Zionismus inhaltlich anders zu bewerten als anderen Nationalismen, ist es rassistisch Islamismus anders zu bewerten als beispielsweise menschenfeindliche europäisch-christliche Ideologien und den kolonialen Terror, welchen die europäischen Staaten (einschließlich der USA) und Israels ausgeübt haben und weiterhin ausüben. Der koloniale Terror ist qualitativ nicht wesentlich unterschiedlich zu dem was Islamist*innen tun. Als Teil der US-Amerikanischen Siedlungspolitik und der inneren Kolonisierung werden z. B. weiterhin massenhaft indigene Menschen (vor allem cis endo hetero Frauen und Queers) vergewaltigt und ermordet.
Dass die unterdrückerische Gewalt der anderen Seite als besonders herausgestellt wird und die der eigenen relativiert und/oder verschwiegen wird, ist eine immer vorkommendene Struktur nationalistischer, staatlicher Konflikte. Den Israel-Palästina-Konflikt macht besonders, dass eine seit Jahrtausenden von Europa unterdrückte und verfolgte Menschengruppe und eine von Europa kolonisierte Gruppe aufeinander treffen.
Weil der Kampf gegen die europäische staatliche, kapitalistische Zivilisation ein globales Tabu bleibt, den schlussendlich hieße dies den Kampf gegen alle (zumindest modernen) Staat aufzunehmen, suchen sich Menschen auf dem ganzen Planeten eine Ausweichprojektion: Der Kampf für einen palästinensischen Nationalstaat wird zum “anti-kolonialen Befreiungskampf” mit weltweiter Bedeutung erhoben und der Staat Israel zum “Schutzraum gegen Antisemitismus” verklärt (Warum gerade Linke das tun und ihre Ideologien eine Ursache davon sind, damit beschäftigt sich Teil 3).
Der Konflikt an sich und seine grundsätzliche Logik ist mit einem anarchistischen Verständnis von Nationalismus und Staatlichkeit eigentlich nicht schwer zu verstehen: Wir finden die gleichen Muster wie in anderen Konflikten zwischen Nationalstaaten oder nationalistischen Bewegungen. Ganz kurz soll hier nochmal beschrieben werden was passiert:
Die Bevölkerungen sind abhängig von den Entscheidungen ihrer Eliten und ihres Staates, Sie identifizieren sich mit diesen. Alle anderen Positionen werden mundtot gemacht. In der Regel wird versucht den Konflikt mit mehr (militärischer) Gewalt zu „lösen“, wenn die Gewalt davor nicht „ausreichte“. Ergänzend oder „alternativ“ werden andere Mittel der Kontrolle und Überwachung eingesetzt. Darauf reagiert „der Feind“ im Rahmen der eigenen Mittel ähnlich (Israel handeln eher klassisch militärisch, während die palästinensische Nationalbewegung asymmetrische Kriegsführung benutzt). Gemäß der nationalistischen Vorstellung der eigene Staat sei weniger schlimm als der Staat bzw. die Nationalbewegung der Gegenseite wird vor allem oder ausschließlich dieser Gegenseite die Schuld geben. Wer versucht sich differenziert zu äußern, wird als Unterstützer*in „des Feindes“ aus der öffentlichen Diskussion herausdrängt oder mit dem Argument die Nation müsse geschlossen handeln.
Wenn dennoch gelegentlich ausreichend viele Menschen (meist eher Linke) begreifen, dass der Konflikt nie durch staatliche Gewalt zu lösen ist5 und Teile der Eliten ihre Idee aufnehmen, gibt es Friedensverhandlungen. Diese Scheitern an der inneren Logik der beiden Seiten, weil Fraktionen innerhalb der jeweiligen Eliten von der Fortsetzung der Gewalt profitieren und diese sabotieren. Oder eine der beiden Anführer*innen/Regierungen ist überzeugt, dass sie erst auf eine bessere Ausgangslage warten/diese herbeiführen sollten bevor weiter verhandelt werden kann. Unterdessen (u.a. weil es keine Veränderung gibt ) eskaliert die Gewalt wieder. Das ist der staatliche und nationalistische Kreis, der innerhalb der staatlichen Welt nur durchbrochen wird, wenn es gemeinsame Interessen von Staaten gegenüber Dritten gibt, also ein politisches oder militärisches Bündnis gegen Andere. Warum solch ein Friedensschluss nicht strebsam ist damit beschäftigt sich Teil 4 des Textes.
Die allgemeinen Logiken von Kolonialismus und Antisemitismus setzen sich ebenfalls fort. Das nationale – staatliche „Befreiung“ als Konzept sowohl im Kampf gegen Antisemitismus als auch Rassismus/Kolonialismus nur eine Veränderung der Unterdrückung nicht deren Ende bedeutet zeigt sich, wie bei allen Versuchen den Staat als Mittel der „Befreiung“ einzusetzen.
Die Vorstellung der Konflikt sei zu komplex um ihn einfach zu lösen ist größtenteils falsch. Ausführlicher wird die Lösung und Antwort am Ende beschrieben – in Kurzform es ist der anti-nationale Kampf gegen Antisemitismus und Rassismus, der Kampf gegen Staatlichkeit und Nationen.
In Bezug auf die Verteidigung von Juden*Jüdinnen/Menschen mit jüdischen Hintergrund hatte diese Antwort im 20. Jahrhundert eine ernsthaftere Chance, denn Nationalismus und ein Staat waren nicht der einzige Weg den jüdischen Menschen sich zur Befreiung und Selbstverteidigung vorstellen konnten. Selbst zu Beginn des Zionismus gab es noch kleinere Gruppen in der zionistischen Bewegung, die keinen Staat anstrebten, sondern eine Zusammenleben in Kommunen und in Solidarität mit der arabisch-muslimischen Bevölkerung. Dies ist einer der Ursprünge der Kibbuz-Bewegung6. Grundlage hierfür waren freiheitlichere sozialistischen Strömungen und auch Anarchismus. Bis in die 1920er Jahre gab es nämlich zahlreiche jüdische Anarchist*innen bzw. Anarchist*innen mit jüdischen Hintergrund. Außerdem gab es einen aussichtsreichen anarchistischen Kampf gegen den Faschismus und damit gegen die wichtigste Kraft des modernen Antisemitismus in dieser Zeit.

5 Es sei denn mensch ist zur vollständigen, physischen Auslöschung der anderen Bevölkerung bereit und in der Lage. Dazu verfügt der palästinische Nationalismus nicht über die Mittel und Israel nicht über den (internationalen) politischen Rückhalt.

6 Ein Kibbuz ist eine ländliche Kollektivsiedlung. Das Ausmaß von gemeinsamen Eigentum und Selbstverwaltung variiert je nach Kibbuz.

2. 6. Was wäre wenn der Staat in Europa nicht gewonnen hätte

Dieser Kampf verlor seine Chance auf den Sieg mit der Niederschlagung der Sozialen Revolution auf der iberischen Halbinsel (vor allem in Katalonien, Asturien und Aragon) 1937 bzw. 1939 durch erst die republikanische, spanische Regierung und die „Kommunistische Partei“ (Stalinist*innen) und (später) die Konservativen, Kirche und Faschist*innen um Franco. Die beiden zentralen linken Ideologien Marxismus und Liberalismus bzw. deren politischen Vorbilder waren maßgeblich daran beteiligt. Die Sowjetunion ordnetet mehr oder minder direkt die Zerschlagung der anarchistischen Bewegung, Revolution und anderer revolutionärer, sozialistischer Kräfte an. Ihre Waffen- und andere materiellen Lieferungen machten diese erst möglich. Sie dehnten außerdem die Macht der vorher kleinen „kommunistischen Partei“ Spaniens massiv aus und machten die Regierung von ihr abhängig.
Die von den Linksliberalen so geliebten Staaten und späteren Westalliierten USA, Großbritannien und Frankreich unterstützten direkt (z.B. durch Öl und LKW-Lieferungen US-amerikanischer Unternehmen) oder indirekt (durch formal auch gegen die Faschist*innen gerichtete, aber real einseitig gegen die Republik durchgesetzte Sanktionen) die spanischen Faschist*innen.
Wäre die anarchistische Revolution 1936 nicht zerstört worden, wäre der Faschismus in Europa massiv geschwächt worden und der Widerstand gegen ihn extrem gestärkt. Anarchist*innen hätten den Widerstand überall in Europa mit Waffen und anderen Gütern versorgen können, außerdem hätte es eine Region gegeben in der Verfolgte sich in Sicherheit hätten bringen können, ohne an Nationalen Grenzen abgewiesen zu werden.
Dass die Revolution 1936 niedergeschlagen werden konnte, lag auch an der Niederschlagung einer weiteren Revolution und eines Aufstandes. An beiden waren wieder zentral Liberale bzw. deren Staaten und Marxist*innen beteiligt. Es geht um den Ruhraufstand 1920, im von Deutschland beanspruchten Gebiet, und die Russische Revolution 1917/1918.
Der Ruhr Aufstand war der größte antifaschistische Aufstand der deutschen Geschichte (durchgeführt von Marxist*innen, Kommunist*innen, Anarchist*innen und anderen Sozialist*innen) er richtet sich gegen den faschistischen Kapp-Putsch. Der Aufstand war nicht nur antifaschistisch, es gab auch einzelne sozialrevolutionäre Element (wie Unternehmensbesetzungen/Enteignungen in Städten, wo die Anarchist*innen stark waren). Der Aufstand wurde unter Befehl der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), der größten deutschen marxistischen Partei (mit liberalen Einflüssen) zerschlagen. Dabei wurde ein großer Teil der bewaffneten/militanten Arbeiter*innenbewegung vernichtet. Hätte dieser Teil weiterexistiert, wäre die spätere Machtübernahme der Nazi wesentlicher schwieriger gewesen.

Angehörige der Roten Ruhr-Armee in Dortmund 1920.

Während der russischen Revolution 1917/1918 bildeten Anarchist*innen und andere nicht marxistische Sozialist*innen eine relevante Fraktion unter den Revolutionär*innen, z.b. waren 1918 alleine in Moskau in den anarchistischen Kampfeinheiten (Schwarze Garden) 2000 Gefährt*innen organisiert.
Den Kampf gegen die Revolutionär*innen führten die Weißen (Zarist*innen und andere Reaktionär*innen – direkt militärisch unterstützt u.a. von den USA, Frankreich und Großbritannien – liberale Demokratien). Gleichzeitig begann der sich durchsetzende Flügel der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (Marxist*innen), die Bolschewiki, zunehmend die Anarchist*innen und anderen Sozialist*innen auszuschalten. Die Anarchist*innen stellen sich übrigens am Eindeutigsten gegen Antisemitismus.7

 Ohne die konterrevolutionäre Repression oder wären die Weißen und Bolschewiki nur etwas schwächer gewesen hätten anti-autoritäre Kräfte sich wahrscheinlich in weiten Gebieten durchsetzen können (in einem Gebiet gelang das auch zeitweilig, auf dieses wird ganz am Ende als wohl mit bestes Beispiel anti-nationalen Kampfes im modernen Europa eingegangen). Dann wäre der Marxismus, aufgrund fehlender staatlicher Ressourcen nie in der Lage gewesen effektiv sozialistische (vor allem anarchistische) Revolutionen und Bewegungen im restlichen Europa niederschlagen zulassen oder zu beeinflussen/kontrollieren. Ohne den Einfluss der liberalen Demokratien und des Marxismus hätten in Europa staatenfreie Gebiete als Schutzräume vor Antisemitismus und Faschismus entstehen können, die Shoah wäre vielleicht nie möglich gewesen.

Schwarze Garden in Moskau 1918

Der Marxismus war aber nicht nur (indirekt) daran beteiligt die Perspektive einer anti-nationalen Verteidigung gegen Antisemitismus zu zerstören. Er war auch zentral an der Schwächung des jüdischen Anarchismus/Anarchismus von Menschen mit jüdischen Hintergrund beteiligt.

7 Siehe dazu u.a. Anti-Semitism and the Makhnovists: https://libcom.org/article/anti-semitism-and-makhnovists und Chapter 10: The meaning of the national problem in the Makhnovshchina; The Jewish question: https://libcom.org/library/chapter-10-meaning-national-problem-makhnovshchina-jewish-question

2. 7. Die Vernichtung der Alternative: Die deutsche und sowjetische Zerstörung des jüdischen Anarchismus

Der jüdischen Nationalismus war wie bereits erwähnt nicht die einzige Reaktion von Juden*Jüdinnen und Menschen mit jüdischen Hintergrund auf ihre Verfolgung.
Bis in die 1930er Jahre gab es in Europa eine große Zahl jüdische Anarchist*innen/Anarchist*innen mit jüdischen Hintergrund. Ein Großteil lebte im vom russischen Reich beanspruchten Gebiet bzw. Ländern, die sich später von ihn abtrennten.
Diese jüdische Anarchist*innen/Anarchist*innen mit jüdischen Hintergrund hatten unterschiedliche Beziehungen zum Judentum bzw. jüdischer Identität. Diese lassen sich grob in drei Aspekte einteilen:

1. Alle wurden in sich selbst als jüdisch verstehende Familien oder Familien geboren, die in der Regel von der Gesellschaft jüdisch eingeordnet wurden. Das heißt sehr viele erlebten Antisemitismus und hatten ein Bezug zur Unterdrückung jüdischer Menschen.

2. Für viele spielte jüdische bzw. jiddische Kultur eine wichtige Rolle, allerdings waren sie oft keine religiösen Juden*Jüdinnen. Jiddische ist eine Sprache, die sich aus Elementen des Hebräischen, (Mittel-)Hochdeutschen, slawischen und romanischen Sprachen zusammensetzt. Sie wurde vor allem von Juden*Jüdinnen in Mittel- und Osteuropa gesprochen. Vor der Shoah und dem Entstehen der Sowjetunion, gab es zahlreiche jiddischsprachige Anarchist*innen und anarchistische Publikationen.

3. Es gibt einen explizit religiösen jüdischen Anarchismus. Ein Großteil der jüdischen Anarchist*innen/Anarchist*innen mit jüdischen Hintergrund waren nicht religiös, aber der religiöse jüdische Anarchismus hat einen relevanten Einfluss (und hat in im geringen Ausmaß weiterhin) auf die anarchistische Bewegung. Dieser sah das Göttliche meist nicht als (menschliche) Autorität, sondern ähnelte den Vorstellungen, die im Christum Mystizismus genannt werden.

Es gab/gibt keine starre Trennung zwischen diesen Aspekten, für verschiedene Anarchist*innen und Teil der Bewegung spielten/spielen unterschiedliche eine Rolle.
Wie wichtig jüdische Anarchist*innen/Anarchist*innen mit jüdischen Hintergrund waren, lässt sich neben der Bedeutung von Publikationen wie der פֿרייע אַרבעטער שטימע/Fraye Arbeter Shtime (Freien Arbeiter Stimme), die fast 90 Jahre von 1890 bis 1977 erschien, und Liedern wie אין אַלע גאַסן/Daloy Politsey („Nieder mit der Polizei“), aus der Anzahl sehr bekannter historischer Anarchist*innen mit jüdischen Hintergrund erahnen. Zu diesen zählten u. A: Emma Goldmann, Alexander Berkmann, Olga Taratuta, Erich Mühsam, Gustav Landauer, Milly Witkop, Volin (Vsevolod Mikhailovich Eikhenbaum).
Wer diese Namen nicht kennt sollte sich mal fragen warum? Drei davon Erich Mühsam, Gustav Landauer und Milly Witkop waren übrigens deutschsprachige Anarchist*innen. Das sie heute innerhalb einer propagierten „gemeinsamen Linke Szene“ kaum Erwähnung finden, bringt uns dem Warum wohl möglich sehr viel näher. Schauen wir uns nochmal die Geschichte an:
Alle Staaten in Europa bekämpften den Anarchismus und es gab von ihnen und Teilen ihre Bevölkerung ausgehend antisemitische Unterdrückung, oft einschließlich von Massenmorden. Doch zwei Großmächte waren zentral an der Zerschlagung des jüdischen Anarchismus/Anarchismus von Menschen mit jüdischen Hintergrund in Europa beteiligt: Deutschland unter dem Naziregime und die Sowjetunion (und vorher wesentlich weniger erfolgreich auch das Zar*innenreich). Im Fall von Deutschland spielten hauptsächlich der Antisemitismus eine Rolle, der Anti-Anarchismus war auch ein relevanter Teil, doch die anarchistische Bewegung 1933 im vom Deutschland beanspruchten Gebiet war 1933 klein und für die Nazis eher eine Randnotiz. Die jüdischen Anarchist*innen/Anarchist*innen mit jüdischen Hintergrund in den von Deutschland besetzten Gebieten, soweit nachvollziehbar, ordneten die Nazis oft nicht zentral als Anarchist*innen ein (dazu gute Quellen zu finden ist aber schwierig)
Bei der Sowjetunion ging es vor allem um das Zerschlagen der anarchistischen Bewegung. Der Marxismus in Form der Bolschewiki ermordet u.a. Fanya Baron, Olga Taratuta, Aron Baron, Lev Zadov, Iosif Bleikhman, Yosif Gotman, Efim Yarchuk und die anti-autoritäre Evgenia Iaroslavskaia-Markon. (Kurze Biographien von Olga, Fanya, Aron und Lev gibt es auch hier: https://breakingthespell.blackblogs.org/murdered-by-marxists/). Deutschland unter den Nazis und seine verbündeten Regime ermordet Sascha Schapiro und Erich Mühsam.
Gustav Landauer töten die proto8-faschistischen Freikorps, welche im Auftrag der SPD geführten Regierung die Müncher Rätepublik niederschlugen. Die SPD ist, wie schon erwähnt, ebenfalls eine marxistische Partei. Viele Namen der von Deutschland und der UdSSR ermordeten jüdischen Anarchist*innen/Anarchist*innen mit jüdischen Hintergrund sind unbekannt.

8Proto bedeutet hier Vorläufer*innen des Faschismus.

2. 8. Die Auslöschung der Erinnerung jüdischen Anarchist*innen/Anarchist*innen mit jüdischen Hintergrund in der Linken Szene

Wie bereits erwähnt wurde eine großer Teil des jüdischen Anarchismus oder Anarchismus von Menschen mit jüdischen Hintergrund, durch den Marxismus zerschlagen. Hauptsächliche Motivation war dabei die anarchistische Bewegung allgemein zu bekämpfen – Anti-Anarchismus nicht Antisemitismus.
Das die Erinnerung an jüdische Anarchist*innen/Anarchist*innen mit jüdischen Hintergrund in der deutschen Linken aktiv weiter ausgelöscht – bekämpft wird (Personen wie Gustav Landauer, Erich Mühsam und Emma Goldman sind eigentlich selbst in der Gesamtgesellschaft so bekannt, dass es eigentlich keinen anderen Grund geben kann, warum sie in der Linken Szene nicht aufgriffen werden) hängt mit der allgemeinen Notwendigkeit der Auslöschung anarchistischer Geschichte durch die staatlichen Linken: Liberale und Marxist*innen zusammen.
Kurz zusammengefasst ergibt sich diese Notwendigkeit daraus die Konkurrenz durch den Anarchismus auszuschalten. Das Ausmaß der historischen anarchistischen Revolutionen und Bewegung darf nicht bekannt werden, um den Mythos von Anarchist*innen als „utopische Träumer*innen“ und der Notwendigkeit staatlicher Politik aufrechtzuerhalten. Die Unterdrückung durch den Marxismus und seine Schrecken müssen ebenfalls zum eigenen Machterhalt der marxistischen Linken verheimlicht werden. Eine längere Analyse dazu gibt es hier: breakingthespell.blackblogs.org/murdered-by-marxists.
Das antinationale Perspektiven der Befreiung z.B. andere jüdische Formen des Kampfes innerhalb der deutschen Linken kulturell ausgelöscht werden, hat noch eine andere materielle Grundlage:
Die vom deutschen Staat und den liberalsten Elementen linker Bewegungen geschaffene Antidiskriminierungsindustrie. Bevor wir uns mit dieser und woher allgemein linker Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus kommen beschäftigen, muss zunächst einmal betrachtet werden wie die Bundesrepublik bis heute von Shoa und Holocaust profitiert.

2. 9. Die Bundesrepublik – Ideologische und materielle Profiteurin der Shoah und des Holocaust bis heute

Die Bundesrepublik stellt sich heute, ungeachtet der Tatsache, dass bis in die 1970er Jahre weite Teile der staatlichen Eliten Nazis waren9, als Beschützerin vor dem Faschismus da. Sie nutzt die Abscheu und Angst vor Wiederholung der deutschen, nationalsozialistischen Massenmorde (einschließlich der Shoah), um ihre Existenz zu sichern. Dazu dient ihr die Extremismustheorie. welche aussagt alle Gegner*innen der verfassungsmäßigen Ordnung seien gleich und zu Verhinderung einer neuen (faschistischen) Diktatur müsse das Fortbestehen des (demokratischen) Staates um jeden Preis verteidigt werden.  Ohne Staat kann es selbstverständlich keine Diktaturen geben und ohne seine Organe der Gewalt/Überwachung, seine und die kapitalistische Infrastruktur wäre die Inhaftierung und Ermordung von Millionen Menschen nie möglich gewesen. 
Dieser Schluss wäre selbstverständlich staatsfeindlich und nicht im staatlichen Interesse, daher rechtfertigt der neue Staat sein Existenz eben mit dem „Schutz“ vor dem Terror und Gewalt des vorangegangen Staates. Hierzu tut die Bundesrepublik so, als ob sie deutsche Geschichte aufgearbeitet hätte, dabei hilft ihr die Unterstützung Israels. Sie kann dadurch auch vom fortgesetzten deutschen Antisemitismus ablenken, sowohl außenpolitisch als auch innenpolitisch, damit Menschen hier ja nicht auf die Idee kommen die richtige Konsequenz aus der Shoah und den anderen Massenmorden wäre es dem “eigenen” Staat den Untergang zu bereiten. Um diese Reinwaschung des deutschen Staates ist inzwischen eine regelrechte (linke) Dienstleistungsindustrie entstanden, welche Programme gegen Antisemitismus und auch Rassismus entwickelt hat. Den strukturellen Zweck den Antisemitismus und Rassismus haben: Herrschaft, insbesondere die des Staates und des Kolonialsystems, abzusichern kann sie allerdings nicht benennen, dann würde sie das Wohlwollen ihres Geldgebers verlieren lassen. Weiteres zu dieser Industrie gibt es in „Teil 3.
Die vermeintliche Bekämpfung von „Extremismus, Gewalt, Hass und Diskriminierung“ (einschließlich Antisemitismus und Rassismus) dient Deutschland auch zur Zensur, Überwachung und Aufstandsbekämpfung und rassistischer Kontrolle. Mit der Begründung der „Extremismusbekämpfung“ geschieht dies schon seit Gründung der BRD. Was neu dazu gekommen ist: Das „Vorgehen gegen Gewalt, Hass und Diskriminierung“ vor allem im Internet. „Hass“ ist dabei alles, was nicht treu zur staatlichen Ordnung bzw. ihrem Gewaltmonopol steht. Hier wird eine abgewandelte Variante der Extremismustheorie benutzt, als Vorwand dabei wird der Schutz diskriminierter Gruppen vorgeschoben, was Auftrag des Staates sei. Einige Linke Politiker*innen glauben auch tatsächlich an diesen Zweck, weil sie selbst von ihren eigenen Lügen über die Funktion des Staat überzeugt sind. Viel dieser Zensur findet im Internet statt, aber auch außerhalb des Internets werden die gleichen Begründungen genutzt, damit werden z.B. Demoverbote oder Razzien gerechtfertigt.
Dem Vorwand des Kampfes gegen Antisemitismus bedienen sich Staat und Politiker*innen hierzu besonders gerne, denn der Bevölkerungsanteil von Juden*Jüdinnen ist auch wegen der Shoa in Deutschland so gering (im Deutschen Reich lebten 1933 500.000 Juden*Jüdinnen bzw. Menschen mit jüdischen Hintergrund, in der Bundesrepublik leben heute knapp 100.000 Juden*Jüd*innen), dass soziale Kontrolle ihnen gegenüber für den Staat nicht wichtig ist. Deshalb ist der Staat anders als beim Rassismus gegen Nicht-Weiße, Muslime und Menschen mit bestimmten Staatsbürger*innenschaften nicht aktiv darauf angewiesen antisemitische Unterdrückung voranzutreiben, außer selbstverständlich gegen radikale Juden*Jüdinnen, die sich gegen ihn stellen. Wichtig: Dies bedeutet nicht, dass sein Antisemitismus nicht mehr existieren würde oder der deutsche Staat nicht bereit ist mit Antisemit*innen zusammenarbeiten, wenn es ihm dient. Antisemitismus muss weiterhin entschlossen bekämpft werden! Jedoch würde ohne Antisemitismus die deutsche und europäische Grundordnung nicht zusammenbrechen, gäbe es keinen (kolonial) Rassismus mehr hingegen schon.
Diese
r wird benötigt, um die koloniale europäische Lebensweise und Gesellschaft aufrechtzuerhalten. Die Ideologie der „staatlichen Antisemitismusbekämpfung“ ist dabei besonders nützlich für den Staat, wenn es darum geht die rassistische Kontrolle von BIPOCs-Personen oder anderen als „nicht richtig deutsch“ oder „weiß“ geltenden Menschen zu begründen. Der in einigen ihrer Communities und Bewegungen bzw. Teilen von ihnen vorhandene Antisemitismus (der stellenweise, aber nicht gänzlich, übrigens von Europa mitgeschaffen wurde) wird missbraucht, um Unterdrückungsmaßnahmen gegen diese und andere Communities durchzuführen.
All das ist selbstverständlich auch eine Form von Antisemitismus, denn der Staat macht die Unterdrückung von Juden*Jüdinnen zu einem Mittel seiner Machtpolitik. Dabei missbraucht er auch das Leid Anderer von Deutschland ermordet und ausgebeuteter Gruppen z.B. Sinti*zze und Rom*nja, Slaw*innen, queeren Menschen, von Ableismus betroffenen Menschen, politisch Verfolgten u.a. Kommunist*innen und Anarchist*innen. Und vergessen wir nicht (andere) Zwangsarbeiter*innen aus fast der ganzen Welt.
Das leitet dazu
über, dass die Bundesrepublik bis heute von Shoa, den anderen Massenmorden, Arbeitslagern und Zweiten Weltkrieg ökonomisch profitiert. Die industrielle Produktionskapazität der BRD war 1948 14% Prozent höher als 1935 und das nach Demontagen und Reparationen an die Kriegsgegner*innen. Der Anteil neuerer Industrieanlagen hatte sich auch gesteigert. Der Großteil dieser Steigerung fand während des Kriegs und der Besetzungen statt.10 Das angebliche „Wirtschaftswunder“ der BRD basiert also auf Zwangsarbeit. Die polnische Industrie zum Vergleich erlitt massive Schäden. Deutschlands bis heute fortbestehende ökonomische Vormachtstellung in Europa vor allem gegenüber Ost- und Südosteuropa und seine Fähigkeit z.B. günstige Arbeitskräfte für die Ausbeutung in Pflege, Schlachterei und Landwirtschaft „anzuwerben“, ist bis heute ein teilweise Folge aus Zweiten Weltkrieg, Shoah und den anderen deutschen Massenmorden, Versklavungen (Zwangsarbeit) und Plünderungen.
Dass Deutschland seine antisemitische und rassistische Geschichte zu Sicherung der eigenen Existenz missbrauchen kann, daran wirkt die Linke fleißig mit, einmal durch ihren positiven allgemeinen Bezug auf den Staat/Deutschland, außerdem durch ihre Übernahme bzw. ein Sück weit Schaffung des Kampfes gegen „Hass und Gewalt“/Einforderung staatlicher Zensur-, Antisemitismus und Rassismusbekämpfung”. Viele Linken sind zusätzlich als bezahlte und unbezahlte Agent*innen an der staatlich geschaffenen „Antirassmismus“- und „Anti-Antisemitismus“-Industrie beteiligt, dazu gibt es einen eigenen Abschnitt in Teil 3.

9 Liebe marxistische Antifas, bevor ihr versucht euch ein besseres Deutschland zu suchen, in der DDR saßen auch zahlreiche Nazis im Staatsapparat.

10 Siehe dazu Zwangsarbeit und Wirtschaftswunder – Herbert Schui: https://www.euse.de/mois/online/zwangsarbeit_und_wirtschaftswunder.pdf

Teil 3 Linker Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus

3. 1. Nationalismus: Linke Identitätspolitik

Beide zentrale Linke Strömungen: Marxismus und Liberalismus verklären Menschen aufgrund ihrer Unterdrückung. Unterdrückten Gruppen wird eine feste Identität zugeordnet, welche sie unabhängig von ihrem Handeln, langfristig zu moralisch Guten und das, was sie tun, richtig macht. Dabei wird nicht analysiert, ob das Handeln zur Schaffung neuer Unterdrückung führt.
Den
n sowohl Marxismus, als auch Liberalismus richten sich nicht gegen Herrschaft an sich bzw. haben sie  die Phantasie Herrschaft würde sich selbst abschaffen oder alle müssten chancengleich an ihr teilnehmen.
Grundlage des Marxismus ist die Vorstellung, dass die Arbeiter*innenklasse, anders als die vorgegangen unterdrückten Klassen, einfach die politische Macht (den Staat) übernehmen kann ohne selbst zu neuen Unterdrücker*innen zu werden. Die Arbeiter*innenklasse gilt als “revolutionäres Subjekt”11. Das Subjekt Arbeiter*innen wurde inzwischen teilweise durch andere Subjekte z.B. Frauen/FLINTAS12 (oft wird „ FLINTA“ einfach nur benutzt, um Konflikte mit trans Personen zu vermeiden – während es eigentlich nur um cis endo Frauen geht) oder kulturelle/ethnische Gruppen ersetzt. Für dieser marxistische Vorstellung gibt es keine wirkliche inhaltliche Begründung. Sie ist einfach Ergebnis eines Unverständnisses wie gesellschaftlichen Beziehungen, vor allem Herrschaft funktionieren, oder absichtlicher Ignoranz. 
Liberale hingegen streben eine Gleichberechtigung innerhalb der bestehenden Herrschaft an, also z.B. Chancengleichheit auf dem kapitalistischen Markt oder Quoten in Parlamenten, Unternehmen oder Parteien. Ihre “Lösung” ist eine Vielfalt von Unterdrückten an der Herrschaft zu beteiligen – durch Repräsentation. Oder wenn das nicht geht, die Unterdrückten von einander zu trennen, nicht in der Form autonomer, aber miteinander verbundener dezentraler, horizontaler Netzwerke wie Anarchist*innen es wollen, sondern in Form von eigenen Herrschaftsstrukturen. Wenn es um kulturelle/“ethnische“ Unterdrückte geht, sind dies Nationalstaaten.
So sind beide: Marxismus und Liberalismus mehr oder minder vorbestimmt sich in nationalistischen Konflikten auf eine Seite zu stellen und nicht in der Auflösung des Unterdrückungsstrukturen – der Herrschaft, sondern in deren Nutzung und Übernahme eine Lösung zu suchen.

11 Subjekt heißt hier Wesen oder “Ich” bzw. Person. Im Marxismus gibt es die Vorstellung, dass aufgrund der gesellschaftlichen (Produktions-)Bedingungen eine bestimmte Art von Person (Identität) geschaffen wird deren Prägung sie “revolutionär” macht. Dies bedeutet ihr Wesen an sich führt zu Revolution. Anarchist*innen betrachten zwar bestimmte Gruppen als wahrscheinlichere Träger*innen Sozialer Revolution, anarchistische Theorie sieht diese aber als Wahrscheinlichkeit und nicht als Sicherheit. Alle Menschen z. B. auch Arbeiter*innen und Bäuer*innen können auch gegen die Revolution handeln. Nicht die Identität der Handelnden ist zentral, sondern die Art und Inhalte ihrer Handlungen und Theorien.

12 Frauen, Lesben, Inter*, Nichtbinäre, Trans*, Agender

3. 2. Der Staat der linke Heilige

Wie sich Marxist*innen eine freie Welt vorstellen.

Die fehlenden Staatsanalyse ist der zweite Hauptgrund des Linken Nationalismus. Der Staat ist eine Institution zur Ausbeutung und Unterdrückung, die Macht zentralisiert um die Herrschaft seiner, verbündeter Eliten und Herrschaftsformen wie die des Kapitalismus, Patriarchats oder Kolonialismus abzusichern. Zusätzlich dient der Staat seiner eigenen Existenz. So werden z.B. in jedem Staat Menschen von der Polizei angriffen/ermordet oder von Kapitalist*innen wie Unternehmer*innen&Vermieter*innen ausgebeutet.
Nationalismus dient als Mittel, um der in unterschiedliche Formen Unterdrückten und sich teilweise gegenseitig unterdrückenden Bevölkerung vorzutäuschen sie hätte ein einheitliches Interesse für das sie den Staat bräuchte (meist Schutz vor “äußeren Feind*innen”). Jeder National- und damit heutige Staat funktioniert nicht ohne dies. Wer also den Staat nicht ablehnt muss Nationalismus unterstützen. Es sei denn mensch wollte zurück zu einem Feudalstaat oder hin zu einem Weltstaat (also den mächtigsten Staat der Menschheitsgeschichte schaffen, damit den mächtigsten Unterdrückungsapparat).
Diese fehlende Staatsanalyse ist weiter verbreitet als es oft scheint, selbst vermeintlich freiheitlichere Marxist*innen sehen das Problem zentral im “unkontrollierten Kapitalismus”, dem der Staat hauptsächlich dienen würde, und haben keine Verständnis für die Eigenlogiken und Eigeninteressen des Staates und seiner Eliten. Diese Eigenlogiken werden wichtig, wenn es später darum geht warum eine Zwei- oder Mehrstaatenlösung in nationalistischen Konflikten nicht erstrebenswert ist.

Wie sich “progressive” Liberale eine freie Welt vorstellen.

3. 3. Rassismus und Antisemitismus

Wie bereits beschrieben sind sowohl Rassismus als auch Antisemitismus zentral als Mittel zur Herrschaft entstanden. Kolonialismus diente der Absicherung des globalen Kolonialsystems. Die Verbreitung von Antisemitismus wurde stark von staatlichen, kirchlichen und später kapitalistischen Eliten in Europa vorangetrieben, um der Bevölkerung „Schuldige“ präsentieren zu können, wenn es in ihren Gesellschaften zu Unmut kam. Neben den Eliten haben auch viele Teile der (weißen&nicht-jüdischen) Allgemeinbevölkerung beide verinnerlicht und trugen/tragen zu ihrem Erhalt/Verbreitung bei.
An dieser Stelle ist es wichtig sich vor Augen zu führen: Unsere ganze Lebensweise beruht auf der kolonialen Ausbeutung der Welt, sowohl der Kapitalismus und der Konsum, welchen er uns ermöglicht, als auch der heutige Staat einschließlich der von ihm gewährten sozialem und politischen Privilegien für Weiße bzw. Menschen mit der passender Identität.
Wer den Staat und Unternehmen, Kapitalist*innen und Reiche nicht enteignen möchte, muss also die Ressourcen des kolonialen Systems weiternutzen. Wer die Ideologie verteidigt die europäische staatliche, liberal-demokratische Gesellschaft sei „progressiv“ und wer dem “eigenen” Staat nicht den Kampf ansagen will, muss dies mit rassistischen Positionen, wie der “Fortschrittlichkeit” der europäischen Gesellschaft begründen. Einer Gesellschaft, die nur auf der Grundlage existieren kann, dass für sie woanders Menschen gewaltsam unterdrückt und ausgebeutet werden.
Fast alle Linken in Deutschland, einschließlich vieler Anarchist*innen (gerade jene, die sich als links bezeichnen) teilen diese zutiefst rassistische Verklärung des westlichen Kolonialsystem. Sie sind wie die Athener (cis) Männer in der Antike, die ihre Gesellschaft für großartig hielten, aber ihre Mitbestimmung und Gleichwertigkeit – ihre Demokratie nur aufrechterhalten konnten, weil Frauen, andere nicht (cis) männliche Personen, Arme und vor allem Versklavte, die Arbeit für sie machten. Nach einer ähnlichen Logik funktioniert die heutige europäische Demokratie, nur eben global. Und weil es einfach nicht oft genug gesagt werden kann: Dies ließe sich nur durch eine Enteignung von Staat, Kapitalismus und den gesellschaftlichen Eliten und einer Aufgabe von großen Teilen der industrialisierten Lebensweise ändern. Staatliche (linke) Politik ist dazu nicht in der Lage.
Anders als Rassismus ist Antisemitismus nicht (mehr) in der grundsätzlichen Lebensweise von Europäer*innen als materielle Grundlage verankert. Einfacher ausgedrückt: Der Kapitalismus und Staat in Europa könnte auch ohne die Ausbeutung von Juden*Jüdinnen weiterexistieren. Das macht Antisemitismus nicht weniger schlimm oder vernachlässigenswert, aber er hat in der Linken innerhalb Deutschland/Europas bzw. der Welt zentral eine andere Funktion. Antisemitismus dient linken Politiker*innen und Organisationen vor allem dazu vom Scheitern staatlicher Politik abzulenken und Menschen zu mobilisieren, es werden einfache “Schuldige” gesucht von dem “das Volk”, der Staat, die Partei oder Nation “befreit werden soll”. 
Viele linke Inhalte wie die Vorstellung, dass die Demokratie durch “Lobbys” oder “Große Unternehmen” korrumpiert oder der Kapitalismus alleinig das Problem sei (nicht alle Formen von Herrschaft) sind direkt anschlussfähig an antisemitische Grundannahmen oder stammen aus diesen. Denn eine wichtige Form des Antisemitismus ist die Vorstellung von Juden*Jüdinnen als „reichen Kapitalist*innen.“, welche die gesellschaftliche Moral zerstören oder durch eine Verschwörung den Staat ruinieren und zu etwas Schlechten machen würden.

Wie sich Liberale eine freie Welt vorstellen.

3. 4. Exkurs: Die staatliche geschaffene linke „Antirassismus“ und „Anti-Antisemitismus“-Industrie

Wie bereits beschrieben profitiert der deutsche Staat bis heute stark von der Shoah und den anderen deutschen Massenmorden, ideologisch hauptsächlich indem er diese zur Rechtfertigung seiner eigenen Existenz nutzt. Ein Bestandteil davon ist die Illusion zu schaffen er selbst würde Antisemitismus und Rassismus bekämpfen. Die staatliche Demokratie soll als Schutzmacht gegen beide verkauft werden (Zahlreiche staatliche Entscheidungsträger*innen glauben selbst an diese Lüge). Dafür schafft oder fördert (kauft) er selbst Programme, Vereine und Initiativen „gegen Rassismus und Antisemitismus“.
Hierzu ist es nicht einfach so gekommen: Soziale Bewegungen in Bezug auf Antisemitismus hauptsächlich ab den 1960er Jahren und in Bezug auf Rassismus häufig noch wesentlich später haben ihn dazu gezwungen. Schließlich war
en ein wesentlicher Teil der staatlichen Eliten bis weit in die 1970er Jahre Nazis. Als der Staat, das Thema Antisemitismus und Rassismus für sich aufnahm ging er dabei, bewusst und unbewusst, nach einer klaren „Spalte und Herrsche“-Strategie vor. Die am wenigsten radikalen Stimmen innerhalb jüdischer und rassismusbetroffener Communities wurden finanziell gestärkt, während radikale Kreise durch Repression mundtot gemacht wurden.
Heute gibt es eine regelrechte Industrie bzw. einen Dienstleistungssektor für die staatstreue Auseinandersetzung mit Antisemitismus und Rassismus. Der Staat ist deren maßgebliche Geldgeber. So verfügt alleine das Programm „Demokratie Leben“ über 150,5 Millionen Euro zur ideologischen Bekämpfung von „Demokratiefeindlichkeit“ – also „Rechtsextremismus […]. Antisemitismus, Homosexuellen- und Transfeindlichkeit, islamistischen Extremismus, Islam- und Muslimfeindlichkeit sowie Antiziganismus bis zu linkem Extremismus.“ Es ist „eine zentrale Säule der Strategie der Bundesregierung zur Extremismusprävention“.
Sehr viele Linke arbeiten genau für diese Industrie, die wenn nicht vom Staat, von kapitalistischen Unternehmen bezahlt/gefördert wird. Diese Linken, meist in antifaschistischer oder liberaler (staats-)feministischer Bewegung aktiv, sind also gekauft und müssen bei ihrer Lohnarbeit eine inhaltlich falsche – dem Erhalt des Staats dienende Vorstellung davon verbreiten was Antisemitismus und Rassismus sind bzw. wie sie funktionieren. Anti-staatliche bzw. anti-nationale Kämpfe gegen Antisemitismus und Rassismus müssen sie verschweigen, bzw. als extremistisch darstellen. „Nationale Selbstbestimmung der Völker“ lässt der Staat selbstverständlich als Lösungsperspektive zu, weil diese Teil seiner eigenen ideologischen Begründung ist. Ein anti-nationale Perspektive und Analyse von Nationalismus kann sich in diesem Rahmen nicht entwickeln.
Nun wir müssen uns alle verkaufen oder in irgendeiner Form unterwerfen, das Problem ist wenn dies in Bewegungen nicht reflektiert wird, wenn die eigene Lohnarbeit zum Mittel positiver Veränderung verklärt wird statt als Teil der repressiven Gesellschaft gesehen: Den selten Fall ausgenommen mensch arbeitet in einem Kollektivbetrieb13, ist sie das nämlich nie. Linke, die in der staatlichen „Antidiskriminerungs“-Industrie arbeiten sind nicht gleichzusetzen mit Cops oder Politiker*innen, dennoch ist es wichtig diese Linke Industrie zu verstehen und auch zu bekämpfen. Die Organisator*innen und viele die an ihren Schulungen und Workshops teilnehmen, teilweise z.B. als Schüler*innen unter Zwang (also erzogen werden), verinnerlichen schließlich die Idee des Staates – der Nation bzw. Nationalismus als Mittel zur Lösung/Bekämpfung von Antisemitismus und Rassismus.
Gleichzeitig findet ein moralischer Ablasshandel statt, der (an sich gute) Wunsch nach Veränderung und/oder das eigene Schuldgefühl wird durch die vermeintlich Auseinandersetzung und oberflächliche Anpassungen des eigenen Verhaltens befriedigt bzw. besänftigt. Menschen können sich danach besser fühlen, oft moralisch überlegen, jedoch ändert sich grundsätzlich nichts. Im Gegenteil es entsteht eine Spannung zwischen Realität und dem unbewusst weiter vorhandenen Rassismus und Antisemitismus. Während z.B. einige rassistische Begriffe zumindest aus kleineren Teilen der Gesellschaft verschwunden sind, besteht das Kolonialsystem und alle damit verbunden Denkmuster fort: Die meisten Linken glauben zum Beispiel weiterhin an die “Fortschrittlichkeit” der europäischen Zivilisation, Demokratie, kooperieren mit der Polizei und nutzen selbstverständlich massiv die Ressourcen des Kolonialsystems (fliegen beispielsweise in den Urlaub). Bei jenen, die es halbwegs ernst meinen mit ihrer Auseinandersetzung führt dieser Widerspruch zu einer inneren Spannung, die sie versuchen durch Symbolpolitik zu entladen, gleichzeitig wird dieses Symbolische Handeln immer mehr moralisch erwartet.
Als Alternative müsste also eigentlich die Konfrontation mit dem “eigenen” Staat gesucht werden und Menschen, die hier von Antisemitismus und Rassismus betroffen sind, müssen gegen diesen bzw. den Rest der nationalen Gesellschaft unterstützt werden. Das ist aber nicht bequem, weil es heißt Konflikte und Risiken einzugehen. Es kann bedeuten vielleicht Freund*innenschaften, romantische und familiäre Beziehungen oder den eigenen Job zu verlieren, womöglich massiver staatlicher Repression ausgesetzt zu sein. Einfacher ist es also zu verdrängen oder symbolisch weit-entfernte vermeintlich „gute Kämpfe“ zu unterstützen. Ernsthaft für den Untergang von Europa zu kämpfen ist wesentlich schwerer als eine Israel oder Palästinafahne zu schwenken.

13 Kollektivbetriebe sind Unternehmen, die Eigentum der dort Arbeitenden sind und wo die Entscheidungen gemeinschaftlich ohne Chefs getroffen werden. Nach außen hin müssen aber auch sie teilweise kapitalistischen und staatlichen Logiken folgen.

3. 5. Die exotisierende14 Fantasie: Nationale Befreiungs- und Schutzträume

Es werden sich also entfernte Projektionsfläche gesucht. Deren Geschichte muss dabei soweit reduziert werden, dass sich ihre Konflikte innerhalb des staatlichen und kapitalistischen Systeme „lösen“ lassen. Der Israel-Palästina-Konflikt ist wahrscheinlich eines der besten Beispiele hierfür. Palästina, als angestrebter Nationalstaat, wird zum überhöhten Symbol des “anti-kolonialen Kampfes“ gemacht. Israel zum „Schutzraum (für alle Juden*Jüdinnen) verklärt. Die reale Politik vor Ort, ihre Fraktionen und Möglichkeiten spielen keine Rolle mehr, die eine Seite wird zu den Guten gemacht und jede ihrer Fraktionen und Handlungen unterstützt, die andere Seite zu den Bösen, deren Handlungen nicht nachvollziehbar sind.
Wir stellen uns vor deutschsprachige Menschen würden unterdrückt werden und Linke von außerhalb würden statt Anarchist*innen und Antiautoritäre zu unterstützen, jene supporten die einen deutschen faschistischen Staat wollen oder das Äquivalent zur AFD. Hört sich absurd an? Überlegt mal welcher Teil palätinesicher Bewegungen unterstützt wird und wer regelmäßig an der Spitze israelische Regierungen steht. Und ja wir haben eine globale Verantwortung Juden*Jüdinnen vor Angriffen zu schützen und deren Selbstverteidigung zu stärken und gleichzeitig den Kampf für eine Ende der kolonialen Weltordnung zu führen.
Die Exotisierung bewirkt jedoch genau das Gegenteil, nämlich sich mit den Verhältnissen am eigenen Lebensort nicht auseinandersetzen zu müssen. Diejenigen mit wirklichen Beziehungen in die entsprechende(n) Region(en) ausgenommen, gibt es für Viele noch eine weitere Motivation für die Exotisierung: Die Suche nach Veränderung, wo hier doch alles oder das Meiste stillsteht, (weil keine*r mehr kämpft). Auch deshalb werden sich die Beteiligten nicht genau angesehen, denn sonst findet sich eventuell eine ähnliche Form des Stillstandes wie hier – nicht wirkliche Bewegung. Um den Schmerz zu vermeiden, dass an ganz vielen anderen Orten auch keine grundlegende Veränderung stattfindet werden idealisierte, romantische Bilder geschaffen und konsumiert. Nationale Befreiungskämpfer*innen oder Verteidiger*innen und deren Staaten müssen deshalb einen Mythos um sich haben, sie können in der Wahrnnehmung nicht komplex und auch widersprüchlich sein.
Wenn es nicht um Konsum ginge: Warum Schlafen sonst Linke in Israel-Bettwäsche? Oder ist die Kufiya ein linkes Modesymbol? Wie Kolonisator*innen werden sich von Linken dabei Symbole aneignet, die mit ihrem Leben oder ihrer Bewegung oft gar nichts zu tun haben. Diese Muster findet sich allgemein in der europäischen Gesellschaft. Wir denken nur an die Vorstellung der „edlen Wilden“ – Indigenen, die sich Kolonialismus und Imperialismus widersetzen. Jene Vorstellung dient auch dazu sich bestimmten Fragen nicht stellen zu müssen, selbst keine ernsthaften Risiken eingehen zu müssen. Wer vom anti-kolonialen Kampf Indigener fantasiert, muss sich der eigenen Rolle als Profiteur*in und Erhalter*in des Kolonialismus nicht stellen.
Fragen im die Bezug auf Antisemitismus und Rassismus vermieden werden sind zum Beispiel: Wie können eigentlich jüdische Menschen gegen Angriffe verteidigt werden, wenn der Staat keinen Bock hat und die Cops absichtlich zu spät kommen oder nicht eingreifen? Was ist eine globale Verteidigungsperspektive zum Schutz von Juden*Jüdinnen, die sich nicht darauf verlässt, dass es ein angeblichen “Schutztraum” names Israel gibt (wo ja heute auch nicht alle Juden*Jüdinnen z.B. Schwarze sicher sind)?
Oder wie könnte dafür gesorgt werden, dass Europa nicht mehr in der Lage ist einen Massenmord im Mittelmeer zu begehen
oder Unzählige zur Hinrichtung abzuschieben? Was ist notwendig um die europäischen Grenzen allgemein zu Fall zubringen? Durch das Anflehen von Regierungen ereichen wir das bestimmt nicht.

14 Exotisierung ist der Prozess in dem etwas Fremdes zu einem grundlegenden Anderen gemacht/verklärt wird.

3. 6. Antisemitismus und Rassismus und die Verbindung mit Anti-Anarchismus

Um den Friedensschluss mit dem Staat aufrecht zu erhalten müssen Linke dann auch die Geschichte jener und deren Ansichten auslöschen bzw. kleinmachen, die zu unterdrückten Gruppen gehören ihre Befreiung aber nicht staatlich anstreben.
Eine gutes Beispiel hierfür sind jüdische Anarchist*innen/Anarchist*innen mit jüdischen Hintergrund. Wer glaubt Israel sei ein “Schutzraum für alle Juden*Jüdinnen”, der*die muss sowohl geschichtlichen, als auch aktuellen Anarchismus von Juden*Jüdinnen/Menschen mit jüdischen Hintergrund die Existenz oder Bedeutung absprechen.
Selbstverständlich ist ein Staat kein Schutzraum für Antiautoritäre und das haben jüdische Anarchist*innen/Anarchist*innen mit jüdischen Hintergrund auch klar formuliert, vor allem haben/hatten sie eine klare Analyse von der Funktion des Staates allgemein als Unterdrückungsinstitution.  Beispielsweise schrieb Erich Mühsam in der Befreiung der Gesellschaft vom Staat – Was ist anarchistischer Kommunismus?: “Vom Klassenstaat reden, heißt von hölzernem Holz reden. Staat ist nichts anderes, kann nichts anderes sein als zentralisierter Ausführungsdienst einer vom Volk gelösten Klasse zur Beherrschung des entrechteten und zur beherrschten Klasse erniedrigten Volkes. Das staatliche Verwaltungsverfahren teilt also die menschliche Gesellschaft in Gesellschaftsklassen, indem es Grund und Boden nebst den von Menschen geschaffenen Produktionsmitteln als Eigentum der bevorzugten Klasse schützt, die Zulassung zur Benutzung des Eigentums durch die fast die Gesamtheit umfassende Klasse der Besitzlosen nach den Grundsätzen der Unantastbarkeit des Eigentumvorrechts und der Wahrung des Charakters der Arbeitsleistung als Verdingung der Arbeitskraft regelt. Ausschließlich zu diesem Zweck ist der Staat geschaffen, niemals hat er einem andern Zweck gedient, niemals könnte er anderen Zwecken nutzbar werden.”
Alle Juden*Jüdinnen einen Staat als ihren Schutzherren verordnen zu wollen, weil die (deutsche) Linke nicht in der Lage oder Willens ist den Weg in eine Welt zu bestreiten, in der anti-nationale Bewegungen in der Lage sind Juden*Jüdinnen zu verteidigen, ist eine Form von Antisemitismus verbunden mit Anti-Anarchismus. Jüdische Anarchist*innen/Anarchist*innen mit jüdischen Hintergrund sind nur eine Gruppe von Juden*Jüdinnen, die davon betroffen sind, grundsätzlich wird sich mit allen Juden*Jüdinnen entsolidarisiert, die in einer staatlichen Gesellschaft unterdrückt werden.
Was wäre eigentlich würde es im vom Israel beanspruchten Gebiet den (ernsthaften) Versuch einer anti-staatlichen Revolution geben, würden sich Linke dann hinter Israel stellen, wenn es diesen niederschlägt?
Sie tun es gerade praktisch bereits, indem sie durch ihre Unterstützung des israelischen Staates, seines Militärs und seiner Polizei – dessen Repressionsorgane stärken. Auch wenn diese Stärkung glücklicherweise nicht sehr viel Einfluss hat. Dass insbesondere Marxist*innen, dies tun hat einen sehr bitteren Beigeschmack, schließlich war es neben Deutschland und dem Russischen Reich die Sowjetunion, die den jüdischen Anarchismus/Anarchismus auslöschte.
Wenn es um Kolonialismus und Rassismus geht lässt sich ein ähnliches Muster erkennen.
Als
Erstes sollte festgestellt werden, dass es mit Sicherheit anarchistische und antiautoritäre Palästinenser*innen gibt. Wer sich hinter die Hamas, Fatah, die Autonomiebehörde oder irgendeine andere islamistische, nationalistische oder sonst staatliche palästinische Fraktion stellt, der*die unterstützt die Unterdrücker*innen der dortigen Antiautoritären, Anarchist*innen und allgemeinen Bevölkerung.
Es ist aber nicht nur der Israel-Palästina-Konflikt betroffen: Nationalistische/staatliche „anti-koloniale“ Befreiungskämpfe erfahren weltweit von der deutschen Linken viel Unterstützung, während anti-staatliche so gut wie gar nicht unterstützt werden.  Der Grund dafür liegt wie schon beschrieben im linken Verhältnis zum Staat und auch Anti-Anarchismus. Der einzige  halbwegs anti-staatliche Kampf, der im deutschsprachigen Raum aufgriffen wird, ist der Befreiungskampf der Zapatistas und in dieser wurde maßgeblich von einer ehemaligen marxistischen Organisation der ELZN vorangetrieben.  Bewegungen, die weder dem Marxismus entsprungen sind, noch sich in staatlicher Befreiung denken lassen, werden ignoriert oder aktiv kleinredet. Dahinter steht tiefer geschaut die rassistische Vorstellung der Überlegenheit staatlicher Gesellschaften.
Wie sehr dieser Rassismus insbesondere in der liberalen Linken verankert ist, zeigt die Verehrung direkter europäischer Kolonialstaaten als demokratisch oder „sozial fortschrittlich. Wir denken nur an die von so vielen Linken geliebten Staaten Kanada und Neuseeland. Auch die USA, der mächtigste Kolonialstaat der Welt, wird von deutschen Linken meist nur als imperialistisch und kapitalistisch abgelehnt. Menschen gehen anlässlich US-amerikanischer Kriege oder um ihren unterschwelligen islamistischen oder marxistischen Fanatismus gegen die USA auszuleben auf die Straße, aber in Solidarität mit den Kolonisierten dort? Eigentlich fast nie. Das hat sich auch 2020 während des anti-kolonialen George-Floyd-Aufstandes gezeigt: In Deutschland, einen der wichtigsten Staaten des von den US angeführten westlich-kolonialen Machtblocks, gab es eine handvoll größerer Kundgebungen zur Unterstützung dieses Aufstandes.
Und wann gab es die letzte Demo eben gegen Kanada und Neuseeland oder Australien? Das hat nicht nur den Hintergrund, dass weniger indigene Menschen aus den entsprechenden Regionen im von Deutschland beanspruchten Gebiet leben, als Menschen, die z.B. von anti-arabischen Rassismus betroffen sind. Deutschland ist eigentlich stark über persönliche Beziehungen mit diesen und auch kulturell z. B. mit den USA verbunden. Zentrales Element ist, dass in Bezug auf die USA und andere westliche direkte Kolonialstaaten einfache staatliche Muster „der Befreiung“ nicht funktionieren, weil fast alle durch sie kolonisierten, indigenen Gesellschaften vorher ohne Staat gelebt haben. Dekolonisierung hieße also klar dies wieder zu ermöglichen, damit das Ende der USA und auch des westlichen Machtblocks und damit Deutschlands. Dessen Verflechtung mit der hiesigen (linken) „Antirassismus“-Industrie wurde schon dargestellt. Ähnliches gilt übrigens für alle großen europäischen Staaten. Englisch nutzende indigene Anarchist*innen werden daher im deutschsprachigen Raum auch kaum gelesen.
Einen Palästinensischen Nationalstaat ggf. mit der Auslöschung Israels zu fordern, hätte, würde es umgesetzt, erst mal nicht eine ernsthafte Bedrohung oder den Untergang Deutschlands zur Folge. Hier verbinden sich Antisemitismus, Rassismus (in Form der Weigerung das koloniale Projekt Europa ernsthaft zu bekämpfen) und die Treue zum Staat.
Und bevor Linke sich in ihrer letzten autoritären Utopien zurückziehen, die sozialdemokratischen “Vorzeige-Staaten”: Schweden, Norwegen und Finnland unterdrücken/kolonisieren auch indigene Gruppen beispielsweise die Sámi. Das Gleiche gilt selbstverständlich auch für Russland und China.
Der Anti-Anarchismus zeigt sich auch nochmal konkret, wenn es um von linken vorgeschlagene Lösungen des Israel-Palästina-Konfliktes geht, die nicht direkt erkennbar nationalistisch sind. Sowohl der Lösungsversuch innerhalb eines Staates, als auch der Versuch der zwei Staatenlösung stehen konträr zu alle anti-autoritären Analysen des Staates.
Diese sind nicht neu aber werden seit über hundert Jahren ignoriert bzw. in Diskussionen aktiv ausgelöscht: Innerhalb der Logik von Staatlichkeit sind sowohl Israel, als auch ein möglicher palästinensischer Staat gezwungen, Mitglieder jeweils vermeintlich “anderer Gruppen” zu unterdrücken um ein einheitliches Nationalvolk zu schaffen bzw. damit ihre Eliten die Technik „Spalte und Herrsche“ zum Machterhalt nutzen können. Ganz praktisch passiert dies gerade schon anhand rassistischer und religiöser Linien, beispielsweise werden arabische und schwarze Juden*Jüdinnen in Israel und atheistische und christliche Palästinenser*innen in Gaza und Westjordanland ausgegrenzt. Falls diese Logik des Nationalismus und der notwendigen Spaltung der Bevölkerung bzw. Schaffung eines vorherrschenden Nationalvolkes nicht existieren würde, wäre ein gemeinsamer Staat ja schon lange einfach möglich. 
Zu Erinnerung: Dieser wäre aber auch genauso wie zwei Staaten oder x Staaten keine Befreiung. Israelis, Palästinenser*innen und Juden*Jüdinnen werden nämlich auch von ihren “eigenen” Cops, Gefängnissen, Richter*innen, Politiker*innen und Kapitalist*innen unterdrückt und ausgebeutet, also von ihrem “eigenen” Staat und (lokalen) Kapitalismus. Genauso wie durch andere Formen der “internen” Unterdrückung wie Queerfeindlichkeit, Sexismus, etc. Staaten können keine Befreier*innen oder Schutzträume für ganze, allgemeine Bevölkerungen sein.

4. Teil – Realismus statt Utopie: Die Null-Staaten Lösung

Doch was ist jetzt die Lösung? Wenn nicht die Gründung eines Staates für jede unterdrückte kulturelle Gruppe weltweit in Frage kommt? Bevor wir uns der Antwort widmen, muss eine letzte Illusion angriffen werden, die Illusion der bürgerlichen Friedensbewegung, dass es Frieden mit Staaten geben kann:
Europa und die EU gelten oft als Vorbild eines friedlichen Zusammenlebens. Die europäischen Staaten (bis auf Russland) und existieren jedoch nur friedlich miteinander, weil es ihren Machtinteressen dient und aus diesen Interessen langjährige Beziehungen gewachsen sind. Zentral hierfür war der Kalte Krieg, welcher Westeuropa (einschließlich der BRD) gegen einen gemeinsamen Feind vereinte, dies geschah global auch im Rahmen der Verteidigung der neokolonialen Einflusssphären gegen die Sowjetunion. Kriege wurden außerhalb Europas geführt oder sich auf den (vermuteten) Einmarsch des Ostblocks vorbereitet. Als die UdSSR unterging, gab es keinen verfeindeten Block mehr und es konnte sich ganz auf die Absicherung kolonialer Interessen fokussiert werden. Armeen wurden größtenteils zu Interventionsarmee, die europatreue Regime retten oder einsetzen konnten, reduziert. Krieg auf finanzieller Sparflamme (effizient) – kein Frieden und nur möglich aufgrund des weltweiten Machtungleichgewichts. Mit dem Wiederauferstehen des gegen Europa gerichteten militärischen, russischen Imperalismus erblüht nun allerdings auch der europäische Massen-Militarismus wieder.
Wenn sich eine „Lösung“ des Nahostkonfliktes vorgestellt wird geschieht dies meist in der Form zweier Staaten. Dieser Frieden, ist, wie am Beispiel Europa klar wird, aber nur möglich wenn diese Staaten grundlegende gemeinsame politische oder wirtschaftliche Interessen haben. Gemeinsame politische Interessen bedeuten einen gemeinsamen Block gegen andere Staaten zu bilden, also sich ein anderes Ziel des Imperialismus und Nationalismus zu suchen. Gemeinsame wirtschaftliche Interessen bedeuten für ein größeres Stück Macht über die Ressourcen aus der kapitalistischen und kolonialen Ausbeutung zu kämpfen, diese also gegenüber der eigenen Bevölkerung oder der anderswo zu verstärken (Selbstverständlich sind politische und wirtschaftliche Interessen meist verflochten und daher überschneidet sich beides in der Regel). Gibt es diese Form grundlegender gemeinsamer Interessen nicht, kann es zwar kurzzeitig Frieden geben, weil es den Interessen einer bestimmten politischen Fraktion dient, aber sobald eine andere Fraktion im jeweilige Staat an die Macht kommt, die Krieg will/davon profitiert, wird dieser Frieden gebrochen werden. Hintergrund ist eben das Fehlen eines grundlegenden machtpolitischen Interesses am Frieden zwischen diesen beiden Staaten. Die Ausweitung und der Erhalt der eigenen Macht und anderer verbündeter/verbundener Herrschaftsinstitutionen ist immer der Kern staatlichen Handelns – alles Andere wird nur zugelassen, so lange dieser Kern nicht ernsthaft bedroht wird.
Und weil es so wichtig ist: Europa zeigt, dass die Wahl zwischen vermeintlichen staatlichen Frieden und staatlichen Krieg die Wahl zwischen Pest und Cholera ist. Während sich die europäischen Staaten im Zweiten Weltkrieg gegenseitig schwächten ergaben sich z. B. Chancen anti-kolonialen Widerstandes (der endet leider oft im Nationalismus). Wären Frankreich, die Niederlande und Belgien nicht von Deutschland besetzt wurden, hätte Großbritannien nicht um die eigene Existenz zu kämpfen gehabt und wäre Japan nicht in zahlreiche europäische Kolonien eingefallen, wäre das direkte Kolonialreich dieser Staaten wahrscheinlich noch wesentlich länger bestehen geblieben. Nationalist*innen könnten damit alle die Schrecken und Grauen der Naziherrschaft, des italienischen Faschismus, seines und des japanischen Kolonialismus relativeren. Aber sie sind nicht zu relativen. Genauso wenig wie der Kolonialismus, die Unterdrückung durch die Alliierten.
Wir müssen aufhören in vermeintlich kleineren aber nicht grundsätzlich anderen Übeln eine Lösung zu sehen. Es gibt keine perfekte Welt, aber es gibt einen qualitativen Unterschieden zwischen dem Leid mit oder ohne Staaten, zwischen einen Kneipenschlägerei und den millionenfachen antisemitischen, rassistischen, kolonialen und einfach auch staatlichen und kapitalistischen Massenmorden der Geschichte. Zum Glück gibt es einen anderen Weg als den nationalen – nämlich den weltweiten Kampf gegen Staatlichkeit und Herrschaft an sich.

4. 1. Die Anarchistische Antwort: Der anti-nationale Kampf

Wenn wir von ukrainischer Unabhängigkeit sprechen, meinen wir nicht die nationale Unabhängigkeit im Sinne von Petliura, sondern die soziale Unabhängigkeit der Arbeiter*innen und Bäuer*innen. Wir erklären, dass das ukrainische und alle anderen arbeitenden Menschen das Recht auf Selbstbestimmung nicht als “unabhängige Nation”, sondern als “unabhängige Arbeiter*innen” haben.“ – Militärisches Komitee der Revolutionären Aufständische Armee in der Ukraine (Anarchist*innen), im Oktober 1919

Das ist die anarchistische Antwort: Den Staat und Kapitalismus, sowie dem Kolonialsystem weltweit im mehr die Macht und so den Treibstoff für durch sie erzeugten nationalistischen Konflikte zu nehmen. Dann, sobald es möglich ist, Gebiete zu erreichen, die deren Kontrolle gar nicht mehr unterliegen. Das hört sich nach einer Utopie an. Aber im Rahmen des weltweiten Kollapses ist es eine Entscheidung, der nur das sich Aufreiben in den sich verschärfenden nationalistischen Konflikten als „Alternative“ gegenüber steht.
Diese Entscheidung wird uns auch nicht in ein utopisches Paradies führen. Erstmal weil es dieses Paradies nicht geben kann, den unsere Existenz ist immer eine Auseinandersetzung, in der wir auch leiden. Dieses Leid unterscheidet sich gleichzeitig massiv in seinem Ausmaß: Eine Ohrfeige ist nicht das Gleiche wie ein Krieg, ein verstauchter Zeh keine monatelange Folter. Nur weil es keine Perfektion gibt müssen wir unsere Welt eben nicht zur Hölle machen.
Schon deshalb ist die
Entscheidung nicht bedeutungslos und sie hat Bedeutung, wie alles was wir tun im Hier und Jetzt, weil unsere Erfahrungen uns und den Rest des Universums verändern. Weil wir oder was auch immer wir dann sind/werden sie nach dem Tod wahrscheinlich mitnehmen, mit Anderen teilen und vor ihnen nicht einfach weglaufen können.
Regionen und eine Welt ohne Staaten sind erreichbar. Der erste Staat auf dem europäischen Kontinent EL Agar wurde untergegangen.15 El Agars Untergang liegt weit in der Vergangenheit, doch auch Anarchist*innen im 20. Jahrhundert haben es in Europa geschafft ein staatsfreies Gebiet zu ereichen.
Wir finden es in der Region, die heute (Stand Januar 2024) zwischen dem russischen und dem ukrainischen Staat umkämpft ist: Das Freie Territorium, oft etwas verklärt Machnowschtschina16 genannt. Anarchist*innen und weitere Sozialrevolutionär*innen, sowie andere Teile der bäuerlichen und Arbeiter*innen-Bevölkerung haben dort von 1919 bis 1921 gemeinsam eine Aufständische Armee und ein selbstorganisiertes Gebiet geschaffen – ohne einen Staat. Sie kämpften sowohl gegen den ukrainischen Nationalismus, die Zentralmächte (Deutschland, Ostereich-Ungarn und das Osmanische Reich), die russischen Weißen (Zarist*innen und weitere Reaktionär*innen) und immer wieder die Rote Armee.
Die Aufständische Armee griff auch gegen Beteiligte antisemitischer Gewalt durch: Geschahen antisemitische Handlungen, egal ob aus den eigenen Reihen oder durch Fremde wurden die Beteiligte in der Regel erschossen. Zahlreiche jüdischen Anarchist*innen/Anarchis*innen mit jüdischen Hintergrund beteiligten sich an der Bewegung, als Intellektuelle, in der lokalen Selbstorganisation oder Teil der Kampfeinheiten. Es gab gute Beziehungen zu lokalen (armen) jüdischen Gemeinschaften.
Dies passierte zu einer Zeit, wo Antisemitismus in Osteuropa sehr verbreitet war.17 Die Bewegung war insgesamt kulturell und sprachlich vielfältig. Neben der Verteidigung war ein wichtiges Element die lokale und gebietsweite Selbstorganisierung in Rät*innen und Enteignung von Kapitalist*innen (einschließlich Großgrund- und Fabrikbesitzer*innen), Reichen und der ehemaligen staatlichen Einrichtungen. Am Rät*innensystem nahmen auch Delegierte der jüdischen Dörfer teil. Es war der Anfang einer Sozialen Revolution.
Soziale Revolution als Ereignis und Prozess ist das entscheidende Mittel, um aus den Kreisläufen nationalistischer Gewalt zu entkommen. Wenn Menschen nicht für die Institutionen der Herrschaft für den “eigenen” oder “anderen” Staat und seine Eliten kämpfen (im Glauben Gerechtigkeit und positive Veränderung entstünde durch die Gewalt derer Armeen, Milizen oder Polizeien), sondern gemeinsam gegen sie, dann können Verbindungen über Mauern und Grenzen hinweg entstehen.

Freies Territorium: Kerngebiet in dunkelrot, maximaler Einfluss in hellrot.

Es ist wichtig die Alternative zum Staat zur nationalen Befreiung konkret zu denken: Stellen wir uns vor es gebe im Israel-Palästina-Konflikt eine dritte Kraft, die sich gegen die Gewalt beider der nationalistischen Seiten stellt und Menschen aktiv verteidigt, aber ihre Gewalt dabei nicht gegen die allgemeine Bevölkerung richtet; weder einen israelischen noch einen palästinensischen Staat anstrebt, sondern beiden das Land nimmt und die Ressourcen umverteilt; sie von Staat, Kapitalismus und den Eliten enteignet, durch direkte Aktionen. Sie würde denn Menschen aufzeigen, wogegen sich wirklich kämpfen sollten und das die Nationalismus keine Befreiung schafft.
An jeden Ort der Welt gibt es Menschen und kleine Gruppen die bereits jetzt auf so etwas innerhalb nationalistischer Konflikte hinwirken. Nur sind sie isoliert, weil es aufgrund der weltweiten Vorherrschaft nationalistischer Ideologien wie Marxismus und Liberalismus, keine starke globale anti-nationale, anti-staatliche Bewegung gibt. Es ist unsere Aufgabe solch eine Bewegung, dort wo wir leben, zu schaffen und dann Mittel allen antiautoritären Kämpfen an anderen Orten zu unterstützen bis es irgendwo gelingt, zumindest für eine Zeit, die Kontrolle des Staates und Kapitalismus über ein Gebiet zu brechen. Das Beispiel des Freien Territoriums zeigt, dass es möglich ist und es keinen nationalen “Schutzraumes” braucht um Selbstverteidigung zu organisieren, ob gegen Antisemitismus oder andere Formen der Unterdrückung.
Wer setzt dem Freien Territori
um eine Ende? Es war die Rote Armee. Die Rote Armee, die bis heute von so vielen Linken: Antifaschist*innen und Marxist*innen verehrt wird. Wann kündigen wir ihnen als Antiautoritäre und Anarchist*inne endlich den Frieden auf? Ist unsere Geschichte und die unserer Gefährt*innen, so wenig wert, dass wir nicht bereit sind ihnen den Kampf anzusagen? Wenn wir das nicht tun werden Beispiele der anti-nationalen Befreiung wie das Freie Territorium weiter unbekannt bleiben, weil Wissen über sie von der Linken für ihren Machterhalt unterdrückt werden muss.
Wann schaffen wir und alle, die Unterdrückung des Staates und den Hass der Nation leid sind, eine eigene Bewegung, die sich Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus, egal ob diese von links, rechts oder woher auch immer herkommt konsequent entgegenstellt? Wenn wir eine ernsthafte anti-nationale Bewegung entstehen lassen wollen, brauchen wir eigene Räume dafür, das geht nicht zusammen mit aktiven Nationalist*innen!
Wer die Ermordung und Terror gegen die allgemeiner Bevölkerung in irgendeinen Fall verteidigte oder gar feiert, als akzeptabel betrachtet muss bekämpft werden! Nationalismus insbesondere der linke ist ein Monster, dass die Energie der Wut über menschenfeindlich Gewalt, kulturelle und andere Unterdrückung missbraucht und sie in die Stärkung des Staates lenkt. Ohne dies Energie aber werden anti-nationale Kämpfe immer wieder versiegen.
Der Kampfe für anti-nationale Befreiung wird ein harte Auseinandersetzung, aber die Erinnerung an die Schönheit aller jener Ort an den der Staat, und wenn es auch nur teilweise und kurzzeitig ist, die Kontrolle verliert, kann uns die Kraft dafür geben. Die Null-Staaten-Lösung ist möglich, staatliche Befreiung bleibt eine Utopie!

Wie sich Anarchist*innen eine freie Welt vorstellen.

15 Quelle: Arte: 6. El Argar, eine vergessene Kultur (2017).

16 Der Name Machnowschtschina leitet sich vom Namen des bekanntesten Anführers der Bewegung Nestor Machno ab. Auch wenn sich Teile der Bewegung selbst nach ihm benannten, ist dies in der historischen Darstellung oft verzehrt und überbewertet. Ein Großteil der Informationen über die Bewegung stammt aus sowjetischen Archiven und die Bolschewiki übertrugen ihre eigenen autoritären Vorstellung von Organisierung auf das Bild, welches sie vom Freien Territorium und der Aufständischen Armee zeichneten. Darauf stützen sich später auch viele Anarchist*innen. In den überlieferten Dokumenten der damaligen Bewegung kommt der Begriff Machnowschtschina für das Gebiet so gut wie gar nicht vor.

17 Mehr zu Antisemitismus und dem Umgang damit in der Bewegung damals dort: Anti-Semitism and the Makhnovists: https://libcom.org/article/anti-semitism-and-makhnovists

Weiterführendes/Quellen

Nationalismus

Abaleta – Was ist Deutschland? Zur Geschichte und Ideologie eines folgenreichen politischen Konzeptes: https://www.anarchismus.at/texte-anarchismus/nationalismuskritik/6051-abaleta-was-ist-deutschland-zur-geschichte-und-ideologie-eines-folgenreichen-politischen-konzeptes

Nationalism and the National Question – Dmitry Mrachnik, Alexander Volodarsky, Denys Gorbach: https://theanarchistlibrary.org/library/dmitry-mrachnik-nationalism-and-the-national-question

Rudolf Rocker – “Nationale Staaten sind politische Kirchengebilde” (1937): https://www.anarchismus.at/texte-anarchismus/nationalismuskritik/7197-klassiker-rudolf-rocker-nationale-staaten-sind-politische-kirchengebilde

Emma Goldman  – Patriotismus: Eine Bedrohung der Freiheit: https://www.anarchismus.at/texte-anarchismus/nationalismuskritik/6052-klassiker-emma-goldman-patriotismus-eine-bedrohung-der-freiheit

Arthur Müller Lehning – Der Wahnsinn des Nationalismus und die Stellung des revolutionären Syndikalismus: https://www.anarchismus.at/texte-anarchismus/nationalismuskritik/6056-arthur-mueller-lehning-der-wahnsinn-des-nationalismus-und-die-stellung-des-revolutionaeren-syndikalismus

Rassismus und Kolonialismus

Schwarze Saat – Gesammelte Schriften zum Schwarzen und Indigenen Anarchismus: https://archive.org/details/Schwarze_Saat

Indigenous Action: https://www.indigenousaction.org/

Arte – Eine kurze Geschichte der Sklaverei

Teil 1: https://vimeo.com/436407959
Teil 2: https://vimeo.com/436406937
Teil 3: https://vimeo.com/436407625
Teil 4: https://vimeo.com/338760602

Antisemitismus

Anti-semitism and National Socialism – Moishe Postone: https://theanarchistlibrary.org/library/moishe-postone-anti-semitism-and-national-socialism

Why the Jews? – Thoughts by an Anarchist Jew on the Rise in Anti-Semitism – Wayne Price: https://theanarchistlibrary.org/library/wayne-price-why-the-jews

April Rosenbaum The Past Didn’t Go Anywhere – Making resistance to antisemitism part of all of our movements: https://theanarchistlibrary.org/library/april-rosenblum-the-past-didn-t-go-anywhere(Sehr empfehlenswert Text vor allem um antisemitische Muster in Bewegungen zu erkennen).

Wayne Price: Why the Jews? – Thoughts by an Anarchist Jew on the Rise in Anti-Semitism – https://theanarchistlibrary.org/library/wayne-price-why-the-jews

Pogrom – Voline: https://theanarchistlibrary.org/library/voline-pogrom

Marxistischer Antisemitismus

A Jewish-Anarchist Refutation of the Hammer and Sickle – Some Jews: https://theanarchistlibrary.org/library/some-jews-a-jewish-anarchist-refutation-of-the-hammer-and-sickle

Freies Territorium

The Makhnovshchina and Anti-Semitism – Nestor Makhno: https://libcom.org/article/makhnovshchina-and-anti-semitism-nestor-makhno

Chapter 10: The meaning of the national problem in the Makhnovshchina; The Jewish question: https://libcom.org/library/chapter-10-meaning-national-problem-makhnovshchina-jewish-question

Anti-Semitism and the Makhnovists: https://libcom.org/article/anti-semitism-and-makhnovists

Russian anarchists and the civil war – Paul Avrich: https://libcom.org/article/russian-anarchists-and-civil-war-paul-avrich

Spanische Revolution

ECONOMIA COL·LECTIVA – Europas letzte Revolution (OmU) –Sabcar Media https://www.youtube.com/watch?v=d_AznAUcrQU

Textsammlung: https://www.anarchismus.at/texte-zur-spanischen-revolution-1936

Jüdischer Anarchismus/Anarchismus von Menschen mit jüdischen Hintergrund

Die freie Arbeiterstimme: www.youtube.com/watch?v=vXlzdwGJ7OA

Forty years in the struggle: memoirs of a Jewish anarchist – Chaim Leib Weinberg : https://files.libcom.org/files/Weinberg-Jewish-anarchist.pdf

Liste jüdischer Anarchist*innen: https://en.wikipedia.org/wiki/Category:Jewish_anarchists
(Ein paar sogenannte „Anarchokapitalist*innen – rechte Liberale haben sich mit rein verirrt).

A Jewish-Anarchist Refutation of the Hammer and Sickle – Some Jews : https://theanarchistlibrary.org/library/some-jews-a-jewish-anarchist-refutation-of-the-hammer-and-sickle#toc2

“Es gab anarchistische Strukturen beim Aufstand im Warschauer Ghetto“: https://www.anarchismus.at/geschichte-des-anarchismus/verschiedenes/627-anarchistische-strukturen-beim-aufstand-im-warschauer-ghetto

(Hintergrund-)Geschichte des Israel-Palästina-Konfliktes

How Zionists Came to Palestine Under British Protection (Documentary) – The Great War: https://www.youtube.com/watch?v=EtvqioF81BU

Israel-Palästina-Konflikt aus anarchistischer Sicht

Anarchist voices on Palestine-Israel – Emma Goldman:
https://autonomies.org/2023/10/anarchist-voices-on-palestine-israel-emma-goldman/

Anarchist voices on Palestine-Israel: Albert Meltzer https://autonomies.org/2023/10/anarchist-voices-on-palestine-israel-albert-meltzer/

Uri Gordon: The national question in Palestine/Israel (and trying to read events after October 7)
https://autonomies.org/2023/11/uri-gordon-the-national-question-in-palestine-israel-and-trying-to-read-events-after-october-7/

Uri Gordon: Anarchism in Israel and Palestine:
https://autonomies.org/2023/10/uri-gordon-anarchism-in-israel-and-palestine/

Anhang: Nationalismus im Anarchismus und Fallstrickes eines Anarchistischen Anti-Nationalismus

Nationalismus im Anarchismus

Anarchismus ist von Grund auf eine anti-nationale bzw. internationalistische Bewegung. Dieser Anti-Nationalismus speist sich aus mehreren Quellen. Im heutigen Anarchismus gibt es jedoch immer wieder größer nationalistische Einflüsse, dass hat verschiedene Ursachen. Der Hauptgrund sind linke Einflüsse.

Mangelnde anarchistische Kolonialsmusanaylse

Einer der zentralsten ist der marxistische Einfluss, vor allem aus den marxistisch geprägten „anti-kolonialen“ Nationalen Befreiungsbewegungen. Weil die anarchistische Bewegung spätestens nach 1936 weltweit größtenteils zerschlagen war, spielte sie weder in den „anti-kolonialen“ Kämpfen der 1940-1970er Jahre eine große Rolle, noch konnte sie eine umfangreiche Theorie zu ihnen entwickeln. Das ändert sich zwar ganz langsam, aber die Erzählungen zu diesen Kämpfen sind weiterhin von marxistischen Vorstellungen geprägt. Was es vor und während diesem Zeitraum an anarchistischen Analysen zu Rassismus und Kolonialismus gab ist größtenteils vergessen. Der Konflikt, wo diese marxistischen Erzählungen mit am meisten Bestand haben, ist der Israel-Palästina-Konflikt.

Linke Manipulation zum Glauben an Repräsentation

Ein weiterer Einfluss ist die Liberalisierung der anarchistischen Bewegungen, welche teilweise begonnen hat Befreiung als politische Repräsentation zu denken, statt als Zerstörung der (politischen) Herrschaft. Linke vor allem Liberale nutzen den Vorwand der Repräsentation immer wieder um Anarchist*innen mundtot zu machen. Ein Beispiel hierfür ist wenn z.B. BIPOC-Personen, die liberal, marxistisch oder in anderer Form staatstreu sind, von linken Weißen und teilweise auch liberalen oder marxistischen BIPCOs als Repräsentant*innen – Sprecher*innen über Rassismus ernannt werden. Wenn weiße Anarchist*innen deren Postionen dann kritisieren oder einfach nicht aufgreifen, wird ihnen gesagt „sie sollen Betroffenen zu hören“, also ob z.B. von Rassismus Betroffene eine einheitliche Gruppe mit einer einheitlichen Meinung wären. Dies dient ausschließlich dazu die eigene inhaltliche Postion zu verteidigen und seine Macht über besagte Gruppe zu erhalten.
Leider lassen sich viele Anarchist*innen dadurch moralisch erpressen und verbreiten anschließend nationalistische und pro-staatliche vermeintlich „anti-koloniale“ Postionen. Dadurch bekommen anarchistische und anti-autoritäre BIPOC-Personen übrigens noch weniger Sichtbarkeit und Unterstützung, weil Marxist*innen und Liberale sie eh nie unterstützen und nun viele Anarchist*innen lieber ihren politischen Gegner*innen in den eigenen Communities Aufmerksamkeit geben als ihnen. So entsteht ein Kreislauf, der sich immer weiter verstärkt, weil Unsichtbarkeit und fehlende Unterstützung beispielsweise rassimusbetroffener Anarchist*innen und Anti-Autoritärer sich gegenseitig ausweiten. Um es mal klar zu sagen: Niemensch kann für alle Mitglieder einer unterdrückten Gruppe sprechen!

“Anti-Kolonial” ist nicht überall das Gleiche: Englischsprachiger Anarchismus

Was beim Thema Israel-Palästina-Konflikt außerdem noch auffällt, ist die sehr häufige Unterstützung für palästinensischen Nationalismus, Antisemitismus und Islamismus durch englischsprachigen Anarchist*innen. Neben den schon beschriebenen Faktoren, gibt es noch einen Weiteren: Beim aufmerksamen Lesen von Texten wird er recht klar, es wird ganz oft von der Befreiung Palästinas oder des Palästinischen Volkes gesprochen, aber selten über einen palästinischen Staat. In der Realität ist der Großteil der palästinensischen Nationalbewegung aber dafür. Warum wird das von zahlreichen englischsprachigen Anarchist*innen nicht wahrgenommen? Wahrscheinlich spielen auch wieder linken Einflüssen und deren Kontrolle über Information eine Rolle.
Allerdings, gibt es
vermutlich einen noch viel größeren Aspekt: Für amerikanischsprachige Anarchist*innen ist im Alltag anti-kolonialer Kampf und auch der Begriff „nation“ (Nation) nicht mit den Streben nach einem Nationalstaat verbunden: Auf den Gebiet, das von den USA, Kanada und Mexiko (Turtle Island) beansprucht wird, streiten die allermeisten Indigenen und Schwarzen Gruppen im Rahmen des Kampfes gegen Kolonialismus nämlich nicht für einen Staat.
Die meisten indigenen Gesellschaften dort waren nie staatlich, kulturelle Befreiung bedeutet für sie daher nicht die Schaffung eines Staates. Auch wenn sie den Begriff der „nation“ (Nation) benutzten, meint dieser in der Regel keinen Staat, sondern eine nicht-staatliche Form von Gemeinschaft. Ähnliches gilt für Schwarze Befreiungsansätze in denen es oft um Autonomie lokaler Gemeinschaft
en geht. Auch hier kann es problematische Inhalte in Richtung Nationalismus geben, aber sind nicht ansatzweise auf der gleichen Ebene gefährlich wie der palästinische Nationalismus.
Wenn
einem*einer nicht bewusst ist, dass die Geschichte der arabischen Halbinsel eine Andere ist und dort staatliche Einflüsse lange vor europäischen Kolonisierung bestanden, kann mensch in die Fall geraten den vermeintlich „anti-kolonialen“ Kampf dort ähnlich zu bewerten wie den auf Turtle Island.
Im geringen Ausmaß trift dieses Phänomen auch bezogen auf Kämpfe an anderen Orten zu. Als deutschsprachige Anarchist*innen, mit oft guten Zugang zu englischer Sprache, sollten wir den Gefährt*innen diese Unterschiede deutlich klar machen.

Industrialisierung – der in den Anarchismus eingewobener Nationalismus

Auch wenn Bäuer*innen von Anfang an Teil der anarchistischen Bewegung waren, ist sie doch hauptsächlich aus der Arbeiter*innenschaft heraus entstanden. Die Grundlage hierfür war die Industrialisierung. Die Industrialisierung schuf Infrastruktur, welche anhand nationaler Grenzen organisiert ist und war. Außerdem schuf sie insgesamt eine Lebensweise, die nur mit den Technologien und Verwaltungsapparat von Staat, Kapitalismus und Kolonialismus möglich ist.
Im ursprünglichen Anarchismus war die Fortentwicklung – der Fortschritt genau dieser Technologie und Lebensweise Kern einer zukünftigen Utopie. In der Vorstellung der Übernahme der staatlichen und kapitalistischen Infrastruktur fand und findet sich immer auch ein nationalistisches Element, da diese, wie bereits beschrieben, bis heute national organisiert ist. Gerade in alten anarchistischen Strömungen wie dem Anarchosyndikalismus (die auch dem Marxismus bzw. der Linken näherstehen als Andere) gibt es daher auch wiederkehrend nationalistische Einflüsse. Dabei geht es in der Regel darum auf wenn sich die eigene „Politik“ bezieht“ und in welchen Rahmen sie sich bewegt – meist ist dies der Nationale und gerade bei anarchistischen Gewerkschaften die nationale Rechtsordnung (welche die Nutzung der Infrastruktur und Arbeitsbedingungen reguliert). Um aus dieser Logik des Bezugs auf den nationalen politischen Rahmen auszubrechen, muss die Übernahme der kapitalistischen und staatlichen Infrastruktur und die zivilisierte Lebensweise aufgeben werden. Je dezentraler und lokaler Menschen sich versorgen können, desto unabhängiger können ihre Beziehungen von den Mustern der nationalen Infrastruktur wachsen und desto schwächer wird der Staat. Selbstverständlich kann dies kein Zurück in die Zeit vor der Industrialisierung bedeuten, sondern wir sollten die wenigen sinnvollen Technologien aus ihr mitnehmen und etwas neue jenseits von ihr schaffen.

Fallstricke eines anarchistischen Anti-Nationalismus

Die „eine befreite Gesellschaft“ – Kolonialer Internationalismus

Dass der Anarchismus vor allem aus der europäischen Arbeiter*innenschaft im 19. Jahrhundert entstanden ist, schafft nicht nur einen problematischen nationalistischen Einfluss, sondern auch einen internationalistischen bzw. anti-nationalen.
Geschichtliche Anarchist*innen waren geprägt von der Europäischen Aufklärung und ihrem universellen („all umfänglichen“) Anspruch der Gültigkeit und den Glauben an technologischen Fortschritt. Ihre Vorstellung einer grenzenlosen Welt mit Arbeiter*innen-Selbstverwaltung spiegelte genau dies wieder. Sie bezogen die Erfahrungen kolonisierter, indigener Gruppen fast garnicht ein und sahen die europäische Moderne als zwar fehlerhaftes aber weiterzuentwickelndes Vorbild für die gesamte Menschheit. Das ist zutiefst rassistisch und kolonial. Gerade öko-anarchistischen und anti-zivilisatorische Anarchist*innen haben damit gebrochen, dennoch finden sich auch bei ihnen gelegentlich und vor allem im Strömungen wie den Anarchosyndiaklismus immer wieder Vorstellungen davon Kampf gegen Kapitalismus und Staat sein zentral und Anti-Nationalismus oder „Internationalismus“ würde daraus entstehen, dass Menschen den „Klassenwiderspruch“ – Ausbeutung durch Kapitalismus und Staat als „das Problem“ erkennen. Es gibt dann oft die Vorstellung „der“ oder „einer befreiten Gesellschaft“ also einer globalen staatenlosen Einheit. Kulturelle Vielfalt und ein Ausstieg (bei Anarchosyndikalist*innen) aus der industrialisierten, arbeitsorientierten europäischen Gesellschaft wird hier meist nicht mitgedacht.
Es ist wichtig eine staatenfreie Welt nicht als eine einzige Gesellschaft zu denken, sondern als Netzwerk aus unterschiedlichen Gesellschaften, welche möglichst gleichwertig zu einander stehen. Verschiedene Kulturen existieren und viele können dies neben und miteinander tun. Kulturelle Befreiung muss ein Teil unseres Kampfes sein. Als Anarchist*innen sollten wir statt eine Blaupause¹ für „eine befreite Gesellschaft“ zu entwickeln, definieren was nicht Teil eines freiheitlichen, selbstbestimmten und gleichwertigen Zusammenlebens sein kann (z.B. Staat, Kapitalismus, Geld, Eigentum, Patriarchat, Ableismus, Kolonialismus/Rassismus und Antisemitismus). Das führt zum letzten Fallstrick der Verklärung staatenfreier Gesellschaften

Keine anti-nationale und anti-koloniale Beliebigkeit

Nicht unter Herrschaft eines Staates zu leben ist immer besser als mit dieser, doch es gibt das Risiko staatenfreie Gesellschaften zu verklären, Diese müssen nicht anti-autoritär sein, in ihnen kann es eine große Menge (z.B. patriarchaler) Hierarchien geben. Anarchistischer Anti-Nationalismus sollte daher bedeuten nicht nur gegen Nationen zu kämpfen, sondern auch gegen jede andere Herrschaft und dafür die nötigen (globalen) Beziehungen zu schaffen. Dabei ist es wichtig beim Wunsch nach kultureller Vielfalt und Selbstbestimmung nicht beliebig zu werden. Es gibt eben auch allgemeine Grundsätze für alles menschliche Zusammenleben, ansonsten müssten wir alles (einschließlich jeder Unterdrückung) akzeptieren. Unterdrückung gerade innerhalb anderer (kolonialisierter) Gruppen nicht zu unterstützen ist eine Herausforderung.

¹Blaupause = Musterplan

Weiterführendes
Uri Gordon: Anarchism and nationalism: https://autonomies.org/2023/11/uri-gordon-anarchism-and-nationalism/

 

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ANARCHISTS FIGHTING MARXISM: Texte und Plakate zum anarchistischen Widerstand gegen den Marxismus https://breakingthespell.blackblogs.org/fighting-marxism/ Mon, 25 Sep 2023 19:01:33 +0000 https://breakingthespell.blackblogs.org/?p=186 Continue reading "ANARCHISTS FIGHTING MARXISM: Texte und Plakate zum anarchistischen Widerstand gegen den Marxismus"

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Heute vor 104 Jahren – am 25.09.1919  jagten Anarchist*innen das Kommiteegebäude der Bolschewiki in Moskau in de Luft. Wer weiß noch davon? Angesichts all der Repression die unsere Bewegung erfahren hat, ist es leicht den Widerstand dagegen zu vergessen. Breaking the Spell veröffentlicht  daher im Laufe dieser Woche 5 Texte/Plakate über den anarchistischen Widerstand gegen den Marxismus. Heute geht es mit einem Text über die Schwarzen Garden und dem Anarchistischen Untergrund, jener Gruppe die für den Anschlag am 25.09.1919 verantwortlich war, los:

Komiteegebäude der Bolschewiki am 25.09.1919
Komiteegebäude der Bolschewiki am 25.09.1919

Intro

Die Erinnerung an die Tausenden vom Marxismus ermordeten und gefolterten Gefährt*innen und gleichzeitige Schweigen, Unsichtbarmachen oder Feiern dieser Taten in der deutschen Linken, kann einen*einer das Gefühl geben, die ganze Welt sei zur autoritären Katastrophe verdammt. Deshalb ist es wichtig sich an den Mut unserer Bewegung und vieler Menschen drumherum zu erinnern.
Anarchist*innen haben der marxistischen Unterdrückung und ihrem Schicksal nicht tatenlos zugesehen, sondern massiven Widerstand geleistet. Sie taten taten dies oft zusammen mit anderen (Anti-Autoriträren). Diese ist eine von mehreren Geschichte des Widerstandes.
Weitere finden sich unter breakingthespell.blackblogs.org/fighting-marxism und dort gibt es auch Links zu tiefergehenden Informationen. Haben wir den Mut den Schrecken der sich Marxismus nennt ein Ende zu setzten! Lasst uns als Denkmal ein Welt ohne Staaten hinterlassen!

Schwarze Garden und Anarchistischer Untergrund

 

Schwarze Garden

Beginnend mit der Russischen Revolution 1917 damit dem Freikommen und der Rückkehr aus dem Exil vieler Anarchist*innen, begannen sie eigene Kampfeinheiten aufzustellen. Sie sollten eine Alternative zu den Roten Garden sein, die zunehmend militarisiert wurden. Alleine in Moskau gab es 50 Schwarze Garde Gruppen mit ungefähr 2000 Mitgliedern. Die Gruppen waren angebunden an die Moskauer Anarchistische Föderation.

Haus der Anarchue (Heu

Sich der wachsenden Bedrohung ihrer Macht bewusst werdend griffen die Bolschewiki am 12. April 1918 die Schwarzen Garden an. Sie starten mit ihre Entwaffnung. Um das Haus der Anarchie in Moskau (heute Lenkom Theater), kam es zu schweren Kämpfen, einschließlich des Einsatzes von Artillerie. 40 Anarchist*innen und 11-12 Angreifer*innen wurden getötet. Die Geheimpolizei der Bolschewiki Tscheka verhaftet 500 Anarchist*innen. Nachfolgend wurden eine Großteil der Öffentlich organisierten anarchistischen Bewegung im Einflussbereich der Bolschewiki zerschlagen.
Anarchist*innen und andere Sozialist*innen, darunter einige Mitglieder der Linken Sozialrevolutionär*innen (linke SRs) und Maximalist*innen (Radikalster Flügel, der sich von der russischen Sozialdemokratische Partei abgespalten hatte) begannen mit dem Aufbau von militanter Untergrundgruppen. Einer dieser Gruppen war der Anarchistische Untergrund, dieser sprengte am 25.09.1919 das Komiteegebäude der Bolschewiki in Moskau. Da es vorher das Hauptquartier der linken SRs gewesen war, war es der Gruppe gut bekannt. An diesem Tag sollte Lenin dort sprechen, bedauerlicherweise wurde die Bombe zu früh – vor seinem Eintreffen – hinein geworfen. Es wurden 12 Funktionär*innen der Bolschewiki getötet und 55 verletzt. Das Schreiben der Gefährt*innen findet ihr im Anhang. Der Anarchistische Untergrund plante weitere Anschläge u.a. den Kreml einschließlich der gesamten Regierung in die Luft zu sprengen. In Kharkiv/Kharkov sollte das lokale Hauptquartier der Tscheka angegriffen und anarchistische Gefangene befreit werden. Ein dritte Gruppe wollte Anton Denikin den Anführer der Weißen (Zarist*innen und andere Reaktionäre) auf der Krim töten.

Maria Nikiforov aktiv im Anarchistischen Untergrund

Leider wurde ein großer Teil der Moskauer Gruppe vor dem Angriff auf den Kreml verhaftet und viele wurden hingerichtet. In Kharkiv/Kharkov war die Tscheka bereits geflohen und hatte die Gefangenen ermordet, auf Krim misslang der Attentatsversuch.
Es gab noch zu vielen anderen Orten und Zeiten Widerstand von Anarchist*innen und anderen Sozialist*innen gegen die Bolschewiki:
Der anarchistische Widerstand gegen das marxistische Regime der Sowjetunion bliebt bis weit in die 1920er teilweise 1930er Jahre stark, vereinzelte Gruppen waren bis in die 1950er Jahre aktiv. Was wäre passiert hätte diese Widerstand gemeinschaftlicher und entschlossener gehandelt? Hätten die Anarchist*innen die Bolschewiki früher bewaffnet angreifen sollen?

Weiterführendes:

The Black Guards – Nick Heath: https://libcom.org/article/black-guards  
Kazimir Kovalevich and the Underground Anarchists – Niock Heath:
Inhaltshinweis: Foto ermordeter, toter Person: https://libcom.org/article/kazimir-kovalevich-and-underground-anarchists

Maria Nikiforova: The Revolution without Delay: The Odyssey of an Anarchist through Ukraine

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MURDERD BY MARXISTS: Plakatreihe zu vom Marxismus ermordeten Anarchist*innen https://breakingthespell.blackblogs.org/murdered-by-marxists/ Mon, 04 Sep 2023 17:21:00 +0000 https://breakingthespell.blackblogs.org/?p=62 Continue reading "MURDERD BY MARXISTS: Plakatreihe zu vom Marxismus ermordeten Anarchist*innen"

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Die Auswirkungen und Funktion der linken Auslöschung anarchistischer Geschichte

Marxist*innen haben zehntausende Anarchist*innen ermordet, inhaftiert, gefoltert und vergewaltigt. Breaking the Spell hat 20 kurze Lebensgeschichten von durch den Marxismus ermordeten Anarchist*innen zusammengestellt.

Vorwort: Marxismus ist kein Kommunismus

Wenn hier von Marxismus gesprochen wird, ist damit nicht Kommunismus gemeint. Wirklicher Kommunismus ist anti-staatlich, anti-autoritär. Marxismus ist das absolute Gegenteil davon. (Anti-autoritäre) Kommunist*innen und andere anti-staatliche Sozialist*innen und Sozialrevolutionär*innen sind erstmal grundsätzlich unsere Kampfgefährt*innen und sollten tief in unseren Herzen sein, wenn wir über den Marxistischen Terror sprechen. Weil ihre Bewegungen in der Regel kleiner als die Anarchistische waren und bis heute sind, erlitten sie die selbe Unterdrückung ohne die gleiche Solidarität und Unterstützung zu erfahren. Heute ist oft noch mehr ihrer Geschichte vergessen. Eine von ihnen war Evgenia Iaroslavskaia-Marko zu der wir wahrscheinlich noch einen eigenen Beitrag veröffentlichen werden. Genauso wenig sollten wir die anderen „Opfer“ des Marxismus vergessen, dies schließt zahlreiche Marxist*innen, trotz ihrer Beteiligung an der Unterdrückung, mit ein. Das solidarischste was Anarchist*innen, die marxistischen Bekannte haben, für diese tun können ist sie daran zu hindern an die Macht zu kommen.

Einleitung: Der Marxistische Terror

Marxist*innen haben zehntausende Anarchist*innen ermordet, inhaftiert, gefoltert und vergewaltigt.1 Der Marxismus ist mit seiner Vorstellung der staatlichen Machtübernahme und Nutzung des Staates eine menschenfeindliche und autoritäre Bewegung. Dass er immer wieder Anarchist*innen verfolgt, ist nicht den einzelnen Einstellungen seiner Mitglieder geschuldet, sondern aus seiner eigenen grundlegenden Logik, und der des Staates heraus, muss er anti-staatliche Kräfte ausschalten. Marxist*innen werden deshalb nie aufhören uns zu bekämpfen und zu ermorden.
In der deutschsprachigen Linken Szene, aber auch der Linken weltweit, wird diese marxistische Unterdrückung totgeschwiegen, geleugnet oder manchmal auch offen befürwortet. Menschen, die daran erinnern wollen, werden angegriffen und ausgeschlossen. Anarchistische Geschichte erzählen sowie so nur Anarchist*innen. Große Teile der Linken Szene feiern unterdessen die Sowjetunion oder andere marxistisch (beeinflusste) Staaten wie Kuba, China, Nordkorea oder Venezuela, ihre Herrscher*innen/Täter*innen und auch ihre Symbole z.B. Hammer und Sichel. Die Aussage dabei ist klar (welchen machtpolitischen Zweck es hat – dazu später mehr): Die Unterdrückung von Anarchist*innen ist entweder nicht der Rede wert oder richtig.
Schlagen wir (inhaltlich) zurück! Sorgen wir für Konflikt, verteidigen anarchistische Räume, erkämpfen uns anderen oder zerstören sie (inhaltlich) und schwächen die Szene!
Zur Unterstützung hat Breaking the Spell 20 kurze Lebensgeschichten von durch den Marxismus ermordeten Anarchist*innen vorbereitet. Von allen diesen gibt es eine (manchmal gekürzte) A3-Plakatversion zum Selbstdruck (geht in den meisten Copyshops). Außerdem gibt es ein Übersichtplakat mit allen ermordeten Anarchist*innen.
Die Gefährt*innen wurden danach ausgewählt, ob es ein Foto von ihnen gibt. Es gibt noch viele weitere Geschichten zu erzählen.
Nachfolgend ein paar Worte weshalb wir an die Geschichte der Gefährt*innen erinnern sollten und was mensch mit den Sachen z.B. während der Aktionswoche gegen Linke Einheit ab dem 25.09 anstellen kann. Dann folgen alphabetisch (nach Vornamen), die einzelnen Texte und Plakate. Bis zum 25.09 wird jeden Tag außerdem einer der Texte auf de.indymedia.org veröffentlicht. In der Zeit vor und um den 25.09 kommen auch noch Texte zur Geschichte der Linken Szene, was sie heute ist und wie sie den Anarchismus kontrolliert/unterdrückt.
¹ Gegen die kommenden Leugungsversuche: Beschäftigt euch mal u.a. mit der sexualisierten Gewalt im Gulagsystem.

Der gemeinsame Feind der Linken Szene: Anarchistische Geschichtserzählung

An fast keinen Ort der deutschen Linken Szene wird anarchistische Geschichte erzählt, schon gar nicht die derjenigen Gefährt*innen, welche vom Marxismus ermordet, inhaftiert, gefoltert und vergewaltigt wurden.
Würde über den anti-anarchistischen Terror des Marxismus gesprochen werden, würde das die Ideologie der Linken Einheit (mehr dazu was Linke Einheit ist – hier), welche für die Linke Szene in Deutschland grundlegend ist, massiv geschwächt, vielleicht gänzlich zerstört. Vor allem müssten anarchistische Geschichte und die historischen großen und zahlreichen Erfolge unserer Bewegung erwähnt werden.

Ohne Gulags gäbe es die Linke Szene nicht – kulturelle Auslöschung des Anarchismus als Notwendigkeit

Die Linke Szene kann nur existieren, weil anarchistische Geschichte unbekannt bleibt. Würden die anarchistischen Revolutionen und Aufstände, ihr Ausmaß bekannt, könnte der Mythos Anarchist*innen seien „utopische Träumer*innen“ nicht mehr aufrechterhalten werden. Teil dieses Mythos ist auch, dass es einen Staat für (revolutionäre) Veränderungen brauche. Die Linken profitieren daher massiv von der durch den Marxismus (wozu auch die deutsche Sozialdemokratie zählt) und Liberalismus gegen uns ausgeübten Gewalt und Unterdrückung, weil sie den Anarchismus als Konkurrenz größtenteils ausgeschaltet hat.
Wäre nicht fast eine ganze Generation von Anarchist*innen in Osteuropa in den Gulags und Knästen der Sowjetunion gebrochen und ermordet worden, hätten sie ihr Wissen und ihre Praxis an uns weitergeben können. Hätte ein kämpferischer Anarchismus in Europa großflächig überlebt, wäre das heutige Bündnis der Linken Szene mit dem Staat und sein permanentes Anflehen nicht fast widerstandslos möglich und/oder es gäbe eine von der Linken unabhängige große anarchistische Bewegung.
Selbstverständlich trugen in Europa auch andere Staaten zu Zerstörung des Anarchismus bei, aber einzig die Faschistischen löschten im 20. Jahrhundert annähernd so viele Anarchist*innen (in Europa) aus, wie die Sowjetunion. Und mit dem größten dieser faschistischen Staaten Deutschland verbündete sich die Sowjetunion zeitweilig – marschierte gemeinsam in Polen ein: Einige Anarchist*innen landeten, weil die letzten nicht ganz so repressiven Staaten im Osten damit verschwanden übrigens im Konzentrationslager oder Gulag.
Aber an der Vernichtung des Anarchismus beteiligten sich Marxist*innen nicht nur in Osteuropa. Mit der Niederschlagung von Aufständen wie dem Ruhraufstand 1920 beseitigte die deutsche Sozialdemokratie (Sozialdemokratie ist die primäre marxistische Strömung, die Bolschewiki waren beispielsweise auch Sozialdemokrat*innen) den militantesten Teil der anarchistischen Bewegung.
Genauso wie während der anarchistischen Sozialen Revolution in vielen der von Spanien beanspruchten Regionen, an der sich Millionen beteiligen, die Kommunistische Partei in Zusammenarbeit zunächst mit einer Regierung von Liberalen und anderen Staatssozialist*innen begann die revolutionären Errungenschaften. beispielsweise Selbstverwaltung von Betrieben, zu zerstören und die anarchistischen Milizen zu entwaffnen. Dabei wurden tausende Anarchist*innen ermordet. Statt an den antifaschistischen, sozialrevolutionären Kampf der unteren Klassen in Spanien (wo auch viele deutschsprachige Anarchist*innen kämpften) zu
gedenken feiert die deutsche Linke, um nicht über die Soziale Revolution und ihre marxistische Unterdrückung sprechen zu müssen, daher auch lieber die Alliierten einschließlich der Sowjetunion. Kolonialmächte und Diktaturen sind eben weniger gefährlich für die eigene Position als die Erinnerung an anarchistische Revolutionen.
Alle Anarchist*innen sollten daher Hammer und Sichel, jeden positiven Bezug auf die Sowjetunion, den Marxismus und allen seinen Staaten in linken Räumen als Angriff verstehen – als Aussage, dass uns zu ermorden, inhaftieren, foltern und vergewaltigen verschwiegen werden kann oder gar notwendig und richtig war.
Das dies nicht zu regelmäßigen entsprechenden Reaktionen führt, sondern oft jene Gefährt*innen, welche dagegen handeln noch geschämt werden und teilweise von anderen Anarchist*innen inhaltlich attackiert werden, zeigt wie gebrochen wir durch das entstandene Trauma sind.

Fehlendes Selbstbewusstsein: Der unterwürfige erstarrte Anarchismus

Gemeinschaftliches Trauma hat Folgen. Eine dieser Folgen ist eine mangelndes Selbstbewusstsein und damit verbunden oft eine Unterordnung unter die Verursacher*innen des Traumas/Täter*innen. Ein Vergessen der eigenen Geschichte und Aufgabe der eigenen Kultur/Inhalte (Assimilation) ist ebenfalls eine häufige Folge. Und genau das ist der Zustand des deutschsprachigen Anarchismus und auch von Teilen des europäischen oder globalen Anarchist*innen glauben ihre Ideen verteidigen zu müssen, weil sie „utopisch“ seien, statt (die meisten) Linken und andere Befürworter*innen des Staates zur (unmöglichen) Rechtfertigung genau von dessen Existenz zu zwingen. Wir schämen uns wegen unserer Radikalität, dabei ist umgekehrterweise das Verlangen regiert zu werden extrem! Wir lassen zu, dass in Linken Zentren die Lüge erzählt wird Anarchismus sei eine neue, kleine Bewegung anstatt auf den Tisch zu hauen und zu sagen: Dass der Marxismus – die staatliche Linke jahrzehntelang eine Randnotiz der Geschichte war, dass Millionen von Menschen sich an anarchistischen Revolutionen beteiligten, die (trotz ihrer Fehler und Mängel) wirklich andere Formen des Zusammenlebens schufen – der Marxismus hingegen Abermillionen Menschen ermorden, inhaftieren, zu Zwangsarbeit zwingen, foltern und vergewaltigen ließ.
Das schwächt uns nicht nur argumentativ in der Linken Szene (mit der wir eh brechen sollten). Indem wir nicht selbstbewusst auftreten, insbesondere unsere klassenkämpferische Geschichte nicht sichtbar machen, schrecken wir Menschen ab. Menschen gehen keine revolutionärem Risiken ein, wenn sie sich nicht als Teil von etwas Größeren sehen oder fühlen³, dass ihnen Kraft gibt. Ohne eine inspirierende Geschichte(n) ist dies unmöglich. Wie soll ein verbindender Hass auf den Kapitalismus, die Reichen, den Staat, ein Bewusstsein dafür das alle Herrschaft unterdrückend ist entstehen, wenn Menschen immer nur die liberalen Lügen hört dieses System sei gerecht, es sei maximal ok symbolisch dagegen zu demonstrieren oder wählen zu gehen? Wenn nie erzählt wird das Menschen ganz andere Dinge dagegen getan haben? Wie sollen Menschen aus den unteren Klassen ein Verständnis davon entwickeln wie ihr Widerstand und ihre Befreiung aussehen kann? Selbstverständlich kann alles neu probiert werden, aber Schlüsse aus den Fehlern dabei zu ziehen, sowie neue inspirierenden Geschichten zu schaffen dauert Jahrzehnte. Das muss trotzdem passieren, aber wir brauchen nicht mit einer Stunde Null anzufangen.
Von Null anzufangen geht auch gar nicht: In unseren Beziehungen, Denkmustern und Gefühlen sind die Verletzungen und Unterdrückungen von Jahrhunderten und Jahrtausenden eingeprägt. Wenn wir die Formen von Widerstand und Heilungsversuche dagegen vergessen, geben wir diesen Beziehungen, Denkmustern, Gefühlen und enorm mehr Kontrolle über uns.
Mensch stelle sich vor. um die „Absurdität“ zu verstehen (ohne es gleichsetzen zu wollen, weil teils es um andere Unterdrückungsformen geht), Antirassist*innen würden aufhören an den anti-kolonialen Widerstand und den Kolonialismus zu erinnern und stattdessen Antirassismus als rein „neues Phänomen“ zu beschreiben. Manchmal passiert dergleichen übrigens sogar und es führt zur liberalen Verteidigung der kolonialen-rassistischen Ordnung.
Außerdem nehmen viele Menschen unterschwellig wahr, ob Andere sich unterwerfen und gebrochen sind. Leidenschaft bei Mitmenschen zu wecken, wenn mensch nur in den eigenen Traumata gefangen ist, ist beinah unmöglich. Wir sollten mit diesen offen umgehen und anstatt sie zu verstecken, gemeinsam so viel es geht davon heilen.
Die Unterwürfigkeit gegenüber der linken Auslöschung unser Geschichte, zerstört die anarchistische Bewegung auch inhaltlich. Das beste Beispiel hierzu sind Sozialdemokrat*innen, die sich anarchistisch nennen und damit rummackern wie wichtig Klassenkampf für sie sei. Was meinen sie mit Klassenkampf? – Beispielsweise den Versuch große symbolische Demos mit der Forderung an Papa Staat „das Leben müsse bezahlbar bleiben“ zu organisieren. Am Rande der anarchistischen Bewegung gab es immer vereinzelt auch Forderungen an den Staat (und in wenigen Fällen auch aus verständlichen Gründen, aber trotzdem fälschlicher Weise), aber der Kern von (anarchistischen) Klassenkampf waren Enteignungen von Kapitalist*innen, staatlichen Institutionen und Kirchen durch bewaffnete Direkte Aktionen, Diebstahl und/oder Land-/Fabrikbesetzungen oder die Vertreibung des Staates aus ganzen Regionen.
Dass Klassenkampf und was „klassenkämpferisch“ weg von Direkter Aktion zum Gegenteil umgedeutet werden kann, nämlich mit die liberalste Form staatlicher Politik, geht nur aufgrund der Auslöschung unserer Geschichte.
Was noch passiert ist, dass diejenigen mit den brennendsten Herzen aus der Bewegung gestoßen werden oder ihre Empathie verlieren: Wer eine intensive Verbindung mit den anarchistischen Idee(n) und Bewegung(en) empfindet, entwickelt meist auch eine Zuneigung zu Gefährt*innen, die vor uns gekommen sind und eine Liebe zur Bewegung allgemein. Dann zu erleben wie es eine Toleranz gegenüber jenen gibt, die deren Verfolgung verschweigen, verteidigen oder feiern, verletzt tief. Das passiert in Linken Räumen andauernd und anarchistischen Räumen oft, als emotionale Reaktion ist dann nur ein Rückzug aus der Bewegung möglich oder selbst kalt gegenüber der Repression zu werden, das heißt die Empathie und damit ein Großteil der Verbindung zu anderen Anarchist*innen zu verlieren. Hat vielleicht schon mal wer darüber nachgedacht, dass einer der Gründe warum auch viele anarchistische Räume so verschlossen sind und nicht auf anderen Menschen zu gehen (in der Linken Szene übrigens genauso, nur die soll halt auch untergehen) unsere Unfähigkeit ist empathisch zu sein? Dazu trägt mit Sicherheit vieles bei, aber Räume mit Menschen zu teilen die unsere Kultur und unsere Geschichte abwerten und/oder auslöschen wollen ist ein großer Faktor.
Was noch durch unsere Toleranz oder Unterwerfung gegenüber dem Marxismus zerstört wird ist die Fähigkeit sich zu begeistern, weiter zu entwickeln und aus der Geschichte zu lernen. Weil ein großer Teil unserer Geschichte wegen des Tabus mit dem Marxist*innen und Liberalen in der ernsthaften Konflikt zu treten, kaum behandelt wird, fehlt uns ein lebendige,  Kämpfe unterstützende Geschichtskultur. Wer sich auf die Suche macht nach Inspiration, vergessenen Ideen, tollen Theorien oder Lösungsansätzen ist oft sehr allein. Denjenigen, die lernen und die anarchistische Bewegung weiter entwickeln wollen werden mit Einsamkeit bestraft und wenn sie verstehen woher das kommt, daher mit der Linken Szene in Konflikt gehen, im wieder im Stich gelassen oder aktiv aus der Bewegung gemobbt. Dies ist einer der bedeutsamsten Ursachen warum der deutschsprachige Anarchismus außerhalb der Waldbesetzungen seit Jahrzehnten stagniert.

Hören wir auf so feige zu sein und suchen wir den offen Konflikt mit der marxistischen und liberalen Linken, statt unsere mutigsten und entschlossensten Gefährt*innen gehorsam zu opfern! Erinnern wir daran, was der Marxismus uns angetan hat und bis heute tut!

² Mit Risiken einzugehen sollte nicht der Selbstaufopferung für einen (höhere) Autorität oder einer rein abstrakte Moral dienen.
³ Auch sogenannte Individualanarchist*innen und Egoisten*innen verbinden sich durch die Erzählung ihrer Kämpfe mit Anderen und größeren Geschichten.

Für die Erinnerung – für den Kampf gegen die linke Auslöschung unserer Geschichte

Die Plakate mit ihren kurzen Lebensgeschichten soll ein Mittel sein diesen Kampf zu unterstützen. Sie lassen sich gut auf A3 ausdrucken und in linken und anarchistischen Läden hängen – mit oder ohne deren Zustimmung. Marxistische Organisationen haben bestimmt auch ein paar Anlässe zu denen sie in nächster Zeit mobilisieren und wollen aus auf ihren Plakaten Platz bieten unsere eigene Geschichte zu erzählen, hehe. Ein andere Möglichkeit ist marxistische bzw. passende Linke Szene Veranstaltungen zu stören und die Geschichte unser Gefährt*innen vorzulesen. Die Möglichkeit z.B. eine Vortrag zu den Gefährt*innen zu machen oder einfach nur mit Mitbewohnis, Freund*innen, Kompliz*innen und/oder Familie gemeinsam über die Geschichte den Austausch zu suchen. Unzählige weitere Optionen existieren.

Und das aller Wichtigste wenn anarchistische oder andere anti-autoritäre Gefährt*innen von der Linken Szene Repression oder auch Gewalt erfahren, weil sie an die Unterdrückung durch den Marxismus erinnern verteidigt sie!

Geschichte, Wahrheit und Held*innen

Auch wenn unseren Leben eine gemeinsame Realität und damit Wahrheit zugrundeliegend, können wir diese als in unserem Erleben und Wahrnehmung beschränkte Wesen nie vollständig erreichen, uns ihr nur annähern. Für die Geschichtserzählung/schreibung heißt dies, dass es nie darum geht die Wahrheit zu erzählen, sondern möglichst wahrheitsnah. Die nachfolgenden Lebensgeschichten wurden soweit machbar aus mehreren Quellen recherchiert und wenn es Widersprüche zwischen ihnen gab, diese entweder erwähnt, auf innere Logik und Qualität der Quellenerzählung geprüft oder bei unwichtig erscheinenden Ereignissen weggelassen. Alleine schon aufgrund der beschränkten zeitlichen und sprachlichen Ressourcen, kann es aber zu Fehlern gekommen sein. Über Ergänzungen und Berichtigungen wird sich daher grundsätzlich gefreut und diese in die Überarbeitungen eingearbeitet, schickt bitte Quellen mit wenn möglich ([email protected]).
Für Marxist*innen und Szene-Verteidiger*innen: Alles was den marxistischen Terror oder Marxismus rechtfertigt wird ggf. gesammelt und dokumentarisch anonymisiert veröffentlicht, bei konkreten (physischen) Bedrohungen gegen Breaking the Spell oder andere Gefährt*innen auch nicht-anonymisiert – ihr wurdet gewarnt!
Zu den historischen Gefährt*innen, an sich sollte noch gesagt werden, dass selbstverständlich niemensch von
ihnen ein*e Held*in war (weil es kein Held*innen gibt) und diese wie die anarchistische Bewegung allgemein immer viele Fehler gemacht und manchmal auch schreckliche, beschissene Dinge getan haben. Wenn es nötig erscheint, wird auf diese eingegangen. Stellen wir sie uns als Personen vor denen wir heute in unseren Räumen, Gruppen und Veranstaltungen begegnen könnten: Als lebendige Gefährt*innen nicht als idealisierte Abziehbilder!
Wir sollten sie auch auf keinen Fall als Märtyrer*innen
betrachten, sondern als Beispiele was unserer Bewegung allgemein angetan wurde und wie wir dagegen gekämpft haben. Von hunderten anderen durch den Marxismus ermordeten Anarchist*innen gibt es ausschließlich Namen (von denen zu Hilfe für weitere Recherchen vielleicht auch noch eine Liste veröffentlicht wird) und manchmal Texte, über viele tausende Andere lässt sie fast gar nichts finden, sie waren nicht weniger wichtig. Und auch die Geschichten der Millionen weiteren durch Marxismus Ermordeten und Unterdrückten sind erzählenswert. Abschließend sollten ihre Geschichten nicht auf die Repression durch den Marxismus reduziert werden, das wäre ein Sieg für diesen. In den Texten wurde dies versucht, aber der Platz und Zeit war knapp, also forscht weiter.

Zur Sprache und Inhalt noch 4. Anmerkungen:

1. Weil eben keine andere Geschlechtsidentitäten bekannt sind und neutrale Pronomen auch eine gewisse Zuschreibung gewesen wären, werden binär „er“ oder „sie“ benutzt. Eine teilweise Alternative wäre der Vorname gewesen, aber Plakate haben nur begrenzt Platz. In der Onlineversion wurde diese Sprache dann der Einheitlichkeit wegen beibehalten.

2. Die Lage von Orten wird oft in der Kurzform „in Nationalstaat“/„(Nationalstaat)“ erklärt, in alle Fällen wird deren Gebietsanspruch abgelehnt.

3. Manchmal wird der ethnische/kulturelle Hintergrund der Geburtsfamilie erwähnt. Das dient dazu insbesondere den großen Anteil kulturell jüdischer (nicht unbedingt religiöser) Anarchist*innen sichtbar zu machen. Deren Geschichte in Europa fast völlig vergessen ist.

4. Teilweise wird in der Onlineversion von „anarchokommunistischen (Gruppen)“ gesprochenen, dann steht auf dem Plakat aber nur „anarchistisch“ nicht „anarchokommunistisch“, weil der Begriff einer längeren Erklärung Bedarf, welche nicht immer noch darauf passte. Gerade auch im deutschsprachigen Raum unternehmen Marxist*innen den Versuch das Wort „Anarchokommunismus“ kulturell zu rauben, um das falsche Bild zu wecken es ginge um eine Vereinigung von Marxismus und Anarchismus. Im Bezug auf osteuropäischen Anarchismus bedeutet anarchokommunistisch der Fokus auf die Organisierung in lokalen Gemeinschaften (Kommunen – nicht im Rahmen von Kommunal-Politik) also z.B. nach/an dem Lebensort. Das grenzt sich z.B. vom Syndikalismus ab, der Menschen vor allem in/über Betriebe(n) organisieren wollte – was für Bäuer*innen (die viele Anarchist*innen waren) tatsächlich nicht viel Sinn macht. Anarchokommunismus betonte (auch wenn es viel Zusammenarbeit zwischen den Strömungen gab) mehr die Gemeinschaft als Individualismus oder Egoismus. Die andere Bedeutung von Anarchokommunismus ist die Ablehnung jedes Geld- und Eigentumssystems in der Anarchie, historisch war dies vor allem gegenüber den Mutualismus und Kollektivismus bedeutsam, heute ist diese Ablehnung die Grundhaltung fast aller Anarchist*innen.

Lebensgeschichten und Plakate:

Nachfolgend findet ihr in dieser alphabetisch (nach Vornamen) sortiert Geschichten von 20 Gefährt*innen mit Fotos. Zwei wurden ausgelassen, weil 1. das Übersichtplakat keine Platz mehr hatte und 2. einer Viktor Bilash, die Bewegung nach wohl massiven Folterung und Drohung mit Ermordung durch die Bolschewiki verriet und die Andere Evgenia Iaroslavskaia-Markon sich nie ganz klar als Anarchistin positionierte (alle anderen waren z.B. in anarchistischen Organisationen tätig), auch wenn sie die Inhalt eindeutig teilt. Vielleicht gibt zu Evgenia und ganz vielleicht Bilash später nochmal was. Am Ende der jeder der Biographien findet ihr weiterführende Links und die Plakatdatei als PDF. Manche Plakate sind gegenüber der Online Version (stark) gekürzt, im Datei-Namen steht dazu entweder „ungekürzt“, „gekürzt oder „stark gekürzt“. Bei größeren Fehler (keinen einzelnen fehlenden Buchstaben mit im Text) schreibt gerne direkt eine Mail an [email protected].

Übersichtsplakat

MURDERED BY MARXIST – ÜBERSICHT NIEDERIGE AUFLÖSUNG

Alexander Atabekian

Alexander Atabekian wurde 1868 in Shusha/Suhsi (damals Russisches Reich, heute von Aserbaidschan und Armenien beansprucht) als Kind einer adeligen Familie geboren.Zunächst schrieb er politische Artikel für die Zeitung der armenischen sozialdemokratischen Partei. Während seines Medizinstudium in Genua ab 1891 wendete er sich dem Anarchismus zu, arbeitet in einer Druckerei und begann mit der Erstübersetzung vieler anarchistischer Texte ins Armenische. Durch Briefe und Besuche lernte er viele bekannte Anarchist*innen kennen, darunter u. A. Max Nettlau, Élisée Reclus und Peter Kropotkin. Peter wurde ein lebenslanger Freund und Alexander begleitet ihn auch als er auf dem Sterbebett lag. Als Plakat verbreitete Alexander z. B. das Manifest eines der Anarchist*innen, die in Chicago 1887 hingerichtet wurden (Ursprung des 1. Mai).
Er beteiligte sich außerdem
an der armenischen Unabhängigkeitsbewegung und stellte sich gleichzeitig gegen ihren Nationalismus. Wegen den Massakern gegen Armenier*innen, welche sich später zum massenhaften Genozid ausweiteten, litt er emotional schwer.
Zwischeneiszeitlich zog er nach Lyon und Paris. In Paris wurde 1894 mit „Hamayankh“ (Kommune), die erste anarchistische Zeitschrift in Armenisch veröffentlicht. Ob Alexander für diese schrieb ist bis heute unklar. Er schloss sein Studium ab und verließ aufgrund von Strafverfahren Frankreich/Italien, erst lebte er in Bulgarien und arbeitete dann als Arzt 16 Jahre in der Region Reshd des Iran.
1917 zog er im Rahmen der Februar-Revolution nach Moskau. Er war als Autor, Layouter und Drucker an mehreren anarchistischen Publikationen, wie „Anarkhiia“ (Zeitschrift der Moskauer anarchistischen Föderation) und „Pocin“ (zusammen mit Peter Kropotkin) beteiligt und kritisierte die
bolschewikische Übernahme und Unterdrückung der Revolution. Ab 1921 wurde Alexander mehrmals von den Bolschewiki inhaftiert und verbannt. Er starb wahrscheinlich 1940 in einem sowjetischen Lager.

Weiterführendes:
Biography of Armenian anarchist Alexander Atabekian: https://theanarchistlibrary.org/library/cemal-selbuz-biography-of-armenian-anarchist-alexander-atabekian
Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Alexander_Atabekian

Alexander Atabekian (gekürzt).pdf

Aron Baron

Aron Baron wurde 1891 in Hlynets (nahe Kyiv) als Kind einer armen jüdischen Familie geboren.
In der Schulzeit wurde er Anarchist und arbeitete später als Bäcker. Aufgrund seiner revolutionären Tätigkeiten u.a. in der Bäcker*innengewerkschaft wurde Aron 1907 verhaftet und verbannt. 1912 floh er in die USA. Dort war er neben der Union Russischer Arbeiter*innen, einer Organisation russischsprachiger anarchistischer Emigrant*innen, bei den Industrial Workers of the World (IWW), einer stark anarchistisch beeinflussten sozialrevolutionären, syndikalistischen Gewerkschaft aktiv. Gemeinsam mit Lucy Parsons war er Herausgeber der anarchistischen Zeitschrift „Alert“ (Alarm). 1915 heiratet Aron Fanya Grefenson, die den Namen Baron annahm.
1917 kehrten beide nach Kyiv zurück. Er wurde von der lokalen Bäker*innengewerkschaft in den lokalen Sowjet (revolutionärem Delegiert*innenrat) gewählt und gründete eine anarchistische Kampfeinheit. Er war an Kämpfen gegen die weißen (Zarist*innen und andere Reaktionär*innen), österreichisch-ungarische und deutsche Armee beteiligt. Dann nahm er 1918 an der anarchistischen Föderation in der Ukraine Nabat (Alarm) teil.
Zunehmend stellt und organisierter Aron sich gegen die vermehrten Angriffe und Unterdrückung der Bolschewiki gegen die anderen Revolutionären Kräfte. Er wurde mehrmals von der Tscheka (bolschewistischen Geheimpolizei) verhaftet.
Nach der Ermordung seiner Frau Fanya Baron 1921 wurde er fast durchgängig im sowjetischen Lagersystem oder Verbannung gefangen gehalten. Einer der wenigen Anlässe in Freiheit war die Beerdigung von Peter Kropotki vom 10ten bis 13ten Februar 1921, wo er eine Rede gegen die Bolschewiki hielt.
Am 12 August 1937 wurde Aron zusammen mit vielen anderen Anarchist*innen im Gefängnis Tobolsk hingerichtet. Das Schicksal seiner späteren Langzeitpartnerin der Anarchistin Fanya Avrutskaya und ihrem Kind Voltairina (benannt nach Voltairine de Cleyre) ist unbekannt.

Weiterführendes:
Baron, Aron Davidovich (aka Kantorovich, Faktorovich, Poleyevoy) 1891-1937- Nick-Heath: https://libcom.org/article/baron-aron-davidovich-aka-kantorovich-faktorovich-poleyevoy-1891-1937
A Letter of Aron Baron from Tashkent [1929] – Aron Baron: https://gulaganarchists.wordpress.com/2016/05/02/a-letter-of-aron-baron-from-tashkent-1929/
A Letter of Aron Baron from the Solovetsky Islands – Aron Baron: https://gulaganarchists.wordpress.com/2014/04/10/a-letter-of-aron-baron-from-the-solovetsky-islands/
Letter of Aron Baron to Senya Fleshin (Voronezh, 1931) – Aron Baron: https://gulaganarchists.wordpress.com/2014/04/09/letter-of-aron-baron-to-senya-fleshin-voronezh-1931/

Aron Baron (ungekürzt).pdf

Dimitri Popov

Dimitri Popov wurde 1892 in eine Bäuer*innenfamilien im Dorf Kononova in der Provinz Moskau geboren. Mit vierzehn arbeite er in den Moskauer Fabriken. 1917 schloss er sich der Partei der Linken Sozialrevolutionär*innen (linke SRs) an und nahm als Mitglied deren zentralen Ausführungskomitees am Aufstand in Petrograd (heute: Saint Petersburg) teil. 
Er wurde Kommandeur der Roten Garde in Karelien und gründetet die rot-sowjetische, finnische Einheit, welche nach Moskau beordert wurde. Diese wurde am 8. April als deren Kampfeinheit Teil der Tscheka (bolschewikische Geheimpolizei). Dann führte er den Aufstand Linker SRs gegen die Bolschewiki vom 6.-7. Juli 1918 in Moskau an und verhaftet u.a. den Chef der Tscheka und andere bolschewikische Anführer*innen.
Nach der Niederschlagung des Aufstands versteckte er sich. Das Zentralkomitee der Bolschewiki erklärte ihm zu Kriminellen und verurteilt ihn in Abwesenheit zum Tod. Er floh nach Kharkov/Kharkiv und organisierte in der Ukraine einen weiteren Aufstand der linken SRs. Danach kämpfte er unter dem Pseudonym Kormilitsyn in der Roten Armee, während der Schlacht um Bakhmut erkannten die Bolschewiki ihn jedoch und er floh.
Im Herbst 1919 organisierte er eine bewaffnete Gruppe um die Weißen (Zarist*innen und andere Reaktionär*innen) zu bekämpfen, diese schloss sich der anarchistischen Revolutionären Aufständischen Armee der Ukraine (RAAU) an. Er begann anarchistische Literatur zu lesen und erklärte sich selbst zum Anarchisten. Er kämpfte sowohl militärisch, als auch durch kulturelle und politische Aufklärungsarbeit.
Er soll in seiner Wohnung in Kharkov/Kharkiv regelmäßig Trinkgelage organisiert haben, weshalb Nestor Makhno, bekanntester Anführer der RAAU, ihm einen Brief zu Erinnerung an „seine große Verantwortung“ schrieb. Er war Teil der Delegation der anarchistischen Föderation der Ukraine (Nabat), freien Territorien und RAAU, welche im November 1920 mit den Bolschewiki einen Bündnis (gegen die Weißen) aushandeln sollte. Die Delegation wurden am 26.11.1920 während der Verhandlungen verhaftet und Dimitri wurde im Mai 1921 hingerichtet.

Weiterführendes:
Popov, Dimitri Ivanovich, 1892-1921 – Nick Heath: https://libcom.org/article/popov-dimitri-ivanovich-1892-1921
Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Dmitry_Ivanovich_Popov

Dimitri Popov (gekürzt).pdf

Domingo Ascaso Abadía

Domingo Ascaso Abadía wurde 1895 in Almudévar (Aragon – Spanien) geboren und arbeitet später als Bäcker in Zaragoza, wo er sich einer militanten anarchistischen Gruppe anschloss, welcher u.a. die Tötung des Chefredakteurs vom „Heraldo de Aragón“ einer lokalen konservativen Zeitung zugeschrieben wird. Dieser soll aufständische Soldaten verraten haben.
1921 zog Domingo mit seinem ebenfalls anarchistischen Bruder Francisco nach Barcelona. Dort schloss er sich den anarchistischen Militanten Los Justicieros („den Rächern“ – versuchten u.a. den König zu töten) und später den Los Solidarios („Den Solidarischen“) an, wo er auch Buenaventura Durruti kennenlernte. Als im September 1923 die Diktatur Primo de Riveras begann, floh er vor Strafverfolgung und ging nach Frankreich. Hier traf er Buenaventura und seinen Bruder wieder. Diese organisierten mehrere Guerillaaktionen über die Grenze hinweg.
1929 ließ er sich in Brüssel nieder und verkaufte dort Taschentücher und Schreibwaren. Als 1931 die zweite Spanische Republik ausgerufen wurde, zog er zurück nach Barcelona und wurde Mitglied der Iberischen anarchistischen Föderation (FAI). 1932 wurde er wegen Beteiligung an einem Aufstand kurzzeitig in die spanische Kolonialstadt Dakhla (Westafrika) verbannt. Nach der Rückkehr arbeitet er als Konditor und Delegierte der anarchistischen Gewerkschaft CNT.
Im Juli 1936 mit Beginn des spanischen Bürger*innenkriegs und der anarchistischen Revolution war er im Zentralen Komitee der antifaschistischen Milizen Kataloniens aktiv und leitet die anarchistische Milizeinheit Ascaso Kolone (nach seinem Bruder benannt, der beim Aufstand gegen den Militärputsch im Juli 1936 getötet wurde). Als diese Anfang 1937 ins staatliche Militär gezwungen wurde, verließ er sie. Er wurde während den Maiereignisse 1937 in Barcelona und den Kämpfen dabei von den Stalinist*innen (Kommunistische Partei Spaniens) und der unter ihrem Kommando stehenden Polizei zusammen mit hunderten weiterer Anarchist*innen ermordet.

Weiterführendes
Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Domingo_Ascaso_Abad%C3%ADa
The Tragic Week in May: the May Days Barcelona 1937 – Augustin Souchy: https://libcom.org/article/tragic-week-may-may-days-barcelona-1937-augustin-souchy  
Wikepdia -‘Maiereignisse: https://de.wikipedia.org/wiki/Maiereignisse

Domingo Ascaso Abadia(gekürzt).pdf

Fanya Baron

Fanya  Baon wurde als Freida Anisimovna Greck 1887 in Vilnius (heute Litauen, damals Russisches Reich) in eine jüdische, litauische Familie geboren. In jungen Alter zog sie mit ihrer Familie in die USA, wo ihre Familie sich in Grefenson unbenannt. Dort lernte sie den Anarchisten Aron Baron kennen, den sie 1915 heiratet.
In Chicago war sie bei den Industrial Workers of the World (IWW), einer stark anarchistisch beeinflussten sozialrevolutionär, syndikalistischen Gewerkschaft, aktiv und organisierte zusammen mit Aron und Lucy Parsons Demonstrationen. Am 17. Januar 1915 leitet sie den russischsprachigen Revolutionären Chor bei einer Kundgebung bei der u.a. Lucy Parsons sprach, anschließend wurde sie von der Polizei bewusstlos geschlagen und verhaftet (sie kam auf Kaution frei).
1917 kehrte sie im Rahmen der Februar-Revolution zusammen mit Aron nach Russland zurück. Sie baute die anarchistischen Föderation in der Ukraine Nabat (Alarm) mit auf. Sie wurde dann am 25. November 1920 zusammen mit vielen anderen Anarchist*innen bei einer Konferenz in Kharkov/Kharkiv von der Tscheka (bolschewikisches Geheimpolizei) verhaftet.
Am 10. Juli 1921 gelang ihr und 9 anderen Anarchist*innen die Flucht aus dem Gefängnis Ryazan. Anschließend plante sie Aron bei der Flucht aus sener Haft in Moskau zu helfen. Am 17. August wurde sie jedoch erneut von der Tscheka verhaftet. Diesmal in der Wohnstätte von Arons Bruder.
Am 29. September 1921 wurde sie mit der Begründung, „Komplizin bei antisowjetischen kriminellen Handlungen zu sein“ erschossen. Einer der 9 anderen Anarchist*innen, die mit ihr ermordet wurden war der Dichter Lev Chernyi. Aron Baron wurde 1937 in einem sowjetischen Lager ermordet. Fanya Baron soll bis zum Moment ihrer Hinrichtung Widerstand gegen ihre Henker*innen geleistet haben.

Weiterführendes:
Baron, Fanya aka Fanny Grefenson, aka Anisimovna aka Fanny Baron 1887-1921 – Nick Heath: https://libcom.org/article/baron-fanya-aka-fanny-grefenson-aka-anisimovna-aka-fanny-baron-1887-1921 
Fanya Baron – Biography: https://www.jewage.org/wiki/en/Article:Fanya_Baron_-_Biography
Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Fanya_Baron

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Fedir Shchus

Fedir Shchus wurde 1893 im kleinen Dorf Dibrivka (damals russisches Reich, heute Ukraine) geboren. Er war Kind einer armen Bäuer*innenfamilie. 1915 wurde er einberufen und meldet sich für die Marine, wo auf einem Kriegsschiff im Schwarzen Meer stationiert wurde. Er soll während seiner Zeit bei der Marine sehr viel Kampfsport trainiert haben. Als die Revolution 1917 ausbrach kehrte er in seine Heimstadt zurück. Dort gründet eine Schwarze Garde Einheit. Die Schwarzen Garden waren anarchistischen Kampfeinheiten, sie enteigneten u.a. und töten auch manchmal lokale Großgrundbesitzer und andere Kapitalist*innen, sowie hohe staatliche Funktionäre. Später beteiligte sich die von Fedir angeführten Einheiten an Kämpfen mit den Mittelmächten (Deutschland, Ostereich-Ungarn, Osmanisches Reich und Bulgarien). Im Juli 1918 erlitten sie eine Niederlage gegen die österreich-ungarische Arme, welche Dibrivka besetzte und die Aufständischen zum Rückzug in die dichten Wälder zwang. Gemeinsam mit Kämpfer*innen der anarchistischen Revolutionären Aufständischen Armee der Ukraine (RAAU) gelang es später die österreichisch-ungarischen Soldaten aus dem Dorf zu vertreiben. Am 5. Oktober 1918 wurde Dibrivka dann von diesen zerschossen und erneut besetzt.
Im November wurde Fedirs Einheit auf dem Rückzug teilweise aufgerieben und er erlitt eine Schusswunde am Beim. Immer wieder kam es zwischen Fedir und Nestor Makhno den Anführer RAAU zu Konflikten, weil Fedirs Truppe unangemessen (wahrscheinlich daher nicht nur Reiche) geplündert haben soll. Nachdem am 24. Juni 1919 endgültig der offene Kampf mit den Bolschewiki ausgebrochen war zog sich Fedir mit 250 Kämpfer*innen auf die Rechte Dnipro Seite zurück. Dort gab es kurz den Versuch sich mit einen von Bolschewiki abtrünnigen ukrainischen linksnationalistischen General zu verbünden. Nachdem dieser in Erwägung sich mit der Weiße Armee (Zarist*innen und andere Reaktionär*innen) zu verbünden erschossen die Anarchist*innen ihn und seine Kämpfer*innen schlossen sich ihnen an. Bis Juni 1921 kämpfte Fedir mit einer der letzten verbliebenen anarchistischen Guerillagruppen gegen die Rote Armee, die ihn schließlich ermordet.

Weiterführendes:
Wikipedia:
https://en.wikipedia.org/wiki/Fedir_Shchus

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Foma Kozhyn

Foma Kozhyn wurde am Ende des 19. Jahrhunderts in Katerynivka in der Region Donetsk (damals Russisches Reich, heute umkämpft zwischen Ukraine und Russland) geboren. Im Dezember 1918 leitet er eine aufständische Einheit, welche in die Rote Armee integriert wurde. 1919 befehligte er ein Maschinengewehr-Team welches Teil des 13ten Sowjet-Regimentes war und wurde später Brigade-Kommandeur.
Zu diesen Zeitpunkt hatte er bereits anarchistische Ansichten. Als die Bolschewiki begannen eine reguläre staatliche Armee aufzubauen und vorher oft von Rät*innen und Arbeiter*innen kontrollierte Betriebe zu verstaatlichen, sowie die basisdemokratischen Räte (Sowjets) zu entmachten, floh er am 20. Juni 1919 zusammen mit seinem Maschinengewehr-Team und schloss sich der anarchistischen Revolutionären Aufständischen Armee der Ukraine (RAAU) an. Die Bolschewiki schickten eine Sondereinheit, um ihn festzunehmen, diese wurde von Fomas Einheit jedoch getötet. Er beteiligt sich an der Planung mehrerer Erfolge gegen die Weiße Armee (Zarist*innen und andere Reaktionär*innen) u.a. in Melitopol und auf der Krim.
Als die Bolschewiki die RAAU im Sommer 1919 zu Kriminellen, erklärten ging Foma kurzzeitig in seiner Heimatregion zurück. Die Tscheka (bolschewikische Geheimpolizei) war ihm aber bereits auf den Fersen und er organisierte neue Kampfeinheiten. Seine Einheit aus 300 Kavallerist*innen und 12 pferdegezogenen Maschinengewehren zog durch mehrere Dörfer und Städte, dabei zerstörte sie die lokalen staatlichen Aufzeichnungen und tötete Militärkommissare und Polizisten. In Starobesheve besiegte er eine Einheit der Roten Armee.
Im April erreichten sie andere Aufständische, wenige Tage später erlitten sie ein heftige Niederlage gegen Einheiten der Tscheka. Dabei verloren sie auch eine Schwarze Fahne mit der Aufschrift: „Frei leben oder sterben!“ und eine Rote Fahne mit: „Lange Lebe die Rote Armee, welche die Soziale Revolution verteidigt“. Sie flohen in die Überschwemmungsgebiete der Dnieper.
Zusammen mit Fedir Shchus leitet er später weitere Kampfeinheiten, die den Kampf gegen die Bolschewiki fortsetzten. Im Sommer 1921 wurde die Lage der Aufständischen jedoch immer aussichtsloser. Die genauen Umstände und der Zeitpunkt von Fomas Tod sind unklar, entweder soll er im Kampf gegen die Rote Armee tödlich verwundet worden sein, sich aufgrund einer Verwundung (aus Angst vor Genfangnahme) selbst getötet haben oder von den Bolschewiki hingerichtet worden sein. In jeden Fall haben sie ihn ermordet.

Weiterführendes:
Kozhin, Foma (18?- 1921) – Nick Heath: https://libcom.org/article/kozhin-foma-18-1921
Wikidpedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Foma_Kozhyn

Foma Kozhyn(gekürzt).pdf

Francesco Ghezzi

Francesco Ghezzi wurde 1893 in Mailand, geboren. Er schloss sich der anarchistischen Bewegung während der Solidaritätskampagne für den anarchistischen (Anti-)Pädagogen Francisco Ferrer an, der am 13. Oktober 1909 vom spanischen Staat hingerichtet wurde. 1916 organisierte er in Mailland eine große Anti-Kriegsdemonstration gegen den Ersten Weltkrieg und wurde dabei kurzzeitig verhaftet.
Francesco floh 1917 vor den Militärdienst in die Schweiz und reiste anschließend durch verschiedene europäische Länder. 1921 nahm er für eine italienische anarchosyndikalistische Gewerkschaft (Unione Sindacale Italiana) und Schweizer kommunistische Jugend an einem Gewerkschaftskongress in Russland teil. Als er Russland verließ nahm er Aufnahmen der Beerdigung Peter Kropotkins mit. Anschließend reiste er weiter durch Europa, lebte eine Zeitlang in Berlin. Dort nahm er 1922 am Kongress der anarchosyndikalistischen Internationalen teil, wurde danach  im Knast Moabit inhaftiert. Er entging der Abschiebung nach Italien indem er sich als russischer Staatsbürger ausgab und nach Russland deportieren ließ.
Ab 1923 lebte er in Yalta in einer Landwirtschaftlichen Kommune, dort besuchten ihn italienischsprachige Anarchist*innen im Exil. 1924 schrieb er gegen die Verhaftung des Anarchisten Nicolas Lazarévitch durch die Sowjetunion einen Protestbrief. Einige Jahre später zog er nach Moskau, arbeitet dort im Kropotkin Museum und half Kontakt zwischen den größtenteils aus dem Untergrund handelnden russischen/russischsprachigen Anarchist*innen und der weltweiten Bewegung herzustellen.
1929 wurde er erstmals vom OGPU (der sowjetischen Staatssicherheit) kurzzeitig verhaftet und verbrachte ab 1937 den Rest seines Lebens in sowjetischer Inhaftierung. Während dieser Zeit schrieb er: „Ich erkläre, dass ich ein Anarchist war und bleiben werde und dass niemand meine Überzeugungen ändern wird.“ Er starb am 03.08.1942 im Arbeitslager Vorkuta, kurz bevor er hingerichtet werden sollte.

Weiterführendes:
On Francesco Ghezzi, 1951 – Rudolf Rocker: https://theanarchistlibrary.org/library/rudolf-rocker-on-francesco-ghezzi
Thoughts on Francesco Ghezzi, 2020 – Kate Sharpley: https://libcom.org/article/thoughts-francesco-ghezzi
Francesco Ghezzi: Italian Anarchist in Vorkuta – Barbara Ielasi and Mikhail Tsovma: https://www.katesharpleylibrary.net/sj3w24

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Grigori Gorev

Grigori Gorev wurde 1890 in der Region Ekaterinoslav (Damals Russisches Reich, heute Region Dnipro Ukraine) geboren. Er war Kind einer Arbeiter*innenfamilie. Grigori war als Mechaniker/Dreher tätig.
Ab 1917 war er dort und später in Gulyai Polye (heute: Huliaipole) in einer anarchokommunistischen Gruppe aktiv. Anarchkommunismus ist in diesem Fall die Vorstellung sich vor allem nach dem Ort des Zusammenlebens zu organisieren und dort starke Beziehungen aufzubauen, auch in seinen anderen Bedeutungen ging es nie um die Verbindung von Anarchismus und Marxismus.
Am 16. April 1918 kam es in Gulyai Polye zu einem anti-revolutionären Putsch innerhalb/gegen den lokalen Sowjet (revolutionären Rat) durch ukrainische Nationalist*innen, die später deutsche Truppen in den Ort holten. Grigori wurde verhaftet, jedoch unter der Bedingung die Stadt zu verlassen, freigelassen. Zusammen mit dem Anarchisten Boris Veretelnikov organisierte Grigori am nächsten Tag Treffen mit den Bäuer*innen einer jeden Nachbar*innenschaft auf denen diese für die Forderung der Freilassung aller durch den Putsch Gefangengenommenen stimmten. Alle Gefangenen wurden auf Grund dieses Druckes freigelassen.
Im Herbst 1918 schloss sich Grigori der anarchistischen Revolutionären Aufständischen Armee der Ukraine (RAAU) an und war in ihrem Hauptquartier tätig. Ende Dezember war Grigori an der Aushandlung eines Bündnisses mit dem Bolschewiki beteiligt, dem es kurzzeitig gelang Ekaterinoslav (heute Dnipro) von den republikanischen, ukrainischen Nationalist*innen um Symon Petliura zu befreien.
Am 24. April 1919 wurde Grigori gemeinsam mit anderen Mitgliedern der RAAU in Ekaterinoslav von der Tscheka (bolschewistischen Geheimpolizei) verhaftet, kam nach einigen Tagen wieder frei und bliebe für da Hautquartier der RAAU aktiv. Im Sommer 1919 wurde er von der Roten Armee ermordet.
Weiterführendes:
Gorev, Grigori (1890-1919) Nick Heath:
https://libcom.org/article/gorev-grigori-1890-1919
Nestor Makhno: Anarchy’s Cossack – Alexandre Skirda:
https://theanarchistlibrary.org/library/alexandre-skirda-nestor-makhno-anarchy-s-cossack

Grigori Gorev(ungekürzt).pdf

Hryhory Vasylivsky

Hryhory Vasylivsky wurde in der Stadt Gulyai Polye (heute: Huliaipole) in der Region Zaporizhzhia/Zaporizka (damals Russisches Reich, heute umkämpft zwischen der Ukraine und Russland) in eine ärmliche Bäuer*innenfamilie geboren. Sein genaues Geburtsdatum ist unbekannt.
In Folge der Revolution 1905 schloss er sich der Vereinigung armer Bäuer*innen – der lokalen Anarchistischen Gruppe an. Die Gruppe führte eine Reihe von Enteignungen in Form von bewaffneten Überfällen auf Reiche und Staatseinrichtungen durch. Hryhory wurde ein enger Freund von Nestor Makhno (ebenfalls in Gulyai Polye geboren) dem späteren Anführer der anarchistischen Revolutionären Aufständischen Armee der Ukraine (RAAU).
Für die RAAU leitet Hryhory Kampfeinheiten. Im April 1919 schloss er sich in Mariupol einer Kontrrazvedka Einheit (Organisation der RAAU für Informationsbeschaffung, Attentate und Gegenspionage) unter der Leitung Lev Zadovs an.
Er wurde einer der Leiter des militärischen Teils der Kontrrazvedka und beteiligte sich u.a. an der Tötung des ukrainischen linksnationalistischen Militärführers Nykyfor Hryhoriv. Mit diesen hatte die RAAU erst überlegt ein Bündnis zu schließen, nachdem es jedoch Hinweise darauf gab das er ein Bündnis mit den Weißen (Zarist*innen und andere Reaktionär*innen) plante und sich an antisemitischen Pogromen beteiligt haben soll, entschieden sie ihn zu töten. Seine Truppen schlossen sich der RAAU an. Hryhory beteiligt sich außerdem an der Aufdeckung eines von den Bolschewiki geplanten Mordkomplotts gegen die Anführer*innen der RAAU. Im Nachklang wurde die vermehrt, u.a aufgrund ihres Vorgehens und dem Ausmaß ihrer Gewalt, in der Kritik stehende Kontrrazvedka aufgelöst und durch eine wesentlich stärker durch die Rät*innen der Aufständischen/Anarchist*innen kontrollierte Organisation ersetzt. Hryhory war dort ebenfalls aktiv. Später sagte er den geplanten Verrat der Bolschewiki bei den Bündnisverhandlungen (gegen die Weißen) mit der RAAU am 26.11.1920 voraus. Er wurde am 2. Januar 1921 bei Kämpfen mit der Roten Armee ermordet.

Weiterführendes: 
Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Hryhory_Vasylivsky

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Lev Chernyi   

Lev Chernyi wurde unter dem Namen Pavel Dimitrievich Turchanino als Kind eines Armeeoberst geboren. Sein Geburtsdatum ist unbekannt. Er war individualistischer Anarchist und setze sich in seinem 1907 veröffentlichten Werk „Assoziationaler Anarchismus“ für die „Freie Verbindung unabhängiger Individuen ein“.
Nach der Veröffentlichung seines Buchs wurde Lev für seinen revolutionären Tätigkeiten vom zaristischen Russland in Sibirien inhaftiert.
1917 kam er aufgrund der Februar-Revolution frei und zog noch Moskau, wo er Sekretär der Anarchistischen Föderation Moskau und einer der wichtigsten Ideologen der anarchistischen Bewegung wurde.
Am 5. März 1918 stell er sich bei eine Versammlung gegen die Russische Sowjet Republik und erklärte der sozialistische Staat sei für Anarchist*innen genauso ein Feind wie der vorangegangene bürgerliche Staat. Im Frühling 1918 wurden dann die ersten anarchistischen Kampfeinheit der Schwarzen Garden aufgestellte, um sich gegen die zunehmende Repression der Bolschewiki zu verteidigen.
Am 11. April stürmten Einheiten der Tscheka (bolschewikische Geheimpolizei) das Haus der Anarchie in Moskau (heute Lenkom Theater) und ermordeten während der Kampfe um das Gebäude 40 Anarchist*innen. Anschließend wurden hunderte weitere verhaftet. Es bildet sich eine neue militante anarchistische Gruppe – der Anarchistische Untergrund. Lev schloss sich dieser an. Am 25. September 1919 sprengten sie das Hauptquartier der Bolschewiki in Moskau in die Luft. Im Nachklang wurde Lev Chernyi zusammen mit Fanya Baron und 8 weiteren Anarchist*innen verhaftet und am 29 September 1921 erschossen.

Weiterführendes:
Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Lev_Chernyi
Die Erklärung zum Anschlag am 25. September findet ihr in diesem Aufruf: https://breakingthespell.blackblogs.org/2023/07/16/nieder-mit-den-morderinnen-der-freiheit-aufruf-zu-einer-anarchistischen-aktionswoche-gegen-linke-einheit/

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Lev Zadov

Lev Zadov wurde 1893 in der armen jüdischen Bäuer*innensiedlung Veselaya in der Südukraine (damals Russisches Reich) geboren. Sein Familie zog später nach Yuzovka in der Region Donetsk, wo sein Vater als Kutscher arbeitete. Nach seiner Grundschulzeit arbeitet Lev als Metalarbeiter und schloss sich in seiner Fabrik einer anarchistischen Gruppe an.
Zu ihrer Finanzierung raubten sie u.a. ein Amtskasse, ein Post-Büro und einen Minenleiter aus. 1913 wurde er von der zaristischen Geheimpolizei verhaftet und saß bis zur Februar-Revolution 1917 im Gefängnis. Dann kämpfte er als Teil der Roten Armee unter dem Pseudonym Zinkovsky gegen die deutsch-österreichischen Besetzungstruppen und leitet den Sowjet (revolutionären Rat) in Yuzovska.
Im August 1918 brach er mit der Roten Armee und organisierte eine eigene anarchistische Kampfeinheit, welche Teil der anarchistische Revolutionäre Aufständischen Armee der Ukraine (RAAU) wurde. Auf seinen Vorschlag hin gründete die RAAU ihre eigene Organisation für Informationsbeschaffung, Attentate und Gegenspionage die Kontrarrazvedka. Die Kontrarrazvedka war unter Anarchist*innen aufgrund ihres (teils geheimen) Vorgehens und dem Ausmaß ihrer Gewalt umstritten und sollte sehr kritisch betrachtet werden.
Bis Mitte 1920 war er maßgeblich am Aufbau der Kontrarrazvedka und deren Aktivitäten beteiligt. Im August 1921 nach der Zerschlagung der RAAU half er vielen ihrer Anführer*innen darunter Nestor Makhno (mit dem und dessen Frau Halyna er befreundet war) zur Flucht über die rumänische Grenze. Dort schuf er zusammen mit seinem Bruder Daniilo ein Zentrum für die geflüchteten Anarchist*innen und ließ sich später vom sowjetischen Geheimdienst (OGPU und dann NKVD) anwerben. Sein Spionage-Netzwerk bestand größtenteils aus geflüchteten Anarchist*innen. Es ist nicht sicher, aber Viel spricht dafür, dass er als Doppelagent für die anarchistische Bewegung tätig war. Als das 1935 Netzwerk zusammenbrach, begannen Ermittlungen des NKVD und es wurden ca. 90 (ehemals aktive) Anarchist*innen verhaftet, die eine anarchistische Zelle in Odessa aufgebaut haben sollen. Levi bestritt dies.
Es gibt keinerlei Hinweise, dass Lev Informationen über Anarchist*innen oder andere Sozialist*innen an den NKVD weitergab. Er wurde am 25. September 1938 in Kyiv hingerichtet.

Weiterführendes:
Zadov, Lev Nikolaevich aka Zinkovsky aka Leva aka Levka the Bandit 1893-1938 – Nick Heath: https://libcom.org/article/zadov-lev-nikolaevich-aka-zinkovsky-aka-leva-aka-levka-bandit-1893-1938
Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Lev_Zadov

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Luigi Berneri


Luigi Camillo Berneri wurde 1897 in Lodi in der Lombardei (Norditalien) geboren. Seine Mutter war Lehrerin und sein Vater lokaler Staatsangestellter. Väterlicherseits war die Familie mit der republikanischen nationalistischen Bewegung Italiens verbunden. In seiner Kindheit erkrankte er mehrmals schwer.
Als er politisch aktiv wurde, war er zunächst Mitglieder der Jugend Föderation der sozialistischen (sozialdemokratischen) Partei Italiens und schrieb für die Zeitung l’Avanguardia. Aufgrund der Nicht-Unterstützung der Sozialistischen Jugend Föderation für Unruhen gegen den Ersten Weltkrieg in der Reggio Emilia, wo er lebte, verließ er die Föderation (Die Sozialistische Partei positioniert sich weder für noch gegen den Krieg. Luigi war klar gegen den Krieg). Einer seiner Freund*innen wurde der anarchistische Buchbinder Torquato Gobb.
Luigi heiratet die Anarchistin Giovanina Caleffi mit welcher er bis zu seinem Tod zusammenlebte. Ihre beiden Kinder Giliana und Marie Louise Berneri waren auch Anarchist*innen. Giliana schrieb u.a. für die französische anarchistische Zeitung Le Libertaire und Marie war beim anarchistischen Verlag Freedom Press aktiv.
Als Luigi einberufen wurde agitierte er in der Armee weiter gegen den Krieg. Nach dessen Ende arbeitete er als Philosophie-Professor und gründete u.a. zusammen mit Errico Malatesta die italienische anarchistische Union (welcher zur Hochzeit fast 700 Gruppen angehörten) und deren Zeitung „Umanità Nova“. 1920 nahm er an Fabrikbesetzungen in Norditalien teil.
Als 1926 die faschistische Repression, die letzten öffentlichen anarchistischen Aktivitäten unmöglich machte, musste Luigi nach Frankreich fliehen. Dort schrieb er u.a. mehrere Analysen zur Psychologie des italienischen Faschismus und zum Antisemitismus. In dieser Zeit wurde er wiederholt des Landes verwiesen und saß zweimal im Knast. Weil alle Länder um Frankreich herum ihn ebenfalls auswiesen, konnte er aber in Paris bleiben.
Mit Beginn des spanischen Bürger*innenkriegs und der anarchistischen Revolution macht er sich mit Waffen und Munition im Gepäck auf den Weg nach Katalonien. Dort wurde ihm eine Position im ökonomischen Rat angeboten, weil er aber begriff, dass es sich um einen Regierungsposten handelte, lehnte er ab und veranstaltete stattdessen einen Versammlung zu der ca. 100.000 Menschen kamem, wo er Grußworte von italienischen Anarchist*innen weitergab. Kurzzeitig nahm er in einer italienischsprachigen anarchistischen Einheit an den Kämpfen gegen die Faschist*innen an der Front teil, wegen Seh- und Gehörschwierikeiten kehrte Luigi jedoch nach Barcelona zurück. Er stellte sich gegen die Ideologie des Antifaschismus und die Militarisierung (Verstaatlichung) der Milizen. Für ihn war der bewaffnete Kampf nur zusammen mit der Revolution zu gewinnen.
Luigi wurde am Ende der Maiereignisse 1937 in Barcelona von den Stalinist*innen (Kommunistische Partei Spaniens), wohl auf direkten Befehl aus Moskau, zusammen mit dem Anarchisten Francesco Barbieri ermordet.

Weiterführendes
Berneri, Luigi Camillo, 1897-1937 – Toni – Übersetzung: David Short
https://libcom.org/article/berneri-luigi-camillo-1897-1937:
Wikipedia:
https://en.wikipedia.org/wiki/Camillo_Berneri
Texte von Beneri (auf Englisch):
https://struggle.ws/berneri.html
Giliana Beneri – Nick Heath:
https://libcom.org/article/berneri-giliana-1919-1998
Marie Louise Berneri – aus From “Freedom / 100 Years” by Freedom Press:
https://libcom.org/article/berneri-marie-louise-1918-1949
Giovanina Calleffi – Nick Heath:
https://libcom.org/history/caleffi-giovanina-1897-1962
The Tragic Week in May: the May Days Barcelona 1937 – Augustin Souchy:
https://libcom.org/article/tragic-week-may-may-days-barcelona-1937-augustin-souchy
Wikepdia – Maiereignisse:
https://de.wikipedia.org/wiki/Maiereignisse

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Nikolai Belyaev

Nikolai Mikhailovich (Nikita) Belyaev wurde entweder 1898 oder 1900 in einer Arbeiter*innenfamilie in der Stadt Tula (Russisches Reich – 120 km südlich von Moskau) geboren. Er erhielt ein Grundschulausbildung und war nach einem Bericht der Tscheka (bolschewistischen Geheimpolizei) Analphabet.
Zunächst war er im radikalsten Teil der Partei der Sozialrevolutionäre (SRs) den Maximalisten*innen aktiv und wechselte dann 1918 in die anarchistische Föderation Tula. Kurz darauf 1919 waren die Anarchist*innen aufgrund der bolschewistischen Repression bereits hauptsächlich im Untergrund tätig. Die Anarchist*innen führten zusammen mit Maximalist*innen und Mitgliedern der Linken SRs (einer weiteren Abspaltung der SR) mehrere Enteignungsaktionen durch und konnten neben Geld 100 Gewehre, ein Maschinengewehr und mehrere Bomben in die Hände bekommen. Nikita war anscheint, auch nachdem er aufgrund von Konflikten die anarchistische Gruppe verließ, der für die Waffen zuständige Quartiermeister.
Im November 1919 wurde er verhaftet und zu 5 Jahren Lager verurteilt. In den Jahren seiner Haft gelang ihm mehrmals kurzzeitig die Flucht und er versucht mit Anarchist*innen außerhalb der Sowjetunion in Kontakt zu bleiben. 1926 wurde er in Kyzylorda (Kazakhstan) erneut verhaftet, weil er zusammen mit A.V. Pankratov gegen die offizielle Demo und die Benennung eines Militärflughafens „in Gedenken“ an Sacco and Vanzetti, zwei italienische Anarchist*innen, die von den USA exekutiert wurden, protestierte. Die Sowjetunion nutzte ihre Hinrichtung zur Propaganda gegen die USA, während sie selbst tausende Anarchist*innen inhaftierte, folterte und ermordete.
Nikita verbrachte sein restliches Leben in Verbannung oder Lager. Vor seiner nächsten Verhaftung arbeitet 1935 er kurzzeitig als Dreher in einem Kraftwerk in Minusinsk. Im Juni 1936 wurde er wegen der Gründung einer anarchistischen Gruppe dort letztmalig verhaftet und am 13. August 1937 zusammen mit dem Anarchist*innen Aron Kopelevich Volchenok erschossen.

Weiterführendes: Belyaev. Nikolai Mikhailovich (Nikita) (1898 or 1900-1937) – Nick Heath: https://libcom.org/article/belyaev-nikolai-mikhailovich-nikita-1898-or-1900-1937

Nikolai Belyaev(ungekürzt).pdf

Olga Malitskaya

Olga Ivanovna Malitskaya wurde 1881 als Kind einer niederen Adelsfamilie in Zamosc (damals Russisches Reich, heute Zamość Polen) geboren und wurde Anarchistin in den späten 1890ern.
Zusammen mit ihrem Partner Nikolai Rogdaev war sie federführend bei der Entstehung der ersten anarchokommunistischen Gruppen in Russland und im Exil. Anarchokommunismus ist in diesem Fall die Vorstellung sich vor allem nach dem Ort des Zusammenlebens zu organisieren und dort starke Beziehungen aufzubauen, auch in seinen anderen Bedeutungen ging es nie um die Verbindung von Anarchismus und Marxismus.
Zwischenzeitlich lebte sie in Genua und begann dann 1905 mit anarchistische Untergrundarbeit im Russischen Reich. Sie war u.a. in Kyiv aktiv. Dann wurde Olga mehrmals kürzere Zeit inhaftiert und begab sich 1908 wieder ins Exil u.a. in Genua und Toulouse, währenddessen nahm sie an vielen anarchistischen Konferenzen teil.
Mit dem Ausbruch der Februar-Revolution 1917 wurde sie wieder in Russland aktiv. Anschließend verliert sich ihre Spur zeitweilig. 1932 waren sie und ihr Partner in Tashkent verbannt. Nikolai starb dort im selben Jahr (wahrscheinlich mitverursacht durch die Repression).
Olga zog nach Moskau und arbeitet dort als Leiterin einer Fabrikbibliothek. Sie wurde am 21. August 1937 verhaftet und am 23. September von der sowjetischen Geheimpolizei hingerichtet.

Weiterführendes
Malitskaya, Olga Ivanovna (Yanovna) (1881-1937) – Nick Heath:
https://libcom.org/article/malitskaya-olga-ivanovna-yanovna-1881-1937
Rogdaev, Nikolai 1880-1932 aka Uncle Vanya – Nick Heath:
https://libcom.org/article/rogdaev-nikolai-1880-1932-aka-uncle-vanya

Olga Malitskaya(ungekürzt).pdf

Olga Taratuta

 

Olga Taratuta wurde unter dem Namen Elka Ruvinskaya 1876 in Novodmitrovka in der Nähe von Kherson (damals Russisches Reicht, heute Ukraine) geboren. Sie war Kind einer jüdischen Familie und ihr Vater betrieb ein kleines Geschäft. Nach ihrer Schulzeit arbeitet sie als Lehrerin und danach in der Metallindustrie.
Mit 19 wurde sie zum ersten Mal verhaftet. In Yelysavethrad (heute Kropyvnytskyi) schloss sie sich 1898 der Sozialdemokratischen Partei an, bis s
ie 1901 nach Deutschland und in die Schweiz fliehen musste. Dort arbeitet sie an der marxistischen Zeitschrift Iskra mit und traf auch Lenin. 1903 schloss sich Olga einer anarchistischen Gruppe in Genf an und heiratet den Anarchisten Alexander Taratuta.
Die beide reisten Anfang 1904 nach Odessa, wo
sie sich zusammen mit ihrer Schwester Kahyla den Unversöhnlichen anschlossen. Zu dieser Zeit erfuhr die Bewegung sehr viel Repression, trotzdem weiteten sich anarchistische Kämpfe aus: 1906 war sehr intensiv in Odessa – es kam zu vielen Streiks, Olga und Gefährt*innen sprengten einen Dampfer einer streikbrechenden Rederei in die Luft. Sie warf auch Bomben auf Mitglieder einer ultranationalistischen Organisation, welche anti-jüdische Pogrome organisierte. Im Laufe des Jahres wurde sie zu 17 Jahren Zwangsarbeit verurteilt, konnte aber aus dem Gefängnis entkommen. Auch ihre Schwester wurde erst zum Tod, dann zu 20 Jahren Zwangsarbeit in einem Lager für „weibliche Terroristinnen“ verurteilt. Sie wurde 1911 gesundheitsbedingt zwar freigelassen, danach ist nichts mehr über sie bekannt. Vermutlich war ihr Schicksal kein Gutes.
Olga plante weitere Attentate, Anschläge und Gefangenenbefreiungen. Dem Staat gelang jedoch schließlich sie von 1908 bis 1917 im Knast Lukyanivska in Kyiv zu inhaftierten. Mit Beginn der Februar-Revolution kam sie frei und wurde bei der Gefangenenhilfe Organisation Anarchist Red Cross aktiv.
Im Juni wurde sie in das Sekretariat der anarchistischen Föderation in der Ukraine Nabat (Alarm) gewählt und repräsentierte in Kharkov/Kharkiv
die anarchistische Revolutionäre Aufständische Armee der Ukraine (RAAU). Aus deren Kreisen erhielt sie 5 Millionen Rubel für das Anarchist Red Cross der Ukraine, welches sich in Anarchist Black Cross umbenannte. 1921 wurde sie im Rahmen der Zerschlagung der anarchistischen Bewegung durch die Bolschewiki verhaftet, sie war bis 1924 erst in Haft und dann in Verbannung.
Danach schmuggelte sie u.a. anarchistische Literatur in die Sowjetunion. 1929 kam sie erneut 2 Jahre in Haft. In den 1930er verschwimmt ihre Spur. 1937 arbeitet
e sie in einer Moskauer Metallfabrik als Bohrerin. Ende 1937 wurde sie wegen „anarchistischer und anti-sowjetischer Aktivitäten“ verhaftet und am 08.02.1938 hingerichtet.

Weiterführendes
Life of Olga Taratuta and Anna Stepanova – Anarchist Black Cross Belarus:
https://abc-belarus.org/en/2022/09/19/life-of-olga-taratuta-and-anna-stepanova/?lang=en
Taratuta, Olga Ilyinichna 1876-1938 (real name Elka Golda Elievna Ruvinskaia) – Nick Heath: https://libcom.org/article/taratuta-olga-ilyinichna-1876-1938-real-name-elka-golda-elievna-ruvinskaia

Olga Taratuta (stark gekürzt).pdf

Panteleimon Belchub

 

Panteleimon Fedorovich Belchub wurde 1892 in Stary Krim (Nähe Mariupol) als Kind einer bäuerlichen Familie geboren. Er kämpfte während des Ersten Weltkriegs in einer Artillerieeinheit der russischen Armee. 1917 begann er mit dem Anarchismus zu sympathisieren. Dann schloss er sich 1919 der anarchistischen Revolutionären Aufständischen Armee der Ukraine (RAAU) an. Diese verteidigte die freien Sowjets (revolutionären Delegiert*innenräte) und (anarchistischen) Freien Territorien dort. Er wurde zum Leiter verschiedener Einheiten gewählt und nahm an Kämpfen gegen die Weiße Armee (Zarist*innen und andere Reaktionär*innen) teil. Im Februar 1921, zu einem Zeitpunkt wo die RAAU kaum noch kampffähig war, ergab er sich den Bolschewiki. Er wurde kurzzeitig inhaftiert und dann freigelassen. Anschließend kehrte Panteleimon in sein Heimatdorf Stary Krim zurück und war dort bis 1927 Bürgermeister. Währenddessen behielt er Kontakt zu ehemaligen Gefährt*innen der RAAU, es ist aber unklar ob er an deren anarchistischen Untergrundaktivitäten aktiv teilnahm.
1927 gab er das Bürgermeisteramt auf und zog sich auf einen Bauernhof zurück. Ungefähr ab dann beteiligte er sich zusammen mit dem Anarchisten Avraam Budanov daran in der Region um Mariupol Bäuer*innen und Arbeiter*innen in der Region Mariupol gegen das Sowjetische Regime zu agitieren. Sie wollten neue Guerillagruppen aufbauen und sich u.a. bewaffnet der Verstaatlichung/Enteignung der Kleinbauer*innen widersetzen, welche in den 1930ern zum Holodomor (der Ermordung durch Hunger von Millionen von Menschen durch die Sowjetunion) führte. Beide wurden verhaftet und am 15. April 1929 durch Erschießung ermordet.

Weiterführendes
Belochub, Panteleimon Fedorovich (1892-1929) – Nick Heath
https://libcom.org/article/belochub-panteleimon-fedorovich-1892-1929
Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Panteleimon_Belochub

Panteleimon Belchub (ungegekürzt).pdf

Piotr Rybin

Piotr Rybin wurde 1885 in der Provinz Jelez (Russisches Reich ungefähr 350 km südlich von Moskau) geboren. Er nahm an der Revolution in Russland 1905-1907 teil. 1907 wanderte er in die USA aus und wurde aktiv in der Union Russischer Arbeiter*innen, einer Organisation russischsprachiger anarchistischer Emigrant*innen. Er lebte u. a. in Pittsburgh und arbeitet als Drechsler und Maschinist.
1917 kehrte er im Rahmen der Februar-Revolution ins Russische Reich in die Region Ekaterinoslav (heute Region Dnipro in der Ukraine) zurück. Dort war er in der anarchistischen Bewegung und Metallarbeiter*innen Gewerkschaft aktiv. Während des Sommers 1918 schloss er sich der Roten Armee an und wurde Offizier in der dritten Armee. Er war Teil einer Gruppe, die zu diesem Zeitpunkt überlegt Mitglied der Kommunistische Partei Mitglied zu werden.
Im Sommer 1920 wurde ihm der gegen die Befreiung der Arbeit*innenklasse gerichtete Charakter des Bolschewismus bewusst und seine Postionen wurden wieder eindeutig anarchistisch. Im Oktober 1920 schloss er sich der anarchistischen Revolutionären Aufständischen Armee der Ukraine (RAAU) in Gulyai Polye (heute: HuliaipoleRegion Zaporizhzhia/Zaporizka – damals Russisches Reich, heute umkämpft zwischen der Ukraine und Russland) und den freien (anarchistischen) Territorien an. Er wurde Teil deren Rates und Sekretariats, führte kulturelle Aktivitäten durch. Im November 1920 bestand er darauf, dass sich Gulyai Polye auf einen Angriff der Roten Armee vorbereiten sollte und nahm später an Überfallen auf die diese teil. Im Januar 1921 ging er nach Kharkov/Kharkiv um dort im Untergrund tätig zu sein. Gemäß einer Anekdote, rief er am 26. Januar den Bolschewikischen Regierungschef der Ukraine Christian Rakovsky an und teilte ihm mit was er von seinem hinterhältigen Bruch der Waffenstillstandsvereinbarung und Bündnisverhandlungen (am/ab den 26.11.1920) hielt. Fünf Tage danach fand ihn die Tscheka (bolschewikische Geheimpolizei), nahm ihn fest und er wurde eine Monat später erschossen.

Weiterführendes
Rybin, Piotr (Rivkin; Zonov; Rybin-Zonov) (? – 1920) – Nick Heath: https://libcom.org/article/rybin-piotr-rivkin-zonov-rybin-zonov-1920
Wikipedia: https://de.wikipedia.org/wiki/Pjotr_Antonowitsch_Rybin#cite_note-chron-2

Piotr Rybin (ungegekürzt).pdf

Semen Karetnyk

Semen Karetnyk wurde 1893 in eine extrem arme Bäuer*innen Familie in Gulyai Polye (heute: Huliaipole) in der Region Zaporizhzhia/Zaporizka (damals Russisches Reich, heute umkämpft zwischen der Ukraine und Russland) geboren. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs arbeitet er als Stallknecht, dann wurde er zum militärischen Zwangsdienst einberufen – stieg bis zum Offizier auf. Dadurch verfügte er nach dem Krieg über viel militärische Erfahrung.
Als Nestor Makhno, der spätere Anführer der anarchistischen Revolutionären Aufständischn Armee der Ukraine (RAAU), im Juli 1918 nach langer Haft zurück nach Gulyai Polye kehrte, beratschlagten sich die lokalen Anarchist*innen, wie sie an Waffen kommen könnten. Sie lösten das Problem durch Überfälle auf eine Bank und die österreich-ungarische Besatzungsarmee. Trotz anfänglicher Erfolge wurde sie jedoch aus der Region gedrängt und Semen verwundet, bis sie am 27.1918 Gulyai Polye langfristig befreien konnten. Die RAAU richtet ihren Generalstab dort ein, dem auch Semen angehörte.
Er leitet eine Einheit, die Kämpfe gegen die Ukrainische Volksrepublik durchführte.
Semen war an der Tötung des linksnationalistischen ukrainischen Militärführers Nykyfor Hryhoriv beteiligt. Mit diesen hatte die RAAU erst überlegt ein Bündnis zu schließen, nachdem es Hinweise darauf gab, dass er ein Bündnis mit den Weißen (Zarist*innen und andere Reaktionär*innen) plante und sich an antisemtischen Progromen beteiligt haben soll, entschieden sie ihn zu töten. Seine Truppen schlossen sich der RAAU an.
Außerdem war er an der Tötung mehrere Bolschewiki beteiligt, die einen Mordkomplett gegen RAAU Anführer*innen planten. Als im August 1920 die RAAU erneut mit den Bolschewiki über ein Bündnis (gegen die Weißen) verhandelte, sprach er sich zusammen mit Dimitri Popov dagegen aus.
Semens Regiment kämpfte weiter gegen die Weißen und befreite Oleksandrivsk (heute Zaporizhzhia/Zaporizka), Melitopol und drängte die Weiße Armee bis zur Krim zurück. In Koordination mit der Roten Armee befreiten sie anschliessend viele Städte auf der Krim.
Die Bolschewiki stellten ihnen jedoch eine Falle und umzingelten die Einheit am abgesprochen
en Lagerort. Am 26.11.1920 wurde die anarchistische Delegation bei den Verhandlungen, vor denen Semen gewarnt hatte, in Kharkiv/Kharkov festgenommen und später ermordet. Semen und sein Stellvertreter wurden auf dem Weg nach in Melitopol von der Tscheka (bolschewikischen Geheimpolizei) festgenommen und hingerichtet.

Weiterführendes
Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Semen_Karetnyk

Semen Karetnyk (gekürzt).pdf

Vasily Kurylenko

Vasyl Kurylenk wurde 1890 oder 1891 im kleinen Dorf Novospasivka (heute Osypenko) in der Nähe von Berdiansk (damals Russisches Reich, heute Ukraine) geboren, wo er als Schuster arbeitete. 1910 schloss er sich der anarchistischen Gruppen in seinem Dorf an.
Nach der Februar-Revolution 1917 wurde er einer der Anführer des Aufstandes gegen die Besatzer*innen der Mittelmächte (Deutschland, Ostereich-Ungarn, Osmanisches Reich und Bulgarien) in Bediansk. Nachdem die anarchistische Revolutionäre Aufständische Armee der Ukraine (RAAU) diese in der Schlacht von Dibrivka besiegt hatte, schloss er sich der RAAU an. In der Zeit des temporären Bündnisses zwischen der Roten Armee war Vasyl an der Vertreibung der Weißen Armee (Zarist*innen und andere Reaktionär*innen) aus Mariupol beteiligt. Seine Einheit blieb der Roten Armee unterstellt. Auch als die RAAU von den Bolschewiki im Sommer 1919 zu Kriminellen erklärt wurde, verblieb er zunächst in der Roten Armee.
Im Mai 1920 brach er dann mit den Bolschewiki, wurde wieder aktiv in der RAAU. Im März 1921 wurde der Kern der Aufständischen in der Nähe Melitopol von der Roten Armee überrascht und teilte sich auf und er zog nach Berdiansk und Mariupol. Im Mai vereinte sich die RAAU wieder und griff Rote Armee Einheiten an, die Nahrungsmittel der ländlichen Bevölkerung plünderten. Am 8. Juli 1921 wurde Vasyl bei Kämpfen mit der Roten Kavallerie ermordet.

Weitführendes
Kurilenko, Vasily Vasilyevich (1891-1921) – Nick Heath:
https://libcom.org/article/kurilenko-vasily-vasilyevich-1891-1921
Wikipedia:
https://en.wikipedia.org/wiki/Vasyl_Kurylenko

Vasily Kurylenko (ungekürzt).pdf

 

 

 

 

 

 

 

 

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„Nieder mit den Mörder*innen der Freiheit!“ – Aufruf zu einer anarchistischen Aktionswoche gegen Linke Einheit https://breakingthespell.blackblogs.org/nieder-mit-den-morderinnen-der-freiheit-aufruf-zu-einer-anarchistischen-aktionswoche-gegen-linke-einheit/ Sun, 16 Jul 2023 19:36:37 +0000 https://breakingthespell.blackblogs.org/?p=51 Continue reading "„Nieder mit den Mörder*innen der Freiheit!“ – Aufruf zu einer anarchistischen Aktionswoche gegen Linke Einheit"

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Dies ist ein Aufruf für eine anarchistische Aktionswoche gegen linke Einheit vom 25.09 – 01.10.2023. Am 25. September 1919 sprengten Anarchist*innen das Hauptquartier der Bolschewiki in Moskau in die Luft. Das war eine Reaktion auf deren massiven Terror gegen die anarchistische Bewegung und andere Sozialrevolutionär*innen.
Die Geschichte der Russischen Revolution ist ein Lehrstück was die staatliche Machtübernahme oder ihr Versuch aus vermeintlich „sozialistischen Bewegungen“ macht. Was in Russland ab 1917 passierte ist kein Einzelfall: Weltweit ermordeten, inhaftierten, folterten und vergewaltigten marxistische Strömungen unzählige Anarchist*innen, manchmal als allein-herrschende Diktatur, manchmal im Bündnis mit Faschist*innen, Liberalen und Konservativen. Anschließend wurde versucht Anarchist*innen zu einer Randnotiz der Geschichte zu machen oder uns gänzlich aus den Geschichtsbüchern zu löschen. Das gelang nicht vollständig, aber es war in Teilen sehr erfolgreich. Insbesondere an Orten, wo der Anarchismus nie sehr stark war – dazu zählt das von Deutschland beanspruchte Gebiet.
Die anti-anarchistischen Auslöschungskampagnen des Marxismus fanden in der Regel statt nachdem Anarchist*innen als Fußvolk in dem eigenen Kampf um die Macht missbraucht wurden. Ein zentraler Begründung unter der Anarchist*innen in die Zusammenarbeit mit Marxist*innen gelockt wurden war, dass alle „Sozialist*innen“ sein und daher zusammenarbeiten sollten. Anstatt dem Wort sozialistisch wird heute meist der Begriff „links“ verwandt und die Forderung/Ideologie der Kooperation, oder besser des Gehorsames von Anarchistischen gegenüber staatlichen Linken nennt sich „Linke Einheit“.

Was ist „Linke Einheit“?

Linke Einheit ist ein Konzept, das die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Linken und Anarchist*innen/Anti-Autoritären propagiert1. Oft wir dies damit begründet, dass sämtliche Linke (eigentlich ist der Sammelbegriff “links” auch quatsch) doch das Selbe wollen würden: Eine „gerechte“, gleiche und solidarische Gesellschaft für Alle. Das ist alleine schon inhaltlich falsch, weil wer als „Endziel“ nicht Kommunismus oder Anarchie, sondern z.B. eine kapitalistische „soziale“ Marktwirtschaft hat oder einen staatlichen Sozialismus anstrebt, nicht das Ziel verfolgt alle Hierarchien und Herrschaftsverhältnisse zu beseitigen, sondern nur eine „bessere“ Herrschaft zu errichten. Aber auch diejenigen, welche als ihr Endziel „Kommunismus“ nennen und meinen sie sein Kommunist*innen, jedoch die staatliche Macht übernehmen wollen, vertreten eine völlig andere, gegensätzliche Position zu Anarchist*innen. Die Basis des Anarchismus ist, dass der Staat keine Mittel zu (Selbst)-Befreiung sein kann. Aufgrund dieser Analyse sind Marxismus und Anarchismus auseinandergegangen. Und die Geschichte hat sie immer wieder bestätigt.
In dem der unüberbrückbare Unterschied zwischen Anarchismus und Staatslinken also unwichtig oder gänzlich unbedeutsam erklärt wird, wird der Kern anarchistischer Theorie und Praxis als nicht bedeutungsvoll erklärt. Damit soll der Anarchismus als lebendige Bewegung klein gehalten und im Endeffekt ausgelöscht werden. Linke Einheit hat also eine Kontrollfunktion, sie soll die Dominanz von Marxist*innen und Liberalen gegenüber Anarchist*innen/Anti-Autoritären verteidigen und unsere Ressourcen für liberale und marxistische Gruppen einspannen.
Manche Verteidiger*innen Linker Einheit würden jetzt eine letzten Versuch unternehmen sie zu rechtfertigen. Sie würden Linke damit Einheit begründen, dass diese notwendig sei, weil die „Rechten“ so stark sein und „wir“ „gemeinsam gegen diese kämpfen“ müssten. Vorab: Vor allem Abwehrkämpfe führen zu wollen und so den demokratischen Status Quo2 zu verteidigen war immer schon eine menschenfeindliche z.B. rassistische (#Kolonialismus) Position, ist angesichts der so oder so zusammenbrechenden Weltordnung (#Klimakatastrophe) einfach nur noch absurd.
Aber lassen wir uns auf das Argument ein, nehmen wir an unser Ziel ist eine faschistische Diktatur zu verhindern: Klar das wollen sowohl Staatslinke, als auch Anarchist*innen, jedoch ist die Analyse wie Faschismus funktioniert eine Andere und somit auch die Strategie des Kampfes dagegen: Für Liberale und Marxist*innen ist der Faschismus eine Irrweg innerhalb der staatlichen Gesellschaft, für Anarchist*innen ist Faschismus ein Ausdruck der staatlichen Gesellschaft (und auch des Kolonialismus/Rassismus) und einer ihrer potentiellen Folgen. Konkret führt dies zu unterschiedlichen unvereinbaren Vorgehen im langfristigen und mittelfristigen Kampf gegen Faschist*innen und andere Rechte: Liberale und Marxist*innen versuchen in ihren antifaschistischen Kämpfen entweder den liberal-demokratischen Staat/Rechtsstaat zu erhalten/schützen oder die Basis für eine eigene staatliche antifaschistische Diktatur zu schaffen.
Anarchist*innen hingehen verstehen, dass Faschist*innen nur eine staatliche Diktatur schaffen können, wenn der Staat existiert und je weniger Macht der Staat hat, desto weniger Macht Faschist*innen haben, wenn sie an die Macht gelangen. Außerdem sehen wir nicht den Faschismus als „das Grundübel der Welt“, sondern bekämpfen genauso andere staatliche Herrschaftssysteme wie Monarchie, (staatliche) Demokratie, Theokratie, alle möglichen Formen der Diktatur und den Kapitalismus. Von (teilweise) nicht-staatlichen Herrschaftsformen wie Kolonialismus und Patriarchat ganz zu schweigen. Praktisch heißt antifaschistischer Kampf für Anarchist*innen also den Staat zu schwächen und los zu werden, für Liberale und Marxist*innen ihn zu schützen/stärken/übernehmen – also das Gegenteil. Aber was ist mit Zusammenarbeit bei konkreten Anlässen z.B. um einen Naziaufmarsch zu verhindern? Auch hier macht Linke Einheit keinen Sinn, in einen Blockade gegen Nazis gibt es einen*e konkrete* Feind*in und alle, die nicht auf dessen*deren Seite stehen können zeitweilige Verbündete sein, weil es dann egal ist ob sie links, konservativ oder sonst was sind. Das sieht allerdings anders aus, wenn sie z.B. dort Werbung für ihre Weltsicht oder Organisationen machen, aber auch dann müssen Linke genauso wie Konservative konfrontiert werden.
Am Beispiel von Naziaufmärschen zeigt sich aber auch wie beschränkt die Perspektive von Zusammenarbeit mit der staatlichen Linken ist, alleine aufgrund ihrer fehlenden Sicherheitskultur (der Staat, ist insbesondere für die Liberalen ja kein Feind vor dem mensch sich schützen muss), sind die eigene taktischen Möglichkeiten oft sehr eingeschränkt – das führt zu Einfalt statt Vielfalt der Taktiken.

Ein Aufruf gegen linke Einheit zu handeln.

Für eine lebendige anarchistische Bewegung und Kultur braucht es deren Selbstbestimmung. Linke Einheit ist eines der zentralen Werkzeuge von Marxist*innen und Liberalen diese zu verhindern. Linke Einheit sowohl theoretisch, als auch in der Umsetzung muss daher angriffen werden und der staatlichen Linken die Kontrolle über den Anarchismus entzogen werden. Ein Ansatzpunkt ist das Tabu des Sprechens innerhalb der deutschen Linken (Szene) über die Gräueltaten des Marxismus und Liberalismus gegenüber Anarchist*innen (und unzähligen weiteren Menschen) zu brechen. Diese Tabu dient der Absicherung der eigenen Macht. Durch das Tabu wird die anarchistische Geschichte ausgelöscht, unsichtbar gemacht und noch wichtiger: Es ist grundlegend um den Schein aufrechtzuerhalten es sei strategisch und ethisch vertretbar den Staat als Mittel zu nutzten und dessen Herrschaft übernehmen zu wollen. Es ist Zeit dagegen gemeinschaftlich vorzugehen. Andere anti-autoritäre sind selbstverständlich unsere Gefährt*innen, staatliche Linke sind es nicht, sie sind unsere Feind*innen. Ein Aktionsform kann sein z.B. in/an Linke Ort und Räume zu gehen und dort Material und Informationen zu dieser Perspektive zu verbreiten – durch Flyer, Plakate, Broschüren aber auch Veranstaltungen. Genauso wichtig ist den Zweck des Konzeptes der Linken Einheit offen anzusprechen, auch in anarchistischen Communities hat sie einen massiven Einfluss, gerade dort kann es sinnvoll sein offen vorzugehen, um einen Kultur der Transparenz und klarer geführter Konflikte zu stärken oder schaffen. In anarchistischen Räumen wird Linke Einheit entweder aufgrund von Angst, Naivität oder Unterwerfung von Gefährt*innen verbreitet oder bewusst von Menschen, die Anarchismus nur als Hobby schauspielern um sich cool – „revolutionär zu fühlen“ bzw. gezielt so tun als ob sie Anarchist*in sind, um Macht an sich zu ziehen. Im Englischen nennt mensch Letztere „Grifters“. Mit Gefährt*innen, die mit guten Absichten an Linke Einheit glauben sollte respektvoll, aber inhatlich bestimmt umgegangen werden. Die bei anderen Gruppen, welche auch als Agent*innen Linker Einheit dienen, sollte entschlossen aus unseren Räumen/Gemeinschaften raus gehalten werden. Das kann ein sehr guter Ansatzpunkt gegen Linke Einheit sein. Weitere Ziel von (direkten) Aktionen gegen Linke Einheit können (außerdem) Gruppen/Organisationen sein, welche wichtige Funktionen im örtlichen Machtgefüge der Linken Szene haben, besonders viele Übergriffe gegen Anarchist*innen verüben oder symbolisch für die Unterdrückung des Anarchismus stehen.
Wichtig ist, dass wir einen möglichst großen Graben zwischen uns der staatlichen Linken schaffen und in Räumen, wo die Chance besteht, diese ihrer Kontrolle zu entziehen ihre Machtbasis schwächen.
Dabei sollte es auch darum gehen Menschen dazu zu bringen, nicht mehr passiv Linke Einheit mitzutragen und das Konzept stattdessen aktiv anzugreifen und ggf. mit der Vorstellung Anarchismus sei links ganz zu brechen.
Welche Mittel dabei angemessen und sinnvoll sind ist eine Frage, die sich nur aus der eigenen lokalen Situation heraus beantworten lässt. Es wäre aber gut nicht das Verhalten der Linken Szene fortzusetzen und weder komplett lieb zu sein noch sinnlos pseudo-militant rumzumackern.
Auch wenn eine sinnlose Eskalation, nicht erstrebenswert ist, sollten wir uns gleichzeitig daran erinnern zu welcher massiven Gewalt staatliche Linke bereit sind, wenn ihr Machtbasis gefährdet wird. Die Nachkommen der Bolschewiki (Lennist*innen, Trotzkist*innen, Stalinst*innen und Maoist*innen) haben auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs auf dem Gebiet, was die BRD beansprucht, immer wieder Anarchist*innen und andere Anti-Autoritäre angriffen ohne das Anarchist*innen vorher (inhaltlich) gegen sie in die Offensive gegangen sind: Gewaltsame Reaktionen von ihnen und ihren zahlreichen marxistischen Freund*innen in der Linken (Szene) sind also gut möglich. Genauso möglich ist, gerade aus der liberalen Linken, ein Nutzen der staatlichen Repressionsorgane gegen uns. Ein weitere Strategie meist innerhalb der Linken Szene ist es Falschinformationen über einzelne Anarchist*innen und Gruppen zu streuen und deren persönliche Fehler aufzubauschen, also Rufmord zu betreiben. Das ist tatsächlich sogar eine der häufigsten Methoden um gegenüber der Linke Szene bzw. staatlichen Linken ungehorsame Gefährt*innen vorzugehen.
Es kann also eine gute Entscheidung sein, Handlungsweisen zu wählen, welche die eigene Identität schützen. Diese Strategie hat auch den Vorteil, dass sich ggf. der linke Racheversuch gegen sich selbst richtet. Stellen wir uns vor z.B. in einem linken Szene Raum taucht ein Plakat auf das gegen Linke Einheit Stimmung macht. Diejenigen in der Szene, welche versuchen die Anarchist*innen zu kontrollieren, werden sich fragen: „Wer hat das Plakat aufgehängt?“ Und wenn sie es nicht sofort erahnen können, Versuche des Herausfindens unternehmen. Dafür müssen sie mit Anderen sprechen und dabei wird sowohl der Inhalt (wenn auch wahrscheinlich verzehrt) verbreitet, also auch ein Klima des Misstrauens erzeugt. Es ist immer gut unsere Gegner*innen zu verunsichern und Misstrauen unter ihnen zu schaffen, dass schwächt ihren Zusammenhalt. In manchen Situationen kann ein offenes Auftreten und Selbstbewusstes Raumnehmen aber auch wichtig sein. Seid auf jeden Fall solidarisch mit Gefährt*innen, die Repression durch Linke direkt oder den Staat erfahren. Wem das passiert der*die kann gerne Breaking the Spell ([email protected]) anschreiben und wir schauen gemeinsam wie Unterstützung und Widerstand dagegen aussehen kann.
Zur Unterstützung der Aktionswochen wird Breaking the Spell in den kommenden Wochen Plakate veröffentlichen. Eine angepasste Englische Version des Aufrufs erscheint außerdem in Laufe des Julis. Und im Juli und August werden voraussichtlich auch die ersten zwei Texte aus der Reihe „Was ist die Linke Szene?“ erscheinen. Einer zu den Ursprüngen der Szene und einen zur Struktur der Szene. Ein bisschen was dazu warum die Linke Szene scheiße ist und untergehen sollte findet sich in 35 Schrecklichkeiten der Linken Szene und dem Anfangstext des Projektes.
Nun sollen die Gefährt*innen, welche den Anschlag auf die Bolschewiki 1919 organisiert haben, zur Wort kommen. Das Communique wurde aus dem Englischen übersetzt und die russische Original Version findet sich im Anarkhistic: Dokumenty i materialy [Anarchist*innen: Dokumente und Material], Rossiyskaya politischeskaya entsiklopediya (Moskau), vol 2 (1917-1935), 1999, doc n°444, pp 277-279.
Die Übersetzung ist außer an Stellen, wo klar gegenderte Sprache im Englischen benutzt wird (z.B. „Brothers“ – „Brüder“), geschlechtsneutral gewählt. An einigen Stellen gibt es inhaltlich (aus heutiger Sicht) problematische Formulierungen, die Verbreitung des Textes soll diese selbstverständlich nicht als akzeptabel darstellen und einige Inhalte sind (aus aktueller Sicht) auch schwierig. Daher die Bitte wie bei anderen, vor allen alten, Texten drüber nachzudenken und reflektieren:

Communique des 25.09.1919

„Mitbürger*innen und Brüder!

Am Abend des September 1919 wurde auf der Versammlung des Komitees der Moskauer Bolschewiki die Frage der Kampfmittel, die gegen das aufständische Volk eingesetzt werden sollten, genauestens geprüft. Die bolschewistischen Boss*innen sprachen sich einstimmig für die extremsten Maßnahmen gegen Arbeiter*innen, Bäuer*innen und aufständische rote Soldat*innen, Anarchist*innen und linke sozialistische Revolutionär*innen aus. Sie planten sogar, in Moskau den Ausnahmezustand zu verhängen und Massenhinrichtungen durchzuführen. Die Pläne der Bolschewiki sind gescheitert.

Genau zum Zeitpunkt der Abstimmung und der Verabschiedung dieser Maßnahmen gegen das Volk sprengten die revolutionären aufständischen Partisan*innen das Gebäude des Moskauer Komitees der kommunistisch-bolschewistischen Partei in die Luft. Die Trümmer dieses Gebäudes sind eine würdige Unterkunft für die Vertret*innen der blutigen reaktionären Partei der Bolschewiki und Kommissar*innen.

Das ist die Rache der revolutionären aufständischen Partisan*innen gegen die “Tschekist*innen” und “Kommissar*innen”, für die Tausenden von Bäuer*innen, Arbeiter*innen und Angehörigen der Arbeiter*innenintelligenz, die hingerichtet wurden, für die Hinrichtungen und Verhaftungen von Anarchist*innen, für die Auflösung ihrer Gruppen und Föderationen in allen Städten und Dörfern und für die Schließung aller ihrer Zeitungen und Zeitschriften.

Die Revolution wird erneut verraten, von der Rechten wie von der Linken. Der Diktator Trotzki hat die Ukraine an Denikin verkauft, und das ist kein Geheimnis, morgen werden ihm die Bolschewiki auch Größer Russland anbieten. Unser Weg wird durch die Reaktion der Roten und der Weißen versperrt, jeder unserer Schritte wird überwacht, überall wimmelt es von Spion*innen, und der*die Einzelne wird noch mehr unterdrückt als in der Zarenzeit. Überall Folter, Verhaftungen, Razzien und Hinrichtungen für den kleinsten Protest gegen die Einschüchterung durch die Kommissar*innen, und so setzen sich die Tschekist*innen durch. Die Versuche der Arbeiter*innen, die Produktionsmittel selbst in die Hand zu nehmen, wurden niedergeschlagen, indem man sie unter die Kontrolle des Staates stellte. Die Industrie und das Transportwesen brechen auseinander, die Felder wurden nicht bestellt.

Es ist notwendig, diesem barbarischen Regime ein Ende zu setzen. In den letzten Jahren haben bereits eine Reihe von Aufständen die Entschlossenheit der Bäuern*innenmassen bewiesen, die Macht der Kommissar*innen zu vernichten, aber weder die Arbeiter*innen noch die Rote Armee haben sie unterstützt. Die Bäuer*innen der Ukraine, Sibiriens und Größer Russlands erheben sich nun erneut gegen die Gewalt der Weißen und Roten Macht. Der Anarchist Makhno hat mit einer Abteilung von Partisan*innen Jekaterinoslaw, Alexandrowsk, Synelnykove, Debaltsevo und Melitopol zurückgewonnen. Die Aufständischen aus Sibirien haben Tomsk und eine Reihe anderer Städte und Dörfer zurückerobert. Anderswo in Größer Russland wachsen die Reihen der Aufständischen dank der Ankunft von Personen aus der Grünen Armee [Menschen, die sich in die Wälder geflüchtet hatten, um der Einberufung oder der Repression zu entgehen] und der Roten Armee, die in Koordination mit revolutionären Aufständischen aus Sibirien, dem Nordkaukasus, Taurien und der Ukraine agieren!

Unsere Aufgabe ist es, das Regime der Kommissarokratie und der Tschekas vom Angesicht der Erde zu tilgen und danach eine freie pan-russische Föderation der Gewerkschaften von Arbeiter*innen und der unterdrückten Massen zu errichten. Jetzt müssen wir selbst ein freies System in diesem Land errichten, ohne zu warten, bis die Errungenschaften der Oktoberrevolution völlig verloren sind.

Die dritte soziale Revolution ist nahe!

Arbeiter*innen! Verlasst die Reihen der blutigen Roten Armee und folgt dem Beispiel der Bäuer*innen, die sie aufgegeben haben. Schließt euch den Reihen der Partisan*innen an.

Bäuer*innen! Mobilisiert die Reihen eurer Partisan*innengruppen, indem ihr eure Anstrengungen verdoppelt.

Mitglieder der Roten Armee! Seid bereit und verweigert auf das Signal des Pan-Russischen Aufständischen Komitees der Revolutionären Partisan*innen hin die Ausführung der Befehle eurer Kommissar*innen.

Angehörige der grünen Armee! Verlasst die neutralen Gebiete, schließt euch den Reihen der Partisan*innen für den Kampf gegen die Rote und Weiße Reaktion an.

Sowjetische Arbeiter*innen! Seid bereit, auf das Signal des Pan-Russischen Aufstandskomitees der Revolutionären Partisan*innen die Arbeit niederzulegen.

Am 17. Juni dieses Jahres richtete das revolutionäre Militärtribunal in Charkow die folgenden sieben Aufständischen hin: Michalew-Pawlenko, Burbyga, Olezhnik, Korrobka, Kostin und Poluni, dann Dobroljubow und Oserow. Am 25. September rächten sich die revolutionären Aufständischen für ihren Tod, indem sie das Moskauer Bolschewistische Komitee in die Luft sprengten.

Tod für Tod! Die erste Tat ist vollbracht, und Hunderte von weiteren werden folgen, wenn die Mörder*innen der Revolution sich nicht rechtzeitig zerstreuen.

Das Pan-Russische Aufständische Komitee der Revolutionären Partisan*innen verlangt von den sowjetischen Behörden die sofortige Freilassung aller Bäuer*innen, Arbeiter*innen, Anarchist*innen und anderer inhaftierter Revolutionär*innen. Im Falle der Weigerung heben wir jede Handlungsfähigkeit auf. Bomben und Dynamit gibt es genug. Der Geist Bakunins lebt noch in uns, und unsere Kämpfer*innen sind zu den Held*innentaten von Ravachol fähig!

Unsere Rache für das verwüstete und gemarterte Volk wird kein Ende kennen. Alle, schließt euch uns an!

Die gemästeten Kommissar*innen ziehen sich von allen Fronten zurück, nehmen alle wertvollen Güter mit hinter die Linien und überlassen die Bäuer*innen und Arbeiter*innen ihrem Schicksal.

Unsere Aufgabe ist es, die Verteidigung der Revolution zu organisieren.

Es lebe die revolutionäre Revolte!

Nieder mit den Mörder*innen der Revolution!

Lang lebe die dritte soziale Revolution!”

Fußnote

1 Propagieren: sich dafür einsetzen

2 Status Quo: Gegenwärtige Situaton

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Breaking the Spell – Anarchistischer Aufbruch gegen die Linke Szene https://breakingthespell.blackblogs.org/breaking-the-spell-fur-den-anarchistischer-aufbruch-gegen-die-linke-szene/ Sun, 23 Apr 2023 17:29:38 +0000 http://breakingthespell.blackblogs.org/?p=22 Continue reading "Breaking the Spell – Anarchistischer Aufbruch gegen die Linke Szene"

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Disclaimer: Wenn in den Texten von Breaking the Spell von linker Szene, Linken oder links gesprochen wird ist damit nicht jede einzelne Person und Gruppe in dieser Szene gemeint. Es geht vielmehr um die Gesamtheit der Dynamiken und Strukturen, die sich in der Regel gegenseitig verstärken und aus denen ein individueller Ausbruch fast unmöglich ist. Ebenso wenig sind mit linker Szene oder links alle Menschen mit, zumindest nach ihrer Definition, linken Einstellungen gemeint. Außerhalb der linke Szene gibt es viele Menschen mit Einstellungen, welche ein grundsätzliches Streben nach gleichwertigen Beziehungen als Hintergrund haben. Nach eigener Erfahrung finden diese sich oft gerade nicht in der linken Szene oder linken Parteien wieder und werden oft von diesen abgeschreckt.

Von den Kämpfen, die es nicht gibt

Eigentlich müsste anarchistische und anti-autoritäre Kämpfe im deutschsprachigen Raum gerade stark an Fahrt aufnehmen. Den weltweit passiert genau das, außerhalb von Waldbesetzungen geschieht hier aber genau das Gegenteil. Dies anzusprechen, überhaupt zu erwähnen ist ein Tabu – etwas wobei in vermeintlich anarchistischen Gruppen und Zentren entweder die Ohren verschlossen werden oder die immer gleichen Allgemeinplätze fallen.
Überhaupt an den Aufbau von Alternativen zu denken ist schon ein Tabu. Ernsthafte Selbstorganisation, die nicht entweder einen kleinen liberalen Safer Space für den eigenen Freund*innenkreis schafft oder ausschließlich (nicht mal mehr reformistische) Sozialhilfe leistet ist undenkbar. Zeitgleich wird dauernd vom „Schönen Leben für Alle“ und „Solidarität“ gesprochen – die gleichen Phrasen, die auch in der gesamten Linken Szene zu hören sind. Die Realität eines globalen Kollaps der bestehenden Ordnung wird vollständig verdrängt. Gleichzeitig regen sich alle über
Klimaleugner*innen auf, die nicht auf die Wissenschaft hören. Als ob ein Weiter-So nicht genauso die Realität der Klimakatastrophe ignoriert.
Das ist aber keine Grundproblem des Anarchismus oder auch antiautoritärer Kommunist*innen, denn an anderen Orten werden ernsthafte Kämpfe geführt und Leuten bauen Alternativen zum Überleben (vor allem in Form von
gegenseitiger Hilfe) auf.
In dem Gebiet, das die USA beanspruchen, gab es beispielweise 2020 den größten Aufstand gegen Cops und in Teilen auch den Staat&Kapitalismus und insbesondere Rassismus und Kolonialismus seit den 1960er Jahren. Gegenseitige
Hilfe und Aufbau von Strukturen, um besser mit den aktuellen Katastrophen umgehen zu können, ist dort in den letzten Jahren auch stark angewachsen.
In sehr vielen globalen Aufständen der letzten Jahren sind Anarchist*innen zunehmend
präsent. Aber im von Deutschland beanspruchten Gebiet bleibt es ruhig. Wenn es nicht an einer globalen Schwäche des Anarchismus liegt woran dann? Es sind mit Sicherheit verschiedene Faktoren, aber einer der größten begegnet mensch immer wieder: Die Allianz mit Linken oder besser Unterwerfung der anarchistischen Bewegung und anderer Antiautoritärer unter die linke Szene. Ich schreibe bewusst linke Szene, weil ich auch einzelne, linke Menschen mit Einstellungen kennen, die sehr offenen für anarchistische und anti-autoritäre Postionen sind, vieler offener als die übliche Antifa, (Queer-)Feministische oder Klimagruppe.
In den einsamen Nächten der Lockdowns
ist der Frieden, den Anarchist*innen mit der linken Szene geschlossen haben für mich unerträglich geworden. Lange hatte ich keinen Mut es so konkret zu formulieren, schließlich ist die linke Szene überall in meiner Nähe, kontrolliert fast jeden anarchistischen Raum, greift jede Gruppe und jeden Text an.
Doch wir sind an einem Zeitpunk angelangt an dem klar ist, dass die Linke Szene sicher nur ein Hindernis oder besser ein
Schrecken ist, der das künftige Leid noch vergrößern wird. Wer in einer Pandemie, wo wie in jeder Pandemie Aufklärung, kostenlose und niedrigschwellige medizinische Versorgung einschließlich Impfungen und davon ausgehend gemeinschaftliche Verantwortungsübernahme sinnvolle Mittel sind, lieber Repression und staatliche Kontrolle fordert, wird in anderen Katastrophen noch heftigere Unterdrückung verlangen.
Deshalb ist die Zeit nicht mehr nur reif für den Bruch, sondern für den aktiven Widerstand gegen die Linke Szene, für
ihr Zurückdrängen aus sozialen Bewegungen, anarchistischen Räumen und Gruppen, allen antiautoritären Projekten. Dafür braucht es ehrliche Analysen der stillschweigenden Mechanismen der Kontrolle durch die Linke Szene und einen Tabubruch, der ihre Erzählungen – ihre Lügen angreift.
Wenn ich an anarchistischen
Aufbruch denke, habe ich Bilder von einem ganz bestimmen Ereignis im Kopf: 1999 als in Seattle beim Widerstand gegen die Konferenz der Welthandelsorganisation (WTO) hunderte Anarchist*innen von der ganzen Schildenkröteninsel¹ zusammenkamen. Für viele Gefährt*innen war das Geschehen dort ein Symbol der Widererstarkens unserer Bewegung, die durch die massive Repression in den 1930er Jahren fast ausgelöscht wurde und dann über Jahrzehnte langsam wieder wuchs. Die Generation der Menschen, die in und um Seattle 1999 radikalisiert wurden war entscheidet für die Entwicklung meiner eigenen anarchistischen Perspektiven und dem Selbstverständnis als Anarchist*in und eben nicht als links.
Das anarchistische Kollektiv Crimethinc. hat zu Seattle die Doku Breaking the Spell veröffentlicht. Daher kommt der Name meines Projektes.
Breaking the Spell soll ein kleiner Beitrag sein mit der linken Szene endgültig zu brechen, gleichzeitig wird es auch allgemeine Analysen geben über die politische und gesellschaftliche Situation und was wir als Anarchist*innen und Antiautoritäre in ihrem Angesicht (vor allem in sozialen Bewegungen)
tun können. Als kleinen Starter gibt es eine Übersicht von 35 Schrecklichkeiten der Linken Szene, ihrer Ideologie und Mythen. Zu den meisten davon wird es später längere Texte geben. Danach geht es dann weiter mit der Frage was die linke Szene ist und wie sie die anarchistische(n) Bewegung(en) kontrollieren.

¹Schildkröteninsel ist ein besserer Name für den „nordamerikanischen Kontinent“, „Amerika“ ist nämlich von Namen eines Kolonisatoren abgeleitet. Der Name und das Bild der Schildkröteninseln – Turtle Island stammt hingegen aus geschichtlichen Erzählungen vieler indigener Gruppen dort.

 

Die Strafe und Rache wird kommen

In meinen Leben und auch durch die Erfahrungen einiger anderer Anarchist*innen habe ich oft erlebt, was passiert wenn mensch ernsthaft versucht Alternativen zu linken Szene aufzubauen oder sie zu kritisieren: Kontroll-, Strafe- und Racheaktionen. Ein Beispiel, das wahrscheinlich einige Anarchist*innen in den letzten Jahren erlebt haben, ist die Reaktion auf Ablehnung von 2G- und 3G-Kontrollen in selbstorganisierten Räumen. Ich selbst habe vehemente Kritik und Ablehnung gegen deren Durchsetzung in unserem lokalen „anarchistischen Zentrum“ geäußert, das führte zu einem teilweisen, es wurde anders ausgedruckt, aber um es klar zu sagen: Hausverbot gegen mich. Ein Person die gegenüber dem verwaltenden Kollektiv still blieb, aber die Gefahren von Corona leugnet, erfuhr diese Behandelung nicht. Was mir später mit klar machte worum es eigentlich ging: Ich hatte ein Tabu gebrochen indem ich grundsätzliche Werte und Anschauungen über den gemütliche Stille der Konfliktvermeidung stellte. Die Konfliktvermeidung hieß, wie sonst in der Szene auch, Unterordnung von Anarchismus unter die linken Bestimmer*innen des Projektes. Anarchismus ist für die Linken eine nettes Label, dessen Grundpositionen aber sofort aufgeben wird sobald es schwierig wird. z.b. Menschen eine Strafe droht, wenn mal Leute keinen Impfausweise dabei haben. Dann wir die autoritäre Politik des Staates ohne langes Zögern weitergegeben. Wer sich dagegen wehrt wird dann gemeinsam bestraft.
Ein immer wiederkehrendes Muster ist, dass Kritik oder Ablehnung in so einer Situation
ausschließlich auf den eigenen „Charakter“ reduziert werden. Klar in Konflikten spielen eigene problematische Verhaltensweisen oft eine Rolle, dies sollte aber nicht dazu ausgenutzt werden richtige Kritik zu ignorieren oder als falsch darzustellen. Inzwischen ist es jedoch das zentrale Mittel geworden mit dem Menschen und Gruppen aus der linken Szene Kritik abblocken. Das entspricht genau der (links)-liberalen, manche würden sagen neoliberalen, Erzählung, die in unserer Gesellschaft vorherrscht: „Du als Einzelne*r bist verantwortlich (Übersetzt: schuld), es gibt keine gemeinschaftliche Verantwortung sich gegen die Gesamtgesellschaft zu wehren.“ Also ich bin mir bewusst, dass zu Straf- und Racheaktionen aus der Linken Szene gegen das Projekte und Beteiligte kommen wird, habe auch etwas Angst. Ganz klar überwiegt aber ein anderes Gefühl: Ich spüre, dass durch Veränderungenn in denen wir uns befinden die Linke Szene irrelevant wird. Momentan besteht ihre einzige große verbleibende Auswirkung darin jede antiautoritäre/anarchistische Perspektive klein zuhalten und durch direkte Kontrolle das Bild in der Gesamtgesellschaft Linke sein immer auf Seiten des Staates bzw. einer staatliche Gesellschaft aufrechtzuerhalten. In dieser Rolle wird sich auch irrelevant werden, aber das kann dauern und währenddessen wird ein großer Schaden angerichtet in dem jede Alternativ verhindert wird und keine Gegenmacht zum Staat entsteht. Deshalb sollte ist es wichtig diesen Weg in die vollständige Irrelevanz zu beschleunigen – auf den Untergang der Szene hinzuwirken.
Für alle, die sich ernsthaft mit der Klimakatastrophe und der restlichen Zerstörungen der Mitwelt auseinadersetzen
ist klar unsere Gesellschaft und ihre Struktur wird extrem Veränderungen erfahren. Alle Ansätze, welche in Fortführung der letzten Jahrhunderte auf parlamentarische und staatliche Politik wie Forderungen stellen, setzen werden aufgrund des zunehmenden Ressourcenmangels auch der europäischen Staaten nur noch für eine immer kleiner werdene gesellschaftliche Gruppe funktionierten. Es wird noch mehr Ausgeschlossene geben. Und die Linke Szene deren Basis staatliche Politik und Forderungen-Stellen ist, wird diese immer offensichtlicher werdenden wachsenden Ausschlüsse rechtfertigen und verteidigen. Das heißt noch härtere Kämpfe gegen alle „internen“ und an die Szene angrenzenden Alternativen. Mit dieser Logik könnte nur gebrochen werden, wenn ein Großteil der Szene sich gegen den Staat und staatliche Politik stellen würde. Im deutschsprachigen Raum ist dies vollkommen unrealistisch. Darum gibt es, wenn wir es schaffen wollen antiautoritäre Bewegungen aufzubauen, keinen anderen Weg als die Szene so lange zu schwächen bis sie keine ernsthafte Kontrolle mehr ausüben kann, auch wenn das mit viel Repression durch diese verbunden sein wird.

 

Das Problem sind die Strömungen nicht die Wassertropfen

Um nicht die gleiche liberale linke Szene-Logik individueller Schuld fortzuführen, werden in den Texten von Breaking the Spell zwar Beispiele genannt werden, aber explizit keine einzelnen Gruppen oder Personen aus der linken Szene. Es kann allerdings sein, dass aufgrund der inhaltlichen Beschreibung Projekte identifizierbar sind. Das ist ist nicht als gezielte Kritik an dem Projekt oder beteiligten Einzelpersonen zu verstanden, sondern ergibt sich als Notwendigkeit der genauen Beschreibung und Analyse.
Ausnahmen wird es geben,
wenn es zu physischer Gewalt oder Repression unter Zuhilfenahme staatlicher Kräfte (einschließlich öffentlicher Outings) gegen anarchistische und anti-autoritärer Gefährt*innen durch Linke kommt (leider schon bei anderen Gefährt*innen erlebt). Wer meint mit Gewalt oder gewaltsamen Strukturen auf inhaltliche Kritik und Ablehnung reagieren zu müssen ist eine direkte Bedrohung und wird auch so benannt.
Ein weitere Ausnahme ist Politik außerhalb der Linken Szene, wenn es um Parteien oder Politiker*innen geht, die öffentlich eh so bekannt sind, dass ihre Nennung keinen Unterschied macht. Anders sind konkrete politische Ereignisse auch schwer zu beschreiben. Selbstverständlich gilt aber auch hier: Das Problem sind Parteien, Politiker*innen – Staatlichkeit und Politik an sich.

 

Kontakt

Breaking the Spell ist grundsätzlich offenen für die Beteiligung neuer Menschen, allerdings setzt eine Zusammenarbeit mit und insbesondere Aufnahme in das Projekt (weil alle gleich viel Macht im Entscheidungsprozess haben sollen) ein längere Vertrauensbildung einschließlich nachvollziehbar inhaltlicher Distanz zur linken Szene voraus. Das soll Angriffe, Unterwanderung und Übernahme durch genau diese verhindern. Außerdem sollten Menschen möglichst schon ein gewisses Grundwissen in (aktueller) anarchistischer/anti-autoritärer Theorie und Bewegungserfahrung mitbringen, auch wenn das Projekt selbstverständlich ein gemeinsamer Lernprozess sein soll. Wer grundsätzlich Interesse hat kann sich gerne per Mail melden: [email protected]. Bitte achtet dabei auf Sicherheit, also benutzt eine anonyme Adresse über Tor und verschlüsselt die Mails. Einen PGP-Schlüssel dazu erhaltet ihr auf Anfrage. Weitere einfachere Möglichkeiten der verschlüsselten Kontaktaufnahme sind in Arbeit.

Anhang: 35 Schrecklichkeiten der Linken Szene

Als inhaltlichen Start des Projektes gibt es einen etwas längeren Text mit 35 Schrecklichkeiten der Linken Szene. Zu vielen wird es später auch noch eigene Text geben: 35 Schrecklichkeiten der Linken Szene

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35. Schrecklichkeiten der Linken Szene https://breakingthespell.blackblogs.org/35-schrecklichkeiten-der-linken-szene/ Sun, 23 Apr 2023 17:28:30 +0000 http://breakingthespell.blackblogs.org/?p=26 Continue reading "35. Schrecklichkeiten der Linken Szene"

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 Disclaimer: Wenn in den Texten von Breaking the Spell von linker Szene, Linken oder links gesprochen wird ist damit nicht jede einzelne Person und Gruppe in dieser Szene gemeint. Es geht vielmehr um die Gesamtheit der Dynamiken und Strukturen, die sich in der Regel gegenseitig verstärken und aus denen ein individueller Ausbruch fast unmöglich ist. Ebensowenig sind mit linker Szene oder links alle Menschen mit, zumindest nach ihrer Definition, linken Einstellungen gemeint. Außerhalb der linke Szene gibt es viele Menschen mit Einstellungen, welche ein grundsätzliche Streben nach gleichwertigen Beziehungen als Hintergrund haben. Nach eigener Erfahrung finden diese sich oft gerade nicht in der linken Szene oder linken Parteien wieder und werden oft von diesen abgeschreckt.

35. Schrecklichkeiten der Linken Szene

Die Linke Szene ist eigentlich keine Abgrund. Abgründe sind nicht einsehbar, aber an sich nicht voller Schrecken. An manchen Orten der Welt wie einigen Wüsten sind Abgründe mit die lebendigsten Orte, weil es in ihnen oft Schatten und Wasser gibt.
Die linke Szene ist Teilstück einer Depression. Diese Depression ist unsere Gesellschaft und wie jede Depression spaltet sie uns von einem großteils unseres Potentials ab, in diesem Fall von unserem allgemeinen Potential als Menschen. Alles vor allem vom Positiven, welches innerhalb dieser Gesellschaft nicht möglich, unvorstellbar, undenkbar und am wichtigsten unfühlbar ist. Das Wunderbare des Mensch-Seins, des Lebewesen-Seins und des Universums. Viele der nachfolgend beschriebenen Verhaltensweisen, Mythen und Logiken sind nicht auf die Linke beschränkt, teilweise dort aber zentraler als in der Gesamtgesellschaft. Sie alle sind im kleineren und größeren Ausmaß schädlich und erhalten den Status Quo. Weil die Linke Szene auch aktiv anarchistische Projekte angreift und kontrolliert, sind sie einer der Ursachen, die das Entstehen eine kämpferische anarchistische Bewegung, im vom Deutschland beanspruchten Gebiet, verhindern.

Die Schrecklichkeiten

1. Der allmächtige Wunscherfüller – Glaube an den Staat

Nichts ist grundlegender für die Linke Szene als der Glaube an den Staat und Forderungen an ihn zu stellen. Jede weitergehende Forderung, sogar jedes Einbringen in die politische Öffentlichkeit macht nur Sinn, wenn der Staat als Autorität zum „Lösen“ von Problemen angesehen wird.
Immer wenn der Staat dafür angerufen wird, wird er gestärkt. Schließlich kann er Probleme
nur lösen, wenn er die Macht hat die Gesellschaft entsprechend umzugestalten. Forderungen an den Staat zu stellen führt somit zur Ausweitung seiner Macht und damit seiner Unterdrückung.
Die einzige teilweise Ausnahme ist, wenn der Staat gezwungen wird formal Macht abzugeben. Dies erfordert aber eine direkte Bedrohung sein Machtbasis, etwas wozu die deutsche Linke nicht (mehr) in Lage ist und was die Linke Szene auch fast nie fordert. Und wenn der Staat solchen Forderungen nach Machtabgabe nachkommt, wird die Kontrolle entweder auf andere Institutionen verlagert oder durch andere Mechanismen wiederhergestellt. Eine gutes Beispiel ist die Legalisierung queerer Sexualität auf die eine Integration großer Teile queerer Bewegungen in den kapitalistischen Markt und Entwicklung neuer Kontrollwege z.B. durch die staatliche Förderung queerer Einrichtungen folgte.

2. „Der dessen Namen nicht genannt werden darf…“ – Das Tabu den Staat als Unterdrücker zu benennen

Habt ihr euch jemals gefragt, warum in linken Texten vor allem der Kapitalismus, manchmal auch das Patriarchat als Gegner*innen benannt wird, aber fast nie im gleichen M der Staat auftaucht?
Das liegt daran, dass es nach dem „Scheitern“ des Staatssozialismus
(spätestens endgültig klar ab 1989/1991), das von Anarchist*innen bereits im 19. Jahrhundert vorhergesagt wurde, die Sinnlosigkeit und Gefährlichkeit der staatlichen Machtübernahme offensichtlich ist.
Doch linke Politik
basiert weiterhin auf den gleichen Grundnahmen – uralten falschen marxistischen Grundnahmen. Den Staat als Feind zu benennen hieße selbst über die eigenen Fehler zu reflektieren und vor allem anzuerkennen, dass Anarchist*innen richtig lagen. Es wäre eine absolute Abkehr von den eigenen theoretischen Grundlagen und würde die Aufarbeitung von über 150 Jahren marxistischer/sozialdemokratischer Unterdrückung gegenüber Anarchist*innen und anderen Anti-Autoritären erfordern.
Aus dem gleichen Grund wird auch oft von der Ablehnung des „bürgerlichen Staates“ und nicht einfach nur des Staates gesprochen. Es soll einen Hintertür offengelassen werden, falls mensch doch einen Staat anerkennen möchte. Wieder geht es um das Vermeiden eigener grundsätzlicher Veränderung und Selbstkritik.
Dazu kommt ein vielleicht noch wichtiger psychologische Effekt der unsere gesamte Gesellschaft betrifft: Der Staat üb
t extreme Kontrolle, Unterdrückung und Gewalt gegen uns aus. Dagegen Widerstand zu leisten bedeutet in der Regel noch mehr abzubekommen. Um nicht in diese Situation zu kommen und unseren Schmerz und unsere Machtlosigkeit zu verdrängen, reden wir uns den Staat und sein Handeln schön, tun so als ob er gut und notwendig sei. Das nennt mensch „Identifikation mit dem Aggressor“: Menschen fangen ans sich mit den eigenen Unterdrücker*innen zu identifizieren. Damit dies aufrechterhalten werden kann bedarf es dem Tabu die Unterdrücker*innen als solche zu benennen.

3. „Gemeinsam gegen Vorurteile!“ – Idealistische Weltsicht

Die Vermeidung einer grundsätzlichen Ablehnung des Staates und damit verbunden auch Analyse wie Herrschaft, Autorität und Macht an sich funktionieren führt unweigerlich zu einer Weltsicht, welche nicht die realen Macht- und Gesellschaftsverhältnisse bzw. die gesamte Kultur und Lebensweise von Menschen, sondern deren individuelle Überzeugung in den Fokus stellt.
Somit wird Alles auf Einstellungen oder Handeln von Einzelnen reduziert. Es geht dann darum nur Überzeugungen zu verändern nicht eine gesamte Lebensweise. Hiermit ist die Vorstellung verbunden, wenn nur die Einstellungen bzw. der Diskurs (in diesem Fall ein abgehobenes akademische Wort für gesellschaftliche Diskussion/Haltung) beeinflusst würde, würde sich die Gesellschaft ändern – zugespitzt reines Reden und Schreiben gegen Unterdrückung.
Dies ist das Gegenstück des ebenso absurden „historischen Materialismus“ dem Glauben, dass alleine die materiellen Bedingungen z.B. die Produktionsweise bestimmen wie sich Geschichte entwickelt und was Menschen tun, nicht auch deren Weltsicht, Fühlen und Denken.
Menschen funktionieren aber nicht nur rein rational durch Denken und dieses Denken ist unabhängig von ihrer Lebenssituation. Genauso wenig lässt sich alleine durch Veränderung formaler Eigentums/Produktionsverhältnisse eine andere Gesellschaft schaffen. Anarchist*innen erkennen das und deshalb ist direkte Aktionen unser zentrales Mittel. Diese spaltet nicht in Weltsicht und materielle Grundlage, sondern versucht beides gleichzeitig zu verändern.

4. „Wir brauchen Gerechtigkeit und Aufklärung!“ – Glaube an moralische, individuelle Schuld und Verlangen nach Strafe

Verbunden mit dem idealistischen, moralischen Menschenbild ist die Zuschreibung individueller Schuld für menschliches Verhalten. Klar, Menschen haben Verantwortung für das was sie tun und eine gewisse Entscheidungsfreiheit, aber diese ist nicht absolut: Die Gesellschafts- und Machtverhältnisse, unsere Geschichte, unserer Aufwachsen/Erziehung, unsere Geschichte und unser Umfeld prägen uns, setzen Grenzen unserer Handlungsmöglichkeiten, Denk- und Fühlweisen.
Statt diese Strukturen und Rahmenbedingungen, sowie Beziehungen zwischen einander zu verändern (und sich anzusehen, was jede*r dafür tun und wie mensch dafür Verantwortung übernehmen kann) ist in der linken Szene der zentrale Kern des Handelns Einzelnen Schuld zu zuschreiben.
Nirgendwo zeigt sich das besser als bei der Reaktion auf staatliche Gewalt, vor allem durch die Polizei. Wenn die Polizei ihren Job macht, dass heißt z.B. nicht-weiße, nicht-kartoffelige Jugendliche ermordet, wird nach Aufklärung der einzelnen „Tat“ und Strafe für die „beteiligten Polizist*innen“, sowie manchmal „Konsequenzen“ für den*die entsprechende*n Innenminister*in verlangt.
Dahinter steht die Denkweise rassistisch-koloniale Gewalt sei ein Fehler im System und das Handeln der Cops komme aus falschen, (persönlichen) Einstellungen. Die Vorstellung schützt die hinter Unterdrückung stehenden Institutionen, weil diese nicht als Feind*innen verstanden analysiert und bekämpft werden, sondern versucht wird diese von ihren individuellen Mitgliedern und falschen Haltungen oft sogenannten „Vorurteilen“ zu reinigen. Entsprechend braucht es dann auch Mittel den*die Einzelne*n zu bestrafen und umzuerziehen.

5. „Lange leben die antifaschistischen Wasserwerfer!“ – Verteidigung von Polizei, Gerichten und Gefängnissen

Das wichtigste dieser Mittel zur Umerziehung und Bestrafung war für Linke schon immer der Staat – die Polizei, Gerichte, Knäste und Lager. Geschichtlich kommt einem*einer, wenn mensch außerhalb des linken Verdrängungskultes¹ lebt sofort das Gulagssystem der Sowjetunion in den Kopf. Aber auch vermeintlich menschenfreundlichere linke Strömungen, wie die deutsche Sozialdemokratie haben ebenfalls massiv den staatlichen Straf- und Gewaltapparat genutzt. Auch wenn „liberale Demokratien“ gegenüber der eigenen Bevölkerung etwas weniger repressiv sein konnten, weil ihre Staaten durch ihre koloniale Vormachtstellung Gewalt nach aen verlagern und ein paar Privilegien gewähren konnten oder die Bevölkerung durch die vorangegangen Herrscher*innen bereits so gebrochen war, dass sie einfacher erziehbar/gehorsam machbar war.
Heute fordert
die linke Szene wie schon erwähnt „Aufklärung und Gerechtigkeit“ manchmal ganz offen vom Staat, sehr oft versteckt. Der Adressat bleibt aber klar.
Wer soll sonst z.B. „Gerechtigkeit“ gegenüber Polizist*innen üben? Wäre es wer anderes als der Staat hieße dies automatisch sein Gewaltmonopol brechen zu müssen. So was strebt die Linke Szene nicht an, was sich allein daran zeigt, dass sie nahezu alle Demos „gegen Polizeigewalt“ bei den Cops anmeldet. Mit jeder Einforderung von staatlicher Bestrafung wird der Staat ideologisch gestärkt und dessen Strafapparat bekommt mehr Rückhalt in der Bevölkerung für seine primäre Funktion: Unterdrückung – einschließlich der Bekämpfung anti-autoritärer Bewegungen.
Mit seiner Repression
hält er dann alle Bewegungen klein, welche z.B. Macht der Polizei schwächen könnten. Je schwächer diese Bewegungen sind desto alternativloser erscheint anschließend der Ruf nach Strafe durch Gerichte und Knäste. Ein autoritärer Kreislauf, der sich immer weiter selbst verstärkt und den die Linke Szene treu mit spielt.

¹ Dass so viele Linke, insbesondere Linksradikale das gewaltige Unterdrückungssystem der Sowjetunion leugnen oder irgendwie rechtfertigen, zeigt zusätzlich wie ähnlich ihre Ideologie anderen menschenfeindlichen Weltbildern ist. Auch der Pakt zwischen Sowjetunion und Nazideutschland zur Aufteilung Osteuropas und die Deportation deutschen Sozialist*innen durch die sowjetische Regierung nach Deutschland ist weiterhin ein Tabu. Stattdessen wird die Rote Armee als antifaschistische Befreier*in gefeiert.

6. Sozialarbeiter*innenisierung von Bewegungen

Sozialarbeiter*innen statt Polizei“ – wie oft muss mensch sich dies aus der linken Szene anhören?! Was sollen Sozialarbeiter*innen für unterdrückte Gemeinschaften z.B. in einem armen, von der Polizei massiv kontrollierten Stadtteil tun? Ihnen erklären wie sie sich gegen Staat, Kapital und Kolonialismus organisieren? Wie sie Staat und Unternehmen enteignen, um an „Ressourcen“ zu kommen? Wie sie den Aufstand gegen die Polizei suchen können? Glaubt irgendwer ernsthaft jemensch, der*die direkt oder indirekt (über Vereine/NGOS) einen Auftrag/Finanzierung vom Staat hat und diesem rechenschaftspflichtig ist, würde trotz der ganzen Überwachung und Nachweispflicht über die Verwendung seiner*ihrer Gelder den eigenen Auftraggeber verraten?
Nein, Sozialarbeit ist im aller besten Einzelfall Schadenreduzierung (Harm Reduction) z.B. wenn Menschen geholfen wird Drogen auf weniger schädliche Weise zu konsumieren oder besser auf Teilaspekte ihrer Gesundheit zu achten.
In der Regel ist Soziale Arbeit Überwachung, Kontrolle und Erziehung für den Staat und den kapitalistischen Markt. Insbesondere wenn Menschen in sogenannten „schwierigen Lebenslagen“ umfangreich betreutet werden. Die Leute sollen dabei „stabilisiert“ werden, das heißt sie ins bürgerliche Leben wieder oder neu einzugliedern. Es wird ihnen gezeigt wie sie richtige Anträge stellen, Staatsanwält*innen und Gerichte um „Milde“ gegenüber ihren „Verfehlungen“ bitten können. Und ja die Wohnung sollte auch ordentlich sein, kann mensch ja nicht behandeln wie wir als staatliche, kapitalistische Zivilisation die Mitwelt! Geregelte Tagesstrukturen und Lohnarbeit schaden selbstverständlich auch nicht…
Es ist völlig akzeptabel Menschen zu zeigen wie sie besser in dieser Gesellschaft überleben können, aber wenn das nicht beinhaltet vorzuleben und zu argumentieren wie wir uns gemeinsam gegen sie organisieren und gemeinschaftlich Widerstand leisten können, ist es einfach Erziehung zur Anpassung an diese. Daran zeigt sich erneut die Vorstellung vereinzelter Verantwortung.
Genau die meinen Linke dann auch meist, wenn sie von „Empowerment“ sprechen. Der*die Einzelne soll gestärkt werden in den Machtkämpfen dieser Gesellschaft zu bestehen und vielleicht auch zusammen mit Anderen die Politik, um die Verbesserung der eigenen Lebensbedingungen anzuflehen („Interessenvertretung“).

7. „Empowerment“/„Emanzipation“ – Verehrung der Vereinzelung

Das, was in der deutschen Linken als „Empowerment“ oder „Emanzipation“ verstanden wird, ist im Prinzip der Versuch aus Menschen und einzelnen Gemeinschaften patriarchale, staatstreue Einzelkämpfer*innen zu machen, welche wie ein*e Actionheld*in mit allem alleine fertig werden – bereit sind sich aufzuopfern, um für Gerechtigkeit zu sorgen. Gleichzeitig darf dabei selbstverständlich nie die politische Arena des Staats verlassen werden.
Aber woher bekommt der*die Actionheld*n seine*ihre Waffen? Munition? Kleidung? Essen zum Muskelaufbau?
Stellen wir uns vor es ginge nicht um eine*n Actionheld*in, sondern um eine*n Aktivist*in? Woher kommt das Papier für die Flyer? Das Metall für den Laptop? Woher stammt das Essen für die Küche für Alle?²                                       
Die Vorstellung individuellen Empowerments verdeckt also die Abhängigkeiten und Beziehungen in denen wir stehen. Das Problem sind aber genau diese Beziehungen, die Zwang beinhalten und hierarchisch sind. Deshalb wird an der grundlegenden Situation unterdrückter Gemeinschaften und Gruppen nichts verändert, wenn nur Einzelne in ihnen oder einzelne Gemeinschaften gestärkt werden. Vielmehr werden sie in Empowerte und Nicht-Empowerte gespalten und die Herrschaftsstrukturen noch verfestigt. Außerdem wird der Staat keine Werbung für seine Enteignung machen, wenn er „Empowerment“ finanziert: „Löst eure Probleme selbst, aber wehe ihr desertiert dabei aus der bestehenden Ordnung“.
„Empowerment“ bedeutet also nie Gemeinschaften so zu stärken so dass in der Lage sind selbstbestimmt zu existieren und ihre Unterordnung unter Staaten beenden können.

² Die Küche für Alle bezeichnet, wenn (zubereitetes) Essen kostenlos oder gegen freiwillige Spende angeboten wird.

8. Die Gehirnmaschine – Fokus auf Ego und Vereinzelung

Die Vorstellung des Empowerment kann nur Funktionieren, wenn die Bedürfnisse einzelner Menschen über gegenseitige Beziehungen gestellt werden. Daher versteht die linke Selbstverwirklichung und unser Selbst als etwas von der restlichen Welt Abgespaltenes.
Dazu passt die vorherrschenden Meinung unser Gesellschaft nach der Menschen biologische Maschinen seien, die Linke Szene teilt diesen Glauben. Es ist die Vorstellung wir seien keine Ausdruck des Universums und einer größeren Geschichte und mit dem Ganzen verbunden, sondern ein Stück kleines Materie (Gehirn), das durch Zufall etwas erleben kann/Bewusstsein hat – fühlen, denken, wahrnehmen kann. Weil nach diesem Weltbild eben unser eigenes Erleben und damit auch unsere Gefühle keine Auswirkungen haben, sondern nur materielle Prozesse – ist das linke Weltbild zutiefst nihilistisch.
Nihilismus ist die Vorstellung das nichts Bedeutung hat. Das ist vollkommen absurd, denn dann müsste uns der Zufall bestrafen wollen? Weil warum haben wir sonst ein Gefühl von Bedeutung? Schließlich kann es nach diesem Weltbild (!) nicht durch die Evolution geschaffen wurden sein, die selektiert nur nach Eigenschaften, welche Auswirkungen haben.
Die
Folgen dieses Weltbildes sind aber leider nicht so absurd: Das Gefühl von Maschine- und Bedeutungslos-Sein zerstört die innerliche Verbindung mit der Mitwelt und ist einer der Hauptverursacher*innen von Depressionen. Um mit diesen unnötigen, schrecklichen Gefühl umzugehen wird dann oft Verdrängung in persönlichen Konsum von Substanzen, Beziehungen, Erlebnissen oder „Szenefame“ und Rausch gesucht. Da es dabei immer um das Stillen der eigenen Leere und Einsamkeit geht und sich von Grund auf mit dem Rest der Welt keine bedeutsamen Beziehung eingehen lässt (mit dem Tod ist nach diesen Weltbild eh alles vorbei), kann es hierbei immer nur um den*die Einzelne*n gehen. Die Welt ist also bedeutungslos und wir müssen das verdrängen indem wir Freude und Spaß haben – glücklich sind für immer – so sieht das linke „Gute Leben für Alle“ aus.

9. „Bloß kein Risiko eingehen…“ – Verdrängungen der eigenen Sterblichkeit

Wer die Stärke des*der Einzelnen verehrt und dessen*deren vereinzeltes Glück als Fokus hat, muss verdrängen wir schwach und verletzlich und vor allem endlich wir zumindest in unserer menschlichen Form (was nach dem Sterben kommt weiß niemensch genau) sind. Daher ist die linke Szene darauf angewiesen die Erinnerung an die eigene Sterblichkeit zu verdrängen.
Was passiert, wenn dies nicht mehr möglich ist, hat die Corona-Pandemie gezeigt, als ein Großteil der Linken offen autoritäre staatliche Reaktionen unterstützte und oft noch weitergehende einfordert: Ob „My Body, my Choice“ oder „No one is illegal“, die Pandemie entlarvte diese Parolen als leer und verlogen. An die Stelle von körperlicher Selbstbestimmung trat die Forderung nach Impfpflicht und das Schämen von Menschen, die sich nicht impfen ließen. Die Kontrolle von Ausweisen schuf eine vermeintliche Sicherheit davor infiziert zu werden und damit zu sterben, schließlich ist nach linker Szene-Vorstellung der Tod das Schlimmste und muss mit allen Mittel vermieden werden. Nur lässt er sich nicht für immer vermeiden, wir sterben alle. Es ist also unvermeidbar, dass wer den Tod verdrängt, einen Großteil der Realität verdrängt.
Dazu passt auch #Stayathome, die vermeintliche solidarische Antwort vieler Linker. Dass ein großer Teil der Gesellschaft, vor allem der in schlecht bezahlten, aber für die moderne zivilisierte Lebensweise notwendigen Jobs wie Lieferung, Ernte, Pflege oder Schlachterei arbeitete, nicht zu Hause bleiben konnte, wurde einfach beiseite gelassen. Es wäre solidarisch gewesen das Risiko zu teilen, statt sich in die eigene kleine Burg mit dem Namen Wohnung zurückzuziehen. Aber wenn mensch tot ist, kann mensch ja nicht mehr glücklich sein! Hier zeigt sich wieder, dass wenn unsere Egos und unser vereinzeltes Glück unser Handeln bestimmen wir uns auf eine immer totalitärer Welt zu bewegen.
Wenn die Risiken zu sterben zukünftig noch größer werden als bei der Pandemie, wenn die Klimatatstrophe uns auch im vom deutschen Staat beanspruchten Gebiet richtig trifft, dann wir die linke Reaktion voraussichtlich noch schlimmer sein: Wer Ausweiskontrollen und Kontaktverbote einfordert bei einer Viruserkrankung die zwar gefährlich ist, aber „nur“ 1-2% der ungeimpften Bevölkerung tötet, was wird sie*er verlangen, wenn es Hungernöte gibt? Wenn es nicht mehr möglich ist den eigenen Konsum fortzusetzen, sich abzulenken? Wozu wird die deutsche Linke bereit sein, um ihre bequeme Verdrängung aufrechtzuerhalten/wiederherzustellen?

10. Nihilistischer Erlösungsglaube und suchtvoller Hedonismus

Nihilismus und der Glaube an Erlösung scheinen auf den ersten Blick Widersprüche zu sein. Doch braucht es gerade um die eigenen Hoffnungen auf einen erlösenden Endpunkt zu fokussieren das Gefühl das Jetzt sei bedeutungslos. Gleichzeitig löst das Jetzt aufgrund der Gesellschaft, in der wir leben, massive Schmerzen aus. Daraus ist in der linken Szene eine vorherrschende Kombination aus einem nihilistischen Erlösungsglauben und einen suchtvollen Hedonismus entstanden. Es wird an eine „Welt ohne Krisen glaubt“, die durch die vermeintliche Revolution oder auch manchmal Reform kommen soll.
In der Regel gibt es aber keinerlei konkreten Überlegen dazu wie die Revolution stattfinden soll und keine Vorbereitung auf sie. Daher ist Revolution auch nichts was im eigenen Alltag eine Rolle spielt, sondern es wird ein Leben gelebt, das mit ihr eigentlich unvereinbar ist, weil
fast alles darüber dem Staat bekannt gemacht wird und sich im Rahmen des von ihm zumindest Tolerierten bewegt.
Revolution ist dann kein andauernder Prozess mehr – keine Beziehung zu
r Welt im Hier und Jetzt, sondern die Entsprechung zum christlichen Paradies, in das uns eine äußere Macht/Autoritäthier Gott – bringt (wenn wir sie anbeten) und so unseren Leben und Handeln durch dieses Endziel Bedeutung verleiht. In der linken Szene ist dieser Gott, oft unausgesprochen und unbewusst, der Staat – an den Forderungen gestellt werden.
Als eine Abwehrreaktion darauf haben einige Anarchist*innen begonnen ihr Handeln fast ausschließlich am Hier und Jetzt auszurichten. Weil sie aber leider selbst der Lüge unser Gesellschaft verfallen Alles sei eigentlich bedeutungslos und wir sein einsame, vereinzelte Egos nennen sich Egoist*innen und Nihilist*innen. So wirkt die schreckliche nihilistische Ideologie der linken Szene fort, denn statt zu akzeptieren dass alles, was wir tun bedeutungsvoll ist, und daher auch alles was im Hier und Jetzt passiert, bleiben sie bei der Begründung ihres Handels in der Bedeutungslosigkeit unserer Leben ist.
Das zeigt sich auch
in der Überschneidung mit der linken Szene in Hinblick auf deren Hedonismus. Der linke Hedonismus ist eine suchtvolle Verdrängung des eigenen Gefühls der Bedeutungslosigkeit, es wird versucht durch Konsum von Substanzen, Erlebnissen oder Beziehungen den eigenen Schmerz zu stillen. Das führt unweigerlich dazu, dass die Welt außerhalb des eigenen Egos immer mehr ein Mittel zum Zweck wird – ein Objekt, genauso wie sie es in der restlichen Gesellschaft ist. So werden all unsere Beziehungen objektifiziert. Selbstverständlich wird so das Entstehen von gleichwertigen Beziehungen verhindert, weil Gleichwertigkeit heißt Menschen, Lebewesen und die restliche Welt nicht als Objekte zur betrachten, sondern als Beziehungspartner*innen.
Ein gutes Beispiel hierfür sind romantische und sexuelle Beziehungen:
Eine der häufigsten Missbrauchsdynamiken in ihnen ist der*die Partner*in(nen) dort nicht als Menschen mit eigenen Bedürfnissen, sondern Objekt(e) zu betrachten und das eigene Glück als wichtiger als deren Selbstbestimmung zu empfinden.
Und bevor Hedonist*innen einwerfen Hedonismus müsse nicht nihilistisch sein – ja das stimmt. Hierfür braucht es aber einen Bruch mit dem nihilistischen Weltbild unserer Gesellschaft und somit der Linken.

11. „In ein paar hundert Jahren.“ – Die Revolution als ferne Utopie

Verbunden mit der Vorstellung der Revolution als Erlösung ist eine abstrakte Verschiebung dieser auf eine weit entfernte Zukunft – in der Regel „in ein paar hundert Jahren“. Dabei sagen Linke oft die Menschen müssten erst „besser werden“ in der schlimmsten Form dieser Argumentation wird erzählt: „Wenn es jetzt Revolution gebe, würden die Nazis sie machen“. Das imaginiert³ sich erst mal herbei der Status Quo sei kein katastrophaler Zustand und gleichzeitig Nazis müssten gegen den Staat Revolution machen und seien in Teilen nicht schon so gut mit dem Staat verbunden, dass sie die Macht einfach übernehmen bzw. übertragen bekommen können. Außerdem macht es klar, dass viele Linke Soziale Revolution als Konzept nicht kennen oder verstehen wollen. Soziale Revolution heißt ja gerade den Staat los zu werden und damit Nazis die Basis für Herrschaft zu nehmen: Wo es keinen Staat gibt kann der auch nicht übernommen werden.
Am wichtigsten an der Vorstellung der fernen Revolution ist aber die realitätsferne dieses Arguments, jeder*jedem der*die wissenschaftlichen Prognosen zur Klimakatastrophe ernsthaft verfolgt ist bewusst, dass die jetzige Gesellschaft untergehen wird – was nicht heißt, dass es danach besser wird. Linke leben also in einer Utopie in der alles ok genug ist, um es weiterlaufen zu lassen und dann eines Tages nicht durch jahrzehntelange Kämpfe und Selbstorganisation, sondern „Besserung des Menschen“ zur Revolution zu kommen.
Hier findet sich auch wieder die Verehrung des Staates, denn revolutionäre Selbstorganisation steht immer im Konflikt mit diesem und kann nicht über Jahrhunderte mit dem Status Quo Frieden schließen. Also sind das zentrale Mittel um zu fernen Revolution zu kommen nicht selbstorganisierte Bewegungen und somit bleibt wieder der Staat.
Das wird auch über Umwege in der linken Szene oft so geäußert, wenn es darum geht das Bildung und Aufklärung zur Veränderung zentral sein. Damit ist nämlich in der Regel nicht selbstorganisierte Bildung, sondern vom Staat mindestens finanzierte Bildung gemeint, häufig sollen aber ganz klar die staatlichen Schulen genutzten werden. Was weil diese auf Zwang beruhen nicht anderes als eine Umerziehungsfantasie ist.

³ Imaginieren – sich eine Einbildung schaffen.

12. „Der Planet gehört uns!“ – Koloniale Weltsicht und Rassismus

Hinter fast allen linken Einstellungen steht eine Verhältnis zur Welt, das eine ganz bestimmte – nämlich die europäisch staatliche, kapitalistische, patriarchale und koloniale Weltsicht als normal annimmt. Alleine zu sagen mit Revolution bzw. ernsthaften Widerstand können gewartet werden und sich auf „Reform“ der bestehenden Ordnung zu konzentrieren, stellt die eigene Bequemlichkeit vor alles Andere.
Dass seit über 500 Jahren indigene Gesellschaften für ihr Weiterbestehen kämpfen und damit real oft andere Ordnungen als die staatliche, kapitalistische, patriarchale und koloniale verteidigen wird ausgelöscht. Diese Auslöschung indigener und von allgemein Geschichte von nicht-weißen Gruppen ist zutiefst rassistisch. Und dieser koloniale Rassismus ist zentraler Kern der Linken. Überhaupt anzuerkennen, dass viele indigene Gesellschaft mindestens gleichwertig sind, hieße sich eingestehen zu müssen, dass Menschen ohne Staat leben können und die Existenz des Staates für ein „Gutes Leben“ nicht notwendig ist. Mit einen kleinen weiteren Schritt, einschließlich der Auseinandersetzung mit indigener/schwarzer und kolonialer Geschichte, ist mensch dann ganz schnell beim Schluss, dass der Staat zentrale Täter*Institution des Kolonialismus ist und, auf jeden Fall in seiner modernen Form, auch immer kolonial sein muss.
Nicht nur ideologisch ist die linke Szene rassistisch: Auf der materiellen Ebene kann die europäische Lebensweise nicht nur der Oberklasse, sondern auch der Mittel- und von Teilen der Unterklassen nur existieren, weil ein Großteil der Menschheit und die restliche Mitwelt dafür ausgebeutet wird. Auch den „Sozialstaat“ kann es in einer Gesellschaft, die aufgrund der Existenz von Staat und Kapitalismus extrem ungleich ist, nur geben, weil europäische Staaten, insbesondere der deutsche (wirtschaftlich) global eine Vormachtstellung bei der Ausbeutung der Welt haben.
Selbst wenn morgen Unternehmen, Kapitalist*innen und Staat gestürzt würden und „die Arbeiter*innen“ Büros und Fabriken übernehmen, wären sie zu Fortsetzung der Produktion auf koloniale „Rohstoffe“ angewiesen.
Die Linke Szene propagiert4 aber nicht eine möglichst große Deindustrialiserung der Gesellschaft und ein Beschränkung des „Ressourcenverbrauchs“, sondern sehr viele Linke glauben an „Luxus für Alle“ oder „Weltraumluxuskommunismus“. Auch ihre „Lösung“ der Klimakrise sieht ähnlich aus, nämlich statt den Energiebedarf stark zu senken, immer mehr Windkrafträder und Solaranlagen aufzustellen. Für die Herstellung dieser werden Boden, Menschen und andere Lebewesen an den fortgesetzt kolonialisierten Orten der Welt vergiftet und zerstört. Die Welt als Ressource zu sehen um den eigenen Konsum aufrechtzuerhalten, sei er nun von Staat Kapitalismus oder basisdemokratischen Verwaltungen organisiert, bedeutet den Kolonialismus, seine Denk- und Fühlweisen weiterzuführen.
Ein Bruch damit kann nur durch Deindustrialiserung stattfinden, das hieße aber konkret daran zu arbeiten und denn eigenen Lebensstil aufzugeben. Um sich nicht damit auseinanderzusetzen wird dann oft – extrem rassistisch – „der Menschheit“ oder „dem Wessen des Menschen“ die Schuld an der Katastrophen dieser Gesellschaft zugeschrieben. Wenn über die Folgen z.B. der Klimakatastrophe gesprochen wird geht es dann oft auch nicht konkret darum, dass hunderte Millionen bis Milliarden BIPOCS durch sie ermordet werden und allgemein leiden, sondern die Angst, dass „die Menschheit“ bzw. „unsere Zivilisation“ alias Europa und sein Staat, Kapitalismus, Patriarchat und Kolonialismus untergehen könnten. Um dies zu verhindern gibt es dann noch x Jahre Zeit, dass indigenen Menschen weltweit seit Jahrhunderten einen Weltuntergang erfahren wird rassistisch wiedermal ausgelöscht.

4 Propagieren – Etwas verbreiten und für gut erklären

13. „Vorher war nichts!“ – Geschichtslosigkeit

Geschichtslosigkeit zeichnet die Linken allgemein aus. Gerade die Geschichte des Widerstandes von schwarzen, indigenen und Menschen of Color wird größtenteils ignoriert, aktiv ausgelöscht oder als reine Geschichte der Nationalen Befreiungskämpfe dargestellt.
Wo der aktuelle Anarchismus sicher immer mehr auf Gesellschaften vor ihm und Kämpfe gleichzeitig zu ihm bezieht, muss die
Linke weiter den Traum erhalten sie, vor allem der Marxismus, habe die richtige Lösung für die Probleme der Welt. Dies liegt hauptsächlich darin begründet, dass viele BIPOC-Erzählungen und Weltbilder die industrialisierte Gesellschaft und den Staat kritisieren oder ablehnen. Eine Deindustrialisierung und Entstaatlichung ist aber nicht mit dem Fortbestehen der jetzigen Lebensweise der Linken Szene vereinbar. Statt also Selbstkritik zu üben und die eigene Theorie zu überdenken wird die Existenz anderer Perspektiven und Ansätze geleugnet.
Außerdem löscht die Geschichtslosigkeit aktiv die Schrecken der staats“sozialistischen“ Projekte aus. Auch die UdSSR und die chinesische Kommunistische Partei
haben indigene Menschen kolonialisiert und beide haben noch viele anderes Schlimmes zu verantworten. Würde der Schrecken und das Versagen der staatslinken Projekte nicht einfach tot geschwiegen oder verleugnet, dann wäre der logische Schritt der Linken Szene den Staat konsequent abzulehnen, anarchistisch oder (antiautoritär) kommunistisch zu werden. Aufgrund der zahlreichen Bündnisse mit dem Staat ist dies aber unmöglich.
Zuletzt zeigt sich diese
r Versuch Geschichte der eigenen Weltsicht und Lebensweise anzupassen – ganz wie Stalin, der politische „Genoss*innen“ aus Fotos radieren ließ, als sie später in Ungnade fielen – am Verhältnis zur anarchistischen Geschichte: Entweder wird der anarchistische Teil der Geschichte gezielt verschwiegen/umgeschrieben, wie am 1.Mai, der Kampftag wurde, wegen der Hinrichtung von 5 Anarchist*innen. Einer davon rief übrigens auf deutsch: „Hoch die Anarchie!“, bevor er gehängt wurde. Oder es sie ignoriert aktiv z.B. die anarchistischen Revolutionen im vom Spanien beanspruchten Gebiet 1936 und 1917-1921 in dem Gebiet, wo heute Krieg zwischen der Ukraine und Russland5 herrscht.
Aber wer wei
ß möglicherweise ist es auch gar nicht so schlecht, wenn die Linke durch ihre eigenen Lügen vergisst wie gefährlich Anarchist*innen sein können…

5Ein Angriffskrieg des russischen Staates.

14. Der ewige Marx-Lesekreis – Verehrung von „großen Männern“ und ihren Theorien

Die zentralste Ideologie der Linken ist der Marxismus (heute in einer oft sehr verzerrten Form). Dieser ist nach einer Einzelperson benannt. Die Verehrung von Einzelpersonen findet sich auch generell in der Linken wieder, ob es historische Führer*innen des Marxismus wie Engels, Lenin, Trotzki, Stalin oder Mao waren oder akademische Theoretiker*innen wie Adorno oder Foucault (Heutzutage kommen auch noch die Namen einiger cis6 Frauen wie Rosa Luxemburg oder Clara Zetkin hinzu). Dahinter steht die Vorstellung Einzelne oder kleine Gruppen von öffentlich auftretenden Personen würden ihre Theorie in einem Vakuum7 losgelöst von den Menschen um sich herum entwickeln. Theorien sind aber immer Ausdruck von größeren gesellschaftlichen Strömungen und Kulturen.
Und die Menschen, welche besagte Theoretiker*innen mit Essen versorgt, für sie geputzt oder in den Fabriken Güter für ihren Konsum hergestellt haben, waren genauso wichtig für die Entstehung der Theorie wie die Theoretiker*innen selbst.
Das Verständnis und Erlernen von einzelnen Theorien der großen cis Männern (und cis Frauen) statt sich mit Theorieströmungen und Kulturen zu beschäftigen, führt außerdem zu einer immensen theoretischen Schwäche: Einerseits vertreten alle Theoretiker*innen falsche Ansichten, anderseits sind die meisten zentralen Theoretiker*innen der Linken lange tot oder haben uralte nie angepasste Theorien als Grundlage.
Ein Marx-Lesekreis wird eine*n nicht verstehen lassen, wie der aktuelle demokratische Staat soziale Bewegungen integriert. So laufen Linke immer wieder in die gleichen Fallstricke und gleichzeitig machen sie alle Alternativen unsichtbar, denn z.B. heutige anarchistische Theorie ist weder durch Einzelpersonen geprägt noch lässt sie sich mit dem Denken in Einzelpersonentheorien gut verstehen.

6 Cis ist das Gegenstück zu trans*, also Menschen, die sich mit dem ihnen bei der Geburt zugewiesen Geschlecht identifizieren
7 Vakuum – (Luft) Leerer Raum

15. „Hast du eine Studie dazu?“ – Akademisierung von Theoriebildung

Die Linke verehrt nicht nur einzelne Theoretiker*innen, sondern auch die staatliche Wissenschaft und ihre Universitäten. Hier zeigt sich wieder einmal das Verhältnis zum Staat, der nicht als Feind*in, sondern Mittel zur Befreiung angesehen wird.
Diese Sichtweise führt dann dazu, dass der Staat enormen Einfluss auf soziale Bewegungen nehmen kann und in großen Teil bestimmt wie diese über sich selbst denken.
Ein super Beispiel hierfür ist, dass Bewegungen glauben sie müssten alles auf vermeintlich erfüllbare Forderungen reduzieren und ohne das Stellen von Forderungen könnten sie nichts verändern. Dieser Denkweise stammt 1:1 aus den Texten universitärer, staatlicher Bewegungsforscher*innen. Welche versuchen Ziele von Bewegungen zu identifizieren und diese in ihrem Forschungsfazit in vom Staat erfüllbare Forderungen zu übersetzen. Warum? Ganz einfach, weil sie der Staat bezahlt und sie in einer staatlichen Einrichtung arbeiten, in welcher der Staat als normal und grundsätzlich gut angesehen wird.
Außerdem gibt es eine ideologische Kontrolle der Wissenschaft durch den Staat, wer offen dazu forscht wie der Staat zerstört werden kann, wird nie eine Anstellung an einer deutschen Uni erhalten und eventuell aber ein Strafverfahren. Und auch in Bewegungen gelesene (deutschsprachige) Autor*innen, die selbst nicht direkt an einer Universität arbeiten, beziehen sich in der Regel auf maßgeblich universitäre Theorie oder sie sind wie Marx uralt und somit leicht im Sinne des Staates verzerrbar.
Dadurch, dass das staatliche Weltbild und damit zusammenhängend auch kapitalistische, patriarchale und rassistisch-koloniale Weltbild beziehungsweise Theorien aus diesem in Bewegungen immer wieder normalisiert und als Grundlage genommen werden, werden bestehende radikale, anti-autoritäre Theorien an den Rand gedrängt und jede Entwicklung eigener radikaler Theorie verhindert. Bewegungen werden liberal gemacht und somit staatstreu gehalten.

16. „Hört auf die Wissenschaft!“ – Wissenschaftsgläubigkeit

Hört auf die Wissenschaft!“, das ist heute das vermeintliche Allheilmittel der Linken. Aber bereits in dem monolithischen8 Vorstellung, es gebe bei den meisten Fragen eine genau einheitliche wissenschaftliche Position, zeigt sich der autoritäre Kern dieses Denkens. Es soll nicht mehr diskutiert und nachgedacht werden, sondern einfach auf die weisen Männer, Frauen und vielleicht auch bald Enbys9 gehört werden. Wissenschaftler*innen sind danach also keine Personen mit vielleicht etwas mehr Wissen als andere über einen Bereich, sondern Priester*innen deren Wort heilig und absolut ist.
Diese autoritäre Glaube an die Wissenschaft führt auch noch dazu, dass sich nicht bewusst gemacht wird woher was wir heute Wissenschaft nennen kommt und welche Denkmuster dahinter stehen. Universitäten und ihre Wissenschaft sind entstanden zusammen mit dem Nationalstaat, Kolonialismus/Rassismus, Kapitalismus und der Ausweitung patriarchaler Verhältnisse auf die letzten halbwegs gleichwertigen Beziehungen. Wissenschaft ist daher zutiefst von diesen geprägt. Wir sehen das z.B. dran wie sehr die Wissenschaft an der Forschung zu erneuerbaren Energien und auch der Propaganda für diese beteiligt ist – also Werbung für ein koloniales Projekt macht.
Hier zeigt sich auch die Unfähigkeit der Wissenschaft soziale Lösungen statt technologischer zu suchen, weil sie eben den Rahmen von Staatlichkeit und Kapitalismus nicht sprengen darf/kann. Oder hat schon mal wer gehört, dass Wissenschaftler*innen die Enteignung des Staates (und von Unternehmen) und gleichzeitig Deindustrialiserung empfehlen?

8 Monolith – ein einheitlicher großer Felsblock.
9 Enbys – Wort für nicht-binäre Menschen, wird oft verwendet wie Herr/Mann, Frau/Dame

17. Cyberkommunismus/Smart Cities – Technologie und Überwachung als Lösung der Klimakatastrophe

Aus der Wissenschaft kommen auch die linken Ansätze, welche vom Staat eine Lösung der Klimakatastrophe verlangen. Wenn nicht von einer magischen Technologie ausgegangen wird, welche alle Mitweltschädlichkeit auf einmal beseitigt, gibt es dafür nur eine andere Option: Einschränkung des Konsums. Und was muss der Staat tun, um den Konsum einschränken und steuern zu können? Ihn überwachen…
Im kleineren Maststab ist die linke Lösung hierfür die Smart City – also eine Stadt, in welcher durch technische Aufzeichnung und Überwachung der „Ressourcen“verbrauch genau aufeinander abgestimmt wird: Beispielsweise gibt es einen Alarm durch den Kühlschrank, wenn Lebensmittel bald ablaufen. Dies ist dann beliebig ausweitbar: Warum nicht die Wassermenge beim Duschen zählen und smart steuern? „Und ist nicht wer zu viel Wasser und auch Energie verbraucht Solidaritätsverweigerer*in10?“ „Da muss der Staat doch eingreifen!“.
Cyber“komunismus“ dehnt diese Kontrolle der*des Einzelnen dann auf Planung der ganzen Wirtschaft aus. Nach der Vorstellung von Cyber“komunnist*innen“ ist die zentralisierte Planwirtschaft nicht an den gleichen Probleme
n wie alle zentralisierten Systeme und staatlichen Bürokratien „gescheitert“ (gescheitert ist sie ja eigentlich nicht – in Kontrolle und Ausbeutung war sie gar nicht so ineffizient), sondern weil es zu wenig Rechnerleistung und Datenerfassung gab. Mit der heutigen Computertechnologie z.B. künstlicher Intelligenz würde sich das aber lösen lassen…
Wem das
mensch jetzt als totalitärer Albtraum vorkommt, dass ist es leider nicht, sondern es ist die logische Folge einen Linken, die den Staat als zentrales Mittel ihrer Politik ansieht. Ein Grund mehr sie zu bekämpfen…

10 „Solidaritätsverweigerer(*innen)“ war während der Corona-Pandemie ein linkes Wort für Menschen, die sich nicht impfen, manchmal auch nicht einsperren lassen wollten.

18. „Shoot the Messenger!“ – Verdrängung und Konfliktvermeidung

Wer bis hierhin gelesen hat, dem*der ist vielleicht aufgefallen, dass mit einen bisschen anarchistische Theorie und Analyse die „Probleme“ der linken Szene und sehr viele derer Ursachen erkennbar sind. Nun steht die linke Szene schon seit keiner kurzen Zeit in Kontakt mit Anarchist*innen und einige Anarchist*innen verstehen sich auch selbst als Teil der Linken. Warum werden anarchistische Analysen dann nicht aufgegriffen und die „Probleme“ angegangen?
Weil es leichter ist die Überbringer*innen der Nachrichten zu bekämpfen, als sich selbst kritisch zu hinterfragen, wenn ein ernsthaftes Hinterfragen eine massive Veränderung des eigenen Lebens bedeuten würde. Alleine sich nicht mehr auf Seiten des Staates zu stellen,
bedeutet vielmehr Unsicherheit und Risiken einzugehen. Auch sich die eigenen Fehler und menschenfeindlichen Einstellungen zu gestehen ist schmerzhaft. Menschen neigen grundsätzlich oft zur Verdrängung und Schuldzuschreibungen auf Einzelne statt die eigenen Einstellung und Verhaltensweisen zu verändern, einschließlich des Umfelds/der Ordnung, in welcher sie leben. Dagegen haben anti-autoritäre Gesellschaften und Bewegungen eigene Strategien, Handlungsweisen und Vorstellungen entwickelt. Ein Beispiel hierfür ist die anarchistische Ablehnung von Strafe und abstrakter moralischer Schuld oder die Erzählung von Anarchist*in-Sein als fortwährender Prozess der Selbstreflektion und Veränderung.
Die Linke
ohne Bruch aus der autoritären staatlichen, kapitalistischen, kolonialen und patriarchalen Gesellschaft kommend und auf über hundert Jahren der Abwehr anarchistischer Ideen beruhend hat keinen Zugang zu dergleichen.
Mit immer
klarer werdenden Katastrophen, Krisen und dem Fehlen einer ernsthaften auch nur Anfangsanalyse dazu, bleibt nur das Ausweichen darauf die Überbringer*innen der Nachrichten anzugreifen und sie dafür schlecht zu machen Konflikte in die heimische Stube zu tragen. Hierzu wird dann Grundsatzkritik- oder mit Auseinandersetzungen einhergehendes Brechen des vermeidlich formal korrekten Wegs durch die Kritiker*innen regelmäßig als schlimmer bewertet als die eigenen beschissenen Inhalte und deren Auswirkung.
Äußere Form wird über die Auswirkungen und den Inhalt gestellt. Die Kritiker*innen werden an
gegriffen, um das Problem nicht sehen und akzeptieren zu müssen: Der Mechanismus dahinter ist der Gleiche, wie wenn Menschen die Klimakatastrophe verdrängen und die Schuld bei jenen suchen, die sie daran erinnern oder in wie auch immer reformistischer Form gegen ihre Symbole oder Ursachen Widerstand leisten. „Wie könnt ihr es wagen Suppe auf Bilder zu schütten?“ „Wie könnt ihr es wagen den Szenefrieden zu brechen?“.
Und während die Propaganda der kapitalistischen und staatlichen Presse die Bevölkerung gegen Abweichler*innen in Stimmung bringt, findet dies in der linken Szene hauptsächlich durch informelle Netzwerke und hinter dem Rücken durch Über-Andere-Reden statt.
Dabei ist gerade wichtig, dass die Betroffenen sprachlos oder aussagelos gemacht werden. Denn genauso wie einige Konservative vielleicht Klimaaktivist*innen verstehen würden, würde sie ihre Medien lesen, hören oder sehen, könnten Linke anfangen Anarchist*innen zu verstehen oder zumindest die Kritik ernstzunehmen würden sie sich auf deren Aussagen statt Hören- oder Lesensagen beziehen. Darum gibt
es in der linken Szene so wenig Beschäftigung mit anarchistischer Theorie&Praxis und Gerüchte, Gerede über einzelne Gruppen ohne Bezug auf deren öffentlichen Aussagen. Darum ist es auch tabuisiert öffentliche Kritik zu äußern, nicht nur weil das eventuell dem eigenen Ansehen schadet, sondern weil öffentliche Äußerungen nachvollziehbar(er) und transparent(er) sind. Und um die Bloßstellung der eigenen Verdrängungs- und Kritikunfähigkeit zu vermeiden wird dann vorgeworfen, dass Probleme nicht erst „nicht-öffentlich“ angesprochen wurden. Passiert dies werden sie selbstverständlich regelmäßig ignoriert und Menschen dafür angegangen überhaupt den Szenefrieden gebrochen zu haben.

19. Der Rückzug ins Private – Die Utopie sicherer Gemütlichkeit

Verbunden mit der Konfliktunfähigkeit und Verdrängung der linken Szene ist ein Rückzug in die gemütliche Gleichgültigkeit privater oder halb privater Orte. Dort wird dann die Realität der restlichen Gesellschaft möglichst ausgeblendet.
Ein gutes Beispiel für den Glauben daran sich aus der Gesellschaft zurückziehen zu können ist das Konzept des Safe Space oder Safer Space.
Der Safe Space oder Safer Space soll einen Ort schaffen, wo unterdrückte Menschen geschützt(er) sind vor ihrer Unterdrückung. Jedoch reduziert dies Herrschaftsverhältnisse auf einige wenige Aspekte. Einer dieser wenigen Aspekte ist in der Regel Sprache und andere Formen rein symbolischen Verhaltens. Sprache ist leicht kontrollierbar, zumindest wenn es dabei nur um die Wörter geht. Wer sich traut zu sprechen und das Wissen hat mitzudiskutieren ist eine ganz andere Frage. Die kann aber nicht losgelöst von der restlichen Gesellschaft angegangen werden: Wer z.B. nicht regelmäßig an linken Veranstaltungen teilnehmen kann, weil mensch im Schichtdienst arbeitet oder sich um Kindern kümmern muss, kann gar nicht erst die eigene Meinung äußern. Hier hilft keine Safer Space, sondern nur gegenseitige Hilfe und Unterstützung in die Gesellschaft hinein.
Durch den Fokus auf sprachliche Formulierung
wird auch häufig die eigene Beteiligung an der Unterdrückung unsichtbar gemacht. Linke Akademiker*innen sind zum Beispiel federführend an vielen Herrschaftsinstitutionen beteiligt, gleichzeitig erfahren sie aber oft weniger Kritik und Ablehnung als BIPOCs aus den unteren Klassen, weil sich linke Akademiker*innen eben politisch korrekter ausdrücken können. Der Fokus auf Sprache findet sich dabei in der gesamten Linken Szene nicht nur an Veranstaltungsorten, es ist ein Mechanismus wie der Anschein einer besseren z.B. anti-rassistischen Bewegung aufrechterhalten wird, während gegen das Morden an den EU-Aussengrenzen allenfalls symbolischer Protest stattfindet.
Zu glauben es gebe
wirklich sichere oder wesentlich sicherer Orte ist außerdem gerade eine Allmachtsphantasie, welche die Macht von Institutionen wie Staat und Kapitalismus vollkommen unterbewertet oder diese nicht als Gegner*innen versteht. Welcher Ort ist wirklich sicher vor Polizeieinsätzen oder den Auswirkungen von Eigentum/dem kapitalistischen Markt? Ihr findet sich eine allgemeine Logik der Linken Szene mit der sie sich selbst eine private Gemütlichkeit schafft: Herrschaftsformen normalisieren oder ignorieren.
Die Zuspitzung
davon wurde während der Coronapandemie sichtbar als große Teile der Linken treu, oft auch eifrig die staatlichen 2G- und 3G-Regeln umsetzten: Für das eigene bequeme Sicherheitsgefühl im als Privateinwohnzimmer verstandenen sozialen, autonomen oder auch „anarchistischen“ Zentrum wurden alle Menschen ohne Papiere ausgeschlossen. Diese konnten sich nämlich entweder nicht impfen/testen lassen oder sie konnten die Impfung/die Tesung nicht mit Hilfe eines Lichtbildausweises nachweisen, also faktisch gar nicht. Gleichzeitig zogen sich auch viele Teile der Szene in ihre sichereren Privatwohnungen zurück, während vor allem Menschen aus den unteren Klassen und jene, die nicht als „richtig“ deutsch oder weiß einsortiert werden, die Risiken von Pflege-, Transport und Verkaufsarbeit tragen mussten. Die Sicherheit der Linke Szene ist eine Utopie beruhend darauf, dass andere gezwungen werden ihre Leben zu gefährden.

20. Die perfekte Beziehung – Trennung von Privatleben und Gesellschaft

Eine andere Form des Versuches der Linken Szene sich eine Utopie im Privatleben zu schaffen sind die Ansprüche, welche an „persönliche“ Beziehungen gestellt werden: Diese sollen möglichst perfekt sein ohne das dabei deren Eingebunden-Sein in die Gesellschaft mitgedacht wird. In dieser Gesellschaft sind wir nämlich alle traumatisiert. Dies Traumata haben ein unterschiedliches Ausmaß, aber wir alle sind davon betroffen. Traumatisierte Menschen können in der Regel keine auch nur annähend perfekten Beziehungen11 führen. Doch all die massiven Verletzungen, welche wir mitbringen, werden in Linken Szene ignoriert.
Ein gutes Beispiel ist das Konzept der „
einseitigen Parteilichkeit mit den Betroffenen“ bei Konflikt- und Übergriffsituationen. Übergriffe können anders als in der linken Utopie zum Beispiel gegenseitig stattfinden, gerade in Gemeinschaften mit noch mehr Trauma als im Durchschnitt der Gesamtgesellschaft. Statt problemzentriert zu schauen wie Übergriffe verhindert und Beziehungen verbessert werden können, steht aus dem Bild einer perfekten Idealbeziehung in der Regel eine moralische Verurteilung.
Auch allgemein in Konflikten und wenn Menschen sich einfach mal nicht optimal verhalten, gibt es einen enormen Perfektionsdruck.
Das lasst sich gut in vielen feministischen Diskussionen über Arbeit im „eigenen Haushalt“ sehen, dort wird immer wieder gesagt die Arbeit sollte nach Geschlechtern gleich verteilt sein. Als grundsätzliche Analyse ist das richtig (vielleicht sollten wir aber lieber Geschlecht abschaffen), es wird aber zum Problem, weil es oft auf jede einzelne Beziehung angewandt wird. Doch von einem entfernten Außen lässt sich nicht bewerten wie die „Ressourcen“ der Beziehungsbeteiligten sind. Es spielen zu viele Faktoren ein Rolle: Z.B. wer bekommt für Lohnarbeit mehr Geld, lohnarbeiten beide oder warum nicht? Wessen Job ist stressiger? Wie ist die Vorgeschichte von Menschen? Was für Fürsorgearbeit machen Menschen außerhalb der Beziehung?
Leider wird aber das Idealbild von vielen als Grundlage zum konkreten Umgang miteinander genutzt, was
immer wieder zu einem enormen Druck führt und die bestehenden gesellschaftlichen Verhältnisse in Beziehungen verfestigt.
Ein heterosexuelle
r cis Mann hat im Schnitt oft weniger Traumata- und Unterdrückungserlebnisse zu verarbeiten, auszuhalten und bekämpfen als ein queerer cis Mann oder eine trans Person/ein Enby/ein Agender12 und daher mehr Kraft Haushaltsaufgaben zu erfüllen oder sich allgemein auf eine romantische Zweierbeziehung zu konzentrieren. Linke Szene Feminist*innen landen daher oft dort, worüber sie sich wiederkehrend beschweren: In romantische Zweierbeziehungen mit heterosexuellen cis Männern.
Außerdem findet sich hier auch wieder Konfliktvermeidung. Konflikte werden nicht als, insbesondere in dieser Gesellschaft, normaler Bestandteil von Beziehungen gesehen
(ein Bestandteil, der teilweise notwendig ist damit es Veränderung, Lernen und Wachstum geben kann), sondern als etwas was die Gemütlichkeit der eigenen Beziehungen zerstört. Wer kann wohl Konflikten in der eigenen Beziehungen am besten aus dem Weg gehen oder sich unsichtbar durchsetzen? Diejenigen, die es auch in der restlichen Gesellschaft können, weil sie in vielen Hierarchien weit oben stehen. Ob in der romantischen Zweibeziehung oder der Freund*innengruppe Verlier*innen der linken Trennung zwischen Privat und Gesellschaftlich sind wieder queere Menschen (insbesondere Männer*), Trans*, Inter*, Nicht-Binäre und Agender, BIPOCs, nicht-kartoffelige Personen und auch Arme und obdachlose Menschen, Menschen mit Suchterkrankungen und psychischen Leiden, Betroffene von Ableismus und viele mehr.

11 Und auch wenn menschliche Beziehungen wesentlicher besser als in dieser Gesellschaft sein können, perfekt sind sie nie.
12 Agender – Menschen, die sich mit keinem Geschlecht identifizieren, daher kein Geschlecht haben.

21. „Das Patriarchat sind die Männer“ – Personifizierung von Herrschaft

Eine fehlende Herrschaftsablehnung- und Analyse zeichnet die Linke allgemein aus, besonders eindeutig wird dies wenn es ums Patriarchat geht. Die Standardvorstellung des linken Feminismus ist, dass Patriarchat sei die Herrschaft von (cis) Männern über (oft cis) Frauen keine komplexes System von Verhaltensweisen, Institutionen und Hierarchien.
Das zeigt ich dann darin, dass linke Feminist*innen meist nicht
den Staat ablehnen. Das Patriarchat und Staat hängen aber untrennbar miteinander zusammen, alleine schon weil sie beide auf Herrschafts- und Kontrolllogiken beruhen. Es gibt daher auch keine staatliche Gesellschaft die nicht patriarchal ist. Aber statt eine tiefergehende Analyse zu entwickeln, werden einfach (cis) Männer und Männlichkeit als Hauptausgangspunkt des Patriarchats gesehen.
Das Wort Patriarchat selbst hat
bereits mehr als nur einen geschlechtlichen Teil, seine Bedeutung ist grob „Väterherrschaft“ – geschichtlich vor allem auch Vorherrschaft einzelner „Väter“ über eine Großfamilie, einschließlich der Herrschaft über jüngere erwachsene (cis) Männer. Väterherrschaft beinhaltet aber immer zumindest auch die Herrschaft über „Kinder und Jugendliche“. Und diese Herrschaft und damit einhergehende Kontrolle, Erziehung und Traumatisierung ist zum Erhalt des Patriarchats notwendig.
Männlichkeit und Weiblichkeit sind keine Eigenschaften mit denen wir geboren, sondern Kategorien, die uns gesellschaftlich aufgezwungen
werden oder an denen wir uns (manchmal selbstbestimmt) orientieren.
Eigentlich müsste einer der wichtigen feministischen Kämpfe sein junge
n Menschen – sogenannten „Kindern“13 bei ihrer Befreiung von der Herrschaft der „Väter“ und aller anderen Erwachsen zu unterstützen, ist es aber nicht. Daher wird auch nicht gesehen, dass Menschen zu (patriarchalen) Männer14 gemacht werden, sondern Geschlecht und die Rolle als (patriarchaler) Mann essentialisiert15.
Ein klare Ursache findet sich wieder in der Allianz der Linken mit dem Staat. Der Staat muss junge Menschen kontrollieren und erziehen, um sie gehorsam zu machen. Da der Staat auf dem Patriarchat beruht wird auch diese
s immer dabei gefestigt. Eine Feminismus der den Staat nicht ablehnt, lehnt daher auch nicht das Patriarchat ab. Anstatt ein bessere Analyse des Patriarchats zu versuchen, welche zum Beispiel die Aberkennung von Selbstbestimmung und das Streben nach Kontrolle des Lebens und der Körper/Sexualität anderer Menschen als Element des Patriarchats identifiziert, wird alles Schlechte alleine (cis) Männern bzw. AMAB16-Personen zugeschrieben. AMAB-Personen sind aber ebenfalls Betroffene des Patriarchats wie AFAB17-Personen.
Dass sich das Patriarchat nicht durch Schuldzuweisungen bekämpfen lässt, zeigt ein Beispiel aus dem Bereich Flirting bzw. Dating gut: Viele weiblich-eingeordnet-werdende Menschen sind frustriert, weil ihnen oft nicht klar kommuniziert wird mit welchen Interesse männlich-eingeordnet-werdende Menschen sie kennenlernen wollen. Allerdings haben viele weiblich-eingeordnet-werdende Menschen verinnerlicht Druck zu empfinden, wenn z.B. eindeutig von einer männlich-eingeordnet-werdenden Person gesagt wird, dass diese sie zumindest mit Offenheit für eine romantische, körperlicher oder sexueller Beziehung kennenlernen will (Eine Ursache dafür findet sich unter anderem in der durch permanente massive Übergriffe geschaffene Zerstörung selbstbestimmter, selbstbewusster Sexualität und Körperlichkeit in unserer Gesellschaft).
Die Lösung für das beschriebene Problem kann nur aus einem gemeinsamen Kampf gegen das Patriarchat und gemeinsamem Veränderung kommen. Weil sie beide Empfindungen bzw. Verhaltensweisen gegenseitig erhalten und bestärken. Gerade eine moralisierenden linker Feminismus schreckt aber von dem gemeinsamen Hinterfragen und Analyse der Unterdrückung ab, weil er die moralische Schuld (cis) Männer bzw. männliche-eingeordnet-werdenden Personen (alleine) zuschreibt.
Ein weiteres Beispiel
für den Schaden, welchen linker Feminismus anrichtet, zeigt sich, wenn es um Konsens geht. Selbstbestimmung bei sexuellen Handlungen ist sehr wichtig, genauso wie im Rest des Lebens. Linken Feminist*inne reduzieren Konsens, aber in der Regel auf „persönliche Beziehungen“, was nicht gut funktionieren kann. Die (staatliche) Schule spricht beispielsweise alle jungen Menschen Selbstbestimmung ab und zwingt sie eine festgelegte Zeit an einem bestimmten Ort zu verbringen. Tun sie das nicht oder leisten sie dort nicht Gehorsam und konkurrieren miteinander, werden sie bestraft. Wenn jede Generation über Jahre hinweg die Selbstbestimmung über große Teile ihres Lebens abgesprochen bekommt, erlernt sie vor allem eins: „Die eigene Selbstbestimmung und die anderer Menschen ist wertlos.“ Dass sie dann z.B. auch beim Sex darauf nicht achtet, ist kein Wunder, sondern logisch. Selbstverständlich spielt auch die massive, normalisierte (sexualisierte) Gewalt gegen „Kinder und Jugendliche“ in unserer Gesellschaft eine Rolle.
Eine Gewalt, die viele Feminist*innen unsichtbar machen in dem sie (meist cis) Frauen als einzige Hauptbetroffene von sexualisierter Gewalt darstellen.18 Hier zeigt sich
erneut die Personifizierung des Patriarchats als „die (cis) Männer“ führt zu einem Aufrechterhalten des Patriarchats, ebenso jede Allianz mit dem Staat.
Teilweise verstärkt linker Feminismus
patriarchale Unterdrückung sogar noch, weil er noch mehr Erwartungen an AMAB-Personen aufstellt, denen das Patriarchat eh schon vermittelt sie müssten unverletztbar, stark sein und alle Erwartungen an sie erfüllen, sonst seien sie keine „richtigen Männer“. Ohne Unterstützung und sichtbaren Ausweg aus Rolle als (patriarchaler) Mann, werden viele dann vom anti-patriarchalen Kampf abgeschreckt, sie begehen Suizid oder fügen sich anders soviel Schaden zu, dass sie im Durchschnitt wesentlich kürzer leben als AFAB Personen. Bei trans*, inter*, nicht-binären und nicht-heterosexuellen Menschen kommt selbstverständlich noch jede Menge Belastung aufgrund von Trans- und Queerfeindlichkeit hinzu. Eine anarchistische Gegenperspektive zum linken Feminismus bedeutet nicht die Betroffenheit irgendeiner Gruppe herunterzuspielen oder in Abrede zu stellen, sondern eine ernsthafte Analyse aufzustellen wie das Patriarchat funktioniert und wie es sabotiert und kaputt gemacht werden kann – Befreiung für alle: Smash Patriarchy! Abolish the Left!

13  Die Trennung zwischen sogenannten „Kindern“ und „Erwachsenen“ ist in vielerlei Hinsicht nur eine Konstruktion, um „Kindern“ die Selbstbestimmung abzusprechen, statt sie als Menschen zu sehen den gegenüber die eigene Machtpostion besonders reflektiert werden sollte.
14 Außerhalb des europäischen staatlichen, kapitalistischen und kolonialen Patriarchats gibt es auch andere Vorstellungen von Männlichkeit. Mein Wissen über diese ist zu gering, um sie umfangreich zu bewerten. Sie sind wohl zumindest oft weit weniger patriarchal als Männlichkeit ins unserer Gesellschaft.
15 Essentialismus ist die Vorstellung irgendetwas sei die unabänderbare natur- oder gottgegebene Eigenschaft z.B. von Menschen. Ein typisches Beispiel für Essentialismus ist der Glaube an (biologische) „Menschenrassen“.
16 Assigend Male At Birth: Personen, denen bei Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde, die jetzt z.B. aber nicht-binären sein können.
17 Assigend Female At Birth: Personen, denen bei Geburt das weibliche Geschlecht zugewiesen wurde, die jetzt z.B. aber nicht-binären sein können.
18 So ist ungefähr mindestens jede*r 10 Betroffen*e von Vergewaltigungen cis männlich (Sieh hierzu: www.nsvrc.org/statistics/questions-answers?question=844). Außerdem wird Vergewaltigung oft auf penetriert werden reduziert, werden „andere Formen“ sexualisierter Gewalt mit einbezogen wird der Anteil wesentlich höher und liegt bei mindestens 20-30% (sieh dazu: www.nsvrc.org/statistics/questions-answers?question=845).
In feministischen Kreisen wird außerdem davon Gesprochen 99% der sexualisierten Gewalt ginge von Männern aus. Das ist falsch: mindestens 10% sexualisierter Gewalt geht von cis Frauen aus (Siehe hierzu: www.nsvrc.org/sites/default/files/2021-04/full-report-2018-national-study-on-sexual-harassment-and-assault.pdf) Auch hier sind die Zahlen wahrscheinlich wesentlich höher, weil Frauen zugeschrieben wird keine Täter:innen sein zu können und Männern jeden sexuelle Handlungen wünschen zu müssen. Gegenüber cis Frauen ist die Rate von betroffenen trans- und nicht-binären Menschen übrigens ungefähr fast doppelt so hoch. Wie hoch z.B. das Einkommen einer Person ist, welche sexuelle Orientierung sie hat und ob sie BIPOCs spielt auch eine große Rolle.

22. FLINTA19 – cis Frauen only: Feministische Queerfeindlichkeit

Verbunden mit der Schuldzuweisung für das Patriarchat an nahezu ausschließlich Männern gibt es eine immense Abneigung gegen queere Männer und AMAB Personen, anders erklärt sich nicht warum Erstere so offen und letztere oft unausgesprochen von feministischen Veranstaltungen ausgeschlossen werden. Dies passiert in der Regel in Form von FLINTA only Veranstaltungen. Alle Männer außer trans Männer, also auch schwul-, bi-, pansexuelle cis Männern sind dort nicht willkommen. Trans* und nicht-binäre, agender AMAB Personen werden oft skeptisch beäugt, ob sie nicht nur vortäuschen keine cis Männer zu sein, und mensch sei trotzdem oft „männlich-gelesen“.
Was der Ausschluss von queeren Männer für einen Sinn hat ist dabei in der Regel nicht klar. Geht es darum keinen Sexismus im Raum fortzuführen?
Klar queere Männer können sexistisch sein, aber das können (cis) Frauen auch.
Geht es um den Schutz vor sexualisiert
er Gewalt? Erstmal geht sexualisierte Gewalt statistisch häufiger von hetero cis Männern aus, aber die Zahlen sind auch nicht so extrem unterschiedlich nach geschlechtlicher Identität verteilt…20 Und selbst wenn mensch andere Zahlen annimmt, was soll dann der Ausschluss von schwulen Männern? Sind diese eine größere Gefahr für Frauen was sexualisierte Gewalt angeht als z.B lesbische oder bisexuelle Frauen?
Wer bisher ernsthaft glaubt es gehe bei FLINTA-Only-Räumen wirklich um den Schutz von irgendwem und das sei durchdacht, bekommt wahrscheinlich langsam Zweifel. Der einzige logische Schluss warum es so viele FLINTA-Only-Räume in der Linken Szene gibt, aber keine Räume, wo z.B. cis hetero Frauen ausgeschlossen werden, ist das cis Frauen sich eine moralische Überlegenheit und eine besondere Betroffenheit vom Patriarchat zuschreiben. Das ist zutiefst trans- und queerfeindlich und verleugnet die Realität, das cis hetero Frauen zwar massiver Unterdrückung und Gewalt durch das Patriarchat ausgesetzt sind und waren, anders als queere Menschen aber nie als Gruppe vollständig ausgelöscht werden sollten. Die Unterdückungserfahrungen beider sollten also mindestens gleich bedeutsam sein.
Durch
beschriebene abstrakte Moralpolitik können cis hetero Frauen zusätzlich vor allem noch leichter verleugnen, dass auch sie sexistisch und queerfeindlich sein können/sind (alle Geschlechter und Personen setzen das Patriarchat fort, selbstverständlich sind wir je nach geschlechtlicher, sexueller und auch nach individueller Machtposition unterschiedlich von ihm betroffen/unterdrückt).

19 FLINTA – Frauen, Lesben, Inter*, Trans*, Nicht-Binäre, Agender
20 Für alle die Fußnote 18 nicht gelesen haben nochmal der gleiche Text: So ist ungefähr mindestens jede*r 10 Betroffen*e von Vergewaltigungen cis männlich (Sieh hierzu: www.nsvrc.org/statistics/questions-answers?question=844). Außerdem wird Vergewaltigung oft auf penetriert werden reduziert, werden „andere Formen“ sexualisierter Gewalt mit einbezogen wird der Anteil wesentlich höher und liegt bei mindestens 20-30% (sieh dazu: www.nsvrc.org/statistics/questions-answers?question=845).
In feministischen Kreisen wird außerdem davon Gesprochen 99% der sexualisierten Gewalt ginge von Männern aus. Das ist falsch: mindestens 10% sexualisierter Gewalt geht von cis Frauen aus (Siehe hierzu: www.nsvrc.org/sites/default/files/2021-04/full-report-2018-national-study-on-sexual-harassment-and-assault.pdf) Auch hier sind die Zahlen wahrscheinlich wesentlich höher, weil Frauen zugeschrieben wird keine Täter:innen sein zu können und Männern jeden sexuelle Handlungen wünschen zu müssen. Gegenüber cis Frauen ist die Rate von betroffenen trans- und nicht-binären Menschen übrigens ungefähr fast doppelt so hoch. Wie hoch z.B. das Einkommen einer Person ist, welche sexuelle Orientierung sie hat und ob sie BIPOCs spielt auch eine große Rolle.

23. Binärer Feminismus: Trans-, Nicht-binären-, Agender -und Interfeindlichkeit

Wie viele Quoten gibt es eigentlich, wenn jede Person sich das eigene Geschlecht aussuchen kann? Das ist eine Frage, die sehr gut aufzeigt warum staatlicher Feminismus immer wieder trans*-, nicht-binären, agender und inter*-feindlich wird. Wer Befreiung als den Kampf um Ressourcen und Machtpostionen in einer auf Konkurrenz und Hierarchien beruhenden Gesellschaft versteht, statt diese Konkurrenz und Hierarchien beseitigen zu wollen und wird um die Befreiung des eigenen Geschlechts, in dem Fall der (cis) Frauen, zu erlangen mit anderen Geschlechtern und ihren Anspruch auf ebenfalls Gleichberechtigung in Konkurrenz treten müssen. Anders gesagt würden (linke) Feminist*innen anstatt den Staat übernehmen zu wollen (und damit das Patriarchat), ihn zerstören wollen – dann würden sie trans*, inter*, agender und nicht-binäre Menschen als Kampfgefährt*innen sehen nicht als Konkurrent*innen. Und tatsächlich ist auch ein Erfahrungswert, dass wo anti-autoritärer Feminismus stark ist, trans*-, agender-, nich-binären- und inter*feindlicher Feminismus schwächer ist.
Doch die gewaltige Unterstützung und Toleranz gegen über trans*-, inter*,
agender und nicht-binären Feindlichkeit vieler Linker und ihres Feminismus kommt nicht nur aus dem oberflächlichen Wunsch der staatlichen Machtübernahme und Gleichberechtigung. Sie findet ihre Wurzeln wie in der linken Szene so oft auch in der allgemeinen Weigerung mit historischen Fehlern zu brechen. Heutzutage ist außer einigen kleinen Sekten klar, dass es keine „Revolution der Arbeiter*innenklasse“ mehr geben wird und „Arbeiter*innen“ nicht das „revolutionäre Subjekt sind“. (Cis) Frauen und manchmal FLINTAs dienen als Ersatz, der das nun tun soll. Hier wird wieder alles getan, um das eigene verkürzte marxistische Weltbild zu verteidigen (Im Anarchismus war der Glaube an bestimmte Identitäten, die Revolution bringen nie so zentral und heute gibt es ihn fast gar nicht mehr).
Hinzukommt die kolonialistisch-rassistische Fortschrittserzählung der Linken,
die aktuelle Gesellschaft als Fortschritt gegenüber vermeintlich „traditionellen“ Gesellschaft verklärt, obwohl viele „traditionelle Werte“ eigentlich aus „der Moderne“ kommen. Diese Fortschrittserzählung löscht aus, dass in vielen Gesellschaften vor der europäischen Kolonisation mehr als zwei Geschlechter einen Raum hatten, bzw. Geschlecht nicht als starre, biologische Kategorie wie in der heutigen kolonisierten Welt existiert hat. Diese Gesellschaft waren in der Regel auch weniger patriarchal als unsere jetzige Gesellschaft oder nicht-patriarchal/anti-patriarchal. Durch das Unsichtbar-und Schlecht-Machen dieser Gesellschaften wird die Existenz von trans*, agender– und nicht-binären Personen als ein neues Phänomen denormalisiert, statt sie als Teil der Menschheitsgeschichte zu sehen. Der Kampf gegen das Patriarchat muss daher auch ein Kampf gegen große Teile des Linken Feminismus sein!

24. Yes means no. – Lustfeindliche Sexualmoral

Sex kann etwas sehr befreiendes sein. In unser Gesellschaft hingegen wird Sex für viele Menschen bedrohlich gemacht. Das passiert in dem wir Sex gegenüber Scham anerzogen bekommen, uns Trauma zugefügt werden und wir durch andere Mechanismen von Sexualität entfremdet werden. Außerdem schafft unsere Gesellschaft strukturell körperliche und sexuelle Einsamkeit. Zusammenfassend ist unsere Sexualität und das Verhältnis zu ihr patriarchal, staatlich und kapitalistisch und kolonial geprägt.
Dies reflektiert die Linke nicht
und stellt den Versuch der Befreiung von Sexualität entgegen, sondern sie macht vor allem Angst vor Sex. Ein Klassiker dabei ist die Gleichsetzung von unangenehmen Erfahrungen oder unsensiblen Verhalten mit Übergriffen und Vergewaltigungen, oft alles unter „Grenzüberschreitungen“ zusammengefasst. In dem alles Unangenehme, das aber keine (absichtliche) Handlung gegen die Selbstbestimmung Anderer darstellt genauso schrecklich dargestellt wird wie Zwang, wird das Ziel ein perfekten immer angenehmen Sexualität formuliert. Diese Ziel ist totalitär, weil gelebte, wilde und lustvolle Sexualität auch immer etwas Unkontrolliertes enthält und damit die Gefahr der unabsichtlichen Verletzung, des Unangenehmen. Aber selbstverständlich auch Möglichkeiten von unerwarteten neuen positiven Erlebnissen.
Durch die Gleichsetzung des Risikos von Unangenehmen mit Übergriffen, werden außerdem Trauma verharmlost und damit eine ernste Auseinandersetzung mit ihnen verhindert.
Und auch Heilung erfordert Risiken einzugehen und Unangenehmes nicht um jeden Preis zu vermeiden. Auf ein anderen Ebene findet sich die linke Angst vor unkontrollierten Sex – beim Panik-Machen vor sexuell übertragbaren Krankheiten. Vor fast allen sexuell übertragbaren Infektionen kann sich heute entweder per Impfung geschützt werden oder diese können mit rechtzeitiger Behandlung sehr sicher geheilt werden. Zentrale Ausnahme davon ist HIV. Hier gibt es keine Heilung nur eine peramente Therapie, die im Ergebniss einer Heilung ähnelt.
Aber anstatt über Impfungen und Testmöglichkeiten zu informieren, wird von vielen Feminist*innen lieber hauptsächlich die Strategie von meist unnötiger Vermeidung körperlichen Kontakts z.B. durch Handschuhe und Lecktücher verbreitet. Dabei kann Menschen sich mit sehr vielen auch beim Küssen anstecken.
Das
es in der linken Szene nicht um Fürsorglichkeit sondern schambesetzte Kontrolle geht, zeigt sich ebenfalls daran, dass in fast keinen linken Veranstaltungsort kostenlose Kondome ausliegen. Außerdem gibt es nahezu keine linken Veranstaltungen, wo menschen Sex haben können und ggf. anderen Menschen auf gegenseitige Zustimmung der Beteiligten achten, obwohl das oft um einiges sicherer wäre als Sexualität fast ausschließlich in der eigenen Wohnung stattfinden zu lassen. Dort passieren schließlich die meisten körperlichen Übergriffe.
So ist auch die Parole „Yes means yes“ leer, denn aufgrund der von Linken verstärkten Angst und Scham gibt es eben keine Kultur eines ehrliches, lustvollen Bekenntnisses zu einem Ja, sondern es wird noch schwieriger gemacht.

25. „Für die Arbeit! Gegen den Sex!“ – Sexarbeiter*innenfeindlichkeit

Bei der Sexarbeiter*innen hört die Solidarität mit der „Arbeiter*innenklasse“ durch Linke oft auf. Statt nämlich eine Analyse davon zu entwickeln wie Sexualität im Patriarchat funktioniert und dann zu dem Schluss zu kommen, dass alle Formen von Sexualität in unserer Gesellschaft in unterschiedlichen Ausmaß patriarchal kontrolliert oder geprägt sind, picken Linke sich oft einzelne Elemente von Sexualität z.B. Sexarbeit als „etwas besonders verwerfliches“ heraus. Mit rein spielt hier, dass der Marxismus als zentrale linke Ideologie vor allem eine ökonomische Analyse ist keine allgemeine Herrschaftsanalyse. Dadurch erscheint etwas was durch direkten kapitalistischen Tausch geschieht für viele Linke schlimmer als z.B. das patriarchale Verhältnis der staatlichen Ehe und allgemein von romantischen Zweibeziehungen in unserer Gesellschaft.
Aufgrund des linken Bündnisses mit dem Staat wird dann auch nicht aus einer Perspektive von Solidarität und Selbstorganisationen mit Unterdrückten gehandelt, sondern mit dem Mittel staatlicher Verbote. Hinzukommt noch, dass weil Linke Arbeit oft nicht ablehnen der Arbeitsteil und der Zwang Dienstleistungen zu verkaufen, um in der staatlich-kapitalistischen Gesellschaft zu überleben nicht als das eigentliche Problem gesehen werden. Bei linken Diskussionen zum Thema wird fast ausschließlich darüber gesprochen Sexarbeit und damit oft Sexarbeiter*innen sein, weil es ja um den Kauf von Sex geht besonders schlimm sei bzw. unterdrückt oder besonders freiheitlich bzw. anti-patriarchal, weil sie Sexualität außerhalb der klassischen Beziehungsrollen stattfinden lässt\lassem.
Beide Positionen sind zutiefst patriarchal. Die
Erste hat als Ergebnis die Forderung eines direkten oder indirekten Kaufverbots oder anderer Formen staatlicher Repression, die Letztere verklärt unsere Gesellschaft und damit das Patriarchat als freiheitlich. Letztere löscht auch häufig aus, dass es sehr wohl Gesellschaften ohne Arbeit und Eigentum gibt.
In beiden Positionen werden Sexarbeiten*innen zu fremden Andersartigen gemacht statt diese als Teil der Lohnabhängigen zu verstehen und wieder lässt sich dies auf den autoritären Charakter der linken Szene, die eben nicht ernsthaft Staat und Kapitalismus abschaffen will, zurückführen.

26. „Care-Arbeit muss bezahlt werden!“ – Vermarktlichung von Beziehungen

Wohin kämen wir, wenn wir den Preis jeder Umarmung, jedes freundschaftlichen Gesprächs und jeden liebevollen Blicks berechnen und bezahlen würden? Ja genau, in eine noch schrecklichere Gesellschaft als die Jetzige! Aber genau das streben große Teil der linken Szene an: Sie fordern schließlich, dass „Care-Arbeit“ (Fürsorge-Arbeit) bezahlt werden sollte.
Nun kommt vielleicht der Einwand es gehe nur um bestimmte Formen der Fürsorge-Arbeit, doch wer bestimmt welche Formen der Fürsorge bezahlt werden und we
lche nicht?! Nur weil ich keine*n Chef*in habe, der*die mich beauftragt ist meine Umarmung für eine Freund*in weniger wichtig als die eine*r Krankenpfleger*innen im Krankenhaus? Ein fürsorgliches Gespräch zwischen Menschen in einer WG ist weniger Wert als die Hausarbeit in einer heterosexuellen monogamen Zweierbeziehung? Entweder den staatlichen, kapitalistischen Markt auf die letzten Beziehungen auszudehnen, die er noch nicht vollständig kontrolliert, oder bestimmte Beziehungsmodelle und Handlungen über Andere zu stellen sind beides patriarchale Vorgehensweisen. Hier zeigt sich solange wir nicht Geld und Eigentum bekämpfen, werden wir das Patriarchat nicht überwinden.
Der gleichen Logik wie
jede Care-Arbeit zu bezahlen“ folgt auch die Forderung „gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ in anderer Form den „Gender-Pay-Gap“ schließen. Der gesellschaftliche Wert von Arbeit lässt sich jedoch (in Geld) schlichtweg nicht berechnen und jeder Versuch dies zu tun führt in ebenjene noch schrecklichere Gesellschaft. Zu diesem Schluss sind Anarchist*innen übrigens bereits Ende des 19. Jahrhundert gekommen, damals nannte sich das Anarchokommunismus, also Anarchismus der grundsätzlich Kommunismus – also eine geld- und eigentumslose Gesellschaft anstrebt. Inzwischen ist es für beinah alle Anarchist*innen selbstverständlich.

27. „Hinter Allem steht das Kapital“ – verkürzte Herrschaftsanalyse

Linke nennen die gesellschaftliche Ordnung, in der wir leben, gerne Kapitalismus. Selbstverständlich ist der kapitalistische Markt/Kapitalismus ein wichtiger Teil dieser Ordnung, allerdings sind Patriarchat, Staat und Kolonialismus(!) gleich bedeutsam. Die beiden Ersten sind außerdem wesentlich älter als der Kapitalismus und alle drei dessen notwendige Grundlage.
Woher kommt es also, dass die Linke Szene immer wieder vor allem vom Kapitalismus spricht?
Erstmal davon, dass einer ihrer wichtigsten Ursprünge der Marxismus und nicht Anarchismus ist. Marxismus konzentriert die eigene Machtanalyse oft auf das Ökonomische. Dies macht die Vielfalt der Herrschaft weniger sichtbar und verhindert eine generelle Analyse von Herrschaftsmechanismen.
Doch der Glaube der Kapitalismus sei der Hauptwiderspruch gegen ein Freies Leben hat viele weiteren Ursachen.
Es lassen sich Verbindungen zu anderen Schrecklichkeiten ziehen. Als aller Erstes den Glauben an und die Allianz mit dem Staat, sowie das Tabu ihn als Feind zu benennen. Wer den Kapitalismus voranstellt, kann den Staat unbenannt lassen. Genauso kann der Kolonialismus und somit die rassistische Grundlage unserer Lebensweise unbenannt bleiben. Das macht es leichter sich moralisch gut zu fühlen, Konflikte zu vermeiden und die eigene Verdrängung aufrechtzuerhalten, weil es in der Linken Szene nur sehr wenige Kapitalist*innen (Eigentümer*in eines Unternehmen oder Vermieter*in) gibt, Weiße hingegen sehr viele.
Wer die Verbindungen des Kapitalismus mit anderen Herrschaftsinstitutionen nich
t betrachtet, kann außerdem vermeiden eine wirklich grundsätzliche Analyse bzw. Ablehnung des Kapitalismus zu entwickeln. Antikapitalismus heißt dann eben nicht Enteignung/Soziale Revolution von unten, sondern ein sozialdemokratisches Fordern von staatlichen Maßnahmen bzw. Verstaatlichung, also entweder „soziale Marktwirtschaft“ oder Sowjetunion 2.0.

28. „Der böse Lobbyismus/das böse Großkapital“ – Glauben an gerechte Führer*innen und das reine Volk

Ein verschärfte Form der falschen Kapitalismus-Analyse findet sich in sehr zentralen linken Erzählungen: Wie oft schimpfen Linke über den bösen Lobbyismus, der Demokratie und Politik korrumpiert? Hier drin findet sich die Vorstellung wieder es gebe eine äußere Kraft, die eine ansonsten halbwegs positiv funktionierende gesellschaftliche Ordnung durch ihren schädlichen Einfluss untergräbt. Selbstverständlich entsteht damit direkt oder indirekt das Verlangen/die Forderung diesen schädlichen Einfluss zu beseitigen bzw. die Ordnung von ihm zu reinigen. Konkret heißt das die Demokratie, also den Staat und das Volk (in der Demokratie bildet der Staat ja den zentralen Körper über welchen der Wille des Volkes sich ausdrücken soll) von Einflüssen wahlweise des Lobbyismus, des „(ausländischen) Großkapitals“/des „Globalismus“/der „Globalisierung“, der Unternehmen oder einfach des „Kapitals“ zu befreien. Kapitalismus wird dabei nicht als mit dem Staat verbündet/verbunden angesehen, sondern ein Teil derjenigen, die real oder eingebildet an der Spitze der kapitalistischen Wirtschaft stehen, werden zu Schuldigen – zum Bösen erklärt.
Der Staat wird wie fast immer in den linken Ideologien als neutral und positiv gesehen und selbstverständlich auch das Volk. Dabei gibt es in diesem Weltbild auch nur ein einheitliches Volk des Willen verfälscht wird, nicht unterschiedlichste gesellschaftliche Gruppen, welche untereinander in Hierarchien zu einander stehen. Vielleicht ist auch schon aufgefallen, dass solch eine Weltsicht sehr anschlussfähig z.B. anti-semitische Vorstellungen ist…

29. Antisemitismus

Aus der Konfliktvermeidung der linken Szene heraus sind in Deutschland nie die anti-semitischen Anteile des Marxismus und allgemein des Glaubens an den Staat aufgearbeitet wurden. Der Staat und viele seiner Eliten waren zentraler Miterschaffer*innen des europäischen Antisemitismus, weil sie die aufgrund der Ausgrenzung und Unterdrückung entstandene besondere Stellung von Teilen der jüdischen Bevölkerung z.B. als Händler*innen, Bänker*innen oder Steuereintreiber*innen nutzten, um Missfallen über das eigene Handeln oder die gesellschaftliche Ordnung auf diese abzulenken. Dies ist einer der wichtigsten Ursprüngen des Antisemitismus, es ist aber ein Tabu darüber zusprechen, den es hieße den Staat als Gegner im Kampf gegen Antisemitismus zu sehen, nicht als Verbündeten.
Weil für die Linke der Staat als Institution nie gleichwertige Ursache von Unterdrückung und Gegner in Vergleich zum Kapitalismus war/ist bleibt sie immer offen genau für diese Art der Sündenbocksuche. Dass Antisemitismus aufgrund der mangelnden Reflektion über marxistische Geschichte und dem Verhältnis zum Staat in der deutschen Linken so präsent ist, führt dann immer wieder zu antisemitischen Angriffen und Allianzen mit antisemitischen Gruppen z.B. verübten Teile der linken, marxistischen Stadtguerilla (deren bekannteste Gruppe die RAF21 war), antisemitische Anschläge und Terror. Und über Jahrzehnte kommt es, wenn es um die Unterdrückung des palästinische Bevölkerung durch den israelischen Staat geht, regelmäßig zu teilweise freudiger Zusammenarbeit mit Gruppen, welche klar antisemitisch sind und an Israel nicht kritisieren, dass es ein Staat ist, sondern es verachten und vernichten wollen, weil es jüdisch ist/sei.
Teile der deutschen Linken sprechen solche Fantasien mit Sicherheit auch an, weil sie eben Deutsche sind und es nie eine gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit Antisemitismus gab (das unter anderem hätte eine ernsthaften Analyse des Nationalsozialismus – einschließlich der Rolle des Staates bedurft – nicht einem. „der Extremismus ist Schuld“), sondern nur einer symbolhaften „Anerkennung des Problems“ durch den Staat. Der Antisemitismus in der deutschen Linken zeigt sich anhand des Israel-Palästina-Konfliktes auch noch auf eine andere Art. Die Phantasie von Israel als Schutzraum für alle jüdischen Menschen und das Abschieben der eigenen Verantwortung gegen Antisemitismus zu kämpfen auf einen entfernte Institution, welche abstrakt unterstützt wird. Eine wichtige Ursache ist hier wieder Verdrängung und Konfliktvermeidung – wer glaubt Antisemitismus sei ein fernes Problem, muss sich nicht mit Antisemitismus im eigenen Umfeld z.B. der eigenen Familie, Szene oder marxistischen Ideologie auseinandersetzen, oder sogar mit dem eigenem Staat.

21 RAF – Rote Armee Fraktion

30. Guter Staat, schlechter Staat – Nationalismus

Israel oder Palästina?“ – Wie viele Bewegungen sind von dieser Frage zerstört wurden und das alles nur weil die Linke ihre Politik darauf reduziert sich hinter den „besseren“ Nationalstaat, also den „besseren“ Unterdrücker zu stellen. Doch es werden nicht nur bestehenden Strukturen zerstört. Gerade der über 70 Jahre bestehende Israel-Palästina-Konflikt wäre ein super Beispiel, um daran zu erklären warum Nationalismus keine Lösung ist und allgemein die Gründe für eigene Ablehnung des Staates. Doch dem steht wieder die linke Verehrung des (National-)Staates entgegen. Woher kommt der linke Nationalismus?
Es gibt mehrere Ursachen, aber zentral ist der (oft unbewusste) Wunsch nach einfachen Lösungen für menschliches Leid und nach patriarchaler Stärke statt sich der Schwäche der eigenen Bewegung zu stellen und den Prozess zu beginnen Beziehungen aufzubauen, welche zu eigener Stärke jenseits von Staatlichkeit führen.
Hierfür ist das Begehen des 8. Mai ein gutes Beispiel, dem Tag der Kapitulation Deutschlands im Zweiten Weltkrieg. An diesem Tag werden die Alliierten: USA, Frankreich, britisches Imperium und die Sowjetunion als Befreier*innen gefeiert. Es ist gut, dass Deutschland und damit das Naziregime den Krieg verloren hat, aber das macht andere Staaten nicht zu Befreier*innen. Die Morde und Unterdrückung von Abermillionen durch die demokratischen Kolonialmächte USA, Frankreich und dem britischen Weltreich, sowie die imperialistische Diktatur Sowjetunion, werden dadurch als notwendiges Übel verharmlost. Die Geschichte von bewaffneten Kämpfen der (anti-autoritären) Arbeiter*innenbewegung(en) gegen den Faschismus wird unsichtbar gemacht.
Das ist auch super nützlich, um die eigene Untätigkeit nicht in Frage stellen zu müssen, während der deutsche Staat Naziterror unterstützt und kolonial-rassistische Gewalt organisiert. Wenn Antifaschismus nur über den Staat möglich ist, dann kann dieser nicht grundsätzlich abgelehnt werden und sein Handeln wird rechtfertigbar, gerade weil er eine durch die „antifaschistischen“ Alliierten geschaffene Demokratie ist.
Diese Vermeidung von Konflikten findet sich ebenfalls im Verhältnis zum Israel-Palästina-Konflikt, statt über Antisemitismus und Rassismus hier zu reden, kann eine Ersatzdebatte über einen Konflikt geführt werden bei dem die Positionierung kaum Einfluss auf das eigene Leben hat. Sowohl Antisemitismus als auch Rassismus ernsthaft zu analysieren und nicht an ferne Orte zu verdrängen hieße eventuell nämlich eigenen Widerstand gegen diese organisieren zu müssen. Es hieße zum Beispiel eigene Struktur aufzubauen, die im Notfall in der Lage sind antisemitische Gewalt aufzuhalten und jüdische Communities zu verteidigen. Sowas wäre selbstverständlich ein klarer Bruch mit dem staatlichen Gewaltmonopol, stattdessen wird lieber behauptet Israel sei ein Schutzraum für alle jüdischen Menschen.Dass (National-)Staaten, aber an sich patriarchal, ausbeuterisch und unterdrückerisch sind (und moderne Staaten auch kapitalistisch und rassistisch), wird verdrängt. Ähnliches passiert selbstverständlich in Bezug auf Palästina, wenn die Befreiung der Menschen dort in Form eines Staates gedacht wird.
Ein weiteres gutes Beispiel für linken Nationalismus ist der russische Krieg gegen die Ukraine: Statt aufgrund z.B. der massiven Inflation in eine Auseinandersetzung mit dem deutschen Staat und Kapitalist*innen zu treten, sowie den anti-autoritären, anarchistischen Widerstand gegen den russischen Angriffskrieg zu unterstützen, wird entweder das Handeln des russischen Staates verharmlost und oft sogar Russland als „anti-imperialistisch“ verherrlicht oder sich, ohne zu zögern, auf Seiten des demokratischen Imperialismus und Kolonialismus Deutschlands, der EU/Nato und der USA gestellt.
Die Vorstellung es gebe überhaupt „anti-imperialistische“ Staaten, kann übrigens nur Entstehen, weil es den linken Glauben an gute und schlechte Staaten gibt. Anarchist*innen hingegen verstehen, dass ab einer gewissen Größe jeder Staat imperialistisch wird.
Der Linke Nationalismus führt also zu einer extremen Schwächung von Bewegungen und weltweiter Solidarität, weil er einfache Weg bietet Dampf abzulassen, wodurch dann dem Aufbau anti-autoritärer, anti-staatlicher und anti-nationaler Bewegungen die Energie genommen wird: No Nation, no border! Fight the left and it´s order!

31. Sich fördern lassen – Verstaatlichung von Bewegungsräumen

Dass der Staat so eine große Verankerung in der Linken Szene hat nicht nur ideologische und psychologische Ursachen, sondern auch materielle: Beinah jeder linke Raum in Deutschland wird heute mit vom Staat finanziert.
Im harmlosesten Fall passiert diese durch das Abgreifen von Geldern für einzelne Veranstaltungen. Dabei findet aber bereits eine Erziehung hin zur Staatstreu statt, schließlich wird eine Förderung um so unwahrscheinlicher bis hin zu unmöglich, je mehr bzw. wenn in einer Veranstaltung offenen der Staat als Feind benannt wird. Auch aus Sicherheitsgründen – für Förderungen müssen nicht ohne Grund Namen und Adressen angegeben werden – sind staatsfeindliche, also anti-autoritäre/anarchistische Veranstaltungen größtenteils von diesen Geldmittel ausgeschlossen.
In der Linken Szene sind (Förder-)Honorare und Vorträge oder Workshops nur für Geld zu machen, jedoch eine Selbstverständlichkeit, die unhinterfragt vorausgesetzt wird. Geldfreies Halten von Vorträgen oder Zusammenlegen aus dem eigenen Einkommen für Veranstaltungen sind unüblich. Letzteres war in den viel ärmeren anarchistischen, sozialistischen Bewegungen der Vergangenheit normal.
Hier zeigt sich wie sehr viele Linke in einer privatem Utopie leben und jede kleine finanzielle Unannehmlichkeit als fast unmöglich erachten. Spannend wie es dann eine Revolution geben soll, die beinhaltet noch viel mehr aufzugeben und zu riskieren als ein paar Euro. Auf jeden Fall wird Staatstreu immer weiter normalisiert und Ablehnung des Staates am Rand gehalten. Außerdem wird gerade eine anti-autoritäre Radikalisierung der Ärmsten verhindert, weil diese aufgrund der fehlenden Solidarität der Linke Szene noch mehr auf staatliche Gelder angewiesen sind und ihre Organisationen und Aktivist*innen so noch leichter korrumpiert werden können.
Wesentlich heftiger als die Förderung von Veranstaltungen durch den Staat ist die direkte Abhängigkeit von sozialen, autonomen, linken und „anarchistischen“ Zentren von staatlichen Mitteln. Viele Zentren sind als Jugendzentren oder Kulturzentren anerkannt und erhalten so Mittel vom Staat. Das ist nur möglich, weil sie weitreichende Kompromisse eingehen was ihre Gefährlichkeit für die herrschende Ordnung angeht oder nie den Anspruch hatten ihr gefährlich zu werden.
Intern spiegelt sich dies darin wieder, dass immer mehr Menschen angezogen werden, die nicht eine Ende dieser Gesellschaft anstreben und Zentren als halbinselförmigen Rückzugsraum zwischen den Auseinandersetzungen mit der Gesellschaft, wo neue Kraft geschöpft werden kann, oder als Orte der Auseinandersetzung selbst sehen, sondern als Freiräume in denen die eigene kleine Wunschutopie verwirklicht werden soll. Weil das in unser Gesellschaft aber nicht vollständig möglich ist, wird dann nicht die Gesellschaft stärker angegangen (sonst ist die Finanzierung durch den Staat gefährdet), sondern die Vorstellung der Gesellschaft und eigenen Utopie an diese angepasst.
Ein kämpferische Bewegung, die nicht finanziell abhängig vom Staat ist hätte diese Probleme viel weniger, weil sie viel eher eine Grundkultur von „Wir müssen immer offensiv Widerstand leisten und uns Mittel selbst beschaffen.“ besäße.
Die staatlich Finanzierung/Anerkennung bzw. auch das Fehlen durch Besetzungen enteigneter Häuser hilft auch ungemein über Repressionsandrohung Mechanismen der Selbstkontrolle zu schaffen. Wenn ein Zentrum etwas Illegales tut, besteht bei offiziellen Strukturen immer die Möglichkeit, dass die offiziell Vorstehenden verantwortlich gemacht werden. Diese geben entsprechenden Druck dann häufig nach unten weiter. Konkret war das zum Beispiel einer der Weg wie staatlich verordnet Ausschlüsse während Corona in linken Räumen normalisiert wurden.
Abhängig zu sein von staatlichen Geldern heißt auch dem Staat Anerkennung zu geben und in seinem politischen Spiel mitmischen zu müssen, beispielsweise zu fordern weiter finanziert zu werden. Das passiert sehr oft nicht nicht der Form von „Wenn ihr uns kein Geld gebt kriegt ihr noch mehr Probleme“, sondern auf eine nette, den demokratischen Staat anerkennende Arte und Weise.
Vielleicht kommt der Gedanke auf: „So schlimm ist das Ganze doch nicht, dann gibt es halt ein paar Kompromisse mit dem Staat.“ Nein es ist viel schlimmer: Teile der linken Szene sind inzwischen so sehr vom Staat gekauft und haben das normalisiert, dass sie Staatswappen auf ihre Demoflyer drucken, nur damit sie gesponsert werden.
Von außen lässt sich dann linker Aktivismus und der Staat nicht mehr von einander unterscheiden. Ist möglicherweise aber auch gut so, denn vielleicht gibt es da gar keinen großen Unterschied…

32. Aktivismus – Kleine Politiker*innen spielen

Ich bin Aktivist*in.“ oder „in meiner Freizeit machen ich Aktivismus“, diese Sätze begegnen einer*einem in der Linken Szene immer wieder. Doch was genau ist Aktivismus eigentlich? Aktivist*innen sind eine Art Hobby- oder kleine Berufspolitiker*innen. Sie versuchen politische Ziele zu erreichen. Diese Ziele sind aber beinah ausschließlich innerhalb dieser Gesellschaft gedacht, damit unterwerfen sich Aktivist*innen den grundsätzliche Spielregel des staatlichen, demokratischen Systems.
Aus oft guten Absichten werden Strategien entwickelt, die durch politische Forderungen umsetzbar sind. Ganzheitliche Probleme und Leben werden so zu einigen wenigen Punkten reduziert,
gleichzeitig entfremden sich Aktivist*innen vom ehrlichen Ausdruck der eigenen Ziele oder geben diese auf, weil alles in die Sprache der Politik gepackt werden muss. Außerdem trennt alleine die Idee von Aktivismus die Welt in aktive und passive Menschen: Bewegungen in heroischen Anführer*innen und jene, die „nur mal bei einer Demo mitlaufen“.
Auch die Beziehungen zu Anderen und selbst die Menschen direkt um eine*n herum werden immer mehr zum politischen Machtinstrument: „Lasst uns die Leute auf Demo fotografieren und zeigen wie viele wir sind!“. Nach ein paar Demofotos wird dann spätestens auch keine Einwilligung mehr erfragt, ob alle Menschen auf dem Foto sein wollen. Und einen Demo, auf der sich alle offen zeigen, ist entweder sehr dumm oder nicht besonders gefährlich gegenüber der bestehenden Ordnung, weil sie entweder freiwillig den Repressionsorganen die Arbeit abnehmen will oder es handelt sich um irrelevante symbolische Aktion, die keine Repression verursacht.
So zerstört auch Aktivismus langsam jede gefährliche Selbstorganisation, denn er normalisiert für alle (mit und ohne deren Zustimmung) keine Regeln zu
brechen und hilft so jede grundsätzliche Veränderung abzuwehren. Die Linksradikale Szene ist durch ihren Aktivismus inzwischen an dem Punkt ankommen, wo fast alles nur noch aus symbolischen Handlungen besteht. Dabei übernehmen die führenden Aktivist*innen oft die Rolle der Polizei indem sie kontrollieren, dass es befriedet und gesetzestreu bleibt oder von Anfang an bereits ein so unsichere – kontrollierte und überwachte Situation besteht, dass direkte Aktionen, wegen der Gefahr der staatlichen Verfolgung unmöglich sind.
Das Aufstellen von Forderungen spaltet Bewegungen außerdem von jenen Menschen ab, die besonders weit unten in den gesellschaftlichen Hierarchien stehen. Ihre Problem lassen sich nämlich nicht auf vermeintlich sinnvolle Forderungen reduzieren, anders als jene derjenigen, die in der Regel Aktivist*innen sind und sie haben auch weniger „Ressourcen“, um im Spiel der aktivistischen Politiker*innen erfolgreich zu sein. Solange die Arena der Politik und des Staates nicht verlassen wird, werden die immer gleichen Machtverhältnisse in Bewegungen fortbestehen.
Und wer wirklich eine andere Welt will kann, kann dieses Brennen nach Veränderung nicht einfach zu irgendeiner Zeit ablegen, aber Aktivismus funktioniert eben so, nicht ganzheitlich. Wie viele Mut, Empathie, Selbstkritik, Zorn
und Handlungsbereitschaft sind unter der Kaltherzigkeit der aktivistischen Politik erstickt worden?

33. „Organisierungsfeindlichkeit“ – Rückzug in den eigenen Freund*innenkreis

In dieser Gesellschaft sind wir tausendfach organisiert, ob wir es wollen oder nicht.
Wir leben in gewaltigen Organisationen, die sich Staat und kapitalistischer Markt nennen. In ihren Unterorganisationen wird unser Alltag im höchsten Ausmaß strukturiert und durchgeplant ohne dass wir viel dabei mitzuentscheiden haben. Aus diesem Grund ist es verständlich eine Abscheu gegenüber Organisierung zu empfinden und sich nicht formal organisieren zu wollen. Doch die linke Szene hat aus diesem verständlichen Gefühl ein absurdes Verständnis von Freiheit gemacht, welches nahezu alle Beziehungen ins Private verlagert und an Modellen dieser Gesellschaft orientiert.
Das ist keine aufständische Ablehnung von Organisationen, welche eine Revolte gegen diese immer weiter ausweiten will, die sich daher vor allem gegen Staat und Kapitalismus richtet. Vielmehr ist die linke „Organisierungsfeindlichkeit“ einfach der Rückzug ins Private und die staatlich-kapitalistische Form des Freund*innenkreises22. Also eines privilegierten, geschlossenen Kreises an Menschen, welche ihre Füße stillhalten und maximal symbolische Aktionen vornehmen, um sich selbst gut zu fühlen. Die Menschen darum sind durch unsichtbare Mauern ausgeschlossen und werden in ihrer Vereinzelung alleine gelassen. Eine linke Utopie in der nicht „gestört werden“ und sich nicht verändern müssen als Form der Freiheit gilt.
Um Macht dezentral zu verteilen braucht es Beziehungen, die Mauern zwischen uns niederreißen und deren Wurzeln weiter reichen als ein paar Meter, ob in informelle Form wie im aufständischen Anarchismus angestrebt, als offene Community oder formale Föderation. Mit der linken Szene wird es diese nicht geben, denn sie richtet ihre Politik auf den Staat aus und was außerdem stattfindet ist eine kleiner Zusatz. Sie braucht keine gesellschaftliche Alternative und damit keine andere Form der Organisierung.

22 Es gibt sehr verschiedene Ausprägungen von Freund*innenschaft.

34. „Wir sind mehr!“ – der Glaube an die Masse(norganisation)

Die andere Seite des linken Verhältnisses zu Organisationen ist der Glaube an die Masse, „die Arbeiter*innen“ oder „das Volk“, die in einer „Massenorganistion“, „Volksbefreiungsarmee“, „Partei“ oder „echten Demokratie“ organisiert werden soll. Das wirkt erst mal als Widerspruch zur vermeintlichen linken „Organisierungsfeindlichkeit“, ist es aber nicht, weil wir in diese Gesellschaft bereits als Masse und Volk organisiert sind, dass sind nämlich die zentralen Organisationsformen innerhalb des kapitalistischen Marktes und von (National-)Staatlichkeit. Die Linke setzt damit nur die Logik der bestehenden Gesellschaft fort.
Vereinzelung und Vereinsamung sind zentrale Mittel jeder Herrschaft insbesondere der von Staat und kapitalistischen Markt, ein Masse ist daher ganz einfach eine große Gruppe vereinzelter, entindividualisierter – vermasster Menschen deren Beziehungen von einer zentralisierten Machtstruktur kontrolliert und somit entmächtigt werden. Mit ihren Glauben an Massenbeziehungen und Organisationen setzt die Linke genau diese Vereinzelung und Entmächtigung fort.
Hier findet sich auch wieder eine Verbindung zum Aktivismus: Massenorganisationen funktionieren nur im Rahmen staatlicher Politik und bedürfen Aktivist*innen bzw. Politiker*innen, weil sie eben nicht dezentrale Beziehungen aufbauen, in denen Alle zum Aufbau anderer Gesellschaften beitragen und sich in verschiedene Richtungen weg von der jetzigen Ordnung bewegen, sondern einige Wenige die Richtung vorgeben. Diese Wenigen und damit die hinter ihnen stehenden Masse sind leicht kontrollierbar, z.B. in dem Aktivist*innen mit Posten in Staat und staatlich geförderten NGOs gekauft werden. Die Logik der Masse ist nicht befreiend.
Das zeigt sich auch einem der autoritärsten und ekelhaftestes linken Slogans: „Wir sind mehr!“. Wer die Anzahl der Menschen mit der gleichen Einstellung als Argument für die Richtigkeit seiner*ihrer Haltung nimmt, gibt damit die eigenen Inhalte völlig auf: Die Nazi waren auch mehr als der aktive Widerstand gegen sie, das hat sie nicht besser gemacht.

35. Anti-Anarchismus und Linke Einheit

Sind wir nicht alle links?“ – hinter diesem Wort versteckt sich vor allem eine Vorstellung. Dass die Ablehnung des Staates und seine Befürwortung/Nutzung vereinbar sein, also der Versuch zwei unvereinbare Positionen miteinander zu vereinen.
Die Ablehnung des Staates und seiner Nutzung ist dabei
genau das, was Anarchismus von der marxistischen, staatlichen Linken unterscheidet. Deshalb macht es auch keinen Sinn Anarchist*innen als links einzuordnen, es sei denn allen Linken, die den Staat nicht ablehnen, wird abgesprochen links zu sein.
In der Realität passiert es aber aus der Linken Szene heraus andauernd, dass Anarchist*innen als links eingeordnet werden. Oft tun dies auch viele Anarchist*innen selbst. Wobei nur ein Teil davon auch anarchistische Positionen vertritt und die anderen Sozialdemokrat*innen sind, die sich d
aran aufgeilen23 sich radikal zu fühlen indem sie sich Anarchist*innen nennen.
Warum nun ist die Einordnung
von Anarchismus als links so präsent in der Linken Szene?
Es ist eine Herrschafts- und Kontrolltechnik der Linken.
Indem der unüberwindbare Widerspruch zwischen anarchistischer Grundanalyse und der marxistischen, staatslinken unsichtbar gemacht wird, wird diese Analyse und deren Bedeutung, damit der Kern des Anarchismus ausgelöscht. Real verlaufen sich so viele Anarchist*innen in linken Projekten und Organisationen. Außerdem werden linke Inhalte in anarchistischen Räumen toleriert, was ebenfalls zum Verlust eigener Sichtweisen und Orientierung führt. Dies hat das Ergebnis, dass Anarchist*innen zum Fußvolk der Linken werden. Sie und ihre „Ressourcen“ werden missbraucht, um deren politischen Ziele zu erreichen. Gleichzeitig wird der Aufbau eigener anarchistischer, anti-autoritärer Bewegungen verhindert, weil die Energie nicht in direkte Aktion, Selbstorganisationen und eigene Theorie, sondern in pro-staatliche linke Projekte fließt. Die Vorstellung Anarchismus sei links und alle Linken wären Teil der gleichen Bewegung bzw. hätten vereinbare Ziel lässt sich unter dem Begriff Linke Einheit zusammenfassen. Sie dient auch dazu Anarchismus für die Linke ungefährlich zu machen, die Anarchistische Ablehnung des Staates macht ihn nämlich zu einer Bedrohung für die Linken und die Linke Szene deren zentrales Mittel staatliche Politik ist.
Seit Entstehen des Marxismus als
o seit über 150 Jahre ist daher Anti-Anarchismus zentrales vereinendes Element des staatlichen vermeintlichen „Sozialismus“ und später der Linken. Die einzige Ausnahme hiervor waren/sind die wenigen (anti-autoritären) Kommunist*innen24 jenseits der anarchistischen Bewegung und in neuerer Zeit indigenen Widerstandsbewegungen wie die Zaptistas oder manchen kurdischen Gruppen. Gerade aber (anti-autoritäre) Kommunist*innen wurden von den linken Verehrer*innen des Staat teilweise noch heftiger verfolgt als Anarchist*innen.
Heute beruht linke/linksradikale Szene weiterhin auf einem immens Anti-Anarchismus, denn Linke müssen anti-anarchistisch sein, wenn sie Illusion der positiven Veränderung durch den Staat aufrechterhalten wollen. Sie müssen Anarchist*innen, die ihre Handeln kritisieren, mundtot machen, sie aus Räumen verdrängen, wo Anarchist*innen dagegen Widerstand leisten, und sie sind verflucht dazu die Macht des Staates zu stärken, somit Anarchist*innen noch mehr Repression auszusetzen. Das Mund-Tot machen des Anarchismus beinhaltet die Auslöschung anarchistischer Geschichte und Theorie. Es ist kein wunder das Linke, die keine Anarchist*innen sind fast nie anarchistische Theorie lesen, während von Anarchist*innen verlangt wird erst mal marxistische Theoretiker*innen gelesen zu haben, bevor sie kritisiert werden dürfen. Genauso ist es notwendig bekannte Anarchist*innen bewusst und unbewusst vergessen zu machen, sonst liest noch wer deren Analysen und findet raus, dass Anarchismus lange keine kleine „Nischenströmung“ war, wie heute im deutschsprachigen Raum. Oder es käme sogar zu Sprache, was Marxist*innen alles anderen Sozialist*innen, Kommunist*innen und Anarchist*innen angetan haben. Dann ließe sich aber ganz schlecht einfach weiter so mit Hammer und Sichel rumackern…
Teil des Anti-Anarchismus ist ebenso die abgewandelte Strategie nur auf Anarchismus als ein Phänomen der Vergangenheit
Bezug zu nehmen, folglich werden vor allem uralte Texte gelesen, die kaum ein relevanten Verhältnis zu heutigen Ereignissen haben. Außerdem werden aktuelle Bewegungsnachrichten aus anderen Sprachräumen so gut wie vollständig ignoriert. Das verursacht dann den Anschein als sein anarchistische und anti-autoritären Bewegungen weltweit tot, obwohl beide gerade stark wieder wachsen.
Ein hervorsagendes Beispiel ist der George-Floyd
Aufstand 2020 in dem Gebiet das die USA beansprucht. Dies war einer der weltweit größten Aufstände der letzten Jahrzehnte mit einer klaren anti-autoritären Stoßrichtung. Nach Schätzungen waren dabei über Monate insgesamt 10-15 Millionen Menschen auf der Straße und es kam zu großflächigen, gewaltsamen Widerstand gegen die Polizei und andere Autoritäten in weit über 150 Städten.25 In Deutschland wird/wurde von Linken aber meistens nur von der Black Lives Matter – Bewegung, nicht von einem Aufstand gesprochen und wie schlimm autoritär die „amerikanische Gesellschaft“ sei.
Auf die Geschichte bezogen
gibt es den permanenten Linken Übergriff die UdSSR und damit die Inhaftierung, Folter, und Ermordung von tausenden Anarchist*innen und (anti-autoritären) Kommunist*innen, Sozialist*innen als positiv, notwendig oder kleinere Fehler darzustellen. Die Aussage dahinter ist, dass Anarchist*innen minderwertig sind und es ok ist uns zu ermorden und einzusperren. Verbunden ebenfalls mit der menschenfeindlichen Abwertung von Millionen anderer Opfer des Marxismus – der staatlichen Linken. Eigentlich sollte das eine Kriegserklärung sein…
Innerhalb der Lin
ken Szene beteiligen sich nicht wenig Anarchist*innen genau an diesen Prozessen. Das ist traurig, aber wer lange genug eingetrichtert bekommt die eigene Bewegung/Kultur und deren grundlegenden Ansichten sein minderwertig oder nicht beachtenswert verinnerlicht dies irgendwann. Zusätzlich verbreitet die Linke Szene nicht nur aktiv Lügen über Anarchismus, sie bestraft auch Anarchist*innen, die sich dagegen zu wehr setzen. Hier fehlt es an gemeinschaftlicher, solidarischer (inhaltlicher) Selbstverteidigung von Anarchist*innen und anderen Anti-Autoritären. Denn auch wenn es in ihr einzelne Komplize*innen gibt, ist die Linke Szene ist nicht anderes als eine Feindin aller Anti-Autoritären und Anarchist*innen, selbst wenn sie es (aus Selbstschutz) oft verdrängen. Es ist Zeit für einen absoluten Bruch mit ihr und zurückdrängen aus unseren Räumen und Kämpfen.

23 Nichts gegen aufgeilen, aber in Respekt zueinander und ohne Unterdrückung.
24 Kommunismus als Begriff wurde lange Zeit eigentlich auch als anti-staatlich verstanden bevor Marx und später Marxist*innen ihn sich aneigneten und der Zusammenhang mit der Ablehnung des Staates verschwand.
25 Auf deutsche Bevölkerungszahlen umgerechnet wären das 2-3 Millionen und ca. 30 Städte.

36. Ein Hoffnungsvolles Ende

Die anarchistischen Revolution 1936, in weiten Teilen des von Spanien beanspruchten Gebietes, ist ein Ereignisse, welches in der gemeinschaftlichen Erinnerung deutschsprachiger Linker um jeden Preis verdrängt werden muss. Das liegt zentral an seiner Kraft. Es sagt nämlich eines aus: Anarchist*innen können Revolution machen und weitreichender antifaschistischer Kampf bedarf keines Staates.
Die Revolution und auch das Handeln vieler Anarchist*innen während ihr sollten nicht verklärt werden, es gab sehr viele Fehler und Widersprüche. Aber wie jedes anderes Ereignis der anti-autoritäre Geschichte kann die Erinnerung uns helfen gegen die kulturelle Auslöschung durch Linke Widerstand zu leisten. Erinnern heißt kämpfen…
Brechen wir als Anarchist*innen und Anti-Autoritäre auf und lassen wir die Linke Szene hinter uns zurück. Mehr als das: Helfen wir jenen, die sie verlassen wollen mit uns zu fliehen. Und fliehen wir nicht nur, sondern beginnen wir aktiv uns gegen ihre Kontrolle zu verteidigen, uns Räume zurückzunehmen und ihren Untergang zu beschleunigen.

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