Stand: 23.05.2023 05:00 Uhr
Im Frühjahr 1973 haIten junge Leute der linken Szene in Hamburg ein Haus besetzt – seit Wochen. Für die Räumung rückt am 23. Mai erstmals das Mobile Einsatzkommando (MEK) an. Diese spezielle Einheit der Polizei greift seitdem immer ein, wenn große Gefahr besteht.
von Dirk Hempel
An jenem Tag im Mai stürmen Polizisten ein Haus an der Ekhofstraße im Hamburger Stadtteil Hohenfelde. Dort haben sich mehr als 70 Hausbesetzer verbarrikadiert, junge Männer und Frauen der linken Szene. Sie protestieren seit Wochen gegen den Abriss des altes Gebäudes, an dessen Stelle die Neue Heimat ein Hochhaus errichten will. Immer öfter aber haben sie auch Anwohnende und Polizisten bedroht und angegriffen.
Bei der Räumung des besetzten Hauses in Hamburg-Hohenfelde nimmt die Polizei 1973 mehrere Jugendliche fest, wie den hier am Boden liegenden jungen Mann.
Der Schein einer Leuchtrakete erhellt die Nacht, als die Beamten gegen 4 Uhr früh in das Haus vordringen. Die Straße ist abgesperrt, Panzerwagen und Wasserwerfer sind vor Ort. Die Polizei ist mit Schutzhelmen, Schlagstöcken und neuen durchsichtigen Schilden aus amerikanischer Produktion ausgestattet. Sie überrascht die Hausbesetzer im Schlaf. Sie werden durchsucht und müssen sich auf den Boden legen, die Hände auf dem Rücken gefesselt. Schon nach acht Minuten hat die Polizei die Lage unter Kontrolle gebracht.
In den Fenstern der Nachbarhäuser verfolgen die vom Lärm geweckten Anwohner den Abtransport der Festgenommenen. Zustimmung wird laut, aber auch Protest gegen das Vorgehen der Polizei, vor allem aus einem von Studierenden bewohnten Haus. Mehr als 500 zum Teil schwer bewaffnete Beamte sind an der Räumung in der Ekhofstraße beteiligt, die Stürmung des Hauses aber hat das Mobile Einsatzkommando (MEK) durchgeführt.
In der Hamburgischen Bürgerschaft kommt es am selben Tag zu heftigen Debatten. Zu spät sei die Polizei eingesetzt worden, wirft die CDU-Opposition Innensenator Heinz Ruhnau (SPD) vor. Dieser rückt die Sorge für das Wohl der Beamten in den Vordergrund, die zuerst Informationen hätten sammeln müssen. Einen Tag später wird das Haus abgerissen – begleitet von weiteren Protesten.
Auslöser für die Gründung des MEK ist der Terroranschlag von München 1972.
Das MEK – die neue Spezialeinheit – ist erst im November des Vorjahres aufgestellt worden, nachdem palästinensische Terroristen während der Olympischen Spiele 1972 in München israelische Sportler als Geiseln genommen hatten. Die Befreiungsaktion durch die unvorbereitete Schutzpolizei endete mit einer Katastrophe – insgesamt kamen 17 Menschen ums Leben. Deshalb haben die Innenminister der Bundesländer die Gründung von Spezialeinheiten bei Polizei und Bundesgrenzschutz beschlossen.
Das Hamburger MEK besteht damals aus rund 40 Beamten. Sie kommen vor allem von der Schutz- und der Bereitschaftspolizei, haben ein strenges Auswahlverfahren durchlaufen und sind hervorragend ausgebildet, als Scharfschützen, Karatekämpfer, Sprengstoffspezialisten. Sie erhalten besonderes Fahrtraining und kennen sich in Rechtskunde aus.AUDIO: 50 Jahre Spezialeinheiten der Polizei (1 Min)
Die Elitepolizisten soll Terroristen bekämpfen, Schwerverbrecher und Entführer festnehmen, Geiselnehmer überwältigen, besetzte Gebäude stürmen und gegen gewalttätige Demonstranten vorgehen. Anders als die Sondereinsatzkommandos (SEK) der anderen Bundesländer, die nur den Zugriff durchführen, übernimmt die Hamburger Spezialeinheit von Anfang an auch Fahndungsaufgaben sowie die Observation der mutmaßlichen Straftäter.
Die Einheit ist seit 1972 in einer Polizeikaserne im Stadtteil Alsterdorf stationiert. Ein Team ist jederzeit für den nächsten Einsatz bereit. Und der kommt damals schneller als erwartet. Schon im September 1973 sprengen MEK-Beamte die Tür einer Hochhauswohnung in Hamburg-Barmbek und verhaften bei einer vom Verfassungsschutz vorbereiteten Aktion drei Terrorverdächtige.
Im Jahr darauf werden die Beamten zu einer Bankfiliale am Steindamm in St. Georg gerufen. Der Bankräuber hatte einen Polizisten getötet und sieben Menschen in seine Gewalt gebracht. Bei der Übergabe des Fluchtwagens tötet ein MEK-Mann den Geiselnehmer durch Kopfschuss – es ist der erste finale Rettungsschuss in der Geschichte der Bundesrepublik.
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Bei einem Banküberfall am 18. April 1974 in St. Georg wurde erstmals in der Polizeigeschichte vom finalen Rettungsschuss Gebrauch gemacht.
In den folgenden Jahrzehnten ist die Hamburger Spezialeinheit bei zahlreichen spektakulären Kriminalfällen im Einsatz. Noch 1974 dämmen sie durch gezielte Aktionen die Gewalt von Rocker-Banden ein, damals ein großes Problem in der Hansestadt. 1981 geht ihnen an der Wilhelmsburger Honigfabrik Peter-Jürgen Boock in die Fänge, der als RAF-Terrorist an der Entführung des danach ermordeten Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer beteiligt war.
Den St.-Pauli-Auftragsmörder Werner Pinzner verhaften die MEK-Beamten am 15. April 1986 in seiner Wohnung, als er gerade aus dem Bad kommt. In einem späteren Verhör im Polizeipräsidium erschießt der Killer Staatsanwalt Wolfgang Bistry, seine anwesende Ehefrau Jutta, die die Waffe ins Gebäude geschmuggelt hat, und sich selbst. Ein großer Skandal.
Als Auftragsmörder gehört er in den 80ern zu den skrupellosesten Männern in Hamburg. Bei einer Vernehmung kommt es zum tödlichen Drama.
Arno Funke alias “Dagobert” (l.) wird 1995 zu mehreren Jahren Haft verurteilt.
Auch im Mai 1991, als der damalige Sozialsenator und spätere Erste Bürgermeister Ortwin Runde von einer bewaffneten Frau mehr als zwei Stunden als Geisel festgehalten wird, greift das MEK ein und überwältigt die Frau. Den Kaufhaus-Erpresser “Dagobert”, der von Karstadt 1,4 Millionen Mark fordert und immer wieder in Geschäften Bomben explodieren lässt, um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, jagen sie fast zwei Jahre lang. Immer wieder entkommt ihnen Arno Funke – wie er bürgerlich heißt – knapp, bis er schließlich 1994 in einer Berliner Telefonzelle festgenommen wird.
Auch nach der Entführung von Jan Philipp Reemtsma im März 1996, der erst nach 33 Tagen frei kommt, sind die Beamten der Spezialeinheit gefragt. Ein Beamter wird sogar als Double des Rechtsanwalts vorbereitet, der das Geld übergeben soll, kommt aber nicht zum Einsatz.
Im Jahr darauf verhaften sie den Erpresser von Versandhaus-Chef Michael Otto bei der Geldübergabe an der Bahnstrecke nach Lübeck. Und nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf das New Yorker World Trade Center durchsuchen die Beamten Wohnungen im Umfeld der Attentäter, die an der TU Harburg studiert hatten und die sogenannte Hamburger Terrorzelle bildeten.
Immer wieder stellen sich die Spezialkräfte auf neue Herausforderungen ein. So zeigen die Anschläge in Paris 2015, bei denen islamistische Terroristen an mehreren Orten der Stadt gleichzeitig angriffen, dass das MEK noch flexibler agieren muss. Auch bei den Krawallen gegen den G20-Gipfel im Sommer 2017 in Hamburg sind die Beamten an den Brennpunkten des Geschehens im Einsatz.
Im März 2023 kommen sie bei der Amoktat in Hamburg-Alsterdorf zum Einsatz, bei der ein Attentäter in ein Gebäude der Zeugen Jehovas eindringt und sieben Menschen erschießt, bevor sich das ehemalige Mitglied der christlichen Gemeinschaft selbst tötet.
SEK und MEK der Polizei feiern in Hamburg Jubiläum. Bei einer Übung zeigten die Kräfte, wie ihre Einsätze ablaufen.
In den mehr als 50 Jahren ihres Bestehens hat die Hamburger Spezialeinheit nach Angaben der Polizei rund 3.200 Einsätze durchgeführt, wobei sie nur fünf Mal Schusswaffen einsetzen musste. Drei Täter wurden getötet, ein Beamter verletzt.
Die Einheit ist über die Jahre angewachsen, Frauen gehören schon seit Jahren selbstverständlich zum Team. Noch immer üben sie den Einsatz auch auf Schiffen und in Flugzeugen, das Abseilen von Hochhäusern und die Landung mit Hubschraubern. Heute existiert in Hamburg neben dem MEK auch ein SEK, sind Observation und Zugriff wie in den anderen Bundesländern stärker getrennt, auch wenn die Spezialkräfte weiterhin Hand in Hand arbeiten.
]]>In Hamburg-Hohenfelde war vor der Hausbesetzung ab spätestens 1972 die Mieterinitiative Ekhofstraße / Graumannsweg aktiv, die allerdings von der Besetzung nicht informiert war (vgl. 20.6.1973).
Diese Hamburger Hausbesetzung reihte sich ein in eine ganze Welle von Hausbesetzungen des Frühjahres 1973, die wohl nicht zuletzt unter dem Eindruck der Frankfurter Häuserkämpfe erfolgten, soweit sie nicht eher, wie z.B. in Bielefeld und Dortmund oder bei der Hamburger ‘Fabrik’ durch die Jugendzentrumsbewegung erfolgten.
Bei Hoesch Dortmund sah die KPD/ML-ZK, in der ersten hier dokumentierten Erwähnung der Hamburger Hausbesetzung (vgl. 23.4.1973), so bereits die Revolution herannahen. Auch die örtliche Rote Garde (RG) Hamburg ist offenbar an der Besetzung beteiligt (vgl. 5.5.1973), die ansonsten u.a. von Leuten aus der Gruppe Internationaler Marxisten (GIM – vgl. Dez. 1973) und der Proletarischen Front (PF) – Gruppe westdeutscher Kommunisten (PF-GWK – vgl. 22.6.1973) sowie der evtl. bereits aufgelösten ex PF-Gruppe Hamburg (PF GH) getragen wurde.
Nicht wenige der kriminalisierten BesetzerInnen, wie z.B. die früher der GIM – die sich ja mit den Linksradikalen seit langem den Manifestbuchladen teilte – zugehörige Christa Eckes, aber auch Karl-Heinz Dellwo und Margit Schiller, werden später für die Rote Armee Fraktion (RAF) aktiv.
Die Besetzer gebärdeten sich militant, obwohl es dann doch bei der gewalttätigen Räumung (vgl. 23.5.1973), nur für ein Manöver der neuen Einsatzkräfte der Polizei in Form des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) reichte. Die Zahlenverhältnisse von 70, angeblich bis an die Zähne bewaffneten Besetzern, die gerne in den Hauseingängen mit Helm und Knüppel für die geneigte Presse posiert hatten, gegen lediglich 60 normale Polizisten und nur 45 MEKler – verdeutlichen, dass es der Polizei nicht zuletzt um sportlichen Ehrgeiz ging bzw. man die Kampfkraft der BesetzerInnen für eher gering hielt und sich das MEK als neueste Truppe zur Lösung von politischen Problemen bewähren sollte. Da kam diese Hausbesetzung für einige Strategen sicher gerade recht.
Auch die örtliche Bevölkerung, bei der sich die Besetzer offenbar nachhaltig unbeliebt gemacht hatten (vgl. 20.6.1973, 19.10.1973), wird nach den linken Quellen am Nachmittag erfolgreich eingeschüchtert, ein guter Teil der radikalsten Hamburger Linken aber nachhaltig inhaftiert bzw. kriminalisiert.
Aus Leserkreisen erreichte uns folgende namenlose Zuschrift einer Person:
“Ich wundere mich, das in diesem Bericht nichts davon steht, dass die ach so guten Hausbesetzter uns damalige Grundschüler auf dem Schulweg mit Stahlkugeln aus Zwillen beschossen haben? Warum steht da nichts davon, dass die Wichser da gehaust haben wie die Ratten, die Verkäuferinnen vom Bolle-Laden für ein paar Kippen verprügelt wurden, warum lese ich nichts davon, das kleinen Kindern der Roller oder das Fahrrad weggenommen wurde, damit es von ein paar langhaarigen und bärtigen Rockern kaputt gemacht werden konnte. So eine Scheiße kann man nur schreiben, wenn man nicht selber dabei gewesen ist. Ich habe diese Schweine dort jeden Tag erlebt und würde denen heute noch auf die Fresse schlagen, für die Stahlkugeln die mich getroffen haben. Das waren ganz tolle Kerle, die sich da mit Erstklässlern angelegt haben. Also, wenn Du eins von den Arschlöchern warst, die damals dort auf der Haustreppe gesessen haben, dann komm doch mal bei mir vorbei, wir haben da noch eine Rechnung offen.” (Email vom 4.1.2010)
Der Protestzug der Linken gegen die Räumung am folgenden Wochenende (vgl. 26.5.1973) erscheint nicht sonderlich gut besucht, angesichts dessen, dass die linksradikalen Gruppen, also Spontis, RAF-Freunde, Anarchos, KPD, KPD/ML sowie die GIM vermutlich ziemlich komplett aufmarschierten, sowie auch der spätere KBW, der damals in Hamburg noch Kommunistische Gruppe (KG) Hamburg bzw. Sozialistische Studentengruppe (SSG) Hamburg hieß (vgl. 2.5.1973, 29.5.1973, 25.6.1973) und auch der Kommunistische Bund (KB), wobei die Hausbesetzer anprangern, daß sowohl KB als auch die KG Hamburg gemeinsam Ketten vor dem Weg zum ehemals besetzten Haus bildeten.
Vom weiteren Verlauf der juristischen Verfahren wird in dieser Darstellung vor allem vermittels der Zeitung der KPD/ML auf verschiedene Artikel verwiesen (vgl. 22.9.1973, 6.10.1973, 27.10.1973, 17.11.1973, 29.4.1974, 22.6.1974), war die KPD/ML bzw. ihre RG doch nicht nur an der Besetzung beteiligt, sondern versuchte auch längere Zeit über, mit den eher auf die RAF orientierten örtlichen Roten Hilfen (RH – vgl. Nov. 1973, 5.11.1973), die sich für die Hausbesetzer einsetzten, eine gemeinsame Kampffront zu konstruieren, bevor sie sich – oft gezwungenermaßen – aus diesem Spektrum letztendlich in die Rote Hilfe Deutschlands (RHD) verabschiedete, ebenso wie die KPD und deren Anhänger, die ebenfalls wiederholt über die Folgen der Hausbesetzung berichten (vgl. Okt. 1973, 19.11.1973, 12.12.1973, 17.1.1974, 18.1.1974, 7.8.1974, 14.8.1974).
Auf den Richter wird ein Anschlag verübt (vgl. 29.7.1974, 3.9.1974), später werden die Urteile gegen die Hausbesetzer teilweise vom Bundesgerichtshof wieder aufgehoben um schwerwiegendere Anklagen zu formulieren (vgl. 30.4.1975, 16.6.1975, 11.3.1976).
Vollständiges Material, vor allem Flugblätter unter folgender Adresse:
https://www.mao-projekt.de/BRD/NOR/HBG/Hamburg_Ekhofstrasse_39.shtml
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