Uncategorized – eklat münster https://eklatmuenster.blackblogs.org linksradikale Gruppe Sun, 26 Jan 2025 19:29:50 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://eklatmuenster.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/876/2020/04/cropped-Original-32x32.jpg Uncategorized – eklat münster https://eklatmuenster.blackblogs.org 32 32 Rede gegen den AfD-Neujahrsempfang vom 16.02.24 https://eklatmuenster.blackblogs.org/2024/02/21/rede-gegen-den-afd-neujahrsempfang-vom-16-02-24/ Wed, 21 Feb 2024 17:15:24 +0000 https://eklatmuenster.blackblogs.org/?p=1154 Ein weiteres Jahr, ein weiterer AfD-Neujahrsempfang. Man könnte fast meinen, es bleibt alles beim Alten und alles Politische geht wie gewohnt seinen Gang. Doch der braune Haufen Dreck, der sich heute hier im Rathaus trifft, stinkt dieses Jahr noch gewaltiger als die Jahre zuvor: Die Correctiv-Recherche hat nun hoffentlich auch den Letzten klar gemacht, gegen wen wir hier heute protestieren: Waschechte Faschist*innen mit menschenverachtenden und deutschtümelden Gelüsten.

Viele schienen über das, was von der Correctiv-Recherche veröffentlicht wurde, überrascht und erbost. Doch die Überraschung verwundert ein wenig, so hat die Faschistin Alice Weidel es doch kürzlich erst mit eigenen Worten gesagt: Pläne zur massenhaften Abschiebbungen von allem „Undeutschen“ würden nicht im Geheimen, sondern auf ihren Parteitagen beschlossen. Und sie hat Recht! Ich erinnere mich noch gut an 2017, als die AfD ihre Parteitage in Hannover und Köln abgehalten hat. Die Gegenproteste waren groß, auch wenn die Polizei mit aller Gewalt gegen den Protest vorgegangen ist. Denn schon damals war uns klar, was die AfD ist und was diese Partei vorhat, weil sie es in alle Öffentlichkeit hinausposaunt! Sie ist eine rassistische, faschistoide Partei, deren Ziele sie seit spätestens 2015 klar benennt. Immer im Fokus war dabei die Entrechtung und Abschiebung geflüchteter Menschen und all derer, die nicht in ihr rassistisches, völkisches Bild passen.

Doch der Rechtsruck und die damit einhergehenden Abschiebe- und Deportationsphantasien sind kein Phänomen, das sich allein in der AfD und dem Treffen von Potsdam offenbart: er ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, und als solches muss man es verstehen, wenn man dem Rassismus noch etwas entgegensetzen will.Denn obwohl engagierte Antifaschist*innen seit Jahren vor exakt solchen Zuständen warnen und gewarnt haben, hatte man der AfD und anderen Rechtsradikalen scheinbar nichts entgegen zu setzen als billigste Appeasment-Politik: Im Osten Deutschlands ist es seit Jahren, besonders seitens der CDU, völlig normal, Anträgen der AfD in Stadträten oder Kreistagen zuzustimmen. Dass diese Anbändelei nicht skandalisiert wird, ist an sich schon ein Skandal!

Wenn ein angeblich sozialdemokratischer Bundeskanzler „in großem Stil abschieben“ will und die eigentlich so weltoffenen Grünen dabei höchstens „Bauchschmerzen“ haben und trotzdem als Regierungspartei lustig weiter in Kriegs- und Krisensgebiete wie den Iran und den Irak abschieben, dann ist auch das ein Phänomen des Rechtsruck. Und damit will ich keinesfalls sagen, dass diese Parteien genau so seien wie die AfD. Es handelt sich immer noch um bürgerlich-demokratische Partein. Aber wir müssen uns dennoch darüber im Klaren sein, dass mit der AfD als Triebfeder auch die sogenannte „bürgerliche Mitte“ immer anfälliger für rassistische und volkstümelnde Politik wird. Denn sie bekämpfen nicht die Rassisten, sie beschwichtigen sie nur! Und so wurde Europa zur Festung ausgebaut, Abertausende elendig ertrunkene Geflüchtete liegen auf dem Boden des Mittelmeers, das Recht auf Asyl wurde quasi abgeschafft und selbst das letzte aufgeweichte Gesetz scheint nicht mehr zu gelten, wenn Frontex illegale Pushbacks durchführt.

Bei der ganzen Scheiße, die momentan in Deutschland und Europa so vor sich geht, ist es ermutigend, dass allein in Münster Zehntausende Menschen die Innenstadt aus allen Nähten platzen lassen und ein Zeichen gegen Rechtsextremismus setzen. Es ist zu hoffen, dass diese Botschaft besonders bei all denjenigen ankommt, die momentan Angst um ihre Existenz haben müssen und am meisten unter dem Rechtsruck leiden.

Doch der Protest darf kein Ritual fürs gute Gewissen werden. Unser aller Antifaschismus darf sich nicht auf ein paar Demos beschränken, wo man sich hinterher auf die Schultern klopft und dann weiter macht wie vorher. Er muss nachhaltig werden und insbesondere nachhaltig bleiben. Und der Protest darf nie vergessen, gegen was er sich richtet: Wenn wir völlig berechtigt „Nazis raus“ fordern, dann müssen wir dabei immer daran denken, dass wir in dem Täterland demonstrieren, welches das Naziregime hervorgebracht hat. Wenn Deutsche „Nazis raus!“ rufen, dann erklären Sie auch immer diese Gesellschaft, diesen Staat, Deutschland selbst zu etwas Gutem, etwas schützenswertem, das angeblich nichts mit Nazis & ihresgleichen gemeinsam hat.Somit kann es keine Versöhnung mit der Vergangenheit, keine Wiedergutwerdung der Deutschen geben! Spucken wir unseren toten Nazigroßeltern auf’s Grab, statt ihre Täterschaft zu verschweigen! 

Wenn es uns ernst ist mit einem nachhaltigen Kampf gegen AfD und Rechtsruck, heißt das: Faschisten müssen mit allen uns möglichen  Mitteln bekämpft werden. Ob in der Nachbarschaft, im Betrieb, der Schule oder auf dem Elternabend, und auch im ach so toleranten und weltoffenen Münster: Wir dürfen nirgends zulassen, dass rechte Spinner ihre menschenverachtende Scheiße von sich geben können, ohne Konsequenzen fürchten zu müssen! Dass die Identitäten dieser Menschenfeinde öffentlich gemacht werden, darf nicht mehr nur die Arbeit radikaler Antifa-Recherchegruppen sein, sondern gesellschaftlicher Konsens werden. Zu diesen Mitteln gehört aber auch, dass wir uns gegen die Repressalien wehren, mit denen versucht wird, Antifaschist*innen mundtot und handlungsunfähig zu machen: Sei es die inhaftierte Antifaschistin Lina E., oder jene, die gegen den Tag der Ehre in Ungarn protestierten und jetzt dort im Knast sitzen. Außerdem: Solidarität mit den mutigen Menschen in der ostdeutschen Provinz,die sich dort gegen den Versuch der Faschos wehren, dort eine rechte Hegemonie aufzubauen.Und verdammt noch mal: Schluss mit der rassistischen Abschiebe- und Migrationspolitik!

Lasst es uns der AfD zudem gar nicht erst mehr möglich machen, ihre Deportationswünsche zu planen. Indem wir sie zum Beispiel Ende Juni ihren Bundesparteitag in Essen massenhaft blockieren! Das ist nicht allzu weit entfernt von hier, also hin da!

Denn am Ende heißt es Klipp und Klar: Nieder mit dem Rechtsruck dieser Gesellschaft! Nieder mit den verfluchten Faschist*innen von der AfD! Zur Hölle mit diesen schäbigen Rassisten!

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Gegen die definitive Arschlochgesellschaft https://eklatmuenster.blackblogs.org/2023/11/16/gegen-die-definitive-arschlochgesellschaft/ Thu, 16 Nov 2023 12:02:04 +0000 https://eklatmuenster.blackblogs.org/?p=1146 Spiegelung der Rede von NIKA NRW auf der Kundgebung „Solidarität mit Geflüchteten“ – 28.10.

0. Wir spüren es. Es ist ernst.
Die AfD hat in einigen Teilen dieses Landes 30% erreicht – man mag sich nicht ausmalen, was kommen wird. Faschisten neuen Typs waren bei den letzten Anläufen noch die Neuigkeit. Nun sind sie in einigen Orten der Welt bereits seit Jahren Regierungsmacht geworden – beim nächsten Anlauf sind sie Teil der Normalität. Noch schlimmer: Das, an dem sich alle anderen messen. Gleichzeitig überollen uns Asylverschärfungen (GEAS, Krisenverordnung, neue Abschieberegelungen), man kommt fast nicht mehr mit. Zugleich müssen wir feststellen, dass die Organisation im Widerstand gegen rassistische Verhältnisse schwächelt: Über einen Schiffbruch nach einem Pushback mit 700 Toten trauert man immer noch – die Reaktion ist aber schwach. Man hat es oft gesehen, was soll man noch tun? Vielleicht sind die Sinne nicht abgestumpft, aber was tun? Wer sich 2015 oder 2018 gesammelt hat, hat nun einige große Kämpfe ausgetragen – aber dreht man sich nicht im Kreis?

1. Und doch sind wir gefragt: Denn die Lage ist ernst.  
Bei der AfD ist es schon immer klar. Hier ist Rassismus das ganze Programm. Das Angebot ist die Identifikation mit einem Kollektiv – „das Volk“ – das es nicht gibt, das nur in Abgrenzung und Abwertung von anderen zusammenfindet. Das Angebot ist die Entfesselung des Hasses selbst, der am stärksten auf migrantisierte und rassifizierte Menschen freigelassen wird. Andere Argumente sind dort ein Vorwand, um diesen Hass zu tragen. In diesem Hass findet das Volk zusammen. Dafür stehen gut 20 Prozent der Wähler*innen in Deutschland.  Die dramatische Entwicklung ist im Rest der Parteilandschaft, des politischen Diskurses und der Gesellschaft, die sich darin ausdrückt, erkennbar.  Die CDU ist nun in guten Teilen ganz auf AfD-Niveau gelandet. Jens Spahn, der schon Menschenrechte für obsolet erklärte, will jetzt „physische Gewalt“ gegen Geflüchtete anwenden. Merz schafft es, selbst den Kampf gegen Antisemitismus – gerade in diesen Wochen so dringlich, so wichtig – zu instrumentalisieren, um Abschiebungen zu preisen: Zum Hohn der Opfer der Hamas und derer, die durch die antisemitische Internationale bedroht sind. Die Münsteraner CDU tut ähnliches, um den Integrationsrat zu treffen.  Hatten die Grünen noch „mit Bauchschmerzen“ die GEAS-Reform getragen, will die SPD jetzt „in großem Stil abschieben“ und man freut sich gemeinsam über die beschlossene „Krisenverordnung“, die es unter bestimmten Bedingungen ermöglicht, Migrant*innen zur Gefahr zu erklären, die es erlaubt, im Modus des Ausnahmezustands Menschenrechte und Rechtsstaat auszusetzen. Faeser begann ihr Amt mit einem Memorandum, das praktisch eine stärkere Selektion von Migrant*innen anhand wirtschaftlicher Nützlichkeit vorsah. Nun ist sie begeisterte Befürworterin der Abschottungsreformen und Abschiebepläne ohne rhetorische Umwege.  Und hier sind wir am Punkt: Die gewalttätige Abschottung, die Entrechtung und Gefährdung von Menschen, die Brutalität der Deportationen werden von bürgerlich-Liberalen-Linksliberalen nicht mehr als ordinäre Verwaltung des „Migrationsmenagements“ nebenbei und vermeintlich wider Willen getan, und so weit wie möglich fern von den Augen gehalten.  Sie sind nun programmatisch gewollt, man muss sich nicht mehr für die Brutalität erklären. Man muss nicht den neuen Faschisten halb versteckt zuzwinkern – man weiß, dass die eigene Basis nun mitmacht: Über Jahre wurde das Unerträgliche normalisiert. Vielleicht kann man sogar über diesen Zynismus nun stolz sein. Let`s be assholes! (1)

2. Warum passiert das?
Ja, einerseits heißt es: Schnell, schnell, bevor Europa 2024 wählt – und man meint immer noch, dass man die AfD dadurch schwächt, dass man sie nachmacht. Anderseits passiert was anderes. Das Ganze hat auch eine materielle Basis. Immer deutlicher bereiten sich die Staaten des globalen Nordes auf ein Szenario der um sich umhergreifenden globalen Krise vor. Der Kapitalismus, der im Norden auch Wohlstand gebracht hat, kann sich nur erhalten und die Krisen, an denen er zusammenbrechen könnte, überwinden, indem er noch stärker auf Ressourcen in einem (unter Anführungszeichen) „Außen“ zugreift: Noch billigere Arbeit, Raubbau an der Natur, Verschiebung auf andere Regionen der Konsequenzen und Kosten der Krise. Nur, irgendwann zieht sich zu sehr der Bogen weg – spätestens, wenn ganze Regionen politisch, ökonomisch und ökologisch unbewohnbar gemacht werden. Menschen machen sich auf den Weg dahin, wohin die Ressourcen, die ihrem Leben hätten dienen können, entführt wurden. Als akkumuliertes Kapital im globalen Norden findet man diese Ressourcen wieder als tatsächlich besseres Leben. Dann heißt es aber für die Arschloch-Gesellschaft bereit zu sein, die eigenen Interessen – koste es, was es wolle – zu verteidigen, in einem Stand verschärfter globaler Konkurrenz. Und es heißt: Den Zugang zu der eigenen Vormachtposition und zum eigenen Reichtum so stark es geht anderen zu verwehren.  Es entsteht ein „Gated Capitalism“. Und hier kommen die neuen Faschisten wieder ins Spiel, mit einem Versprechen: Wenn es bald doch darum gehen soll, jede Humanität und Vernunft über Bord zu werfen, im Namen einer Rationalität des Ausnahmezustands, des „Kampfes aller gegen alle“, des „nach mir“ und genauer „ruhig neben mir“, „die Sintflut“ – dann sind sie das Original. Sie sind an nichts gebunden und werden die Arschlochnummer am konsequentesten durchziehen.   
Neben den langwährenden Gründen – Kriege, Überausbeutung, die damit verbundene politische Instabilität, die sie gerne begleitende Macht von Banden oder extremistisch religiöser Gruppierungen – ist der Klimawandel schon jetzt und immer mehr einer der zentralen Gründe, die zur Flucht zwingen. Klimawandel bedeutet Dürre, extreme Wetterphänomene, allgemein die Zerstörung der Abläufe, über die sich das Leben reproduziert. In einigen Regionen ereignen sich schon jetzt jene Szenarien, die in den düstereren Visionen der Folgen des Klimawandels für die Zukunft vorgesehen sind.  Zum Klimawandel tragen bekanntlich am meisten die wirtschaftlich stärkeren Staaten bei, die direkt bei sich oder indirekt anderswo für die höchsten CO2-Ausstöße verantwortlich sind. Aber auch die „grüne Wende“ wird auf Kosten anderer Regionen ausgetragen. Die Materialien, die dafür nötig sind (etwa sogenannte „seltene Erden“), werden in den global zur Peripherie gemachten Regionen abgebaut. Dafür werden nicht nur ganze Landschaften verwüstet und unbewohnbar gemacht. In vielen Fällen entstehen Kämpfe für diese Ressourcen und nicht selten kommen Milizen und kriminelle Banden ins Spiel, die ganze Regionen in Schrecken versetzen oder sich darum kümmern, dass Menschen sich unter sklavenähnlichen Bedingungen im Abbau betätigen.  Wiederum können sich die Regionen des globalen Nordens stärker vor den Konsequenzen des Klimawandels schützen. Man wird Dämme errichten und die neuentstandenen Wüsten bewässern. Im Notfall wird man schwimmende Städte oder Oasen-Städte bauen. Wer nicht die ökonomischen Mittel hat, Technologien so anzuwenden, ist dann echt am Arsch. Es bleibt dann nur die Möglichkeit der Flucht.  

3. Zoom out, zoom in auf diese Seite der Festung.
Die Zerwürfnisse, die Kapitalismus in einer Gesellschaft hervorbringt, wurden in den Jahrzehnten nach dem Krieg beschwichtigt und integriert, durch einen Klassenkompromiss auf nationaler Ebene. Ein Teil des hier akkumulierten Reichtums diente zur Verbesserung der Lebenslage der Menschen, durch deren Ausbeutung Kapitalvermehrung geht. Gleichzeitig machte man damit die Bevölkerung des Nordens zu globalen Über-Konsument*innen. Ihr Lebensstandard, ihre Lebensweise sollte Waren verbrauchen (oft genug unnötige), um die Kapitalverwertung in Gang zu halten: Ein neues Auto alle 7 Jahre, Billigfleisch, erschwingliche Technologieprodukte. Dass das möglich wurde, hatte auch viel damit zu tun, dass einerseits massiv billige fossile Ressourcen verbraucht wurden (die Eltern des Klimawandels), anderseits viel direkte Aneignung von Ressourcen und Arbeitskraft („Extraktivismus“) aus dem globalen Süden stattfand. Die Nationalstaaten des globalen Nordens organisierten diesen „nationalen Wohlstand“ und legitimierten sich vor ihrer Bevölkerung dadurch. Vor vielfache Krisenphänomene gestellt, scheint dieser Wohlstand gefährdet. Es verbreitet sich das Gefühl, Privilegien zu verlieren – die gleichzeitig für viele ein kleiner Trost sind in einem Alltag von Fremdbestimmung und Unsicherheiten. Und es wird klar, dass diese Art zu Leben (Achtung, nicht zwingend ein komfortables Leben überhaupt, sondern diese Form von Wohlstand) eben davon lebt, dass andere Menschen davon ausgeschlossen sind und in der globalen Arbeitsteilung eine andere Position einnehmen. Wobei auch klar sein muss: Durch Abschottung wird die weitere Ausbeutung der Peripherien des Kapitalismus gesichert, auf die ein Teil der Kompensation der internen Zerwürfnisse im Globalen Norden beruht. Die Erzählung aber, dass hier der Kuchen zu klein ist und „nicht alle zu uns“ kommen können, weil sonst eine Konkurrenz entsteht, ist bullshit. Der Arbeitsmarkt ist hier bereits rassistisch geschichtet – Die Arbeiten im Niedriglohnsektor machen eben jene, die durch den Druck von Aufenthaltsrecht oder Job Center dazu gezwungen werden. Worum es geht, ist eine nationale Vormachtstellung im Zugriff auf diese Welt zu bewahren, und jene fernzuhalten, die die Konsequenzen dafür tragen. Der kapitalistische Nationalstaat bedeutet immer schon eine Aufteilung der Menschheit: Und zwar potentiell gegeneinander. Diese Welt konkurrierender, kapitalistischer Nationalstaaten ist ein infames Unding. Sie rechnet immer mit Ausschluss und Mord, sie macht Menschen überflüssig, verzichtbar. Menschenrechte werden damit einem per se menschenverachtenden Monster anvertraut.  

4. Die nächsten Monate brauchen uns.
Sie brauchen unsere Intelligenz, um das Unmenschliche laut zu benennen und zu zeigen, woher es kommt. Sie brauchen unsere Organisation: wir haben viel zu tun: Abschiebungen verhindern, Gesetzesvorhaben und Umsetzungen in die Quere kommen, Diskursverschiebungen umkehren – und gegen eine brutale Mentalität, gegen die Arschlochwerdung der Gesellschaft handeln. Sie brauchen uns – und wir dürfen uns nicht uns von der gefühlten Ohnmacht und der Übermacht der Verhältnisse in die Verzweiflung oder in den Wahnsinn treiben lassen. Ja, es ist diese ganze Un-Ordnung, die weg muss. Die Forderungen nach Bewegungsfreiheit, nach Bleiberecht – und auch bereits nach humanitärem Schutz! – sind revolutionär. Nimmt man sie ernst, führen sie auf den Weg einer radikalen Gesellschaftveränderung. Lasst uns diese selbst in die Hand nehmen.Lasst uns beraten, lasst uns wieder in Bewegung kommen. Gegen die Barbarei, wie auch immer sie auftritt. 

(1) Während wir diese Zeilen schrieben, äußerte sich ganz ähnlich ein langjähriger Aktivist öffentlich und sprach vom Übergang von der Verdrängungsgesellschaft zur Arschlochgesellschaft: „Die Eopche der Menschheitsgeschichte, in der […] das nationalegoistische, patriarchale Arschloch den neoliberalen Soziopathen als dominantes Subjekt ablöst: die nenne ich das Arschlochozän – the age ofassholes“. (Tadzio Müller)  

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KEINE BÜHNE FÜR TÄTER UND IHRE FANS https://eklatmuenster.blackblogs.org/2023/11/11/keine-buehne-fuer-taeter-und-ihre-fans/ Sat, 11 Nov 2023 08:04:29 +0000 https://eklatmuenster.blackblogs.org/?p=1142 Zur causa Lindemann –

Als im Mai dieses Jahres die ersten Vorwürfe des sexuellen Missbrauchs gegen Till Lindemann öffentlich wurden, hat uns das nicht sonderlich gewundert. Es ist nicht das erste Mal, dass bekannt wird, dass Männer in machtvollen Positionen, diese gegenüber FLINTA* ausnutzen. Es ist sehr vorstellbar, den Betroffenen Glauben schenken zu müssen, wenn es sich bei Lindemann um eine Person handelt, die schon lange misogyne und gewalt-verherrlichende Texte und Videos veröffentlicht, sich selbst heroisiert und als rebellischer Mann stilisiert. Es ist die natürliche und in Teilen auch richtige Reaktion, all die Wut und Enttäuschung, über die Miss-Funktion dieser Welt in einen solchen konkreten Fall zu kanalisieren und einfach mal rauszulassen. Es ist gleichzeitig kein Einzelfall, nicht in der Branche und nicht generell. In unser aller Leben sind patriarchale Strukturen omnipräsent: wir erleben sexistisches und Queerfeindliches Verhalten an der Arbeit, in der Uni, in der Familie, in den Medien die wir konsumieren; ja auch in unseren engsten freundschaftlichen und politischen Kreisen und ja auch in uns selbst, wenn wir uns in Konkurrenz fühlen, denken minderwertig zu sein oder andere gedanklich abwerten.
Das heißt aber nicht, dass wir uns an die Scheiße gewöhnt haben und so weiterleben wollen, dass die Causa Lindemann als Fall für sich genommen werden kann; ein Mann der Lindemann kritisiert dadurch zum besseren Mann wird oder die FLINTA*, die ihre Wut hier projizieren wollen, überhaupt daran glauben damit gleich das ganze Patriarchat abschaffen zu können.Es wäre ja tatsächlich schön, wenn die Stimmen der Betroffenen gehört würden.Es wäre ja tatsächlich schön, wenn auf derartige Handlungen auch Konsequenzen folgen würden.Aber nein: Aussagen von FLINTA* werden banalisiert, den jungen Frauen, die Vorwürfe gegen Lindemann und co. erheben nicht geglaubt. Wundert es uns noch?
Ein Exkurs ins Strafrecht:Das Verhältnis der angezeigten zu verurteilten Anzeigen wegen sexuellen Übergriffs stehen in keinerlei Verhältnis zu anderen Kriminalstatistiken. Für eine Verurteilung braucht es einen direkten Zusammenhang zwischen Gewalt und sexueller Handlung, der als solcher natürlich bewiesen werden muss: hier steht häufig Aussage gegen Aussage. Und wie die dauerhafte Gewalt und Unterdrückung nachweisen, wenn sie strukturell in der Gesellschaft verankert ist? Um einen sexuellen Übergriff nach §177 I, II StGB handelt es sich unter anderem nur, wenn eine sexuelle Handlung eindeutig gegen den erkennbaren Willen der betroffenen Person stattgefunden hat. Neben dem Nein heißt Nein Grundsatz, müsse aus der Sicht eines objektiven Beobachters dem „Opfer“ zuzumuten sein, dem entgegenstehenden Willen zum Tatzeitpunkt eindeutig Ausdruck zu verleihen; oder es sich um einen Sachverhalt handeln, bei denen Äußerungen des Gegenwillens unmöglich oder unzumutbar waren.Doch wie werden diese Grundsätze interpretiert und zugunsten von wem wenn es um die Anwendung geht?
Zum einen werden in der gesamten Auseinandersetzung mit der Causa Lindemann der Konsum von Alkohol und anderen Substanzen banalisiert zumindest medial selten in die Beurteilung der Willensbildung der Betroffenen mit aufgenommen. Zum anderen spielt die gewaltvolle psychosoziale Beziehung zwischen Fan und Star anscheinend keine Rolle, „die Frauen hätten sich ja freiwillig in die Situationen begeben“: ABER die Hierarchie zwischen dem reichen, mächtigen Star und den Fans, die diesen Star schon seit Jahren verehren ist besonders groß. Die von den jungen Frauen beschriebenen Begegnungen mit Lindemann ergaben sich recht spontan, sicherlich waren sie geladen von Aufregung und Adrenalin. Sie waren allein mit ihm, er ist groß und kräftig und ihnen körperlich überlegen. Aber auch die geschlechtlich sozialisierte Komponente spielt eine Rolle: im binären Gesellschaftsideal ist die Frau dem Mann untergeordnet und grundsätzlich zum Sexualobjekt reduziert.
Dieses Verhältnis erscheint allen „normal“ und deshalb ist es eher ungewöhnlich die eigenen Grenzen zu kennen und auszuformulieren. Dass Situationen in Teilen erst im Nachhinein hinterfragt werden, hat nichts damit zu tun, dass sich die eigenen Maßstäbe von Gut und Böse willkürlich verschieben, sondern wir begreifen, dass so was eben (the F*ck) nicht normal ist. Und das bedarf leider immer noch sehr viel Mut, auch gegenüber sich selbst.Und so wird am Ende doch eher einem weißen, wohlhabenden Hetero-Cis-Mann geglaubt, als einer von Gewalt betroffenen FLINTA*, die die Vorwürfe nur hervorbringe, um Berühmtheit zu erlangen.Aber sorry aber es handelt sich um den Bericht der tagtäglichen Realität und den von Verzweiflung geprägten Versuchen endlich angehört zu werden. Nein es macht nämlich keinen Spaß von der eigenen Erniedrigung und eigenen Ängsten zu erzählen, ständig darüber nachzudenken und nicht ernst genommen zu werden, wir hätten wirklich besseres zu tun!
Dazu kommen die Fans von Lindemann, die ihn verteidigen und verehren. Till hat für sie diese Position, ein bisschen was rebellisches, aber vor allem strahlt er heteronormativen Sex und Rock’n Roll aus. Damit identifizieren sich in der Regel gerne andere Männer, wollen so sein wie Lindemann, finden was er repräsentiert und präsentiert richtig, fühlen sich in ihren männlichen Identitäten bestätigt. Sie bekommen die Berechtigung dann auch mal wieder so richtig rebellisch und männlich sein zu dürfen. Und dann sind sie deshalb auch in ihrem eigenen kleinen Ego gekränkt, wenn wir Tills Verhalten und somit auch ihre eigene Wahrheit angreifen und sie gespiegelt bekommen, dass wir Männer und Menschen wie sie gar nicht geil finden: ihre sexistische Scheiße ankreiden und delegitimieren!
Es ist wichtig, auf die patriarchalen Verstrickungen des Rechts hinzuweisen, die immer wieder dazu führen, dass betroffenen Frauen nicht geglaubt und Täter nicht verurteilt werden. Es ist daher auch für uns als Feminist*innen notwendig, für Verbesserungen innerhalb des Rechtssystems, für die rechtliche Anerkennung patriarchaler Gewalt bis hin zu Feminiziden zu kämpfen. Es ist wichtig, öffentliche Einrichtungen wie die Halle Münsterland anzuklagen, dafür dass sie Tätern eine Plattform geben. Es ist wichtig, dafür die breite Gesellschaft zu mobilisieren, sei es über Aufklärungsarbeit, Kundgebungen und Petitionen. In einer Welt von rechtlichen und gesellschaftlichen Missständen müssen wir für eine Verbesserung dieser kämpfen.
Zugleich können und wollen wir dabei nicht stehen bleiben. Denn wir wissen, dass wir uns auf staatliche Institutionen, das Recht und die Polizei am Ende nicht verlassen können. Sie werden keine Komplizen in unserem Kampf gegen das Patriarchat sein.Unsere Politik als linksradikale Feminist*innen muss deshalb über Appelle an die Stadtgesellschaft oder den Staat hinausgehen.Unsere Wut darf nicht in Bitten um kleine Verbesserungen oder die Verhinderung des schlimmsten Übels enden.Unsere Wut ist größer – sie richtet sich gegen patriarchale Herrschaft als Ganze, die durch diese Gesellschaft, durch Staat, Recht und Polizei aufrecht zu erhalten versucht wird & unser gesamtes Leben durchdringt.
Deshalb ist es notwendig – und hier appellieren wir nun an euch – dass wir uns als Feminist*innen über diesen Tag hinaus zusammentun. Weil wir wissen, dass Lindemann kein Einzelfall ist, müssen wir das Patriarchat auch an allen anderen Stellen angreifen, an denen es sich zeigt. Es ist gut, dass wir heute in großer Zahl hier gemeinsam stehen. Aber wir müssen uns auch weiterhin organisieren – gegen Gewalt an FLINTA*, gegen Feminizide, gegen die Diskriminierung queerer Menschen, für unser Recht auf sexuelle und körperliche Selbstbestimmung, für eine Welt, in der wir alle frei & selbstbestimmt leben können. Unser gemeinsamer feministischer Kampf ist mit der heutigen Protestaktion nicht vorbei – es gibt noch viel zu viele Till Lindemanns in dieser Welt. Und wir werden nicht aufhören, bis der letzte von ihnen das Maul hält.Deswegen: Bildet Banden, organisiert euch! Für ein Ende der Gewalt – Feuer & Flamme dem Patriarchat!

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Things have got to change – Zur Aufgabe einer progressiven Linken nach dem 7.10. https://eklatmuenster.blackblogs.org/2023/11/09/things-have-got-to-change-zur-aufgabe-einer-progressiven-linken-nach-dem-7-10/ Thu, 09 Nov 2023 22:02:33 +0000 https://eklatmuenster.blackblogs.org/?p=1132

I.
Am 7. Oktober wurde durch den terroristischen Angriff der Hamas das größte Pogrom gegen Jüdinnen*Juden seit der Shoah begangen. Zahllose Menschen wurden gefoltert und ermordet, Shoah-Überlebende verschleppt, Frauen und Mädchen vergewaltigt, Babies in ihren Kinderbetten erschossen, Kinder ermordet und verbrannt. Die Massaker, die die Hamas an diesem Tag verübt hat, markieren eine Zäsur. Sie sollten Jüdinnen*Juden als eben solche treffen.Sie haben die radikalste Verachtung und einen reinen Vernichtungswunsch zum Ausdruck gebracht. Sie sind ein Beispiel dafür, dass Antisemitismus einen eliminatorischen Fluchtpunkt hat – und die Dschihadisten wollten damit genau das zum Ausdruck bringen. Der 7. Oktober sollte das Gefühl der individuellen und kollektiven Sicherheit in der Welt für Jüdinnen*Juden zerstören. Diese Zäsur wurde durch die Ereignisse weltweit verstärkt und multipliziert: Auf den Straßen fanden immense Mobilisierungen statt, die zum Teil die Massaker der Hamas als „Ausbruch aus dem Freiluftgefängnis“ und als Befreiungskampf verherrlichten und – noch bevor die Operationen der israelischen Armee begannen – von einem Genozid sprachen, und damit vor allem das antisemitische Bild blutrünstiger Jüdinnen*Juden zeichnen wollten. Seitdem werden Wohnungen von Jüdinnen*Juden markiert, Jüdinnen*Juden werden offen auf Straßen oder in Universitäten bedroht, Synagogen und Friedhöfe in Brand gesteckt – und so intergenerationale Traumata erweckt. Dies ist nichts Neues. Es zeigt, dass die Opposition gegen Israel meist sehr wenig mit der Kritik an bestimmten Politiken israelischer Regierungen, an dem Handeln rechter israelischer Gruppierungen oder mit dem Interesse für die Lage der Palästinenser*innen zu tun hat – sondern sehr viel mit antisemitischen Affekten, die sich fest in die Ablehnung Israels gegossen haben und dieser Form gegeben haben. Man befindet sich nun in einer Situation, in der man sagen muss: Never Again is Now.Doch scheint dieser Ausruf im luftleeren Raum linker Strukturen weltweit zu verhallen.Denn diese Zäsur erneuert auch für die Linke eine Aufgabe: Was heißt es, im eigenen Begriff von Emanzipation die Realität von Antisemitismus zu bedenken? Was heißt es, Solidarität mit Jüdinnen*Juden in die eigene Praxis einzubauen? Was heißt es, dass beides konkret sein, für die Geschichte Wirklichkeit werden muss?  Und wie kann eine Praxis aussehen, in der wir mit Jüdinnen*Juden weltweit und mit Israel solidarisch stehen? Wie kann diese Praxis dabei deutlich machen, dass ihr das Leid der Palästinenser*innen nicht gleichgültig ist? Dieser Aufgabe muss eine andere Frage vorangehen: Kann sich eine Linke als solche bezeichnen, wenn in ihr faktischer Antisemitismus Standard ist und das reale Leben von Jüdinnen*Juden nichts zählt?   

II.
Wenn zwar viele die Bereitschaft, die Hamas als Teil eines „palästinensischen Befreiungskampfes“ zu betrachten, verurteilten (was selbstverständlich sein sollte!), wurde die Zäsur, die der 7. Oktober bedeutete, und das, was der 7. Oktober überhaupt über den „Nahostkonflikt“ sagt, kaum bedacht. Man ist schnell zur üblichen, ohnehin verzerrten Betrachtung des Konfliktes gegangen: Es ist dann die Rede von einer generischen „Gewaltspirale“, die sich plötzlich materialisiere. Wenn man über Israel-Palästina spricht, solle unbedingt immer jeder Satz in die eine Richtung mit einem Satz in die andere Richtung ausbalanciert werden – doch ist damit gern etwas Anderes gemeint: Israel habe die Reaktion der Hamas selbst provoziert und reagiere nun unverhältnismäßig. Die Rollen werden klar aufgeteilt: Israel sei übermächtig und wolle unterdrücken. Jüdinnen*Juden sind gut – aber nur solange sie sich der Verfolgung stellen.  So muss an erster Stelle festgehalten werden: Die Hamas hat Pogrome gegen Jüdinnen*Juden verübt und wollte es genau so. Die Hamas hat die Eskalation gesucht, auch um die Annäherungen zwischen Israel und mehreren Staaten der arabischen Welt zu sabotieren und um eine weltweite Stimmung gegen Israel zu erzeugen. In diesem Zusammenhang muss Israel an erster Stelle seine Bevölkerung schützen und so handeln, dass die Gefahr durch die Hamas (und den Proxies des iranischen Regimes) behoben wird. Ohnmacht zu wählen, wäre an dieser Stelle falsch: Um der Lebendigen Willen.Das Vorhaben, die Hamas zu neutralisieren und ihre Infrastruktur zu zerschlagen, ist keine Reaktion im Affekt, sondern eine militärische Operation mit der Intention, die Sicherheit der israelischen Bevölkerung zu sichern.  In unvollkommenen Verhältnissen, die selbst eine solche militärische Reaktion nahelegen, heißt das, Abwägungen treffen zu müssen und auch Schuld in Kauf zu nehmen. Doch dass in dieser unvollkommenen Welt militärische Betätigung notwendig ist, um das Existenzrecht Israels zu schützen, bedeutet auch, dass die militärischen Strukturen, die mit dieser Aufgabe betraut sind, nicht unabhängig von den Logiken dieser Welt arbeiten können. Es ist die Aufgabe der IDF, die Armee des Schutzes jüdischen Lebens zu sein (sie ist dabei natürlich nicht davor gefeit, dieselben strukturellen Makel aufzuweisen wie militärische Institutionen in anderen Ländern). Und ihre Aufgabe ist schwierig. Die Hamas kontrolliert den Gazastreifen und bestimmt dort den Alltag; sie versteckt sich und ihre Infrastruktur in unterirdischen Tunneln, die ganz Gaza Stadt zum Schutzschild machen, oder platziert Abschussrampen, Waffenlager, Kommandozentralen in Krankhäusern, Schulen, Wohnhäusern. Es ist das erklärte Ziel der IDF, das, was als „militärische Asymmetrie“ bezeichnet wird, gerade dazu zu nutzen, soweit es geht die zivilen Opfer zu verringern – und ganz offenbar nicht, um einen Genozid an den Palästinenser*innen in Gaza zu verüben (umgekehrt wäre es wohl das erklärte Ziel der Hamas, wenn sie mit äquivalenten technischen Mitteln ausgerüstet wäre, Israel aus der Landkarte zu streichen – was sie ja auch ohne entsprechende Mittel schon versucht). Bodenoperationen, die moderne Armeen normalerweise vermeiden wollen, haben nun die Funktion, so gut es geht, nur Hamas-Strukturen zu treffen.  Mittlerweile sind auch tausende Tote auf palästinensischer Seite zu beklagen. Wenn wir über den gegenwärtigen Konflikt sprechen, ist es unsere Aufgabe, auch palästinensischen Opfern zu gedenken und auf den größtmöglichen Schutz ihres Lebens zu hoffen. Zu bedenken ist dabei, dass es für die Hamas möglich wäre, das Leben von Zivilist*innen nicht aufs Spiel zu setzen. Stattdessen scheint sie die Evakuierungen der Bevölkerung Gazas verhindern zu wollen und versucht sie zum „Martyrium“ zu bewegen. Stattdessen hat sie ganz Gaza-City/Stadt zum Schutzschild für ihre Tunnel und zum Depot ihrer Waffen und ihrer Versorgungsmittel gemacht. Die Bevölkerung des Gazastreifens ist selbst Geisel der Hamas. Minimalste Freiheitsrechte werden hier verwehrt, die Versorgung mit Wasser und Elektrizität nicht ausgebaut, Kinder werden indoktriniert. Free Gaza from Hamas bleibt die Parole. Wir können schlecht die militärischen Taktiken der IDF beurteilen, wissen aber um die strukturellen Gefahren innerhalb militärischer Organisationen. Das ist das Setting, das immer bedacht werden muss, wenn durchaus zu Recht gefragt wird, ob die Vorkehrungen der Armee, zivile Opfer zu vermeiden, effektiv und umsetzbar sind; ob die initiale Sperre der Lieferungen von Wasser und Elektrizität als nicht-militärisches Druckmittel angemessen ist; ob das Aufhalten humanitärer Lieferungen aus Sorge, dass diese in die Hände der Hamas geraten, tragbar ist. Diese Fragen darf man stellen. Sie wurden aber kaum so gestellt, sondern stets als scheinbares Indiz der besonderen Bosheit Israels verwendet.  Dieses Setting zu bedenken, bedeutet nicht, das Leid und die Ausweglosigkeit der Palästinenser*innen in Gaza zu übersehen und liefert auch keine Rechtfertigung dafür, dies nicht zu tun. Die Trauer um die Toten in Folge der Operationen der Israelischen Armee, innerhalb des Krieges der Hamas gegen Israel muss zugelassen werden. 

III.
Auch wird oft gefordert, die gegenwärtige Situation zu kontextualisieren. Schnell ist man bei (bewusst vage gelassenen) Worten wie Besatzung, systematischer Unterdrückung und Siedlerkolonialismus. Dies seien die letzten Ursachen. Bei diesen Argumentationen geht es allerdings häufig nicht um eine Kritik an der Politik Israels in den von Israel militärisch besetzten Gebieten infolge des Versuchs, den einzigen jüdischen Staat 1967 auszulöschen. Es geht auch nicht um eine Kritik an der von rechten Siedler*innen ausgeübten Gewalt oder an der faktischen Diskriminierung gegenüber Palästinenser*innen, sondern es geht um eine Umkehrung der Narration. Der wirkliche Kontext wird dabei selten ernsthaft diskutiert. Denn in der Geschichte dessen, was verharmlosend „Nahostkonflikt“ genannt wird, hat sich immer wieder gezeigt, dass es der Anti-Israel-Seite kaum um die Rechte der Palästinenser*innen und um eine gelungene Gründung eines palästinensischen Staates ging, sondern um die Abschaffung Israels als einziger jüdischer Staat und Zufluchtsort für von Antisemitismus bedrohte Jüdinnen*Juden weltweit. Die arabische Welt – nicht einfach die Palästinenser*innen – weigerte sich 1948, einen palästinensischen Staat zu gründen, weil das die Anerkennung Israels impliziert hätte. 1948, 1967 und 1973 wurde Israel mit dem Versuch mehrerer Armeen arabischer Staaten konfrontiert, den Isreaelischen Staat auszulöschen. Von 1948 bis 1967 waren der Gazastreifen und das Westjordanland jeweils von Ägypten und Jordanien besetzt, ohne dass ein Staat Palästina gegründet wurde – stattdessen wurden zwei Intifada-Wellen losgetreten.  Der Gründung eines eigenen palästinensischen Staates stand die Weigerung einer Anerkennung Israels immer wieder entgegen.  Dabei müssen auch die Verhinderungen einer Lösung auf Seiten israelischer Politik und die nachvollziehbaren Interessen und Anliegen von Palästinenser*innen bedacht werden. Allerdings gab es zu keinem Zeitpunkt einen real zum Frieden entschiedenen Verhandlungspartner auf offizieller Seite. Aktuell – während immer mehr ehemalige befeindete Staaten Frieden mit Israel schließen – wird das in seiner Wesensbestimmung vernichtungsantisemitische iranische Regime zum Hauptsponsor des terroristischen Krieges gegen Israel, und durch die Zäsur des 7. Oktobers wird die Frage nach der Ätiologie des Konfliktes zweitrangig: Was jetzt zählt, ist der unbedingte Schutz der Existenz Israels. Der Weg der Friedensabkommen mit arabischen Staaten ist indessen als entscheidender Schritt für einen möglichen Frieden zu schätzen.  Auch hier gilt also: das ist das Setting, das zu bedenken ist, wenn dann mit vollem Recht Anderes angesprochen wird. Und das kann getan werden: Israel hat aktuell eine Regierung, an der auch rechtsextreme beteiligt sind, die aus einer Minderheitsposition Vieles bestimmen, unmögliche Positionen verbreiten und die Gewalt rechter Siedler*innen befürworten und unterstützen. Aus dieser Ecke kommen auch rassistische und zum Teil genozidale Äußerungen hervor: Diese begründen aber keineswegs das Vorgehen der Israelischen Armee. Die Gewalt rechter Siedler*innen ist ein massives Problem und wird von den Sicherheitsbehörden zu wenig verfolgt. Nicht zuletzt die Verschiebung der Tätigkeiten der IDF in die Westbank im Zusammenhang mit dem Schutz der Siedler*innen und der Bewältigung der Reaktionen auf deren Gewalt hat die Lücke eröffnet, die die Hamas im Süden ausgenutzt hat. Das heißt auch: Das Handeln der gegenwärtigen Regierung kompromittiert an erster Stelle sensibel die Funktion Israels, als Schutzraum für alle Jüdinnen*Juden zu wirken und als Raum, in dem die vielfältigen Weisen, jüdisch zu sein, sich entfalten können – als demokratischer Rechtsstaat. Sie paktiert mit einer Vorstellung von Israel, die wesentliche Einsichten des Zionismus als Emanzipationsbewegung torpediert und selbst im Widerspruch steht zu vielen anderen jüdischen Vorstellungen dessen, wie Israel aussehen soll.  

IV.
Schockierend, wenn auch nicht überraschend, waren vor diesem Hintergrund die Reaktionen in vielen Teilen der Welt, insbesondere in linken Zusammenhängen.  Viel zu viele Kundgebungen, Aktivist*innen und Organisationen haben die Massaker der Hamas gefeiert und zum Teil des „Befreiungskampfes“ erklärt – auch in Münster. Deutsche und internationale Linke solidarisierten oder rechtfertigten die Aktionen einer faschistischen, islamistischen, misogynen, queerfeindlichen Gruppierung. Und auch dort, wo es Distanzierungen von der Hamas gab, aber weiterhin die Vernichtung Israels intendiert wird, ist man deren Zielen nicht fern. Die Parole „From the river tot he sea – Palestine will be free“ bekam die Klarheit, die schon immer gemeint war – den vermeintlichen Befreiungskämpfer*innen geht es meistens um die Rückgängigmachung der Staatsgründung Israels.Für einen guten Teil der Linken weltweit wird die „Palästinensische Sache“ zum Symbol für jeden Befreiungskampf gemacht und nimmt eine Stellvertreterfunktion an, die kaum erklärbar ist, und die automatisch, reflexhaft abgerufen wird. Kufiya und Palästinafahne sind in vielen Ländern das Zeichen der radikalen Linken schlechthin. Die Identifikation damit wird zum entscheidenden Identitätsmarker, zum Zeichen besonderer Radikalität und Entschlossenheit und zum Zugehörigkeitstest. Wer diesen nicht besteht, gehöre bekämpft, ausgeschlossen  oder wird zur Inkarnation der Reaktion gemacht. Diese vermeintliche „Palästinasolidarität“ ist oft mitunter verschwörungstheoretisch aufgebaut: Ohne geschichtliches Bewusstsein, nicht faktenbasiert, dafür reich an den erkennbarsten antisemitischen Framings. Sie dient zur Selbstmobilisierung und Selbstbestätigung. Das heißt im Klartext: Teile der Linken sind Kompliz*innen einer erneuten Pogromstimmung, völlig ohne ein Gefühl für die Situation und die Anliegen von Jüdinnen*Juden zu haben. Tatsächlich sind sie auch nicht interessiert an der Lage der Palästinenser*innen oder an echten Lösungen, in denen Palästinenser*innen nicht als Vorhut des Kampfes gegen Israel vorkommen. Vergebens hat man nach Demonstrationen gesucht, die die Proteste der Bevölkerung Gazas gegen die Hamas vor einigen Monaten unterstützten oder ähnlich große Mobilisierungen gegen die Hunderttausenden Tote im Jemen, in Syrien oder ganz akut der Vertreibung von Millionen von Afghan*innen aus Pakistan: das ist kein Whataboutism, sondern ein notwendiger Vergleich, um die Irrationalität der Argumentation herauszustellen. Noch verzweifelter hat man in den letzten Wochen nach pro-palästinensisch auftretenden Demonstrationen gegen die Hamas gesucht, gegen deren Unterdrückung und Instrumentalisierung bis hin zum Mord an der Bevölkerung Gazas. Abgrenzungen gegen Islamist*innen kamen selten oder spät: Warum? Die Kritik an dem häufig auftretenden Antisemitismus wurde immer wieder abgewehrt, zum Teil mit selbst antisemitischen Argumentationen – so etwa die Rede davon, dass Antisemitismuskritik Ausdruck einer „German Guilt“ sei, die nicht auf die Welt zu übertragen sei und die ganz die Logik des Schlusstrichs und der Relativierung der Singularität der Shoah führt. Gleichzeitig kritisieren wir aufs schärfste die Tatsache, dass Akteure, die sich nie ernsthaft der Antisemitismusbekämpfung gewidmet haben, die mit Antisemiten koalieren (CSU mit Aiwanger) oder in ihrem Herzen mit diesen koalieren wollen (Merz mit AfD), die Gedenken wenn überhaupt ritualisiert und als Moment der Wiedergutwerdung der Deutschen praktizieren, nun den Kampf gegen Antisemitismus als Mittel für rassistische und migrationsfeindliche Politik nutzen – und gleichzeitig linksliberale Parteien mit auf diesen beschämenden Zug aufspringen. Wenn es stimmt, dass Antisemitismus unterschiedlich in diversen Zusammenhängen auftritt und auch entsprechend adressiert werden soll, ist es eine reine Abwehr der eigenen Schuld, von „importiertem Antisemitismus“ zu sprechen. Deutsche haben genug Antisemitismus bei sich und haben sich eifrig als Exporteure von Antisemitismus betätigt – insbesondere in arabische Länder (und damit selbst einige der Ausgangslagen des „Nahostkonflikts“ bestimmt). Die Forderungen nach Abschiebungen sind unmenschlich, selbst rechtlich mehr als fragwürdig, weil diskriminierend, und sie sind keine Lösung: Antisemit*innen bleiben auch anderswo eine Bedrohung. Vor allem zeigen diese Forderungen, dass es diesen Parteien eben nicht um Jüdinnen*Juden geht, sondern um „unser Land“ (BILD, 6.11.2023), sprich: um rassistische Politik. Diese Diskurse verhindern effektive Antisemitismusbekämpfung, instrumentalisieren die Notlage von Jüdinnen*Juden in Deutschland, dienen lediglich und bewusst einer migrationsfeindlichen und muslim*innenfeindlichen Stimmung. Auch muss klargestellt werden: die polizeilichen Maßnahmen zur Verhinderung antisemitischer Bekundungen dürfen nicht den Ausdruck des Leids von Palästinenser*innen pauschal unter Verdacht stellen und verhindern. Noch weniger darf rassistische Polizeigewalt direkt oder indirekt legitimiert werden.  

V.
Wir stehen weiterhin dazu: Der effektive Kampf gegen Antisemitismus gehört zu den Standards linker Politik und muss auf seine spezifische Weise geführt werden. Die akute Notlage Israels in dieser unvollkommenen Welt muss dabei stets mitbedacht werden. Die Lösung kann nicht einfach auf die befreite Gesellschaft vertagt werden. Das bedeutet, dass Israel ein antifaschistisches Anliegen bleibt und innerhalb der gegebenen Verhältnisse notwendig ist. In einer Welt, in der es Antisemitismus gibt und die sich weiterhin als Welt von Staaten und Nationen strukturiert, ist ein Staat, in dem garantiert wird, dass Jüdinnen*Juden nicht von der Gunst anderer abhängig sind und sich selbstverteidigen können, die einzige Garantie für den Notfall. Denn Antisemitismus kann in seiner wahnhaften Funktionsweise immer und überall auftauchen und zuschlagen und hat immer einen eliminatorischen Fluchtpunkt, der die Auslöschung jüdischen Lebens zum notwendigen Schritt für das Ende allen Übels imaginiert. In einer Welt, in der Gesellschaft nicht als freie Assoziation gestaltet wird, ist ein jüdischer Staat die Garantie, dass wenigstens dort Jüdinnen*Juden als Jüdinnen*Juden leben können, so wie sie leben möchten. Dafür muss Israel auch sicher sein können.Wie jedes emanzipatorische Anliegen bleibt auch Israel umkämpft, kritisierbar und dem Risiko ausgesetzt, sich selbst zu verfehlen. Das aber weiß an erster Stelle die israelische Bevölkerung selbst, die seit Monaten Proteste führt, wie man sie sich hierzulande kaum vorstellen könnte.Deshalb stehen wir solidarisch an der Seite der Jüdinnen*Juden, aller Israelis und Israels in seiner historischen Aufgabe. Wir trauern um die israelischen und palästinensichen Opfer. Wir verurteilen die gewaltvollen antisemitischen, misogynen und queerfeindlichen Taten, die unfassbares Leid über Jüdinnen*Juden nicht nur in Israel, sondern weltweit gebracht haben, und stehen an der Seite Israels. Wir stehen auch solidarisch mit den Menschen in Gaza, die sich einer auswegslosen Situation ausgesetzt sehen und unter den Folgen des islamistischen Terrorregimes und des andauernden Konfliktes leiden. 

„Well, the neighborhood bully, he’s just one man
his enemies say he’s on their land
They got him outnumbered about a million to one
He got no place to escape to, no place to run
He’s the neighborhood bully.
The neighborhood bully he just lives to survive
He’s criticized and condemned for being alive
He’s not supposed to fight back, he’s supposed to have thick skin
He’s supposed to lay down and die when his door is kicked in
He’s the neighborhood bully…
Well, he knocked out a lynch mob, he was criticized
Old women condemned him, said he should apologize
Then he destroyed a bomb factory, nobody was glad
The bombs were meant for him.
He was supposed to feel bad
He’s the neighborhood bully.
Well, the chances are against it, and the odds are slim
That he’ll live by the rules that the world makes for him‚
Cause there’s a noose at his neck and a gun at his back
And a license to kill him is given out to every maniac
He’s the neighborhood bully…
Well, he’s surrounded by pacifists who all want peace
They pray for it nightly that the bloodshed must cease
Now, they wouldn’t hurt a fly.
To hurt one they would weep
They lay and they wait for this bully to fall asleep
He’s the neighborhood bully“.

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Rede zur GEAS-Reform der EU https://eklatmuenster.blackblogs.org/2023/06/19/rede-zur-geas-reform-der-eu/ Mon, 19 Jun 2023 19:19:01 +0000 http://eklatmuenster.blackblogs.org/?p=1126 Gegen die Menschenfeindlichkeit – für das Leben!

Liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen, 
das, was momentan in Europa und weltweit passiert, kann uns eigentlich nur sprachlos machen. Vergangenen Mittwoch sind 750 Menschen vor der griechischen Küste von Pylos gekentert, womöglich wegen eines Push-Backs der griechischen Küstenwache. Nur 104 Menschen konnten überleben. Schon lange folgt auf grausame Fälle wie diese kein öffentlicher Aufschrei mehr. Zu sehr hat man sich schon gewöhnt an die tödlichen Konsequenzen des europäischen Abschottungs-Systems, an das Mittelmeer als Massengrab der Festung Europa. Diejenigen, die gegen dieses mörderische Grenzregime ankämpfen, müssen mit Gegenwehr und Repression rechnen. So wurde die Solidaritätsdemo vorgestern in Athen von der Polizei brutal angegrefriffen.
Immer unverhohlener zeigt sich das rassistisch-tobende Gesicht der EU.
Während laut dem UNO-Hilfswerk für Menschen auf der Flucht gerade mehr Menschen denn je ihre Heimat verlassen müssen – letzten Schätzungen zufolge etwa 108 Millionen – versucht die  EU mit allen Mitteln jede Möglichkeit zur Flucht nach Europa auszuhebeln: Nach der neuen Asylreform sollen Menschen auf der Flucht, dort wo sie ankommen, d.h. direkt an den EU-Außengrenzen, für bis zu zwölf Wochen in Sammellagern eingepfercht werden können, während sie anhand von sogenannten Schnellverfahren „überprüft“ werden. In den meisten Fällen folgt darauf eine brutale Abschiebung – nicht mal jedem zweiten Asylantrag wird laut dem ZDF stattgegeben. Geflüchtete Menschen werden dazu gezwungen, zurück in Länder zu gehen, in denen Krieg, Hunger oder autoritäre Regime ihr Unwesen treiben.

Diese neue Brutalisierung des europäischen Grenzregimes fällt nicht zufällig mit allgegenwärtigen autoritären Rollbacks zusammen – in Europa und auch in Deutschland, das doch ach so viel aus seiner Geschichte als Land der Täter gelernt hat. 
So hat etwa die ultra-rechte Regierung Italiens Migrationsbekämpfung zu den Hauptthemen ihrer Arbeit erklärt. Dabei findet rhetorisch eine perfide Täter-Opfer Umkehr statt. Nach dem staatlich zugelassenen Massenmord vor der Küste von Cutro, in Kalabrien, empfing Meloni die Angehörigen der Opfer und erklärte diesen, es sei unverantwortlich, das Leben mit dem Versuch das Mittelmeer zu überqueren zu riskieren. Angekündigt wurde eine „Jagd bis zum Ende der Welt“ gegen sog. „Schleuser“. Während die Regierung tatsächlich mit Milizen und mafiösen Strukturen kooperiert, die Migrant*innen schikanieren und die Überfahrten kontrollieren, werden durch die Rhetorik der „Schleuserbekämpfung“ vor allem Menschen, die auf der Flucht sind und in der Not Aufgaben während der Überfahrt übernehmen, oder gar Helfer*innen angegriffen. Das Bedürfnis von Menschen und die Entscheidung, ihre Länder zu verlassen, wird von dieser Rhetorik mit Menschenhandel gleichgesetzt. Als sei dies nicht schon genug, soll auch das System von Inhaftierungszentren für Migrant*innen (cpr) ausgebaut und somit eine wichtige Form des humanitären Schutzes abgeschafft werden. Mitglieder der Regierung verbreiten dabei ganz offen die Verschwörungserzählung des „großen Austauschs“, selbst der Kultusminister schreibt Bücher darüber. Kein Wunder bei diesen Zuständen: andere feiern Mussolinis Marsch auf Rom, ein offener Faschist ist Senatspräsident, ein traditionalistischer, homophober Ultrakatholik mit Naziverbindungen ist Präsident der Abgeordnetenkammer. 

Auch in anderen europäischen Ländern wie in Griechenland nimmt der autoritäre Kurs zu, wird der Hass gegen Migrant*innen offen geschürt, werden die Stacheldrahtzäune der Festung Europa noch höher gezogen, werden immer mehr illegale gewaltsame Pushbacks eingesetzt, um Menschen an ihrer Bewegungsfreiheit zu hindern. Der griechische Premier Mitsotakis proklamierte im Januar stolz: „Griechenland steht mutig an der Front einer effektiven Verwaltung der Migrationsfrage.“ Neoliberale Logik und Kriegsrhetorik verbinden sich unverfroren in dieser Aussage. Die Abschottung der griechischen Grenze, die tatsächlich als Krieg gegen Migrant*innen ausgeführt wird, wird als  „Verwaltungsfrage“ verbucht. Wie ein Aktivist der identitäten Bewegung spricht Mitsotakis weiter: „Griechenland bildet die Grenze Europas, und es ist unsere Pflicht, diese zu schützen.“ Dazu dient der ausgedehnte Gebrauch illegaler Pushbacks auf See, der Einsatz von Gewalt durch Frontexagenten, der Ausbau des Zauns am Evros. Dieses Europa schützt nicht, sondern tötet!

Auch in Deutschland wird der autoritäre Rechtsruck sichtbarer, Rassismus erneut salonfähiger. Die CDU spricht nun ganz offen der AfD nach: Merz spurt rassitisch vor sich hin, während Spahn Menschenrechte für etwas überholtes hält. Grüne, SPD, FDP setzen Politiken zur Repression von Migrant*innen, die die AfD sich wünscht durch, wie nicht einmal Seehofer es tat. So bedeutet die Zustimmung zur GEAS-Reform die Umsetzung vieler seiner Vorhaben. Die aktuelle Innenministerin Faeser – die ihr Amt mit einem Memorandum begann, das ganz offen Selektion von Migrant*innen anhand wirtschaftlicher Nützlichkeit vorsah – redet die GEAS-Reform dabei schön. Das Auswärtige Amt hält die vom Bundestag beschlossenen Gelder für die zivile Seenotrettung zurück. Alle zwei Tage finden Angriffe auf Geflüchtetenunterkünfte statt; die Lage erinnert zunehmend an die frühen 90er Jahre – doch für die Regierung und einen guten Teil der Öffentlichkeit steht der Feind klar links: Antifaschist*innen, Aktivist*innen der Klimagerechtigkeitsbewegung, Antirassist*innen. So werden in Dresden Antifaschist*innen zu unverhältnismäßig langen Haftstraßen verurteilt und in Leipzig hebelt man mit allen juristischen Umwegen mal eben so die Versammlungsfreiheit aus. Die AfD erreicht dabei nie gesehene Hochs in Wahlumfragen.

Bereits 1997 schrieb Wolfgang Pohrt:
“Die Abschaffung des Asylrechts, die Verstärkung der Grenzen incl. Grenzschutz, […] die Errichtung rassistischer Barrieren im Landesinneren gegen „kriminelle Ausländer“ usw. hat  Hochkonjunktur. Jeder Mord, jeder Angriff auf Migrant*innen und Flüchtlinge, jedes faschistoide und rassistische Gesetz ist ein Sandsack mehr zur Verstärkung der rassistischen Deiche am Rande und im Innern Deutschlands. Es ist die Voraussetzung für das Deutschwerden der Einheimischen (nach dem Motto: geboren als Mensch, entwickelt zum Deutschen, geformt zum Vollstrecker)“.
Diese Worte könnten auch heute geschrieben worden sein. Es ist dieser institutionelle Rassismus, der Altagsrassismus, der Rassismus der „bürgerlichen Mitte“, der zu einen Zustrom zum rechten Rand führt, der Rassismus salonfähig macht und Nazis in Sicherheit wiegt. Es ist dieser Rassismus, der Menschen in Moria einpfercht und sterben lässt. Es ist dieser Rassismus, der nach Syrien abschiebt, Geflüchtete kriminalisiert und Nazis gewähren lässt. Es ist der Rassismus der „Mitte“ von CDU und SPD. Auf diese Parteien und auf den Staat ist kein Verlass in unserem Kampf gegen Rassismus und Faschismus, denn sie werden diese Probleme nicht lösen. 
Das ist auch kein Wunder: Denn Freiheit und Leben, selbst Überleben von Menschen sind keineswegs sicher, wenn sie in der Form von Menschenrechten garantiert werden sollen, die nur durch Nationalstaaten konkret werden.
Der kapitalistische Nationalstaat ist ein Ungeheuer: Er wird Menschen daran messen, wie nützlich sie gerade für die Steigerung der Profite und des Bruttoinlandprodukts sind. Ansonsten werden sie als Last wahrgenommen. Der „Gated Capitalism“, der immer mehr ausgebaut wird, soll die schrumpfenden Zonen der reicheren kapitalistischen Zonen nach außen hin abschotten, während Wettbewerb und Konkurrenz im Inneren toben. Nationalstaat bedeutet immer schon eine Aufteilung der Menschheit: Und zwar potentiell gegeneinander. Menschenrechte sind damit einem per se menschenverachtenden Monster anvertraut. Rechte Parteien und Diskurse drücken offen dieses Verständnis aus. Bürgerliche, liberale, sozialdemokratische, grüne Parteien setzen das ohnehin von selbst durch – mal rechtfertigen sie das als Einsicht in Sachzwänge, mal verschönen sie rhetorisch die offene Brutalität. Diese Welt konkurrierender, kapitalistischer Nationalstaaten ist ein infames Unding. Sie rechnet immer mit Ausschluss und Mord, sie macht Menschen überflüssig, verzichtbar. 

Brick by Brick, Wall by Wall – es ist diese ganze Ordnung, die weg muss. Die Forderungen nach Bewegungsfreiheit, nach Bleiberecht – und auch bereits nach humanitärem Schutz! – sind revolutionär. Nimmt man sie ernst, führen sie auf den Weg einer radikalen Gesellschaftveränderung. Lasst uns dies in die Hand nehmen – Feuer und Flamme der Festung Europa!

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„…um des Lebendigen Willen“ Ein Jahr nach dem Angriff: Solidarität mit dem Widerstand in der Ukraine. https://eklatmuenster.blackblogs.org/2023/02/23/um-des-lebendigen-willen-ein-jahr-nach-dem-angriff-solidaritaet-mit-dem-widerstand-in-der-ukraine/ Thu, 23 Feb 2023 19:49:59 +0000 http://eklatmuenster.blackblogs.org/?p=1111

I.               Ein Jahr Terror
Ein Jahr ist nun seit dem Beginn der Aggression auf die Ukraine durch Putins Russland vergangen. Der Angriffskrieg zielt u.a. auf Zerstörung und Demütigung der ukrainischen Bevölkerung ab. Auch Massaker an Zivilist*innen oder die Destruktion der Infrastruktur und Energieversorgung in der Mitte des Winters, um so viel Leid und Not wie es nur geht zu erzeugen, gehören zum Repertoire dieser Aggression. Gleichzeitig werden tausende von zwangsrekrutierten russischen Bürger*innen, insbesondere aus marginalisierten Regionen und Nationalitäten, durch Russland verheizt. Ukrainer*innen fanden sich von der Situation selbst an die Front versetzt, um ihr Leben zu verteidigen. Direkt wurde klar: Es hängt davon ab, wie und mit welchen Mitteln die Ukrainer*innen sich verteidigen können, wie Leid verhindert oder zumindest gemindert wird und Putins Aggression aufgehalten werden kann. Das Sterben zu verhindern – darum geht es an erster Stelle, wenn man auf diesen Krieg schaut.

Diplomatische Verhandlungen waren bisher nie eine realistische Option

Von Seiten der russischen Staatsmedien wird der Ukraine immer wieder ein Abbruch der Verhandlungen vorgeworfen. An dieser Stelle muss daran erinnert werden, dass die ersten Bedingungen Russlands quasi eine Selbstauflösung ukrainischen Lebens bedeutet hätten. Die Verhandlungen des Istanbuler Kommuniqués wurden in einem Zeitraum abgebrochen, als die Kriegsverbrechen in den befreiten Gebieten wie Butcha oder Irpin an die Öffentlichkeit gelangten. Im Angesicht des Grauens der systematisch verübten Kriegsverbrechen gegen die ukrainische Zivilbevölkerung weiterhin auf die Verhandlungsbereitschaft Russlands zu pochen, entlarvt die menschenfeindliche Elemente des querfrontlerischen Pazifismus.
Ja, tatsächlich geht es in diesem Krieg auch um eine Alternative innerhalb des falschen Ganzen dieser Weltordnung: Soll sich die Ukraine als liberale Demokratie weiterentwickeln oder zum Einflussbereich des russischen Neo-Imperiums Putins als Vasallenstaat zurückkehren? So unbefriedigend die Alternative einer bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft, so klar ist es, dass diese die bessere ist.
Die russische Aggression manövriert die Menschen in der Ukraine in eine existenzbedrohende Situation. Sie beraubt sie jeglicher Alternative und zwingt sie zunehmend dazu, zwischen Leben und Tod zu wählen – und im Angesicht der tausenden zivilen Todesopfer scheint es absurd, sich dieser Alternative zu entziehen.

„The dogma of some left is, whoever you are, no matter how brutal the dictatorship, if NATO is against you, there must be ultimately something not totally bad in you. NATO is the automatic opponent. And I find all this reasoning so stupid… .“

Zizek

II.              Putins Russland: Alle für einen – einer für alle?
Man muss dabei im Blick behalten, was Putins Russland ist, wie es funktioniert, warum sich dessen Form und Politik wesentlich unterscheiden von derer bürgerlicher Demokratien und was die Aggression damit zu tun hat: Russland lässt sich aktuell am besten als sogenannter „Racket-Staat“ beschreiben. Mit dem Zerfall der Sowjetunion etablierten sich nur schwach bürgerlich-liberale Verkehrsformen, während gleichzeitig kapitalistische Wirtschaft in Form eines enorm deregulierten freien Marktes Einzug hielt. Das hat nicht zuletzt mit dem Handeln westlicher Akteur*innen nach dem Zerfall der Sowjetunion zu tun. In diesem Zusammenhang bildeten sich untereinander konkurrierende, bandenähnliche Machtfraktionen, die die reguläre Wirtschaftstätigkeit bestimmten. Putin machte sich auf, die Konkurrenz unter den Banden zu koordinieren: Er selbst bändigt dabei einige Rackets mit den Mitteln des staatlichen Gewaltmonopols, verteilt die Beute und lässt die Rackets um seine Gunst und um den Einbau ihrer Interessen in staatliche Ziele streiten. Die dabei erzeugte Einheit ist eine dynamische und daher instabile. 

Dabei muss auch die ideologische Komponente des Krieges beleuchtet werden. Unter Putin hat sich ein nationalistisches bis völkisches Denken verbreitet. Russland habe zu einer alten Größe zurückzukehren. Diese Größe wird dabei mystisch aufgefasst und aufgeladen: Das russische Volk müsse seine Seele und seine ursprüngliche Mission unter den Völkern wiederfinden. Diese bestehe darin, sich gegen die Dekadenz des Westens zu stellen, die Verbindung mit einem ursprünglichen Ganzen hochzuhalten. Dabei wird ein Kampf gegen Individualismus, den Materialismus des Westens und dessen „Nihilismus“ herbeigeschworen in dem man sich gegen „Globalisten“, „Finanzeliten“, „Genderideologie“ etc. in Stellung zu bringen habe – Interessen, wie sie auch die Neue Rechte und Alt-Right-Bewegung formulieren. Eine wichtige Rolle spielt dabei auch die Ideologie des Eurasismus, wie sie etwa Dugin (der sich offen an Begleit-Denker des Nationalsozialismus wie Schmitt und Heidegger anlehnt), der christliche Faschist Ivan Ilyin oder Prochanow vertreten.

Die Sowjetunion wird dabei partiell aufgewertet, dabei jedoch ausschließlich als Zeichen nationaler Größe und Macht gedeutet. Dadurch wird Putin nicht zufällig zum Modell und Verbündeten der Neuen Rechten weltweit: Putin erhebt sich gewissermaßen zur Gallionsfigur der neuen Internationalen der „Souveränisten“ in den Parlamenten und ihrer außerparlamentarischen Bewegungen. Die Ukraine wurde in diesem Zusammenhang in typisch völkisch-faschistischer Manier selbst als dekadent, künstlich, „unrussisch“ gekennzeichnet, zum Sinnbild zersetzender Kräfte gemacht und im Stile einer Täter-Opfer-Umkehr – mit deutlich antisemitischen Motiven – als Aggressor dargestellt.

Auch die orthodoxe Kirche gewann erneut an Bedeutung, wobei der orthodoxe Glaube als Ausdruck der „russischen Seele“ und als Vorbereitung zum Opfer für das Ganze abgerufen wird. Der Patriarch Kirill erklärt mittlerweile den russischen Angriffskrieg zum „Heiligen Krieg gegen den Satanismus“. Demokratie, LGBITQ+-Rechte, Zivilgesellschaft: All das wurde und wird als unrussisch und westlich markiert und bekämpft. Am brutalen und mörderischen Umgang mit der queeren Community, am von Frauen- und Queerfeindlichkeit durchsetzten russischen Alltag kristallisieren sich die lebensfeindlichen Auswirkungen dieser regressiven Welten und Ideologien.

III.            (Neo-)imperialistische Sehnsüchte
Dem entspricht auch Putins Außenpolitik: Sie dient einerseits zur Erzeugung innerer Einheit – in der Befriedigung der konkurrierenden Machtbanden, in der Stärkung nationaler Identität. Sie inszeniert sich darin auch als „Widerstand“ gegen eine künstlich potenzierte Aggression des Westens gegen Russland, die man abwehren müsse. Sie ist dem „Schmerz“ geschuldet, den alten Einfluss auf die ehemaligen Satellitenstaaten der Sowjetunion verloren zu haben. Damit ist auch klar, dass die Gefahr für Grenzstaaten Russlands, zu Vasallenstaaten gemacht zu werden, keine Phantasterei ist. Außerdem zielt Putins Außenpolitik auf die Destabilisierung der internationalen Politik ab. Damit ist sehr wohl der Angriff auf die Ukraine als Teil eines Kampfes gegen die bürgerlich-liberale Ordnung zu sehen: Im Namen von etwas deutlich Regressiverem.

IV.            Lebend die befreite Gesellschaft erreichen
Oft kommt aber der Einwand: Ist nicht auch die Ukraine auf eine Weise nationalistisch, die für progressive Menschen unerträglich sein sollte? Sterben hier nicht auch Menschen für einen Nationalstaat? Eine radikale Kritik an Staat und Nation muss von einer progressiven Linken natürlich immer geübt werden (auch an der Ukraine, bei gegebener Zeit). Eine solche Kritik gelingt aber ohnehin nur zusammen mit einer Kritik von Kapital und Weltmarkt, mit einer Kritik der Gesamtverhältnisse. Angesichts der Notlage der Menschen in der Ukraine direkt auf diese Ebene zu springen, verschiebt aber den Fokus und lenkt von dem, worum es gerade geht, ab: der Abwehr eines tödlichen Angriffskrieges. Die Sehnsucht nach der befreiten Gesellschaft lässt man damit zur Floskel verfallen und bringt dabei die hunderttausenden akut Betroffenen schlichtweg nicht weiter – weil sie in der schlimmen Realität eines Krieges keine konkreten Handlungsoptionen unterbreitet. Hoffnung stiftet hier das, was die ganz simple Aussicht auf Überleben fördert. Die befreite Gesellschaft ist auch der Fluchtpunkt unserer Kritik: Sie darf aber nicht zur Flucht in eine abstrakte und generische Kritik werden, wenn es gerade um ein bestimmtes Urteil geht – dann ruft man die Namen der Befreiung ins Leere und macht sie zu Worthülsen. Hier geht es um den konkreten Erhalt des Lebens von Menschen und die Absicherung der minimalsten Freiheiten.

Der Fall Ukraine macht auch deutlich, was ein bürgerlich-liberaler Nationalstaat in der Gesamtheit des Falschen sein kann. In einer Welt von Staaten und Nationen werden – leider! – bestimmte Rechte und Freiheiten nur durch den Staat garantiert; ein bürgerlicher Rechtsstaat bewahrt seine Bürger*innen immer noch vor einer unmittelbaren Subsumtion unter das Volkskollektiv und lässt sich selbst von den Einzelnen anfechten. Dass aber diese Freiheiten existieren, ist die Voraussetzung, um ihre Verbindung mit der Staatsform überhaupt erst zum Gegenstand einer emanzipatorischen Kritik machen zu können. Und die Vorbedingung für jede emanzipatorische Revolution. Gerade eine Orientierung an der befreiten Gesellschaft verlangt den Einsatz gegen die größere Regression, ohne in die Apologetik bürgerlicher Gesellschaft zu verfallen. Eben das gelingt aber wiederum nur, wenn man auch in der Lage ist, eine Kritik ums Ganze, eine Kritik der Formen kapitalistischer Vergesellschaftung einschließlich ihrer immanenten Antagonismen zu leisten: Wenn man dann auch in der Lage ist, den liberalen Staat aufs Schärfste der Kritik zu unterziehen, ohne daraus eine Pose zu machen. 

Wir betonen es gerne noch einmal: Hier geht es um Leben oder Tod, um Aggressor und Angegriffene, um Schutz oder Ausgeliefertsein. Eine eindeutige, solidarische Positionierung müsste eigentlich ganz leicht fallen.

Deshalb…

…stehen wir uneingeschränkt auf der Seite der Menschen in der Ukraine, hier und jetzt, mit den Mitteln, die im Gegebenen notwendig sind. Wir sehen die Notwendigkeit der Selbstverteidigung, mit der Leben und Freiheit geschützt wird. Nach Walter Benjamin ist das: „Gewalt um des Lebendigen Willen“.

…stehen wir gegen die russische Aggression, aber auch gegen all das, was Putins Russland repräsentiert: Die Möglichkeit der größeren Regression, des Schlimmeren als eine kapitalistisch-liberale Ordnung. Die durchaus blutige Horizontlosigkeit der liberalen Demokratien ist verteidigungswürdig angesichts des offenen Todeskultes aller Putins, Khameneis usw. Das Infame gehört zurückgedrängt und besiegt!

…sind leere Rufe nach Frieden und Verhandlungen zu denunzieren, da sie jeglichem Realitätsbezug entbehren: sie sind nichts als zynische Worte auf dem Rücken tausender Opfer. Denn wie anmaßend, gefährlich, realitätsfern und naiv ist die bürgerlich-pazifistische Forderung nach einem Einstellen von (über-)lebensnotwendiger Selbstverteidigung. Jene Forderungen sind oft genug nur identitäre Selbstvergewisserung und leere Schablonen. Hoffnung hingegen ist immer nur konkret, sie muss in der Geschichte getan werden.

…stehen wir auch gegen die Instrumentalisierung der Solidarität mit der Ukraine, um willkürliche Erhöhungen des Militäretats durchzusetzen und deutschen Militarismus zu schüren, oder um zurück zur Braunkohle zu kehren – die keine Unabhängigkeit vom russischen Gas verschafft. Diese Verflechtungen, bei gleichzeitigem Zögern in der Unterstützung der Ukraine, zeigen, dass es dem freiheitlichen Westen selten wirklich um Freiheit geht – zumindest nicht um die der anderen.

…stehen wir solidarisch mit der ukrainischen Linken, die es auch in einer freien Ukraine sehr schwierig haben wird – aber dort erst ihre Kämpfe austragen kann.

…sind wir solidarisch mit den russischen Dissident*innen und vielen Protestierenden, die jeden Tag Gefängnis und Repressionen riskieren – und in einigen Fällen um ihr Leben fürchten müssen. Wir sind solidarisch insbesondere mit Queers, Linken, Aktivist*innen, Journalist*innen, deren Leben und Handeln tagtäglich bedroht wird. Wir hoffen, dass sich in Russland eine progressive Zivilgesellschaft etablieren und der vollkommene Übergang zu einer völkischen, ultra-reaktionären Diktatur aufgehalten werden kann.

…bleiben wir dabei: Für die Befreiung der Ukrainer*innen! Für den Sieg gegen Putin!

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Redebeitrag: AfD Neujahrsempfang 20.01. https://eklatmuenster.blackblogs.org/2023/01/22/redebeitrag-afd-neujahrsempfang-20-01/ Sun, 22 Jan 2023 15:58:19 +0000 http://eklatmuenster.blackblogs.org/?p=1107 Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Münsteraner Stadtgesellschaft!


Der Neujahrsempfang der AfD gehört mittlerweile schon fast so fest zum Münsteraner Jahresablauf wie der Send. Dieses Jahr setzt der Bezirksverband trotz -oder gerade wegen- seiner desolaten Lage einen drauf: Mit der Einladung an Björn Höcke bekennt man sich nun endgültig zum rechtsextremen (und eigentlich aufgelösten) Flügel, einer rechtsextremen Splittergruppe in einer schon rechtsradikalen Partei. Damit wäre eigentlich schon genug gesagt. Aber es lohnt sich dennoch, sich die heute geladenen hohen Gäste noch ein mal genauer anzuschauen. Da wäre zuerst einmal der bereits genannte Björn Höcke, der nach einem Gerichtsurteil von 2019 ganz rechtens als Faschist bezeichnet werden darf. Dass er mit dieser Ideologie keinerlei Berührungsängste hat, macht er in seinen Äußerungen immer wieder deutlich: Mal schwadroniert er vom „letzten Degenerationsstadium der Demokratie“, um sich dann im nächsten Atemzug wieder einen „Führer“ zu wünschen. Wen er sich in dieser Rolle wünscht, lässt er zwar offen, aber die Vermutung liegt nahe, dass er hier seine eigene Machtgeilheit projeziert.Das zweite Sternchen am kackbraunen Himmel heute Abend ist Christian Blex. Zwar dümpelt dieser nette Herr seit letztem Jahr als Fraktionsloser im Landtag von NRW durch die Gegend, aber auch er lässt sich dem „Flügel“ zuordnen. Wenn er nicht gerade auf Twitter gegen alle hetzt, die nicht in sein sehr eingeschränktes Weltbild a la „Ehe, Küche, Vaterland“ passen, dann besucht er gerne autoritäre Herrscher: 2018 unterhielt er sich auf seiner „Syrienfahrt“ mit dem Großmufti von Damaskus und machte deutlich, dass er dem politischen Stil eines Bashar Al Assads durchaus etwas abzugewinnen hat. In diesem Atemzug erklärte er Syrien übrigens auch – vermutlich gestützt von seiner großartigen Expertise – zu einem sicheren Herkunftsland. Den Vogel schoss er jedoch im letzten Jahr ab: er besuchte die im Rahmen des imperialistischen russischen Angriffskrieg besetzten „Volksrepubliken“ Donbass und Cherson. Man scheint in der AfD also auch zu einem Putin durchaus Parallelen zu sich selbst ziehen zu können. Kein Wunder, verteidigt der neue Zar von Moskau doch die Werte des „alten Westens“ gegen die Dekadenz der Moderne; namentlich: Rechte von Frauen und LGBTQ-Personen, freie Presse, Säkularität… die Liste ließe sich ewig fortführen.Letzter, aber nicht weniger verabscheuenswerter Gast heute Abend ist Daniel Zerbin. Recherchen zufolge gilt er als Bindeglied zur völkisch-faschistoiden „Identitären Bewegung“ und der „Jungen Alternative“, aus deren Reihen der ehemalige Oberstleutnant und Kampfsporttrainer auch rechte Schlägertrupps rekrutiert. Ein Blick auf die Facebookseite seines Sportstudios mit dem vielsagenden Namen „Sparta“ offenbart, welche Vision er von einer Gesellschaft hat: starke Männer, ohne jede Spur von Emotion, die ihr Vaterland verteidigen und unterwürfige, blonde, gebährfreudige Frauen, die ihren tapferen Kriegern die Wunden pflegen. Kommt einem irgendwie bekannt vor, oder? 

Halten wir kurz fest: heute versammelt sich hier die Creme de la Creme der Neuen Rechten aus NRW und Deutschland. In diesem Jahr sind aber nicht nur die Gäste beachtenswert, sondern auch der Titel der Veranstaltung und seine Implikationen: Man trifft sich unter dem feschen Titel „Frieden für Deutschland, Europa und die Welt.“ Zynischer und deutscher wird es wohl kaum: natürlich steht die geliebte Heimat an allererster Stelle; es gilt ja die Parole „Deutschland zuerst!“ Dass man sich damit ganz bequem aus jeder geopolitischen Verantwortung entziehen kann, ist die eine Seite der Medaille, die wir von der AfD kennen, die sich bekannterweise ja auch weigert, die Shoah, den Massenmord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden und die Ermordung von politischen Gegner*innen als Teil der deutschen Geschichte zu akzeptieren. Ebenfalls erschreckend ist es, wenn man sich den geforderten „Frieden“ einmal vor dem Hintergrund des Angriffskriegs gegen die Ukraine auf der Zunge zergehen lässt. Diese Männer, die gerade im Rathaus bei Canapés und Sekt „Frieden“ fordern, fordern gleichzeitig etwas, das sich ungefähr mit „Hände weg von Russland“ umschreiben ließe. Nicht nur, dass hier eine Täter-Opfer-Umkehr par excellénce stattfindet, nein! Mit solchen Parolen nimmt man mindestens in Kauf, dass sich die Massaker von Cherson, Butscha und Dnipro wiederholen und lässt einem Diktator den Weg frei, die Ukraine in seinen neuen Hegemonialstaat einzugliedern. Das kann kein Frieden sein, der diesen Namen verdient und den man unterstützen kann!

Erlaubt mir noch eine kurze Randnotiz, weil mich und viele von euch das Thema sicherlich auch beschäftigt: Herr Blex ist nicht nur begeisterter Kriegsgebietstourist, er nennt sich auch „Energiepolitiker“. Aus dieser Warte heraus fordert er eine „ideologiefreie Energiepolitik“. Diese Maxime scheint für ihn aber nicht zu gelten – in seinen Redebeiträgen schießt er gegen Klimaaktivist*innen – ah, pardon, Klimaterrorist*innen – jedweder Coleur und „zerstört“ in 3 Minuten die Windkraft, anstatt zu fragen, was nun wirklich für steigende Energiepreise sorgt und warum besonders Menschen im Präkariat frieren mussten. Aufgepasst, Herr Blex! Das liegt nicht etwa daran, dass wir den Planeten nicht noch länger brennen sehen wollen und einen sofortigen Kohleausstieg fordern – das liegt an der Profitgier von RWE und der kapitalistischen Verwertungslogik. 


Die AfD hat es in den letzten Jahren geschafft, die Grenzen des Sag- und Handelbaren immer weiter zu verschieben. Das ist ihnen bislang derartig gut gelungen, dass die Narrative, die 2014 als unsagbar galten, nun wie selbstverständlich im politischen Diskus aufgenommen werden.Als die Identitäre Bewegung 2015 ein Boot charterte, um damit Geflüchtete auf dem Mittelmeer an der Flucht nach Europa zu hindern, haben wir sie ausgelacht. Was vor nicht allzu langer Zeit als wahnsinnig galt, ist heute die seit Jahren von der EU geförderte staatliche Linie in der Flüchtlungspolitik. Getragen und unterstützt von allen Parteien im deutschen Parlament, umgesetzt von den Schlächtern der „Libyschen Küstenwache“.Das, was die AfD sät, fällt auf besonders fruchtbaren deutschen Boden. 


Genug jedoch der Kritik an der AfD. Mindestens genau so wichtig ist es heute Abend, uns als radikale Linke und besonders der „bürgerlichen Mehrheitsgesellschaft“ mit ihren Parteien und Zeitungen den Spiegel vorzuhalten. Hier in Münster brüsten wir uns immer stolz damit, dass die AfD die schlechtesten Wahlergebnisse im Bund einfährt und wir doch so weltoffen seien. Ich möchte fragen: wie kann es dann in dieser weltoffenen Stadt jedes verdammte Jahr dazu kommen, dass sich eine rechtsradikale Partei hier trifft, um sich selbst abzufeiern? Scheinbar reicht es den meisten von uns, im Kampf gegen die Neue Rechte am Wahltag das Kreuzchen nicht bei der AfD zu setzen.  Aber das scheint ja nun irgendwie nicht zu reichen. Trotz schlechter werdender Wahlergebnissen kann eine ehemalige AfD-Abgeordnete mit anderen Faschos und Reichsbürger*innen einen Staatsstreich inklusive Hinrichtungen aller ihrer Feinde planen; trotz schlechter Wahlergebnisse können deutsche Cops und deutsche Soldaten unbehelligt in Chatgruppen gegen nicht „Biodeutsche“ hetzen, die Shoah leugnen, Schwarze Menschen in Gefägniszellen anzünden oder sie auf offener Straße erschießen, wie es letztes Jahr mehrfach passiert ist. Flüchtlingsheime brennen, Verschwörungserzählungen, die vor Antisemitismus strotzen, sind spätestens seit Corona wieder an der Tagesordnung und zu Beginn des Jahres wurde erneut eine rassistische Integrationsdebatte angestoßen. Diese Integrationsdebatte wurde nicht etwa von der AfD angeführt. Sie wurde unter anderem vom Parteivorsitzenden der Volkspartei CDU maßgeblich in Gang gesetzt.Und die anderen Parteien folgen brav. Die SPD bringt direkt weitere Gesetzesverschärfungen auf den Weg, die FDP und die Grünen stehen nickend daneben und begründen diese Repressalien mit den „harten Zeiten“. 


Das Problem ist auch, aber eben nicht nur die AfD. Die AfD ist der Auswuchs einer sich immer mehr offenbarenden autoritären, regressiven Tendenz in diesem Land. Es gibt sie in den anderen Parteien, es gibt sie in den Institutionen dieses Landes. Um diesen starken Wind von Rechts aufzuhalten, hilft es nur, sich ihm entschlossen entgegenzustellen. Es hilft hingegen garnichts, sich darauf zu verlassen, dass dieser Staat oder sonst wer uns vor dieser Barberei schützen kann und wird. Und eine Selbstbeweihräucherung wegen schlechter Wahlergebnisse eines einzelnen Symptoms dieser Entwicklung bringt erst recht nichts. 


Heute, wie an allen anderen Tagen des Jahres auch, muss man sich ins Gedächtnis rufen, dass Antifaschismus Handarbeit war, ist und bleibt. Dass das gute Leben für alle nur antiautoritär erstritten werden kann und außerhalb der bürgerlichen Mitte stattfinden wird. Lasst uns diesen Faschos da drinnen den Abend versauen. Lasst uns ihnen zeigen, dass wir sie weder hier noch sonst wo haben wollen. Lasst uns ihnen die Hölle heiß machen, mit allen Mitteln! 

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Rede: Wir werden Lützerath nicht vergessen https://eklatmuenster.blackblogs.org/2023/01/22/rede-wir-werden-luetzerath-nicht-vergessen/ Sun, 22 Jan 2023 14:09:55 +0000 http://eklatmuenster.blackblogs.org/?p=1101 Ich sitze am Freitag vor der Großdemo in Lützerath mit meiner Mama beim Kaffee. Meine Mama hat immer schon die Grünen gewählt. „Mama, ich fahre morgen nach Lützi“, sage ich zu ihr. Ihre erste Reaktion ist nicht etwa „Schmeiß bloß keine Steine!“ oder „Was? Du demonstrierst mit den Klimaterroristen?!“ sondern: „Pass bitte auf dich auf. Besonders vor der Polizei.“ Wie viel Recht sie damit haben sollte, hat sich Samstag gezeigt.  Schon bei der Ankunft in Keyenberg, von wo aus die angemeldete Demo starten sollte, waren die Cops bereits in voller Montur und mit heruntergeklappten Visieren unterwegs, die Hand schon am Gummiknüppel. Wie sehr sie Bock auf Gewalt und Eskalation hatten, wurde dann auf dem Acker vor Lützi klar. Bei der kleinsten Näherung an Polizeiketten kam literweise Pfefferspray zum Einsatz, bei jedem Mucks, der aus der Demonstration kam, wurden die Schlagstöcke gehoben, die Reiterstaffeln warteten nur darauf ihren Pferden die Sporen zu geben, während andere Polizisten auf bewusstlose Personen einschlagen, während diese von Demosanis behandelt wurden. An dieser Stelle ein Riesen Dankeschön an die Demosanis, ohne die der Tag für einzelne noch wesentlich schlimmer geendet wäre. 
Aber auch wenn die maßlose Gewalt der Polizei an Tagen wie Samstag schockiert, so müssen wir doch einem Argument der Konservativen recht geben. „Die machen doch nur ihren Job“. Ja, die Polizei macht nur ihren Job – und Samstag war es ihr Job die Konzerninteressen von RWE durchzusetzen und als sein Privater Schlägertrupp zu agieren. Erinnern wir an das neue Polizeigesetz NRW von 2018 und an die Verschärfung des Versammlungsgesetzes 2022 – dann muss uns klar sein: Gewaltexzesse, wie die von Samstag sind politisch gewollte administrativ vorbereitet und werden zunehmend rechtlich abgesichert. 
Wenn es geltendes Recht ist, mit tausenden Polizisten und roher Gewalt einem Konzern dabei zu helfen zu Gunsten seiner Profite die Klimakrise zu verschärfen. Dann sagen wir mit reinem gewissen – dieses Recht gilt es zu brechen! Wenn die politische Ordnung es zulässt, dass die – ohnehin schon nicht ausreichenden Klimaziele immer wieder zu Gunsten des Wirtschaftsstandort Deutschland gebrochen werden – dann greifen wir diese politische Ordnung an. Und wenn es legitim ist, dass Deutschland durch sein Wirtschaften seit Jahrzehnten Klimakatastrophen in den globalen Süden exportiert, während sie mit Frontex an ihrer Seite davor fliehende Menschen im Mittelmeer ertrinken lässt – dann stehen wir hinter jeder einzelnen Person, die Polizeiketten durchbricht, auf Tripods klettert oder die Polizei physisch an der Festnahme von Klimaaktivisti hindert! 
Wir haben die Schnauze voll! Voll von Scheinheiligen Grünen, die sich im Parlament auf den dreckigen Deal mit RWE einlassen und sich in Lützi als Teil der Bewegung inszenieren. Voll von knüppelnden Robotercops und wir haben die Schnauze voll, von den Kommentarspalten der bürgerlichen Mitte – die ihren Mund halten wenn ein Netzwerk bewaffneter Reichsbürger enttarnt wird – sich aber die Todesstrafe für Klimaaktivisti wünschen, weil sie in einer Sitzblockade sitzen! 
Und weil wir die Schnauze so gestrichen voll haben – werden wir weiter kämpfen, denn wir lassen uns nicht einschüchtern! Erst heute in haben Aktivist*innen in den frühen Morgenstunden einen Braunkohle Bagger in Inden und die Zufahrtsschienen zum Kohlekraftwerk in Neurath blockiert. Lützerath können Sie Wegbaggern, aber unseren Willen für eine bessere Welt zu kämpfen nehmen sie uns nicht! Wir machen weiter, wir kommen wieder, wir werden mehr und wir werden lauter! 
Hinter unserem Kampf zum erhalt von Lützerath steht  viel mehr als ein kleiner Ort: In Lützi verbinden sich unsere Kämpfe wir für eine andere Welt. Für eine bessere Welt – jenseits von Staat und Kapital, Cops und RWE, die Hand in Hand gehen, um diese Vorstellungen mit aller Gewalt niederzutrampeln. Es geht um eine Welt, in der Reproduktion, also das Kümmern umeinander, um unseren Planeten und die Befriedigung aller Bedürfnisse, eine wichtigere Rolle einnimmt als die Profite von RWE und co. Es geht um eine Welt, in der Menschen keine Angst um ihr Zuhause oder ihr Leben haben müssen, weil sich nächste Dürre oder die nächste Flut sie noch schlimmer treffen wird als die davor. Und während Menschen besonders im globalen Süden um ihre Existenz fürchten, wird anderswo geplant, wie man sich am besten vor den kommenden Katastrophen der Zukunft schützen kann und zu welchem Preis man mit Elon Musks SpaceX-Raketen den Mars besiedeln wird. Für uns geht es um eine Welt, in der nicht mehr die Parole gilt: „Nach mir die Sintflut!“
Das Verharren in der Kohle ist eine besonders üble Erscheinung dieser Verhältnisse, ein Hohn und eine Unverschämtheit. Aber auch die vorgeschlagenen Alternativen sind nicht die Lösung. Auch der Übergang zu einem Green Capitalismkann keine Lösung für die Umweltfrage sein! An Beispiel Deutschlands und anderer europäischer Länder werden die Verfehlungen dieses „nachhaltigen Kapitalismus“ schon greifbar: Waldbrände in Brandenburg, Fluten und Dürren in Italien. Der so genannte „Green New Deal“ ist von der Frage geleitet und bestimmt, wie man durch eine vermeintlich nachhaltige Politik die nationale Produktion konkurrenzfähiger macht und auch dann noch möglichst gut Geld machen kann, wenn um einen herum die Erde brennt und Menschen ertrinken. Eines bleibt dabei jedoch unangetastet, nämlich das Entscheidende: Die kapitalistische Produktionsweise ist auf unendlichen Wachstum als ihren Selbstzweck angewiesen; sie kann nicht Rücksicht auf uns alle nehmen und sie muss Menschen in Konkurrenz versetzen. Sie steht Widerspruch zu dem, was hier die Frage ist: Wie kann man bewusst und gemeinsam eine Welt für alle organisieren, die eine Zukunft haben kann?Denn wir wissen, dass eine andere Welt möglich ist. Wir spüren es in unseren Körpern, die sich durch den Matsch geschlagen und aus dem Matsch geholfen haben. Die dem Pfefferspray und den Schläge getrotzt haben. Wir wissen es schon jetzt: In den Händen, die wir Samstag uns gereicht haben, um über einen Wall zu kommen; in der Kochsalzlösung, die wir uns gegenseitig in die Augen gegossen haben; in der Freude und Stärke, die wir trotz der Gewalt gegen uns in uns gespürt haben. Ja, auch in der Angst, die wir miteinander teilen durften und uns gegenseitig genommen haben.  Freund*innen: Es ist jetzt der Punkt, zusammen zu bleiben, uns unsere Hoffnung, unsere Wut, unsere Freude für ein ganz anderes Ganzes nicht nehmen zu lassen. 
Nach letztem Samstag dürfen wir unseren Kampf und unser Momentum nicht verlieren; es ist aber auch nötig, ein politisches Zwischenfazit zu ziehen: Die Politik hat unsere Bewegung vereinnahmt, unsere Parolen aufgegriffen und unsere Forderungen zu hippen Wahlkampftakes gemacht. Ja, allen vorran die Grünen. Sie haben mit uns demonstriert, manchen Aktivisti sogar Plätze in ihrer Partei angeboten. All das, um unsere Bewegung dann in Lützerath und dann als Partei in der Bundesregierung zu verraten. Auch politische Bewegungen scheinen manchmal im grünen Kapitalismus nicht mehr  zu sein als politisches Kapital, dass dann im Stimmengewinn seine Wertsteigerung erreicht. Wir wollen aber nicht in das Grünen-Bashing verfallen, wie es gerade in linksliberalen und sozialdemokratischen Medien betrieben wird. Sagen wir es, wie es ist: die Grünen sind eben, was sie sind: eine Partei in einem kapitalistischen System, die sich letztlich nur den Regeln dieses Systems unterwerfen kann, genau wie CDU und SPD. Wir möchten an dieser Stelle gezielt zu den Menschen sprechen, die Sympathien für die Grünen hegen oder Mitglied der Partei und besonders ihrer Jugendorganisationen sind: Wir sind uns sicher, auch ihr seid wütend auf das, was eure Partei in Lützi veranstaltet hat, und wir sind uns sicher, dass ihr mit den besten Intentionen und ehrbaren Zielen in die Partei eingetreten seid. Aber wir müssen festhalten: auch die Grünen haben in Lützi mitgeknüppelt und mitgepfeffert. Es ist jetzt Zeit, sich folgendes einzugestehen: Mit den Grünen ist keine Klimapolitik zu machen. Es ist auch keine Zeit mehr, auf irgendwelche Veränderungen oder mögliche Einflussnahme auf die Partei zu hoffen. Es sind für euch Tage der Entscheidung: Which side are you on?  Es  scheint absurd, nach Lützi zu fahren, mit einem Schlüssel zum Parteibüro der Grünen in der Tasche.
Wir werden Lützi nicht vergessen. Wir werden nicht vergessen, wie die Cops mit uns und besonders mit den Bewohner*innen von Lützerath umgegangen ist. Wir werden nicht vergessen, wer für die Zerstörung von Natur und Utopie verantwortlich ist. Wir werden nicht vergessen und wir werden vor allem nicht vergeben. Unser Kampf geht weiter. Weiter gegen Klimakiller wie RWE, gegen kapitalistische Zerstörungslust in Firmenzentralen oder in Parlamenten. Für das gute Leben für alle! 

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Blaugrüne Scheiße – Die zweifache Gewalt in Lützerath https://eklatmuenster.blackblogs.org/2023/01/13/blaugruene-scheisse-die-zweifache-gewalt-in-luetzerath/ Fri, 13 Jan 2023 20:14:56 +0000 http://eklatmuenster.blackblogs.org/?p=1095 Gewalt hoch zwei

Hundertschaften und Schmerzgriffe, Schlagstöcke und Pfefferspray, nächtliche Räumungen und verwehrte Sanitäter*innen-Einsätze: Die ganze Gewalt der Polizei wird gerade gegen die Menschen losgelassen, die sich der weiteren Kohlebeförderung in Garzweiler widersetzen. Als Hohn obendrauf erklingen polizeiliche Aufforderungen zur Gewaltlosigkeit der Aktivist*innen. Als Gewaltmonopolist wäre der Staat ja eigentlich primär dafür, dass offene Gewalt und Erpressung als Mittel, um Beziehungen und Verhältnisse in der Gesellschaft zu regeln, aus dem Raum geschafft werden. In Lützerath aber wendet der Staat diese Gewalt an, um selbst Dinge zu regeln, im Dienste des Partikularinteresses von RWE. Wie geht das denn? Darf er das?

Er darf und soll das, nach seiner Logik und seinen Gesetzen. Er verteidigt damit Eigentum und handelt im Dienste des besseren Gelingen von Kapitalakkumulation. Beides ist für diesen Staat eine wesentliche Aufgabe. Dieser Staat steckt ja einerseits die Bedingungen ab, unter denen kapitalistische Ausbeutung gelingt – genau in der Form des freien Tausches zwischen rechtlich gleichen Eigentümer*innen. Und er kümmert sich darum, dass die Kapitalakkumulation im Raum der Nation am besten zustande kommt, handelt dafür hin und wieder auch gegen die Interessen der einzelnen Kapitalist*innen – im Fall von Lützi aber ganz offen im Einklang mit dem unmittelbaren Interesse von RWE. Darin übernimmt aber der Staat nicht einfach eine Funktion des Kapitals: Er setzt sein eigenes Interesse um und stellt dem Kapital seine eigene Gewalt zur Verfügung: eine Gewalt, die das Kapital selbst nicht hätte.
Diese Gewalt dient dabei gerne dazu, unmittelbare Krisen zu überbrücken: Hier geht es darum, den energetischen Engpass durch Rückgriff auf Kohle zu lindern. Die Bereitstellung dieser Gewalt ist also selbst eine der Funktionen diesen Staates und ergänzt und erhält dabei die stumme und diffuse Gewalt des Kapitals selbst, die schon immer in die Lohnarbeit zwingt, die Welt rassistisch und patriarchal aufteilt und akut die Natur bis zum Kollaps verheizt. Sie ist eine „Gewalt hoch zwei“: Die Gewalt des Staates wirkt gegen jede ernsthaftere Regung des Widerstandes gegen die Gewalt dieser Verhältnisse erklärt diese zur illegalen und nicht tolerierbaren Gewalt. 

Und ja: Gegen diese zynische, destruktive und repressive Gewalt sind ein paar Steine das Mindeste. Gegen diese Gewalt stehen wir gerne bereit! Doch wir schämen uns nicht zu sagen, dass wir auch Angst haben. Wir mögen diese Härte nicht, wir wollen sie nicht, aber sie existiert. Unser Widerstand ist an erster Stelle unser Zusammenkommen und unsere Solidarität. Zu allem weiteren werden wir durch äußere Umstände gezwungen. Für die Abschaffung der Angst! 

Grüne Scheiße

Grüne LOL. Darüber muss man wohl nicht lange diskutieren. Unter allem Niveau der Kritik ist, wer nicht mal ein paar Monate die Farce der „Grünen Wende“ aufrechterhalten konnte und sehr schnell ins Bett der Kohlekonzerne geschlüpft ist. Noch gestern waren FFF-Demos das heißbegehrte Zielpublikum, heute schickt man Knüppel und eigene RWE-Polizeisammeltransporter gegen ihre Aktivist*innen. Dafuq?!
Und dort, wo sie gemäß ihrer zeitgemäßeren Berufung agieren und als Prophet*innen des Green New Deals auftreten, werden sie erst recht zum Gegenstand der Kritik – und zwar zu einem der dringendsten. Die Grünen sind die beste und zuverlässigste Partei des Kapitals in seiner gegenwärtigen Phase. Mit der Grünen Wende (die aber wegen der Konjunktur doch nun kurz warten soll), streben sie nichts anderes als Konkurrenzvorteile für die deutsche Wirtschaft an, indem sie den für das Fortwähren der Kapitalakkumulation notwendigen Umbau der Produktion einleiten.
Nachhaltig ist die Grüne Wende wohl kaum – sie setzt auf krasseste Umweltzerstörung in anderen Regionen, sie bedarf langer Transportwege, sie ist nicht denkbar ohne übermäßige Ausbeutung rassifizierter Arbeit. Vor allem aber: Sie unterbricht nicht den doch immer wieder auf Natur zurückfallenden ununterbrochenen Zwang zur Kapitalvermehrung.

1980 wussten die Grünen noch, dass Kapitalismus „gekennzeichnet ist durch die zunehmende Zerstörung der Lebensgrundlage der Menschen“ und „dass in einem begrenzten System kein unbegrenztes Wachstum möglich ist“ und dass dagegen nur „eine Gesellschaft, die demokratisch ist, in der die Beziehungen der Menschen untereinander und zur Natur bewusster gehandhabt werden“ (Call it by its name: Communism!).

Jetzt sind aber diese Worte nur noch „Ideologie“, deren Zeitalter ja vorbei sei: man ist längst politikfähig, regierungsfähig und wohl kanzlerfähig geworden. Außerdem sind die Grünen dabei ganz schön deutsch geworden: Mit ihrem moralischen Anspruch verlangen sie von den Bürger*innen vorauseilenden Gehorsam, Opfer und Hinwendung für die gute Sache.
Wahrhaftige Liberale erkennen wenigstens das Streben der einzelnen nach ihrem eigenen Interesse an: die Grünen verlangen die Hingabe zu einem Kollektiv der Guten – das Deutschland letztendlich doch nur wieder groß machen soll.Aber hey, bei aller Heuchlerei, die sicher auch im Spiel ist, ist es kein Wunder, dass die Grünen so handeln. Im Grunde muss es so sein, da sie Partei in diesem Staat sind. 

Gefangen im Spiegelspiel

Über die Grünen braucht man sich aber nicht zu wundern: Was subversiv angetreten ist, kann nicht anders als systemtragend enden, wenn es nach den Regeln spielt. Da hilft auch keine sich so militant gebärende Parteijugend. Da würde aber auch keine neue linke Partei viel ändern. Die Politik der Parteien in den Parlamenten wird sich am Ende immer darum kümmern müssen, dass die Kapitalakkumulation innerhalb der Nation gut gelingt: Sei es auch nur, um die für die eigene Fraktion typischen Wahlversprechen umsetzen zu können, so progressiv sie auch anmuten. Die Vielfalt der entgegengesetzten Positionen wird selbst zum Spiegelspiel, aus dem immer das gleiche Bild rauskommen muss: Wertschöpfung, gelinge! Wenn es sein muss, wird dann selbst die Partei, die „Grün“ in ihrem Namen trägt und antikapitalistisch und antiautoritär angetreten ist, auf einmal gewaltlüsterne Bullen schicken, um den Weg für die Kohlebagger freiräumen zu lassen. Und das, während die Klimakrise nicht mehr zu übersehen ist und sie selbst – zwar mit der Mogelpackung der „Grünen Wende“ – vor ihren Wähler*innen angetreten waren, um den Ausgang aus den fossilen Energien zu befördern. 

Aber der Politikwissenschaftler Agnoli wusste es: Das Gebäude der „verantwortungsvollen Politik“ hat einen Eingang und keinen Ausgang: „Erst in dem verantwortungsbewussten, nicht bloß gesinnungsmäßigen Eingang in den Palast zeigen sie ihre „Fähigkeit zur Politik”. Handelt eine Gruppe verantwortlich, so legt sie alles Subversive ab, arbeitet mit am Auf- und Ausbau und erlangt derart volle Akzeptanz: Sie wird zunächst oppositionsfähig; sodann koalitionsfähig: schließlich regierungsfähig: fester Bestandteil der Macht, der das vormals Unbotmäßige in den Palast einfährt und es in die Normen, Spielregeln, Einzäunungen zurückholt. Anders gesagt: Sie wird systemische Funktion ebenso wie ihre Vertreter sich in Funktionäre der Repräsentanz verwandeln“ (Johannes Agnoli).

Wohlgemerkt: Wenn wir hier Parlamentarismus kritisieren, dann nicht, weil er uns zu ergebnisoffen sei, und wir dagegen meinen, das einzig Gute zu kennen. Im Gegenteil, der Parlamentarismus im Staat des Kapitals ist eben – bei allen realen und zum Teil relevanten Differenzen unter Parteien, bei allen Vorzügen gegenüber Herrschaftsformen – zu sehr vorbestimmt. Das Wesentliche und Dringliche – die Frage danach, in welcher Weise, mit welchen Zielen und welchen Kosten produziert wird und wie der Reichtum aufgeteilt wird – steht nicht zur Disposition. Das heißt aber, dass der Raum, in dem die Lösung an der Wurzel der relevanteren Probleme der Gegenwart angegangen werden könnte, nie im Rahmen der bürgerlichen Demokratie erreicht wird. Wenn wir also Parlamentarismus kritisieren, dann nicht, weil wir eine organische, kollektivistische Gesellschaft im Blick haben, in der alles – sei es auch auf die beste Art und Weise – vorbestimmt ist. Wir kritisieren Parlamentarismus, weil eben feststeht, was im Großen und Ganzen rauskommen muss, weil eben nicht über die realen Lösungen gemeinsam gesucht und gestritten werden kann, gemeinsam und darin bewusst und selbstbestimmt, durchaus in einer Pluralität von Meinungen und Positionen. Das wiederum – und nichts anderes, was sich jemals so genannt hat – wäre Kommunismus. Aber ja: Im Fall von Lützi wäre es glasklar und es stünde nicht zur Frage, dass sofort mit der Kohleförderung aufgehört werden muss. Kohleenergie ist nicht vernünftig und keine Option. In diesem politischen System ist sie es aber – und zwar wieder die Option der Wahl.

Wir sagen: Erkämpft mit uns eine lebenswerte Zukunft – die nur in der befreiten Gesellschaft liegen kann!
Gegen diese blaugrüne Gesamtscheiße!

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Solidarität mit den Protesten im Iran https://eklatmuenster.blackblogs.org/2022/10/22/1081/ Sat, 22 Oct 2022 22:33:28 +0000 http://eklatmuenster.blackblogs.org/?p=1081
„Wir haben nicht revoltiert, um zurückzukehren. 
Freiheit ist weder westlich noch östlich, Freiheit ist international. 
Die Freiheit der Gesellschaft ist ohne die Freiheit der Frauen nicht möglich!“
– Iranische Frauen am 8. März 1979
 
Im Iran ist Historisches in Gang. Proteste gegen das Regime der „Islamischen Republik“ gab es immer wieder. Immer wieder wurden sie mit Gewalt unterdrückt.
Nun scheinen die Dinge anders zu laufen. Die Proteste halten an. Immer mehr Menschen trauen sich, die Macht der Mullahs und ihrer Schergen offen in Frage zu stellen. Zentrale Symbole des Regimes werden angegriffen: Die Zwangsverschleierung wird aufgebrochen, das Kontrollsystem der Sittenpolizei in Frage gestellt, die Bilder der Anführer zerstört und verbrannt. Auch die Forderungen sind überaus klar: Es geht um das Ende der „Islamischen Republik“ der Mullahs, nicht um einzelne Verbesserungen. 
 
Es ist eine Revolution – hoffentlich eine siegreiche!
 

Eine feministische Revolution
 
Es ist eine Revolution, deren Kern und Anfangsfunken feministisch ist. Ein System, das seit mehr als 40 Jahren eine ganze Bevölkerung unterdrückt und trotz artikulierter Opposition im Untergrund und im Ausland nie ernsthaft ins Schwanken gekommen ist, hat nun gute Chancen zu Fall zu kommen, weil sich Frauen zur Wehr gesetzt haben – Nach dem staatlichen Femizid an der Kurdin Jina Amini.
Patriarchat zeitigt seine Konsequenzen überall auf der Welt. Im Iran verbindet sich patriarchale Unterdrückung aber auf eine spezifische Weise mit dem islamistischen Herrschaftssystems. Die Geschlechterungleichheit ist eine Hauptstütze des Regimes: So war der Zwangs-Hijab ein Symbol der „Islamischen Revolution“ 1979 und dient im Alltag zur Kontrolle des Lebens und der Körper der Frauen. Mit dem Zwangshijab wird Geschlechterbinarität gefestigt, die Rolle der Frau und das Bild von Familie definiert, eine klare Geschlechterhierarchisierung gefestigt.  Frauen werden dabei als eine Gefahr behandelt, die die Gesellschaft destabilisieren könnte. Das war den Frauen bewusst, die am 8. März 1979 gegen die Zwangsverschleierung auf die Straße gingen. Ihre Parole: „Wir haben nicht revoltiert, um zurückzukehren. Freiheit ist weder westlich noch östlich, Freiheit ist international. Die Freiheit der Gesellschaft ist ohne die Freiheit der Frauen nicht möglich!“
Die Rebellion gegen den Zwangshijab ist daher in einem eine Rebellion gegen patriarchale Unterdrückung, gegen religiöse fundamentalistisch-islamische Unterdrückung, aber auch gegen das Herrschaftssystem des iranischen Regimes als solches. Deshalb trifft die Verfolgung aktuell besonders auch Frauen. Deshalb ist der Ruf dieser Revolution, der für alle gilt: „Frau, Leben, Freiheit“!
Übrigens – es ist bemerkenswert, dass es nicht nur im Iran, wo Misogyne Gewalt und Unterdrückung Staatsräson sind –  sondern auch an vielen Orten wo gerade ein antifeministischer Rollback stattfindet (wie in Polen und den USA, in Italien, aber auch in der Antikriegs-Bewegung in Russland), allen voran Frauen und Feminist*innen sind, die die Proteste anführen. Es sind die globalen feministischen Bewegungen, die das Bestehende ins Wanken bringen und die Sehnsucht nach einer anderen, einer befreiten Gesellschaft entflammen lassen.
Bloß Freiheitsrechte?
In dieser Revolution geht es um Grundlegendes: Selbstbestimmung, Freiheit, Rechte, demokratische politische Formen, Legalität. Um das Ende einer faschistisch-religiösen Herrschaft. Das ist historisch nicht selbstverständlich!
 
Wenn man bedenkt, wie wichtig das ist, was im Iran passiert, ist es doch mehr als verwunderlich, wie wenig organisierte Solidarität stattgefunden hat
Die Situation im Iran als bedeutungslos für den „revolutionären Kampf“ oder Ähnliches zu deklarieren – oder gar als „westlich“ zu markieren – und deshalb Solidarität zu kurz kommen zu lassen, ist leider so falsch wie verbreitet. 
Wir wollen in diesem Zusammenhang hier als linke Gruppe auch eine Selbstkritik aussprechen: Wir müssen uns als Linke immer wieder daran erinnern – wie eben gehört -, dass Freiheit und Rechte weder westlich noch östlich sind, sondern universal. Und sie sind universal zu erkämpfen und konkret werden zu lassen. Wer für die befreite Gesellschaft kämpft, will genau die radikale Realisierung dieser Freiheit.
Gleichzeitig sieht man ganz deutlich, wie wenig ernst es „der freie Westen“ und die EU mit den Menschenrechten, auf die sie sich gerne beziehen, meinen. Wie wenig ernst die sich selbst so nennende „feministische Außenpolitik“ es mit Frauen und Queers meint. Die einzige Konsequenz ist bisher das Verbot der Aktivitäten der Sittenpolizei. Die Gewalt des Regimes wird auf die eines ausführenden Apparate reduziert. Konkret heißt das: Es wurden Sanktionen auf 11 Menschen auferlegt! Währenddessen wird weiterhin mit dem Iran gehandelt und Menschen werden in den Iran abgeschoben. 
Wenn auch diese Proteste unterdrückt werden sollten, dann wird es auch mit dem ständigen Paktieren der anderen Länder mit dem iranischen Regime zu tun haben. 
 
Iraner*innen fordern währenddessen glasklar: Die Schließung der Botschaften; die Schließung der iranischen Stützpunkte in Deutschland, wie das IZH in Hamburg; das Konsequente Vorgehen gegen iranische Agenten. Das Ende der Handelsbeziehungen mit den Mullahs. 
DIESEN FORDERUNGEN SCHLIESSEN WIR UNS SOLIDARISCH AN!
 
 
Das Spezifische des Herrschaftsssystem der „Islamischen Republik Iran“
 
Letztendlich geht es um das Ende des Regimes – nicht um Forderungen. Denn es ist klar: Das Ende des iranischen Regimes wäre für so viele eine Befreiung. Das hat mit der spezifischen Herrschaftsform der „Islamischen Republik“ zu tun, die keine „bloße“ autoritäre Diktatur ist. 
Die Islamische Republik organisiert die Gesellschaft durch ein kompliziertes System von institutionalisierten Banden und Rackets, die sich die Macht und Ressourcen aufteilen und zum Teil untereinander konkurrieren. Unter diesen stechen die Revolutionswächter („Pasdaran“) hervor, die militärische Eliteeinheit, die das Atomprogramm kontrolliert aber auch eine wichtige Rolle in der Wirtschaft und insbesondere den Außenhandel beeinflussen.
Das heißt auch: Es gibt kein allgemeines Recht, das der einzelne Akteurgarantiert. Man muss sich entweder einem der Apparaten zuordnen und unterordnen – oder ist deren Willkür ausgesetzt. Es darf offiziell keine Zivilgesellschaft und keine freie Öffentlichkeit geben. Auch deshalb sind Proteste, in denen Menschen eine neue Präsenz für sich im öffentlichen Raum erkämpfen, so wichtig. 
Die Einheit der konkurrierenden Apparate wird durch eine Aufteilung der Einflussbereiche bewahrt und durch eine imperiale Regionalpolitik geboostert. Letzteres macht den Iran der Mullahs zum zentralen Destabilisierungsfaktor des nahen Osten: Ob im Irak, in Syrien oder Libanon, im Yemen oder in den palästinensischen Gebieten: der Iran mischt mit. 
Ideologisch wird diese Einheit in einer mystischen Auffassung einer höheren, spirituellen Gemeinschaft und einer endzeitlichen Mission des Irans erzeugt. Eines der zentralen Mittel, um diese Einheit zu realisieren, ist der staatliche verordnete Antisemitismus, als Kampf gegen das Gemeinschaft Zersetzende und Harmonie Störende, das im Staat Israel identifiziert wird. Deshalb wenden sich auch viele der Protestierenden nun gegen die aggresive antiisraelische Politik des Regimes und gegen dessen Hegemonieansprüche im Nahen Osten.
 
Es ist grandios, dass die Proteste unterschiedliche Sektoren der iranischen Gesellschaft erreicht haben. Kurz: Es geht um alles!
Die ersten Proteste entfalteten sich ausgehend von den kurdischen Städten: Denn das iransiche Regime unterdrückt Minderheiten – insbesondere die progressiven Kurd*innen. Nun rufen nicht nur Kurd*innen: „Kurdistan, Auge und Licht des Iran“. 
Auch andere Minderheiten, wie Araber*innen und Belutsch*innen werden stark unterdrückt, und setzen sich zur Wehr.
Streiks und Proteste finden von Arbeiter*innen stattEs ist auch eine Klassenfrage!
Die Proteste haben die Universitäten und Schulen erreicht und Student*innen, Dozent*innen, Schüler*innen und Lehrer*innen in Bewegung gesetzt. Gerade die Proteste an den Unis sind sehr bedeutsam – und erfahren die krasseste Repression. Es ist eine Frage der Freiheit zur Selbstbildung, der Befreiung von Propaganda und Ideologie. 
 
Was sicher ist: Das Regime der Mullahs muss weg! Was kommen wird, wissen wir nicht. Die Menschen im Iran, die Frauen, die Kurd*innen und alle Minderheiten, die jungen Generationen: Sie sollen ihre Geschichte machen können. Wir hoffen, dass sich progressive Kräfte durchsetzen. Wir wissen, dass es sich auch nur für ein Stück Freiheit mehr, für ein Stück Angst weniger, gelohnt haben wird zu Kämpfen und die Köpfe zu erheben. 
Wir bewundern die Kraft der Freund*innen im Iran! Wir trauern um jede*, die in diesem Kampf ihr Leben verloren hat, wir stehen an der Seite derer, die Haft, Folter, Vergewaltigung erleiden mussten. Und wir danken, den Frauen im Iran, die das Herz dieser Revolution sind.
Dass Leben sei! Dass Freiheit sei! 
 
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