Prozessberichte – Free Schubi https://freeschubi.blackblogs.org Fri, 07 Dec 2018 11:02:07 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://freeschubi.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/777/2019/01/cropped-cropped-hangarheader-1-32x32.jpg Prozessberichte – Free Schubi https://freeschubi.blackblogs.org 32 32 Ein Hauptbelastungszeuge und differenzierter Lügner https://freeschubi.blackblogs.org/2018/12/07/ein-hauptbelastungszeuge-und-differenzierter-luegner/ https://freeschubi.blackblogs.org/2018/12/07/ein-hauptbelastungszeuge-und-differenzierter-luegner/#respond Fri, 07 Dec 2018 11:02:07 +0000 http://freeschubi.blogsport.eu/?p=360 Continue reading ]]> Am 27.11.2018 traf die Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH), der über die Revision des Urteils vom Landgericht im Mai 2016 bescheiden sollte, ein. Obwohl das Urteil ein Ausstellungsdatum vom 24.10.2018 aufweist, wurde es also erst einen Monat später den Prozessbeteiligten zugestellt. Der Zeitpunkt der Zustellung hätte passender nicht sein können, fand doch in den darauf folgenden Tagen die Innenministerkonferenz (IMK) in Magdeburg statt, auf der sich die Innenminister mit Strafverschärfungen gegen Linke und Fussballfans gegeseitig übertrumpften.*

Alle formalen Mängel, die Schubis Verteidigung im Sommer 2016 in der Revision auf über 700 Seiten zusammenfasste, wurden in einer nur wenige Seiten kurzen Begründung zurückgewiesen. Die von der Verteidigung beanstandete Besetzung des Schöff*innengerichts war für die Richter*innen am BGH kein ausreichender Grund, um die Revision zuzulassen. Stattdessen wurde dem Landgericht Rostock Recht gegeben. Der BGH unterstütze damit in seiner Begründung ein Urteil, das ausschließlich auf Indizien und Aussagen eines Hauptbelastungszeugen basiert. Thomas C., der sich während Schubis U-Haft dem Verfassungschutz in MV angedient hatte, wäre ein glaubwürdiger Zeuge, dem Schubi eine der Taten gestanden hätte, so die Auffassung des Landgerichts. Alles spricht dafür, dass der Hauptgrund, warum Schubi verurteilt wurde, nicht objektive Beweise, sondern die Aussagen eines mehrfach vorbestraften, zum Zeitpunkt seiner Aussage in Haft sitzenden und als psychisch auffälligen Mannes waren. Schubis Verteidigung hatte zum Zeitpunkt der Verhandlungen immer wieder auf die besondere Situation von Aussagen von Gefangenen hingewiesen, auch darauf, dass der Gefangene C. kurz nach seiner Aussage beim Verfassungsschutz und der Staatsschutz-Abteilung der Polizei aus der Haft entlassen wurde. Dies war auch deshalb von Bedeutung, da der Zeuge C. vor Gericht versichert hatte, dass er keinen Antrag auf frühzeitige Haftentlassung gestellt habe. Während die vorsitzenden Richter*innen ihm treu doof Glauben schenkten,zweifelte jedoch die Staatsanwaltschaft Rostock an der Glaubhaftigkeit letzterer Aussage. Und so wurde C. nach Abschluss von Schubis Prozess am Landgericht von der Staatsanwaltschaft wegen uneidlicher Falschaussagen zu seinem eigenen Verfahren und dem Antrag auf frühzeitige Haftentlassung in Schubis Prozess angeklagt und im November 2017 von dem Amtsgericht Rostock rechtskräftig verurteilt. Das Amtsgericht Rostock sah es als erwiesen an,dass Thomas C. bei seinen Aussagen, bezogen auf seinen eigenen Prozess in Schubis Verhandlung gelogen hatte. Demnach hatte C. erfunden, dass er bei seiner Festnahme durch Polizist*innen misshandelt wurde. Hinsichtlich von C.‘s Aussagen in Schubis Prozess, er habe keinen Antrag auf vorzeitige Entlassung gestellt, was sich später anders darstellte, verwies der Richter am Amtsgericht jedoch darauf, dass es keinen eindeutigen Nachweis für die Falschaussage gäbe. Denn, entgegen der Staatsanwaltschaft hatte das Landgericht in seiner Urteilsbegründung C.‘s damalige Aussage so zusammengefasst, dass C. nicht gelogen haben müsse, sondern den Antrag auf vorzeitige Haftentlassung nach seiner Aussage bei den staatlichen Diensten gestellt habe. Selbst der gehörte Zeuge der Staatsanwaltschaft zeigte sich darüber verwundert, dass das Gericht das so gesehen habe. Die fehlende Verurteilung C.‘s auch in diesem Anklagepunkt basiert vor allem darauf, dass keine Wortprotokolle von Verhandlungen am Landgericht existieren. Um diesen Sachverhalt aufklären zu können, hätten mehr Zeug_innen aus Schubis Verfahren gehört werden müssen. Jedoch schien auch der Richter am Amtsgericht wenig Interesse an einer echten Aufklärung zu haben. Immer wieder wies er den Zeugen der Staatsanwaltschaft und damit dem Beteiligten aus Schubis Prozess darauf hin, dass die „Sache pikant“ sei und er sich gerne mit jemanden darüber austauschen und außergerichtlich einigen würde, vermutlich weil der Richter davon ausging, dass ein Urteil Konsequenzen für das Urteil gegen Schubi haben würde. Auf Deals ließ sich der Zeuge der Staatsanwaltschaft jedoch nicht ein. So wurde nach einer kurzen Verhandlungspause das Urteil gegen Thomas C. gesprochen und dieser nur für eine einzige Falschaussage verurteilt. Wie das Landgericht, folgte das
Amtsgericht der Begründung, dass, nur weil Thomas C. hinsichtlich seines eigenen Verfahrens nachweislich gelogen habe, er jedoch nicht gelogen habe, was sein angebliches Täterwissen von Schubi anging. Der als psychologisch diagnostizierte pathologische Lügner, lügt also differenziert.

Man möchte auf Grund der Zurückweisung der Revision meinen, dass solche Gerichtspossen aus Rostock dem BGH egal sind. Denn natürlich wies Schubis Verteidigung den BGH darauf hin, dass C. wegen Falschaussage rechtskräftig verurteilt wurde. Doch Falschaussagen des Hauptbelastungszeugen sind keine formalen Mängel und damit kein Revisionsgrund.

*Beispielsweise brachte der Innenminister aus MV, Lorenz Caffier (CDU), ein Verbot der Initiative „Cop Watch“ aufs Tableau, womit von staatlichen Repressionen Betroffenen geholfen werden soll, im Alltag ein erneutes Zusammentreffen mit ihren Peinigern zu vermeiden.

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Revision und ein Präzedenzfall https://freeschubi.blackblogs.org/2016/09/13/revision-und-ein-praezedenzfall/ https://freeschubi.blackblogs.org/2016/09/13/revision-und-ein-praezedenzfall/#respond Tue, 13 Sep 2016 14:58:52 +0000 http://freeschubi.blogsport.eu/?p=344 Continue reading ]]> Anfang August, drei Monate nach Schubis Verurteilung zu vier Jahren und fünf Monaten Haft, hat das Landgericht das schriftliche Urteil fertiggestellt. Auf 176 Seiten breitet die Kammer aus, warum sie Schubi verurteilt hat. Wie im Rest des Verfahrens, hat die Kammer dabei Fehler gemacht. Den Verfahrensbeteiligten wurden unterschiedliche Versionen des Urteils zugestellt. Auf der einen hatte alle drei Richter_innen unterschrieben, auf der anderen nicht, weil ein Richter in Elternzeit gegangen sei. Unterschiedliche Urteilsversionen sind jedoch aus naheliegenden Gründen unzulässig und so wäre die Zustellung formal ungültig gewesen. Das fiel auch dem Gericht auf, weshalb es das Urteil einige Wochen später vorsichtshalber noch einmal zustellte – diesmal einheitlich.

Mit dem schriftlichen Urteil konnten Schubis Verteidiger_innen nun die Revisionsbegründung vorbereiten. Am 9. September wurde die 600-seitige Schrift beim Rostocker Landgericht eingereicht. Nun muss unter anderem die Bundesanwaltschaft zum Verfahren Stellung nehmen, bevor der Bundesgerichtshof über die Revision entscheidet. Wann das sein wird, ist vollkommen offen. Wahrscheinlich irgendwann 2017.

Doch warum ist die vom Landgericht verschlampte Urteilszustellung wichtig? Weil die vierwöchige Frist, innerhalb der die Revisionsbegründung durch Schubis Verteidigung eingereicht werden musste, ab der Zustellung des Urteils lief. Eigentlich müsste die Frist mit der erneuten Zustellung des Urteils auch erneut begonnen haben, doch für so einen Fall gibt es bisher keine höchstrichterliche Rechtssprechung. Trotzdem mussten die Anwält_innen aber mit der „neuen“ Urteilsversion arbeiten, so dass die Vier-Wochen-Frist durch diesen Gerichtsfehler defacto weiter verkürzt wurde. Der Bundesgerichtshof wird wohl auch darüber zu befinden haben, ob eine Revisionsfrist mit Neuzustellung des Urteils erneut beginnt. Was wie trockener Jurakram klingt, bedeutet, dass daraus ein Präzedenzfall mit bundesweiten Auswirkungen werden könnte.

Auch wenn es gerade etwas ruhiger um Schubi wird, ist das Verfahren also nicht beendet. Wir sammeln weiterhin Spenden für die Prozesskosten – spendet für Schubi!

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„Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet“* https://freeschubi.blackblogs.org/2016/05/04/richtet-nicht-auf-das-ihr-nicht-gerichtet-werdet/ https://freeschubi.blackblogs.org/2016/05/04/richtet-nicht-auf-das-ihr-nicht-gerichtet-werdet/#respond Wed, 04 May 2016 16:46:20 +0000 http://freeschubi.blogsport.eu/?p=317 Continue reading ]]>

Nach 30 langen Verhandlungstagen ging am 2. Mai der Prozess gegen Schubi am Landgericht Rostock zu Ende. Die Kammer verurteilte ihn zu einer Haftstrafe von 4 Jahren und 5 Monaten.

Die Urteilsbegründung

In der etwa einstündigen Verlesung der Urteilsbegründung richtete der Vorsitzende Richter eine längere Eingangsrede an den Angeklagten und das Publikum. Die ca. 100 Besucher_innen reagierten darauf wiederholt mit Zwischenrufen. In seiner Ansprache avancierte der Richter zu einem wahren „Extremismus“-Kenner. Gewalt gegen öffentliche Bedienstete sei nicht hinnehmbar, so der Richter. Er begründete dies damit, dass „Angriffe auf Polizeibeamte oder auch zum Beispiel auf Feuerwehrleute die brennende Asylbewerberheime beschützen, … nicht zu tolerieren“ seien. Und mit Angriffen auf Asylunterkünfte kennt er sich aus: Er war es, der die beiden Neonazis Thomas Hocke und Florian Hillner Anfang des Jahres wegen versuchten Mordes und schwerer Brandstiftung zu einer minimalen Haftstrafe von 5 Jahren verurteilt hatte, nachdem sie im Oktober 2014 versucht hatten, eine bewohnte Unterkunft in Groß Lüsewitz (Landkreis Rostock) mit Molotow-Cocktails in Brand zu setzen. Für den Richter sind rechte und linke „Hetzer“ gleich.

Er unterstellte Schubi Hass gegen Polizei und Staat, den dieser bei Fußballspielen ausgelebt habe. Dies begründete er mit dessen antifaschistischer Haltung und Funden aus Schubis Wohnung, wie etwa linken Plakaten. Obwohl es mit der Anklage nichts zu tun hatte, warf das Gericht Schubi erneut vor, Fluchthilfe unterstützt zu haben. Auf eine entsprechende Anweisung der Polizei hätte er in seiner Tätigkeit als Schiffsoffizier entgegnet, dass er sich nicht an Abschiebungen beteilige – ein wahrer Staatsfeind eben, so soll man die Thematisierung dieser Episode in Prozess und Urteilsverkündung wohl interpretieren. Vom Publikum erhielt Schubi dafür langen Applaus, das Gericht hatte jedoch nur Missbilligung für ihn übrig.

Ein Steinwurf auf den Nebenkläger, der dabei leicht verletzt wurde, wurde mit einer Einzelstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten bestraft. Die harte Strafe, die sogar noch sechs Monate über der Forderung der Staatsanwaltschaft liegt, wurde unter anderem mit der Geschwindigkeit begründet, die der Stein beim Aufprall gehabt haben soll. Empörte Zwischenrufe wiesen darauf hin, dass vor 6 Jahren am gleichen Landgericht ein Neonazi einen Feuerlöscher von einer Empore aus mehreren Metern Höhe auf Antifaschist_innen geworfen hatte (die, nebenbei bemerkt, keine Körperschutzausrüstung angelegt hatten). Damals wurde der sogenannte Pölchow-Prozess vor Gericht verhandelt. Der Neonazi, der damals den Feuerlöscher geworfen hatte, war straffrei davon gekommen. Der Vorsitzende Richter in Schubis Verfahren wiegelte den wütenden Einwurf des Prozessbeobachters damit ab, dass er sich um diesen Vorfall später kümmern werde.

Die Polizist_innen, die auf richterliche Anordnung seit dem achten Verhandlungstag im Juli letzten Jahres im Gerichtssaal verweilen um die richterliche Hoheit im Saal durchsetzen zu können, beobachteten das Publikum derweil. Eine Polizistin versuchte mehrfach Personen während der Verhandlung abzufilmen, versteckte die Kamera jedoch, wenn sie dabei beobachtet wurde. Bereits im Juli hatten Prozessbeobachter_innen bemerkt, dass Polizist_innen im Gerichtssaal Filmaufnahmen gemacht hatten, was damals durch die Verteidigung beanstandet wurde.

Auch die Verteidigung griff der Vorsitzende Richter an, indem er dieser vorwarf, die Kammer mit „dumpfen Populismus“ bewusst diskreditiert zu haben. Insbesondere die Einschätzung der Verteidigung in ihren Plädoyers, dass an Schubi aus politischer Überzeugung ein Exempel statuiert werden solle, schien dem Vorsitzenden nicht gefallen zu haben.

Das Urteil

Wegen versuchter und vollendeter gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Sachbeschädigung und Verstößen gegen das Vermummungsverbot wurde Schubi zu einer Haftstrafe von 4 Jahren und 5 Monaten verurteilt. Weiterhin muss er 300 Euro (!) Schmerzensgeld an den Nebenkläger, einen Polizisten der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) zahlen, der von einem Steintreffer eine Rippenprellung davon getragen hatte. Die Kammer hatte „keinen Zweifel“, dass Schubi, trotz der schwachen Beweislage, der Täter sei, der beim Spiel des FC Hansa Rostock gegen Dynamo Dresden im November 2014, Steine auf Polizeibeamte geworfen hatte. Für die Tatvorwürfe vom Spiel des FC Hansa Rostock gegen RB Leipzig wurde er hingegen freigesprochen, weil ihm keine Würfe nachgewiesen werden konnten.

Bei beiden Spielen bestanden die Beweismittel vor allem aus Videomaterial der Polizei, das überhaupt nur schleppend in das Verfahren eingeführt wurde. Der Unterschied, warum die Kammer die Beweislage beim Spiel gegen Dynamo Dresden anders bewertet, ist der ehemalige Mithäftling und Zeuge Thomas C.. Im Sommer 2015 hatte er sich an den Verfassungsschutz MV gewandt und „Bericht erstattet“. Er behauptete, Schubi habe die Vorwürfe vom Spiel gegen Dresden ihm gegenüber zugegeben. Außerdem versprach C. „Erkenntnisse“ über die linke Szene in Rostock. Der von einer Sachverständigen vor Gericht als „pathologischer Lügner“ klassifizierte C. avancanierte damit zum Hauptbelastungszeugen, dessen Glaubwürdigkeit für die Kammer durch nichts, aber auch rein gar nichts zu erschüttern war.

Die Gesamtstrafe von 4 Jahren und 5 Monaten liegt nur oberflächlich betrachtet unter den von der Staatsanwaltschaft geforderten 4 Jahren und 9 Monaten. Deren Forderung bezog sich auf alle fünf Anklagepunkte, verurteilt wurde Schubi nun nur wegen drei Anklagepunkten. Damit ist das Gericht bei der Strafzumessung im Grunde über das von der Anklage geforderte Strafmaß deutlich hinaus gegangen. Schubis Verteidigung hatte einen Freispruch sowie Entschädigung für die U-Haft gefordert und kündigte an, Revision gegen das Urteil einzulegen.

*Fußnote: Matthäus 7:1 – Eines der bei Schubi gefundenen und in der Urteilsverkündung thematisierten Plakate zeigt ein Zitat („Der Mensch ist am wenigsten er selbst, wenn er in seiner eigenen Person spricht. Gib ihm eine Maske und er wird dir die Wahrheit sagen“), dessen Urheber Oscar Wilde der Richter allerdings unter den Tisch fallen ließ. Stattdessen sollte der Spruch wohl Schubis angebliche Bereitschaft zur Vermummung und Gewaltausübung gegen Polizist*innen illustrieren – oder so. Da die Zitatrecherche offensichtlich nicht zu den Stärken der Kammer gehört, haben wir in diesem Fall den Urheber gleich mitgeliefert.
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Erneute Kritik am Prozess: Plädoyer der Verteidigung II https://freeschubi.blackblogs.org/2016/04/29/erneute-kritik-am-prozess-plaedoyer-der-verteidigung-ii/ https://freeschubi.blackblogs.org/2016/04/29/erneute-kritik-am-prozess-plaedoyer-der-verteidigung-ii/#respond Fri, 29 Apr 2016 14:29:17 +0000 http://freeschubi.blogsport.eu/?p=315 Continue reading ]]> Am Donnerstag, den 28.04.2016, hielt Schubis Pflichtverteidiger sein Plädoyer und forderte einen Freispruch für seinen Mandanten. Wie bereits am Montag, ließ allerdings auch der zweite Verteidiger erkennen, dass er nicht an ein gerechtes Urteil der Kammer gegen Schubi glaube. Stattdessen legte er seinen Eindruck dar, dass an Schubi ein Exempel statuiert werden solle. Darüber hinaus wies er darauf hin, dass bis heute für die angebliche Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) des Nebenklägers kein Gutachten eines für solche Diagnosen zugelassenen Experten vorliegt.

Gleich zu Beginn seines Plädoyers machte der Rechtsanwalt deutlich, dass er davon ausgehe, dass das Urteil des Gerichts bereits feststehe. Eine Verurteilung vor Gericht sei auch keine Seltenheit. Denn nur 3 % der angeklagten Fälle werden frei gesprochen, so der Anwalt. Dies läge vor allem daran, dass einmal getroffene Entscheidung nicht wieder revidiert werden würden. Aus Sicht der Verteidigung hatte die Kammer des Landgerichts schon mehrfach gezeigt, dass sie nicht bereit ist, von der Schuldzuweisung gegen Schubi abzuweichen, trotz fehlender Beweise. Ein Jahr lang hatte das Gericht die Hauptverhandlung verschleppt. Erst seit April diesen Jahres schien das Gericht aus unerkennbaren Gründen das Verfahren auf einmal beschleunigen zu wollen. Als einschneidenden Verhandlungstag nannte der Anwalt den 13.04., ein Tag an dem die Sitzung von morgens bis 22:30 Uhr gedauert hatte. Aus Sicht des Verteidiger hatte das Gericht damit seine „Fürsorgepflicht“ gegenüber allen Prozessbeteiligten und Bediensteten am Landgericht verletzt, die in dieser Zeit anwesend sein mussten. Er kritisierte ebenso erneut, dass der Verteidigung das Videobeweismaterial nicht in Gänze und zeitnah zur Verfügung gestellt wurde. Schubis Pflichtverteidiger monierte, dass das Gericht lieber den Lügen des Zeugen Thomas C. glaube, als das Videomaterial umfassend auszuwerten. Der Rechtsanwalt hinterfragte weiterhin, warum sich der Zeuge Thomas C. mit seiner belastenden Aussage an den Verfassungsschutz (VS) in MV gewandt hatte. Vor Gericht und in einem psychologischen Gutachten hatte dieser Zeuge zu erkennen gegeben, dass er politisch anders denke, als der Angeklagte. Schubis Verteidiger sah darin das Motiv, warum er sich an den VS gewandt hat. Wäre es ihm allein um die Tat gegangen, hätte er sich an das Gericht oder die Polizei gewendet, so der Pflichtverteidiger.

Weiterhin kritisierte er die Staatsanwaltschaft, die in ihrer Begründung der langen U-Haft von Schubi eine Neigung zu Verschwörungstheorien erkennen ließe. Um Schubi in Haft zu halten, hatte die Staatsanwaltschaft Schubi als einen politischen Täter gezeichnet und dafür auf die Aussagen des VS-Informanten C. und der umfangreichen Literatursammlung des Angeklagten in seiner Zelle zurückgegriffen. Daraus konstruierte die Staatsanwaltschaft letztlich ein absurdes Konglomerat einer politischen Haltung, die von den Roten Brigaden bis Stauffenberg reichen sollte, auf Grund derer der Angeklagte in U-Haft bleiben müsse, da ansonsten ein Untertauchen in den Untergrund zu erwarten sei. Am Montag hatte Schubis Wahlverteidiger bereits darauf hingewiesen, dass damit Schubi zu Unrecht seiner Freiheit beraubt wurde.

Wie auch in anderen Strafverfahren so ist auch in Schubis Verfahren eine Deutungshoheit der Polizei erkennbar. Der PTBS-Polizist und Nebenkläger hatte selbst das Strafverfahren wegen versuchten Totschlags eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft übernahm diesen Vorwurf, ohne dies noch einmal zu überprüfen und stufte erst nach Sichtung des Videomaterials in der Hauptverhandlung den Vorwurf des versuchten Totschlags auf eine gefährliche Körperverletzung zurück. Ohne den Vorwurf des versuchten Totschlags wäre Schubis Verfahren jedoch vor dem Amtsgericht behandelt worden und hätte nach Ansicht seiner Verteidiger nicht ein Jahr gedauert. Zudem berichtete Schubis Pflichtverteidiger von vergleichbaren Verfahren, wo ein Angeklagter trotz Vorstrafe bei einem ähnlichen Vorwurf und Beweislage nur auf Bewährung verurteilt wurde. Nach dem Plädoyer der Staatsanwaltschaft ist nicht davon auszugehen, dass Schubi ebenfalls mit einer Bewährungsstrafe davon kommt, obwohl er keine Vorstrafen aufweist.

Zuletzt kritisierte der Verteidiger die Darstellung des Nebenklägers als „schwer verletzt“ wie es sowohl in der Presse als auch vor Gericht immer wieder geheißen hatte. Er machte deutlich, dass es sich bei einer Rippenprellung nicht um eine schwere Verletzung handle. Zudem stellte er die Diagnose der PTBS in Frage. Diese dürfe nämlich nur durch Psycholog_innen oder Psychiater_innen mit Spezialkenntnissen in Traumafolgestörungen diagnostiziert werden. Im Falle des geschädigten BFE-Polizisten hatte diese Diagnose jedoch der Allgemeinmediziner und Polizeiarzt vermutet. Ein psychologisches Gutachten des Polizisten, das eine PTBS hätte belegen können, läge indes nicht vor.

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Plädoyers verlesen – Schubi soll über 4 Jahre in Haft https://freeschubi.blackblogs.org/2016/04/26/plaedoyers-verlesen-schubi-soll-ueber-4-jahre-in-haft/ https://freeschubi.blackblogs.org/2016/04/26/plaedoyers-verlesen-schubi-soll-ueber-4-jahre-in-haft/#respond Tue, 26 Apr 2016 17:44:37 +0000 http://freeschubi.blogsport.eu/?p=308 Continue reading ]]> Nach fast 30 Prozesstagen geht Schubis Verhandlung dem Ende entgegen. Am 25. April wurden die Schlussplädoyers gehalten. Die Staatsanwaltschaft forderte vier Jahre und neun Monate Haft, Schubis Verteidigung einen Freispruch. Ein Urteilsspruch könnte bereits am 28. April folgen.

Auch ohne Totschlag: Staatsanwaltschaft fordert vier Jahre und neun Monate Gefängnis

Die Staatsanwaltschaft hält Schubi – bis auf zwei Ausnahmen – in allen Anklagepunkten der versuchten und vollendeten gefährlichen Körperverletzung, des schweren Landfriedensbruch und Verstößen gegen das Vermummungsverbot für überführt. Die zwei Ausnahmen betreffen zum einen den bisherigen Vorwurf des versuchten Totschlags, der nach Willen der Anklage zur gefährlichen Körperverletzung heruntergestuft werden soll. Zur Erinnerung: Der geschädigte Polizist von der BFE M-V hatte lediglich eine leichte Rippenprellung und angeblich auch eine posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) davon getragen. Diese hatte ihm der zuständige Polizeiarzt, ein Allgemeinmediziner, vor Gericht bescheinigt. Trotzdem will die Staatsanwaltschaft Schubi allein für diese Tat drei Jahre hinter Gitter schicken. Die zweite Abweichung von der Anklageschrift betrifft einen der leichteren Steinwürfe, die Schubi zur Last gelegt werden. Hier habe der Prozess keinen Zusammenhang zwischen dem Wurf und der vom Polizisten präsentierten Verletzung (ein roter Fleck) ergeben, weshalb «nur» eine versuchte gefährliche Körperverletzung in Frage komme.

Aus mehreren Einzelstrafen ergebe sich somit die geforderte Gesamtstrafe von vier Jahren und neun Monaten, zudem soll Schubi die Kosten des Verfahrens und die Kosten des Nebenklägers (dem angeblichen PTBS-Polizisten) tragen. Die lange U-Haft Schubis und die lange Verfahrensdauer seien strafmildernd berücksichtigt worden, während die Art der Tatausführung und die Vielzahl der Vorwürfe strafverschärfend bewertet wurden, sagte der Staatsanwalt weiter.

Ein verrückter Zeuge und wenig belastbare Gutachten

Die Argumentation der Staatsanwaltschaft und wahrscheinlich auch des Gerichts gründet sich dabei – vereinfachend gesagt – auf zwei Themenkomplexe:

  • mehrere anthropologische Gutachten, in denen Schubis Körpermerkmale, Proportionen, Laufstil usw. mit den Aufnahmen von vermummten Tätern von Polizeivideos verglichen wurden
  • den Aussagen des Hauptbelastungszeugen Thomas C., einem ehemaligen Mithäftling Schubis.

Selbstverständlich ist die Staatsanwaltschaft der Meinung, dass die Gutachten Schubis vermeintliche Täterschaft belegt hätten und Thomas C., der von einer psychologischen Gutachterin als «pathologischer Lügner» bezeichnet wurde, glaubwürdig sei.

in den anthropologischen Gutachten konnte die Sachverständige Wittwer-Backofen bei der Betrachtung der Aufnahmen mit vermummten Tatverdächtigen nur Merkmalsübereinstimmungen mit geringer Wertigkeit finden. Übersetzt bedeutet dies, dass sie keine Merkmale finden konnte, die Schubis Identität mit den Vermummten ausschließen würden, aber auch keine, die eine Identität mit hoher Wahrscheinlichkeit oder gar Sicherheit belegen würden. Die von ihr gefundenen Merkmale erreichten regelmäßig nur die zweitschlechteste Kategorie – schlechter wäre nur noch die Kategorie «Identität ausgeschlossen».
Eigentlich sollte hier nun der Grundsatz in dubio pro reo greifen, doch nicht so vor dem Landgericht Rostock. Die Kammer hat durch Wortmeldungen und in Beschlüssen mehrfach sehr deutlich gemacht, dass sie der Argumentation insgesamt folgt, so dass wir keine Entscheidung zugunsten Schubis erwarten können.

Thomas C. hatte sich 2015 an den Landesverfassungsschutz gewandt und dort ausgesagt, dass Schubi die Vorwürfe ihm gegenüber in der Haft gestanden hätte. Dies erscheint nicht nur angesichts von Schubis konsequenter Aussageverweigerung mehr als zweifelhaft. Thomas C. wurde im März 2016 vorzeitig aus der Haft entlassen und war zuvor psychologisch begutachtet worden. Die Sachverständige kam dabei zu dem Schluss, dass C. ein übersteigertes Selbstbewusstsein mit oberflächlichem Charme habe und ein «pathologischer Lügner» sei. Nicht nur, dass die Staatsanwaltschaft den teils wirren und widersprüchlichen Aussagen C.s Glauben schenken will, so wurden am Montag auch weitere Beweisanträge der Verteidigung als unbegründet abgelehnt, die weitere Lügen C.s hätten beweisen sollen. Erneut festigte sich der Eindruck, dass der einzige Belastungszeuge unter keinen Umständen «beschädigt» werden darf.

Verteidigung fordert Freispruch

Schubis Verteidigung forderte einen Freispruch und holte zu einem kritischen Rundumschlag gegen Staatsanwaltschaft und das Gericht aus. Der Anwalt griff die Darstellungen des PTBS-Polizisten erneut an, wonach der Beamte eben nicht vom Stein getroffen auf den Boden geschleudert wurde und dort benommen liegen blieb, bis ein Kollege ihm aufhalf und in Sicherheit brachte: «So werden Geschichten erzählt, die so nicht stattgefunden haben». Er untermauerte seine Zweifel mit (bereits gezeigten) Videoaufnahmen, auf denen zu sehen ist, dass sich der BFEler nach dem Treffer selbst auf eine nahe Treppe setzt und wenige Sekunden später ohne Hilfe aufsteht und sich entfernt. Benommen wirkt er nicht, es ist sogar zu erkennen, wie er per Sprechfunk kommuniziert. Diese Unwahrheiten betreffen nicht den Kern der Ereignisse, dass also ein Stein geworfen und den Beamten auch getroffen habe, doch die Darstellungen werden dramatisiert und es stelle sich die Frage nach dem Warum.

Die Darstellungen Thomas C.s seien «absolut unglaubhaft» und teils widersprüchlich. Doch alle Anträge, mit denen C.s Unwahrheiten hätten belegt werden können, hatte das Gericht abgelehnt, «weil sie [die Kammer] meinen, darauf komme es nicht an». Eine Verurteilung auf Grundlage von C.s Angaben sei unzulässig, sagte der Anwalt weiter. Und wenn Schubi schon einige Tatvorwürfe gegenüber C. gestanden haben soll, warum dann nicht alle? Das Gericht müsse sich überlegen, wie es auch die weiteren Taten auf Grundlage von C.s Aussage Schubi zurechnen wolle.

Die Erkenntnisse der Sachverständigen zu Kleidung des Täters und den Körperbau Schubis seinen «eigentlich fast ohne jeden Aussagewert». Kleidung, die der oder die Täter getragen hätten, ist bei Schubi nicht gefunden worden. Bei so ähnlich aussehenden Kleidungsstücken seien keine Spuren zu finden gewesen und es habe sich um preisgünstige Allerweltsmodelle gehandelt. In Richtung Staatsanwaltschaft sagte der Anwalt weiter, man müsse «schon genau hinsehen. So wie sie es darstellen, war es jedenfalls nicht.»

Eskalation nach verunglücktem Polizeieinsatz

Anschließend kritisierte er das polizeiliche Vorgehen, als die Beamten bei den Spielen gegen Leipzig und Dresden den Tribünenumlauf des Stadions gestürmt und «Sprint geräumt» hätten, während gleichzeitig gegnerische Fans die Hansaanhänger hätten angreifen wollen. Erst dadurch seien die Situationen eskaliert und Gegenstände auf die Einsatzkräfte geworfen worden. Der «offensichtlich verunglückte Polizeieinsatz führte mehr und mehr zur Eskalation». Man müsse sich doch fragen, warum solche Ausschreitungen immer dann geschehen, wenn die Polizei so ungeschickt agiere.

Zum Schluss seines Plädoyers griff er das Gericht und Staatsanwaltschaft frontal an und warf beiden vor, Schubi wegen seines Linksseins verfolgt zu haben. «Ich kann nur davor warnen, Jagd auf eine bestimmte Gesinnung zu machen». Die mehr als einjährige U-Haft Schubis war immer wieder mit Fluchtgefahr begründet worden, die wiederum auf seine politische Einstellung zurückgeführt worden war. Auch nach seiner Entlassung, nach der er keine Meldeauflagen etc. bekommen hatte, war er immer zur Verhandlung erschienen: «Sie haben sich geirrt und, objektiv betrachtet, jemanden der Freiheit beraubt». Angesichts eines Richters einer anderen Kammer, dessen Urteil in einem anderen Verfahren jüngst vom BGH wegen krassen Fehlverhaltens kassiert worden war, sprach der Anwalt von einer «Wagenburgmentalität» im Rostocker Landgericht, die jede Selbstkontrolle des Gerichts verhindere. Schubi befürchte, «bei diesem Gericht nicht in den besten Händen zu sein, was eine objektive Betrachtung der Geschehnisse angeht». Die Aufgabe von Gerichten sei es aber, auch polizeiliches Verhalten kritisch zu beleuchten und zurückhaltend zu urteilen. «Ich mache mir keine Illusionen über den Ausgang des Verfahrens, jedenfalls was die Verurteilung angeht». Er forderte einen Freispruch und eine Entschädigung für die erlittene Untersuchungshaft.

Urteilsspruch könnte am Donnerstag erfolgen

Der zweite Verteidiger soll am Donnerstag plädieren. Es ist möglich, dass bereits danach das Urteil gesprochen wird. Wir haben keinen Anlass uns Illusionen hinzugeben, das Gericht würde Schubi nicht wieder in den Knast stecken wollen. Zeigt eure Solidarität und kommt am Donnerstag, den 28.4. um 9:30 Uhr ins Landgericht Rostock!

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Protokollierung vor Gericht https://freeschubi.blackblogs.org/2016/03/20/protokollierung-vor-gericht/ https://freeschubi.blackblogs.org/2016/03/20/protokollierung-vor-gericht/#respond Sun, 20 Mar 2016 11:43:39 +0000 http://freeschubi.blogsport.eu/?p=299 Continue reading ]]> Der Prozess gegen Schubi geht nach über 20 Verhandlungstagen langsam dem Ende zu. Mehrere Dutzend Zeug_innen und Sachverständige wurden seit Juni 2015 vor Gericht gehört.

Erst nach über einem halben Jahr gelang es der Verteidigung Einsicht in größere Teile des Videobeweismaterials zu erstreiten. Zuvor waren von der Staatsanwaltschaft und dem Gericht nur zusammengeschnittene Videoschnipsel bereit gestellt worden, die vermeintlich ein und denselben Täter zeigen sollten. Die Übereinstimmungen der Personen wurden anhand einer blauen Jeans, einer dunklen Jacke, Vermummung und schwarzen Schuhen fest gemacht. Auf dem zunächst zurückgehaltenen Videomaterial, ist zu sehen, wie mehrere hundert Personen diese szenetypischen Kleidungsmerkmale aufweisen. Die Hinweise der Verteidigung, dass damit keine eindeutige Identifizierung des Täters bzw. der Täter mit Schubi möglich sei, wies das Gericht jedoch damit zurück, dass Schubi ja unter den etwa 200 Personen mit den gleichen Merkmalen wie die Täter bzw. der Täter sein könne und damit seine Unschuld nicht zweifelsfrei zu beweisen sei.

Eine Sachverständige der Universität Freiburg, die in ihrem ihrem anthropologisch-morphologischen Gutachten das Videomaterial der Polizei mit Lichtbildern von Schubi verglich, kam zu dem Schluss, dass eine Übereinstimmung der Täter mit Schubi nur „möglich“ sei. Die Kategorisierung der Übereinstimmung als „möglich“ stellt in der fünfstufigen Skala das schlechteste Ergebnis vor dem Ausschluss der Übereinstimmung dar (mit höchster Wahrscheinlichkeit identisch, mit hoher Wahrscheinlichkeit identisch, wahrscheinlich identisch, Identität möglich und Identität abgelehnt). Selbst die Sachverständige bestätigte vor Gericht, dass voraussichtlich eine gleich hohe oder sogar noch höhere Übereinstimmung der Täter mit hunderten anderen Fans im Stadion zu finden wäre.

Die Videos zeigten laut der Verteidigung darüber hinaus, dass Aussagen einiger Polizeizeug_innen nicht mit dem dokumentierten Geschehen auf den Aufnahmen übereinstimmen. Das Beweiskonstrukt gegen Schubi schien damit ins Wanken zu geraten. Voraussichtlich auch deshalb griff die Anklage dankend einen neuen Zeugen auf, der sich nach Eröffnung der Hauptverhandlung von sich aus als Zeuge angeboten hatte. Der ehemalige Mithäftling Thomas C. ließ verlautbaren, dass er Angaben zu den Vorwürfen gegen Schubi und der linken Szene in Rostock machen könne. Zwei Mal wurde er vor Gericht gehört. Zwei Verhandlungstage unterhielt er das Gericht mit seinen verworrenen und von Abschweifungen begleiteten Ausführungen. An beiden Tagen protokollierten Prozessbeobachter_innen und die Verteidigung die Ausführungen des Hauptbelastungszeugen. Auch das Gericht schien sich seine Notizen zu machen, die letztlich in einen Beschluss über die Ablehnung eines Beweisantrages der Verteidigung vom 07.12.2015 einflossen, in dem die Verteidigung u. a. die Glaubwürdigkeit des Zeugen C. angezweifelt hatte. Die Ausführungen des Gericht lassen jedoch den Eindruck aufkommen, dass die Prozessbeobachter_innen und Kammer des Landgerichtes jeweils bei einer anderen Vernehmung gewesen zu sein schienen.

Die bizarre Aussage des Hauptbelastungszeugen

Wir möchten an dieser Stelle nur auszugsweise die Aussagen des Zeugen C. wiedergeben. Einerseits wäre die gesamte Wiedergabe aufgrund der Verworrenheit der Aussagen nur schwer möglich, andererseits wollen wir die Unwahrheiten, die der Zeuge vor Gericht zu Gehör gebracht hat, nicht weiter verbreiten.
Der Zeuge Thomas C. gab vor Gericht wieder, dass das Tatwerkzeug, mit dem auf die Polizist_innen beim Risikospiel des FC Hansa Rostock gegen den Dynamo Dresden geschädigt worden sein sollen, eine Betonplatte gewesen sei, die durch Freunde von Schubi in einem Rucksack in das Stadion transportiert worden sei (sic!). Er berichtete ebenso, dass es vor dem Wurf, der zunächst als versuchter Totschlag an einem Polizisten in die Anklageschrift eingegangen ist, eine „andere Aktion von Anderen auf einer Brücke“ gegeben habe. Bei dieser „Aktion“ sei ein Polizist geschädigt worden. Schubi selbst sei laut dem Zeugen danach auf die Brücke (gemeint ist hiermit vermutlich der Zugang zu den A-Blöcken) gelaufen und habe von oben die besagte Betonplatte geworfen. Während er bei der ersten Vernehmung vor Gericht noch davon spricht, dass durch diesen Wurf der Helm und das „Schutzschild“ eines Polizisten getroffen worden sein sollen, vermochte er bei seiner zweiten Aussage nicht mehr zu sagen, ob durch diesen Wurf die Polizeikräfte getroffen wurden. Der Zeuge traf weiterhin die Aussage, dass sich für ihn die Situation angehört habe, als ginge es um spielerisches Dosenwerfen. In Bezug auf ein angebliches Foto des vorsitzenden Richters aus dessen Privatleben, dass das Ausspähen des Richters durch Unterstützer_innen von Schubi belegen sollte, schilderte der Zeuge, dieses im März zu Gesicht bekommen zu haben. Im Juni hatte C. bereits gegenüber dem Staatsschutz geäußert, dass es sich bei dem Richter auf dem vermeintlichen Foto um den vorsitzenden Richter in Schubis Verhandlung handle. Vor Gericht sagte er jedoch aus, dass ihm die Übereinstimmung erst am 14.09.2015 aufgefallen sei, als er ein zweites Mal als Zeuge in Schubis Verfahren vernommen wurde und das obwohl er erst einen Monat zuvor selbst als Angeklagter vor eben diesem Richter vor Gericht stand.

Wenn das Gericht eine „geschlossene“ Aussage konstruiert

In einem Beschluss über die Ablehnung eines Beweisantrages der Verteidigung ist jedoch nichts von diesen Ausführungen des Zeugen zu vernehmen. Weder davon, dass eine Betonplatte in einem Rücksack in das Fussballstadion transportiert worden sein soll, noch dass andere Personen beim Fußballspiel des FC Hansa Rostock gegen Dynamo Dresden Beamte angegriffen hätten oder laut Aussage des Zeugen Schubi zu anderen Angreifer_innen hinzugekommen sei, wird in dem Beschluss dargelegt. Das Gericht lässt damit ein weiteres Mal außer Acht, dass es sich wohlmöglich nicht um einen einzelnen Täter handelt. Teile der getätigten Zeugenaussage werden einfach von den Richter_innen vernachlässigt. Andere Aspekte in den Aussagen des Zeugen C. werden verdreht wiedergegeben. Aus der Wahrnehmung des Zeugen, dass er sich bei den angeblichen Schilderungen des Angeklagten ein Dosenwerfen vorgestellt habe, macht das Gericht, dass Schubi selbst die Ereignisse am Spieltag als harmloses Dosenwerfen abgetan habe. Die Spekulationen um das angebliche Richterbild, was jedoch nie gefunden wurde und zu dem der Zeuge C. unterschiedliche Angaben machte, wann er die angebliche Übereinstimmung mit dem vorsitzenden Richter in dem Strafverfahren gegen Schubi erkannt haben will, lässt das Gericht völlig außer acht. Trotz der Widersprüche macht das Gericht in seinem Beschluss deutlich, dass der ehemalige Mithäftling für sie ein glaubwürdiger Zeuge sei, der „ruhig und sachlich“ eine „geschlossene“ Aussage gemacht habe, ohne dabei „emotional überschießende Tendenzen“ gegenüber dem Angeklagten aufzuweisen. Und das, obwohl der Zeuge mit der Schilderung des Tathergangs und des Tatwerkzeugs eindeutig dem widerspricht, was auf den Videoaufnahmen zu sehen ist, bzw. was die Polizei als Tatwerkzeug dokumentiert hat. Dass dies eigentlich gegen Täterwissen des Zeugen C. sprechen würde, bedenkt das Gericht nicht.

Problematische Regelungen in der Strafprozessordnung

Wie es möglich sein kann, dass ganz offensichtlich Teile von Aussagen von Belastungszeug_innen vor dem Landgericht im Laufe der Verhandlung keine Rolle mehr spielen oder gar umgedeutet werden, lässt sich durch die Regelungen der Strafprozessordnung zur Beurkundung in der Hauptverhandlung erklären. Darin ist zwar geregelt, dass wesentliche Ereignisse vor Gericht wie solche bei einer Vernehmung zu Protokoll gegeben werden müssen (Strafprozessordnung § 273 Beurkundung der Hauptverhandlung). Das bedeutet jedoch nicht, dass ein wortgetreues Protokoll über die Aussage der Zeug_innen erstellt wird. Dass dadurch der Willkür Tür und Tor geöffnet werden können, zeigt der Fall Schubi.

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„Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause – JVA“ Teil II https://freeschubi.blackblogs.org/2016/02/24/wir-geben-ihrer-zukunft-ein-zuhause-jva-teil-ii/ https://freeschubi.blackblogs.org/2016/02/24/wir-geben-ihrer-zukunft-ein-zuhause-jva-teil-ii/#respond Wed, 24 Feb 2016 08:44:26 +0000 http://freeschubi.blogsport.eu/?p=288 Continue reading ]]> Wie gestern bekannt wurde, hat der BGH einen Richter des Landgerichts Rostock für befangen erklärt. Grund ist ein Bild, dass der besagte Richter auf seinem privaten Facebook-Profil veröffentlicht hatte. Auf eben diesem Bild ist ein Mann zu sehen, der mit einem Bierglas in der Hand vor einem Haus sitzt und ein T-Shirt trägt, das mit dem Spruch „Wir geben ihrer Zukunft ein Zuhause – JVA“. Aber was hat das mit Schubi und seinem Verfahren zu tun?

Richterbild

Ein ehemaliger Mitgefangener von Schubi hatte behauptet, dass ein Foto von dem vorsitzenden Richter aus Schubis Verhandlung in der JVA Waldeck kursiert hätte, das beweisen sollte, dass dieser durch Unterstützer_innen von Schubi ausgespäht wurde. Der Zeuge Thomas C. hatte berichtet das Foto im Frühjahr 2015 zu Gesicht bekommen zu haben. Laut seiner Aussage zeigte es den Vorsitzenden Richter bei einem Grillfest Anfang März 2015. Bis heute ließ der Richter offen, ob es überhaupt möglich ist, dass ein solches Bild von ihm existiert. Trotz Nachfragen der Verteidigung hielt er es nicht für nötig dazu Stellung zu nehmen, ob er überhaupt im März ein Grillfest durchgeführt hat, nur um das Bild einer vermeintlichen „Zelle“, die Richter ausspäht, aufrecht zu erhalten. In der Verhandlung vom 23.02. wurde jedoch ein weiterer Zeuge zu diesem besagten Richterbild befragt. Dabei handelte es sich ebenfalls um einen ehemaligen Mitgefangenen von Schubi. Der Mitgefangene berichtete, dass ein Bild von einem Richter am Landgericht Rostock in Form von ca. dreißig Kopien in der JVA kursierte. Auf diesen Kopien war ein anderer Richter des Landgericht Rostocks zu sehen, Wolfgang Strauß. Dieser sitzt auf einer Terasse, mit einem Bierglas in der Hand und einem Aufdruck auf dem T-Shirt „Wir geben ihrer Zukunft ein Zuhause – JVA“. Verständlicherweise sorgte das Bild bei den Gefangenen der JVA nicht für Begeisterung zeigt es doch, welch Voreingenommenheit der Träger gegenüber den Angeklagten hegt. Eben dieser Umstand war nun auch der Grund, warum der BGH Richter Strauß für befangen erklärte.

Was die Verteidigung von Schubi bereits im Oktober vermutete, hat sich erneut erhärtet: es gab nie ein Bild des vorsitzenden Richters aus Schubis Verhandlung. Das einzige Richterbild, das der Zeuge C. gesehen haben kann, ist das Bild des Richters Strauß. Einmal mehr erweist sich der Zeuge damit als unglaubwürdig.

]]> https://freeschubi.blackblogs.org/2016/02/24/wir-geben-ihrer-zukunft-ein-zuhause-jva-teil-ii/feed/ 0 „Free Schubi“ im AIB https://freeschubi.blackblogs.org/2015/12/18/free-schubi-im-aib/ https://freeschubi.blackblogs.org/2015/12/18/free-schubi-im-aib/#respond Fri, 18 Dec 2015 15:59:16 +0000 http://freeschubi.blogsport.eu/?p=235 Im AIB Nr. 108 findet ihr ebenfalls einen Bericht der Soligruppe über das Verfahren gegen Schubi (Stand August 2015).

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Mord ist ihr Hobby https://freeschubi.blackblogs.org/2015/09/15/mord-ist-ihr-hobby/ https://freeschubi.blackblogs.org/2015/09/15/mord-ist-ihr-hobby/#respond Tue, 15 Sep 2015 09:03:31 +0000 http://freeschubi.blogsport.eu/?p=102 Continue reading ]]> Von fehlender Anteilnahme der Lokalpresse an dem am Rostocker Landgericht stattfindenden Prozess gegen Schubi kann keine Rede sein. Für die Norddeutschen Neuesten Nachrichten (NNN) berichtet regelmäßig ein und dieselbe Journalistin. Dabei verbreitet die Zeitung nicht nur eine voreingenommene und identifizierende Berichterstattung – regelmäßig kommt es zu schlichten Falschmeldungen.

In ihrem jüngsten Artikel, einem Bericht über den 11. Prozesstag gibt die ältere Dame mit dem Faible für spektakuläre Kriminalfälle über weite Strecken Behauptungen eines ehemaligen zeitweiligen Mitgefangenen des Angeklagten in einer Form wieder, die diese als Tatsachen erscheinen lassen. Allerdings geraten der passionierten Gerichtsreporterin selbst dabei die Fakten durcheinander.

„Sein Mitgefangener Thomas C. (45) verbüßt zurzeit eine dreijährige Haftstrafe und bewohnt in der Justizvollzugsanstalt die Zelle gegenüber dem Angeklagten. “ – Thomas C. war in den ersten drei Monaten des Jahres zwischenzeitlich in Waldeck inhaftiert. Seit Verlegung im Frühjahr diesen Jahres ist der Häftling allerdings in die JVA Bützow überstellt worden.

„Auch wäre der Polizeisportverein in Schwerin beobachtet worden, in dem fast alle Beamten trainieren.“ – Die Zeiten in denen der Verein Dynamo Schwerin – welcher im Prozess ganz explizit mit diesem Namen benannt wurde – in erster Linie ein Polizeisportverein gewesen ist, sind mit dem Fall der Mauer im Jahre 1989 nun schon einige Jahre dahin.

„Der Zeuge berichtete weiter, dass der Angeklagte über Freunde die private Umgebung des Vorsitzenden Richters, den er als „seinen persönlichen Feind“ betrachte, ausspionieren ließ. Er habe ein Foto gesehen, das den Richter im Garten zeige, so Thomas C. “ – Der Zeuge hat dies nicht berichtet, sondern lediglich behauptet. Allerdings konnte der auf wiederholtes und drängendes Nachfragen des Richters seine Angaben kaum plausibilisieren. So konnte der als Zeuge aussagenden Informant des Staatsschutzes über das Foto, das er angeblich gesehen haben will, auf Nachfragen des Vorsitzenden Richters keinerlei detaillierte Angaben machen. Bereits am 28.07. hatte die Journalistin in der NNN zudem berichtet, dass ein solches Foto bei der Zellendurchsuchung des Angeklagten nicht gefunden wurde.

Weitere fehlerhafte Darstellungen finden sich in den vergangenen Berichten der Journalistin. Bei der „schwere[n] Verletzung des Polizisten“ (5.Juni 2015) handelt es sich nach Darstellung eines Amtsarztes im Zeugenstand um ein Hämatom, umgangssprachlich auch „blauer Fleck“ genannt.

Aus einer am Rande eines früheren Prozesstages getätigten Mitteilung des Oberstaatsanwalts zu einem neuen Fall in Saarbrücken, bei dem ein Anfangsverdacht einer Straftat derzeit geprüft (!) würde, leitet die Journalistin am 28.07. die irreführende Konsequenz ab, dass es für den Angeklagten so langsam eng werde. Im aktuellen Verfahren geht es allerdings ausschließlich um Fussballspiele, welche in Rostock stattgefunden haben. Dies wurde auch von der Anklage betont, jedoch anscheinend nicht von allen Anwesenden wahrgenommen.

In ihrem Artikel zum Verhandlungstag am 31.07. schrieb die Journalistin von Filmaufnahmen, in denen ein Mann „mit grüner Windjacke und Strickmütze“ zu sehen sei, der eine „prallgefüllte Tüte“ übergibt. Immer und immer wieder wurden an diesem Tage dieselben Videosequenzen den verschiedenen Zeugen vorgespielt. Anschließend befragte die Kammer und der Staatsanwalt, sowie die Anwälte der Verteidigung die Zeugen. In der besagten Videosequenz ist allerdings nur ein Mann zu sehen, der mit einer schwarzen Jacke bekleidet ist und halbleere Plastiktüte unbekannten Inhalts übergibt.

Berichterstattung darf im Dienste der öffentlichen Meinungsbildung durchaus zuspitzen. Die Zuspitzung kippt jedoch dann, wenn die Unschuldsvermutung für den Angeklagten in einem noch laufenden Verfahren nicht mehr gilt. Zu Pointieren, ohne einer Vorverurteilung Vorschub zu leisten, gehört zu den Qualitätskriterien, die den professionellen Journalismus von einer bloßen Meinungsäußerung unterscheiden. Bei der Verbreitung von Falschmeldungen wird allerdings eine Grenze überschritten. So faszinierend bestimmte Gerichtsverfahren bisweilen seien mögen, die Unterscheidung zwischen der Informationsfunktion journalistischer Arbeit und der Unterhaltungsfunktion von Kriminalromanen sollte unbedingt gewahrt bleiben.

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Über die bedenklichen Parallelen zu Dresdener Justizskandalen https://freeschubi.blackblogs.org/2015/08/27/ueber-die-bedenklichen-parallelen-zu-dresdener-justizskandalen/ https://freeschubi.blackblogs.org/2015/08/27/ueber-die-bedenklichen-parallelen-zu-dresdener-justizskandalen/#respond Thu, 27 Aug 2015 14:31:13 +0000 http://freeschubi.blogsport.eu/?p=63 Continue reading ]]> Weit im Vorfeld der Eröffnung der Hauptverhandlung am Rostocker Landgericht hatten Schubis Verteidiger einen umfassenden Einblick in die Ermittlungsakte beantragt. Trotz der großen Menge von Videoaufzeichnungen, hatten die Rechtsanwälte allerdings nur einige, kleinere Zusammenschnitte erhalten, welche den mutmaßlich einen und selben „Intensivtäter“ beim Begehen von Straftaten im Rahmen der Spiele des FC Hansa Rostock zeigen soll. Aus diesen Zusammenschnitten wird wenig über die Umstände des dort gezeigten Geschehens ersichtlich. Daher beantragte die Verteidigung abermals nach der Eröffnung des Prozesses am Rostocker Landgericht endlich einen vollumfassenden Einblick in die Akte zu bekommen, um der Wahrung der Rechte des Angeklagten auf einen fairen Prozess durch eine rechtmäßige Verteidigung nachkommen zu können.

Dabei führte einer der Verteidiger aus, dass er keinem der Prozessbeteiligten eine pauschale Unterstellung machen wolle. Sein Vertrauen in die Ermittlungsarbeit der Polizei und der Staatsanwaltschaft würde aber auch nicht so weit gehen, dass er nicht selbst einen Blick auf das ungeschnittene Material werfen wollen würde. Der Rechtsanwalt begründete dies mit zwei Fällen aus der jüngeren Vergangenheit, in denen erst die von der Verteidigung erzwungene Sichtung ungeschnittener Videoaufzeichnungen die Unschuld der jeweils angeklagten Personen bewiesen werden konnte.

Bei diesen Fällen handelt es sich um die bundesweit bekannt gewordenen Skandalprozesse gegen den Jenaer Jugendpfarrer Lothar König und den Antifaschisten Tim H. aus Berlin. Beiden wurden Straftaten im Rahmen der Gegenproteste zum größten europäischen Naziaufmarsch am 19. Februar in Dresden vorgeworfen. Neben den beiden Prozessen gegen Lothar König und Tim H. machten auch die übrigen Ermittlungen rund um die Gegenproteste in Dresden Schlagzeilen, da Polizeibeamte zudem ein Rechtsanwaltsbüro und Räume der Dresdener Linkspartei stürmten, sowie im Laufe des Tages per Funkzellenabfrage rund eine Million Handydaten erfasst hatte.

Dem Jugendpfarrer König wurde zur Last gelegt sich des „schweren, aufwieglerischen Landfriedensbruches“ und der Beihilfe zum Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, sowie der versuchten Strafvereitelung schuldig gemacht zu haben. Weiterhin ermittelten die sächsischen Behörden gegen Lothar König wegen des Verdachtes der Zugehörigkeit zu einer „Antifa Sportgruppe“, welche gezielt in Dresden Jagd auf Neonazis machen würde und deren Kopf und Anführer er sei.

Der Seelsorger als Rädelsführer?

Die Anklage gegen Lothar König stützte sich auf die Behauptung, dass König als Fahrer und Halter des VW-Busses der Jenaer Jungen Gemeinde während der Demonstrationen und der anschließenden Krawalle in Dresden zu Gewalt aufgerufen haben soll. Laut Staatsanwalt sei aus seiner Lautsprecheranlage auf dem Autodach in einer Menschenmenge unter anderem gerufen worden sein: „Deckt die Bullen mit Steinen ein“. König soll, so die Dresdener Staatsanwaltschaft, versucht haben ein Einsatzfahrzeug der Polizei von der Straße zu drängen. Im Verlauf des Vorfalls seien dann mehrere Steine auf Polizeiwagen geflogen. Der Jugendpfarrer habe anschließend Verdächtige in sein Auto aufgenommen.

Der Prozess gegen den Jenaer Jungendseelsorger wurde noch vor der eigentlichen Eröffnung im Frühjahr 2013 wieder verschoben, weil ein Anwalt der Verteidigung durch einen Zufall in den Akten des Gerichts mehr als 170 Seiten ungeordnetes Material entdeckte, welche der Verteidigung bis zu diesem Zeitpunkt vorenthalten wurde. Auch der weitere Prozess war geprägt von einem unbedingten Verurteilungswillen der Dresdener Staatsanwaltschaft. Es wurde von vornherein einseitig ermittelt, entlastende Akten unterschlagen und auch der Umstand, dass gegen den Pfarrer bloße Vermutungen sowie Falschaussagen von Polizeibeamten anstelle von Beweisen vorlagen, führte erst sehr spät im Sommer 2013 zu einer Aussetzung des Verfahrens.
Hintergrund war, dass die Verteidigung erst während des Verfahrens mitten im Juni 2013 Kenntnis von der Existenz von ca. 160 Stunden unausgewerteten Videomaterials erlangte. Die dann von der Verteidigung nach eigener Auswertung eingebrachten Videoauschnitte aus dem neuen Beweismaterial führten dazu, dass Lothar König auf ganzer Linie entlastet und die ihm zur Last gelegten Anklagepunkte widerlegt wurden.

„Kommt nach vorne!“ – Der Fall Tim H.

Ähnlich, wenn auch weniger prominent wahrgenommen, spielte sich ein weiterer sächsischer Justizskandal ab, der die Auseinandersetzungen vom 19. Februar 2011 zum Gegenstand hatte. Der Berliner Antifaschist Tim H. wurde im Januar 2013 in erster Instanz wegen Körperverletzung, besonders schweren Landfriedensbruchs und Beleidigung durch das Amtsgericht Dresden zu einem Jahr und zehn Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. Das Schöffengericht hatte es als erwiesen angesehen, dass der Angeklagte am 19. Februar in der Dresdner Südvorstadt mit einem Megafon zum Durchbrechen einer Polizeisperre aufgerufen hatte. Beim Durchfließen einer Absperrung waren vier Polizisten verletzt worden, wobei einer der Beamten als „Nazischwein“ beschimpft worden war.

Auch gegen Tim H. sagte ein Polizeibeamter aus, der bereits auf Grund seines Auftretens im Verfahren gegen Lothar König von der Verteidigung wegen Fälschung von Beweismitteln angezeigt wurde. Der skandalöse Ablauf des Verfahrens gegen Lothar König führte auch bei der Verteidigung von Tim H. dazu, auf die eigenständige Sichtung des gesamten Videobeweismaterial zu bestehen. Mit Erfolg: in den Aufnahmen tauchten mehrere, andere Personen auf, die die selben vagen Merkmale aufwiesen wie Tim H., wodurch das Urteil aus erster Instanz nicht aufrecht erhalten werden konnte. Der Berliner Antifaschist wurde vom Vorwurf des besonders schweren Landfriedensbruches freigesprochen und musste lediglich eine Geldstrafe wegen Beleidigung zahlen.

Welche Bedeutung haben die Dresdener Verfahren für den aktuellen Rostocker Fall?

Auch im Rostocker Verfahren gegen Schubi liegt offensichtlich ein hohes Verurteilungsinteresse vor und ebenso wird der Verteidigung nur sehr widerwillig und häppchenweise Zugang zu einem Teil der polizeilichen Videoaufzeichnungen gewährt. Ob das Videomaterial im Rostocker Verfahren ähnlich suggestiv und manipulierend zusammengeschnitten wurde wie dies in Dresden gegen Lothar König und Tim H. der Fall war, kann derzeit weder bestätigt, noch ausgeschlossen werden.
Ob durch diese Videos eine Entlastung des Angeklagten möglich ist, konnte bislang ebenfalls kaum geklärt werden. Die Beweismittel liegen bislang nur bei der Polizei vor und Oberstaatsanwalt Krüger sieht bislang keine Veranlassung, diesen Zustand zu ändern. In einem ersten, patzigen Antwortschreiben teilte er der Verteidigung mit, dass er als Herr des zur Anklage gebrachten Ermittlungsverfahrens sich nicht in der Lage sähe der Polizei Anweisungen zu erteilen. Doch die Verteidigung beließ es nicht dabei, sich das Recht auf Akteneinsicht verwehren zu lassen und beantragte daraufhin die Heranziehung aller an diesem Tage angefertigten Videoaufzeichnungen als Beweismittel im Gerichtsverfahren, um damit die Blockadehaltung auf Seiten der Staatsanwaltschaft aufzubrechen. Statt dem Recht zu geben, lehnte das Gericht am 27.08.2015 in einer 35 Seiten umfassenden Begründung ab, das beantragte Videomaterial in den Prozess einzuführen. Ohne es selbst bisher gesehen zu haben, verwies es darauf, dass das Beweismaterial zu keinen neuen Erkenntnissen führen würde.

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