Halim Dener – Kampagne Halim Dener https://halimdener.blackblogs.org Gefoltert. Geflüchtet. Verboten. Erschossen. Tue, 01 Jul 2014 08:43:59 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://halimdener.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/2431/2024/04/cropped-HD2-32x32.png Halim Dener – Kampagne Halim Dener https://halimdener.blackblogs.org 32 32 Gedenken am 30.06. in Hannover und anderswo https://halimdener.blackblogs.org/2014/07/01/gedenken-am-30-06-in-hannover-und-anderswo/ Tue, 01 Jul 2014 08:43:59 +0000 http://halimdener.blogsport.eu/?p=226 gedenken01

In Hannover wurde am 30.06. die stattfindende „Brot-und-Spiele“-Fußball-Veranstaltung genutzt, um zur historischen Tatzeit eine Gedenkveranstaltung am Steintor abzuhalten. In einer Schweigeminute wurde Halim und den Gefallenen im Kampf um Befreiung weltweit gedacht.

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In anderen Städten wurde in Gedenken an Halim währenddessen in aller Ruhe plakatiert.

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Hannover, 21.06.14: Bericht von der Demo https://halimdener.blackblogs.org/2014/06/22/demo-hannover/ Sun, 22 Jun 2014 14:33:35 +0000 http://halimdener.blogsport.eu/?p=212 Continue reading Hannover, 21.06.14: Bericht von der Demo ]]> Solidarität muss Praxis werden…

Demonstration „Halim Dener: gefoltert. geflüchtet. verboten. erschossen.“ in Gedenken an den kurdischen Jugendlichen am 21.06.14 in Hannover

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20 Jahre nach dem Tod Halim Deners, haben etwa 1.500 Menschen mit einer Gedenkdemonstration in Hannover an den kurdischen Jugendlichen und seine Geschichte erinnert. Damit hat die Kampagne Halim Dener ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Sie hatte mit der Unterstützung von 53 Organisationen aus verschiedensten linken Spektren zu der Demonstration am 21.06.14 aufgerufen.

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Die Kampagne hat damit ihr Ziel erreicht, keinen reinen Trauermarsch zu veranstalten, sondern vor allem die Aktualität der Konflikte, welche zum Tod Halim Deners geführt haben, aufzuzeigen. Der andauernden Krieg in Kurdistan, das undemokratische PKK-Verbot, die unmenschliche Lage nach Europa flüchtender Menschen sowie die andauernde Polizeigewalt gegen Migrant*innen wurden anhand der Geschichte Halim Deners als thematische Inhalte der Kampagne verknüpft. Halim Dener selbst war 1994 vor dem Krieg in Kurdistan nach Europa geflohen, um Asyl in der BRD zu suchen, wo er beim Plakatieren des Symbols einer PKK-nahen Organisation von einem Polizisten erschossen wurde.

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Gerade diese Verknüpfung verschiedener Aspekte führte zu einer Unterstützung des Demonstrationsaufruf unter anderem durch kurdische Organisationen, antifaschistische und antirassistische Gruppen vor allem der autonomen Bewegung, Vereinigungen der deutschen und türkischen Linken sowie Flüchtlingsselbstorganisationen. So wurde das zweite Ziel der Kampagne, Gruppen aus verschiedenen linken Spektren zusammenzubringen, ebenfalls erreicht.
Im Vorfeld der Demonstration fanden 17 Informations- und Diskussionsveranstaltungen in verschiedenen Städten zu den Inhalten der Kampagne statt, in Mainz sogar eine Demonstration zur Mobilisierung mit 150 Teilnehmer*innen.

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Die Kampagne war von vornherein offen und transparent mit ihren Forderungen sowie ihrem Konzept für die Demonstration aufgetreten. Sie wollte ein angemessenes Gedenken an Halim Dener und ihren Protest gegen den Tod und dessen Ursachen auf die Straße tragen und sich dabei nicht von der Polizei gängeln lassen. Dabei war ihr durchaus bewusst, dass sich die Demonstration im Spannungsfeld der Gegensätze von der Legitimität der kurdischen Freiheitsbewegung und dem Zeigen ihrer Symbole auf der einen und dem PKK-Verbot mit seinen repressiven Konsequenzen auf der anderen Seite bewegen würde.
Die Polizei war in Hannover mit einem total überzogenen Aufgebot an Personal, Material und Maßnahmen aufgetreten: mindestens fünf Wasserwerfer und zwei Räumpanzer belagerten mit zahlreichen Beamt*innen und einer Reiter*innenstaffel die Innenstadt. Bei massiven Vorkontrollen waren etwa 120 Demonstrationsteilnehmer*innen in einem Polizeikessel festgesetzt und einzeln durchsucht worden. Offenbar trieb die Suche nach verbotenen Symbolen die Ordnungshüter*innen an.

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Die Demonstration hat sich von diesem Vorgehen nicht provozieren lassen. Stattdessen zog die bunt zusammengesetzte und laut Parolen skandierende Demonstration über ihre geplante Route vom Klagesmarkt am türkischen Konsulat vorbei zu einer Zwischenkundgebung am Steintor, dem Ort an dem Halim Dener in der Nacht vom 30.06.94 erschossen wurde. Die zahlreichen Redebeiträge spiegelten die vielfältige Zusammensetzung der Demonstration wieder; so wurden u.a. Beiträge gehalten von: der Kampagne TATORT Kurdistan, der Roten Hilfe, der Interventionistischen Linken Hannover, der Yeni Demokratik Genclik, einem Flüchtlingsaktivisten des Camps am Weißekreuzplatz in Hannover, der Gruppe Lampedusa in Hamburg, der Antifa Burg.

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Bei der Zwischenkundgebung am Steintor wurden zahlreiche Fahnen der PKK und der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) geschwenkt. Die Kampagne Halim Dener hatte immer erklärt, dass sie das Zeigen der Symbole des kurdischen Befreiungskampfes für legitim hält, dabei aber an dem Ziel festhält die Demonstration geschlossen zu beenden. Die Demonstrant*innen holten nach einer Schweigeminute in Gedenken an Alle von der Polizei ermordeten und im Kampf um Freiheit getöteten die Fahnen ein, woraufhin sich der Demonstrationszug ohne weitere Vorkommnisse bis zum Klagesmarkt fortsetzte und auflöste.
Der Verlauf ohne Auseinandersetzungen hielt die Polizei allerdings nicht davon ab, im Anschluss an die Demonstration mehrere Personalienfeststellungen wegen angeblichen Verstoßens gegen das Vereinsgesetz und das Versammlungsgesetz durchzuführen, was von der Kampagne scharf kritisiert wird. Dass die Demonstration von so vielen Menschen geschlossen durchgeführt wurde, die ihre Haltung zum PKK-Verbot und dem Mord an Halim Dener ausdrückten, sieht die Kampagne hingegen als großen Erfolg an.

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Am 30.06.14, dem eigentlichen Jahrestag der Tötung wird eine kleine Aktion zum Gedenken an Halim Dener in Hannover die Kampagne abrunden. Ob sich die Stadt Hannover in Zukunft zu diesem Teil ihrer Geschichte verhalten wird, indem sie z.B. eine Straße nach Halim Dener benennt, ist noch ungewiss. Doch jetzt schon ist die Kampagne Halim Dener ein Erfolg, wenn sie als weiterer Schritt zur notwendigen praktischen Solidarität linker und fortschrittlicher Kräfte verschiedenster Hintergründe verstanden wird.

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Buntes aus Hannover https://halimdener.blackblogs.org/2014/06/13/und-auch-buntes-aus-hannover/ Fri, 13 Jun 2014 21:54:41 +0000 http://halimdener.blogsport.eu/?p=171 Und auch in Hannover gibt es schön gestaltete Wände:

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Plakatwand Hamburg https://halimdener.blackblogs.org/2014/06/10/plakatwand-hamburg/ Tue, 10 Jun 2014 13:41:12 +0000 http://halimdener.blogsport.eu/?p=163 Am Wochenende wurde auch eine Plakatwand an der Roten Flora in Solidarität mit Halim Dener und den durch die deutsche Polizei Getöteten plakatiert.
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Die Polzei inspizierte sie und befand sie für gut gelungen:
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Hier die digitale Version [.JPG] für weitere Wände.
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Hamburg: Halim goes Blockupy https://halimdener.blackblogs.org/2014/05/18/hamburg-halim-goes-blockupy/ Sun, 18 May 2014 12:34:48 +0000 http://halimdener.blogsport.eu/?p=100 Nachdem am Freitag die erste Veranstaltung der Antirepressionsgruppen zur Kampagne Halim Dener in der Hafen-Volxküche stattgefunden hatte, war Halim auch bei den Blockupy-Aktionstagen dabei.

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Interview mit Aktivist*innen https://halimdener.blackblogs.org/2014/05/13/interview-mit-aktivistinnen/ Tue, 13 May 2014 12:36:48 +0000 http://halimdener.blogsport.eu/?p=103 Continue reading Interview mit Aktivist*innen ]]> „Halim hat die gleichen Symbole plakatiert, die wir heute auf unseren Pullis oder als Halskette tragen. Müssen wir nun Angst haben, dass uns deutsche Bullen erschießen?“

Kampagne Halim Dener: gefoltert. geflüchtet. verboten. erschossen.

Für den Kurdistan Report führte die Zeitschrift Ronahî ein Interview mit den AktivistInnen Medya (Ciwanên Azad) und Thomas (YXK – Verband der Studierenden aus Kurdistan).

Ronahî:
Was war für Euch der Anlass, eine Kampagne Halim Dener ins Leben zu rufen? Was unterscheidet die Kampagne von den Aktionen zum Tod Halims der letzten Jahre?

Medya: In den letzten Jahren gab es hier in Hannover immer eine kleine Demo oder Kundgebung am Jahrestag der Ermordung von Halim. Diese wurden auch immer von Gruppen aus der deutschen Linken in der Stadt getragen. Für sie hat Halims Tod eine gewisse Bedeutung, sodass sie auch dieses Jahr wieder etwas dazu machen wollten. Das hatten sie sich schon vorgenommen, bevor wir mit dem Vorschlag, eine gemeinsame Kampagne zu machen, zu ihnen gegangen sind.
Von unserer, kurdischer Seite wurden diese Aktionen leider immer weniger ernst genommen. Das wollen wir dieses Jahr, zum zwanzigsten Jahrestag des Mordes, ändern. In Hannover ist die Zusammenarbeit bereits besser geworden. Wir konzentrieren uns jetzt auf die gemeinsame Podiumsdiskussion.

Thomas: Die Idee, eine gemeinsame Kampagne deutscher und kurdischer linker Gruppen zu Halim Dener zu initiieren, entstand Ende letzten Jahres aus den Arbeiten der Kampagne TATORT Kurdistan. TATORT Kurdistan bringt beide Spektren zusammen, um ihre jeweiligen Kämpfe an gemeinsamen Schnittpunkten zu verbinden. Letzten November fand die große Demo mit vielen deutschen UnterstützerInnen gegen das PKK-Verbot in Berlin statt. Danach stellte sich für uns die Frage, wie wir Gruppen der radikalen Linken und der kurdischen (Jugend-) Bewegung weiter zusammenbringen können. Eine gemeinsame Kampagne zu einem gemeinsamen Thema ist eine gute Gelegenheit, um sich gegenseitig kennenzulernen, sich auszutauschen und voneinander zu lernen und vor allem gemeinsam etwas auf die Beine zu stellen.
Die Kampagne an sich ist thematisch und für interessierte Gruppen und Personen sehr offen. Der Untertitel „gefoltert. geflüchtet. verboten. erschossen.“ bezieht sich auf die verschiedenen Kämpfe, die sich in Halims Geschichte vereinen. Diese Kämpfe sichtbar zu machen und zu vernetzten ist unser Ziel. Daher richtet sich die Kampagne mit ihren inhaltlichen Schwerpunkten über die kurdische Bewegung und die mit ihr bereits solidarische radikale Linke hinaus an Gruppen, die sich mit Krieg und Militarismus, Flucht und Vertreibung, Repression und (rassistischer) Polizeigewalt beschäftigen.

Ronahî: Ein Schwerpunkt der Kampagne ist das PKK-Verbot. Obwohl letzten November zahlreiche Personen und Organisationen dagegen protestiert haben, findet es in der deutschen Linken oft keine Beachtung. Warum ist das so und warum ist Euch das PKK-Verbot so wichtig?

Thomas:
Ein großes Missverständnis in Bezug auf das PKK-Verbot ist die Auffassung, es handele sich dabei um ein „kurdisches“ Problem. Natürlich führt das Verbot zu einigen Hindernissen für die kurdische Bewegung, aber die PKK setzt ihren politischen Kampf unbeirrt fort und überzeugt immer mehr Menschen von der Richtigkeit dieses Kampfes – nicht nur in Kurdistan, sondern gerade auch hier in Europa.
Das PKK-Verbot zielt vielmehr darauf ab, dass sich kurdische BasisaktivistInnen hier vor Ort nicht länger betätigen. Es handelt sich um Jugendliche oder Familienmütter und -väter, die sich in Jugendgruppen, Kulturvereinen, zivilgesellschaftlichen Einrichtungen engagieren und dafür mit Repression überzogen werden: Aberkennung des Aufenthaltsstatus, Verurteilung wegen Verstoß gegen das Vereinsgesetz, Anquatschversuche vom Verfassungsschutz, Stress in der Schule oder bei der Arbeit u. Ä. sind Alltag kurdischer BasisaktivistInnen. Und dann bekommen regelmäßig Einzelne die Keule des bundesrepublikanischen politischen Strafrechts, die §§ 129 ff. StGB zu spüren, um Verunsicherung zu verbreiten und der staatlichen Macht Ausdruck zu verleihen. Diese Repression wird mit dem PKK-Verbot gerechtfertigt, hat aber das Ziel, eine linke Bewegung hier in der BRD zu drangsalieren. Gemeinsam mit der deutschen Linken zu arbeiten, gemeinsame gesellschaftliche und politische Kämpfe zu führen, soll verhindert werden.
Von daher ist das Verbot mindestens genauso ein Problem der deutschen Linken, denn die gleiche Staatsmentalität von Verbot und gesellschaftlicher Ausgrenzung trifft auch sie; erinnert euch nur an das KPD-Verbot. Auch die BRD hat ein eklatantes Demokratiedefizit, das PKK-Verbot ist nur ein Ausdruck davon.

Medya: Wir kurdischen Jugendlichen spüren das PKK-Verbot und die ganze Denkweise, die damit einhergeht, sehr deutlich. Es gibt ein gesellschaftliches Klima, das uns als politisch interessierte und engagierte Jugendliche grundsätzlich feindlich gesinnt ist. Überall wo wir uns bewegen, selbst im Alltag in der Schule oder auf Facebook, werden wir nicht als KurdInnen akzeptiert. Wir werden immer als TerroristInnen und Kriminelle abgestempelt, bloß weil wir „kesk û sor û zêr“ (die „kurdischen Farben“ grün, rot, gelb; Anm. d. Red.) oder ein Bild von Serok Apo tragen. FreundInnen von uns, die sich organisieren und wirklich etwas für uns Jugendliche machen wollen, werden als TerroristInnen angeklagt und zu langen Haftstrafen verurteilt wie Metin Aydin in Stuttgart oder sogar ermordet wie Leyla Şaylemez in Paris.
Halim Dener wurde genauso als Terrorist gesehen. Darum hat der Bulle geschossen und darum ist er auch gedeckt worden und sogar davongekommen, obwohl er einen 16-Jährigen in den Rücken geschossen hat. Halim hat die gleichen Symbole plakatiert, die wir heute auf unseren Pullis oder als Halskette tragen. Müssen wir nun Angst haben, dass uns deutsche Bullen erschießen?

Ronahî: Was versprecht Ihr Euch von der Arbeit in der Kampagne? Was sind Eure Wünsche?

Medya: Wir als kurdische Jugendliche und radikale Linke müssen wieder mehr aufeinander zugehen und voneinander lernen. Vor allem wir selbst tun uns sehr schwer damit. Politisch steht bei uns der Kurdistan-Konflikt im Vordergrund, damit erreichen wir oft niemanden. Wenn doch Interesse besteht, ist es schwierig, mit uns in Kontakt zu treten und zu bleiben. Wir selbst erkennen diese Probleme und wollen mit einer neuen Organisierung als Ciwanên Azad strukturierter und erreichbarer werden.
Ich hoffe, dass dann auch unser Kampf mehr beachtet wird und auch mehr deutsche GenossInnen auf uns zukommen. Wir haben gemeinsame Bedürfnisse und Kämpfe. Das dürfen wir uns nicht nur sagen, sondern müssen auch dementsprechend handeln. Ich wünsche mir, dass die Kampagne Halim Dener ein kleiner Schritt in diese Richtung sein wird.

Thomas:
Ich sehe das genauso. Wir müssen als Linke und DemokratInnen die Gräben überwinden, die der Staat zwischen uns gezogen hat. Die Kämpfe, welche die Kampagne Halim Dener miteinander verbinden möchte, können wir einfach nicht allein gewinnen. Es geht uns um die gleichen Anliegen und die verschiedenen Kämpfe gehören – auch inhaltlich – zusammen.
Ich wünsche mir auch, dass die Arbeiten zu dieser Kampagne verschiedenste Gruppen zusammenbringen und vernetzen. Daher möchte ich nochmal alle Interessierten aufrufen, sich in die praktischen Arbeiten der Kampagne einzubringen, und linke Gruppen aufrufen, den Aufruf zur Demo am 21.06.14 in Hannover zu unterstützen.

Das Interview erschien zuerst in der Zeitschrift Kurdistan Report, Nr. 173 Mai/ Juni 2014 (http://kurdistan-report.de/)

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Prozessbericht 1994-1997 https://halimdener.blackblogs.org/2014/03/24/prozessbericht-1994-1997/ Sun, 23 Mar 2014 22:29:40 +0000 http://halimdener.blogsport.eu/?p=13 Continue reading Prozessbericht 1994-1997 ]]> Quelle: http://www.infopartisan.net/archive/kurdenverfolgung/099.html

Verkehrte Gerichtswelt

Freispruch im Halim-Dener-Prozeß. Anmerkungen zu einem denkwürdigen Strafprozeß wegen des polizeilichen Todesschusses auf Halim Dener

von RA Dr. Rolf Gössner

Am 27. Juni 1997 hat die 3. Strafkammer des Landgerichts Hannover den wegen fahrlässiger Tötung angeklagten SEK-Polizeibeamten Klaus T. freigesprochen. Das Gericht folgte in allen wesentlichen Punkten den Einlassungen des Angeklagten – und damit jener Version, die bei der Tötung des kurdischen Jugendlichen Halim Dener durch einen Schuß aus dem Dienstrevolver von einem Unglücksfall ausgeht. Danach sei dem Angeklagten im Juni 1994 beim Versuch der Festnahme des späteren Opfers und während eines anschließenden „Gerangels“ der Revolver aus dem Holster gefallen. Der Schuß müsse sich beim Zurückführen der Waffe und Losreißen des Flüchtenden unbeabsichtigt gelöst haben – wobei Halim Dener aus einer Entfernung von ca. 10 cm in den Rücken getroffen wurde und wenig später verblutete. Der 16jährige hatte Plakate für eine PKK-nahe Organisation geklebt, die in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegt ist.

Das Gericht billigte dem Angeklagten zu, daß er in dieser Streß-Situation, in der er einen unbewaffneten 16jährigen Plakatekleber festhalten und gleichzeitig seine aus dem Holster gefallene Waffe holstern wollte, „deutlich überfordert“ gewesen sei. Der Angeklagte habe den Schuß unter Streß in einer außergewöhnlichen Situation unabsichtlich abgegeben. Bloße Unvorsichtigkeit sei keine Fahrlässigkeit. Die Situation sei so dramatisch zugespitzt gewesen, „daß auch ein ausgebildeter SEK-Beamter sie nicht in den Griff bekommt“, urteilte das Gericht über die „Fähigkeiten“ der besonders geschulten Polizisten des Spezialeinsatzkommandos. Die Grundlage für diese Argumentation lieferte das Gutachten eines für das SEK tätigen Unfallforschers und Sachverständigen für Sensomotorik, obwohl ein Schußwaffensachverständiger auf Grundlage eines eigens durchgeführten Experiments eine unwillkürliche Schußabgabe unter solchen Umständen nach menschlichem Ermessen für ausgeschlossen hält. Immerhin muß bei der Schußabgabe mit dem benutzten Revolver ein hoher, kraftaufwendiger Abzugswiderstand von 4,3 kg überwunden werden, um einen Schuß aus der nicht vorgespannten Waffe auszulösen. Wie der Angeklagte die Waffe aufgenommen habe und die Schußabgabe tatsächlich erfolgte, konnte im Verfahren nicht geklärt werden.

Die Vertreter der Nebenklage haben Revision gegen das Urteil eingelegt.

Das Ermittlungs- und Strafverfahren gegen den Polizeibeamten dauerte insgesamt drei Jahre; die Ermittlungen waren kennzeichnet durch eine Reihe von Eigentümlichkeiten, die Hauptverhandlung fand unter strengen Sicherheitsbedingungen statt – besonders kraß beim ersten Anlauf 1996 im Oberlandesgericht Celle, ein wenig moderater bei der Neuauflage 1997 vor dem Landgericht Hannover, die notwendig wurde, weil der Prozeß 1996 wegen Erkrankung zweier Richter geplatzt war. Ein in jeder Hinsicht ungewöhnlicher Strafprozeß fand mit dem Freispruch sein konsequentes Ende – zeigte er doch in aller Deutlichkeit, wie anders als gewöhnlich Ermittlungen und Strafverfahren verlaufen, wenn es sich um einen Polizeibeamten als Angeklagten handelt:

Das Todesopfer: Der 16jährige Kurde Halim Dener aus Bingöl/Türkisch-Kurdistan war erst wenige Wochen in der Bundesrepublik. In Niedersachsen hatte er Asyl beantragt und dies damit begründet, daß er als Kurde in der Türkei verfolgt werde: Er war vor seiner Ausreise nach Deutschland in der Türkei eine Woche lang inhaftiert gewesen und gefoltert worden. Sein Heimatdorf ist, wie unzählige andere kurdische Dörfer zuvor, von der türkischen Armee niedergebrannt worden. Deners Aufenthalt in Niedersachsen wurde vorläufig gestattet.

Plakatekleben als „terroristisches“ Delikt: Halim Dener wurde von zwei Zivilpolizisten beim Plakatieren erwischt. Bei den inkriminierten Plakaten handelte es sich um solche der in Deutschland verbotenen „Nationalen Befreiungsfront Kurdistans“ (ERNK), die als Nebenorganisation der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gilt, die in Deutschland teil- und zeitweise als „terroristisch“ eingestuft wurde und seit 1993 verboten ist. Auf diese Weise wurde aus dem harmlosen Plakatekleben – allenfalls als Ordungswidrigkeit oder Sachbeschädigung zu qualifizieren – ein quasi „terroristisches“ Delikt (Unterstützung bzw. „Werbung“ für eine verbotene bzw. terroristische Vereinigung und Verstoß gegen ein Vereinsverbot) – mit tödlichen Folgen für den „Delinquenten“.

In einer Nachvernehmung durch die Staatsanwaltschaft hatte der beschuldigte Polizeibeamte Klaus T. in diesem Zusammenhang ausgesagt, beim Anblick der jugendlichen Plakatierer habe er „nicht nur an eine Ordnungswidrigkeit oder eine Sachbeschädigung gedacht“; er habe vielmehr – wenn auch ohne nähere rechtliche Bewertung – den Verdacht geschöpft, es könne sich um eine strafbare Unterstützung der verbotenen PKK handeln – was ihn allerdings, so betont er ausdrücklich, nicht zu einer Kontrolle mit gezogener Waffe veranlaßt habe. Gleichwohl ist nicht auszuschließen, daß nach der massiven offiziellen Propaganda gegen die „terroristische“ PKK und gegen Kurden insgesamt („Neue Dimension des Terrors“) sich in den Köpfen von Polizeibediensteten möglicherweise ein entsprechendes „Feindbild“ festgesetzt hat, das zu einem überzogenen Verhalten geführt haben könnte.

Absurdes Bedrohungsszenario während des Prozesses: Der Prozeß gegen den angeklagten SEK-Polizeibeamten Klaus T. vor dem Landgericht Hannover fand in einer Polizeifestung statt. Massives Polizeiaufgebot, berittene Polizei, Absperrgitter und körperliche Durchsuchungen waren dazu angetan, mögliche Prozeßbesucher abzuschrecken – vor allem Kurdinnen und Kurden, die miterleben wollten, wie mit dem polizeilichen Todesschuß gegen einen der Ihren gerichtlich umgegangen wird. Wer sich von der Abschottung dennoch nicht abschrecken ließ, mußte sich ausweisen, wurde intensiv durchsucht, die Ausweise wurden kopiert. So wollte es der Vorsitzende Richter der 3. Großen Strafkammer des Landgerichts Hannover, der diese Sicherheitspolizeiliche Anordnung eigens für diesen Prozeß erlassen hatte. Ein Antrag der Nebenklage-Vertreter, diese vollkommen überzogenen Maßnahmen sofort einzustellen, weil sie die verfassungsrechtlich garantierte Öffentlichkeit des Verfahrens schwer beeinträchtigen, lehnte das Gericht kategorisch ab. Es fühlte sich offenbar bedroht, ohne allerdings eine Bedrohungsanalyse oder auch nur Anhaltspunkte für eine konkrete Gefahr vorzulegen. Der PKK-Hintergrund des Verfahrens reichte aus. Kurden könnten sich für den Todesschuß rächen wollen. Mit dieser ganzen Sicherheitsprozedur wurde die hysterisch geführte innenpolitische Debatte weiter genährt, mit der Kurden längst zu Gewalttätern und Terroristen gestempelt und zu innenpolitischen Feinden erklärt worden sind.

Beim ersten Anlauf 1996 war der Prozeß unter extremen Sicherheitsauflagen sogar in den Hochsicherheitssaal des Oberlandesgerichts Celle verlegt worden, obwohl das Gericht, wie sich herausstellte, die angebliche Gefährdungsanalyse des Landeskriminalamtes selbst nicht kannte. Dies hatte uns damals veranlaßt, den Vorsitzenden Richter wegen Befangenheit abzulehnen, woraufhin dieser einen Hörsturz erlitt und aus dem Verfahren ausgeschieden ist. Die Strafkammer hatte zuvor sogar erwogen, bis auf die Presse die Öffentlichkeit für die gesamte Dauer des Verfahrens auszuschließen. Ursprünglich wollten die Richter zu jedem Sitzungstag mit einem gepanzerten Fahrzeug von Hannover nach Celle fahren; das Justizministerium hat ihrer Sicherheitshysterie jedoch einen Dämpfer verpaßt und den „Panzer“ verweigert.

Erst die Kritik in den Medien und ein Brief der Nebenklage-Vertreter an den Landgerichtspräsidenten führten bei der Neuauflage des Prozesses 1997 zu einer gewissen Einschränkung der sichtbaren Polizeipräsenz. Gleichwohl blieben vor dem Gerichtssaal Polizisten in Kampfmontur postiert, im Gerichtssaal saßen den zivilen Zuschauern bewaffnete Polizeibeamte im Genick. Der angeklagte Polizeibeamte befand sich im sog. Personenschutzprogramm und wurde während der Hauptverhandlung von bis zu vier Bodyguards „beschützt“. Sein damaliger SEK-Dienstvorgesetzter beharrte sogar im Zeugenstand darauf, seine Dienstwaffe zu tragen, ohne dies mit einer besonderen Gefährdung rechtfertigen zu können. Bereits 1996 hatte er angekündigt, seine Dienstwaffe – wegen der „besonderen persönlichen Gefährdungslage“ – auch im Gerichtssaal (verdeckt) zu tragen. Diesem Ansinnen widersprach der damalige Vorsitzende Richter noch mit dem Hinweis, daß die im Saal befindlichen Sicherungskräfte der Polizei bereits bewaffnet seien und das genüge. Daraufhin wurde der Zeuge seinerzeit krank. Bei der Neuauflage 1997 hatte die Strafkammer nichts gegen den bewaffneten Zeugen einzuwenden, obwohl er dieses Mal keine besondere Gefährdung geltend machte. Vorgesetzte diesen Kalibers hatte der Angeklagte also zum Vorbild. Auch dessen ständige Begleitung durch drei bis vier Bodyguards in Zivil konnte mit keiner konkreten Gefährdung legitimiert werden. Alles in allem: ein absurdes Bedrohungsszenario. In einem Kommentar merkte die „Neue Presse“ zu diesen Sicherheitsmaßnahmen an: „Man mußte den Eindruck haben, es sei ein Polizist umgekommen“ – Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht hätten jedenfalls in diesem Verfahren nicht zum „Rechtsfrieden“ beigetragen (NP vom 28.6.1997).

Die Eltern des Opfers als Störenfriede: Die in Türkisch-Kurdistan lebenden Eltern des erschossenen Halim Dener hatten wiederholt den Wunsch geäußert, als Nebenkläger an dem Strafprozeß persönlich teilzunehmen. Doch die Deutsche Botschaft in Ankara verweigerte ihnen zunächst die Visa – ohne jegliche Begründung. Daraufhin haben wir gleich am ersten Verhandlungstag den Antrag gestellt, das Gericht möge umgehend bei der Deutschen Botschaft in Ankara über das Auswärtige Amt intervenieren und auf eine Erteilung der Visa hinwirken. Die persönliche Teilnahme stehe den Nebenklägern als Opfer der Tat nach der Strafprozeßordnung sowie nach dem verfassungsrechtlichen Grundsatz auf rechtliches Gehör zu. Danach hat jeder an einem gerichtlichen Verfahren Beteiligte ein Recht darauf, im Verfahren persönlich – und nicht nur über seinen Rechtsanwalt – zu Wort zu kommen. Die Nebenkläger können höchstpersönlich Erklärungen abgeben, Fragen und Anträge stellen sowie das Wort im Rahmen der Schlußvorträge ergreifen. Das Gericht, so unsere Begründung, sei nicht zuletzt aufgrund seiner Fürsorgepflicht für die Nebenkläger gehalten, alles in seiner Macht Stehende zu unternehmen, um die gewünschte Anwesenheit in der Hauptverhandlung zu ermöglichen.

Doch das Gericht weigerte sich mit der Bemerkung, die Nebenkläger seien durch Anwälte vertreten, daher bedürfe es der persönlichen Teilnahme nicht. Es bestand offenbar keinerlei Interesse an einer unmittelbaren Konfrontation zwischen den Eltern mit all ihrer Trauer um den getöteten Sohn und dem Angeklagten, der den Tod des Sohnes – wie auch immer – verursacht hat. Zwar bekundete der Angeklagte zu Beginn der Verhandlung sein Bedauern über das tödliche Ereignis, aber er sollte dies gegenüber den betroffenen Eltern persönlich zum Ausdruck bringen können (was er dann endlich in seinem Schlußwort getan hat).

Das Gericht lehnte nicht nur unseren Antrag ab, sondern es torpedierte, wie sich später herausgestellt hat, sogar die weiteren Bemühungen, für die Nebenkläger doch noch Einreisevisa zu erhalten.

„Gebot der Menschlichkeit“: Aufgrund der kritischen Medienberichterstattung über diese unverständliche Gerichtsentscheidung sah sich der Bundestagsabgeordnete Dr. Helmut Lippelt (Bündnis 90/Die Grünen) veranlaßt, beim Auswärtigen Amt (AA) zu intervenieren. Nachdem das AA zunächst Kooperationsbereitschaft signalisierte, übernahm es wenig später die ablehnende Argumentation der Deutschen Botschaft: Zum einen sei die Gefahr, daß die einreisenden Nebenkläger möglicherweise in Deutschland bleiben würden, gewichtiger als ihr Recht, als Nebenkläger persönlich am Verfahren teilzunehmen. Zum anderen habe das Landgericht Hannover bestätigt, daß die Anwesenheit der Eltern „nicht notwendig“ sei, da sie zur gerichtlichen Klärung nicht beitragen könnten und ihre Interessen anwaltlich vertreten würden.

Nach dieser Abfuhr beschäftigte der Abgeordnete am 11.6.1997 den Bundestag in der Fragestunde mit diesem Problem: Wie könne, so fragte er die Bundesregierung, eine Botschaft überhaupt erwägen, „die Rechte der bei diesem Prozeß geladenen Nebenkläger, der Eltern eines durch eine Polizeiwaffe umgekommenen jungen Mannes, auf diesem administrativen Wege der Visumsverweigerung zu behindern?“ Und: „Erweckt eine Einreiseverweigerung nicht den Eindruck einer Rechtsverkürzung gegenüber den ausländischen Nebenklägern im Interesse eines deutschen Beamten?“

In seiner Antwort wiederholte der zuständige Staatsminister im Auswärtigen Amt die Argumente der Botschaft und die ablehnende Haltung des Landgerichts Hannover. Auf diese Feststellung reagierte der Bundestagsabgeordnete Peter Conradi (SPD), so notiert das Bundestagsprotokoll, mit dem Zwischenruf: „Unglaublich!“

Conradi stellte fest, daß es im vorliegenden Fall nicht lediglich „um ein Gerichtsverfahren über Mietstreitigkeiten“ gehe, „sondern darum, daß der Sohn der Antragsteller, die als Nebenkläger tätig werden wollten, zu Tode gekommen ist“. Er fragte die Bundesregierung: „Hätte die Botschaft in diesem Fall nicht prüfen und dann die Visa erteilen müssen, weil es ein Gebot der Menschlichkeit ist, den Betroffenen Eltern die Möglichkeit der Teilnahme am Prozeß zu geben?“

Erst in der Fragestunde erklärte der zuständige Staatsminister, daß die Deutsche Botschaft inzwischen vom Auswärtigen Amt angewiesen worden sei, die Visa zu erteilen – offenbar nachdem Öffentlichkeit und Bundestag sich mit diesem Skandal kritisch beschäftigt haben. Und so konnten die Eltern endlich zum 9. Verhandlungstag erstmals persönlich an dem Prozeß in Hannover teilnehmen, der allerdings nur noch vier Tage dauern sollte.

Verkehrte Gerichtswelt: Während der Angeklagte, der Halim Dener erschossen hat, mit Bodyguards beschützt wurde, mußten sich die Eltern des Opfers einer peniblen und entwürdigenden Durchsuchung unterziehen lassen, bevor sie den Gerichtssaal betreten durften. Die „Begrüßung“ des Vorsitzenden fiel kalt und bürokratisch aus: „Können Sie bestätigen, daß das die Eltern sind?“ fragte er meinen Kollegen Eberhard Schultz; dann ein entsprechendes Diktat ins Protokoll. Kein persönliches Wort der Begrüßung (erst im Zuge der Urteilsverkündung sprach der Vorsitzende Richter den Eltern sein Beileid aus). Als die verschleierte Mutter Naile Dener während der Zeugenvernehmung zu weinen beginnt, will sie der Vorsitzende aus dem Gerichtssaal „komplimentieren“: Er fühlt sich ganz offensichtlich gestört. Unser Antrag, die Kosten der Reise der mittellosen Nebenkläger und die Kosten für einen Dolmetscher zur Verständigung zwischen den Nebenklägern und ihren Rechtsvertretern aus der Justizkasse zu begleichen, wird abgelehnt. Es ist schwer nachvollziehbar und den Nebenklägern kaum zu vermitteln, daß die Übernahme dieser Kosten abgelehnt wurde, während durch überzogene Sicherheitsmaßnahmen ein Vielfaches an zusätzlichen Kosten entstanden ist.

Die Verteidigung des angeklagten Polizisten hat in diesem Prozeß, wie sonst selten in Strafverfahren, kaum etwas zu tun – der Angeklagte wird schließlich bestens „verteidigt“ durch das Wohlwollen des Gerichts und die Fürsorge des Oberstaatsanwalts, der ihn ursprünglich wegen Fahrlässiger Tötung angeklagt hatte. Wie der Oberstaatsanwalt später im Plädoyer eingesteht, erfolgte die Anklage nur wegen des öffentlichen Drucks; sonst wäre offenbar schon frühzeitig eingestellt worden.

Schon bei den wenigen Nachfragen des Gerichts und der Staatsanwaltschaft zur Einlassung und Tatversion des Angeklagten wird dieser spürbar mit Samthandschuhen angefaßt – keine kritischen Fragen, keine Klärung von offensichtlichen Widersprüchen. Schon im ersten Prozeß 1996 waren die damalige Strafkammer und der Oberstaatsanwalt dem Angeklagten behilflich, alle Widersprüche in seinen Aussagen mit eigenen Formulierungsvorschlägen und Interpretationen zu überbrücken. Die Fragen der Nebenklage-Vertreter beantwortete der Angeklagte erst gar nicht, weder damals noch während der Neuauflage des Prozesses – pauschal abgelehnt, weil er sich von uns vorverurteilt fühle. Mit dieser selektiven Verweigerung hat er sich einer vorbehaltlosen Aufklärung des Falles verschlossen und setzt sich dem Verdacht aus, kritischen Nachfragen auszuweichen.

Der Ton im Gerichtssaal wird immer dann gereizt, rüde und autoritär, wenn von unserer Seite bestimmte gerichtliche Maßnahmen und Entscheidungen gerügt oder „unziemliche“ Anträge gestellt werden, die vom Gericht, mit wenigen Ausnahmen, rundweg abgelehnt werden – so auch jener Antrag, den mit Dienstwaffe erschienenen SEK-Polizeizeugen vor seiner Zeugenaussage zu entwaffnen. Und das Gericht entscheidet dabei praktisch immer so, wie der Oberstaatsanwalt es zuvor vorgeschlagen hat. Hintergründe der Tat interessieren das Gericht nur wenig. Und die Verteidigung, deren einzige sichtbare Aktivität in der Ablehnung unserer Anträge besteht, ist es wohl zufrieden.

Schonverfahren für einen Polizei-Kollegen

 

Die gerichtliche Behandlung hatte bereits ihre Entsprechung im Ermittlungsverfahren: Schon gleich nach der Tat hatte sich gezeigt, daß es sich um keinen „normalen Todesschützen“ handelte, sondern um einen Polizeibeamten des niedersächsischen Spezialeinsatzkommandos (SEK). Es hat sich im Laufe der Ermittlungen bestätigt, daß Klaus T. von seinen Kollegen direkt zur SEK-Dienststelle gebracht worden ist – statt, wie in Todesschußfällen üblich, zu der für Tötungsdelikte zuständigen Kripostelle. Erst auf der Dienststelle wurde seine Waffe sichergestellt; das Holster erst Stunden, der Gürtel, an dem das Holster befestigt war, sogar eine Woche später.

Außerdem konnte Klaus T. – auf Anraten seines Kollegen, mit dem er sich in jener Nacht auf Streife befand – seine Hände waschen und auf diese Weise wichtige Spuren im wahrsten Sinne verwischen, bevor diese von der Spurensicherung auf Schmauch u.ä. untersucht werden konnten. Es gehört zum Allgemeinwissen, daß Spuren nicht beseitigt werden dürfen, jeder Krimi-Leser weiß das. Der fachgerechte Umgang mit Tatspuren gehört zum Einmaleins eines jeden Polizeibeamten – schon gar von Spezialpolizisten. Daß sein Kollege dem Beschuldigten geraten hat, doch die Hände zu waschen, weil diese so blutig sind, ließe sich als Aufforderung zur Spurenunterdrückung – und zwar der Schmauch- wie der Blutspuren – interpretieren – zumal der Kollege zum einen am engsten mit dem Beschuldigten und seiner Tat verbunden ist, zum anderen, weil er als Nichtbeschuldigter sich nicht auf „Verwirrung“ herausreden kann.

Es ist jedenfalls immer wieder erstaunlich, daß sich gerade im Zusammenhang mit tödlichen polizeilichen Fehlleistungen Ermittlungs„pannen“ und Dilettantismus häufen – wie etwa im Fall Bad Kleinen, als – neben etlichen weiteren „Pannen“ – aussagekräftige Schmauch- und Blutspuren an den Händen der Leiche des getöteten Wolfgang Grams bei der Obduktion – ausgerechnet von BKA-Beamten – „irrtümlich“ beseitigt worden sind, obwohl diese Spuren hätten entscheidend sein können zur Klärung der Frage, ob Grams sich selbst getötet hat oder von Polizeibeamten erschossen wurde.

Auf der SEK-Dienststelle konnte Klaus T. auch mit Kollegen und Vorgesetzten über den Vorfall ausführlich reden. Erst vier Stunden nach dem Todesschuß, nachdem bereits Tatort-Spurensicherung und erste Zeugenaussagen aufgenommen worden sind, wurde der Beschuldigte erstmals von der Kripo zu dem Vorfall vernommen. Es ist denkbar, daß der Beschuldigte noch vor seiner verantwortlichen Vernehmung entlastend instruiert worden ist. Üblicherweise werden die an Todesschüssen beteiligten Polizeibeamten besonders betreut. Solche Sonderrechte werden als „fürsorgerische Maßnahmen“ deklariert, dem Beamten soll in seinem Schock, seiner Streßsituation Gelegenheit gegeben werden, sein Verhalten und den Geschehensablauf in Ruhe zu überdenken, ehe er sich strafprozessual verantwortlich äußert (so der ehemalige Münchener Polizeipräsident Wolf).

Auch Klaus T. ist nach den Gesprächen mit seinen Vorgesetzten „als fürsorgerische und flankierende Maßnahme“ ein sogenannter Betreuungsbeamter zugeteilt worden. Das ruhige Überdenken der Tat und möglicherweise die Rekonstruktion des Einsatzes unter „Betreuung“ durch Vorgesetzte und Kollegen dienen mit Sicherheit nicht dem rechtsstaatlichen Anspruch der Öffentlichkeit auf rückhaltlose Aufklärung. Wie das Innenministerium später mitgeteilt hat, gab es im vorliegenden Fall Betreuungsgespräche auch unter seelsorgerischen Aspekten, „um den Sachverhalt gemeinsam mit dem betreffenden Beamten aufzuarbeiten“.

Ein solches Schonverfahren muß als Sonderbehandlung bezeichnet werden, die den Beschuldigten begünstigt. Jeder „normale Todesschütze“ wäre von der Mordkommission am Tatort vorläufig festgenommen und ohne Möglichkeit der Kontaktaufnahme wenig später vernommen worden.

Nach dem freisprechenden Urteil ist festzustellen, daß offenbar selbst hochtrainierte und spezialisierte SEK-Polizeibeamte nicht zur Verantwortung gezogen werden können, wenn sie Bürger mit ihrer Waffe erschießen und es nicht zu widerlegen ist, daß sich der Schuß angeblich unbeabsichtigt und unter Streß gelöst habe. Dies veranlaßte die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ zu dem Kommentar: „Die Urteilsbegründung läßt die Polizei… in einem merkwürdigen Licht erscheinen. Wenn SEK-Beamte mit der Verfolgung eines unbewaffneten 16jährigen hoffnungslos überfordert sind, wenn es nach Zeugenaussagen vorkommen kann, beim Laufen den Revolver zu verlieren, dann sollte der Bürger künftig in Deckung gehen, wenn die angeblich so hochqualifizierten Spezialeinsatzkommandos unterwegs sind“ (HAZ vom 28.6.1997).

Aus diesem tödlichen Ereignis, so haben Polizeizeugen vor Gericht auf Nachfrage der Nebenklage-Vertreter versichert, seien polizeilicherseits keinerlei Konsequenzen gezogen worden – weder was die Schieß- und Streß-Ausbildung noch was die Bewaffnung und die sonstige Ausrüstung (z.B. Holster) betrifft. Diese Tatsache könnte den Schluß zulassen, daß die Verantwortlichen im Polizeiapparat der vorgebrachten Unglücksversion des Angeklagten selbst keinen Glauben schenken – andernfalls würden sie sich schlicht verantwortungslos verhalten.

Dieses Verfahren unter absurden Sicherheitsbedingungen hat deutlich gemacht, wie notwendig eine kritische Öffentlichkeit ist, um zu verhindern, daß Strafermittlungsverfahren gegen beschuldigte Polizeibeamte sang- und klanglos bereits im Vorfeld eingestellt werden, und um wenigstens zu erreichen, daß die Polizeiversion kritisch hinterfragt wird und die strukturellen bzw. apparativen Hintergründe der Tat thematisiert werden. Doch letztlich blieben mit diesem Verfahren unter den genannten Bedingungen die kritischen Fragen der Öffentlichkeit weitgehend unbeantwortet, und die Erwartungen der Familie des erschossenen Halim Dener wurden enttäuscht. Sie können nicht begreifen, daß ihr Sohn von einem Polizeibeamten getötet worden ist und dieser sich dafür nicht verantworten muß. So hätte er sich die „Gerechtigkeit“ in Deutschland nicht vorgestellt, meinte der Vater in seinem Schlußwort; offenbar hatte er sich Illusionen gemacht.

Rechtsanwalt Dr. Rolf Gössner, Publizist und parlamentarischer Berater, vertrat als Nebenklage-Vertreter zusammen mit RA Hans-Eberhard Schultz (Bremen) die kurdischen Eltern und Geschwister des erschossenen Jugendlichen Halim Dener. Letzte Buchpublikationen: Polizei im Zwielicht – Gerät der Apparat außer Kontrolle (zus. mit Oliver Neß), Campus-Verlag Frankfurt/M. – New York 1996; Die vergessenen Ju stiz opfer des Kalten Kriegs. Verdrängung im Westen – Abrechnung mit dem Osten? Aufbau-Verlag Berlin (Neuauflage 1998); Erste Rechtshilfe – Rechts- und Verhaltenstips im Umgang mit Polizei, Geheimdiensten und Justiz, Verlag Die Werkstatt Göttingen (erscheint im Herbst 1998).

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