Baden-Baden – Antifaschistisches Archiv für Rostock und Umgebung https://indyhro.blackblogs.org Linke Veröffentlichungen aus unterschiedlichen Quellen Sat, 21 Nov 2020 19:18:04 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Affäre um britischen Spitzel Mark Kennedy Offensive als Ablenkung https://indyhro.blackblogs.org/2011/02/28/affare-um-britischen-spitzel-mark-kennedy-offensive-als-ablenkung/ Mon, 28 Feb 2011 20:45:02 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=1625 Continue reading Affäre um britischen Spitzel Mark Kennedy Offensive als Ablenkung]]> Nach Oppositionspolitikern in Bund und Ländern fordert jetzt auch Berlins Innensenator Konsquenzen in der Spitzelaffäre um Mark Kenndey. Das soll vor allem eins: ablenken.

 

von Martin Kaul

 

BERLIN taz | Erst war er unwissend, dann uninteressiert, jetzt geht er in die Offensive. Und eigentlich wäre es ein voller Erfolg: Nachdem Berlins Innensenator Erhart Körting (SPD) in der Affäre um den umstrittenen Einsatz eines britischen Spitzels in Berlin lange tatenlos blieb, forderte der SPD-Mann am Montag nun, Konsequenzen aus der Affäre zu ziehen.

 

Am Rande einer Sitzung des Innenausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus sagte der Senator der taz: „Dieser Einsatz hat eindeutig in einem Graubereich stattgefunden, der für künftige Fälle geregelt werden muss.“ Ein klarer Satz – und ein Novum. Denn in der Vergangenheit hatten die Innenminister der Bundesländer vor allem gemauert, wenn es um die dubiosen Einsätze des britischen Spitzels Mark Kennedy in Deutschland ging. Der kürzlich enttarnte Spitzel hatte jahrelang in verschiedenen europäischen Ländern und in Deutschland die linke Szene ausspioniert. Beim G8-Gipfel in Heiligendamm war er aktiv, bei Anti-Nato-Protesten in Baden-Baden. Und überall wussten die zuständigen Innenminister zumindest, dass der Polizist im Einsatz war.

 

Doch gerade dort, wo Kennedy am auffälligsten wurde, wollten die politisch Verantwortlichen erst nichts gewusst haben, und sich dann auch um nichts kümmern: in Berlin. Gerade dort war der Undercover-Agent sogar polizeilich aufgefallen als die Berliner Polizei den Spitzel im Dezember 2007 unter dem Tarnnamen „Mark Stone“ bei dem Versuch, eine Mülltonne in Brand zu stecken, festgenommen hatte.

 

Doch die Berliner Sicherheitsbehörden waren vor allem auffällig uninformiert: Sie wollen erst im nachhinein davon erfahren haben, dass es sich bei „Stone“ um einen Polizisten gehandelt hat. Das Berliner LKA, so Körting, sei zwar vom BKA abstrakt darüber informiert worden, dass sich ein britischer Beamter – angeblich zur Legendenbildung – in Berlin aufhalte. Über Namen und konkrete Details allerdings hätten in Berlin nie Kenntnisse bestanden. Einen Ermittlungsauftrag Berliner Behörden, so wiederholte Körting auch am Montag, habe der Brite nicht gehabt.

 

Diese Aussagen hätten nun beinahe brenzlig für den Berliner Innensenator werden können: Nachdem der Wortlaut eines vetraulichen Bundestagsprotokolls öffentlich geworden war, in dem der BKA-Chef Jörg Ziercke von einer „Aktion“ in Berlin und einer „klaren Zustimmung des zuständigen Landes Berlin“ gesprochen hatte, waren Zweifel an der Darstellung Körtings aufgetaucht. Ziercke hatte demnach vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages in vertraulicher Sitzung auch geäußert, er könne Körtings Einlassungen nicht verstehen. Denn tatsächlich war in Berlin eine Frage stets offen geblieben: Obwohl Kennedy von Berliner Polizisten beim Brandlegen erwischt worden war und Körting nach eigener Darstellung nichts von dem Einsatz gewusst haben will, machte er bis zuletzt keine Anstalten aufzuklären, was Kennedy denn noch alles in der Hauptstadt getrieben haben könnte – und durch wen er dazu legitimiert war. Bislang hatte es gegenüber der taz von Seiten des Berliner Senats geheißen, die Frage „nach weiterreichenden Informationspflichten“ stelle sich dem Senator nicht.

 

Montag dann war vielleicht so ein Tag der Wende. Und es war eine Wende, die auf Druck basierte. Im Bundestag verlangen Politiker wie der Grünen-Parlamentarier Hans-Christian Ströbele und der Linksfraktionsabgeordnete Andrej Hunko Aufklärung, in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg arbeiten Oppositionspolitiker den „Fall Kennedy“ auf. Und in Berlin drückt der Innenpolitiker Benedikt Lux (Grüne) aufs Tempo, setzte die Affäre am Montag erneut auf die Tagesordnung des Innenausschusses.

 

Dort sagte Körting zunächst nichts Neues, im Anschluss an die Sitzung gegenüber der taz dann aber doch: „Ich möchte in Zukunft gerne wissen, welche ausländischen Agenten hier in Berlin herumwuseln.“ Gemeinsam mit dem BKA müsse angesichts des „Graubereiches“ beim Einsatz ausländischer Ermittler nun geklärt werden, wie mit künftigen Fällen hierzulande umzugehen sei. Auf welcher Ebene Körting nun den „Graubereich“ des grenzüberschreitenden Spitzeleinsatzes reglementieren will, konkretisierte er nicht.

 

Handlungsbedarf gibt es aber allemal. Denn ausländische Verdeckte Ermittler operieren in Deutschland mit wesentlich größeren Freiräumen als ihre deutschen Kollegen. Weil die internationalen Spitzel von deutschen Behörden nicht als Ermittler, sondern nur als private „Vertrauenspersonen“ eingestuft werden, können sie getrost sämtliche Auflagen ignorieren, die für deutsche Beamte hier gelten würden. Für deutsche Sicherheitsdienste sind die Spitzel aus dem Ausland daher gern gesehene Gäste. Doch weil – wie der Fall Kennedy zeigt – Rechtsgrundlagen häufig unklar und tatsächliche Ermittlungsaufträge kaum aufzuklären sind, haben Politiker aus dem Bundestag sowie aus verschiedenen Landesparlamenten in den vergangenen Wochen immer wieder eindeutige rechtliche Regelungen gefordert.

 

Körting ist nun der erste Landesinnenminister, der sich auch dieser Aufgabe annehmen könnte – wenn er es denn ernst meint mit der Regelung der „Graubereiche“. Doch ob das so ist, muss sich erst noch erweisen. Seine plötzliche Charme-Offensive könnte auch einen anderen Grund haben: Dass Körtings Behörde einfach selbst verwuselt ist. Denn so wie es aussieht, war es gerade ein Mitarbeiter im Berliner LKA, der mit den Hinweisen aus dem BKA nur zu fahrlässig umgegangen sein könnte. Er soll, nachdem er telefonisch abstrakt über den Einsatz eines britischen Ermittlers informiert worden sein soll, weder seine Vorgesetzten informiert noch einen Aktenvermerk angelegt haben. Das heißt: Irgendjemand in Berlins Sicherheitsbehörden wusste durchaus, dass ein Kennedy hier unterwegs war. Nur sollte es bitte sonst niemand wissen. Erst recht nicht die Chefs. Ehrhart Körting hält das für ganz selbstverständlich. Bis Sonntag wollte er nicht einmal wissen, wer bei ihm so wuselt. Jetzt will er den Graubereich regeln. Vielleicht ja auch den Graubereich in seinen eigenen Reihen.

 

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Seit wann ist Polizistenverleih Standard? Leih mir deinen Spitzel https://indyhro.blackblogs.org/2011/01/28/seit-wann-ist-polizistenverleih-standard-leih-mir-deinen-spitzel/ Fri, 28 Jan 2011 06:48:55 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=2431 Continue reading Seit wann ist Polizistenverleih Standard? Leih mir deinen Spitzel]]>  

KOMMENTAR VON OTTO DIEDERICHS

Nun ist es also amtlich: Über Jahre hat sich ein Undercover-Agent der britischen Polizei in Europas linken Szenen herumgetrieben. Darunter auch mehrfach in Deutschland. Dies hat Jörg Ziercke, der Präsident des Bundeskriminalamtes, nun im Bundestagsinnenausschuss offiziell bestätigt und dabei gleich erklärt, dieser sei dabei auch in strafbare Handlungen verwickelt gewesen. Bei SPD, Grünen und Linkspartei rufen die Innenpolitiker jetzt „Skandal!“.

 

 

Der Alarmruf ist richtig – aber er erfolgt an der falschen Stelle. Nicht die Straftaten des angeblichen „Mark Kennedy“ sind der Skandal; ohne die sogenannten szenetypischen Straftaten kann sich kein Spitzel lange halten. Alle wissen dies und der Aufschrei hat rein rituellen Charakter.

 

Unterzugehen droht dabei allerdings ein viel schwerwiegenderer Aspekt, den Ziercke en passant gleich mit offenbart hat: Die Innenministerien in Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg hätten um den Einsatz des Briten ausdrücklich gebeten und dabei auf ein standardisiertes Verfahren zurückgegriffen. Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich somit offenbar im geeinten Europa ein System etabliert, bei dem sich die nationalen Polizeien bei Bedarf ungeniert schnell mal eben Beamte anderer Länder ausleihen können.

 

Seit wann ist ein solcher Polizistenverleih Standard? Wie viele Italiener, Spanier oder Dänen sind in ähnlichen Missionen in Europa und Deutschland unterwegs? Wie viele deutsche Beamte tummeln sich in fremden Szenen? Nicht zuletzt: Wie und von wem werden solche Einsätze kontrolliert? Dies sind die Fragen, um die sich die Sicherheitspolitiker in Bund und Ländern nun kümmern müssen. Lautes Geschrei um brennende Müllcontainer hilft nicht weiter, es lenkt nur ab.

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Ein Spitzel auf Europatour https://indyhro.blackblogs.org/2011/01/28/ein-spitzel-auf-europatour/ Fri, 28 Jan 2011 06:45:34 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=1619 Continue reading Ein Spitzel auf Europatour]]> Aktivisten hielten Mark Kennedy für einen Kumpel. Nun werden Tag für Tag neue Details über den verdeckten Ermittler bekannt. War er ein „Agent Provocateur“?

 

 

Der Mark, so dachte Jason Kirkpatrick, der ist ein echter Kumpel. Einer, mit dem man was auf die Beine stellen kann.

Seit sechs Jahren kannte der in Berlin lebende US-Amerikaner den Briten Mark Stone, sie hatten sich bei einer Aktion vor dem G-8-Gipfel im schottischen Gleneagles kennen gelernt. 2007 trafen sie sich in Deutschland bei Vorbereitungstreffs zu den Protesten gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm. Wann immer Mark in Berlin war, konnte er bei Jason Kirkpatrick übernachten.

 

Nun musste der Filmemacher, Anarchist und einstige grüne Vizebürgermeister einer kalifornischen Kleinstadt erfahren, dass Mark kein Kumpel war. Dass er in Wirklichkeit auch nicht Stone heißt, sondern Kennedy. Und dass er jahrelang als britischer Undercover-Polizist linke Gruppen in ganz Europa ausspähte.

 

Kirkpatrick hätte stutzig werden können. „Mark hatte schon einen Internet-Stick am Laptop, als noch niemand so ein Ding hatte“, sagt er. Er habe das Geld locker sitzen gehabt, ständig Getränke ausgegeben, Fahrten organisiert. Heute ergibt das alles einen Sinn. „Er hat mich betrogen und ausgenutzt“, sagt Kirkpatrick. „Das ist so zum Kotzen.“

 

Dutzenden linken Aktivisten in ganz Europa geht es wie ihm. Täglich werden neue Details bekannt, wie systematisch der Scotland-Yard-Mann Umweltaktivisten und Globalisierungskritiker ausspähte. Immer wenn es hoch herging: Kennedy war dabei.

 

So soll er sich etwa im Auftrag der dänischen Polizei an der Besetzung des Jugendzentrums „Jagtvej 69“ in Kopenhagen beteiligt haben. Dessen Räumung im März 2007 hatte wochenlang zu Protesten geführt. Die Polizei verweigert bislang eine Stellungnahme. Auch die isländische Polizei mauert, was Meldungen angeht, wonach Kennedy in ihrem Auftrag die Umweltbewegung „Saving Iceland“ infiltriert haben soll. Die organisierte 2005 Proteste gegen den Aluminiumkonzern Alcoa und einen umstrittenen Staudammbau.

 

In mehr als 20 Ländern soll der verdeckte Ermittler Kennedy unterwegs gewesen sein, darunter Irland, Spanien, Island, Italien – und eben Deutschland.

 

Hier kommt nun Schwung in die Debatte, nachdem am Mittwoch im Innenausschuss des Bundestags Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), den Einsatz des verdeckten Ermittlers in Deutschland einräumte, die Verantwortung aber auf die Bundesländer abschob, in denen Kennedy aktiv war. Demnach gab es über dessen Einsatz einen Vertrag zwischen den Briten und Mecklenburg-Vorpommern, wo im Juni 2007 der G-8-Gipfel stattfand. Eine ähnliche Vereinbarung soll es im Zusammenhang mit dem Nato-Gipfel in Baden-Baden und Straßburg im April 2009 auch mit Baden-Württemberg gegeben haben. Die Innenministerien der beiden Länder wollten sich dazu am Donnerstag nicht äußern. Dort ist man stinksauer, dass die Angelegenheit überhaupt öffentlich wurde.

 

Brisant ist, dass bei der vertraulichen Sitzung im Innenausschuss auch zwei mögliche Straftaten Kennedys eingeräumt wurden. So beteiligte er sich in Heiligendamm an einer Straßenblockade. In Berlin versuchte er, bei einer Demo eine Mülltonne abzufackeln. Die Aktion im Dezember 2007 ist besonders merkwürdig. Denn angeblich sollte Kennedy in Berlin nicht als verdeckter Ermittler eingesetzt werden, so BKA-Chef Ziercke, sondern sich nur zur Aufrechterhaltung seiner Legende herumtreiben. Unaufgeklärt ist auch, was der einstige Weggefährte Jason Kirkpatrick erzählt: dass Kennedy einmal angeboten habe, er könne mit ein paar Kumpels nach Deutschland kommen, um Neonazis aufzumischen.

 

War Kennedy mehr als ein Spitzel? Ein Agent Provocateur, der die linke Szene anstachelte?

 

Dazu passt, was die Sozialanthropologin Stine Krøijer in der dänischen Tageszeitung Information berichtet. Sie sei im Vorfeld des Klimagipfels von Kopenhagen 2009 und bei Recherchen für eine Promotion über die Planung von Protestaktionen auf Kennedy aufmerksam geworden. Der habe dort „Aktivisten aufgehetzt und provoziert“ und womöglich dazu beigetragen, dass „die Entwicklung sich in eine radikalere Richtung bewegte als ohne sein Engagement“, sagt Krøijer.

 

Vorher habe sie Kennedy und einen mittlerweile ebenfalls enttarnten Polizeispitzel Anfang 2009 auf einem Vorbereitungstreffen zu Protesten im Umfeld des Nato-Gipfels in Baden-Baden und Straßburg getroffen. Auch hier hätten beide für militante Aktionen plädiert – und dafür, „dass es Frieden mit Cops nicht geben kann“.

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Heiligendamm und Genua im Kopf https://indyhro.blackblogs.org/2009/03/08/heiligendamm-und-genua-im-kopf/ Sun, 08 Mar 2009 23:05:56 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=1608 Continue reading Heiligendamm und Genua im Kopf]]> 08. März 2009 Am 5. April wird ein Haydn-Oratorium in der Baden-Badener Stadtkirche gespielt. Dann dürften die meisten Absperrgitter weggeräumt und die schwerbewaffneten Polizisten aus der einstigen Sommerhauptstadt Europas wieder abgezogen sein. Am Abend des 3. April wollen Bundeskanzlerin Angela Merkel und der französische Präsident Nicolas Sarkozy die Gäste des Nato-Gipfels im Bénazet-Saal des Kurhauses begrüßen. Der 60. Geburtstag des Militärbündnisses soll gefeiert werden. Der amerikanische Präsident Barack Obama wird sich zum ersten Mal nach seiner Amtseinführung in Europa aufhalten, und vielleicht wird er sich sogar auf einem Hotel-Balkon zeigen.

Nun haben die Baden-Badener schon immer gern die Welt zu Gast gehabt, doch wenn aus der Klosterwiese für einige Tage ein Hubschrauberlandeplatz wird, weite Teile der Stadt mit Absperrgittern abgeriegelt werden und das Gebiet um das Kurhaus zur absoluten Sperrzone wird, muss das nicht jedem Bürger gefallen. Im Bénazet-Saal versammelten sich kürzlich interessierte Bürger, um von der Polizei zu erfahren, was wann und wie lange abgesperrt werden muss. „Ich habe die Bilder des Gipfels von Genua im Kopf. Ich habe Angst um die Bewohner in den Rückzugszonen“, sagte ein Mann besorgt. „Für eine so geplagte Stadt ist es völlig unerträglich, wenn nach Ende des Gipfels am 4. April auch noch die Nazis aufmarschieren, das finde ich sehr hart“, sagte eine junge Frau.

 

Wenig Freiraum für Demonstranten


Auf diese Sorgen gab es von der Stadt und der Polizei zunächst einmal zwei Antworten, die beruhigend wirken sollen: Auch „absolut unerwünschte Demonstrationen“ wie die der Neonazis müssten durch das Grundrecht der Versammlungsfreiheit gewährleistet werden, sagte Bürgermeister Werner Hirth. Und mit Blick auf die angekündigten Demonstrationen linker Nato-Gegner versuchte Bernhard Rotzinger – er leitet die zur Vorbereitung des Gipfels eingesetzte Arbeitsgruppe „Atlantik“ der Polizei – den Baden-Badenern ihre Sorgen zu nehmen: „Es werden keine wilden Horden durch Baden-Baden laufen.“ Auch bei den Gipfelgegnern gibt es derzeit eine gewisse Skepsis, ob sie überhaupt bis Baden-Baden vordringen können: „Die Delegierten speisen in Baden-Baden, einer der reichsten Städte Deutschlands. Das ist eine gute Möglichkeit, denen mal richtig in die Suppe zu spucken. Wer es nicht bis zum Suppentopf schafft, kann zumindest die Zufahrtsstraßen bis zum Buffet blockieren“, heißt es in einem im Internet veröffentlichten Aufruf der Nato-Gegner.

Baden-Baden liegt im schmalen Oos-Tal. Alle Zufahrtsstraßen und die Schwarzwaldhochstraße werden komplett gesperrt. Die innere Sicherheitszone darf nur in Polizeibegleitung betreten werden – solange sich die Staatsgäste in Baden-Baden aufhalten. Ein Camp der Gipfelgegner soll es nur in Straßburg geben, wo der Gipfel am 4. April nach einem Zwischenstopp in der kleinen Grenzstadt Kehl fortgesetzt wird. Deshalb hofft auch der Baden-Badener Oberbürgermeister Wolfgang Gerstner (CDU), dass es nur wenige der etwa 25.000 Demonstranten bis in die Kurstadt, die „Beletage Baden-Württembergs“, wie er sagt, überhaupt schaffen. „Die Topographie schränkt den Auslauf ein, es gibt wenige Freiräume für die Demonstranten“, sagt Gerstner.

 

„Viele Bürger sind unzufrieden.“


Wie die Berliner Politiker ursprünglich auf die Idee kamen, den deutschen Teil des Gipfels in Kehl zu veranstalten, ist mehr als unverständlich: Kehl hat nur den symbolträchtigen „Garten der zwei Ufer“, ansonsten ist es vor allem eine Stadt, in der französische Grenzgänger günstig einkaufen und manche Pendler billig leben können. Es hätte von Anfang mehr für das extravagante Baden-Baden gesprochen: die Stadt, die nach 1945 Sitz der französischen Besatzungsverwaltung war und als Gipfelort international bekannt ist.

Weil man sich erst spät entschied, die Gipfelgäste in Baden-Baden zu empfangen, stehen auf dem eigens für den Gipfel entworfenen Logo nun zum Verdruss der Baden-Badener Hoteliers nur die Städtenamen Kehl und Straßburg. Auch das Foto für die Geschichtsbücher soll in Kehl und nicht in Straßburg oder Baden-Baden gemacht werden. Vor der filigranen Stahlbrücke in Kehl sollen sich die Staatsgäste am Morgen des 4. April aufstellen für ein Foto, das die deutsch-französische Freundschaft und den Erfolg des Sicherheitsbündnisses in einem friedlichen Europa dokumentieren soll.

Das Fotografieren soll nicht länger als 30 Minuten dauern, doch ohne Sicherheitszonen und Unterbrechung der Rheinschifffahrt ist ein solches Foto nicht zu haben. Die Stadt Kehl und die Polizei haben deshalb in der Nähe des Bahnhofs ein Informationsbüro eingerichtet. Kriminalhauptkommissar Wolfgang Merkel berät hier täglich fünfzig Bürger, er erklärt ihnen, wann sie mit Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit rechnen müssen. „Viele Bürger sind unzufrieden. Die wollen ihren Unmut loswerden, die schimpfen, dass der Gipfel hier stattfindet“, sagt Merkel. An der Wand hängt eine Karte mit den vier Sicherheitszonen. Direkt am Ufer ist ein rotes Rechteck zu sehen, es markiert das „Temporärgebäude“, bei dem sich die Staatsgäste zum Foto einfinden sollen.

 

Quartier der Nato-Gegner


Die Kehler, die auf der sogenannten Insel wohnen, direkt am Rhein also, müssen mit den härtesten Einschränkungen leben: Von Freitagabend bis Samstagvormittag will die Polizei diese Zone komplett abriegeln. Wie die Sicherheitszone um das Baden-Badener Kurhaus darf dann auch dieses Gebiet von Freitag 18 Uhr bis Samstag 10 Uhr nur in Polizeibegleitung verlassen oder betreten werden. Merkel muss in dem Büro viele praktische Fragen beantworten: Wie kommt der Pflegedienst am Gipfelsamstag zur behinderten Großmutter? Oder: Darf die studierende Tochter zu ihren Eltern, wenn sie am Freitagabend vom Bahnhof kommt? „Die meisten Kehler erwarten und hoffen, dass die Demonstranten nach Straßburg gehen, Kehl ist doch ein Dorf“, sagt Merkel. Bisher habe sich im Informationsbüro erst ein junger Mann als Nato-Gegner zu erkennen gegeben. „Der wollte wissen, was wir hier machen.“

Die Nato-Gegner haben natürlich in der Ortenau auch schon Quartier genommen, in der Nähe der alten Pfefferminzfabrik in Offenburg haben sie in einer Wohnung eigens ein Informationsbüro eingerichtet. Auf Tapeziertischen liegen Flugblätter und Broschüren. „Die Panzerknackerin“ und „Nein zum Krieg! Nein zur Nato!“ steht auf den Flugschriften, die zur „Internationalen Demonstration“ in Straßburg am 4. April aufrufen. Noch ist das Offenburger Büro ein Einmannbetrieb. Den führt der altbekannte Nato-Gegner Monty Schädel. Der 39 Jahre alte Erzieher aus Mecklenburg-Vorpommern war 2007 einer der maßgeblichen Organisatoren der Proteste gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm.

 

Kurze Vorbereitungszeit


Schädel ist offiziell Geschäftsführer der „Deutschen Friedensgesellschaft/Vereinigte Kriegsdienstverweigerer“, einer Organisation, die vom Verfassungsschutz vor der Wende immer als „kommunistisch“ eingestuft wurde. Schädel ist in der DDR geboren, er war Mitglied der FDJ, später der SED und saß nach seinem Austritt aus der PDS für einige Jahre als parteiloser Abgeordneter im Schweriner Landtag. Vom Eingesperrtsein in der DDR und von der Unterdrückung, sagt Schädel, habe er wenig mitbekommen. Jetzt gibt er ein Gastspiel in Baden und koordiniert die etwa 500 Gruppierungen, die zu Protesten gegen den Nato-Jubiläumsgipfel und die Politik des Militärbündnisses aufrufen. Noch ist Schädel skeptisch, ob er überhaupt genug Nato-Gegner für eine Demonstration in Baden-Baden oder eine Straßenblockade mobilisieren kann.

Der Großteil der Demonstranten fährt nach Straßburg, wo die französischen Behörden mit aller Macht versuchen werden, die Demonstranten von der Innenstadt fernzuhalten. Weil die Polizei die deutsch-französische Grenze stark kontrollieren will, fürchten viele Demonstranten, an der Grenze aufgehalten zu werden, wenn sie nach Frankreich einreisen wollen. „Wir werden nicht 80.000 Demonstranten wie in Heiligendamm sein, wir werden wohl auch nicht mit 15.000 Leuten Straßen blockieren, die Vorbereitungszeit war zu kurz“, sagt Schädel abwiegelnd und spricht zugleich eine Drohung aus: „Wir werden uns aber anders verhalten als in Rostock, weil wir uns auf Absprachen mit der Polizei nicht mehr verlassen wollen, die sind damals nämlich nicht eingehalten worden.“

Zaun in Heiligendamm
Zaun in Heiligendamm
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