Deutschland – Antifaschistisches Archiv für Rostock und Umgebung https://indyhro.blackblogs.org Linke Veröffentlichungen aus unterschiedlichen Quellen Sat, 21 Nov 2020 19:00:00 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 [KA] – [solidarische Perspektiven] – Remembering means fighting! Transpiaktion zur 25. Jährung der Pogrome in Rostock- Lichtenhagen! https://indyhro.blackblogs.org/2017/08/24/ka-solidarische-perspektiven-remembering-means-fighting-transpiaktion-zur-25-jahrung-der-pogrome-in-rostock-lichtenhagen/ Thu, 24 Aug 2017 19:38:21 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=161 Continue reading [KA] – [solidarische Perspektiven] – Remembering means fighting! Transpiaktion zur 25. Jährung der Pogrome in Rostock- Lichtenhagen!]]> Zum 25. Mal jähren sich in diesen Tagen die rassistischen Pogrome von Rostock-Lichtenhagen. Mit zwei Transparenten, welche wir über einer viel befahrenen Kreuzung in Karlsruhe aufgehängt haben, rufen wir dieses Ereignis in Erinnerung.

 

Tagelange Angriffe auf Geflüchtete und sogenannte Fremdarbeiter*innen prägten eine ganze Woche im August 1992. Mit Steinen und Molotowcocktails wurden Menschen beworfen und Häuser, in denen diese wohnten. Staatliche Behörden sahen sich nicht in der Lage einzugreifen und schauten mehrere Tage zu, wie sich der rassistische Mob aus Nazis, Rassisten und Bürgern austobte.

 

Die Konsequenz, welche aus den Pogromen Anfang der neunziger Jahre gezogen wurde, war die faktische Abschaffung des Rechts auf Asyl. Die Politik ist vor dem Mob auf die Knie gefallen.

 

Über zwanzig Jahre später tobt er wieder…

 

Die letzten zwei Jahre sind geprägt von rassistischer und nationalistischer Stimmungsmache. Tägliche Angriffe auf Asylunterkünfte und Geflüchtete führten auch dieses Mal dazu, dass die übriggebliebenen rechtlichen Grundlagen zum Schutz vor Verfolgung weiter eingeschränkt wurden
und die Festung Europa, wie sich in diesen Tagen zeigt, gar mittels Unterstützung durch Warlords verteidigt wird.

Mit Rassismus und Nationalismus zum Wahlerfolg?

 
Waren es in den neunziger Jahre die Republikaner, die von der Pogromstimmung profitierten, so versucht heute die AfD die rassistisch und nationalistisch aufgeladene Stimmung für sich zu nutzen.
Doch nicht nur die AfD bedient sich dieser menschenfeindlichen Politik. Quer durch die Parteienlandschaft wird versucht diese zu vereinnahmen, um dem eigenen Machtanspruch gerecht zu werden. Politische Inhalte und Argumentationen, Fehlanzeige.

 

„Mit dieser Aktion möchten wir dieses schreckliche Ereignis in Erinnerung rufen und dazu Mahnen, dass Rassismus und Nationalismus keine politischen Lösungen bieten.“, so Petra Schwarz, Pressesprecherin der Libertären Gruppe Karlsruhe.
„Gerade jetzt, zur Zeit der Bundestagswahl und dem dazugehörigen Wahlkampf ist diese menschenfeindliche Politik allgegenwärtig und sichtbar. Unter anderem darum begleiten wir diese Wahl mit der Kampagne „Solidarische Perspektiven entwickeln – jenseits von Wahlen und
Populismus“, welche die Möglichkeit zur inhaltlichen Auseinandersetzung, Diskussion über solidarische Alternativen und Kritik an bestehenden gesellschaftlichen und politischen Strukturen bietet.“, so Schwarz weiter.
„Die Erinnerung an die Pogrome und ihre Folgen muss gleichzeitig als Mahnung für die Zukunft gesehen werden. Nationalismus und Rassismus sind menschenverachtende Einstellungen und keine Alternativen!“

 

Remembering means fighting!

Transpi 1
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Transpi 2
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Transpi 3
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[HRO] Pogrom Lichtenhagen – Nichts hat sich geändert https://indyhro.blackblogs.org/2017/08/24/hro-pogrom-lichtenhagen-nichts-hat-sich-geandert/ Thu, 24 Aug 2017 17:55:17 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=368 Continue reading [HRO] Pogrom Lichtenhagen – Nichts hat sich geändert]]> Das Pogrom von Rostock Lichtenhagen ist inzwischen 25 Jahre her. Doch was hat sich seitdem geändert? Im August 1992 belagerte ein rassistischer Mob aus Neonazis und „normalen“ Anwohner*innen die Zentrale Aufnahmestelle (ZASt) im sogenannten Sonnenblumenhaus. Nachdem die Geflüchteten evakuiert worden waren, richtete sich der Volkszorn dann gegen das Wohnheim der vietnamesischen Vertragsarbeiter*innen, die schon seit vielen Jahren dort lebten.

 

Gerade angesichts des totalen Versagens von Polizei und Politik grenzt es an ein Wunder, dass es damals keine Toten gab. Rostock Lichtenhagen war Anfang der 90er beileibe kein Einzelfall, weder in Mecklenburg-Vorpommern noch bundesweit. So starben im Mai 1993 fünf Menschen bei einem Brandanschlag in Solingen. Die Bundesregierung nutzte die allgemeine Stimmungslage um das Asylrecht de facto abzuschaffen und machte sich dann mit Lichterketten an die Imagepflege.

 

Nichts hat sich geändert! Diese provokante These steht auf mehreren großflächigen Plakaten, die letzte Nacht in Rostock plakatiert wurden. In den letzten Jahren kam es wieder vermehrt zu Angriffen auf Geflüchtete und ihr Unterkünfte. Oft wird dabei auch der Tod von Menschen billigend in Kauf genommen. Vor zwei Jahren wurde im Rostocker Stadtteil Groß Klein, das in Sichtweite zum Sonnenblumenhaus liegt, ein Zentrum für unbegleitete minderjährige Geflüchtete geschlossen, nachdem einige Rassist*innen dagegen Stimmung gemacht hatten. Die meisten Anwohner*innen zeigten ihre Anteilnahme erst nachdem das Zentrum bereits geschlossen war. Im ebenfalls an Lichtenhagen grenzenden Stadtteil Evershagen störten Neonazis Anfang diesen Jahres eine Sitzung des Ortbeirates um die Errichtung eines geplanten muslimischen Gebetshauses zu verhindern. Sicherlich wirken diese Vorfälle harmlos im Vergleich zum Pogrom von Lichtenhagen, aber sie zeigen eine besorgniserregende Tendenz. Wir sind nicht mehr in den 90ern, aber Rassismus und Ressentiments gegen alles, das als fremd wahrgenommen wird, sind immer noch tief in der Bevölkerung verankert.

Plakat 1
Plakat 1
Plakat 2
Plakat 2
Plakat 3
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(never) forget Rostock Lichtenhagen https://indyhro.blackblogs.org/2017/08/24/never-forget-rostock-lichtenhagen/ Thu, 24 Aug 2017 16:44:56 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=363 Continue reading (never) forget Rostock Lichtenhagen]]> Ich bin stark irritiert auf Indy keinen Artikel über die Progrome von Rostock Lichtenhagen zu finden. Ist es so selbstverständlich bescheid zu wissen und den Mainstreammedien die Arbeit zu überlassen?

 

Sind die Jugendlichen der Parteijugenden, Antifa / AntiRa Gruppen etc. so gut infomiert dass wir es lassen können, über die Hetzjagten der 90er aufzuklären?

 

Ich selbst habe die Redaktion mit einem Beitrag aus dem Deutschlandfunk genervt, wer mag kann

 

25 Jahre Rostock-LichtenhagenProtokoll einer Eskalation

http://www.deutschlandfunk.de/25-jahre-rostock-lichtenhagen-protokoll-einer-eskalation.724.de.html?dram:article_id=394097

 

selbst nachlesen. Es ist spannend nachzuvollziehen, wie selbst ein Einsatzleiter der damilgen Bullen sich wundert, wie aus offensichtlicher politischer Duldung das tagelange Werfen mit Molotovs geduldet wurde und zu guter Letzt eine Verschärfung der Asylgesetze rauskam – das Recht auf politisches Asyl wurde damals abgesägt.

 

Refugees Welcome?

Weg mit Frontex?

 

Etliche Zeitungen haben dem Progrom gedacht, aber fast nie kamen die Stimmen linker Bürgerrechtler zu Wort, geschweigedenn engagierter Autonomer, Antifas, Punx etc. Deren Erlebnisse sind zumindest nicht unbedeutend. Früher hiess es so oft „wer schweigt stimmt zu“, solche Parolen sind heute nur noch selten zu hören. Auch, dass die Progromstimmung mit einer Gründe für das erstarken Antideutscher weit vor dem 11. September war, wäre eigentlich interessant.

 

Ebenso wäre es wichtig, die Entwicklung ostdeutscher linker selbstorganisierter Strukturen zu erfragen, wo Leute unglaublichen Aufwand hatten, der heutzutage für viele Jugendliche kaum nachvollziehbar ist, denkt man dadran wie viele „nicht-Rechte“ es in vielen Dörfern gab, die jahrelange handfeste Kämpfe hinter sich bringen mussten.

 

Ich würd mich freuen Kommentare von euch zu lesen, Links zu Artikel zu finden die solche Erfahrungen nachvollziehbarer machen. Der Hauptgrund war und ist ein ziemliche starke Kluft zwischen den linken Generationen, wer sich erinnert, früher hiess es oft noch „Nazis angreifen“ statt „Naziaufmärsche verhindern“. In den letzten Monaten habe ich etliche linke Jugendliche Getroffen, die undifferenziert „68er“ gebasht haben die hätten „viel falsch gemacht“ – Ende der Diskussion.

 

Gute Frage ob, wann wie ‚uns‘ 30, 40, 50 Jährige das trifft. Neoliberalismus scheint wohl kein Geschichtsbewußtsein zu brauchen, obwohl emanzipatorische Bewegungen auf Jahrhunderte Geschichte zurückgreifen können. Es wäre gut politische Lebenserfahrungen jüngeren Leuten mitzugeben. Und sei es, dass vor 20 Jahren sich mehr Menschen auf den Strassen geküsst haben, schon das wird von so vielen Leuten kaum geglaubt.

 

Schade.

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Rostock-Lichtenhagen: „Jetzt wollen sie uns umbringen!“ https://indyhro.blackblogs.org/2017/08/24/rostock-lichtenhagen-jetzt-wollen-sie-uns-umbringen/ Thu, 24 Aug 2017 09:20:50 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=361 Continue reading Rostock-Lichtenhagen: „Jetzt wollen sie uns umbringen!“]]> Die Vorfälle in Rostock-Lichtenhagen verunsichern bis heute viele Vietnamesen. Theaterregisseur Dan Thy Nguyen lernte, sich mit Knüppeln zu verteidigen – und zu rennen.

Ein Gastbeitrag von

 

Plötzlich knickte mein Fuß weg. Kurz vor der Geburt meines Sohnes war ich über den Sportplatz gelaufen und dabei ungünstig aufgekommen. Mein Fußgelenk schmerzte, nicht viel, nur beim Auftreten tat es weh. Ich wurde wütend. „Man, jetzt kannst du dein eigenes Kind nicht mehr beschützen!“, dachte ich. „Das kann doch nicht wahr sein, dass du nicht auf dich aufpassen kannst! Wie konnte dir das passieren!“ Nach der Wut kam die Panik: Aufpassen war das Wichtigste, was ich in meiner Kindheit und Jugend gelernt hatte.

 

Im Jahr 1992 bin ich sieben Jahre alt und starre auf den Fernsehbildschirm. Es zeigt ein Hochhaus in Flammen. Ich verstehe nicht. Ich ahne nur, dass es eine ernste Situation sein muss. Meine Eltern sind ganz still. „Jetzt wollen sie uns umbringen!“, stottert mein Vater schließlich. Dem Tod, dachten sie, waren sie eigentlich schon entflohen: In den siebziger Jahren waren sie vor dem Vietnamkrieg in einem winzigen Fischerboot auf das offene Meer geflüchtet. Nach einer langen Odyssee waren sie letztlich nach Deutschland gekommen, in einen kleinen Ort in der Eifel. Von dort aus sehen sie nun zu, wie Hunderte Neonazis und Tausende Anwohner in Rostock-Lichtenhagen eine Erstaufnahmestelle für Asylbewerber und einen Wohnblock vietnamesischer Vertragsarbeiter belagern. Brandsätze fliegen auf das Sonnenblumenhaus und auf dem Höhepunkt des Pogroms zieht sich die Polizei teilweise vollständig zurück. 

 

Mit Metallknüppeln gegen Nazis


Nach den Nachrichten sagt mein Vater, er müsse mir im Esszimmer etwas beibringen. Er fragt mich, ob ich ihm vertrauen würde. Ich bejahe und wir gehen rüber. Dort packt er mich. Ich müsse mich befreien, ruft er. „Ich kann nicht!“, rufe ich zurück. Ich strample, aber ich habe keine Chance gegen seine Kraft. Mein Vater schreit mir ins Gesicht: „Ich bin noch lieb zu dir, aber der Nazi wird dich umbringen!“ Ich schreie nun auch, sage, dass er mich loslassen soll. Entgeistert kommt meine Mutter dazu und fordert, dass er den Griff lösen soll. „Wir müssen ihm aber beibringen, stark zu sein!“, entgegnet mein Vater. „Insbesondere, wenn sie kommen! Wenn wir zu sanft zu ihm sind, wird er sich nie verteidigen können!“, sagt er. „Wir sind aber nicht mehr im Krieg!“, erwidert meine Mutter aufgebracht. „Der Krieg ist vorbei! Hör auf!“ Widerwillig lässt er los.

 

In den nächsten Tagen kommt mein Vater mit Starkstromleitungen nach Hause. Sie waren in kurze Stücke geschnitten. „Guck einmal! Die sind wie richtige Knüppel mit Metallkern!“, sagt er und zeigt sie stolz meinen zwei älteren Geschwistern und mir. „Wenn Leute uns jetzt angreifen oder ausrauben wollen, dann können wir uns verteidigen!“ Noch an demselben Abend bringt er uns bei, wie wir die Knüppel im Ernstfall anwenden sollen. 

 

Eier und Hundescheiße


Noch in derselben Nacht weckt uns lautes Hupen. „Deutschland den Deutschen!“, grölen ein paar Männer draußen. „Ausländer raus!“ Ich renne ins Wohnzimmer, dort stehen meine Eltern wie versteinert am Fenster. Mein Vater hat einen der neuen Knüppel in der Hand. Ich bin zu erschrocken, um meinen eigenen Knüppel zu holen. „Was soll ich machen?“, frage ich. Sie antworten nicht. Ich frage noch einmal, wieder antworten meine Eltern nicht. Nach gefühlt stundenlangen Minuten ziehen die Männer wieder fort. Ich stehe im Wohnzimmer und wünsche mir, mich nie mehr schwach fühlen zu müssen.    

 

Es sollte nicht der einzige nächtliche Übergriff bleiben. An manchen Morgen klebten Eier an unserer Hauswand oder Hundescheiße. Unbekannte hatten sie dorthin hingeschmiert. Meine Eltern säuberten die Wand am nächsten Tag wieder. Auch Steine schmissen die Leute. Auf jeden Knall folgten Gelächter und schnelle, leiser werdende Schritte. Manchmal versuchte ich aus Wut hinterherzulaufen, aber ich war zu langsam.

 

Im Jahr 1998 bin ich 13 Jahre alt und stehe auf dem Schulhof. Fünf Mitschüler, alle wesentlich größer als ich, umzingeln mich. „Wo haste denn deine Jeans geholt?“, fragt einer. Ich verstehe die Frage nicht. „Bei C&A!“, antworte ich. „Nene, beim Viet Cong, Japse! Da kauft ihr doch alle ein, ihr Scheißjapsen! Hört ma’ her Leute, der Japse hat Jeans vom Viet Cong!“ Dann laufen sie auf mich zu. Einer erwischt mich am Arm, aber ich kann mich losreißen. Ich laufe so schnell ich kann weg, aber ich stolpere und meine Jeans zerreißt. Ein Junge setzt sich auf meinen Rücken und hält mich fest. „Jetzt bin ich tot!“, denke ich. „Gleich werden sie mich zu Tode prügeln.“ Dann kommt die Pausenaufsicht und die Jungs rennen weg. 

 

„Rassismus gibt es in Deutschland nicht mehr“


Am nächsten Tag sitze ich mit meinen Eltern beim Klassenlehrer. Er sagt, dass er mit allen geredet habe und dass es allen leid tue. „Es sind halt Jungs, die sich ausprobieren müssen. Das ist ganz normal in diesem Alter“, sagt er. „Das ist Rassismus„, sagen meine Eltern. Das Wort kannten sie gut, sie sahen ja die Nachrichten. Mein Lehrer sieht das anders: „Rassismus! Rassismus gibt es in Deutschland nicht mehr. Das war ein Problem von früher. Ich verstehe ja, dass Sie nicht aus Deutschland kommen und das daher nicht verstehen können. Aber das, was passiert ist, das hat nichts mit Rassismus zu tun.“

 

Im Auto wiederholt mein Vater seine Forderung, ich müsse mich besser verteidigen lernen: „Wenn die anderen größer sind als du, dann musst du schneller sein.“ Diesmal pflichtet ihm auch meine Mutter bei. 

 

Zorn und Gewaltfantasien


 

Von da an trainiere ich. Ich spiele Volleyball und gehe regelmäßig Joggen. War ich damals noch der Langsamste in der Klasse, wurde ich immer schneller. „Du musst verstehen, dass dich in Deutschland niemand verteidigen wird!“, höre ich meine Eltern oft sagen. Jetzt könnten sie mich noch beschützen, „aber wenn wir nicht da sind, dann musst du es selber können“. Außerdem, sagen sie, müsse ich klug sein, denn die anderen seien größer als ich. „Das heißt, sie werden immer stärker sein als du. Wenn sie stärker sind, dann musst du schneller und klüger sein als sie.“ In mindestens einer Sache hatten meine Eltern recht: Beschützt hat man mich nicht. Und zu häufig war ich nicht schneller oder klüger als meine Angreifer. 

 

Meine Rettung: das Theater


Im Jahr 2002 bin ich 17 Jahre alt und möchte nur noch weg. Weg aus der Eifel, weg aus dieser kleinen, westdeutschen Provinz, weg von den Menschen dort. Aber ich muss noch ein Jahr zur Schule gehen und vielleicht einen Zivildienst ableisten. In der Öffentlichkeit lächele ich, um nicht negativ aufzufallen. Innerlich könnte ich vor Zorn zerbersten. Lehrer glauben mir nicht, dass ich angegriffen werde, und meine Mitschüler empfinde ich mehr als Feinde denn als Freunde. Ich fantasiere, wie ich mit einer Waffe durch meine Schule renne und jeden erschieße. Jeder sollte meine Wut zu spüren bekommen und keiner würde entkommen.

 

Stattdessen sitze ich im Geschichtsunterricht und meine Lehrerin sagt, dass im Nachbarort eine neue Theatergruppe entstanden sei. „Theater!“, denke ich.  Theater ist zwar nicht wirklich das, was mich interessiert, aber es könnte mich bis zu meinem Wegzug ablenken. Wenig später halte ich einen Flyer in meiner Hand und melde mich zum Amateurtheater an. Ich lerne fechten und Bühnenkampf, lese antike Dramen und spiele Schurken, Wahnsinnige und Clowns.

 

Die Entscheidung zum Theater hat mich vermutlich vor meinem eigenen Untergang gerettet. Sie rettete mich vor meiner eigenen Wut und dem Hass anderer. „Ohne die Kunst hätte ich meine Kindheit und Jugend nicht emotional überlebt“, zitierte mich letztens eine Moderatorin auf einer Podiumsveranstaltung. Dann erzählt ein vietnamesischer Gast aus dem Publikum, er habe von klein auf lernen müssen, schnell zu sein – um zu überleben. Er musste entweder rennen oder schneller zuschlagen, um sich gegen Rechte zu verteidigen. Ich sagte ihm, dass es mir genauso ging und lachte innerlich, weil wir dasselbe durchgemacht hatten.

 

Jetzt ist genau ein Jahr vergangen, seitdem mein Fuß umgeknickt war. Er ist geheilt. Mein Sohn übt gerade seine ersten Schritte und ich kann nicht aufhören, ihm dabei zuzusehen. Ich hoffe, dass ich immer genügend Stärke finden werde, ihn zu beschützen, sollte er angegriffen werden. Ich will ihm beibringen, wachsam zu sein und für sich einstehen zu können. Ich will ihm aber nicht beibringen, sich mit Knüppeln zu verteidigen – obwohl mich manchmal Angst überkommt bei den Nachrichten über Anschläge gegen Flüchtlingsheime und dem Erstarken rechter Parteien. Der nächsten Generation sollten wir andere Mittel zur Verteidigung geben: mehr Rechtsstaat, mehr zivilgesellschaftliches Engagement. Nur so kann die tiefe Angst in meiner Generation gelöst werden.

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Rostock-Lichtenhagen „Der Mut der Überlebenden wird oft ausgeblendet“ https://indyhro.blackblogs.org/2017/08/24/rostock-lichtenhagen-der-mut-der-uberlebenden-wird-oft-ausgeblendet/ Thu, 24 Aug 2017 09:15:19 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=486 Continue reading Rostock-Lichtenhagen „Der Mut der Überlebenden wird oft ausgeblendet“]]> Dan Thy Nguyen hat aus Interviews ein Theaterstück über das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen vor 25 Jahren gemacht. Ein Gespräch über ein Opfer-Schema, das nicht greift, und die Lehren aus den Angriffen.

 

Wenn es um das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen geht, stehen oft die Täter im Vordergrund. Sie haben für Ihr Theaterstück mit einigen der Menschen gesprochen, die damals angegriffen wurden. Hat das Ihren Blick auf die Ereignisse verändert?

 
Absolut. Die Geschichte müsste ein Stück weit umgeschrieben werden. Es gibt ein Detail, das ich immer im Kopf habe: Ein Überlebender hat mir erzählt, dass er nicht so sehr davor Angst hatte, an diesen Tagen zu sterben, sondern davor, einen der jungen Angreifer töten zu müssen, um sich selbst zu verteidigen. Das ist eine ganz andere Perspektive: Das klassische Opfer-Schema passt hier gar nicht. Es liegt vielleicht auch daran, dass die Menschen im Haus sich so gut organisiert haben, dass es keine Toten gab.

 

Ein Vietnamese schilderte Ihnen auch, dass er noch einmal ins Sonnenblumenhaus zurück ist, wo er selbst gar nicht wohnte, um anderen zu helfen – trotz der Lebensgefahr.

 
Ja, der Mut der Überlebenden unter Einsatz des eigenen Lebens wird in der Geschichte von Rostock-Lichtenhagen oft ausgeblendet. Teilweise waren frühere Vietnam-Krieg-Soldaten dabei, die auf ihre Erfahrungen zurückgriffen, als sie das Haus über die oberen Stockwerke evakuierten. Im Gedenken sind die Vietnamesinnen und Vietnamesen aber oft eher Randfiguren – ganz zu schweigen von den Roma und den Geflüchteten aus dem ehemaligen Jugoslawien. Das ist eigentlich eine weiße Gedenkkultur, aus einer fast ausschließlich biodeutschen Perspektive.

 

Wie gehen die Menschen, mit denen Sie gesprochen haben, mit dem Jahrestag um?

 
Die meisten sind enttäuscht. Eine Verarbeitung gab es fast nicht, sowohl juristisch als historisch – auch keine Entschädigung. Es ist fast schon ein leeres Gedenken, das nur an der Oberfläche kratzt, eine Eventisierung. Viele sagen auch, dass sie damit abschließen wollen – ob das klappt, ist eine andere Frage. Die Kombination aus Traumata aus dem Vietnam-Krieg, aus Erlebnissen als DDR-Vertragsarbeiter und dann diesen Ereignissen 1992 macht es vielen schwer, ein ganz normales Leben zu führen.

 

Wenn man das überhaupt verallgemeinern kann, welche Rolle spielt Rostock-Lichtenhagen für die vietnamesische Community in Deutschland?

 
Die eine Community gibt es so gar nicht. Ich komme aus der Boat-People-Community, die sich von der ehemaliger DDR-Vertragsarbeiter sehr unterscheidet. Für viele aus der Boat-People-Community ist Rostock-Lichtenhagen kein wirklicher Begriff, auch da gibt es kein richtiges Gedenken. Aber Rostock-Lichtenhagen oder Hoyerswerda haben eine massive Angst vor Ostdeutschland ausgelöst. Dazu kam noch, dass viele dort die Kommunisten lokalisierten, vor denen sie ja geflohen waren. Von klein auf kenne ich die Warnungen vor dem Osten.

 

Die gibt es bis heute?

 
Ja, eindeutig.

 

Und wie ist es mit der Erinnerungskultur bei Menschen mit vietnamesischen Wurzeln in Ostdeutschland?

 
Die Vertragsarbeiter-Community geht meiner Meinung nach offener damit um. Die Menschen hatten aber in den 90er ganz andere Probleme, als sich um eine Gedenkkultur zu kümmern. Es gab zwar schon einige Akteurinnen und Akteure, aber erst ab dem 20. Jahrestag haben sich zusätzlich Menschen stark gemacht, bestimmte Dinge aufzuarbeiten. Insbesondere aus der zweiten Generation.

 

Sie sind in einem kleinen Dorf in NRW aufgewachsen und waren ein Kind, als in Rostock-Lichtenhagen die Molotow-Cocktails flogen. Welche Erfahrungen haben Sie als Sohn vietnamesischer Geflüchteter in Westdeutschland gemacht?

 
Es gab Angriffe auf unser Haus, Steinwürfe, Hunde-Exkremente wurden an die Wand geschmiert. Ich bin mehrmals angespuckt worden. Nachts wurde gehupt, „Ausländer raus!“ gerufen oder „Scheiß Japsen“. Das hat meine Kindheit und Jugend geprägt. Es gibt das Klischee, dass die Boat-People-Community keinen Rassismus erfahren hat. Das ist natürlich totaler Blödsinn. Das Absurde ist: Auch für Vietnamesen im Westen war Rostock-Lichtenhagen damals eine Gelegenheit, um die eigenen Probleme auf den Osten zu projizieren und sich nicht damit auseinandersetzen zu müssen.

 

Sie haben einmal gesagt, es führt eine Linie von Rostock-Lichtenhagen nach Tröglitz, Freital oder Bautzen. Wo sehen Sie die Parallelen zur Gegenwart?

 
Das ist natürlich polemisch gemeint. Die Angriffe auf Unterkünfte der letzten Jahre sind ja noch so nah dran, dass sie historisch noch nicht aufzuarbeiten sind. Und Rostock-Lichtenhagen selbst ist historisch, juristisch, politisch bei weitem noch nicht vollständig aufgearbeitet.

 

Hat das erschwert, daraus Konsequenzen zu ziehen?

 
Ja. Ich habe den Eindruck, dass es im Bewusstsein unserer Gesellschaft in den 90ern nur Rostock-Lichtenhagen, Hoyerswerda, Mölln und Solingen gegeben hat, dass diese Ereignisse wie singuläre rassistische Events gesehen werden. Sie werden nicht in den größeren politischen Kontext zu jener Zeit gesetzt. Dadurch werden auch die ,kleinen Ereignisse’ auf den Dörfern ausgeblendet. In dem Dokumentarfilm „The truth lies in Rostock“ wird davon gesprochen, dass es fast täglich irgendwo einen Anschlag gab.

 

Was heißt das für die Gegenwart?

 
Ein Beispiel: Hoyerswerda liegt im gleichen Landkreis wie Bautzen. Da muss man sich doch als Gesellschaft fragen, warum passieren diese Dinge in ähnlichen Orten. Darauf brauchen wir zivilgesellschaftlich, wissenschaftlich und politisch eine Antwort. Und dafür müssen wir die Ereignisse in einem größeren Kontext sehen.

 

Interview: Martín Steinhagen

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Von Rostock-Lichtenhagen zu Freital https://indyhro.blackblogs.org/2017/08/24/von-rostock-lichtenhagen-zu-freital/ Thu, 24 Aug 2017 08:55:25 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=484 Continue reading Von Rostock-Lichtenhagen zu Freital]]> Vor 25 Jahren brannte in Rostock eine Asylbewerberunterkunft. Die Prozesse dauerten Jahre, die Politik schränkte das Asylrecht ein. So konnte neuer Rechtsterror wachsen.

Ein Gastbeitrag von

 

Zum 25. Mal jährt sich das Pogrom von Rostock-Lichtenhagen. Im August 1992 griffen dort rassistisch gesinnte Anwohner, aber auch aus weit entfernten Bundesländern angereiste Rechtsextremisten die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber von Mecklenburg-Vorpommern an.

 

Die Gewalttäter attackierten zudem benachbarte Unterkünfte vietnamesischer Vertragsarbeiter mit Steinen und Molotowcocktails. Mehrere Tage herrschte Ausnahmezustand. Zwar wurde niemand getötet, aber eine Gruppe von Migranten wurde in Todesangst versetzt. Ebenso ging es westdeutschen Journalisten, als sie in einem brennenden Wohnheim festsaßen, über das sie eigentlich im Fernsehen berichten wollten.

 

Schon zuvor hatten sich viele politisch Verantwortliche skandalös verhalten. So, dass Beobachter von heimlicher Komplizenschaft mit den Ausländerfeinden sprachen: Roma mussten vor der hoffnungslos überfüllten Asylunterkunft campieren und ihre Notdurft verrichten. Das brachte die Nachbarschaft gegen sie auf und heizte die Stimmung an. Polizeiführung und Mitglieder der Landesregierung versuchten, die Gewalt herunterzuspielen. Danach zog sich die Strafverfolgung hin. Erst fast zehn Jahre später begann das letzte Hauptverfahren wegen versuchten Mordes, schwerer gemeinschaftlicher Brandstiftung und Landfriedensbruchs. Von den 400 Festgenommenen wurde nur etwa jeder Zehnte verurteilt.

 

Der geistige Hintergrund des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen war eine öffentliche Debatte über den angeblich massenhaften Missbrauch von Sozialhilfe „durch Wirtschaftsasylanten“. Rechtsextreme Medien, Boulevardpresse und konservative Politiker überboten sich monatelang in der Hetze gegen Flüchtlinge, die sie zu „Asylbetrügern“ und „Sozialschmarotzern“ stempelten, wodurch sich die Haltung der SPD in der Asylpolitik schrittweise veränderte. Die mediale Stimmungsmache erklärt auch, warum Tausende zuschauten, als Brandsätze auf das Sonnenblumenhaus in Lichtenhagen flogen. Und warum biedere Kleinbürger und brave Familienväter vor laufenden Fernsehkameras dem brandschatzenden Mob applaudierten.

 

Nur ein paar Wochen später schlossen CDU/CSU, FDP und SPD auf Bundesebene den sogenannten Asylkompromiss. Gemeinsam schränkten sie das Grundrecht auf Asyl drastisch ein. Bis das Bundesverfassungsgericht die Aushungerungs- und Abschreckungspraxis gegenüber Flüchtlingen zehn Jahre später revidierte, erhielten politisch Verfolgte nur noch das Lebensnotwendigste. Dies werteten die Neonazis als Erfolg jener aggressiven Strategie, die sie in Rostock angewendet hatten. Dass Lichtenhagen durch die Herausbringen der angegriffenen Migranten ausländerfrei geworden war, galt als Beweis für die Effektivität brutaler Methoden.

 

Durch die Rostocker Randale gewann der rechte Terror – mehr noch als durch die Belagerung eines Vertragsarbeiterwohnheimes in Hoyerswerda knapp ein Jahr zuvor – eine neue Dimension: Organisierte Neonazis hatten über Ländergrenzen hinweg mobilisiert. Wirkungsvoller als jedes andere zeitgeschichtliche Ereignis hat das Pogrom von Lichtenhagen den Boden für spätere Wahlerfolge der NPD und die Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) bereitet. Ohne dieses Fanal hätten sich die ostdeutschen Skinheads nicht so schnell radikalisiert, hätte sich die Kameradschaftsszene vielleicht gar nicht etabliert. Die Kader des Thüringer Heimatschutzes wären möglicherweise nicht zu Rechtsterroristen geworden.

 

Rostock-Lichtenhagen stand lange für das schlimmste Pogrom der deutschen Nachkriegsgeschichte. Erst rassistisch motivierte Brandanschläge auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte in Bautzen, Clausnitz, Freital, Heidenau bei Dresden, Tröglitz und anderswo bildeten eine erschreckende Parallele zu Rostock.

 

Daraus müssen wir die richtigen Lehren ziehen. Rassistischen Ressentiments und rechten Parolen wie „Ausländer raus!“ oder „Deutschland den Deutschen!“ nachzugeben, ist das falsche Signal. Es bestärkt die Neonazis und ruft Nachahmungstäter auf den Plan. Ordnungskräfte, Polizei und Geheimdienste dürfen nicht wegschauen, wenn sich gewaltbereite Rechtsextremisten zusammenrotten, sondern müssen eingreifen, bevor diese angreifen.

 

Wichtig ist, das Denken der rechten Gewalttäter zu ächten – jenes Denken, das sie in der Vorstellung bestärkt, im Namen „des Volkes“ zu handeln. Wir brauchen eine politische Kultur, die jeglichen nationalen Dünkel aus der Öffentlichkeit verbannt – etwa aus den Sportnachrichten, wo jede Bronzemedaille eines Deutschen bejubelt wird, während der Sieger anderer Nationalität häufig keines Wortes gewürdigt wird. Wir brauchen Solidarität mit allen sozial Benachteiligten und jenen Minderheiten, die von Angehörigen der Mehrheitsgesellschaft diskriminiert werden. Nur in einem sozialen Klima, das (ethnische) Minderheiten nicht ausgrenzt, werden sich solch abscheuliche Vorfälle nicht wiederholen. Unser längerfristiges Ziel muss eine inklusive Gesellschaft sein, die niemanden ausgrenzt, der hier lebt oder Zuflucht vor politischer Verfolgung, Kriegen und Bürgerkriegen sucht.

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Rostock-Lichtenhagen: Die Roma bleiben ein blinder Fleck https://indyhro.blackblogs.org/2017/08/23/rostock-lichtenhagen-die-roma-bleiben-ein-blinder-fleck/ Wed, 23 Aug 2017 12:32:48 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=482 Continue reading Rostock-Lichtenhagen: Die Roma bleiben ein blinder Fleck]]> Martin Arndt sammelt im Auftrag der Stadt Erinnerungen an die Gewaltausbrüche des Sommers 1992

 

Seit 2015 bauen Sie im Rahmen eines von der Stadt finanzierten Projekts ein Archiv zu den Ausschreitungen vor dem »Sonnenblumenhaus« vor 25 Jahren auf. Was sind die Archivalien?

 
Den Ausgangspunkt bildeten kleine, private »Archive« von Bürgerinnen und Bürgern, die damals gesammelt haben, was ihnen in die Hände kam – das sind natürlich zunächst oft Mediendokumente, schwerpunktmäßig aus den lokalen Zeitungen. Die Flugblätter, die damals von den Rechten in Umlauf gebracht wurden und die von der Gegenseite. Wir haben alle Unterlagen aus dem damaligen Alternativen Jugendzentrum übernommen, darunter ist eine zeitgenössische Chronologie der der Ereignisse, die natürlich auch viele Details enthält, die man im Nachhinein ansonsten vergisst.

 

Das ist »deutsches« Material. Mai-Phuong Kollath vom Sprecherrat der Migrantenorganisationen im Land hat kürzlich gesagt, man müsse den Betroffenen mehr zuhören.

 
Es gehört zu den Zielen unseres Projekts, die Perspektiven der Betroffenen rekonstruieren zu helfen. Dazu gibt es bereits Ansätze. Vor fünf Jahren hat etwa die Heinrich-Böll-Stiftung eine Reihe von Zeitzeugeninterviews aufgezeichnet, mit damaligen Bewohnern des Heims für vietnamesische Vertragsarbeiter, zum Beispiel auch mit Wolfgang Richter, dem damaligen Ausländerbeauftragten der Stadt, der ja im »Sonnenblumenhaus« war, während es angegriffen wurde, und mit Gegenaktivisten. Während viele vietnamesische Zeitzeugen noch in der Stadt sind und mit dem nach den Ereignissen gegründeten Verein Diên Hông auch eine Adresse haben, ist es sehr schwierig, Stimmen der damaligen Roma-Flüchtlinge zu finden, gegen die sich die rassistische Mobilmachung zuerst gerichtet hatte. Viele von diesen kamen aus Rumänien und wurden nach dem entsprechenden Abkommen vom September 1992 zurückgebracht. Ihre individuellen Blickwinkel sind bisher tatsächlich ein blinder Fleck. Immerhin spielen Roma als Gruppe inzwischen eine größere Rolle in der Erinnerung. Am Dienstagabend wird mit Romani Rose vom Zentralrat der Sinti und Roma erstmals ein Vertreter der Roma an einer Gedenkveranstaltung teilnehmen.

 

Haben Sie Kontakt zu »Tätern«, zu Leuten, die damals dabeistanden und das nun vielleicht bereuen?

 
Tatsächlich haben sich zwei Personen bei uns gemeldet, die damals ungefähr eine solche Rolle gespielt haben. Bisher haben wir es noch nicht geschafft, uns mit diesen Zeitzeugen hinzusetzen und ausführliche Interviews zu führen, aber auch das gehört auch zu den Zielen unseres Projekts. Unsere Finanzierung läuft noch ein Jahr, so dass ich hoffe, dass das möglich sein wird.

 

Welche Rolle spielt »Lichtenhagen« inzwischen in der Stadt? Haben die Vorfälle einen festen Platz in ihrem öffentlichen Gedächtnis?

 
Es ist zumindest so, dass die Stadt diesmal recht viel Geld in die Hand genommen hat. Neben unserem Archivprojekt, dessen Einrichtung alle demokratischen Fraktionen in der Bürgerschaft zugestimmt haben, gibt es ja noch weitere Aktivitäten, etwa das Kunstprojekt, bei dem dezentral fünf Stelen in der Stadt aufgestellt werden, auch vor Institutionen, die eine negative Rolle spielten, die damals versagt haben – also die Politik, die Polizei, die Medien. In diesen Institutionen ist man inzwischen durchaus dazu bereit, sich auch kritisch mit dem eigenen Handeln in der damaligen Situation zu befassen. Die »Ostseezeitung«, die damals eine sehr negative Rolle spielte, veranstaltet am Mittwoch eine Podiumsdiskussion. Ich finde es in diesem Zusammenhang auch bemerkenswert, dass die Stadt inzwischen offiziell den Begriff »Pogrom« verwendet.

 

Was sagen diese Vorfälle vor einem Vierteljahrhundert heute jungen Rostockern?

 
Diejenigen, die ohnehin politisch interessiert sind, beschäftigen sich viel mit dem Thema. In der vergangenen Woche gab es zwei Podiumsdiskussionen im Peter-Weiss-Haus, die beide sehr gut besucht waren, oft von sehr jungen Leuten. Aber auch Veranstaltungen mit Rostocker Schulklassen zeigen, dass die Ereignisse nicht vergessen sind. Wenn es auch vielen heutigen Schülern, die um die Jahrtausendwende geboren sind, schwerfällt, die Ereignisse zum Beispiel zeitlich richtig einzuordnen. Solche Veranstaltungen zeigen aber auch: Bis heute halten sich in familiären Überlieferungen hartnäckige Legenden. Etwa diejenige, die Ausschreitungen seien vor allem von busseweise angekarrten Neonazis verübt worden und hätten mit der Stadt nicht viel zu tun gehabt. Oder die Geschichte von den Geflüchteten, die Möwen gegrillt hätten. Das zeigt, wie notwendig ein Projekt wie unser Archiv tatsächlich war und ist.

 

Was hat das Pogrom in der Stadtgesellschaft bewirkt? Wären solche Szenen wie damals heute in Rostock noch möglich?

 
Im vergangenen Juli und August hat es ja eine Situation gegeben, die ein wenig an 1992 erinnerte. Vor einer Unterkunft für minderjährige Geflüchtete im neben Lichtenhagen gelegenen Stadtteil Groß Klein versammelten sich abends regelmäßig Gruppen von etwa 20 bis 40 Personen, darunter auch bekannte Neonazis. Diesmal wurde die Situation genau beobachtet, nicht nur von linken Aktivisten, sondern auch von der Polizei. Auf Anweisung des Sozialsenators Steffen Bockhahn (LINKE) wurde die geplante Einrichtung einer weiteren Unterkunft in dem Stadtteil abgebrochen und die Flüchtlinge auf andere Einrichtungen verteilt. Die Rechten mögen das als Sieg gefeiert haben, aber das zeigte auch, dass die Politik heute aufmerksamer reagiert als vor 25 Jahren. Nicht nur in Rostock, sondern in den neuen Bundesländern überhaupt sind in den letzten beiden Jahrzehnten doch bedeutende zivilgesellschaftliche Strukturen entstanden, die ein »Lichtenhagen«, also eine tagelange Belagerung mit Volksfestcharakter, bei der man mit der Familie auf dem Weg zum Strand vorbeischaut, schwer vorstellbar erscheinen lassen.

 

www.lichtenhagen-1992.de

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Roma-Zentralrat lobt Aufarbeitung der Krawalle https://indyhro.blackblogs.org/2017/08/22/roma-zentralrat-lobt-aufarbeitung-der-krawalle/ Tue, 22 Aug 2017 09:39:21 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=480 Continue reading Roma-Zentralrat lobt Aufarbeitung der Krawalle]]> Der Vorsitzende der Organisation, Romani Rose, zollt den Rostocker Bemühungen, sich mit den rassistischen Ausschreitungen von 1992 auseinanderzusetzen, Respekt.

 

Rostock. Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, hat die Aufarbeitung der rassistischen Krawalle in Lichtenhagen 1992 durch die Stadt Rostock gelobt. Rostock sei „ein bemerkenswertes Beispiel dafür, dass wir aus der Geschichte, auch aus der jüngsten Zeitgeschichte, lernen können“, sagte Rose am Freitag. Stadtverwaltung und Zivilgesellschaft hätten einen Prozess in Gang gesetzt, um Ursachen und Auswirkungen der rassistischen Ausschreitungen und der Gewalt vor 25 Jahren zu dokumentieren und aufzuarbeiten. „Das verdient Anerkennung und Respekt“, erklärte Rose.

 

Im Rückblick kritisierte Rose ein Versagen des Rechtsstaates 1992 und die „Kapitulation vor dem rechtsextremen Mob auf der Straße“. Das staatliche Gewaltmonopol sei preisgegeben worden. All dies habe Neonazis gestärkt. „Die Gewalt der Nazis und die rechtsextreme Mordserie seit 1990 waren und sind nicht nur Angriffe auf Flüchtlinge oder Minderheiten, es sind Angriffe auf unseren demokratischen Rechtsstaat und unsere Werte, es sind Angriffe auf die Humanität schlechthin“, sagte Rose weiter.

 

Gemeinsam mit Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) wird Rose auf der zentralen Gedenkveranstaltung am 22. August in der Rostocker Marienkirche sprechen.

 

Über fünf Tage hinweg hatten im August 1992 hunderte Anwohner und Neonazis eine Asylbewerbereinrichtung und ein Ausländerwohnheim im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen angegriffen und teilweise in Brand gesetzt. Die Ausschreitungen gelten als die bis dahin schwersten ausländerfeindlichen Krawallen der deutschen Nachkriegsgeschichte.

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Ohne Rücksicht auf Verluste https://indyhro.blackblogs.org/2017/08/22/ohne-rucksicht-auf-verluste/ Tue, 22 Aug 2017 09:36:39 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=478 Continue reading Ohne Rücksicht auf Verluste]]> Im »vollen Boot« nach Lichtenhagen – wie Medien und Politik die Rostocker Ausschreitungen vorbereiteten

 

Es begann mit einer Zeitungsmeldung. Dass sich genau vor nunmehr 25 Jahren an einem Sommerwochenende vor der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber eine wütende Menge versammelte, die im Laufe dreier aufeinanderfolgender Nächte ein für die Objekte ihrer Wut lebensbedrohliches Inferno heraufbeschwor, war die Folge anonymer Anrufe bei Lokalzeitungen. Es werde ab Samstag dort »aufgeräumt«, die »Rechten« seien wütend, verkündete der. Und die Blätter brachten eine Meldung – gut sichtbar, unkommentiert, fast in der Art eines Veranstaltungstipps. Wer das las, konnte sich ermächtigt fühlen, in die Mecklenburger Allee zu kommen und seinen Gefühlen handgreiflich Ausdruck zu verleihen. Und so geschah es.

 

Der Weg nach Lichtenhagen beginnt mit einem Medienversagen, und das beileibe nicht nur in Rostock. Bereits 1991 hatten sich im sächsischen Hoyerswerda solche Szenen abgespielt, als zwischen 17. und 23. September allabendlich bis zu 500 Menschen vor einer Asylbewerberunterkunft und einem Vertragsarbeiterheim aufgezogen waren und die Gebäude immer wieder attackierten. Allein in Mecklenburg-Vorpommern hatten sich 1991 und 1992 vor »Lichtenhagen« mehr als 30 gravierende Gewalttaten gegen DDR-Vertragsarbeiter oder Asylbewerber ereignet, darunter ein Dutzend brutale Angriffe auf Asylbewerberunterkünfte. In zwei Fällen – in Gelbensande am 26. Juni 1991 und wenige Tage später in Weitendorf – war sogar geschossen worden.

 

Aber auch 1992 gab es für »Lichtenhagen« eine Art Probedurchlauf. Am 28. Mai – dem »Vatertag« – hatten Hunderte eine Flüchtlingsunterkunft im badischen Mannheim-Schönau belagert und angegriffen. Auslöser waren falsche Gerüchte über eine von einem Asylbewerber verübte Vergewaltigung. An den folgenden Abenden kam es zu aggressiven Versammlungen vor der Unterkunft, auf denen die sofortige Ausweisung aller Bewohner gefordert wurde.

 

Über manche dieser Vorfälle wurde bundesweit berichtet, über andere kaum. Und trotz dieses Panoramas heizte damals beileibe nicht nur »Bild« die Stimmung mit fast täglichen und oft höchstens halbwahren Reißergeschichten über »Asylanten« an. Es war der »Spiegel«, der das bis heute berüchtigte Sprachbild vom »vollen Boot« in Umlauf brachte – ohne Rücksicht auf Verluste.

 

Es ist erstens dieser allgemeine Tenor, vor dem die unglaubliche Entscheidung von »Ostseezeitung« und »Norddeutschen Neuesten Nachrichten« verständlich wird, dem unbekannten Anrufer eine Plattform zu bieten. Zweitens aber hatte diese kampagnenartige Thematisierung einer »Asylantenschwemme« politische Hintergründe.

 

Bereits Jahre vor 1989 hatte die CDU auf immer weitergehende Einschränkungen des Asylrechts hingearbeitet, auch aus Angst vor Parteien wie den Republikanern. 1987 setzte die schwarzgelbe Bundesregierung von Kanzler Helmut Kohl (CDU) eine Neufassung des Asylverfahrensrechtes durch, die die Möglichkeiten einer Einschränkung des Asylrechts ohne Änderung des Grundgesetzes ausschöpfte. Doch gab man sich damit noch nicht zufrieden. Umgehend begann die Union, Druck auf SPD Und Grüne auszuüben, deren Zustimmung man für zusätzliche, verfassungsändernde Eingriffe brauchte. Die 1990 zur Bundesrepublik beitretenden Ostdeutschen bekamen die Meinung, dass es zu viele »Asylanten« im Land gebe, quasi mit den neuen Papieren regierungsoffiziell ausgehändigt.

 

Ohne diese Hintergründe sind die Rostocker Nächte kaum vorstellbar. Doch wären sie zu verhindern gewesen, wenn die Politik gewollt hätte. Die Wut, die sich im Sommer 1992 mit Blick auf die Aufnahmestelle entwickelte und dann auch gegen das danebenliegende Vertragsarbeiterheim entlud, fiel ja nicht vom Himmel. Obwohl vor der Aufnahmestelle wochenlang teils Hunderte – meist Roma aus Balkanländern – in Erwartung eines Antragstermins lagerten, gab es kaum Versorgung oder Infrastruktur. Das CDU-regierte Land und die SPD-geführte Stadt schoben einander die Zuständigkeit zu. Schwerin beschied, wie der damalige Rostocker Ausländerbeauftragte Wolfgang Richter jüngst berichtete, dass die vor dem Haus befindlichen Personen »Obdachlose« seien und die Stadt in der Pflicht stehe. Diese wiederum versuchte, das Land einzubinden, anstatt zu handeln. Am Ende streiften zeitweise tatsächlich mehr oder minder mittellose Menschen auf der Suche nach Nahrung durch den Stadtteil – und stank es vor dem Block zum Himmel: Es stellten sich Umstände ein, die rassistische Stereotype scheinbar beglaubigten.

 

Einige Beobachter folgerten damals, die Blockade des Landes sei nur vor dem Hintergrund jener »Asyldebatte« zu verstehen: Man habe die Lage nolens volens eskalieren lassen, um ein Fanal zu schaffen. Handfest beweisen lässt sich das nicht. Doch sagte der Kanzler persönlich nach den Vorfällen in der Tagesschau, dass eben »viele« daran zweifelten, ob »der Staat handlungsfähig« sei. Die Opposition müsse daher die »Zeichen der Zeit jetzt endlich« erkennen und die »notwendigen Entscheidungen« beim Asylrecht treffen.

 

Seine Schamlosigkeit ist bis heute so beklemmend wie der Unwille der meisten damaligen Journalisten, den Zusammenhang zu benennen. Stattdessen schob man die Gewalt wohlfeil der »autoritären« DDR zu, die posthum einmal mehr als »rot lackierter Faschismus« erschien. Dass Kohls »Asylkompromiss« nur Monate später beschlossen wurde, hat eine Generation militanter Neonazis beflügelt. Auch die drei, die später als NSU bekannt werden sollten.

 

All das entschuldigt nicht diejenigen, die Brandsätze auf Wehrlose warfen oder solcher Feigheit applaudierten – so wenig wie der Blick auf die Polizei. Diese hätte dennoch die Gewaltausbrüche beenden müssen. Stattdessen rückten am 22. August zunächst 30 Streifenbeamte an. Auch am Folgetag, als zahlreiche Neonazis angereist waren, um die Gewalt zu organisieren, bot man neben einem Zug Grenzschutz zwei Hamburger Hundertschaften auf, die der Menge wenig entgegenzusetzen hatten. Und am dritten Tag – Montag, 24. August – zog sich die Polizei in der Abenddämmerung sogar zurück.

 

Dass es es die damals durchaus schon krawallerprobte deutsche Polizei drei Tage nicht schaffte, dem Wüten ein Ende zu setzen, ist so erstaunlich wie der Umstand, dass es an diesen Tagen keine Toten gab.

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25 Jahre Pogrom von Lichtenhagen „Wir müssen reden“ https://indyhro.blackblogs.org/2017/08/22/25-jahre-pogrom-von-lichtenhagen-wir-mussen-reden/ Tue, 22 Aug 2017 09:33:03 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=476 Continue reading 25 Jahre Pogrom von Lichtenhagen „Wir müssen reden“]]> Mai-Phuong Kollath will Betroffenen des Pogroms von Rostock-Lichtenhagen eine Stimme geben. Der Brandanschlag hat ihr Leben verändert.

 

Als sie vor 25 Jahren, im August 1992, vor dem ausgebrannten „Sonnenblumenhaus“ stand, war auch in Mai-Phuong ­Kollath etwas zerbrochen. Die Türen des Gebäudes, in dem sie so viele Jahre lang gelebt hatte, waren eingetreten, die Fenster lagen in Scherben, und alles war wie leergefegt.

 

Zunächst glaubte Mai-Phuong Kollath, ihre ehemaligen Mitbewohner seien abgeschoben worden, denn von ihnen fehlte jede Spur. „Als der dunkle Qualm über dem Gebäude aufging und Hubschrauber in der Luft schwirrten, hatte ich mich an den Krieg in Vietnam erinnert gefühlt, wo wir uns im Bunker verstecken mussten“, erzählt sie. „Ich hatte mir bis dahin nicht vorstellen können, dass Deutsche zu so etwas fähig sind.“ Und sie zweifelte daran, dass sie in diesem Land eine Zukunft haben könnte.

 

Mai-Phuong Kollath war 1981 als eine der 60.000 vietnamesischen VertragsarbeiterInnen in die DDR gekommen. Mit 18 Jahren verschlug es sie nach Rostock hoch im Norden, wo sie als Küchenhilfe in einer Großküche für Hafenarbeiter schuftete und im betriebsinternen Wohnheim, im „Sonnenblumenhaus“ lebte. Wie alle vietnamesischen VertragsarbeiterInnen, musste sie einen Teil ihres Lohns zwangsweise an ihr Heimatland abführen. Vor allem Kernseife und Zucker schickte sie ihrer Familie. „Davon müsste es in Vietnam heute noch Vorräte geben“, scherzt die 54-Jährige.

 

Gegen den Willen ihrer Eltern heiratete sie 1987 einen Deutschen, mit dem sie ein Jahr später eine Tochter bekam. Die Schwangerschaft verheimlichte sie, weil sie sonst abgeschoben worden wäre, bis zum siebten Monat. „Erst als ich wusste, dass sie mich nicht mehr ins Flugzeug stecken können, habe ich mich offenbart.“

 

Sehr viele Vertragsarbeiterinnen trieben damals ab, wenn sie schwanger wurden. Sie durfte mit ihrem Baby bleiben, musste aber eine Strafe von 8.060 DDR-Mark an den vietnamesischen Staat zahlen – wegen „Vertragsbruchs“. Von der Legende, die DDR sei eine kinderfreundliche Gesellschaft gewesen, hält Mai-Phuong Kollath nichts. Für sie galt das nicht. 

 

Sündenbock für Versorgungsengpässe


Alltagsrassismus gab es auch in der DDR. „Die Fidschis kaufen uns alles weg“, hieß es, wenn sie sich in der Schlange vor dem Konsum einreihte. „Die DDR-Führung ließ es zu, dass wir zum Sündenbock für die Versorgungsengpässe gemacht wurden“, sagt Kollath rückblickend. Nach dem Mauerfall kündigten viele die verordnete Völkerfreundschaft auf und manche witterten die Gelegenheit, ihren angestauten Aggressionen Luft zu machen. Das Wort von der „Zigarettenmafia“ machte die Runde machte.

 

Kollath arbeitet nach dem Mauerfall in einer Kindertagesstätte und eröffnete mit ihrem Mann auf einem Campingplatz ein kleines Lokal. Dort zeigten ihr glatzköpfige Gäste im August 1992 den Hitlergruß. Als einige der wenigen Rostocker Vietnamesen wohnte Kollath damals schon nicht mehr im „Sonnenblumenhaus“, als es im August 1992 brannte. So blieb ihr die dramatische Flucht über das Dach erspart, mit der die rund 120 Bewohner, ein Fernsehteam und der damalige Ausländerbeauftragte der Stadt ihr Leben retteten.

 

Der Brandanschlag hat ihr Leben dennoch verändert. Kollath engagierte sich fortan im deutsch-vietnamesischen Verein „Dien-Hong“, dessen stellvertretende Geschäftsleiterin sie wurde. Sie studierte an der Universität Rostock Erziehungswissenschaften, bevor sie sich selbstständig machte. Heute berät sie Deutsche, die für die Entwicklungszusammenarbeit oder aus geschäftlichen Gründen nach Vietnam gehen, und bietet Trainings für Behörden an. In ihren Seminaren sitzen Kita-Erzieherinnen oder Bundespolizisten.

 

 

Seit sieben Jahren wohnt Mai-Phuong Kollath in Berlin. „Ich bin viel freier und unabhängiger, seit ich nicht mehr in Rostock lebe und für den Verein spreche“, sagt sie. Nach Rostock fährt sie nach wie vor gern, um Freunde zu besuchen oder um im Meer zu schwimmen. „Das kann man nicht mit den Seen in und um Berlin vergleichen“, schwärmt sie.

 

Mit dem offiziellen Gedenken an das Pogrom in Rostock-Lichtenhagen tut sie sich dagegen schwer. Zwar habe sich viel getan, gibt sie zu – seit den ersten, selbst organisierten Veranstaltungen im kleinen Kreis bis zur offiziellen Gedenkfeier mit dem damaligen Bundespräsident Joachim Gauck vor fünf Jahren ist das Ereignis fest ins kollektive Gedächtnis der Republik gerückt. Doch die Stimmen derjenigen, die der rassistische Mob damals ins Visier genommen hatte, sie sind noch immer kaum vernehmbar.„Die Opfer haben kein Gesicht“ 

 

„Rostock-Lichtenhagen ist zum Symbol geworden für Politikversagen, für Rassismus, Wendestress und die Änderung des Asylrechts“, sagt Mai-Phuong Kollath. „Man sieht auf den Fotos immer das brennende Haus. Oder die Täter. Aber nie die Opfer. Die Opfer haben kein Gesicht.“

 

Auch viele der Vietnamesen, die damals im brennenden Haus waren, möchten die Geschehnisse lieber verdrängen, hat sie festgestellt, oder sie schämen sich sogar dafür. Manche werfen ihr vor, zu nachtragend zu sein. „Sie vergessen, dass sie beim Abtransport in eine Sportunterkunft im Bus auf dem Boden sitzen oder liegen mussten, um nicht erkannt zu werden, und sich dort tagelang nur von Bockwurst ernährt haben.“

 

 

Eine befreundete Mutter aus Rostock, damals hochschwanger, spielt die Ereignisse heute herunter. Dabei hätte sie beinahe ihr Kind verloren, und im ganzen Nachbargebäude hätten damals nur zwei Familien den Flüchtenden die Tür geöffnet, um ihnen Schutz zu bieten, sagt Kollath. „Ein anderer Landsmann von mir, der vor einem Jahr verstorben ist, sagte mir: Ich habe als Soldat in der Armee gekämpft. Ich wusste, das sind Halbstarke. Aber ich hatte Angst, jemanden töten zu müssen“, berichtet Kollath. „Man verdrängt so etwas gerne.“

 

Das entspreche auch dem vietnamesischen Selbstverständnis: „Wir erheben unsere Stimme nicht, wir sind höflich und halten uns zurück und lächeln sogar Beleidigungen weg.“ Bei vielen Deutschen sind Vietnamesen deshalb beliebt und gelten manchen heute als Vorzeigemigranten.

 

„Ich muss immer lachen wenn jemand sagt, wir seien so gut integriert“, sagt Kollath. „Das haben wir uns alles erkämpft. Erst 1997 hätten die ehemaligen VertragsarbeiterInnen eine unbefristete Arbeitserlaubnis erhalten. „Das hat es ihnen ermöglicht, ihre Familien nachzuholen, Kinder zu bekommen und Wurzeln zu schlagen.“ Nun steckten viele Vietnamesen alles in ihre Kinder, politisch aber blieben sie stumm. „Das ist der Preis dieser Unsichtbarkeit: Wir sind kaum in öffentlichen Debatten vertreten“, sagt Kollath. Sie will das ändern. „Wir müssen reden“, sagt sie.Folgenschwerer Irrtum 

 

1992 glaubten die meisten Viet­namesen in Rostock, dass sich die Wut der Anwohner und die Agitation der Rechtsradikalen nicht gegen sie selbst, sondern „nur“ gegen die Flüchtlinge aus Rumänien und Bulgarien richten würde, die vor der Zentralen Aufnahmestelle für Asylbewerber campierten, die damals ebenfalls im Sonnenblumenhaus“ untergebracht worden war. Auch die Polizei glaubte das, weshalb sie ihre Beamten abzog, nachdem das Asylbewerberheim evakuiert und die Aufnahmestelle geräumt worden war. Doch das war ein folgenschwerer Irrtum.

 

Kollaths Ziel ist, die Betroffenen von damals, von denen nicht wenige inzwischen wieder in Vietnam und nur ein Teil noch in Rostock leben, nach den Ereignissen von damals zu befragen. Sie will den ehemaligen Bewohnern des „Sonneblumenhauses“ und deren Kindern eine Stimme geben und ihre Erfahrungen dokumentieren.

 

Im Mai war Mai-Puong Kollath beim „NSU-Tribunal“ in Köln. „Die persönliche Erfahrung mit Rassismus verbindet“, sagt sie. In Köln gab es eine Ausstellung und eine Videoinstallation in mehreren Sprachen, in der Hinterbliebene, Betroffene und Experten zu Wort kamen. Mehrere Schulen setzen diese Videodokumentation als Arbeitsmittel ein. So etwas schwebt Kollath auch mit Blick auf die Ereignisse in Rostock-Lichtenhagen vor 25 Jahren vor. „Das wäre ein lohnendes Projekt“, sagt sie.

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