Heidelberg – Antifaschistisches Archiv für Rostock und Umgebung https://indyhro.blackblogs.org Linke Veröffentlichungen aus unterschiedlichen Quellen Sat, 21 Nov 2020 19:17:48 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Spitzel: Jagdszenen mit Danielle https://indyhro.blackblogs.org/2011/02/04/spitzel-jagdszenen-mit-danielle/ Fri, 04 Feb 2011 18:00:33 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=1621 Continue reading Spitzel: Jagdszenen mit Danielle]]> Verdeckte Ermittler werden eingesetzt, um Terror und Kriminalität zu bekämpfen. Das ist die offizielle Version. Tatsächlich spionieren sie oft linke und alternative Szenen aus. Das zeigen etliche Enttarnungen in der jüngeren Vergangenheit.

 

Vor dem Kreisgericht in Wiener Neustadt geht an diesem Freitag ein Prozess in den 68. Verhandlungstag, der in Österreich als Skandal gilt, schon weil er überhaupt begonnen hat. Auf der Anklagebank sitzen 13 Tierschützer, die sich des Vorwurfs erwehren müssen, eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben. In den Zeugenstand wird wieder eine junge Frau treten, die nur mit ihrem Decknamen „Danielle Durand“ angesprochen werden darf, über dem blonden Haar trägt sie wie immer eine braune Perücke, um nicht erkannt zu werden.

 

„Danielle Durand“ hat eineinhalb Jahre lang den Wiener „Verein gegen Tierfabriken“ ausgehorcht, sie hat sich als überzeugte Aktivistin ausgegeben und doch nur Daten gesammelt – darunter Emails, Gespräche, an Fruchtsaftflaschen haftende DNA-Spuren. Die 32-Jährige lieferte Informationen über „Tiertransportblockaden“ und „Jagdstörungen“ an ihren Einsatzleiter. „Danielle Durand“ ist eine Wiener Polizistin.

 

Teil der EU-Sicherheitsstrategie

Verdeckte Ermittler, das ist auch schon die Ironie der Geschichte, sind neben der Debatte um die Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten zum sichtbarsten Teil einer sich wandelnden Sicherheitsstrategie der Europäischen Union geworden. Vordergründig geht es in den Plänen der EU-Kommission um Terrorismus und organisierte Kriminalität, seit aber immer mehr verdeckte Ermittler enttarnt werden, wird deutlich, dass mehr dahinter steht: Der deutsche Polizist „Simon Brenner“ folgte Heidelberger Antifaschisten bis nach Brüssel, sein britischer Kollege „Mark Stone“ pflegte seine Tarnung unter Berliner Globalisierungskritikern. Und die mit einer französischen Legende ausgestattete Österreicherin „Danielle Durand“ reiste mit den Tierschützern bis ins niederländische Appelscha und ins schweizerische Luzern. Wie weit die ebenfalls enttarnten Briten „Lynn Watson“ und „Marco Jacobs“ kamen, ist noch unklar.

 

Viel gefunden haben sie alle nicht. Eher wurden sie selbst straffällig, blockierten Straßen (wie „Brenner“), zündeten Mülleimer an (wie „Stone“), gingen sexuelle Beziehungen mit Zielpersonen ein (wie „Stone“ und „Durand“). Seither geht es weniger um das, was sie als Ermittler zutage förderten als um die Probleme, die sie dabei aufwerfen.

 

Im Einzelfall, sagt der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz, könne der Einsatz verdeckter Ermittler sinnvoll sein. „Aber die rechtliche Grundlage für den Einsatz ausländischer verdeckter Ermittler muss klarer gefasst werden. Das ist alles viel zu schwammig.“ Da gibt es das EU-Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen, auf das die Bundesregierung in einer Anfrage zum Fall „Stone“ verweist. Es regelt die Strafverfolgung, aber nicht die Gefahrenabwehr, auf die sich das Bundeskriminalamt beim Einsatz des Briten beruft. Und dann gibt es noch den Prümer Vertrag, er erlaubt es EU-Mitgliedsstaaten, aus anderen Ländern „Beamte, Spezialisten und Berater“ anzufordern. Von verdeckten Ermittlern ist darin nicht die Rede.

 

Dennoch werden sie eingesetzt. Juristen wie der Heidelberger Strafrechtsprofessor Thomas Hillenkamp, an dessen Universität „Simon Brenner“ eingeschrieben war, sehen das kritisch. „Der Einsatz von verdeckten Ermittlern gegen die Mafia leuchtet jedem ein“, sagt er. Würden aber harmlose Gruppen infilitriert, „ist das unverhältnismäßig“.

 

Nach Ansicht des FDP-Europaabgeordneten Alexander Alvaro geschieht es zudem „im luftleeren Raum“. Alvaro, einer von wenigen Brüsseler Abgeordneten, die sich intensiv mit dem Thema befassen, vermutet, dass es noch mehr Fälle gibt, „in denen Ermittler gezielt politische Gruppierungen ausforschen, ohne dass es dafür einen rechtlichen Rahmen gibt“. Die EU verlasse damit den Pfad der Rechtsstaatlichkeit.

 

In Deutschland geht das bereits so weit, dass ausländische verdeckte Ermittler, die eindeutig Polizisten sind, juristisch wie V-Leute behandelt werden, also wie Informanten aus dem zu überwachenden Milieu. So geht es aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Linken-Anfrage zum Fall „Stone“ hervor. Das ist praktisch, denn Beschränkungen, die für Ermittler etwa bei Beziehungen mit Zielpersonen gelten, müssen so nicht beachtet werden.

 

Die Bundesregierung liegt damit voll auf der Linie, die sie während ihrer EU-Ratspräsidentschaft von 2007 selbst vorgezeichnet hat. In einem Vermerk heißt es schon damals, die „bisherigen Erfahrungen“ zeigten, dass ausländische verdeckte Ermittler „in gewissen Konstellationen leichter in kriminelle Vereinigungen eingeschleust werden können“. Die Themen der zugehörigen Arbeitsgruppen machen klar, was mit „kriminellen Vereinigungen“ gemeint ist. Danach geht es nur zu einem Teil um Mafia und Terror, häufiger fällt ein anderes Stichwort: Crowd Control, die Kontrolle über Menschenmengen.

 

Im Visier: die Meinungsfreiheit

Er könne sich nicht erinnern, dass das je Gesetz geworden sei, sagt Alvaro. „Angewendet wird es aber offenbar trotzdem.“

Die Tendenz zur Infiltration von Protestbewegungen sei „offensichtlich“, sagt der Linken-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko. „Diese Einsätze richten sich gegen richtige und notwendige Widerstandsbewegungen.“ Ermittelt wird dann letztlich vor allem gegen eines: die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit.

 

Alvaro kennt noch andere Vorhaben, „bei denen die EU-Kommission in Sicherheitsfragen derzeit ihrer Phantasie freien Lauf lässt“. Mit dem Forschungsprojekt „Indect“ etwa werde versucht, die Vielzahl von Informationen aus dem Internet, aus Datenbanken und von Überwachungskameras zu verbinden. So sollen „Gewalt, „Bedrohungen“ und „abnormales Verhalten“ gefunden und die zugehörigen „beweglichen Objekte“, also Menschen, observiert werden. Fast 15 Millionen Euro lässt sich die EU das kosten, auf deutscher Seite daran beteiligt ist die Bergische Universität in Wuppertal. Einen Testlauf soll es zur Fußball-EM 2012 geben.

 

Mit Begriffen wie „Unschuldsvermutung“ und „gerichtsfester Beweis“ hat das alles nicht mehr viel zu tun. „Es ist eine besorgniserregende Vorstellung“, sagt Alvaro. Wie gegen die Speicherung von Fluggastdaten erwartet er auch bei „Indect“ erheblichen Widerstand im EU-Parlament.

 

Sollte der automatische Bevölkerungsscanner jedoch irgendwann funktionieren, wüssten die Ermittler dann wenigstens, wo sie eigentlich ermitteln müssen. Denn damit scheint es bislang nicht allzu weit her zu sein. „Simon Brenner“ fand in Heidelberg nichts, was ein Gericht interessiert hätte. Stattdessen wurde er gefunden, von einer Urlaubsliebschaft, die ihn enttarnte. Und „Mark Stone“ fiel als „Agent provocateur“ in Heiligendamm eher selbst auf, als dass er anderen kriminelle Umtriebe nachwies.

 

Viel gefunden auch „Danielle Durand“ nicht. Der Prozess in Wiener Neustadt dauert auch deshalb schon so extrem lange, weil die Beweislage extrem dünn ist.

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Spionage: Liebesgrüße aus London https://indyhro.blackblogs.org/2011/01/20/spionage-liebesgruse-aus-london/ Thu, 20 Jan 2011 10:14:29 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=1615 Continue reading Spionage: Liebesgrüße aus London]]> Ein britischer Polizeispitzel wird auf peinlichste Weise enttarnt – Klarname, Telefonnummern und E-Mail-Adressen sind im Internet frei zugänglich. Damit bringt er auch die deutschen Behörden in Erklärungsnot.

 

Für einen Spion ist das die Katastrophe, eine unumkehrbare Niederlage. Über den britischen Polizisten mit dem Decknamen „Mark Stone“ gibt es inzwischen seitenlange Dokumentationen im Internet – inklusive Klarnamen, Telefonnummern, E-Mail-Adressen. Ähnlich wie über den verdeckten Ermittler des baden-württembergischen Landeskriminalamts, der bei seiner Infiltration Heidelberger Studentenkreise aufgeflogen war. Anders als „Simon Brenner“ hat „Mark Stone“ sogar einen Wikipedia-Eintrag. British police spy, steht da.

 

Mindestens sieben Jahre lang hat der Polizist britische Klimaaktivisten ausgehorcht, bis er jüngst aufflog. Seither vergeht in England kein Tag ohne neue Enthüllungen. Denn ähnlich wie „Brenner“ soll „Stone“ nicht nur zugehört, sondern auch angestiftet und mitgemacht haben bei Protestaktionen. Und ähnlich wie „Brenner“ bringt nun auch er deutsche Behörden in Erklärungsnot: „Mark Stone“ beschränkte seine Tätigkeit bei weitem nicht auf England.

 

Undercover in Heiligendamm


Recherchen der Tageszeitung Guardian zufolge infiltrierte der verdeckte Ermittler zahlreiche antirassistische, klimapolitische und globalisierungskritische Organisationen in 22 Ländern – darunter Deutschland. So soll er beim G8-Gipfel in Heiligendamm im Sommer 2007 die Behörden informiert haben. Erkenntnisse aus England allerdings legen nahe, dass er es dabei nicht beließ: Der 41-Jährige soll eine Protestaktion gegen das vom Energiekonzern Eon geführte Kraftwerk Ratcliffe-on-Soar nicht nur begleitet, sondern initiiert und angeführt haben. Neben der Polizei versorgte er mutmaßlich auch Kraftwerksbetreiber Eon mit Informationen.

 

Und bei dieser Aktion flog er auf. Aufmerksame Beobachter stellten fest, dass von 114 Verfahren gegen beteiligte Aktivisten ausschließlich das gegen „Mark Stone“ fallen gelassen wurde. Eon weicht Fragen danach aus und erklärt lediglich, den Briten „nie beschäftigt“ zu haben.

 

Und auch die deutschen Behörden halten sich bedeckt, obwohl die Kreise des Ermittlers bis weit in ihr Einflussgebiet reichten. Eine Anfrage des Linken-Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko beantwortete das Bundesinnenministerium mit einer viele Seiten langen Stellungnahme, in der es ausführlich um Europäische Rechtshilfeübereinkommen und deren Zusatzprotokolle geht. Über die Rolle des britischen Undercover-Polizisten beim Gipfel in Heiligendamm verliert das Ministerium aus „einsatztaktischen Erwägungen“ kein Wort.

 

Dabei wäre es gerade vor dem Hintergrund des Prozesses um den Sternmarsch in Heiligendamm von Bedeutung, der am Mittwoch in Schwerin begann. Die Demonstration am letzten Gipfeltag war von der Polizei verboten worden, wogegen die Anmelder klagten und zunächst teilweise recht bekamen. Einen Tag vor der Demonstration bestätigte dann das Verfassungsgericht das Verbot. Es berief sich auf Meldungen der Polizei, wonach nicht näher benannte Quellen aus den Protestcamps von mysteriösen Waffen wie etwa mit Nägeln gespickten Kartoffeln berichteten. Gesehen oder gar eingesetzt wurden diese Waffen nie. Da sich auch die von der Polizei behaupteten 500 teils schwer verletzten Polizisten bei der Auftakt-Demo und die vermeintlichen Steinwerfer am Zaun von Heiligendamm als Falschmeldungen entpuppten, stellt sich die Frage, welche Rolle „Mark Stone“ in den Protestcamps spielte.

 

In Schwerin klagen nun Gipfelgegner, die das Verbot für rechtswidrig halten. Würde sich herausstellen, dass neben anderen der britische Spitzel zu falschen Polizeiangaben beitrug, wie die Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke (Linke) vermutet, müssten sie recht bekommen. Hunko fordert, dass die Bundesregierung die Rolle des Briten ebenso „lückenlos offenlegt“ wie die Informationen, die er über Aktivisten sammelte.

 

„Mark Stone“ ist derweil – wie auch „Simon Brenner“ – verschwunden. Britische Medien mutmaßen, er habe sich in die USA abgesetzt. Seine Geschichte samt Liebesaffären hat er vorher noch der Daily Mail verkauft. Angeblich aus Geldnot.

 



Im Netz der Sicherheitsbehörden

Wer in Deutschland als vermeintlicher politischer Extremist ins Visier von Ermittlern gerät, landet in Personendateien des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Beamten erfassen in den Dateien wie „Gewalttäter links“ oder „International agierende gewaltbereite Störer“ (Igast) ausdrücklich nicht verurteilte Täter, sondern Personen, die vermutlich eine Gewalttat verüben könnten. In die Dateien können auch Informationen ausländischer Polizeien einfließen.


Klare Kriterien, die die Erfassung rechtfertigten, gibt es nicht − das räumte die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage vor Monaten ein. Grundlage für die Gefahreneinschätzung einer Person sei die polizeiliche Ausbildung und „bestimmte Tatsachen“, die den Betroffenen Gewaltakte in Zukunft unterstellten.
Der konkrete Grund für die Speicherung einer Person bleibt unklar. Ebenso räumt die Bundesregierung ein, dass es keine Analyse darüber gibt, wie oft ein Verdacht, jemand könne gewalttätig werden, sich tatsächlich auch bestätigt.

Die Informationen aus den Personendateien stehen deutschen Polizeien zur Verfügung und werden vom BKA an ausländische Kollegen weitergeleitet, wenn diese anfragen. So übergab das BKA vor dem UN-Klimagipfel im Dezember 2009 240 Personendaten aus der Igast-Datei der dänischen Polizei. Im August 2010 waren 1349 Personen in der Igast-Datei gespeichert, in der Datei „Gewalttäter links“ waren es 2173. Die Bundesregierung führt keine Statistiken darüber, wie oft und an welche ausländischen Polizeien Daten übermittelt werden. Nach eigener Aussage sei der Erkenntniswert daraus zu gering.

Die Datensammlung zu Igast kann ausführlich sein: Von Namen,
Geschlecht, Größe und Gewicht über Autokennzeichen und -typ bis hin zu Arbeitsstätte und Dokumenten wird gesichert, was in die Finger kommt. Wer beispielsweise als Globalisierungskritiker in die Igast-Datei gerät, muss damit rechnen, dass sich die Ermittler auch für seinen Bekanntenkreis interessieren.

Brisant ist der Datenhunger der Polizeien, weil die nationalen Datensammlungen auf EU-Ebene weiter zusammengeführt werden sollen. Ungeklärt ist, welche Dateien das BKA künftig an Europol überstellt. So besteht die Gefahr, dass in die von der EU geplante Datensammlung „Reisende Gewalttäter“ Informationen aus der Igast-Datei einfließen, die keine verurteilten, sondern nur potenzielle Gewalttäter betreffen. Bereits jetzt existieren bei Europol 21 „Arbeitsdateien für Analysezwecke“. Die Datenbank ist bei Europol in Den Haag angesiedelt.
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