Heiligendamm – Antifaschistisches Archiv für Rostock und Umgebung https://indyhro.blackblogs.org Linke Veröffentlichungen aus unterschiedlichen Quellen Sun, 28 Aug 2022 15:03:24 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 iL-Organisierung: Nach Heiligendamm ist vor Heiligendamm https://indyhro.blackblogs.org/2022/06/30/il-organisierung-nach-heiligendamm-ist-vor-heiligendamm/ Thu, 30 Jun 2022 18:10:00 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=4332 Continue reading iL-Organisierung: Nach Heiligendamm ist vor Heiligendamm]]> [Original erschienen unter https://de.indymedia.org/node/203245 ] Der folgende Text ist die schriftliche Ausarbeitung eines Vortrags, der im Juli 2021 bei einer internen Tagung über die Krise der Interventionistischen Linken (iL) gehalten wurde. Er ist in der Broschüre »Die IL läuft Gefahr, Geschichte geworden zu sein« erschienen. Die Fragen, die sich Genoss*innen stellen, sind Fragen, die in der gesamten radikalen Linken gestellt werden. Auch wenn wir nicht jedes interne Detail verstehen, haben uns viele der Beiträge angesprochen. Die Tagungsdokumentation gibt es als pdf (siehe unten).

iL-Organisierung: Nach Heiligendamm ist vor Heiligendamm
Beginnen wir mit einem Blick zurück auf den Beginn der iL. Also eigentlich nicht auf den Beginn von 1999 im Beratungstreffen, sondern auf die Zeit um Heiligendamm. Denn ganz am Anfang unserer gemeinsamen Politik stand der Rückblick auf die dunklen neunziger Jahre und die Hoffnung auf das, was mit uns und ums uns geschah. Irgendwo in einem Orgapapier schrieben wir:

a) »Es rührt sich wieder was. Weltweit: in der Welle der ›globalisierungskritischen‹ Bewegungen seit Seattle. Fern von uns: in dem, was in Lateinamerika vor sich geht, was man gerüchteweise aus China und Indien hört…« Und weiter:

b) »Bei uns und für uns reicht es, an Heiligendamm zu erinnern: da darf einiges erwartet werden. Dazu gehören wir selbst, die iL. ›Wir‹, dass sind die G8-xtra (eine Massenzeitschrift der iL zu den G8-Protesten), dass sind die, die den Make-capitalism-history-Block in Rostock und die Blockaden und die Camps und noch einiges anderes mehr (mit) auf die Beine gestellt haben – allem voran: eine für Linksradikale in Deutschland bisher ziemlich einzigartige ›Bündnispolitik‹.«

Wir stellten damals fest: »Wir haben keine Massenbasis und sind darauf vielleicht gar nicht aus, und – so stehts im Diskussionspapier von 2004 –, sind deshalb zur ›Kaderpolitik‹ genötigt. Wir wollen die aber nicht ›marxistisch-leninistisch‹ verstehen. Wollen andererseits keine ›Autonomen‹ und überhaupt gar keine ›Antideutschen‹ sein. … ›Wir‹ wollen eine Organisierung neuen Typs sein: keine Partei, keine Szene, kein Bündnis – aber was dann?«

Oder, wie wir vom Hamburger Innensenat damals zutreffend zitiert wurden: »›Wir haben alle eingeladen und alle sind gekommen: Umweltschützer, Friedensaktivisten, Anarchisten, Pazifisten, Gewerkschafter und selbstverständlich auch Autonome.‹ Wir waren wirklich ein ›Projekt in Bewegung, das sich durch Intervention in praktische Kämpfe entwickeln will.‹ Damit verbunden war immer ein Vorrang der praktischen Politik, der Bündnispolitik. Wir haben die Frage danach, in welcher Welt wir eigentlich leben, immer zugunsten der Frage nach den Aktionsformen, der Zustimmungsfähigkeit etc. zurückgestellt. Das hat sich eigentlich ziemlich früh gerächt, vielleicht ohne dass wir das insgesamt in seiner Tragweite bemerkt hätten. Wir haben es versäumt, unsere eigenen Grundannahmen und die Voraussetzungen unserer Politik, wie strategische Bündnisorientierung, Aktionsformen wie ziviler Ungehorsam oder ganz einfach den Wunsch immer mehr zu werden, kritisch zu bedenken.«

So hat sich die iL spätestens seit dem Zwischenstandspapier 2014 immer mehr zu einer revisionistischen Flügelorganisation der Linkspartei entwickelt. Damit ist nicht gemeint, dass die iL der Partei der Linken anhängt. Gemeint ist damit der Versuch in einer konventionellen, geradezu parteiförmigen Organisierung unter dem Label von Antikapitalismus auf der Straße sozialdemokratische Politik voranzubringen. Auch wenn die iL sich immer noch als post-autonome Organisation bezeichnet, kann sie kaum verbergen, dass sie ganz gegen ihren eigenen Anspruch intransparente und autonom und ohne Mandat agierende Strukturen entwickelt hat, die ihrer eigenen historischen Kritik an Partei- und ML-Politik in keinster Weise gerecht wird.

Der wachsende bürokratische Apparat
Das gegenwärtige Verhältnis von Ortsgruppen, Koordinierendem Gremium (KoGre), diversen Telefonkonferenzen, Signalgruppen etc. ist jedenfalls meilenweit von einer basisdemokratischen Organisierung, die von autonomen Ortsgruppen getragen wird, entfernt. Politische Herrschaft existiert in unterschiedlicher Hinsicht, ohne sich als solche erkennen zu geben. Die Strukturen der iL erinnern erheblich an die expansive Entstehung einer eigendynamischen Bürokratie, für die es gar keine politischen Probleme, sondern nur noch Befindlichkeits- und Konfliktbearbeitungsnotwendigkeiten gibt:
• Aus dem KoGre als Impulsgeber und Organisator für strategische Debatten wird ein Gremium, dass den »Laden zusammenhält«, Checklisten und Verhaltenshandreichungen für allerlei Probleme produziert, sich als Schiedsgericht gebart, wenn es nur aus der Lokalität angerufen wird.
• Die Mitglieder der Ortsgruppen (früher waren wir AktivistInnen der iL und haben uns im Lokalen einen Rahmen gesucht, um in der Gesamt-iL Politik zu machen, nicht andersherum) fordern Delegiertenschlüssel, sozialistische Programmatiken, interne Ausschüsse, Kommissionen oder Unterstützungsfonds, während eine handvoll von Menschen sich überhaupt um die iL als Gesamtes kümmert.
• Partei, massenkompatible Politik und ein schlechter Avantgardeanspruch in »breiten Bündnissen« tauchen bei uns wieder auf: Der Erfolg unserer Aktionen wird an der Menge der Menschen und am Diskurs gemessen (nach dem Motto: Wie viele folgen uns), zunehmend inhaltsleere und auf schlichte Reichweite fokussierte Öffentlichkeitsarbeit ist mit dem Wohlgefallen verbunden, dass die iL in der Bewegungslinken hegemonial ist und wir nehmen jeden auf, der einverstanden mit unserem P***buch (Zwischenstandspapier) ist. Vielen GenossInnen scheint die Angst der Frage von 2004, die mit den Anti-Deutschen verknüpft war: »Wie verhindern wir, dass die immer wieder sich einstellende Erfahrung, in der Minderheit zu sein, in elitistische Identitätspolitik umschlägt …?« immer noch so im Nacken zu sitzen, dass sie lieber breite Bündnispolitik machen, als in einer Minderheitenposition leben zu müssen. Aus den AktivistInnen der iL auf dem Gesamttreffen werden Delegierte ihrer Ortssektionen. Aus den Gesamttreffen werden Sitzungen, in denen sich die unterschiedlichen Fraktionen austauschen und Kompromisse entwickeln.

Wie konnte es dazu kommen? Nun, unseres Erachtens gab es die zentristischen Positionen in der iL (Zwischenstandspapier als Parteiprogramm, breite Bündnisse und »Ziviler Ungehorsam« als einziger Form praktischer, revolutionärer Politik) schon immer, die Frage danach, was eigentlich linksradikal zu sein und linksradikal zu handeln bedeutet, war viel zu lange schon nicht gestellt. Aber erst mit der unbearbeiteten Niederlage von Blockupy geriet die iL ernsthaft in eine Situation, in der die Treue zum Ereignis (zu seiner Möglichkeit) und zu seinem »Stattgefundenhaben« organisiert werden musste, um es einmal mit dem französischen Kommunisten Badiou zu formulieren. Mit »Niederlage von Blockupy« meinen wir übrigens nicht, dass die rebellische, praktische Intervention gegen die europäische Austeritätspolitik an diesem Punkt gescheitert gewesen wäre. Vielmehr ist damit gemeint, dass Blockupy im Nachhinein, mit der unbeantworteten Unterwerfung Syrizas gescheitert ist. Was aber bedeutete das eigentlich? Der großartige Erfolg einer stabilen, interventionsorientierten, »undogmatischen« linksradikalen Organisierung in der BRD stand plötzlich auf dem Spiel. Heiligendamm lag ebenso wie Blockupy hinter uns. Wie also weiter? Auch, wenn es viele vielleicht gar nicht bemerkt haben, ging es in der iL seitdem darum, wie man der Erfahrung von Heiligendamm etc. treu bleiben kann, obwohl zugleich deutlich war, dass diese Erfahrung hinter uns lag und eine solche ähnliche, zukünftige Erfahrung (Ereignis) gar nicht zu erwarten war.

Die Möglichkeit eines Ereignisses
Wir leben seitdem nicht im Moment des Ereignisses. Ein Ereignis ist mit Badiou ein politischer Moment, der jedes Gesetz unterbricht, die Wahrheit aus einem kommunitären, partikularen Raum herausbricht und damit eine Gleichheitsprozedur ermöglicht. Vielleicht etwas einfacher formuliert: »Emanzipatorische Politik wird immer jenseits der Identität gemacht, indem sie beweist, dass sie für alle Identitäten funktioniert!« Nebenbei also: Aufgabe einer Linken wäre die Organisation der Unterbrechung des Gesetzes, das genau das verunmöglicht. Wir leben als iL, als radikale Linke sicherlich in einer Zeit, die das Ereignis im Rücken hat, und in der sich kaum etwas Neues abzeichnet, bzw. noch nicht sichtbar ist. Oder in der das Neue maximal eine neue Ordnung, sei sie Schwarz-Grün oder Rot-(Gelb-)Grün, aber keine Ermöglichung von Gleichheit sein wird.

In einer solchen Zeit – und das ist nichts Neues für eine Linke – geht es eben darum, sich so zu organisieren, dass die Hoffnung auf ein zukünftiges Ereignis (möglicherweise sogar die Revolution) bewahrt bleibt. Wir jedenfalls leben in einer Zeit, in der die Treue zum Ereignis (zu seiner Möglichkeit) und zu seinem »Stattgefundenhaben« organisiert werden muss. Das erklärt die Frage, warum es richtig ist, sich zu organisieren.

Es gibt in der Geschichte der kommunistischen Kämpfe (und vielleicht darüber hinaus) verschiedene Gründe, sich zu organisieren: weil man sich im Kampf befindet (Guerilla); weil man den Sieg organisieren muss (Bolschewiki); weil man in einer Situation des politischen Unterlegen-Seins die Möglichkeit des Sieges bewahren muss (iL).

Wir leben in einer Situation, in der die Erinnerung an die Möglichkeit eines Ereignisses und die Hoffnung darauf, das wiederum ein Ereignis stattfinden kann, bewahrt, tradiert und organisiert werden muss. Badiou nennt das mit einem schönen alten Begriff »Treue«. Aber wie geht das eigentlich, die Treue im Modus ihrer Krise, die Treue im Modus ihrer Erschöpfung zu organisieren? Dort, wo doch eigentlich erst ihre Bewährung aussteht, weil kein kommendes Ereignis den Horizont erhellt? Wir haben darauf nicht wirklich eine Antwort. Aber zwei Dinge sind offensichtlich:

Ich glaube erstens, dass der iL das Bewusstsein für ihre eigene historische Situation verloren gegangen ist. Das sie keine Einsicht darin hat, wo sie sich im Verlauf der Kämpfe befindet. Ja, ich befürchte sogar, dass viele gar keine Einsicht mehr haben, dass sie überhaupt in einer Geschichte leben, und deshalb auch das Bewusstsein von der Wahrheit der Möglichkeit eines Ereignisses (Revolution, Intervention, Unterbrechung des Gesetzes etc.) verloren hat. Die Verwaltung und Bewahrung einer Wahrheit aber in einer Situation, in der die Wahrheit längst verloren und aufgegeben ist, ist überflüssige »Kackscheiße«, um einmal einen großmäuligen Spruch von uns gegen uns zu wenden.

Und zweitens habe ich den Eindruck, dass sich die iL in einem fast notwendigen Widerspruch befindet, und damit das Schicksal vieler kommunistischer Parteien teilt, denen sie doch eine »Partei neuen Typs« entgegenstellen wollte. Die iL verkommt zu einer parteiförmigen Organisation, die ihre Aufgabe fast nur noch in der Verwaltung der Wahrheit im Moment der politischen Stagnation, der Krise und des Rückschritts sieht. Die »Verwaltung der Wahrheit« kann durchaus ihren Sinn haben. Letztens wurde ich gefragt: »Wie stehts bei euch in der iL?« und musste zugeben, dass ich die Situation für nicht allzu gut hielte. Die Antwort: »Oh Gott, jetzt ihr nicht auch noch!«

Die fehlende Reflexion und Bearbeitung
Aber wenn nur noch verwaltet wird? Die iL hat längst einen Anspruch auf Wahrheit verloren und droht im Moment an der nackten Verwaltung daran zu scheitern, wo vor ihr eben auch schon viele andere kommunistischen Parteien und Bewegungen gescheitert sind. Badiou nennt das den schon fast notwendigen inneren Verrat. Er sagt das im Bild der Entwicklung der Kirche: »Eine Heiligkeit kann sich nur schützen, wenn sie aus sich in aller erforderlichen Härte eine Kirche schafft. Aber diese Kirche macht aus der Heiligkeit ein Priestertum: Der Schutz vor der Korruption durch die Geschichte wird selbst zum Verrat an der Heiligkeit: die fast notwendige innere Bewegung des Verrats.«

Will sagen: Wir versuchen, unsere Organisation zu schützen und zu stärken und verfallen in den Aufbau eines wie oben beschriebenen Apparates mit Zentralkomitee, noch schlimmer mit informellen Hierarchien, mit Formalismen, mit Schlichtungskomitees, mit dogmatischen »Eine-Gruppe-vor-Ort-Gesetzen«, die uns das scheinbare Gefühl von Sicherheit und Ordnung suggerieren. Wir verfallen in den Fehler des Aufbaus einer Kirche, einer Partei, die selbst zum Verrat an der Sache wird. Nur mit dem Effekt eines zunehmenden Zerfallsprozesses, der nicht 2000 Jahre wie in den Kirchen, nicht 200 Jahre wie bei der Kommunistischen Partei, sondern gerade einmal 20 Jahre währt. Dieser notwendige Widerspruch bzw. Prozess an sich ist nicht das Problem, sondern wird erst zum Problem, wenn er nicht reflektiert und bearbeitet wird. Dann erst tritt der aktuelle Zerfallsprozess ein.

Nach Heiligendamm ist vor Heilgendamm. Oder anders herum: Wir haben damals die Frage nach der Organisierung Neuen Typs nicht beantworten können. Und weil sie auch in den letzten Jahren nicht gestellt, bzw. im Sinne des »fast notwendigen Verrats« von Badiou beantwortet wurde, ist die iL Geschichte. Was nicht heißt, das sie verschwinden wird. Aber dass sie vielleicht immer weiter zu einer NGO, zu einer Event- und Politikberatungsagentur oder zu einem rosaroten Campact mutieren wird.

Webadresse: https://www.inventati.org/ali/pdf/Tagung_IL_laeuft_Gefahr_2022.pdf

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Videos: Demos und Blockaden gegen G8-Treffen 2007 in Heiligendamm https://indyhro.blackblogs.org/2015/05/21/videos-demos-und-blockaden-gegen-g8-treffen-2007-in-heiligendamm/ Thu, 21 May 2015 20:32:00 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=3444 Continue reading Videos: Demos und Blockaden gegen G8-Treffen 2007 in Heiligendamm]]> [Original erschienen unter https://de.indymedia.org/node/4552] _

 

Kyritz-Ruppiner Heide, 01.06.2007: Protest gegen G8-Treffen: NATO-Bombenabwurfplatz-Besetzung

https://www.youtube.com/watch?v=5HTOcQqku2I

 

Rostock, 02.06.2007 – Bündnisdemo gegen G8-Treffen in Heiligendamm

https://www.youtube.com/watch?v=GIznufP6Of0

 

Rostock, 02.06.2007 – Bündnisdemo gegen G8 – Block Interventionistische Linke (IL)

https://www.youtube.com/watch?v=L_roNebspEQ

 

Rostock, 02.06.2007 – Demo gegen G8-Treffen – Kampf gegen Polizei

https://www.youtube.com/watch?v=kLIfAd5cqio

 

Rostock, 04.06.2007 – Protest gegen G8-Treffen – Demo gegen Rassismus / anti-racist demo   

https://www.youtube.com/watch?v=omjTYClClNI

 

L12, 06./07.06.2007: Blockade gegen G8-Treffen 2007 ab Camp Reddelich – Kampagne Block G8

https://www.youtube.com/watch?v=Pq6VbtauXG8

Hinter Bollhagen, 07.06.2015: Blockade gegen G8-Treffen 2007 – Polizeigewalt mit Wasserwerfern

https://www.youtube.com/watch?v=95_X_hoENhQ

Rostock, 08.06.2007 – Protest gegen G8-Treffen – Abschluskundgebung / closing speeches

https://www.youtube.com/watch?v=nV0cwu7aXCA

Webadresse: https://www.youtube.com/user/freundeskreisvideo

Videos: Demos und Blockaden gegen G8-Treffen 2007 in Heiligendamm
Videos: Demos und Blockaden gegen G8-Treffen 2007 in Heiligendamm
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Mark Kennedy: der Maulwurf von Tarnac https://indyhro.blackblogs.org/2012/04/02/mark-kennedy-der-maulwurf-von-tarnac/ Mon, 02 Apr 2012 15:13:56 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=1631 Continue reading Mark Kennedy: der Maulwurf von Tarnac]]> Übersetzung eines Artikels des französischen Kulturmagazin Les Inrockuptible – auf linksunten gepostet im März 2012

Während sieben Jahren und in ganz Europa hat sich der britische Polizist Mark Kennedy als Linksradikaler ausgegeben. In Frankreich hat er die DCRI [Leitstelle des Inlandsgeheimdienstes der französischen Regierung, d.Übers.] mit Informationen über die Beschuldigten von Tarnac gefüttert.

Erzählung einer Infiltration.

 

Sein großer blonder Körper mit Tattoos auf den Armen, sein Haarzopf und seine kleinen schielenden Augen haben ihn im Januar 2011 in britischen Zeitungen zur Nummer Eins gemacht. Mark Stone, militanter linker Internationalist. Aber Kleider machen keinen Rebell: Unter der falschen Identität von Stone verbirgt sich der Polizist Mark Kennedy.

Von 20032010 hat er die radikale Linke in Großbritannien und Europa infiltriert (vgl. www.powerbase.info/index.php/Mark_Kennedy:_A_chronology_of_his_activities). Er hat undercover gelebt, unter Öko-AktivistInnen, GlobalisierungsgegnerInnen, AnarchistInnen und AntifaschistInnen; er hat ihr Essen, ihre Feste, ihre Demos geteilt, manchmal ihre Betten. Sie haben ihn enttarnt und seinen Verrat beendet, aber zu spät. Alles, was sie gemacht und gesagt hatten während 7 Jahren, war bereits in den Händen der Polizei.

 

Stone hat auch in Frankreich operiert. Er scheint sogar eine wichtige Rolle in der Tarnac-Affaire gespielt zu haben.

In mehreren europäischen Ländern hat seine Rolle als Verdeckter Ermittler Skandale provoziert, (vgl. „Undercover police officer Mark Kennedy at centre of international row. Questions asked over officer in German and Irish parliaments as new allegations of sexual activity surface“ www.guardian.co.uk/environment/2011/jan/12/activism-protest). In Frankreich bleiben seine Aktivitäten unklar, seine Rolle wurde verkannt.

 

Die Infiltration beginnt 2002. Mark Kennedy, seit 8 Jahren Polizist in London, tritt der „National Public Order Intelligence Unit“ bei, einer britischen Einrichtung, die die „einheimischen Extremisten“ überwacht (AnarchistInnen, Tierschutzbewegung).

Seine Mission beginnt 2003: Er soll sich in der radikalen Umweltschutzbewegung einnisten und dort das Vertrauen der AktivistInnen gewinnen. Er zieht Bermudas an, bindet seine Haare zusammen und begibt sich allein aufs Camp der Umweltschutzbewegung „Earth First“. Dort macht er sich Freunde und unterstützt ihre Sache, auch mit Geld. Er gibt an, sein Leben mit professionellem Klettern im Ausland zu verdienen.

 

Im Jahr 2009 wächst das Misstrauen bei den AktivistInnen

 

Mit den britischen UmweltschützerInnen debattiert, demonstriert, tanzt und trinkt er. Niemand zweifelt an seiner Militanz, er ist immer bereit, ein Transparent an einem Stromkraftwerk aufzuhängen oder seine GenossInnen mit seinem blauen Pickup an einen Aktionsort zu bringen.

Während 7 Jahren reist er. Nach einem Bericht der britischen Polizei (vgl. www.hmic.gov.uk/publication/review-of-national-police-units-which-provide-intelligence-on-criminality-associated-with-protest-20120202/) infiltriert und spioniert er in 11 Ländern: bei internationalen Treffen, Klima-Camps, in alternativen Dörfern, bei Gegengipfeln.

Im Jahr 2009 – trotz 6-jähriger perfekter Integration – beginnen ihm AktivistInnen zu misstrauen. Im April werden 27 AktivistInnen verhaftet wegen des Plans, in ein Kohlekraftwerk einzudringen. Mark ist der einzige, der nicht rechtlich belangt wird. Im Oktober 2010 findet seine Geliebte, eine Aktivistin, in seiner Tasche einen Pass auf den Namen Mark Kennedy. Sie vertraut sich ihren GenossInnen an. Zusammen recherchieren sie und finden Dokumente, die seine falsche Identität bestätigen – sie begreifen, dass ihr Genosse Polizist ist. Eines Morgens befragen ihn sechs Personen mehrere Stunden lang in einem Haus in Nottingham, bis er gesteht. Sie lassen ihn ziehen und unterrichten den „Guardian“, der daraufhin die Bespitzelung in der radikalen Linken durch die britische Polizei enthüllt.

 

Mit einem Bein in Tarnac

 

Welchen Schaden hat er hinterlassen? Während der ganzen Wirkenszeit von Mark Kennedy waren die europäischen Polizeien vernetzt. Sie haben über die Bewegungen der international aktiven AktivistInnen ein Maximum an Informationen ausgetauscht, haben bei Gegengipfeln unüberwindbare Sicherheitsvorrichtungen platziert; sie haben aus nächster Nähe diejenigen Bewegungen überwacht, die sie für potentiell destabilisierend oder terroristisch hielten. Kennedy als Teil dieses heimlichen Netzes hat AktivistInnen in Deutschland, Island, Italien, Spanien und Frankreich überwacht.

So hat er auch einen Fuß in die Tarnac Affaire bekommen. Wir erinnern uns an die Geschehnisse des Novembers 2008: Die französische Antiterroreinheit stürmt einen Bauernhof in Tarnac (in der Corrèze) und verhaftet dort und in anderen Dörfern 20 Personen. Sie werden eines staatsfeindlichen Komplotts verdächtigt, weil sie an den Schienen der französischen Bahnlinie SNCF Sabotage begangen haben sollen. Gegen 10 Personen werden Ermittlungsverfahren eingeleitet wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung.

Im April 2008, als die Staatsanwaltschaft Vorermittlungen zur Gruppe von Tarnac eröffnet, gibt es nur sehr wenig Material. Dieses Material stammt aus Erkenntnissen des französischen Geheimdienstes über einige der AktivistInnen. In diesen Akten gibt es mehrere Informationen, die von Mark Kennedy stammen, der auch für die französische Polizei gearbeitet hat. Der Spitzel hat mindestens drei Mal Leute aus Tarnac gekreuzt. Jedes Mal haben seine Beobachtungen eine Spur in den behördlichen Akten gegen die mutmaßlichen „Verschwörer“ hinterlassen.

Wir betrachten es als stark wahrscheinlich, dass er eine sehr wichtige Rolle gespielt hat,“ bestätigt Joseph Breham, einer der Rechtsanwälte der Beschuldigten.

Der erste Kontakt von Mark mit den Tarnac-Leuten fand im Februar 2007 in Warschau statt. An einem Freitag haben sich etwa 200 AktivistInnen aus ganz Europa in einer öffentlichen Halle getroffen, um über Aktionen gegen den G8 in Heiligendamm im folgenden Juni zu entscheiden.

Ein 30jähriger französischer Autonomer hat an der Versammlung teilgenommen. Er beschreibt uns die Örtlichkeit:Das war eine Art Soziales Zentrum. Wir befanden uns in einem Saal, wo sonst oft Konzerte stattfinden. Nichts Geheimes: Alle Diskussionsthemen sind an Wandbrettern angeschlagen und auf Indymedia veröffentlicht. Das war mehr als offen, fügt unser Zeuge zu. Kein Projekt eines klandestinen schwarzen Blocks. In der Menge der GlobalisierungsgegnerInnen waren AktivistInnen des NetzesDissent, vonDie Linkeund fünf Personen derGruppe von Tarnac.

Über die Art der Gegenmaßnahmen zu G8 gingen die Strategien auseinander. Seit Seattle und Genua fand eine systematische Diskussion statt: Muss man sich der roten Zone nähern, den Zutritt zum Gipfel blockieren, andere Sachen machen? Die europäischen Polizeikräfte, die an den Gipfelprotesten zusammen gezogen waren, verschärfen jedes Jahr ihr Sicherheitsdispositiv. Es wird für die AktivistInnen immer schwieriger, an die Orte heranzukommen. Dies war der Grund, warum die fünf Franzosen von Tarnac einen Plan B vorschlugen: ein Überraschungs-Coup in Hamburg oder Berlin, weit weg vom Gipfel, dort, wo die Polizeikräfte nicht sowieso schon stationiert sein würden. In der Halle hört ihnen Mark Stone zu. Er war mit den britischen UmweltschutzaktivistInnen angereist.

 

Unsere einzige Verbindung mit Polen war jenes Treffen

 

Ein Jahr später, im Juni 2008, übermittelt der französische Geheimdienst dem Innenminister unter der Geheimhaltungsstufe „VS-Vertraulich“ einen Bericht mit dem Titel:Du conflit anti-CPE à la constitution d’un réseau préterroriste international : regards sur l’ultragauche française et européenneVom Protest gegen den CPE1 hin zur Bildung eines vor-terroristischen internationalen Netzwerkes. Ein Blick auf die französische und europäische extreme Linke [publiziert im März 2012 vom investigativen Internetmagazin Mediapart, d.Übers.]

In diesem Bericht werden drei Personen von Tarnac schwarz auf weiß zitiert, TeilnehmerInnen des Warschauer Treffens gewesen zu sein. Das Dokument bezeichnet sie als „erster Kreis“ einer „informellen linksradikalen autonomen Gruppe, die militante Aktionen in Europa vorbereitet.

Zur gleichen Zeit verlangt die französische Polizei die Eröffnung einer Vorermittlung gegen die Tarnac-Gruppe. In ihrer Anfrage an den Staatsanwalt zeigt sich die Polizei beunruhigt überinternationale Treffen der anarcho-autonomen Bewegung“ und zitiert als erstes Beispiel dasjenige von Polen.

Für die Beschuldigten von Tarnac ist sicher: Mark Stone hat ihre Teilnahme in Warschau der französischen Polizei weiter gegeben. Einer von ihnen erklärt uns:Der Beginn der polizeilichen Verfolgung gründet auf den uns unterstellten Verbindungen mit dem Ausland. Unsere einzige Verbindung zu Polen ist jenes Treffen, wo auch Stone teilgenommen hat. Andere Informanten hätten unsere Teilnahme in Polen ebenfalls weitergeben können, aber es hat sich dauernd wiederholt: Jedes Mal, wenn Stone unsere Wege irgendwo gekreuzt hat, sind Vermerke über uns in den Polizeiakten gelandet.Er erinnert sich an den infiltrierten Polizisten:Wenn du seine Fresse gesehen hast, dann erinnerst du dich. Er hatte ein Auge, das irgendwohin guckte, er war ein wenig älter als die meisten Teilnehmenden und er sprach Englisch mitten unter deutschen und polnischen Leuten.

 

Von dem Moment an, wo er entscheidet unter uns zu leben, ist das unentdeckbar!“

 

Joel*, französischer Aktivist von Dissent!, aktiv in der Organisation des Gegengipfels, nahm am Treffen in Warschau statt. Er hatte Stone bemerkt, weil er ihm schon während der Vorbereitungen zum Gegengipfel in Gleneagles 2005 begegnet war.Für mich war Mark einer der Leute, die Dissent! In Großbritannien gegründet hatten. Ich bin ihm in London begegnet in einem besetzten Haus, das er mit Freunden aufgemacht hatte. Ich habe mit ihm nicht wirklich gesprochen. Er war keiner von denen, zu dem man leicht Zugang hatte: Er war sehr britisch, ein wenig zurückgezogen.

Als der Spitzel vier Jahre später 2010 enttarnt worden ist, kann Joel es nicht fassen. „Man sagt, dass man die Leute gut kennen sollte, um ein Einsickern zu vermeiden. Aber in dem Moment, wo einer entscheidet, so zu leben wie wir, unter uns zu sein über Jahre, ist das nicht entdeckbar. Niemand hatte auch nur den geringsten Zweifel an seiner Person.

Unentdeckbar, unentdeckt baut Mark Stone sein Nest in den kleinen Zirkeln dieser so vorsichtigen AktivistInnen. Ein Jahr nach Warschau, im Januar 2008, ist man sich wieder begegnet, in New York. Begleitet von einem amerikanischen anarchistischen Freund, der in Großbritannien lebt, hält er sich im Büro einer New Yorker Aktivistin in Manhatten auf. Ein anderer Amerikaner, ein in den USA wohnhafter Japaner und zwei Franzosen gesellen sich zu ihnen: Julien Coupat und seine Partnerin Yldyne Levy, die ihre Ferien in New York verbrachten. Sie kannten nur den amerikanischen Freund von Mark. Dieser lud sie ein, seine Genossen zu treffen.

Das sind Kumpels von Kumpels aus verschiedenen Ländern, mit gemeinsamen Interessen, die sich am selben Ort treffen und einige Stunden diskutieren, erklärt ein naher Freund von Julien Coupat.Alle machen das. Welche Erinnerungen hatten die Teilnehmenden dieses Treffens an Mark Stone?Er war immer unauffällig, mit seinen Tatoos und Piercings war er wie ein Fisch im Wasser.

Wie der Zeuge berichtet, hatte der Spitzel erklärt, er wäre nach New York gekommen,um seinen Bruder zu sehen. Während des Treffens macht Julien Coupat einige Vermerke in sein Tagebuch. An diesem Tag kritzelt er den VornamenMark.

Einige Tage danach kehren Julien und Yldune nach Frankreich zurück. Dafür überqueren sie illegal die grüne US-kanadische Grenze, mitten in der Natur, weit weg von jeden Grenzbeamten. Warum? Um in die Vereinigten Staaten zu gelangen, hätten sie einen biometrischen Pass besitzen und dort ihren elektronischen Fingerabdruck hinterlassen müssen. Weil sie dies abgelehnt haben, haben sie die Grenze durch den offenen Wald nach Kanada überquert, wo keine Fingerabdrücke verlangt werden. Bei der Hinreise gab es keine Probleme. Bei der Rückkehr wurden sie von amerikanischen Genossen im Auto ganz nah an die Grenze gefahren, die sie dann zu Fuß queren sollten, um auf der kanadischen Seite wieder ins Auto aufgenommen zu werden. Aber noch bevor sie sich wieder treffen konnten, kontrollierte die kanadische Polizei das Auto. Sie entdeckte den Rucksack von Julien, seinen Führerschein, sein Notizheft und Fotos vom Times Square. Als sie begriffen, dass der Franzose die Grenze illegal überquert haben musste, beschlagnahmte die Polizei seine Sachen, um sie ihm danach wieder zurück zu geben.

 

Wer konnte den Aufenthalt der französischen Leute in Manhattan dem Nachrichtendienst weitergeben?

 

Vier Monate später in Frankreich beantragt die Antiterror-Abteilung der Kriminalpolizei SDAT beim Staatsanwalt eine Vorermittlung gegen die Tarnac-Gruppe, deren Mitglieder bisher noch nie verhaftet worden waren. Die Antiterror-Kräfte begründen ihr Vorgehen mit dem Konstrukt einerklandestinen anarcho-autonomen Struktur, die konspirative Beziehungen mit Aktiven derselben Ideologie pflegt, die im Ausland angesiedelt sind“.

Um dies zu beweisen, zitiert die Polizei die Amerika-Reise von Julien Coupat und Yldune Levy, ihre heimliche Grenzüberquerung und ihre Teilnahme an einemTreffen mit amerikanischen Anarchisten in New York.Sie beschwören sogar einen Brandsatz gegen ein Rekrutierungszentrum der amerikanischen Armee am Times Square herauf, für den die Suche nach Schuldigen bisher erfolglos geblieben war. Die amerikanische Polizei hat aber von einer Beteiligung an diesem Angriff durch die Franzosen Abstand genommen, da die beiden die USA ja bereits verlassen hatten.

In ihrem Brief an den Staatsanwalt bekräftigt die Polizei, dass ihr diese Informationen durch die Nachrichtendienste zugetragen worden sind. Wie aber konnte dem Geheimdienst der Aufenthalt der zwei Franzosen an einem kleinen anarchistischen Treffen in Manhatten verraten werden. Die Beschuldigten bestätigen, dass sich ihr Verdacht auf Mark richtet. Einer der zwei präzisiert:Die an diesem Tag anwesenden Amerikaner wurden danach durch die Polizei belästigt: Deshalb können sie nicht diejenigen sein, die die französische Polizei informiert haben. Es bleiben der Japaner und Mark Stone. Nach allem, was man bis heute über ihn weiß, dann folgere ich daraus, dass die Information von Stone kommt.

 

1 CPE „Contrat Première Embauche = Erstanstellungsvertrag; Gesetzesinitiative, nach der ArbeitnehmerInnen bis 26 die ersten zwei Jahre ohne Kündigungsschutz arbeiten sollen. Dieser Vorschlag löste 2006 massive Proteste in Frankreich aus.

 


 

Militante“ wurde hier mit „AktivistInnen“ übersetzt, weil dies im französichen nicht gleich wie im Deutschen gebraucht bzw. unterschieden wird [d. Übers.]

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Europol und das Gespenst des Anarchismus https://indyhro.blackblogs.org/2012/03/22/europol-und-das-gespenst-des-anarchismus/ Thu, 22 Mar 2012 00:00:21 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=1629 Continue reading Europol und das Gespenst des Anarchismus]]> Mit immer mehr Maßnahmen verfolgen EU-Institutionen grenzüberschreitende linke Bewegungen. Dem BKA haben es angebliche „Euro-Anarchisten“ besonders angetan

Seit 2002 ist die EU-Polizeiagentur für die Verfolgung von Umwelt- und Tierrechtsaktivismus bekannt. Jetzt bekommt die Kriminalisierung internationaler politischer Kampagnen eine neue Facette: Eine Konferenz von Europol nimmt unter anderem verkehrspolitische und antirassistische Aktivisten aufs Korn. Um die Kompetenzen der Behörden zu erweitern, werden die Ausgeforschten mit Absendern von Briefbomben gleichgesetzt. Auch der EU-Geheimdienst ist mit von der Partie.

 

Europol organisiert eine Konferenz zu anarchistischen Bewegungen in der Europäischen Union. Dies berichtete ein Sprecher der EU-Polizeiagentur letzte Woche in der Ratsarbeitsgruppe „Terrorismus“[1]. Demnach soll die Veranstaltung am 25. April stattfinden. Über den Ort wurden keine Angaben gemacht. Gewöhnlich finden derartige Zusammenkünfte aber am Sitz der Agentur in Den Haag statt.

Im Sommer 2011 bezog Europol einen ausschweifenden Neubau[2]. Dort haben fortan neben den umfangreichen Informationssystemen und forensischen Abteilungen auch die Verbindungsbeamten der 27 EU-Mitgliedstaaten sowie von weiteren neun Regierungen Platz (Wer kontrolliert Europol?[3]).

 

Initiative aus Italien
Die Mitteilung von Europol erfolgte im Rahmen eines Referats der italienischen Delegation über Aktivitäten der „Federazione Anarchica Informale“ (F.A.I.). 2003 hatte sich die italienische Gruppe in einer „Operation Weihnachtsmann“ zum Versand von Päckchen bekannt, die beim Öffnen eine Stichflamme entfachten („Archipel der Gewaltbereitschaft“[4]). Auch an die Europäische Zentralbank (EZB) und an Europol wurde derartige Post verschickt. Zuletzt erhielt im Dezember der Chef der Deutschen Bank einen mit Sprengstoff gefüllten Brief, dem ein Bekennerschreiben der F.A.I.[5] beigelegt war (Explosive Post an Ackermann[6]).

Nicht nur innerhalb linker Bewegungen wird über die Authentizität der Gruppe gerätselt[7]. Tatsache ist, dass immer wieder Anschläge die Handschrift der F.A.I. tragen und Erklärungen hierzu auf einschlägigen Webseiten publiziert[8] werden. Auch Inhaftierte beziehen sich international positiv[9] auf die F.A.I. – ein Indiz dafür, dass es sich eher um ein Netzwerk oder um einen Sammelbegriff für eine Aktionsform handelt.

Jedoch soll die Konferenz von Europol zu „Anarchismus“ mitnichten nur militante Aktionen beargwöhnen, die von den Behörden in den Kontext des „Anarchismus“ gestellt werden. In anderen Papieren der Europäischen Union wird zirkuliert, dass ein Fokus auf jenen Gruppen liegen soll, die grenzüberschreitenden Widerstand gegen Schienennetzwerke organisieren. Damit dürfte erneut eine italienische Protestbewegung gemeint sein: gegen eine Schnellbahntrasse durch das Susa-Tal im Nordwesten Italiens (Aus für Hochgeschwindigkeitszüge[10]).

Widerstand im Susa-Tal
Seit rund 20 Jahren plant die italienische Regierung eine Hochgeschwindigkeitsverbindung von Turin ins französische Lyon. Von Beginn an leistete die lokale Bevölkerung erbitterten Widerstand gegen den „Treno ad Alta Velocità“ (TAV). Kritisiert werden nicht nur die 20 Milliarden Euro, die das Vorhaben vermutlich kostet. Bei den Tunnelbauarbeiten würde zudem uran- und asbesthaltiges Gestein freigesetzt und oberirdisch gelagert. Etliche Grundstücke werden enteignet.

Die „No TAV“-Bewegung zählt auf einen starken Rückhalt in der italienischen Linken, vergleichbar mit den Protesten gegen den bislang jährlichen Castor-Transport in Deutschland. 2005 beteiligten sich 80.000 Menschen an einer Großdemonstration in Turin. In der anschließenden „Schlacht von Venaus“ blockierten Aktivisten die Zufahrtsstraßen, woraufhin die Bauarbeiter samt schützender Polizei aus dem Tal abziehen mussten. Letzten Monat protestierten erneut rund 70.000 Menschen. Tausende Demonstranten reisten aus ganz Italien und anderen europäischen Ländern an.

Es sind wohl jene internationalen Netzwerke, die der italienischen Regierung ein Dorn im Auge sind und die nun von Europol aufs Korn genommen werden sollen. Tatsächlich versucht die Regierung in Rom, die Proteste zu kriminalisieren. Die Polizei behauptete kürzlich, die Demonstranten würden Tote in Kauf nehmen und seien als „terroristisch“ einzustufen. Demgegenüber war es die Polizei, die einen Baumkletterer aus großer Höhe abstürzen ließ und schwer verletzte[11].

Kriminalisierung von „Grenzcamps“
Doch noch eine weitere internationale Bewegung erregt das Interesse der EU-Polizeiagentur: Die Aktivitäten des sogenannten „No Border“-Netzwerks sollen ebenfalls auf der Konferenz im April thematisiert werden.

Seit den frühen 90er Jahren organisieren migrationssolidarische Gruppen mit Netzwerken wie „Kein Mensch ist illegal“ regelmäßige grenzüberschreitende Demonstrationen, Camps oder Kampagnen. Tatsächlich sind die Aktivisten international gut vernetzt: Für dieses Jahr wollen sie unter dem Motto „Boats for people“ mit mehreren Schiffen auf dem Mittelmeer Präsenz zeigen und dort gegen die menschenverachtende Politik der EU-Grenzschutzagentur Frontex demonstrieren[12].

Doch der Schlüssel für das polizeiliche Interesse an der „No Border“-Bewegung liegt weniger im Mittelmeer, als vielmehr auf einem der jüngsten „Grenzcamps“ im September 2010 in Brüssel. Die belgische Polizei wollte in einer beispiellosen Aktion verhindern, dass die Teilnehmer des Camps[13] an einer internationalen Gewerkschaftsdemonstration teilnehmen. Geholfen hatte dabei vermutlich der später aufgeflogene deutsche Polizeispitzel Simon Bromma. Der vom Landeskriminalamt (LKA) Stuttgart geführte verdeckte Ermittler schlich sich ins Camp ein und unterwanderte[14] dessen Organisationsstrukturen.

Seine „Erkenntnisse“ gab Bromma an das LKA Stuttgart weiter („Ich habe täglich berichtet“[15]). Womöglich gelangten die Falschinformationen daraufhin an die belgische Polizei: „96 Anarchisten wurden verhaftet, als sie an der Demonstration teilnehmen wollten“, meldete[16] kurz darauf der Brüsseler Polizeisprecher. Doch es ging lediglich um die vermeintliche Gesinnung, denn den Festgenommenen wurde keinerlei Vorwurf gemacht: Weder führten sie verbotene Gegenstände mit, noch nahmen sie strafrechtlich relevante Handlungen vor. Vermutlich aus Protest gegen die „präventiven“ Massenfestnahmen wurden allerdings wenige Tage später mehrere Scheiben eines Polizeireviers beschädigt.

Beobachtung von Umwelt- und Tierrechtsaktivisten
Mit den antirassistischen und verkehrspolitischen Aktivisten geraten erneut linke Bewegungen in den Fokus von Europol. Erst kürzlich wurde offenkundig, dass die Polizeiagentur grenzüberschreitende Initiativen von Umwelt- und Tierrechtsaktivisten beobachtet. Während sich in entsprechenden Berichten bereits Einträge seit 2002 finden, datiert die Bundesregierung[17] den Beginn der Überwachung erst auf 2006. Europol wertet hierfür „öffentlich zugängliche Quellen“ aus. Analysiert werden Tierbefreiungen in Nerzfarmen, oder „Aktionen und Angriffe“ gegen Bekleidungsgeschäfte, die Pelzbekleidung verkaufen. Alle „Erkenntnisse“ werden in dem jährlichen „Terrorism Situation and Trend Report“ (TE-SAT) publiziert. Auf Grundlage der Informationen organisiert die Agentur regelmäßige Konferenzen zu „Tierrechtsextremismus“.

Die Beobachtungen werden in den weitgehenden Analysearbeitsdateien (AWF) abgelegt, die teilweise regelrechte Dossiers über Personen, Objekte oder Tathergänge enthalten können. Umwelt- und Tierrechtsaktivismus wird in der AWF „Dolphin“ gespeichert, die 2003 eingerichtet wurde. Das für die Datensammlung zuständige Fachreferat bei Europol ist die Organisationseinheit „O 4 Counter Terrorism“.

Ursprünglich sollte „Dolphin“ lediglich Informationen über jene terroristischen Gruppen bevorraten, die von der EU als „terroristisch“ eingestuft wurden und in deren halbjährlichen „Terrorlisten“ auftauchen („Zivile Todesstrafe“[18]). Bereits zwei Jahre nach ihrer Einführung hatte „Dolphin“ über 6.000 Einträge. Auch deutsche Polizeien liefern über das Bundeskriminalamt (BKA) Daten an die AWF „Dolphin“: Nämlich immer dann, wenn zwei oder mehr EU-Mitgliedstaaten von einer verfolgten Straftat betroffen sind. Das BKA legt vorher fest, ob „aufgrund des Umfangs, der Bedeutung und der Folgen der Straftat ein gemeinsames Vorgehen der EU-Mitgliedstaaten erforderlich ist“. Auch für die „Bedrohungsanalysen“ von Europol schickt die Wiesbadener Bundesbehörde vierteljährliche Berichte.

Nicht nur durch die Listung in der „Dolphin“-Datei werden die politischen Aktivisten kriminalisiert. Im Mai werden die zahlreichen Analysearbeitsdateien bei Europol neu strukturiert und fortan unter den beiden Schlagworten „Organisierte Kriminalität“ und „Terrorismus“ geführt. Wieder wird Umwelt- und Tierrechtsaktivismus dann unter „Terrorismus“ verschlagwortet. Die belgische Ratspräsidentschaft hatte 2010 angeregt, „Tierrechtsextremismus“ in die Europol-Analysedatei „Check the Web“ aufzunehmen, die bis dahin nur „islamistischen Terrorismus“ beobachtete. Offensichtlich verlief der Vorschlag aber im Sande.

Ziercke und die „Euro-Anarchisten“
Die jetzigen Initiativen gegen Anarchismus in der Europäischen Union bleiben jedoch ohne Blick auf den Chef des deutschen Bundeskriminalamts unverstanden. Jörg Ziercke war im Januar letzten Jahres vom Innenausschuss des Bundestages befragt[19] worden, wozu seine Behörde mit Großbritannien ausgiebig verdeckte Ermittler tauscht. Mehr als ein Dutzend britische Spitzel waren 2007 beim G8-Gipfel in Heiligendamm eingesetzt gewesen, fünf deutsche Polizisten zuvor 2005 beim G8-Gipfel im schottischen Gleneagles (Mit falschen Papieren gegen „Euro-Anarchisten“[20]).

Ziercke hatte die fragwürdige Heimlichtuerei gegen die damals international erstarkende Anti-G8-Bewegung mit einer „Europäisierung der Anarchoszene“ begründet. Deren Protagonisten aus Griechenland, Spanien, Großbritannien, Frankreich, Dänemark und Deutschland würden angeblich „schwerste Straftaten“ begehen. Deshalb müssten Polizeien laut Ziercke vermehrt „international und konspirativ“ agieren.

Jedoch blieben die orakelten „schwersten Straftaten“ beim G8 in Heiligendamm aus und wurden auch bei späteren Protesten nicht gesichtet. Hiernach befragt, setzt die Bundesregierung die erfolgreichen Gipfelproteste trotzig mit der „grenzüberschreitenden Versendung von Briefbomben“[21] gleich. Ins gleiche Horn stieß der BKA-Chef, der die in Heiligendamm eingesetzten britischen Spitzel gegen „Euroanarchisten, militante Linksextremisten und -terroristen“ am Werk sieht.

Zierckes Vokabular war aufschlussreich: Der Begriff „Euro-Anarchisten“ war bis dahin im deutschen Sprachraum nicht gebräuchlich. Erstmals eingeführt wurde er 2003 als angebliches „Kartell europäischer Anarchistengruppen“ vom damaligen italienischen Innenminister Guiseppe Pisanu. Anlass waren die Briefe mit Sprengstoff der F.A.I. an Europol und die EZB.

„Euro-Anarchisten“ scheinen jedoch längst zum gemeinsamen Oberbegriff der Polizeizusammenarbeit innerhalb der EU geworden sein. In diese fragwürdige Matrix werden auch alle anderen grenzüberschreitenden linken Bewegungen eingebaut, um sie leichter kriminalisieren und durchleuchten zu können.

Doch nicht nur Europas Polizeien organisieren sich gegen linke Bewegungen: Der als „gemeinsames Lagezentrum“ (SitCen) bezeichnete EU-Geheimdienst[22] widmet sich wie Europol dem „Phänomen ‚Anarchismus'“[23]. Im Oktober hatte der Dienst ein „Situation Assessment“ erstellt, für das Geheimdienste der Mitgliedstaaten Informationen anlieferten. Das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz steuerte „auf Anfrage von SitCen“ ebenfalls einen Beitrag bei. Weitere Berichte kamen aus Zypern, Spanien und Griechenland.

Auch Eurojust durchleuchtet linken Aktivismus. Die EU-Agentur zur justiziellen Zusammenarbeit vernetzt die Staatsanwaltschaften der Mitgliedstaaten und hat bereits mehrere Veranstaltungen zum Thema „Tierrechtsextremismus“ ausgerichtet. Vier deutsche Staatsanwälte und Richter sind mit dem „deutschen Tisch“ bei Eurojust beteiligt. Die Agentur gilt als „Keimzelle“[24] einer zukünftigen EU-Staatsanwaltschaft.

Links
[1] http://register.consilium.europa.eu/pdf/en/12/st07/st07705.en12.pdf
[1] http://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/deed.de
[2] http://www.europol.europa.eu/content/news/report-published-2011-european-police-chiefs-convention-and-opening-europols-new-headqu
[3] http://www.heise.de/tp/artikel/34/34337/1.html
[4] http://www.heise.de/tp/artikel/16/16475/1.html
[5] http://www.wiwo.de/politik/deutschland/politik-entsetzt-bekennerschreiben-nach-briefbombe-gegen-ackermann/5937312.html
[6] http://www.heise.de/tp/blogs/8/150994
[7] http://de.indymedia.org/2004/01/71110.shtml
[8] http://325.nostate.net/?tag=informal-anarchist-federation-fai
[9] http://linksunten.indymedia.org/de/node/51728
[10] http://www.heise.de/tp/artikel/35/35025/1.html
[11] http://linksunten.indymedia.org/de/node/55584
[12] http://www.afrique-europe-interact.net/index.php?article_id=544&clang=0
[13] http://www.noborderbxl.eu.org/spip.php?rubrique87
[14] http://linksunten.indymedia.org/de/node/31404
[15] http://www.heise.de/tp/artikel/34/34027/1.html
[16] http://datarecollective.net/node/21
[17] http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/089/1708961.pdf
[18] http://www.heise.de/tp/artikel/32/32482/1.html
[19] http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,741826,00.html
[20] http://www.heise.de/tp/artikel/34/34241/1.html
[21] http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/057/1705736.pdf
[22] http://euro-police.noblogs.org/2012/02/europa-will-hoch-hinaus-%E2%80%93-der-eu-geheimdienst-entsteht/
[23] http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/17/082/1708279.pdf
[24] http://www.lto.de/de/html/nachrichten/5676/zehn-jahre-eurojust-keimzelle-fuer-eine-echte-europaeische-staatsanwaltschaft/

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Mark Kennedy: la taupe de Tarnac https://indyhro.blackblogs.org/2012/03/18/mark-kennedy-la-taupe-de-tarnac/ Sun, 18 Mar 2012 17:22:45 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=1627 Continue reading Mark Kennedy: la taupe de Tarnac]]> Pendant sept ans et dans toute l’Europe, le policier anglais Mark Kennedy s’est fait passer pour un gauchiste radical. En France, il a fourni à la DCRI des informations sur les mis en examen de Tarnac. Récit d’une infiltration.

 

Son grand corps blond tatoué aux bras, sa queue de cheval et ses petits yeux qui louchent ont fait la une des journaux anglais en janvier 2011. Mark Stone, militant gauchiste international. Mais l’habit ne fait pas le rebelle : sous la fausse identité de Stone se cache le policier Mark Kennedy.

 

De 2003 à 2010, Stone/Kennedy a infiltré la gauche radicale anglaise et européenne. Il a vécu undercover chez les activistes écologistes, altermondialistes, anarchistes et antifascistes, partageant leurs repas, leurs fêtes, leurs manifs. Parfois leurs lits. Ils ont fini par découvrir sa trahison mais trop tard. Tout ce qu’ils faisaient et disaient depuis sept ans était déjà entre les mains de la police.

 

Stone a aussi œuvré en France. Il semble même avoir joué un rôle important dans l’affaire de Tarnac. Dans plusieurs pays européens, son rôle d’agent provocateur a suscité des scandales. En France, ses activités restent méconnues.

L’infiltration commence en 2002. Mark Kennedy, policier à Londres depuis huit ans, rejoint la National Public Order Intelligence Unit, une agence britannique qui surveille les „extrémistes domestiques“ (anarchistes, défenseurs de la cause animale…).

 

Sa mission débute en août 2003 : il doit s’immerger dans le milieu des écologistes radicaux et gagner leur confiance. Il enfile un bermuda, attache ses longs cheveux et se rend seul sur le campement du groupe écolo Earth First. Il s’y fait des amis et leur offre ses bras pour soutenir leur cause. Il donne même de l’argent. Il dit gagner sa vie à l’étranger comme alpiniste professionnel.

 

En 2009, des activistes commencent à se méfier


Avec les écolos britanniques, il débat, manifeste, danse et boit. Personne ne doute de ce militant si zélé, toujours prêt à accrocher une banderole sur une centrale électrique ou à conduire ses camarades sur les lieux d’une action dans son pick-up bleu. Pendant sept ans, il voyage. Dans onze pays, il infiltre et espionne, nous apprend un rapport de la police anglaise : réunions internationales, „camps climat“, villages alternatifs, contre-sommets.

 

Mais en 2009, malgré six ans de parfaite intégration, des activistes commencent à se méfier de lui. En avril, quand vingt-sept écolos sont arrêtés pour avoir planifié l’invasion d’une centrale à charbon, Mark est le seul à ne pas être poursuivi. En octobre 2010, sa petite amie, une militante, trouve dans son sac un passeport au nom de Mark Kennedy. Elle se confie à ses camarades.

 

Ensemble, ils enquêtent et trouvent des documents confirmant sa fausse identité. Ils comprennent que leur camarade est policier. Un matin, six personnes l’interrogent pendant plusieurs heures dans une maison de Nottingham, jusqu’à ce qu’il avoue. Ils le laissent partir et alertent le Guardian, qui révèle l’espionnage de l’extrême gauche par la police anglaise.

 

Un pied dans l’affaire de Tarnac


Quels dégâts a commis l’infiltré ? Durant toute la période où il a agi, les polices européennes se sont coordonnées. Elles ont échangé un maximum d’informations sur les déplacements internationaux des activistes, installé des dispositifs de sécurité inviolables lors des contre-sommets, surveillé au plus près les mouvements jugés potentiellement déstabilisateurs ou terroristes. Pièce clandestine de ce dispositif, Kennedy a surveillé des militants allemands, islandais, italiens, espagnols et français.

 

C’est ainsi qu’il met un pied dans l’affaire de Tarnac. Rappelons les événements de novembre 2008 : la police antiterroriste française lance un raid sur la ferme de Tarnac, en Corrèze, arrête là-bas et dans d’autres villes vingt personnes qu’elle soupçonne d’avoir comploté pour ébranler l’Etat en sabotant des voies SNCF. Dix sont mises en examen pour association de malfaiteurs en relation avec une entreprise terroriste.

 

En avril 2008, quand le parquet ouvre une enquête préliminaire sur ce groupe de Tarnac, il a très peu d’éléments. Il dispose du travail des Renseignements généraux (RG) sur certains de ces militants. Dans ces dossiers, plusieurs informations viennent de Mark Kennedy, qui travaillait aussi pour des policiers français. L’agent a croisé au moins trois fois les jeunes gens de Tarnac. A chaque fois, ses observations ont laissé une trace dans le dossier judiciaire établi contre les comploteurs présumés. „Il est à notre sens fort probable qu’il ait joué un rôle très important“, affirme Joseph Breham, l’un des avocats des mis en examen.

 

Le premier contact entre Stone et les habitants de Tarnac a lieu en février 2007 à Varsovie, en Pologne. Un vendredi, cent à deux cents militants venus de toute l’Europe se retrouvent dans une salle publique pour décider des actions à mener contre le G8 d’Heiligendhamn, prévu en juin.

Un autonome français de 30 ans participait à ce rassemblement. Il nous décrit les lieux : „Ça ressemblait à un centre social. Nous étions dans une salle où se tenaient parfois des concerts.“ Rien de secret : tous les débats sont annoncés sur des affiches et sur le site alternatif Indymedia. „C’était plutôt ouvert, ajoute notre témoin. Pas un truc black bloc clandestin.“ Dans la foule des altermondialistes, des activistes du réseau Dissent! et des partisans de Die Linke (l’équivalent du Parti de gauche en Allemagne), cinq personnes du „groupe de Tarnac“.

 

Sur la manière de contre-manifester au sommet du G8, les stratégies divergent. „Depuis Seattle et Gênes, c’est la discussion systématique : faut-il s’approcher de la zone rouge, bloquer les voies d’accès au sommet, faire autre chose ?“ Rodées aux contre-sommets, les polices européennes renforcent chaque année leur dispositif de sécurité. Il devient de plus en plus difficile pour les militants de s’approcher des lieux. C’est là que les cinq Français de Tarnac proposent un plan B : faire irruption par surprise à Hambourg ou Berlin, loin du sommet, là où les forces de police ne se seront pas déployées préventivement. Dans la salle, Mark Stone les écoute. Il est venu avec des militants écolos anglais.

 

„Notre seul lien avec la Pologne est cette réunion-là“


Un an après, en juin 2008, la direction des RG remet au ministre de l’Intérieur un rapport confidentiel-défense (publié en mars 2012 par Mediapart) intitulé : „De la contestation anti-CPE à la constitution d’un réseau préterroriste international : regard sur l’ultragauche française et européenne“. Dans ce rapport, trois personnes du groupe de Tarnac sont citées noir sur blanc comme ayant participé à la réunion de Varsovie. Le document les désigne comme „premier cercle“ d’un „groupe informel d’ultragauche de type autonome“ préparant des actions violentes en Europe.

 

A la même période, la police française demande l’ouverture d’une enquête préliminaire sur le groupe de Tarnac. Dans leur demande au procureur, les policiers s’inquiètent des „rendez-vous internationaux de la mouvance anarcho-autonome“ et citent comme premier exemple celui de la Pologne.

Pour les mis en examen de Tarnac, c’est une certitude : Mark Stone a révélé leur présence à Varsovie à la police française. L’un d’eux nous explique : „Le début de l’enquête policière se fonde sur nos prétendues relations à l’étranger. Notre seul lien avec la Pologne est cette réunion-là, à laquelle Stone a assisté. D’autres informateurs auraient pu signaler notre présence en Pologne, mais cela s’est répété ensuite : à chaque fois que Stone nous a croisés quelque part, des éléments sur nous ont atterri dans les dossiers de la police.“ Il se souvient du policier infiltré : „Tu voyais sa gueule, tu t’en rappelais. Il avait un œil qui regardait par là, il était un peu plus vieux que la plupart des participants et parlait anglais au milieu d’Allemands et de Polonais.“

„Du moment qu’il décide de vivre avec nous, c’est indétectable !“


Joël*, militant français du réseau Dissent!, actif dans l’organisation des contre-sommets, assistait à la réunion de Varsovie. Il y avait remarqué Stone parce qu’il l’avait déjà croisé pendant la préparation du contre-sommet de Gleneagles, en 2005.

„Pour moi, Mark faisait partie des gens qui avaient créé Dissent! en Angleterre. Je l’ai rencontré à Londres dans un squat qu’il avait ouvert avec des amis. Je ne lui ai pas vraiment parlé. Ce n’était pas quelqu’un qu’on abordait facilement : il était très british, un peu en retrait.“

Lorsque le policier est démasqué quatre ans plus tard en 2010, Joël n’en revient pas. „Pour éviter l’infiltration, on dit qu’il faut bien connaître les gens. Mais du moment qu’il décide de vivre comme nous, d’être parmi nous pendant des années, c’est indétectable ! Personne n’avait aucun doute à son sujet.“

Indétectable, indétecté, Mark Stone fait son nid dans des petits cercles de militants pourtant prudents. Un an après Varsovie, en janvier 2008, on le retrouve à New York. Accompagné d’un ami anarchiste américain qui vit en Angleterre, il est dans le bureau d’une activiste new-yorkaise, à Manhattan. Se joignent à eux un autre Américain, un Japonais vivant aux Etats-Unis et deux Français : Julien Coupat et sa compagne Yldune Lévy, en vacances à New York. Ils ne connaissent que l’ami américain de Mark. Celui-ci les invite à rencontrer ses copains.

 

„Ce sont des potes de potes de pays différents, avec à l’évidence des centres d’intérêt communs, qui se retrouvent au même endroit et discutent quelques heures, explique un proche de Julien Coupat. Tout le monde fait ça.“ Quel souvenir les participants de cette réunion gardent-ils de Mark Stone ? „Il avait toujours l’air normal, avec ses tatouages et ses piercings, comme un poisson dans l’eau“, raconte l’un d’eux.

D’après ce témoin, le policier infiltré avait expliqué qu’il était venu à New York „voir son frère“. Durant la réunion, Julien Coupat prend quelques notes dans son carnet. Ce jour-là, il griffonne ce prénom : „Mark“.


Quelques jours après, Julien Coupat et Yldune Lévy rentrent en France. Pour cela, ils franchissent la frontière Etats-Unis/Canada illégalement, en pleine nature, loin des douaniers. Pourquoi ? Pour entrer aux Etats-Unis, ils devaient posséder un passeport biométrique et donc donner leurs empreintes digitales. Comme ils s’y refusent, ils sont passés par le Canada, qui n’exige pas d’empreintes, en franchissant la frontière par les bois.

A l’aller, pas de problème. Au retour, des camarades américains les conduisent en voiture au plus près de la frontière puis les laissent la franchir à pied pour les récupérer côté canadien. Mais avant qu’ils ne se rejoignent, la police canadienne contrôle la voiture. Elle découvre le sac à dos de Julien Coupat, son permis de conduire, son carnet et des photos de Times Square. Comprenant que le Français a dû franchir la frontière illégalement, la police canadienne saisit ses affaires, qui lui seront par la suite restituées.

 

Qui pouvait révéler aux RG la présence des Français à Manhattan ?


Quatre mois plus tard, en France, la Sous-division antiterroriste (Sdat) demande au procureur d’ouvrir une enquête préliminaire sur le groupe de Tarnac, dont aucun membre n’a encore été arrêté. La police antiterroriste motive sa demande en dressant le portrait d’une „structure clandestine anarcho-autonome entretenant des relations conspiratives avec des militants de la même idéologie implantés à l’étranger“.


Pour le prouver, les policiers citent le voyage américain de Julien Coupat et Yldune Lévy, leur passage clandestin de la frontière et leur participation à une „réunion d’anarchistes américains à New York“. Ils évoquent également un engin incendiaire lancé contre un centre de recrutement de l’armée américaine à Times Square, pour lequel l’enquête n’a trouvé aucun coupable. La police américaine a pourtant écarté une participation des Français à cette attaque puisqu’ils avaient déjà quitté les Etats-Unis.

 

Dans leur lettre au procureur, les policiers de la Sdat affirment que ces informations leur ont été fournies par les RG. Qui pouvait révéler aux RG la présence des deux Français à la petite réunion anarchiste de Manhattan ? Les mis en examen confirment que leurs soupçons se portent sur Mark. L’un deux précise : „Les Américains présents ce jour-là ont par la suite été inquiétés par la police : ça ne peut donc pas être eux qui ont informé les policiers français. Reste le Japonais et Stone. Vu ce qu’on sait de lui maintenant, j’en déduis que l’information vient de Stone.“

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Affäre um britischen Spitzel Mark Kennedy Offensive als Ablenkung https://indyhro.blackblogs.org/2011/02/28/affare-um-britischen-spitzel-mark-kennedy-offensive-als-ablenkung/ Mon, 28 Feb 2011 20:45:02 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=1625 Continue reading Affäre um britischen Spitzel Mark Kennedy Offensive als Ablenkung]]> Nach Oppositionspolitikern in Bund und Ländern fordert jetzt auch Berlins Innensenator Konsquenzen in der Spitzelaffäre um Mark Kenndey. Das soll vor allem eins: ablenken.

 

von Martin Kaul

 

BERLIN taz | Erst war er unwissend, dann uninteressiert, jetzt geht er in die Offensive. Und eigentlich wäre es ein voller Erfolg: Nachdem Berlins Innensenator Erhart Körting (SPD) in der Affäre um den umstrittenen Einsatz eines britischen Spitzels in Berlin lange tatenlos blieb, forderte der SPD-Mann am Montag nun, Konsequenzen aus der Affäre zu ziehen.

 

Am Rande einer Sitzung des Innenausschusses im Berliner Abgeordnetenhaus sagte der Senator der taz: „Dieser Einsatz hat eindeutig in einem Graubereich stattgefunden, der für künftige Fälle geregelt werden muss.“ Ein klarer Satz – und ein Novum. Denn in der Vergangenheit hatten die Innenminister der Bundesländer vor allem gemauert, wenn es um die dubiosen Einsätze des britischen Spitzels Mark Kennedy in Deutschland ging. Der kürzlich enttarnte Spitzel hatte jahrelang in verschiedenen europäischen Ländern und in Deutschland die linke Szene ausspioniert. Beim G8-Gipfel in Heiligendamm war er aktiv, bei Anti-Nato-Protesten in Baden-Baden. Und überall wussten die zuständigen Innenminister zumindest, dass der Polizist im Einsatz war.

 

Doch gerade dort, wo Kennedy am auffälligsten wurde, wollten die politisch Verantwortlichen erst nichts gewusst haben, und sich dann auch um nichts kümmern: in Berlin. Gerade dort war der Undercover-Agent sogar polizeilich aufgefallen als die Berliner Polizei den Spitzel im Dezember 2007 unter dem Tarnnamen „Mark Stone“ bei dem Versuch, eine Mülltonne in Brand zu stecken, festgenommen hatte.

 

Doch die Berliner Sicherheitsbehörden waren vor allem auffällig uninformiert: Sie wollen erst im nachhinein davon erfahren haben, dass es sich bei „Stone“ um einen Polizisten gehandelt hat. Das Berliner LKA, so Körting, sei zwar vom BKA abstrakt darüber informiert worden, dass sich ein britischer Beamter – angeblich zur Legendenbildung – in Berlin aufhalte. Über Namen und konkrete Details allerdings hätten in Berlin nie Kenntnisse bestanden. Einen Ermittlungsauftrag Berliner Behörden, so wiederholte Körting auch am Montag, habe der Brite nicht gehabt.

 

Diese Aussagen hätten nun beinahe brenzlig für den Berliner Innensenator werden können: Nachdem der Wortlaut eines vetraulichen Bundestagsprotokolls öffentlich geworden war, in dem der BKA-Chef Jörg Ziercke von einer „Aktion“ in Berlin und einer „klaren Zustimmung des zuständigen Landes Berlin“ gesprochen hatte, waren Zweifel an der Darstellung Körtings aufgetaucht. Ziercke hatte demnach vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages in vertraulicher Sitzung auch geäußert, er könne Körtings Einlassungen nicht verstehen. Denn tatsächlich war in Berlin eine Frage stets offen geblieben: Obwohl Kennedy von Berliner Polizisten beim Brandlegen erwischt worden war und Körting nach eigener Darstellung nichts von dem Einsatz gewusst haben will, machte er bis zuletzt keine Anstalten aufzuklären, was Kennedy denn noch alles in der Hauptstadt getrieben haben könnte – und durch wen er dazu legitimiert war. Bislang hatte es gegenüber der taz von Seiten des Berliner Senats geheißen, die Frage „nach weiterreichenden Informationspflichten“ stelle sich dem Senator nicht.

 

Montag dann war vielleicht so ein Tag der Wende. Und es war eine Wende, die auf Druck basierte. Im Bundestag verlangen Politiker wie der Grünen-Parlamentarier Hans-Christian Ströbele und der Linksfraktionsabgeordnete Andrej Hunko Aufklärung, in Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg arbeiten Oppositionspolitiker den „Fall Kennedy“ auf. Und in Berlin drückt der Innenpolitiker Benedikt Lux (Grüne) aufs Tempo, setzte die Affäre am Montag erneut auf die Tagesordnung des Innenausschusses.

 

Dort sagte Körting zunächst nichts Neues, im Anschluss an die Sitzung gegenüber der taz dann aber doch: „Ich möchte in Zukunft gerne wissen, welche ausländischen Agenten hier in Berlin herumwuseln.“ Gemeinsam mit dem BKA müsse angesichts des „Graubereiches“ beim Einsatz ausländischer Ermittler nun geklärt werden, wie mit künftigen Fällen hierzulande umzugehen sei. Auf welcher Ebene Körting nun den „Graubereich“ des grenzüberschreitenden Spitzeleinsatzes reglementieren will, konkretisierte er nicht.

 

Handlungsbedarf gibt es aber allemal. Denn ausländische Verdeckte Ermittler operieren in Deutschland mit wesentlich größeren Freiräumen als ihre deutschen Kollegen. Weil die internationalen Spitzel von deutschen Behörden nicht als Ermittler, sondern nur als private „Vertrauenspersonen“ eingestuft werden, können sie getrost sämtliche Auflagen ignorieren, die für deutsche Beamte hier gelten würden. Für deutsche Sicherheitsdienste sind die Spitzel aus dem Ausland daher gern gesehene Gäste. Doch weil – wie der Fall Kennedy zeigt – Rechtsgrundlagen häufig unklar und tatsächliche Ermittlungsaufträge kaum aufzuklären sind, haben Politiker aus dem Bundestag sowie aus verschiedenen Landesparlamenten in den vergangenen Wochen immer wieder eindeutige rechtliche Regelungen gefordert.

 

Körting ist nun der erste Landesinnenminister, der sich auch dieser Aufgabe annehmen könnte – wenn er es denn ernst meint mit der Regelung der „Graubereiche“. Doch ob das so ist, muss sich erst noch erweisen. Seine plötzliche Charme-Offensive könnte auch einen anderen Grund haben: Dass Körtings Behörde einfach selbst verwuselt ist. Denn so wie es aussieht, war es gerade ein Mitarbeiter im Berliner LKA, der mit den Hinweisen aus dem BKA nur zu fahrlässig umgegangen sein könnte. Er soll, nachdem er telefonisch abstrakt über den Einsatz eines britischen Ermittlers informiert worden sein soll, weder seine Vorgesetzten informiert noch einen Aktenvermerk angelegt haben. Das heißt: Irgendjemand in Berlins Sicherheitsbehörden wusste durchaus, dass ein Kennedy hier unterwegs war. Nur sollte es bitte sonst niemand wissen. Erst recht nicht die Chefs. Ehrhart Körting hält das für ganz selbstverständlich. Bis Sonntag wollte er nicht einmal wissen, wer bei ihm so wuselt. Jetzt will er den Graubereich regeln. Vielleicht ja auch den Graubereich in seinen eigenen Reihen.

 

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Enttarnter Spitzel Mark Kennedy: Das große Mauern https://indyhro.blackblogs.org/2011/02/18/enttarnter-spitzel-mark-kennedy-das-grose-mauern/ Fri, 18 Feb 2011 20:08:21 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=1623 Continue reading Enttarnter Spitzel Mark Kennedy: Das große Mauern]]> Dass er Straftaten beging, ist aktenkundig – doch noch immer verweigern Landesregierungen die Aufklärung im Fall des Verdeckten Ermittlers Mark Kennedy.

 

Von Martin Kaul

 

Immerhin: In Baden-Württemberg hat der Innenminister überhaupt mal etwas gesagt. Als dort am Mittwochabend der Innenausschuss gleich sechs Anträge zu Verdeckten Ermittlern im Ländle zu beraten hatte, konnte auch Innenminister Heribert Rech (CDU) nicht mehr vollends mauern. Was der Hardliner allerdings zu Protokoll gab, wird die Öffentlichkeit auch weiterhin nicht erfahren dürfen. „VS – nur für den Dienstgebrauch“ steht auf den Akten.

 

Doch damit sind die Innenpolitiker in Baden-Württemberg bereits in einer komfortablen Situation: Sie dürfen überhaupt etwas über jenen umstrittenen Spitzeleinsatz des britischen Verdeckten Ermittlers Mark Kennedy in Deutschland erfahren, den der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Jörg Ziercke, im Deutschen Bundestag als „aus dem Ruder gelaufen“ bezeichnet hatte.

 

Doch: Wochen nachdem Ziercke vor Parlamentariern des Bundestages diese deutlichen Worte fand, mauern die meisten Landesregierungen noch immer – und verwehren selbst den zuständigen Parlamentariern Auskünfte über den dubiosen Einsatz. Dabei steht fest: Dass der vom britischen Scotland Yard bezahlte Ermittler in Deutschland auch an Straftaten beteiligt gewesen sein könnte, ist offenkundig.

 

In Berlin bestätigte gar der dortige Polizeichef, dass Kennedy festgehalten worden war, als er versucht hatte, einen Brand zu entzünden. Wo es zu Verfahren gegen Kennedy kam, wurden diese aber stets eingestellt – so wie in Großbritanien, wo die Geschichte des Spitzels erst durch ein geplatztes Gerichtsverfahren öffentlich wurde.

 

Was der heute flüchtige, aber geständige Spitzel, der über Jahre hinweg in ganz Europa die linke Szene ausspioniert hat, tatsächlich in Deutschland getrieben hat – und ob er damit gegen geltendes Recht verstoßen hat, bleibt damit weiterhin unaufgeklärt. Das empört nicht nur jene Aktivisten, die direkt mit Kennedy zu tun hatten, sondern mittlerweile auch die zuständigen Parlamantarier im Bundestag und in den Landesparlamenten. So ist derzeit neben Baden-Württemberg auch in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Hamburg die Frage offen, was genau Kennedy in den Ländern unternommen hat – und in welchem Auftrag sowie mit welcher deutschen Beteiligung der britische Aktivist dort im Einsatz war.

 

Was die Länder gemeinsam haben: Sie alle halten es nicht für nötig, Licht ins Dunkel zu bringen.

 

Am gravierendsten ist die Situation in Berlin: Obwohl Kennedy in der Hauptstadt polizeilich auffällig wurde und Berlins Behörden nach Aussagen des Innensenators Ehrhart Körting (SPD) niemals konkret über den Einsatz von Kennedy, sondern nur allgemein, ohne Namensnennung und telefonisch vom BKA darüber in Kenntnis gesetzt worden sein wollen, dass ein Beamte aus Großbritannien in Berlin sei, sieht der rot-rote Senat dennoch keinen Bedarf, zu prüfen, was Kennedy so alles getrieben hat – und auf welcher Rechtsgrundlage. Gegenüber der taz sagte eine Sprecherin, für den Innensenator stelle „sich die Frage nach weiterreichenden Informationspflichten nicht“.

 

Der Berliner Innenpolitiker Benedikt Lux (Grüne) sagt dagegen: „So wie sich Mark Kennedy in Berlin aufgeführt hat, muss die Landesregierung beim BKA und den anderen Polizeibehörden protestieren – und vor allem auch lückenlos aufklären.“ Der Berliner Innensenator versuche sich selbst durch Nichtwissen zu schützen, sagte Lux der taz und ruft deshalb Betroffene, die Hinweise zum Einsatz Mark Kennedys in Berlin und Deutschland geben können, dazu auf, sich bei ihm zu melden.

 

Ähnlich ergeht es seiner Kollegin in Hamburg. In der Hansestadt, wo Kennedy Kontakt zu einem linken Kaffeekollektiv gehabt haben soll, beantwortete der Senat die Kleine Anfrage der Innenpolitikerin Antje Möller (GAL) mit exakt 27 Worten. Inhalt: Wir sagen gar nichts. Weil sich Möller in der Ausübung ihres Mandats eingeschränkt sieht, hat die Parlamentarierin nun sogar Beschwerde beim Präsidium der Hamburger Bürgerschaft eingereicht – was das bringt, ist noch offen. Am Sonntag wird in Hamburg neu gewählt.

 

Auch in Mecklenburg-Vorpommern, wo der Einsatz Kennedys im Rahmen des G8-Gipfels von Heiligendamm verbrieft ist und Kennedy nach eigener Aussage direkt in polizeiliche Lageanalysen eingebunden war, mauert das CDU-geführte Innenministerium. Dort sieht der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion, Peter Ritter, „weiterhin Klärungsbedarf“, weil im Fall Kennedy „weiter beschönigt und verheimlicht“ werde.

 

Diese Gesamtschau erregt im Deutschen Bundestag wiederum den Grünen-Politiker Hans-Christian Ströbele, der gegenüber der taz eine weitere Initiative der Grünen im Parlament ankündigt: „Im Moment wird nur auf Verwirrung und auf Ausschweigen gesetzt. Dabei sind in der Sache noch zahlreiche Fragen offen. Es gibt noch immer widersprüchliche Angaben darüber, in welchem Umfang sich Kennedy an Straftaten beteiligt haben könnte“, sagte Ströbele der taz. Vor allem müsse nun auch geklärt werden, wer denn die zuverlässige Kontrolle und Federführung im Fall habe.

 

Ströbele fordert nun die Bundesregierung auf, auch die rechtliche Situation ausländischer Verdeckter Ermittler im Einsatz in Deutschland zu prüfen. Hintergrund ist, dass deutsche Sicherheitsbehörden Mark Kennedy als private „Vertrauensperson“ einstufen dürfen und nicht als „Verdeckten Ermittler“, obwohl er zweifelsfrei als von britischen Behörden bezahlter Polizist im Einsatz war.

 

Auf diese Weise würden für ausländische Polizisten in Deutschland nicht die deutschen Gesetze für Polizisten hierzulande gelten – ein rechtsfreier Raum, der den Einsatz ausländischer Spitzel besonders attraktiv machen könnte. „Es kann nicht sein, das Polizisten wie Privatpersonen behandelt werden und dass im Namen der Europäischen Polizeizusammenarbeit einfach Grundrechte der Bürger ausgehebelt werden“, sagt Ströbele. „Für alle Verdeckten Ermittler aus dem Ausland müssen mindestens die selben Regeln gelten wie für deutsche Ermittler.“

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Spitzel: Jagdszenen mit Danielle https://indyhro.blackblogs.org/2011/02/04/spitzel-jagdszenen-mit-danielle/ Fri, 04 Feb 2011 18:00:33 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=1621 Continue reading Spitzel: Jagdszenen mit Danielle]]> Verdeckte Ermittler werden eingesetzt, um Terror und Kriminalität zu bekämpfen. Das ist die offizielle Version. Tatsächlich spionieren sie oft linke und alternative Szenen aus. Das zeigen etliche Enttarnungen in der jüngeren Vergangenheit.

 

Vor dem Kreisgericht in Wiener Neustadt geht an diesem Freitag ein Prozess in den 68. Verhandlungstag, der in Österreich als Skandal gilt, schon weil er überhaupt begonnen hat. Auf der Anklagebank sitzen 13 Tierschützer, die sich des Vorwurfs erwehren müssen, eine kriminelle Vereinigung gegründet zu haben. In den Zeugenstand wird wieder eine junge Frau treten, die nur mit ihrem Decknamen „Danielle Durand“ angesprochen werden darf, über dem blonden Haar trägt sie wie immer eine braune Perücke, um nicht erkannt zu werden.

 

„Danielle Durand“ hat eineinhalb Jahre lang den Wiener „Verein gegen Tierfabriken“ ausgehorcht, sie hat sich als überzeugte Aktivistin ausgegeben und doch nur Daten gesammelt – darunter Emails, Gespräche, an Fruchtsaftflaschen haftende DNA-Spuren. Die 32-Jährige lieferte Informationen über „Tiertransportblockaden“ und „Jagdstörungen“ an ihren Einsatzleiter. „Danielle Durand“ ist eine Wiener Polizistin.

 

Teil der EU-Sicherheitsstrategie

Verdeckte Ermittler, das ist auch schon die Ironie der Geschichte, sind neben der Debatte um die Vorratsdatenspeicherung von Fluggastdaten zum sichtbarsten Teil einer sich wandelnden Sicherheitsstrategie der Europäischen Union geworden. Vordergründig geht es in den Plänen der EU-Kommission um Terrorismus und organisierte Kriminalität, seit aber immer mehr verdeckte Ermittler enttarnt werden, wird deutlich, dass mehr dahinter steht: Der deutsche Polizist „Simon Brenner“ folgte Heidelberger Antifaschisten bis nach Brüssel, sein britischer Kollege „Mark Stone“ pflegte seine Tarnung unter Berliner Globalisierungskritikern. Und die mit einer französischen Legende ausgestattete Österreicherin „Danielle Durand“ reiste mit den Tierschützern bis ins niederländische Appelscha und ins schweizerische Luzern. Wie weit die ebenfalls enttarnten Briten „Lynn Watson“ und „Marco Jacobs“ kamen, ist noch unklar.

 

Viel gefunden haben sie alle nicht. Eher wurden sie selbst straffällig, blockierten Straßen (wie „Brenner“), zündeten Mülleimer an (wie „Stone“), gingen sexuelle Beziehungen mit Zielpersonen ein (wie „Stone“ und „Durand“). Seither geht es weniger um das, was sie als Ermittler zutage förderten als um die Probleme, die sie dabei aufwerfen.

 

Im Einzelfall, sagt der SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz, könne der Einsatz verdeckter Ermittler sinnvoll sein. „Aber die rechtliche Grundlage für den Einsatz ausländischer verdeckter Ermittler muss klarer gefasst werden. Das ist alles viel zu schwammig.“ Da gibt es das EU-Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen, auf das die Bundesregierung in einer Anfrage zum Fall „Stone“ verweist. Es regelt die Strafverfolgung, aber nicht die Gefahrenabwehr, auf die sich das Bundeskriminalamt beim Einsatz des Briten beruft. Und dann gibt es noch den Prümer Vertrag, er erlaubt es EU-Mitgliedsstaaten, aus anderen Ländern „Beamte, Spezialisten und Berater“ anzufordern. Von verdeckten Ermittlern ist darin nicht die Rede.

 

Dennoch werden sie eingesetzt. Juristen wie der Heidelberger Strafrechtsprofessor Thomas Hillenkamp, an dessen Universität „Simon Brenner“ eingeschrieben war, sehen das kritisch. „Der Einsatz von verdeckten Ermittlern gegen die Mafia leuchtet jedem ein“, sagt er. Würden aber harmlose Gruppen infilitriert, „ist das unverhältnismäßig“.

 

Nach Ansicht des FDP-Europaabgeordneten Alexander Alvaro geschieht es zudem „im luftleeren Raum“. Alvaro, einer von wenigen Brüsseler Abgeordneten, die sich intensiv mit dem Thema befassen, vermutet, dass es noch mehr Fälle gibt, „in denen Ermittler gezielt politische Gruppierungen ausforschen, ohne dass es dafür einen rechtlichen Rahmen gibt“. Die EU verlasse damit den Pfad der Rechtsstaatlichkeit.

 

In Deutschland geht das bereits so weit, dass ausländische verdeckte Ermittler, die eindeutig Polizisten sind, juristisch wie V-Leute behandelt werden, also wie Informanten aus dem zu überwachenden Milieu. So geht es aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Linken-Anfrage zum Fall „Stone“ hervor. Das ist praktisch, denn Beschränkungen, die für Ermittler etwa bei Beziehungen mit Zielpersonen gelten, müssen so nicht beachtet werden.

 

Die Bundesregierung liegt damit voll auf der Linie, die sie während ihrer EU-Ratspräsidentschaft von 2007 selbst vorgezeichnet hat. In einem Vermerk heißt es schon damals, die „bisherigen Erfahrungen“ zeigten, dass ausländische verdeckte Ermittler „in gewissen Konstellationen leichter in kriminelle Vereinigungen eingeschleust werden können“. Die Themen der zugehörigen Arbeitsgruppen machen klar, was mit „kriminellen Vereinigungen“ gemeint ist. Danach geht es nur zu einem Teil um Mafia und Terror, häufiger fällt ein anderes Stichwort: Crowd Control, die Kontrolle über Menschenmengen.

 

Im Visier: die Meinungsfreiheit

Er könne sich nicht erinnern, dass das je Gesetz geworden sei, sagt Alvaro. „Angewendet wird es aber offenbar trotzdem.“

Die Tendenz zur Infiltration von Protestbewegungen sei „offensichtlich“, sagt der Linken-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko. „Diese Einsätze richten sich gegen richtige und notwendige Widerstandsbewegungen.“ Ermittelt wird dann letztlich vor allem gegen eines: die Meinungs- und Demonstrationsfreiheit.

 

Alvaro kennt noch andere Vorhaben, „bei denen die EU-Kommission in Sicherheitsfragen derzeit ihrer Phantasie freien Lauf lässt“. Mit dem Forschungsprojekt „Indect“ etwa werde versucht, die Vielzahl von Informationen aus dem Internet, aus Datenbanken und von Überwachungskameras zu verbinden. So sollen „Gewalt, „Bedrohungen“ und „abnormales Verhalten“ gefunden und die zugehörigen „beweglichen Objekte“, also Menschen, observiert werden. Fast 15 Millionen Euro lässt sich die EU das kosten, auf deutscher Seite daran beteiligt ist die Bergische Universität in Wuppertal. Einen Testlauf soll es zur Fußball-EM 2012 geben.

 

Mit Begriffen wie „Unschuldsvermutung“ und „gerichtsfester Beweis“ hat das alles nicht mehr viel zu tun. „Es ist eine besorgniserregende Vorstellung“, sagt Alvaro. Wie gegen die Speicherung von Fluggastdaten erwartet er auch bei „Indect“ erheblichen Widerstand im EU-Parlament.

 

Sollte der automatische Bevölkerungsscanner jedoch irgendwann funktionieren, wüssten die Ermittler dann wenigstens, wo sie eigentlich ermitteln müssen. Denn damit scheint es bislang nicht allzu weit her zu sein. „Simon Brenner“ fand in Heidelberg nichts, was ein Gericht interessiert hätte. Stattdessen wurde er gefunden, von einer Urlaubsliebschaft, die ihn enttarnte. Und „Mark Stone“ fiel als „Agent provocateur“ in Heiligendamm eher selbst auf, als dass er anderen kriminelle Umtriebe nachwies.

 

Viel gefunden auch „Danielle Durand“ nicht. Der Prozess in Wiener Neustadt dauert auch deshalb schon so extrem lange, weil die Beweislage extrem dünn ist.

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Seit wann ist Polizistenverleih Standard? Leih mir deinen Spitzel https://indyhro.blackblogs.org/2011/01/28/seit-wann-ist-polizistenverleih-standard-leih-mir-deinen-spitzel/ Fri, 28 Jan 2011 06:48:55 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=2431 Continue reading Seit wann ist Polizistenverleih Standard? Leih mir deinen Spitzel]]>  

KOMMENTAR VON OTTO DIEDERICHS

Nun ist es also amtlich: Über Jahre hat sich ein Undercover-Agent der britischen Polizei in Europas linken Szenen herumgetrieben. Darunter auch mehrfach in Deutschland. Dies hat Jörg Ziercke, der Präsident des Bundeskriminalamtes, nun im Bundestagsinnenausschuss offiziell bestätigt und dabei gleich erklärt, dieser sei dabei auch in strafbare Handlungen verwickelt gewesen. Bei SPD, Grünen und Linkspartei rufen die Innenpolitiker jetzt „Skandal!“.

 

 

Der Alarmruf ist richtig – aber er erfolgt an der falschen Stelle. Nicht die Straftaten des angeblichen „Mark Kennedy“ sind der Skandal; ohne die sogenannten szenetypischen Straftaten kann sich kein Spitzel lange halten. Alle wissen dies und der Aufschrei hat rein rituellen Charakter.

 

Unterzugehen droht dabei allerdings ein viel schwerwiegenderer Aspekt, den Ziercke en passant gleich mit offenbart hat: Die Innenministerien in Mecklenburg-Vorpommern und Baden-Württemberg hätten um den Einsatz des Briten ausdrücklich gebeten und dabei auf ein standardisiertes Verfahren zurückgegriffen. Unbemerkt von der Öffentlichkeit hat sich somit offenbar im geeinten Europa ein System etabliert, bei dem sich die nationalen Polizeien bei Bedarf ungeniert schnell mal eben Beamte anderer Länder ausleihen können.

 

Seit wann ist ein solcher Polizistenverleih Standard? Wie viele Italiener, Spanier oder Dänen sind in ähnlichen Missionen in Europa und Deutschland unterwegs? Wie viele deutsche Beamte tummeln sich in fremden Szenen? Nicht zuletzt: Wie und von wem werden solche Einsätze kontrolliert? Dies sind die Fragen, um die sich die Sicherheitspolitiker in Bund und Ländern nun kümmern müssen. Lautes Geschrei um brennende Müllcontainer hilft nicht weiter, es lenkt nur ab.

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Ein Spitzel auf Europatour https://indyhro.blackblogs.org/2011/01/28/ein-spitzel-auf-europatour/ Fri, 28 Jan 2011 06:45:34 +0000 http://indyhro.blackblogs.org/?p=1619 Continue reading Ein Spitzel auf Europatour]]> Aktivisten hielten Mark Kennedy für einen Kumpel. Nun werden Tag für Tag neue Details über den verdeckten Ermittler bekannt. War er ein „Agent Provocateur“?

 

 

Der Mark, so dachte Jason Kirkpatrick, der ist ein echter Kumpel. Einer, mit dem man was auf die Beine stellen kann.

Seit sechs Jahren kannte der in Berlin lebende US-Amerikaner den Briten Mark Stone, sie hatten sich bei einer Aktion vor dem G-8-Gipfel im schottischen Gleneagles kennen gelernt. 2007 trafen sie sich in Deutschland bei Vorbereitungstreffs zu den Protesten gegen den G-8-Gipfel in Heiligendamm. Wann immer Mark in Berlin war, konnte er bei Jason Kirkpatrick übernachten.

 

Nun musste der Filmemacher, Anarchist und einstige grüne Vizebürgermeister einer kalifornischen Kleinstadt erfahren, dass Mark kein Kumpel war. Dass er in Wirklichkeit auch nicht Stone heißt, sondern Kennedy. Und dass er jahrelang als britischer Undercover-Polizist linke Gruppen in ganz Europa ausspähte.

 

Kirkpatrick hätte stutzig werden können. „Mark hatte schon einen Internet-Stick am Laptop, als noch niemand so ein Ding hatte“, sagt er. Er habe das Geld locker sitzen gehabt, ständig Getränke ausgegeben, Fahrten organisiert. Heute ergibt das alles einen Sinn. „Er hat mich betrogen und ausgenutzt“, sagt Kirkpatrick. „Das ist so zum Kotzen.“

 

Dutzenden linken Aktivisten in ganz Europa geht es wie ihm. Täglich werden neue Details bekannt, wie systematisch der Scotland-Yard-Mann Umweltaktivisten und Globalisierungskritiker ausspähte. Immer wenn es hoch herging: Kennedy war dabei.

 

So soll er sich etwa im Auftrag der dänischen Polizei an der Besetzung des Jugendzentrums „Jagtvej 69“ in Kopenhagen beteiligt haben. Dessen Räumung im März 2007 hatte wochenlang zu Protesten geführt. Die Polizei verweigert bislang eine Stellungnahme. Auch die isländische Polizei mauert, was Meldungen angeht, wonach Kennedy in ihrem Auftrag die Umweltbewegung „Saving Iceland“ infiltriert haben soll. Die organisierte 2005 Proteste gegen den Aluminiumkonzern Alcoa und einen umstrittenen Staudammbau.

 

In mehr als 20 Ländern soll der verdeckte Ermittler Kennedy unterwegs gewesen sein, darunter Irland, Spanien, Island, Italien – und eben Deutschland.

 

Hier kommt nun Schwung in die Debatte, nachdem am Mittwoch im Innenausschuss des Bundestags Jörg Ziercke, Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), den Einsatz des verdeckten Ermittlers in Deutschland einräumte, die Verantwortung aber auf die Bundesländer abschob, in denen Kennedy aktiv war. Demnach gab es über dessen Einsatz einen Vertrag zwischen den Briten und Mecklenburg-Vorpommern, wo im Juni 2007 der G-8-Gipfel stattfand. Eine ähnliche Vereinbarung soll es im Zusammenhang mit dem Nato-Gipfel in Baden-Baden und Straßburg im April 2009 auch mit Baden-Württemberg gegeben haben. Die Innenministerien der beiden Länder wollten sich dazu am Donnerstag nicht äußern. Dort ist man stinksauer, dass die Angelegenheit überhaupt öffentlich wurde.

 

Brisant ist, dass bei der vertraulichen Sitzung im Innenausschuss auch zwei mögliche Straftaten Kennedys eingeräumt wurden. So beteiligte er sich in Heiligendamm an einer Straßenblockade. In Berlin versuchte er, bei einer Demo eine Mülltonne abzufackeln. Die Aktion im Dezember 2007 ist besonders merkwürdig. Denn angeblich sollte Kennedy in Berlin nicht als verdeckter Ermittler eingesetzt werden, so BKA-Chef Ziercke, sondern sich nur zur Aufrechterhaltung seiner Legende herumtreiben. Unaufgeklärt ist auch, was der einstige Weggefährte Jason Kirkpatrick erzählt: dass Kennedy einmal angeboten habe, er könne mit ein paar Kumpels nach Deutschland kommen, um Neonazis aufzumischen.

 

War Kennedy mehr als ein Spitzel? Ein Agent Provocateur, der die linke Szene anstachelte?

 

Dazu passt, was die Sozialanthropologin Stine Krøijer in der dänischen Tageszeitung Information berichtet. Sie sei im Vorfeld des Klimagipfels von Kopenhagen 2009 und bei Recherchen für eine Promotion über die Planung von Protestaktionen auf Kennedy aufmerksam geworden. Der habe dort „Aktivisten aufgehetzt und provoziert“ und womöglich dazu beigetragen, dass „die Entwicklung sich in eine radikalere Richtung bewegte als ohne sein Engagement“, sagt Krøijer.

 

Vorher habe sie Kennedy und einen mittlerweile ebenfalls enttarnten Polizeispitzel Anfang 2009 auf einem Vorbereitungstreffen zu Protesten im Umfeld des Nato-Gipfels in Baden-Baden und Straßburg getroffen. Auch hier hätten beide für militante Aktionen plädiert – und dafür, „dass es Frieden mit Cops nicht geben kann“.

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