Basisgemeinden – Kein Paradies https://keinparadies.blackblogs.org Politik und Kirche Sat, 13 Mar 2021 20:10:18 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://keinparadies.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1645/2021/03/cropped-KP_1-1-32x32.jpg Basisgemeinden – Kein Paradies https://keinparadies.blackblogs.org 32 32 Wenn das Gebet nicht mehr reicht (07. Februar 2020) https://keinparadies.blackblogs.org/2020/02/14/wenn-das-gebet-nicht-mehr-reicht-07-februar-2020/ Fri, 14 Feb 2020 14:16:43 +0000 http://keinparadies.blackblogs.org/?p=72 Continue reading "Wenn das Gebet nicht mehr reicht (07. Februar 2020)"

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Am Freitag den 07. Februar 2020 trafen sich 40 Personen im Gemeindehaus der katholischen Gemeinde St. Peter und Paul Markkleeberg zu einem befreiungstheologischen Abend.

Der kleine Gemeindesaal war mit 40 Besucherinnen und Besuchern prall gefüllt. Im Publikum befanden sich neben Jugendlichen der katholischen Dekanatsjugend auch Mitglieder der Gemeinden Markkleeberg und Connewitz sowie Priester, Diakone und politische Verbündete ohne kirchlichen Bezug.

Teología de la liberación

Diakon Timo Niegsch (Pfarrei Leipzig-Süd) eröffnete den Abend mit einem historischen Abriss der Befreiungstheologie, indem er unterschiedliche Strömungen skizzierte und wichtige Vertreter, wie beispielsweise Oscar Romero, Ernesto Cardenal oder Camillo Torres, vorstellte. Respekt, Anerkennung und Begeisterung für die Menschen und ihre Überzeugungen waren im Publikum zu spüren. Anschließend wurde die Frage der „strukturellen Sünde“ aufgeworfen, welche den „sündhaften“ Mensch als Teil eines sündhaften Systems versteht. Der Kapitalismus zwingt hungernde Menschen zum Diebstahl, da weder der Hunger allein noch ein Gebet Brot auf den Teller bringt. Der christliche Auftrag besteht folglich darin, die Herrschaftsverhältnisse der Ungerechtigkeit zu zerschlagen. Die Befreiungstheologie bietet diesbezüglich unterschiedlichste Ansätze: Vom Aufbau von Basisgemeinden bis hin zum bewaffneten Kampf gegen die Ausbeutungsstrukturen.

„Sozialisten können Christen sein, Christen müssen Sozialisten sein.“ (Helmut Gollwitzer)

PriesterSein als kleiner Bruder vom Evangelium

Um die Bestrebungen einer Theologie der Befreiung praktisch und erfahrbar werden zu lassen, knüpfte Bruder Andreas Knapp an, der in einer katholischen Ordensgemeinschaft namens „Kleine Brüder vom Evangelium“ lebt. Die „Kleinen Brüder“ haben es sich zur Aufgabe gemacht, mit den Ärmsten der Armen zu leben, wie sie zu arbeiten und die Botschaft des Evangeliums zu verkünden.

Die „Kleinen Brüder vom Evangelium“ sind eine kommunistische Gütergemeinschaft und verzichten folglich auf Privateigentum. Sie geben alles auf, um den Geringsten und somit Gott zu dienen.

„Ich wollte ein Nachfolger Jesu sein, doch ich wurde Beamter.“ (Br. Andreas Knapp)

Die vorherige Kirchenkarriere von Bruder Andreas fand ihren Zenit in der Stelle als Direktor eines Priesterseminars. Schließlich brach er jedoch mit allen Privilegien der bürgerlichen Kirche und entschloss sich „Jesus zu folgen“. Aus dem angesehenen Herrn Direktor wurde eine Pariser Putzfrau, später ein Bauchladen-Joghurtverkäufer in Bolivien. Heraus aus dem Klerus, hinein in das Leben der Ärmsten. Ein solcher Werdegang stößt in einer Kirche der Reichen jedoch auf Kritik, da es dem katholischen Klerus missfällt, wenn ein Priester mit der bürgerlichen Klasse bricht und wieder ein Teil der Arbeiterklasse wird.

Das Leben als „kleiner Bruder“ ist nicht nur Beruf und Berufung, sondern gleichzeitig eine Kritik am Priestertum. Die Priester unserer Kirche predigen der Arbeiterklasse von oben herab das Heil, obwohl sie weder Teil dieser Klasse, noch über die Situation der Arbeiterinnen und Arbeiter wissen, da sie sich selbst auf dem Beamtengehalt der Kirche ausruhen und realitätsblind von Messe zu Messe irren.

„Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25, 40)

Für Andreas Knapp erstreckt sich dieser Leitsatz auch auf Asylfragen und praktischen Umweltschutz, wodurch tiefe Verbindungen zu linken Kreisen und Klimaaktivistinnen und -aktivisten bestehen, die sich auch auf ihren christlichen Glauben berufen.

Basisgemeinden in Mittelamerika 

Oliver Cabrera sprach im Anschluss über die politische Situation in Nicaragua und die Rolle der Kirche in Vergangenheit und Gegenwart. Seinen Vortrag hielt er stellvertretend für das Solidaritätsbündnis „SOSNicaragua Leipzig-Dresden“, dessen Anliegen darin besteht, die deutsche Zivilgesellschaft über die politischen Auseinandersetzungen und den staatlichen Terror gegen die Aufständigen in Nicaragua aufzuklären.

Der Kampf des nicaraguanischen Volkes für die Freiheit und gegen die staatliche Unterdrückung ist tief in der Geschichte seines Heimatlandes verwurzelt. Von der sandinistischen Revolution bis hin zur heutigen Diktatur unter Daniel Ortega wurden die Konflikte des Landes historisch eingeordnet und die Stellung der Kirche in diesen analysiert.

Cabrera zeichnete ein nahbares wie erschreckendes Bild der Zustände in Nicaragua und spannte gleichzeitig den Bogen zum Hauptthema des Abends. Obwohl Nicaragua zu den Geburtsstätten der Befreiungstheologie zählt, wuchs Oliver Cabrera zunächst ohne Kontakt zu der Vision einer Kirche der Armen auf. In seiner Heimat wurden über viele Jahre beispielsweise christliche Lieder für die Arbeiter und Bauern aus Kirche und Gesellschaft verbannt. Erst während der Arbeit in einer abgelegenen Gemeinde in Guatemala lernte der damals jugendliche Olli Cabrera die Theologie der Befreiung kennen. Cabrera präsentierte noch ein Video aus den 1970er Jahren, in dem Ernesto Cardenal mit bewaffneten Guerrilleros der FSLN (Frente Sandinista de Liberatión Nacional) im Dschungel das Abendmahl feiert. Für alle Anwesenden war es ein ungewohnter und doch kämpferischer Anblick.

SOSNicaragua servierte zum Ausklang des Abends ein Buffet mit traditionellen Gerichten aus Nicaragua, um die kulinarische Küche ihres Landes mit allen Anwesenden zu teilen. Nebenbei wurden Spenden für die Arbeit des Netzwerkes gesammelt.

Ausblick

Am Ende eines so ergreifenden und motivierenden Abends steht die Frage, wie es nun weitergeht. Weiter jeden Sonntag in die Kirche gehen? So wie gehabt? Für die Armen beten und vielleicht fünf Euro spenden? So wichtig das Gebet und die finanzielle Unterstützung von Hilfsprojekten auch sein mögen, wenn die Ursachen der Nöte nicht beseitigt werden, bleibt nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir müssen eine Flutwelle sein, um die herrschenden Verhältnisse, aus denen Ausbeutung, Hunger, Existenzängste und Leid resultieren, umzuwerfen. Das Bekenntnis zum Christentum, darf keine moralische Selbstbefriedigung sein. Christ zu sein, bedeutet die Verpflichtung zum Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung.

Die katholische Jugend Markkleeberg wird als Reaktion auf die Vorträge und Gespräche zur Theologie der Befreiung die Bahnhofsmission in Leipzig durch eine Kuchenspende unterstützen, um Bedürftigen zumindest eine kleine Freude im erstickenden Alltag zu schenken. Diese kleine Geste soll der Startschuss für weitere Aktionen (in Kooperation mit dem Kollektiv „Kein Paradies“) sein, die sich nicht zuerst auf die Spiritualität, sondern den Dienst am Menschen in Armut konzentrieren.

Dieser Abend war Teil der Vorbereitung des Protests gegen den EU-China-Gipfel im September 2020 in Leipzig. Die europäischen Christen dürfen ein solches Treffen der Reichen nicht unkommentiert lassen und müssen auf nationaler wie internationaler Ebene Widerstand gegen eine solche Veranstaltung organisieren.

„Das Wenige, das ein Gerechter hat, ist besser als der Überfluss vieler Gottloser. Denn der Gottlosen Arm wird zerbrechen, aber der HERR erhält die Gerechten.“ (Psalm 37,16-17)

Für eine Kirche der Armen und eine gerechte Welt!

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