Befreiungstheologie – Kein Paradies https://keinparadies.blackblogs.org Politik und Kirche Tue, 06 Dec 2022 15:39:10 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://keinparadies.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1645/2021/03/cropped-KP_1-1-32x32.jpg Befreiungstheologie – Kein Paradies https://keinparadies.blackblogs.org 32 32 Klassenkampf aus Nächstenliebe https://keinparadies.blackblogs.org/2022/12/06/klassenkampf-aus-naechstenliebe/ Tue, 06 Dec 2022 15:33:12 +0000 http://keinparadies.blackblogs.org/?p=145 Continue reading "Klassenkampf aus Nächstenliebe"

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Das Wort brachte zwar Licht (Joh 1,1-5), aber weder Staat noch Geld noch Elend in die Welt. Sie sind kein Produkt göttlicher Schöpfung oder eines vermeintlichen Schicksals der Menschheit, sondern das Ergebnis wirtschaftlicher (ökonomischer) Prozesse. Das Wirken Jesu Christi bezog sich stets auf reale, folglich materielle Tatsachen und nicht auf einen fernen Idealismus, denn kein Gebet stillt den Hunger, keine Huldigung den Durst. Kein Götzendienst spendet Fremden Geborgenheit, den Nackten Kleidung oder den Gefangenen Hoffnung. – Das Brot stillt den Hunger und das Wasser den Durst; die offene Tür schenkt Geborgenheit in der Fremde und der Besuch die Hoffnung in Gefangenschaft (Mt 25,35-36). Wenn wir Jesus heute nachfolgen wollen, verlangt dies eine tiefgreifende Analyse der materiellen Verhältnisse einer modernen, deutlich komplexeren Gegenwart. Die folgende Abhandlung begründet die demzufolge notwendige Komplettierung des Katholizismus als das Erbe Jesu Christi durch eine historisch-materialistische Lesart der Geschichte menschlicher Gesellschaften und der Heiligen Schrift. Sie beginnt mit der Frage nach dem wichtigsten Gebot im Markusevangelium:

28 […] Welches Gebot ist das erste von allen? 29 Jesus antwortete: Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. 30 Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft. 31 Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden. 32 Da sagte der Schriftgelehrte zu ihm: Sehr gut, Meister! Ganz richtig hast du gesagt: Er allein ist der Herr und es gibt keinen anderen außer ihm 33 und ihn mit ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer.  Jesus sah, dass er mit Verständnis geantwortet hatte, und sagte zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und keiner wagte mehr, Jesus eine Frage zu stellen.“ (Mk 12,28-34)

Jesus formuliert zwei Gesetze als Antwort auf die Frage nach dem höchsten Gebot: (1) den Auftrag, das eigene Leben auf die Suche nach Gott auszurichten und (2) den Nächsten zu lieben wie sich selbst. Anschließend betont er jedoch, dass diese beiden das höchste Gebot seien, obwohl die Frage des Gelehrten explizit auf ein einziges höchstes Gebot abzielte. Die Nächstenliebe ist somit gleichbedeutend mit der Liebe der Menschen zu Gott. Seinen Nächsten zu lieben bedeutet auch Gott zu finden, wodurch nicht nur Gott, sondern auch die Nächstenliebe universalen Charakter erhält, jedoch sind Gott und die Nächstenliebe nicht identisch, da Jesus zumal die beiden Gebote getrennt formuliert und dennoch ihre Einheit betont. Die bedingungslose Liebe zum Nächsten ist die Offenbarung des transzendenten Gottes in der immanenten Welt. Zudem bildet sie den Kerngedanken des Katholizismus:

Niemandem bleibt etwas schuldig, außer der gegenseitigen Liebe! Wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt. 9 Denn die Gebote: Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren! und alle anderen Gebote sind in dem einen Satz zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Röm 13,8-9)

Das Erbe Jesu Christi (der ursprüngliche Katholizismus) ist also die allumfassende und bedingungslose Nächstenliebe. Sie ist der Weg in die Gemeinschaft von uns mit allen und mit Gott, wodurch ihr Charakter gleichermaßen immanente als auch transzendente Züge in sich trägt. Das einzelne Individuum als Akteur der Nächstenliebe ist jedoch durch seine Einsamkeit in allem Maße beschränkt. Das höchste Gebot der Nächstenliebe kann erst erfüllt werden, wenn der Mensch in Gemeinschaft ist. Eine universale, alles umfassende Nächstenliebe bedarf folglich einer universalen Einheit aller Menschen. Der Mensch darf nicht mehr nur als Individuum, sondern muss als Gattung begriffen werden. Dieses Gattungswesen der Menschheit ist Gegenstand der humanistischen Philosophie, deren vier Grundprinzipien Erich Fromm (1990) definierte:

  1. Die Annahme einer Einheit der Menschheit und dass alles Menschliche in jedem Individuum vorzufinden ist.
  2. Die Betonung der menschlichen Würde.
  3. Die Fähigkeit des Menschen zur Weiterentwicklung und Vervollkommnung.
  4. Das Streben nach Frieden, Vernunft und Objektivität.

Aus Punkt eins ergibt sich eine Doppelbedeutung der Einheit, welche die Annahme der Vereinigung aller Menschen im menschlichen Gattungswesen als auch eine intraindividuelle Einheit der Menschheit umfasst. Der intraindividuelle Aspekt liefert die Grundlage für den humanistischen Erkenntnisgewinn, da jede menschliche Eigenschaft in jedem Individuum vorzufinden ist, sogleich die qualitative Ausprägung der Eigenschaften interindividuell differiert. Die tiefsten Abgründe als auch das Göttliche, das ich in meinem Gegenüber entdecke, trage ich ebenso in mir selbst, kann dies jedoch erst durch die Suche im Anderen entdecken. Die Grundlage des philosophischen Humanismus, der Glaube an das Gattungswesen der Menschheit wird aus christlicher Perspektive in der Rede über das Himmelbrot in der Synagoge von Kafarnaum deutlich:

48 Ich bin das Brot des Lebens. 49 Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. 50 So aber ist es mit dem Brot, das vom Himmel herabkommt: Wenn jemand davon isst, wird er nicht sterben. 51 Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, (ich gebe es hin) für das Leben der Welt. 52 Da stritten sich die Juden und sagten: Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben? 53 Jesus sagte zu ihnen: Amen, amen, das sage ich euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. 54 Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag. 55 Denn mein Fleisch ist wirklich eine Speise, und mein Blut ist wirklich ein Trank. 56 Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm. 57 Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und wie ich durch den Vater lebe, so wird jeder, der mich isst, durch mich leben. 58 Dies ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Mit ihm ist es nicht wie mit dem Brot, das die Väter gegessen haben; sie sind gestorben. Wer aber dieses Brot isst, wird leben in Ewigkeit.“ (Joh 6,22-59)

Die Einheit ist hier jedoch nicht als philosophische Kategorie zu verstehen, sondern aus religiöser Sicht als Vereinigung der gesamten Menschheit mit Gott in Jesus Christus (Gal 3,28). Ernesto Cardenal (1980) führt diesen Gedanken in Das Evangelium der Bauern vom Solentiname weiter aus:

„Christus wählte das Beispiel einer gemeinsamen Mahlzeit, um die Einheit der Menschen zu beschreiben, die brüderlich alle Güter der Welt teilen. Das Neue Testament gebraucht das griechische Wort koinoia (was so viel wie Kommunismus bedeutet), um die Eucharistie zu beschreiben, die Gütergemeinschaft aller Menschen und die Einheit aller Menschen mit Gott. Wenn wir das Brot der Eucharistie teilen, nehmen wir teil am Leib Christie und vereinen uns gleichzeitig mit dem ganzen Volk, mit dem er sich identifizierte, und auch mit Gott, der zusammen mit Christus ein Ganzes bildet. Aber die Eucharistie ist in Wirklichkeit nur ein Gleichnis, ein Beispiel, um die wirkliche Einheit der Menschen in der gesamten Gesellschaft zu beschreiben.“ (Cardenal, 1980, S. 376)

Aus der Eucharistie ergibt sich folglich ein kollektiver Christus-Begriff, welcher das Individuum des historischen Jesus von Nazareth übersteigt und die Einheit der menschlichen Gattung mit Gott umfasst. Diese Einheit ist durch Christus auch schon in unserer Welt möglich:

27 Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. 28 Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“ (Gal 3,27-28)

Die Taufe als Bündnis der Liebe zwischen uns Menschen und Gott nimmt jeglichen Eigenschaften, mit denen Menschen schon durch ihre Geburt belegt werden und die sich jeglicher Verantwortung des Individuums entziehen, ihre Relevanz. Die Geburt als Teil einer Volksgruppe, die Zugehörigkeit einer sozialen Klasse und das soziale oder sogar biologische Geschlecht eines Menschen verschwinden, wenn wir in Christus eins werden. Diese Einheit bedarf jedoch realer, materieller Voraussetzung auf der Erde, denn die bedingungslose Liebe unter den Menschen und zu Gott gelten zusammen als das höchste Gebot des Christentums. Camilo Torres postulierte, dass das Bekenntnis zum Christentum und somit zur allumfassenden Nächstenliebe eine Analyse des materiellen Elends verlangt:

„In der heutigen Welt kann sich niemand Christ nennen, der sich nicht mit dem Problem des materiellen Elends beschäftigt.“ (Torres, 1969, S. 127)

Materielles Elend ist das Ergebnis struktureller sozialer Ungleichheit, welche wiederrum auf die ökonomische (die materielle) Basis einer Gesellschaft zurückzuführen ist. Soziale Ungleichheit beschreibt die Begünstigung oder Benachteiligung von Individuen im sozialen Kontext ohne die Berücksichtigung biologischer Unterschiede. Die Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung werden somit innerhalb einer Gesellschaft ungleich verteilt. Sind die Zugangsmöglichkeiten von Menschen zu grundsätzlich vorhandenen und allgemein erstrebenswerten Gütern oder sozialen Stellungen dauerhaft eingeschränkt, tritt soziale Ungleichheit strukturell auf. Strukturelle soziale Ungleichheit begünstigt oder beeinträchtigt die Lebenschancen der betroffenen Individuen oder Kollektive (Kreckel, 1992). Die Frage nach dem Ursprung des materiellen Elends impliziert die Frage nach dem Ursprung und der Entwicklung von Gesellschaften an sich. Der Ursprung aller natürlichen Gesellschaften ist die Assoziation zur gemeinsamen Arbeit – jede soziale Frage ist somit stets auch eine materielle. Die Arbeit ist das Stoffwechselverhältnis, in welchem sich der Mensch aufgrund seiner Existenz mit der Natur befindet (Marx, 2017). Alle Verhältnisse, in denen Arbeit verrichtet wird, bezeichnet Marx (1859) als Produktionsverhältnisse:

„In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.“ (Marx, 1859, S. 8-9)

Die Grundlage einer jeden Gesellschaft besteht also in deren ökonomischen Prozessen, aus denen sich der Überbau (Staat, Politik, Kultur, Kunst, sogar die Moral, etc. – folglich das gesamte gesellschaftliche Leben) ergibt. Jedoch ist dies trotz der Trennung von Basis und Überbau nicht als einseitige, hierarchische Abhängigkeit zu verstehen, wie Friedrich Engels (1890) in einem Brief an Joseph Bloch klarstellte. Die kompromisslose Herrschaft der Basis gegenüber des Überbaus wirke lediglich auf letzter Entscheidungsebene, es besteht also eine Wechselwirkung, eine gegenseitige Beeinflussung zwischen gesellschaftlichem Überbau und materieller Basis. Alle gesellschaftlichen Erscheinungen stumpf den ökonomischen Prozessen zu unterjochen, stünde in keinerlei Verhältnis zur Komplexität der historisch-materialistischen Weltanschauung. Sogleich muss jedoch der Ursprung aller gesellschaftlichen Merkmale in den Verhältnissen der Produktion nochmals betont werden, nur dass teilweise eine gegenseitige Beeinflussung von Basis und Überbau vorliegt.

Mit einer fortschreitenden Teilung der Arbeit im Verlauf menschlicher Gesellschaften entwickeln sich soziale Klassen. Die Arbeitsteilung, die Differenzierung von Berufen beginnt bereits in der frühen Geschichte der Menschheit innerhalb der Familie, schlägt sich später im Verhältnis der ersten Städte zu den ländlichen Regionen nieder und gipfelt schließlich in die Trennung geistiger und materieller Arbeit voneinander. Infolgedessen bilden sich wirtschaftliche Gruppierungen, also einzelne Berufskreise, später ganze Klassen heraus, an welche die Individuen aufgrund ihrer sozialen Herkunft gebunden sind. Der Begriff der Arbeitsteilung entspricht dem des Privateigentums, da die beiden Bezeichnungen einerseits den tätigen Prozess im Falle der Arbeitsteilung und andererseits das, im Privateigentum bestehende, Produkt der (entfremdeten) Arbeit beschreiben; die Teilung der Arbeit und das Privateigentum gehen auf die Entfremdung der Arbeit zurück. Die Differenzierung der Arbeit in geistige und materielle Arbeit als die höchste Form der Arbeitsteilung wird im Privateigentum greifbar, denn der Eigentümer produziert selbst weder Ware noch Dienstleistung, lediglich sein Eigentumsverhältnis gilt ihm als seine (geistige) Arbeit, die jedoch selbst nichts hervorbringt, sondern auf die materielle (unter diesen Umständen jedoch entfremdete) Arbeit der Arbeitskräfte angewiesen ist. Diese Teilung der Arbeit bedarf einer Entfremdung der Arbeit, da diese erst die Bereicherung an fremder Arbeit zulässt, welche sich im Privateigentum manifestiert. Der marxistische Klassenbegriff definiert sich zusammenfassend über das Privateigentum an Produktionsmitteln (Marx & Engels, 2018). Die sozioökonomischen Interessen der Klassen verhalten sich antagonistisch zueinander, da ihr Ursprung (die Arbeitsteilung beziehungsweise das Privateigentum) selbst den Widerspruch zwischen individuellem und kollektivem Interesse oder dem Interesse eines Kollektivs und dem Interesse des nächstgrößeren Kollektivs, welchem das erste Kollektiv angehört, in sich trägt (Marx & Engels, 2018). Aufgrund der soziologisch bedingten, zwangsläufig feindlichen Beziehung der sozialen Klassen zueinander, kann die Nächstenliebe nicht allumfassend verwirklicht werden, da sie nicht über die Grenzen einer Klasse, aufgrund deren antagonistischer Stellung zu den anderen Klassen, hinausgehen kann. Aufgrund des Ursprungs der sozialen Klassen im Privateigentum an Produktionsmitteln bedarf es einer Gesellschaft ohne jenes Privateigentum, folglich einer klassenlosen Gesellschaft, welche in der Bibel als Reich Gottes (Mk 10,25; Lk 14,11; Gal 3,27-28)

25 Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“ (Mk 10,25)

11 Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ (Lk 14,11)

27 Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. 28 Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“ (Gal 3,27-28)

und im Marxismus als Kommunismus bezeichnet wird (Marx, 2017), um die universale Nächstenliebe leben zu können.

„Der Kommunismus als positive Aufhebung des Privateigentums als menschlicher Selbstentfremdung und darum als wirkliche Aneignung des menschlichen Wesens durch und für den Menschen; darum als vollständige, bewußt und innerhalb des ganzen Reichtums der bisherigen Entwicklung gewordne Rückkehr des Menschen für sich als eines gesellschaftlichen, d.h. menschlichen Menschen. Dieser Kommunismus ist als vollendeter Naturalismus = Humanismus, als vollendeter Humanismus = Naturalismus, er ist die Wahrhafte Auflösung des Widerstreites zwischen dem Menschen mit der Natur und mit dem Menschen, die wahre Auflösung des Streits zwischen Existenz und Wesen, zwischen Vergegenständlichung und Selbstbestätigung, zwischen Freiheit und Notwendigkeit, zwischen Individuum und Gattung. Er ist das aufgelöste Rätsel der Geschichte und weiß sich als diese Lösung.“ (Marx, 2017, S. 75)

Durch die Aufhebung des Privateigentums, folglich der Etablierung des Gemeineigentums (Gesellschaftseigentums) an allen Produktionsmitteln ist die kommunistische Gesellschaft frei von sozialen Klassen, da sich deren Existenz im Privateigentum an Produktionsmitteln begründet. Die Aufhebung wird jedoch explizit als positiv charakterisiert, da der Kommunismus keine Abstraktion, keine weitere Entfremdung des Menschen ist, sondern die Rückkehr zu den natürlichen Produktionsverhältnissen, welche das materielle Abbild des menschlichen Gattungswesens liefern (Marx, 2017). Mit der Aufhebung des Privateigentums erfährt der Mensch folglich keinerlei Verlust, sondern findet zu sich selbst, seiner Gattung und der Natur (seiner Umwelt sowie seiner eigenen) zurück.

Der Weg zur klassenlosen Gesellschaft, dem Reich Gottes auf Erden ist der Klassenkampf. Er beschreibt das politische Moment, welches die Existenz sozialer Klassen durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel aufzuheben versucht und umfasst somit alle Strebungen nach Macht, deren Ziel in der Aufhebung des Privateigentums besteht. Der Klassenkampf aus christlicher Verantwortung darf jedoch nicht als Kampf um permanente Hegemonie innerhalb der Klassengesellschaft verstanden werden; ein solcher Kampf aus Nächstenliebe darf dieselbe nicht missachten und muss stets den Wert der Vergebung betrachten. Die Vergebung ist ein Kerngedanke des christlichen Glaubens, da Jesus Christus noch im Tod am Kreuz Gott darum bittet, den Menschen ihre Schuld der Kreuzigung zu vergeben (Lk 23,34). Die Liebe Jesu zu seinen Mitmenschen, wobei dieser Begriff hier sogar seine Verfolger, Feinde und Peiniger einschließt, konnte auch durch den ungerechten Tod des Gerechten nicht gebrochen werden.

Aus dieser Abhandlung ergibt sich eine fundamentale Erkenntnis: der ursprüngliche Gegenstand des Katholizismus ist die universale, also allumfassende und bedingungslose Nächstenliebe, welche gleichzeitig ein theistisches Abbild des Gattungswesens der humanistischen Philosophie liefert. Die Einheit der Menschheit in einer Welt der bedingungslosen Nächstenliebe verlangt jedoch wiederum nach einem materiellen Abbild dieser Einheit, einer klassenlosen Gesellschaft, welche nur durch die Abschaffung des Privateigentums erreichbar ist. Diese zu errichten und die Welt somit von Ausbeutung und Unterdrückung zu befreien, ist unser christlicher Auftrag in der Nachfolge Jesu Christi.

Literaturverzeichnis

Cardenal, E. (1980). Das Evangelium der Bauern von Solentiname: Gespräche über das Leben Jesu in Lateinamerika. Wuppertal: Peter Hammer Verlag.

Engels, F. (1890). Engels an Joseph Bloch in Königsberg. Zugriff am 01.03.21 unter http://www.mlwerke.de/me/me37/me37_462.htm

Fromm, E. (1990). Über den Ungehorsam und andere Essays (4. Aufl.). München: Deutscher Taschenbuch Verlag.

Kreckel, R. (1992). Politische Soziologie der sozialen Ungleichheit. Frankfurt/New York: Campus.

Marx, K. (1859). Zur Kritik der Politischen Ökonomie. Berlin: Franz Duncker.

Marx, K. (2017). Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844. (4. Aufl.). Berlin: Edition Holzinger.

Marx, K. & Engels, F. (2018). Die deutsche Ideologie. Eine Auswahl. Ditzingen: Reclam.

Torres, C. (1969). Vom Apostolat zum Partisanenkampf. Artikel und Proklamationen. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch.

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Vom Apostolat zum Partisanenkampf (13. Dezember 2020) https://keinparadies.blackblogs.org/2020/12/13/vom-apostolat-zum-partisanenkampf-13-dezember-2020/ Sun, 13 Dec 2020 14:45:06 +0000 http://keinparadies.blackblogs.org/?p=85 Continue reading "Vom Apostolat zum Partisanenkampf (13. Dezember 2020)"

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Camilo Torres Restrepo (1929-1966) war ein katholischer Priester, Befreiungstheologe, kolumbianischer Revolutionär und Soziologe. „Vom Apostolat zum Partisanenkampf“ umfasst zahlreiche Artikel, Analysen und Proklamationen, in denen Torres sich mit der Aufgabe des Christseins, der Nächstenliebe und der Notwendigkeit einer Revolution in seinem Herkunftsland auseinandersetzt. Er schlussfolgert einen bewaffneten Klassenkampf aus Nächstenliebe. 1965 schließt sich Torres der kolumbianischen Guerillabewegung Ejército de Liberación Nacional (ELN; dt. Nationale Befreiungsarmee) an und wird im darauffolgenden Jahr von kontrarevolutionären Regierungstruppen erschossen.

„Der Christ liebt. Diese Liebe unterscheidet ihn, kennzeichnet ihn. Die äußeren Praktiken sind nur Mittel, zur Liebe zu gelangen, und müssen von der Liebe motiviert sein. Ohne Liebe haben solche Praktiken keinen Wert. Der Nichtchrist, der liebt und in gutem Glauben sich bemüht, besitzt die Gnade, handelt übernatürlich und ist ein Sohn Gottes. Der Christ hingegen, der die äußerlichen Praktiken verrichtet und nicht liebt, ist kein Christ.“ (S. 113)

„In der heutigen Welt kann sich niemand Christ nennen, der sich nicht mit dem Problem des materiellen Elends beschäftigt.“ (S. 127)

„Das moderne Apostolat muß heute also besonders in den unterentwickelten Ländern seine Hauptaufgabe darin sehen, eine effektive Nächstenliebe unter allen Menschen zu verwirklichen, ohne Ansehen des Glaubens, des Verhaltens und der Kultur. Auf der anderen Seiter scheint es so gut wie ausgeschlossen, daß die Massen in den unterentwickelten Ländern ohne eine Wirtschaftsplanung, die zugleich die Strukturen verändert, zu wirklich menschenwürdigen sozioökonomischen Verhältnisse gelangen können. Ohne Druck der Mehrheit, der friedlich oder gewaltsam sein wird, je nach dem Verhalten der herrschenden Minderheit, werden die bestehenden Strukturen jedoch keine Veränderung erfahren. In dieser Situation kann das Christentum, wenn es nicht dem Gebot der Nächstenliebe zuwiderhandeln will, nicht neutral bleiben, es darf keine opportunistische und schwankende Haltung einnehmen. Der Christ soll in der Welt bleiben, aber sich vor dem Bösen bewahren (Joh. XVII, 19). Wie Christus soll er Fleisch werden unter den Menschen, in ihrer Geschichte und in ihrer Kultur. Darum kann er die himmlische Liebe nur durch Einwirkung auf die bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Strukturen verwirklichen.“ (S. 143)

„Wenn es bestimmte Umstände es den Menschen unmöglich machen, den Geboten Christi zu folgen, dann hat der Priester die Aufgabe, diese Umstände zu bekämpfen, selbst auf Kosten der Möglichkeit, den eucharistischen Ritus zu zelebrieren, denn das kann nicht ohne die Nachfolge Christi geschehen.“ (S. 177)

„Ich habe mich für das Christentum entschieden, weil ich in ihm die reinste Form des Dienstes am Nächsten sehe.“ (S. 177)

„Ich vertrete die Ansicht, daß der revolutionäre Kampf ein christlicher und priesterlicher Kampf ist. Nur durch ihn können wir unter den konkreten Umständen unseres Landes die Liebe verwirklichen, die die Menschen ihren Mitmenschen entgegenbringen sollen.“ (S. 178)

„Das höchste Ziel aller menschlichen Entscheidungen kann nur die Nächstenliebe, die himmlische Liebe, sein. Ich bin bereit, alle Gefahren auf mich zu nehmen, die das Streben nach diesem Ziel mit sich bringt.“ (S. 178)

„Es ist richtig, daß unsere Bevölkerung in ihrer Mehrheit katholisch ist, das heißt, sie ist eher ein Volk von Getauften als von Katholiken. Das Wesen des Katholizismus wie des gesamten Christentums ist die Liebe, so daß der Apostel Paulus sagen kann: Wer den Nächsten liebt, hat das Gesetz erfüllt. Wären wir wirklich Katholiken, dann wären wir nicht ein von Gewalt gespaltenes Volk, ein Volk, in dem Witwen, Waisen und Arme unterdrückt werden, in dessen Institutionen nicht die Liebe herrscht. Wir haben zwar Gesetze für alles und jedes- denn in Kolumbien gibt es Gesetze für alles -, doch diese Gesetze werden nicht im Geist der Nächstenliebe, sondern zugunsten des Gruppenegoismus angewendet. Wir können also sagen, daß wir ein Volk von Getauften sind, daß 96% der Bevölkerung nur deswegen als Katholiken zählen, weil sie die Taufe empfangen haben. Aber vielen von uns wird es vielleicht nicht gelungen sein, die Liebe zum Nächsten, das Wesen unserer Religion, zu verwirklichen. Wir müssen uns also über religiöse Unterschiede hinwegsetzen. Ich wiederhole noch einmal: Wir dürfen uns nicht immer wieder über das, was uns trennt, streiten und dabei vergessen, uns darüber zu verständigen, was uns eint. Ich habe darauf immer wieder hingewiesen. Die meisten strittigen Fragen gibt es zwischen Katholiken und den Kommunisten. Aber wozu streiten wir uns mit ihnen darüber, ob die Seele sterblich oder unsterblich ist, wo wir uns doch darüber einig sind, daß der Hunger tödlich ist. Warum sollen wir darüber streiten, ob die katholische Kirche die wahre ist oder ob wir sie verlassen sollen, solange die reaktionären Gruppen innerhalb wie außerhalb der Kirche gegen uns kämpfen? Während wir diskutieren, ob man die Kirche enteignen soll oder nicht, lassen wir zu, daß die Mehrheit des kolumbianischen Volkes enteignet wird. Wir Katholiken, die wir eine arme Kirche wollen, können uns doch nicht mit denen streiten, die gegen eine reiche Kirche sind.“ (S. 184-185)

„Daß eine Gruppe gegen ihre Interessen handelt, ist soziologisch gesehen absurd. Deshalb muß man sich dafür einsetzen, daß die Mehrheit an die Macht kommt, damit sie die strukturellen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Reformen verwirklichen kann, die nur im Interesse der Mehrheit liegen. Das nennt man Revolution, und wenn zur Verwirklichung der Nächstenliebe eine Revolution nötig ist, dann muß ein Christ ein Revolutionär sein.“ (S. 197)

„An erster Stelle steht im Katholizismus die Liebe zum Nächsten. ‚Wer den Nächsten liebt, hat das Gesetz erfüllt‘ (Röm. XIII, 8).“ (S. 204)

„Sobald die Klasse des Volkes dank der Zusammenarbeit aller Revolutionäre die Macht ergriffen hat, wird unser Volk über seine religiöse Orientierung diskutieren. Das Beispiel Polens zeigt uns, daß man den Sozialismus aufbauen kann, ohne das Christentum aufzugeben. Ein polnischer Priester sagte: ‚Wir Christen haben die Verpflichtung, beim Aufbau des sozialistischen Staates mitzuhelfen, sofern uns die Möglichkeit bleibt, Gott anzubeten.‘“ (S. 208)

„Eine ‚Plattform‘ [der Einheitsfront des kolumbianischen Volkes], deren Programm ein Staat sozialistischen Typs und die Befreiung Kolumbiens vom amerikanischen Imperialismus ist, kann anderen politischen Bewegungen, die auch für die Errichtung des Sozialismus und die Befreiung vom Imperialismus kämpfen, nicht gleichgültig gegenüberstehen. Mögen diese Bewegungen auch andere ideologische Elemente aufweisen, so stehen sie uns doch wissenschaftlich, politisch und praktisch gesehen am nächsten. Diese Solidarität in der Praxis schreckt viele furchtsame ‚Revolutionäre‘, denen mehr an der Ideologie als an der Revolution liegt, zurück.“ (S. 228)

„Freiheit oder Tod!“ (S. 235)

Literaturverzeichnis

Torres, C. (1969). Vom Apostolat zum Partisanenkampf. Artikel und Proklamationen. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch.

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Zitate aus dem Evangelium der Bauern von Solentiname (12. Dezember 2020) https://keinparadies.blackblogs.org/2020/12/12/zitate-aus-dem-evangelium-der-bauern-von-solentiname-12-dezember-2020/ Sat, 12 Dec 2020 16:20:48 +0000 http://keinparadies.blackblogs.org/?p=83 Continue reading "Zitate aus dem Evangelium der Bauern von Solentiname (12. Dezember 2020)"

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„Das Evangelium der Bauern von Solentiname“ (erstmals erschienen 1975 in spanischer Sprache) dokumentiert die Gespräche einer urchristlichen Landkommune über die Evangelien. Diese Entwicklung einer bäuerlich-proletarischen Theologie auf den Solentiname-Inseln im Großen See von Nicaragua wurde von Ernesto Cardenal verschriftlicht und deren revolutionäres Potential somit verewigt. Es folgen ausgewählte Zitate.

Das Vorwort zum Johannesevangelium (Johannes 1, 1-18)

„Ich sage: – Das griechische Wort, das die Bibel für ‚Schöpfung‘ benutzt, ist Poem oder Gedicht. Denn Schöpfung und Poesie sind das gleiche. Die Welt ist das Gedicht Gottes. Gott sagte: ‚Es werde Licht‘, und es wurde Licht, und genauso alles andere, denn Gott schuf alles durch sein Wort. Sein Wort wurde Wirklichkeit. Die Poesie Gottes ist die Wirklichkeit.
Antidio fährt fort: – Und man schafft immer das, was man braucht, das heißt, man schafft das Gute. Und die Wirklichkeit, die Gott schuf, war gut. Er sah, daß alles gut war. Das Böse hingegen ist die Zerstörung des Geschaffenen.
Alejandro: – Der Arbeiter ist das Ebenbild Gottes, und alles, was er schafft, ist gut und bereichert den Menschen.
Ich sage: – Darin liegt die Größe des Arbeiters. Alle Dinge, die wir haben, wurden zuerst von Gott und dann von den Arbeitern gemacht. Die Schuhe, die wir tragen, wurden von einem Arbeiter gemacht. Die Kleidung von einem anderen Arbeiter. Die Städte und alles, was es darin gibt, die Landstraßen und die Brücken…
Ein Fremder […]: – Das alles kommt von der Macht des Vaters, und der Vater gab diese Macht seinem Sohn, und die Macht des Sohnes ist auch unsere Macht.
Felipe: – Das ist die Größe des Arbeiters. Die Arbeiter setzen die Macht Gottes auf der Erde fort und arbeiten an der Schöpfung. Darum müßten die Arbeiter die Herren der Erde sein und nicht die, die nicht arbeiten…, die Schuhe und Kleidung und Essen haben und überall herumreisen und nicht arbeiten und nicht säen und überhaupt nichts hervorbringen. Aber das sind die Herren der Arbeit der anderen und der Häuser und der Ländereien…“ (S. 15-16)

Ein Engel spricht zu Josef (Matthäus 1, 18-25)

„José Chavarría: – Jesus, das heißt Befreier oder Befreiung, wie wir gesehen haben. Obwohl die Juden eher einen politischen Befreier erwarteten…
Ich frage: – Und war Jesus ein politischer Befreier oder nicht?
José Chavarrí: – Nein, kein politischer. Der Engel sagte ganz klar zu Josef: ‚Er wird sein Volk von den Sünden befreien.‘
Marcelino: – Damit bin ich nicht einverstanden. Christus war ein politischer Befreier, weil er kam, um uns von der Unterdrückung zu befreien. Denn von den Sünden zu befreien, das bedeutet, die Leute von ihrem Egoismus zu befreien. Zu machen, daß alle sich lieben. Und wenn sich die Menschen lieben, dann gibt es keine Unterdrückung mehr. So kam Christus auch, um uns politische Freiheit zu bringen.
Und José Espinoza: – Wenn eine Befreiung nötig ist, dann gibt es also Ungerechtigkeit. Und wenn es Ungerechtigkeit gibt, dann gibt es auch Sünde. Sünde oder Ungerechtigkeit ist dasselbe.
Ich sage, mir scheine die Befreiung Christi auch politisch, aber anders als die Juden erhofften. Was sie erhofften, war keine wirkliche Befreiung: ein Messias, der die Mach übernähme und dann ein König wie irgendein anderer wäre. Die wirkliche politische Befreiung sei eine Befreiung von der Sünde – oder von der Ungerechtigkeit, was das gleiche ist.“ (S. 26)

Das ist aber alles geschehen, damit erfüllt würde, was der Herr durch den Propheten gesagt hat: Siehe eine Jungfrau wird schwanger sein und einen Sohn gebären, und sie werden seinen Namen Immanuel heißen, das ist ‚Gott mit uns‘.

Julio: – Dieser Name, der hier dem Messias gegeben wird, soll heißen ‚Gott mit den Armen‘. Denn wenn die Welt in Arme und Reiche geteilt ist, kann der Messias nicht auf beiden Seiten stehen, und wenn er auf einer Seite steht, dann auf unserer, auf der Seite der Armen.

Olivia: – Das ist klar: Gott kann nicht gleichzeitig mit den Armen und mit den Reichen sein, denn ein Mensch kann auch nicht gleichzeitig Gott und dem Reichtum dienen.“ (S. 27; Verweis Mt 6, 24)

Der Lobgesang des Zacharias (Lukas 1, 67-80)

Das versprach er durch den Mund seiner heiligen Propheten seit alter Zeit: daß er uns erretten würde von unseren Feinden und von der Hand aller, die uns hassen,

Adancito: – Die Feinde, von denen hier die Rede ist, sind die Feinde der Armen. Das sind die, die uns hassen.
Donaldo: – Die Menschen hofften, der Messias würde das Volk von all diesen Ausbeutern befreien, von dieser Mafia…
Felipe: – Ich glaube, heute denkt man darüber anders. Gott wird uns nicht befreien, sondern wir müssen uns selbst befreien, aus eigener Kraft. Strengen wir uns alle an! Und warten wir nicht darauf, daß Gott uns befreit, ohne daß wir selbst an dieser Befreiung teilnehmen.
Oscar: – Dann wird Gott uns als nicht befreien?
Felipe: – Doch, aber durch uns selbst, mit Hilfe der Lehre, die er uns gebracht hat.
Ich sage: – In Wirklichkeit befreit uns Gott nicht direkt, sondern durch den Messias. Und jetzt ist der Messias nicht mehr nur jener Jesus, sondern wir sind es alle. Darum wird er auch Immanuel genannt, das heißt ‚Gott mit uns‘. Gott bewirkte die Befreiung durch uns selbst, wie Felipe sagte.“ (S. 35)

„Donaldo: – Gott ohne Angst dienen, meine ich, heißt seinen Nächsten lieben und ihm dienen – ohne Angst vor den anderen, vor der Obrigkeit zum Beispiel…“ (S.36)

 Jesus lehrt uns beten (Matthäus 6, 7-15)

„Wir bitten Gott, daß sein Name geheiligt werde, und es ist unsere Aufgabe, ihn zu heiligen. Wir bitten, daß sein Reich komme, und es ist unsere Aufgabe, es aufzubauen. Wir bitten, daß sein Wille auf Erden geschehe, und es ist unsere Aufgabe, ihn zu erfüllen. Wir bitten ihn um Brot, und es ist unsere Aufgabe, es zu schaffen und zu verteilen. Wir bitten ihn um Vergebung, die wir den anderen geben müssen. Wir bitten ihn, uns nicht in Versuchung zu führen, und es ist unsere Aufgabe, sie zu fliehen. Das ist das Interessante an diesem Gebet. Ich glaube, es gibt viele, die das Vaterunser nicht beten, wie es Che Guevara vielleicht nicht gebetet hat, die aber in ihrem Herzen dies alles wünschen. (S. 104)

Die Hochzeit von Kana (Johannes 2, 1-12)

„Olivia: – Wir alle, Männer, Frauen, Alte, Kinder, selbst Säuglinge, alle sind wir ein einziger Körper: die Menschheit, die geliebte Braut Gottes.
Laureano: – Besser gesagt, wir kämpfen darum, dieser Körper zu werden. Dieser Kampf ist die Revolution.“ (S. 110)

Die Seligpreisungen (Matthäus 5, 1-12)

„Rebeca: – Das ist Gemeinschaft. Kommunismus ist dasselbe wie Gemeinschaft.

Tomás: – D[ies]er Kommunismus [des Evangeliums] sagt uns: Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.“ (S. 123)

Nicht Perlen vor die Säue werfen (Matthäus 7, 6-12)

„Ich sage: […] Wer seinen Nächsten liebt, der leibt auch Gott. Andersherum kann man dagegen nicht behaupten, daß der, der Gott liebt, auch seinen Nächsten liebt. Johannes sagt, wer Gott liebe, ohne auch seinen Nächsten zu lieben, der liebe Gott on Wirklichkeit gar nicht.
Laureano unterbricht mich: – Das ist der Fall bei den Ausbeutern, die jeden Sonntag zur Messe gehen und der Kirche großartige Stiftungen machen und immer schön beten und dieses ganze Theater mit Gott aufziehen. Aber der Nächste ist ihnen egal, den beuten sie nur aus.
Quique: – Diese Leute haben im Grunde überhaupt keine Beziehung zu Gott. Sie treiben Kult mit einem Gott, der gar nicht existiert.
Felipe: – Nur der liebt Gott, der das Volk liebt. Das Volk liebt man mit Taten und nicht mit schönen Worten.
Ich: – Wenn also die Liebe zu Gott ohne die Liebe zum Nächsten keine Liebe zu Gott ist, aber umgekehrt die Liebe zum Nächsten ohne die Liebe zu Gott doch Liebe, so ist das einzige, was zählt, die Liebe zum Nächsten.
Jorge: – Wenn dies der ganze Inhalt der Bibel ist, dann ist im Grunde nicht die Bibel wichtig, sondern die Liebe zum Nächsten. Und das ist es, um das wir Gott bitten und das wir suchen sollen.
Manuel: – Also, den Nächsten lieben und auch etwas für ihn tun, meine ich, denn verflixt! – wenn ich meinen Nächsten bloß liebe, dann hat er doch gar nichts davon.
Ich sage: – Es handelt sich darum, das für den Nächsten zu tun, was wir möchten, daß der Nächste auch für uns tun soll, und nicht um schöne Gefühle. Wir sollen uns in den Nächsten versetzen, als ob es sich um uns selbst handelte; wir sollen die Sache des ganzen unterdrückten Volkes so betrachten, als ob es unsere eigene Sache wäre. In Wirklichkeit bilden alle Menschen einen einzigen Organismus: Alle zusammen sind wir wie ein einziges Ich. Darum soll jeder von uns den anderen so lieben, als ob er ein Stück seines eigenen Ichs wäre. Wenn wir es nicht tun, dann gehören wir nicht zu diesem einen Organismus, diesem vollständigen Menschen, sondern sind abgesondert von der Menschheit.“ (S. 152-153)

Die Ähren und der Sabbat (Matthäus 12, 1-8)

„Quique: […] Das Christentum besteht darin, daß alle Menschen Jesus sind, daß alle Welt ein Teil des Volkes ist und daß man das eigene Leben wie das Leben aller anderen empfindet.
Chop: – Die Kommunion hat einen Sinn für alle die, die für eine Befreiung kämpfen. Für die anderen hat sie keinen Sinn.
Quique: – Ich sehe aber, daß sich ein Teil der Kirche immer weiter und weiter vom Evangelium entfernt. ‚Wo dein Schatz ist, da ist auch dein Herz‘, sagt die Bibel. Man könnte auch sagen: So wie deine ökonomischen Interessen sind, so ist auch deine Mentalität. Als die Tupamaros diesen Banditen Mitrione hinrichteten, wurden sie vom Papst verurteilt. Andererseits äußerte sich der Papst nie über Vietnam, höchstens im Allgemeinen über Krieg und Frieden… Ich bin immer mehr davon überzeugt, daß wir eine große Verantwortung der ganzen Welt gegenüber haben. Ich glaube, wenn die Kirche das wirkliche Evangelium verkündet hätte, wären die kommunistischen Parteien in aller Welt überflüssig. Das alles hätte dann schon das Christentum erledigt. Eins der Dinge, die ich als Christ gelernt habe, ist, daß man aus seinem eigenen Ich herausgehen muß. Gott will ein Opfer von uns, aber es ist das Opfer unseres eigenen Ichs, ein Opfer der Liebe.“ (S. 178)

Jesus wandelt auf dem Wasser (Matthäus 14, 22-23)

„Ich: – Man könnte also sagen, daß diese Vereinigung aller Christus selbst ist, der uns auf dem Wasser schreitend erscheint. Die Vereinigung aller ist er, denn er selbst hat gesagt, daß er, immer wenn wir uns einig sind, mitten unter uns ist. Und deshalb ist er weder ein Phantasiegebilde noch ein Gespenst, sondern die Vereinigung aller inmitten des Orkans.
Eine Frau sagt: – Ich glaube, das stimmt, denn wenn sich die Menschen vereinigen (das Volk Nicaraguas zum Beispiel), dann fußt diese Vereinigung auf die Liebe, und die so vereinten Menschen besitzen eine große Macht. Wir haben es vor kurzem beim Krankenhausstreik gesehen. und davor sahen wir es beim Streik der Bauarbeiter. Das zeigt uns, was für eine große Macht das vereinte Volk besitzt. Und das einzige, was uns noch fehlt, ist noch mehr Einigkeit, die völlige Einigkeit aller Menschen, um mit der Ungerechtigkeit fertig zu werden. Ohne Einigkeit stehen wir da wie die Jünger im Sturm, bevor Jesus kam.
Manuel: – So ging es auch mit dem Kommunismus, der am Anfang den Leuten Angst einjagte wie ein Gespenst, wie ein Geist. Aber jetzt, da wir ihn aus der Nähe gesehen haben, merken wir, daß er die Eintracht ist, die Brüderlichkeit zwischen den Menschen, die wirkliche Gemeinschaft aller mit allen und auch mit Gott. Mir scheint, der Kommunismus ist wie ein Gespenst, aber wenn er näherkommt, sagen wir: ‚Es ist ja Christus!‘ So gibt es viele Völker, die schon mit diesem Christus, den sie vorher für ein Schreckensgespenst gehalten haben, im gleichen Boot fahren.
Ich sage, die Worte Manuels erinnerten mich an jenes berühmte Dokument von Marx und Engels, das sogenannte Kommunistische Manifest, das so beginnt: ‚Ein Gespenst geht durch Europa…‘ Ich weiß nicht, ob Manuel dies wusste und daran dachte, als er von diesem Gespenst sprach. (Manuel lächelt und stimmt mir mit einem Kopfnicken zu.)
Ich sage auch, daß der Kommunismus tatsächlich aufgehört hat, ein Gespenst zu sein, sondern daß er heute eine reale Tatsache ist. Wir brauchen und nicht mehr vor ihm zu fürchten, denn diese Realität ist die Liebe.“ (S. 216-217)

Die Heilung eines Gelähmten (Lukas 5, 17-26)

„Carlos, der Spanier: – Allein kann sich der Mensch nicht befreien. Mir scheint, daß jeder von uns für sich dieser Gelähmte ist, der trotz seines großen Glaubens nicht allein bis zu Jesus gelangen konnte. Es genügt nicht, meine ich, daß ein Mensch allein glaubt, sondern es ist nötig, daß eine ganze Gruppe glaubt. Nur so, in einer Gemeinschaft, können wir uns befreien.“ (S. 223)

Die andere Backe (Lukas 6, 27-31)

„Ich sage: – Im Klassenkampf kämpfen wir dafür, daß mit der Trennung der Klassen Schluß gemacht wird. Solange wir in Klassen mit entgegengesetzten Interessen gespalten sind, haben wir Klassenfeinde. Wenn wir aber kämpfen, um uns mit ihnen zu vereinen, damit alle zusammen eine vereinte Menschheit in einer klassenlosen Gesellschaft bilden, dann kämpfen wir aus Liebe und nicht aus Haß. Die Marxisten sprechen manchmal vom Haß. Und bei Che Guevara gibt es einen oder zwei Sätze, in denen er sagt. daß der Revolutionär hassen muß. Aber ich glaube, das ist mehr eine Redensart, so ähnlich wie wenn Christus sagt: ‚Wer seinen Vater und seine Mutter nicht haßt, ist meiner nicht wert.‘ Wir Christen haben immer gesagt, man müsse die Sünde hassen und den Sünder lieben, und ich habe den Eindruck, daß der Che nie aus Haß gegen andere Menschen kämpfte, sondern aus Haß gegen die Ungerechtigkeit. Mir gefiel der Satu, den ich einmal in Chile von einem marxistischen Priester, dem Pater Arroyo, hörte, in dessen Haus wir uns zu einer kleinen eucharistischen Feier versammelt hatten. Ein anderer verteidigte dort den revolutionären Haß, und Pater Arroyo sate zu ihm: ‚Nur die Liebe ist revolutionär, der Haß ist immer reaktionär.‘“ (S. 238-239)

 Richtet nicht… (Lukas 6, 37-42)

„Julio […]: […] Christus und wir: alle gleich. Es wird keinen Meister mehr geben, weil wir alle gleich sein werden, auch mit Christus gleich – sage ich.“ (S. 251)

„William: – Und mir scheint, daß Jesus uns hier mit diesem Beispiel aus der Naturkunde sagen will, daß auch das Gute und das Schlechte im Menschen den Naturgesetzen gehorcht, nämlich den Naturgesetzen der Geschichte, die auch die Gesetze des historischen Materialismus genannt werden. So wie die Produktionsverhältnisse sind, die in einer bestimmten Gesellschaft herrschen, so werden auch die geistigen Früchte sein, die diese Gesellschaft hervorbringt. Daß in einem System der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen die Liebe unter den Menschen entsteht, ist genauso unnatürlich wie wenn ein Dornbusch Feigen hervorbringt.“ (S. 263-264)

Die Vermehrung der Brote (Lukas 9, 10-18)

„Ich sage: […] Im Griechischen gibt es ein Wort (Koinonia), das gleichzeitig die eucharistische Gemeinschaft und auch die Gütergemeinschaft aller mit allen bezeichnet, weil für die ersten Christen beides dasselbe war. Der heilige Paulus sagt, die Güter gemein zu machen sei das Opfer, das Gott wirklich gefalle. Genausogut könnte man auch sagen: Der vollkommene Kommunismus ist die wahre Eucharistie. Mir scheint, daß es dies war, wofür Christus Dank sagte und Gott pries, als er diese Brote verteilte und als er später seine Liebe und seine Hingabe mit dem Brot, das er selbst war, weitergab. Wir haben heute viel über Kommunion und Kommune und Kommunismus gesprochen. All dies will sagen (und das war es vielleicht, was die Jünger nicht verstanden), daß wir dazu berufen sind, eine Menschheit zu bilden, in der alle verschieden und doch eins sind. Eine Gesellschaft nach dem Ebenbild der Dreifaltigkeit.“ (S. 315)

Jesus stillt den Sturm (Markus 4, 35-41)

„Alejandro: […] Wir werden einer Frau, deren Kind an Malaria erkrankt ist, nicht sagen, sie solle nur Gottvertrauen haben, und ihr Kind werde nicht sterben. Denn der Glaube an Gott ist der Glaube an die Menschen, und dieser Glaube kann das Kind heilen.
Die Mutter Alejandros: – Die größten Übel der Menschheit entstehen aus unserem Mangel an Liebe. Gott beseitigt sie nicht persönlich, sondern mit Hilfe der Liebe der Menschen. Wir haben uns früher mit einem Glauben an einen Jesus im Himmel begnügt. Aber das ist nicht der Jesus, der im Sturm dabei ist, der hier bei uns ist in der Person der anderen, in der Person des Herrn X und der Frau Y, der Jesus, der im Volk ist, auch wenn es so aussieht, als ob er schläft.“ (S. 341)

„Ich sage: – Wir sehen auch viele Wunder oder Zeichen (‚Wunder‘ bedeutet ‚Zeichen‘), die Jesus im Laufe der Geschichte tat, alle die Veränderungen, die sein Wort hervorbrachte, und doch zweifeln wir oft daran, daß die Welt verändert werden kann, daß die Winde und Wellen der Geschichte besänftigt werden können.
– Das ist wahr! – ruft Oscar aus.
Und gleichzeitig sagt Tomás: – Das können wir schaffen, wenn wir wollen, nicht wahr?
Laureano: – Die Jünger hätten dasselbe tun können, was Jesus tat. Deshalb tadelte er sie. Denn ich glaube, auch wir haben die Macht, Wunder zu vollbringen-
Ich sage: – Das bringt mir einen Satz ins Gedächtnis, den ich in Havanna in der Rede von Fidel Castro vom 26. Juli hörte: ‚Die Wunder vollbringt immer das Volk‘. Das hört sich vielleicht atheistisch an, ist es aber nicht.“ (S. 342)

„Glaube bedeutet nicht, daß wir Christus kennen oder nicht kennen, sondern daß wir an die Möglichkeit einer Veränderung der Welt glauben. Oder an die Liebe, was dasselbe ist. Glauben bedeutet nicht, daß wir Gott kennen, denn wer kennt schon Gott?
Ich: – Wer seinen Nächsten liebt, der kennt Gott. Und das muss nicht unbedingt ein Christ sein.
– Der Christ, der nicht an die Veränderung der Welt glaubt, ist ein Christ ohne Glauben.
Oscar: – Die Hauptsache ist, sich einig zu sein; einig vollbringen wir viele Wunder.“ (S. 342-343)

„Tomás: – Unser Boot füllt sich mit Wasser, und wir können das Wasser nicht ausschöpfen. Aber dann müssen wir uns an Jesus wenden, das bedeutet, uns vereinen. Wenn wir uns alle vereinen und sagen: ‚Laßt uns dies oder jenes tun‘, dann schaffen wir es, dann bringen wir alles fertig. Aber wenn ich etwas sage, und du sagts etwas anderes und ein anderer wieder etwas anderes, dann bringen wir nichts fertig. Wenn wir uns alle einig sind, irgendeine Arbeit zu tun, wird sie schnell fertig, ganz gleich, um was es sich handelt.“ (S. 344)

„Olivia: – Er ist immer dort, wo Menschen eine Gemeinschaft bilden. Das Boot ist die Gemeinschaft.“ (S. 345)

Jesus und die Samariterin (Johannes 4, 1-42)

„Felipe meint, beides müsse Hand in Hand gehen, der materielle und geistige Fortschritt. Aber wir können nicht von Liebe sprechen, solange es noch Frauen gibt, die sich mit Wassereimern abschleppen müssen oder die auf irgendeine andere Art versklavt sind. Frauen und auch Männer.“ (S. 357)

„Die ersten Christen hatten keine Tempel. Das griechische Wort für Kirche bedeutet eigentlich ‚Versammlung‘ in weltlichem Sinne. Ich habe gelesen, daß auch im Alten Testament praktisch keine religiösen Worte gebraucht werden, sondern rein weltliche, denen man später einen religiösen Sinn gab. So war das Wort ‚Kult‘ ursprünglich ein Ausdruck der Militärsprache und bedeutete etwas Ähnliches wie ‚Kampfbereitschaft‘. Und wenn im Neuen Testament religiöse Ausdrücke gebraucht werden, geschieht dies fast immer, um ihnen ursprünglich weltlichen Sinn zurückzugeben, zum Beispiel, wenn Paulus sagt, der Tempel seien die Menschen.
Mauel: – Darum finden wir es nicht schlimm, in der Kirche zu rauchen. Während wir hier unsere Meinungen sagen, rauchen wir eben, weil dieser Ort nicht heilig ist; heilig ist für uns die Versammlung, die wir hier abhalten.
Felipe: – Die Männer, die Frauen, die Kinder, die Alten… das alles sind heilige Tempel Gottes.“ (S. 360-361)

„Christus sagt, beide Religionen würden nicht mehr nötig sein, ohne jedoch von einer neuen Religion zu sprechen.“ (S. 361)

„Das ist klar: die Befreiung als Idee kommt aus der Religion der Juden. Aber Jesus sagt nur, daß sie darin ihren Ursprung hat… Sie kommt von den Juden, um sich überall auf der Welt auszubreiten. Die Befreiung kommt für alle, für alle Religionen und auch für die Menschen ohne Religion.
Ich sage: – Die ganze Bibel ist eine fortlaufende Anklage der Ungerechtigkeit und eine fortlaufende Verteidigung der Armen, der Witwen und Waisen; und unterbrochen hat die Bibel ein Ziel vor Augen, nämlich eine perfekte Gesellschaft. Das ist der Unterschied, der zwischen der Bibel und allen anderen Religionen besteht, die die Welt als fertig ansehen, als etwas, das man nicht mehr verändern kann. Und darum sind sie für den Status quo und halten es mit den Unterdrückern. (Die Religion der Samariter setzte sich aus verschiedenen heidnischen Religionen zusammen.) Das, was Marx von Gott sagt, nämlich daß er immer auf der Seite der gerade herrschenden Macht gestanden habe, stimmt genau für den Gott aller anderen Religionen, aber nicht für den Gott der Bibel, obwohl die Juden in der Praxis, als sie vom wahren Gott der Bibel abgefallen waren, auch eine entfremdete Religion hatten, die mit der herrschenden Macht im Bunde war. Gerade das war es, was Christus bekämpfte.“ (S. 362-363)

„‚Gott ist Geist‘ soll nicht heißen, er sei etwas außerhalb der Materie. Für die Juden bedeutete ‚Geist‘ der Lebenshauch. Das Gegenteil vom Geist war nicht die Materie, sondern der Tod.“ (S. 364)

„Sie [die Samariterin] hätte es sich sicher nie träumen lassen, daß dieser Messias sich ihr in Gestalt eines Fremden nähern würde, der sie um Wasser bittet.“ (S. 365)

„Das heißt also, daß es im perfekten Kommunismus keinen Sonntag mehr geben wird und daß wir alle Tage arbeiten müssen?
Ich antworte: – Es ist so, daß die Arbeit wie eine Erholung sein wird und die Erholung wie eine Arbeit. Es wird nicht mehr diesen Unterschied zwischen Arbeit und Ruhe geben, den wir heute kennen. Es ist so ähnlich, wie wenn du fischen gehst: Es macht dir Spaß, aber gleichzeitig ist es auch eine Arbeit.“ (S. 366-367)

 Das Brot des Lebens (Johannes 6, 25-59)

„Dieses Brot, das nicht vorhält, ist wie ein Saatkorn, das Somoza im Norden des Landes verteilen läßt, um die Bauern für sich zu gewinnen, obwohl sie dadurch gewiß nicht von ihrem Elend befreit werden. Jesus dagegen sagt hier den Leuten, daß durch die wunderbare Speisung, die sie miterlebt hatten, keins ihrer Probleme wirklich gelöst wäre, sondern worauf es ankäme, sei, die Welt zu verändern, das System der Ungerechtigkeit durch ein System der Liebe zu ersetzen. Und das ist das wirkliche Brot, das er brachte, und darum sagt er, Gott habe ein Siegel auf dieses Brot gedrückt wie auf einen Brief.“ (S. 370)

„[…] es gibt viele, die die halbe Bibel auswendig kennen und doch nicht die Vereinigung mit ihren Mitmenschen suchen, Das eine ist eben, die Schrift gut zu kennen, und das andere, sie auch in die Praxis umzusetzen. Che Guevara und Fidel Castro haben sie in die Praxis umgesetzt.“ (S 373)

„Es ist klar, daß sie nicht an ihn glaubten, weil sie wer weiß für eine vom Himmel gefallene Befreiung erwarteten, irgend so ein Zauberkunststückchen.
Gloria Guevara: – Vor allem glaubten sie nicht an ihn, weil er der Sohn eines Arbeiters war. Immer hackten sie auf der Tatsache herum, daß er Sohn eines Zimmermanns war. Wenn er reich und mächtig gewesen wäre, hätten sie es vielleicht leichter gefunden, daran zu glauben, daß er vom Himmel gekommen war.
Bosco: – Sie reagierten so wegen der Vorstellung, die sie vom Himmel hatten. Sie dachten, Gott sein an irgendeinem unerreichbaren Ort, aber Jesus sagt ihnen hier, dieses Herabkommen vom Himmel bedeute, daß Gott aus der Arbeiterklasse hervorgegangen sei.
William: – Genauso erwarten auch heute viele religiöse Christen eine vom Himmel gefallene und nicht eine aus dem Volk hervorgegangene Befreiung.
Bosco spricht weiter: – Der Imperialismus unterstützt diese Art von Religion, damit sich das Volk trotz aller Ungerechtigkeiten weiter passiv verhält und seine Rettung von oben erwartet. Man braucht nur diese amerikanischen Sender mit ihren religiösen Programmen zu hören, die nur vom Himmel sprechen…“ (S. 374)

„Christus wählte das Beispiel einer gemeinsamen Mahlzeit, um die Einheit der Menschen zu beschreiben, die brüderlich alle Güter der Welt teilen. Das Neue Testament gebraucht das griechische Wort koinoia (was so viel wie Kommunismus bedeutet), um die Eucharistie zu beschreiben, die Gütergemeinschaft aller Menschen und die Einheit aller Menschen mit Gott. Wenn wir das Brot der Eucharistie teilen, nehmen wir teil am Leib Christie und vereinen und gleichzeitig mit dem ganzen Volk, mit dem er sich identifizierte, und auch mit Gott, der zusammen mit Christus ein Ganzes bildet. Aber die Eucharistie ist in Wirklichkeit nur ein Gleichnis, ein Beispiel, um die wirkliche Einheit der Menschen in der gesamten Gesellschaft zu beschreiben.“ (S. 376)

Der barmherzige Samariter (Lukas 10, 25-37)

„Ich glaube, wir können es so ausdrücken: Wer Gott liebt, ohne den Nächsten zu lieben, der erfüllt das Gesetz nicht, aber wer den Nächsten liebt, selbst ohne Gott zu lieben, der erfüllt es. Jesus empfiehlt dem Schriftgelehrten, genauso zu handeln wie der Samariter.“ (S. 393)

„Mit anderen Worten sagt er also, es gebe keinen Gott; Gott sei nur unser Nächster.
Ich: – Er sagt, Gott sei die Liebe.
Laureano: – Er sagt, die anderen lieben, das sei Gott.
Ich: – Er sagt, daß es wohl einen Gott gebe, aber Gott sei diese Liebe.
Laureano: – So sind wir also alle Gott.
Ich: – Die Liebe. Alle, aber nur wenn wir in Liebe vereint sind. Nicht alle einzeln, voller Haß und Ausbeutung. In Wirklichkeit sind es eben nicht alle, denn diese beiden [Schriftgelehrten], die da vorbeikamen, waren nicht die Nächsten des anderen. Wenn es hier in dieser Versammlung Ausbeuter und Mörder gäbe, würdest du nicht sagen: ‚Wir alle sind Gott.‘
Laureano: – Gott sind alle, die sich lieben. Und alle, die sich nicht lieben, sind der Teufel.
Ich: – Der heilige Augustinus sagt, Gott sei die Liebe, mit der wir uns lieben.
Alejandro: – Das ist alles wirklich sehr wichtig, was wir hier sagen!
Olivia: – Was ich sehe, ist, daß wir nicht versuchen sollen, Gott zu lieben, denn Gott existiert nicht, wie Laureano sagt, er ist im Himmel, und hier auf der Erde können wir nichts für ihn tun. Wir sagen zwar, wir liebten ihn, aber das stimmt nicht, weil er keine Realität für uns ist. Es gibt Leute, die es vorziehen, diesen Gott im Himmel zu lieben, eben weil sie ihn nicht sehen. Es ist schwer, ein Christ zu sein, so wie es dieser Samariter war; es ist viel leichter, bloß religiös zu sein und Gott in irgendeinem Tempel anzubeten.“ (S. 396-397)

Die Hochzeitsgäste (Lukas 14, 7-14)

„Diese Auferstehung könnte auch eine Gesellschaft ohne Klassen sein, oder das Leben in der Erinnerung des Volkes oder die Vereinigung mit Gott nach dem Tod. Es kann auch alles zusammen gleichzeitig bedeuten: nachdem sich das Volk befreit hat, in der Erinnerung des Volkes weiterleben und auch nach dem Tod mit Gott vereint sein.“ (S. 404)

„Jesus sprach von der ‚Auferstehung der Gerechten‘ und nicht von der Auferstehung aller Welt, einschließlich der Ausbeuter. Und wir wissen schon, was in der Bibel dieses Wort ‚Gerechte‘ bedeutet. Die Gerechtigkeit ist die soziale Gerechtigkeit und die Befreiung. Der Ungerechte ist der, der unterdrückt, und der Gerechte der, der befreit. Gott ist absolute Gerechtigkeit, und seine Haupteigenschaft ist die des Gerechten: einer, der die Ungerechtigkeit bestraft, der die Unterdrückten befreit und die Bitten der Armen erhört. Die Gerechten sind die, die für die Einsetzung der Gerechtigkeit auf Erden gekämpft haben und die nach Jesu Worten auferstehen werden, weil sie das Fest gegeben haben, von dem hier die Rede ist, die Verteilung der Freude und des Überflusses dieser Welt.“ (S. 405)

‚Wenn ihr nicht werdet wie die Kinder…‘ (Matthäus 18, 1-5)

„Diese Erniedrigung, von der Jesus spricht, ist der Verzicht auf den Egoismus, und nur durch diesen persönlichen Verzicht jedes einzelnen können wir uns von aller Unterdrückung befreien.
Ich sage: – Zu Jesu Zeit gab es politische Bewegungen, die revolutionär erschienen, die es aber nicht wirklich waren, weil ihr Ziel nicht die Eroberung der Macht für das Volk war, sondern die Herrschaft einer Kaste über die andere und die Herrschaft Israels über die übrigen Völker. Als Jesus von einem neuen Reich sein würde, und stellten sich vor, sie würden alle wichtige Stellungen einnehmen…
Nach einer Weile fahre ich fort: – Was Jesus dann tut, ist sehr revolutionär: Er stellt ein Kind in die Mitte und sagt, dieses Kind sei dich wichtigste Person in diesem Reich. Es war fast, als wenn er einen Sklaven in die Mitte gestellt hätte.“ (S. 409)

Der gute Hirte (Johannes 10, 7-16)

„Aber was Jesus von den Königen hält, ist das gleiche, was die Bibel von ihnen hält. Als Israel sein will ‚wie die anderen Nationen‘ und auch einen König haben, sagt Jahwe ihnen durch den Propheten Samuel, der König würde ihre Söhne die Wagen lenken und das Land bebauen lassen und ihre Töchter zu Köchinnen und Bäckerinnen machen; er würde ihnen ihre Weinberge und Ölbäume wegnehmen und sie seinen Offizieren geben. Aber Israel besteht darauf, einen König zu haben und zu sein wie die anderen Nationen. Und mit diesen Königen geschah dann tatsächlich, was der Prophet Samuel vorausgesagt hatte, selbst mit David, der dem Urias die Frau wegnahm und ihn selbst töten ließ, und mit Salomon, der 1000 Frauen hatte. Es ist eben so, daß jeder König ein Dieb und Räuber ist.“ (S. 420)

„Die Ausbeuter sind die Feinde der Menschheit, die Wölfe, die nicht mit den Schafen zusammenleben können. Jesus sagt, er würde alle Schafe in einer einzigen Herde mit einem einzigen Hirten vereinen, aber er sagt nicht, dass auch die Wölfe dabei sein werden.
Francisco: – Der Mensch. der ein Wolf für den Menschen ist, muß zuerst aufhören, Wolf zu sein, ehe er bei den Schafen sein kann; anderenfalls ist es unmöglich, daß er zur Herde des guten Hirten gehört.
Gigi: – Was Jesus da sagte, war sehr revolutionär, und das ist es auch heute noch im 20. Jahrhundert: daß es viele Menschen gibt, die zu Jesus gehören, auch wenn sie außerhalb der Kirche stehen.
William: – Und es ist auch revolutionär, daß er sagt, er würde eine einzige Herde bilden aus denen, die zu seiner Kirche gehören, und denen, die nicht dazu gehören.
Gigi: – Und das sagt er zu einer Zeit, in der für die Juden alles innerhalb der Religion funktionierte.
Ein anderer: – Jesus sagt, er würde die Christen und die Marxisten vereinen.
Und noch ein anderer: – Und mit beiden eine einzige Revolution machen.
Gigi: – Und er räumt auch mit dem Nationalismus auf, in einer Zeit, in der die Juden einen religiösen Nationalismus praktizierten oder eine nationalistische Religion, nämlich indem er ihnen sagt, er würde aus ihnen zusammen mit allen anderen Völkern ein einziges Volk machen.
William: – Der internationale Proletarismus, sozusagen.
Gigi: – Welch ein Unterschied zwischen dem guten Hirten, den wir hier entdeckt haben, und diesem anderen auf den Heiligenbildchen: ein verweichlichter Jesus mit einem Schäfchen auf den Schultern…
Olivia: – Von denen, die nicht zu seiner Kirche gehören, sagt Jesus, sie würden seine ‚Stimme hören‘ Und das heißt, daß sie sein Gebot der Liebe erfüllen werden. Und darum wird die ganze Menschheit wie eine einzige Herde mit einem einzigen Hirten sein, wie die ganze Menschheit in Liebe vereint sein wird.
Iván: – Diese Herde mit einem einzigen Hirten bedeutet der perfekte Kommunismus.“ (S. 423-424)

Das Himmelreich und die Gewalt (Matthäus 11, 12-19 und Lukas 16, 16-17)

„So haben die Armen, die ganze Arbeiterklasse, also zwei Aufgaben: zuerst einmal, aufhören, Arme zu sein, und sich in Menschen zu verwandeln und all das zurückzuerobern, was man ihnen weggenommen hat; und zweitens, den Reichen ihren Reichtum wegzunehmen, damit auch die Reichen, einmal von ihrem Reichtum befreit, Menschen werden können. So besteht die Aufgabe der Revolution, die von den Arbeitern gemacht wird, darin, alle die zu Menschen zu machen, die es nicht sind. Und wir alle sind keine Menschen, die einen, weil sie zu arm sind, und die anderen, weil sie zu reich zu sind. Und das ist die große Verantwortung aller Arbeiter auf dem Land und in der Stadt. Es handelt sich nicht darum, die Reichen zu verfolgen und ins Gefängnis zu stecken… diese armen Reichen. Nein, wir müssen Mitleid mit ihnen haben, aber natürlich nicht jetzt, sondern später, wenn die Revolution gesiegt hat. Dann müssen sie ernährt und gekleidet werden und ins Krankenhaus geschickt, wenn sie krank sind, und in die Schule, um das Leben neu zu begreifen.“ (S. 442-443)

Steuern für den Kaiser (Matthäus 22, 15-22)

„Ein Geschäftsmann oder ein Bankier sind Leute, die immer nur vom Geld sprechen, sie identifizieren sich mit dem Geld, sie sind ganz aus Geld. Aber Gott war etwas vollkommen anderes als das Geld; er war Veränderung, ein Kämpfer für die Befreiung des Volkes, Klassenkampf. Jesus sagt diesen Leuten: Das mit dem Kaiser, das ist nur eine Geldfrage, aber Gott ist etwas vollkommen anderes, etwas, mit dessen Hilfe der Diktator gestürzt wird. Ich glaube, darin liegt dieser Unterschied, den Jesus hier macht: daß Gott mehr ist, daß er nicht bloß Geld ist, sondern die ganze Ökonomie des Volkes…“ (S. 464)

Jesus verdammt die Schriftgelehrten und Pharisäer (Matthäus 23, 1-36)

Und ihr sollt auch niemand euren Vater nennen auf der Erde, denn nur einer ist eurer Vater, der im Himmel ist. Und ihr sollt euch auch nicht Lehrer nennen lassen, denn nur Christus ist euer Lehrer.

– Er wiederholt das gleiche noch einmal. Er verurteilt alle Bevormundung. Der Vater kann auch der Chef sein, der nicht geliebt wird, den man aber respektiert und fürchtet wie einen Vater und dem man manchmal, wenn es ein guter Chef ist, dankbar ist wie ein Vater.
– Und es gibt noch eine andere Art von Väter, das sind die Führer, die sich mit Gewalt durchsetzen. Es sind tyrannische Väter, und solche Väter sollen wir auch nicht akzeptieren.“ (S. 473)

Die Wiederkunft des Menschensohns (Matthäus 24, 29-36)

„Ich sage, Jesus habe sich nie als Messias bezeichnet, sondern immer, wenn er von sich selbst sprach, den Ausdruck ‚des Menschen Sohn‘ benutzt. Auf hebräisch und aramäisch bedeutet ‚Sohn des Menschen‘ ganz einfach ‚der Mensch‘, aber im Buch des Propheten Daniel wird dieser Name auch einem Gesandten Gottes gegeben, der dir Reiche der Erde, die als ‚Bestien‘ bezeichnet werden, zerstören würde. Diesen ‚Bestien‘ wird einer gegenübergestellt, der ‚menschengleich‘ ist, daß heißt, der ein menschliches Antlitz hat. Der Mensch ist in der Bibel das Ebenbild Gottes, daher das Verbot, sich andere Bilder zu machen. Und Hesekiel beschreibt die Herrlichkeit Gottes als eine ‚Ähnlichkeit mit dem Menschen‘. Es scheint auch, daß Jesus sich darum nicht den Namen ‚Messias‘ geben wollte, weil für die Juden seiner Zeit der Messias ein politischer Führer war; im Buch des Propheten Daniel dagegen ist der Menschen Sohn einer, der die Bestien der politischen Macht zerstört.
Felipe sagt: – Mir scheint, daß des Menschen Sohn oder einfach der Mensch den Völkern in dem Maße erscheint, in dem ihre Befreiung fortschreitet. Je mehr die Revolution fortschreitet, desto mehr wird das Erscheinen Jesu deutlich. Die Kataklysmen, wie du sagst, sind die schlechten Gesellschaften, die zerstört werden, und danach beginnt Jesus zu erscheinen.
– Im Proletariat – sagt ein anderer -, im Volk.
Donald: – Hier steht, die Völker der Erde würden weinen. Ich glaube, das ist so: Wenn alles so wie immer ist und dann plötzlich eine radikale Veränderung kommt, eine Revolution zum Beispiel, dann werden die Kapitalisten weinen und schreien und sich die Haare raufen, denn dann ist es aus mit ihnen.“ (S. 496)

Das Letzte Gericht (Matthäus 25, 31-46)

„Jemand hinten in der Kirche (einer von der gegenüberliegenden Küste) fragt: – Sagten Sie hier eben, die Gebete wären schlecht?
Ich: – Was Felipe eben sagte, ist, daß bei diesem Letzten Gericht nicht in Betracht gezogen wird, ob einer gebetet hat.
Felipe: – Es wird noch nicht einmal in Betracht gezogen, ob einer Glauben hatte oder nicht.
Ich: – Sogar mehr noch: Die gerettet werden, erscheinen hier als welche, die überhaupt nicht an Christus glaubten.

Dann werden ihm die Gerechten Antworten: Herr, wann haben wir dich hungrig gesehen und dich gespeist…? Und der König wird ihnen antworten: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr einem unter diesen meinen geringsten Brüdern getan habt, das habt ihr mir getan.

Unser Besucher von der gegenüberliegenden Küste: – Die Religion ist dann also zu nichts nütze?
Elbis: – Wenn die Religion mir dazu verhilft, daß ich meinem Nächsten helfe, dann ist sie zu etwas nütze. Wenn sie macht, daß ich die Bedürfnisse meines Nächsten vergesse, dann ist sie zu nichts nütze.
Olivia: – Wenn einer hingeht und zum Beispiel etwas tut, daß ein Kranker nicht stirbt, dann ist das ein Gebet.“ (S. 513-514)

„Wir glauben immer, Christus sei irgendein besonderes Wesen, etwas anderes als das Volk. Aber es scheint mir sehr wichtig, daß wir uns das einprägen; ich selbst sehe das seit einiger Zeit ganz klar: Auch wenn es ein Bettler, ein Besoffener oder sonst jemand ist… es ist Gott, absolut jeder Nächster. Christus identifiziert sich mit den Menschen, er macht keinen Unterschied. Wenn man das einmal verstanden hat, dann wird sofort die revolutionäre Liebe wach…
Natalia: – Er identifiziert sich mit allen Notleidenden. Mit den Armen. Mit den Unterdrückten.
Alejandro: – Mit allen, denen es dreckig geht.
Ich: – Mit allen, denen es dreckig geht, wie Alejandro sagt. Ich sagte eben, der Menschensohn würde ein kollektiver Christus sein, seine Gesellschaft der Armen, das Proletariat, wie man heute sagt. Und dieses Volk ist es, das richten wird.
Alejandro: – So ist es. Er wird die richten, die ihm Gutes getan haben, und die, die ihm Schlechtes getan haben.“ (S. 514)

Der junge Reiche (Lukas 18, 18-30)

Jesus antwortete ihm: Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer Gott allein.

Manuel: – Er scheint vergessen zu haben, daß er selbst Gott ist, und will nicht, daß sie ihn gut nennen. Er sagt, nur Gott sei gut. Aber in Gemeinschaft mit dem Vater und dem Heiligen Geist ist der Gute er selbst, das heißt als Einheit. Das soll vielleicht bedeuten, daß eine einzelne Person nicht gut sein kann; er selbst ist nur in der Gemeinschaft gut.“ (S. 520)

Als Jesus das hörte, antwortete er ihm: Es fehlt dir noch eins: Verkaufe alles was du hast, und gib es den Armen, dann wirst du einen Schatz im Himmel haben. Und dann komm und folge mir nach. Als der junge Mann das hörte, wurde er traurig, denn er war sehr reich.

Manuel: – Ich glaube, dieser Reiche stahl vielleicht gar nicht. Wenn es so gewesen wäre, dann hätte Jesus es ihm schon gesagt; er nahm sonst auch kein Blatt vor den Mund. Er hätte ihm einfach gesagt: Doch, du hast doch gestohlen. So wollen wir ruhig annehmen, daß dieser junge Mann ehrlich war. Aber Jesus sagt ihm trotzdem, er solle seinen Egoismus aufgeben. Auch wenn er alle Gebote hielt, so war da noch dieser Reichtum, und auch wenn es ein rechtmäßig erworbener Reichtum war, so sollte er ihn doch verteilen.
Alejandro: – Es gibt keinen rechtmäßig erworbenen Reichtum.“ (S. 521)

„Gott hat die Erde für alle bestimmt. Wenn einer etwas hat, das die anderen nicht haben, so muss er es ihnen irgendwie weggenommen haben.
Felipe: – Ja, wenn Jesus ihm sagt, er solle alles verkaufen und an die Armen verteilen, so heißt das, daß dieser Reichtum ungerecht war. Er sagt ihm nicht direkt: Du hast ihn gestohlen, nun geh und gib ihn wieder zurück. Es ist nur eine Art zu sagen, man solle nicht stehlen.
Ich: – Dem Gesetz nach hatte er nicht gestohlen. Aber Christus ist subversiv und mach den Reichtum zu einem Delikt.“ (S. 522)

Das Glas mit dem köstlichen Wasser (Matthäus 26, 6-13)

„Es kann auch möglich sein, daß er meinte, es würde keine Reichen mehr geben, scheint mir. Alle würden gleich arm sein, und so gäbe es nur Arme. Das will auch der Sozialismus. Die Revolution will uns nicht alle reich machen, sondern alle gleich arm, damit die Güter für alle reichen. Das heißt, nicht bettelarm, sondern annehmbar arm, mit allem Nötigen zum Leben, Hygiene, ärztlicher Versorgung. Arm mit menschlicher Würde.“ (S. 538)

Eine Frage über die Auferstehung (Lukas 20, 27-40)

„Vor kurzem las ich ein Interview mit einem mexikanischen Atheisten, in dem dieser sagte, er halte den Glauben an die Auferstehung der Toten für etwas sehr Revolutionäres, und wer an so etwas Verwegenes glaube, der dürfe auch nicht an irgendeiner anderen Veränderung, die im Menschen stattfinden könne, zweifeln.“ (S. 549)

Das wichtigste Gebot (Markus 12, 28-34)

Jesus antwortete ihm: Das wichtigste Gebot ist dieses: ‚Höre Israel, der Herr, unser Gott, ist allein der Herr. Liebe also den Herrn, deinen Gott, von ganzem Herzen, von ganzer Seele, von ganzem Gemüt und mit allen deinen Kräften.‘ Das ist das erste Gebot, aber ein anderes ist ihm gleich: ‚Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.‘ Es gibt keine wichtigeren Gebote als diese.

Elbis: – Die Armen und die Unterdrückten lieben heißt, Gott lieben. Das ist das Gebot, das wir einhalten müssen.
Ich: – Aber warum sagt er dann, das wichtigste Gebot sei, Gott zu lieben? Dann hätte er doch gleich sagen können, man solle nur den Nächsten lieben.
Elbis: – Gott, das sind eben die anderen, das Volk.
Felipe: – Ich glaube, Jesus will sagen, man solle seinen nächsten genauso lieben, als ob es sich um Gott selbst handelte.“ (S. 550)

Das heilige Abendmahl (Markus 14, 12-25)

„Er gibt uns dieses Brot, das sein für das Volk geopferter Leib ist, und diesen Wein, der sein für das Volk vergossenes Blut ist, damit wir alle zu einem einzigen Leib und einem einzigen Blut werden. Alle gleich, keiner mehr als der andere. Denn wenn er sein Blut für alle vergoß, muß uns dieses Blut alle vereinen, meine ich.
– Mit diesem Brot und diesem Wein will er uns sagen, daß er überall da unter uns ist, wo beides geteilt wird.
Und Carlos Mejía Godoy: – Als William vorhin von der ‚Kommunion‘ sprach, ging mir etwas auf, an das ich früher noch nie gedacht hatte, nämlich daß sich das Wort ‚kommunizieren‘ ja nicht nur auf das heilige Abendmahl bezieht, sondern auch ‚mitteilen‘ oder ‚in Verbindung stehen‘ heißt. Früher sagte man: ‚Ich kommuniziere mit den Ideen von Soundso.‘ (eine ideologische Kommunikation also). Und Christus wollte, daß wir tatsächlich so mit anderen ‚kommunizieren‘; und diese Kommunion, dieses Miteinander-in-Verbindung-Stehen, wird bewirken, daß wir später auch alles gemeinsam besitzen.“ (S. 560)

„Ich glaube, die logische Konsequenz der Eucharistie müßte sein, daß alle Menschen alles gemeinsam besitzen. Solange sie nicht alle in einer ‚Kommunion‘ leben, kann die wirkliche Eucharistie, die Christus einsetzte, nicht gefeiert werden.
Ich: – Camilo Torres sagte, genau darum feiere er vorläufig keine Messe mehr.“ (S. 562)

„Ich möchte einmal wissen, warum ich das noch nicht früher gehört habe, nämlich daß die Absicht Christi nicht war, einen Ritus einzusetzen, sondern eine neue Art von Gesellschaft. Ich glaube mit der Geschichte der Kirche ist das gleiche passiert wie mit der Geschichte der Menschheit, so wie Marx sie beschreibt: daß die Menschheit am Anfang eine Gemeinschaft war, in der die Menschen sich gegenseitig halfen und alles gemeinsam besaßen. Genau wie die ersten Christen. Aber das Christentum ging später durch die gleichen Phasen wie die übrige Menschheit: Sklaverei, Feudalismus, Kapitalismus. In einigen Teilen Lateinamerikas haben wir die feudalistische Gesellschaft noch nicht überwunden; in meinem Land zum Beispiel leben einige Priester wie Feudalherren und andere wie Bettler. Aber jetzt gibt es bereits viele unter uns, die verstanden haben, daß wir uns gegen diese unterdrückenden Strukturen der Kirche auflehnen müssen, und wir versuchen zu erreichen, daß die Kirche, zusammen mit der übrigen Gesellschaft, in eine neue Phase übergeht, in die des Sozialismus. Aber vorläufig muß das noch im Untergrund geschehen. Was hier in Solentiname geschieht, wäre in der Kathedrale von Managua unmöglich. In einer Kapelle wie dieser, einfach, arm, bäuerlich, wo das Volk der Ungerechtigkeit spürt, die ihm im Namen der Religion angetan wurde, versteht man den wahren Sinn der Eucharistie, die geneseitige Hilfe, Solidarität und Befreiung bedeutet.“ (S. 563)

„Was ich hier sehe, ist, daß die Eucharistie jeden, der zum Abendmahl geht, verpflichtet. Obwohl manche denken, mit dem bloßen Essen der Hostie hätten sie schon ihre Seele gerettet, ist das wirklich Wichtige, die bestehende Ungerechtigkeit und Ausbeutung zu sehen und, wenn möglich, etwas dagegen zu tun. Und darum habe ich einmal gesagt, es wäre besser, die Kirchen in den Städten zu schließen, weil dieser Zauber doch zu nichts nütze ist, diese großen Messen, diese wunderbaren Eucharistiefeiern. Die bewirken nur, daß es den Menschen noch schlechter geht, denn sie schläfern sie ein. Die Religion schläfert die Leute ein. Da geht man hin und kommuniziert und zündet eine Kerze an und ist mit allem zufrieden; die Ungerechtigkeit ist nicht so wichtig, die sieht man gar nicht. Man ist zufrieden, daß man seine Pflicht erfüllt hat mit Beten… Aber die Ungerechtigkeit, nein, die sieht man nicht, die Kindersterblichkeit, die Unterernährung, den Mangel an Medikamenten. Und diese Art von Kommunion, dieses Brotessen und Weintrinken, dient eher dazu, die Leute zu blenden, die Armen genausogut wie die Reichen. Die Armen sind schon damit zufrieden, wenn nur der Wille Gottes geschieht.
Ich: – Es kann keine wirkliche Kommunion geben, solange es Klassenunterschiede gibt, weil sich die sozialen Klassen nicht vereinen können, die Ausbeuter und die Ausgebeuteten.“  (S. 564)

„Ich meine, wir alle, die wir auf die eine oder andere Art unterdrückt sind, müssen uns zusammentun, denn es nützt gar nichts, wenn vier oder fünf kämpfen, während der Rest schläft. Wenn wir schon etwas machen wollen, dann müssen es alle sein, darum sprechen wir auch gerade von der Kommunion: von einer Vereinigung aller. Und dieser Bund muss vor allem Dingen aus Bauern und Arbeitern bestehen.“ (S. 567)

„Jesus hat auch gesagt, wir sollten ihn in unserem Nächsten sehen, vor allem in den Armen, im Volk. Er sagte: Die Armen, das bin ich selbst. Auch das ist schwierig zu glauben. Manche Menschen grübeln, Gott ist vielleicht so… oder so… Aber sie sehen ihn nicht in den Armen. Das sind die, von denen eben hier gesagt wurde, sie glaubten zwar an den Christus, der in der Hostie ist, die sie essen, aber nicht an den Christus, der in uns allen ist. (S. 568)

Gespräch beim Abendmahl (II) (Johannes 14, 1-14)

Erschreckt nicht. Glaubt an Gott und glaubt an mich. Im Hause meines Vaters gibt es viele Wohnungen; wenn es nicht so wäre, würde ich es euch nicht gesagt haben. So gehe ich jetzt, um euch einen Platz zu bereiten.

Gloria: – [Der] Himmel ist die vereinte Menschheit.
Manuel: – Handelt es sich um die gerechte Gesellschaft, die es eines Tages geben wird?
Felipe: – Ich finde das alles etwas seltsam, diese vielen Wohnungen… Es hört sich an, als ob es sich um das andre Leben handelte, nicht?
Olivia: – Ja, denn er sagt, er würde dort alles für sie vorbereiten, jetzt, wo er bald sterben muß. Und wenn es nach dem Tod nichts mehr gäbe, dann hätte er es ihnen ganz klar gesagt.
William: – Mir geht es wie Felipe, ich weiß auch nicht genau, was ich von dieser Stelle halten soll. Wir waren uns immer einig, daß das Reich Gottes hier auf der Erde errichtet werden würde. In diesem Sinne wäre das Haus des Vaters die menschliche Gesellschaft.
Ich: – Mir scheint es klar, daß Jesus hier von einer Menschheit nach dem Tod spricht. Oder wenigstens davon, daß wir, wenn wir hier zu dieser gerechten Gesellschaft gehört haben, auch nach unserem Tod weiter zu ihr gehören werden. Ich glaube nicht, daß wir uns hier irren. Jedenfalls ist es ganz klar, wohin Jesus geht: zu seiner Auferstehung.
Alejandro: – Er sagt, wir würden alle zusammen in einem Haus wohnen… Das Haus des Vaters ist das Haus einer Familie. So wird die ganze Menschheit zu einer einzigen Familie werden.
Ich: – Die Menschheit wird in einer gemeinsamen Seele vereint sein. Das ist das Haus des Vaters.“ (S. 576)

Wenn ihr mich kenntet, so kenntet ihr auch meinen Vater. Aber von nun an kennt ihr ihn und habt ihn gesehen.

Olivia: – Jesus kennen heißt, das Volk kennen. Wenn wir seine Botschaft von der Revolution kennen, kennen wir auch den Vater; wenn nicht, kann man noch so religiös sein, aber man kennt ihn nicht.
Felipe: – In Wirklichkeit sagt er ihnen, sie sollten sich zusammenschließen, weil diese Liebe, die sie dann verbindet, Gott ist. Und eigentlich kennen sie Gott schon, weil sie seine Botschaft von der Liebe kennen und Gott die Liebe ist.“ (S. 578)

„Wir müssen uns ändern, um die Gesellschaft verändern zu können; und wir müssen die Gesellschaft verändern, um uns selbst ändern zu können. Und alle die Leute, die woanders auf der Welt die Gesellschaft verändern und so wunderbare Dinge für das Volk tun, die tun es im Namen Jesu, auch wenn sie Atheisten sind. Sie interessieren sich nicht für Gott und auch nicht für Jesus, aber sie interessieren sich für die Armen, und darum tun sie alles, was sie tun, im Namen Christi und im Namen Gottes, weil Gott und Christus eins sind und auch Christus und die Armen. Und darin besteht die Herrlichkeit Gottes, daß die Liebe auf der Erde Wirklichkeit wird. Auch wenn es Atheisten sind, die dafür arbeiten, aber das ist die Herrlichkeit Gottes.
Ich: – Das hast du recht, Olivia. In der Bibel ist viel von der ‚Herrlichkeit Gottes‘ die Rede, aber die Christen wissen nicht mehr, was das bedeutet. Die ‚Herrlichkeit Gottes‘ ist die Gerechtigkeit Gottes; die Verwirklichung dieser Gerechtigkeit auf der Erde und die Ausrottung der Ungerechtigkeit. Mit anderen Worten: das Reich Gottes.“ (S. 581)

Gespräch beim Abendmahl (III) (Johannes 14, 15-31)

„Als Jesus geboren wurde, herrschte Frieden im Kaiserreich durch die sogenannte Pax Romana, aber er sagt, sein Frieden sei nicht derselbe wie der Frieden der Welt.
– Wie der Frieden der Vereinigten Staaten – sagt Bosco.
Ein anderer: – Oder wie der Frieden Nicaraguas, dieser Frieden, den wir schon 40 Jahre lang haben, wie sie sagen.
Felipe: – Das ist ein falscher Frieden, der Frieden der Unterdrückung. Wir können nur wirklichen Frieden haben, wenn uns alle Güter des Landes gemeinsam gehören, weil wir sonst in Klassen eingeteilt sind, die sich bekämpfen.“ (S. 588)

Gespräch beim Abendmahl (IV) (Johannes 15, 1-13)

Niemand hat größere Liebe als der, der sein Leben läßt für seine Freunde.

Felipe: – Er sagt ‚für seine Freunde‘, nicht: für die ganze Welt.
William: – Ich glaube, das ist nicht in einem so engen Sinn gemeint; es bezieht sich nicht auf die nächsten Freunde. Ich glaube, es bezieht sich auf die ganze Menschheit.
Ich: – Er spricht davon, sein Leben für die zugeben, die man liebt, aber man kann keinen lieben, den man nicht kennt.
Andere sagen:
– Che Guevara sagte, man müsse jede Ungerechtigkeit, die in irgendeinem Teil der Erde begangen wird, so spüren, als wäre sie einem selbst angetan worden. Er starb für die Menschen, die er nicht kannte und die ihn nicht kannten.
– Die wußten überhaupt nicht, daß er existierte.
– Aber der Che liebte sie, weil er für sie starb.
Elbis: – Unsere Freunde können auch welche sein, die wir nicht kennen; alle Ausgebeuteten können meine Freunde sein. Aber wenn ich mir vorstelle, daß auch die Ausbeuter meine Freunde sein sollen… also da hapert’s dann.
Bosco: – Die Revolutionäre sterben sogar für die, die noch nicht geboren sind. Für die ganze Menschheit.
William: – Und auch für die, die heute noch Ausbeuter sind. Das Interessante an der Sache ist, daß die ganze Menschheit wie ein einziger Organismus ist. Das wollte Jesus mit diesem Beispiel vom Weinstock sagen. Und wenn wir ein einziger Organismus sind, können wir nur leben, wenn wir mit den anderen verbunden sind. Von ihnen abgetrennt, sterben wir.
Eins der Guevara-Mädchen: – Die Menschheit ist die Pflanze der Liebe.“ (S. 597-598)

Gespräch bei Abendmahl (V) (Lukas 22, 24-38)

„Zu jener Zeit wurde der römische Kaiser ‚Wohltäter des ganzen Erdreichs‘ genannt. Christus spricht sich hier ganz klar gegen das römische Kaiserreich und gleichzeitig gegen alle Könige und selbst gegen alle Autorität aus. Die Gesellschaft, die er will, ist die perfekte kommunistische Gesellschaft, in der es keinen Staat gibt.
Ein anderer: – Fidel Castro hat immer gesagt, es sei gefährlich, wenn in einer Revolution ein einziger Mann zu viel Autorität hat. Eine Revolution könne nicht um eine einzige Person kreisen, und man dürfe keinen vergöttlichen. Und er selbst ist dabei, die nötigen Schritte zu unternehmen, um die Macht, die ihm anvertraut wurde, dem Volk zu übergeben.
Ich fahre fort: – Zu Beginn einer Revolution muß es Führer geben, aber danach müssen sie so schnell wie möglich verschwinden. Als Christus zu Pilatus sagte: ‚Ich bin der König‘, sagte er in Wirklichkeit, das Volk sei der König. Die revolutionären Führer sind Vorläufer des Volkes, so wie Johannes der Täufer der Vorläufer Christi war. Und jeder revolutionäre Führer muß vom Volk sagen, was Johannes der Täufer von Christus sagte: ‚Ich muß abnehmen, damit er wachsen kann.‘
– Und warum wollten sie wissen, wer der Wichtigste von ihnen sein würde? Sie hatten von dem zukünftigen Reich gesprochen, aber sie wußten nicht, daß es ein umgekehrtes Reich war: eine Revolution.“ (S. 599-600)

„Er hatte gesagt, er würde zu den Übeltätern gerechnet werden, was bedeutet: zu den Subversiven, zu den Banditen.
Julio Castilla: – Es kann auch sein, daß Jesus sagen wollte: Uns bleibt nur noch die Möglichkeit zu den Waffen zu greifen, da sie uns als Banditen ansehen.
Teresita: – Und wenn sie keinen Mantel zu verkaufen hatten, sollten sie dann eine Bank überfallen?
William: – Ich glaube, Laureano hat recht: Sie mußten sich bewaffnen, weil sie verfolgt wurden…
Ich: – Bisher ist immer geglaubt worden, Jesus spräche im übertragenen Sinn, aber nicht von wirklichen Schwertern.
Alejandro: – Ich meine aber, er spricht von ganz alltäglichen und praktischen Dingen: Taschen, Geld, Schuhe… Warum sollten die Schwerter dann plötzlich geistige Schwerter sein?“ (S. 603)

Im Olivenhain (Matthäus 26, 36-56)

„Ich sprach einmal in Berlin, in der Universität, oder besser gesagt, ich führte eine Diskussion mit dem Publikum, an der auch Sergio Ramirez, der heute hier ist, teilnahm. Ein junges Mädchen fragte mich sehr heftig, wie ich den bewaffneten Kampf verteidigen könnte, wo doch Christus den Gebrauch des Schwerts verboten hätte; und dann ging sie ärgerlich aus dem Saal, ohne die Antwort abzuwarten. Ehe ich dem Publikum antworten konnte und die während mir die Frage noch aus dem Deutschen übersetzt wurde, antwortete Sergio Ramirez (mit einem Satz, den ich später öfter zitiert habe): ‚Christus verbot das Schwert, aber nicht das Maschinengewehr.‘
Sergio: – Das hatte ich schon vergessen. War aber eine gute Antwort.
Ich fahre fort: – Alle lachten über diesen Satz, aber ich sagte, das sei kein Scherz, sondern eine sehr theologische Interpretation. Christus ist hier gegen das Schwert, aber nicht aus moralischen Gründen (wie auch Jaime schon sagte), sondern weil es nutzlos war. Es bedeutet nicht, daß er andere Waffen verurteilt, die andere Menschen unter anderen Umständen benutzen. ‚Wer das Schwert nimmt, soll durch das Schwert umkommen‘ heißt hier ganz einfach: ‚Wenn wir töten, werden wir getötet.‘ Außerdem könnte man hinzufügen, daß im Evangelium des Lukas erzählt wird, Jesus habe beim letzten Abendmahl gesagt, wer kein Schwert habe, solle eins kaufen, worauf die Jünger antworteten, sie hätten zwei. Damit war er einverstanden. Und hier, wo sie sich heimlich getroffen hatten, werden sie auch diese zwei Schwerter bei sich gehabt haben, und er wußte es. Außerdem sagt Lukas in seiner Version dieser gleichen Geschichte, als die Polizei erschien, sei er von den Jüngern gefragt worden: ‚Herr, sollen wir mit dem Schwert angreifen?‘ Es scheint also, daß Jesus nicht den konkreten Entschluß gefaßt hatte, auf jeden Fall alle Gewalt zu vermeiden, wenigstens nicht vor seinen Jüngern. Tatsache war jedenfalls, daß sie ganze zwei Schwerter hatten, um diesem Trupp Soldaten gegenüberzutreten, und die hatten das ganze Römische Reich hinter sich… Aber außerdem gibt Jesus hier noch einen anderen Grund an:

Meinst du, daß ich meinen Vater nicht bitten könnte, mir sofort mehr als zwölf Legionen Engel zu schicken? Wie würde dann aber die Schrift erfüllt, in der es heißt, daß es so geschehen muß?“ (S. 614-615)

„Der Jesuit Teilhard der Chardin sagte einmal, der Grund dafür, daß es Schmerz in der Welt gibt, sei die Evolution; Gott habe die Welt nicht ohne Leid und den Tod schaffen können, seit er zu ihrer Schaffung die Evolution gewählt habe. Auch Marx sagt, die Menschheit müsse notwendigerweise durch verschiedene Etappen der Unterdrückung gehen, um zu evolutionieren (Sklaverei, Feudalismus, Kapitalismus). Und ich sehe jetzt, daß schon Christus das gleiche sagte. Die Engel hätten auch von Anfang an kommen können, was in der Sprache der heutigen Zeit bedeutet, daß sich die Gesetze der Evolution und der Geschichte nicht erfüllt hätten.“  (S. 617)

„[D]das Interessante an der Sache ist, daß es in diesen Schriften auch heißt, es würde eine endgültige Befreiung für die Welt geben, eine Befreiung von jeder Unterdrückung.
Olivia: – Eine Befreiung selbst vom Tod.“ (S. 618)

Jesus vor dem Sanhedrin (Matthäus 26, 57-68)

„In Wirklichkeit zerstörte Jesus die Religion. Als die Samariterin ihn fragte, welcher Tempel der wahre sei, der von Israel oder Samaria, antwortete er ihr, keiner von beiden, denn Gott würde im Geist und in der Wahrheit angebetet werden. Das heißt, Gott würde wirklich geliebt werden in einer Gesellschaft der Liebe: Gott als die Liebe unter den Menschen und nicht als das Bild, das sich die Religionen von ihm machen, die jüdische und die samaritanische und alle anderen Religionen.“ (S. 622-623)

„Außerdem identifiziert sich Jesus, der sich immer mit den Armen identifiziert hatte, hier gleichzeitig mit Gott. Er sagte, der Arme, der Arbeiter sei Gott. Das ist auch heute noch eine Blasphemie für alle, die eine andere Vorstellung von Gott haben. Es war allerdings ein schlimmes Verbrechen, zu sagen, Gott sei ein Arbeiter.“ (S. 626)

„Auch heute glauben viele, die Revolution sei gegen Gott, weil sie nämlich Gott mit dem System identifizieren.“ (S. 622)

Jesus vor Pilatus (Johannes 18, 28-40 und 19, 1-16)

„Wenn er gesagt hätte, sein reich wäre nur innerlich… oder er wäre für die Reichen genausogut wie für die Armen gekommen, also dann wäre ihm das bestimmt nicht passiert.
Ich: – Wie diese biblische Zeitschrift der Protestanten, die hier zirkuliert (sehr hübsch, sie wird bestimmt nicht verboten, sie ist nicht subversiv), in der steht, die Welt sei voller Ungerechtigkeit, und die Bibel sei gegen die Ungerechtigkeit, was natürlich stimmt; aber dann heißt es weiter, der Arbeitgeber soll sein Gewissen erforschen, ob er ungerecht gegen seine Arbeiter sei, und der Arbeiter, ob er ungerecht gegen seinen Chef sei.
Manuel (lacht): – Wie kann Christus gesagt haben, der Arbeiter sei ungerecht gegen seinen Herrn!
Der Student: – Sie glauben, die Arbeit gehöre dem Arbeitgeber, so wie sie zur Zeit Christi glaubten, der Arbeiter gehöre seinem Herrn. Wenn ein Sklave weglief, so war das ungerecht, weil er sich selbst seinem Herrn stahl.“ (S. 638)

Die Kreuzigung (Lukas 23, 26-49)

„Ich sehe da eine Beziehung zwischen dem Arbeiter, der das Kreuz trug, und diesem anderen Landarbeiter, der herbeigerufen wurde, um ihm zu helfen. Ich weiß nicht, ob er es nur tat, weil er gezwungen wurde, ob er es gern tat. Aber man könnte annehmen, daß er es gern getan hat, wenn er nur irgendeine Ahnung davon hatte, wer Jesus war. Auf jeden Fall ist es ein sehr symbolisches Bild: Der Arbeiter und der Bauer, der ihm hilft und so an seiner Tragödie teilnimmt.“ (S. 643)

„Diese Frauen waren Revolutionärinnen, darum wagten sie es, mit ihm zu gehen und sich mit ihm solidarisch zu erklären. Und unter ihnen war auch seine Mutter, die revolutionärste von allen, die während ihrer Schwangerschaft gesagt hatte: ‚Er stürzt die Mächtigen von ihrem Thron und erhöht die Niedrigen; die Hungrigen füllt er mit Gütern und läßt die Reichen leer.‘ Maria war schon eine Revolutionärin und Kommunistin, ehe Jesus geboren war. Sie hatte diese Ideen mit der Muttermilch. Sie war es, die ihn formte und beinflußte; sie trug in großem Maße dazu bei, daß er das wurde, was er war, und daß er das Ende nahm, das er jetzt erlitt.
– Aber die Marienverehrung zeigt uns die Mutter Jesu ganz anders; sie würde sich selbst nicht wiedererkennen.“ (S. 644)

„Wir wissen schon, daß mit ‚Übeltätern‘ die Zeloten, die Guerilleros gemeint sind. Und wir wissen auch, daß das Kreuz die Folter für die Aufständischen war, und darum wurde Jesus zusammen mit diesen beiden anderen gekreuzigt. Es ist sehr wichtig, daß wir Christen die Bedeutung des Kreuzes kennen. Viele Menschen, die ein Kreuz um den Hals tragen, wissen nicht, was dieses Kreuz bedeutet. Es stimmt, daß er kein Guerillero war, und darum macht er diese Unterscheidung zwischen dem grün und dem dürren Holz. Die Obrigkeit macht jedoch keinen Unterschied, denn ein Aufständischer war er.“ (S. 646)

Die Auferstehung (Matthäus 28, 1-10)

„Die Revolution hätte keinen Sinn, wenn es keine Auferstehung gäbe. Wenn nicht auch der Tod erobert wird, nützt es überhaupt nichts, daß alle Dinge der Welt erobert werden: Die Revolution ist gescheitert. Darum sagt Paulus, der letzte Feind, den es zu besiegen gelte, sei der Tod. Das ist der Trost für alle Alten und für alle unheilbar Kranken, die wissen, daß sie den Sieg der Revolution nicht mehr erleben werden, und auch für die Jungen, die heute für sie sterben. Und für die ganze übrige Menschheit, die bereits tot ist. Und nicht nur für die Menschheit, sondern für die ganze Schöpfung, die sie geformt hat. Das letzte Scheitern des Menschen ist das Scheitern der ganzen Schöpfung. Darum sagt Paulus, alle Kreatur klage wie in Geburtswehen und warte auf die Befreiung unseres Körpers. Wir sind das Bewußtsein der Natur, und mit dem Tod der Menschheit stirbt auch die Natur, in dem Sinne, daß sie nun nicht mehr erkennen und nicht mehr lieben kann.“ (S. 655-656)

„Ich glaube, die Revolution ist auch für die Toten, für die gesamte Menschheit, die gestorben ist, ehe sie die Revolution gesehen hat. Und ich glaube, die ganze Menschheit wird, wenn sie vereint ist, ein einziger Organismus sein; und alle, die ein Teil Christi waren, das heißt ein Teil der Menschheit, die dem Gebot der Liebe gefolgt ist, werden zu diesem Organismus gehören. Es wird nicht jeder für sich allein leben, sondern einverleibt in diesen Körper.“ (S. 659)

Jesus am Ufer des Sees (Johannes 21, 1-13 und 20-25)

„Es scheint auch, daß er ihnen einen Vorwurf macht, also indem er ihnen sagt, sie sollten das Netz auf der anderen Seite auswerfen. Er wollte ihnen sagen, daß der Mensch nicht nur für sich selbst arbeiten soll, sondern auch für die anderen, um die anderen zu befreien. Das meinte er mit der anderen Seite…“ (S. 663)

„Die Fische, das sind wir, und das Netz ist die Einheit, die nicht zerbricht.“ (S. 665)

„Das ist ein sehr gutes Bild: daß er hier für sie arbeitet, etwas für sie tut. Er erscheint ihnen als etwas Reales, als etwas Materielles und nicht als irgendeine Theorie oder eine Idee.“ (S. 665)

„Was er tat, war eben unendlich, Mensch so wie die Natur.
Felipe: – Und auch die Revolution hört nie auf, weil es immer wieder neue Revolutionäre gibt. Sie ist unendlich.
Goyo: – Sie revolutioniert eben auf viele verschiedene Arten, die Revolution.
Olivia: – Immer wenn einer für die Befreiung kämpft, findet das Evangelium statt, und darum hört das Evangelium Jesu nie auf. Und darum würde es nicht in die ganze Welt passen, wenn es aufgeschrieben würde.
Ich: – Die Lehre Jesu ist unendlich wie die Natur, wie Donald sagte; und die Lehre Jesu ist die Revolution selbst; und so können wir auch sagen: Die Revolution ist die Natur selbst.
Donald: – In Wirklichkeit handelt es sich um eine Arbeit ohne Ende. Und die Revolution ist unendlich, weil es immer noch eine größere Befreiung gibt.
Goyo: – Und das ist es, was uns dann schließlich zu Gott führt, also…
Ich: – Bis wir ganz bei ihm angekommen sind.
William: – Und das Reich Gottes auf der Erde verwirklicht wird.
Felipe: – Und dann ist das Evangelium zu Ende.
Ich: – Was auf griechisch heißt: die frohe Botschaft vom Gottesreich.
Donald: – Aber das Evangelium ist nie zu Ende, denn auch wenn die Menschheit aufhört zu existieren, so dauert das Werk Christi doch bis jenseits des Todes fort.“ (S. 671)

Literaturverzeichnis

Cardenal, E. (1980). Das Evangelium der Bauern von Solentiname: Gespräche über das Leben Jesu in Lateinamerika. Peter Hammer Verlag.

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Josef der Arbeiter (01. Mai 2020) https://keinparadies.blackblogs.org/2020/05/04/josef-der-arbeiter-01-mai-2020/ Mon, 04 May 2020 21:18:10 +0000 http://keinparadies.blackblogs.org/?p=81 Continue reading "Josef der Arbeiter (01. Mai 2020)"

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Da es der deutschen Linken nicht an plakativen Aufrufen mangelt, proletarische Andachten in der katholischen Kirche jedoch äußerst rar sind, veranstalteten wir dieses Jahr eine Online-Andacht für den heiligen Josef als Stellvertreter aller Arbeiterinnen und Arbeitern dieser Welt.

Gebet zur Eröffnung

Im Namen des Vaters und des Sohnes
und des Heiligen Geistes.
Amen.

Guter Gott, du hast jedem Menschen
eine unauslöschliche Würde geschenkt,
hast Jeder und Jedem von uns
die Fähigkeit zu fruchtbarem Schaffen
und zur Selbstverwirklichung gegeben.
Damit ist auch der menschlichen Arbeit
eine große Würde verliehen.
Auf diese Würde bezieht sich auch
der Gedenktag des hl. Josef – des Arbeiters,
den wir heute begehen.
Gib uns in der kommenden Stunde
deinen Geist für unser gemeinsames Nachdenken
und Austausch über dein Wort.
Dir sei der Lobpreis und die Ehre,
jetzt und in alle Ewigkeit.
Amen.

Impuls

Nur weil der erste Mai 2020 still wird, heißt das nicht, dass wir ruhig sind.

Der erste Tag des Monats Mai ist nicht nur internationaler Kampftag der Arbeiterklasse, sondern bei den Christen auch Josef dem Arbeiter geweiht, wobei dies von der bürgerlichen Kirche totgeschwiegen wird. Erst vor zwei Monaten verstarb Ernesto Cardenal, ein prägender Befreiungstheologe, Priester und Revolutionär. Um seinen Kampf fortzuführen, widmen wir uns in heute einem Auszug seines Buches „Das Evangelium der Bauern von Solentiname“ (erstmals erschienen 1975 in spanischer Sprache), indem Cardenal (1980) die Gespräche mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der urchristlichen Landkommune auf den Solentiname-Inseln dokumentiert. Die Überlegungen der (zum Teil analphabetischen) Bäuerinnen und Bauern sind ebenso simpel wie scharfsinnig und haben bis heute nichts von ihrem kämpferischen Gehalt verloren.

 Das Vorwort zum Johannesevangelium (Johannes 1,1-18) (S. 13-20)

„Alejandro: – Der Arbeiter ist das Ebenbild Gottes, und alles, was er schafft, ist gut und bereichert den Menschen.
Ernesto: – Darin liegt die Größe des Arbeiters. Alle Dinge, die wir haben, wurden zuerst von Gott und dann von den Arbeitern gemacht. Die Schuhe, die wir tragen, wurden von einem Arbeiter gemacht. Die Kleidung von einem anderen Arbeiter. Die Städte und alles, was es darin gibt, die Landstraßen und die Brücken…
Ein Fremder […]: – Das alles kommt von der Macht des Vaters, und der Vater gab diese Macht seinem Sohn, und die Macht des Sohnes ist auch unsere Macht.
Felipe: – Das ist die Größe des Arbeiters. Die Arbeiter setzen die Macht Gottes auf der Erde fort und arbeiten an der Schöpfung. Darum müßten die Arbeiter die Herren der Erde sein und nicht die, die nicht arbeiten…, die Schuhe und Kleidung und Essen haben und überall herumreisen und nicht arbeiten und nicht säen und überhaupt nichts hervorbringen. Aber das sind die Herren der Arbeit der anderen und der Häuser und der Ländereien…“

Tauscht euch nun über die soeben gehörten Worte aus.

Welche Konsequenzen hat dieser Auszug für das christliche Bekenntnis, für die Kirche, für deinen politischen Standpunkt als Christin oder Christ in der Gesellschaft?

Bereichert wirklich alles Geschaffene den Menschen?

Fordert der Text nicht die Revolution als Pflicht jedes Menschen, der sich als Christ bekennt, ein?

Schlussgebet

Guter Gott, wir danken dir für diese Stunde
des Betens und des Austausches.
Wir bitten dich,
lass uns nicht bei bloßen Worten stehen bleiben,
sondern gib uns die Kraft,
dort zu intervenieren,
wo die Würde der menschlichen Arbeit,
der Arbeiter und der gesellschaftlich Schwachen
bedroht oder verletzt wird.
Hilf uns,
ungerechte Strukturen zu hinterfragen
und zu bekämpfen
und sei uns nahe,
damit wir uns selbst nicht in solchen Strukturen verlieren.
Dir sei der Lobpreis und die Ehre,
jetzt und in alle Ewigkeit.
Amen.

Literatur:
Cardenal, E. (1980). Das Evangelium der Bauern von Solentiname: Gespräche über das Leben Jesu in Lateinamerika. Peter Hammer Verlag.

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Revolution und Abendmahl – Nachruf für Ernesto Cardenal (05. März 2020) https://keinparadies.blackblogs.org/2020/03/06/revolution-und-abendmahl-nachruf-fuer-ernesto-cardenal-05-maerz-2020/ Fri, 06 Mar 2020 16:44:40 +0000 http://keinparadies.blackblogs.org/?p=79 Continue reading "Revolution und Abendmahl – Nachruf für Ernesto Cardenal (05. März 2020)"

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Am 1. März verstarb der 95-jährige Priester, Dichter und Politiker Ernesto Cardenal. Welche posthume Relevanz hat sein Leben für die internationale Linke?

„Ich bekenne mich als Kommunist und als Christ, doch eigentlich waren die ersten Christen die ersten Kommunisten.“ (Cardenal, 2010)

Dies war einer der ersten Sätze, mit dem Ernesto Cardenal seine Rede auf dem Bundeskongress der Partei ‚Die Linke‘ in Rostock 2010 eröffnete. Der nicaraguanische Befreiungstheologe eckte jedoch nicht erst mit dieser Rede in der katholischen Kirche an, denn sein revolutionärer Charakter hat Geschichte.

El camino

Ernesto Cardenal wird am 20. Januar 1925 als Kind einer wohlhabenden Familie Nicaraguas in Granada geboren.

1947 schließt Cardenal sein vierjähriges Magisterstudium für Literatur, Philosophie und Theologie in Mexico ab. Darauffolgend beginnt er 1948 ein zweijähriges Studium englischer und nordamerikanischer Literatur in Columbien, nach dessen Abschluss er sich jedoch 1957 nach Kentucky, USA in ein Trappistenkloster Gethsemani zurückzieht. Nach dem Klosteraufenthalt absolviert Cardenal 1961 bis 1965 ein Theologiestudium in Columbien und empfängt noch im Jahr seines Abschlusses die Weihe zum katholischen Priester.[1]

Noch Mitte der sechziger Jahre gründet Ernesto Cardenal eine urchristliche Kommune auf den Solentiname-Inseln im Großen See von Nicaragua. Zusammen mit den dort lebenden Bauern besetzt er kurze Zeit später eine Kaserne der Nationalgarde und flüchtet anschließend ins Exil nach Costa Rica. Cardinal schließt sich dort der sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) an, einer Guerilla, die den Sturz des Diktators Somoza plant.[2]

Ein online verfügbares Video zeigt Priester Ernesto, wie er mit den bewaffneten Guerilleros das Abendmahl feiert und zuvor folgende Predigt hält:

„Was ihr für einen Menschen tatet, wie gering er auch war, ihr tatet es auch für mich. Auf jene wartet die ewige Strafe, die Gerechten aber gehen ins ewige Leben. Mit Christus begann das revolutionäre Denken, das später verwissenschaftlicht wurde. Aber Christi Sprache war nicht wissenschaftlich, sondern einfach und verständlich für das Volk. Christus sagt an einer Stelle, das Gericht habe bereits begonnen. Wo es eine Revolution gibt, hat das Gericht begonnen. All diese Waffen hier sind Waffen für Christus, der arm war. Um dem Kleidung, Bildung und Essen zu geben, der nichts hat. Um dem alles zu geben, der nichts hat.“

Kirchliche Repression

Für Cardenal war der christliche Glaube untrennbar vom Kampf gegen Armut, auch wenn dieser Waffengewalt gegen die Ausbeutungsstrukturen verlangte. Diese Einstellung geriet jedoch in heftige Kritik der katholischen Kirche, einer Kirche deren Klerus der herrschenden Klasse angehört.

Nach dem Sieg der FSLN über die Somoza-Diktatur 1979, übernahm Cardenal bis 1987 das Amt des Kulturministers in der Regierung unter Daniel Ortega[3] und wurde 1985 dafür durch Papst Johannes Paul II vom Priesteramt suspendiert[4]. Erst im Februar letzten Jahres hob Papst Franziskus die Sanktionen gegen Ernesto Cardenal auf.

Das Erbe des Cardenals

1990 brach Cardenal mit der FSLN-Herrschaft nach der Wahlniederlage der Partei und postulierte bis zu seinem Tod am 1. März 2020 im Alter von 95 Jahren scharfe Kritik an der neuen Diktatur Ortegas sowie der bürgerlichen Kirche, da Ortega die Revolution und die Kirche das Evangelium verraten habe.3 Am 4. März wurde Ernesto Cardenal in Managua, der Hauptstaat Nicaraguas beerdigt, wo er drei Tage zuvor im Krankenhaus einen Herzstillstand[5] erlitt. Der Trauergottesdienst wurde von Unterstützern der sandinistischen Regierung gestört, wobei politische Gegner der Diktatur sowie Journalistinnen und Journalisten sogar physisch attackiert wurden.[6]

Ernesto Cardenal ist für uns von ‚Kein Paradies‘ ein kämpferisches Vorbild. Er vereinte den scheinbaren Widerspruch von Marxismus und Religion in seiner Theologie der Befreiung. Cardenal offenbarte uns durch seinen Blick auf die Bibel den Ursprung des kommunistischen Gedankens im Christentum, welcher unser politisches Handeln maßgeblich bestimmt. Zudem ließ Ernesto Cardenal trotz all der Kritik und dem Hass, der ihm vom katholischen Klerus traf, nie von der Kirche selbst ab und hegte stets die Hoffnung, die bürgerliche Kirche zu revolutionieren. Der Traum einer Revolution der Kirche, die nicht nur für die katholischen Christen, sondern auch für die internationale Linke enormen Wert hätte. Wie sähe unsere Welt aus, wenn eine Weltreligion mit über zwei Milliarden Mitgliedern zurück zu ihren kommunistischen Wurzeln fände und sich mit den Genossinnen und Genossen der nicht-konfessionellen Linken verbünden würden? Es stünde schlecht um das Kapital.

Cardenal war auch schon vor seinem Tod ein Symbolbild für alle linken Christen, weit über die Landesgrenzen Nicaraguas hinweg. Ebenso weit wird das politische Echo seiner Taten und Werke über sein irdisches Leben hinausschallen. Wir behalten Bruder Ernesto in Erinnerung und führen seinen begonnenen Kampf fort: Für eine Kirche der Armen! Für den Kommunismus!

Anmerkung:
Dieser Artikel wurde am 06. März 2020 in der Perspektive-online veröffentlicht.

[1] https://www.nicaraguaportal.de/kunst-und-kultur/cardenal/

[2] https://www.deutschlandfunkkultur.de/zum-tod-von-ernesto-cardenal-das-himmelreich-als.1013.de.html?dram:article_id=471433

[3] https://www.tagesspiegel.de/kultur/ernesto-cardenal-wird-90-dichten-fuer-die-revolution/11250952.html

[4] https://www.katholisch.de/artikel/20713-medien-papst-hebt-sanktionen-gegen-ernesto-cardenal-auf

[5] https://www.mdr.de/kultur/ernesto-cardenal-102.html

[6] https://www.dw.com/de/ausschreitungen-bei-trauerfeier-f%C3%BCr-ernesto-cardenal/a-52631029

Literatur:

Cardenal, E. (2010). Es komme die Republik der Himmel auf die Erde [Rede]. Abgerufen von https://www.rosalux.de/fileadmin/ls_sh/dokumente/veranstaltungen_2010/Ernesto-Cardenal-Rede-in-Rostock-Final-4.pdf

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Wenn das Gebet nicht mehr reicht (07. Februar 2020) https://keinparadies.blackblogs.org/2020/02/14/wenn-das-gebet-nicht-mehr-reicht-07-februar-2020/ Fri, 14 Feb 2020 14:16:43 +0000 http://keinparadies.blackblogs.org/?p=72 Continue reading "Wenn das Gebet nicht mehr reicht (07. Februar 2020)"

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Am Freitag den 07. Februar 2020 trafen sich 40 Personen im Gemeindehaus der katholischen Gemeinde St. Peter und Paul Markkleeberg zu einem befreiungstheologischen Abend.

Der kleine Gemeindesaal war mit 40 Besucherinnen und Besuchern prall gefüllt. Im Publikum befanden sich neben Jugendlichen der katholischen Dekanatsjugend auch Mitglieder der Gemeinden Markkleeberg und Connewitz sowie Priester, Diakone und politische Verbündete ohne kirchlichen Bezug.

Teología de la liberación

Diakon Timo Niegsch (Pfarrei Leipzig-Süd) eröffnete den Abend mit einem historischen Abriss der Befreiungstheologie, indem er unterschiedliche Strömungen skizzierte und wichtige Vertreter, wie beispielsweise Oscar Romero, Ernesto Cardenal oder Camillo Torres, vorstellte. Respekt, Anerkennung und Begeisterung für die Menschen und ihre Überzeugungen waren im Publikum zu spüren. Anschließend wurde die Frage der „strukturellen Sünde“ aufgeworfen, welche den „sündhaften“ Mensch als Teil eines sündhaften Systems versteht. Der Kapitalismus zwingt hungernde Menschen zum Diebstahl, da weder der Hunger allein noch ein Gebet Brot auf den Teller bringt. Der christliche Auftrag besteht folglich darin, die Herrschaftsverhältnisse der Ungerechtigkeit zu zerschlagen. Die Befreiungstheologie bietet diesbezüglich unterschiedlichste Ansätze: Vom Aufbau von Basisgemeinden bis hin zum bewaffneten Kampf gegen die Ausbeutungsstrukturen.

„Sozialisten können Christen sein, Christen müssen Sozialisten sein.“ (Helmut Gollwitzer)

PriesterSein als kleiner Bruder vom Evangelium

Um die Bestrebungen einer Theologie der Befreiung praktisch und erfahrbar werden zu lassen, knüpfte Bruder Andreas Knapp an, der in einer katholischen Ordensgemeinschaft namens „Kleine Brüder vom Evangelium“ lebt. Die „Kleinen Brüder“ haben es sich zur Aufgabe gemacht, mit den Ärmsten der Armen zu leben, wie sie zu arbeiten und die Botschaft des Evangeliums zu verkünden.

Die „Kleinen Brüder vom Evangelium“ sind eine kommunistische Gütergemeinschaft und verzichten folglich auf Privateigentum. Sie geben alles auf, um den Geringsten und somit Gott zu dienen.

„Ich wollte ein Nachfolger Jesu sein, doch ich wurde Beamter.“ (Br. Andreas Knapp)

Die vorherige Kirchenkarriere von Bruder Andreas fand ihren Zenit in der Stelle als Direktor eines Priesterseminars. Schließlich brach er jedoch mit allen Privilegien der bürgerlichen Kirche und entschloss sich „Jesus zu folgen“. Aus dem angesehenen Herrn Direktor wurde eine Pariser Putzfrau, später ein Bauchladen-Joghurtverkäufer in Bolivien. Heraus aus dem Klerus, hinein in das Leben der Ärmsten. Ein solcher Werdegang stößt in einer Kirche der Reichen jedoch auf Kritik, da es dem katholischen Klerus missfällt, wenn ein Priester mit der bürgerlichen Klasse bricht und wieder ein Teil der Arbeiterklasse wird.

Das Leben als „kleiner Bruder“ ist nicht nur Beruf und Berufung, sondern gleichzeitig eine Kritik am Priestertum. Die Priester unserer Kirche predigen der Arbeiterklasse von oben herab das Heil, obwohl sie weder Teil dieser Klasse, noch über die Situation der Arbeiterinnen und Arbeiter wissen, da sie sich selbst auf dem Beamtengehalt der Kirche ausruhen und realitätsblind von Messe zu Messe irren.

„Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25, 40)

Für Andreas Knapp erstreckt sich dieser Leitsatz auch auf Asylfragen und praktischen Umweltschutz, wodurch tiefe Verbindungen zu linken Kreisen und Klimaaktivistinnen und -aktivisten bestehen, die sich auch auf ihren christlichen Glauben berufen.

Basisgemeinden in Mittelamerika 

Oliver Cabrera sprach im Anschluss über die politische Situation in Nicaragua und die Rolle der Kirche in Vergangenheit und Gegenwart. Seinen Vortrag hielt er stellvertretend für das Solidaritätsbündnis „SOSNicaragua Leipzig-Dresden“, dessen Anliegen darin besteht, die deutsche Zivilgesellschaft über die politischen Auseinandersetzungen und den staatlichen Terror gegen die Aufständigen in Nicaragua aufzuklären.

Der Kampf des nicaraguanischen Volkes für die Freiheit und gegen die staatliche Unterdrückung ist tief in der Geschichte seines Heimatlandes verwurzelt. Von der sandinistischen Revolution bis hin zur heutigen Diktatur unter Daniel Ortega wurden die Konflikte des Landes historisch eingeordnet und die Stellung der Kirche in diesen analysiert.

Cabrera zeichnete ein nahbares wie erschreckendes Bild der Zustände in Nicaragua und spannte gleichzeitig den Bogen zum Hauptthema des Abends. Obwohl Nicaragua zu den Geburtsstätten der Befreiungstheologie zählt, wuchs Oliver Cabrera zunächst ohne Kontakt zu der Vision einer Kirche der Armen auf. In seiner Heimat wurden über viele Jahre beispielsweise christliche Lieder für die Arbeiter und Bauern aus Kirche und Gesellschaft verbannt. Erst während der Arbeit in einer abgelegenen Gemeinde in Guatemala lernte der damals jugendliche Olli Cabrera die Theologie der Befreiung kennen. Cabrera präsentierte noch ein Video aus den 1970er Jahren, in dem Ernesto Cardenal mit bewaffneten Guerrilleros der FSLN (Frente Sandinista de Liberatión Nacional) im Dschungel das Abendmahl feiert. Für alle Anwesenden war es ein ungewohnter und doch kämpferischer Anblick.

SOSNicaragua servierte zum Ausklang des Abends ein Buffet mit traditionellen Gerichten aus Nicaragua, um die kulinarische Küche ihres Landes mit allen Anwesenden zu teilen. Nebenbei wurden Spenden für die Arbeit des Netzwerkes gesammelt.

Ausblick

Am Ende eines so ergreifenden und motivierenden Abends steht die Frage, wie es nun weitergeht. Weiter jeden Sonntag in die Kirche gehen? So wie gehabt? Für die Armen beten und vielleicht fünf Euro spenden? So wichtig das Gebet und die finanzielle Unterstützung von Hilfsprojekten auch sein mögen, wenn die Ursachen der Nöte nicht beseitigt werden, bleibt nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir müssen eine Flutwelle sein, um die herrschenden Verhältnisse, aus denen Ausbeutung, Hunger, Existenzängste und Leid resultieren, umzuwerfen. Das Bekenntnis zum Christentum, darf keine moralische Selbstbefriedigung sein. Christ zu sein, bedeutet die Verpflichtung zum Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung.

Die katholische Jugend Markkleeberg wird als Reaktion auf die Vorträge und Gespräche zur Theologie der Befreiung die Bahnhofsmission in Leipzig durch eine Kuchenspende unterstützen, um Bedürftigen zumindest eine kleine Freude im erstickenden Alltag zu schenken. Diese kleine Geste soll der Startschuss für weitere Aktionen (in Kooperation mit dem Kollektiv „Kein Paradies“) sein, die sich nicht zuerst auf die Spiritualität, sondern den Dienst am Menschen in Armut konzentrieren.

Dieser Abend war Teil der Vorbereitung des Protests gegen den EU-China-Gipfel im September 2020 in Leipzig. Die europäischen Christen dürfen ein solches Treffen der Reichen nicht unkommentiert lassen und müssen auf nationaler wie internationaler Ebene Widerstand gegen eine solche Veranstaltung organisieren.

„Das Wenige, das ein Gerechter hat, ist besser als der Überfluss vieler Gottloser. Denn der Gottlosen Arm wird zerbrechen, aber der HERR erhält die Gerechten.“ (Psalm 37,16-17)

Für eine Kirche der Armen und eine gerechte Welt!

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