Nächstenliebe – Kein Paradies https://keinparadies.blackblogs.org Politik und Kirche Tue, 06 Dec 2022 15:39:10 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://keinparadies.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1645/2021/03/cropped-KP_1-1-32x32.jpg Nächstenliebe – Kein Paradies https://keinparadies.blackblogs.org 32 32 Klassenkampf aus Nächstenliebe https://keinparadies.blackblogs.org/2022/12/06/klassenkampf-aus-naechstenliebe/ Tue, 06 Dec 2022 15:33:12 +0000 http://keinparadies.blackblogs.org/?p=145 Continue reading "Klassenkampf aus Nächstenliebe"

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Das Wort brachte zwar Licht (Joh 1,1-5), aber weder Staat noch Geld noch Elend in die Welt. Sie sind kein Produkt göttlicher Schöpfung oder eines vermeintlichen Schicksals der Menschheit, sondern das Ergebnis wirtschaftlicher (ökonomischer) Prozesse. Das Wirken Jesu Christi bezog sich stets auf reale, folglich materielle Tatsachen und nicht auf einen fernen Idealismus, denn kein Gebet stillt den Hunger, keine Huldigung den Durst. Kein Götzendienst spendet Fremden Geborgenheit, den Nackten Kleidung oder den Gefangenen Hoffnung. – Das Brot stillt den Hunger und das Wasser den Durst; die offene Tür schenkt Geborgenheit in der Fremde und der Besuch die Hoffnung in Gefangenschaft (Mt 25,35-36). Wenn wir Jesus heute nachfolgen wollen, verlangt dies eine tiefgreifende Analyse der materiellen Verhältnisse einer modernen, deutlich komplexeren Gegenwart. Die folgende Abhandlung begründet die demzufolge notwendige Komplettierung des Katholizismus als das Erbe Jesu Christi durch eine historisch-materialistische Lesart der Geschichte menschlicher Gesellschaften und der Heiligen Schrift. Sie beginnt mit der Frage nach dem wichtigsten Gebot im Markusevangelium:

28 […] Welches Gebot ist das erste von allen? 29 Jesus antwortete: Das erste ist: Höre, Israel, der Herr, unser Gott, ist der einzige Herr. 30 Darum sollst du den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft. 31 Als zweites kommt hinzu: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst. Kein anderes Gebot ist größer als diese beiden. 32 Da sagte der Schriftgelehrte zu ihm: Sehr gut, Meister! Ganz richtig hast du gesagt: Er allein ist der Herr und es gibt keinen anderen außer ihm 33 und ihn mit ganzem Herzen, ganzem Verstand und ganzer Kraft zu lieben und den Nächsten zu lieben wie sich selbst, ist weit mehr als alle Brandopfer und anderen Opfer.  Jesus sah, dass er mit Verständnis geantwortet hatte, und sagte zu ihm: Du bist nicht fern vom Reich Gottes. Und keiner wagte mehr, Jesus eine Frage zu stellen.“ (Mk 12,28-34)

Jesus formuliert zwei Gesetze als Antwort auf die Frage nach dem höchsten Gebot: (1) den Auftrag, das eigene Leben auf die Suche nach Gott auszurichten und (2) den Nächsten zu lieben wie sich selbst. Anschließend betont er jedoch, dass diese beiden das höchste Gebot seien, obwohl die Frage des Gelehrten explizit auf ein einziges höchstes Gebot abzielte. Die Nächstenliebe ist somit gleichbedeutend mit der Liebe der Menschen zu Gott. Seinen Nächsten zu lieben bedeutet auch Gott zu finden, wodurch nicht nur Gott, sondern auch die Nächstenliebe universalen Charakter erhält, jedoch sind Gott und die Nächstenliebe nicht identisch, da Jesus zumal die beiden Gebote getrennt formuliert und dennoch ihre Einheit betont. Die bedingungslose Liebe zum Nächsten ist die Offenbarung des transzendenten Gottes in der immanenten Welt. Zudem bildet sie den Kerngedanken des Katholizismus:

Niemandem bleibt etwas schuldig, außer der gegenseitigen Liebe! Wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt. 9 Denn die Gebote: Du sollst nicht die Ehe brechen, du sollst nicht töten, du sollst nicht stehlen, du sollst nicht begehren! und alle anderen Gebote sind in dem einen Satz zusammengefasst: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ (Röm 13,8-9)

Das Erbe Jesu Christi (der ursprüngliche Katholizismus) ist also die allumfassende und bedingungslose Nächstenliebe. Sie ist der Weg in die Gemeinschaft von uns mit allen und mit Gott, wodurch ihr Charakter gleichermaßen immanente als auch transzendente Züge in sich trägt. Das einzelne Individuum als Akteur der Nächstenliebe ist jedoch durch seine Einsamkeit in allem Maße beschränkt. Das höchste Gebot der Nächstenliebe kann erst erfüllt werden, wenn der Mensch in Gemeinschaft ist. Eine universale, alles umfassende Nächstenliebe bedarf folglich einer universalen Einheit aller Menschen. Der Mensch darf nicht mehr nur als Individuum, sondern muss als Gattung begriffen werden. Dieses Gattungswesen der Menschheit ist Gegenstand der humanistischen Philosophie, deren vier Grundprinzipien Erich Fromm (1990) definierte:

  1. Die Annahme einer Einheit der Menschheit und dass alles Menschliche in jedem Individuum vorzufinden ist.
  2. Die Betonung der menschlichen Würde.
  3. Die Fähigkeit des Menschen zur Weiterentwicklung und Vervollkommnung.
  4. Das Streben nach Frieden, Vernunft und Objektivität.

Aus Punkt eins ergibt sich eine Doppelbedeutung der Einheit, welche die Annahme der Vereinigung aller Menschen im menschlichen Gattungswesen als auch eine intraindividuelle Einheit der Menschheit umfasst. Der intraindividuelle Aspekt liefert die Grundlage für den humanistischen Erkenntnisgewinn, da jede menschliche Eigenschaft in jedem Individuum vorzufinden ist, sogleich die qualitative Ausprägung der Eigenschaften interindividuell differiert. Die tiefsten Abgründe als auch das Göttliche, das ich in meinem Gegenüber entdecke, trage ich ebenso in mir selbst, kann dies jedoch erst durch die Suche im Anderen entdecken. Die Grundlage des philosophischen Humanismus, der Glaube an das Gattungswesen der Menschheit wird aus christlicher Perspektive in der Rede über das Himmelbrot in der Synagoge von Kafarnaum deutlich:

48 Ich bin das Brot des Lebens. 49 Eure Väter haben in der Wüste das Manna gegessen und sind gestorben. 50 So aber ist es mit dem Brot, das vom Himmel herabkommt: Wenn jemand davon isst, wird er nicht sterben. 51 Ich bin das lebendige Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Wer von diesem Brot isst, wird in Ewigkeit leben. Das Brot, das ich geben werde, ist mein Fleisch, (ich gebe es hin) für das Leben der Welt. 52 Da stritten sich die Juden und sagten: Wie kann er uns sein Fleisch zu essen geben? 53 Jesus sagte zu ihnen: Amen, amen, das sage ich euch: Wenn ihr das Fleisch des Menschensohnes nicht esst und sein Blut nicht trinkt, habt ihr das Leben nicht in euch. 54 Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat das ewige Leben, und ich werde ihn auferwecken am Letzten Tag. 55 Denn mein Fleisch ist wirklich eine Speise, und mein Blut ist wirklich ein Trank. 56 Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir, und ich bleibe in ihm. 57 Wie mich der lebendige Vater gesandt hat und wie ich durch den Vater lebe, so wird jeder, der mich isst, durch mich leben. 58 Dies ist das Brot, das vom Himmel herabgekommen ist. Mit ihm ist es nicht wie mit dem Brot, das die Väter gegessen haben; sie sind gestorben. Wer aber dieses Brot isst, wird leben in Ewigkeit.“ (Joh 6,22-59)

Die Einheit ist hier jedoch nicht als philosophische Kategorie zu verstehen, sondern aus religiöser Sicht als Vereinigung der gesamten Menschheit mit Gott in Jesus Christus (Gal 3,28). Ernesto Cardenal (1980) führt diesen Gedanken in Das Evangelium der Bauern vom Solentiname weiter aus:

„Christus wählte das Beispiel einer gemeinsamen Mahlzeit, um die Einheit der Menschen zu beschreiben, die brüderlich alle Güter der Welt teilen. Das Neue Testament gebraucht das griechische Wort koinoia (was so viel wie Kommunismus bedeutet), um die Eucharistie zu beschreiben, die Gütergemeinschaft aller Menschen und die Einheit aller Menschen mit Gott. Wenn wir das Brot der Eucharistie teilen, nehmen wir teil am Leib Christie und vereinen uns gleichzeitig mit dem ganzen Volk, mit dem er sich identifizierte, und auch mit Gott, der zusammen mit Christus ein Ganzes bildet. Aber die Eucharistie ist in Wirklichkeit nur ein Gleichnis, ein Beispiel, um die wirkliche Einheit der Menschen in der gesamten Gesellschaft zu beschreiben.“ (Cardenal, 1980, S. 376)

Aus der Eucharistie ergibt sich folglich ein kollektiver Christus-Begriff, welcher das Individuum des historischen Jesus von Nazareth übersteigt und die Einheit der menschlichen Gattung mit Gott umfasst. Diese Einheit ist durch Christus auch schon in unserer Welt möglich:

27 Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. 28 Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“ (Gal 3,27-28)

Die Taufe als Bündnis der Liebe zwischen uns Menschen und Gott nimmt jeglichen Eigenschaften, mit denen Menschen schon durch ihre Geburt belegt werden und die sich jeglicher Verantwortung des Individuums entziehen, ihre Relevanz. Die Geburt als Teil einer Volksgruppe, die Zugehörigkeit einer sozialen Klasse und das soziale oder sogar biologische Geschlecht eines Menschen verschwinden, wenn wir in Christus eins werden. Diese Einheit bedarf jedoch realer, materieller Voraussetzung auf der Erde, denn die bedingungslose Liebe unter den Menschen und zu Gott gelten zusammen als das höchste Gebot des Christentums. Camilo Torres postulierte, dass das Bekenntnis zum Christentum und somit zur allumfassenden Nächstenliebe eine Analyse des materiellen Elends verlangt:

„In der heutigen Welt kann sich niemand Christ nennen, der sich nicht mit dem Problem des materiellen Elends beschäftigt.“ (Torres, 1969, S. 127)

Materielles Elend ist das Ergebnis struktureller sozialer Ungleichheit, welche wiederrum auf die ökonomische (die materielle) Basis einer Gesellschaft zurückzuführen ist. Soziale Ungleichheit beschreibt die Begünstigung oder Benachteiligung von Individuen im sozialen Kontext ohne die Berücksichtigung biologischer Unterschiede. Die Möglichkeiten zur Bedürfnisbefriedigung werden somit innerhalb einer Gesellschaft ungleich verteilt. Sind die Zugangsmöglichkeiten von Menschen zu grundsätzlich vorhandenen und allgemein erstrebenswerten Gütern oder sozialen Stellungen dauerhaft eingeschränkt, tritt soziale Ungleichheit strukturell auf. Strukturelle soziale Ungleichheit begünstigt oder beeinträchtigt die Lebenschancen der betroffenen Individuen oder Kollektive (Kreckel, 1992). Die Frage nach dem Ursprung des materiellen Elends impliziert die Frage nach dem Ursprung und der Entwicklung von Gesellschaften an sich. Der Ursprung aller natürlichen Gesellschaften ist die Assoziation zur gemeinsamen Arbeit – jede soziale Frage ist somit stets auch eine materielle. Die Arbeit ist das Stoffwechselverhältnis, in welchem sich der Mensch aufgrund seiner Existenz mit der Natur befindet (Marx, 2017). Alle Verhältnisse, in denen Arbeit verrichtet wird, bezeichnet Marx (1859) als Produktionsverhältnisse:

„In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.“ (Marx, 1859, S. 8-9)

Die Grundlage einer jeden Gesellschaft besteht also in deren ökonomischen Prozessen, aus denen sich der Überbau (Staat, Politik, Kultur, Kunst, sogar die Moral, etc. – folglich das gesamte gesellschaftliche Leben) ergibt. Jedoch ist dies trotz der Trennung von Basis und Überbau nicht als einseitige, hierarchische Abhängigkeit zu verstehen, wie Friedrich Engels (1890) in einem Brief an Joseph Bloch klarstellte. Die kompromisslose Herrschaft der Basis gegenüber des Überbaus wirke lediglich auf letzter Entscheidungsebene, es besteht also eine Wechselwirkung, eine gegenseitige Beeinflussung zwischen gesellschaftlichem Überbau und materieller Basis. Alle gesellschaftlichen Erscheinungen stumpf den ökonomischen Prozessen zu unterjochen, stünde in keinerlei Verhältnis zur Komplexität der historisch-materialistischen Weltanschauung. Sogleich muss jedoch der Ursprung aller gesellschaftlichen Merkmale in den Verhältnissen der Produktion nochmals betont werden, nur dass teilweise eine gegenseitige Beeinflussung von Basis und Überbau vorliegt.

Mit einer fortschreitenden Teilung der Arbeit im Verlauf menschlicher Gesellschaften entwickeln sich soziale Klassen. Die Arbeitsteilung, die Differenzierung von Berufen beginnt bereits in der frühen Geschichte der Menschheit innerhalb der Familie, schlägt sich später im Verhältnis der ersten Städte zu den ländlichen Regionen nieder und gipfelt schließlich in die Trennung geistiger und materieller Arbeit voneinander. Infolgedessen bilden sich wirtschaftliche Gruppierungen, also einzelne Berufskreise, später ganze Klassen heraus, an welche die Individuen aufgrund ihrer sozialen Herkunft gebunden sind. Der Begriff der Arbeitsteilung entspricht dem des Privateigentums, da die beiden Bezeichnungen einerseits den tätigen Prozess im Falle der Arbeitsteilung und andererseits das, im Privateigentum bestehende, Produkt der (entfremdeten) Arbeit beschreiben; die Teilung der Arbeit und das Privateigentum gehen auf die Entfremdung der Arbeit zurück. Die Differenzierung der Arbeit in geistige und materielle Arbeit als die höchste Form der Arbeitsteilung wird im Privateigentum greifbar, denn der Eigentümer produziert selbst weder Ware noch Dienstleistung, lediglich sein Eigentumsverhältnis gilt ihm als seine (geistige) Arbeit, die jedoch selbst nichts hervorbringt, sondern auf die materielle (unter diesen Umständen jedoch entfremdete) Arbeit der Arbeitskräfte angewiesen ist. Diese Teilung der Arbeit bedarf einer Entfremdung der Arbeit, da diese erst die Bereicherung an fremder Arbeit zulässt, welche sich im Privateigentum manifestiert. Der marxistische Klassenbegriff definiert sich zusammenfassend über das Privateigentum an Produktionsmitteln (Marx & Engels, 2018). Die sozioökonomischen Interessen der Klassen verhalten sich antagonistisch zueinander, da ihr Ursprung (die Arbeitsteilung beziehungsweise das Privateigentum) selbst den Widerspruch zwischen individuellem und kollektivem Interesse oder dem Interesse eines Kollektivs und dem Interesse des nächstgrößeren Kollektivs, welchem das erste Kollektiv angehört, in sich trägt (Marx & Engels, 2018). Aufgrund der soziologisch bedingten, zwangsläufig feindlichen Beziehung der sozialen Klassen zueinander, kann die Nächstenliebe nicht allumfassend verwirklicht werden, da sie nicht über die Grenzen einer Klasse, aufgrund deren antagonistischer Stellung zu den anderen Klassen, hinausgehen kann. Aufgrund des Ursprungs der sozialen Klassen im Privateigentum an Produktionsmitteln bedarf es einer Gesellschaft ohne jenes Privateigentum, folglich einer klassenlosen Gesellschaft, welche in der Bibel als Reich Gottes (Mk 10,25; Lk 14,11; Gal 3,27-28)

25 Leichter geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“ (Mk 10,25)

11 Denn wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“ (Lk 14,11)

27 Denn ihr alle, die ihr auf Christus getauft seid, habt Christus angezogen. 28 Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Sklaven und Freie, nicht männlich und weiblich; denn ihr alle seid einer in Christus Jesus.“ (Gal 3,27-28)

und im Marxismus als Kommunismus bezeichnet wird (Marx, 2017), um die universale Nächstenliebe leben zu können.

„Der Kommunismus als positive Aufhebung des Privateigentums als menschlicher Selbstentfremdung und darum als wirkliche Aneignung des menschlichen Wesens durch und für den Menschen; darum als vollständige, bewußt und innerhalb des ganzen Reichtums der bisherigen Entwicklung gewordne Rückkehr des Menschen für sich als eines gesellschaftlichen, d.h. menschlichen Menschen. Dieser Kommunismus ist als vollendeter Naturalismus = Humanismus, als vollendeter Humanismus = Naturalismus, er ist die Wahrhafte Auflösung des Widerstreites zwischen dem Menschen mit der Natur und mit dem Menschen, die wahre Auflösung des Streits zwischen Existenz und Wesen, zwischen Vergegenständlichung und Selbstbestätigung, zwischen Freiheit und Notwendigkeit, zwischen Individuum und Gattung. Er ist das aufgelöste Rätsel der Geschichte und weiß sich als diese Lösung.“ (Marx, 2017, S. 75)

Durch die Aufhebung des Privateigentums, folglich der Etablierung des Gemeineigentums (Gesellschaftseigentums) an allen Produktionsmitteln ist die kommunistische Gesellschaft frei von sozialen Klassen, da sich deren Existenz im Privateigentum an Produktionsmitteln begründet. Die Aufhebung wird jedoch explizit als positiv charakterisiert, da der Kommunismus keine Abstraktion, keine weitere Entfremdung des Menschen ist, sondern die Rückkehr zu den natürlichen Produktionsverhältnissen, welche das materielle Abbild des menschlichen Gattungswesens liefern (Marx, 2017). Mit der Aufhebung des Privateigentums erfährt der Mensch folglich keinerlei Verlust, sondern findet zu sich selbst, seiner Gattung und der Natur (seiner Umwelt sowie seiner eigenen) zurück.

Der Weg zur klassenlosen Gesellschaft, dem Reich Gottes auf Erden ist der Klassenkampf. Er beschreibt das politische Moment, welches die Existenz sozialer Klassen durch die Vergesellschaftung der Produktionsmittel aufzuheben versucht und umfasst somit alle Strebungen nach Macht, deren Ziel in der Aufhebung des Privateigentums besteht. Der Klassenkampf aus christlicher Verantwortung darf jedoch nicht als Kampf um permanente Hegemonie innerhalb der Klassengesellschaft verstanden werden; ein solcher Kampf aus Nächstenliebe darf dieselbe nicht missachten und muss stets den Wert der Vergebung betrachten. Die Vergebung ist ein Kerngedanke des christlichen Glaubens, da Jesus Christus noch im Tod am Kreuz Gott darum bittet, den Menschen ihre Schuld der Kreuzigung zu vergeben (Lk 23,34). Die Liebe Jesu zu seinen Mitmenschen, wobei dieser Begriff hier sogar seine Verfolger, Feinde und Peiniger einschließt, konnte auch durch den ungerechten Tod des Gerechten nicht gebrochen werden.

Aus dieser Abhandlung ergibt sich eine fundamentale Erkenntnis: der ursprüngliche Gegenstand des Katholizismus ist die universale, also allumfassende und bedingungslose Nächstenliebe, welche gleichzeitig ein theistisches Abbild des Gattungswesens der humanistischen Philosophie liefert. Die Einheit der Menschheit in einer Welt der bedingungslosen Nächstenliebe verlangt jedoch wiederum nach einem materiellen Abbild dieser Einheit, einer klassenlosen Gesellschaft, welche nur durch die Abschaffung des Privateigentums erreichbar ist. Diese zu errichten und die Welt somit von Ausbeutung und Unterdrückung zu befreien, ist unser christlicher Auftrag in der Nachfolge Jesu Christi.

Literaturverzeichnis

Cardenal, E. (1980). Das Evangelium der Bauern von Solentiname: Gespräche über das Leben Jesu in Lateinamerika. Wuppertal: Peter Hammer Verlag.

Engels, F. (1890). Engels an Joseph Bloch in Königsberg. Zugriff am 01.03.21 unter http://www.mlwerke.de/me/me37/me37_462.htm

Fromm, E. (1990). Über den Ungehorsam und andere Essays (4. Aufl.). München: Deutscher Taschenbuch Verlag.

Kreckel, R. (1992). Politische Soziologie der sozialen Ungleichheit. Frankfurt/New York: Campus.

Marx, K. (1859). Zur Kritik der Politischen Ökonomie. Berlin: Franz Duncker.

Marx, K. (2017). Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844. (4. Aufl.). Berlin: Edition Holzinger.

Marx, K. & Engels, F. (2018). Die deutsche Ideologie. Eine Auswahl. Ditzingen: Reclam.

Torres, C. (1969). Vom Apostolat zum Partisanenkampf. Artikel und Proklamationen. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch.

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Vom Apostolat zum Partisanenkampf (13. Dezember 2020) https://keinparadies.blackblogs.org/2020/12/13/vom-apostolat-zum-partisanenkampf-13-dezember-2020/ Sun, 13 Dec 2020 14:45:06 +0000 http://keinparadies.blackblogs.org/?p=85 Continue reading "Vom Apostolat zum Partisanenkampf (13. Dezember 2020)"

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Camilo Torres Restrepo (1929-1966) war ein katholischer Priester, Befreiungstheologe, kolumbianischer Revolutionär und Soziologe. „Vom Apostolat zum Partisanenkampf“ umfasst zahlreiche Artikel, Analysen und Proklamationen, in denen Torres sich mit der Aufgabe des Christseins, der Nächstenliebe und der Notwendigkeit einer Revolution in seinem Herkunftsland auseinandersetzt. Er schlussfolgert einen bewaffneten Klassenkampf aus Nächstenliebe. 1965 schließt sich Torres der kolumbianischen Guerillabewegung Ejército de Liberación Nacional (ELN; dt. Nationale Befreiungsarmee) an und wird im darauffolgenden Jahr von kontrarevolutionären Regierungstruppen erschossen.

„Der Christ liebt. Diese Liebe unterscheidet ihn, kennzeichnet ihn. Die äußeren Praktiken sind nur Mittel, zur Liebe zu gelangen, und müssen von der Liebe motiviert sein. Ohne Liebe haben solche Praktiken keinen Wert. Der Nichtchrist, der liebt und in gutem Glauben sich bemüht, besitzt die Gnade, handelt übernatürlich und ist ein Sohn Gottes. Der Christ hingegen, der die äußerlichen Praktiken verrichtet und nicht liebt, ist kein Christ.“ (S. 113)

„In der heutigen Welt kann sich niemand Christ nennen, der sich nicht mit dem Problem des materiellen Elends beschäftigt.“ (S. 127)

„Das moderne Apostolat muß heute also besonders in den unterentwickelten Ländern seine Hauptaufgabe darin sehen, eine effektive Nächstenliebe unter allen Menschen zu verwirklichen, ohne Ansehen des Glaubens, des Verhaltens und der Kultur. Auf der anderen Seiter scheint es so gut wie ausgeschlossen, daß die Massen in den unterentwickelten Ländern ohne eine Wirtschaftsplanung, die zugleich die Strukturen verändert, zu wirklich menschenwürdigen sozioökonomischen Verhältnisse gelangen können. Ohne Druck der Mehrheit, der friedlich oder gewaltsam sein wird, je nach dem Verhalten der herrschenden Minderheit, werden die bestehenden Strukturen jedoch keine Veränderung erfahren. In dieser Situation kann das Christentum, wenn es nicht dem Gebot der Nächstenliebe zuwiderhandeln will, nicht neutral bleiben, es darf keine opportunistische und schwankende Haltung einnehmen. Der Christ soll in der Welt bleiben, aber sich vor dem Bösen bewahren (Joh. XVII, 19). Wie Christus soll er Fleisch werden unter den Menschen, in ihrer Geschichte und in ihrer Kultur. Darum kann er die himmlische Liebe nur durch Einwirkung auf die bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Strukturen verwirklichen.“ (S. 143)

„Wenn es bestimmte Umstände es den Menschen unmöglich machen, den Geboten Christi zu folgen, dann hat der Priester die Aufgabe, diese Umstände zu bekämpfen, selbst auf Kosten der Möglichkeit, den eucharistischen Ritus zu zelebrieren, denn das kann nicht ohne die Nachfolge Christi geschehen.“ (S. 177)

„Ich habe mich für das Christentum entschieden, weil ich in ihm die reinste Form des Dienstes am Nächsten sehe.“ (S. 177)

„Ich vertrete die Ansicht, daß der revolutionäre Kampf ein christlicher und priesterlicher Kampf ist. Nur durch ihn können wir unter den konkreten Umständen unseres Landes die Liebe verwirklichen, die die Menschen ihren Mitmenschen entgegenbringen sollen.“ (S. 178)

„Das höchste Ziel aller menschlichen Entscheidungen kann nur die Nächstenliebe, die himmlische Liebe, sein. Ich bin bereit, alle Gefahren auf mich zu nehmen, die das Streben nach diesem Ziel mit sich bringt.“ (S. 178)

„Es ist richtig, daß unsere Bevölkerung in ihrer Mehrheit katholisch ist, das heißt, sie ist eher ein Volk von Getauften als von Katholiken. Das Wesen des Katholizismus wie des gesamten Christentums ist die Liebe, so daß der Apostel Paulus sagen kann: Wer den Nächsten liebt, hat das Gesetz erfüllt. Wären wir wirklich Katholiken, dann wären wir nicht ein von Gewalt gespaltenes Volk, ein Volk, in dem Witwen, Waisen und Arme unterdrückt werden, in dessen Institutionen nicht die Liebe herrscht. Wir haben zwar Gesetze für alles und jedes- denn in Kolumbien gibt es Gesetze für alles -, doch diese Gesetze werden nicht im Geist der Nächstenliebe, sondern zugunsten des Gruppenegoismus angewendet. Wir können also sagen, daß wir ein Volk von Getauften sind, daß 96% der Bevölkerung nur deswegen als Katholiken zählen, weil sie die Taufe empfangen haben. Aber vielen von uns wird es vielleicht nicht gelungen sein, die Liebe zum Nächsten, das Wesen unserer Religion, zu verwirklichen. Wir müssen uns also über religiöse Unterschiede hinwegsetzen. Ich wiederhole noch einmal: Wir dürfen uns nicht immer wieder über das, was uns trennt, streiten und dabei vergessen, uns darüber zu verständigen, was uns eint. Ich habe darauf immer wieder hingewiesen. Die meisten strittigen Fragen gibt es zwischen Katholiken und den Kommunisten. Aber wozu streiten wir uns mit ihnen darüber, ob die Seele sterblich oder unsterblich ist, wo wir uns doch darüber einig sind, daß der Hunger tödlich ist. Warum sollen wir darüber streiten, ob die katholische Kirche die wahre ist oder ob wir sie verlassen sollen, solange die reaktionären Gruppen innerhalb wie außerhalb der Kirche gegen uns kämpfen? Während wir diskutieren, ob man die Kirche enteignen soll oder nicht, lassen wir zu, daß die Mehrheit des kolumbianischen Volkes enteignet wird. Wir Katholiken, die wir eine arme Kirche wollen, können uns doch nicht mit denen streiten, die gegen eine reiche Kirche sind.“ (S. 184-185)

„Daß eine Gruppe gegen ihre Interessen handelt, ist soziologisch gesehen absurd. Deshalb muß man sich dafür einsetzen, daß die Mehrheit an die Macht kommt, damit sie die strukturellen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Reformen verwirklichen kann, die nur im Interesse der Mehrheit liegen. Das nennt man Revolution, und wenn zur Verwirklichung der Nächstenliebe eine Revolution nötig ist, dann muß ein Christ ein Revolutionär sein.“ (S. 197)

„An erster Stelle steht im Katholizismus die Liebe zum Nächsten. ‚Wer den Nächsten liebt, hat das Gesetz erfüllt‘ (Röm. XIII, 8).“ (S. 204)

„Sobald die Klasse des Volkes dank der Zusammenarbeit aller Revolutionäre die Macht ergriffen hat, wird unser Volk über seine religiöse Orientierung diskutieren. Das Beispiel Polens zeigt uns, daß man den Sozialismus aufbauen kann, ohne das Christentum aufzugeben. Ein polnischer Priester sagte: ‚Wir Christen haben die Verpflichtung, beim Aufbau des sozialistischen Staates mitzuhelfen, sofern uns die Möglichkeit bleibt, Gott anzubeten.‘“ (S. 208)

„Eine ‚Plattform‘ [der Einheitsfront des kolumbianischen Volkes], deren Programm ein Staat sozialistischen Typs und die Befreiung Kolumbiens vom amerikanischen Imperialismus ist, kann anderen politischen Bewegungen, die auch für die Errichtung des Sozialismus und die Befreiung vom Imperialismus kämpfen, nicht gleichgültig gegenüberstehen. Mögen diese Bewegungen auch andere ideologische Elemente aufweisen, so stehen sie uns doch wissenschaftlich, politisch und praktisch gesehen am nächsten. Diese Solidarität in der Praxis schreckt viele furchtsame ‚Revolutionäre‘, denen mehr an der Ideologie als an der Revolution liegt, zurück.“ (S. 228)

„Freiheit oder Tod!“ (S. 235)

Literaturverzeichnis

Torres, C. (1969). Vom Apostolat zum Partisanenkampf. Artikel und Proklamationen. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch.

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