Nicaragua – Kein Paradies https://keinparadies.blackblogs.org Politik und Kirche Sat, 13 Mar 2021 20:16:37 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://keinparadies.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1645/2021/03/cropped-KP_1-1-32x32.jpg Nicaragua – Kein Paradies https://keinparadies.blackblogs.org 32 32 Revolution und Abendmahl – Nachruf für Ernesto Cardenal (05. März 2020) https://keinparadies.blackblogs.org/2020/03/06/revolution-und-abendmahl-nachruf-fuer-ernesto-cardenal-05-maerz-2020/ Fri, 06 Mar 2020 16:44:40 +0000 http://keinparadies.blackblogs.org/?p=79 Continue reading "Revolution und Abendmahl – Nachruf für Ernesto Cardenal (05. März 2020)"

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Am 1. März verstarb der 95-jährige Priester, Dichter und Politiker Ernesto Cardenal. Welche posthume Relevanz hat sein Leben für die internationale Linke?

„Ich bekenne mich als Kommunist und als Christ, doch eigentlich waren die ersten Christen die ersten Kommunisten.“ (Cardenal, 2010)

Dies war einer der ersten Sätze, mit dem Ernesto Cardenal seine Rede auf dem Bundeskongress der Partei ‚Die Linke‘ in Rostock 2010 eröffnete. Der nicaraguanische Befreiungstheologe eckte jedoch nicht erst mit dieser Rede in der katholischen Kirche an, denn sein revolutionärer Charakter hat Geschichte.

El camino

Ernesto Cardenal wird am 20. Januar 1925 als Kind einer wohlhabenden Familie Nicaraguas in Granada geboren.

1947 schließt Cardenal sein vierjähriges Magisterstudium für Literatur, Philosophie und Theologie in Mexico ab. Darauffolgend beginnt er 1948 ein zweijähriges Studium englischer und nordamerikanischer Literatur in Columbien, nach dessen Abschluss er sich jedoch 1957 nach Kentucky, USA in ein Trappistenkloster Gethsemani zurückzieht. Nach dem Klosteraufenthalt absolviert Cardenal 1961 bis 1965 ein Theologiestudium in Columbien und empfängt noch im Jahr seines Abschlusses die Weihe zum katholischen Priester.[1]

Noch Mitte der sechziger Jahre gründet Ernesto Cardenal eine urchristliche Kommune auf den Solentiname-Inseln im Großen See von Nicaragua. Zusammen mit den dort lebenden Bauern besetzt er kurze Zeit später eine Kaserne der Nationalgarde und flüchtet anschließend ins Exil nach Costa Rica. Cardinal schließt sich dort der sandinistischen Befreiungsfront (FSLN) an, einer Guerilla, die den Sturz des Diktators Somoza plant.[2]

Ein online verfügbares Video zeigt Priester Ernesto, wie er mit den bewaffneten Guerilleros das Abendmahl feiert und zuvor folgende Predigt hält:

„Was ihr für einen Menschen tatet, wie gering er auch war, ihr tatet es auch für mich. Auf jene wartet die ewige Strafe, die Gerechten aber gehen ins ewige Leben. Mit Christus begann das revolutionäre Denken, das später verwissenschaftlicht wurde. Aber Christi Sprache war nicht wissenschaftlich, sondern einfach und verständlich für das Volk. Christus sagt an einer Stelle, das Gericht habe bereits begonnen. Wo es eine Revolution gibt, hat das Gericht begonnen. All diese Waffen hier sind Waffen für Christus, der arm war. Um dem Kleidung, Bildung und Essen zu geben, der nichts hat. Um dem alles zu geben, der nichts hat.“

Kirchliche Repression

Für Cardenal war der christliche Glaube untrennbar vom Kampf gegen Armut, auch wenn dieser Waffengewalt gegen die Ausbeutungsstrukturen verlangte. Diese Einstellung geriet jedoch in heftige Kritik der katholischen Kirche, einer Kirche deren Klerus der herrschenden Klasse angehört.

Nach dem Sieg der FSLN über die Somoza-Diktatur 1979, übernahm Cardenal bis 1987 das Amt des Kulturministers in der Regierung unter Daniel Ortega[3] und wurde 1985 dafür durch Papst Johannes Paul II vom Priesteramt suspendiert[4]. Erst im Februar letzten Jahres hob Papst Franziskus die Sanktionen gegen Ernesto Cardenal auf.

Das Erbe des Cardenals

1990 brach Cardenal mit der FSLN-Herrschaft nach der Wahlniederlage der Partei und postulierte bis zu seinem Tod am 1. März 2020 im Alter von 95 Jahren scharfe Kritik an der neuen Diktatur Ortegas sowie der bürgerlichen Kirche, da Ortega die Revolution und die Kirche das Evangelium verraten habe.3 Am 4. März wurde Ernesto Cardenal in Managua, der Hauptstaat Nicaraguas beerdigt, wo er drei Tage zuvor im Krankenhaus einen Herzstillstand[5] erlitt. Der Trauergottesdienst wurde von Unterstützern der sandinistischen Regierung gestört, wobei politische Gegner der Diktatur sowie Journalistinnen und Journalisten sogar physisch attackiert wurden.[6]

Ernesto Cardenal ist für uns von ‚Kein Paradies‘ ein kämpferisches Vorbild. Er vereinte den scheinbaren Widerspruch von Marxismus und Religion in seiner Theologie der Befreiung. Cardenal offenbarte uns durch seinen Blick auf die Bibel den Ursprung des kommunistischen Gedankens im Christentum, welcher unser politisches Handeln maßgeblich bestimmt. Zudem ließ Ernesto Cardenal trotz all der Kritik und dem Hass, der ihm vom katholischen Klerus traf, nie von der Kirche selbst ab und hegte stets die Hoffnung, die bürgerliche Kirche zu revolutionieren. Der Traum einer Revolution der Kirche, die nicht nur für die katholischen Christen, sondern auch für die internationale Linke enormen Wert hätte. Wie sähe unsere Welt aus, wenn eine Weltreligion mit über zwei Milliarden Mitgliedern zurück zu ihren kommunistischen Wurzeln fände und sich mit den Genossinnen und Genossen der nicht-konfessionellen Linken verbünden würden? Es stünde schlecht um das Kapital.

Cardenal war auch schon vor seinem Tod ein Symbolbild für alle linken Christen, weit über die Landesgrenzen Nicaraguas hinweg. Ebenso weit wird das politische Echo seiner Taten und Werke über sein irdisches Leben hinausschallen. Wir behalten Bruder Ernesto in Erinnerung und führen seinen begonnenen Kampf fort: Für eine Kirche der Armen! Für den Kommunismus!

Anmerkung:
Dieser Artikel wurde am 06. März 2020 in der Perspektive-online veröffentlicht.

[1] https://www.nicaraguaportal.de/kunst-und-kultur/cardenal/

[2] https://www.deutschlandfunkkultur.de/zum-tod-von-ernesto-cardenal-das-himmelreich-als.1013.de.html?dram:article_id=471433

[3] https://www.tagesspiegel.de/kultur/ernesto-cardenal-wird-90-dichten-fuer-die-revolution/11250952.html

[4] https://www.katholisch.de/artikel/20713-medien-papst-hebt-sanktionen-gegen-ernesto-cardenal-auf

[5] https://www.mdr.de/kultur/ernesto-cardenal-102.html

[6] https://www.dw.com/de/ausschreitungen-bei-trauerfeier-f%C3%BCr-ernesto-cardenal/a-52631029

Literatur:

Cardenal, E. (2010). Es komme die Republik der Himmel auf die Erde [Rede]. Abgerufen von https://www.rosalux.de/fileadmin/ls_sh/dokumente/veranstaltungen_2010/Ernesto-Cardenal-Rede-in-Rostock-Final-4.pdf

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Wenn das Gebet nicht mehr reicht (07. Februar 2020) https://keinparadies.blackblogs.org/2020/02/14/wenn-das-gebet-nicht-mehr-reicht-07-februar-2020/ Fri, 14 Feb 2020 14:16:43 +0000 http://keinparadies.blackblogs.org/?p=72 Continue reading "Wenn das Gebet nicht mehr reicht (07. Februar 2020)"

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Am Freitag den 07. Februar 2020 trafen sich 40 Personen im Gemeindehaus der katholischen Gemeinde St. Peter und Paul Markkleeberg zu einem befreiungstheologischen Abend.

Der kleine Gemeindesaal war mit 40 Besucherinnen und Besuchern prall gefüllt. Im Publikum befanden sich neben Jugendlichen der katholischen Dekanatsjugend auch Mitglieder der Gemeinden Markkleeberg und Connewitz sowie Priester, Diakone und politische Verbündete ohne kirchlichen Bezug.

Teología de la liberación

Diakon Timo Niegsch (Pfarrei Leipzig-Süd) eröffnete den Abend mit einem historischen Abriss der Befreiungstheologie, indem er unterschiedliche Strömungen skizzierte und wichtige Vertreter, wie beispielsweise Oscar Romero, Ernesto Cardenal oder Camillo Torres, vorstellte. Respekt, Anerkennung und Begeisterung für die Menschen und ihre Überzeugungen waren im Publikum zu spüren. Anschließend wurde die Frage der „strukturellen Sünde“ aufgeworfen, welche den „sündhaften“ Mensch als Teil eines sündhaften Systems versteht. Der Kapitalismus zwingt hungernde Menschen zum Diebstahl, da weder der Hunger allein noch ein Gebet Brot auf den Teller bringt. Der christliche Auftrag besteht folglich darin, die Herrschaftsverhältnisse der Ungerechtigkeit zu zerschlagen. Die Befreiungstheologie bietet diesbezüglich unterschiedlichste Ansätze: Vom Aufbau von Basisgemeinden bis hin zum bewaffneten Kampf gegen die Ausbeutungsstrukturen.

„Sozialisten können Christen sein, Christen müssen Sozialisten sein.“ (Helmut Gollwitzer)

PriesterSein als kleiner Bruder vom Evangelium

Um die Bestrebungen einer Theologie der Befreiung praktisch und erfahrbar werden zu lassen, knüpfte Bruder Andreas Knapp an, der in einer katholischen Ordensgemeinschaft namens „Kleine Brüder vom Evangelium“ lebt. Die „Kleinen Brüder“ haben es sich zur Aufgabe gemacht, mit den Ärmsten der Armen zu leben, wie sie zu arbeiten und die Botschaft des Evangeliums zu verkünden.

Die „Kleinen Brüder vom Evangelium“ sind eine kommunistische Gütergemeinschaft und verzichten folglich auf Privateigentum. Sie geben alles auf, um den Geringsten und somit Gott zu dienen.

„Ich wollte ein Nachfolger Jesu sein, doch ich wurde Beamter.“ (Br. Andreas Knapp)

Die vorherige Kirchenkarriere von Bruder Andreas fand ihren Zenit in der Stelle als Direktor eines Priesterseminars. Schließlich brach er jedoch mit allen Privilegien der bürgerlichen Kirche und entschloss sich „Jesus zu folgen“. Aus dem angesehenen Herrn Direktor wurde eine Pariser Putzfrau, später ein Bauchladen-Joghurtverkäufer in Bolivien. Heraus aus dem Klerus, hinein in das Leben der Ärmsten. Ein solcher Werdegang stößt in einer Kirche der Reichen jedoch auf Kritik, da es dem katholischen Klerus missfällt, wenn ein Priester mit der bürgerlichen Klasse bricht und wieder ein Teil der Arbeiterklasse wird.

Das Leben als „kleiner Bruder“ ist nicht nur Beruf und Berufung, sondern gleichzeitig eine Kritik am Priestertum. Die Priester unserer Kirche predigen der Arbeiterklasse von oben herab das Heil, obwohl sie weder Teil dieser Klasse, noch über die Situation der Arbeiterinnen und Arbeiter wissen, da sie sich selbst auf dem Beamtengehalt der Kirche ausruhen und realitätsblind von Messe zu Messe irren.

„Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.“ (Mt 25, 40)

Für Andreas Knapp erstreckt sich dieser Leitsatz auch auf Asylfragen und praktischen Umweltschutz, wodurch tiefe Verbindungen zu linken Kreisen und Klimaaktivistinnen und -aktivisten bestehen, die sich auch auf ihren christlichen Glauben berufen.

Basisgemeinden in Mittelamerika 

Oliver Cabrera sprach im Anschluss über die politische Situation in Nicaragua und die Rolle der Kirche in Vergangenheit und Gegenwart. Seinen Vortrag hielt er stellvertretend für das Solidaritätsbündnis „SOSNicaragua Leipzig-Dresden“, dessen Anliegen darin besteht, die deutsche Zivilgesellschaft über die politischen Auseinandersetzungen und den staatlichen Terror gegen die Aufständigen in Nicaragua aufzuklären.

Der Kampf des nicaraguanischen Volkes für die Freiheit und gegen die staatliche Unterdrückung ist tief in der Geschichte seines Heimatlandes verwurzelt. Von der sandinistischen Revolution bis hin zur heutigen Diktatur unter Daniel Ortega wurden die Konflikte des Landes historisch eingeordnet und die Stellung der Kirche in diesen analysiert.

Cabrera zeichnete ein nahbares wie erschreckendes Bild der Zustände in Nicaragua und spannte gleichzeitig den Bogen zum Hauptthema des Abends. Obwohl Nicaragua zu den Geburtsstätten der Befreiungstheologie zählt, wuchs Oliver Cabrera zunächst ohne Kontakt zu der Vision einer Kirche der Armen auf. In seiner Heimat wurden über viele Jahre beispielsweise christliche Lieder für die Arbeiter und Bauern aus Kirche und Gesellschaft verbannt. Erst während der Arbeit in einer abgelegenen Gemeinde in Guatemala lernte der damals jugendliche Olli Cabrera die Theologie der Befreiung kennen. Cabrera präsentierte noch ein Video aus den 1970er Jahren, in dem Ernesto Cardenal mit bewaffneten Guerrilleros der FSLN (Frente Sandinista de Liberatión Nacional) im Dschungel das Abendmahl feiert. Für alle Anwesenden war es ein ungewohnter und doch kämpferischer Anblick.

SOSNicaragua servierte zum Ausklang des Abends ein Buffet mit traditionellen Gerichten aus Nicaragua, um die kulinarische Küche ihres Landes mit allen Anwesenden zu teilen. Nebenbei wurden Spenden für die Arbeit des Netzwerkes gesammelt.

Ausblick

Am Ende eines so ergreifenden und motivierenden Abends steht die Frage, wie es nun weitergeht. Weiter jeden Sonntag in die Kirche gehen? So wie gehabt? Für die Armen beten und vielleicht fünf Euro spenden? So wichtig das Gebet und die finanzielle Unterstützung von Hilfsprojekten auch sein mögen, wenn die Ursachen der Nöte nicht beseitigt werden, bleibt nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Wir müssen eine Flutwelle sein, um die herrschenden Verhältnisse, aus denen Ausbeutung, Hunger, Existenzängste und Leid resultieren, umzuwerfen. Das Bekenntnis zum Christentum, darf keine moralische Selbstbefriedigung sein. Christ zu sein, bedeutet die Verpflichtung zum Kampf gegen Ausbeutung und Unterdrückung.

Die katholische Jugend Markkleeberg wird als Reaktion auf die Vorträge und Gespräche zur Theologie der Befreiung die Bahnhofsmission in Leipzig durch eine Kuchenspende unterstützen, um Bedürftigen zumindest eine kleine Freude im erstickenden Alltag zu schenken. Diese kleine Geste soll der Startschuss für weitere Aktionen (in Kooperation mit dem Kollektiv „Kein Paradies“) sein, die sich nicht zuerst auf die Spiritualität, sondern den Dienst am Menschen in Armut konzentrieren.

Dieser Abend war Teil der Vorbereitung des Protests gegen den EU-China-Gipfel im September 2020 in Leipzig. Die europäischen Christen dürfen ein solches Treffen der Reichen nicht unkommentiert lassen und müssen auf nationaler wie internationaler Ebene Widerstand gegen eine solche Veranstaltung organisieren.

„Das Wenige, das ein Gerechter hat, ist besser als der Überfluss vieler Gottloser. Denn der Gottlosen Arm wird zerbrechen, aber der HERR erhält die Gerechten.“ (Psalm 37,16-17)

Für eine Kirche der Armen und eine gerechte Welt!

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