Revolution – Kein Paradies https://keinparadies.blackblogs.org Politik und Kirche Wed, 22 Dec 2021 20:44:16 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://keinparadies.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1645/2021/03/cropped-KP_1-1-32x32.jpg Revolution – Kein Paradies https://keinparadies.blackblogs.org 32 32 Vom Apostolat zum Partisanenkampf (13. Dezember 2020) https://keinparadies.blackblogs.org/2020/12/13/vom-apostolat-zum-partisanenkampf-13-dezember-2020/ Sun, 13 Dec 2020 14:45:06 +0000 http://keinparadies.blackblogs.org/?p=85 Continue reading "Vom Apostolat zum Partisanenkampf (13. Dezember 2020)"

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Camilo Torres Restrepo (1929-1966) war ein katholischer Priester, Befreiungstheologe, kolumbianischer Revolutionär und Soziologe. „Vom Apostolat zum Partisanenkampf“ umfasst zahlreiche Artikel, Analysen und Proklamationen, in denen Torres sich mit der Aufgabe des Christseins, der Nächstenliebe und der Notwendigkeit einer Revolution in seinem Herkunftsland auseinandersetzt. Er schlussfolgert einen bewaffneten Klassenkampf aus Nächstenliebe. 1965 schließt sich Torres der kolumbianischen Guerillabewegung Ejército de Liberación Nacional (ELN; dt. Nationale Befreiungsarmee) an und wird im darauffolgenden Jahr von kontrarevolutionären Regierungstruppen erschossen.

„Der Christ liebt. Diese Liebe unterscheidet ihn, kennzeichnet ihn. Die äußeren Praktiken sind nur Mittel, zur Liebe zu gelangen, und müssen von der Liebe motiviert sein. Ohne Liebe haben solche Praktiken keinen Wert. Der Nichtchrist, der liebt und in gutem Glauben sich bemüht, besitzt die Gnade, handelt übernatürlich und ist ein Sohn Gottes. Der Christ hingegen, der die äußerlichen Praktiken verrichtet und nicht liebt, ist kein Christ.“ (S. 113)

„In der heutigen Welt kann sich niemand Christ nennen, der sich nicht mit dem Problem des materiellen Elends beschäftigt.“ (S. 127)

„Das moderne Apostolat muß heute also besonders in den unterentwickelten Ländern seine Hauptaufgabe darin sehen, eine effektive Nächstenliebe unter allen Menschen zu verwirklichen, ohne Ansehen des Glaubens, des Verhaltens und der Kultur. Auf der anderen Seiter scheint es so gut wie ausgeschlossen, daß die Massen in den unterentwickelten Ländern ohne eine Wirtschaftsplanung, die zugleich die Strukturen verändert, zu wirklich menschenwürdigen sozioökonomischen Verhältnisse gelangen können. Ohne Druck der Mehrheit, der friedlich oder gewaltsam sein wird, je nach dem Verhalten der herrschenden Minderheit, werden die bestehenden Strukturen jedoch keine Veränderung erfahren. In dieser Situation kann das Christentum, wenn es nicht dem Gebot der Nächstenliebe zuwiderhandeln will, nicht neutral bleiben, es darf keine opportunistische und schwankende Haltung einnehmen. Der Christ soll in der Welt bleiben, aber sich vor dem Bösen bewahren (Joh. XVII, 19). Wie Christus soll er Fleisch werden unter den Menschen, in ihrer Geschichte und in ihrer Kultur. Darum kann er die himmlische Liebe nur durch Einwirkung auf die bestehenden wirtschaftlichen und sozialen Strukturen verwirklichen.“ (S. 143)

„Wenn es bestimmte Umstände es den Menschen unmöglich machen, den Geboten Christi zu folgen, dann hat der Priester die Aufgabe, diese Umstände zu bekämpfen, selbst auf Kosten der Möglichkeit, den eucharistischen Ritus zu zelebrieren, denn das kann nicht ohne die Nachfolge Christi geschehen.“ (S. 177)

„Ich habe mich für das Christentum entschieden, weil ich in ihm die reinste Form des Dienstes am Nächsten sehe.“ (S. 177)

„Ich vertrete die Ansicht, daß der revolutionäre Kampf ein christlicher und priesterlicher Kampf ist. Nur durch ihn können wir unter den konkreten Umständen unseres Landes die Liebe verwirklichen, die die Menschen ihren Mitmenschen entgegenbringen sollen.“ (S. 178)

„Das höchste Ziel aller menschlichen Entscheidungen kann nur die Nächstenliebe, die himmlische Liebe, sein. Ich bin bereit, alle Gefahren auf mich zu nehmen, die das Streben nach diesem Ziel mit sich bringt.“ (S. 178)

„Es ist richtig, daß unsere Bevölkerung in ihrer Mehrheit katholisch ist, das heißt, sie ist eher ein Volk von Getauften als von Katholiken. Das Wesen des Katholizismus wie des gesamten Christentums ist die Liebe, so daß der Apostel Paulus sagen kann: Wer den Nächsten liebt, hat das Gesetz erfüllt. Wären wir wirklich Katholiken, dann wären wir nicht ein von Gewalt gespaltenes Volk, ein Volk, in dem Witwen, Waisen und Arme unterdrückt werden, in dessen Institutionen nicht die Liebe herrscht. Wir haben zwar Gesetze für alles und jedes- denn in Kolumbien gibt es Gesetze für alles -, doch diese Gesetze werden nicht im Geist der Nächstenliebe, sondern zugunsten des Gruppenegoismus angewendet. Wir können also sagen, daß wir ein Volk von Getauften sind, daß 96% der Bevölkerung nur deswegen als Katholiken zählen, weil sie die Taufe empfangen haben. Aber vielen von uns wird es vielleicht nicht gelungen sein, die Liebe zum Nächsten, das Wesen unserer Religion, zu verwirklichen. Wir müssen uns also über religiöse Unterschiede hinwegsetzen. Ich wiederhole noch einmal: Wir dürfen uns nicht immer wieder über das, was uns trennt, streiten und dabei vergessen, uns darüber zu verständigen, was uns eint. Ich habe darauf immer wieder hingewiesen. Die meisten strittigen Fragen gibt es zwischen Katholiken und den Kommunisten. Aber wozu streiten wir uns mit ihnen darüber, ob die Seele sterblich oder unsterblich ist, wo wir uns doch darüber einig sind, daß der Hunger tödlich ist. Warum sollen wir darüber streiten, ob die katholische Kirche die wahre ist oder ob wir sie verlassen sollen, solange die reaktionären Gruppen innerhalb wie außerhalb der Kirche gegen uns kämpfen? Während wir diskutieren, ob man die Kirche enteignen soll oder nicht, lassen wir zu, daß die Mehrheit des kolumbianischen Volkes enteignet wird. Wir Katholiken, die wir eine arme Kirche wollen, können uns doch nicht mit denen streiten, die gegen eine reiche Kirche sind.“ (S. 184-185)

„Daß eine Gruppe gegen ihre Interessen handelt, ist soziologisch gesehen absurd. Deshalb muß man sich dafür einsetzen, daß die Mehrheit an die Macht kommt, damit sie die strukturellen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Reformen verwirklichen kann, die nur im Interesse der Mehrheit liegen. Das nennt man Revolution, und wenn zur Verwirklichung der Nächstenliebe eine Revolution nötig ist, dann muß ein Christ ein Revolutionär sein.“ (S. 197)

„An erster Stelle steht im Katholizismus die Liebe zum Nächsten. ‚Wer den Nächsten liebt, hat das Gesetz erfüllt‘ (Röm. XIII, 8).“ (S. 204)

„Sobald die Klasse des Volkes dank der Zusammenarbeit aller Revolutionäre die Macht ergriffen hat, wird unser Volk über seine religiöse Orientierung diskutieren. Das Beispiel Polens zeigt uns, daß man den Sozialismus aufbauen kann, ohne das Christentum aufzugeben. Ein polnischer Priester sagte: ‚Wir Christen haben die Verpflichtung, beim Aufbau des sozialistischen Staates mitzuhelfen, sofern uns die Möglichkeit bleibt, Gott anzubeten.‘“ (S. 208)

„Eine ‚Plattform‘ [der Einheitsfront des kolumbianischen Volkes], deren Programm ein Staat sozialistischen Typs und die Befreiung Kolumbiens vom amerikanischen Imperialismus ist, kann anderen politischen Bewegungen, die auch für die Errichtung des Sozialismus und die Befreiung vom Imperialismus kämpfen, nicht gleichgültig gegenüberstehen. Mögen diese Bewegungen auch andere ideologische Elemente aufweisen, so stehen sie uns doch wissenschaftlich, politisch und praktisch gesehen am nächsten. Diese Solidarität in der Praxis schreckt viele furchtsame ‚Revolutionäre‘, denen mehr an der Ideologie als an der Revolution liegt, zurück.“ (S. 228)

„Freiheit oder Tod!“ (S. 235)

Literaturverzeichnis

Torres, C. (1969). Vom Apostolat zum Partisanenkampf. Artikel und Proklamationen. Reinbek: Rowohlt Taschenbuch.

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Josef der Arbeiter (01. Mai 2020) https://keinparadies.blackblogs.org/2020/05/04/josef-der-arbeiter-01-mai-2020/ Mon, 04 May 2020 21:18:10 +0000 http://keinparadies.blackblogs.org/?p=81 Continue reading "Josef der Arbeiter (01. Mai 2020)"

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Da es der deutschen Linken nicht an plakativen Aufrufen mangelt, proletarische Andachten in der katholischen Kirche jedoch äußerst rar sind, veranstalteten wir dieses Jahr eine Online-Andacht für den heiligen Josef als Stellvertreter aller Arbeiterinnen und Arbeitern dieser Welt.

Gebet zur Eröffnung

Im Namen des Vaters und des Sohnes
und des Heiligen Geistes.
Amen.

Guter Gott, du hast jedem Menschen
eine unauslöschliche Würde geschenkt,
hast Jeder und Jedem von uns
die Fähigkeit zu fruchtbarem Schaffen
und zur Selbstverwirklichung gegeben.
Damit ist auch der menschlichen Arbeit
eine große Würde verliehen.
Auf diese Würde bezieht sich auch
der Gedenktag des hl. Josef – des Arbeiters,
den wir heute begehen.
Gib uns in der kommenden Stunde
deinen Geist für unser gemeinsames Nachdenken
und Austausch über dein Wort.
Dir sei der Lobpreis und die Ehre,
jetzt und in alle Ewigkeit.
Amen.

Impuls

Nur weil der erste Mai 2020 still wird, heißt das nicht, dass wir ruhig sind.

Der erste Tag des Monats Mai ist nicht nur internationaler Kampftag der Arbeiterklasse, sondern bei den Christen auch Josef dem Arbeiter geweiht, wobei dies von der bürgerlichen Kirche totgeschwiegen wird. Erst vor zwei Monaten verstarb Ernesto Cardenal, ein prägender Befreiungstheologe, Priester und Revolutionär. Um seinen Kampf fortzuführen, widmen wir uns in heute einem Auszug seines Buches „Das Evangelium der Bauern von Solentiname“ (erstmals erschienen 1975 in spanischer Sprache), indem Cardenal (1980) die Gespräche mit den Bewohnerinnen und Bewohnern der urchristlichen Landkommune auf den Solentiname-Inseln dokumentiert. Die Überlegungen der (zum Teil analphabetischen) Bäuerinnen und Bauern sind ebenso simpel wie scharfsinnig und haben bis heute nichts von ihrem kämpferischen Gehalt verloren.

 Das Vorwort zum Johannesevangelium (Johannes 1,1-18) (S. 13-20)

„Alejandro: – Der Arbeiter ist das Ebenbild Gottes, und alles, was er schafft, ist gut und bereichert den Menschen.
Ernesto: – Darin liegt die Größe des Arbeiters. Alle Dinge, die wir haben, wurden zuerst von Gott und dann von den Arbeitern gemacht. Die Schuhe, die wir tragen, wurden von einem Arbeiter gemacht. Die Kleidung von einem anderen Arbeiter. Die Städte und alles, was es darin gibt, die Landstraßen und die Brücken…
Ein Fremder […]: – Das alles kommt von der Macht des Vaters, und der Vater gab diese Macht seinem Sohn, und die Macht des Sohnes ist auch unsere Macht.
Felipe: – Das ist die Größe des Arbeiters. Die Arbeiter setzen die Macht Gottes auf der Erde fort und arbeiten an der Schöpfung. Darum müßten die Arbeiter die Herren der Erde sein und nicht die, die nicht arbeiten…, die Schuhe und Kleidung und Essen haben und überall herumreisen und nicht arbeiten und nicht säen und überhaupt nichts hervorbringen. Aber das sind die Herren der Arbeit der anderen und der Häuser und der Ländereien…“

Tauscht euch nun über die soeben gehörten Worte aus.

Welche Konsequenzen hat dieser Auszug für das christliche Bekenntnis, für die Kirche, für deinen politischen Standpunkt als Christin oder Christ in der Gesellschaft?

Bereichert wirklich alles Geschaffene den Menschen?

Fordert der Text nicht die Revolution als Pflicht jedes Menschen, der sich als Christ bekennt, ein?

Schlussgebet

Guter Gott, wir danken dir für diese Stunde
des Betens und des Austausches.
Wir bitten dich,
lass uns nicht bei bloßen Worten stehen bleiben,
sondern gib uns die Kraft,
dort zu intervenieren,
wo die Würde der menschlichen Arbeit,
der Arbeiter und der gesellschaftlich Schwachen
bedroht oder verletzt wird.
Hilf uns,
ungerechte Strukturen zu hinterfragen
und zu bekämpfen
und sei uns nahe,
damit wir uns selbst nicht in solchen Strukturen verlieren.
Dir sei der Lobpreis und die Ehre,
jetzt und in alle Ewigkeit.
Amen.

Literatur:
Cardenal, E. (1980). Das Evangelium der Bauern von Solentiname: Gespräche über das Leben Jesu in Lateinamerika. Peter Hammer Verlag.

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