Soziale Bewegungen & Emanzipation – Nachrichten vom Riot Dog https://loukanikos161.blackblogs.org One more Blackblog Sat, 21 Oct 2023 06:21:50 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Baraye (Shervin Hajipour) https://loukanikos161.blackblogs.org/2023/10/21/baraye-shervin-hajipour/ https://loukanikos161.blackblogs.org/2023/10/21/baraye-shervin-hajipour/#respond Sat, 21 Oct 2023 06:14:38 +0000 https://loukanikos161.blackblogs.org/?p=254 Um in den Straßen tanzen zu können
Weil wir Angst davor haben müssen, uns öffentlich zu küssen
Wir haben Angst, uns zu küssen
Für meine Schwester, deine Schwestern, unsere Schwestern
Dafür, dass sich in den morschen Köpfen endlich etwas bewegt
Für die Demütigungen, die uns angetan werden
Wegen der allgegenwärtigen Armut
Weil der Reichtum nicht umverteilt wird
Für den Wunsch nach einem normalen Leben
Wäre das auch für uns möglich
Für die im Abfall nach etwas Verwertbarem suchenden Kinder mit all ihren Träumen
Und wegen dieser gewissenslosen Wirtschaft, die so korrupt ist
Und wegen der verschmutzten Luft
Wegen der verdorrten Bäume auf der Valiasr-Straße
Weil der kleine Gepard vom Aussterben bedroht ist
Für all die unerwünschten Hunde, die doch unschuldig sind
Wegen des endlosen, schier niemals endenwollenden Tränenvergießens
Wegen der Vorstellung, dass sich die Szenen genauso wiederholen könnten
Für ein Lächeln im Gesicht
Für all diese Studenten
Für die Zukunft, für die Zukunft
Und für dieses aufgezwungene Paradies
Für die Intellektuellen, die im Gefängnis sind
Für die Flüchtlingskinder, die aus Afghanistan fliehen
Wegen all dem
Und für all das, was noch nicht gesagt ist
Für jede einzelne ihrer hohlen Phrasen
Wegen der einstürzenden Bruchbuden
Und für die, die friedfertig sind
Für einen Morgen nach diesen langen, langen Nächten
Für die aufgehende Sonne
Wegen der Schlaftabletten und der Schlaflosigkeit
Für die Frauen, das Leben und die Freiheit
Für das Mädchen, welches sich wünscht, ein Junge zu sein
Für die Frauen, das Leben, die Freiheit
Die Freiheit

Übersetzung des iranischen Freiheitsliedes Baraye („Um“, „für“ oder „wegen“) von Shervin Hajipour ins Deutsche.

Gelesen von der Publizistin, Politikwissenschafterin und Ärztin Gilda Sahebi, im Gespräch mit Renata Schmidtkunz in der Radiosendung „Im Gespräch: Gilda Sahebi über Frauen im Iran. ‚Was im Iran geschieht, ist feministische Weltgeschichte'“ am 9.3.2023 auf Ö1.

Zum Kontext dieses Liedes ein Dialog aus der genannten Sendung:

Renata Schmidtkunz: Das eine ist „Baraye“ von Shervin Hajipour. Das habe ich schon erwähnt. Das habe ich mitgebracht, auf deutsch.
Gilda Sahebi: Ach schön.
RS: Und ich wollte Sie mal fragen, ob Sie das vielleicht lesen wollen?
GS: Ja, gerne.
RS: Das ist die deutsche Übersetzung, die vielleicht nicht ganz dem Iranischen entspricht.
Es geht in diesem Lied Baraye, das so viel heisst wie „Um“, „Für“ oder „Wegen“ darum, warum eigentlich die Leute in Iran protestieren.
GS: Also es war so, dass die Frage gestellt wurde: warum? Und dann haben ganz viele Leute ganz viele Tweets abgeschickt. Und aus diesen Tweets wurde dieses Lied zusammengesetzt. Genau.

Gilda Sahebi ist auf social media zu finden (u.a. auf Bluesky) und hat auch ein Buch geschrieben:

„‚Unser Schwert ist Liebe‘. Die feministische Revolte im Iran“ (Fischer Verlag)

Das Lied Baraye:

https://www.fischerverlage.de/spezial/gilda-sahebi-unser-schwert-ist-liebe
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Wien: Solidaritätsdemonstration für die aufständischen Menschen im Iran https://loukanikos161.blackblogs.org/2022/09/30/wien-solidaritaetsdemonstration-fuer-die-aufstaendischen-menschen-im-iran/ https://loukanikos161.blackblogs.org/2022/09/30/wien-solidaritaetsdemonstration-fuer-die-aufstaendischen-menschen-im-iran/#respond Fri, 30 Sep 2022 14:27:26 +0000 http://loukanikos161.blackblogs.org/?p=251 In Wien fand am Dienstag eine Demonstration statt, die Gerechtigkeit für Zhina Mahsa Amini forderte und Solidarität mit den aufständischen Menschen im Iran zeigte.

Ein Gastbeitrag von Alexander Stoff

Zhina Mahsa Amini war Mitte September von „Sittenwächtern“ in Iran verhaftet worden, weil ihr vorgeworfen wurde, das Kopftuch nicht korrekt zu tragen. Am 16. September wurde sie in Polizeigewahrsam getötet. Seither gehen tausende Menschen in vielen Städten des Iran auf die Straße und fordern Frauenrechte und ein Ende der Mullah-Diktatur. Die Proteste werden von jungen Frauen, queeren Menschen, Arbeiter*innen und Kurd*innen getragen. Mutige Frauen widersetzen sich reaktionären Männern und weigern sich, auf der Straße das Kopftuch zu tragen. Es kommt zu öffentlichen Verbrennungen von Hijabs. Mindestens 48 Menschen wurden im Zuge der Proteste getötet, viele verletzt und Tausende verhaftet, hieß es in einer Rede in Wien. Es wurde auch auf den Fall von zwei iranischen Frauen hingewiesen – Zahra Sedighi-Hamadani und Elham Choubdardie aktuell mit der Todesstrafe bedroht werden, weil sie sich für die Rechte der LGBTIQ-Community eingesetzt haben.

Zur Demonstration in Wien hatte die Organisation „Rosa – kämpferisch. sozialistisch. feministisch“ im Bündnis mit anderen Gruppen wie „Avesta – kurdische Frauen in Wien“ und dem „Verein zur Förderung der Freiheitsrechte und Demokratie im Iran“ aufgerufen. Am Treffpunkt auf dem Platz der Menschenrechte versammelten sich die Teilnehmer*innen, laut dem Journalisten Gerhard Kettler ca. 2.000 Personen. Es wurden Redebeiträge gehalten, in denen unter lautem Beifall der Menge ein Ende der Diktatur, Menschen- und besonders Frauenrechte, Selbstbestimmung für Kurd*innen und andere Gruppen und die Befreiung für queere Menschen gefordert wurde. Viel Applaus gab es auch, als in einer Rede darauf hingewiesen wurde, dass die Protestbewegung nun dazu übergehen solle, neben dem Straßenprotest den Widerstand auszuweiten und zu Streiks überzugehen.

Es wurde in einer Rede darauf hingewiesen, dass auf die europäische Politik kein Verlass sei. Als erwähnt wurde, dass der österreichische Außenminister Schallenberg sich mit dem Außenminister des iranischen Mullah-Regimes getroffen hatte, gab es zahlreiche Buh-Rufe. Ein Redner bemerkte auch, dass Iran bisher vor allem mit dem Atomkonflikt in die internationalen Schlagzeilen gekommen sei, sich nun aber ein anderes Gesicht des Iran der Weltöffentlichkeit zeige. Der Widerstand im Iran könnte Auswirkungen auf die gesamte Region haben, zum Beispiel auch auf Afghanistan, wo die Taliban ebenfalls Frauen unterdrücken. Schließlich wurde gesagt, dass die Demonstration sich auch gegen Rassismus, Abschiebungen und Femizide überall auf der Welt richtet.

Nach einer guten Stunde setzte sich der Demonstrationszug nach 18 Uhr in Bewegung. Beim Losgehen wurde ein Lied aus der iranischen Rebellion abgespielt. Die Demonstrierenden trugen Transparente und Schilder. Es waren viele Fahnen von Organisationen sichtbar, etwa von linken und kurdischen Organisationen (Rojava). Der Demozug lief die Museumstraße entlang und bewegte sich dann nach einem Bogen die Stadiongasse hinunter, am Parlament vorbei und über die Ringstraße zum Ballhausplatz. Die ursprünglich geplante Route zur iranischen Botschaft war von der Polizei untersagt worden. Es waren Parolen zu hören wie „Hoch die internationale Solidarität“, „Frauenrechte überall, Frauenrechte in Iran“ und immer wieder der Ruf „Jin, Jîyan, Azadî (Frau – Leben – Freiheit)“. Besonders berührend war der Moment, als ein kleiner Bub immer wieder „Jin, Jîyan, Azadî“ rief.

Zuerst veröffentlicht auf Unsere Zeitung

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„Die Menschenrechtsverletzungen in Chile sind wie ein zweites Trauma“ https://loukanikos161.blackblogs.org/2019/12/19/chile-zweites-trauma/ https://loukanikos161.blackblogs.org/2019/12/19/chile-zweites-trauma/#respond Thu, 19 Dec 2019 18:13:15 +0000 http://loukanikos161.blackblogs.org/?p=232 Sergio Patricio ist Künstler, Student und Aktivist bei Chile desperto in Wien. Im Interview berichtet er über Hintergründe der aktuellen Protestbewegung in Chile.

Die gegenwärtige Protestbewegung in Chile hat ihren Ausgang genommen, als vor allem Schüler*innen gegen die Erhöhung der Fahrpreise im öffentlichen Nahverkehr protestierten. Doch schnell hat die Bewegung auf den Rest der Gesellschaft übergegriffen und die Forderungen haben sich dabei vervielfältigt. Inzwischen richtet sich die Protestbewegung gegen das neoliberal-kapitalistische Regime als Ganzes und eine zentrale Forderung ist der Rücktritt der Regierung des rechtsextremen Präsidenten Sebastian Piñera. Die Kritik wendet sich auch gegen die Vorgängerregierungen, die in den fast 30 Jahren seit dem Ende der Diktatur von Augusto Pinochet wenig unternommen haben, um die sozioökonomischen und politischen Kontinuitäten der Diktatur wie etwa die massive soziale Ungleichheit zu beenden, die auch in Zeiten der bürgerlichen Demokratie fortwirkten. Obwohl die Diktatur vor 30 Jahren beendet wurde, stellen wir heute im wesentlichen noch die gleichen Fragen,“ sagt Sergio Patricio dazu. Bei Umfragen sind die Zustimmungswerte der Regierung inzwischen auf weniger als 10% gesunken.

„Es demonstrieren noch immer viele Menschen. Die Leute sind wütend und es hat sich über die vergangenen 30 Jahre eine Menge Wut und Frustration angestaut. Deshalb haben sie viel Kraft, um die Demonstrationen fortzusetzen,“ so Sergio Patricio. Was als Protest gegen Fahrpreiserhöhungen begonnen hatte, entwickelte sich bald zu einem Ausbruch, bei dem es auch zu Randale und Sachbeschädigung kam. Doch die chilenische Regierung und Staatskräfte reagierten darauf mit unverhältnismäßiger Gewalt und es kam zu unzähligen Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei und während des vorübergehend verhängten Ausnahmezustandes auch durch das Militär. Beinahe 30 Menschen wurden durch Staatskräfte getötet, tausende eingesperrt und viele misshandelt, darunter auch Kinder. Neben sexualisierter Gewalt gegen Frauen und LGBTIQ-Personen durch Staatskräfte wurden auch Menschen wie in Diktaturzeiten verschleppt ohne dass ihr Aufenthaltsort bekannt ist. Und um die 200 Menschen haben ein oder beide Augen verloren, nachdem sie durch Gummigeschoße der Polizei verletzt wurden. Dass in Chile die Menschenrechte verletzt werden ist nichts Neues, so Sergio Patricio. „Es ist so wie während der Diktatur. Es wiederholt sich, was schon in der Vergangenheit geschehen ist. Nur während den Opfern früher ihre Erfahrungen nicht geglaubt wurden, ist der Unterschied heute, dass die Menschen die Gewalt mit Kameras dokumentieren können. So erfahren viele über social media sofort, dass die chilenische Polizei und Armee die Menschenrechte missachtet.“ Die Zahlen von Chile desperto beruhen auf den Quellen von Amnesty International und der UN. Die offiziellen Verlautbarungen der Regierung, dass alles korrekt abliefe, wurden also bald durch die Dokumentation von Menschenrechtsverletzungen Lügen gestraft.

Chilen*innen im Ausland, die sich über das Internet informierten und sich wegen der Gewalteskalation Sorgen machten, haben sich in mittlerweile 30 Ländern zusammengefunden und begonnen, sich zu vernetzen, um auf die Situation in Chile aufmerksam zu machen. Eine der Gruppen von Chile desperto ist auch in Wien tätig. Im Vergleich zu anderen Städten wie Barcelona und London ist die Gruppe in Wien allerdings von überschaubarer Größe. Dennoch konnten auch hier Aktionen wie eine Demonstration und Trauerkundgebung organisiert werden, an denen mehrere hundert Menschen teilgenommen haben. Sergio Patricio sagt, dass die Menschen, die sich bei einer der lokalen Gruppen von Chile desperto in Städten wie Barcelona, London, Sydney, Berlin und New York zusammengefunden haben, über die Lage in Chile erschrocken sind: „Wie ist es möglich, dass sich die Regierung nicht für die begangenen Menschenrechtsverletzungen entschuldigt? Das ist keine Gerechtigkeit. Menschen werden auf den Strassen getötet und eingesperrt. Auf einem Video ist zu sehen, wie die chilenische Polizei in eine Schule eindringt und auf Schülerinnen schießt.“

In den cabildos genannten Versammlungen trifft sich die Bevölkerung und es wird über verschiedene gesellschaftliche Themen wie soziale Sicherheit debattiert. Schließlich werden Vorschläge zu Papier gebracht, von denen sich die Menschen eine Lösung sozialer Probleme erwarten, und den parlamentarischen Gremien wie dem Kongress vorgelegt. Auch die während der Pinochet-Diktatur beschlossene und immer noch gültige Verfassung ist Gegenstand von Diskussionen. Stimmen aus der Protestbewegung rufen laut nach einer neuen Verfassung, die die geänderten Realitäten der chilenischen Gesellschaft berücksichtigt. Ein anderes Thema, das im Rahmen der cabildos aufgegriffen wird, sind die Rechte der indigenen Mapuche und ihre Territorien. Dazu kommt der Umgang mit den natürlichen Ressourcen, besonders Wasser. Die Wasserversorgung wurde privatisiert und vor allem spanische Firmen und transnationale Konzerne haben darauf Zugriff. Diese arbeiten rein profit-orientiert und bringen den Großteil des Wassers außer Landes. Auch der Entwurf einer neuen Verfassung wird in den cabildos thematisiert. Ein weiterer Punkt ist die soziale Sicherheit. Denn in Chile sind die meisten Bereiche privatisiert, was auch als neoliberales Erbe auf die Diktatur zurückgeht. Soziale Versorgung erhält nur, wer es sich leisten kann und lebenswichtige Bereiche wie das Bildungs- und Gesundheitswesen sind extrem teuer. So müssen Familien etwa für den Unterricht an einer der privaten Schulen monatlich ca. 400 Dollar aufbringen.

„Chilen*innen innerhalb und außerhalb des Landes wissen bescheid über die Menschenrechtsverletzungen. Medien berichten darüber und internationale Organisationen wie die UN und Amnesty International haben es dokumentiert. Sie wissen, dass es passiert und wir warten auf Gerechtigkeit.“ Juristische Ermittlungen gegen einzelne Polizisten und sogar gegen Präsident Piñera sind im Laufen. Vertreter*innen von Chile desperto erwarten sich internationale und europäische Unterstützung und hoffen darauf, dass politischer Druck auf die chilenische Regierung ausgeübt wird, damit die Verantwortlichen für Menschenrechtsverletzungen zur Verantwortung gezogen werden, so Sergio Patricio. Aus diesem Grund versucht Chile desperto in mehr als 30 Ländern die Öffentlichkeit für die Situation in Chile zu sensibilisieren. Chile ist heute eine bürgerliche Demokratie, umso schwerwiegender die Tatsache, dass systematisch Menschenrechte verletzt werden. Sergio Patricio stellt fest, dass die gegenwärtigen Proteste undenkbar wären ohne die vorangegangenen Proteste der Studierenden- und der feministischen Bewegung in Chile. Diese Bewegungen haben soziale Ideen gestärkt und ein Bewusstsein geschaffen. Sergio Patricio ist selbst noch während der Diktatur aufgewachsen und hat den politischen Übergang zur bürgerlichen Demokratie miterlebt. Er erinnert sich an ein Gefühl der Hoffnungslosigkeit in seiner Generation. Die jüngeren Bewegungen haben nun das Selbstbewusstsein der Menschen gestärkt und für Themen wie soziale Gleichheit und Korruption sensibilisiert. Im Moment hat Sergio Patricio Hoffnung, dass die sozialen Bewegungen in Chile Veränderungen erreichen können. Dennoch ist die Situation schwierig, da Nachbarländer in der Krise sind. So gab es in Bolivien einen Putsch gegen Evo Morales. „Wir wünschen uns, dass sich alles in die richtige Richtung entwickelt. Aber wir haben auch Angst, dass es sich verschärfen kann. Ich hoffe, wir enden nicht als Geflüchtete,“ sagt Sergio Patricio. Für ihn ist es eine erschreckende Erfahrung, nach der Diktatur ein zweites Mal in seinem Leben schwere Menschenrechtsverletzungen mitansehen zu müssen: „Für uns ist es wirklich wie ein zweites Trauma.“ Von der österreichischen Zivilgesellschaft erhofft sich Sergio Patricio Unterstützung und eine Positionierung für die Verteidigung von Menschenrechten in Chile.

 

erschienen in: akin 25 (4.Dezember 2019) und Unsere Zeitung

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Wien: #ChileDesperto Solidaritätsdemo mit der Protestbewegung in Chile https://loukanikos161.blackblogs.org/2019/10/28/wien-chiledesperto-solidemo/ https://loukanikos161.blackblogs.org/2019/10/28/wien-chiledesperto-solidemo/#respond Mon, 28 Oct 2019 08:44:12 +0000 http://loukanikos161.blackblogs.org/?p=226 In Solidarität mit den großen Protesten gegen die rechtsextreme Regierung von Präsident Piñera und den neoliberalen Kapitalismus in Chile kam es am Sonntag, 27.10.2019, nachmittags zu einer Demonstration in Wien.

Nach einer Zählung des Radiojournalisten Gerhard Kettler (https://nochrichten.net) beteiligten sich daran ca. 650-750 Menschen. Aufgerufen hatte die Gruppe Chile despertó 2019 – Viena (zu finden auf Facebook).

Die Atmosphäre war großartig und sehr lebhaft. Schon beim Treffpunkt beim Gutenbergdenkmal am Lugeck riefen die Menschen hüpfend laute Parolen und sangen Lieder. Wie bei einem in Lateinamerika üblichen Cacerolazo wurde auf Töpfe und Pfannen geschlagen. Auch Pfeifen und Trommeln kamen zum Einsatz. Das Bild wurde durch viele chilenische Nationalfahnen dominiert, ob groß oder als kleine Fähnchen, manche Demoteilnehmer*innen hatten sich in die Flagge eingehüllt. Andere trugen auch Fahnen der indigenen Mapuche mit sich.

Schilder und Transparente, meist auf Spanisch, manche auch auf Englisch und Deutsch, forderten den Rücktritt des chilenischen Präsidenten Piñera und eine neue Verfassung. Die unzähligen Menschenrechtsverletzungen wie Folter, Vergewaltigungen und Morde, mit denen die chilenischen Staatskräfte in den letzten Tagen gegen die Protestierenden vorgegangen waren, wurden angeklagt.

Beeindruckend war, als mehrere Personen begannen, die Gitarre anzustimmen. Daraufhin sang die Menge das Lied „El derecho de vivir en paz“ von Victor Jara. Der für seine sozialkritischen Lieder bekannte Folkmusiker Victor Jara wurde wenige Tage nach dem Militärputsch in Chile am 11.September 1973 von den Schergen der Pinochet-Diktatur gefoltert und ermordet. Im Stadion von Santiago de Chile haben sie ihm die Finger gebrochen, damit er nicht mehr Gitarre spielen kann. Auch das Lied „El pueblo unido jamas sera vencido“ wurde von der Menge angestimmt. Es war der Kampfschrei der Widerstandsbewegung gegen die Pinochet-Diktatur und wurde u.a. von der chilenischen Gruppe Quilapayún performt.

Nach längerer Zeit als Standkundgebung setzten sich schließlich die Menschen mit einer Demonstration, meist spanische Parolen rufend, in Bewegung. Sie zogen durch den ersten Bezirk, über den Hohen Markt und die Wipplingerstraße zum Ring. Dort wurde die Demo von der Polizei auf eine Nebenfahrbahn umgelenkt. Wie so oft in Wien wurde also wieder einmal die Meinungs- und Versammlungsfreiheit dem ungestörten Autoverkehr geopfert. Die Menge zog weiter bis zum Sigmund-Freud-Park, wo die Abschlusskundgebung stattfand. Hier versammelten sich noch einmal alle und machten in der inzwischen angebrochenen Dunkelheit Musik.

El derecho de vivir en paz

https://vimeo.com/369258900

El pueblo unido

https://vimeo.com/369260091

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Wien: Aktion für Ausrufung des Klimanotstandes https://loukanikos161.blackblogs.org/2019/06/24/wien-aktion-klimanotstand/ https://loukanikos161.blackblogs.org/2019/06/24/wien-aktion-klimanotstand/#respond Mon, 24 Jun 2019 09:09:38 +0000 http://loukanikos161.blackblogs.org/?p=215 Heute versammelten sich um 8:30 anlässlich der letzten Sitzung des Wiener Gemeinderates vor der Sommerpause ca. 40-50 Menschen, vor allem Jugendliche, beim Eingang zum Rathaus. Mit der Protestaktion, zu der Fridays for Future aufgerufen hatte, sollten die Gemeindeabgeordneten und die Stadtregierung daran erinnert werden, dass die Zeit angesichts der dramatischen Auswirkungen des Klimawandels drängt und sie bei all ihren Entscheidungen klimapolitische Kriterien für Klimagerechtigkeit berücksichtigen sollten. Daher die Forderung nach der Ausrufung des Klimanotstandes endlich auch in Wien.

Beim Eingang zum Rathaus waren zwei „Klimafakten-Teppiche“ ausgelegt, um die Abgeordneten und die Stadtregierung noch einmal auf die Facts zum Klimawandel hinzuweisen. Auch auf Transparenten und Schildern waren Botschaften zu lesen, u.a. hielten die Teilnehmenden Schilder mit Namen von Städten, wo der Klimanotstand bereits ausgerufen worden ist.

Die Aktion dauerte etwas länger als eine halbe Stunde. Es wurden gemeinsam Parolen skandiert wie „Klimanotstand ausrufen!“, „There is no future on a dead planet“ und „Es gibt kein Recht, unsere Zukunft zu zerstören“. Mit der Parole „Es gibt kein Recht, einen SUV zu fahren“ wurde auch auf die Problematik der destruktiven Auswirkungen des Verkehrswesens auf das Klima hingewiesen. Außerdem wurden im Chor Songs gesungen wie „Hey ho, take me by the hand. Strong in solidarity we stand. Fight for climate justice, fight for climate justice!“ und eine klimapolitische Neuvertextung des antifaschistischen Partisan*innen-Liedes „Bella ciao“.

Für Mittwoch, den 26.6. rufen Fridays for Future zu einer weiteren Protestaktion für die Ausrufung des Klimanotstandes um 8:30 beim Wiener Rathaus auf.

Aufruf hier

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Streiken für Klimagerechtigkeit https://loukanikos161.blackblogs.org/2019/02/06/streiken-fridays-future/ https://loukanikos161.blackblogs.org/2019/02/06/streiken-fridays-future/#respond Wed, 06 Feb 2019 09:23:28 +0000 http://loukanikos161.blackblogs.org/?p=198

Seit nun schon sieben Wochen versammeln sich Schüler*innen und Studierende jeden Freitag auf dem Heldenplatz in Wien, um für Klimagerechtigkeit ihre Stimme zu erheben und zu streiken.

Greta Thunberg

Aufgerufen zum Streik wird von Fridays for Future, einer Organisation, die sich inspiriert von der 16-jährigen Schwedin Greta Thunberg zusammengefunden hat. Anstatt die Schule zu besuchen, geht Greta Thunberg immer freitags vor das Parlament und streikt mit einem Protestschild für Maßnahmen gegen den menschen-gemachten Klimawandel. Einer breiteren Öffentlichkeit ist sie durch ihre eindrücklichen Worte beim UN-Klimagipfel COP24 im polnischen Katowice bekannt geworden, wo sie auf die mangelhafte Umsetzung der Klimaziele hingewiesen hat. Sie hat eine Bewegung angestoßen, denn seither blühen in verschiedenen Ländern große Proteste und Streiks von Schüler*innen auf. So auch in Wien.

Katharina Rogenhofer von Fridays for Future Wien hielt sich in jenen Tagen in Katowice auf und war beeindruckt vom Protest Greta Thunbergs. Rogenhofer dachte: „Das ist so ein starkes Bild – dieses Mädchen, das dort am Gang sitzt und sagt: es ist das Wichtigste, dass wir das in den Griff kriegen, weil sonst haben wir keine schöne Zukunft für unsere Kinder, aber auch für alle, die jetzt leben. Und da haben wir beschlossen, dass wir das auch in Wien machen wollen – in Solidarität mit ihr.“

Stimmen vom Klimastreik

Barbara ist Studentin und hat schon öfter am Klimastreik in Wien teilgenommen. Sie ist von den Reden Greta Thunbergs beeinflusst und hat bemerkt, dass die Beteiligung an der Aktion am Heldenplatz mit der Zeit gewachsen ist. Barbara gefällt die Begeisterung, mit der alle bei der Sache sind. Auch die Vielfalt an Aktivitäten – vom Schreiben von Liedern und Plakaten bis zum Klimatanz – beeindruckt sie. Zu den wichtigen Anliegen gehört für Barbara, dass die Regierung anerkennt, dass es einen menschen-gemachten Klimawandel gibt. Und neben klimapolitischen Maßnahmen wie Steuern auch die Verhinderung von klimaschädlichen Großprojekten wie die Dritte Piste und der Lobautunnel.

Die Studentin Sarah nimmt am Klimastreik teil, um die Regierung dazu zu bewegen, sich mehr dem Klimawandel zu widmen. Sie tritt gegen Ressourcenausbeutung ein und möchte ein Zeichen setzen, dass Verantwortung übernommen und das Verhalten geändert wird, damit unserem Planeten kein Schaden mehr zugefügt wird. Aktivistisch tätig zu sein ist für Sarah neu, aber sie arbeitet an ihrem eigenen Verhalten, indem sie mehr mit dem Fahrrad unterwegs ist und auf Plastik und Fleisch verzichtet. Da der Spass bei der Aktion nicht zu kurz kommt, wird sie gerne wieder kommen.

Maximilian ist als Student eine von den Personen, die den Klimastreik in Wien mitorganisieren und von Anfang an mit dabei. Auch für ihn ist der Aktionismus von Greta Thunberg eine Inspiration und er sucht nach Wegen, den Schulstreik auch in Wien zu verankern. Maximilian weist auf die Diskrepanz hin, dass einerseits die Wissenschaft aufzeigt, welche Folgen der Klimawandel mit sich bringt, andererseits wird dies auf der Ebene der Politik nicht wahrgenommen. Daher protestiert Maximilian auch dafür, dass die Politik das Problem ernst nimmt und Maßnahmen setzt, um eine Katastrophe zu verhindern. Er ist optimistisch, dass Veränderung eintreten wird, denn es gibt viele Initiativen für Klimagerechtigkeit wie Students for climate action an der Wirtschaftsuniversität, das Klimavolksbegehren und Extinction Rebellion, eine Bewegung für zivilen Ungehorsam aus England. Damit die Bewegung noch weiter wächst, wünscht sich Maximilian mehr Beteiligung von Schüler*innen, die Greta Thunbergs Botschaft aufgreifen und für Klimagerechtigkeit die Schule bestreiken. Auch mehr Medienpräsenz würde dem Thema gut tun, findet er. Für wichtig erachtet es Maximilian, dass die Bewegung nicht nur gegen etwas protestiert, sondern auch vermittelt, wofür sie eintritt.

Auf dem Weg zur Klimagerechtigkeit

Die schwarzblaue Regierung unternimmt keine ausreichend ambitionierten Schritte, um die Klimakrise aufzuhalten, sagt Katharina Rogenhofer. Stattdessen werden Umweltgesetze aufgeweicht. Im Bericht des Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) wird aufgezeigt, dass es schon einen großen Unterschied ausmache, ob die globale Erwärmung auf 1.5 oder 2 Grad gehalten werde – letzteres wurde 2015 bei der Klimakonferenz von Paris als Ziel beschlossen. Fluchtbewegungen setzen sich von Inseln ab, die bald nicht mehr existieren werden. Korallenriffe sterben ab. Enorme Hitzewellen, wie der Hitzesommer im vergangenen Jahr, führen zu Ernteausfällen und dem Zwang, neue Anbaumethoden für Lebensmittel zu finden, weil die herkömmlichen nicht mehr funktionieren. Ansätze wie jene der Regierung, die Menschen zum Umstieg auf E-Mobilität zu bewegen, sind nicht genug.

Zu den Anliegen von Fridays for Future zählt eine ökosoziale Steuerreform. Es sollen also umso mehr Steuern bezahlt werden, je mehr CO2-Emissionen ausgestoßen werden. Eine höhere Steuer wäre für Industrien mit hohem Ausstoß von CO2 ein Anreiz, diesen zu reduzieren. Erhöhte Steuereinnahmen könnten dann in den Ausbau und die Leistbarmachung von öffentlichen Verkehrsmitteln fließen, so Katharina Rogenhofer. Eine Verabschiedung vom motorisierten Individualverkehr ist bedeutsam, da in Österreich der größte Anteil am CO2-Ausstoß beim Verkehr liegt. Ein Vorbild sieht Rogenhofer bei Luxemburg, wo soeben erst der öffentliche Verkehr kostenfrei gemacht wurde. Dazu kommt der Ausbau von Radwegen in der Stadt. Ein weiteres Anliegen von Fridays for Future ist der Kohleausstieg und der Umstieg auf erneuerbare Energien. Auf einer lokalen Ebene gibt es bereits Versuche, ökosoziale Projekte umzusetzen, die in eine richtige Richtung gehen, meint Rogenhofer, wie zB ökologischer Landbau und Reparaturwerkstätten als Maßnahme gegen die Wegwerfgesellschaft.

Für Katharina Rogenhofer zeigen die aktuellen Proteste der Gelbwestenbewegung in Frankreich, dass eine ökosoziale Steuerreform auch mit sozialer Gerechtigkeit vereinbar sein müsse. Am meisten unter dem Klimawandel leiden ärmere Staaten oder Inselstaaten, aus denen größere Fluchtbewegungen zu erwarten sind. Es müsse auch mit Mythen aufgeräumt werden, wie etwa die Behauptung, dass sogenannte „Überbevölkerung“ den Klimawandel verstärke. Denn so Rogenhofer: „Fünf oder sechs Kinder in Bangladesh haben sicher nicht so einen CO2-mäßigen Fußabdruck wie ich. Am meisten CO2 wird von den reichen Industrieländern ausgestoßen. Es ist nicht an den Menschen, die jetzt dazukommen. Es ist auch nicht an den Menschen, die viele Kinder kriegen. Es ist an uns, die ersten Schritte zu setzen.“ Die reichen Industrieländer müssten erneuerbare Energien leistbar und effizienter machen und das Verkehrssystem nachhaltig ausbauen, damit andere Regionen auf der Welt nachziehen können. Der frühere Weg über umweltschädliche Technologien wie die Kohlekraft müsse vermieden werden.

Wie bei System change not climate change steht auch bei Fridays for Future eine Systemkritik an der kapitalistischen Wirtschaftsweise im Fokus. Denn so wie bisher kann es nicht weiter gehen. Katharina Rogenhofer kritisiert, dass in unserer Zeit alles danach beurteilt wird, ob es der Wirtschaft und dem Wachstum diene. Dabei sollte es genau anders sein: die Wirtschaft sollte so gestaltet werden, dass ein ökologisch nachhaltiger und sozial gerechter Weg möglich wird.

Breiter Dialog und Vernetzung

Fridays for Future hat den Anspruch, möglichst breit zu wirken und versucht sich auch mit NGOs zu vernetzen. Es geht besonders um die Zukunft der jungen Generationen, die Auswirkungen des Klimawandels sind aber schon heute für viele spürbar. Auch wäre es viel verlangt, den ganzen Druck auf den Schultern von Minderjährigen abzuladen, so Rogenhofer. Daher liegt es in unser aller Verantwortung, an der Bewegung für Klimagerechtigkeit mitzuwirken.

Im Moment arbeitet Fridays for Future am internationalen Austausch und an einer Vernetzung mit Bewegungen in anderen Ländern. Bei den wöchentlichen Versammlungen beim Parlament möchten die Aktivist*innen mit den Leuten auf der Straße ins Gespräch kommen. Deshalb wird den Passant*innen am Heldenplatz Tee angeboten und es wird diskutiert. Die Resonanz empfindet Katharina Rogenhofer als durchwegs positiv, was sie sich damit erklärt, dass Fridays for Future nicht nur Kritik übt, sondern auch einen konstruktiven Beitrag leisten will und eine Gruppe von netten Menschen ist, die möglichst inklusiv sein möchte. Ein Austausch findet mit den Menschen vom Klimavolksbegehren und mit Studierendenvertretungen statt. Auf lange Sicht möchten die jungen Aktivist*innen eine Plattform etablieren, um auch mit Entscheidungsträger*innen aus Politik und Wirtschaft in einen Dialog zu treten. Bewegung ortet Rogenhofer auch in der Wirtschaft. So haben 318 Unternehmen einen Brief an die Regierung unterschrieben, in dem sie für mehr klima-gerechte Regulierung eintreten.

Schulstreik

Eine wichtige Praxis in der jungen Ökologiebewegung stellt der Streik dar – vor allem der Schulstreik, weil die Bewegung in vielen Ländern von Schüler*innen getragen wird. Für Katharina Rogenhofer ist der Streik ein bedeutendes Mittel zur Mitbestimmung in einer Demokratie. In Wien sind bisher vor allem Studierende am Aufbau der Bewegung beteiligt, daher ist das Mittel des Streiks hier noch nicht ganz angekommen. Wohl werden auch Studierende den Vorlesungsbetrieb an den Universitäten bestreiken, aber aufgrund der noch geringeren Beteiligung von Schüler*innen hat es sich noch nicht zu einem umfassenden Schulstreik ausgewachsen. Rogenhofer findet es auf jeden Fall ein wichtiges Zeichen, wenn für eine lebenswerte Zukunft mehr Druck auf das System ausgeübt wird, indem bei der Arbeit, an der Schule und Universität gestreikt wird.

Mit Blick auf Länder wie Deutschland und Schweiz, wo sich die Proteste von Schüler*innen für Klimagerechtigkeit mittlerweile zu einem Massenphänomen entwickelt haben, sieht Katharina Rogenhofer die Perspektive für regelmäßige Schulstreiks in Österreich schwierig. Denn Schüler*innen können bei fünf unentschuldigten Fehlstunden ohne Begründung von der Schule verwiesen werden, was viele davon abschrecken wird, zu streiken. Es würde also Solidarität seitens der Klassenvorstände und Direktor*innen erfordern, damit sich mehr Schüler*innen dazu entschließen zu streiken. Jedenfalls stellt Rogenhofer fest, dass die Bewegung auch in Österreich wächst, was dadurch sichtbar wird, dass schon ganze Schulklassen an den Protesttagen teilnehmen und gemeinsam laut Parolen wie „Wessen Zukunft? Unsere Zukunft!“ gerufen werden. Der internationale Streiktag am 15.3. wird eine Gelegenheit bieten, in größerem Ausmaß für Klimagerechtigkeit auf die Straße zu strömen.

https://fridaysforfuture.at

 

veröffentlicht am 06.02.2019 auf Unsere Zeitung

Bericht über den 4. Klimastreik in Wien

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Eindrücke vom 4. Klimastreik in Wien https://loukanikos161.blackblogs.org/2019/01/11/climate-strike-wien/ https://loukanikos161.blackblogs.org/2019/01/11/climate-strike-wien/#respond Fri, 11 Jan 2019 19:42:49 +0000 http://loukanikos161.blackblogs.org/?p=189

In Wien haben sich wieder dutzende Menschen versammelt, um wie jeden Freitag für Klimagerechtigkeit zu streiken. Auch Kinder waren bei der lebhaften Aktion mit dabei. Ein aktivistisch-teilnehmender Bericht #FridaysForFuture #ClimateStrike

 

Am Freitag, 11.01.2019, versammelten sich ca. 60 Menschen zum vierten Mal am Held*innenplatz in Wien, um ihren Unmut und Protest gegen die klimafeindliche und umweltzerstörerische Politik der Regierungen auszudrücken und für Klimagerechtigkeit ihre Stimme zu erheben.

Die Atmosphäre bei der Reiterstatue, ganz in der Nähe des temporären Parlamentstagungsortes war sehr ausgelassen und lebhaft. Während wir auf dem Platz mit Protestschildern aufgereiht standen, wurden ständig Parolen gerufen. Etwa „No more coal, no more oil! Keep the carbon in the soil!“ (Keine Kohle und auch kein Erdöl mehr, lasst den Kohlenstoff in der Erde). Oder in einem Dialog zwischen einem jungen Mann*, der Parolen vorgab und der Menge, die darauf antwortete: „What do we want? Climate justice! When? Now! Whose future? Our future“ (Was wollen wir? Klimagerechtigkeit! Wann? Jetzt! Wessen Zukunft? Unsere Zukunft!).

Nach der Melodie eines bekannten Demoliedes („Wehrt euch! Leistet Widerstand! Gegen den Faschismus/Sozialabbau im Land!“) wurde von den Aktivist*innen gemeinsam ein Lied angestimmt. Unter den Dirigent*innenkünsten eines Aktivisten sogar im Kanon: „Hey ho, take me by your hand. Strong in solidarity we stand. Fight for climate justice, fight for climate justice!“ (Nimm mich bei deiner Hand. In Solidarität sind wir stark. Kämpfen wir für Klimagerechtigkeit). Auch um uns in der klirrenden Kälte aufzuwärmen, zogen wir von Zeit zu Zeit dann im Kreis gehend oder in Schlangenlinien über den Platz und riefen lautstark unsere Parolen. Unter „Wer nicht hüpft, der ist für Kohle!“-Rufen wurde sich auch hüpfend fortbewegt.

In der Nähe von der Demonstration hatten die Organisator*innen ein paar Tische mit Stühlen aufgestellt. Wie es in der Ankündigung für die Aktion heißt, war der Gedanke, dass vorbeikommende Passant*innen die Gelegenheit haben sollten, mit uns über das Thema Klimawandel und Klimagerechtigkeit in einen Dialog auf gleicher Augenhöhe zu treten.

Insgesamt ist mein Eindruck, dass die öffentliche Resonanz ruhig größer sein hätte können. Die Aktion fand von 10 bis 13 Uhr statt. Womöglich ist es auch dem Ort am Held*innenplatz geschuldet, dass relativ wenige Menschen, und davon vermutlich vor allem Tourist*innen, sich in unsere Nähe verirrten und der tollen Aktion beiwohnten. Jedenfalls war es eine wunderbare Erfahrung und macht Lust auf mehr. Auf dass die Bewegung wachsen und wachsen möge. Denn die Zeit drängt. Bekanntlich haben wir keinen Planet B.

Während wir da so standen, tauchte irgendwann am Rand der Kundgebung eine Gruppe aus Kindern auf, vermutlich eine Schulklasse, die uns beobachtete. Ein Demonstrant zeigte plötzlich auf die Kinder und rief „Whose future? Their future!“ Es gesellten sich dann tatsächlich auch Kinder zu uns und stellten sich beim Denkmal auf. Manche Kinder hielten Protestschilder in die Höhe. Gemeinsam wurden nun Parolen gerufen. Besonders eindringlich war es, als die Kinder riefen: „Whose future? Our future!“ und „Wir sind hier! Wir sind laut! Weil man uns die Zukunft klaut!“

Hintergrund von Fridays for Future ist übrigens der Aktionismus von Greta Thunberg. Sie ist eine schwedische Schülerin, die durch ihre Rede beim Umweltgipfel COP24 einer breiteren Öffentlichkeit bekannt geworden ist. Darin kritisiert sie, dass die Regierungen der Welt nicht genug unternehmen, um den Folgen des Klimawandels entgegenzutreten. Sie appelliert leidenschaftlich daran, den zukünftigen Generationen einen lebenswerten Planeten zu hinterlassen. Und Greta Thunberg sagt, dass ein Systemwandel notwendig ist, denn die kapitalistische Wirtschaftsweise richtet mehr Schaden an als dass sie den Menschen menschenwürdige Lebensbedingungen und eine blühende Umwelt bietet. Greta streikt übrigens selbst jeden Freitag mit Protestschild an einem öffentlichen Ort anstatt in die Schule zu gehen. In der Schweiz und an anderen Orten gab es auch bereits größere Demonstrationen von Schüler*innen und Studierenden, die dem Ruf von Greta Thunberg folgen und für Klimagerechtigkeit auf die Straße gehen. Und die Bewegung für Klimagerechtigkeit wächst mit jedem Tag.

Fridays for Future Vienna findet eins auf Facebook.

Hier ein kleiner Videomitschnitt vom heutigen 4. Klimastreik in Wien.

Und die beeindruckende Rede von Greta Thunberg.

Schließlich in einer berührenden Weihnachtsvideobotschaft, die von der jungen Umweltaktivistin Bella Lack initiiert wurde, erheben Kids aus aller Welt ihre Stimme für Klimagerechtigkeit. Ihr gemeinsamer Appell: wir wünschen uns eine Zukunft.

 

Beitrag veröffentlicht auf Indymedia und Unsere Zeitung

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„Mit dem Frauenstreik für eine plurale Gesellschaft einstehen“ https://loukanikos161.blackblogs.org/2018/11/08/franziska-schutzbach-frauenstreik/ https://loukanikos161.blackblogs.org/2018/11/08/franziska-schutzbach-frauenstreik/#comments Thu, 08 Nov 2018 17:36:43 +0000 http://loukanikos161.blackblogs.org/?p=165

Franziska Schutzbach ist Initiatorin von #SchweizerAufschrei, Forscherin und feministische Aktivistin. Im Gespräch mit Alexander Stoff spricht sie über aktuelle Herausforderungen des feministischen Aktivismus.

 

F:

In den letzten Jahren treten Phänomene wie Women‘s March, #metoo oder #Aufschrei auf. Was sind verbindende Themen und Praktiken? Und wo gibt es Unterschiede?

FS:

Ich bin überrascht wie stark feministische Themen mittlerweile wieder auf der aktivistischen und medialen Agenda stehen. Dazu haben verschiedene Hashtags oder der Women‘s March in den USA beigetragen. Die großen sozialen Bewegungen sind im Moment die feministischen.

#Aufschrei und #metoo haben ein gesellschaftliches Bewusstsein für das Problem der sexualisierten Gewalt und Belästigung hergestellt. Hashtags sind ein relativ demokratisches Prinzip, weil alle mitmachen können. Aber nicht alle können es sich leisten, öffentlich über Gewalterfahrungen zu sprechen. Bei den netzpolitisch Aktiven gibt es eine unglaubliche Vielfalt. So fordern etwa viele Women of color oder queere Frauen* differenzierte Debatten ein, da ihre Probleme wie zum Beispiel Armut bei Hashtags zu wenig berücksichtigt werden. Die Stimmen von so vielen Frauen* machen deutlich, dass sexualisierte Gewalt überall vorkommt – ob in Hollywood, in den Fabriken, im Privaten oder in der Disco. Durch den Hashtag wird ein strukturelles Problem sichtbar und breit diskutiert. Zum Teil sind das auch problematische Debatten, wo sich dann Leute äußern, die es klein reden oder die behaupten, dass man das Problem den Männern* nur unterschiebe.

Sichtbar wird auch, dass es nicht nur unmittelbar um Gewalt geht, sondern auch um größere Zusammenhänge, um Machtverhältnisse. Gewalt gegen Frauen* gibt es, weil wir in einer sexistischen und geschlechter-ungleichen Gesellschaft leben. Sie ist die Spitze des Eisberges und kann unmittelbar mit Hashtags skandalisiert werden. Die Gewalt wird aber überhaupt erst möglich, weil Frauen* oft in ökonomisch prekären Verhältnissen und Abhängigkeit leben. Die Forderung nach Lohngleichheit enthält daher, dass Frauen* ökonomisch gleich gestellt sein müssen, damit sich Gewalt reduziert.

Auch die intersektionale Dimension muss berücksichtigt werden: denn migrantische Frauen* und Women of color machen andere Erfahrungen als weiße Frauen* aus der Mittelschicht. Die Dominanz des westlichen Blicks muss innerhalb der feministischen Bewegung unbedingt in Frage gestellt werden. Forderungen nach Kinderbetreuung oder Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind zwar richtig, aber eine Perspektive von eher privilegierten Frauen*. Für viele Frauen* aus einer unteren Schicht und in ausgebeuteten Arbeitsverhältnissen enthält die Forderung nach Berufstätigkeit überhaupt keinen emanzipatorischen Charakter.

Als ich angefangen habe, im Internet feministische Beiträge zu teilen, bin ich auf viele Widerstände gestoßen. Hier in der Schweiz hinkt man nämlich bei vielem noch hinterher. Dies hat sich in wenigen Jahren geändert: über Feminismus zu sprechen und feministische Perspektiven einzunehmen hat sich ein wenig normalisiert. Ich bin Jahrgang 1978 und in der Schule und beim Studium wurde uns erzählt, die Gleichstellung sei erreicht. Doch als Erwachsene haben wir bemerkt, dass das nicht stimmt. Ich denke, meine Generation und die jüngeren Frauen* wachen gerade auf und wir bemerken, dass wir betrogen wurden, denn die erreichte Gleichstellung ist ein Märchen. Gerade bei den Statistiken in Bezug auf Gewalt gegen Frauen* und sexualisierte oder häusliche Gewalt hat sich in den letzten Jahrzehnten kaum etwas verändert.

F:

Früher hat der klassische Protest bei Demonstrationen auf der Straße stattgefunden, während heute viel im Internet passiert. Hast du den Eindruck, dass sich die öffentlichen Räume verändert haben, in denen heute feministischer Aktivismus und Bewegung stattfinden?

FS:

Ja, ich denke schon, dass das Internet im Hinblick auf Meinungsäußerung und soziale Bewegung vieles verändert hat – sowohl mit positiven als auch schlimmen Effekten. Trotz des Potentials von Demokratisierung durch das Internet habe ich das Gefühl, dass sich im Moment eine Katerstimmung breit macht. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass gerade Frauen* und Women of color in besonderem Maße wieder aus diesen öffentlichen Räumen verdrängt werden. Vor allem Männer* nutzen die Kommentarfunktion bei großen Medien mit Troll-Strategien und Hate speech. Das führt dazu, dass Frauen* sich aus diesen Räumen zurückziehen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass dieses „silencing“ funktioniert. Schon in der nicht-virtuellen Welt werden weibliche Stimmen weniger gehört, nehmen Frauen* seltener an Podien teil und sind weniger in Medien und Politik vertreten. Das spiegelt sich dann auch im Internet wider.

Ich denke, wir müssen der Individualisiertheit im Internet wirkliche Räume entgegensetzen, wo wir uns treffen, austauschen und unterstützen. Deswegen organisiere ich zB einmal im Monat die Feministischen Salons in Zürich und Basel. Auch Demonstrationen oder Streiks sind Anlässe, bei denen man sich gemeinsam auf der Straße trifft, sich spüren und bestärken kann.

F:

Du hast in einem Text geschrieben, dass #Aufschrei ein Bildungsmoment und der Hashtag-Feminismus eine Form von Aufklärungsarbeit ist. Was braucht es, damit die feministische Kritik stärker von Männern* reflektiert wird, auch um dem Hass etwas entgegenzusetzen?

FS:

Es wäre schön, wenn Männer* in allen gesellschaftlichen Institutionen damit anfangen, über dieses Thema zu sprechen und sich zu engagieren. Teilweise passiert das auch schon. Beim #Aufschrei in der Schweiz vor zwei Jahren mussten die Journalistinnen erst in ihren Redaktionen durchsetzen, dass sie über sexualisierte Gewalt schreiben konnten. Bei #metoo und anderen Themen schreiben mittlerweile auch männliche, vor allem jüngere Journalisten Leitartikel oder Kommentare – und zwar oft profeministisch. Ich finde es wichtig, dass Männer* in diskurs-bestimmenden Positionen sich für dieses Thema stark machen.

Als ein Mensch, der nicht von Rassismus betroffen ist, überlege ich mir immer wieder selbst, wie ich dieses Privileg einsetzen kann, um antirassistische Themen voranzubringen. Auch wenn ich persönlich nicht davon betroffen bin, so mache ich mich mitschuldig, wenn ich Rassismus akzeptiere und mich nicht dazu äußere. Ich hoffe, dass diese Erkenntnis sich auch bei vielen Männern* durchsetzt. Manchmal erlebe ich schon, wie Männer* einander aufmerksam machen und ihre Stimme erheben, wenn sie sexistisches Verhalten beobachten. Das ist ein langsamer Veränderungsprozess, weil Männlichkeit* so stark darüber funktioniert, sich selbst als Norm und alle anderen als besonders zu begreifen. In der Folge wird auch Gewalt gegen Frauen* und andere geschlechterpolitische Themen als ein Problem wahrgenommen, mit dem sich nur Frauen* zu befassen hätten. Diese Wahrnehmung müssen Männer* überwinden.

F:

Was macht für dich kritische Männlichkeit* aus? Und wie kann das Verhältnis zu einem gemeinsamen feministischen Aktivismus sein, bei dem sich Männer* solidarisch als Verbündete betätigen?

FS:

Ich denke, kritische Männlichkeit* bedeutet vor allem, sich zuerst zu überlegen, inwiefern patriarchale Verhältnisse auch für Männer* selbst Probleme oder Nachteile mit sich bringen. Patriarchale Zuschreibungen von Überlegenheit, Macht und Stärke sollen kritisch reflektiert werden. Männer* als privilegiert zu bezeichnen, bedeutet ja nicht, dass alle Männer* reiche Finanzmogule sind. Es gibt auch unter Männern* extreme Armut, Erfahrungen von Gewalt usw.

Und auch Männer* erfahren geschlechter-basierte Vorurteile. Nur sind Frauen* stärker von Sexismus betroffen, weil sie weniger gesellschaftliche Macht besitzen. In dieser Gesellschaft ist Macht nach wie vor ungleich auf die Geschlechter verteilt: Männer* besetzen beinahe alle Schlüsselpositionen in Wirtschaft, Politik, Wissenschaft, Kunst und Kultur. Männer* besitzen, verteilen und repräsentieren in der Regel die Macht – auch finanziell. Doch nicht allen Männern* steht der Zugang zu Macht in demselben Maße offen, sondern vor allem denjenigen, die außerdem weiß, begütert, nicht-behindert, heterosexuell und akademisch gebildet sind. Also die Aussage – Männer* haben Privilegien – heißt nicht, dass Männer* kein Leid, keine Gewalt und keine Prekarisierung erfahren. Denn das schließt sich nicht aus. Ich denke, manche Männer* reagieren deshalb mit starker Abwehr, weil sie das Gefühl haben, ihnen wird quasi gesagt, dass sie immer auf der Sonnenseite des Lebens stehen.

F:

Was macht es für dich in einer intersektionalen Sichtweise aus, ein*e gute*r Verbündete*r zu sein? Was bedeutet es, sich als ein*e gute*r Verbündete*r zu verhalten und was sollte man dabei vermeiden?

FS:

Wichtig ist sicher die Bereitschaft zuzuhören und zu reflektieren. Ich denke, es ist für viele Männer* tatsächlich schwer, einmal nicht in der Position des Akteurs zu sein, sondern als Verbündete erst einmal Rezipienten von dem sind, was Frauen* sagen. Ich glaube, das ist für Männer* schwierig, weil sie es gewohnt sind, vor allem anderen Männern* zuzuhören. Das nennt sich Homosozialität: Männer* sind an anderen Männern* ausgerichtet, man will Anerkennung und bewundert andere Männer*. Frauen* werden vielleicht als Partnerinnen oder Mütter gewürdigt, aber nicht als Ideengeberinnen. Laut Studien retweeten Männer* vor allem andere Männer* auf Twitter. Übrigens sind auch Frauen* stark männer-orientiert, denn Männer* repräsentieren Macht und Schlüsselpositionen in unserer Gesellschaft. Männer* sollten sich stärker bewusst machen und darauf achten, was Frauen* schreiben oder sagen. Und ich muss mir auch immer wieder selbst bewusst machen und mich fragen: wann habe ich zuletzt etwas von einer Woman of color getwittert? Der Faktor der Homosozialität ist bei Männern* besonders wirksam und wurde als integraler Bestandteil von Männlichkeit* in der Männerforschung schon länger untersucht, etwa bei Jungen an Schulen. Das Alpha-Männchen in einer Klasse ist der Maßstab, dem alle anderen zu gefallen versuchen, während die Mädchen keine Rolle spielen.

F:

Wo siehst du dann Ansatzpunkte, das zu durchbrechen?

FS:

Indem man bei sich selber anfängt und sich überlegt: an wem orientiere ich mich? Dabei kann man sich bewusst machen, wie viel von dem, was man täglich liest, von Männern* gemacht wird. Dann gibt es Techniken der Diskussionsführung, bei denen eine Diskussion abgebrochen wird, sobald sich keine Frau* mehr zu Wort meldet, weil das als ein Indiz gesehen wird, dass der Verlauf für viele nicht mehr interessant oder sogar diskriminierend ist. Ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Ich finde es jedenfalls interessant, weil man darüber nachdenkt. Wenn sich nur noch Männer* melden, dann trauen sich Frauen* oft gar nicht. In gemischten Gruppendiskussionen bei Versammlungen oder Konferenzen kann auch die Redezeit von Frauen* und Männern* gemessen werden. Frauen*, die das einfordern, werden oft dafür kritisiert. Daher hilft es, wenn auch Männer* für eine gender-gerechte Gesprächsführung einstehen.

F:

Konservative und rechtsextreme Kräfte in Machtpositionen streichen an vielen Orten staatliche Förderungen zB für Frauen*häuser, feministische Gruppen oder Gender Studies. Wie können feministische Bewegungen mit diesem Problem umgehen und welche Spielräume bleiben?

FS:

Letztlich geht es im Idealfall darum, den Rechtsrutsch aufzuhalten, denn dieser geht immer einher mit einem Backlash bei der Frauen*förderung und auch bei der freien Forschung. Demokratische Institutionen wie das Parlament sollten wieder aus diesem rechten Griff befreit werden. Wir haben bei den Wahlen in der Schweiz 2019 die Chance, die rechtskonservative Dominanz abzuwählen, die uns das alles einbrockt. Die rechte Regierung in der Schweiz ist nicht unbedingt repräsentativ, weil viele Leute nicht wählen oder ohne Staatsbürgerschaft gar nicht wählen dürfen. Ich bin selbst lange nicht zur Wahl gegangen, aber durch die Wahl von Donald Trump in den USA aufgewacht.

Durch die Nutzung des Stimmrechtes wird eine gesellschaftliche Basis für die Entwicklung einer emanzipatorischen Politik geschaffen. Im Moment reagieren wir vor allem auf die Provokationen und Agitationen von rechts und sind in einer Empörungsspirale gefangen. Dabei kommt viel zu kurz, wo wir selbst mit der Gesellschaft und unseren Ideen hinwollen. Wir sollten uns mehr überlegen, was unsere eigenen Ideen oder politischen Utopien sind. Wir müssen eine gute Balance zwischen der Skandalisierung von rechtspopulistischen Äußerungen und dem Ausbrechen aus diesem Rahmen finden, sonst lassen wir uns alles von Rechten und ihren Diskursen vorgeben.

F:

Wie kann man die eigene Erzählung und die eigenen Ideen stark machen? Wie kann stärker gezeigt werden, wofür Feminismus steht und was feministische Aktivistinnen wollen?

FS:

Wir planen in der Schweiz gerade den Streik für den 14.Juni 2019, der meines Wissens auch in Deutschland und Österreich stattfinden soll. Das halte ich für eine wichtige Mobilisierung. Dabei soll es um Themen gehen wie zB Lohngleichheit, Sozialpolitik und Antirassismus. Angelehnt am spanischen Vorbild kann über ökonomische Forderungen hinaus politisiert werden. Wir stehen mit dem Streik auch für eine plurale Gesellschaft ein.

Eine andere konkrete Praxis ist zu zeigen, wie viele tolle Projekte es im Kleinen und Großen bereits gibt. Wir müssen deutlich machen, dass die emanzipatorische Gesellschaft, die wir uns wünschen, ein Stück weit schon da ist, denn es gibt so viel solidarisches Handeln in unserer Gesellschaft. Das dürfen wir uns nicht nehmen lassen. Wir leben schon ein Stück weit unsere Utopien. Das können die Rechten nicht aufhalten und darüber ärgern sie sich auch. Deshalb sind sie vielleicht im Moment so stark, denn sie merken, dass tatsächlich starke Veränderungen hin zu einer pluralen Gesellschaft passieren. Und dagegen bäumen sie sich noch einmal mit Aggressivität auf. Ich denke, das ist auch ein Zeichen des Erfolges von emanzipatorischen Bewegungen. Wir können unsere Andersheit in die Waagschale legen und sagen: wir sind schon da. Wir sind starke Frauen*, wir sind schwule Pärchen, wir sind schwarze Menschen mit Kopftuch in Führungspositionen. Hier, wir sind da – ätsch!

Aber ich denke, es ist auch eine gefährliche Situation, denn ich will nichts schönreden. Wir stehen an einem historischen Wendepunkt. Es kann auch in die falsche Richtung kippen und die Gesellschaft im schlimmsten Fall autoritär und faschistisch werden, wie wir es in manchen Staaten schon sehen.

F:

In einem deiner Texte schreibst du, dass der Kapitalismus sich einen eigenen Begriff von Diversität und Feminismus aneignet und dabei diese Themen für den Markt nutzbar macht. Dabei werden diejenigen, die schon privilegiert sind, weiter bevorzugt und die anderen bleiben ausgeschlossen. Siehst du eine Perspektive dafür, dass man Diversität und soziale Gerechtigkeit mit einander verbindet, um sie der kapitalistisch-neoliberalen Sicht entgegenzuhalten?

FS:

Meiner Meinung nach muss Diversität mit sozialer Gerechtigkeit zusammen gedacht werden, wenn es nicht auf dieser hochglanz-neoliberalen Ebene verweilen soll, wo nur manche davon profitieren, während ökonomische und gesellschaftliche Machtstrukturen davon unberührt bleiben. Es ist für mich ganz klar, dass Diversität mit Kapitalismuskritik und der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit zusammen gebracht werden muss.

Dazu gehört zB das ganze Care-Thema. Die feministische Ökonomie hat in den letzten Jahren hervorgehoben, dass die Logik des Kapitalismus und die Ausbeutung auf der Abwertung von jeglicher Sorge-Tätigkeit aufbaut. Ein erheblicher Teil der Arbeit in unserer Gesellschaft soll demnach gratis gemacht werden. Dazu zählt die Pflegearbeit und schlecht bezahlte Sorge-Arbeit unter prekären Bedingungen. Wenn man diese Arbeit bezahlen müsste, dann könnte der Kapitalismus nicht so erfolgreich sein. Und das hängt mit Geschlecht zusammen. Manche Diversitätsforderungen berücksichtigen das nicht und zielen nur darauf ab, mehr Frauen* in die Verwaltungsräte zu holen. Dabei sollten wir darüber nachdenken, die notwendige Care-Arbeit in der Gesellschaft gerecht zu verteilen und vermeiden, dass sie unter ausgebeuteten Bedingungen stattfindet. Ansonsten können ein paar privilegierte Frauen* unter dem Schlagwort „Diversity“ ihre Karriere machen, während zB die philippinischen Nannys in extrem unsicheren Arbeitssituationen ohne Arbeitsrecht oder gewerkschaftliche Vertretung in diesen Haushalten arbeiten.

 

Franziska Schutzbach ist in verschiedenen feministischen Zusammenhängen aktiv, sie lehrt und forscht an der Uni Basel im Fach Gender Studies. Demnächst erscheint ihr Buch „Die Rhetorik der Rechten. Rechtspopulistische Diskursstrategien im Überblick“. Franziska Schutzbach schreibt u.a. Texte für Geschichte der Gegenwart und ihren Blog

 

Text erschien in der Langfassung am 01.11.2018 auf Unsere Zeitung

Gekürzte Fassung unter dem Titel: „Was macht für dich kritische Männlichkeit aus?“ in der Ausgabe 11 der „Volksstimme“ (November 2018)

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Aufstand der Subjektivität https://loukanikos161.blackblogs.org/2018/06/13/leo-gabriel-1968/ Wed, 13 Jun 2018 12:23:47 +0000 http://loukanikos161.blackblogs.org/?p=133  

Leo Gabriel im Gespräch über den Mai 1968 und seine Folgen von Paris bis Managua

 

Paris, Mai 1968

Den Mai 1968 in Paris erleben viele Menschen – einer von ihnen ist Leo Gabriel – ein paar Augenblicke lang als einen Moment, in dem die Revolution zum Greifen nahe scheint. Die Jugend rebelliert in den Straßen von Paris. Die Gewerkschaften rufen den Generalstreik aus und Aktivist*innen liefern sich Straßenschlachten mit der französischen Polizei. Staatspräsident de Gaulle verschwindet vorübergehend von der Bildfläche. Manche sehen in den Ereignissen ein Wiederaufleben der Pariser Kommune von 1871, als die Bewohner*innen die Staatsmacht aus der Stadt vertrieben und soziale Maßnahmen für eine Verbesserung der Lebensbedingungen ergriffen hatten.

 

Leo Gabriel nennt diese Tage einen Aufstand der Subjektivität. Ein Aufbegehren gegen jede Form von Herrschaft – gegen Kapitalismus und Konsumgesellschaft ebenso wie gegen das autoritäre Gesellschaftsmodell in der Sowjetunion und gegen die hierarchischen Kirchen. Und auch auf persönlicher Ebene handelt es sich um eine Befreiung des Individuums, die für viele mit sexueller Freiheit einher geht. Besonders die Frauen*bewegung nimmt in dieser Zeit einen Aufschwung. Der Blick erweitert sich von Europa auf andere Regionen wie Afrika, wo antikoloniale Befreiungsbewegungen sich für die Unabhängigkeit von kolonialer Unterdrückung stark machen und Lateinamerika, wo revolutionäre Bewegungen seit der erfolgreichen Kubanischen Revolution für soziale Befreiung kämpfen. 1968 ereignet sich als ein globales Phänomen, das an vielen Orten zum Ausdruck kommt. In politischer Hinsicht dennoch eine Niederlage, so Leo Gabriel, denn die Macht können die Aktivist*innen der 68er nirgends übernehmen. Veränderungen zeigen sich vor allem auf gesellschaftlicher und kultureller Ebene.

 

Für Leo Gabriel persönlich bedeuten die Ereignisse in Paris einen tiefen Einschnitt in sein Leben. Als Sohn eines Universitätsprofessors für Philosophie und Chefideologen der konservativen ÖVP führt Leo Gabriels Weg nach Paris, mit dem Plan, eine diplomatische Laufbahn einzuschlagen. Zudem absolviert er ein Studium der Sozialanthropologie, u.a. bei Claude Levy-Strauss. Einst als Mitglied des katholischen Cartellverbandes und jetzt Vertreter der Auslandsstudent*innen erlebt Leo Gabriel die Ereignisse 1968 hautnah mit. Er liest die Werke von Autor*innen wie Herbert Marcuse, die besondere theoretische Impulse für die 68er Bewegung geben. Dies alles wird schließlich sein eigenes Leben tiefgreifend verändern und seinem bisherigen Weg eine Wendung geben.

 

Leo Gabriel kommt mit den Befreiungsbewegungen in Afrika, Asien und Lateinamerika in Berührung, die für die Überwindung der kolonialen Strukturen kämpfen. Auf einer persönlichen Ebene verändert auch die sexuelle Befreiung sein Leben. Freie Liebe und Sozialismus sind prägend für ihn, der lange Zeit in Kommunen lebt. Den Umbruch im Lebensstil erlebt er nicht nur abstrakt, sondern im Alltag, etwa bei den regelmäßigen Sitzungen in den Kommunen, wo selbstkritisch im Kollektiv über die eigenen Fehler reflektiert wird.

 

Nach dem Abflauen der Proteste hat Leo Gabriel das Gefühl, dass er nach all dem nicht mehr einfach in das erzkonservative Österreich zurückkehren kann. Er verbringt eine Zeit lang in einem kleinen Fischerdorf in Südspanien. Dort reift sein Entschluss, nach Lateinamerika zu reisen. Inspiriert von Persönlichkeiten wie Che Guevara und den Aufständen der Arbeiter*innen und Student*innen in ganz Lateinamerika möchte Leo Gabriel dorthin, um die wirkliche Revolution zu suchen, wie er es nennt. In Mexiko, wo er sich zunächst länger aufhält, hat er sie nicht gefunden, dafür ein paar Jahre später in Nicaragua.

 

Leo Gabriel beschließt, sich vom gewohnten intellektuellen Umfeld abzukoppeln und liest für einige Zeit kein Buch mehr, weil er so leben möchte wie die Kleinbauern und -bäuerinnen. Zu Beginn der 1970er Jahre schließt er sich dann einer Straßentheatergruppe an und gründet später eine eigene Gruppe. Der Gedanke hinter dem Straßentheater ist die Ermutigung der Arbeiter*innen und Kleinbauern und -bäuerinnen, deren Selbstbewusstsein gestärkt werden soll. Dafür werden soziale Kämpfe der Arbeiter*innen und Bauern dokumentiert und dramaturgisch auf der Bühne dargestellt. Besonders an den Orten, wo gerade Streiks und soziale Konflikte stattfinden, soll den Aktivist*innen an der Basis bewusst gemacht werden, dass hartnäckiger Widerstand und solidarischer Zusammenhalt zum Erreichen der gemeinsamen Ziele führt. Auf den Spuren von Che Guevara, nur in umgekehrter Richtung, reist Leo Gabriel als Filmemacher zusammen mit Musiker*innen und Schauspieler*innen quer durch den Kontinent, von Mexiko bis nach Argentinien, bis die Gruppe Anfang 1976 wieder nach Mexiko zurückkehrt. Alles, was er gefühlsmäßig über Lateinamerika weiss, hat er sich in diesen fünf Jahren angeeignet, so Leo Gabriel. So lebt er mit den Kleinbauern und -bäuerinnen in Guatemala zusammen und lernt Aktivist*innen aus den sozialen Bewegungen kennen. Später lernt er auch Personen wie den Revolutionsführer und heutigen Präsidenten von Nicaragua Daniel Ortega kennen und andere, die bei den lateinamerikanischen Linksregierungen seit Beginn der Jahrtausendwende eine Rolle spielen wie z.B. Evo Morales, den ehemaligen Gewerkschaftsaktivisten der Kokabauern und heutigen Präsidenten von Bolivien.

 

Während andere Aktivist*innen von 1968 den langen Marsch durch die Institutionen antreten und sich manche mit den Verhältnissen arrangieren, bleibt Leo Gabriel bis heute ein 68er. Einen Grund dafür sieht er darin, dass er lange Jahre in Lateinamerika verbracht hat. Er ist nicht vor der Frage gestanden, innerhalb der staatlichen Institutionen für Veränderungen einzutreten, wofür sich viele 68er in Österreich besonders in den Kreisky-Jahren entschieden haben. Um 1978 herum wird Leo Gabriel als Journalist tätig. Die Mitarbeiter*innen der von ihm frisch gegründeten alternativen Presseagentur APIA (Agencia Periodistica de Información Alternativa) treten als Kollektiv auf und berichten aus verschiedenen Ländern Lateinamerikas. Während die Ereignisse in Nicaragua zunächst kaum von den großen Medienunternehmen zur Kenntnis genommen werden, setzen später viele auf die Arbeit der kleinen APIA, die von Anfang an über den Umbruch in diesem zentralamerikanischen Land berichtet.

 

Die Regierungen reagieren an vielen Orten mit brutaler Gewalt und schlagen die Proteste 1968 nieder wie in Kalifornien, wo der Gouverneur und spätere US-Präsident Ronald Reagan die Nationalgarde auf Demonstrant*innen hetzt. In Mexiko werden während der Olympischen Spiele im Oktober 1968 von der Armee Tausende Menschen auf dem Platz der drei Kulturen massakriert. In vielen Ländern von Lateinamerika führt die harte Repression durch die Staatsmacht – nahezu überall sind Diktaturen an der Macht – zur Militarisierung der sozialen Konflikte nach 1968 und zur Bildung von Guerillabewegungen. In den meisten Ländern werden diese niedergeschlagen, nur in Guatemala und El Salvador können diese Bewegungen zeitweise größere Gebiete befreien und in Nicaragua gelingt 1979 der Sturz der Diktatur von Somoza durch eine bewaffnete Revolution. Die Saat dafür war 1968 gelegt worden, so Leo Gabriel, denn je nach politischer Ausgangslage führte sie in manchen Ländern zu einer zivilgesellschaftlichen und kulturellen Dynamik, in anderen Ländern zu revolutionären bewaffneten Bewegungen.

 

Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion gilt es vorübergehend als unzeitgemäß, sich für soziale Veränderung und Gerechtigkeit einzusetzen. Doch inzwischen ist es wieder möglich, in der Gesellschaft fundamentale Kritik am Kapitalismus zu äußern und Fragen nach Alternativen aufzuwerfen, wie etwa im Rahmen des Weltsozialforums, dem Leo Gabriel als Mitglied des Internationalen Rates bis heute angehört. Vielfältige soziale Bewegungen treten, auch in Europa, wieder in Erscheinung, die für die Rechte der Arbeiter*innen und Subalternen kämpfen. Dies zeigt, dass das Bewusstsein und die Ideen von 1968 noch heute aktuell bleiben.

 

veröffentlicht am 26.04.2018 auf Unsere Zeitung

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Disobedience! https://loukanikos161.blackblogs.org/2018/06/13/disobedience/ Wed, 13 Jun 2018 11:32:36 +0000 http://loukanikos161.blackblogs.org/?p=124  

Eindrücke vom Kongress für zivilen Ungehorsam

 

„Don‘t Get Caught in a Bad Hotel!“ – mit diesem Aufruf auf den Lippen tanzen und singen elegant gekleidete Menschen in der Empfangshalle eines Hotels ihr Lied zu den Klängen eines Orchesters. Bei einer künstlerischen Intervention wollen LGBTIQ-AktivistInnen auf unterhaltsame Weise bei den BesucherInnen des Hotels ein Bewusstsein dafür schärfen, dass die Angestellten mehr Lohn und leistbare Gesundheitsversorgung fordern. Viele Menschen strömen gerade zur Pride Parade nach San Francisco und die AktivistInnen rufen zum Boykott des Hotels auf, da die Rechte der MitarbeiterInnen hier nicht respektiert werden.

 

Kreative und bunte Aktionen wie diese wurden vom 6. bis 8.Oktober auf dem Kongress für zivilen Ungehorsam unter der Devise “Disobedience!” bei einer Video-Session gezeigt. Vielleicht wird die eine oder der andere von den BesucherInnen zu einer ähnlich spektakulären Aktion in der Zukunft inspiriert. Der Raum im Forum Stadtpark in Graz bot drei Tage lang reichlich Gelegenheit zur Weiterbildung, Diskussion, Austausch und Vernetzung auf dem Feld des zivilen Ungehorsams. Organisiert wurde die Veranstaltung von System Change Not Climate Change, einem Zusammenschluss von Menschen, die für die katastrophalen Folgen des Klimawandels sensibilisieren und durch Aktivitäten in der Öffentlichkeit einen Wandel zu einer ökologischen Politik erreichen wollen.

 

Im Gespräch mit Unsere Zeitung erklärt Peter*, einer der AktivistInnen, die den Kongress vorbereitet haben, dass die Idee dahinter gewesen ist, einen offenen Raum zu schaffen, wo interessierte Menschen gemeinsam reflektieren und mit vielfältigen Ansätzen miteinander in eine Diskussion treten können. Neben Inputs durch Vorträge und Diskussionen gibt es auch die Möglichkeit bei Workshops Erfahrungen aus konkreten Aktionen auszutauschen. Das gemeinsame Schauen von Filmen, bei denen Aktionen des zivilen Ungehorsams dokumentiert sind, soll zum Tätigwerden inspirieren. Unter den RednerInnen auf dem Podium finden sich Menschen mit unterschiedlichen theoretischen und praktischen Zugängen wie antirassistische AktivistInnen gegen Abschiebungen, UmweltverteidigerInnen gegen den Kohlebergbau und auch ForscherInnen, die ihre Erkenntnisse über die historische Dynamik von Bewegungen des zivilen Ungehorsams mit den Anwesenden teilen.

 

Rebellisch ausgelebte Demokratie

 

Es gibt genug Ja-Sager auf der Welt, es braucht unser Nein, bringt Emily Laquer von der Interventionistischen Linken ihre Botschaft bei der Podiumsdiskussion am Freitag auf den Punkt. Ziviler Ungehorsam als gemeinsames und offensives Überschreiten von Regeln kann je nach gesellschaftlichem Kontext verschiedene Gesichter annehmen. Wenn wie gerade erst im Fall von Katalonien die Abhaltung einer Abstimmung über die Unabhängigkeit für illegal erklärt wird, dann wird das trotzige Abgeben der eigenen Stimme zum legitimen Akt des Widerstandes. Wenn wie in Hamburg beim G20-Gipfel im vergangenen Sommer das Demonstrieren von der Polizei für illegal erklärt wird, dann ist es legitim, sich dem Verbot zu widersetzen und das eigene demokratische Recht auf der Straße zu verteidigen. Es geht also nach den Worten von Laquer darum, Demokratie rebellisch auszuleben, damit sie nicht verschwindet. Und ziviler Ungehorsam bietet dafür ein breites Spektrum an Handlungsmöglichkeiten. Trotz der Gefahr von brutaler Repression und Gewaltanwendung durch den Staat wie sie den Menschen in Katalonien und Hamburg massiv widerfahren ist, ist es wichtig, beim gemeinsamen Widerstand weniger Angst zu haben und sich mehr zu trauen – und vor allem aufeinander aufzupassen, so Laquer.

 

Ziviler Ungehorsam kann verschieden begründet werden. Während manche darin ein Mittel sehen, um Fehlentwicklungen in unserer Gesellschaft zu korrigieren, wird von anderen das System als Ganzes hinterfragt und werden etwa die Strukturen des Kapitalismus kritisch zur Debatte gestellt. Für Laquer lassen sich beide Zugänge miteinander verbinden. Die Erfahrung zeigt, dass AktivistInnen von bürgerlichen Medien oft als Radikale stigmatisiert und Aktionen und Ziele verzerrt dargestellt werden. Doch für Laquer ist das kein Grund, sich davon zu distanzieren, denn für viele geht es ja tatsächlich um eine fundamentale Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen und sie wünschen sich einen Wandel. Daher ist es sinnvoll, dies auch so zu benennen und danach zu handeln – denn es geht schließlich um Systemkritik.

 

Praktiken des Ungehorsams und öffentliche Meinung

„The only tired I was, was tired of giving in.“ (Rosa Parks)

 

Mitorganisator Peter wünscht sich, dass die Öffentlichkeit sich mehr für die Legitimität von Aktionen des zivilen Ungehorsams öffnet. Denn die Folgen, die uns bei fortgesetzter Untätigkeit etwa im Zusammenhang mit dem Klimawandel drohen, sind schlimm genug. Angesichts von steigendem Meeresspiegel und unterschiedlichen Phänomenen von extremen Wetterereignissen wie anhaltende Dürren und Wüstenbildung, besteht berechtigte Sorge, dass unser Planet eines Tages für nachfolgende Generationen größtenteils unbewohnbar sein könnte. Vor dieser Gefahr wird auch in der Wissenschaft eindringlich gewarnt. Bereits heute werden Millionen von Menschen durch die gehäuft auftretenden ökologischen Katastrophen aus ihrem Lebensumfeld gerissen und zur Flucht gezwungen. Für Peter ist es also ohne Zweifel angemessen, nicht nur mit Petitionen an die Politik zu appellieren, sondern einen Schritt weiter zu gehen und den eigenen Körper bei ungehorsamen Aktionen einzusetzen. Daher will man sich beim Kongress in Graz nicht nur auf die Ebene von Worten und Gedankenaustausch beschränken sondern es soll auch gleich zum aktiven Handeln angeregt werden, zB indem die TeilnehmerInnen im Rahmen eines Aktionstrainings verschiedene Praktiken des zivilen Ungehorsams ausprobieren.

 

Für die antirassistische Aktivistin Fanny Müller-Uri umfasst ziviler Ungehorsam vielfältige Aktionsformen, wie sie bei der Podiumsdiskussion erklärt – vom Aufbegehren gegen die Arbeit am Fließband über Blockaden von Abschiebungen und Widerstand gegen Naziaufmärsche bis zu massenhaften Aktionen wie bei den Protesten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm im Jahr 2008. Es hängt von den Erfordernissen der konkreten Situation ab, welche Mittel angemessen erscheinen. Dabei geht es um die Sache – ziviler Ungehorsam soll kein Selbstzweck sein. Für Kontinuität von Aktionen braucht es organisatorische Strukturen. Müller-Uri hebt die Bedeutung der öffentlichen Meinung hervor, denn Aktionen sind umso wirksamer je mehr sie in die gesellschaftliche Breite gehen. Es stellt sich also die Frage, wie der Sex-Appeal und die Legitimität von Aktionen des zivilen Ungehorsams gesteigert werden können.

 

Dabei gibt Laquer zu bedenken, dass Menschen bei Protesten es nur teilweise selbst in der Hand haben, wie später über die Ereignisse gesprochen wird. Denn bürgerliche Medien pflegen bei der Berichterstattung über Proteste gerne einen Umgang, bei dem Diskreditierung und Angstmache eine Rolle spielen und bestimmte Stimmungen geschürt werden. So erzählt Laquer, dass bei Ende Gelände zuerst ein großes Medieninteresse vorhanden war – doch als sich die Erwartungen nach Auflagensteigerung durch abenteuerliche Szenen und Randale nicht erfüllten, reisten die Medien bereits nach einem Tag wieder ab.

 

Ungehorsame Geschichte

 

„Historically, the most terrible things – war, genocide and slavery – have resulted not from disobedience, but from obedience.“ (Howard Zinn on war, 2011)

 

In historischer Hinsicht ist ziviler Ungehorsam besonders mit der US-amerikanischen Civil Rights Bewegung verknüpft. Bei Martin Luther King Junior erweiterte sich der Kampf gegen den Rassismus um das Engagement für soziale Rechte. Der Theologe Kurt Remele teilt bei der Podiumsdiskussion sein Wissen, das er bei der Forschung über den zivilen Ungehorsam in der katholischen Linken in den USA gesammelt hat. In seiner im Gefängnis verfassten und 1849 veröffentlichten Schrift gegen die Sklaverei warf Henry David Thoreau den Begriff des zivilen Ungehorsams zum ersten Mal auf. Thoreau verstand darunter noch eine individuelle Handlungsweise. Martin Luther King Junior, der Thoreaus Schrift gelesen hatte, sah eine Verantwortlichkeit der BürgerInnen darin, ungerechte Gesetze zu übertreten. Später wandelte sich schließlich im Zuge des Civil Rights Movement der Begriff bei Rosa Parks und ihrer trotzigen Weigerung, im Bus aufzustehen und für weisse Fahrgäste den Platz frei zu machen, zum massenhaften zivilen Ungehorsam. Die Thematisierung der Anwendung bestimmter, umstrittener Methoden zog sich durch die Debatten der katholischen Linken in den USA während der Bewegung gegen den Krieg in Vietnam. So waren nicht alle mit dem konfrontativen Charakter bei manchen Aktionen einverstanden und befürchteten einen Abschreckungseffekt – etwa wenn DemonstrantInnen in Ämter eindrangen und die Einberufungsakten zur Armee mitnahmen und dann öffentlich verbrannten. Für andere wiederum war gerade dieser Aspekt der Konfrontation erst recht der Anlass um selbst aktiv zu werden. Remele findet es jedenfalls wichtig, eine Konfrontation in Sachfragen zu suchen und nicht den politisch Andersgesinnten niederzumachen.

 

Der Historiker Leo Kühberger weist bei seinem Vortrag darauf hin, dass der kollektive und politische Charakter des zivilen Ungehorsams mitunter unterschlagen wird. Bei der kollektiven Verweigerungsaktion des Montgomery Bus Boycott von 1955 ging es nicht allein um eine symbolische Aktion in der Öffentlichkeit sondern auch ganz konkret darum, gemeinsam das Busunternehmen ökonomisch in die Knie zu zwingen. Und im Fall von Rosa Parks existierte eine öffentliche Wahrnehmung, dass ihre Weigerung, im Bus für weisse Fahrgäste Platz zu machen, damit zusammenhänge, dass sie nach einem harten Arbeitstag aus Müdigkeit nicht aufstehen wollte. Doch dabei fehlt der wesentliche Hinweis, dass Rosa Parks schon lange vorher als politische Aktivistin tätig und ihre Weigerung eine bewusste Entscheidung war. Zudem war Parks auch nicht die erste Person, die sich weigerte, sich von ihrem Platz zu erheben, denn das hatten andere vor ihr auch schon getan – aber sie hat mit ihrer Unmutshandlung eine Bewegung angestoßen.

 

Kollektive Verweigerung und sozialer Wandel

 

Kühberger macht deutlich, dass sich also in einem bestimmten Moment ein Akt des zivilen Ungehorsams verbreitern kann. Wann eine Handlung in kollektiven Protest umschlägt, lässt sich nicht vorausplanen – aber es macht Sinn, gemeinsam darüber zu reflektieren, warum dies in einer bestimmten Situation gelingt. Heute beteiligen sich mehr Menschen an massenhaftem zivilem Ungehorsam, zb bei Blockaden von Naziaufmärschen, weil die bürgerliche Gesellschaft sich in eine autoritäre Richtung entwickelt. Für Kühberger ist der partizipative Anspruch von zivilem Ungehorsam wichtig und er regt dazu an, sich zu überlegen, wie Aktionen zu gestalten sind, damit auch weniger politisierte Personen daran teilnehmen können. Um die Angst zu überwinden braucht es auf jeden Fall Kollektivität, so Kühberger.

 

Müller-Uri stellt fest, dass Praktiken des zivilen Ungehorsams nicht allein auf die politische Linke beschränkt bleiben. Das zeigt sich am Beispiel von kollektiven Aktionen ganzer Gemeinden wie im vorarlbergischen Alberschwende, wo breite Kreise der Bevölkerung sich gegen die drohende Abschiebung von Geflüchteten gewehrt und Menschen vor der Polizei versteckt haben. Vor den 1990er Jahren und dem Geplapper vom „Ende der Geschichte“ gab es noch eine Perspektive, mit der Menschen dazu bewegt wurden, auf die Straße zu gehen und für gesellschaftlichen Wandel zu kämpfen. Diese Perspektive, die Welt verändern zu können, scheint verloren gegangen zu sein, befürchtet Laquer. Von der Linken erhofft sie sich daher, dass das Versprechen nach Veränderung nicht den Rechten überlassen wird, sondern dass wieder stärker eine Perspektive für die Menschen eröffnet wird – denn Proteste haben eine Wirkung. Und so schickt Laquer ihre Botschaft vor den versammelten ZuhörerInnen in die Welt: „Worauf ihr gewartet habt, seid ihr – ihr seid die Veränderung.“

 

* Name vom Redakteur geändert

 

veröffentlicht am 24.11.2017 auf Unsere Zeitung

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