Love Speech Therapy – Nachrichten vom Riot Dog https://loukanikos161.blackblogs.org One more Blackblog Sun, 26 May 2019 08:35:11 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Anne Wizorek: Let’s talk about Meinungsfreiheit, Baby https://loukanikos161.blackblogs.org/2019/05/06/meinungsfreiheit-baby/ https://loukanikos161.blackblogs.org/2019/05/06/meinungsfreiheit-baby/#respond Mon, 06 May 2019 10:12:45 +0000 http://loukanikos161.blackblogs.org/?p=207

Transkript des Redebeitrages bei der Re:publica 2015

 

Erst mal Hallo und Guten Morgen! Großartig, dass sich so viele um die Uhrzeit schon aus dem Bett geschält haben trotz wahrscheinlich guter After Party gestern. Ich wurde ja schon angekündigt und auch dass ich gerade ganz gut beschäftigt bin, unter anderem weil ich besagtes Buch herausgebracht habe, bin ich ziemlich viel unterwegs. Wer mir auf Twitter oder Instagram folgt, kriegt das gerade ganz gut mit. In Deutschland, in der Schweiz, in Österreich und egal wo ich bin und welche Art von Veranstaltung es ist, ob es ein Vortrag ist oder ein Podium oder auch ein Workshop, den ich leite, irgendwann, meistens sogar ziemlich schnell kommen dann zwei Fragen. Die erste ist: Kriegst du immer noch Hasskommentare? Und die zweite ist: Wie gehst du mit Hasskommentaren um? Während die erste Frage zwar nicht wirklich befriedigend aber immerhin einfacher zu beantworten ist: ja, ich kriege noch Hasskommentare, und die Frage ist eigentlich immer eher nur, ob’s mal mehr oder mal weniger sind, lässt sich die zweite Frage leider nicht so leicht beantworten. Was besonders schwer ist, vor allem junge Frauen melden sich mit dieser Frage bei mir, und dann ist die Antwort natürlich umso schwerer. Denn eigentlich sind diese Frauen bereits begeistert vom Netz, wollen mehr damit machen, wollen damit ihre Arbeit publizieren, wollen schreiben, wollen Fotos veröffentlichen, Videos, Veranstaltungen machen, sich an Diskussionen beteiligen und stecken in der Regel einfach voller wunderbarer Ideen. Gleichzeitig befürchten sie aber, einfach durch die bloße Präsenz im Netz ungewollt Hassattacken ausgesetzt zu werden. Und dann sitze ich da oder stehe und möchte ihnen eigentlich weiter von den Großartigkeiten des Internet vorschwärmen, von dem Netz, das mir so viele unersetzliche Freundschaften beschert hat, die sich mühelos über mehrere Kontinente sogar erstrecken. Ich möchte von dem Netz erzählen, das mir meine Stimme sozusagen gebracht hat, mich zum Bloggen gebracht hat. Und schließlich auch zu Veranstaltungen wie dieser hier, kleiner Shout-out an alle, die auch schon 2007 dabei waren. Das Netz, von dem ich erzählen möchte, ist das, was mich politisiert hat, das mir gezeigt hat, dass ich selbst Teil des Wandels sein muss, wenn ich etwas in dieser Welt verändern möchte.

Aber stattdessen muss und möchte ich natürlich auch ehrlich bleiben, stattdessen geht es dann um die harte Realität. Es geht dann um Fragen wie: Kann ich die Impressumspflicht im Blog irgendwie umgehen? Sollte ich besser von Anfang an ein Pseudonym im Netz benutzen? Wenn ich dann offline Vorträge halte und ein Pseudonym benutze, werde ich dann überhaupt ernst genommen? Reicht es nur zu bloggen? Muss ich auch Screenshots machen? Wie reagiere ich bei anonymen Drohungen? Was mache ich eigentlich in so einem Shitstorm? Und so weiter und so fort. Ich finde nicht, dass diese Fragen sein sollten und dass Menschen sich diese stellen müssen, bevor sie sich im Netz einbringen. Ich finde, es ist an der Zeit, dass wir uns nicht nur offen eingestehen, dass unsere derzeitige Online-Kultur kaputt ist, sondern auch dass es dringend notwendig ist, Lösungen zu entwickeln, kurzfristige wie langfristige. Daher ganz im Sinne des Songs, der diesem Titel den Namen gab: Let’s talk about Meinungsfreiheit, Baby! Let’s talk about you and me. Let’s talk about all the good things and the bad things that may be.

Beginnen möchte ich dabei mit den sprachlichen Begriffen und mehr oder weniger der Definition, die sich rund ums Thema Gewalt im Netz und Hasskommentare etabliert haben und das ganze leider auch nicht immer ganz einfach machen, um darüber zu sprechen. Obwohl Sprache diesbezüglich natürlich sehr wichtig ist. Fangen wir also quasi beim Punkt Einself an, der Meinungsfreiheit. Sie bezeichnet das Recht der freien Meinungsäußerung. Artikel 5, Absatz 1 im Grundgesetz besagt: „Jeder hat das Recht, seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten. Eine Zensur findet nicht statt.“ Eigentlich ziemlich easy. Aber einige Menschen verwechseln das trotzdem immer noch damit, dass ihre Aussagen in einem mehr oder weniger gesellschaftlichen Vakuum existieren und daher auch nicht kritisiert werden dürfen, wenn sie zum Beispiel sexistisch, rassistisch oder auch feindlich gegenüber Homosexuellen sind. Es gibt einen großartigen (?) Comic, den haben wahrscheinlich auch schon alle hier gesehen, ich zeige ihn trotzdem noch einmal, weil der so gut ist, der sehr schön erklärt wie dieses Prinzip der Meinungsäußerungsfreiheit, wie es ja eigentlich noch konkreter heißt, funktioniert. Nur zur Erläuterung: ich habe die deutsche Übersetzung des Sprachwissenschaftlers Anatol Stefanowitsch gewählt, weil der sich natürlich auch auf den europäischen Rechtsrahmen bezieht. Da heißt es: „Wichtige Durchsage: das Recht auf freie Meinungsäußerung besagt, dass die Regierung dich für das, was du sagst, nicht verfolgen darf. Es besagt nicht, dass sich irgendjemand dein Gefasel anhören oder dir dafür Speicherplatz zur Verfügung stellen muss. Artikel 11 der EU-Grundrechte-Charta schützt dich nicht vor Kritik oder Reaktionen. Wenn du angeschrien oder boykottiert wirst, man deine Sendung absetzt oder dich aus einem Internetforum ausschließt, ist das keine Verletzung deiner Meinungsfreiheit. Es bedeutet nur, dass die Leute, die dir zuhören, dich für ein Arschloch halten und dir zeigen, dass du nicht willkommen bist.“

Der nächste Begriff, über den wir selbstverständlich sprechen müssen in diesem Rahmen, ist der der Hate Speech. Dieser ist gut erkennbar englisch und steht für Hasssprache, Hassrede, Volksverhetzung. Das deutsche Wort Hassrede ist bislang nicht so etabliert und die Debatte rund um diese Themen ist vor allem US-amerikanisch geprägt. Daher benutze auch ich diesen Begriff, zumal der sich auch mittlerweile im Deutschen immer mehr etabliert hat. Und dazu nur eine Anmerkung: es ist kein sprachwissenschaftlicher Begriff, sondern ein politischer. Kurz zur Definition: Hate Speech bezeichnet Formen sprachlicher Ausdrucksweisen, die eine Person oder eine Gruppe von Menschen aufgrund ihres Geschlechts, ihrer Religion, sexuellen Orientierung oder Herkunft erniedrigen, einschüchtern oder zur Gewalt gegen sie aufstacheln. Das kann schriftlich, mündlich, in Bildform, in Massenmedien und damit natürlich auch im Internet passieren. Hate Speech ist also kein Phänomen, das erst durchs Netz entstanden ist, aber das wir durch die technischen Möglichkeiten, die sich durchs Netz ergeben, noch mal neu diskutieren müssen. Eine feste Definition oder auch Sammlung von Hate Speech-Wörtern gibt es nicht, da Hate Speech auch immer im jeweiligen Kontext betrachtet werden muss. In der übrigens sehr lesenswerten Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung, die jüngst zum Thema Hate Speech erschienen ist und die ich euch hier wirklich zur weiteren Lektüre wärmstens ans Herz legen möchte, werden folgende Elemente von Hate Speech aufgezeigt: Gleichsetzung wie zum Beispiel: „die Schwarzen gleich Afrika“; Verschwörungstheorien wie zum Beispiel: „Israel hat einen Anschlag auf die eigene Bevölkerung inszeniert, um von der Kritik an der Außenpolitik abzulenken“; De-Realisierung, also eine verzerrte Wahrnehmung und Falschaussage wie: „Alle Politiker hassen Deutschland“; eine Gegenüberstellung von „wir“ und „ihr“ als Gruppen; und das Konstruieren eines Handlungszwanges wie zum Beispiel: „Wenn wir uns von denen weiter auf der Nase herumtanzen lassen, werden wir alle sterben“; und Normalisierung von bestehenden Diskriminierungen wie zum Beispiel: „Ist doch kein Wunder, dass die Schwarzen so behandelt werden“. Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und andere Formen von Diskriminierung existieren auch im Netz weiterhin – schließlich lösen sich entsprechende Machtstrukturen, die ja auch außerhalb der Bildschirme wirken, nicht einfach in Einsen und Nullen auf. Dieser Wunsch war am Anfang des Internets mal da, hat sich aber nicht erfüllt. Durch Hate Speech wird in erster Linie ein Klima geschaffen, in dem die Hemmschwellen, um Gewalt gegen bestimmte Personengruppen auszuüben, gesenkt werden. Gewalt gegen Menschen, die der jeweiligen Gruppe angehören, ist dann gesellschaftlich akzeptierter, was wiederum durch einen Mangel an Empathie noch mal manifestiert wird. Hate Speech dient also zur Entmenschlichung der betroffenen Personen.

Ein weiterer Begriff, der in der Debatte auftaucht und den ihr bestimmt auch alle kennt, ist der gute alte Shitstorm, mittlerweile sogar definiert im Duden als – ich zitiere – „Sturm der Entrüstung in einem Kommunikationsmedium des Internets, der zum Teil mit beleidigenden Äußerungen einhergeht“. Ich finde dieses „zum Teil“ immer sehr charmant [lacht]. Nun steht dieser Begriff zwar schon im Duden, aber die allgemeine Verbreitung hat einerseits dazu geführt, dass der Begriff mittlerweile geradezu inflationär gebraucht wird, also dass im Grunde bei drei negativen Artikeln zu irgendeinem Zeitungsartikel gleich von einem „Shitstorm“ geredet wird. Andererseits werden dann auch gezielte Hasskampagnen gegen einzelne Personen oder Personengruppen durch die Bezeichnung „Shitstorm“ geradezu verharmlost. Ein Unternehmen auf Social Media-Kanälen für einen sexistischen Werbespot zu kritisieren, ist schließlich etwas anderes als Aktivistinnen zu sagen, dass sie einfach mal wieder „ordentlich durchgefickt gehören“ und ihnen bei nächster Gelegenheit mit dem Messer aufgelauert wird. Die Machtebene ist eine ganz andere, wenn in der Regel ein Team hinter dem Unternehmens-Account steckt und Social Media-Auftritte betreut, die Leute nicht mal persönlich in Erscheinung treten müssen und sie sich auch beim Krisenmanagement abwechseln können. Das hat dann im Übrigen auch nichts damit zu tun, dass Menschen an den Pranger gestellt werden, sondern hier wird lediglich Social Media genutzt, um öffentlich Kritik zu üben. Beleidigungen, Diffamierungen und Drohungen können natürlich auch innerhalb eines Shitstorms auftreten, aber wenn Hasskommentare oder auch Emails zum Grundton des digitalen Alltags werden, bekommt das alles eine andere Dimension und wir müssen schließlich von Hasskampagnen sprechen.

Ein weiterer Begriff, der die Debatte prägt, aber leider auch schwierig ist, ist der des Trollens. Warum der nicht so geeignet ist? Nun, dazu vielleicht mal eine kleine Liste, auch noch nicht vollständig, was derzeit unter anderem alles unter „Trollen“ verstanden wird: Das sind dann Beleidigungen, Verleumdungen, üble Nachrede, Stalking, Fälschung von Accounts und Verbreitung gefälschter Informationen, Verbreitung von Nacktbildern, das sogenannte Doxing, also wenn private Daten wie jetzt zum Beispiel die Adresse einer Person im Netz veröffentlicht werden, wenn Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber kontaktiert werden, um die betreffende Person dort zu diffamieren, wenn Gewalt angedroht wird, das natürlich nicht nur auf einzelne Personen bezogen sondern auch auf deren näheres Umfeld wie zum Beispiel die Familie, wenn mit Mord gedroht wird, oh und natürlich: ursprünglich stand das ja auch mal für ein bewusstes Stören von Kommunikation im Netz und Provokation von Gesprächsteilnehmer_innen. Wie man also ganz gut sehen kann, wird da einiges in einen Topf geschmissen, was eigentlich eine differenziertere Auseinandersetzung verdient und durch diese „Ich mach doch nur Spass“-Implikation des Troll-Begriffs schlicht nicht ernst genug genommen wird. Außerdem wird beim Troll-Begriff nicht unterschieden, ob es sich um Mitläufer und Mitläuferinnen handelt oder um Agitator_innen, die maßgeblich dazu beitragen, dass die kritische Masse für eine Hasskampagne überhaupt erst erreicht wird. Wer mehr dazu erfahren möchte, sollte sich die Hater-Typologie von Yasmina Banaszczuk anschauen, die in besagter Broschüre zu Hate Speech übrigens auch noch mal in ausgefeilter Form zu finden ist.

Zusätzlich haben wir ein Problem mit unserer Online-Kultur an sich. Denn nicht nur der Begriff des Trollens sondern auch das „Don’t feed the Troll“ als Mantra hat sich etabliert. Das heißt, feindseligen Kommentaren soll einfach keine Beachtung geschenkt werden, damit diejenigen Menschen das Interesse an ihrem Angriffsziel verlieren. Dies führt leider zu einer toxischen Online-Kultur. Denn wer angegriffen wird, darf sich dadurch nicht mal mehr darüber beschweren, denn spätestens dann ist die Person, wenn sie sich beschwert, eben selber schuld, wenn es auch noch schlimmer wird. Solidarität mit den Betroffenen wird dadurch schier unmöglich statt selbstverständlich zu sein. Hier zeigt sich schließlich auch das Ausmaß der Taktik von Hasskommentaren. Gerade marginalisierte, also an den Rand der Gesellschaft gedrängte Menschen, die sich im Netz die Möglichkeiten von Plattformen zu nutze machen und eine Gegenöffentlichkeit für ihre Lebensperspektiven schaffen, sollen bewusst wieder aus dieser Öffentlichkeit verdrängt werden. Sie sollen zum Schweigen gebracht werden. Es geht bei Hate Speech also nicht um bloße „Kritik“, wie es dann gerne mal verschleiert dargestellt wird. Hasskommentare sollen zermürben, Angst machen, isolieren und die betreffenden Menschen am Ende zum Schweigen bringen. Und auch wenn den Drohungen vielleicht keine physischen Angriffe nachgehen, sind die Folgen für die Betroffenen von Hasskommentaren fatal. Die Worte haben bereits Gewalt ausgeübt, sie haben bereits verletzt. Folgen sind unter anderem Selbstzensur, Schlafstörungen, Essstörungen, Hilflosigkeit, Angst, Scham, Verunsicherung, emotionale Belastung. Das sind nur einige mögliche Resultate und die zeigen auch eindeutig, dass der psychische Stress auch immer in Verbindung mit körperlichen Beschwerden einhergeht. Betroffene Menschen werden durch diesen entmenschlichenden Akt der Hate Speech zu reinen Projektionsflächen. Wie sich das unter anderem anfühlt, hat dieses Selfie von Zoe Quinn auf, finde ich, sehr traurig-schöne Weise eingefangen. Die Videospielentwicklerin Zoe Quinn war das erste Ziel von Gamergate und wird seit August 2014 belästigt und bedroht und das zwar täglich, August 2014. Der Text auf dem Bild lautet: „The light inside has broken but I still work”. In diesem Zusammenhang sind dann auch Äußerungen und Attitüden wie “das sind doch nur so ein paar durchgedrehte Menschen im Internet“ und „Leg dir halt eine dickere Haut zu“ oder „Du brauchst dann erst gar nicht im Netz zu sein“ mindestens zynisch zu nennen. Davon abgesehen: danke für den Tipp, meine Haut ist schon dick genug. Trotzdem wüsste ich nicht, wie die Tatsache, dass jeden Tag mit einer Vergewaltigungsdrohung zu rechnen ist, als akzeptabler Netzalltag gewertet werden könnte. Die Beschimpfungen, Belästigungen und Bedrohungen sind real, nicht virtuell. Die damit einhergehenden Ängste sind es ebenso. Am Beispiel der Popkultur-Kritikerin Anita Sarkeesian sieht man auch ganz gut, wie sehr sie gerade darum kämpfen muss, weiterhin als Mensch betrachtet zu werden. Und das im Übrigen nicht nur gegenüber den Leuten, die sie täglich angreifen, sondern auch gegenüber denen, die sie unterstützen. Sie wird förmlich zu einer unzerstörbaren Heldin inszeniert und verliert wiederum auf diese Art ihre Menschlichkeit. Das ist ein mir sehr wichtiger Punkt, den ich immer wieder zu bedenken geben möchte. Wer unterstützen möchte, tut das auch nicht auf diese Art und Weise.

Fakt ist, wer im Netz nicht nur konsumieren sondern auch partizipieren möchte, insbesondere auf politischer Ebene, muss in einem gewissen Maß sichtbar werden und das macht wiederum angreifbar. Eine Studie des Pew Research Centers für Internet, Science & Tech aus dem letzten Jahr bestätigt das Offensichtliche: nämlich dass insbesondere junge Frauen Belästigungen im Netz ausgesetzt sind, vor allem durch Stalking, da sind es 26%, und sexuelle Belästigung, 25%. Hate Speech ist aber wie gesagt kein neues Problem, aber mit den Weiterentwicklungen rund um die Plattformen wie Facebook oder eben auch Twitter und andere Plattformen werden diese mittlerweile gezielt für Hasskampagnen eingesetzt. Dazu kommt das Problem, dass diese Plattformen und natürlich die größten ihrer Art sowieso in der Regel von weißen Männern aufgebaut wurden und werden, also einer Gesellschaftsgruppe, die am wenigsten von struktureller Diskriminierung betroffen ist und dementsprechend beim Entwickeln der Produkte das Worst Case Scenario von Online-Attacken nicht einkalkuliert hat. Die Diversity Reports von Twitter aber auch von Facebook, nur mal als Beispiel, fallen halt auch entsprechend aus. Und intern sieht’s dann so aus. [eingeblendet werden zwei Schlagzeilen: „Twitter is facing a class action lawsuit for gender discrimination“ und „Facebook is sued for sex discrimination, harassment“] Wenn Plattformen aber auf freie Meinungsäußerung pochen und wiederum nicht bei den Nutzern und Nutzerinnen hart durchgreifen, die zum Beispiel Vergewaltigungsdrohungen an eine feministische Aktivistin schicken, dann ist das nicht neutral und sie haben sich damit bereits positioniert und zwar auf der Seite der Belästigung. [eingeblendet wird das Zitat: „Completely deregulated speech (is) neutral for the people who have power. It’s not neutral for me.” (Jaclyn Friedman)] Die Ressourcen, um Lösungen gegen Online-Belästigung zu entwickeln, sind allerdings auch schon jetzt vorhanden. Und es gibt bereits Rufe nach möglichen Industriestandards für Plattformen. Ich denke auch, das wäre ein ganz guter Ansatz. Letztendlich aber sind Gegenwehr und Schutz – als Einzelperson gerade auch – Luxus in Anbetracht der Zeit und mentalen Kapazitäten, die sie wiederum kosten, und natürlich auch der technischen Kenntnisse, die mitunter immer noch erforderlich sind. Dabei sollte die Verantwortung für den Umgang mit Online-Bedrohungen nicht ausschließlich auf den Schultern der Menschen lasten, die diese Bedrohungen erhalten haben. Dass dies derzeit so ist, wird natürlich auch bei den Angriffen einkalkuliert. Und machen wir uns nichts vor, auch Plattformen schlagen Kapital daraus, dass es Hassbewegungen wie zum Beispiel Gamergate gibt und der Traffic dann schön am Laufen gehalten wird. Wir haben gesehen, erst wenn die PR dauerhaft schlecht ausfällt, bewegt sich bei den Unternehmen etwas. Das zeigt wiederum ein grundlegendes Problem, dass Profitmaximierung über das Wohlergehen der Nutzerinnen und Nutzer geht.

Ein weiterer Punkt, der natürlich eine Rolle spielt in der ganzen Debatte, ist die Rechtsordnung. Hier gibt es in Bezug auf Hate Speech zwar den Volksverhetzungsparagraphen § 130 Strafgesetzbuch und auch allgemeine Gesetze, die vor Beleidigung schützen. Doch Hate Speech zeigt sich oft in vermeintlich rationalen Aussagen, die wiederum eindeutig außerhalb des justiziablen Bereichs liegen und trotzdem problematisch sind, weil sie zum Beispiel mit falschen Fakten rechter Propaganda in die Hände spielen. Kurze Frage: wer hier im Saal wüsste sofort, was zu tun ist, wenn auf Twitter eine Morddrohung eingeht? … Danke. Wer würde sich sicher dabei fühlen, mit dieser Morddrohung zur nächsten Polizeiwache zu gehen und auch das Gefühl haben, dass die wissen, was Twitter ist? … Exakt. Genau an diesem Problem zeigt sich sehr gut, dass der sogenannte Digital Divide auch im Bereich der Strafverfolgung sehr groß ist, in einem Bereich, wo meistens die Dienstemails noch alle ausgedruckt werden.

Und hinzu kommt natürlich, wenn wir über das Thema Gesetze reden und überhaupt Rechtsmöglichkeiten, dass der Hass, die Verleumdung im Netz dokumentiert bleiben, sie sind nicht ausgesprochen, sie sind immer noch da und sie prägen damit auch den digitalen Fußabdruck derjenigen, die davon betroffen sind. Das kann dann Auswirkungen haben, wenn man dann zum Beispiel beim nächsten Jobgespräch plötzlich auf einen Blogpost angesprochen wird, der eben in den Suchergebnissen leider eher weiter oben landet. Wenn man natürlich das Glück hat, überhaupt erst zum Jobgespräch eingeladen zu werden. Das Problem im gesetzlichen Bereich ist wiederum, dass es als Einzelperson gerade wenn es eine Dauerattacke gibt, schon kaum möglich ist, diese alleine zu bewältigen. Wie soll man diese erst alle einzeln prüfen und dann noch gegebenenfalls anzeigen? Das ist eine Realität, die bisher noch nicht in den Gesetzen, die wir haben, abgebildet ist. Insofern brauchen unsere Gesetze diesbezüglich ein schlichtes Update. Und die Einführung eines Straftatbestandes Cybermobbing wie ihn die Juristin Dagmar Freudenberg vom Deutschen Jurist_innenbund fordert, könnte hier auch weiterhelfen. Bis es dergleichen geben wird, werden aber voraussichtlich noch so einige Statusupdates gepostet werden und natürlich muss auch klar sein, Gesetze können nicht alles lösen, erst recht, wenn die Mühlen entsprechend langsam mahlen und dann noch im Verhältnis zur Internetzeit.

Natürlich müssen wir auch zusätzlich immer noch lernen und verstehen, was die Kommunikation über Bildschirme mit uns überhaupt macht, dass unsere Gehirne so verdrahtet sind, dass sie Botschaften, die uns online erreichen, in einem Bereich verarbeiten, der unsere ureigenen Instinkte anspricht und damit erst mal auf einen Verteidigungsmodus schaltet, weil uns schlicht Mimik, Gestik und Tonfall fehlen. Hinzu kommt natürlich auch die gefühlte Anonymität und Straffreiheit auch als Online-Disinhibition-Effekt bekannt, also eine Enthemmung des Verhaltens. Gerade im Bereich der Mitläuferinnen und Mitläufer bei Hasskampagnen ist dies sehr relevant. Hate Speech ist in der Debattenkultur ein Problem, dem wir begegnen müssen. Und Medienkompetenz kann nur mit Zivilcourage und einer eindeutigen Positionierung gegen Hate Speech funktionieren. Unter diesem Punkt, der Medienkompetenz, sehe ich übrigens auch die Verantwortung und Kompetenz journalistischer Medien gefordert, die sich natürlich auch durch ihre eigenen Kommentarspalten leiten lassen und das dortige aggressive Klima entsprechend moderieren müssen, damit erstens sich überhaupt Leute beteiligen und nicht der Eindruck entsteht, das wäre die Meinung der Masse. Online-Debatten sind meinungsbildend und wenn dort eine hasserfüllte Einstellung dominiert, kann das schlicht andere beeinflussen. Oft passiert das schon beim ersten Kommentar, der dann den weiteren Verlauf der Diskussion bestimmt. Weiterhin sehe ich bei Medien die Verantwortung, dass sie die Gewalterfahrung der Betroffenen von Online-Attacken nicht als Click-Bait benutzen, um ihre Sensationsgier zu stillen. Es reicht nicht, diese Beiträge zu machen und zu sagen „oh schlimm, was der passiert ist“. Betroffene sind auch immer Expertinnen und Experten ihrer Situation und müssen auch als diese gehört werden. Davon abgesehen, kleiner Hinweis: für Shitstorms zu schreiben ist kein Journalismus.

Aber das Positive: auch aus der Not heraus bilden sich gerade neue Netzwerke, Initiativen wie das Crash Override Network, wie die Online Abuse Prevention, wie Heartmob, das gerade noch gefördert wird und wenn ihr ein bisschen Geld übrig habt, könnt ihr den Kickstarter gerne besuchen. Dies sind in der Regel Initiativen von Betroffenen, die einfach gemerkt haben, dass es nicht mehr anders geht, dass sie das selber in die Hand nehmen müssen, dass die Plattformen, die sie gerne mögen und eigentlich benutzen möchten für ihre Arbeit, nicht den Job machen, den sie eigentlich machen sollen. Und wir müssen uns bei diesen Initiativen immer wieder vor Augen führen, das sind Leute, die das in der Regel ehrenamtlich tun oder zumindest mit kleinem Budget und gerade letztendlich Pionierarbeit leisten. Insofern finde ich, sollten wir das unterstützen, an jeder möglichen Ecke, wo es geht.

Um das zusammenzufassen: Ich sehe hier also ein eindeutiges Zusammenspiel aus verschiedenen Ebenen, eben den Plattformen, der Rechtsordnung, der Medienkompetenz und auch einem Kulturwandel. Was ich damit meine, wenn es um Hate Speech geht, habe ich angeschnitten, wenn es um tatsächliche Kritik geht – wie gesagt: Hate Speech ist nicht Kritik – brauchen wir wiederum ein Wertesystem, das mit den Gegebenheiten des Netzes umgehen kann und ebenso respektvollen Umgang miteinander in den Mittelpunkt rückt. Ein Wertesystem, das auf Empathie basiert und auch Raum fürs Fehlermachen lässt und uns daran wachsen lässt. Wir brauchen Ideen, wie Entschuldigung aber auch Verzeihen im Social Media-Zeitalter funktionieren können. Das Internet ist ein Lebensraum, eine Entwicklung, die eindeutig zunimmt und nicht ab, allein schon durch die weiter steigende mobile Nutzung des Netzes. Das hat auch nichts mit Digital Natives zu tun, sondern schlicht damit, dass das Netz immer weiter in unseren Alltag integriert wird. Die bislang immer noch strenge Aufteilung in Online und Offline sollte daher dem allgemeinen Verständnis weichen, dass Online und Offline stets verschränkt miteinander sind. So ist auch Gewalt im Netz ein Abbild der strukturellen Diskriminierungen, die unsere Gesellschaft abseits der Bildschirme durchdringen und immer noch prägen. Insofern ist es auch wichtig, dass Veranstaltungen wie diese hier nicht nur einen Code of Conduct einführen, sondern diesen auch einsetzen und damit die Community stärken. Auch das signalisiert das Wissen um die Verknüpfung von Online und Offline. Hasskommentare werden immer noch zu oft als Meinungsfreiheit verteidigt, während nicht auf die Menschen geschaut wird, deren Meinungsfreiheit dadurch beschnitten wird, dass Hasskommentare im Netz einfach hingenommen werden und wie sich das wiederum für das Leben offline auswirkt. Diese Probleme anzugehen ist Netzpolitik und gehört damit ebenso auf die Agenda, wo jetzt der Überwachungsskandal zu finden ist. Wenn wir über Meinungsfreiheit sprechen und das Recht, nicht überwacht zu werden, müssen wir uns auch anschauen, wem die Äußerung der eigenen Meinung im Netz derzeit am problemlosesten möglich ist und wer dagegen vielleicht sogar ganz davon abgeschreckt wird, sich überhaupt einzubringen. Das Internet ist unser Arbeitsplatz, der Ort, wo wir Freundinnen und Freunde kennen lernen, sie regelmäßig treffen, der Ort, wo wir uns verlieben und wieder entlieben, wo wir Abschied nehmen und genauso neue Menschen in der Welt willkommen heißen, wo unsere Gedanken und Ideen eine Plattform finden, wo wir mit unserer Familie in Kontakt sind und uns an Katzenbildern erfreuen können ohne einen allergischen Schnupfenanfall zu bekommen wie in meinem Fall, der Ort, wo wir großartige Dinge zusammen auf die Beine stellen wie diese hier, unabhängig von Ort und Zeit. Die Dinge, die wir im Netz tun und erleben, haben immer Konsequenzen auf uns als Personen vor dem Bildschirm und andersrum können uns die Umstände außerhalb des Internets erst recht zu diesen bringen (?). Was ist ein Netz dagegen wert, in dem es selbstverständlich ist, dass Hasskommentare nicht nur zu erwarten sind sondern auch ausgehalten werden sollten? Ein „Geh doch woanders hin, wenn’s dir nicht passt“ ist schon lange keine Alternative mehr und ist es auch noch nie gewesen. Ich möchte ein Netz, das mir die Antwort auf die Frage „Wie gehst du mit Hasskommentaren um?“ direkt liefert – weil es sie nicht gibt. Dieses Netz brauchen wir für uns alle. Vielen Dank.

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Ricarda Lang: When they go low, we go high https://loukanikos161.blackblogs.org/2018/08/06/ricarda-lang-we-go-high/ Mon, 06 Aug 2018 10:06:20 +0000 http://loukanikos161.blackblogs.org/?p=158 Ricarda Lang von der Grünen Jugend hat einen sehr starken Text geschrieben, in dem sie dazu ermuntert, dass wir uns nicht von den Hatern einschüchtern lassen und es uns nicht nehmen lassen sollen, für eine bessere Welt zu kämpfen. Ich habe mir die Freiheit genommen, den Beitrag von Ricarda Lang ins Englische zu übersetzen, um ihn einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen, weil ich die Botschaft sehr wichtig finde:

 

When they go low, we go high.

I was insulted, discriminated with sexism and threatened in the last 24 hours. I was called bitch, fatso and bastard. Our co-workers at the Green Youth were yelled at by unknown people on the phone. They sent me death wishes a hundred times, often describing into detail how I should die (Spoiler Alert: bursting was at the very front on the list). And they told me that whole Africa could be fed from what I eat in a month. They said that people like me should be drowned in the Mediterrean together with the refugees. They said that I certainly support human rights just because I want many rapists to come as nobody else would fuck me anyway.

And all of that because I want people whose fcking houses are floating away from under their feet to get the chance for a life in dignity.

This morning I was scared when I opened Facebook on my phone for the first time. And that‘s exactly what they want. These are simply not just a few comments, not just some confused people who let out their frustration. This is the deliberate attempt to destroy people, especially women. The attempt to silence them. And therefore to cut them out from public debate.

But it‘s about more than that: the moral preparation for eliminating democratic achievements. The strategy of the far-right is to create hegemony in society for their inhuman positions later becoming the basis for their inhuman policies by aiming at breaking taboos and shifting the political discourse. This totally unleashed hatred, the bulk of contempt and the total brutalization of the public debate aim at fear. They want us to be scared of campaigning for something as basic as human rights. They want us having to explain ourselves for thinking that human lives are not at issue. They want us to not have the courage anymore to talk about issues not fitting into their racist and authoritarian world view. And they want us to therefore leave the playing field to them alone.

Yesterday I shortly regretted having publicly demanded a climate passport for residents of island states being threatened by climate change. My weekend would certainly have been much more relaxed and easier if I wouldn‘t have done that. But our times are much too serious to make it comfortable for ourselves. Because once we don‘t object, but especially once we don‘t have the courage to think beyond the status-quo, the ones who just want to make it worse will win. I will certainly not stop to talk about the consequences of climate change just because there are people out there who prefer to close their eyes from reality or who don‘t care when people in the Global South loose their livelihood. We must not refrain from discussing about important questions of the future as the far-right is poisoning our minds because otherwise we would surrender from shaping the future. And so we would actually contribute to the feeling of political powerlessness and lack of alternatives which they use as their breeding ground. Their hatred exists anyway, the only question is if we manage to counter it. One cornerstone of democracy is that people can choose between different options and political concepts. Especially in times when hatred is rising it‘s our job to make clear that there is a progressive, humanist and universalistic option. We can demonstrate that another future is possible. And we can show that nobody looses something through a universalistic policy but at the end we all will win more freedom, emancipation and participation.

Let‘s not be scared from fear. Let‘s not be scared from hatred.

 

Hier der Text im deutschsprachigen Original, den Ricarda Lang am 4.8.2018 auf ihrer Facebook-Seite veröffentlicht hat:

 

In den letzten 24 Stunden wurde ich beschimpft, sexistisch beleidigt und bedroht. Ich wurde als Fotze, Hure, Miststück, Fettwanst und Bastard bezeichnet. Unsere Mitarbeiter*innen bei der Grünen Jugend wurden von wildfremden Menschen am Telefon angeschrien. Mir wurde hunderte Male der Tod gewünscht, oft mit einer genauen Beschreibung, wie er aussehen soll (Spoiler Alert: Platzen war ganz oben mit dabei). Und gesagt, dass von dem, was ich in einem Monat esse ja ganz Afrika ernährt werden könne. Dass man Menschen wie mich mit den Flüchtlingen zusammen im Mittelmeer ertränken sollte. Dass ich mich bestimmt nur für Menschenrechte einsetze, weil ich will, dass ganz viele Vergewaltiger kommen, da mich ja sonst eh nie jemand ficken würde.
Und das alles, weil ich möchte, dass Menschen, denen das verdammte zu Hause unter den Füßen wegschwimmt, ein würdevolles Leben ermöglicht wird.

Heute Morgen hatte ich Angst, als ich das erste Mal Facebook auf meinem Handy geöffnet habe. Und genau das wollen sie. Das sind nicht einfach nur ein paar einzelne Kommentare, nicht einfach nur ein paar verwirrte Menschen, die ihren Frust raus lassen. Das ist der gezielte Versuch, Menschen, und insbesondere Frauen, zu zerstören. Sie mundtot zu machen. Und damit aus der öffentlichen Debatte zu verdrängen.

Doch es geht noch um mehr: die moralische Vorbereitung auf die Abschaffung demokratischer Errungenschaften. Die Strategie der Rechten ist es durch gezielte Tabubrüche und die Verschiebung des politischen Diskurses eine gesellschaftliche Hegemonie für ihre menschenverachtenden Positionen zu schaffen, die dann zur Grundlage für menschenverachtende Politik wird. Dieser vollkommen entfesselte Hass, die Masse an Verachtung und die totale Verrohung der öffentlichen Debatte zielen auf Angst. Sie wollen, dass wir Angst davor haben, für so etwas Grundsätzliches wie Menschenrechte einzustehen. Dass wir uns dafür rechtfertigen müssen, wenn wir finden, dass Menschenleben eben nicht zur Diskussion stehen. Dass wir uns nicht mehr trauen, Themen anzusprechen, die nicht in ihr rassistisches und autoritäres Weltbild passen. Und dass wir ihnen dadurch das Spielfeld alleine überlassen.

Gestern habe ich es kurz bereut, die Forderung nach einem Klimapass für Bewohner*innen von bedrohten Inselstaaten öffentlich aufgestellt zu haben. Mein Wochenende wäre bestimmt entspannter und einfacher gewesen, hätte ich das nicht getan. Aber die Zeiten sind zu ernst, um es sich einfach zu machen. Denn sobald wir nicht widersprechen, aber vor allem sobald wir uns nicht mehr trauen, über den Status Quo hinaus zu denken, werden diejenigen gewinnen, die ihn nur noch weiter verschlechtern wollen. Ich werde sicher nicht aufhören, über die Folgen des Klimawandels zu sprechen, bloß weil es da draußen Menschen gibt, die lieber die Augen vor der Realität verschließen oder denen es egal ist, wenn Menschen im globalen Süden ihre Lebensgrundlage verlieren. Wir dürfen nicht darauf verzichten, über wichtige Zukunftsfragen zu diskutieren, weil sie für die Rechten verhetzbar sind, denn dann geben wir die Gestaltung der Zukunft auf. Und tragen damit genau zu dem Gefühl der politischen Ohnmacht und Alternativlosigkeit bei, den sie als Nährboden nutzen. Ihr Hass ist sowieso da, die Frage ist nur, ob wir es schaffen, ihm etwas entgegen zu setzen. Grundpfeiler der Demokratie ist es, dass Menschen zwischen verschiedenen Optionen und Politikentwürfen wählen können. Gerade in Zeiten, in denen der Hass zunimmt, ist es unsere Aufgabe, klar zu machen, dass es eine progressive, humanistische und universalistische Option gibt. Wir können zeigen, dass eine andere Zukunft möglich ist. Und dass durch eine universalistische Politik niemand etwas verliert, sondern am Ende alle an Freiheit, Emanzipation und Teilhabe gewinnen.

Keine Angst vor der Angst. Keine Angst vor dem Hass.

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Anita Sarkeesian: Was ich nicht sagen konnte https://loukanikos161.blackblogs.org/2018/06/13/sarkeesian-couldnt-say/ Wed, 13 Jun 2018 12:27:46 +0000 http://loukanikos161.blackblogs.org/?p=135  

Anita Sarkeesian

Anita Sarkeesian ist Feministin und bastelt Videos, in denen sie Kritik an der mangelnden Repräsentation und sexistischen Darstellung von Frauen* in Medien übt, anfangs mit einem Schwerpunkt auf Videospiele. Ihre Inputs werden für die Bildung an Universitäten verwendet und auch in der Industrie aufgegriffen, um Spiele mit mehr Inklusivität herzustellen. Heute führt Anita Sarkeesian mit ihrer Organisation Feminist Frequency ihre Arbeit fort und produziert Videoserien, in denen rassistische und sexistische Stereotype und Narrative hinterfragt werden. Von Beginn an war Anita Sarkeesian einer koordinierten Kampagne von zumeist männlichen Antifeministen und Hatern ausgesetzt, die sie belästigt und mit Vergewaltigungs- und Morddrohungen bedroht haben. In einem Redebeitrag bei All About Women am 8.März 2015 macht sich Anita Sarkeesian darüber Gedanken, was diese Erfahrung mit ihr als Mensch macht, warum sich der Hass gerade gegen Frauen* richtet, die ihre Meinung öffentlich aussprechen und warum es keine Schwäche ist, die eigenen Gefühle zum Ausdruck zu bringen.

 

 

Anita Sarkeesian: Was ich nicht sagen konnte

 

Was ich nicht sagen konnte, ist „Fickt euch“ zu den Tausenden von Männern*, die ihre Frauenfeindlichkeit in ein Spiel verwandelt haben. Ein Spiel, bei dem geschlechtsspezifische Beleidigungen, Todes- und Vergewaltigungsdrohungen als Waffen eingesetzt werden, um zu versuchen, den großen, gemeinen Bösewicht zu Fall zu bringen, der in diesem Fall ich bin. Mein Leben ist kein Spiel. Ich werde seit drei Jahren jeden Tag belästigt und bedroht, ohne dass ein Ende absehbar wäre. Und alles nur, weil ich es gewagt habe, den offensichtlichen Sexismus zu hinterfragen, dem in der Spieleindustrie freier Lauf gelassen wird. Nichts an meiner Erfahrung ist ein Spiel.

 

Was ich nicht sagen konnte, ist dass ich wütend bin. Wenn mich Menschen, die wissen, was ich jeden Tag durchmache, persönlich treffen, sind sie oft überrascht und sagen Dinge wie „Ich verstehe nicht, warum du nicht viel wütender bist“. Weil ich einfach ich selbst bin. Üblicherweise bin ich lieb und freundlich zu anderen Menschen. Doch ich antworte, dass ich wütend bin. In Wirklichkeit macht es mich rasend. Ich bin wütend, weil wir in einer Gesellschaft leben, wo online Belästigung geduldet, akzeptiert und entschuldigt wird und wo Internet-Dienste und staatliche Behörden keine Verantwortung übernehmen, um der Misshandlung entgegenzuwirken, die Frauen* jeden Tag im Netz zu spüren bekommen. Ich bin wütend, weil von mir erwartet wird, online Belästigung als Preis hinzunehmen, den Frauen* für eine eigene Meinung zu bezahlen hätten.

 

Was ich nicht sagen konnte, ist irgendetwas Lustiges. Die meisten von meinen Freund*innen würden mich als ein wenig bissig und ziemlich sarkastisch beschreiben. Und in manchen von meinen früheren Videokritiken kannst du dir einen kleinen Eindruck von dieser Facette meiner Persönlichkeit machen. Aber heute mache ich beinahe keine Witze mehr auf Youtube. Obwohl Humor uns zu Menschen machen kann und ich ihn gerne verwende, mache ich es nicht, denn viele Zuschauer*innen interpretieren Humor und Sarkasmus als Ignoranz, ganz besonders wenn die Zuseher*innen männlich sind und es sich bei denjenigen, die Witze reißen, um Frauen* handelt. Du würdest es nicht glauben, wie oft Witze als Beweis dafür genommen werden, dass ich nicht weiß, wovon ich spreche oder dass ich keine echte Gamerin bin, selbst wenn diese Witze auf einem tiefgreifenden Wissen über die Materie aufbauen. Also ist das Ergebnis, dass ich diese mehr humorvolle Seite meiner Persönlichkeit bei meinen aktuellen Videopräsentationen absichtlich weglasse.

 

Ich fühle mich selten wohl, wenn ich spontan in der Öffentlichkeit spreche. Ich gehe bewusst und vorsichtig mit Interviews um, die ich den Medien gebe. Ich sage die meisten Einladungen für Podcasts und Web-Shows ab. Ich achte genau auf den Sprachgebrauch bei jedem von meinen Tweets, damit ich sicher gehe, dass alles klar ist und nichts falsch ausgelegt werden kann. Im Lauf der letzten paar Jahre bin ich überwachsam geworden. Mein Leben, meine Worte und Handlungen werden unter ein Vergrößerungsglas gestellt. Jeden Tag sehe ich, wie das, was ich sage, von Tausenden Männern*, die darauf versessen sind, mich zu zerstören und zum Schweigen zu bringen, genau untersucht, verdreht und verzerrt wird.

 

Was ich nicht sagen konnte, ist dass ich ein Mensch bin. Ich komme nicht dazu, in der Öffentlichkeit meine Traurigkeit, Wut, Erschöpfung, Angst oder Depression zum Ausdruck zu bringen. Ich kann nicht aussprechen, dass die Belästigung mir manchmal wirklich nahe geht oder umgekehrt dass sie so normal geworden ist, dass ich manchmal überhaupt nichts spüre. Die Todesdrohungen dringen auf meinen sozialen Kanälen durch und es ist zu einer Routine geworden. Screenshot, an den FBI weiterleiten, blockieren und weitermachen. Ich komme nicht dazu, Gefühle und Ängste auszudrücken, oder wie ermüdend es ist, in meiner physischen und digitalen Umgebung ständig wachsam sein zu müssen, wie ich bestimmte Veranstaltungen meide, weil ich mich nicht sicher fühle oder wie ich im Coffee shop und Restaurant in abgeschiedeneren Räumen sitze, wo mich möglichst wenige Leute bemerken und sehen. Ich zeige nicht, wie es mich peinlich berührt, wenn ich eine Person, die mich im örtlichen Lebensmittelladen erkennt, darum ersuchen muss, bitte nicht weiterzusagen, an welchem Ort wir uns getroffen haben.

 

Irgendwie haben wir uns austricksen lassen und glauben, dass die Belästiger irgendwie gewonnen hätten, wenn wir menschliche Gefühle zum Ausdruck bringen. Dieser falsche Glaube kommt hauptsächlich daher, dass es Frauen* in unserer Gesellschaft nicht erlaubt wird, Gefühle auszudrücken, ohne dass ihnen zugeschrieben wird, hysterisch, wechselhaft, zickig, höchst emotional oder viel zu empfindlich zu sein. Wenn wir Unsicherheit, Zweifel, Wut oder Traurigkeit zum Ausdruck bringen, so wird dies kontrolliert und oft gegen uns verwendet. Aber indem wir uns den Raum für Gefühle und für das Teilen von Emotionen vorenthalten, schreiben wir nur die Vorstellung fort, dass wir alle allein leiden sollen, dass wir uns alle nur abhärten und uns eine dickere Haut zulegen sollen – was nicht von uns verlangt werden sollte.

 

Was ich nicht sagen konnte, ist dass ich nicht einmal etwas von alldem sagen möchte, hauptsächlich weil ich immer noch die Angst spüre, dass das Ausdrücken von menschlichen Gefühlen in der Öffentlichkeit mich unsicher erscheinen lässt. Die Wahrheit ist, dass Frauen*, die ein gewisses Maß ihrer Menschlichkeit bewahren, keine Schwäche zeigen. Sie beweisen Mut. Mit all den verschiedenen, schwierigen, ehrlichen Formen, in denen wir auf die Belästigung reagieren, zeigen wir tatsächlich, wie viel Menschlichkeit im Angesicht dieser Grausamkeit und Ungerechtigkeit noch in uns allen steckt. Danke für die Aufmerksamkeit.

 

unveröffentlicht, 25.05.2018

 

Anita Sarkeesian: What I couldn’t say

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Fck Hate! Let‘s live Love! https://loukanikos161.blackblogs.org/2018/06/13/fck-hate/ Wed, 13 Jun 2018 06:35:35 +0000 http://loukanikos161.blackblogs.org/?p=99  

Hass tut weh

Aufstehen gegen den Hass und für eine menschliche Gesprächskultur: Lasst uns eine Gesellschaft aufbauen, in der es keinen Platz mehr für den Hass und die Gewalt gibt. Ein Baustein dazu ist eine respektvolle und liebevolle Konversation im Netz und in der Gesellschaft.

 

Wir müssen reden. Hass… er ist heute ein leidiges Thema in unserer Gesellschaft. Hass… er bricht regelmäßig aus, wenn in den Internetforen und auf den diversen Social Media Plattformen bestimmte Reizthemen fallen. Die Situation von Geflüchteten und Migrant_innen zum Beispiel. Oder die Frauenemanzipation und der Feminismus. Oder die Gleichstellung von homosexuellen Menschen. Oder… die Liste lässt sich fortsetzen und manchmal sind es auch mehrere Themen zusammen. Gemeinsam ist diesen Reizthemen, dass sie eine Welle des Hasses nach sich ziehen. Eine sehr laute, aber vermutlich zahlenmäßig nicht so große Minderheit von sehr hasserfüllten Menschen lebt in diesem Kontext hemmungslos und skrupellos ihre abartigen Gewaltphantasien bis hin zu Vergewaltigungs-, Vergasungs- und sonstigen Morddrohungen aus.


Aber der mordlüsterne Mob ist nur die Spitze des Eisberges. Darunter finden wir oft zynische und menschenverachtende Kommentare über Frauen, Geflüchtete, Juden und Jüdinnen, Homosexuelle, Muslim_innen und andere „Lieblingsopfer“ der Hasskommentator_innen, die zwar nicht offen zur Gewalt aufrufen und/oder Gewalt androhen, aber dennoch in eine Richtung gehen, bei der die Menschenwürde und die Menschenrechte der Betroffenen zumindest angekratzt, wenn nicht sogar mit dem Vorschlaghammer zertrümmert werden. Menschen werden diskriminiert, sie werden wegen einer Behinderung, ihrer Hautfarbe, ihres Geschlechtes und ihrer sexuellen Orientierung oder auch wegen ihres Bildungsstandes oder wegen der Zugehörigkeit zu einer sozial marginalisierten Gruppe wie Obdachlose, Erwerbslose, Roma und Sinti, Bettler_innen, Punks usw. stigmatisiert und ausgegrenzt. Natascha Strobl spricht in diesem Kontext von der biologistischen Deutung von Ungleichheiten zwischen Menschen und daraus die Ableitung von Ungleichwertigkeit als Kernelement rechtsextremer Ideologien.


Mit Anne Wizorek sei hier die Wirkung von Hate Speech umschrieben: „Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und andere Formen von Diskriminierung existieren auch im Netz weiterhin – schließlich lösen sich entsprechende Machtstrukturen, die ja auch außerhalb der Bildschirme wirken, nicht einfach in Einsen und Nullen auf. Dieser Wunsch war am Anfang des Internets mal da, hat sich aber nicht erfüllt. Durch Hate Speech wird in erster Linie ein Klima geschaffen, in dem die Hemmschwellen, um Gewalt gegen bestimmte Personengruppen auszuüben, gesenkt werden. Gewalt gegen Menschen, die der jeweiligen Gruppe angehören, ist dann gesellschaftlich akzeptierter, was wiederum durch einen Mangel an Empathie noch mal manifestiert wird. Hate Speech dient also zur Entmenschlichung der betroffenen Personen.“


Wie auch immer sich die Hasskommentare konkret äußern – ob offene Gewaltdrohungen, spöttische und erniedrigende „Witze“, wüste Beschimpfungen, manipulative Lügenmärchen oder in anderer Form – gemeinsam ist ihnen jedenfalls eine notorische Wehleidigkeit der Verfasser_innen, sobald sie Kritik einstecken müssen – sei es nun eine Gegenrede in einem Forum oder sei es gar die Konfrontation der Schreiber_innen mit ihren eigenen Hasskommentaren vor einem Gericht. Man habe es doch gar nicht so gemeint. Es sei ja nicht ernst gemeint gewesen. Man sei völlig mißverstanden worden. Noch erbärmlicher wird es, wenn der Hass mit angeblichen Tippfehlern oder Account-Hacks relativiert werden soll – die AfD-Politikerin Beatrix von Storch meinte beispielsweise gar, sie sei „auf der Maus ausgerutscht“. Die Hasskommentator_innen sind nicht nur wehleidig, sondern fürchten auch nichts mehr, als dass sie für ihre Hass-Sprache zur Verantwortung gezogen werden und gar juristische Sanktionen folgen könnten. Und sie wollen sich ihren Hass nicht nehmen lassen und verteidigen ihre Ausbrüche gerne entgegen der Sachlage mit der „Meinungsfreiheit“.


Apropos Meinungsfreiheit: Der Hass ist durchaus auch als eine miese Strategie zu verstehen, mit der gewisse Menschen ihre Privilegien in der Gesellschaft und ihre Machtposition verteidigen wollen. Der Hass wird dabei als Mittel eingesetzt, um andere Menschen zum Schweigen zu bringen. Denn es ist ja das Ziel der Hasskommentator_innen, diejenigen mundtot zu machen und zu verängstigen, die sie zum Objekt ihrer Hassattacken erklären. Sie wollen ihre Opfer aus der Öffentlichkeit verdrängen und nehmen ihnen dadurch die Möglichkeit, ihre Meinung frei zu artikulieren, sie verhindern also, dass die Opfer des Hasses ihre Meinungsfreiheit wahrnehmen. Denn in diesem Klima des Hasses und der Gewalt trauen sich viele Menschen nicht mehr, laut ihre Stimme zu erheben.

Fck hate


Wer selten nach seiner und ihrer Meinung gefragt wird, das sind die Opfer der Hate Speech. Der Stimme der Opfer wird wenig oder kein Raum gegeben. Doch wie fühlt man sich eigentlich als ein Mensch, der mit üblem Hass überschüttet wird? Viele erzählen davon, dass sie als Folge des Hasses an Depressionen, Schlafstörungen und Ängsten leiden, der eine und die andere hatte deshalb auch schon einen psychischen Zusammenbruch. Es ist daher dringend notwendig, einen Schutzwall aufzubauen, hinter dem die Opfer von Hasskommentaren vor Belästigung, Drohungen und sonstigem Terror sicher sind, also ein Safe Space für die Opfer. Es ist unzumutbar und nicht hinzunehmen, dass die Opfer von Hate Speech aus Angst dem Internet den Rücken zukehren und sich daraus zurückziehen und/oder sich ihre Meinung in Diskussionen nicht mehr laut auszusprechen trauen, weil sie sich nicht dem Hass aussetzen wollen, mit dem man heutzutage scheinbar schon rechnen muss.


Umso wichtiger ist der Widerstand und die Rebellion gegen den Hass. Die Bedeutung von Gegenrede (Counter-speech) gegen den Hass kann gar nicht genug hervorgehoben werden. Diese kann mit vielfältigen, humorvollen und kreativen Ausdrucksmitteln stattfinden. Und umso wichtiger sind die Stimmen von mutigen und empathischen Persönlichkeiten wie Anita Sarkeesian, Anne Wizorek, Kübra Gümüşay und Jolanda Spiess, die sich jeden Tag dem Hass, dem sie selbst ausgesetzt sind, entgegenstellen und die unsere Solidarität und Unterstützung brauchen – genauso wie jeder andere, nicht so prominente Mensch, der unter dem Hass leidet und von dessen Leidensgeschichte wir vielleicht nie etwas erfahren werden. Wichtig ist, dass diese Menschen nicht auf sich allein gestellt bleiben, sondern vielfältigen Support erfahren, durch freundliche und liebevolle Botschaften und durch direkte Hilfe in akuter Not. Vernünftig sind in dieser Hinsicht zB Netzwerke von Betroffenen, die aktiv dazu beitragen, dass den Menschen, denen der Hass zu schaffen macht, schnell und unkompliziert geholfen wird.

Love Speech Therapy


Doch wie kann ein Safe Space für die Opfer aufgebaut und gepflegt werden? Einerseits ist alles gut, was die Hasskommentator_innen daran hindert oder es ihnen zumindest schwer und unbequem macht, ihren Hass in die Welt zu setzen. Sei dies nun die Sicherung und Dokumentation der Hasspostings für eine Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft oder sei dies eine Löschung der Hasspostings aus den Foren und Plattformen oder seien dies einfach kreative Wege der Gegenrede. Zugleich kann es auch helfen, eine neue Gesprächskultur zu stärken – eine Konversation des gegenseitigen Respektes und des liebevollen Umganges mit einander, bei der sachliche Argumente und ein freundlicher Umgangston gepflegt werden. Man kann ja unterschiedlicher Meinung über ein Thema sein, aber Kontroversen sollten immer auf respektvollem Austausch beruhen, auf gleicher Augenhöhe stattfinden und die Menschenrechte und -würde von allen berücksichtigen. Eine Debatte ist doch umso fruchtbarer für alle, je mehr die Beteiligten einander neue Horizonte und Perspektiven eröffnen und von einander lernen. Gleichzeitig kann die Stärkung und Pflege eines Raumes, in dem eine solche respektvolle und liebevolle Gesprächskultur stattfindet, dazu führen, dass der Hass zurückgedrängt wird. Man wird ja noch träumen dürfen, aber vielleicht kommt noch der Tag, an dem das gesamte Internet und unsere Gesellschaft sich zu einem Raum für eine solche Gesprächskultur entwickelt, an der alle gleichberechtigt und angstfrei teilhaben. Diese Aussicht lohnt das Engagement und es liegt in unserer Hand, für diese Gesprächskultur zu kämpfen.

 

unveröffentlicht, 19.10.2016

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Hermine Granger ist also schwarz, na und?! https://loukanikos161.blackblogs.org/2018/06/13/black-hermione/ Wed, 13 Jun 2018 06:17:42 +0000 http://loukanikos161.blackblogs.org/?p=93  

Magische Freund*innen

Manchmal ist die Wahrheit komischer als eine erfundene Geschichte… „Harry Potter und das verfluchte Kind“ heisst die neue Geschichte, die in der von JK Rowling entworfenen Zauberer- und Hexenwelt spielt. Es wird ab 2016 in London als Theaterstück aufgeführt werden. Hermine Granger, eine der prominentesten Heldinnen in der Buchserie, wird dabei von Noma Dumezweni dargestellt werden, die aus Swaziland kommt. Im Internet schlagen nun die Wellen der Empörung mal wieder hoch. Rassist_innen wollen einfach nicht einsehen, warum ihre geliebte (?) Hermine plötzlich eine schwarze Hautfarbe haben soll.

 

Keine Annahme scheint ihnen zu abwegig, um hervorzuheben, warum Hermine Granger ganz bestimmt nicht schwarz sein könne und warum eine schwarze Schauspielerin nicht in diese Rolle schlüpfen dürfe. Natürlich wird auch der berüchtigte, reflexhafte Hinweis aus der Mottenkiste aller besorgten Bürger_innen hervorgekramt: „Ich bin ja kein Rassist, aber…“.

 

In der Forendiskussion auf Harry Potter Xperts wird etwa darauf hingewiesen, dass JK Rowling für Hermine selbst eine weisse Hautfarbe vorgesehen habe. Und vermeintlich belegt wird dies durch den Hinweis auf bestimmte Stellen in den Büchern, wo sie mal schreibt, dass Hermine braungebrannt aus den Ferien zurückkommt, mal dass sie im Gesicht rot anläuft. Dies seien unzweifelhafte Beweise, warum Hermine Granger nur als „weiss“ vorgestellt werden könne. Und warum Noma Dumezweni eindeutig eine „Fehlbesetzung“ sei. Manche orten gar eine finstere Verschwörung von Medien und politisch korrekten Fans, die nur gerne die „Rassismuskeule“ auspacken würden. Hermine sei weiss, bleibt weiss und wer sie sich anders vorstellt, der irre sich eben und wisse nicht über die „Fakten“ bescheid.

 

In der taz kommentiert Zoe Sona: „Den selbsternannten Sittenwächter_innen der Hautfarbe geht es ums Prinzip: In einer Welt, die von weißen Menschen dominiert wird, deren Privilegien durch eine rassistische Alltagskultur und Politik aufrecht erhalten wird, kann es keine schwarzen Held_innen geben. Und in einer magischen Parallelwelt, in der die Post von Eulen geliefert wird, schon gar nicht.“

 

Rassismus ist nach Stuart Hall „eine soziale Praxis, bei der körperliche Merkmale zur Klassifizierung bestimmter Bevölkerungsgruppen benutzt werden, etwa wenn man die Bevölkerung nicht in Arme und Reiche, sondern z.B. in Weiße und Schwarze einteilt. Kurz gesagt, in rassistischen Diskursen funktionieren körperliche Merkmale als Bedeutungsträger, als Zeichen innerhalb eines Diskurses der Differenz.“ Und weiter meint Hall: Es entsteht dabei ein „rassistisches Klassifikationssystem …, das auf „rassischen“ Charakteristika beruht. Wenn dieses Klassifikationssystem dazu dient, soziale, politische und ökonomische Praxen zu begründen, die bestimmte Gruppen vom Zugang zu materiellen oder symbolischen Ressourcen ausschließen, dann handelt es sich um rassistische Praxen.“

Wenn also in Frage gestellt oder verneint wird, dass Noma Dumezweni die richtige Besetzung für die Rolle der Hermine sei, weil sie eine schwarze Hautfarbe hat, dann ist dies rassistisch. Denn es wird hier gefordert, sie aufgrund ihrer Hautfarbe von einer schauspielerischen Tätigkeit auszuschließen. Teilweise wird ihr überhaupt das Talent abgesprochen, obwohl noch niemand wissen kann, wie sie sich in der Rolle der Hermine schlagen wird, da die Uraufführung erst 2016 ansteht.

Chitra Ramaswamy bezieht sich im „Guardian“ auf die Empörung im Netz und fragt: „Ist Hermine Granger schwarz? Die Antwort ist zweierlei. Erstens: Warum nicht, verdammt noch mal? Zweitens: Was für eine dumme Frage!“

 

Die Beschreibung der Hautfarbe kann in der Literatur manchmal durchaus im Kontext relevant werden. So ist es eben nicht unwichtig, ob etwa Onkel Tom im gleichnamigen Roman eine schwarze oder weisse Hautfarbe hat. Denn schließlich thematisiert ja der Roman die Sklaverei. Und darunter haben historisch ganz besonders Menschen aus Afrika gelitten. Es wäre also ziemlich skurril, sich den Protagonisten einer Geschichte über die Sklaverei in den USA als weiss vorzustellen.

 

In der Welt von „Harry Potter“ spielt etwas so Oberflächliches wie die Hautfarbe jedoch keine Rolle. Ähnliches gilt übrigens auch für die sexuelle Orientierung, denn JK Rowling erntete bereits einige Irritationen, als sie im Nachhinein öffentlich feststellte, dass Dumbledore „wahrscheinlich schwul“ ist. Der mächtigste Zauberer von allen ist homosexuell? So what. Er bleibt der mächtigste Zauberer im „Harry Potter“-Universum und seine sexuelle Orientierung ist weder von Belang noch ändert sie etwas an seinen Fähigkeiten.

 

JK Rowling versteht es prächtig, die Individuen, welche die Zaubererwelt bewohnen, in ihren charakterlichen Eigenheiten und Verhaltensweisen und in ihren Beziehungen zu einander zu beschreiben. Die Botschaft lautet: Was einen Menschen ausmacht, sind seine und ihre Gefühle, Wünsche, Träume, Ideen und Verhaltensweisen – nicht jedoch Äußerlichkeiten wie die Hautfarbe. Momente von Freundschaft und Liebe sind immer wieder kehrende Erfahrungen, über die JK Rowling schreibt. Rassismus ist zwar ein Thema in dieser Welt, jedoch im Sinne eines Problems, das das Klima in der Gesellschaft vergiftet und dem Reich des Bösen zugeordnet wird, das durch You-Know-Who und seine Anhängerschaft personifiziert wird.

 

Jene Stellen, die von den Gegner_innen einer schwarzen Hermine herangezogen werden, um die Farbe ihrer Haut zu „belegen“, erweisen sich bei näherer Betrachtung nur als Hinweise darauf, wie sich Hermine in einer bestimmten Situation fühlt oder verhält. Wenn sie rot im Gesicht wird, dann will JK Rowling damit wohl nur aussagen, dass ihr etwas peinlich oder unangenehm ist. Und wenn Hermine braungebrannt aus dem Urlaub zurückkehrt, dann soll dies vermutlich kein Hinweis auf ihre Hautfarbe sein, sondern es wird lediglich beschrieben, dass sie sich wohl fühlt, weil sie frisch, fröhlich und entspannt aus den Ferien kommt.

 

Aber könnte es nicht sogar plausibel sein, sich Hermine Granger gerade als schwarz vorzustellen? In den Büchern wird Hermine als Angehörige einer Minderheit – sie kommt aus einer nicht-magischen Familie, den sogenannten Muggeln – mehrmals rassistisch diskriminiert. So wird sie zB von einem Mitschüler als „dreckiges Schlammblut“ beschimpft. Ferner zeigt Hermine viel Courage und wehrt sich gegen die ungerechte Behandlung von anderen, seien es Menschen, Riesen oder Hippogreife. Und Hermine setzt sich für die Freiheit der Hauselfen ein, die in der Welt der Zauberer und Hexen als Sklaven behandelt werden. Schließlich kämpft sie als Aktivistin einer Widerstandsbewegung am Ende sogar gegen die rassistische Diktatur von You-Know-Who, in der de facto eine Apartheid zwischen Magiern und Muggeln herrscht. Zieht man nun diese Erfahrungen und die Art und Weise, wie sich Hermine in bestimmten Situationen verhält, in Betracht, dann erscheint es durchaus als stichhaltig, wenn sich manche Leser_innen gerade Hermine als schwarz vorstellen. Es hängt wohl auch damit zusammen, ob die Leser_innen selbst schon einmal von Rassismus betroffen waren.

 

In der Fanart-Szene wird Hermine Granger jedenfalls seit geraumer Zeit in den verschiedensten Farben gemalt. Manche stellen sie sich schwarz vor und für manche sieht sie asiatisch aus. JK Rowling hat sich übrigens auf Twitter dazu bekannt, was sie von dieser seltsamen „Diskussion“ hält und kommentierte fürs Protokoll: „Richtschnur: braune Augen, krause Haare und sehr schlau. Eine weisse Hautfarbe war nie festgelegt. Rowling liebt die schwarze Hermine *küsschen*“.

 

unveröffentlicht, 29.12.2015

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