Felix – Antifaschistischer Monitor https://monitorberlin.blackblogs.org Nachrichten zu Neonazis in Berlin und Umland Sat, 22 Mar 2025 00:34:22 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://monitorberlin.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/2405/2024/01/cropped-monitor-32x32.jpg Felix – Antifaschistischer Monitor https://monitorberlin.blackblogs.org 32 32 Der harte Kern der Neonazigruppen DJV & JS (Outingplakat, aktuelle Einschätzung, Razzien und nächste Neonazidemo) https://monitorberlin.blackblogs.org/2024/11/21/der-harte-kern-der-neonazigruppen-djv-js-outingplakat-aktuelle-einschaetzung-razzien-und-naechste-neonazidemo/ Thu, 21 Nov 2024 19:19:00 +0000 https://monitorberlin.blackblogs.org/?p=1141 Stand Dezember 2024. Einige Informationen wurden aktualisiert.

Für die neuen Neonazivernetzungen „Deutsche Jugend Voran“ (DJV) und „Jung & Stark“ (JS) war der vergangene Monat ziemlich turbulent. Zuerst hatten beide Zusammenschlüsse am 19. Oktober 2024 den ersten Neonaziaufmarsch in Berlin seit 2020 organisiert. Auf diese Weise versuchten sie, eine parallel stattfindende feministische Antifa-Demonstration zu stören. Trotz bundesweiter Mobilisierung kamen jedoch nur circa 150 Neonazis nach Berlin-Marzahn. Wenige Tage später folgte dann am 23. Oktober eine Reihe an Razzien gegen DJV, JS und ihre Umfelder. Hintergrund waren vornehmlich polizeiliche Ermittlungen zu mehreren Übergriffen in der Vergangenheit. In Rahmen der Geschehnisse sind einige neue Informationen ans Tageslicht gekommen, die wir im folgenden Übersichtsartikel zusammengefasst haben. Mittlerweile hat sich ein konstanter personeller Kern beider Gruppen herauskristallisiert. Mit einem Outingplakat sollen die gewalttätigen Neonazis bekannt gemacht werden und Personen für die von ihnen ausgehenden Gefahren sensibilisiert werden. Weiterhin soll der Übersichtsartikel eine kurze Einschätzung über aktuelle Verbindungen von DJV zu anderen Gruppierungen geben und eine Einschätzung zu deren Beteiligung bei der angekündigten rechten Demonstration am 14.12.2024 in Berlin-Friedrichshain.

 Die Köpfe der Demonstration am 19. Oktober 2024

Nachdem für den 19. Oktober 2024 eine feministische Antifa-Demo in Berlin-Marzahn angekündigt wurde, begannen die Kreise um DJV und JS mit einer Gegenmobilisierung. Ihre Strategie erinnerte dabei an die neonazistischen Proteste gegen CSD-Veranstaltungen in den letzten Monaten. Mit einem eigenen Aufmarsch wollten die Neonazis Dominanz auf den Straße ausstellen und so andere Meinungen und Lebensentwürfe unsichtbar machen. Zu diesem Zweck mobilisierten beide Gruppen bundesweit und konnten unter anderem eine kleinere Delegation von „Revolte Chemnitz“ nach Berlin locken. Insgesamt blieb der Neonazi-Aufmarsch mit rund 150 Teilnehmenden deutlich hinter den Erwartungen der Organisierenden zurück. Auch die gewählte Taktik, mehrere hundert Meter hinter der antifaschistischen Demonstration zu laufen, hat nicht zur Attraktivität der Neonaziversammlung beigetragen. Dennoch kam es im Vorfeld und im Umfeld des Aufmarsches zu verstärkten Neonazi-Aktivitäten, was sich auch in körperlichen Übergriffen äußerte.

Als organisatorischer Kern des Neonaziaufmarsches traten größtenteils die aus den letzten Monaten bekannten Gesichter auf. Geleitet wurde die Versammlung erwartungsgemäß von Julian Milz, dem Kopf von DJV in Berlin. Als Anmelder trat jedoch Erik Franke auf, wohnhaft in Berlin-Hellersdorf, gemeldet in Berlin-Lichtenrade (bei seiner Mutter Yvonne Franke). Eine weitere Person aus dem Kreis der Mitorganisatoren war Leon. Der Fan von Hertha BSC in der Vergangenheit schon bei vielen Neonaziversammlungen gegen CSD-Veranstaltungen aufgefallen. Zuletzt versuchte er unter dem Namen „Hauptstadtrevolte“ eine Ortsgruppe der „Jungen Nationalisten“ (JN) in Berlin zu gründen. Allerdings kam dieser Ansatz bisher nicht über den virtuellen Raum hinaus.

Insgesamt zeigte sich beim Aufmarsch am 19. Oktober, dass DJV und JS nicht mit etablierten Neonazistrukturen verbunden sind. So nahmen zwar bekannte Akteure aus dem Spektrum von „Die Heimat“ (u.a. Andreas Storr, Andreas Käfer), aus dem Spektrum des „III. Wegs“ (u.a. Andi Körner) sowie lokale Neonazis (René Uttke, Kai Milde und Katrin Körner) zu Beginn an der Demonstration teil. Doch blieben sie insgesamt im Hintergrund. Auf der Versammlung waren ebenfalls Kleidungsstücke der Neonazi-Organisationen „Die Heimat“ und „III. Weg“ bzw. ihrer jeweiligen Jugendgruppen anzutreffen. Diese wirkten jedoch eher wie modische Accessoires und weniger als explizite Zugehörigkeitsbekenntnisse.

Neonazi-Razzien am 23. Oktober 2024

Am 23. Oktober 2024 folgte dann ein polizeilicher Großeinsatz gegen Akteure aus dem Spektrum von DJV und JS. Hintergrund waren jedoch nicht die Aktivitäten rund um die Demonstration vom 19. Oktober. Stattdessen erfolgten die Durchsuchungen aufgrund mehrerer Übergriffe auf Antifaschist*innen in den vergangenen Monaten, mit denen sich die beteiligten Neonazis breit im Internet brüsteten. Insgesamt wurden am 23. Oktober neun männliche Personen im Alter zwischen 16 und 23 Jahren durchsucht. Die Durchsuchungen fanden in Hellersdorf, Köpenick, Marzahn und Neu-Hohenschönhausen sowie im brandenburgischen Letschin und Wandlitz statt. Bestätigt sind dabei Razzien bei den folgenden Neonazis:

Nick Thomas Christopher Wetzels aus Marzahn

Hendrik Boutry (bisher „Unbekannt 42“) aus Marzahn

Aron (bisher „Unbekannt 39“) aus Köpenick

Philippe Beneke (Spitzname: „Calle“) aus Marzahn

Julian Milz, bei dem gewaltbereiten Polizistensohn wurde sein elterliches Wohnhaus in Wandlitz durchsucht

Vincent Gutjahr (Spitzname: „Svenny“) aus Marzahn

„Felix“, der in der Vergangenheit vor allem als regelmäßiger Teilnehmer von Aufmärschen und Aktivitäten aus dem Spektrum von DJV und JS aufgefallen ist

– sowie Anthony (bisher „Unbekannt 46“), der öffentlich bisher vor allem als Ordner bei der Neonaziversammlung im Leipziger Hauptbahnhof sowie bei Aktivitäten außerhalb von Demonstrationen auftrat

Zudem wurde der Maler Janeck Wolfgang G. aus Marzahn-Hellersdorf durchsucht. Bei ihm sind keine engen Verbindungen zum politischen Spektrum um DJV oder JS zu erkennen. Laut Medienberichten geriet er vor allem wegen Fotos in den sozialen Medien ins Visier der Ermittlungsbehörden. Dort posierte er mit Polizeiweste und Schusswaffen. Aufgrund seiner offenen rechten Weltanschauung dürften die Razzien gegen die Neonazigruppen eher ein Anlass gewesen sein, um G. mit zu durchsuchen.

Zur Identität der neunten durchsuchten Person konnten wir keine öffentlich verfügbaren Belege finden.

Neben der genannten Adresse in Wandlitz wurden von Julian Milz noch mindestens eine weitere Anschrift durchsucht. Zuletzt hielt er sich regelmäßig in Marzahn-Hellersdorf auf. Die unklaren Wohnverhältnisse dienten den Ermittlungsbehörden als ein Grund, um eine Untersuchungshaft anzuordnen. Obwohl Julian Milz seit den Razzien inhaftiert ist, hält sich die öffentlich wahrnehmbare Solidarität mit den durchsuchten Neonazis in Grenzen. Eher sind aus den Umfeldern von DJV und JS in den sozialen Medien Distanzierungen von Gewalt zu lesen, die aufgrund der Gewaltbereitschaft vieler Mitglieder allerdings vor allem mit dem Repressionsdruck zusammenhängen. Zugleich haben die Durchsuchungen den Kern der Gruppen näher zusammengebracht. Insgesamt sind JS und DJV nach dem Versammlungsmarathon im Sommer und Herbst inzwischen in die Phase der Konsolidierung eingetreten. Neben den Durchsuchten tauchen nur wenige weitere Personen regelmäßig im Kontext der Gruppen auf. Eine Konstante ist u.a. „Unbekannt 39“ (Rufname „Aaron“) aus Köpenick, zu dem bisher keine weiteren Informationen vorliegen.

Auch abseits der Razzien steigt der Repressionsdruck gegenüber DJV und JS gerade merklich. So musste kürzlich Kevin Taylor Hennig (Spitzname: „Nesto“) für zwei Wochen in den Jugendarrest. Der 18-Jährige Neonazi ist der kleinere Bruder vom Steve Mike Hennig, der um 2010 in der Kameradschaft „FN Mitte“ aktiv war und inzwischen fleißig die AfD unterstützt. Taylor Hennig war in den zurückliegenden Monaten an zahlreichen Störversuchen gegen CSD-Demonstrationen beteiligt und nahm ebenfalls an einer Versammlung der AfD in Berlin-Hohenschönhausen teil.

Einschätzung DJV – III. Weg

Im Zuge der Razzien wurde bei mindestens zwei Neonazis Material vom „III. Weg“ sichergestellt. So sind auf den Fotos der Dursuchungen ein T-Shirt und Flyer der Neonazipartei zu sehen. Zudem waren unter anderem Carsten Grasse, „Unbekannt 46“ sowie Christopher Wetzels in der Vergangenheit mit Bekleidung vom „III. Weg“ ausgestattet. Diese wenigen Anhaltspunkte wurden in der Presseberichterstattung genutzt, um Verbindungen zwischen DJV, JS und dem „III. Weg“ herzustellen. Dieser distanzierte sich umgehend von den durchsuchten Neonazis und stellte klar, dass sie niemals in der Partei oder deren Jugendorganisation aktiv gewesen wären. Hierbei dürfte es sich nicht nur um einen strategischen Schachzug handeln. So gab es zwar in der Vergangenheit durchaus Kontakte zwischen Personen aus dem Spektrum von DJV und JS und dem „III. Weg“. Es ist bekannt, dass Christopher Wetzels an Propagandaaktionen in Berlin-Hohenschönhausen sowie in Erkner beteiligt war. Zudem verteilte er eigenständig Parteiflyer in seiner Nachbarschaft und nahm an mindestens einem Kampfsporttraining vom „III. Weg“ teil. Auch Carsten Grasse stellt sich gerne in die Nähe der Partei, indem er beispielsweise regelmäßig deren offizielle Kleidung trägt und ebenfalls an einem Training teilnahm. Zudem war er mit seinem kleinen Bruder beim Wahlkampfabschlusses in Cottbus und verteilte dort Flyer mit dem „III. Weg“.

Bei all diesen Verbindungen handelte es sich jedoch vornehmlich um punktuelle Kontakte. Es ist davon auszugehen, dass der „III. Weg“ mit solchen niedrigschwelligen Aktivitäten versuchte, die Eignung der Neonazis für eine weitergehende Parteiarbeit zu testen. Darüber hinaus gibt es keine Belege für eine engere Zusammenarbeit mit den durchsuchten Neonazis. Das zeigte sich auch auf Versammlungen, die von beiden Spektren besucht wurden. Während Carsten Grasse und sein Bruder beim Aufmarsch vom „III. Weg“ gegen den CSD in Zwickau zwar kurz zwischen den Berliner Parteimitgliedern zu sehen sind, übernahmen sie keine besondere Aufgabe auf der Versammlung. Grasses Bruder trug lediglich gegen Ende ein Plakat. Demgegenüber besuchten einige Mitglieder vom Berliner Stützpunkt des „III. Wegs“ den von DJV mitgestalteten Aufmarsch gegen den CSD in Görlitz. Auch dort sind keine Kontakte zwischen den unterschiedlichen Gruppierungen belegt. Einzig Grasse bewegte sich kurzzeitig in der Nähe der Berliner „III. Weg“-Mitglieder. Die jeweiligen Akteur*innen blieben allerdings bei der An- und Abreise in ihren eigenen Kreisen; so reiste Grasse mit mindestens 12 weiteren Neonazis aus dem Spektrum DJV und JS mit der Bahn vom Berliner Ostkreuz nach Görlitz.

Alles in allem haben Einzelmitglieder von DJV und JS also durchaus eine Nähe zum „III. Weg“ gesucht. Doch die Kontakte waren eher oberflächlich. Zu einer Aufnahme in die Partei oder ihre Jugendorganisation dürfte es nie gekommen sein. Ob Wetzels oder Grasse überhaupt Anwärter auf eine Mitgliedschaft waren, muss spekulativ bleiben. Zudem dürfte der von massivem Drogen- und Alkoholkonsum geprägte Lebenswandel der Neonazis Grasse und Wetzels kaum dem Selbstverständnis vom „III. Weg“ als neonazistischer Kaderpartei entsprechen. In diesem Sinne waren auch die festgestellten Flyer oder Kleidungsstücke, die die DJV-Neonazis bei sich trugen, größtenteils über den offiziellen Onlineshop („Materialvertrieb“) vom „III. Weg“ erhältlich und damit ohne Mitgliedschaft in der Partei zu erwerben. Trotz der Nähe von einigen Personen zum „III. Weg“ sind DJV und JS kaum auf eine Organissation festgelegt. In der Vergangenheit warben die einzelnen Mitglieder für die Junge Alternative, die Jungen Nationalisten und für den „III. Weg“ im regelmäßigen Wechsel. Auch Wetzels fertigte ein Foto an, auf dem er alle Parteilogos vom „III. Weg“ mit den Buchstaben JN (Junge Nationalisten) übermalte. In den Führungsebenen der entsprechenden Organisationen dürfte diese Beliebigkeit auf keine Gegenliebe treffen.

Die nächste Neonazidemo am 14. Dezember

Am 14. Dezember 2024 ruft ein sogenanntes „Aktionsbündnis Berlin“ zu einer Demonstration auf, die sehr anschlussfähig für neonazistische Mobilisierungen zu sein scheint. Unter dem Motto „Für Recht und Ordnung: gegen Linksextremismus und politisch motivierte Gewalt“ soll der rechte Aufmarsch durch Berlin-Friedrichshain laufen. Wer sich genau hinter diesem „Aktionsbündnis“ verbirgt, ist bisher noch nicht vollständig bekannt. In der Öffentlichkeit positioniert sich vor allem Ferhat Sentürk für die Versammlung. Gegen das AfD-Mitglied aus Aachen ist momentan ein Parteiausschlussverfahren anhängig, sodass er verstärkt den Kontakt zu anderen Gruppierungen der extremen Rechten sucht. Weitere Personen, die neben Sentürk bisher als Organisatoren bzw. Redner auf dem Aufmarsch angeführt werden, sind der rechte Social Media-Kanal „Der Fürst“, der junge AfD-Politiker Maximilian Fritsche aus Eberswalde sowie Jannik D. Giese. Letzterer soll auch Leiter der Versammlung sein. Zudem ist Giese eine personelle Verbindung zum jugendlichen Neonazi-Spektrum um DJV und JS. Jannik D. Giese nahm beispielsweise am 19. Oktober am Neonaziaufmarsch in Berlin-Marzahn teil (Fotos auf dem Plakat). Zudem scheinen Giese und Fritsche mit Luka Zechel befreundet zu sein. Der Neonazi aus Bad Freienwalde wurde bereits beim ersten Störversuch von DJV auf den Berliner CSD von der Polizei festgesetzt. Auch Zechel nahm zuletzt am Marzahner Neonaziaufmarsch teil. Er kann somit weiterhin im Umfeld von DJV verortet werden. Trotz mehrerer öffentlicher Kontaktversuche wurde Zechel jedoch nie als Mitglied der Neonazigruppe aufgenommen. Stattdessen scheint er mittlerweile verstärkt Kontakte im Spektrum der AfD zu suchen, während er online seine Zustimmung zum Nationalsozialismus bekundet.

Durch die benannten direkten Verbindung zum Umfeld von DJV und JS kann der Aufmarsch vom „Aktionsbündnis Berlin“ klar als extrem rechtes Szeneevent eingeschätzt werden und richtet sich auch explizit an dieses Klientel. Dennoch sind die Reaktionen aus den beiden Neonazizusammenschlüssen bezüglich des 14. Dezembers bisher eher gemischt. Während beispielsweise Luka Zechel fleißig die Werbetrommel für seinen Kumpel Jannick rührt, distanzieren sich andere Neonazis von dem vermeintlichen „Selbstmordkommando“.

Fazit

Momentan hat das politische Spektrum um die Gruppen DJV und JS in Berlin mit vielen Problemen zu kämpfen. Dennoch haben sich aus den losen Netzwerken in den vergangenen Monaten kleine aber gefestigte Neonazistrukturen gebildet, die gerade auch durch Straßengewalt auffallen. Mit ihren Aktivitäten und der öffentlichen Präsenz öffnen sie anderen Akteuren der extremen Rechten die Tür, die sich so auch in Berlin einen erhöhten Resonanzraum für eigene Aktionen versprechen. Aus diesem Grund haben wir uns entschieden, zentrale Akteure aus diesem politischen Mischspektrum auf einem Plakat zu sammeln. Dabei handelt es sich um jene Personen, die in den vergangenen Monaten durch eine verstärkte Aktivität oder Gewaltbereitschaft aufgefallen sind bzw. im Kontext vom Aufmarsch am 14. Dezember sowie zukünftigen Terminen aktiver werden könnten.

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Deutsche Jugend Voran – Vernetzung junger Neonazis in Berlin https://monitorberlin.blackblogs.org/2024/08/01/deutsche-jugend-voran/ Thu, 01 Aug 2024 14:23:25 +0000 https://monitorberlin.blackblogs.org/?p=1059 Am 27. Juli 2024 sammelte sich eine Gruppe von rund 30 Neonazis am Potsdamer Platz in Berlin. Mit schwarzen Jacken und größtenteils vermummt bewegten sie sich in Richtung der Strecke vom „Christopher Street Day“ bis sie von der Polizei festgesetzt wurden. Organisiert haben sie sich alle unter dem Namen „Deutsche Jugend Voran“ (DJV). Wie der Angriffsversuch zeigt, ist aus den gleichnamigen Kanälen auf Social Media inzwischen ein gefährliches Sammelbecken für gewaltbereite Neonazis geworden. Dennoch ist bisher wenig zu dieser neuen Struktur bekannt, die sich vorwiegend an jugendliche Rechte richtet.

Alles nur Internet-Nazis?

Der Slogan „Deutsche Jugend voran“ ist in der Neonaziszene insgesamt beliebt und weit verbreitet. Er findet sich auf zahlreichen Kleidungsstücken in einschlägigen Neonazi-Versänden oder auf Aufklebern, wie von „aktivde“. Mit ihm wirbt sowohl „Der III. Weg“ als auch die „HEIMAT“ (früher: NPD) um Nachwuchs. Seit einigen Monaten gibt es im Social Media ebenfalls zahlreiche Accounts, die unter dem Namen „Deutsche Jugend voran“ (kurz: DJV) rechte Propaganda verbreiten. Sie weisen alle ein ähnliches Layout auf und verwenden als gemeinsames Symbol in der Regel einen Reichsadler in einem schwarz-weiß-roten Kreis. 

Diese Accounts sind der Versuch zum niedrigschwelligen Aufbau eines bundesweiten rechten Netzwerk. Das Angebot richtet sich vor allem an junge Neonazis, um unkompliziert miteinander in Kontakt zu kommen und sich untereinander zu vernetzen. Inzwischen gibt es auch eine zentrale Homepage von DJV. Als Gründungsdatum wird der 21.05.2024 angegeben. Obwohl das gesamte Projekt somit relativ neu ist, wird das virtuelle Netz an Personen, die sich offen zu DJV bekennen und gegenseitig die Inhalte liken und weiterschicken, in der ganzen Bundesrepublik immer dichter. Auf fast allen Bildern vertreten ist das sogenannte „White Power“-Handzeichen als Bekenntnis zu rassistischen Vorstellungen einer vermeintlichen weißen Vorherrschaft. Neuerdings taucht als Geste ebenfalls eine mit mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger geformte „8“ auf. Sie ist eine Anspielung auf das in der Neonaziszene verbreitete Kürzel „88“ für „Heil Hitler“. Somit verweist bereits die Selbstinszenierung von DJV auf die explizit neonazistische Ideologie des Netzwerks.

DJV in Berlin und Brandenburg – Eine Tarngruppe der JN?

Auch für Berlin und Brandenburg gibt es auf den entsprechenden Social-Media-Plattformen Accounts, die sich als offizielle DJV-Vertretungen inszenieren. Anfangs wurde auch ein eigener Telegram-Kanal von DJV für die Region betrieben. Dieser wurde jedoch inzwischen eingestellt. Im Gegensatz zu vielen DJV-Accounts in der Bundesrepublik verwendet das Netzwerk in Berlin und Brandenburg auch alternative Logos. Dabei handelt es sich um einen Lorbeerkranz und wahlweise den Buchstaben „DJV“ oder dem Schriftzug „Deutsche Jugend Voran“ bzw. einem Bundesadler in der Mitte. Inzwischen gibt es von den Motiven bereits Aufkleber und T-Shirts.

Zuerst schien die neue Plattform in Berlin keinerlei Aktivität außerhalb von Social Media zu entfalten. Die erste Aktion von DJV in Berlin fand aber am 15. Juni 2024 statt. Über die Telegram-Gruppe wurde zu einem ersten offenen Treffen eingeladen. Letztendlich versammelten sich rund 30 Neonazis auf dem Flakturm im Humboldthain und posierten gemeinsam mit Bier und Deutschlandflagge. Fotos von DJV-Accounts legen nahe, dass es seitdem mehrere solcher Zusammenkünfte in der Stadt gegeben hat.

Bisher gibt es keine gesicherten Erkenntnisse, wer hinter DJV in Berlin steht. Beobachtungen legen jedoch eine enge Anbindung an die „Jungen Nationalisten“ (JN), die Jugendstruktur von der „HEIMAT“ nahe. Fotos zeigen einzelne Neonazi-Angreifer vom 27. Juli beim Plakatieren für die Neonazipartei im Brandenburger Wahlkampf. Zudem wird interessierten Jugendlichen auf Social Media empfohlen, einen Aufnahmeantrag für die JN zu stellen und eine Gebühr von 5€ zu entrichten, um bei DJV mitmachen zu können.

Darüber hinaus gibt es wachsende Beziehungen zum Zusammenschluss “Elblandrevolte“ (ELR) aus Dresden. ELR ist eine Ortsgruppe der JN und erlangte öffentliche Aufmerksamkeit als Mitglieder im Europawahlkampf mehrere Plakatierteams demokratischer Parteien angriffen und dabei u.a. den SPD-Politiker Matthias Ecke schwer verletzten. [1] Einerseits finden sich zahlreiche Verweise zur ELR auf den Accounts der DJV-SympathisantInnen aus Berlin und Brandenburg. Andererseits waren mehrere Dresdner Neonazis aus dem Umkreis der ELR, wie u.a. „Paul“ (Nummer 21), beim Angriffsversuch auf den CSD in Berlin beteiligt. Zuletzt fuhr eine Dreiergruppe von DJV aus Berlin am 31. Juli nach Dresden, um sich dort mit dem Neonazi „Lucas Seifert“ zu treffen. Unter dem Namen „Chino“ tritt er auf Social Media als Aushängeschild der ELR auf. In diesem Zusammenhang erscheint es kaum als Zufall, dass der JN-Aktivist Finley Prügner zusammen mit einem weiteren Mitglied von ELR am 27. April in Berlin war, um in der Parteizentrale von der „HEIMAT“ ein Neonazi-Konzert zu besuchen. [2] Unter Umständen wurden bei diesem Treffen die Grundlagen für die DJV in Berlin und Brandenburg gelegt.

DJV Berlin-Brandenburg am 31.07.2024 in Dresden, rechts: Neonazi „Lucas Seifert“ alias „Chino“

Ein anderer Vernetzungsansatz eines kriselnden Jugendverbandes

Auch der Angriffsversuch vom 27. Juli orientiert sich an der ELR, die am 1. Juni 2024 mit mehreren Dutzend Neonazis den CSD in Dresden störte. Für den 10. August 2024 ruft Finley Prügner bereits zur Störung des CSD in Bautzen auf. Auch Berliner Neonazis aus dem Umfeld von DJV verbreiten die entsprechenden Share Pics auf ihren Accounts. Es spricht somit vieles dafür, dass es sich bei DJV um einen Versuch der JN handelt, wieder neue Mitglieder für den seit Jahren kriselnden Jugendverband zu gewinnen. Ob die erlebnisorientierten AnhängerInnen der DJV aber tatsächlich einer Parteijugend beitreten wollen, ist fraglich. Auch die bisherigen Aktivitäten unterscheiden sich deutlich von anderen Neonazi-Jugendorgansiationen, wie der beispielsweise der „Nationalrevolutionären Jugend“ (NRJ) vom „III. Weg“. So glichen die Treffen von DJV eher Saufgelagen, bei denen später noch Gruppenfotos mit Fahnen und Pyrotechnik gemacht wurden. Eine dauerhafte Organisierung der Beteiligten und eine Einbindung in politische Arbeit scheint vorerst nicht angestrebt zu werden. Zudem gibt es keine regelmäßigen Treffen, keine theoretischen Ansätze und kein erkennbares politisches Programm. Dabei sein können zunächst alle, die sich angesprochen fühlen. Auch das Fehlen einer klar erkennbaren politischen Führung ist in der extremen Rechten eher ungewöhnlich. Zusammengehalten wird DJV von einem diffusen Bekenntnis zu Deutschland, dem geteilten Rassismus und gemeinsamen Feindbildern, wie „der Antifa“ oder queeren Lebensweisen. Insgesamt handelt sich bei DJV vorrangig um eine virtuelle Plattform als Möglichkeit zur informellen und lockeren Vernetzung aktionsorientierter Jugendlicher. Auf dieser Basis können die Beteiligten anlassbezogen zusammenkommen. Doch der 27. Juli hat gezeigt, dass von einer solchen Vernetzung eine deutliche Gefahr ausgehen kann, da sie leicht zur Verabredung für gemeinsame Angriffe oder Einschüchterungsversuche genutzt werden kann.

Wer waren die AngreiferInnen vom 27. Juli 2024?

Mit der voll und ganz auf Social Media fokussierten Strategie richtet sich DJV gezielt an jugendliche Neonazis. Der Plan zur Mobilisierung scheint vorerst aufzugehen. Laut Polizeiangaben war mehr als die Hälfte der AngreiferInnen in der Umgebung des Berliner CSD unter 18 Jahre alt. Zwei waren sogar noch unter vierzehn und damit strafunmündig. Dementsprechend sind die meisten von ihnen bisher auch noch nicht in politischen Kontexten aufgefallen. Eine Ausnahme ist „Flo“ aus Berlin-Mahlsdorf (Nummer 10) sowie ein weiterer Neonazi (Nummer 5), die bereits am 6. Juli 2024 am Rand einer antifaschistischen Demonstration in Hellersdorf zusammen mit weiteren Personen die Teilnehmenden anpöbelten. [3]

Mittig: Nummer 5 und 2.v.r. „Flo“ (Nummer 10) beim Anpöbeln einer antifaschistischen Demonstration am 06. Juli 2024 in Berlin-Hellersdorf; Foto: Presseservice Rathenow

Doch wer sind die anderen unbekannten Neonazis? Zwei von ihnen sind Christopher Wetzels (Nummer 4) und Andrew-Justin Lischke (Nummer 16). Beide leben in Ost-Berlin und spielen Vereinsfußball. Christopher Wetzels (vollständiger Name: Nick Thomas Christopher Wetzels) spielte bis 2023 noch für die U16-Mannschaft beim FC Strausberg. Inzwischen ist er laut eigenen Angaben Jugend-Torwart beim FC Nordost Berlin in Marzahn, nicht unweit von seinem Wohnhaus. Am 19.06.2024 konnte Wetzels beim Verteilen von Flugblättern für den „III. Weg“ beobachtet werden. Lautstark prahlte er damit zur Partei zu gehören. Allerdings scheint er – wenn überhaupt – im erweiterten Unterstützungsumfeld des „III. Wegs“ aktiv zu sein und fand stattdessen über die Neonazis von „Jung & Stark“ (JS) zur DJV.

Während Christopher Wetzels Fan vom 1.FC Union ist, geht Andrew-Justin Lischke regelmäßig zum BFC. Dabei scheint er eine gewisse Nähe zur rechtsoffenen Jugendgruppe „Piefkes“ der sogenannten „Fraktion H“ zu haben. Er selbst ist hingegen Spieler in der Jugend beim BSV Oranke aus Hohenschönhausen, wo Lischke auch lebt. Insgesamt scheinen mehrere Spieler aus der Jugendmannschaft BSV Oranke am Potsdamer Platz dabei gewesen zu sein.

Sowohl Christopher Wetzels als auch Andrew-Justin Lischke stehen exemplarisch für eine bestimmte Jugendkultur, die sich in unter dem Dach von DJV trifft und vernetzt. Es sind größtenteils Freundeskreise von jungen Männer, die sich aus dem Umfeld unterschiedlicher Fußballfanszenen aus Berlin rekrutieren. Teilweise spielen sie selbst Fußball. Aber in der Regel besuchen sie vor allem gemeinsam Spiele, verkleben Sticker ihrer Vereine oder sprühen Graffiti. Teilweise inszenieren sich diese Zusammenschlüsse auch als eigenständige Gruppen, wie acht Jugendliche aus Biesdorf, die im Social Media als „Die richtige Generation“ (DRG) auftreten (unter anderem Nummer 30). Doch insgesamt scheinen die wenigsten bei DJV Erfahrung mit politischen Aktionen außerhalb von Social Media zu haben.

Was ist von DJV in Zukunft zu erwarten?

Momentan ist DJV vor allem ein Sammelbecken, um ein über Berlin verstreutes Potential an Personen und menschenverachtenden Einstellungen auch außerhalb von Social Media politisch nutzbar zu machen. Aus der Vernetzung heraus können die einzelnen Gruppen gemeinsame Aktionen planen und durchführen, für die sie sonst nicht genügend Kapazitäten hätten. Dabei agierten zumindest bei dem Angriffsversuch am Potsdamer Platz auch ansonsten verfeindete Fanszenen miteinander. Obwohl sich ein Großteil der Neonazis offensiv zu Hertha BSC oder dem BFC Dynamo bekennt, waren auch AnhängerInnen vom 1. FC Union unter den AngreiferInnen. Diese auffällige Häufung von Fußballbezügen zeigt, inwieweit es in Fußballfanszenen weiterhin zahlreiche rechtsoffene Lebenswelten gibt, in denen Jugendliche politisch sozialisiert werden. An toxische Männlichkeitskulte, Formen des Überlegenheitsdenken und eine gewisse Gang-Mentalität mit deutlicher Gewaltaffinität kann das Angebot von DJV politisch anschließen. Dementsprechend scheint sich die politische Logik der Gruppe auch eher an Mustern wie sogenannten Ackerkämpfen im Hooligan-Milieu zu orientieren. Auch dort kommen unterschiedliche Fanszene zusammen, um sich mit einem ausgemachten „Gegner“ zu prügeln. Bei DJV verabreden sich rechte Jugend-Gangs, um gemeinsam politische Gegner*innen zu überfallen und danach wieder auseinanderzugehen. Außerhalb von Straßengewalt zur Einschüchterung von Andersdenkenden scheint es bislang kein politisches Ziel zu geben. Das macht diesen Zusammenschluss sehr gefährlich.

Es ist abzuwarten, ob sich aus dieser losen Vernetzung, die vor allem von Fußball, Alkohol und Gewalt zusammengehalten wird, eine dauerhafte Gruppe entwickeln kann. In der Vergangenheit sind Zusammenschlüsse von rechten Fußball-Fans oft an Vereinsdifferenzen zerbrochen. Auch der unmittelbare Einfluss der JN auf DJV scheint gegenwärtig eher zu schwach, um dauerhaft ordnend eingreifen zu können. Der Zusammenschluss scheint eher als letzte Möglichkeit, um die Parteijugend der „HEIMAT“ mit allen Mitteln zu konsolidieren. Demgegenüber scheinen andere organisierte Neonazi-Strukturen, wie die NRJ, kein Interesse an einer Anwerbung oder Zusammenarbeit zeigen. Dementsprechend fungiert DJV gegenwärtig eher als Sammelbecken für rechte Jugendliche und Neonazis, die beispielsweise aufgrund ihres Konsumverhaltens keinen Platz in organisierten Parteijugenden finden können bzw. dies auch nicht wollen. Allerdings versammelt DJV eine große Menge an gewaltbereiten Jugendlichen aus Berlin und Brandenburg. Somit besteht durchaus die Möglichkeit, dass organisierte Neonazis die Gruppe als Pool für politische Gewalt entdecken und versuchen, einige Personen dauerhaft zu organisieren. Aus solchen Vernetzungseffekten kann sich eine bleibende Gefahr entwickeln. 

Wer mehr Informationen zu den AngreiferInnen vom 27. Juli 2024 hat, kann diese gerne an [email protected] melden.


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