Aug 20 2018

Schwarze Steine mit roten Flecken

Von Karl

 

Maicao

Von dem beschaulichen Santa Marta aus fährt der Bus über Riohacha nach Maicao. Immer gen Osten. Hinter der Fensterscheibe hat sich die Landschaft gewandelt. Soweit das Auge blicken kann, stehen gedrungene grüne bis braune Bäume. Trockene Bäume mit ein paar knorrigen Hecken unter sich. Die Landschaft ist sehr flach und es weht eine beständige warme Briese.

Augenfällig ist auch, dass der Plastikmüll stärker den Blick trübt. Nicht dass ich bislang ausschließlich saubere Straßen und Hecken gesehen hätte, doch hier hat das eine neue Qualität. Müll der die wenigen Grashalme bedeckt. Da es nicht immer eine funktionierende Müllabfuhr bis in die letzte Kleinstadt gibt, wird Müll gern auch einfach auf einen Haufen geschmissen und verbrannt. Zu dem vielen Müll paart sich ein Verhalten, bei dem Verpackungsmüll an Ort und Stelle fallen gelassen wird. Manche Orte werden allerdings sauber gehalten. Busbahnhöfe beispielsweise werden regelmäßig durchgewischt.

In Maicaos Busbahnhof tobt das Leben. Die Nähe der gut 10km entfernten Grenze macht sich bemerkbar. Krisenbedingt ist Maicao ein wichtiger erster Umstiegs- und Lebensort für die vielen Venezolaner*innen, die ihr Land verlassen. Auch auf der Hauptstraße, die hier die Nummer 16 trägt, ist sehr viel los. Wie so viele Orte die wir in letzter Zeit bereist haben, ist auch Maicao so aufgebaut, dass alle Straßen ein Schachbrett bilden und es Carreras und Calles gibt, die sich im rechten Winkel kreuzen. Diese werden dann einfach durchgezählt. Wenn ich also die Adresse „Calle 5 #6-12“ suche, dann ist das Haus in der Calle 5, ganz in der Nähe der Kreuzung mit der Carrera 6 und trägt die Hausnummer 12.

Später erzählt mir ein Venezolaner, der als Automechaniker in Maicao arbeitet, warum alle hundert Meter Benzin in ehemaligen großen Wasserflaschen verkauft werden. In Venezuela kostet das Benzin weniger als ein kolumbianischer Centavo. Der Umrechnungskurs ist ungefähr 3300 kolumbianische Pesos für ein Euro. Alle Tankstellen der Region haben zugemacht, weil jede*r für 2300 Pesos pro Gallone (ca. 4,5 Liter) Sprit kaufen kann. In den Seitenstraßen stehen Autos aus denen heraus die Flaschen abgefüllt werden.

Kohle

Uns hat es hierher verschlagen, weil ich Felipe treffen möchte. Felipe hat früher mal in der Gegend gewohnt, wo jetzt große Tagebaue klaffen. Anstatt auf meine Fragen zu warten, erzählt er einfach in einem schier nicht enden wollenden Monolog seine Geschichte. Ich habe schon einen Krampf in der Hand, aber mir dünkt, dass er gerade sehr spannende Sachen wiedergibt. Er endet nach fast zwei Stunden mit: „Wenn ihr die Steinkohle aus La Guajira verwendet, dann klebt da Blut dran, Menschenblut“. La Guajira nennt sich diese Region, eine Halbinsel, auf der Cerrejón der größte Kohle-Tagebau Lateinamerikas ist. Kolumbien ist der viertgrößte Steinkohle-Exporteur und macht ein Drittel aller importierter deutscher Steinkohle aus. In Deutschland wurden erst neue Steinkohle-Kraftwerke gebaut. Für Kohle aus Kolumbien. Die Kohle wird in verschiedenen Regionen in Tagebauen abgebaut, dabei ist Cerrejón der größte mit fast 700 Quadratkilometern. Insgesamt besteht Cerrejón aus drei Tagebauen. Sie sind jeweils zu einen Drittel im Besitz von us-amerikanischen, schweizer und englischen Investoren, mit Lizenzen bis 2034.

Die Kohle wird auf die eigens errichte Bahnlinie gebracht. Die Kohlezüge sollen 120 Waggons haben und werden durch zwei oder drei Loks gezogen. Im eigens errichteten Kohlehafen, der aber auch nur einer von vielen in Kolumbien ist, wird die Kohle dann in Frachtschiffe verladen.

Dafür wurden einige indigene Ortschaften umgesiedelt. Teils unter Anwendung von Gewalt und durch Beihilfe durch die Armee werden sie vertrieben. Ihnen wird die Fläche genommen, auf der sie ihre Lebensmittel anbauen. Die Wayuú, die schon sehr lange in der Region leben, leiden besonders unter dem Kohleabbau. Sie haben sich erfolgreich gegen die Kolonialisierung durch die Spanier*innen behaupten können, weil sie als besonders widerständig gelten. Doch jetzt sterben sie am Hunger. Das Grundwasser wurde durch Cerrejón abgesenkt, damit der Tagebau nicht zum See wird, und ein Fluss wurde auf zig Kilometer Länge umgeleitet. Seitdem muss Wasser in Plastikflaschen gekauft werden. Was die Kolonialherren aus Europa des 16. Jahrhundert nicht vermocht haben, schafft Europa heute. Das nennt sich übrigens Neokolonialismus.

Felipe beschreibt die Umwelt-Belastung mit einem Experiment. Ich solle ein Becher mit Wasser aufstellen. Ein paar Stunden später sieht man die schwarzen Ränder vom Kohlestaub. und falls noch nicht genügend Argumente gegen die Kohleförderung geliefert worden sind, dann können wir gern noch über Klimawandel debattieren …

Albania

Ich will‘s selbst sehen. Ich mach mich am nächsten Tag auf und fahr‘ nach Albania, einen kleinen Ort der sich ganz in der Nähe vom Haupteingang und Besucher*innen-Zentrum entwickelt hat. 1000 Einwohner*innen vielleicht. Der Weg nach Albania im geteilten Taxi ist allerdings nicht sofort erfolgreich. Geteilt meint, dass solange gewartet wird, bis alle Plätze verkauft sind. Der Taxifahrer fährt rechts ran und stellt – nicht wirklich enttäuscht – fest, dass der Keilriemen gerissen ist. Er hält einfach ein Auto im Gegenverkehr an und lässt uns zurück nach Maicao schleppen. Bis zur Werkstatt. Dort warten wir eine knappe Stunde und schon wagen wir einen zweiten Anlauf.

Schon nachmittags schwinge ich mich als Sozius auf einem Taximotorrad gen Eingang, den letzten Kilometer in Angriff nehmend und – hab kein Glück. Am Eingang sagt mir die freundliche Frau, ich müsse eine Nummer anrufen. Der nette Mann im Hörer aber sagt: Nein, heute und morgen ist voll, keine Plätze mehr. Es geht also nur mit Führung.

Nach einer ganzen Weile meint ein Motorradfahrer er wüsste, dass in einem Hotel eine Gruppe eingecheckt hat, die morgen eine Führung hat. Also fahren wir wieder los. Im Hotel kann ich mit der Rezeption sogar auf englisch die Herausforderung besprechen. Ihr Anruf ergibt: Sie muss morgen früh nochmal anrufen. Also ruft sie mich morgen früh an, ob noch ein Platz frei wird.

Wohlweißlich bin ich früh genug aufgestanden und schon halb Acht klingelt das Telephon. Ich solle sofort am Eingang erscheinen. Bei der jetzigen Führung sei ein Platz frei. Drei Sachen in den Beutel, Tür zu, zur Straße gerannt, und – ich bin noch nicht mal auf der Straße – da kommt schon ein Motorrad. Ich spring auf, einmal Mineneingang bitte. Tatsächlich bin ich nicht der Letzte. Läuft.

Cerrejón

Kamera an. Alles was spannend ist wird gefilmt. Ich muss ja das Interview noch bebildern. Zuerst warten wir zwischen einen großen Kipplader und anderen kleineren Ausstellungsgegenständen, bis wir in einen größeren Raum geführt werden. Viele Info-Tafeln und Monitore. Wie zum Hohn eine übergroße Tafel mit Wörtern aus der Sprache der Wayuu. Alle Wörter drehen sich um den Kohleabbau. Viele Ausstellungsgegenstände möchten die soziale Seite Cerrejóns betonen. Mir wird klar, dass die Firma Teile ihrer Infrastruktur mit Wayuu-Wörtern schmückt. Seit 1975 gibt es die Grube nun schon und einige Präsidenten Kolumbiens waren zu irgendwelchen Einweihungen da. Obschon Kolumbien kaum Einfluss hat. Alle Fahrzeuge sind in Miniatur ausgestellt. Große Förderbrücken oder Förderkräne wie in deutschen Braunkohle-Tagebaue gibt es allerdings nicht. Dann müssen wir noch alle ein Sicherheitsvideo anschauen, Helme abgreifen und über den Zebrastreifen zum Reisebus gehen.

Durch das große Werksgelände düst der Bus raus auf die Schnellwege, die wegen den übergroßen Kippladern extrem breit sind und eigene kleine Parallelwege haben, die unser Bus nimmt. An einem Aussichtspunkt können wir in die Grube schauen. Ein Führer erzählt parallel viele technische Details. Als einer der Bagger gerade des Weges kommt, wird klar, dass auch diese überdimensioniert sind. Allein die Kipplader sind monströs groß.

Anschließend fährt der Bus noch zu einem anderen Aussichtspunkt, von dem wir die weiten Renaturierungsflächen bewundern sollen. Allerdings entwickelt sich daran, dass Kolumbien nicht so sehr von der Kohleförderung profitiert, eine schnell hitzig werdende Diskussion, die damit beendet wird, dass wir zurück in den Bus gehen. Offensichtlich sind nicht alle mit allem einverstanden.

Carrito

Zurück in Albania packe ich nur schnell die Sachen um nach Bogotá abzuhauen. Erst mit dem Carrito (so nennt sich hier das geteilte Taxi) bis nach Valledupar und dort dann mit dem Nachtbus nach Bogotá.

Das Internet verrät mir später: Im Februar erst hat ein Indigener wohl einen Anschlag auf die Bahnschiene verübt. Ich kann‘s ihm nachempfinden.


Aug 18 2018

Hitze im Überfluss

von Rosa

Die ersten Hochhäuser begrüßen uns in Santa Marta. Es ist die erste Stadt, die mir in Kolumbien empfohlen wurde. Ich bin gespannt.
„Ey Leser“
Leider hatten wir auch diesmal kein Glück mit einer Couchsurfing-Unterkunft, deswegen haben wir uns ein Hostel rausgesucht. Das vorher Nichtbuchen war ein Fehler, denn die Unterkunft ist voll. So wie auch die Innenstadt. Busse und Taxen drängeln sich durch die Straßen.
„Ey sexy Leser“
Wir klappern ein paar Hostels ab, einige haben einen Pool im Foyer. Doch nicht unsere Preisklasse. „So ein schöner Leser, ja genau du“(Naja, um ehrlich zu sein, meine ich alle Leser, also du bist jetzt nix besonderes oder so)“
In unserer Preisklasse gibt es statt dem Pool ein Loch in der Wand mit einem Rohr. Darf ich vorstellen: Die Dusche. Wir sind froh, dass es Wasser und einen Ventilator gibt, denn es ist HEIß.
„Na, du süßer Leser“
Wir nutzen die Abendkühle und gehen an den Malećon (Promenade am Strand). Im Hafen stehen mit Lichterketten behangene Segelschiffe und bei mir kommt kurz Weihnachtsstimmung auf. Alles ist auf den Beinen. Ein Artist springt durch einen Reifen mit Messern. Ein große Menschentraube versammelt sich, um die Show zu sehen. Doch selbst als er an dem scharfen Gegenstand hängen bleibt, macht ihm das nichts aus.
„Ey Leser, Ey Leser, Eeyy Leser!!“
Gut, dass die Leute vorher das Geld bezahlt haben.

Auch wir bezahlen diesmal im Vorfeld und bekommen dafür eine Unterkunft mit Klimaanlage.
„UiUiUi Leser, na ich sag mal ne Acht“
Jedes mal, wenn wir den Raum betreten, spürt der Körper die Erleichterung sich endlich etwas runterzukühlen. Doch wie sagt man: Sei vorsichtig mit dem was du dir wünschst. Der geplante Ausflug zum Tayrona Nationalpark fällt ins Wasser. Bereits auf der einstündigen Fahrt zum Zielort fängt es an stark zu regnen. Das Dach des Busses hält dem nicht stand und so bekomme ich eine kostenlose Dusche ab.
„Fühl dich angestarrt“ (Ich checke ab, ob du gut aussiehst beim Lesen)“
Der Eintritt kostet 17 Euro. Am Eingang laufen Bilder von schönen Stränden und Touristen, die aus Zelten schauen über den Flatsreen. Die Laune der Touristen vor dem Eingang des Nationalparks ist allerdings eher mürrisch wie das Wetter. Wie entscheiden uns aufgrund unserer nicht wetterfesten Kleidung, lieber den Heimweg anzutreten.
„Leser, mmmhhhh“
In Santa Marta hingegen ist der Regen nicht angekommen. Doch auch beim dritten Stadtrundgang, springt der Funke bei mir für die Stadt nicht über. Ein zentraler Platz oder Park ist nicht wirklich vorhanden, keine bunten Häuser oder Gassen und der Stadtstrand ist klein und vollkommen überfüllt. Und natürlich die Hitze!

Lieber Leser, wie geht es dir damit, dass ich dich immer wieder so angesprochen habe?
Wolltest du nur in Ruhe den Text lesen und hast gedacht was soll das? Und dachtest du, was tut das überhaupt zur Sache, wie ich aussehe und wer ich bin, wenn ich hier einen Text lesen will? Hat es dich vom Lesen abgelenkt?

„Ey Chica, so lecker“

Kann ich verstehen.

Nach dem Stadtrundgang sitze ich in einem Café und tippe auf meinem Handy herum. An dem Tisch neben mir sitzen drei junge Männer in ein Gespräch vertieft und am gegenüberliegenden Tisch sitzen zwei alte Männer und lesen Zeitung. Alle paar Minuten schaut mich entweder der junge oder der alte Tisch an. Ich höre, wie die jungen Männer sich über meine Haare, mein Gesicht und meine Brüste unterhalten.
Ich befinde mich in einer Situation in der ich lieber gehen würde, aber erstens regnet es draußen als würde die Welt untergehen und zweitens finde ich es nicht gut, dass ich mir meinen Kaffee vermiesen lasse. Ich stecke mir Kopfhörer in die Ohren.

Nachdem es aufgehört hat zu regnen, gehe ich nach Hause. Die Straßen haben sich in reißende Flüsse verwandelt. Kein Durchkommen mit trockenen Füße. Ein Mann spricht mich mit „Ey Prinzessin“ an und bietet mir an mich über den „Fluss“ zu tragen. Ich lehne ab und ziehe mir die Schuhe aus. Ich laufe durch die knietiefe Suppe. Ich fühle mich in eine Situation gebracht, in der ich erst recht beweisen muss, dass ich eben keine Prinzessin bin. Aber warum muss ich das überhaupt beweisen?

In Medellín gehe ich die Straße entlang und ein Mann versucht mich zu küssen. Ich sage nein, lass mich in Ruhe. Ich bin nicht interessiert. Er folgt mir. Ich laufe schneller, wechsle die Straßenseite. Ich frage: Warum hörst du mir nicht zu, wenn ich nein sage? Warum lässt du mich nicht in Ruhe, wenn ich es sage? Warum versuchst du mich zu küssen, du hast mich doch gar nicht gefragt? Keine Antwort.

Zu meinem Südamerika-Alltag gehören auch diese Situationen. Und jeden Tag muss ich mich entscheiden, was ich mache gegen die Sprüche, die Kommentare, die Bewertungen und die Belästigungen. Egal, ob ich es ignoriere, erkläre oder kämpfe. Es ist nervig.


Aug 16 2018

Cartagena: Türkis, Schwarz, Orange

 

Von Karl

Türkis

Das Wasser ist türkis, die Bucht einsam, die Bäume tropisch. So stellen sich viele das Paradies vor. und da waren wir. Jetzt nicht im Paradies, aber so wie es sich viele vorstellen. Mit der Schwimmbrille beobachte ich über das Wasser gleitend die tausenden kleinen Fische, die hier in Schwärme durch das Meer huschen oder wie ertappt neben mir schweben. Die Wellen sind schwach und die Sonne brennt. Das türkise Wasser wird nur langsam tiefer und ist durch Felsen unterbrochen, die allesamt bis knapp an die Wasseroberfläche reichen. Hier siedeln weitere Fische, die teilweise handgröße überschreiten. Manche tarnen sich mit ihrer schwarzen Farbe auf den dunklen Steinen weg, andere haben lila schimmernde Schuppen.

Bevor mir die Sonne einen Sonnenbrand auf den Rücken zaubert, übergebe ich die Schwimmbrille an die schon im Ufer wartende Rosa. Die Bucht ist eng und hat nur einen kleinen Bereich Sandstrand. Da aber sonst niemand da ist, ist der Ort perfekt. Von hier gehen verschiedene Höhlen und felsige Wege ab, die zu einen weiteren ähnlichen Ort führen.

Unser Glück soll aber nicht ewig halten und bald kündigt sich mit heftigen Donnern ein Gewitter an. Mit Blitzen und Starkregen nähert sich ein ordentliches Unwetter. Gut, denke ich mir, dann eben eine kostenlose Dusche um das salzige Meerwasser abzuspülen. Ich bringe meine Sachen ins Trocken und warte geduldig.

Der eigentliche Strandbereich ist viel viel länger und völlig überlaufen. Ein Geschäft reiht sich auf dem Strand an das nächste. Restaurants, Bars, Verleiher, etc. Wer hinter den Hütten lang läuft findet eine völlig verschmutzte Lagune vor. Die Schattenseite des intensiven Tourismus in dem Naturschutzgebiet.Trotz herannahender Blitze wird weiter fröhlich gebadet, Jetski gefahren und Ausflüge mit schmalen Holzbooten gemacht. Durch den starken Regen können wir später unbehelligt den Weg zurück finden. Ein Bus brachte uns her und nimmt uns wieder zurück nach Cartagena.

Schwarz

Cartagena ist wohl der berühmteste Touri-Ort Kolumbiens. Voll mit kolonialen Bauten, mittelalterlichen Mauern und Verteidigungsanlagen aus Zeiten als Spanier*innen hier das Raubgold nach Europa verschifften, westafrikanische Sklav*innen verkauften und englische Pirat*innen versuchten Teile streitig zu machen. Andere Teile stehen voll mit Hochhäusern, die entweder Hotels oder luxuriöse Apartments enthalten. Eine Halbinsel soll ausschließlich daraus bestehen, aber auch der östliche Teil Cartagenas beherbergt einige Dutzend dieser Mini-Wolkenkratzer. Wir machen einen eigenständigen Rundgang durch das Zentrum, der durch Schilder unser Wissen anreichert. Vielfach wird auch das Leben der schwarzen Sklav*innen thematisiert, die schlimmstmöglich behandelt wurden. Wie Ware wurden sie gehandelt, d.h. auf dem Markt feilgeboten. Insofern sie unbeschadet die lange Reise über den Atlantik überlebt haben.

Die Straßen im Zentrum sind sehr schick gemacht. Sehr bunte Häuserwände, mit vielen Blumen und enge Gassen lassen das Herz vieler Touris höher schlagen. Unser Rundgang endet in einem Park mit einem Stück Anoncillo-Strauch. Das ist eine kubanische Bezeichnung für kleine Früchte, die es in englischer oder deutscher Sprache nicht gibt. Sie sind nicht viel größer als eine Murmel, dunkelgrün, ledrige Haut und innen ein recht großer heller Kern. Das orange Fruchtfleisch ist sehr saftig, süß und eine Spur sauer. Auf jeden Fall sehr lecker. Während wir das noch genießen, kommt eine dunkelbraunes Eichhörnchen und fängt an einige der Kerne neben einen Baum zu vergraben. In Kolumbien heißt die Frucht wohl Mamón oder Mamoncillo.

Orange

Nach Cartagena sind wir per Bus gekommen. 13 Stunden von Medellín aus. Die Details, warum ich im Bus nicht schlafen konnte, zu der Verrückten Mitfahrerin und ihrer nächtlichen Hyperaktivität … ja, das möchte ich euch ersparen. Mit dem Ausstieg aus dem gekühlten Bus, erschlug uns die hiesige Hitze. Karibische 33 Grad sind hier normal. Seitdem schwitzen wir alles vor. Meine Shirts haben weiße Salzflecken und meine Haut ist gerötet. Jeder gekühlte Raum und gekühlte Bus ist eine Wohltat. Am Tag unserer Abreise bin ich extra um 5:15 aufgestanden um noch vor dem Sonnenaufgang im Meer zu sein. Tatsächlich ist ein Strand nur ca 15 Minuten von unserer Unterkunft entfernt. Noch sehr ruhig breitet sich die Karibik vor mir aus, als ich langsam in das Meer gehe. Nicht nur, dass es draußen noch angenehm ist, was nicht heißt, dass es kühl ist, nein, noch ist das Meer abkühlend, was es tagsüber nicht mehr ist. Nach ein paar hundert Metern kann ich eine orange Scheibe am Strand aufgehen sehen, die ich am Abend zuvor noch über der Karibik untergehen habe sehen können.

 

PS.: Nun eine aktualisierte Karte mit den Orten in Kolumbien, wo wir sind bzw. waren: 


Aug 14 2018

Neue Farben

von Rosa

Der Ruf eilt Medellín weit über die Landesgrenzen voraus. Da ist die Geschichte: Pablo Escobar, Guerillakämpfe, die gefährlichste Stadt der Welt. Und da ist das Jetzt: Alle, aber wirklich alle schwärmen von Medellín.

Das Szeneviertel

Abgekämpft und verschwitzt stehen wir mit unseren Rucksäcken vor dem Trendviertel in Medellín: Poblado. Es geht steil bergauf, der Rucksack liegt schwer auf den Schultern. Wir laufen den Berg immer weiter hoch auf der Suche nach einem preisgünstigen Hostel. Uns kommen die ersten gut gelaunten Touristen entgegen. Nach ein paar Anfragen, entscheiden eher unsere Rücken als unser Budget. Unsere Schlafgelegenheit befindet sich in einem Hippiehostel in einer Art Dachboden ohne Fenster. Von unten dröhnt Elektromusik. Ein knarrender Ventilator sorgt für etwas Abkühlung.

Wir spazieren durch das Viertel, immer bergauf. Je höher desto besser. Eine Wohlfühlparadies für alle Hipster dieser Welt. Ein Szenelokal reiht sich an das andere. Fusion-Restaurants, Chocolaterien, Café-Bars. Viel Holz, viele Pflanzen, viele Glühbirnen, viel Geld. Letzteres muss man mitbringen, um hier Essen und Feiern zu können.

Eine böse Überraschung

Da wir nicht so viel von diesem Geld haben, suchen wir eine erschwinglichere Unterkunft, die uns noch etwas mehr Komfort bietet. In einem anderen Stadtteil werden wir fündig und kurzerhand buchen wir das Hostel online. Wir fahren mit der Metro, einer neu gebauten S-Bahn, bis zur Unterkunft. Medellín ist die einzige Stadt in Kolumbien die über ein Metrosystem auf Schienen verfügt. In den anderen Städten heißen aber schnelle Busverbindungen Metro. Auf die Modernität und Innovation ist man hier sehr stolz. Erneut schleppen wir unsere Rucksäcke durch die Mittagshitze. Ich frage Karl dreimal, ob wir hier auch wirklich richtig sind. Das Hostel sieht aus wie ein normales Wohnhaus. Es gibt keine Beschilderung. Die Türen sind verschlossen und auch nach mehrmaligen Klopfen öffnet niemand die Tür. Ein Nachbar von oben wird auf uns aufmerksam und versucht uns zu erklären, dass das Hostel seit zwei Monaten geschlossen ist. Wir schauen ihn mit großen Augen an und erbitten uns die Telefonnummer von den ehemaligen Hostelbesitzern. Der Mann am Telefon sagt mir, dass er nicht verstehen kann, wie wir überhaupt noch das Hostel buchen konnten. Er will sich wieder melden. Nach zwei Minuten ruft er tatsächlich zurück, um mich an seine Kollegin zu verweisen. Ihr wiederum erkläre ich erneut, dass wir schon eine Reservierungsgebühr bezahlt haben. Doch nichts zu machen, die Unterkunft bleibt für uns verschlossen. Wir sollen uns direkt an die Buchungsseite wenden. Über uns auf dem Balkon haben sich ein paar Menschen versammelt um das Spektakel unter ihnen zu verfolgen. Eine Oma, deren Spanisch ich aufgrund ihrer fehlenden Zähne noch weniger verstehe, winkt immer wieder in Richtung eines gelben Hauses. Tatsächlich befindet sich schräg gegenüber ein Hostel, dessen Bestimmungszweck von außen nicht erkennbar ist. Eine freundliche Frau bietet uns den gleichen Preis wie in Poblado an. Immerhin mit Frühstück und großem Garten.

Comuna 13

Zufällig treibt es uns auch zu Paola. An der Endhaltestelle der Metro Richtung San Javier treffen wir auf eine Free Walking Tour, die gerade starten will. Kurzerhand schließen wir uns an. Geleitet wird die Führung von Paola. Sie ist in der Comuna 13 aufgewachsen. Dort wo auch Pablo Escobar gelebt hat. Auf dem Weg in ihren Stadteil erzählt uns Paola, dass sich die Situation nach dem Tod Eskobars noch verschlimmerte. Mit dem Tod des Drogenbarons entstand ein Machtvakuum im Viertel. Guerillatruppen und Paramilitärs kämpften um die Vorherrschaft des strategisch wichtigen Gebietes. Die Comuna 13 galt als Tor zum Hinterland über das Waffen und Drogen geschmuggelt werden konnten, weil die Gebiete nicht unter Kontrolle der Polizei standen. Paola erzählt, dass teilweise die Leichen nicht weggeräumt werden konnten, weil in den toten Körpern Sprengstoff versteckt wurde, um noch mehr Menschen zu töten. Im Jahr 2002 griff das Militär mit einer Sonderaktion durch und ließ wichtige Drahtzieher verhaften.

Auch dieser Tag war kein schöner in der Comuna 13. Wieder starben viele unschuldige Menschen. Aber seit diesem Tag wurde es friedlicher, berichtet Paola Die Waffen wurden gegen Farbe und Pinsel getauscht. Wir laufen vorbei an bunten Wänden. An der Wand eine Frau, eine Taube, Schuhe und ein Herz. Darunter steht Esperanza (Hoffnung).

Symbole der Hoffnung mahnen an den Häuserwänden. Eine weitere Neuerung ist die längste Rolltreppe der Welt. Das Bauprojekt sollte vor allem älteren Bewohnern den Zugang zu ihren Wohnungen erleichtern. Kunstgalarien und Kaffeebars eröffnen. Mittlerweile kommen viele Touristen um den Stadtteil mit ihren Kunstwerken anzuschauen. Für Paola ein Zeichen von Frieden. Sie selbst hat erst vor zwei Jahren durch ein Sozialprojekt englisch gelernt und jetzt kann sie Reisenden von ihrer Geschichte erzählen. Zwischen den bunten Häusern zeigt uns Paola einen Berghang, der nicht begrünt ist. Dorthin wurden Geiseln verschleppt und getötet. Bis heute werden über 2000 Menschen vermisst. Der Regierung sind die Aufklärungsarbeiten zu teuer. Fassaden können übermalt werden, doch bleiben die Risse und Narben sichtbar.

Der Künstler

Wenn man von Fernando Botero noch nichts gehört hat, dann kommt man entweder nicht aus Südamerika oder hatte einen schlechten Kunstlehrer. Auf jeden Fall sollte man sich den Namen ab jetzt merken, weil er ein unverwechselbares Markenzeichen hat: Seine runden Formen. Alle Figuren sehen aus wie Ballonmenschen, sind leicht aufgequollen und stehen mit ihrer Präsenz im Widerspruch zu der Reduktion der Details im Bild. Der in Medellín geborene Künstler versteht sich selbst als der kolumbianische Künstler. 23 seiner Bronzefiguren kann man öffentlich auf der Plazoleta de las Esculturas bewundern. Weitere Werke im nahe gelegenen Museo de Antioquia. Wer nicht extra nach Südamerika reisen möchte, kann sich auch Skulpturen von ihm in der Innenstadt von Bamberg ansehen.

Der Hinkelstein

Sieht man die Pierda de Penol auf Fotos kommt einem der Felsenberg mit angebauter Treppe unwirklich vor, wie ein überdimensionierter Hinkelstein, den Obelix dort vergessen hat. Vom nördlichen Busbahnhof in Medellín fährt der Bus knapp zwei Stunden nach Penol zu einer Tankstelle. Von da an geht es nur noch bergauf und mit jedem Schritt wird die ganze Kulisse beeindruckender.

Denn dieser Felsberg ist umgeben von einem riesigen See, der von grünen Inseln unterbrochen wird. Wie Tintenkleckse in der Landschaft wirkt das blaue Meer. Auf die Penol de Pierda selbst führen nochmal 750 Stufen. Hinter jeder Kurve stehen oder sitzen schnaufende Menschen, die sich vom langen Aufstieg erholen müssen.Von oben schaue ich auf die Kulisse, als wäre es die Modelleisenbahn meines Bruders. Kleine Boote fahren über das Meer und ziehen winzige weiße Fäden hinter sich her. Einsame kleine Buchten, versteckt, unbewohnt. Wenn mir die Welt zu viel wird, ist hier der Ort, wo ich meine Zelte aufschlagen würde. Zurück an der Tankstelle halten wir einen Bus an, der uns nach Guatapé bringt. In Guatapé wurde vieles richtig gemacht, was das Touriherz höher schlagen lässt. Die Reliefs an den Häuserwänden, die ursprünglich dafür gedacht waren, dass die Hühner die Hauswand nicht zerpicken, wurden bemalt. So schlendern wir durch Gassen mit bunten Häusern, an deren Fassaden Blumen herunterhängen. Nach dem malerischen Spaziergang zieht es mich zu einer Bootstour. Langsam schippert der dreistöckige Dampfer zwischen den Buchten. Auf dem oberen Deck allerdings geht es flott zu. Kurzerhand hat sich das Schiff in ein Partyboot verwandelt. Aus den Lautsprechern tönt Salsamusik. Nach 30 Minuten werden die Beine müde und alle lassen sich auf ihre Stühle fallen und genießen doch noch die einmalige Natur.

Erinnerungen

Das Museo Casa de la Memoria befindet sich in einem langen Gebäude aus Beton. Geht man hinein, verschluckt es einen. Erinnerungen an Gewalt und Widerstand der Menschen in Medellín. Das Museum hat dem Schmerz eine Stimme gegeben. Es wurde ein Chor daraus:

Der Konflikt hat tausende Leben beschädigt. Oft haben wir die kleinen Dinge vergessen, die täglichen Rituale, der Geschmack von Mangos, die Stimmen der Kinder, der Geruch von zuhause, das friedliche Gefühl einer Familie, die Sicherheit und die Ganzheit. Wir wurden zu einem Krieg genötigt, der nicht unser Krieg war. Wenn wir das Gewicht der Verluste begreifen, verstehen wir auch das Bild der Vergangenheit, die Einsamkeit der Gegenwart und die Herausforderung eine Zukunft aufzubauen.

-Maria Camera-

 

Das Wasser wird das nicht aussprechbare mit sich nehmen.

-Sergio Goméz-

 

Was ist Gewalt?

Der schlechte Teil des Friedens

-Sara Martinez, 7 Jahre-

 

Was ist Leben?

Die Liebe, der Frieden, die Traurigkeit.

-Jorge Ivan Gomez, 6 Jahre-

 

Was ist Krieg?

Ein Spiel, was die Kinder jetzt spielen.

-Paula Andrea Franco, 9 Jahre-

 

Was ist Familie?

Die Menschen, alle, alle, alle, alle.

-Jorge Alejandro Botero, 5 Jahre-

 

Ich gehe in einen Raum. Er ist Dunkel. Kleine Leuchtpunkte spenden etwas Licht. Genau so sieht Medellín bei Nacht aus. Ein Sternenhimmel. Zwischen den Leuchtpunkten hängen Portraits an unsichtbaren Fäden. Polizisten, Lehrer, Schüler, Kinder, Familien, Freunde, Menschen. Sie sind gegangen in der Nacht und fehlen in Medellíns Sternenhimmel. Meine Schritte werden langsamer als ich aus dem Museum gehe. Es ist hell. Vor dem Museum fließt ein Fluss. Das Rot der Straße wird abgewaschen und macht Platz für neue Farben.

Hoch hinaus

Wir stehen vor einem sehr hohen Gebäude in einer belebten Straße. Der Fahrstuhl hält im 14. Stock. Ich lehne mich an das Geländer und betrachte den Boden. Von hier oben sieht es gar nicht so hoch aus. Doch, dass der Weg nach oben lang ist, weiß Pablo. Nicht nur weil ab und an der Fahrstuhl ausfällt. Er ist Aktivist und setzt sich für LGBT-Rechte ein. In einem Land, dass durch die katholische Kirche geprägt ist und in einer Stadt, die in ganz Kolumbien für ihre konservativen Politiker bekannt ist. Irgendwie hat es der kleine, dünne Mann, den man aufgrund seiner quirligen Art auf Anfang 20 schätzen würde, aber geschafft einen Job als politischer Berater zu bekommen. Als er uns davon erzählt gehen seine Mundwinkel weit nach oben und er schiebt seine runde Hornbrille zu recht. Ganz knapp konnte bei der letzten Wahl ein linker Politiker in den Stadtrat einziehen. Der erste Politiker mit Rastazöpfen berichtet Pablo stolz. Bei eben diesem Politiker wurde er angestellt. Vorher hat er jahrelang auf der Straße gekämpft auf Demos, Filmabenden und Ausstellungen gegen die Kirche aber manchmal sogar mit der Kirche. Auch bei der Kirche gäbe es einige Unterstützer der Ehe für alle. Pablo sagt vom Gesetz wäre es ihm in Kolumbien erlaubt seinen Freund zu heiraten, vom sozialen Druck allerdings nicht. Das fängt bei der eigenen Familie schon an. Aktuell möchte er ein Gesetz durchsetzen, was ihm und Kollegen erlaubt an Schulen zu gehen, um über Homosexualität zu sprechen und dass das eben ganz normal sei. Auch sonst gibt es einiges zu tun in Kolumbien findet Pablo. Die indigene Bevölkerung wird unzureichend in politische Entscheidungen einbezogen und vom Rest der Bevölkerung nicht als gebildet und relevant wahrgenommen. Viele Aktivisten sind beunruhigt wie sich die Situation mit der neuen konservativen Regierung in Kolumbien ändern wird. Bei einer Volksabstimmung gab es eine knappe Mehrheit gegen eine entspanntere und friedlichere Politik gegenüber der FARC-Bewegung. Wir stehen vor einer schwierigen Zeit sagt Pablo und zieht seine Lippen zu einem breiten Strich und  die Schultern nach oben, um sie anschließend resignierend fallen zu lassen. Wir stehen auf seinem Balkon und schauen nach unten. Nur weil Errungenschaften einmal erkämpft wurden, heißt es nicht, dass sie für immer Bestand haben. Nach unten geht es schnell.

Es ist schon später Nachmittag als wir bei Pablo aufbrechen. Wir müssen uns beeilen, um noch bei Tageslicht mit der Seilbahn fahren zu können. Als ich in die Gondel einsteige, fühle ich mich wie im Wanderurlaub in den Alpen. Unter mir steht eine Kuh auf einen Wiesenabschnitt zwischen Fluss und Straße. Ansonsten verwandelt sich das grün jedoch schnell in Ziegelrot. Soweit ich blicken kann Häuser. Vereinzelt sind sogar einige Wellblechdächer bemalt. Die Gondel ist hier ein normales Verkehrsmittel wie Bus und S-Bahn. Wir fahren einige Minuten bis zur letzten Station. Ich frage mich wie sich die Menschen vorher bis zu ihren Häusern geschleppt haben. In den Stadtteilen wo Seilbahnen installiert wurden ist die Kriminalitätsrate drastisch gesunken.

Fazit

Ja Medellín ist schön, modern und erinnert an europäische Metropolen. Doch das hat mich nicht fasziniert. Es ist der Wandel. Der Umgang mit der Geschichte. Die Stärke, die in der Kunst an den Wänden und in den Zeilen der jungen Rapper und Poeten steckt. Der Mut für Veränderung und der Glaube an die Zukunft.

 


Aug 10 2018

100 Tage Exklusiv-Interview mit Rosa!

Wie ist es eigentlich so lange zu reisen? 100 Tage war Rosa unterwegs, als ich sie interviewt habt. Es lohnt sich reinzuhören, denn sie wird auch ein Geheimnis lüften (-;

hier klicken und dann starten


Jul 28 2018

Vivir mi Vida – Lebe mein Leben

von Karl, Medellín, 22. Juli 2018

 

 

Liebe Leser*innen. Bitte, bitte dreht die Musik laut auf, öffnet den Link in einen neuen Fenster und versucht mitzusingen. Vivir mi Vida, d.h. Lebe mein Leben. Bevor ich mehr von der Hauptstadt des Salsas erzähle, braucht ihr das Gefühl und Leben von Salsa. Also jetzt hier klicken, dann nach dem Lied etwas leiser drehen und zurück auf diese Seite kehren!

Vivir mi Vida – Marc Anthony

Willkommen in Cali, der Hauptstadt des Salsas. Natürlich waren wir weg. Ein riesiger Schuppen am Rande der Stadt. Luftig aufgebaut mit tausenden Tischen und kleinen Tanzflächen. Verteilt in den verschiedenen Bereichen. Wieder wird ein Salsa-Klassiker aufgelegt und gemächlich erheben sich die Menschen von den bunten Plastiktischen und beginnen Salsa zu tanzen, als wenn es das normalste auf der Welt ist. Für mich allerdings eine Herausforderung, nicht so auszusehen, wie all die anderen Backpacker. Die sich nicht darum scheren wie viel Platz sie nehmen und wie weit weg es vom eigentlichen Salsa ist. Rosa dagegen zeigt sich professionell. Getanzt wird nur paarweise.

Kurz möchte ich also etwas Tanzmusik erklären:

Salsa

Salsa heißt als spanisches Wort „Soße“. Entstanden ist es unter den lateinamerikanischen Immigrant*innen in den USA und ist heute sehr verbreitet im spanischsprachigen Lateinamerika. In verschiedenen Salsa-Hochburgen haben sich über die Jahrzehnte verschiedene Spielarten ausgebildet. Z.B. in Kuba oder Puerto Rico. In Cali wird traditionell sehr schnell getanzt. So schnell, dass es schwer ist den Füßen der Könnenden zu folgen.

Bachata

Bachata begann seinen Siegeszug erst in den 60er Jahren in der Dominikanischen Republik. Es ist meist langsamer als Salsa, etwas romantischer. Die Schrittfolge ist sehr leicht und besteht vor allem darin zwei Schritte nach rechts und wieder zwei Schritte nach links zu machen. und so klingt’s (einfach drauf klicken)

Merengue

Merengue stammt von der Landbevölkerung der Dominikanischen Republik und hat auch einen einfachen Tanzstil. Bei jedem Takt wird einfach ein Schritt nach vorn, zur Seite oder nach hinten gemacht. Alle drei Tänze haben gemein, dass der Hüftschwung sehr ausgeprägt ist, und dadurch die Schultern eigentlich gar nicht bewegt werden. und so klingt’s

SalsaChoke

SalsaChoke ist eine neue Mischung aus Salsa und Reggaeton, die gerade die Tanzflächen erobert hat. Reggaeton ist vor allem in der Karibik und damit auch in Kolumbien beliebte Musikrichtung, die sich aus Reggae, R&B, Hip-Hop, Rap und auch europäischer Disko-Musik entwickelt hat. und so klingt SalsaChoke und so Reggaeton

Thematisch geht es in vielen Liedern um die verlorene Liebe. Die oder der Angebete möchte meist nicht, wie der oder die Sänger*in. Auch etwas europäischer Elektro wurde an dem Abend gespielt. Letzteres wird natürlich nicht mehr paarweise getanzt. Sondern im klassischen Disco-Kreis. Wichtig ist vermutlich, einfach keine Angst zu haben. Wie hat schon Marc Anthony in Vivir mi Vida gesungen:

Manchmal kommt der Regen
Um die Wunden zu reinigen
Manchmal nur ein Tropfen
Kann die Dürre überwinden
Und warum weinen?
Wenn ein Schmerz schmerzt, vergiss es
Und warum leiden?
Wenn das die Lebensweise ist, musst du es leben

Da unserer Mutti immer wieder die Augen zufallen, entscheiden wir uns, den Heimweg anzutreten. Ja, ihr lest richtig, wir waren nicht mit der Couchsurferin unterwegs, sondern mit ihrer Mutti. Sie hat sich extra etwas schick gemacht und wir sind zu dritt losgezogen. Die Mutti hat uns auch so behandelt, als wenn wir ihre Kinder wären. Bis dahin, dass sie einmal Rosas Shirt gerade gezupft hat. Begonnen hat sie damit, dass sie uns bis zur Bushaltestelle gebracht hat, um dann zu schauen, dass wir auch wirklich in den richtigen Bus einsteigen. Ansonsten waren wir natürlich bestens umsorgt und sind dankbar, dass sie das Sofa in ihrer kleinen Wohnung mit uns geteilt haben.

Cali selbst liegt in einem Tal mit schicken Fluss. Durch die vergleichbar geringe Höhe (1000m über NullNull), ist es auch sehr warm. Busse verkehren auf eigenen Busspuren und bringen einen rasend schnell überall hin. Es gibt neuere große Fußgänger*innen-Zonen und viele Hochhäuser. Manche gleichen dem Baustil „sozialistischer Realismus“ und könnten so auch in Osteuropa oder Ostberlin stehen. An anderen Stellen finden sich sehr lebhafte und enge Straßen mit Verkaufsständen aller Art.

Cali ist berühmt geworden mit einem von zwei Drogen-Kartellen, dem Cali-Kartell, welche den Großteil des weltweiten Kokain-Handels ausmachten. Das Gramm Kokain kann in Kolumbien schon für 3 Dollar produziert werden, während ist in den USA 3000 Dollar wert ist. und dann wird es in der Regel noch auf 30% gestreckt. Mittlerweile hat der Krieg gegen die Drogen seine Spuren hinterlassen und die aktuellen Händler*innen gelten als „invisibles“ (Unsichtbare). Kein Prunk, kein Palast, kein fettes Auto mehr. Das Geschäft aber geht weiter.

Direkt an Cali drann liegt ein Berg mit drei großen weißen Kreuzen, die auch nachts leuchten. Wir machen uns auf, diesen Berg zu beklimmen. Jedoch gleicht es streckenweise einer felsigen Kletterpartie, als dem gemütlichen Wandern. Nach mindestens einer Stunde starken Schwitzens lassen wir uns auf die Bank unter den Kreuzen fallen. Als wenn das kein Training genug ist, gibt es hier noch einige Trainingsgeräte im Freien. Zu unseren Erstaunen, sind auch einige sportlich dabei und nicht nur dass, einige joggen sogar auf den Berg. Verrückt!

Was soll ich noch dazu sagen? oder um es nochmal mit Marc Anthony zu sagen:

Ich werde lachen, ich werde tanzen
Was soll ich weinen? Warum leiden?
Fang an zu träumen, zu lachen
Ich werde lachen, ich werde tanzen
Fühlen und tanzen und genießen
Dieses Leben ist eins
Ich werde lachen, ich werde tanzen
Lebe, folge, immer weiter, schau nicht zurück
Das!
Meine Leute, das Leben ist eins
Ich werde lachen, ich werde tanzen
Lebe mein Leben – Vivir mi Vida!

PS.: das sind unsere ersten Orte in Kolumbien:


Jul 27 2018

Verschlafen

von Rosa

Berge, blauer Himmel, mein Kopf nickt nach links und ich bin wieder weg. Wald, ein paar Wolken, mein Kopf nickt nach rechts und ich bin wieder weg. Von den ersten Stunden in Kolumbien bekomme ich nicht viel mit. Die Nachtfahrt zur Grenze, das Warten bei der Passkontrolle und die zwei Naux (Reisetabletten) lassen mich die gesamte Strecke nach Popayán schlafen. Selbst im Busbahnhof fällt mein Kopf auf den Rucksack und so bekomme ich nicht mit, dass Karl in der Zwischenzeit schon kolumbianische Pesos besorgt, unsere Couchsurferin kontaktiert und Mittagessen gefunden hat. Für 1 Euro erhalten wir 3.300 kolumbianische Pesos und so haben wir kurzerhand ziemlich viel Geld in der Hand. Neben meinem improvisierten Schlafplatz rutschen zwei Mädchen in auffälligen Kleidern und kunstvoll frisierten Haaren über den Boden. Viele Mädchen werden hier sehr heraus geputzt, sodass sie wie kleine Disneyprinzessinnen aussehen. Die Nägel der Kleinen knallbunt, Ohrringe und Lackschuhe. Bei dem Spielverhalten der beiden wären allerdings eher Jogginghose und Turnschuhe angebracht.

Kurz bevor ich wieder einschlafe, kommt Annie unsere Couchsurferin um die Ecke. Annie ist klein, hat braune Augen, dunkle Haare und ein ansteckendes Lächeln. Wir sind ihre ersten Couchsurfer. Sie ist etwas aufgeregt. Wir fahren eine lange Straße hinunter in den Stadtteil El Bosque. In einer Seitenstraße steht ein unfertiges Haus auf einer Wiese. Annie wohnt hier mit ihrem Vater. Popayán wurde schon 1537 gegründet und viele bedeutende Politiker Kolumbiens kamen aus der Stadt. Heute ist Popayán eine Studentenstadt und auch Annie ist hier um Chemie an der Universität von Cauca (eine Provinz) zu studieren. Das Studieren an staatlichen Universitäten ist in Kolumbien kostenfrei bis zum Master. Deswegen will Annie ihren Master in Spanien oder Argentinien machen, um ein bisschen Geld zu sparen. Politischer Protest gehört an staatlichen Universitäten zur Kultur erzählt uns Annie. So fiel im letzten Semester für drei Monate die Uni aus, weil die Studierenden streikten. Mein Körper scheint sich auch im Streik zu befinden und schnell schlafe ich nach dem Abendbrot ein.

Am nächsten Morgen bin ich dann mehr oder weniger wach. Wir fahren in die Innenstadt um an einer Free Walking Tour (Stadtführung auf Spendenbasis) teilzunehmen. Was uns als erstes auffällt, sind die weißen Kolonialhäuser, weswegen Popayán auch weiße Stadt genannt wird. Die Menschen bestrichen ihre Häuser mit Kalk, um sich vor einem Schädling zu schützen, der sich in die Haut bohrt. Unsere drei Tourguides zeigen uns Bilder von dicken, aufgeblähten schwarzen Füßen. Es sieht schmerzvoll aus. Aber man sagte den Menschen, die mit diesen Schädlingen lebten, besondere Weisheit nach. Einige Häuserecken wurden vom weiß ausgespart, damit sich die Menschen dort die Füße kratzen konnten, ohne das weiß zu beschmutzen. Einmal im Jahr werden heute noch alle Wände der Innenstadt neu geweißt, um die Stadt im besten Glanz zur berühmten Semana Santa (Osterwoche) zu präsentieren.

Popayán wurde von vielen Erdbeben heimgesucht. 1983 starben über 50 Menschen, weil sie in einer Kirche Schutz suchten und das Kuppeldach einfiel. Allen Erdbeben standgehalten hat eine Brücke, die von einem italienischen und deutschen Mönch konstruiert wurde. Beide Architekten mussten ein Mittagessen unter der Brücke einnehmen, um der Bevölkerung zu beweisen, dass die Brücke stabil ist. Wie würden die Mathematiker sagen: Was zu beweisen war. Auf dem Berg „Tres Cruzes“ (Drei Kreuze) gibt es eine Erfrischung bestehend aus gepresstem Zuckerrohr und ein bisschen Orange. Es ist sehr sehr süß. Generell ist vieles sehr süß in Kolumbien. Sogar das Brot ist in den meisten Fällen mit Zucker versetzt. Wir müssen uns erst noch daran gewöhnen. Als uns dann noch caña de azúcar (Zuckerrohr) angeboten wird, lehnen wir freundlich ab, währenddessen alle anderen fröhlich darauf rumknabbern.

Nach der Stadttour erkunden wir auf eigene Faust die Innenstadt von Popayán. An diesem Sonntag scheint auch die Stadt verschlafen. Die Geschäfte sind geschlossen, die Fensterläden zugeklappt und ein Haus gleicht dem anderen. Alles wirkt sehr gemütlich und gemächlich, was uns bei der Hitze auch sehr entgegenkommt. Wir besuchen das Museum des ehemaligen Präsidenten Guillermo Leon Valencia. Doch außer vielen Porträts von ihm und denen seiner Eltern, Tanten, Großtanten und weiteren wichtigen Familienmitgliedern gibt es nicht viel zu sehen. Dann machen wir uns lieber auf den Weg zum Morro de Tulcán. Einem Hügel von dem aus sich uns ein Rundblick über die Stadt bietet. Dieser Hügel wurde von einem Volk der prekolonialen Zeit als Erdpyramide errichtet. Die Bestimmung ist unklar. Heute ist sie Ausflugsziel für Familien. Rechts neben mir spielt ein Junge mit einem bunten Windrädchen. Bei der Familie vor uns hat jeder seine eigene Chipstüte, die gemütlich aufgegessen wird. Schaue ich nach links kommt ein Lama und ein Junge auf mich zu. Der Junge versucht vergeblich uns und die anderen zu einem Foto mit dem flauschigen Tier zu begeistern.

Auf dem Weg zurück in die Stadt kommen wir am Mora Castilla vorbei. In diesem Restaurant werden kolumbianische Spezialitäten serviert. Wir probieren Salpichón. Ein Getränk aus gestoßenem Eis und Früchten. Wie eine Eisbowle nur ohne Alkohol. Das rote Getränk ist sehr lecker und erfrischend. Dazu gibt es Empanadas (Teigtaschen) gefüllt mit Kartoffeln und Erdnusscreme. Annie bringen wir noch Kekse als Gastgeschenk mit, die uns an Weihnachtsplätzchen erinnern. Zum Abendbrot kochen wir Pasta und Annie Arepas. Das sind kleine runde Fladen, die aus Maisteig gebacken werden und je nach Belieben mit Käse oder Hühnchen belegt werden. Ich belasse es bei einem Probierstück. Annie zeigt uns auf Youtube typisch kolumbianische Musik und Orte, die wir unbedingt besuchen sollen. Als wir am Ende auf unsere Liste schauen, stehen dort so viele Orte, dass wir die nächsten 6 Monate auch ohne Probleme nur in Kolumbien verbringen könnten. Annie reist am nächsten Tag zu ihrer Familie und wir fangen mit unserer Liste in Cali an. Auf der Fahrt dorthin bekomme ich kein Auge zu – Ausgeschlafen.


Jul 20 2018

Über den Wolken … Quitos

17. Juli 2018, Cali, von Karl

 

 

Und nochmal nehme ich Schwung, um über die Stadt zu schwingen. Unter mir breitet sich die 2-Millionen-Metropole Quito aus. Von links nach rechts, d.h. von Nord nach Süd quetscht sich die ecuadorianische Hauptstadt zwischen zwei Anden-Gebirgszügen. Ich schaukele auf 4000m während Quito es sich auf 2800m bequem macht. Die jeweiligen Enden der über 50km längs messenden Stadt sind von meiner Schaukel aus, nicht zu erkennen. Durch das Tal ist Quito aber kaum breiter als 3km.

Mein Finger werden langsam kalt, aber das fliegende Gefühl will nicht gehen. Die Sonne bricht durch die Wolkendecke und setzt mich in eine goldene Umgebung, sowie einen Punkt unter mir in der Stadt. Hinter mir versinkt der Rucu Pichincha in tiefer kommenden Wolken. Einer der 12 Vulkane rund um die Stadt. Keiner davon könnte Quito mit Lava bedrohen, aber Erdbeben und Ascheregen haben diese Stadt, wie auch andere in den Anden schon öfters heimgesucht. Die Innenstadt soll angeblich schon mindestens viermal neu aufgebaut worden sein.

Die Natur auf 4000m ist durch goldenes Büschel-Gras gekennzeichnet. Auf dem Gebirgskamm zum Gipfel verläuft der Wanderweg, der mit großen Achtungsschildern gekennzeichnet ist. Ab hier nur mit Spezial-Ausrüstung und Erfahrung. Nur wenige Bäume, meist kleine, gedrungene, die mit wenig Wasser auskommen. Wenige Blumen trotzen dem kalten Wind. Dem kalten und steifen Wind. Nur noch 6 Grad sind hier. In Quito dagegen ist T-Shirt-Wetter.

Immer wieder lasse ich den Blick über die karge Steppe kreisen. Es ist ein unwirklicher Anblick. Es ist eine andere Natur. Eine im Kampf mit der Umwelt. Die Pflanzen im Kampf mit der kalten Höhe. Natur gegen Natur. Dazwischen die Schilder, die diese fantastische Welt schützen wollen, vor Fahrzeugen und zu vielen Touris.

Weiter südlich liegen Wolken im Seitental. Ich schaue auf die Wolken. Von oben. Ohne im Flugzeug zu sein. Sie liegen, ohne Eile, in den Tälern. Sie werfen Schatten auf das südliche Quito. Es sind längliche Zuckerwattefetzen im feinsten Weiß.

Als ich von der Schaukel steige und ein letztes Mal den gegenüberliegenden Gebirgszug mit meinem Blick streife, sehe ich den Cayambe. Einen schneebedeckten Vulkan. Nun ragt er über dem Wolkenstreifen heraus und wird golden von der Sonne angestrahlt. Durch die Erfahrung mit dem hiesigen Höhenunterschied, ist es erst recht vorstellbar, wie kalt, windig und dünn die Luft dort ganz oben sein muss. Der Cayambe liegt nur unweit des Äquators, und hatte einen Gletscherausläufer der als einziger vereister Punkt auf dem Äquator galt. Durch den Klimawandel gibt es ihn aber nicht mehr.

Vormittags hatten wir uns aufgemacht, zum Äquator. Wir haben diesen zwar schon in Brasilien mal Nachts schlafend überquert, aber hier gibt es ein Denkmal. 20km nördlich von Quito, ziemlich einfach mit dem Bus zu erreichen. Besser gesagt, ein großes Monument mit haufenweise kleiner Museen und Infotafeln. Eine Touri-Attraktion die ihren Preis hat.

Gefeiert wird dieser Punkt, weil mal ein Europäer per Expedition hier den Äquator bestimmt hat. Das erste Mal, aus europäischer Perspektive. Ehrlicherweise wurde später eine archäologische Stätte aufgetan, die darauf hinweist, dass schon die Indigenen vor Kolumbus‘ Reise wussten wo der Äquator ist. Und sie lagen richtig, denn wer mit GPS-Gerät kommt, wird am Touri-Hotspot 200m zu weit südlich stehen.

Nebenan steht ein moderner riesiger Glasbau der UNASUR, der Union südamerikanischer Staaten. Vergleichbar mit der EU, nur nicht ganz so ausgebaut. Bislang gibt es mehr Ideen als Projekte. Die Transocéanica, eine Straßenverbindung von Brasilien nach Peru, also vom Atlantik bis zum Pazifik, ist das aktuelle Großprojekt. Ansonsten sind sich die Staaten wohl selten einig.

Wir sind schon ein paar Tage da und haben auch einen Tag verlängert, weil wir mehr sehen möchten. Empfehlenswert: Das Museum über den Künstler Camilo Egas. Einer der wichtigsten indigenen Künstler Ecuadors. Nicht nur, dass seine indigene Perspektive sehr spannend ist: Einige Werke sind sehr sozialkritisch und haben sich mit dem historischen Faschismus beschäftigt. Wem Malerei trotzdem nix ist, der gehe bitte am Plaza Grande in die aktuelle Yoko-Ono-Ausstellung des Centro Cultural Metropolitano. Dort finden sich viele Mitmach-Sachen, die zum Nachdenken anregen, aber auch Bilder von der „War is over“-Kampagne (zu deutsch: der Krieg ist vorbei) und feministische Texte. Allerdings unklar bleibt mir, wieso eine alte ausgetrunkene Plastik-Wasser-Flasche Kunst sein kann. Es wäre gar nicht aufgefallen, wenn ich diese gegen meinige ausgetauscht hätte.

Yoko-Ono-Ausstellung: IMAGINA LA PAZ (deutsch: Stell dir Frieden vor). Auf verschiedenste Karten gestempelt

In einer Free Walking Tour, eine spendenbasierte Stadtführung, erfahren wir noch so einiges mehr über Ecuador: Für den Ankauf der Scheine und Münzen bezahlt Ecuador für jede Münze und jeden Schein je einen Dollar an die USA. Deswegen sind auch ecuadorianische Münzen im Umlauf mit dem gleichen Wert. Diese werden in Ecuador hergestellt.

Ecuadors Export besteht nicht nur aus Erdöl und Bananen. Auch Schnittblumen werden in großem Stile in den globalen Norden versandt.

Wem der Rucu Pichincha eine Nummer zu viel ist, der kann in Quito auch den Aufstieg auf einen innerstädtischen Hügel wagen, auf dem eine viel zu große Madonnen-Figur thront. Von hier aus gibt es einen fast 360-Grad-Blick über die Stadt. Der Hügel liegt direkt am Rande der Altstadt. An deren anderen Ende überragt eine Basilika die Stadt. Hier ist der Ausblick kostenpflichtig, dafür aber mit etwas mehr Abenteuer-Punkten. Im Inneren des Daches führt der Weg erst über Holzbalken, die gerade so viel Platz lassen, dass sich zwei Leute aneinander vorbeiquetschen können. Danach folgt innen und außen der Aufstieg über sehr steile Metalltreppen.

Doch keiner der Aufstiege nimmt es mit der Seilbahn auf, mit der wir auf 4000 Meter gefahren sind. Von der Bodenstation am Rande Quitos aus, überwinden die geschlossenen Kabinen über 800 Höhenmeter. Auch der Ausblick ist atemberaubend und nicht nur, weil die Luft so dünn ist (Wortwitz inklusive).

Nur widerwillig fahren wir nach unten und lassen diesen zauberhaften Ort hinter uns. Morgen soll es weitergehen, sodass wir eine der letzten Busfahrten in der Stadt antreten. Wir haben uns einige Mal verfahren, bis ich geschnallt habe, wie das Schnell-Bus-Netz sich aufbaut. Es ist unverzichtbar, bei den langen Strecken und vielen Hügeln. Durch die Bus-Spuren, abgegrenzt von der eigentlichen Straße, sind die Busse auch ziemlich flott unterwegs.

sehr flottes Schnell-Bus-System mit eigenen Spuren

Bei unserer Couchsurferin angekommen, finden wir allerdings ein kleines Massaker vor. Sie selbst ist oft unterwegs, auf Arbeit oder mit ihren Hunden im Park. Ihre Hunde essen mit Vorliebe alles mögliche, darauf hat sie uns hingewiesen und wir auch immer alles feinsäuberlich in Schränken versteckt. Doch diesmal scheinen wir Sachen vergessen zu haben und diese liegen nur zerfetzt am Boden. Das wichtige Reisebuch ist zerflettert, die Jacke hat kaum Schäden und die Postkarten für euch … naja ziemlich angenagt. Also nicht wundern.

Bevor ich aber zum letzten Absatz komme: Den besten Morocho und gute Empanadas gibt‘s bei Rey Morocho. Das ist jetzt nicht im Zentrum, aber wie wir finden: Der Weg lohnt sich.

Nun aber: Am nächsten Tag sind wir nach langem Faulenzen zum Busbahnhof gefahren. Der Weg dorthin war mit den schweren Rucksäcken im Stadtbus eine besondere Herausforderung. Da jedes Schalten durch Busfahrer*innen in der Regel dazu führen, dass sämtliche Fahrgäste einmal von der Heckscheibe zur Frontscheibe fliegen und wieder zurück. Auch wenn so viele Menschen im Bus stehen, dass Umfallen nicht möglich ist.

Unsere Busfahrt beginnt gegen Mitternacht und wir erreichen die Grenze kurz vor vier Uhr. Schneller als gedacht. Wie schon am Busbahnhof warten viele Venezolaner*innen auf ihre Weiterreise. Wir reihen uns zwischen Ihnen ein und können nach fast einer Stunde Stempel in die Reisepässe bekommen. Wir schlängeln uns zwischen den vielen Rollkoffern, Taschen und Decken der Flüchtenden hindurch und verlassen das Land, dass uns mit einem großen Schild freundlich verabschiedet.


Jul 19 2018

Peace, Love and Rock’n’Roll

von Rosa

Und am Ende der Straße steht ein Haus am See,
Orangenbaumblätter liegen auf dem Weg,..,
alle komm’n vorbei, ich brauch nie rauszugehen

-Peter Fox-

Marcello, unser Host, schiebt das Tor zu seinem Garten auf. Doch stellt euch diesen Garten nicht wie einen ordentlichen Vorgarten mit gemähtem Rasen und womöglich noch zwei grinsenden Gartenzwergen vor. Stellt euch das Gegenteil vor. Alles wächst wo es will, bunt, kreuz und quer. Es wuchert hoch hinaus, Blumen zwischen Bäumen. Keine Beete,keine Begrenzung, keine Ordnung. Frei und chaotisch so ist auch Marcello. Ein dünner kleiner Mann Mitte 40. Aus seiner dunkelgrünen Wollmütze schaut langes graues Haar hervor. Einen drei oder sagen wir eher zehn Tagesbart umrandet sein freundliches Lächeln. Er bittet uns in sein großes Holzhaus, das wie ein altes Kolonialhaus in den Tropen aussieht. Die Dielen knarren, im Wohnzimmer hängt ein kaputter Kronleuchter. Auf dem Tisch in der Mitte des Raumes steht ein großes Schachbrett. Die Partie wurde scheinbar nicht zu Ende gespielt. Stühle darum wahllos verteilt. Marcello entschuldigt sich für das Chaos. Gestern wäre eine Fiesta in seinem Haus gewesen mit Menschen aus Argentinien, Frankreich, USA, Venezuela und Jena. Jena? Scheinbar habe ich richtig gehört und in dem kleinen verschlafenen Dorf namens Mindo gibt es noch jemanden aus Jena. Sarah, so heißt die Jenaerin, will später noch vorbei kommen. Im zweiten Stock können wir unser Nachtlager aufschlagen, zwischen einem Schreibtisch mit alter Schreibmaschine und Balkon spannt Karl seine Hängematte. Dort wo ein Fenster sein sollte, wurde kein Glas eingebaut und so wohnt auch einiges Krabbeltier in diesem Haus. Internet Fehlanzeige.

Im Garten wachsen Orangenbäume, deren Früchte wir mit ein paar langen Holzstäben ernten können. Doch das ist gar nicht so einfach. Marcello sticht ein paar mal in die Baumkrone. Mehr als Blätter fallen allerdings nicht herunter. Nach ein paar weiteren Versuchen kullern die Orangen über den Boden und ich habe Mühe sie im Gestrüpp wiederzufinden. Bei Kaffee und Orangen unterhalten wir uns über Gott und die Welt, Frauenbewegungen in Ecuador, Korruption und Schwarzbrot. Unser Gastgeber hat mehrere Jahre in Leipzig gewohnt und schwärmt noch immer vom dunklen Körnerbrot und den feministischen Bewegungen in Deutschland.

Wir verabreden uns für den Abend zum Pizzabacken und erkunden in der Zwischenzeit den Ort. Mindo ist von hohen grünen Bergen umgeben, deren Spitze meist im Nebel hängt. Bis ins Dorf laufen wir einen kleinen Hügel hinunter.Vorbei an mehren Hostels, Restaurants und Tourenanbietern erreichen wir das Ende des Dorfes innerhalb von zehn Minuten. Wir schauen uns um, Essen hier eine Empanada (Teigtasche mit Käse), trinken da einen Kaffee und besorgen Käse und Basilikum für die Pizza. Ab und zu begegnen uns Touristen in Wanderschuhen. Die wollen wir aber erst morgen anziehen.

In der Küche knetet Marcello gerade Teig, als wir nach Hause kommen. Er trägt jetzt seine Haare zu einem Kneul auf dem Kopf gebunden und einen hängenden Ohrring im rechten Ohr. Die Frau am Küchentisch dreht sich ein Zigarette und kommt tatsächlich aus Jena. Im November hat Sarah ihr Studium beendet und dann in Kolumbien Deutschunterricht gegeben. Wir sich später herausstellt, haben wir vor zwei Jahren an Silvester auf der gleichen Party getanzt. Das Backen der Pizza dauert. Es wird improvisiert mit den wenigen Küchenutensilien, die vorhanden sind. Doch das Warten lohnt sich. Die Pizza schmeckt sehr lecker. Die Küchenabfälle soll ich aus dem Fenster schmeißen. Einfach die Schalen soweit wie möglich werfen. Den Rest macht die Natur, meint Marcello. Bei dem feuchten Klima würde alles schnell verrotten. Das habe ich auch schon von den Kaffeebauern in Peru gehört. Pünktlich zum zweiten Pizzablech kommen fünf weitere Gäste aus Frankreich in das Haus im Wald. Unter anderem Lucas. Er ist mit dem Segelschiff nach Südamerikas gekommen, trägt weite Kleidung und ebenfalls einen großen Ohrring und zwei Rastazöpfe. Später kommen dann noch Alex aus Argentinien und Marco aus Venezuela dazu. Der Abend vergeht mit einigen Partien Schach, Salsa und selbstgebrauten alkoholischen Getränken, deren Geruch mich hätte abschrecken sollen. „Compartir“ heißt das Lebensmotto von Marcello. Teilen. Er teilt sein Haus, sein Essen und seinen Tabak. Als die letzten Gäste verschwunden sind, ist der Nachtisch endlich fertig. Chicha – frittierte Maiskörner. Aus den Lautsprechern klingt die Stimme von Elivis und animiert uns zum Tanzen. Rock‘n‘Roll bis der Kronleuchter wackelt und das Parkett nachgibt.

Ich renn bergauf, rolle bergab
durch die Pampa und durch die Stadt
gradeaus, zerkratz mein Lack
zack, mit’m Kopf durch die Wand, bis es knackt

Ich renn durch mein Leben wie ’ne Lok auf zwei Beinen
Ein Hund kann nicht krähn, ein Fisch kann nicht schrein
und ich kann nicht stehn bleibn, ich bin ’n rollender Stein.

-Peter Fox-

Die Nacht war kurz. Eigentlich wollten wir mit dem Taxi zum Eingang des Nationalparks fahren. Doch dieses eigentlich bedeutet, dass wir gelaufen sind. Wie fast immer. Wenn etwas zu Fuß zu erreichen ist, dann gehen wir. Vielleicht ist das unser Sportersatz in Südamerika. Fünf Kilometer bergauf bis zur Seilbahnstation. Dort können wir festgeschnallt an unserem Bauch und eingehakt in ein Drahtseil über den Regenwald rutschen. Nach einer kurzen Einweisung geht es endlich los. Das Ende der Seilstrecke ist von hier nicht zu erkennen. Ich bekomme einen Schubs und schon sause ich über das grüne Meer von Bäumen. Ein tolles Gefühl. Ich öffne die Arme und schreie ohne es zu wollen laut Wuhuu. Unter mir ist nur ein grünes Blätterdach zu sehen. Jeder einzelne Fahrt macht Spaß. Ich versuche es kopfüber mit den Beinen nach oben, schaukle hin und her oder wir werden von dem Tourguide so gedreht, dass wir am Seil hin und her hüpfen. In meinem Kopf verfestigt sich der Wunsch als Vogel über Mindo wiedergeboren zu werden. Mal sehen, ob es klappt.

Nach dem Adrenalinschub wandern wir weiter nach oben zur Tarabita. Diesmal hängen wir zwar auch an einem Seil, aber wir sitzen dabei in einer offenen Gondel. Schneller als gedacht, saust der gelbe Korb bis zum anderen Ende. Dort erwartet uns eine spektakuläre Naturwanderung. Der schmale Wanderweg führt uns zwischen hohen Bäumen entlang über große Wurzeln und Steine. Rauf und wieder runter. Links und rechts Riesenfarne und Agaven. Lianen schlängeln sich um die Bäume. Äste wachsen kunstvoll umeinander. Dazwischen rote, gelbe und pinke Blumen und immer wieder kreuzen Libellen und Schmetterlinge in den buntesten Farben unseren Weg. Das Highlight der Wanderung sind die Wasserfälle, die sich fünf bis zehn Meter in die tiefer stürzen. Man wartet jeden Moment darauf, dass Fabelwesen aus dem Wasser steigen, so magisch wirkt dieser Ort. Das Wasser ist klar und die perfekte Abkühlung in der tropischen Hitze. Also werde ich selbst zur Nixe und tauche unter den Wasserfall. Als ich auftauche sitzt ein große Vogel neben mir auf einem Stein. Er schreckt auf und bahnt sich seinen langen weg durch die Baumkronen ins Licht. An diesem Ort zu sein, muss das Glück sein von dem so viele sprechen.

Wir sitzen beim Frühstück und Marcello macht für uns kleine gebratene Bananen. Kleines Gold heißen diese Bananen hier. Im Wohnzimmer meditiert Lucas mit seiner Klangschale. Als er fertig ist, verabschiedet er sich von uns mit den Worten: Wir sehen uns im nächsten Leben. Vielleicht als bunte Vögel in Mindo, scherze ich. Marcelllo klopft ihm auf die Schulter und wirkt in diesem Moment wie sein Vater. Er wünscht ihm viel Glück mit Sarah. Darauf entgegnet Lucas, dass sie nur eine gute Freundin ist. Marcello lächelt und meint zu ihm „Ihr Europäer, nie bereit für die Liebe“. Wir lachen.

Bevor es für uns weiter nach Quito geht, wollen wir noch Tubing ausprobieren. Dabei sind sieben Reifen mit Seilen aneinander gebunden. Auf dieser Konstruktion fährt man dann auf einem Fluss mit Stromschnellen und Steinen runter. Klingt gefährlicher als es ist, doch man bekommt schon ganz schön Tempo und wird ordentlich nass. Mit uns auf der Fahrt sind zwei Studentinnen aus Israel, die den ganzen Spaß mit ihrer Actionkamera filmen. Nach einer halben Stunde und ein paar blauen Flecken ist unser Wochenende in Mindo vorbei und unser Adrenalinpegel normalisiert sich wieder.

Als kleines Dankeschön pflanzen wir in Marcellos Garten noch Sonnenblumen. Marcello hat uns mit seiner Lebensweise beeindruckt. Für sein Haus im Glück zahlt er 170 Euro und für sein Leben nochmal 85 Euro. Er arbeitet als Psychologe und Therapeut immer dann, wenn er daran Freude hat. In der Küche sitzen schon wieder zwei neue Gäste, denen er gerne etwas von seinem Glück abgibt. Wovon Peter Fox noch träumt, hat Marcello schon längst erreicht. Nur das sein Haus im Wald und nicht am See steht. Aber wer braucht schon einen See, wenn man unter einem Wasserfall duschen kann.

 

 

Der Bus schiebt sich langsam den Berg hinauf und ich denke mal wieder „Que lindo es Mindo“ (Wie schön ist Mindo). Fast so schön wie Mindo ist auch die Fahrt nach Quito. Ich klebe an der Scheibe und staune. Das grüne Meer will nicht enden. Palmenbewachsene Berghänge, Schluchten und der Nebel, der sich über das Tal legt. Meine Augen möchten zufallen, doch ich will den Moment konservieren. Als ich aufwache, ist das grün dem schwarz gewichen. Dazwischen tausend helle Lichtpunkt. Wir sind in Quito.


Jul 12 2018

Zwischen Ford, Dodge und Volkswagen

11. Juli 2018, Quito, von Karl

 

Tag 1 … der erste Eindruck von Quevedo

Ich mache meine Hängematte mit dem weißen Seil an dem rostigen Metallpfeiler fest. Für das andere Ende suche ich auch einen Pfeiler, muss aber erstmal das Regal mit verschiedenen Motorölen wegtragen. Ich bringe die Hängematte möglichst weit unten an, damit sie, sollten die Seile an den vertikalen Pfeilern rutschen, ich nicht so schmerzhaft falle. Ganz langsam setze ich mich in die Hängematte und nach einigen knacken, scheinen die Seile fest genug für die kommende Nacht.
Während des Probeliegens beobachte ich mein heutiges Schlafgemach erneut. Links stehen mehrere größere Autos, an denen das ein oder andere aus- oder abgebaut wurde. Wenn ich meinen Kopf überstrecke kann ich an Rosas Hängematte vorbei Cesar beim Arbeiten beobachten. Gerade baut er an dem hintersten Fahrzeug und hantiert mit einer Leuchte. Der schlanke 30jährige, der meines Erachtens nach viel jünger aussieht, bietet uns diese Nacht eine besondere Schlafgelegenheit. Seine Auto-Werkstatt. Sie hat ein sehr hohes Dach und eine große Toreinfahrt in den Hof.

unser Schlafplatz für zwei Nächte in Quevedo

Der Hof ist weitläufig und bietet noch anderen Kfz-Arbeitenden und Wohnenden Zugänge. Alle aber trennt ein großes Metalltor zur Straße. Auf dem Hof bellen oder schlafen vier Hunde. Auch erreichen wir so die Toilette in der hinteren Ecke des Hofes, wobei der Eimer mit dem Wasser nicht fehlen darf, der hier die Spülung ersetzt. Es gibt ein Wasserhahn beim Tor.
Cesar möchte noch bis 6 Uhr arbeiten. Er macht einen ernsten und beflissenen Eindruck. Er hat eine Mission und die ist sein Leben den Autos zu widmen. Sein Traum ist es, mit der Werkstatt und größer und erfolgreicher zu werden. und daran arbeitet er ununterbrochen. Stich um 8 Uhr frühs beginnt er und legt die Leuchte erst um 6 Uhr beiseite. Ungewöhnlich pünktlich.
Standesgemäß setzt er uns in ein Auto einer Kundin oder eines Kunden und wir düsen durch Quevedos frischer Nacht. Durch den Ort den uns kein Reiseführer je empfohlen hat. Auf dem Weg nach Mindo, bleiben wir dort hängen, weil wir abseits der empfohlenen Touri-Pfade Eindrücke sammeln möchten. Bevor wir allerdings losfahren, muss Cesar doch noch etwas an dem Fahrzeug prüfen.
Dann zeigt er uns Quevedo, in dem er aufgewachsen ist und in dem er zurückgekehrt ist und er bleiben möchte. Er hat zwar zeitweise z.B. in Argentinien gelebt, aber schlussendlich hat er seine Freundschaften und Leidenschaft in Quevedo. Die Stadt sei von den Arbeitenden in der Landwirtschaft geprägt und alles mögliche wird in der Umgebung angebaut. Bananen, Kakao, Avocado, und einiges mehr. Sie sei eine Arbeiter*innen-Stadt. Viele Geschäfte die Maschinen, wie z.B. Motorsensen verkaufen, belegen seine Aussage. Auf uns wirkt die Stadt auch nicht touristisch. Es gibt allerdings ein geschäftiges Zentrum, dass alles bietet was unser Herz begehrt. So landen wir in einem schicken Kuchen-Café. Dabei ist zu betonen, dass die Auslage eine riesige Anzahl an Torten und Kuchen bietet. Kuchen, besonders Rührkuchen, waren schon in Peru an vielen Ecken zu haben, aber hier gibt es sie nochmal schicker garniert.

Das gemeinsame Abendbrot wird durch Empanada und Morocho ergänzt. Ersteres sind frittierte Teigtaschen, die wir meist mit Käsefüllung essen. Morocho dagegen ist vergleichbar mit Milchreis, wird aber mit dem hiesigen Mais gemacht und meist in Tassen serviert. Zimt ist noch mit drinn. Der Mais hat größere Körner und ist weiß. Achja, Zucker fehlt natürlich nicht. Der Morocho hat unser Herz erobert.
Unser Heimweg wird durch einen DVD-Laden-Verkäufer noch vermiest. Wegen großen Hakenkreuzen an seinem Geschäft, sprechen wir ihn an, doch er lässt sich von unserem schlechten Spanisch kaum überzeugen, dass die alten Nazis nix tolles sind. Eher möchte er uns noch eine DVD andrehen mit den Dokus die auf History-Channel bzw. N24 laufen. Er ist großer Fan von den Nazis und zeigt uns stolz Photos von seinem Nazi-Opa, verschiedenen Hakenkreuzen die er gemalt hat, bis hin zu einem Hakenkreuz-Ehering. Frustriert lassen wir den alten Mann im Deutschland-Trikot stehen.

Tag 2 … Karaoke

Der eine ganze Tag, den wir in Quevedo verbringen können, wird von uns ganz entspannt gestaltet, zumal es keine Sehenswürdigkeiten gibt. Dann doch wieder Kuchen und Kaffee. Erst abends gehen wir mit Cesar aus und landen in einer der vielen Karaoke-Bars. Keine und Keiner scheint sich hier zu schämen und greift beherzt zum Hefter mit den Liedern und singt dann vom Platz aus sein oder ihr Lied. Cesar ist auch nicht der Fan davon, dafür wechseln wir aber die Bar und treffen Freunde von ihm. So vergeht der Abend mit Bier (das erste war mit gepressten Limetten und Eis) und etwas weniger Karaoke.
Es ist schon spät als wir wieder in der Werkstatt sind, aber Cesar baut trotzdem ganz beflissen sein Zelt auf. Ja, er baut jeden Abend ein Zelt, jedoch nur das Innen-Zelt, nicht das Äußere auf und schläft auf seiner Isomatte. In seiner Werkstatt zwischen den Autos.
Ob er immer hier schläft, frage ich ihn, wohl wissend, dass er ab und zu zu seinen Eltern fährt.
Nee, nicht immer, meint er, erst sein einem Jahr.
Cesar ist eine beeindruckende Person die zielstrebig durch das Leben geht. Wir fragen ihn was er denn mit 1000 Dollar machen würde, die er jeden Monat einfach zusätzlich bekommen würde. Auch da: Sparen, bis er ein besseres Grundstück für seine Werkstatt kaufen kann.

Ölpalmen-Plantage zur Palmöl-Gewinnung

Tag 3 … zwischen den Palmen

Die Nacht war nur sehr kurz und schon springen wir aus den Hängematten. Schon bevor Cesar aufsteht, haben wir alles zusammengepackt und warten am Tor. Dann macht er uns das Tor auf und vor uns steht eines dieser riesigen US-Geländewägen. Ein Kumpel von Cesar sitzt am Steuer. Wir springen auf, denn Cesars Kumpel nimmt uns mit auf seine Plantage. Erst dachten wir, wir sehen eine konventionelle Bananen-Plantage, aber dann stellt sich raus, dass er erst seit ein paar Monaten Ölpalmen anbaut, die er Afrikanische Palmen nennt. Nur etwa zehn Minuten außerhalb Quevedos biegen wir auch schon auf eine Schotterstraße und gelangen auf seine Finca. Er bezeichnet eine Plantage mit Häuschen als Finca. Die Ölpalmen sind dicke und eher kleinere Palmen mit großen ausladenden Blättern. Im Abstand von vielleicht zehn Metern stehen sie geordnet auf der aufgeräumten Wiese.
Auf der Strecke zur Finca haben wir drei Arbeiter mitgenommen und an seiner Finca wartet ein weiterer. Zwei von den Arbeitern könnten auch Jugendliche von nebenan sein. Sie machen die Motorsensen fertig, während Cesars Kumpel, der gleichzeitig auch Besitzer, Chef und Eigentümer ist, sich eine Tüte anzündet und in die Hängematte knallt. Er macht einen ganz Entspannten und lässt, immer wenn er eine durchzieht, auch mal seine Kollegen ziehen. Wir erfahren, dass er noch Hotels in Quevedo und an der Küste besitzt. Auf einer anderen Ölpalmen-Plantage angekommen, beginnen die Arbeiter dann sämtliches Bodenbegründung wegzutrimmen und entfernen Farne von den Ölpalmen.
An einer anderen Stelle zeigt er uns noch weitere Ölpalmen-Plantagen, aber auch welche mit Kakao oder Avocado. Zudem will er ein Hotel, Seilbahnen und eine Motocross-Strecke errichten. Träume kann mensch haben, aber solche … Ich glaube, er kommt aus gut betuchten Elternhaus.

Santo Domingo de los Colores

Tag 4 … Santo Domingo

Zurück bei Cesar nehmen wir unsere Sachen und verabschieden uns von ihm. Unser Weg sollte eigentlich bis nach Mindo gehen, doch wir übernachten in der Nähe des Busbahnhofes in Santo Domingo (de los Colores). Stanto Domingo ist eine größere Version von Quevedo: Viele Arbeiter*innen und viel Agrarindustrie. Ein kleiner Rundweg zeigt uns nochmal die touristisch ungeschminkte Seite einer Großstadt in Ecuador. In der Innenstadt gibt es eine zugestellte Fußgänger*innen-Zone in der alles mögliche verkauft wird. Wir gehen geschafft früh schlafen und nehmen schon frühs den Bus in Richtung Mindo …

PS.: Da wir Santo Domingo außerplanmäßig besucht haben, nun eine aktualisierte Karte mit unseren besuchten Orten in Ecuador: