BILAN – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org Für die Anarchie! Knäste, Staat, Patriarchat und Kapital abschaffen! Tue, 07 May 2024 18:17:27 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://panopticon.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1233/2020/02/cropped-discharge-degenerik-blog-1-32x32.jpg BILAN – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org 32 32 Zwei Artikel von BILAN aus dem Jahr 1936 zum arabisch-jüdischen Konflikt in Palästina https://panopticon.blackblogs.org/2024/01/22/zwei-artikel-von-bilan-aus-dem-jahr-1936-zum-arabisch-juedischen-konflikt-in-palaestina/ Mon, 22 Jan 2024 15:41:42 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5396 Continue reading ]]>

Die folgenden Artikel von Paul Mattick und Walter Auerbach im ICC (1938), sowie wie die von Gato Mammone in BILAN (1936), erscheinen uns historisch und aktuell enorm wichtig und geeignet zu sein. Sowie es der Zufall will, handelt es sich in einem um eine Publikation (ICC, International Council Correspondence) die von hauptsächlich deutschsprachigen Kommunisten in den Vereinigten Staaten, im Exil, veröffentlicht wurde und im anderen um eine Publikation (BILAN), die auch von im Exil lebenden italienischen Kommunisten in Frankreich und Belgien veröffentlicht wurde.

In den Texten finden wir Kommunisten verschiedener Strömungen, wenn auch zu vielen Fragen gar nicht verschieden, die schon zu ihrer Zeit, bis zu unseren Zeit, sehr zutreffende Analysen machten. Beide Texte sind noch vor der Gründung des Staates Israel (1948) erschienen und dennoch kritisieren sie beide die nationalistischen Bestrebungen in den damaligen arabischen und jüdischen Lagern vor Ort, die den Konflikt aus der Klassenfrage verschiebten, damit Arbeiterinnen und Arbeiter aufeinander gehetzt werden könnten, was im Jahr 2024 noch wesentlich mehr an die Spitze getrieben worden ist.

Für uns als anarchistische Gruppe, dies haben wir sehr oft in Bezug auf den Krieg in der Ukraine gesagt, gibt es nur die Verteidigung des Internationalismus, anstatt sich auf irgendeine herrschende Partei sich einzureihen um deren Interessen zu verteidigen, egal wie diese dann geschmückt werden. BILAN wird es sehr klar ausdrücken, „Für echte Revolutionäre gibt es natürlich keine „palästinensische“ Frage, sondern nur den Kampf aller Ausgebeuteten des Nahen Ostens, Araber und Juden eingeschlossen, der Teil eines allgemeineren Kampfes aller Ausgebeuteten der ganzen Welt für die kommunistische Revolution ist.“

Mattick und Auerbach nehmen sich auch keinen Blatt vor dem Mund als sie sagen dass, „Die Verschärfung der kapitalistischen Widersprüche dient sicherlich den revolutionären Interessen der Arbeiterklasse, aber da das Proletariat eine internationale Revolution machen muss, kann es keine nationalistischen Fragen unterstützen, es kann weder die Araber noch die Juden fördern. Es muss immun bleiben gegen jede nationalistische Ansteckung und muss sich auf den Konflikt zwischen Kapital und Arbeit konzentrieren, der durch die Produktionsverhältnisse bestimmt wird. Für die jüdischen Arbeiter gibt es keine nationale Lösung, so wie es auch keine Möglichkeit gibt, in den anderen Ländern jemals Frieden zu finden. Die jüdische Frage ist innerhalb der kapitalistischen Barbarei von heute unlösbar. Es ergibt keinen Sinn, die Augen vor der Realität zu verschließen: So schwierig, ja, so unmöglich es in vielen Fällen ist, die besonderen Gräueltaten gegen die jüdische Bevölkerung zu verhindern, Palästina ist keine Lösung. Der Kapitalismus bedeutet die Verlängerung dieser barbarischen Situation. Die Aufgabe der jüdischen Arbeiter ist die Aufgabe aller Arbeiter, das internationale System der kapitalistischen Ausbeutung zu beenden.“


Zwei Artikel von Bilan aus dem Jahr 1936 zum arabisch-jüdischen Konflikt in Palästina

Die Artikel können hier Teil I, Teil II, auf Französisch gelesen werden, die Übersetzung ist von uns.


Der arabisch-jüdische Konflikt in Palästina (Teil 1)

Die Verschärfung des arabisch-jüdischen Konflikts in Palästina, die Betonung der antibritischen Ausrichtung der arabischen Welt, die während des Weltkriegs ein Spielball des britischen Imperialismus war, hat uns dazu veranlasst, das jüdische Problem und das der panarabischen nationalistischen Bewegung zu betrachten. Hier werden wir versuchen, das erste dieser beiden Probleme zu behandeln.

Nach der Zerstörung Jerusalems durch die Römer und der Zerstreuung des jüdischen Volkes wurden die Juden in den verschiedenen Ländern, aus denen sie stammten, wenn sie nicht aus ihren Gebieten vertrieben wurden (weniger aus den von den katholischen Behörden angeführten religiösen Gründen als aus ökonomischen Gründen, insbesondere der Beschlagnahmung ihrer Waren und der Annullierung ihres Kredits), bei der Regelung ihrer Lebensbedingungen nach der päpstlichen Bulle in der Mitte des 16. Jahrhunderts, die in allen Ländern die Regel war, dazu verpflichtet, in geschlossenen Räumen zu leben und die berüchtigten Insignien zu tragen.

1290 aus England und 1394 aus Frankreich vertrieben, wanderten sie nach Deutschland, Italien und Polen aus; 1492 aus Spanien und 1498 aus Portugal vertrieben, fanden sie Zuflucht in Holland, Italien und vor allem im Osmanischen Reich, das damals Nordafrika und den größten Teil Südosteuropas besetzte; dort bildeten und bilden sie noch heute diese Gemeinschaft, die einen jüdisch-spanischen Dialekt spricht, während die Auswanderer in Polen, Russland, Ungarn usw. den jüdisch-deutschen Dialekt (Jiddisch) sprechen. Die hebräische Sprache, die in dieser Epoche die Sprache der Rabbiner bleibt, wurde mit der heutigen nationalistischen jüdischen Bewegung aus dem Bereich der toten Sprachen herausgeholt und zur Sprache der Juden in Palästina.

Während die Juden des Westens, die am wenigsten zahlreich waren, und teilweise auch die der Vereinigten Staaten, durch ihr Gewicht auf den Geldmärkten und ihr intellektuelles Gewicht durch die Zahl derer, die in den freien Berufen zu finden waren, einen ökonomischen und politischen Einfluss erlangten, konzentrierten sich die großen Massen in Osteuropa und gruppierten bereits Ende des 18. Jahrhunderts 80 Prozent der europäischen Juden. Durch die erste Abwanderung aus Polen und die Annexion von Bessarabien (Gebiet um die Ukraine – Anm. d. Übers.) gerieten sie unter die Herrschaft der Zaren, die zu Beginn des 19. Jahrhunderts die beiden Schichten der Juden auf ihren Territorien hatten. Die russische Regierung verfolgte von Anfang an eine repressive Politik, die auf Katharina II. zurückgeht und ihren grausamsten Ausdruck unter Alexander III. fand, der die Lösung des jüdischen Problems folgendermaßen vorsah: Ein Drittel musste konvertiert werden, ein Drittel musste auswandern und ein Drittel musste ausgerottet werden. Sie wurden auf eine bestimmte Anzahl von Bezirken in den nordwestlichen Provinzen (Weißrussland), im Südosten (Ukraine und Bessarabien) und in Polen beschränkt. Sie durften nicht außerhalb der Städte und vor allem nicht in den Industriegebieten (Bergbau- und Metallverarbeitungsregionen) leben. Aber es waren vor allem die Juden, die sich bei der Durchdringung des Kapitalismus im 19. Jahrhundert einen Weg bahnten und eine Differenzierung der Klassen bewirkten.

Es war der Druck des russischen Regierungsterrorismus, der den ersten Anstoß zur palästinensischen Kolonisierung gab. Allerdings waren die ersten Juden bereits nach der Vertreibung aus Spanien Ende des 15. Jahrhunderts nach Palästina zurückgekehrt und die erste landwirtschaftliche Kolonie wurde 1870 in der Nähe von Jaffa gegründet. Die erste ernsthafte Einwanderung begann jedoch erst nach 1880, als polizeiliche Verfolgung und die ersten Pogrome zur Auswanderung nach Amerika und Palästina führten.

Diese erste „Alya“ (jüdische Einwanderung) von 1882, die sogenannten „Biluimes“, bestand hauptsächlich aus russischen Studenten, die als Pioniere der jüdischen Kolonisierung in Palästina angesehen werden können. Die zweite „Alya“ fand 1904-05 als Folge der Niederschlagung der ersten Revolution in Russland statt. Die Zahl der Juden in Palästina, die 1850 etwa 12.000 betrug, stieg 1882 auf 35.000 und 1914 auf 90.000.

Das waren alles Juden aus Russland und Rumänien, Intellektuelle und Proletarier, denn die jüdischen Kapitalisten des Westens, wie die Rothschilds und die Hirschs, beschränkten sich auf eine finanzielle Unterstützung, die ihnen einen wohlwollenden Ruf als Philanthropen einbrachte, ohne dass sie dafür ihre wertvollen Personen aufgeben mussten.

Unter den „Biluimes“ von 1882 waren die Sozialisten noch in der Minderzahl, und zwar deshalb, weil es in der damaligen Kontroverse darum ging, nach Palästina oder Amerika zu gehen, und sie waren für Letzteres. Bei der ersten jüdischen Auswanderung in die Vereinigten Staaten waren die Sozialisten also sehr zahlreich und so stellt dies eine gute Zeit für Organisationen, Zeitschriften und sogar Versuche einer kommunistischen Kolonisierung dar.

Das zweite Mal stellte sich die Frage, wohin die jüdische Einwanderung führen sollte, wie gesagt, nach der Niederlage der ersten russischen Revolution und nach der Verschärfung der Pogrome, die durch die von Kitchinew (Chisinau, Moldawien – Anm. d. Red.) gekennzeichnet waren.

Der Zionismus, der dem jüdischen Volk einen Platz in Palästina sichern wollte und gerade einen Nationalfonds für den Gebietserwerb eingerichtet hatte, war zur Zeit des 7. Zionistenkongresses in Basel gespalten zwischen der traditionalistischen Strömung, die der Verfassung des jüdischen Staates in Palästina treu blieb, und den Territorialisten, die für eine Kolonisierung anderswo und konkret in Uganda waren, das von den Briten angeboten wurde.

Nur eine Minderheit sozialistischer Juden, die Poales-Zionisten von Ber Borochov, blieben den Traditionalisten treu, während alle anderen jüdischen sozialistischen Parteien dieser Zeit, wie die Zionistischen Sozialisten (S.S.) und die Serpisten – eine Art Nachbildung der russischen Sozialrevolutionäre im jüdischen Milieu – sich für den Territorialismus aussprachen. Die älteste und mächtigste jüdische Organisation dieser Zeit, der Bund, war, wie wir wissen, zumindest in dieser Zeit ziemlich negativ gegenüber der nationalen Frage eingestellt.

Ein entscheidender Moment für die Bewegung zur nationalen Wiedergeburt wurde mit dem Weltkrieg 1914 eingeleitet. Nach der Besetzung Palästinas durch britische Truppen, für die sich die Jüdische Legion von Jabotinsky einsetzte, wurde die Balfour-Erklärung von 1917 verkündet, die die Errichtung eines jüdischen nationalen Heimatlandes in Palästina versprach.

Dieses Versprechen wurde auf der Konferenz von San Remo 1920 bestätigt, die Palästina unter britisches Mandat stellte.

Die Balfour-Erklärung führte zu einer dritten „Alya“, aber es war vor allem die vierte, die zahlreichste, die mit der Übertragung des Mandats für Palästina an Großbritannien zusammenfiel. An dieser „Alya“ waren bereits zahlreiche Schichten der petite Bourgeoisie beteiligt. Wir wissen, dass die letzte Einwanderung in Palästina, die auf den Aufstieg Hitlers zur Macht folgte und die sicherlich die wichtigste ist, bereits einen hohen Anteil an Kapitalisten enthielt.

Wurden bei der ersten Volkszählung in Palästina im Jahr 1922 unter Berücksichtigung der Verwüstungen des Weltkriegs nur 84.000 Juden, d.h. 11% der Gesamtbevölkerung, registriert, waren es 1931 bereits 175.000. Im Jahr 1934 verzeichnete die Statistik 307.000 von einer Gesamtbevölkerung von einer Million einhunderteinundsiebzigtausend. Gegenwärtig wird die Zahl von 400.000 Juden angegeben.

Achtzig Prozent der Juden haben sich in den Städten niedergelassen, deren Entwicklung durch das rasche Entstehen der wie Pilze aus dem Boden schießenden Stadt Tel-Aviv veranschaulicht wird. Auch die Entwicklung der jüdischen Industrie ist rasant: 1928 gab es 3.505 Firmen, von denen 782 mehr als vier Arbeiter hatten, also insgesamt 18.000 Arbeiter mit einem investierten Kapital von 3,5 Millionen Pfund Sterling.

Die Juden, die sich auf dem Land niedergelassen hatten, machten nur 20% aus, während die Araber 65% der landwirtschaftlichen Bevölkerung ausmachten. Aber die Fellachen bearbeiteten ihr Land mit primitiven Mitteln, während die Juden in ihren Kolonien und Plantagen nach den intensiven Methoden des Kapitalismus mit arabischen Arbeitskräften zu sehr niedrigen Löhnen arbeiteten.

Die Zahlen, die wir genannt haben, erklären bereits eine Seite des aktuellen Konflikts. 20 Jahrhunderte lang hatten die Juden Palästina verlassen und andere Bevölkerungsgruppen wurden an den Ufern des Jordans angesiedelt. Obwohl die Erklärungen von Balfour und die Beschlüsse des Völkerbundes vorgaben, die Rechte der Bewohner Palästinas zu respektieren, bedeutete die Zunahme der jüdischen Einwanderung in Wirklichkeit, dass die Araber von ihrem Land vertrieben wurden, selbst wenn sie vom Jüdischen Nationalfonds zu einem niedrigen Preis gekauft wurden.

Es ist nicht die Menschlichkeit gegenüber „einem verfolgten Volk ohne Land“, die Großbritannien zu einer pro-jüdischen Politik bewegt. Es sind die Interessen der britischen Hochfinanz, in der Juden einen überwiegenden Einfluss haben, die diese Politik bestimmt haben. Auf der anderen Seite ist seit Beginn der jüdischen Kolonisierung ein Gegensatz zwischen jüdischen und arabischen Proletariern zu erkennen. Zu Beginn hatten die jüdischen Kolonisten jüdische Arbeiter beschäftigt, weil sie deren nationalen Eifer ausnutzten, um sich gegen arabische Übergriffe zu verteidigen. Später, als sich die Lage konsolidierte, zogen die industriellen und jüdischen Grundbesitzer arabische den anspruchsvolleren jüdischen Arbeitskräften vor.

Jüdische Arbeiter nahmen durch die Gründung ihrer Gewerkschaften/Syndikate viel mehr als nur den Klassenkampf in Konkurrenz zu den niedrigen arabischen Löhnen auf. Das erklärt den chauvinistischen Charakter der jüdischen Arbeiter, der vom jüdischen Nationalismus und dem britischen Imperialismus ausgenutzt wird.

Natürlich gibt es auch politische Gründe, die dem aktuellen Konflikt zugrunde liegen. Der britische Imperialismus wollte trotz der Feindschaft zwischen den beiden Rassen die beiden unterschiedlichen Staaten unter einem Dach zusammenleben lassen und sogar einen Bi-Parlamentarismus schaffen, der ein eigenes Parlament für Juden und Araber vorsah.

Im jüdischen Lager gibt es neben der zaudernden Direktive von Weissman die Revisionisten von Jabotinsky, die im Kampf gegen den offiziellen Zionismus Großbritannien Absentismus, wenn nicht sogar Versäumnisse vorwarfen und die jüdische Einwanderung nach Transjordanien, Syrien und auf die Sinai-Halbinsel öffnen wollten.

Bei den ersten Konflikten im August 1929, die sich rund um die Klagemauer abspielten, starben laut offizieller Statistik zweihundert Araber und hundertdreißig Juden. Diese Zahlen sind sicherlich niedriger als die Realität, denn während es den Juden in den modernen Anlagen gelang, die Angriffe abzuwehren, führten die Araber in Hebron, Safit und in einigen Vororten Jerusalems regelrechte Pogrome durch.

Diese Ereignisse bedeuteten ein Ende der pro-jüdischen britischen Politik, denn das britische Kolonialreich umfasste viele Muslime, auch in Indien, was für die Regierung Grund genug war, vorsichtig zu sein.

Infolge dieser Haltung der britischen Regierung gegenüber der jüdischen nationalen Heimat ging die Mehrheit der jüdischen Parteien in die Opposition: die orthodoxen Zionisten, die allgemeinen Zionisten und die Revisionisten, während die entschiedenste Unterstützung für die britische Politik, die zu dieser Zeit von der Labour Party betrieben wurde, von der jüdischen Arbeiterbewegung vertreten wurde, die der politische Ausdruck des Allgemeinen Gewerkschaftsbundes war und in der fast die Gesamtheit der jüdischen Arbeiter in Palästina organisiert war.

Nur oberflächlich betrachtet gab es in letzter Zeit eine gemeinsame Bewegung des jüdischen und arabischen Kampfes gegen die Zwangsmacht. Aber das Feuer schwelte unter der Asche und die Explosion wurde durch die Ereignisse im Mai letzten Jahres ausgelöst.

***

Die italienische faschistische Presse hat sich gegen den Vorwurf der „sanktionistischen“ Presse gewehrt, faschistische Agenten hätten die Kämpfe in Palästina geschürt, ein Vorwurf, der bereits im Zusammenhang mit den jüngsten Ereignissen in Ägypten erhoben wurde. Niemand kann leugnen, dass der Faschismus ein großes Interesse daran hat, die Flammen zu schüren. Der italienische Imperialismus hat nie einen Hehl aus seinen Plänen für den Nahen Osten gemacht, d.h. aus seinem Wunsch, sich in Palästina und Syrien an die Stelle der Zwangsmächte zu setzen. Außerdem verfügt er im Mittelmeer über einen mächtigen Marine- und Militärstützpunkt, der durch Rhodos und die anderen Inseln des Dodekanes (12 Inseln in der Ägäis) repräsentiert wird. Der britische Imperialismus hingegen sieht sich zwar durch den Konflikt zwischen Arabern und Juden begünstigt, denn nach der alten römischen Formel divide et impera muss er teilen, um zu herrschen, muss aber auch die jüdische Finanzmacht und die Bedrohung durch die nationalistische arabische Bewegung berücksichtigen.

Diese letztgenannte Bewegung, über die wir ein anderes Mal mehr sprechen werden, ist eine Folge des Weltkriegs, der zu einer Industrialisierung in Indien, Palästina und Syrien führte und die einheimische Bourgeoisie stärkte, die sich für die Regierung, d.h. für die Ausbeutung der einheimischen Massen, zur Verfügung stellte.

Die Araber beschuldigen Großbritannien, Palästina zur nationalen Heimat der Juden machen zu wollen, was bedeuten würde, der einheimischen Bevölkerung das Land zu stehlen. Sie haben erneut Abgesandte nach Ägypten, Syrien und Marokko geschickt, um in der muslimischen Welt eine Agitation zugunsten der palästinensischen Araber anzuführen und so zu versuchen, die Bewegung im Hinblick auf eine nationale panislamische Union zu verstärken. Sie werden durch die jüngsten Ereignisse in Syrien ermutigt, wo die Zwangsmacht Frankreich vor einem Generalstreik kapitulieren musste, und auch durch die Ereignisse in Ägypten, wo die Agitation und die Bildung einer nationalen Einheitsfront London gezwungen hat, die Regierung in Kairo als gleichberechtigt zu behandeln. Wir wissen nicht, ob der Generalstreik der Araber in Palästina einen ähnlichen Erfolg haben wird. Wir werden diese Bewegung im nächsten Artikel zusammen mit dem arabischen Problem untersuchen.

Gatto MAMMONE

Der arabisch-jüdische Konflikt in Palästina (Teil 2)

Wie wir im ersten Teil dieses Artikels gesehen haben, fanden die „Biluimes“, als sie nach 2.000 Jahren „Exil“ eine sandige Ebene südlich von Jaffa erwarben, andere Stämme, die Araber, die den Platz derer in Palästina einnahmen. Letztere waren nur einige Hunderttausend, entweder arabische Fellachen (Bauern) oder Beduinen (Nomaden); die Bauern bearbeiteten den Boden mit sehr primitiven Mitteln, ein Boden, der zum größten Teil den Grundbesitzern (Effendi) gehörte. Wie wir wissen, hatte der britische Imperialismus diese Latifundisten und die arabische Bourgeoisie während des Weltkriegs dazu gedrängt, auf seiner Seite zu kämpfen, und ihnen die Gründung eines arabischen Nationalstaats versprochen. Die arabische Revolte war in der Tat von entscheidender Bedeutung für den Zusammenbruch der türkisch-deutschen Front im Nahen Osten, weil sie den Aufruf des osmanischen Kalifs zum Heiligen Krieg auf ein Minimum reduzierte und zahlreiche türkische Truppen in Syrien in Schach hielt, ganz zu schweigen von der Vernichtung der türkischen Armeen in Mesopotamien.

Aber wenn der britische Imperialismus diese arabische Revolte gegen die Türkei dank des Versprechens, einen arabischen Staat aus allen Provinzen des alten Osmanischen Reiches (einschließlich Palästina) zu schaffen, angeführt hatte, zögerte er zur Verteidigung seiner eigenen Interessen nicht, im Gegenzug um die Unterstützung der jüdischen Zionisten zu werben, indem er ihnen sagte, dass Palästina sowohl verwaltungstechnisch als auch kolonisatorisch zu ihrem Aufgabenbereich gehören würde.

Gleichzeitig gewann sie die Unterstützung des französischen Imperialismus, damit dieser das Mandat über Syrien abtrat und damit diese Region, die mit Palästina eine unauflösliche historische und ökonomische Einheit bildete, abtrennte.

***

In dem Brief, den Lord Balfour am 2. November 1917 an Rothschild, den Präsidenten der Zionistischen Föderation Englands, richtete, teilte er ihm mit, dass die britische Regierung die Errichtung einer jüdischen nationalen Heimstätte in Palästina für das jüdische Volk wohlwollend betrachten würde und dass er sich mit aller Kraft für die Verwirklichung dieses Ziels einsetzen würde. Lord Balfour fügte hinzu, dass: „Es wird nichts unternommen, was die zivilen und religiösen Rechte der nichtjüdischen Kollektive in Palästina oder die Rechte und das politische Statut, das die Juden in anderen Ländern genießen, beeinträchtigen könnte“.

Trotz der zweideutigen Formulierungen dieser Erklärung, die es einem neuen Volk erlaubte, sich auf ihrem Boden niederzulassen, blieb die gesamte arabische Bevölkerung anfangs neutral und befürwortete sogar die Einrichtung eines nationalen jüdischen Heimatlandes. Aus Angst vor der Einführung eines Agrargesetzes zeigten sich die arabischen Eigentümer bereit, Land zu verkaufen. Die zionistischen Anführer, die ausschließlich mit der Sorge um die politische Ordnung beschäftigt waren, profitierten nicht von diesen Angeboten und gingen sogar so weit, die Verteidigung der Regierung Allenby über den Verkauf von Land zu billigen.

Schon bald zeigte die zionistische Bourgeoisie Tendenzen, Palästina (territorial und politisch) vollständig zu besetzen, indem sie die einheimische Bevölkerung enteignete und in die Wüste drängte. Diese Tendenz zeigt sich heute bei den „revisionistischen“ Zionisten, d.h. in der pro-faschistischen Strömung der nationalistischen jüdischen Bewegung.

Die landwirtschaftlich nutzbare Fläche Palästinas beträgt etwa 12 Millionen Dounam (ein Dounam = ein Zehntel eines Hektars), von denen derzeit 5 bis 6 Millionen bewirtschaftet werden.

Im Folgenden wird die von den Juden in Palästina seit 1899 bewirtschaftete Fläche ermittelt:

1899: 22 Kolonien, 5.000 Einwohner, 300.000 Dounam.
1914: 43 Kolonien, 12.000 Einwohner, 400.000 Dounam.
1922: 73 Kolonien, 15.000 Einwohner, 600.000 Dounams.
1934: 160 Kolonien, 70.000 Einwohner, 1.200.000 Dounams.

Um den wirklichen Wert dieser Entwicklung und den daraus resultierenden Einfluss zu beurteilen, dürfen wir nicht vergessen, dass die arabische Bewirtschaftung des Landes auch heute noch primitiv ist, während die jüdischen Kolonien die modernsten Anbaumethoden anwenden.

Das in die landwirtschaftlichen Betriebe investierte jüdische Kapital wird auf mehr als 100 Millionen Golddollar geschätzt, wovon 65% auf die Plantagen entfallen. Obwohl die Juden nur 14% der Anbaufläche besitzen, erreicht der Wert der Produkte ein Viertel der Gesamtproduktion.

Bei den Orangenplantagen bewirtschaften die Juden 55% der Gesamternte.

***

Im April 1920, in Jerusalem, und im Mai 1921, in Jaffa, zeigen sich die ersten Anzeichen einer arabischen Reaktion in Form von Pogromen. Sir Herbert Samuel, Hochkommissar in Palästina bis 1925, versuchte, die Araber zu beschwichtigen, indem er die jüdische Einwanderung stoppte und den Arabern eine repräsentative Regierung und die Zuweisung des besten Landes im Staatsgebiet versprach.

Nach der großen Ansiedlungswelle von 1925, die mit 33.000 Einwanderern ihren Höhepunkt erreichte, verschlechterte sich die Situation und führte schließlich zu den Bewegungen von 1929. Zu dieser Zeit schlossen sich die Beduinenstämme mit der arabischen Bevölkerung Palästinas zusammen, wozu muslimische Agitatoren aufriefen.

Nach diesen Ereignissen kam die parlamentarische Untersuchungskommission, die nach Palästina geschickt wurde und als Shaw-Kommission bekannt ist, zu dem Schluss, dass die Ereignisse auf die Einwanderung jüdischer Arbeiter und die „Knappheit“ von Land zurückzuführen waren, und sie schlug der Regierung vor, Land zu kaufen, um die von ihrem Land vertriebenen Fellachen zu entschädigen.

Als die britische Regierung im Mai 1930 die Schlussfolgerungen der Shaw-Kommission in vollem Umfang akzeptierte und die Einwanderung jüdischer Arbeiter nach Palästina erneut aussetzte, reagierte die jüdische Arbeiterbewegung, die die Shaw-Kommission nicht einmal anhören wollte, mit einem 24-stündigen Proteststreik, während die Palästina-Zionisten in allen Ländern sowie die großen jüdischen Gewerkschaften/Syndikate in Amerika mit zahlreichen Demonstrationen gegen diese Maßnahme protestierten.

Im Oktober 1930 erschien eine neue Erklärung zur britischen Politik in Palästina, die unter dem Namen „White Book“ bekannt wurde.

Sie war ebenso ungünstig für die Argumente der Zionisten. Doch angesichts der immer stärker werdenden Proteste der Juden reagierte die Labour-Regierung im Februar 1931 mit einem Schreiben von MacDonald, in dem das Recht auf Arbeit, auf jüdische Einwanderung und Kolonisierung bekräftigt und jüdischen Arbeitgebern gestattet wurde, jüdische Arbeitskräfte einzustellen, wenn sie diese den Arabern vorzogen – ohne dabei den möglichen Anstieg der Arbeitslosigkeit unter den Arabern zu berücksichtigen.

Die palästinensischen Arbeiter beeilten sich, ihr Vertrauen in die britische Labour-Regierung zu setzen, während alle anderen zionistischen Parteien in misstrauischer Opposition blieben.

Im vorangegangenen Artikel haben wir die Gründe für den chauvinistischen Charakter der palästinensischen Arbeiter aufgezeigt.

Der Histadrut – der wichtigsten palästinensischen Gewerkschaft/Syndikat – gehören nur Juden an (80% der jüdischen Arbeiterinnen und Arbeiter sind organisiert). Nur die Notwendigkeit, den Lebensstandard der arabischen Massen anzuheben, um die hohen Löhne der jüdischen Arbeiter zu schützen, hat in letzter Zeit ihre Versuche bestimmt, sich auf arabischer Seite zu organisieren. Die in der „Allianz“ zusammengeschlossenen embryonalen Gewerkschaften/Syndikat bleiben jedoch organisch von der Histadrut getrennt, mit Ausnahme der Gewerkschaft/Syndikat der LKW-Fahrer, der Vertreter beider Rassen angehören.

***

Der Generalstreik der Araber in Palästina geht nun in den vierten Monat. Der Guerillakrieg geht weiter, trotz des jüngsten Dekrets, das die Todesstrafe für jeden vorsieht, der für einen Angriff verantwortlich ist; jeden Tag gibt es Überfälle und Angriffe auf Züge und Autos, ohne die Zerstörung und Brandstiftung von jüdischem Eigentum zu zählen.

Diese Ereignisse haben die Zwangsgewalt bereits fast eine halbe Million Pfund Sterling gekostet, und zwar durch die Aufrechterhaltung der Streitkräfte und durch die Reduzierung der Haushaltsaufgaben, eine Folge des passiven Widerstands und des ökonomischen Boykotts der arabischen Massen. Vor kurzem hat der Minister für die Kolonien im Unterhaus Zahlen zu den Opfern genannt: 400 Muslime, 200 Juden und 100 Polizisten. Bisher wurden 1.800 Araber und Juden vor Gericht gestellt und 1.200, davon 300 Juden, verurteilt. Nach Angaben des Ministers sind hundert arabische Nationalisten in Konzentrationslager deportiert worden.

Vier kommunistische Anführer (2 Juden und 2 Armenier) sind inhaftiert und 60 Kommunisten werden von der Polizei überwacht. Dies sind die offiziellen Zahlen.

Es ist offensichtlich, dass sich die Politik des britischen Imperialismus in Palästina an der Kolonialpolitik eines jeden Imperialismus orientiert. Diese besteht darin, sich auf bestimmte Schichten der kolonialen Bevölkerung zu stützen (indem man Rassen oder verschiedene religiöse Überzeugungen gegeneinander ausspielt oder wiederum Eifersüchteleien zwischen Häuptlingen oder Clans schürt), was es dem Imperialismus ermöglicht, seine Super-Unterdrückung über die kolonialen Massen selbst ohne Unterschied von Rassen oder Religionen fest zu etablieren.

Aber während dieses Manöver in Marokko und Zentralafrika erfolgreich war, leistet die arabische nationalistische Bewegung in Palästina und Syrien einen sehr kompakten Widerstand. Sie stützt sich auf die mehr oder weniger unabhängigen Länder, die sie umgeben: Türkei, Persien, Ägypten, Irak, die arabischen Staaten und ist darüber hinaus mit der gesamten muslimischen Welt verbunden, die 300 Millionen Individuen umfasst.

Trotz einiger Gegensätze zwischen den verschiedenen muslimischen Staaten und trotz der anglophilen Politik einiger von ihnen, wäre die große Gefahr für den Imperialismus die Bildung eines Ostblocks, der sich durchsetzen könnte – dies wäre möglich, wenn das Erstarken einer nationalistischen Stimmung der einheimischen Bourgeoisie das Erwachen der Klassenrevolte der kolonialen Ausbeuter verhindern könnte, die ihre Ausbeuter ebenso satt haben wie den europäischen Imperialismus – und die einen Sammelpunkt um die Türkei finden würde, die gerade wieder ihre Rechte über die Dardanellen bekräftigt hat und ihre panislamische Politik wieder aufnehmen könnte.

Aber Palästina ist für den britischen Imperialismus von großer Bedeutung. Wenn die Zionisten dachten, sie könnten ein „jüdisches“ Palästina bekommen, würden sie in Wirklichkeit nur ein „britisches“ Palästina bekommen. Die palästinensischen Transitrouten verbinden Europa mit Indien. Sie könnten die Seeroute von Suez ersetzen, deren Sicherheit gerade durch die Etablierung des italienischen Imperialismus in Äthiopien geschwächt worden ist. Wir sollten auch nicht vergessen, dass die Pipeline von Mosul in den palästinensischen Hafen von Haifa mündet.

Schließlich muss die britische Politik immer auch die 100.000.000 Muslime des britischen Empires berücksichtigen. Bis jetzt ist es dem britischen Imperialismus in Palästina gelungen, die Bedrohung durch die arabische nationale Unabhängigkeitsbewegung einzudämmen. Er stellt sich dem Zionismus entgegen, der, indem er die jüdischen Massen zur Auswanderung nach Palästina drängt, die Klassenbewegung ihres Herkunftslandes, wo sie ihren Platz gefunden hätten, aus dem Gleichgewicht bringt und schließlich für eine solide Unterstützung der britischen Politik im Nahen Osten sorgt.

Die Enteignung von Land zu Spottpreisen hat die arabischen Proletarier in das schwärzeste Elend gestürzt und treibt sie in die Arme der arabischen Nationalisten, der Großgrundbesitzer und der aufstrebenden Bourgeoisie. Letztere hat davon offensichtlich profitiert, um die Unzufriedenheit der Fellachen und Proletarier gegen die jüdischen Arbeiter zu lenken, so wie die zionistischen Kapitalisten die Unzufriedenheit der jüdischen Arbeiter gegen die Araber gelenkt haben. Aus diesem Gegensatz zwischen ausgebeuteten Juden und Arabern können der britische Imperialismus und die führenden Klassen der Juden und Araber nur gestärkt hervorgehen.

Der offizielle Kommunismus hilft den Arabern in ihrem Kampf gegen einen Zionismus, der als Instrument des britischen Imperialismus gilt.

Bereits 1929 veröffentlichte die nationalistische jüdische Presse eine „Schwarze Liste“ der Polizei, auf der kommunistische Agitatoren neben dem Großmufti und einigen arabischen Nationalistenführern aufgeführt waren. Bis heute sind zahlreiche militante Kommunisten verhaftet worden.

Nachdem sie den Slogan der „Arabisierung“ der Partei lanciert haben – die K.P. von Syrien und sogar von Ägypten die von einer Gruppe intellektueller Juden gegründet wurde, die als „opportunistisch“ bekämpft wurde – haben die Zentristen heute den Slogan „Arabien für die Araber“ lanciert, der nur eine Kopie des Slogans „Föderation aller arabischen Völker“ ist, ein nationalistischer arabischer Slogan, d.h. der großen Plantagenbesitzer (Effendi) und der Intellektuellen, die die Unterstützung des muslimischen Klerus haben, der vom Arabischen Kongress kontrolliert wird und im Namen seiner Interessen die Reaktionen der ausgebeuteten Araber kanalisiert.

Für echte Revolutionäre gibt es natürlich keine „palästinensische“ Frage, sondern nur den Kampf aller Ausgebeuteten des Nahen Ostens, Araber und Juden eingeschlossen, der Teil eines allgemeineren Kampfes aller Ausgebeuteten der ganzen Welt für die kommunistische Revolution ist.

Gatto MAMMONE

]]> (BILAN) Antifaschismus: Verwirrende Formel https://panopticon.blackblogs.org/2023/06/20/bilan-antifaschismus-verwirrende-formel/ Tue, 20 Jun 2023 08:09:02 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=5025 Continue reading ]]>

Gefunden auf el salariado, die Übersetzung ist von uns. Hier ein weiterer Text in der Reihe der sich mit der Kritik mit dem Antifaschismus befasst. Inhaltlich immer noch brandaktuell und mit vielen Punkten die nach wie vor zur Debatte stehen.


Antifaschismus: Verwirrende Formel

BILAN Nr. 7, Mai 1934.

Sehr wahrscheinlich übertrifft die gegenwärtige Situation, was das Ausmaß der Verwirrung angeht, frühere Situationen revolutionären Aufschwungs. Das liegt zum einen an der konterrevolutionären Entwicklung dessen, was das Proletariat nach großen Kämpfen in der Nachkriegszeit erobert hat: der russische Staat, die Dritte Internationale usw., und zum anderen an der Unfähigkeit der Arbeiter, dieser Entwicklung eine Front des ideologischen und revolutionären Widerstands entgegenzusetzen. Die Verflechtung dieser Phänomene mit der brutalen Offensive des Kapitalismus, die auf die Bildung von Blöcken mit Blick auf den Krieg ausgerichtet ist, provoziert Arbeiterkämpfe und manchmal auch große Schlachten (Österreich). Aber diese Schlachten brechen nicht die Macht des Zentrismus1, der einzigen politischen Massenorganisation, die bereits zu den Kräften der weltweiten Konterrevolution übergelaufen ist.

Angesichts solcher Niederlagen ist Verwirrung nichts anderes als das Ergebnis des Kapitalismus, der den Arbeiterstaat, den Zentrismus, in seine Überlebensnotwendigkeiten einbezogen und ihn auf das Terrain gebracht hat, auf dem seit 1914 die heimtückischen Kräfte der Sozialdemokratie, der Hauptfaktor für die Zersetzung des Bewusstseins der Massen und das qualifizierte Sprachrohr der Parolen von proletarischen Niederlagen und kapitalistischen Siegen, agieren.

In diesem Artikel werden wir eine typische verwirrende Formel untersuchen, die in Arbeitermedien die sich als linke (?) bezeichnenen, als „Antifaschismus“ bekannt ist.

Wir werden uns hier nicht mit der Analyse der Situation in Ländern wie Frankreich oder Belgien beschäftigen (Länder, in denen sich dieses Problem sehr konkret stellt), eine Analyse, deren vermeintliches Ziel es sein sollte, zu wissen, ob die Gefahr eines bevorstehenden faschistischen Angriffs besteht oder nicht; ebenso wenig werden wir uns der Analyse jener Position widmen, nach der sich derzeit und auf internationaler Ebene eine Perspektive der Ausdehnung faschistischer Regime in allen Ländern auftut. Andererseits werden wir hier weder die theoretischen Probleme analysieren, die der Faschismus aufwirft, noch die Position, die das Proletariat angesichts des faschistischen Angriffs gegenüber den demokratischen Institutionen einnehmen sollte. All diese Probleme werden in anderen Artikeln behandelt. Um unsere Ausführungen klarer zu machen, beschränken wir uns auf ein konkretes Problem: den Antifaschismus und die Kampffront, die um diese Formel herum aufgebaut werden soll.

Es liegt auf der Hand, oder zumindest war es früher so, dass vor dem Aufstellen eines Kampfes der Klasse die zu erreichenden Ziele, die einzusetzenden Mittel und die Klassenkräfte, die dafür eingreifen können, festgelegt werden müssen. Diese Überlegungen haben nichts „Theoretisches“ an sich, und deshalb sind wir der Meinung, dass sie nicht der oberflächlichen Kritik all jener Elemente ausgesetzt sind, die der „Theorien“ überdrüssig sind und deren Regel es ist, ohne Rücksicht auf theoretische Klarheit mit jeder Bewegung auf der Grundlage eines beliebigen Programms zu spielen, solange es „Aktion“ gibt. Wir gehören natürlich zu denjenigen, die der Meinung sind, dass die Aktion nicht auf dem „Picken“ hier und da oder dem individuellen guten Willen beruht, sondern auf den Situationen selbst. Außerdem ist theoretische Arbeit, wenn es ums Handeln geht, unerlässlich, um die Arbeiterklasse vor weiteren Niederlagen zu bewahren. Die Verachtung, die so viele Militante der theoretischen Arbeit entgegenbringen, muss man verstehen, denn in der Realität geht es ihnen immer darum, die wesentlichen Konzepte des Feindes, der Sozialdemokratie, als Ersatz für proletarische Positionen in die revolutionären Milieus heimlich einzuschleusen, während sie gleichzeitig verkünden, dass wir um jeden Preis handeln müssen, um „das Rennen“ gegen den Faschismus zu gewinnen.

Was also das Problem des Antifaschismus angeht, so ist das, was seine zahlreichen Anhänger leitet, nicht nur ihre Verachtung für theoretische Arbeit, sondern auch ihre dumme Manie, die Verwirrung zu erzeugen und zu verbreiten, die notwendig ist, um eine breite Front des Widerstands zu bilden. Keine Vorurteile, kein Setzen von Grenzen, kein Verlust potenzieller Verbündeter und keine Möglichkeit, sich im Kampf zu engagieren, das ist die Parole des Antifaschismus. Und so, denken wir, der Antifaschismus idealisiert die Verwirrung bis zu dem Punkt, dass er sie sogar zu einem Faktor für den Sieg macht. Erinnern wir uns daran, dass Marx vor mehr als einem halben Jahrhundert zu Weitling sagte, dass Ignoranz für die Arbeiterbewegung niemals von Nutzen sei.

Anstatt die Ziele des Kampfes, die einzusetzenden Mittel und die notwendigen Programme darzulegen, wird heute die oberste Quintessenz der marxistischen Strategie (Marx würde sie Ignoranz nennen) auf diese Weise präsentiert: ein Adjektiv aufzugreifen, das offensichtlich meist „leninistisch“ ist, und dann unter allen Umständen und in einem völlig anderen Kontext die Situation in Russland 1917 und Kornilows Septemberattentat heraufzubeschwören. Leider! aber das war eine Zeit, in der proletarische Militante ihren Kopf noch am richtigen Platz hatten und historische Erfahrungen analysierten. Damals analysierten sie zunächst, ob sich politische Parallelen zwischen der vergangenen Situation und der Gegenwart ziehen lassen, bevor sie Ähnlichkeiten zwischen ihrer Epoche und den Erfahrungen der Vergangenheit zogen; aber diese Epoche scheint vorbei zu sein, vor allem wenn wir uns die Phraseologie ansehen, die proletarische Gruppen heute verwenden.

Es sei sinnlos, den Kontext des Klassenkampfes in Russland 1917 mit dem von heute in den verschiedenen Ländern zu vergleichen; und es sei auch sinnlos zu prüfen, ob das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen damals gewisse Analogien zu dem von heute aufweist. Da der Sieg von 1917 eine historische Tatsache ist, würde es genügen, die Taktik der russischen Bolschewiki zu kopieren, und im Allgemeinen ist das Ergebnis eine sehr schlechte Kopie, die je nachdem, wer sich mit der Interpretation dieser Ereignisse aus entgegengesetzten Prinzipien beschäftigt, unterschiedlich ausfällt.

Welchen Unterschied macht es, dass der Kapitalismus in Russland seine erste Erfahrung mit der Staatsmacht machte und der Faschismus dagegen in Ländern entstand, in denen der Kapitalismus bereits seit Jahrzehnten an der Macht war, oder dass in Russland 1917 eine revolutionäre und vulkanische Situation herrschte, die nichts mit der reaktionären Situation von heute zu tun hat? Das kümmert unsere heutigen „Leninisten“ nicht. Im Gegenteil, ihre bewundernswerte Gelassenheit wird nicht durch das Unbehagen erschüttert, die Ereignisse von 1917 mit denen von heute auf der Grundlage der deutschen und italienischen Erfahrungen ernsthafter zu vergleichen. Kornilov erklärt das alles. Dank dieser politischen Akrobatik können wir also zwei gegensätzliche Situationen vergleichen: die eine reaktionär, die andere revolutionär, und dann werden wir zu dem Schluss kommen, dass der Sieg von Mussolini und Hitler darauf zurückzuführen ist, dass die kommunistischen Parteien die klassische Taktik der Bolschewiki 1917 nicht richtig angewandt haben.

***

Für den Antifaschismus spielen politische Überlegungen keine Rolle. Sein Ziel ist es, alle, die vom faschistischen Angriff bedroht sind, zu einer Art „Gewerkschaft/Syndikat der Bedrohten“ zusammenzuschließen.

Die Sozialdemokratie wird den Radikal-Sozialisten sagen, dass sie sich um ihre eigene Sicherheit kümmern und sofort Maßnahmen ergreifen müssen, um sich gegen die faschistische Bedrohung zu verteidigen: Herriot und Daladier könnten auch ihre Opfer werden. L. Blum wird sogar noch weiter gehen: Er wird Doumergue eindringlich davor warnen, dass er wie Brüning enden könnte, wenn er sich nicht vor dem Faschismus in Acht nimmt. Der Zentrismus seinerseits wird sich an „die sozialistische Basis“ wenden, oder umgekehrt, die S.F.I.O. (A.d.Ü., Section française de l’Internationale ouvrière) wird sich an die Zentristen wenden, um die Einheitsfront zu verwirklichen, denn Sozialisten und Kommunisten sind durch den faschistischen Angriff bedroht. Und dann gibt es noch die Bolschewiki-Leninisten, die großspurig verkünden werden, dass sie bereit sind, eine Kampffront zu bilden, die alle politischen Erwägungen/Überlegungen beiseite lässt und auf der Grundlage einer dauerhaften Solidarität aller „Arbeiter“-Organisationen (?) gegen die faschistischen Intrigen beruht.

Was all diese Spekulationen antreibt, ist etwas sehr Einfaches, zu einfach, um die Wahrheit zu sagen: alle „Bedrohten“, die den Wunsch teilen, dem Tod zu entkommen, in einer gemeinsamen antifaschistischen Front zu vereinen. Eine nur oberflächliche Analyse zeigt jedoch, dass sich hinter der idyllischen Einfachheit dieses Vorschlags in Wirklichkeit die totale Abkehr von den grundlegenden Positionen des Marxismus, die Verleugnung vergangener Erfahrungen und der Bedeutung aktueller Ereignisse verbirgt. Natürlich ist es einfach zu sagen, dass Herriot falsch liegt, wenn er Teil der Regierung ist, die nach der „Meuterei“ vom 6. Februar gebildet wurde, und dass er sich daran erinnern sollte, dass in Italien der liberale Amendola, der Teil der Regierung war, die die Macht an den Faschismus abtrat, von diesem ermordet wurde. Es ist auch leicht zu sagen, dass die radikale sozialistische Partei in Clermont-Ferrand Selbstmord beging, indem sie den „Waffenstillstand zwischen den Parteien“ unterzeichnete: Die deutsche Erfahrung zeigt, dass der „Waffenstillstand“ von Brüning dem Faschismus hervorragend diente und die demokratischen Parteien nicht verschonte. Und schließlich könnten wir genauso gut zu dem Schluss kommen, dass die französischen und belgischen Sozialisten aus den Ereignissen in Deutschland und Österreich die endgültigen Lehren ziehen sollten, die sie vor dem sicheren Tod bewahren und sie dazu bringen könnten, mit einer revolutionären Politik zu reagieren. Die Zentristen wiederum sollten, dem gleichen Evangelium folgend, im Schicksal von Thälmann und in den Konzentrationslagern sehen, dass es notwendig ist, die Taktik der Einheitsfront, die nicht als Kampf der Arbeiterklasse, sondern als Mittel zur „Zerstörung der sozialistischen Partei“ verstanden wird, aufzugeben und sich auf „ehrliche“ Weise an dieser Front zu beteiligen, wie es der Rechtsaußen und Philo-Sozialdemokrat Doriot fordert, indem er sich auf die Arbeiter von Saint-Denis stützt und inmitten der Verwirrung ihren Wunsch nach Kampf und ihre Reaktion auf den Zentrismus kanalisiert.

Aber all diese Überlegungen darüber, was die Radikalen, Sozialisten und Zentristen tun müssten, um sich und ihre Institutionen zu retten, all diese Predigten „ex cathedra“ werden den Lauf der Dinge in keiner Weise ändern, denn das Problem ist folgendes: Die Radikalen, die Sozialisten und die Zentristen können nicht zu Kommunisten gemacht werden, der Kampf gegen den Faschismus kann nur auf der Grundlage einer Kampffront für die proletarische Revolution geführt werden. Und die belgische Sozialdemokratie wird trotz dieser Predigten nicht aufhören, Pläne zur Wiederbelebung des Kapitalismus zu schmieden, wird nicht zögern, alle Klassenkonflikte zu torpedieren und wird die Gewerkschaften/Syndikate ohne mit der Wimper zu zucken dem Kapitalismus ausliefern. Doumergue wird in die Fußstapfen von Brüning, Blum in die Fußstapfen von Bauer und Cachin in die Fußstapfen von Thälmann treten.

Wir betonen, dass es in diesem Artikel nicht darum geht, ob man die Situation in Belgien oder Frankreich mit den Umständen vergleichen kann, die zum Aufstieg des Faschismus in Italien oder Deutschland geführt haben. Der Vergleich, den wir zwischen Doumergue und Brüning anstellen, bezieht sich auf die Funktion, die sie in zwei grundverschiedenen kapitalistischen Ländern haben, nämlich, wie Blum und Cachin, das Proletariat ruhigzustellen, sein Klassenbewusstsein zu korrumpieren und dem Staatsapparat zu ermöglichen, sich an die neuen Bedingungen des innerimperialistischen Kampfes anzupassen. Es gibt Grund zu der Annahme, dass sich in Frankreich die Erfahrungen von Thiers, Clémenceau und Pointcaré mit Doumergue wiederholen, dass wir Zeugen der Konzentration des Kapitalismus um seine rechten Kräfte werden, ohne dass dies die Strangulierung der radikal-sozialistischen oder sozialistischen Organisationen der Bourgeoisie bedeutet. Andererseits ist es ein schwerer Fehler, die proletarische Taktik auf die politischen Positionen zu gründen, die sich aus einer bloßen Perspektive ergeben.

Das Problem besteht nicht darin, zu behaupten, dass wir, da der Faschismus uns bedroht, die Einheitsfront der Antifaschisten und Antifaschistinnen aufstellen müssen, sondern darin, die Positionen abzugrenzen, um die sich das Proletariat im Kampf gegen den Kapitalismus scharen kann. Das Problem so zu formulieren, bedeutet, die antifaschistischen Kräfte von dieser Front des Kampfes gegen den Kapitalismus auszuschließen, und auch diese Schlussfolgerung (die paradox erscheinen mag): Wenn sich der Kapitalismus schließlich auf den Faschismus zubewegt, liegt die Voraussetzung für den Sieg darin, dass weder das Programm noch die Klassenforderungen der Arbeiterinnen und Arbeiter geändert werden, während die Niederlage unvermeidlich ist, wenn das Proletariat in den antifaschistischen Sumpf abtaucht.

***

Die Aktion von Individuen und gesellschaftlichen Kräften unterliegt nicht dem Gesetz der Erhaltung dieser Individuen oder dieser Kräfte, sondern ist klassenbezogen. Brüning oder Mateotti handelten nicht geleitet von ihren persönlichen Interessen oder den Ideen, zu denen sie sich bekannten, d.h. sie konnten nicht den Weg der proletarischen Revolution einschlagen, der allein ihr Leben vor der faschistischen Strangulierung gerettet hätte. Individuen und Kräfte handeln entsprechend der Klassen, von denen sie abhängen. Das erklärt, warum die heutigen Akteure in der französischen Politik lediglich in die Fußstapfen ihrer Vorgänger in anderen Ländern treten, wenn man davon ausgeht, dass die Hypothese von der Entwicklung (A.d.Ü., im Sinne einer Evolution) des französischen Kapitalismus hin zum Faschismus richtig ist.

Die Grundlagen der Formel des Antifaschismus (die Vereinigung aller Bedrohten) erweisen sich somit als absolut inkonsistent. Wenn wir andererseits untersuchen, woher die Idee des Antifaschismus kommt – zumindest in ihren programmatischen Postulaten – sehen wir, dass sie sich aus einer Unterscheidung zwischen Kapitalismus und Faschismus ableitet. Fragt man einen Sozialisten, einen Zentristen oder einen Bolschewik-Leninisten danach, werden sie alle bestätigen, dass Faschismus tatsächlich Kapitalismus ist. Der Sozialist wird zwar sagen: „Es liegt in unserem Interesse, die Verfassung und die Republik zu verteidigen, um den Sozialismus vorzubereiten“; der Zentrist wird bekräftigen, dass die Einheit der Arbeiterklasse leichter durch den Antifaschismus als durch den Kampf gegen den Kapitalismus zu erreichen ist; der Bolschewik-Leninist wird sagen, dass es keine bessere Grundlage für den Zusammenschluss und den Kampf gibt als die Verteidigung der demokratischen Institutionen, die der Kapitalismus der Arbeiterklasse nicht mehr garantieren kann. Es zeigt sich also, dass wir ausgehend von dem allgemeinen Postulat „Faschismus ist Kapitalismus“ zu politischen Schlussfolgerungen kommen können, die eine Unterscheidung zwischen Kapitalismus und Faschismus implizieren.

Die Erfahrung hat uns gezeigt, und das macht jede Unterscheidung zwischen Kapitalismus und Faschismus zunichte, dass die faschistische Transformation des Kapitalismus nicht vom Willen bestimmter Gruppen der Bourgeoisie abhängt, sondern den Bedürfnissen einer ganzen historischen Periode und den Besonderheiten der Situation bestimmter Staaten entspricht, die wenig Kraft haben, den Phänomenen der Krise und der Agonie des bourgeoisen Regimes entgegenzutreten. Aus den Erfahrungen Italiens und Deutschlands, soweit man sie unterscheiden kann, könnte man folgende Schlussfolgerung ziehen: Wenn der Kapitalismus gezwungen ist, die Gesellschaft auf faschistische Weise zu organisieren, stellen die faschistischen Bataillone die Stoßkräfte, die gegen die Klassenorganisationen des Proletariats gerichtet sind. Die demokratischen politischen Formationen der Bourgeoisie werden dann erklären, dass sie gegen den Faschismus sind, so dass das Proletariat darauf vertrauen kann, dass seine demokratischen Gesetze und seine Verfassung diese Institutionen verteidigen werden. Auf der anderen Seite wird die Sozialdemokratie, die nach demselben Muster wie die liberalen und demokratischen Kräfte vorgeht, ebenfalls an das Proletariat appellieren, so dass ihre zentrale Forderung darin bestehen wird, an den Staat heranzutreten, damit er die faschistischen Formationen zwingt, die Legalität zu respektieren und sie entwaffnet oder sogar auflöst. Diese drei politischen Strömungen folgen einem völlig einheitlichen Kurs: Ihre Quellen entspringen der kapitalistischen Notwendigkeit, dass der Faschismus triumphiert, wobei das Ziel des kapitalistischen Staates die Erneuerung der Organisation der kapitalistischen Gesellschaft ist.

Da der Faschismus auf die grundlegenden Forderungen des Kapitalismus antwortet, können wir ihn nur von einer entgegengesetzten Front aus wirklich bekämpfen. In der Tat sehen wir heute oft, wie unsere Diskussionspartner unsere Positionen verfälschen, indem sie es vermeiden, sie politisch zu bekämpfen. Es reicht zum Beispiel aus, der Formel des Antifaschismus (die keine politische Grundlage hat) zu widersprechen, indem man argumentiert, dass die Erfahrung zeigt, dass kapitalistische antifaschistische Kräfte für den Aufstieg des Faschismus genauso notwendig waren wie die faschistischen Kräfte selbst, damit jemand antwortet: „Die programmatische und politische Substanz des Antifaschismus zu analysieren ist irrelevant, wichtig ist, dass Daladier Doumergue vorzuziehen ist und dass Doumergue besser ist als Maurras, also ist es in unserem Interesse, Daladier gegen Doumergue und Doumergue gegen Maurras zu verteidigen“. Je nach den Umständen werden wir Daladier oder Doumergue verteidigen, weil sie ein Hindernis für den Sieg von Maurras darstellen und es uns darum geht, „den kleinsten Riss auszunutzen, um eine vorteilhafte Position für das Proletariat zu gewinnen“. Offensichtlich sind für sie die Ereignisse in Deutschland, wo die „Risse“, die zunächst die preußische und dann die Hindenburg-von Schleicher-Regierung darstellten, am Ende nichts anderes waren als so viele Schritte, die den Aufstieg des Faschismus ermöglichten, bloße Kleinigkeiten, die nicht berücksichtigt werden dürfen. Wir wissen, dass man unsere Position als anti-leninistisch oder anti-marxistisch brandmarken wird; man wird sagen, dass es uns egal ist, ob es eine rechte, linke oder faschistische Regierung gibt. Aber wir möchten ein für alle Mal folgendes Problem zur Sprache bringen: Ist die Position unserer Diskussionspartner, die dem Proletariat sagen, dass es die am wenigsten schlechte Organisationsform des kapitalistischen Staates wählen muss, angesichts der Veränderungen, die in der Nachkriegssituation stattgefunden haben, nicht die gleiche wie die Position Bernsteins, als er den Arbeitern sagte, dass ihr Ziel die bestmögliche Form des kapitalistischen Staates sein sollte? Vielleicht werden sie antworten, dass es nicht darum geht, dass das Proletariat die Regierung unterstützt, die es für die beste Herrschaftsform hält… vom proletarischen Standpunkt aus gesehen, sondern dass es einfach darum geht, die Positionen des Proletariats zu stärken, damit es ihm gelingt, dem Kapitalismus eine demokratische Regierungsform aufzuzwingen. In jedem Fall ändern sich die Formulierungen, aber der Inhalt ist derselbe. Denn wenn das Proletariat wirklich in der Lage ist, der Bourgeoisie eine Regierungsform aufzuzwingen, warum sollte es sich dann auf dieses Ziel beschränken, anstatt seine eigenen Forderungen nach der Zerstörung des kapitalistischen Staates zu stellen? Andererseits, wenn ihre Kräfte es noch nicht zulassen, dass der Aufstand entfesselt wird, läuft es dann nicht darauf hinaus, sie auf eine demokratische Regierung auszurichten, um sie auf den Weg zu drängen, der dem Feind den Sieg ermöglicht?

Natürlich ist das Problem nicht so, wie es die Verfechter des „kleineren Übels“ sehen: Das Proletariat hat seine eigene Lösung für das Problem des Staates und hat kein Interesse daran, sich an kapitalistischen Lösungen für das Problem der Macht zu beteiligen. Es ist offensichtlich und logisch, dass schwache bourgeoise Regierungen, die es dem revolutionären Kampf des Proletariats ermöglichen, sich zu entwickeln, in seinem Interesse sind, aber es ist auch offensichtlich, dass der Kapitalismus keine linken oder linksextremen Regierungen bilden wird, wenn sie nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt seine beste Form der Verteidigung sind. In den Jahren 1917-21 kam die Sozialdemokratie zur Verteidigung des bourgeoisen Regimes an die Macht, weil sie die einzige Möglichkeit war, die proletarische Revolution niederzuschlagen. Aber sind Marxisten der Meinung, dass eine reaktionäre, rechte Regierung besser ist und die Massen zum Aufstand führt? Wenn wir diese Hypothese formulieren, dann um zu zeigen, dass für das Proletariat das Konzept einer besseren oder schlechteren Regierungsform keine allgemeine Gültigkeit hat. Diese Konzepte sind nur für den Kapitalismus nützlich, je nach Situation. Die Aufgabe der Arbeiterklasse hingegen ist es, sich um Klassenpositionen herum zu gruppieren, um den Kapitalismus zu bekämpfen, ganz gleich, wie seine konkrete Form aussieht: faschistisch, demokratisch oder sozialdemokratisch.

Bei der Beurteilung der gegenwärtigen Situation ist zunächst einmal zu bedenken, dass die Frage der Machtergreifung für die Arbeiterklasse heute nicht unmittelbar ist. Einige der grausamsten Manifestationen dieser Situation sind die Entfesselung des faschistischen Angriffs und die Entwicklung der Demokratie hin zu Regierungen mit voller Machtbefugnis. Es geht also darum, zu bestimmen, auf welcher Grundlage die Umgruppierung der Arbeiterklasse stattfinden kann. Das ist eine wirklich merkwürdige Auffassung, die Marxisten von allen Agenten des Feindes und von den Verwirrern innerhalb der Arbeiterklasse trennt. Für uns ist die Umgruppierung der Arbeiter ein quantitatives Problem: Da das Proletariat sich nicht die Eroberung der Macht als unmittelbares Ziel setzen kann, muss es sich zusammenschließen, um für begrenztere, aber immer klassenbezogene Ziele zu kämpfen, d.h. für Teilkämpfe. Diejenigen, die einen falschen Extremismus an den Tag legen, der das Klassenwesen des Proletariats verändert, werden behaupten, dass das Proletariat jederzeit um die Macht kämpfen kann. Da sie nicht in der Lage sind, das Problem auf einer Klassenbasis, d.h. auf einer proletarischen Basis, anzusprechen, werden sie es erheblich entschärfen, indem sie die Frage der antifaschistischen Regierung aufwerfen. Man muss sich vor Augen halten, dass die Befürworter der Auflösung des Proletariats im antifaschistischen Sumpf offensichtlich dieselben sind, die die Bildung einer proletarischen Klassenfront für die Kämpfe der Forderungen verhindern.

In den letzten Monaten haben wir in Frankreich ein Aufblühen antifaschistischer Programme, Pläne und Organisationen erlebt, aber all das hat Doumergue nicht daran gehindert, eine massive Kürzung der Löhne und Renten vorzunehmen und damit das Signal für eine Lohnsenkung zu geben, die der französische Kapitalismus verallgemeinern will. Wäre nur ein Hundertstel der Energie, die für den Antifaschismus aufgewendet wurde, in eine solide Front der Arbeiterklasse für den Generalstreik, für die Verteidigung der unmittelbaren Forderungen geflossen, dann hätten einerseits die repressiven Drohungen ihren Kurs geändert, und andererseits hätte das Proletariat, sobald es sich zur Verteidigung seiner Klasseninteressen neu gruppiert hätte, sein Selbstvertrauen zurückgewonnen, die Situation verändert und das Problem der Macht wieder in der einzigen Form auftauchen lassen, die sich für die Arbeiterklasse stellen kann: die Diktatur des Proletariats.

Aus all diesen elementaren Überlegungen geht hervor, dass der Antifaschismus nur dann gerechtfertigt wäre, wenn es eine antifaschistische Klasse gäbe, deren Politik sich aus dem Programm ableitet, das ihr als Klasse entspricht. Aber nicht nur die elementarsten Formulierungen des Marxismus weisen solche Schlussfolgerungen zurück, sondern sie werden auch durch die Faktoren widerlegt, die sich aus der französischen Situation ergeben. In der Tat besteht das unmittelbarste Problem darin, die Grenzen des Antifaschismus festzulegen: Wo liegt seine Grenze auf der Rechten: bei Doumergue, der die Republik verteidigt, bei Herriot, der am „Waffenstillstand“ teilnimmt, um Frankreich vor dem Faschismus zu retten, oder bei Marquet, von dem es heißt, er vertrete „die Augen des Sozialismus“ in der Nationalen Union, bei den Jungtürken der Radikalen Partei oder einfach bei den Sozialisten oder, kurz gesagt, beim Teufel selbst, sofern die Hölle mit Antifaschismus gepflastert ist? Wenn man das Problem konkretisiert, zeigt sich, dass der Antifaschismus eine verwirrende Formel ist, die die Arbeiterklasse in die sichere Niederlage führt.

Anstatt die Forderungen der Arbeiterklasse grundlegend zu ändern, ist es die zwingende Pflicht der Kommunisten, die Arbeiterklasse über ihre Klassenorganisationen – die Gewerkschaften/Syndikate – um ihre Klassenforderungen zu gruppieren. Was die C.G.T. betrifft (die C.G.T.U. hat ihren gewerkschaftlichen/syndikalistischen Charakter verloren und ist zu einem Anhängsel des Zentrismus geworden), so erleben wir – und das ist ein weiteres Merkmal der Auflösung der Arbeiterklasse – einen Prozess der grundlegenden Veränderung, in dem sie sich in eine weitere politische Partei verwandelt, deren Ziel es ist, auf der Grundlage des Programms der Generalstaaten die Struktur der Gesellschaft in einem klassenübergreifenden Sinne zu verändern. Wir sehen, wie die Gewerkschaften/Syndikate zugunsten der antifaschistischen Ideologie verschwinden, obwohl sie die einzigen Organismen sind, die das Proletariat heute neu gruppieren können, wo doch nur unmittelbare Forderungen es der Arbeiterklasse ermöglichen, die Einheit des Kampfes wiederherzustellen. Abschließend möchten wir noch hinzufügen, dass die Tatsache, dass wir uns auf die Gewerkschaften/Syndikate stützen müssen, auf historische Elemente zurückzuführen ist, die nicht mit der Behauptung ignoriert werden können, dass die Gewerkschaften/Syndikate in Frankreich sehr schwach sind. Wir stützen uns nämlich nicht auf die formale Idee der Gewerkschaft, sondern auf die grundsätzliche Überlegung, dass wir uns – wie wir bereits gesagt haben – da sich das Machtproblem nicht unmittelbar stellt, begrenztere, aber immer klassenbezogene Ziele setzen müssen, um gegen den Kapitalismus zu kämpfen. Der Antifaschismus schafft Bedingungen, unter denen nicht nur die kleinsten ökonomischen und politischen Forderungen der Arbeiterklasse im Keim erstickt werden, sondern er gefährdet auch alle ihre Möglichkeiten des revolutionären Kampfes und setzt sie den Widersprüchen des Kapitalismus aus: dem Krieg, bevor sie die Möglichkeit hat, den revolutionären Kampf für die Errichtung der zukünftigen Gesellschaft zu führen.


1Die Autoren verwenden den Begriff „Zentrismus“ oder „Zentristen“, um sich auf die stalinistische Strömung zu beziehen, die die kommunistischen Parteien und die Internationale ab Mitte der 1920er Jahre kontrollierte.

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Die Syndikate erobern oder sie zerstören? – Faut-il conquérir les syndicats ou les détruire? https://panopticon.blackblogs.org/2022/02/08/die-syndikate-erobern-oder-sie-zerstoeren-faut-il-conquerir-les-syndicats-ou-les-detruire/ Mon, 07 Feb 2022 23:39:13 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=2485 Continue reading ]]> Einleitung der Soligruppe für Gefangene,

wir haben diesen Text aus dem Spanischen und dem Französischen übersetzt, die spanische Übersetzung ist bis dato noch nicht komplett und soll in drei Teilen erscheinen, bis jetzt waren es nur zwei, wir denken, dass es in kommender Zeit erscheinen wird. Wir haben ein Teil der Einleitung aus dem Spanischen übernommen, weil darin einige historische Daten vorhanden waren, die wir für bereichernd empfinden. Alle Fußnoten aus dem Spanischen sind auch als solche markiert, der Rest ist aus unserer Hand.

Hier handelt es sich um eine Textreihe, die in den Ausgaben Nr.1; 2; 3; 4 und 5, von August bis November 1929 in L’Ouvrier Communiste erschien. L’Ouvrier Communiste war das Organ der Groupes ouvriers communistes – Kommunistischen Arbeitergruppen. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe, die sich mehrheitlich aus italienischen Kommunisten bildete, die Italien nach der Machtergreifung der Faschisten das Land verließen. Diese Gruppe, am Anfang noch den Positionen von Amadeo Bordiga1 nahe, löste sich peu à peu von der PCd´I (Partito Comunista d´Italia) und gründete ihr eigenes Organ, bei dem man sich dem Rätekommunismus, nach der gegenwärtigen Sprache, näherte und eine scharfe Kritik an die noch junge Sowjetunion übte.

Aus den verschiedenen Spaltungen oder eher Brüchen mit der PCd´I folgten auch Le Réveil communiste und 1933 schließlich Bilan2.

Bei den Urhebern des Textes, den wir übersetzt haben, waren u.a. Michelangelo Pappalardi3, André und Dori Prudhommeaux4, Jean Dautry5 usw. aktiv.

Der Titel dieses Textes lautet im Original Faut-il conquérir les syndicats ou les détruire?, was uns zu zwei Entscheidungen bei der Übersetzung führte. Erstere lag, wir wurden freundlicherweise darauf hingewiesen, in der Übersetzung des Begriffs conquérir, was nicht nur als erobern, sondern auch als einnehmen, erwerben, aber auch vereinnahmen, zumindest im Kontext des Textes, verstanden werden könnte. Genauso taucht im Text das Nomen dieses Verbs auf, nämlich conquête, sprich Eroberung. Stellte sich die Frage in wie weit erobern-Eroberung „real zulässig“ ist, weil, ohne diesen fahlen und muffigen Mundgeruch nach Entrismus, ein Syndikat ja nicht wirklich erobert werden kann, als ob hier die Rede von einer Burg wäre. Wir trafen aber diese Entscheidung, weil im Verlauf des Textes mehrfach die Rede von théorie de la conquête léniniste ist, sprich, die Theorie der leninistischen Eroberung. Wir haben nach diesem spezifischen Begriff gesucht und diesen nicht gefunden, als weder in Schriften von Lenin, noch in ähnlicheren. Daher haben wir es dabei gelassen, also die Verwendung von erobern-Eroberung, weil der, zumindest für uns, Hinweis auf die Eroberung politischer und staatlicher Organisierung durchaus zutreffend ist, zumindest was die Strategien des Herrn Lenins betreffen, wir weisen auf die russische Revolution von 1917 hin. Es handelt sich also hier um semantische und nicht syntaktische Fragen, die wir erwähnen wollten und wir uns strikt an dem, ja schon fast militärisch klingenden, Begriff welches das Original verwendet, halten. Das heißt, man kann dieses erobern-Eroberung auch als ein Einnehmen, Erwerben und Vereinnahmen verstehen.

Bei der zweiteren geht es darum, dass in romanischen Sprachen die Rede von syndicats(fr)/sindicatos(sp)/sindacto(it) bzw. syndicalimse(fr)/sindicalismo(sp)/sindacalismo(it), was jeweils Gewerkschaft und/oder je nach Quellenangabe auch Gewerkschaftsbewegung und auch (sic) als Syndikalismus übersetzt wird, ist. Wir haben uns für die Begriffe Syndikat, Syndikalismus und syndikalistisch entschieden. Warum wir uns dafür entschieden haben, wollen wir erklären.

Nicht nur dass der Ursprung der Gewerkschaft/Syndikat in Frankreich liegt, in allen von uns erwähnten Ländern, die die Begriffe teilen, zumindest etymologisch affin sind, ist eine Gewerkschaft ein Syndikat. Es gibt keine politische Differenzierung, wie sie hierzulande geübt wird, indem suggeriert wird, dass der Syndikalismus oder die unterschiedlichen Syndikate im deutschsprachigen Raum, die FAU und die Wobblies weit voran, eine revolutionäre Art und Weise der Gewerkschaft seien. Nun wir teilen dies nicht, sondern weisen darauf hin, dass die vermeintliche Differenzierung nur eine Rauchwand ist. Denn indem wir nur über Gewerkschaften (als Übersetzung) schreiben würden, würde man andersrum denken, dass die hier als syndikalistisch bezeichneten Organisationen (FAU-Wobblies, etc) nicht in der Kritik miteinbegriffen sind. Im romanischsprachigen Raum wird evtl. nur mit dem Adjektiv revolutionär zwischen diesen Gewerkschaftsformen-Syndikaten unterschieden, dennoch wird der Begriff des Syndikats und des Syndikalismus verwendet. Wir hoffen, dass unsere boshaften Intentionen ein weiteres Mal verstanden werden.

Worum es hier aber eigentlich geht, ist ob Gewerkschaften/Syndikate Werkzeuge des Proletariats für seine Befreiung gegen das Kapital überhaupt sein können, oder ob diese nur Werkzeuge die zwischen dem Widerspruch Kapital und Arbeit nur eine vermittelnde Rolle spielen können, spielen werden und seit Anbeginn gespielt haben. Die Linke des Kapitals reduziert entweder das revolutionäre Handeln des Proletariats auf rein ökonomische Fragen, wie Leninisten aller Couleur es machen, oder zwingen das revolutionäre Handeln des Proletariats im Korsett der syndikalistischen/gewerkschaftlichen spezifische Organisation (Verdi, FAU, Wobblies, etc.) und erdrosseln jegliche Form der Spontaneität und aufständischen Praxis dieser mit einem Würgegriff an der Gurgel. Nun dieser Text aus dem Jahr 1929, weitere zu der Thematik werden folgen, kritisiert beide erwähnte Beispiele. Aus diesem Grund, sowie aus dem historischen Kontext in dem der Text geschrieben wurde, der vieles an Aktualität nicht verloren hat, haben wir ihn übersetzt.


Die Syndikate erobern oder sie zerstören? – Faut-il conquérir les syndicats ou les détruire?

Vorwort der spanischen Übersetzung:

1929 veröffentlichten die Groupes ouvriers communistes [kommunistische Arbeitergruppen] in ihrem Organ L’Ouvrier Communiste [Der kommunistische Arbeiter] eine Reihe scharfsinniger Notizen über die nicht nur reformistische, sondern konterrevolutionäre Rolle der Syndikate.

Die Groupes ouvriers communistes entstanden aus einem Bruch mit der linken Fraktion der Kommunistischen Partei Italiens, die die Zeitschrift Prometeo herausgab. Sie war eine der ersten Gruppen, die versuchte, die marxistische Praxis und die theoretischen Positionen der italienischen („bordigistischen“6) Linken mit denen der nicht-leninistischen kommunistischen Linken (vor allem in Deutschland und den Niederlanden, aber auch in England und Russland) und sogar mit denen mit anarchistischen Wurzeln zusammenzubringen (wenn nicht gar zu verschmelzen). Gavriil Miasnikov7, Michelangelo Pappalardi und André Prudhommeaux schrieben unter anderem für diese Zeitung. Wie Miasnikov und bestimmte anarchistische und linkskommunistische Einzelpersonen und Gruppen charakterisierten die Groupes ouvriers communistes die UdSSR als (das System des, A.d.Ü.) „Staatskapitalismus“. L’Ouvrier Communiste kritisierte auch immer wieder die Ideologie und Praxis von Gruppen, die die „nationale Befreiung“ unterstützten (oder anstrebten).

Wer in der argentinischen Region die Geschichte der FORA (Federación Obrera Regional Argentina – Argentinische Regionale Arbeiter Föderation) kennt, wird in dem hier übersetzten Text eine gewisse Vertrautheit mit den kommunistischen Positionen finden, die die genannte Föderation im selben Jahrzehnt in Bezug auf den nichtrevolutionären Charakter der Syndikate vertreten hat. So lesen wir in „La FORA frente a los acuerdos de la conferencia celebrada en Berlín por los socialistas revolucionarios e industriales“8 (Juni 1922):

„Der Syndikalismus ist die Waffe, die die Ausgebeuteten in der gegenwärtigen Ordnung der monopolisierten Produktion führen müssen, und dieser Syndikalismus, der eine Notwaffe ist, kann keine zukunftsträchtigere Schöpfung haben als die, die ihm von den Menschen gegeben werden kann, die ihn benutzen. Abgesehen von dem Dienst, den der Syndikalismus allen Arbeitern leistet, um sich gegen die kapitalistische Plünderung zu verteidigen, dienen seine Organe den Anarchisten als wirksames Mittel zur Verbreitung ihrer Ideale, aber die Anarchisten dürfen nicht ihre Pflicht vergessen, alle Institutionen zu kritisieren, und der Syndikalismus wäre, wenn er die Aufgabe übernähme, um eine neue Gesellschaftsordnung zu reorganisieren, nicht mehr und nicht weniger als eine Institution, die an die Stelle der gefallenen tritt. […] Mit der Abschaffung der kapitalistischen Produktionsordnung und der staatlichen Herrschaft haben die ökonomischen syndikalistischen Organe ihre historische Rolle als spezifische Waffe gegen die Ordnung der Ausbeutung und der Tyrannei erfüllt. Daher müssen sie der freien Assoziation und dem freien Zusammenschluss von freien Produzenten- und Verbraucherverbänden Raum geben.“

Sechs Monate später (Dezember 1922) erklärte FORA in dem Bericht, der der IAA ( Internationale Arbeiterassoziation) auf ihrem Kongress in Berlin vorgelegt wurde:

„Angesichts der Stimmen, die „alle Macht den Syndikaten“ fordern, antwortet die Federación Obrera Regional Argentina, die weiß, wie schlecht alle Macht in den Händen derer ist, die ihre Postulate der integralen Befreiung bekräftigen wollen: „Keine Macht für niemanden“. Und angesichts solch fragwürdiger Behauptungen wie der, dass der Syndikalismus sich selbst genügt, dass es ihm an doktrinären Werten fehlt, die ihn lebendig machen, kann sich der Syndikalismus nicht damit rühmen, sich selbst zu genügen. Einige werden sich über diese Vorbehalte gegenüber dem Syndikalismus wundern, aber in diesem Moment, in dem revolutionäre Ideen das Ende der bourgeoisen Zivilisation ankündigen, ist die Diskussion über Werte notwendiger denn je; in diesem Moment, in dem bekräftigt wird, dass der Syndikalismus die führende Rolle in der nächsten Revolution und sogar die Aufgabe der Neuorganisation der Gesellschaft nach der Zerstörung der Bourgeoisie übernehmen muss, hält es die Federación Obrera Regional Argentina für notwendiger denn je, auf die Gefahren hinzuweisen, die der Syndikalismus mit sich bringt.“9

In einem nationalen und internationalen „proletarischen“ politischen Milieu, das emotional – aber auch „ökonomisch“10 – mit der untergegangenen „Arbeiterbewegung“ verbunden ist, in dem immer noch Handlungsbedarf innerhalb der bourgeoisen Institution des Syndikats besteht (durch „Rekuperation11 des Syndikats“ und/oder „Eroberung der Führung“, und darin sind sich Gruppen, die sich als marxistisch und anarchistisch bezeichnen, einig), sind Texte wie der hier vorliegende von großer Aktualität.

Rossoinero

Buenos Aires, 21. Juni 2021


Sollen wir die Syndikate erobern oder sie zerstören?

(Originaltitel: Faut-il conquérir les syndicats ou les détruire?)

Übersetzung, Bearbeitung und Anmerkungen (aus dem Spanischen) von Rossoinero, der Rest von der Soligruppe für Gefangene

Im letzten Jahrhundert, zu Beginn der Arbeiterbewegung, war Karl Marx geneigt, Organisationen als Formen zu betrachten, durch die der Klassenkampf in einen politischen und revolutionären Kampf münden könnte. Insbesondere die Erfahrungen des Chartismus12 haben die Auffassung von Marx, dass die Syndikate, die Schule des Sozialismus, der Schauplatz der Revolution sind, historisch untermauert. Diese Charakterisierung ist nicht zu verurteilen, wenn wir den historischen Zeitraum berücksichtigen, in dem sie formuliert wurde.

Wenn wir jedoch in die heutige Zeit zurückgehen, müssen wir feststellen, dass die Syndikalisten in unwürdiger Weise auf die alte Meinung von Karl Marx spekuliert haben, um den syndikalistischen Formen die Exklusivität der revolutionären Rolle zuzuschreiben. Es ist eine in Frankreich und Italien allgemein ignorierte Tatsache, dass Marx als gewissenhafter Beobachter der Entwicklung des Klassenkampfes und als unermüdlicher Gegner jeglicher dogmatischer Schlussfolgerungen seine Auffassung im Lichte der historischen Erfahrung revidierte. Er erkannte, dass die Syndikate, die im Sand des ökonomischen Widerstands stecken geblieben waren, nicht mehr die natürlichen Organe des Klassenkampfes waren, wie die Epigonen der leninistischen Schule (Trotzkisten, Bordigisten, Brandleristen13 usw.) immer noch behaupten, sondern dass sich ihre Funktion auf den Widerstand gegen die Tendenz der Kapitalisten beschränkte, die Kosten der kapitalistischen Existenz auf ein Minimum zu reduzieren.

Es ist eine Tatsache, dass ein solcher Widerstand der Syndikate keine wirkliche und allgemeine Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse bewirken kann. Der ökonomische Kampf innerhalb der Grenzen der kapitalistischen Gesellschaft ermöglicht es dem Arbeiter nur, sein Leben in Sklaverei fortzusetzen, selbst wenn die Arbeitslosigkeitskrisen nicht die Lebensgrundlage großer Massen wegnehmen würden.

Andererseits stellte Marx fest, dass die Syndikate nicht die Rolle der revolutionären Erzieher des Proletariats spielten, eine Rolle, die seiner Meinung nach für die Entwicklung des Klassenkampfes zum Sieg des Sozialismus unerlässlich war. Es versteht sich von selbst, dass kein Revolutionär diesen grundlegenden Gesichtspunkt aus den Augen verlieren darf, der die Befreiung des Proletariats und der gesamten Gesellschaft in sich trägt.

Was Marx noch nicht sehen konnte, war, dass die syndikalistischen Organisationen in den Sumpf der Klassenkollaboration geraten würden: Das haben wir während und nach dem Krieg gesehen14.

Nach dem Weltkrieg und der russischen Revolution standen sich in der kommunistischen Bewegung zwei Tendenzen gegenüber, die völlig unterschiedliche Lösungen für das syndikalistische Problem anboten. Einige – die Leninisten – verteidigten die Notwendigkeit, die Syndikate zu erobern, d.h. die reformistischen Anführer durch kommunistische Anführer zu ersetzen oder die reformistischen Syndikate zu revolutionieren. Andere – Extremisten in Deutschland, Tribunisten15 in Holland – traten für die Zerschlagung der Syndikate ein, die sich als Instrumente des direkten Kampfes der proletarischen Klasse den revolutionären Räten entgegenstellten, die in Deutschland während der Aufstandsbewegungen von 1918-1919 spontan entstanden waren.

Es ist klar, dass sich diese beiden Tendenzen nicht ohne Zwischenakte manifestiert haben. Es gab immer noch Elemente – Kommunisten oder Syndikalisten -, die für den Austritt aus den reformistischen Syndikaten eintraten, um revolutionäre Syndikate zu bilden.

Es ist anzumerken, dass der Leninismus bereits, insbesondere während des Krieges, den konterrevolutionären Charakter der Syndikate und den bourgeoisen Charakter ihres Bürokratismus erkannt hatte: Es ist sehr merkwürdig, dass diese Erkenntnis ihn nicht zu radikalen Positionen gedrängt hat. 1920 führte die leninistische Schule, die die Sympathie der Massen gewinnen musste, die revolutionäre Bewegung in den Teufelskreis der Eroberung der Syndikate. Die Theorie, dass die Syndikate die natürlichen Organe des Proletariats seien, hatte in der Tat keine historische Berechtigung. Wenn sie es ursprünglich hätten sein können, hatten sie ihre Degeneration bereits während und nach dem Krieg unter Beweis gestellt. Sie waren nicht mehr nur nicht-revolutionäre Organe – wie Marx sie definiert hatte – sondern auch Organe, die zur Klassenkollaboration und zum Sieg der konterrevolutionären Kräfte geführt hatten. Deshalb waren wir empört, als wir in Bordigas Rede zur parlamentarischen Anfrage auf dem 2. Komintern-Kongress lasen, dass „die Syndikate, auch wenn sie korrupt ist, immer ein Zentrum der Arbeiter bleiben“. Die Aussage ist so kindisch, dass jeder ihre Inkohärenz nachvollziehen kann. Indem Bordiga die leninistische Eroberungstheorie legitimieren will, legitimiert er die Möglichkeit einer solchen Eroberung auch in reaktionären syndikalistischen Organen und faschistischen Korporationen. Diese Betrachtungsweise des syndikalistischen Problems ist im Übrigen abstrakt und unhistorisch. Wenn die Syndikate korrupt sind, dann sicher nicht, weil es Reformismus gibt. Im Gegenteil, der Reformismus ist ein Produkt der Entwicklung der Syndikate in eine konterrevolutionäre Richtung. Der Revisionismus entwickelt sich in Deutschland innerhalb der Sozialdemokratie und dominiert diese, aber er hat seine Wurzeln, seine Kraft, in den Syndikaten. Die Eroberungstheorie, die die syndikalistische Regeneration zulässt, geht offensichtlich von dem Standpunkt aus, dass es die äußeren Kräfte sind, die die Organisationen des proletarischen Widerstands korrumpiert haben und die vertrieben werden müssen, um die revolutionären Kräfte an ihre Stelle zu setzen. Wenn man davon ausgeht, dass die syndikalistische Korruption als historisches Phänomen ihre Daseinsberechtigung in der Natur des Syndikats findet, kann man nicht versuchen, die neuen revolutionären Formen mit den alten und korrupten Formen des Klassenkampfes in Einklang zu bringen. Die revolutionären politischen Eliten, deren Keimzelle bereits vor und während des Krieges in der internationalen Sozialdemokratie lag und die sich in der unmittelbaren Nachkriegszeit in den kommunistischen Kernen und Parteien manifestierten, sind jedoch nach der Eroberungstheorie die Organe, die zur Revolutionierung der Massen im alten syndikalistischen Organ entstanden sind. Aber das ist noch nicht alles! Die Fabrikräte, die nicht das Produkt einer Aktion zur Manipulation der Massen sind (vor allem die, die in Deutschland nach dem Krieg gebildet wurden) und die in ihrer revolutionären Form und Tätigkeit in Konflikt mit den Syndikaten treten, sind für die Theoretiker der Eroberungstheorie ohne Bedeutung. Indem die Eroberungstheorie den Konflikt zwischen den Syndikaten und den Räten ausblendete, degradierte sie letztere zu legalisierten Organen, die sich der konterrevolutionären Linie der deutschen CGT16 unterordneten.

Die antidialektische Natur der Eroberung ergibt sich also aus der historischen Erfahrung der deutschen Bewegung. Sie leugnet den Konflikt zwischen den revolutionären Räten und den Syndikaten, d.h. zwischen den proletarischen Kräften in der Fabrik und der syndikalistischen Bürokratie. Sie gibt vor, die neuen politischen Kräfte zu nutzen, um die Syndikate zu erneuern; aber alle Aktivitäten der Eroberer verhindern nicht, dass diese zu erneuernden Formen immer mehr korrumpiert werden. Sie verhindert nicht die Anwendung der obligatorischen Schiedsgerichtsbarkeit: tatsächlich sind die Kräfte der Eroberung gezwungen, inmitten der Klassenkollaboration zu manövrieren. Der Leninismus, der sich immer damit brüstete, für die Zerstörung des Staates zu sein, hat nicht verstanden, dass auch die korrupten Organe zerstört werden müssen. In Bezug auf die Syndikate ist der Leninismus völlig reformistisch, wenn nicht gar reaktionär. Die revolutionäre Tätigkeit der politischen Eliten des Proletariats darf niemals dem historischen Prozess im Wege stehen, sie darf niemals darin bestehen, die Konflikte zu verbergen und so zu tun, als ob sie durch ein System der umgekehrten Strategie gelöst werden.

Der Bankrott dieser leninistischen Tragödie scheint uns heute unbestreitbar, niemand kann ihn leugnen, wenn wir die Ergebnisse berücksichtigen, die wir gerade hervorgehoben haben. Und um die Ungereimtheit zu vervollständigen, klammern sich die Eroberer weiterhin wie ein Rettungsanker an diese Theorie, die von der historischen Erfahrung endgültig verurteilt wurde. Korrupte Organisationen werden nicht erobert, sie werden zerstört.

Der infantile Extremismus, gegen den der Leninismus, ermutigt durch diese zeitweiligen Erfolge, 1920 seine Kritik richtete, änderte seine Zerstörungstheorie nicht, trotz der Welle der Begeisterung, die damals den Verstand vieler Revolutionäre verblendete. Es handelte sich nicht um eine abstrakte, antidialektische Theorie, und es wurde auch nicht versucht, harmlose/unbedeutende Systeme auf die Geschichte anzuwenden. Dem Leninismus gelang es, durch die weite Verbreitung seiner Theorien und Vorstellungen eine Karikatur des Extremismus zu verbreiten. Und Bordiga selbst trug zur Entstellung des Extremismus bei, als er ihn in seiner Rede vor dem 2. Kongress der Komintern mit dem Syndikalismus gleichsetzte. Nun ist die „destruktive“ Theorie des Extremismus geradezu antisyndikalistisch. Der Syndikalismus idealisiert die syndikalistischen Formen und sieht in ihnen die ewige Erneuerung der revolutionären Kräfte. In dem Syndikat erreicht der Sozialismus sein Ziel, seine vollkommene Form.

Kurzum: Für diese Theorie ist das Syndikat die einzige Form, die ewige Form, die sich im Klassenkampf immer wieder verjüngt. So identifiziert der Syndikalismus den Klassenkampf mit dem Syndikat. Und in diesem Punkt wäre er nicht weit vom Leninismus entfernt, wäre da nicht die Frage der Partei, die sie trennt.

Der Radikalismus oder Extremismus hatte die Veränderungen erkannt, die der historische Prozess in den Formen des Klassenkampfes mit sich brachte. Er hat wohl erkannt, dass das, was verdorben ist, niemals geheilt werden kann. Er ist das Produkt der Erfahrungen aus der Geschichte des Klassenkampfes in Deutschland; er ist eine lebendige Kraft, die aus der Entwicklung der Revolution hervorgeht. Er ist keine abstrakte Theorie, wie der Syndikalismus; er ist kein Anachronismus in der proletarischen Revolution Westeuropas, wie der Leninismus.

In Deutschland hatte der Revisionismus die Klassenkollaboration gefördert und war, ausgehend von den syndikalistischen Organisationen, in alle sozialdemokratischen Kreise eingedrungen. Der Krieg brach aus, der Revisionismus triumphierte. Die syndikalistische Bürokratie und die Arbeiteraristokratie hatten die Sozialdemokratie und die Syndikate bereits infiziert. Sie waren das Produkt der kapitalistischen Entwicklung und gleichzeitig der rein ökonomischen Formen, die der Klassenkampf angenommen hatte. Diese rein ökonomischen Formen des Kampfes für Teilforderungen hatten den Sozialchauvinismus in der Arbeiterklasse genährt, den Glauben, dass Verbesserungen für das Proletariat unter kapitalistischer Herrschaft möglich seien. Offensichtlich führte dieses Vorurteil dazu, dass die Arbeiter glaubten, ihr Wohlergehen sei hauptsächlich auf die Vormachtstellung ihres kapitalistischen Vaterlandes zurückzuführen (dieses Vorurteil ist unter französischen Arbeitern auch heute noch weit verbreitet). So hatte der Kampf um die Existenzmittel in seinen syndikalistischen Formen an die Schwelle der Klassenzusammenarbeit geführt. Der Krieg integrierte den bürokratischen Apparat der Syndikate in den Regierungsapparat der Bourgeoisie (was in Frankreich mit der CGT geschah). Die Klassenkollaboration wurde offiziell von den syndikalistischen Organen verkündet, die die Möglichkeit eines Klassenkampfes während des Krieges leugneten und die Arbeiter als treue Diener des Imperialismus in den kapitalistischen Krieg trieben.

Die deutsche Arbeiterklasse sah sich also mit einem historischen Phänomen konfrontiert, das die ursprünglichen Klassenorgane zu gefügigen Waffen in den Händen des Kapitalismus machte. Gewiss, die Syndikate hatten für den Achtstundentag und für Lohnerhöhungen gekämpft, sie hatten Momente ökonomischer Konjunktur ausnutzen können, um dem Kapitalismus Zugeständnisse abzuringen, die auch in Krisenzeiten eingehalten wurden. Doch diese Zugeständnisse waren angesichts der gigantischen Entwicklung des Kapitalismus und seiner Profite nur relativ; sie waren, wie die späteren Ereignisse gezeigt haben, äußerst prekär. Die Ergebnisse des Kampfes um den Lebensunterhalt führten zur Gründung von Syndikaten, die Millionen von Arbeitern umfassten. An der Spitze dieser Organismen (Organisationen, A.d.Ü.) wurde ein zentralisierter und umfangreicher/vielköpfiger bürokratischer Apparat gebildet. Diese bürokratische Schicht, die ihre Kräfte vor allem aus dem privilegiertesten Teil der Arbeiterklasse, der Arbeiteraristokratie, schöpfte, die nie die Bestrebungen der unteren Schichten des Proletariats verstand, konnte den revolutionären und klassenkämpferischen Geist nicht bewahren. Im Gegenteil, sie hat sich in ihren Gewohnheiten und Vorstellungen völlig von der Klasse gelöst, die sie hervorgebracht hat. So wurde ihre Ideologie kapitalistisch und konservativ. Die Erhaltung dieser sozialen Schicht war und ist nur durch die Aufrechterhaltung des kapitalistischen Regimes möglich. Die proletarische Revolution hat die Beseitigung alles Parasitären in der Gesellschaft zum Ziel. Nun ist der Bürokratismus nichts anderes als ein parasitäres Phänomen, das sich durch den Aufstieg des Kapitalismus entwickelt hat und das die Ausbeuterklassen in ihrem eigenen Interesse begünstigt und aufrechterhalten haben. Der Staatsbürokratismus ist unter der bourgeoisen Herrschaft enorm gewachsen, selbst in Ländern, in denen er zunächst nur ein unbedeutendes Element war. Der syndikalistische Bürokratismus ging in seiner Entwicklung mit dem staatlichen Bürokratismus einher. In Deutschland, England und den Vereinigten Staaten gibt es zwischen diesen beiden sozialen Elementen keinen Unterschied. Es ist nicht außergewöhnlich, dass die syndikalistische Bürokratie die bourgeoise Ideologie aufgesogen hat, und auch nicht, dass sie – manchmal erfolgreich – versucht hat, die proletarische Ideologie zu mystifizieren und die Arbeiterklasse selbst zu korrumpieren.

In ihrer Entfremdung von der Arbeiterklasse als revolutionärer historischer Kraft, in ihrer Kollaboration mit dem Kapitalismus, idealisierte die syndikalistische Bürokratie ihre soziale Lage in einer Theorie der Kollaboration zwischen den Klassen. Es war nur natürlich, dass sie diese Theorie auf die gesamte Arbeiterklasse ausdehnte.

Manche erklären das Phänomen der Zusammenarbeit zwischen Syndikaten und Staat als vorübergehendes Phänomen, als Folge der Flaute im Klassenkampf. Diese Elemente idealisieren das Syndikat; sie machen das Syndikat zu einer ewigen Form des Klassenkampfes. Sie begreifen nicht den Unterschied zwischen dem gesamten Prozess des Klassenkampfes und seinen Formen, die nicht immer gleich sind. Diese Leute glauben sogar, dass wir den Klassenkampf verleugnen, weil wir die Idealisierung der Formen (die ihre sind) ablehnen!

Trotzki selbst hat nicht erkannt, dass die natürlichen Formen des Klassenkampfes lange Zeit nicht die Syndikate waren. In seinem Dokument von 1917 stellt er fest, dass außerhalb Russlands, in den verschiedenen Ländern, die Organe der Revolution wahrscheinlich die Fabrikkomitees und sogar die Syndikate sein werden. Seine Verwirrung ist offensichtlich.

Der Eklektizismus bringt Trotzki dazu, zuzugeben, dass diese beiden Formen des Klassenkampfes identisch sind. In dieser Konzeption vermischt sich der reine Syndikalismus mit dem Radikalismus; der historische Gegensatz zwischen diesen beiden Formen verschwindet und die bürokratische Ideologie wird der rein proletarischen Ideologie gleichgestellt. Der Reformismus bildet eine gemeinsame Front mit der Revolution.

Es ist erstaunlich, dass die Elemente der „Révolution prolétarienne“ dieses Argument, das Leo Trotzki ihnen so leichthin zur Verfügung stellt, noch nicht verstanden haben17. Heute haben diese Elemente durch die Idealisierung der Syndikate zu einer Idealisierung des Labourismus18 geführt. Louzon, der theoretische Anführer der Ligue syndicaliste19, fand auf der Grundlage eines geographischen Determinismus (der nichts mit dem historischen und materialistischen Determinismus zu tun hat) im englischen und belgischen Labourismus den Punkt der Vereinigung von Ökonomie und Politik. Auf dem ideologischen Terrain löste die Ligue syndicaliste auf praktische und konsequente Weise die Probleme der Revolution, die Loriot in seinem Pamphlet theoretisch aufgeworfen hatte; sie gab dem ideologischen Phantom Loriots eine lebendige Form. Chambeland hat noch mehr getan: In der Praxis hat er die Ligue syndicaliste näher an den Labourismus herangeführt und im Nachhinein eine sehr diplomatische Entschuldigung für die Zwangsschlichtung abgegeben. Pierre Naville, der noch keine präzise Form für seinen revolutionären Surrealismus gefunden hat, fügt diesem Bild des Labourismus eine apologetische Note hinzu: revolutionäre Ehrlichkeit!

Man kann sich nichts Groteskeres vorstellen, als dem Syndikat die Rolle der Führung in der Revolution zuzuschreiben: das Syndikat, das mit seinem kolossalen und ansteckenden Bürokratismus alle revolutionären Bewegungen gebrochen hat! Das Syndikat, das heute in Russland die Waffe des bonapartistischen Staates ist, um das Dreiecksregime in den sowjetischen Fabriken aufrechtzuerhalten! Das Syndikat, das in Italien keinen Platz hat, außer in den Formen der reinen Unterdrückung des Proletariats, in den Korporationen!

Diejenigen, die das Syndikat so sehr idealisiert haben, dass sie es als das sensibelste und sogar revolutionärste Organ während der Diktatur des Proletariats ansehen, haben die Ergebnisse eines Jahrhunderts des Klassenkampfes nicht berücksichtigt. Sie haben nicht gesehen und sehen immer noch nicht, dass der Klassenkampf zwar das Syndikat hervorgebracht hat, dass aber heute die höchsten, revolutionären Formen nicht mehr durch syndikalistische Organisationen realisiert werden können. Sie verstehen nicht, dass, wenn der Ausgangspunkt des Klassenkampfes rein ökonomisch ist, die Entwicklung des proletarischen Bewusstseins historisch über den rein ökonomischen Impuls hinausgeht. Ihre Auffassung senkt die materialistische Dialektik auf das Niveau einer rein utilitaristischen Theorie. Sie haben nicht verstanden, dass die ökonomischen Formen des Klassenkampfes in einen Kontrast zu den revolutionären Formen treten, gerade weil die ersteren dazu neigen, den letzteren eine Grenze zu setzen. Gewiss, der ökonomische Kampf bot und bietet ein immer begrenzteres Feld für Experimente. Auch ökonomische Agitationen sind oft (nicht immer) der Ausgangspunkt für revolutionäre Agitationen. Diese Tendenz, dass ökonomische Bewegungen zu politischen Bewegungen werden, ist ein Phänomen, das seinen Grund in der Natur der Klassen hat. Aber diese spontane Tendenz konnte nicht von sich aus der Verwirklichung der Revolution dienen, sonst wäre die Revolution schon längst verwirklicht worden. Das Element der revolutionären Spontaneität fand seine Grenzen in der mangelnden Erfahrung der Arbeiterklasse. Und diese Grenzen haben die Massen wieder in ihre ökonomische Ausgangsposition gebracht. Die Syndikate waren und sind der organisierte Ausdruck dieser Grenzen. Die Spontaneität des Klassenkampfes, seine Bewegungen, neigen in der Tat dazu, sich zu verallgemeinern, und in bestimmten Perioden erreichen sie ein immer stärkeres Crescendo. Und diese Spontaneität führte in Deutschland und Italien (in der Zeit des intensivsten revolutionären Aufruhrs) zur mehr oder weniger unvollständigen Bildung von Fabrikräten. In Italien nahm die Spontaneität der revolutionären Bewegung aus historischer Sicht eine originelle Form an. Bei der Besetzung der Fabriken führte die Spontaneität der Bewegung die Arbeiterklasse zur direkten Enteignung der Fabriken, die nicht durch das Dekret einer konstituierten Regierung, sondern durch die Aktion der fortgeschrittensten Arbeitermassen durchgeführt wurde. Im Übrigen darf diese revolutionäre Aktion nicht mit einer rein syndikalistische Aktion verwechselt werden, die nie über die Lohnskala und die Tarifpolitik hinausging, die aus revolutionärer Sicht unsinnig ist. Die Bewegung der italienischen Metallarbeiter geht genau über die Grenzen dessen hinaus, was man gewöhnlich als Ökonomie bezeichnet. Man könnte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass aus marxistischer Sicht nichts rein ökonomisch ist, dass jede ökonomische Bewegung eine embryonale politische Bewegung ist. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass jede ökonomische Bewegung des Proletariats die Tendenz hat, zu einer politischen Bewegung zu werden, und wir haben auch darauf hingewiesen, dass es Kräfte gibt, die diese Bewegungen an die Grenzen des Ökonomischen zurückdrängen. Da das ökonomische Element einen doppelten Aspekt hat, entwickelt es sich auf der Grundlage eines Dilemmas: der Kampf um die Existenzmittel oder der Kampf um die Revolution. Bislang gibt es nur sehr wenige Beispiele dafür, dass dieses Dilemma eine revolutionäre historische Lösung gefunden hat, und wenn, dann immer außerhalb der syndikalistischen Organisationsformen. Das Beispiel der Fabrikbesetzungen zeigt uns den Weg, den die Revolution in Italien in naher Zukunft nehmen wird. Sie übertraf in ihrer Spontaneität alle bisherigen Kampfmethoden. Darüber hinaus handelt es sich um ein Phänomen echter Einheit: Es ist anzumerken, dass diese Bewegung zunächst eine Initiative der Metallarbeiter war und sich dann auf die anderen Bereiche ausbreitete. Und wenn diese Bewegung nicht gestoppt worden wäre, hätte sie die gesamte Arbeiterklasse erreicht. Viele sind der Meinung, dass er auf die syndikalistischen Aktionen des Metallarbeiterverbandes zurückzuführen ist. In ihren Memoiren versucht Angelica Balabanoff20, die Bedeutung dieser Bewegung herunterzuspielen, indem sie auf eine analoge Bewegung anspielt, die von den Faschisten vor der Besetzung der Fabriken im September 1920 ausgelöst worden wäre. Sie misst der großen Septemberbewegung keine Bedeutung bei und unternimmt keinen Versuch, deren Ursachen und Entwicklung zu analysieren. Es ist klar, dass es sich für sie, wie für so viele andere, lediglich um eine syndikalistische Aktion handelte. Es sei darauf hingewiesen, dass der September-Besetzung zwei sehr bedeutende Bewegungen vorausgingen: die der Betriebsräte in Turin und die der Besetzung der Miani- und Silvestri-Fabriken21 in Neapel. Die erste wurde von den kommunistischen Elementen des Ordine Nuovo22 in das rein reformistische Terrain der Produktionskontrolle getragen. Die Besetzung der Fabriken Miani und Silvestri23 war in ihrer Isolation – wenn man bedenkt, dass sie in Neapel stattfand, etwas weiter entfernt vom eigentlichen industriellen Zentrum – ein sehr bedeutendes Symptom für die revolutionären Tendenzen, die die italienischen Massen bewegten. Er wurde durch den Widerstand der Arbeiter gegen die Polizei und durch die Ermordung eines Mitglieds des Sowjets24, der sich in der besetzten Fabrik gebildet hatte, gelöst.

Die große Besetzung vom September 1920 wurde durch die spontane Besetzung einiger Fabriken in Ligurien und Mailand durch die Arbeiter ausgelöst. Nach diesen spontanen Bewegungen ergriff die Fédération des Métallurgistes (Metallarbeiterverband) die Initiative zur Besetzung der Fabriken (eine Besetzung, die sich im Übrigen über den Willen der syndikalistischen Anführer hinweg entwickelt hätte). Und es waren nicht nur die Arbeiter dieser Organisation, sondern die Gesamtheit der Metallarbeiter, die an dieser Bewegung teilnahmen… Die Anführer der Föderation erklärten, dass der Charakter der Bewegung rein ökonomisch sei. Die Bewegung der Räte, die sich im Zuge der Fabrikbesetzungen entwickelte, war für die syndikalistischen Anführer, die wie die Turiner Ordinovisten25 die reformistische Rolle der Produktionskontrolle spielen wollten, von großer Bedeutung. Es ist ziemlich seltsam und widersprüchlich, dass Bordiga dieses Argument nicht nur verwendet, um den „Ordinovismus“ zu verurteilen, sondern auch, um die klassische Rolle der italienischen CGT26 zu rechtfertigen. Unter diesen Umständen erwies sich, dass Bordiga die Realität des Konflikts, der sich während der Besetzung der Fabriken in Italien abspielte, nicht begriffen hatte. Für ihn war es offensichtlich, dass die Klassentradition der italienischen CGT auf die Räte übertragen wurde, die ihm sogar als reformistische Organe erschienen. Es versteht sich von selbst, dass die Form, die die italienischen Ordinovisten und Reformisten den Fabrikkomitees zu geben versuchten, reformistisch war. Aber ihre reele Form tendierte dazu, sich als politische Hegemonie zu verwirklichen, und in dieser Form war sie revolutionär. Die weitere Entwicklung der Fabrikbesetzungen hätte den Fabrikräten die Rolle der politischen Führung gegeben. Ungeachtet der ökonomischen Grenzen, die nicht nur von der Fédération Métallurgiste und der italienischen CGT, sondern von allen syndikalistischen Organisationen (Union Syndicale Italienne, Fédération des Dockers, Syndicat des Cheminots, etc. – Italienische Syndikalistische Vereinigung, Hafenarbeiterverband, Eisenbahnersyndikat usw.) vertreten wurden, haben alle politischen Organisationen der Bewegung ökonomische Grenzen gesetzt oder sie widerstandslos akzeptiert, was dasselbe ist. Unter ihnen befanden sich auch die Elemente, die vier Monate später die Kommunistische Partei in Livorno gründeten.

Die Bewegung vom September 1920 in Italien beweist einmal mehr, dass, wenn der ökonomische Ausgangspunkt das Proletariat zu spontanen revolutionären Positionen führen kann, die Syndikate dazu neigen, es zum Ausgangspunkt zurückzubringen. Der Sieg der Räte in Italien wäre das Ende der syndikalistischen Organisationen gewesen. Allerdings ist zu bedenken, dass die Entwicklung der Arbeiteraristokratie in Italien äußerst schwach war. Und die syndikalistische Bürokratie war im Vergleich zu der anderer Länder relativ klein, wenn auch nicht weniger korrupt und nicht weniger gerissen.

Die syndikalistische Organisationen – an deren Spitze linksextreme Sozialisten, Anarchisten und revolutionäre Syndikalisten standen – waren nichts anderes als Organe, die sich dem Vormarsch der Revolution entgegenstellten, die sie an die Grenzen des Ökonomischen zurückdrängten, die die reaktionäre Offensive und die Niederlage des Proletariats provozierten. Diese Organisationen – bei denen der verbale Maximalismus der Anführer im Allgemeinen die Angst vor den revolutionären Massen zum Ausdruck brachte – waren im revolutionären Prozess des Klassenkampfes in Italien konterrevolutionäre Organismen. Der Weg der Revolution ist in Italien, wie auch anderswo, nicht der der Syndikate. Der Versuch, die syndikalistische Erfahrung nach dem schmachvollen Ende dieser Bewegung zu erneuern, ist ein konterrevolutionärer Anachronismus. Die Mitarbeit an der Wiederherstellung von Organen, in denen die Revolution bereits Feinde entdeckt hat, bedeutet, in Richtung Konterrevolution zu arbeiten.

„Prometheus“27 stellte zu Recht fest, dass wir jede Form von Massenorganisation in Italien ablehnen. Wir werden darauf hinweisen, dass wir, seit wir die bordigistische Fraktion verlassen haben, begonnen haben, mit einem freieren Kopf zu denken, zu reflektieren. Ohne jegliche disziplinäre Verpflichtung, die uns in dogmatischen Kretinismus zwang, mussten wir der Realität ins Auge sehen: Sie erschien uns etwas anders als die, die wir zu sehen gelernt hatten. Und die Realität, die wir gesehen und untersucht haben, war nicht der Traum unseres Denkens, sondern die Geschichte der Klassenbewegung in Italien. Nun, es gibt Massenorganisationen in Italien: es sind die faschistischen Korporationen, die, wie die Syndikate in Deutschland, Russland usw., die Gefängnisse des Klassenbewusstseins, des proletarischen Geistes sind. Die Korporationen sind für die Syndikate das, was der Faschismus für den Reformismus ist. Das heißt, es handelt sich um zwei vollkommen analoge und komplementäre Dinge. Dies sind die neuesten Elemente, die aus der spontanen Erfahrung gezogen wurden: wo die Syndikate sich nicht durch eine mächtige syndikalistische Bürokratie und Arbeiteraristokratie auszeichneten, gelangten sie nach und nach zur Klassenkollaboration oder zum ökonomischen Faschismus und spielten eine konterrevolutionäre Rolle.

Um die Frage nach der Notwendigkeit der Zerschlagung der Syndikate zu klären, um die Bedeutung und die historische Tragweite des Konflikts zwischen Syndikaten und revolutionären Räten zu verdeutlichen, ist es nicht unnötig, sich den enormen Einfluss vor Augen zu führen, den die Fabrikrätebewegung auf die ideologischen Strömungen in Deutschland ausübte.

Zunächst einmal sollten wir anerkennen, dass Rosa Luxemburg bereits vor dem Krieg den Konflikt zwischen dem Kampf um ein Stück Brot und dem Kampf um die Revolution betrachtet hat (insbesondere in der Broschüre „Sozialreform oder Revolution“). Die Theorie allein ist nicht in der Lage, Probleme a priori zu lösen, und Luxemburg konnte die konkreten Formen dieses Kampfes nicht vorhersehen. Im Gegenteil, die Räte haben in ihrer Entwicklung in den Fabriken als Organe des revolutionären Kampfes die historische Lösung geliefert, und zwar nicht, weil sie einfach organisatorisch den Syndikaten vorzuziehen waren, sondern weil sie das Produkt eines hohen historischen Bewusstseins waren.

In Frankreich wird der Einfluss der Rätebewegung auf die besten revolutionären Theoretiker und Kämpfer, auf Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, übersehen oder ignoriert. Im „Discours sur le Programme“, den Rosa am 30. Dezember 1918 auf dem Gründungskongress des Spartakusbundes hielt28 – die Übersetzung findet sich in den Nummern 11 und 12 von „Lutte de Classes“ -, lesen wir folgende Einschätzung der revolutionären Rätebewegung:

„Parteigenossen, das ist ein gewaltiges Feld, das zu beackern ist. Wir müssen vorbereiten von unten auf, den Arbeiter- und Soldatenräten eine solche Macht geben, daß, wenn die Regierung Ebert-Scheidemann oder irgendeine ihr ähnliche gestürzt wird, dies dann nur der Schlußakt ist. (…) Wir müssen die Macht ergreifen, wir müssen uns die Frage der Machtergreifung vorlegen als die Frage: Was tut, was kann, was soll jeder Arbeiter- und Soldatenrat in ganz Deutschland? (…) Auch die Leitung der ökonomischen Auseinandersetzung und die Hinüberleitung dieser Auseinandersetzung in immer größere Bahnen soll in den Händen der Arbeiterräte liegen.“29

Hat Rosa Luxemburg nicht die Rolle der Syndikate im Klassenkampf geleugnet, indem sie den Fabrikräten selbst die Führung des ökonomischen Kampfes zuschrieb? Hat sie nicht aus den Lehren des Ersten Weltkriegs und der offenen Kollaboration der Syndikate mit der Regierung, aus ihren Erklärungen „kein Klassenkampf in Kriegszeiten“ gelernt? Sah sie nicht in den Räten den unmittelbaren Ausdruck der Universalität der Arbeiterklasse, geführt von ihren ausgebeutetsten und revolutionärsten Elementen, den Ersatz als Klassenorganismus für die Repräsentation eines Apparats von Syndikatsmönchen, die sich von korporativen Privilegien nähren? Und stimmte ihr nicht Karl Liebknecht zu, als er rief:

Und stimmte Karl Liebknecht nicht mit ihr überein, als er ausrief: „Die deutsche Sozialdemokratie und die Gewerkschaften haben sich in ihren Anführern vom Kopf bis zu den Füßen befleckt … Sie haben das einst so prächtige Gebäude der Arbeiterorganisationen vernichtet. Sie haben die proletarische Bewegung vor die Notwendigkeit eines mörderischen inneren Kampfes gestellt, der Jahre dauern wird… Ein Kampf, der die revolutionären Kräfte des Proletariats nicht lähmen wird, der sie auch nicht schwächen wird, denn die Kräfte der revoltierenden Elemente, die vom Fetisch der Disziplin und der bürokratischen Organisation befreit sind, werden den Marsch zur Revolution erzwingen…“?

Und später, am Vorabend seines Todes, schrieb der proletarische Held gegen die Reformisten Legien und Kirdorf in den„Politische Anmerkungen“:

„Einheitlicher Kampfgeist? Ja, und zwar für immer; eine Einheit der toten Form, die den Kampfgeist töten würde? Niemals. Die Zerstörung einer Organisation, die eine Kette für die Arbeiterklasse darstellt“ (das ist die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands) „hat zur Folge, dass die Arbeiterklasse ihre Kampfkraft zurückerhält. Die Erhaltung und Stärkung dieser Kette führt die Arbeiterklasse ins Unglück.“

Karl Liebknecht proklamiert hier nicht nur die Notwendigkeit der Zerschlagung der reformistischen Syndikate, er greift auch die Befürworter der Eroberung [der Syndikate] im Vorfeld an. Wenn Lenin über den deutschen „Infantilismus“ höhnisch lachte, meinte er damit auch Liebknecht und Rosa, denn er sprach zu den weitsichtigsten und mutigsten Vertretern des bewusstesten Teils des Weltproletariats. Die Geschichte hat dieser unaufhaltsamen Entwicklung bereits Rechnung getragen. Es waren die Leninisten selbst, die auf der letzten Sitzung der Komintern-Exekutive den Bankrott der Eroberung erkennen mussten. Heute geben sie zu, dass die reformistischen Syndikate völlig mit dem Staatsapparat der Bourgeoisie verschweißt sind, dass die Millionen Mitglieder des Deutschen Gewerkschaftsbundes unter der absoluten zahlenmäßigen und ideologischen Herrschaft der Arbeiteraristokratie stehen.

Die Leninisten der Dritten Internationale erkennen dies nicht, weil sie aufrichtige Revolutionäre sind, die ihre Fehler eingestehen, sondern weil der russische bonapartistische Staat seinen Einfluss auf die internationale Arbeiterklasse nur unter denjenigen Elementen ausüben kann, deren Situation und Organisation nicht tief und verstärkend mit den verschiedenen Nationalstaaten der anderen Bourgeoisien verbunden ist, wie es bei den aristokratischen Arbeitern und der reformistischen Bürokratie der Fall ist. Der Stalinismus gibt Positionen auf, die ihm keinen Handlungsspielraum mehr lassen. Der Linksruck des russischen Neokapitalismus, der der sowjetischen Bürokratie die Rolle der Liquidierung des Leninismus zuschreibt, ist nicht die letzte Überraschung, die auf uns wartet. Gleichzeitig behauptet die sowjetische Bürokratie, leninistisch zu sein, eine Taktik, die nach den jüngsten Ereignissen vor Ort in Westeuropa endgültig aufgegeben wurde.

Heute streben die Theoretiker und Apologeten der Eroberung, die Verteidiger der Tradition und der syndikalistischen Einheit, gestützt auf die Unzufriedenheit der aristokratisierten und reformistischen Elemente der westlichen Sektionen der Dritten Internationale, eine fruchtbarere Zusammenarbeit an als die, die sie an Moskau bindet, eine Zusammenarbeit mit ihrer eigenen Bourgeoisie und ihrer eigenen Regierung. Die Rechten aller Länder, angeführt von vom Leninismus entlassenen Bürokraten, verherrlichen die syndikalistische Neutralität und streben den Labourismus an. Mit viel Glück finden wir in der rechten Opposition, im letzten Stadium einer langen Degeneration, den ehemaligen Linken Paul Frölich, der 1919 in der „Correspondance Communiste des Conseils30“ (Nr. 11) proklamierte:

„Die Syndikate haben weder heute noch morgen die geringste Rolle zu spielen. Sie sind zu einem Hindernis für die Revolution geworden, und deshalb bleibt nichts anderes übrig, als sie zu zerstören… Die für den revolutionären Kampf notwendige Organisation ist die Organisation der Fabriken, die die deutsche KP aufbauen muss“.

Es ist absolut unmöglich, nicht zu erkennen, dass die Situation in Deutschland 1919 einen vollständigen Bruch mit dem Allgemeinen Gewerkschaftsbund und eine revolutionäre Aufgabe auf der Grundlage der Fabrikräte erforderte. Dies war in der Tat die ursprüngliche Ausrichtung des Spartakusbundes und der Kommunistischen Partei. Im dritten „Bulletin de Combat“31 der Partei (6. Mai 1920) wurde verkündet, dass die Arbeiterräte keine Verbindungen mit Organisationen (dem Allgemeinen Bund [der Arbeit]) unterhalten können, die den Bossen gegen die revolutionäre Arbeiterklasse dienen. Auf der Vollversammlung der Fabrikräte der Berliner Vororte (Oktober 1920) wurde unter dem überwiegenden Einfluss der Kommunistischen Partei einstimmig eine Resolution verabschiedet, in der es u.a. hieß, dass „Organisationen, die nicht auf dem reinen System der Fabrikräte beruhen, kein Platz eingeräumt werden soll“. Gegen diese spontane Strömung des revolutionären Bewusstseins in Deutschland nutzte die Internationale unter der Führung Lenins die Autorität der Oktoberhelden, die Wankelmütigkeit der Massen, die Unterstützung der sozialdemokratischen Versammlungen und vor allem das uneingeschränkte Ansehen der russischen Revolution und zwang die deutsche Kommunistische Partei zu einem völligen Kurswechsel. Sie ist der reformistischen Organisation in die Arme gelaufen, um sie zu erobern, und hat die Räte als Aktionsbasis verlassen. Die Scheidung zwischen der Rätebewegung und der Kommunistischen Partei, die Eingliederung der Räte in die reformistische Bewegung und den Staat mit der Komplizenschaft der offiziellen Kommunisten, die Isolierung der Kerne des revolutionären und proletarischen Widerstands, die überlebt haben und sich weiterhin auf die Fabrikräte stützen, all dies geschah ab 1921, einer Phase der Degeneration, in der die Arbeiterräte legalisiert, syndikalisiert und ihres ursprünglichen revolutionären Inhalts beraubt werden. Es hat sich einmal mehr gezeigt, dass keine Organisation aufgrund ihres Ursprungs oder Struktur eine Garantie gegen Degeneration sein kann. Auch die Syndikate hatten ihre Epoche gesunder und nützlicher Arbeit, aber während sie von den kommunistischen Anführern selbst künstlich vor dem revolutionären Aufstieg der Massen geschützt wurden, wurden die Räte in Deutschland im Gegenteil von eben diesen Kommunisten künstlich in die Degeneration geführt.

Es sind noch keine zwölf Jahre seit der Entstehung der revolutionären Rätebewegung vergangen, und sie fiel zeitlich mit dem revolutionären Aufschwung und der Blütezeit in Westeuropa zusammen. Es ist wahrscheinlich, dass dieselbe Bewegung in verschiedenen, aber analogen Formen dazu bestimmt ist, in Zukunft das revolutionäre Werk zu vollbringen, das sie sich 1919 vorgenommen hatte: die Zerstörung der Syndikate und die Machtergreifung in Form der direkten Diktatur der Arbeiterklasse.

Um den Erfolg des nächsten Impulses der europäischen Arbeiterklasse vorzubereiten, führt die Elite der deutschen proletarischen Kämpfer, vereint in der Kommunistischen Arbeiterpartei und in anderen Organisationen wie dem Allgemeinen Arbeiterbund32 (der offenbar und leider einen Teil seiner Unnachgiebigkeit aufgegeben hat), seit zehn Jahren den Kampf gegen den Leninismus auf der Grundlage der Fabrikorganisationen und auf dem Terrain des revolutionären Marxismus fort.

Was uns betrifft, so erheben wir keinen Anspruch auf Originalität für unsere Position: Wir haben an einer weniger vollständigen revolutionären Erfahrung teilgenommen als unsere deutschen Gefährten, und natürlich war es für uns besonders schwierig, die Schlussfolgerungen der Geschichte zu übernehmen, soweit sie uns nicht durch die Praxis auferlegt wurden, und uns von der Autorität und Disziplin der Bosse zu befreien. In der bordigistischen Tradition verankert, mussten wir große Anstrengungen unternehmen, um das System der Vorurteile aus unserem Denken zu verbannen, das uns die Realität verbarg, die direkt aus dem Kampf unserer deutschen Gefährten stammt. Es ist eine große Freude für uns, dass uns das gelungen ist.

Wie wir bereits angedeutet haben, manifestierte sich die revolutionäre Entwicklung in Italien in einem Konflikt zwischen dem Syndikat und der Fabrik, aber sie fand keinen starken Ausdruck in der ideologischen Bewegung. In Deutschland ging sie über die Grenzen des rein Objektiven oder Spontanen hinaus und schlug sich mit besonderer Energie in der Ideologie nieder. Der Arbeiterrat dominiert sowohl im revolutionären Kampf als auch im Denken der proletarischen Ideologen. In letzteren gibt es keinen Dogmatismus, keinen Aspekt der endgültigen Stabilität, da diese Entwicklungen des marxistischen Denkens die Widerspiegelung einer reinen revolutionären und proletarischen Realität sind, was genau den Konflikt mit dem leninistischen Eklektizismus erklärt.

Der Ursprung der syndikalistischen Bewegung wird von Karl Marx wie folgt charakterisiert: „die allgemeine Tendenz der kapitalistischen Produktion ist, den durchschnittlichen Lohnstandard nicht zu heben, sondern zu senken oder den Wert der Arbeit mehr oder weniger bis zu seiner Minimalgrenze zu drücken.“33 Um sich gegen die „Aggression des Kapitals“, die sich gegen das Existenz-Niveau der Arbeiterklasse richtet, zu verteidigen, ist das Proletariat geneigt, der allgemeinen Tendenz des Kapitalismus Widerstand entgegenzusetzen. Für Marx führte dieser ökonomische Widerstand des Proletariats 1864 insofern zu positiven Ergebnissen, als die Erhöhung der Löhne den Preis der Waren insgesamt nicht verändert und daher einer allgemeinen Verringerung der kapitalistischen Profite entspricht. Marx bekämpfte die These des Engländers Weston, dass die Löhne den Preis der Waren regulieren (wenn die Löhne steigen, steigen die Preise, sagte Weston), indem er feststellte, dass diese These auf eine Tautologie hinausläuft, und ihr seine Tauschwerttheorie entgegenstellte. Es ist offensichtlich, dass dies für einen „freien“ Markt uneingeschränkt gilt. Aber wenn Marx 1864 Recht hatte, als das Monopol nur eine bloße Tendenz war, so ist es dennoch wahr, dass der monopolistische und trustifizierte Kapitalismus (der nicht Bucharins Kapitalismus ohne Wettbewerb ist) in seinen Händen das Mittel hat, sich einem Preisrückgang zu widersetzen oder sich durch ihren Anstieg einem Rückgang des Profits im Falle eines Anstiegs der Nominallöhne zu widersetzen. In der Tat gibt es seit vielen Jahren keine Reallohnerhöhungen mehr für die gesamte Arbeiterschaft. Der Kampf um die Tarife hat aufgehört, ein positives Ziel darzustellen, das allen Arbeitern gemeinsam ist. Er bringt nur für begrenzte Arbeiterschichten Ergebnisse, und das auch nur in dem Maße, wie er nicht durch die Verallgemeinerung des Erfolgs die Reaktion des Kapitalismus in Form von Preissteigerungen … (Koalition34, Inflation) … nach sich zieht.

Für das Proletariat als Klasse ist die syndikalistische Bewegung im gegenwärtigen Zustand des Kapitalismus eine Sackgasse. Während die Syndikate im letzten Jahrhundert die Organe der Vereinigung des Proletariats im Widerstand gegen Lohnsenkungen darstellten, sind sie heute die Organe, durch die ungleiche Bedingungen und Verhältnisse in die proletarische Klasse eingeführt werden. Für viele sind sie ein nutzloses Instrument, für andere ein Mittel, um sich Privilegien zu verschaffen und diese durch Klassenkompromisse zu sichern…

Die syndikalistische Bewegung an sich kann weder der ganze „Klassenkampf“ noch die ganze „Schule des Sozialismus“ sein. Marx selbst wies in seinem bereits zitierten Buch darauf hin, dass die Syndikate, „Sie verfehlen ihren Zweck gänzlich, sobald sie sich darauf beschränken, einen Kleinkrieg gegen die Wirkungen des bestehenden Systems zu führen, statt gleichzeitig zu versuchen, es zu ändern, statt ihre organisierten Kräfte zu gebrauchen als einen Hebel zur schließlichen Befreiung der Arbeiterklasse, d.h. zur endgültigen Abschaffung des Lohnsystems.“35 Heute, da die Entwicklung der Situation die Syndikate zu Organisationen gemacht hat, deren reaktionäre Rolle angesichts der Weltrevolution nicht verschleiert werden kann, klammern sich die Rechten an eine Erklärung, die sich auf das Wesen der Syndikate als „elementare“ Bewegung der Arbeitermassen bezieht. Anstatt davon auszugehen, dass die ideologischen Formen einer Epoche nur für diese gültig sind und dann konterrevolutionär werden – und dass dies auf den Syndikalismus zutrifft, der seit seiner Legalisierung Ende des letzten Jahrhunderts einen kontinuierlichen Rückschritt erlitten hat -, behaupten sie, den Bankrott der Syndikate zum Bankrott der Initiative und Spontaneität der Arbeiter zu machen, sie identifizieren das Ökonomische mit dem Spontanen, die archibürokratische36 Struktur der Gewerkschaften mit einer autonomen Schöpfung des Proletariats… Sie behaupten mit Lenin, dass „(…) daß die Arbeiterklasse ausschließlich aus eigener Kraft, nur ein trade-unionistisches Bewußtsein hervorzubringen vermag (…)“37. Das Proletariat sei also nur für eine Seite der Realität empfänglich, es reagiere nur auf bestimmte Elemente seiner eigenen Lage, es systematisiere seine Reaktionen nur auf eine so unvollständige Weise, dass sie eine endgültige Ohnmacht implizieren würde, wenn nicht der „Berufsrevolutionär“ von der Vorsehung her eingreifen würde. In „Was tun“ trennt Lenin die kommunistische politische Ideologie von der historischen Entwicklung des Proletariats. Für ihn ist das revolutionäre Bewusstsein des Proletariats ein Spiegelbild der sozialistischen Ideologie, die „entstand als natürliches und unvermeidliches Ergebnis der ideologischen Entwicklung der revolutionären sozialistischen Intelligenz“38 ist. Für Lenin ist der Sozialismus daher „von außen Hineingetragenes, nicht etwas aus ihm urwüchsig Entstandenes“39.

Auf dieser theoretischen Grundlage lässt sich sehr gut verstehen, warum Lenin 1919 zur Theorie der Eroberung gelangte. Er wollte die Ideologie, das sozialistische Bewusstsein, von außen in die Syndikate einführen. Lenin sieht also keinen Grad (A.d.Ü., auch als Stufe zu verstehen) des revolutionären Bewusstseins. Dieses Bewusstsein ist ein Apriori, das sich nicht mit der Entwicklung des Klassenkampfes weiterentwickelt. In ihrer Substanz bleibt die sozialistische Ideologie etwas Unbewegliches. Hätte Lenin die beiden Prozesse der sozialistischen Ideologie und des Klassenkampfes einfach als getrennte, sich parallel entwickelnde Prozesse betrachtet (auch das wäre ein Fehler), hätte er nicht von einem von außen eingeführten Element sprechen können. Wie kann man ein Element von außen einführen, wenn es nicht präzise ist, wenn es immer wiederkehrt? Aber es ist klar, dass bei Lenin das sozialistische Denken bereits etwas Vollständiges ist, eine exakte Wissenschaft, zu der das Proletariat in keiner Weise beiträgt. Der Grad des revolutionären Bewusstseins wird daher von den Massen ferngehalten. Die Massen hätten lediglich die Möglichkeit, das sozialistische Bewusstsein, das über ihnen schwebt, in Stufen zu absorbieren. Lenin sah nicht, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Entwicklung des Klassenkampfes und der sozialistischen Ideologie, die eben Grade hat, und dem sich entwickelnden proletarischen Bewusstsein, das die Entwicklung der sozialistischen Ideologie beeinflusst. Lenin verfällt damit in die Metaphysik und in absolute Wahrheiten. Dies ist im Übrigen der Kern seines philosophischen Denkens! In seinem Buch „Materialismus und Empiriokritizismus“, in dem er sehr treffende Argumente gegen den Machismus40 vorbringt, ignoriert er die Relativität der gegenwärtigen Realität im Subjektiven und im Objektiven. Es mag nur widersprüchlich erscheinen, dass in diesem Buch vor allem das Objektive zur Unbeweglichkeit verurteilt wird. Ähnlich verhält es sich in „Was tun? Der grundlegende Fehler der Eroberungstheorie liegt hier. Er rührt von dieser metaphysischen Starrheit in Lenins Denken her, die wiederum aus den objektiven Bedingungen Russlands resultiert, wo die Revolution nicht rein proletarisch sein konnte. Dies sind deutliche Spuren der zweideutigen Natur von Lenins halbbourgeoiser und halbproletarischer Ideologie.

Die marxistische Basis hat nur dies eine: die Liquidierung des Endgültigen, der metaphysischen Unbeweglichkeit. Sie denkt nicht an eine Eroberung der proletarischen Masse von oben. Sie untersucht die Formen des Klassenkampfes und zieht daraus Schlussfolgerungen, die nichts mit der sogenannten apriorischen Strategie des Leninismus zu tun haben. Sie zwingt uns keine dogmatischen Formeln auf, die dann zu Waffen der Reaktion werden. Im Übrigen kann die Arbeiterklasse für Marx ihre Fesseln nur durch ihre eigene Initiative und Kraft sprengen. Es ist offensichtlich, dass Marx die Entwicklung der proletarischen Ideologie mit dieser Kraft identifizierte. Die kommunistische Ideologie ist nicht einfach eine Tradition bourgeoiser Intellektueller, die die ökonomische und politische Struktur der bourgeoisen Gesellschaft analysiert und verurteilt haben, sondern eine Kraft, die sich immer weiterentwickelt, die immer mit neuen Elementen angereichert wird. Diese Fortschritte der revolutionären Ideologie sind der Entwicklung des Klassenkampfes untergeordnet. Es ist nicht wahr, dass die Arbeiterklasse, die ihren eigenen Kräften überlassen ist, nur zum trade-unionistischen Bewusstsein gelangen kann. Das italienische Beispiel, wo alle politischen Kräfte, die sich auf die Arbeiterklasse beriefen, eine konterrevolutionäre Rolle spielten, beweist, dass die Spontaneität der Arbeiterklasse in der Aktion alle ideologischen Elemente übertroffen hat. In Deutschland, ja sogar in Russland, sind die Räte ein schlagender Beweis dafür. Und die künstliche Bildung kommunistischer Parteien in Frankreich und anderswo hat das ideologische Niveau des Proletariats in keiner Weise angehoben. Die Ideologie unterliegt den Einflüssen des proletarischen Kampfes, sie wird durch die Dialektik der antagonistischen Kräfte bedingt. Möge die proletarische Klasse aggressiv sein, mögen ihre Angriffe immer wütender werden, und es wird zu einer neuen Blüte der sozialistischen Ideologie kommen. Sicherlich ist die Kraft, die Dynamik der Massen auch in der Periode des Rückflusses der revolutionären Kräfte noch spürbar, wo die Waffe der Kritik ihre unaufhörliche Untersuchung fortsetzt. Aber wenn der Rückfluss zu einer langen Periode der Stagnation wird, erleben wir einen immer stärkeren Zerfall der politischen Organisationen und deren Abbröckeln41.

Aber warum, wenn die Ideologie, wenn die politischen Formen des Klassenkampfes nur ein Teil der revolutionären Entwicklung sind, hat das Proletariat in seiner letzten Offensive gegen den Kapitalismus nicht gesiegt? Diese Frage haben wir bereits an einer anderen Stelle beantwortet. Weil das Proletariat keinen ausreichenden Grad an Erfahrung, an revolutionärem Bewusstsein erreicht hatte. Nicht weil es an einer wirklich revolutionären Partei fehlte, sondern gerade weil es an den Voraussetzungen für eine solche Partei fehlte. Sollte man die Bildung eines politischen Bewusstseins in der Arbeiterklasse als unmöglich ansehen? Rosa Luxemburg betrachtete dieses Problem in einem vor dem Krieg geschriebenen Artikel und antwortete negativ: „Es ist nicht möglich, dass das Proletariat als Klasse das ideologische Niveau erreichen kann, das die französische Bourgeoisie vor der Revolution erreicht hat. Das Proletariat hat nicht die ökonomischen Mittel, um dies zu erreichen. Gewiss, das Proletariat verfügt noch nicht über die materiellen Mittel, um die Wissenschaft so zu entwickeln, wie es die Bourgeoisie vor der Revolution getan hat, es hat nicht die Möglichkeit, seine intellektuellen Kräfte so weit zu entfalten, dass sie zu einem Hebel für eine neue technische und soziale Umwälzung der Gesellschaft werden.“42 Diese Feststellung darf uns jedoch nicht dazu verleiten, die geistigen Kräfte des Proletariats, die ihre Macht bereits unter Beweis gestellt haben, völlig zu negieren. Schon in ihrer Rede zum Programm begann Rosa Luxemburg klar zu sehen, dass die revolutionären Energien ihre Wurzeln in der lebendigen Masse des Proletariats haben. Sie verurteilte auch die „Eroberung“. Das liegt daran, dass ein Jahrhundert ökonomischer Kämpfe uns eine ausreichende Erfahrungsgrundlage gegeben hat, um zu verstehen, dass diese Methode angesichts der internationalen Entwicklung des Kapitalismus an sich keine Lösung bietet, dass Organisationen, die auf dieser Methode beruhen, nur in Klassenkollaboration enden können.

Ein neuer Aspekt der Struktur ist kein ewiger Schutz vor dem Abgleiten in den Opportunismus. Wenn diese Organisationen tatsächlich die Absicht haben, die ökonomischen Kämpfe des Proletariats in eine revolutionäre Bewegung umzuwandeln, dann sollten sie dies tun, ohne das Proletariat in einen Kompromiss mit den Bossen zu treiben. Die Teilnahme an jedem Teilkampf des Proletariats ist unbestreitbar notwendig, aber die Bildung ständiger Organisationen, die auf den niederen Formen des klassenkämpferischen Bewusstseins und Kampfes beruhen, hat in einer Zeit, in der die Revolution jeden Moment ausbrechen kann, keine Berechtigung mehr. Jedes Organ, das die Rettung der Arbeiterklasse in einer Zeit, in der sie nur in der Machtergreifung gefunden werden kann, auf einem trügerischen Weg sucht, ist daher ein Agent der Konterrevolution. Gerade deshalb ist die leninistische Methode, die Massen zu täuschen, ihnen zu helfen, sich zu täuschen, um ihr Vertrauen zu gewinnen und sich an ihre Spitze zu setzen, eine reaktionäre Methode, die das Bewusstsein der Arbeiter an die Fehler der Vergangenheit kettet und der Konterrevolution Bollwerke verschafft. Wir wissen sehr wohl, dass man uns entgegenhalten wird, dass selbst der syndikalistische Reformismus vor den Massen steht, dass die Massen passiv sind und nicht direkt auf das Terrain des politischen Kampfes gebracht werden können. Das bedeutet anzunehmen, dass die Massen nicht von sich aus unter dem Schock der Ereignisse zum Sturm aufbrechen können. Denn dann werden die Bollwerke, die man „vor den Massen“ errichtet, in der Stunde der Revolution nur Hindernisse unter ihren Füßen sein. Wenn die heutigen politischen Parteien und Syndikate vor allem den Teil des Proletariats im Auge haben, der gegenwärtig dem Kapitalismus etwas abgewinnen kann oder sich einbildet, dies tun zu können, warum sollten dann die unteren und tieferen Schichten der Arbeiterklasse, die nichts zu erwarten haben und dies dunkel spüren, heute zur Organisation kommen? Damit sie kommen, müssen sie belogen werden, man muss sie glauben machen, dass sie sich etwas einfangen werden, wenn sie in reformistischer Richtung auf versöhnliche oder sogar aggressive Weise kämpfen. Warum sagen wir ihnen nicht gleich die Wahrheit? Warum sagt man ihnen nicht, dass die Syndikate die Organe der Arbeiteraristokratie sind, dass die Parteien durch ihre Anpassung an das Regime, das sie abschaffen wollen, korrumpiert sind, dass die proletarische Klasse während der tödlichen Krise des Kapitalismus in den Fabrikorganisationen die Ergebnisse ihrer Erfahrung konkretisieren muss, sich selbst der beschleunigten historischen Entwicklungen bewusst werden muss, die sie vor ihre Aufgabe oder ihren Selbstmord stellen, und sich mit vollem Körpereinsatz in ein Handgemenge stürzen muss, in dem die Proletarier „dieser Welt haben nichts zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen“.

(1929)


1A.d.Ü., Amadeo Bordiga (1899 – 1970) war ein Mitgründer der PCd´I. Anfangs ein Verfechter der Sowjetunion, was sich ab den 1930ern ändern würde, aber bis zum Ende ein Leninist. Nach ihm wird eine kommunistische Strömung genannt.

2A.d.Ü., offiziell auf Französisch: „Bilan. Bulletin Théorique mensuel de la fraction de gauche du PCI“, hierbei handelt es sich um eine Gruppe von Exil-Italiener, die nach der Machtergreifung von Mussolini Italien verließen. Diese Entscheidung war dadurch bedingt, dass sie ihre politische Tätigkeit in der Klandestinität nicht mehr weiterführen konnten, bzw. dass diese dermaßen durch die Illegalität eingeschränkt war.

3A.d.Ü., Michelangelo Raffaele Pappalardi (1895 – 1940) war ein italienischer Kommunist, der anfänglich Mitglied in der PSI (Partito Socialista Italiano) und ab 1921 Mitglied der PCd´I (Partito Comunista d´Italia) war. Er musste Italien nach der Machtergreifung Mussolinis und seiner Inhaftierung verlassen, wo er zuerst nach Österreich reiste und über Deutschland später nach Belgien emigrierte. Auf der Flucht lernte er die links-kommunistischen Positionen kennen, die in den Niederlanden und Deutschland kursierten und er schloss sich diesen trotz seiner Nähe zu Bordiga an. Aufgrund dessen schloss er sich den Groupes ouvriers communistes an.

4A.d.Ü., André Jean Eugène Prudhommeaux (1902 – 1968) war ein libertärer Kommunist, der außerdem Gedichte schrieb sowie selbst bei vielen revolutionären und anarchistischen Publikationen schrieb und selbst übersetzte. Er war ab 1929 Mitglied in den Groupes ouvriers communistes, bis er diese aufgrund von Meinungsunterschieden verließ. Nach dem Reichstagsbrand 1933 gehörte er zu den wenigen die Marinus Van der Lubbe unterstützten. Ab dem Moment nähert er sich anarchistischen Positionen und schrieb unter anderem Artikel in Le Libertaire und La Revue Anarchiste. Er sowie seine Lebensgefährtin Dori, von der wir leider nichts finden konnten, waren für kurze Zeit in Barcelona während der sozialen Revolution von 1936 und würden kurz darauf, zurück in Frankreich, die Beteiligung der CNT in der republikanischen Regierung stark kritisieren. Von ihm wissen wir, dass er die Positionen der Gruppe Los Amigos de Durruti stark verteidigte.

5A.d.Ü., Jean Dautry (1910 – 1968) war ein französischer Historiker, der sich vor allem mit der Geschichte der Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung auseinandersetzte. Er war in den Groupes ouvriers communistes aktiv und veröffentlichte später mit André Prudhommeaux die Publikation Spartacus und die Correspondance internationale ouvrière. 1936, verließ er Frankreich, um sich der sozialen Revolution in Barcelona anzuschließen, aufgrund seines schlechten gesundheitlichen Zustandes übernahm er die Verantwortung der französischen Sendungen und Ausstrahlungen für das Radio CNT-FAI ECN1. Bei diesem handelte es sich um einen Radiosender, welcher von Anarchisten und Anarchistinnen enteignet wurde und ins Ausland ausgestrahlt wurde, um über die Situation in der sozialen Revolution zu berichten. Während der Besatzung der Nazis schloss er sich der Résistance an und wurde 1941 Mitglied der PCF.

6A.d.Ü., siehe Fußnote Nr. 1.

7Ein aus der UdSSR Geflohener, wo er und die Mitglieder der „Gruppe der Arbeiter (A.d.Ü., Arbeiteropposition)“ aus der Russischen/Sowjetischen Kommunistischen Partei ausgeschlossen und zunächst vom leninistischen Bolschewismus und seinem Staat und dann vom stalinistischen Bolschewismus und seinem Staat verfolgt wurden.

8A.d.Ü., „Die FORA angesichts der Vereinbarungen der Berliner Konferenz der revolutionären und industriellen (gemeint sind Arbeiter und Arbeiterinnen, A.d.Ü.) Sozialisten“.

9Wir empfehlen die Lektüre von „¿Es ‘anarcosindicalista’ la FORA? – Ist die FORA ‚anarchosyndikalistisch‘?“, die diese Positionen von der FORA mit denen einer syndikalistischen Konföderation, die 14 Jahre später in Spanien sich in dem „antifaschistischen“ demokratischen kapitalistischen Lager integrieren wird, vergleicht: die „anarchosyndikalistische“ CNT, die der IAA angehört, spielte zusammen mit dem „sozialistischen“ Syndikat der UGT – neben der anarchistischen FAI, 100% bourgeoise republikanischen Gruppen (wie Esquerra Republicana) und anderen „proletarischen“ Gruppen, die sich als leninistisch ausgaben (wie die antistalinistische POUM und die stalinistische Kommunistische Partei) – eine konterrevolutionäre Rolle ersten Ranges und trug dazu bei, eine mögliche anarchistisch-kommunistische Revolution in der spanischen Region frühzeitig zu zerschlagen. Das „Ziel“ der FORA – d.h. der „anarchische Kommunismus“ (angenommen auf dem V. Kongress 1905), d.h: der Kongress im Jahr 1904) – und ein Teil ihrer Praxis deckt sich, wenn auch mutatis mutandis, mit dem Ziel und der Aktion der AAU-E (Allgemeine Arbeiter-Union – Einheitsorganisation -, losgelöst von der AAUD – Allgemeine Arbeiter-Union Deutschlands) im deutschen Raum. In der Tat heißt es in den Gründungsthesen der AAU-E (angenommen im Oktober 1921): „Die AAUD kämpft für den Kommunismus (…). Das Endziel der AAUD ist eine Gesellschaft, in der alle Macht abgeschafft wird“. Wie die FORA und die Groupes ouvriers communistes war auch die AAU-E antiparlamentaristisch. Wie die FORA betonte auch die AAU-E, dass die soziale Revolution „weder eine Partei- noch eine Gewerkschaftsangelegenheit sein kann“. Wie die Groupes ouvriers communistes schlug die AAU-E als ihre Aufgabe „die Zerstörung der Gewerkschaften“ vor. Neben anderen bekannten Animateuren waren Otto Rühle und Franz Pfemfert in der AAU-E aktiv. Eine gute Zusammenfassung der kommunistischen Bewegung in Deutschland in den Jahren 1918 und 1922 findet sich in Ni parlamento ni sindicatos: ¡los consejos obreros! (Weder Parlament noch Gewerkschaften – die Arbeiterräte!) (Espartaco Internacional – Spartacus International, 2004), eine Zusammenstellung, die Artikel der Protagonisten (Jan Appel, Hermann Gorter, Anton Pannekoek usw.) und Dokumente verschiedener Organisationen aus jenen Jahren enthält. [Anmerkung von Rossoinero]

10„Ökonomisch“, weil das Syndikat sich rühmt, „die ökonomischen Interessen“ der Lohnabhängigen zu verteidigen, aber auch, weil es sich um eine „Kiste“ ökonomischer Ressourcen handelt, die – oft unter Zwang – den Arbeitern entzogen und vom Staat, zu dem das Syndikat gehört, rechtlich geschlichtet/reguliert werden. [Anmerkung von Rossoinero]

11A.d.Ü., als Rekuperation, wieder einmal, ist die Wiedererlangung, Zurückgewinnung von etwas (eine Idee) oder jemandem zu verstehen. Normalerweise ist dies als ein Akt zu verstehen, wo das rekuperierte seiner ursprünglichen Idee entleert wird, es wird daher neutralisiert und seiner Ontologie beraubt.

12A.d.Ü., unter Chartismus oder Chartisten ist jene Reformbewegung in Großbritannien in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bekannt, die unter anderem sich für den Zehn-Stunden-Tag, der Zulassung und/oder Gründung von Syndikaten und für das Wahlrecht einsetzte.

13A.d.Ü., wir nehmen an, dass es sich hier um Heinrich Brandler (1881-1967) handelt, ein Gründungsmitglied der KPD 1918, bis er diese verlässt und die KPD-Opposition 1928-1929 gründet.

14A.d.Ü., hiermit ist der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 gemeint.

15A.d.Ü., hierbei handelt es sich um die niederländische Zeitung „De Tribune“ (daher die Bezeichnung „Tribunisten“) für die unter anderem auch Anton Pannekoek schrieb.

 16A.d.Ü., im Originaltext auf Französisch ist die Rede von der CGT allemande. Nun in Deutschland gab es nie eine Gewerkschaft unter diesem Namen, daher ist es jetzt eine Spekulation unserer Seite, welche genauere Organisation gemeint sein könnte. Evtl. die Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands (1890 bis 1919) oder der Allgemeiner Deutscher Gewerkschaftsbund (1919 bis 1933). Wir tendieren, ohne es genau zu wissen, zu letzteren.

17La Révolution prolétarienne war eine syndikalistische Publikation, die von Pierre Monatte und Robert Louzon gegründet und animiert wurde und zwischen 1925 und 1939 in Paris erschien. Leo Trotzki polemisierte mit Louzon, Monatte und „Révolution prolétarienne“: siehe die Zusammenstellung der Schriften Sobre los sindicatos de Trotsky (1974, Buenos Aires, Pluma). [Anmerkung von Rossoinero]

18A.d.Ü., kurz und knapp lassen sich unter dem Labourismus jene Strömungen der frühen Arbeiterbewegungen verstehen, denen es darum ging, die Interessen der Arbeiter innerhalb des kapitalistischen Systems zu stärken, aber nicht dieses System zu ersetzen bzw. zu zerstören. Marx verstand ihn als gegensätzlich zum Sozialismus. Der Labourismus findet sich wieder in den trade-unions, der Sozialdemokratie, der christlichen Sozialethik und allen anderen reformistischen Teilen der Arbeiterbewegung.

19A.d.Ü., hier handelt es sich um eine 1924 gegründete Organisation, vermutlich eines Syndikates, welches Syndikalisten ansammelte, die aus der PCF rausgeworfen wurden, diese veröffentlichten eine Publikation, die bis heutzutage noch existiert, die den Titel La Révolution prolétarienne trägt.

20Angelica Balabanoff (1878-1965) wurde in der Ukraine geboren und ließ sich Anfang des 20. Jahrhunderts in Rom nieder, wo sie sich der Sozialistischen Partei Italiens (PSI) anschloss. Sie stieg in der bürokratischen Hierarchie der Partei in wichtige Führungspositionen auf, so dass sie dank ihrer Machtposition als „Beschützerin“ des damals jungen Linken Benito Mussolini gilt, den sie für das PSI-Zentralkomitee nominierte und als Redakteurin des zentralen Presseorgans Avanti! empfahl, das sie bald darauf auch leitete. Nach der russischen Revolution von 1917 ließ sie sich in Russland nieder, wo sie 1919 Sekretärin der Kommunistischen Internationale wurde. Unzufrieden mit dem Verlauf der sowjetischen Ereignisse kehrte sie nach Italien zurück, wo sie dem „maximalistischen“ Sektor (dessen bekanntester Organisator Giacinto Menotti Serrati war) angehörte, der in der „Mitte“ der PSI zwischen der „Linken“ (mit Amadeo Bordiga als Bezugspunkt) und der „Rechten“ (zu der Antonio Gramsci gehörte) angesiedelt war. Sie ging ins Schweizer Exil, als der rechtsgerichtete Mussolini Duce wurde, und lebte dann in Paris und New York: In New York veröffentlichte sie 1938 die Memoiren My life as a rebel – Mein Leben als Rebell, auf die sich L’Ouvrier Communiste hier bezieht. [Anmerkung von Rossoinero]

21„De la“ im Original: „l’occupation de la Miani et Silvestri“. [Anmerkung von Rossoinero].

22L’Ordine Nuovo war die Wochenzeitschrift, die in Turin von der Gruppe um Gramsci (Direktor der Zeitschrift), Palmiro Togliatti und anderen herausgegeben wurde. Im Jahr 1921 wurde die Publikation zu einer Tageszeitung und zum Organ der damals neu gegründeten Kommunistischen Partei Italiens. [Anmerkung von Rossoinero]

23Siehe Anmerkung v. [Anmerkung von Rossoinero] [viii] Mit „Sowjet“.

24Mit „Sowjet“ (der Buchstabe „s“ ist im Original groß geschrieben) meint L’Ouvrier Communiste „Fabrikrat“. Um die politischen Verzweigungen der Begriffe „Fabrikrat“, „Arbeiterrat“ und „Sowjet“ zu verstehen (die damals gegenwärtig waren und auch 2021 noch nachhallen), sollte man die Debatte lesen, die während einiger Monate in den Jahren 1919 und 1920 zwischen Bordiga (dessen Artikel in der von ihm herausgegebenen neapolitanischen Wochenzeitung Il Soviet veröffentlicht wurden) und Gramsci (dessen Artikel in der Zeitschrift L’Ordine Nuovo veröffentlicht wurden) geführt wurde. [Anmerkung von Rossoinero]

25A.d.Ü., Anhänger der Zeitung, die in der Fußnote Nr. 22 erwähnt wird.

26A.d.Ü., wir denken, dass es sich hier um die Confederazione Generale del Lavoro handelt, eines Syndikates welches von 1906 bis 1927 existierte.

27Prometeo war der Name der vierzehntägigen Publikation der Kommunistischen Linken Italiens (im Exil), auch bekannt als die „linke Fraktion der Kommunistischen Partei Italiens“. Die Gruppe, die sich um das Magazin versammelt hatte, wurde auch als „Prometeo“ erkannt. [Anmerkung von Rossoinero]

28A.d.Ü., siehe Fußnote Nr. 29

30A.d.Ü., wir haben weder zu dem Zitat noch zu der erwähnten Publikation was gefunden und haben nach besten Gewissen dies übersetzt.

31A.d.Ü., wir haben zu einer Publikation mit einen solchen Namen, oder einem ähnlichen, nichts auf deutscher Sprache finden können.

32„Allgemeine Arbeiter-Union“ bezieht sich wahrscheinlich auf die Allgemeine Arbeiter-Union Deutschlands, eine Gruppierung, die im Deutschen unter dem Kürzel AAUD bekannt ist. Aus der AAUD ging die AAU-E (Allgemeine Arbeiter-Union – Einheitsorganisation) hervor, die im Oktober 1921 gegründet wurde. Zur kommunistischen Bewegung in Deutschland in den Jahren 1918 und 1922, siehe Weder Parlament noch Gewerkschaften: Die Arbeiterräte! (VV.AA., Spartacus International, 2004), ein Buch, auf das wir bereits in Conquering the unions or destroying them? (erster Teil). [Anmerkung von Rossoinero]

33A.d.Ü., Karl Marx, Lohn, Preis und Profit

34A.d.Ü., auf deutsch findet sich die Übersetzung „Koalitionsfreiheit“ bzw. „Koalitionsverbot“ und meint hier die Koalition von Arbeitern, Bildung von Vereinen. 1791 wurde dies verboten und 1864 wieder aufgehoben.

35A.d.Ü., siehe Fußnote Nr. 33.

36A.d.Ü., wir gehen davon aus, dass das Präfix archi- (aus dem Griechischen) dem Bürokratischen an dieser Stelle einen altertümlichen Sinn und Form beimisst, also erzbürokratisch oder urbürokratisch.

37A.d.Ü., Lenin, Was tun?, Kapitel 2a.

38A.d.Ü., ebenda

39A.d.Ü., Lenin, Was tun?, Kapitel 2b., an dieser Stelle zitiert Lenin seinen Lehrmeister Karl Kautsky.

40A.d.Ü., eine nach Ernst Waldfried Josef Wenzel Mach benannte philosophische Schule oder Strömung auch bekannt als Empiriokritizismus, eigentlich von Richard Avenarius begründet. Dabei handelt es sich um einen erkenntnistheoretischen Ansatz, der auch als subjektivistischer Positivismus bezeichnet wird, der davon ausgeht, dass sich die Wissenschaft nur mit Erfahrungen beschäftigen sollte, also nur aus diesen Erkenntnis gewonnen werden kann, wobei eine unaufhebbare Korrelation zwischen Subjekt und Objekt angenommen wird und durch Ausschaltung aller bloß individuellen und logisch unhaltbaren Elemente aus der „naiven“ Erfahrung, die „reine“ Erfahrung gewonnen wird. Um das ganz zu verstehen, müssen vermutlich die Hauptwerke von Richard Avenarius „Philosophie als Denken der Welt gemäß dem Prinzip des kleinsten Kraftmaßes“ und „Der menschliche Weltbegriff“ gelesen werden.

41A.d.Ü., Zerfallsprozess, Auflösung, Zersetzung, usw.

42A.d.Ü., wir haben dieses Zitat nicht finden können und haben es nach besten Gewissen übersetzt.

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