Etcétera – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org Für die Anarchie! Knäste, Staat, Patriarchat und Kapital abschaffen! Mon, 15 Feb 2021 12:47:22 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://panopticon.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1233/2020/02/cropped-discharge-degenerik-blog-1-32x32.jpg Etcétera – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org 32 32 (Spanischer Staat) Der permanente Ausnahmezustand https://panopticon.blackblogs.org/2021/02/15/spanischer-staat-der-permanente-ausnahmezustand/ Mon, 15 Feb 2021 12:47:22 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=2043 Continue reading ]]> Gefunden auf der Seite von Grupo Etcetera, die Übersetzung ist von uns. Dieser Text erschien in der Nummer 58, Juni 2018, der gleichnamigen Publikation der Grupo Etcetera. Wir haben diesen Text ausgesucht, weil wie die Verfasser selber sagten: „Allgemein gesprochen findet eine Militarisierung der Gesellschaft statt. Von der Erziehung, den Medien, der Wirtschaft und im Namen der persönlichen und kollektiven Sicherheit wird uns als Kultur und als Notwendigkeit für das Überleben und den sozialen Fortschritt gezeigt, dass die Ideologie der Militarisierung uns begleiten muss und dass wir sie als unser Schicksal akzeptieren müssen.“

Gerade durch die Veränderungen die durch die Coronavirusmaßnahmen stattfinden, sehen wir nicht nur klare Parallelen, sondern es darf nicht vergessen werden, welche die Mechanismen und Maßnahmen im modernen Staat – also der kapitalistische Staat – sind und wie sie angewendet werden um diesen zu verewigen. Der Ausnahmezustand ist daher nicht ein Zufall in der gegenwärtigen Situation, sondern seine Voraussetzung.

 

Der permanente Ausnahmezustand

„Die Tradition der Unterdrückten belehrt uns darüber, daß der ‚Ausnahmezustand‘, in dem wir leben, die Regel ist.“ Walter Benjamin: „Über den Begriff der Geschichte“, These Nummer VIII.

Der Staat und das Gesetz als sein normatives System, sind durch Gewalt gegründet worden und werden dadurch erhalten, das heißt, sie erhalten und bewahren ihre Macht durch Gewalt. Die Hauptprotagonisten dieser Doppelfunktion der Gründung und Erhaltung des Staates und des Rechts sind die Streitkräfte, das Militär, das ist der Grund für den Militarismus. Das Gesetz wird nicht befolgt, weil es gerecht ist, sondern weil es Autorität hat, die Kraft des Gesetzes wird mit dem Gesetz der Kraft durchgesetzt1. Der Staat räumt sich das Gewaltmonopol ein und schafft und organisiert die zur Ausübung dieses Monopols notwendigen Strukturen, Geräte und Apparate. „Militarismus ist der Zwang zur allgemeinen Anwendung von Gewalt als Mittel zu Zwecken des Staates.“ (W. Benjamin „Zur Kritik der Gewalt“).

Nach dem Ersten Weltkrieg führte die deutsche politische Theorie den Begriff des Ausnahmezustands ein, um sich auf Perioden der Anomalie in der Regierungsausübung in modernen Staaten zu beziehen. Zeiträume also, die temporär und außergewöhnlich sind und auf eine ebenso außergewöhnliche Situation (Krieg gegen äußere oder innere Feinde) reagieren.

Doch Walter Benjamin widerlegte schon damals die Idee der Zeitlichkeit, denn neben der Betrachtung der Gewalt, die der Staat bei seiner Gründung und Verteidigung ausübt, ist klar, dass die große Mehrheit der Bevölkerung aufgrund ihrer Verletzlichkeit und Wehrlosigkeit gegenüber der Unterdrückung durch die Mächtigen unter einem permanenten Ausnahmezustand leidet. Für ihn macht die Klassengewalt die Ausnahme zur Regel.

Die demokratische Illusion, die die Realität moderner Staaten umhüllt und verbirgt, lässt uns glauben, dass der normative (rechtliche) Körper und die Praxis der Politik, die ein Rechtsstaat entwickelt, die Bewahrung des Gemeinwohls zum Ziel hat, das heißt, die Spielregeln, die die individuellen Freiheiten, die Gleichheit vor dem Gesetz und die Verteidigung gegen Machtmissbrauch garantieren. Doch diese Illusion täuscht darüber hinweg, dass diese Garantie weder für alle noch für immer gilt. Es kommt darauf an, welche Position man einnimmt und welche Rolle man auf dem großen kapitalistischen Markt spielt. Es hängt auch davon ab, ob es aufgrund der Forderungen des Kapitals im Interesse des Staates liegt, die vermeintlichen demokratischen Garantien zu einem bestimmten Zeitpunkt auszusetzen oder zu modifizieren.

In der Tat ist dies das, was ununterbrochen in allen „demokratischen“ Ländern auf die eine oder andere Weise passiert, vor allem in den so genannten „peripheren“ Ländern, wo die Auslegung der Gesetze in der Regel zweideutig und willkürlich ist.

Heute sehen wir unter den Auswirkungen der Krise des Kapitals, die wir erleiden, wie die wenigen verbliebenen Garantien verschwinden und wie wir unter dem Vorwand der Sicherheit vielfältigen und ausgeklügelten Kontrollsystemen unterworfen sind, von denen wir uns kaum befreien können: eine Überwachungs- und Zwangsgewalt auf dem Höhepunkt des Traums der großen Diktatoren; also ein „permanenter Ausnahmezustand“.

Wenn die herrschende Kultur die Kultur der herrschenden Klasse ist, ist das herrschende Recht, die Gesetze, die Gerechtigkeit, Teil dieser Kultur und der herrschenden Klasse. Dieselbe Gründungsgewalt des Staatsrechts erlegt – einer Minderheit über die Mehrheit der Bevölkerung – eine Reihe von Vorschriften und Normen (Gesetzen) auf, denen eine Gesellschaft unterworfen ist und deren Befolgung mit Gewalt gefordert wird, wodurch ein Ausnahmezustand über die Unterdrückten geschaffen wird, der dauerhaft wird, bis sie seine Aufhebung erreichen können. Das heuchlerische Paradoxon, das den modernen Herrscher kennzeichnet, besteht darin, dass er, wenn er, ohne es zu benennen, den Ausnahmezustand vertieft und verstärkt, verkündet, er tue dies, um seine Untertanen-Bürger und den Rechtsstaat, den er gerade verändert hat, vor den Gefahren zu schützen, die von außen oder von innen lauern und drohen. Wir werden kontrolliert, unterdrückt und es werden Notstandsgesetze für und zu unserer Sicherheit erlassen. Wir werden aufgefordert, Kontrolle gegen Sicherheit einzutauschen, was auf der Basis von Angst geschieht.

Angst ist die Botschaft

Angst ist die Botschaft, eine Botschaft, die der ideologische Apparat unserer sogenannten „fortgeschrittenen“ demokratischen Gesellschaften artikuliert. Angst ist notwendig, um die – zunehmend technische – Kontrolle seitens des Staates im Interesse der Sicherheit seiner Untertanen/Bürger zu rechtfertigen und auszuführen. Angst vor der Krise, Angst, nicht über die Runden zu kommen, Angst vor dem Terroristen, Angst vor dem Anderen, Angst vor dem Migranten, Angst vor den Barbaren, Ängste, die sich anhäufen, bis sie die Angst vor der Angst erreichen. Angst, die unsere militarisierten Gesellschaften aufrechterhält2.

Der Militarismus ist die Ideologie dieser militarisierten Gesellschaft; sie besteht aus einem Wertesystem, das uns auferlegt wird, basierend auf der Angst vor dem Feind, und deshalb muss sie aus der Gewalt, die das Gesetz aufrechterhält, neue Feinde erfinden und nähren, die nie ankommen und immer ankommen, wie in Kavafis‘ Gedicht Warten auf die Barbaren (Etcetera Nr. 33), Barbaren, die der Staat erfinden müsste, wenn es sie nicht gäbe. Militarismus ist die Ideologie, die Gewalt als Mittel zum Zweck des Staates rechtfertigt und fördert.

Aus der geschaffenen Angst heraus und um der Sicherheit willen werden wir aufgefordert, auf unsere Freiheit zu verzichten. Der Übergang von der Freiheit zur Sicherheit, eine Reise, die Dostojewski meisterhaft in „Die Legende vom Großinquisitor“ erzählt, einem mündlichen Gedicht, das Iwan Karamasow seinem Bruder Aliotscha erzählt und in dem der Kardinalinquisitor den Grund für seine Macht ausspinnt: „Wir werden sie davon überzeugen, dass sie nur frei sein werden, wenn sie ihre Freiheit zu unseren Gunsten aufgeben“, „Wie sie nur durch die Unterwerfung unter unsere Macht frei sein werden“, „Wir werden die Last ihrer Freiheit tragen“.

In unseren militarisierten Gesellschaften wird im Tausch gegen unsere Freiheit ein Überwachungsstaat geschaffen, der eine unbegrenzte Kontrolle ausübt, die uns als Vorteil verkauft wird: die Sicherheit („Zu Ihrer Sicherheit ist diese Station mit Videoüberwachungskameras ausgestattet“, wird uns zum Beispiel in den U-Bahn-Stationen immer wieder gesagt).

Angesichts der Angst gibt es also zwei Wege: die Freiheit um der Sicherheit willen aufzugeben, oder der Angst mit der Kühnheit eines freien Lebens zu begegnen, des eigenen und des gemeinsamen, hin zum Aufbau einer anderen Gesellschaft, einer anderen sozialen Beziehung, die nicht auf einer Warenbeziehung3 basiert. Im gegenwärtigen kapitalistischen Gesellschaftsverhältnis sind Freiheit und Sicherheit ausgeschlossen, sie können nicht zusammen gegeben werden (man kann nicht schwimmen und seine Kleider anbehalten), nur in einem anderen nicht auf Waren basierendem, nicht auf einem kapitalistisch-basierendem Gesellschaftsverhältnis werden sie zusammengehen können, was eine Gesellschaft der Gleichen möglich macht.

Es ist offensichtlich, dass im 21. Jahrhundert, in der aktuellen Phase der kapitalistischen Herrschaft (des sogenannten Neoliberalismus), dieser Ausnahmezustand sichtbarer und offensichtlicher geworden ist. Zahlreiche Gesetze mit stark repressivem Charakter wurden von den Staaten verabschiedet, die Armee patrouilliert in den Straßen der Städte der sogenannten freien Welt, hohe und hochtechnologische Mauern werden errichtet, die Territorien teilen und isolieren Menschen, unzählige Kontrollgeräte beobachten und verfolgen uns Tag und Nacht, riesige Konzentrationsghettos: eingezäunte und militärisch besetzte Gebiete werden überall auf den Kontinenten errichtet. Um diesen Ausnahmezustand durchzusetzen und aufrechtzuerhalten, stützen sich die Machthaber des Staates auf die Armee und benutzen jede Krise, ob erfunden oder real, als Vorwand. Die Bedrohung kann wirtschaftlicher, militärischer oder sozialer Natur sein: Ramschanleihen, Börsencrash, Terrorismus, Kriegszustand, Flüchtlinge, Gesundheitsepidemien, Hungersnöte und andere Katastrophen, die alle durch den Diskurs der Angst unterstützt werden. Indem sie den Zustand der Bestürzung einer Bevölkerung ausnutzen, die sich in einem Schockzustand vor einer katastrophalen Situation befindet, die sie nicht verstehen und von der sie nicht wissen, woher und warum sie entsteht und deren Bedrohung immer noch schlimmer werden kann, erlassen die Herrschenden die repressiven und restriktiven Gesetze, die sie für notwendig halten, um die Stärke des Staates des Kapitals und des kapitalistischen Systems, das sie vertreten, zu schützen.

Befriedung mit Waffen

Ebenso wird nach der Destabilisierung der Länder eine Spur von Kriegen im Namen des Friedens geschaffen und die Militärs, die töten, foltern oder vergewaltigen, bilden Befriedungsarmeen. Kriege werden als notwendige und unvermeidliche Eventualität dargestellt, die meisten werden mit diesem idealen und nicht identifizierbaren Feind gerechtfertigt, der Terrorismus oder chemische Massenvernichtungswaffen ist, die nie auftauchen; dann werden Länder bombardiert und überfallen, die merkwürdigerweise Depots großer Reichtümer und strategischer Güter sind oder die eine bestimmte geostrategische Position haben. Es wird die Situation auferlegt, immer auf Kriegsfuß zu stehen, bereit für eine sofortige Intervention, sei es von außen oder von innen, was eine soziale Militarisierung erzeugt.

Die Untertanen-Bürger müssen sich in ständiger propagandistischer Mobilisierung befinden, um dauerhaft unbeweglich zu bleiben: totale Mobilisierung für ewige Acedia4, beschäftigt mit irgendetwas oder Sinnlosem, das nicht ihre Sache ist, interessiert an irgendeinem Interesse, das nichts mit ihren eigenen Interessen zu tun hat. Und da der vom Staat als am wichtigsten erachtete Krieg immer der innere ist, weisen sie ihm die maximalen Mittel zu, und wie in allen Kriegen geht es darum, den Feind zu vernichten und das Territorium zu verwalten, das heißt, den Arbeiter und die Unterdrückten im Allgemeinen zu besiegen und sie zu zwingen, das aufgezwungene Gesetz, die ständige und permanente Unterwerfung und Prekarisierung zu akzeptieren. Es wird nicht mehr erlaubt, und immer härtere Gesetze sind repressiv dafür zuständig, als die politische Verwaltung dessen, was es gibt, von innerhalb des Staatsapparates und der Institutionen durch Berufspolitiker, Parteien, Gewerkschaften und subventionierte und institutionelle Verbände auszuüben. Alles, was die Intervention der Unterdrückten mit unseren eigenen Mitteln ist, die wir aus unserem eigenen Feld heraus schaffen, indem wir uns den Umständen entsprechend organisieren, ohne Vermittler oder Vertreter, ist unter der Bedrohung der Polizei und des Richters, das Gesetz lässt keine Spielräume. Ausgeschlossen, aber kontrolliert und integriert, wollen sie, dass wir auf die Rolle des öffentlich schweigenden Zuschauers reduziert werden, der nur dann mobilisiert, wenn und für das, was sie uns anzeigen (im Allgemeinen von den Bildschirmen, hauptsächlich vom Fernsehen), das ist die Funktion, die von der Mehrheit erwartet wird, die immer schweigend und diszipliniert sein muss; das Gesetz und die Streitkräfte sind eindeutig damit beauftragt, uns an diese Rolle zu erinnern.

Die soziale Militarisierung, die der Welt aufgezwungen wird, ist jedoch nicht etwas, das im 21. Jahrhundert nach den Anschlägen in New York und den Kriegen im Irak und in Afghanistan und all den anderen, die gefolgt sind, entstanden ist. Im gesamten 20. Jahrhundert gab es die brutalsten Kriege, die sich die Menschheit nur vorstellen konnte. Die Technik ermöglicht es und deshalb entwickelt sich der technische Fortschritt gleichzeitig mit der Barbarei. In der Tat endete der Zweite Weltkrieg mit dem Abwurf von Atombomben, deren tödliche und zerstörerische Kraft die ganze Welt schockierte. In einer Welt, die in zwei scheinbar antagonistische Welten geteilt war, mit zwei Arten, den Staat des Kapitals zu verstehen, die des Staatskapitalismus versus die des liberalen Kapitalismus, schufen die nukleare Bedrohung und der Kalte Krieg an sich einen permanenten Ausnahmezustand von globalem Charakter, mit ihren jeweiligen Unterschieden auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs. Der industriell-militärische Komplex, ein Begriff, der erstmals 1936 von Daniel Guérin in seinem Buch „Faschismus und Big Business“ verwendet wurde, entpuppt sich als die bestimmende Kraft in den Entscheidungen der politisch-militärischen Vorherrschaft der USA und der anderen verbündeten oder konfrontierten Staaten und definiert genau die Handlungen der Machtelite, die sie beherrschen.

Kontrolle und Konsumgesellschaft

Auf der anderen Seite überwand der Kapitalismus mit dieser neuen totalen Militarisierung eines großen Teils der Welt und der Zerstörungs- und Wiederaufbaudynamik, die der Zweite Weltkrieg hervorgebracht hatte, so exzessiv wie verheerend (noch mehr als der Erste gewesen war, und es war schon schwer, sich eine größere Barbarei vorzustellen), die lange Krise, die mit dem Zusammenbruch der New Yorker Börse im Jahr 1929 begann. Nachdem der Schockzustand, in dem die Menschheit am Ende dieses Krieges zurückgelassen worden war, überwunden war, begann die Phase, die westliche Ökonomen „die dreißig glorreichen Jahre“ genannt haben, die von 1945 bis 1973/75 dauerten und im Wesentlichen vom keynesianischen Staat angeführt wurden, wodurch die bekannte Konsumgesellschaft entstand, die sich schließlich der ganzen Welt aufgedrängt hat. Dies führte zu einer Reihe von Veränderungen im sozialen und kulturellen Leben in den Ländern, in denen es sich ursprünglich entwickelt hatte, und setzte sich dann allmählich auch in den übrigen Ländern durch, obwohl die Konsumgesellschaft und das Gesetz des Marktes nicht in allen Ländern in gleichem Maße etabliert sind. Die Staaten der westlichen Welt waren gezwungen, einen formalen Zuwachs an Freiheiten zu gewähren. In dieser Ära der annähernden Vollbeschäftigung, mit einer Wirtschaft, die den Unternehmen immense Gewinne bescherte, und einer Produktionsstruktur, der scheinbar keine Hindernisse im Wege standen, kümmerte sich der Staat um das „Wohl“ – Gesundheit, Bildung, Urlaub, wirtschaftliche Stabilität – seiner „Bürger“. Die biopolitische Macht zieht es vor, ihre Untertanen als „Bürger“5 zu bezeichnen und betrachtet sie als solche, indem sie diese „sozialen“ Maßnahmen zu Kontrollinstrumenten und -mechanismen umfunktioniert. Die politische Funktion dieser Bürger muss nur in ihrer totalen Mobilisierung im gegebenen Wahlmoment und in der Möglichkeit bestehen, zwischen zwei oder drei Varianten derselben Sache zu wählen. Die Konsumgesellschaft wird fortan als „die Gesellschaft der Freiheit, die beste aller möglichen Gesellschaften“ präsentiert und der Staat wird umbenannt: „Wohlfahrtsstaat“, obwohl er in Wirklichkeit immer noch ein Kontrollstaat ist.

Permanenter Präventivkrieg

Wir wissen bereits, dass Kriege und der Militärapparat, der sie aufrechterhält, immer eine Quelle technischer Innovationen waren, die das Kapital und die zivile Industrie für den Konsum der Bürger kommerzialisieren oder für die systemnotwendige Kontrolle und Repression nutzen.

Ebenso gibt es im Bereich der Konzepte die Schaffung neuer Paradigmen, die militärische Strategien befürworten, von den Normen, die sich auf die militärische Ehre und die guten Kriegskünste als inspirierende Prinzipien moderner Armeen nach der Französischen Revolution beziehen, bis sie im Zweiten Weltkrieg mit der massiven Bombardierung von Städten gesprengt wurden und militärische Strategien mit ihrer Logik des anything goes aufzwangen. In jüngster Zeit, anlässlich des zweiten Irak-Krieges, wurde ein weiteres strategisches Konzept aufgenommen: der Präventivkrieg. Wie Rafael Sánchez Ferlosio es definiert, ist es: „Die Präfiguration eines anderen Kriegskonzepts, das über die Begriffe des ‚Präventivkriegs‘ hinausgeht und eher als ein ´Nur-für-den-Fall-Krieg´ zu bezeichnen wäre“6.

Unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg kam es in den Gebieten Afrikas und Asiens zu einer Reihe von kolonialen Kämpfen gegen die europäischen Besatzungsarmeen, die in militärische Auseinandersetzungen mündeten. Wenn die soziale Situation zwischen Armeen ausgespielt wird (der Besatzer eine fest etablierte, reguläre und mächtige Maschine und der Befreier ein aufkeimendes, aber auch militarisiertes Projekt), kommen der Prozess und seine Erfahrungen des sozialen Wandels immer zu kurz.

In Afrika und Asien sahen die Länder, die aus antikolonialen Kämpfen und Prozessen hervorgingen, bald, wie durch die Geheimdienste der Kolonialmächte und ihrer Verbündeten die Diktaturen ihrer korruptesten Militärs durchgesetzt wurden, die Kriege anzettelten und alle ermordeten, die im Verdacht standen, nicht richtig mit den wirtschaftlichen und politischen Interessen der USA und der europäischen Mächte zu kollaborieren.

In einer ganzen Reihe von lateinamerikanischen Ländern gab es, gefördert, entworfen, geplant und direkt ausgeführt von den USA als dominierende Militärmacht, zahlreiche Staatsstreiche, die grausame und korrupte Militärdiktaturen aufzwangen, die Abertausende von Menschen ermordeten, die folterten und Terror auf ganze Bevölkerungen ausübten. Die US-Armee intervenierte auch gegen andere Länder, im Koreakrieg, in Guatemala, in Panama, in der Dominikanischen Republik, im langen Vietnamkrieg, wo sie besiegt wurde.

In den letzten Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts und erst recht seit den Anschlägen in New York 2001, als der islamistische Terrorismus spektakulär zum Staatsfeind der Welt erklärt wurde, hat sich der Kriegszustand über weite Teile Afrikas und Asiens ausgebreitet. Eine Vielzahl von Kriegen verwüsten und zerstören viele Länder: Afghanistan, Irak, Jemen, Syrien, Libyen, Somalia, Sudan… Organisiertes Chaos durch einen permanenten Kriegszustand zu erzeugen. Weite Gebiete und Regionen durch einen Archipel von gezielten und langanhaltenden Kriegen systematisch zu destabilisieren, zu verdammen und zu chaotisieren.

Auch im Bereich der Strategien, wie im Bereich der technischen Innovation, werden die neuen Konzepte des Krieges durch den Polizei- und Kontrollstaat angewendet. Präventive oder „Nur-für-den-Fall“-Repression wird als eine Technik eingeführt, um soziale Mobilisierungen verschiedener Art zu beenden. Ein sehr naheliegendes Beispiel war die unverhältnismäßige Repression, die der französische Staat gegen die Besetzer der ZAD in der Region Landes entfesselt hat, 2.500 Gendarmen, unterstützt von Hubschraubern und Drohnen, Granaten aller Art, von Rauch bis lähmend, gegen 250 Bauern. Die Begründung von Macron lautete: „Diese Leute sind außerhalb des Gesetzes und wir müssen handeln, bevor die Illegalität fortgesetzt wird“. Illegalität, die darin besteht, verlassenes Land zu kultivieren, das für den Bau eines Flughafens bestimmt ist, der nie gebaut werden wird.

Ein permanenter wirtschaftlicher Ausnahmezustand

In einer Situation der Systemkrise, wie wir sie derzeit erleben, wird die Wirtschaftskrise zu einer permanenten Bedrohung. Der Zyklus der Krisen ist so kurz, dass eine Krise auf die andere folgt, in einer Welt des vernetzten und damit globalisierten Kapitals, in der das Gesetz des Marktes als einziges Gesetz durchgesetzt wurde. Seit der Aufhebung des Goldstandards und der Ölkrise (1973) gibt es immer wieder kritische Bedrohungen: die Pfundkrise, die New Yorker Börsenkrise 1987, die mexikanische Peso-Krise, die Rubel-Krise, die Südostasien-Krise, der Corralito in Argentinien, die Dotcom-Krise usw., bis hin zur großen Rezession von 2007, in der wir immer noch feststecken. Dazu kommen die ständigen Kriege, auch in Europa (Balkan). Aber wenn wir über Krisen sprechen, tun wir das immer aus unserer westlichen Sicht und Situation heraus. In Afrika und vielen Teilen Asiens ist das Drama des Krieges, wie wir schon angedeutet haben, der Flüchtlinge, des Hungers, der Plünderung und der unbegrenzten Ausbeutung eine ständige Tragödie.

In diesem Zustand der permanenten Bedrohung und dank der technischen Innovationen, der Automatisierung, der Robotisierung und der Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien hat das kapitalistische Produktionssystem eine bedeutende Umstrukturierung durchgeführt und im Finanzsystem eine Quelle des Profits gefunden, ohne sich um andere Konsequenzen als die unmittelbar erzielten Renditen zu kümmern. Im Klassenkampf hat das Kapital die Oberhand gewonnen. Für die Arbeiter und die Unterdrückten im Allgemeinen hat sich die Krise, in der uns das kapitalistische System permanent hält, verschärft: Arbeitslosigkeit, schlechtere Arbeitsbedingungen, Lohnkürzungen, hohe Lebenshaltungskosten… usw., während die Staaten unaufhörlich eine endlose Anzahl von Zivil- und Arbeitsgesetzen mit großer repressiver Wirkung erlassen, wie das Knebelgesetz/Maulkorbgesetz (Ley Mordaza7) oder die Änderung des Strafgesetzbuches. In der Welt des Kapitals hat das Finanzsystem auf dem Rücken des Kredits und der technischen Innovationen einen unverhältnismäßigen Protagonismus angenommen; die Schulden betreffen vor allem die Staaten, auf allen Ebenen ihrer hierarchischen Struktur, und um sie bezahlen zu können, werden mehr Schulden verlangt, eine Schuld, die mehr Schulden erzeugt, wie ein endloses Getriebe.

Die Politiker des Staates verkaufen uns all diese Gesetze und wirtschaftlichen Entscheidungen, die sie uns auferlegen und die uns so sehr in unserem täglichen Überleben beeinflussen und so viele Ängste und Unsicherheiten erzeugen, als Auswirkungen einer Finanz- und Marktlogik, als etwas Unvermeidliches, von „neutralem“ Charakter. Der Markt und sein Gesetz werden zu einer Glaubenssache und stehen jenseits von Gut und Böse. Wenn die politische Lüge und ihre Korruption offenkundig ist, bleiben nur die Wirtschaft – der große Korrumpierer – und ihre Logik des maximalen Profits als einzige Ideologie übrig, die zu retten ist. Der Glaube an das Gesetz des Marktes und der Glaube, dass wir in der besten und einzig möglichen Welt leben, werden als erstes ideologisches Prinzip auferlegt. Dass es keine anderen möglichen Welten oder Lebensweisen gibt und dass diese eine, in der wir überleben, die beste ist, die es gibt, und dass es keine andere gibt, ist zu einer Glaubenssache geworden. Die Wirtschaft ist die einzige Ideologie, die es zu schützen und zu verteidigen gilt.

Es ist möglich, dass von nun an die Bedrohung durch eine Wirtschaftskrise immer präsent sein wird, weil das Funktionieren des kapitalistischen Systems es erfordert, die Angst wird weiterhin die Botschaft sein. Phrasen wie „ein neuer Aufschwung“ werden schnell und wie nebenbei ausgesprochen, weil es wichtig ist, die Hoffnung nicht zu verlieren, unser Bedürfnis nach Trost ist unersättlich, um danach immer eine oder mehrere Gefahren zu erwähnen, wie Schulden oder die Kreditklemme. Von der großen Mehrheit, den Unterdrückten, werden Opfer verlangt, Disziplin, ein unbegrenzter Gehorsam, der an sich Unterwerfung ist. Es scheint, dass wir in diesem Zustand des permanenten Ausnahmezustands bleiben werden, in diesem perfekten Schwebezustand für das Kapital, zwischen einem Versprechen auf Erholung und einer permanenten Bedrohung durch den Zusammenbruch.

Die Militarisierung der Gesellschaft: eine Strategie für…

Die Versuchung des Einsatzes und der Anwendung des Militärs ist groß, wenn ein Land einen immensen Apparat mit einer furchtbaren Zerstörungskraft unterhält, der mit enormen Geldbeträgen unterstützt und von Tausenden von Menschen bewegt wird, von denen viele heutzutage mit einem hohen technologischen Niveau ausgestattet sind wie Ingenieure, Physiker, Ärzte, Psychologen, Informatiker, Topographen usw. Das Militärkorps in Spanien besteht aus 130.000 Soldaten, von denen 12,5 % Frauen sind. Nichts könnte absurder sein als diese gigantische, immer weiter wachsende Anstrengung, die ständig im Prozess der Modernisierung und Kriegsbereit ist.

Die Versuchung, dem Militär zu verfallen, war sogar bei Figuren wie Kropotkin – obwohl es weh tut – zu Beginn und während des Ersten Weltkrieges vorhanden. Er glaubte, dass die Zerstörung des Deutschen Reiches durch die Alliierten die Ausbreitung des Anarchismus in Mitteleuropa und sogar in Russland ermöglichen würde; er war gegen die großen Demonstrationen, die sich gegen den Krieg richteten; Grave unterstützte auch Kropotkin; auf der anderen Seite verurteilten Emma Goldman, Rudolph Rocker, Malatesta, Liebknecht, den ungeheuren Brudermord.

Die Verteidigung der Heimat ist das Argument, das die Existenz eines solchen Organismus aufrechterhält, aber die Heimat ist nichts weiter als eine juristische Schöpfung, die von einer säkularen Propaganda getragen wird; sie existiert nicht an sich; die Zuneigung zu einem Territorium und zu Symbolen wird geschaffen, wobei die Menschen und ihre grundlegenden Probleme an zweiter Stelle stehen; die Abstraktion des Begriffs „Heimat“ ist total und ideologisch. Wer sich nicht patriotisch fühlt, kann im Gefängnis landen, als Systemgegner oder Terrorist gebrandmarkt werden – Etiketten, die zunehmend von den Medien verwendet werden. Nichts ist so gut verdichtet wie das Manifest von 1848: Die Arbeiter haben kein Vaterland. Ihnen wird befohlen, bis zum Tod für diese von einigen wenigen geschaffene Entelechie zu kämpfen. Der Krieg wird von einer kleinen Gruppe von Menschen erklärt und dafür erfinden sie Gründe und lügen bis zum Überdruss, um ihn zu rechtfertigen: Vietnam, Irak, Libyen, Afghanistan oder Palästina. Um den Krieg zu führen, wird der Nation der absolute Ausnahmezustand eingeführt: eine Verweigerung wird mit sofortiger Hinrichtung unter dem Vorwurf des Hochverrats bestraft; es gibt keinen Raum für Berufungen, alles wird durch die Militärjustiz geregelt. Die gesamte zivile Kommunikation wird abgehört; die Priorität in den Bereichen Gesundheit, Lebensmittel, Haushalt, Wirtschaft, alles geht an die Front. Es ist die Militarisierung aller Sphären: Gesellschaften, Presse, Publikationen, Bildung, Requirierung von allem, was den Armeen nützlich sein könnte. Die Irrationalität nimmt dramatische Formen an, selbst in der Absurdität der Unvernunft; der Sieg wird alle Todesfälle kompensieren und amortisieren. Und doch ist jeder Krieg das schrecklichste Versagen der Menschheit.

Es ist notwendig, die Notwendigkeit der menschlichen Armee mit ihrer Maschinerie zu rechtfertigen; daher die ständigen Manöver und die Teilnahme an Missionen im Ausland, viele von ihnen heute humanitär oder auch präventiv genannt, in einer anderen Zeit heilig oder der Rückeroberung.

Die Kinematographie, die Kriegen gewidmet ist, ist überwältigend, aber fast noch stärker ist der Einfluss der Videospielindustrie, die eine aktive Haltung einfordert, die die Distanz zwischen Fiktion und Realität aufheben kann, so dass sich der Ausführende eines realen Angriffs (z. B. mit Drohnen), der aus der Ferne Tausende von Toten verursacht, von dessen Folgen genauso weit entfernt fühlen kann wie der Spieler in der Fiktion vor dem Bildschirm zu Hause. Abgesehen vom kommerziellen Nutzen hilft es, ebenso viel Sympathie und Nähe zu den Guten zu erzeugen wie Verurteilung und Ablehnung der Bösen. Das Wichtigste ist die Rechtfertigung der Kriegstreiberei; auch die militärischen Musikkapellen, die Paraden oder Aufmärsche, die Fahnen, je größer, desto besser, die Messen mit ihrer Anwesenheit, die Besuche von Schulen in Einrichtungen, all das stellt eine Dynamik in Richtung Assimilation und Verinnerlichung der militärischen Tatsache in der Gesellschaft dar.

Spanien ist gut ausgestattet mit staatlichen Sicherheitskräften und -korps: Guardia Civil, Nationalpolizei und lokale Polizei. Hinzu kommen die autonomen Polizeikräfte der Kanarischen Inseln, Kataloniens, Navarras und Euzkadi mit insgesamt 250.000 bewaffneten Mitarbeitern, zu denen man noch 100.000 Hilfskräfte von privaten Sicherheitsfirmen hinzuzählen muss. Zusammen bilden sie eine Masse von einer halben Million Menschen8.

Diese halbe Million Arbeitsplätze, die in wirtschaftlicher Hinsicht der Nicht-Produktion von Gütern und der Zerstörung bzw. der Kontrolle und der sozialen Repression gewidmet sind, entlastet die Arbeitslosenquote und die Erwerbsbevölkerung selbst in ganz erheblichem Maße. Die Kosten kennen wir bereits.

Die Agenten der Autorität operieren in der Kontrolle und Unterwerfung der Staatsbürgerschaft, sie sind Hilfstruppen der Armee, sehr nahe an ihr; wenn die verschiedenen Polizeikräfte nicht ausreichen, dann wenden sie sich an das Militär, wie es derzeit in Frankreich, Belgien oder den USA der Fall ist, wenn in einem Staat der Notstand ausgerufen und die Nationalgarde mobilisiert wird (Unruhen nach Rassenmorden, Plünderungen nach Wirbelstürmen, Aufstände usw. (Die US-Nationalgarde ist eine Reservetruppe, die aus Freiwilligen besteht; sie hat derzeit mehr als eine halbe Million Soldaten).

Nichts ist so ausschließend wie der Militarismus: mit ihm geht man immer in die Nachtwache des Todes, und dieser kommt, wenn der Krieg, der die Existenz des Militärs rechtfertigt, erreicht ist.

Die Iberische Halbinsel, dauerhafte Ausnahme(-zustand)

Um die revolutionäre Bewegung der Unterdrückten auf der Iberischen Halbinsel im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts zu stoppen, führten die beiden Staaten, aus denen sie sich zusammensetzt (Portugal und Spanien), zwei blutige Militärdiktaturen ein, die 50 bzw. 40 Jahre dauerten. Die Militärdiktaturen stellen eine weitere Drehung der Schraube an den Unterdrückten dar: ein Ausnahmezustand über den Ausnahmezustand.

Militärische Interventionen und Diktaturen von Generälen waren eine Konstante in der politischen Geschichte des spanischen Staates. Wenn eine Militärdiktatur vierzig Jahre dauert und durch Ermorden auferlegt und durch Töten, Erschießen, Foltern und Einsperren aufrechterhalten wird, und der Diktator im Bett stirbt und bis zum letzten Moment Attentate und Erschießungen anordnet, wird der Ausnahmezustand dauerhaft.

Nach dem Tod des Diktators kam seine monarchische Fortsetzung, der Bourbonenkönig wurde von Franco ernannt, mit den Regierungen seiner Epigonen, die mit anderen Mitteln, der demokratischen Verkleidung, der korrupten Zweiparteienherrschaft, den Ausnahmezustand fortsetzten und mit der institutionellen Gewalt fortfahren durften. Zwischen 1975 und 1982 stieg die Zahl der durch staatliche Gewalt getöteten Menschen auf 2489. „Diejenigen, die jeweils dominieren, sind die Erben derer, die einst gewonnen haben. Deshalb ist die Empathie mit dem Sieger in jedem Fall günstig für den Herrscher des Augenblicks“, (Walter Benjamin, These VII).

Nach 40 Jahren Militärdiktatur, die Angst und Terror zum Mittel machte, um die Bevölkerung zu unterdrücken, zum Schweigen zu bringen und zu lähmen, ist es nicht verwunderlich, dass viele Ängste die Tiefen der sozialen Durchlässigkeit durchdrungen haben. Ebenso institutionalisierte Francos Regime die Korruption als eine Möglichkeit, die internen Widersprüche des Regimes zu kontrollieren, und so ist es nicht überraschend, dass seine Epigonen dieselbe Methode der institutionellen Korruption fortsetzten, nur dass sie durch die Zirkulation eines größeren Geldflusses größere Dimensionen erreicht hat.

Vierzig Jahre sind mehr als genug Zeit für eine Generation, die nächste in allen Strukturen des Staates zu unterrichten, besonders in den repressiven, und für bestimmte Handlungs- und Denkweisen, die sich etablieren. Da Franco bereits die Fortsetzung in der Monarchie durchgesetzt hatte, wurden alle repressiven Strukturen weiterhin von denselben Personen besetzt, die in der Diktatur geformt und ausgeübt wurden, daher lehrten und trainierten sie die nächsten, die in diesen 43 „demokratischen“ Jahren in diese Staatsorgane eintraten, indem sie mit ähnlichen Methoden fortfuhren, die mit einem etwas anderen Diskurs überzogen waren, daher kann man, ohne Angst, sich zu irren, den Ausdruck verwenden: dieselben Hunde mit verschiedenen Halsbändern. So änderte zum Beispiel das Gericht für öffentliche Ordnung (Tribunal de Orden Público), das Verhalten unterdrückte (das finstere TOP), seinen Namen in Nationales Gericht, aber dieselben Bürokraten instruierten, urteilten und verurteilten weiterhin „politische“ Fälle; deshalb können wir nicht überrascht sein, dass genauso wie sie mit Gefängnisstrafen verurteilten, weil gesagt wurde „Ich habe auf Franco geschissen“ (1963), jetzt werden Leute verurteilt, weil sie auf Twitter schreiben, dass „Kissinger schenkte Carrero ein Stück des Mondes, ETA hat seine Reise dorthin bezahlt“, oder weil sie in einem Hip-Hop Lied singen „Scheiß Polizei, scheiß Monarchie“. Die Polizei und die Guardia Civil blieben in den Händen der gleichen Folterer. In der Armee, in den Geheimdiensten hatten weiterhin die gleichen franquistischen Namen und Familien das Sagen. In einer so geschlossenen und hermetischen Umgebung, so korporatistisch10, wie es die repressiven Bürokratien sind, ist es sehr schwierig, Trägheiten und Verhaltensweisen zu ändern, vor allem, wenn dies weder angestrebt noch beabsichtigt ist.

Es wäre interessant, den roten Faden zu verfolgen, der sich vom Gesetz der öffentlichen Ordnung von 1959 über die Gründung der TOP im Jahr 1963 bis zur Audiencia Nacional (1977) erstreckt, mit Bezugspunkten wie dem Corcuera-Gesetz des Fußtritts der PSOE – Gesetz zum Schutz der Sicherheit der Bürger von 199211 -, oder dem Knebelgesetz/Maulkorbgesetz oder Gesetz zur Sicherheit der Bürger der PP von 2015. Durch die Aufrechterhaltung eines harten und stark restriktiven Repressionssystems strebt der Staat obsessiv nach einer totalitären Kontrolle der Bevölkerung, einer Verteidigung der verfassungsmäßigen Ordnung um jeden Preis. Deshalb zielt das Strafgesetzbuch darauf ab, jede abweichende Meinung zu unterdrücken, und verstärkt und schützt die Handlungen der Organe und Streitkräfte des Staates, wie auch immer sie aussehen mögen.

Es kann uns also nicht überraschen, dass der Verteidigungsminister und der Bildungsminister per Gesetz den „Generalplan für Kultur und Verteidigungsbewusstsein“ genehmigen und durchsetzen, aus dem hervorgeht, dass in den Grundschulen Fächer gelehrt werden, in denen militärische Werte gepriesen werden; in einer Zeitung oder in den institutionellen Propagandamedien heißt es: „Schüler von 6 bis 12 Jahren lernen Militärmärsche, basteln Fahnennadeln und machen Paraden aus Knetmasse“. In dieser Gesellschaft des Spektakels drängt sich das Groteske auf, und es tut es mit hysterischem Geschrei: Es lebe der Tod12!

Gegen diesen Militarismus, in dem sie versuchen, uns zu indoktrinieren, entstand in Spanien die antimilitaristische Bewegung und der Kampf für die Abschaffung der Wehrpflicht, der einen hohen Grad an Mobilisierung und Konfrontation mit dem Staat erreichte. Als Aznars PP-Regierung das Ende der Wehrpflicht verordnete, verinnerlichten die Menschen dies als Sieg der Totalverweigerungsbewegung und als Niederlage des zügellosen Militarismus in einer Prätorianerarmee mit Bürgerkriegsstrukturen, die unter dem Säbelrasseln zerbröselten. Der Übergang zu einer in die NATO-Struktur integrierten Söldnerarmee bot den Oberkommandierenden bessere Möglichkeiten des beruflichen Fortkommens, Kurse in militärischen Ausbildungszentren in den USA, quantitative und qualitative Steigerung des Kriegsmaterials, höhere Gehälter… Diese Impulse neutralisierten den Abschaum von Militärs mit Putschträumen und machten Platz für eine sogenannte Berufsarmee.

Was heute der Staat der Demokratien den Bürgern sagt, ist folgendes: „Macht euch keine Sorgen, bleibt ruhig in euren Häusern, ihr müsst nicht unter Waffen dienen; die Armee wird Individuen anheuern, die das für euch tun, und, da sie Profis sind, effizienter. Jedenfalls, da ihr die Wahlstimme in euren Händen habt, werden die Waffen der Nation niemals andere Unternehmungen unternehmen als solche, die ihr selbst durch eure gewählten Vertreter stillschweigend und maßvoll billigt.“13

Diese alte neue Armee präsentiert sich den Wählern als pazifistische Armee, die an internationalen „Friedens“-Missionen mitwirkt, um die Sicherheit der Bürger zu schützen, Terroristen zu besiegen und die Demokratie in Konfliktländern zu etablieren. Es wird nichts über die Beteiligung der patriotischen Armee an Operationen zur Destabilisierung ganzer Regionen für geostrategische Interessen des Kapitals, unter der Führung der USA, gesagt.

Eine andere Form des Make-ups der franquistischen spanischen Armee bestand darin, Frauen an die Spitze des Verteidigungsministeriums zu stellen. Die Kommandanten und Soldaten, die „El novio de la muerte14“ als Hymne der Macho-Krieger-Exaltation singen, gehorchen der Kommandostimme einer Frau. Man muss nicht sehr scharfsinnig sein, um die bösen Absichten der Planer der militaristischen Propaganda zu erraten, mit einer Botschaft des Geschlechtsvertrauens gegenüber den weiblichen Wählern und einem Bild der Modernität für die Vulgären im Allgemeinen.

Kulisse

Eine Reihe von Revolten erschütterte die zentrale Welt des Kapitals. Ohne Unterschied übersprangen sie den „uneinnehmbaren“ Eisernen Vorhang und ließen die Pflastersteine von Ungarn bis Paris und überall in Frankreich, von Prag bis Mexiko aufsteigen. In Washington und anderen US-Städten schoss die Nationalgarde auf Demonstranten, in Italien zogen sich soziale Kämpfe bis in die 1970er Jahre hin, andere folgten, wie der Aufstand der Zapatisten oder der Arabische Frühling. Im November und Dezember 1999 begann mit der fünftägigen Revolte in Seattle gegen den Gipfel der Welthandelsorganisation (WTO), die das Scheitern der so genannten Millennium-Runde verursachte, eine Bewegung gegen die globalisierte und militarisierte Wirtschaftsherrschaft, die sich in Prag fortsetzen sollte, in den drei Tagen des Aufstands gegen den G8-Gipfel in Genua (Juli 2001), bis hin zu den großen Demonstrationen in Hamburg gegen den G20-Gipfel, in einer Stadt, die vom Militär übernommen wurde, wobei der Bereich, in dem sich die Vertreter des Kapitals trafen, mit Stacheldrahtabsperrungen, Hunden und Polizei abgesperrt wurde, wobei die Demonstranten sie anschrieen, während sie Barrikaden errichteten: Willkommen in der Hölle! In all diesen Situationen, wie auch in den anderen, die noch folgen werden, wurde „der Triumphzug der Herrschenden“ kurzzeitig unterbrochen.

Das Militär hat die meisten Regierungen der Welt regiert und beaufsichtigt oder überwacht sie direkt und ohne sich viel anmerken zu lassen, deshalb hatte Walter Benjamin recht, als er darauf hinwies, dass für „die Unterdrückten der Ausnahmezustand, in dem wir leben, die Regel ist“. Aber wir sollten auch mit dem Absatz enden, den er schrieb: „Das Konzept der Geschichte, zu dem wir kommen, muss Kohärent mit diesem sein. Den wahren Ausnahmezustand zu fördern, stellt sich uns dann als unsere Aufgabe dar…“ („Über den Begriff der Geschichte“; These VIII), d.h. einen wahren Ausnahmezustand für das Kapital zu schaffen, der seine Herrschaft und die Klassengesellschaft abschafft.

Etcetera, Juni 2018

 

1A.d.Ü., wir waren uns an dieser Stelle nicht sicher, im Originaltext steht „la fuerza de la ley se impone con la ley de la fuerza“. Fuerza bedeutet Kraft, aber was hier erklärt wird ist wie Gesetzte durchgesetzt werden, wir haben nicht Macht verwendet, weil dies auf Spanisch Poder ist.

2A.d.Ü, im Orginialtext ist die Rede von vertebra, aus dem Verb vertebrar, was bedeutet etwas eine Organisation, eine Kohäsion und eine Struktur zu geben.

3A.d.Ü., kann auch als Verdinglichung verstanden werden.

4A.d.Ü., Acedia ist ein christlicher Begriff, der die Sorglosigkeit, die Nachlässigkeit und das Nichtsmachenwollen beschreibt.

5 „Sklaven zu haben ist nicht das Entsetzlichste, das Entsetzlichste ist, Sklaven zu haben, indem man sie Bürger nennt“ (Diderot).

6Rafael Sánchez Ferlosio, „Babel contra Babel“.

8Armee, 130.000; Guardia Civil, Nationale Polizei, Lokale Polizei, Autonome Polizei: 250.000; Sicherheitspersonal, 110.000. Gesamtzahl an Sicherheitskräften: 490.000

9Baby, Sophie: Estado y violencia en la Transición española. Según el historiador J. Andrade: “el miedo fue el éter de la Transición”.

10A.d.Ü., auf eine Körperschaft betreffend.

11A.d.Ü., dieses Gesetz, bekannt als Gesetz des Fußtritts, lockerte unter anderem die Anwendung von Hausdurchsuchungen, daher der Name.

12A.d.Ü., Viva la muerte (Es lebe der Tod) ist ein Kampfspruch unter Faschisten und Faschistinnen in Spanien.

13Rafael Sánchez Ferlosio: Babel contra Babel.

14A.d.Ü., El novio de la muerte (Der Tod ist meine Geliebte) ist die Hymne der spanischen Legion.

]]>
(Spanien) Sind wir in der kapitalistischen Apokalypse? https://panopticon.blackblogs.org/2020/07/05/spanien-sind-wir-in-der-kapitalistischen-apokalypse/ Sun, 05 Jul 2020 20:54:00 +0000 http://panopticon.blogsport.eu/?p=1271 Continue reading ]]> Quelle Grupo Etcetera, die Übersetzung ist von uns

Sind wir in der kapitalistischen Apokalypse?

In dieser komplexen Welt von heute ist die Medizin an allen negativen Aspekten beteiligt, die unsere industrielle Zivilisation voraussetzen. Es hat seinen wissenschaftlichen Charakter völlig verloren, um eine weitere Technik im Dienste der Industrie zu werden. Dies macht eine ruhige Debatte über lebenswichtige Themen unmöglich und verfolgt sogar diejenigen, die mit der „offiziellen“ Position nicht einverstanden sind. Die Wissenschaft – und damit auch die Medizin – ist zu einer neuen Religion geworden.

Nachdem uns die Filmemacher so viele Formen der Apokalypse angeboten haben, hätten wir uns daran gewöhnen sollen. Es scheint jedoch, dass es uns alle überrascht hat, unter anderem, weil wir uns nicht einmal in Träumen vorstellen konnten, dass wir alle die Protagonisten des nächsten Films sein würden, sondern diesmal in Echtzeit.

Persönlich habe ich es immer bereut, dass das Buch von Michel Bounan, Les temps du Sida, nicht in eine Sprache dieses Landes übersetzt worden war; Obwohl der Autor auf AIDS verweist, können seine Analysen dieser Krankheit perfekt auf die aktuelle Pandemie angewendet werden.

In Wirklichkeit ist es nicht das Virus, das das Leben des Einzelnen beendet, sondern die Morbidität der Umwelt und seiner eigenen: „Die kanonische Medizin, die Räte, Akademien, Institute und Universitäten dominiert, erkennt die Rolle und Bedeutung von krankhaftes Gelände. Aber er ignoriert sie in seiner therapeutischen Praxis. Nur der „mikrobielle Angreifer“ ist Gegenstand seiner Strategie, und dafür hat er ständig antimikrobielle Waffen modernisiert (…) und die Medien informieren uns über den hervorragenden Zustand der Truppen und der Verwaltung (…) lange, mehrfache Niederlagen über mehrere Jahre. Niemand kennt den Ausweg wirklich »(Bounan, 17).

Bereits im späten 19. Jahrhundert hatte die Wissenschaft die letzten Überreste der Unabhängigkeit verloren, die sie noch bewahrte, und sich entschieden in den Dienst der im Westen geborenen neuen Wirtschaftsordnung gestellt.

«Die Zersetzung des wissenschaftlichen Geistes, die heutzutage beendet ist, begann, als seine Trennungskraft wirksam wurde, als die Mittel der Untersuchung und des Handelns die Mittel der Repräsentation und des Verstehens weit hinter sich ließen, die Zerstörung der Welt, ohne sie zu verstehen; und seitdem hat das zerstörte Ganze eine phantasmagorische Existenz in den willkürlichen kosmogonischen Spekulationen von Physikern, die nicht mehr als arme Metaphysiker sind, wie jene Anbeter der Quants, die sich ernsthaft fragen: „Existiert die Realität?“ Die technischen Mittel, deren Überschuss unserer Repräsentations- und Verständniskraft entging, auf die Proportionen des menschlichen Verständnisses zu bringen, war natürlich keine „wissenschaftliche“ Aufgabe – eher eine soziale und revolutionäre -, sondern nur ihre Verwirklichung hätte die Wissenschaft retten können die Unvernunft, die sie hinter sich zog. Und die Tatsache, dass dies nicht geschehen ist, war eine der Katastrophen des Jahrhunderts, die endet, oder besser eines der Gesichter der langen Katastrophe, die das Jahrhundert war »(Encyclopedie des Nuisances, 57).

Die Medizin entging auch nicht diesem Vorschlag einer Zivilisation, die mit der industriellen Revolution geboren wurde und sich schließlich bereit erklärte, sich den dichten Netzwerken der Industrie anzuschließen und die Gesundheit in die Kategorie der Unternehmen zu heben. Ein sehr profitables Geschäft übrigens. Die mikrobielle Theorie, die Pasteur in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entwickelte, hatte unmittelbare Auswirkungen auf die aktuelle Medizin – insbesondere in Bezug auf die Pasteurisierung von Milch oder ihren Derivaten und auf Impfstoffe und insbesondere den Tollwutimpfstoff – zweifellos Erfolge bei der Behandlung verschiedener Krankheiten. In einer oberflächlichen Analyse könnte man annehmen, dass dies der Grund war, warum Bechamps Theorien, die Pasteurs diametral entgegengesetzt waren, ignoriert wurden. Die Gründe waren jedoch viel prosaischer und unaussprechlicher. Zwischen den beiden Theorien gab es keine Möglichkeit eines Zwischenpunktes, und die Kraft der industriellen Entwicklung erforderte notwendigerweise eine Theorie, die die notwendige Grundlage für die Integration des Menschen in ihn liefern würde. Dies war das letzte Glied in einer Kette, die die Menschheit den Errungenschaften der Massenproduktion von Drogen unterwarf, die sie von der jahrhundertealten Krankheitsgefahr befreiten.

Damit wurden zwei Ziele erreicht: Einerseits den Menschen die Fortschritte in der Forschung in pharmazeutischen Laboratorien auszusetzen, wodurch die Krankheit industrialisiert und andererseits ihrer Autonomie, einem lebenden Organismus in Bezug auf seine Krankheit, um es in eine Maschine zu verwandeln, in einen Mechanismus, der wie jede andere Industriemaschine durch Teile zerlegt und repariert werden kann.

Die medizinische Abteilung ist zumindest sehr komfortabel. Der Spezialist, der eine solche Verletzung unterdrückt, überträgt den Stab an den entsprechenden Kollegen, sobald sofort eine andere Erkrankung auftritt. Auf diese Weise werden alle Kenntnisse und Verantwortlichkeiten im Verlauf des Transfers verwässert “(Bounan, 74).

Auf der anderen Seite wird die Medizin – und die Wissenschaft im Allgemeinen – durch diesen Prozess der Industrialisierung zu einer Technik und muss sich daher dem Diktat derselben unterwerfen. „In diesem Selbstwachstum appelliert die Technik an die Technik: In ihrer Entwicklung wirft sie eminent technische Probleme auf, die daher nicht allein durch Technik gelöst werden können. Das gegenwärtige Niveau ermutigt zu weiteren Fortschritten, und dieser weitere Fortschritt verstärkt gleichzeitig die Nachteile und technischen Probleme und verlangt auch weitere Fortschritte“ (Ellul, 98). Mit anderen Worten: „Alles, was diese Medizin zu heilen versucht, wird immer schlimmer, und eine solche Beschleunigung erfordert eine Vervielfachung der Ärzte, Krankenhäuser, der pharmazeutischen Industrie und des Budgets der Nationen. Wir stehen vor der Entgleisung einer erschöpften Lokomotive, von der viele es vorziehen zu ignorieren, wer sie fährt“ (Bounan, 75).

Der anarchistische Arzt Isaac Puente gibt uns durch Beobachtung und Experimente eine wertvolle Methode an die Hand, um die Störungen des lebenden Organismus zu analysieren, wobei er versucht, nicht in verderblichen Dogmatismus zu verfallen. Vor allem versuchte Puente stets, sich von Apriorismen oder Vorurteilen zu lösen, die eine gelassene Analyse der Phänomene, die er untersuchen wollte, erschwerten. Es waren vor allem seine kritische Sichtweise und seine klinischen Erfahrungen, die ihn dazu brachten, seine auf der offiziellen Medizin basierenden Überzeugungen radikal zu ändern. In einem interessanten Meinungsaustausch mit Dr. Fontela aus Montevideo sagte er in Bezug auf die Ursache von Krankheiten: „Ich für meinen Teil hatte mich nie gegen das mikrobielle Dogma aussprechen können; aber es war lange her, dass ich zufrieden war. Die Klinik und die Therapie haben mir viele Argumente dagegen geliefert, die mich an Pasteurs Wissenschaft zweifeln lassen. Die Ideen des geschätzten Kollegen Dr. Fontela befriedigen meine Zweifel voll und ganz und geben mir eine Überzeugung in der Sache, die ich hier zu entlarven versuche (Puente (a), 10). Sein Vortrag schließt mit diesen bezeichnenden Worten: „Mikrobielle Keime sollten nicht als Ursache, sondern als Folge von Krankheiten betrachtet werden. Nicht sie sind es, die angegriffen werden müssen, sondern das organische Ungleichgewicht oder die humorale Unreinheit, die ihnen Bedingungen zum Wachsen bietet (Puente (a), 11).

Auf dieses für Dr. Puente lebenswichtige Thema insistierend, warnte er: „Wir müssen reagieren, Ärzte und Öffentlichkeit, gegen diese absurde Panik, die bisher nur Verwüstung gebracht hat. In dem Bestreben, die schädlichen Keime loszuwerden, haben wir unsere Umwelt noch offizieller gemacht und uns auch der Schutzkeime beraubt (…) Wir sind auf zwei Dummheiten gestoßen: Zum einen, sie mit Desinfektionsmitteln vernichten zu wollen, ohne etwas zu tun, weil die Umwelt für sie ungünstig war, sondern im Gegenteil. Die andere bestand darin, die Infektion loszuwerden, in der Illusion, dass wir die Mikrobe durch Flucht vor den Kranken meiden würden (A Rural Doctor, 16).

Deshalb wurde er nicht müde, die Irrtümer der offiziellen Medizin anzuprangern, wann immer er es für angebracht hielt: „Die Medizin ist einen falschen Weg gegangen, indem sie versucht hat, eine Krankheit zu heilen, indem sie nur die Mikrobe bekämpft, und ohne zu versuchen, die ursprüngliche biochemische Störung im angegriffenen Organismus zu reparieren. Daraus ergibt sich die Unwirksamkeit ihrer Rechtsmittel, was durch die unendliche Anzahl von ihnen belegt wird. Aber er hat einen noch falscheren Weg eingeschlagen, indem er das Gesundheitswesen im naiven Sinne der Abtötung mikrobieller Keime durch Antiseptika ausgerichtet hat. Keine Tierart kann durch ein solches Verfahren vernichtet werden (Puente (b), 16)

Tatsächlich werden Probleme nicht dadurch gelöst, dass man sie einfach ignoriert oder versucht, ihre negativen Auswirkungen abzuschwächen. Wie der Arzt Maeztus vorschlägt, wäre der einzig mögliche Ausweg die Revolution der Ideen und der Wissenschaft die Unabhängigkeit zurückzugeben, die sie nie hätte verlieren dürfen. Aber dem stehen natürlich sowohl soziale Konventionen als auch eine gewisse Anpassung an die etablierte Gesellschaftsordnung entgegen, die es vor allem geschafft hat, uns dazu zu bringen, zu versuchen, das zu ignorieren, was wir wissen, weil sie uns von der Sinnlosigkeit jeglicher Bemühungen überzeugt haben, Probleme lösen zu wollen, die sich unserer Fähigkeit zur Initiative entziehen.

Abschließend möchte ich auf einige der sozialen Mechanismen hinweisen – wir haben sie bereits während dieser Arbeit angedeutet -, die es ermöglichen, dass Ereignisse von so großer Tragweite, an denen wir alle beteiligt sind, einen natürlichen Charakter annehmen und über das Schicksal von Millionen von Menschen entscheiden.

Einer der Gründe dafür ist meines Erachtens die Unterordnung der Medizin – und der Wissenschaft im Allgemeinen – unter die Technik. Dies hat es zweifellos ermöglicht, das Wissen auf den ganzen Planeten auszudehnen, gleichzeitig aber auch die Möglichkeit einer Manipulation im großen Maßstab dank der technischen Entwicklung erweitert, vor allem aber hat es Ärzte und Wissenschaftler dem Diktat der Industrie unterworfen, die nicht das geringste Zögern bei der Entscheidungsfindung zulässt – und nicht zulassen kann -, vor allem, wenn es in ihrem eigenen Interesse liegt. Dieser Verlust der Unabhängigkeit zwingt uns, die Augen vor unzulässigen Tatsachen zu verschließen, die sonst unvorstellbar ernst zu nehmen wären, denn sonst laufen wir Gefahr, unsere Privilegien zu verlieren und zur Anonymität verdammt zu werden.

Notwendige Komplizen dieses ganzen Prozesses sind die Massenmedien, von deren Unterwürfigkeit wir uns selbst überzeugen können. Es genügt, wenn wir uns die Mühe machen, zu analysieren, welche Interessen sie vertreten und welche Position sie in den letzten Jahren in Bezug auf die Probleme eingenommen haben, die einen großen Teil der Bevölkerung betreffen und bei denen es um die Interessen der großen Unternehmen geht.

Und schließlich hat ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung ihre Autonomie als Gegenleistung für das Betteln um ein gewisses Maß an Sicherheit verpfändet und verlangt sofort absolute Antworten. Antworten, die nur in ihrer Phantasie existieren, aber die die konstituierten Mächte nicht zögern zu geben, auch wenn sie nicht mehr als absurd und bedeutungslos sind.

All dies macht unsere Gesellschaft aus, die auf Terror, Angst und Tod und ihren vielfältigen Kombinationen beruht und aus der der kritische Geist praktisch verschwunden ist, gezwungen, in den Katakomben Zuflucht zu suchen, um nicht unter der Last der Dummheit zu erliegen. Vor einiger Zeit schrieb ein Wissenschaftsphilosoph in einem Buch – dessen Referenz ich leider vergessen habe -, dass „wenn der Irrtum jedes Mal korrigiert wird, wenn er entdeckt wird, der Weg des Irrtums der Weg der Wahrheit ist“. Aber er vergaß, uns zu erklären, wie ein Fehler entdeckt wird und, was noch wichtiger ist, wie wir handeln müssen, um ihn zu korrigieren, sobald er entdeckt wird, insbesondere wenn dieser Fehler die Industrie begünstigt. Aber wir müssen auch hinzufügen, dass Teillösungen für jede Art von Problem nicht nur nicht ausreichen, um es zu lösen, sondern alle, die sich daraus ableiten, verschlimmern, so dass am Ende jede Art von Lösung unmöglich wird.

Wir sind Zeugen eines sehr gefährlichen Prozesses, der sicherlich zu einer absoluten Kontrolle über die Gesellschaft durch den Staat und das Kapital führen wird. Nachdem wir die Polizei auf dem Balkon gesehen haben, sicherlich dieselben, die später den Repressionskräften applaudieren, wird die Unterwerfung der Herde (so haben uns einige Experten qualifiziert) fast vollständig sein. Wenn dies der Fall ist, wird uns Orwells 1984 wie ein makabrer Witz vorkommen.

Paco Madrid

Bibliographie

Bounan, Michel, Les Temps du Sida, éditions Allia, 1990, 133 Seiten

Ellul, Jacques, The Age of Technique, Barcelona, Oktaeder (Grenzen, 13), 2003, 447 Seiten

Encyclopedie des Nuisances, Der Niedergang der Wissenschaft im Zeitalter der Genmanipulation, Mania (Barcelona), 7 (Juli 2000), 55-64

Puente, Isacc (a), „Los microbios, ¿es causa de enfermedad?“, Estudios (Valencia), 94 (Juni 1931), 10-11

Puente, Isacc (b), „Una falsa ruta de la medicina“, Estudios (Valencia), 96 (August 1931), 15-17

Un Médico Rural (Isaac Puente), „Contra el miedo a los microbios“, Estudios (Valencia), 115 (März 1933), 16-17

]]>
(Katalonien) Coronavirus, eine Verwaltung https://panopticon.blackblogs.org/2020/05/29/katalonien-coronavirus-eine-verwaltung-3/ Fri, 29 May 2020 10:53:55 +0000 http://panopticon.blogsport.eu/?p=1138 Continue reading ]]> Gefunden auf der Seite der Gruppe Etcétera, die Übersetzung ist von uns.

Coronavirus, eine Verwaltung

Noch nie haben wir so gut und so zu Recht über den Staat gesprochen, wie jetzt, wo wir so schlecht über den Umgang mit der tödlichen Ankunft des Coronavirus sprechen. Die Worte, die ihren Umgang mit der Pandemie begleiten – Erklärungen, Pressekonferenzen, Interviews, Nachrichtenberichte – zeugen von einer schuldhaften Ignoranz und Improvisation.

Die gelebte Sinnlosigkeit des Staates stößt bei der gegenwärtigen Bewältigung der Pandemie an ihre Grenzen. In Ermangelung der Wahrheit über das Coronavirus kommt der mediale Diskurs, und wenn der Diskurs nicht standhalten kann, kommt die Lüge.
Lügen über seine Ursachen, natürlich sagen sie, wenn sie historisch sind, Frucht unserer technokapitalistischen Gesellschaft: Industrialisierung der Nahrungskette, große Mobilität, Umweltzerstörung, Klimawandel… Lügen über den Wohlfahrtsstaat, den besten der Welt, sagten sie, und der sich als unzureichend erwiesen hat, nämlich wir, die Menschen, diejenigen, die in vielen Fällen den Schaden und das Leid anderer in die Hand genommen haben.

Eine Lüge über das Engagement der katalanischen Regierung für die Gesundheit des „katalanischen Volkes“, das immer noch gegen die Wirtschaft ist und zu einem „Generalstreik“ aufruft: eine zweitägige Rede, die bald unter den Befehl der wirtschaftlichen Vernunft gestellt wird, um sie in einen partiellen Lookdown zu verwandeln. Generalstreik und Lookdown werden verwechselt. Es ist eine Lüge, wenn sie sich damit brüsten, dass die Leute verantwortungsbewusster und gehorsamer sind und dem Befehl „zu Hause bleiben“ strikt gehorchen, und dann kommt die Strafe, um diese Idylle zu beenden. Und als ob das noch nicht genug wäre, bitten sie uns, den Nachbarn zu denunzieren.

Was wollen sie von uns? Sie wollen, dass wir unterwürfig und gehorsam sind, und, diejenigen von uns, die nicht überflüssig sind, wollen, dass wir Produzenten sind, Produzenten von Mehrwert, Produzenten von Wert, aktive Mitarbeiter an der sozialen Reproduktion. Denn das ist der Zweck des Systems, das uns immer noch regiert: ein System der Güterproduktion, das versucht, alles in eine Ware zu verwandeln, in diesem Fall sowohl das Virus als auch den Impfstoff.

Um neue Formen der Arbeitsorganisation (Arbeit zu Hause), neue Formen der Mobilität, neue Formen des Konsums, neue Formen der Kontrolle zu testen… aber vor allem, um unseren Widerstand, unseren Grad der Unterwerfung zu testen.

Das Geschäft mit der Angst

Es ist schwer nachzuvollziehen, wie schnell ein Einsperrbefehl (A.d.Ü. bezogen auf die Ausgangssperre), der von einer Regierung erlassen wurde, die im Übrigen keinerlei Glaubwürdigkeit verdient, so schnell und ohne Diskussion abgewiesen werden kann. Angst erscheint. „Angst ist die Botschaft“, schrieben wir vor einigen Jahren naiv an die Wände. Naiv, weil wir uns kaum vorstellen konnten, wie richtig ihre Wahrheit ein paar Jahre später, jetzt mit dem Ausgang der Pandemie, war. Mit Furcht schaffen sie es, uns in eine Reihe zu stellen (so wie wir als Kinder vor der schreienden Stimme des Lehrers Schlange standen). Mit der Angst machen sie die andere Person zu jemandem, den es zu meiden gilt, als möglichen Überträger des Coronavirus, eines Virus, der den zentralsten Teil unseres menschlichen Daseins, unser soziales Wesen, angreift.
Angst, die sich für einige – den gesamten Produktionsbereich rund um Überwachung und Repression – in ein Geschäft verwandelt; in die Akzeptanz von Arbeits- und Lebensbedingungen für die Mehrheit.

Die kommende Gesellschaft

Wir lesen die Zukunft als die Zukunft, weil wir gekommen sind, um diese Welt zu unseren Gunsten zu verändern, indem wir die neue Normalität ablehnen, die den Fortbestand des Bestehenden garantiert. Eine Zukunft, die wir heute aufbauen, mit dem Anstoß von Solidaritätsnetzen in diesem schwierigen Alarmzustand, mit der Ausübung von gegenseitiger Hilfe und Solidarität. Solidarität ist keine Rhetorik, denn Rhetorik ist heute, genau wie Demokratie, auf den Lippen jeder Regierung. „La nostra arma és la solidaritat -Die Solidarität ist unsere Waffen“ ist nichts Rhetorisches, es ist nicht nur unser Schrei auf den „Demos“, es ist unsere Art der Beziehung.

In dieser verworrenen Enge haben wir die Kritik an der Arbeit und die Kritik am gegenwärtigen Produktionsmodell, die Kritik am Konsumverhalten, reaktualisiert/erneut, wir haben eine Stadt ohne Umweltverschmutzung, ohne Autos erlebt… Wir wollen in all dem nicht, schon uneingeschränkt, zurückgehen; wir wollen, dass die gegenwärtige Ausnahme die Regel ist. Nutzen wir diese Krisensituation der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse aus, um eine Welt auf unsere Art und Weise aufzubauen, ohne dass Geld sie bewegt und der Staat sie garantiert, indem wir den Kampf um Autonomie, um Selbstorganisation fortsetzen, um eine andere, nicht mehr kapitalistische Gesellschaftsbeziehung aufzubauen.

Von der Straße, 20. April 2020

]]>
(Spanischer Staat) Corsino Vela: „Wir müssen unser Leben selbst in die Hand nehmen, weil der Staat nichts garantiert“. https://panopticon.blackblogs.org/2020/05/03/spanischer-staat-corsino-vela-wir-muessen-unser-leben-selbst-in-die-hand-nehmen-weil-der-staat-nichts-garantiert/ Sun, 03 May 2020 10:13:05 +0000 http://panopticon.blogsport.eu/?p=986 Continue reading ]]> Gefunden auf der Seite der Publikation Etcétera – correspondencia de la guerra social (Etcétera – Korrespondenz für den sozialen Krieg), dieses Interview wurde am 11. April 2020 von Etcétera veröffentlicht, danach von uns übersetzt.

Interview mit Corsino Vela

(Spanischer Staat) Corsino Vela: „Wir müssen unser Leben selbst in die Hand nehmen, weil der Staat nichts garantiert“.

Von Andrea D’Atri Gastón Remy (Dieses Interview wurde auf Izquierda Diario am 5. April 2020 veröffentlich).

Corsino Vela ist der Autor von Capitalimo Terminal – Kapitalismus im Endstadium, ein in vielerlei Hinsicht sehr interessantes und anregendes Buch. Nicht nur, weil dieser konkret erklärt, wie der strukturelle Widerspruch des Kapitals am Beispiel der letzten Krise von 2008 zum Ausdruck kommt, sondern auch, weil dieser uns erlaubt, darüber nachzudenken, auf welche neuen Weisen jede Krise die Punkte der Verwundbarkeit des Kapitalismus neu formuliert, bei denen wir auf die Entstehung „seines Totengräbers“ setzen. Ein Buch, das uns auch zur radikalen politischen Kritik derjenigen einlädt, die für einen strategischen Marxismus kämpfen, gegen so viel Anpassung der „populistischen Linken“ zur Bewältigung der kapitalistischen Krisen mit keinem anderen Horizont als der Verwaltung der „Demokratie der Konsumenten“.

Obwohl wir nicht die Gesamtheit dessen, was in seinem Buch zum Ausdruck kommt, teilen – was eine lange Debatte verdienen würde, die nicht die Absicht dieses Interviews ist -, bringen wir diesen Dialog mit Corsino Vela unseren Lesern nahe, um sie zur Lektüre seines Buches anzuregen, das, wie der Autor uns sagte, „nicht die Absicht hat, Doktrin zu vermitteln, sondern ein Anreiz sein soll, über das Geschriebene hinauszugehen“. Kapitalismus im Endstadium spricht über die letzte große Krise des Kapitalismus, aber sie gibt einige Anhaltspunkte, um die aktuelle Krise zu verstehen, die durch die Coronavirus-Pandemie ausgelöst wurde, worüber wir aus der Ferne, mit Corsino, in Zeiten der Quarantäne gesprochen haben.

Frage:

Obwohl wir dich schon vor der durch die Pandemie verursachten Gesundheitskrise interviewen wollten, ist es jetzt halb unumgänglich, darauf Bezug zu nehmen. Schwarzer Schwan1, Verschwörungstheorien oder Lesarten, die darauf hindeuten, dass die Reaktion übertrieben ist, die Wahrheit ist, dass dies Teil einer Wirtschaft ist, die seit letztem Jahr eine mögliche Rezession vorhergesagt hat und droht, in eine große Depression überzugehen. Welche ist deine Sicht auf die Krise, auch wenn wir uns noch im Transit befinden und die Prognosen unsicher sind?

Corsino:

Natürlich ist es noch zu früh, um zu sagen, wie der Ausweg aus dieser Episode aussehen wird und vor allem, wie dieser Ausweg selbst aussehen wird, obwohl wir seine unmittelbaren Folgen bereits erleben. Unabhängig von den Hypothesen über den konkreten Ursprung des Coronavirus-19 scheint es außer Zweifel zu stehen, dass es, wie im Falle der früheren Pandemien (Vogelgrippe und SARS), auf strukturelle Ursachen der kapitalistischen Produktions- und Vertriebsweise reagiert. Die Makrofarmen der Viehzucht und die invasive industrielle Landwirtschaft, die Abholzung usw., zusammen mit dem Prozess der Urbanisierung und der Konzentration der Arbeitskräfte sowie der Mobilitätsindustrie (Tourismus), die die Ausbreitung des Coronavirus begünstigen, bilden den Hintergrund der aktuellen Situation. Für Staatsmanager und Unternehmen sind die angestrebten Lösungen „mehr vom Gleichen“, d.h. die Rückkehr auf den Pfad des Wirtschaftswachstums, was eine Fortsetzung der Flucht nach vorn in Form von Raubbau an der Erde und den Arbeitskräften, weit verbreiteter Verarmung auf planetarischer Ebene und der Zunahme der für die Industriegesellschaft charakteristischen Schädlichkeit bedeutet. Mehrere virologische Forschungseinrichtungen sagen bereits voraus, dass Pandemien die Zukunft gehören. Man kann also sagen, dass

die Pandemie ist der Ausdruck der Schädlichkeit, die der Phase der realen Herrschaft und auf der planetarischen Skala des Kapitals entspricht.

Andererseits ist das Coronavirus der Auslöser und Beschleuniger eines Zustands einer verborgenen Krise, der sich im letzten Jahrzehnt ausgebreitet hat. Die monetaristischen Maßnahmen zur Bewältigung der Krise von 2008 waren nichts anderes als Linderungsmittel, um die strukturellen Ursachen der Krise zu verbergen und die Gefahr eines neuen und unmittelbar bevorstehenden finanziellen Ausbruchs zu nähren. Dabei ist zu bedenken, dass es mit solchen Maßnahmen nicht gelungen ist, die Quote der Kapitalakkumulation für einen globalen Wirtschaftsaufschwung wiederherzustellen, und dass die Wachstumsquoten der Länder in den besten Fällen niedrig waren und selbst im Falle Chinas, der Fabrik der Welt, tendenziell zurückgingen.

Die Gefahr einer neuen Rezession ist mit dem Coronavirus als Auslöser Realität geworden. Es sind gerade die irrgeleiteten Entscheidungen der nationalen Regierungen, die versuchen, die Verluste zu minimieren, die mit der Lähmung der wirtschaftlichen Aktivität als verzweifelte Ressource zu tun haben, um zu versuchen, die Ausbreitung des Virus zu stoppen. Der Druck der Unternehmen, die drastischsten Eindämmungsmaßnahmen und die Schließung aller nicht „wesentlichen“ Aktivitäten zu vermeiden, ist recht groß und führte schließlich dazu, dass die Beschäftigten selbst die Unternehmen durch Fehlzeiten und Streiks als Präventivmaßnahme für ihre eigene Gesundheit lahmlegten. Natürlich,

all dies erhöht die Möglichkeit einer großen Depression, die in dem Maße zunimmt, wie die Bevölkerung eingesperrt wird, im Hausarrest gesteckt wird, gefangen gehalten wird und die wirtschaftliche Tätigkeit unterbrochen wird.

Es scheint klar zu sein, dass wir nicht nur mit einem ernsten und unvorhersehbaren Gesundheitsproblem konfrontiert sind; was offensichtlich ist, ist der Zusammenbruch des Modells der Industriegesellschaft, d.h. des kapitalistischen Modells der sozialen Reproduktion. Denn Tatsache ist, dass die Situation außer Kontrolle geraten ist, selbst für die Krisenmanager selbst. Natürlich hat die politisch-finanzielle herrschende Klasse auf weltweiter und regionaler Ebene die Ressourcen, um uns, die proletarisierte Bevölkerung, durch den militärisch-polizeilichen Apparat zu kontrollieren. Aber das löst nichts, denn es handelt sich nicht um ein Problem der öffentlichen Ordnung, das nur eine der Manifestationen des strukturellen Zusammenbruchs des Systems der sozialen Organisation ist, das die Welt beherrscht.

Frage:

Obwohl die Aktionen der Staaten, die Millionen ausgeben, sogar mehr als das, was in der Krise von 2008 getan wurde, um die Großkapitalisten und Bankiers zu retten, für viele angesichts der schlimmsten Szenarien der Wirtschaft begrenzt sind, glaubst du nicht, dass sie ein gewisses Gegengewicht zum allgemeinen Zusammenbruch schaffen können?

Corsino:

Die Reaktion der Staaten (von Brasilien und den USA bis zur Europäischen Union) auf die unmittelbaren Folgen des durch die Coronavirus-Pandemie verursachten wirtschaftlichen Schocks besteht darin, angesichts des raschen Anstiegs der Arbeitslosigkeit und des daraus resultierenden Nachfragerückgangs soziale Eindämmungsmaßnahmen zu improvisieren. So kündigte die Europäische Union trotz interner Diskrepanzen die Mobilisierung von Sonderkreditlinien für Unternehmen und nationale Regierungen in Höhe von Zehntausenden sowie Haushaltsposten für die anhaltende Lawine von Arbeitslosen an.

In gewisser Weise ist dieser Bündel finanzieller Maßnahmen eine Fortsetzung der Politik, die in den entwickelten kapitalistischen Ländern in den letzten Jahrzehnten verfolgt wurde und die sich in dem, was ich als subventionierten sozialen Frieden bezeichne, materialisiert, mit der Besonderheit, dass die Politik der sozialen Eindämmung jetzt in einer plötzlichen Notsituation und in einer Krise stattfindet, die viel tiefer und ausgedehnter ist als die von 2008.

Andererseits sind die Folgen dieser Art von Maßnahmen, die von der gleichen Art sind wie die, die zur Bewältigung der Krise von 2008 eingesetzt wurden, vorhersehbar und eine Quelle neuer Ungleichgewichte aufgrund des Anstiegs des öffentlichen Defizits und der Verschuldung von Unternehmen und Familien, denn wir sollten nicht vergessen, dass dieser Tanz der millionenschweren Zahlen auf die Rettung der kapitalistischen Wirtschaft abzielt und es sich daher um Kredite handelt, deren umständehalber Begünstigte (Arbeiter und Arbeitslose) auf die eine oder andere Weise zurückzahlen müssen.

Strukturell sind die Prognosen für eine soziale Katastrophe derart, dass in den entwickelten kapitalistischen Ländern die Idee eines universellen Einkommens (A.d.Ü., Bedingungsloser Grundeinkommen), das bisher im Besitz bestimmter Minderheitensektoren der Linken des Kapitals war, bereits Gestalt annimmt. Selbst der hirnlose Präsident der Vereinigten Staaten hat die Möglichkeit angedeutet, ein universelles Einkommen von tausend Dollar usw. zu schaffen. Abgesehen davon, was in all dieser Propaganda und Medienunterhaltung stecken mag, ist die Wahrheit, dass das so genannte Universaleinkommen je nach politischer Couleur des Antragstellers unterschiedliche Nuancen in Bezug auf seine Zuteilung und seinen Umfang (Bedingungen und Einschränkungen) aufweist.

Aber machen wir uns nichts vor, wir haben es nicht mit einer universellen Umverteilung des Reichtums zu tun, die sich auf irgendeine Idee des Sozialismus bezieht, sondern bestenfalls mit der Verteilung eines finanziellen Überschusses, der von den Steuerzahlern erwirtschaftet und in Übereinstimmung mit der kapitalistischen Buchführung verwaltet wird. Deswegen,

das Universaleinkommen ist eine problematische Maßnahme, bei der nicht geklärt ist, wie große Vermögen gemacht werden können, und transnationale Unternehmen zahlen die zur Finanzierung erforderlichen Steuern. Sie wird also letztlich auf den Steuern auf Arbeit und auf der Zunahme des öffentlichen Defizits beruhen

was innerhalb der Kette der transnationalen Kapitalakkumulation zur Verschuldung untergeordneter Länder führen wird.

Kurz gesagt, die Millionen von Dollar, die die Regierungen für die Bewältigung der durch die Coronavirus-Pandemie ausgelösten Wirtschaftskrise ausgegeben haben, können die Destabilisierung zunächst mildern, aber um den Preis, dass ihre Auswirkungen sehr kurzfristig aufgeschoben werden, wenn wir uns mit einer sozialen und wirtschaftlichen Situation konfrontiert sehen, die viel schlimmer ist als die vor dem Ausbruch der Pandemie. Zu glauben, dass die Induktion der Nachfrage durch die Regierungen mit öffentlichen Investitionen und dem Geld, das über das allgemeine Einkommen oder zinsgünstige Kredite zugänglich ist, die Wirtschaft wieder ankurbeln und die Quote der Kapitalakkumulation wieder auf ein angemessenes Niveau bringen wird, um einen neuen expansiven Zyklus einzuleiten, ist ein bloßer Traum derer, die in einer Nacht einschliefen, Neoliberale waren und am nächsten Tag aufwachten, und sich in Neo-Keynesianer verwandelten.

Frage:

In deinem Buch erläuterst du, wie die Mechanismen zum Vorantreiben der Kapitalakkumulation und der Profitrate bereits zu Beginn des 21. Jahrhunderts erschöpft waren, in welchem Zusammenhang dies deiner Meinung nach mit den Perspektiven des Klassen- und politischen Kampfes, der Krise des Coronavirus durch die Krise des Coronavirus steht und welche Perspektiven du angesichts der Erschöpfung der politischen Form der „Konsumdemokratie“ für möglich hältst.

Corsino:

Zu den vielen Aspekten, die die durch die Pandemie ausgelöste Konjunktur nahe legt, gehört, dass die Geschichte offener und unsicherer denn je erscheint, so wie es auch der Fall ist, wenn eine Zivilisationsform zu bröckeln beginnt. Es gibt jedoch Merkmale und Umstände, die auf einige kurzfristige Trends hindeuten. Es besteht kein Zweifel daran, dass wir, sobald die Pandemie vorüber ist, auf eine Umstrukturierung des kapitalistischen Systems auf globaler Ebene zusteuern werden, die in der Tat bereits begonnen hat, wenn auch, wie ich bereits sagte, unter den bereits bekannten Prämissen der Reaktion auf die Krise von 2008. Die spekulativen Bewegungen von Finanzkapital setzen sich nach einem kurzen Börsenstopp fort, und die Unternehmenskonzentrationen gewinnen an Dynamik.

Auf der anderen Seite,

die Regierungen kündigen durch ihre Medienpropagandisten bereits an, dass die wirtschaftliche Erholung schwierig sein und Opfer erfordern wird, was mit anderen Worten bedeutet, dass sie eine erhebliche Verschlechterung der materiellen Lebensbedingungen großer Teile der Arbeiterklasse verursachen wird.

Die oben genannten Maßnahmen des subventionierten sozialen Friedens zielen insbesondere darauf ab, die zu erwartende Reaktion der Arbeiter und Arbeitslosen auf ihre Forderungen sowie das Management der gesamten verarmten Bevölkerung (Rentner, Kranke, Obdachlose usw.) in erträglichen Grenzen zu halten.

Die Reaktivierung des Klassenkampfes wird auch davon abhängen, inwieweit der neue Sozialpakt, den die Regierungen, die die Interessen des Industrie- und Finanzkapitals in jedem Land vertreten, zu predigen beginnen, um der wirtschaftlichen Rezession infolge der Pandemie entgegenzutreten, in der Arbeiterklasse durchdrungen ist.

Konkret hat in Spanien bereits eine Neuauflage der Moncloa-Pakte begonnen, d.h. die Bildung eines Konsenses oder einer nationalen Front, die alle Parlamentsfraktionen und bei dieser Gelegenheit auch die Gewerkschaften einschließt. Mit unterschiedlichen Nuancen und Formeln in jedem Land stehen wir wieder einmal vor dem Wiederaufleben des Nationalismus und dem vermeintlichen gemeinsamen Interesse zwischen der kapitalistischen Elite und der Arbeiterklasse am Wiederaufbau der nationalen Wirtschaft. Ob dieser Trugschluss erfolgreich sein wird, wird von den materiellen Gegenstücken abhängen, die jede nationale Fraktion der Weltbourgeoisie ihrer jeweiligen Arbeiterklasse anbieten kann; etwas, das, wie wir gesehen haben, ohne die Aussichten auf eine weitreichende kapitalistische Expansion besonders problematisch wird.

Andererseits ist es wichtig zu betonen, dass die gegenwärtige Situation den völlig wehrlosen Zustand der kapitalistischen Gesellschaft ans Licht gebracht hat, deren Reaktion angesichts dessen, was uns als Kataklysmus präsentiert wird, nichts anderes ist, als sich in die Hände der jeweiligen Regierung zu begeben. Es ist ein praktischer Verzicht auf Autonomie und eine Faltung unter den Richtlinien des Staates einer Gesellschaft, die, an die Delegation ihrer Funktionen an die Profis der Politik gewöhnt ist, der Ressourcen und materiellen Mittel beraubt wurde, um im Falle von Naturkatastrophen oder provozierten Katastrophen selbst einzugreifen. Eine Gesellschaft, die unfähig ist, in einer Situation zu reagieren, in der die Verwalter des Kapitals nicht nur korrupt sind, sondern auch ihre Unfähigkeit unter Beweis stellen, uns zu „schützen“ und die Sicherheit der von ihnen verwalteten Gesellschaft zu garantieren.

Es wird immer offensichtlicher, dass wir unser Leben selbst in die Hand nehmen müssen, denn die Delegation an staatliche Institutionen garantiert nichts, weder Beschäftigung, noch das versprochene Wohlergehen, noch Sicherheit, noch Gesundheit.

Die Konsumdemokratie ist erschüttert, weil die herrschende Führungsklasse nicht in der Lage ist, in dem Maße und Ausmaß Gegenleistungen zu erbringen, wie sie unter den gegenwärtigen Bedingungen der kapitalistischen Entwicklung für die soziale Reproduktion notwendig sind.

In diesem Sinne ist es eine Gelegenheit zur Intervention und Wiederaneignung von Mitteln und Ressourcen, vor allem aber auch eine Gelegenheit, eine praktische Kritik der gegenwärtigen Reproduktionsweise zu entwickeln, indem die Kategorien und Bedingungen ihrer selbst in Frage gestellt werden. Es ist bereits alltäglich zu sagen, dass nichts jemals wieder so sein wird wie vorher, dass weder der Wohlfahrtsstaat noch das universelle Gesundheitssystem zurückkehren werden usw. Die Vorschläge der herrschenden Klasse sind bis zu dem Punkt unvereinbar, dass sie versuchen, die Dynamik vor der Pandemie zu reproduzieren, die uns zur gegenwärtigen Situation geführt hat.

Deshalb ist dies auch eine Gelegenheit, uns zu fragen, ob dies die Gesundheit, das Wohlergehen usw. ist, die wir wollen; ob der Weg zur Befriedigung unserer Bedürfnisse der ist, der von der Marktwirtschaft durch den wachsenden Konsum von Gütern diktiert wird. Es ist zumindest eine Gelegenheit, die in unserem proletarisierten Zustand verinnerlichten Praktiken und Kategorien als dem Kapital unterworfene Subjekte in Frage zu stellen.

Was darüber hinaus die politische Form des Kapitals betrifft, so können wir heute sehen, wie die von der bürgerlichen Revolution ererbte Form der Demokratie durch die fortschreitende Aushöhlung der formalen Freiheiten und individuellen Rechte hin zu einer Art demokratischem Totalitarismus ihres Inhalts beraubt wurde. In dieser Hinsicht ist die Pandemie ein Experimentierfeld für neue Formen der Massenbewältigung durch technologische Anwendungen der Überwachung, wie sie bereits in China und Südkorea zur Gesichtsidentifizierung und -verfolgung von Personen durch Mobiltelefonie durchgeführt werden.

Diese Liquidierung der formalen Demokratie entspricht eindeutig einer Strategie der herrschenden Klasse, präventive und strafende Kontrollen derjenigen durchzuführen, die sich nicht an die etablierte Ordnung halten, da die Möglichkeiten, die Erwartungen der Gesellschaft an die Verbraucher aufrechtzuerhalten, zunehmend eingeschränkt werden.

Frage:

Wir teilen deine Lektüre über die Erfahrungen der Arbeiterkontrolle, der Selbstverwaltung und sogar der Arbeiterkooperativen (A.d.Ü., Genossenschaft, oder um moderne Begriffe zu benutzten, Kollektive nur in größeren Rahmen und mit mehr Kapital) in dem Sinne, dass sie eine politische Antwort auf die Krise, den Bruch mit dem Kapital und seinen Institutionen zum Ausdruck bringen, auch wenn die Unmöglichkeit, außerhalb des globalen kapitalistischen Systems zu bleiben, sie zu einer Form der Prekarisierung der Arbeit, der Selbstausbeutung und einer Subsistenzwirtschaft verurteilt. Es handelt sich jedoch um politische Erfahrungen, die einen Meilenstein im Bewusstsein riesiger Sektoren und angesichts dieser Krise wahrscheinlich von Millionen von Menschen darstellen. Wie ließt du die Rolle, die die Erfahrungen mit der Kontrolle der Arbeiter aus anderen früheren Krisen (2001 in Argentinien, 2009 in Griechenland usw.) in dieser neuen Periode, die sich öffnet, spielen können?

Corsino:

Alle Erfahrungen von Zusammenarbeit, Solidarität unter Gleichen und gegenseitiger Hilfe, die sich in der kapitalistischen Gesellschaft vollziehen, sind mehr oder weniger Formen des Widerstands gegen die Vergesellschaftung des Kapitals, das die Individualisierung und Isolierung des Produzenten-/Konsumentensubjekts anstrebt. In diesem Sinne sind die Praktiken der Arbeiterkontrolle positiv, weil sie das sind, Erfahrungen, die es erlauben, die grundlegenden Widersprüche, die mit dem Prozess der Proletarisierung verbunden sind (Arbeit, Lohn, Gebrauchswert, Tauschwert), praktisch und nicht nur theoretisch auf den Tisch zu legen. Dies könnte man als eine Form der praktischen Theoriebildung bezeichnen. Lernen, Zeit, Aufwand, Verfügbarkeit, Wissen, Fähigkeiten nicht nach Wert, nach Äquivalenz oder Tauschwert zu bewerten.

Die Erfahrungen der Genossenschaften lassen in der Praxis die Grenzen der sozialen Kooperation unter allgemeinen Bedingungen der Unterwerfung unter das Diktat der Marktwirtschaft erfahren und bieten gleichzeitig die Möglichkeit, das Was, das Wie und das Wofür von dem, was produziert wird, mit einem relativ größeren Freiheitsspielraum als der konventionelle Lohnempfänger zu hinterfragen.

Einer der Wege, die die gegenwärtige Krisensituation eröffnet, ist, wie ich bereits sagte, gerade die Möglichkeit, unser Leben, die Ressourcen und die Mittel, die dies ermöglichen, selbst in die Hand zu nehmen. Dort stehen wir vor den praktischen Grenzen der Selbstverwaltung in Bezug auf die Produktionssphäre, was mit welchen Mitteln und auf welche Art und Weise produziert werden soll. Die bloße Veränderung der Managementform des industriellen Systems unter ArbeiterInnenkontrolle stellt an sich keine automatische Transformation der kapitalistischen Produktionsweise dar. Das Produktionssystem der Industriegesellschaft kann nicht wirklich selbst verwaltet werden, denn es ist das Ergebnis einer autoritären und pyramidenförmigen Organisation der Produktion, die auf dem technisch-wissenschaftlichen System basiert und auf die Unterordnung des Menschen unter die Maschine ausgerichtet ist; es ist das Produktionssystem in Übereinstimmung mit der kapitalistischen Gesellschaft: hierarchisch und autoritär, komplex (bürokratisiert) und von sozialer Unterwerfung (Klassenherrschaft).

In der Industriearbeiterbewegung des aufsteigenden Kapitalismus reagierte die Losung der Wiederaneignung der Produktionsmittel auf ihr historisches Moment, d.h. auf die fortschrittliche Illusion des Proletariats, das auf diese Weise die formale Herrschaft des Kapitals durch die Eingliederung der bürgerlichen Fortschrittsideologie und die Begeisterung für die „befreienden“ Arbeitsmaschinen in das Proletariat zum Ausdruck brachte.

Die historische Erfahrung des Klassenkampfes lehrt uns jedoch, dass nicht alles im kapitalistischen System der Produktion von Gütern und Dienstleistungen wieder angeeignet oder umgestellt werden kann. Lasst uns an die schädlichen Industriekomplexe, Petrochemie, nukleare oder agro-industrielle Produktionstechniken denkn. Zweifellos ist die Idee der Emanzipation der proletarisierten Menschheit bereits untrennbar mit ihrer Befreiung vom maschinischen Universum verbunden, das von der kapitalistischen Produktionsweise geerbt wurde. Die Ludditen zerstörten die Maschinen nicht einfach wegen des natürlichen Widerstands gegen die Lohnunterwerfung, sondern weil sie die Lebensbedingungen der Gemeinschaft bedrohten. Und darin liegt der tiefe Sinn ihres Kampfes.

In jedem Fall ist es von grundlegender Bedeutung, in die Kritik des Kapitals, verstanden als soziale Beziehung, die Kritik der Industrialisierung, der Technologie und der Wissenschaft als Kategorien und Praktiken einzuführen, die die Klassenherrschaft bestimmen und die in das Bewusstsein der proletarisierten Bevölkerung unumschränkt integriert sind.

Frage:

In dem Buch weist du darauf hin, wie der Kapitalismus „die Krise vorwärts treibt“, aber jede Krise ist tiefer und hat weniger Möglichkeiten der Lösung als die vorherige. In diesem Sinne zeigst du, wie der „zerstreute Fordismus“ und die Expansion des dritten Sektors ein Versuch waren, sich von der Krise Mitte der 1970er Jahre zu erholen, aber auch das ist erschöpft (und wahrscheinlich hat sich diese Erschöpfung mit dieser Gesundheitskrise gewaltsam beschleunigt). Dabei hebst du einen Aspekt hervor, der mir jetzt sehr aktuell erscheint: Wie eine auf die Mobilitätsindustrie spezialisierte Wirtschaft die Abhängigkeit des Landes von der globalen Kette der Kapitalakkumulation verstärkt. Wir möchten, dass du dieses Konzept entwickelst, und wir möchten wissen, wie dieser Faktor deiner Meinung nach in der gegenwärtigen Situation wirkt und insbesondere, wie eine Verlagerung der Produktionsformen, die das Kapital in den letzten 30 Jahren übernommen hat, vorhergesehen werden kann.

Corsino:

In der Tat scheint der Zyklus der Restrukturierung und Kapitalakkumulation der letzten drei Jahrzehnte, der mit der Krise von 2008 bereits erste Anzeichen der Erschöpfung gegeben hat, nun zu Ende zu gehen. Was die Mobilitätsindustrie anbelangt, so muss zwischen zwei Teilsektoren dieser Industrie unterschieden werden: die regionale und lokale Mobilität als Folge der Streuung der Produktion in kleinem Maßstab, die eine Aktivität in Form der Nutzung von Autos, Autobahnen, mechanischen Hilfs- und Dienstleistungsindustrien usw. induziert, und die Industrie oder das Geschäft der touristischen Mobilität.

Die Strategie der Produktionsverlagerung hat die Mobilität von Gütern und Arbeitskräften auf allen Ebenen, sowohl global als auch regional, mit täglich Millionen von regionalen Fahrten gefördert, aber sie hat sich nun als eine wirtschaftlich nicht nachhaltige Option erwiesen, wie die Mobilisierung der französischen gelben Westen, die Störung des internationalen Handels und die Sättigung der Korridore in den Ballungsgebieten sowie ihr Einfluss auf den Klimawandel zeigen.

Darüber hinaus hatten die Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie unmittelbare Auswirkungen auf die Versorgungsketten mit der Folge einer lähmenden Wirkung auf die regionale oder nationale Wirtschaft. Die produzierenden Länder (China), die Montagebetriebe und die Verbraucher waren alle durch den Kaskadeneffekt der Logistikkette sowohl nach oben (Lieferanten von Komponenten) als auch nach unten (Vertreiber von Fertigprodukten) gelähmt.

Die Verwundbarkeit der Logistikkette und der Kapitalakkumulation im globalen Maßstab wurde deutlich.

Die Aufrechterhaltung eines Mindestmaßes an Dienstleistungen oder essentiellen Aktivitäten für die Lebensmittelversorgungskette und Hilfsindustrien im Ausnahmezustand hat die strukturelle Fragilität der Kette nur noch deutlicher gemacht

und die Fähigkeit jedes Landes, innerhalb des Landes zu manövrieren, um die dringendsten Bedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen und gleichzeitig Hindernisse für die Ausbreitung des Coronavirus aufrechtzuerhalten.

Mit anderen Worten, die Abhängigkeitskette der Länder bedeutet, dass politische, wirtschaftliche und akademische Autoritäten beginnen, die Verlagerung oder die Ankurbelung der nationalen Produktion in Frage zu stellen und darüber zu sprechen. Tatsächlich waren viele „Verbraucher“-Länder nicht in der Lage, ihre Industrie auf Gesundheitsproduktion umzustellen oder zu produzieren, ebenso wenig wie Atemschutzgeräte für Intensivstationen (ICUs), nicht einmal Masken oder Schutzausrüstungen für das Gesundheitspersonal.

Es ist schwer vorhersehbar, wie sich die durch die Coronavirus-Pandemie ausgelöste allgemeine Umstrukturierung der kapitalistischen Weltordnung in ihren Einzelheiten konkretisieren wird. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass einige Länder versuchen werden, ihre Abhängigkeit innerhalb der transnationalen Produktionskette zu verringern, indem sie einige Industrien und Aktivitäten verlagern und dabei die Lohnkostensenkungen nutzen werden, auf denen die Forderung nach „nationalen wirtschaftlichen Wiederaufbaubemühungen“ beruht, um die Produktion von Gütern, deren Produktion in den 1980er/90er Jahren verdrängt worden war, rentabel zu machen.

Es bleibt jedoch abzuwarten, inwieweit es möglich ist, die Uhr der Geschichte zurückzudrehen und zur Verlagerung von wirtschaftlichen Aktivitäten in einem Modell der nationalen Produktion zurückzukehren. Und vor allem, wie es sich auf den gesamten Prozess der Kapitalakkumulation auswirken wird, wenn, wie wir bereits sehen, die Länder selbst machtlos sind, eine Notsituation von der Dimension, die durch den Coronavirus-19 geschaffen wurde, zu bewältigen.

Frage:

Wie siehst du kurzfristig und unter den Auswirkungen des Coronavirus die Aussichten des Tourismussektors, der, wie du in deinem Buch erläuterst, eine wichtige Rolle bei der Erholung mehrerer Länder in Europa nach der Finanzkrise von 2008 gespielt hat?

Corsino:

Mobilitätseinschränkungen und weit verbreitete Ängste vor der Pandemie haben den Tourismus völlig zum Erliegen gebracht. Der Tourismus ist ein Geschäft, das von der Kaufkraft der Verbraucher abhängt, aber, wie wir sehen, ist er kein wesentlicher Wirtschaftssektor; er ist keine Ware der sogenannten ersten Notwendigkeit. Als bestimmender Wirtschaftssektor in den Ländern zweiter Ordnung der transnationalen Kapitalakkumulationskette hängt er von der Kaufkraft der Konsumenten in den am weitesten entwickelten kapitalistischen Ländern ab.

Die mögliche kurzfristige Erholung des Tourismussektors wird daher davon abhängen, wie schnell die normale Kaufkraft in den konsumorientierten Demokratien wieder hergestellt wird. Nach dem bisher Gesagten deutet jedoch alles darauf hin, dass es nicht leicht sein wird, und dies scheint durch die von Wirtschaftsvertretern im Tourismussektor verbreitete Besorgnis angedeutet zu werden. Natürlich werden kleine Unternehmen verschwinden und es wird eine Konzentration von Unternehmen in einem Sektor geben, der bereits einen beträchtlichen Konzentrationsgrad aufweist. Einige Länder, deren BIP weitgehend vom Tourismus abhängt, werden nie wieder in die gleiche Situation wie zuvor zurückkehren. Das ist nicht schlecht, wenn man die verheerenden Auswirkungen des Tourismus bedenkt.

Doch selbst eine hypothetische kapitalistische Umstellung des Tourismus ist aufgrund der Art seiner Infrastruktur, seines niedrigen Technologieniveaus und seiner gering qualifizierten Arbeitskräfte eine komplizierte Angelegenheit. Natürlich könnte die für den Tourismus nutzlose Infrastruktur zur Unterbringung der Obdachlosen und zur Linderung des gravierenden Wohnungsproblems genutzt werden, aber das geht natürlich nicht in das Kalkül von Hotelbesitzern oder politischen Managern ein, da sie nur durch Enteignung eine Unterbringungspolitik betreiben könnten, ohne das öffentliche Defizit gefährlich zu stören.

Unter keinen Umständen kann der Tourismus die Rolle spielen, die er bei der kapitalistischen Umstrukturierung des späten 20. Jahrhunderts als Ausgleich für die Industrieverlagerung einiger Länder gespielt hat. Zur allgemeinen Verarmung der erwerbstätigen Bevölkerung, die die weltweite Nachfrage nach Mobilität verringern wird, kommen die Probleme der Finanzierung neuer Unternehmen oder Wirtschaftszweige vor dem Hintergrund einer rückläufigen Kapitalakkumulation und des absehbaren Anstiegs der Energiepreise infolge der Erschöpfung der Reserven und der Erhöhung ihrer Betriebskosten hinzu.

Der Sauerstoffball, der inmitten der aktuellen wirtschaftlichen Turbulenzen, die durch die Pandemie verursacht werden, die außerordentliche Senkung des Ölpreises darstellen könnte, ist nur eine flüchtige Fata Morgana als Folge des umständlichen Kampfes zwischen Russland und den USA.

Frage:

Gleichzeitig argumentierst du, dass die organisatorische Verwundbarkeit des verstreuten Fordismus kleinen, aber konzentrierten Gruppen von Arbeitern mit kritischen Funktionen Stärke verleiht. Wir sprechen von Sektoren des Proletariats mit „strategischen Positionen“, die sich offensichtlich in neue Dienstleistungssektoren ausgedehnt haben, wie du deutlich in Bezug auf die Arbeiter in den Häfen, Flughäfen, im Transportwesen, in der Logistik hervorhebst. Was kann im Rahmen der Veränderungen, die sich mit der Erschöpfung des dezentralisierten Produktionssystems in der Welt, auf die du hinweist, zu entwickeln beginnen können, das Schicksal dieses Sektors sein, der in der heutigen Wirtschaftsstruktur ein ungewöhnliches Gewicht erhalten hat?

In erster Linie muss daran erinnert werden, dass die produktive Dezentralisierung einen doppelten Zweck verfolgt, nämlich die Desintegration der Arbeiter und die Senkung der Kosten durch die Auslagerung von Aktivitäten an Subunternehmen. Dies war genau die Antwort auf die Erschöpfung der fordistischen Strategie der Konzentration von Arbeitern in großen Fabriken, aber es stellt sich heraus, dass die Lösung von gestern das Problem von heute ist. Daher hat in der streng produktiven, industriellen Ordnung eine mögliche produktive Rezentralisierung Grenzen innerhalb jedes Sektors und jeder Aktivität und jedes Produkts.

Corsino:

Auf der anderen Seite sind die strategischen Dienstleistungen, die z.B. mit Logistik, Transport, Wartung und Reinigung zusammenhängen, eng mit dem Produktionssystem verknüpft. In dem Maße, in dem das Produktionssystem schrumpft, wird auch die Aktivität der Dienstleistungen, die Produkte auf den Markt bringen, reduziert. Das Ausmaß, in dem solche Dienstleistungen in naher Zukunft expandieren werden, wird daher von der Entwicklung der industriellen Produktion und der gesellschaftlichen Nachfrage abhängen. Es wird immer noch einen relativen Anteil der Produktion geben, der ausgelagert wird, und einen anderen, der umverlagert wird, insbesondere wenn, wie zu erwarten ist, in dem Umstrukturierungsprozess, an dem wir bereits beteiligt sind, die gemeinsame Front für den Wiederaufbau der nationalen Wirtschaft geschaffen wird und die Arbeiter geopfert werden, mit anderen Worten, die Arbeitskräfte billiger gemacht werden.

Doch wie der gegenwärtige Ausnahmezustand zeigt, sind all diese Dienste für die soziale Reproduktion über den industriellen Bereich hinaus gleichermaßen wichtig. Damit wird ihre strategische Bedeutung als gesellschaftlich notwendige, aber unerlässliche Dienstleistungen verstärkt.

An dieser Stelle möchte ich die Aufmerksamkeit auf die offensichtliche gesellschaftliche Aufwertung dieser Dienstleistungen und insbesondere der Pflege lenken. Der gesamte Medienapparat hat die „Helden“ der Pandemie (Mitarbeiter des Gesundheitswesens, der Supermärkte und des Transportgewerbes usw.) in den höchsten Tönen gelobt. Es ist, als hätten wir plötzlich entdeckt, dass Tausende von Männern und Frauen, die in bescheidene, höchst prekäre und natürlich unspektakuläre oder „kreative“ Aktivitäten vertieft sind, entscheidende Arbeit leisten, die wirklich lebensnotwendig ist. Und ich bezweifle, dass die Menschen, die sich abends um acht Uhr rituell von ihren Balkonen lehnen, um diesem aufopferungsvollen Kollektiv Beifall zu spenden, sich jemals über die Arbeitsbedingungen der Menschen, die jetzt Medienhelden sind, gewundert hätten. Und vor allem, ob sie auch unterstützend eingreifen wird, wenn die nun Erhabenen nicht mehr das bevorzugte Ziel des Medienapparates sind.

Wie dem auch sei, unter den vielen Aspekten, die die Verbreitung des Coronavirus-19 an die Oberfläche gebracht hat, ist gerade derjenige, der die soziale Reproduktion, die konkreten Aktivitäten des Überlebens und der Pflege betrifft und sie in den Vordergrund der politischen Realität rückt.

Der Protagonismus dieser Frauen und Männer, Arbeiterinnen und Arbeiter in strategischen Dienstleistungen im Produktions- und Verwertungsprozess von Gütern, erscheint unter diesen Umständen ebenso strategisch für die Erhaltung des Lebens der Menschen.

Die theoretischen und praktischen Implikationen all dessen führen uns direkt dazu, die Radikalität der Situation in Bezug auf die Arbeit zu hinterfragen, d.h. die sozial notwendige Arbeit und ihre Beziehung zum menschlichen Leben, das unter den gegenwärtigen Bedingungen der Unterwerfung unter die Verwertung des Kapitals keinen anderen Horizont hat als die Vorbereitung auf die nächste Katastrophe.

Zu Corsino Vela:

Corsino Vela ist das Pseudonym eines militanten Arbeiters, der 1953 in Asturien geboren wurde und heute in Katalonien lebt. Seine politische Militanz begann Ende der 1970er Jahre im Zuge der Gründung der Confederación Nacional del Trabajo –Nationalen Konföderation der Arbeit (CNT). Seit jeher steht er in Verbindung mit verschiedenen Gruppen und Initiativen der Arbeiter*innenautonomie, sowie der anarchistischen Bewegung. Er gilt als ein radikaler Kritiker des Staates und des Kapitalismus, egal wie dieser politisch sich organisiert, sprich ob links oder rechts. Er ist u.a. Autor von La sociedad implosiva (Muturreko Burutazioak, 2015), Capitalismo terminal (Traficantes de Sueños, 2018) und des Sammelbandes No le deseo un estado a nadie (Pepitas de Calabaza, 2018) über den katalanischen Prozess.

1A.d.Ü., Der Schwarze Schwan: Die Macht höchst unwahrscheinlicher Ereignisse“, ist ein Buch des Publizisten und Börsenhändlers Nassim Nicholas Taleb. Nach Taleb bezeichnet ein „Schwarzer Schwan“ ein Ereignis, das selten und höchst unwahrscheinlich ist. Der Autor beschäftigt sich mit den häufig extremen Konsequenzen dieser seltenen und unwahrscheinlichen Ereignisse (Ausreißer) sowie der menschlichen Eigenschaft, im Nachhinein einfache und verständliche Erklärungen für diese Ereignisse zu finden.

]]>