Expandiendo La Revuelta – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org Für die Anarchie! Knäste, Staat, Patriarchat und Kapital abschaffen! Wed, 27 Nov 2024 10:30:57 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://panopticon.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1233/2020/02/cropped-discharge-degenerik-blog-1-32x32.jpg Expandiendo La Revuelta – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org 32 32 Leon Czolgosz: der Anarchist, der ein Attentat auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten verübte (1901) https://panopticon.blackblogs.org/2024/11/01/leon-czolgosz-der-anarchist-der-ein-attentat-auf-den-praesidenten-der-vereinigten-staaten-veruebte-1901/ Fri, 01 Nov 2024 13:02:00 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6050 Continue reading ]]> Gefunden auf expandiendo la revuelta, die Übersetzung ist von uns.


Leon Czolgosz: der Anarchist, der ein Attentat auf den Präsidenten der Vereinigten Staaten verübte (1901)

Einleitung

Dieses kleine Fanzine soll an den Gefährten Leon Czolgosz erinnern, der für die Ermordung des US-Präsidenten William McKinley am 6. September 1901 in Buffalo verantwortlich war.

Leons Tat löste nicht nur ein internationales Echo aus und befeuerte eine repressive Kampagne in den USA, gegen die anarchistische Bewegung, sie war Teil einer Reihe von internationalen Aktionen, die durch die so genannte „Propaganda der Tat“ miteinander verbunden waren und zu denen wir die Angriffe auf Gefährtene wie Gaetano Bresci, Sante Geronimo Caserio, Auguste Vaillant, Emile Henry, Michele Angiolillo, Luigi Lucheni, Mateo Morral und andere zählen können, sowie in Argentinien die Fälle von Salvador Planas, Francisco Solano Regis, Simón Radowitzky und Kurt Wilckens.

Damit wollen wir sagen, dass sowohl die Aktionen als auch Leon als Individuum nicht losgelöst von ihrem Umfeld, ihren Praktiken und ihrer Geschichte betrachtet werden können, sondern dass sie ihre Grundlagen sowohl in der transversalen Misere des Kapitalismus als auch in den Beispielen des Widerstands und der individuellen Offensiven haben, mit denen sich der Anarchismus historisch auseinandergesetzt hat, nicht ohne unendliche Debatten, Widersprüche und Kontroversen.

Mit dem Bedürfnis, sich von Fetischen zu lösen und tiefer in die Geschichte und den Kontext von Leon Czolgosz einzutauchen, haben wir beschlossen, den von der Gefährtin Emma Goldman geschriebenen Text „Die Tragödie von Buffalo“ zu übersetzen und die Wochen nach dem Anschlag in Buenos Aires veröffentlichte Rezension „Czolgosz’s revolver“ abzutippen. Mit dem Ziel, verschiedene Standpunkte kritisch zu beleuchten und zu verstehen, welchen Platz gewaltsame Aktionen, Solidarität und Repression in den Milieus der Anarchist*innen einnehmen.

Expandiendo la revuelta.

Juli 2024.

Buenos Aires.


Die Tragödie von Buffalo

Emma Goldman

Veröffentlicht im Oktober 1901 in der anarchistischen Zeitung Free Society, San Francisco, Kalifornien.

Da hungert das kleine, erschrokene Kind, Bis es wimmert ohne Unterlass, Sie peitschen den Schwachen, sie schlagen den Narrn, Den Alen verspotten sie baß. Und mancher wird toll, und schlecht werden all, Doch keiner darf etwas sagen.

– Oscar Wilde. (A.d.Ü., aus der deutschsprachigen Ausgabe aus dem Jahr 1896)

Noch nie in der Geschichte der Regierungen hat der Klang eines Pistolenschusses die selbstgefällige, gleichgültige, zufriedene und träge Öffentlichkeit so erschreckt, terrorisiert und entsetzt wie der Schuss, den Leon Czolgosz abfeuerte, als er William McKinley, den Präsidenten der Geldkönige und Trustmagnaten dieses Landes, niederschoss.

Nicht, dass dieser moderne Cäsar der erste gewesen wäre, der durch die Hand eines Brutus starb. Oh nein! Seitdem der Mensch die Rechte seiner Mitmenschen mit Füßen tritt, schweben rebellische Geister in der Atmosphäre. Nicht, dass William McKinley ein größerer Mann gewesen wäre als diejenigen, die auf der gefesselten Gestalt der Freiheit thronten. Er war weder in Bezug auf Intellekt, Fähigkeiten, Persönlichkeit noch Charakterstärke mit denen vergleichbar, die die Strafe für ihre Macht zu zahlen hatten. Auch wird die Geschichte nicht in der Lage sein, seine außergewöhnliche Freundlichkeit, Großzügigkeit und sein Mitgefühl mit denen festzuhalten, die durch Unwissenheit und Gier zu einem Leben in Elend, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung verdammt sind.

Warum also wurden die Mächtigen und Einflussreichen durch die Tat vom 6. September in solche Bestürzung versetzt? Warum dieses Geheul einer angeheuerten Presse? Warum solche blutrünstigen und gewalttätigen Äußerungen von Geistlichen, deren übliches Geschäft es ist, „Frieden auf Erden und guten Willen für alle“ zu predigen? Warum das wahnsinnige Toben des Pöbels, die Forderung nach strengen Gesetzen zur Einschränkung der Presse- und Redefreiheit?

Seit mehr als dreißig Jahren beraubt eine kleine Gruppe von Parasiten das amerikanische Volk und tritt die Grundprinzipien mit Füßen, die von den Vorfahren dieses Landes festgelegt wurden und jedem Mann, jeder Frau und jedem Kind „Leben, Freiheit und das Streben nach Glück“ garantieren. Seit dreißig Jahren vermehren sie ihren Reichtum und ihre Macht auf Kosten der großen Masse der Arbeiter und vergrößern dadurch die Armee der Arbeitslosen, der Hungernden, Obdachlosen und Freundlosen, die das Land von Ost nach West und von Nord nach Süd durchziehen, auf der vergeblichen Suche nach Arbeit. Seit vielen Jahren wird das Zuhause der Obhut der Kleinen überlassen, während die Eltern ihr Leben und ihre Kraft für einen Hungerlohn aufwenden. Dreißig Jahre lang wurden die starken Söhne Amerikas auf dem Schlachtfeld des industriellen Krieges geopfert und die Töchter in korrupten Fabrikumgebungen missbraucht. Lange und mühsame Jahre ging dieser Prozess der Untergrabung der Gesundheit, der Kraft und des Stolzes der Nation ohne viel Protest der Enterbten und Unterdrückten weiter. Durch Erfolg und Siege verrückt geworden, wurden die Geldmächte dieses „freien Landes von uns“ immer dreister in ihren herzlosen, grausamen Bemühungen, mit verrotteten und verfallenen europäischen Tyranneien um die Vorherrschaft der Macht zu konkurrieren.

Da die Gedanken der Jugend von einer pervertierten Auffassung von Patriotismus vergiftet waren und der trügerischen Vorstellung, dass alle gleich seien und jeder die gleiche Chance habe, Millionär zu werden (vorausgesetzt, er könne die ersten hunderttausend Dollar stehlen), war es in der Tat ein Leichtes, die Unzufriedenheit des Volkes zu zügeln; daher ist man nicht überrascht, wenn man Amerikaner sagen hört: „Wir können verstehen, warum die armen Russen ihren Zaren oder die Italiener ihren König töten, wenn man an die dort herrschenden Bedingungen denkt; aber wer in einer Republik lebt, in der jeder die Möglichkeit hat, Präsident der Vereinigten Staaten zu werden (vorausgesetzt, er hat eine mächtige Partei hinter sich), warum sollte er solche Taten versuchen? Wir sind das Volk, und Gewalttaten sind in diesem Land unmöglich.“

Und nun, da das Unmögliche geschehen ist, dass sogar Amerika den Mann hervorgebracht hat, der den König der Republik niedergestreckt hat, haben sie den Kopf verloren und rufen nach Rache an denen, die jahrelang gezeigt haben, dass die Bedingungen hier allmählich alarmierend wurden, und dass, wenn kein Einhalt geboten wird, die Despotie ihren schweren Fuß auf die bisher relativ freien Glieder des Volkes setzen würde.

Vergeblich haben die Fürsprecher des Reichtums Leon Czolgosz als Ausländer denunziert; vergeblich lassen sie die Welt glauben, dass er das Produkt europäischer Verhältnisse sei und von europäischen Ideen beeinflusst wurde. Dieses Mal ist der „Attentäter“ zufällig das Kind Kolumbiens, das ihn mit

„Mein Land, es ist von dir,

süßes Land der Freiheit“

und ihm die Hoffnung gab, dass auch er Präsident des Landes werden könnte. Wer kann sagen, wie oft dieses amerikanische Kind die Feierlichkeiten zum 4. Juli oder zum Decoration Day, an dem es den Toten der Nation treu gedachte, genossen hat? Wer weiß, ob er nicht auch bereit war, „für sein Land zu kämpfen und für seine Freiheit zu sterben“, bis ihm dämmerte, dass diejenigen, denen er angehörte, kein Land hatten, weil sie all dessen beraubt wurden, was sie hervorgebracht hatten; bis er erkannte, dass all die Freiheit und Unabhängigkeit seiner Jugendträume nur eine Farce waren. Vielleicht lernte er auch, dass es Unsinn ist, von Gleichheit zwischen denen zu sprechen, die alles haben, und denen, die nichts haben, und rebellierte deshalb.

„Aber seine Tat war verrückt und feige“, sagt die herrschende Klasse. ‚Sie war töricht und unpraktisch‘, wiederholen alle kleinlichen Reformer, Sozialisten und sogar einige Anarchisten.

Was für eine Absurdität! Als ob eine Tat dieser Art an ihrer Nützlichkeit, Zweckmäßigkeit oder Praktikabilität gemessen werden könnte. Wir könnten uns genauso gut nach der Nützlichkeit eines Wirbelsturms, Tornados, eines heftigen Gewitters oder des unaufhörlichen Falls des Niagara-Wassers fragen. All diese Kräfte sind die natürlichen Ergebnisse natürlicher Ursachen, die wir vielleicht noch nicht erklären können, die aber dennoch Teil der Natur sind, so wie Kraft natürlich und Teil von Mensch und Tier ist, entwickelt oder gebremst, je nach dem Druck der Bedingungen und dem Verständnis des Menschen. Ein Akt der Gewalt ist daher nicht nur das Ergebnis von Bedingungen, sondern auch der psychischen und physischen Natur des Menschen und seiner Anfälligkeit für die ihn umgebende Welt.

Kämpft der Sommer nicht gegen den Winter, leistet er nicht Widerstand, trauert und weint er nicht Tränenmeere in seinem eifrigen Versuch, seine Kinder vor dem eisigen Griff des Frosts zu schützen? Und hüllt der Winter Mutter Erde nicht in eine weiße, harte Decke, damit die warme Frühlingssonne nicht das Herz des verhärteten alten Herrn zum Schmelzen bringt? Und sammelt er nicht seine letzten Kräfte für einen erbitterten und heftigen Kampf um die Vorherrschaft, bis die brennenden Strahlen der Sonne seine Reihen zerstreuen?

Widerstand gegen Gewalt ist eine Tatsache in der gesamten Natur. Der Mensch ist Teil der Natur und wird daher auch von derselben Kraft angetrieben, sich gegen eine Invasion zu verteidigen. Gewalt wird so lange ein natürlicher Faktor bleiben, wie ökonomische Sklaverei, soziale Überlegenheit, Ungleichheit, Ausbeutung und Krieg weiterhin alles Gute und Edle im Menschen zerstören.

Dass die ökonomischen und politischen Bedingungen dieses Landes den Keim der Habgier und des Despotismus in sich trugen, kann niemand leugnen, der nachdenkt und die Ereignisse genau beobachtet hat. Es war daher nur eine Frage der Zeit, bis die ersten Anzeichen von Wehen einsetzten. Und sie begannen, als McKinley mehr als jeder andere Präsident das Vertrauen des Volkes verraten hatte und zum Werkzeug der Geldkönige wurde. Sie begannen, als er und seine Klasse das Andenken der Männer, die die Unabhängigkeitserklärung verfasst hatten, mit dem Blut der massakrierten Filipinos befleckten. Sie wurden immer gewalttätiger, wenn sie sich an Hazelton, Virden, Idaho und andere Orte erinnerten, an denen das Kapital Krieg gegen die Arbeit geführt hatte, bis am 6. September das Kind geboren wurde, das durch Gewalt gezeugt, genährt und aufgezogen wurde.

Dass Gewalt nicht nur das Ergebnis von Bedingungen ist, sondern auch weitgehend von der inneren Natur des Menschen abhängt, lässt sich am besten durch die Tatsache belegen, dass Tausende die Tyrannei verabscheuen, aber nur einer einen Tyrannen niederschlägt. Was treibt ihn dazu, die Tat zu begehen, während andere stillschweigend zusehen? Es liegt daran, dass der eine von einer so sensiblen Natur ist, dass er ein Unrecht schärfer und intensiver empfindet als andere.

Es ist daher nicht Grausamkeit, Blutdurst oder eine andere kriminelle Neigung, die einen solchen Menschen dazu bringt, der organisierten Macht einen Schlag zu versetzen. Im Gegenteil, es ist vor allem ein starker sozialer Instinkt, eine Fülle von Liebe und ein Übermaß an Mitgefühl für den Schmerz und das Leid um uns herum, eine Liebe, die Zuflucht in der Umarmung der Menschheit sucht, eine Liebe, die so stark ist, dass sie vor keiner Konsequenz zurückschreckt, eine Liebe, die so weit ist, dass sie sich nie auf ein Objekt beschränken lässt, solange Tausende zugrunde gehen, eine Liebe, die so alles verschlingend ist, dass sie weder kalkulieren, noch vernünftig sein, noch untersuchen kann, sondern nur um jeden Preis wagt.

Es wird allgemein angenommen, dass Männer, die dazu veranlasst werden, den Dolch oder die Kugel in das feige Herz der Regierung zu stoßen, eingebildet genug sind, zu glauben, dass sie dadurch die Welt von den Fesseln der Despotie befreien werden. Soweit ich die Psychologie einer Gewalttat studiert habe, stelle ich fest, dass nichts weiter von dem Gedanken eines solchen Mannes entfernt sein könnte, als dass der Mob aufhören wird, „Lang lebe der König!“ zu rufen, wenn der König tot wäre.

Der Grund für eine solche Tat liegt tiefer, viel zu tief, als dass die oberflächliche Menge ihn begreifen könnte. Er liegt in der Tatsache, dass die Welt im Inneren des Individuums und die Welt um ihn herum zwei antagonistische Kräfte sind und daher aufeinanderprallen müssen.

Will ich damit sagen, dass Czolgosz aus diesem Material gemacht ist? Nein. Ich kann aber auch nicht sagen, dass er es nicht ist. Ich bin auch nicht in der Lage zu sagen, ob er ein Anarchist ist oder nicht; ich kannte den Mann nicht; soweit ich weiß, scheint ihn niemand gekannt zu haben, aber aufgrund seiner bisherigen Haltung und seines Verhaltens (ich hoffe, dass kein Leser von „Free Society“ den Zeitungslügen Glauben geschenkt hat) habe ich das Gefühl, dass er eine Seele voller Schmerz war, eine Seele, die in unserer grausamen Welt keinen Platz fand, eine Seele, die „unpraktisch“, unzweckmäßig und unvorsichtig war (gemäß dem Diktum der Weisen); aber dennoch wagemutig, und ich kann nicht anders, als mich in ehrfürchtigem Schweigen vor der Kraft einer solchen Seele zu verneigen, die die engen Mauern ihres Gefängnisses durchbrochen und einen gewagten Sprung ins Unbekannte gewagt hat.

Nachdem ich gezeigt habe, dass Gewalt nicht das Ergebnis persönlichen Einflusses oder eines bestimmten Ideals ist, halte ich es für unnötig, in eine langwierige theoretische Diskussion darüber einzusteigen, ob der Anarchismus das Element der Gewalt enthält oder nicht. Die Frage wurde immer wieder diskutiert, und es ist erwiesen, dass Anarchismus und Gewalt so weit voneinander entfernt sind wie Freiheit und Tyrannei. Es ist mir egal, was der Pöbel sagt; aber denen, die noch in der Lage sind zu verstehen, möchte ich sagen, dass der Anarchismus als Lebensphilosophie darauf abzielt, einen Zustand der Gesellschaft zu schaffen, in dem die innere Verfassung des Menschen und die Bedingungen um ihn herum harmonisch miteinander verschmelzen können, so dass er in der Lage ist, alle Kräfte zu nutzen, um das Leben um ihn herum zu erweitern und zu verschönern. Denen möchte ich auch sagen, dass ich nicht für Gewalt bin; das ist Aufgabe der Regierung, und Gewalt erzeugt Gegengewalt. Das ist eine Tatsache, die sich nicht durch die Verfolgung einiger weniger Männer und Frauen oder durch strengere Gesetze beseitigen lässt – das führt nur dazu, dass sie zunimmt.

Gewalt wird eines natürlichen Todes sterben, wenn die Menschen lernen zu verstehen, dass jede Einheit ihren Platz im Universum hat und, obwohl eng miteinander verbunden, frei bleiben muss, um zu wachsen und sich auszudehnen.

Einige Leute haben vorschnell gesagt, dass Czolgosz‘ Tat töricht war und das Wachstum des Fortschritts bremsen wird. Diese ehrenwerten Menschen ziehen voreilige Schlüsse. Niemand kann sagen, welche Folgen die Tat vom 6. September haben wird; eines ist jedoch sicher: Er hat die Regierung an ihrer empfindlichsten Stelle getroffen. Das Rad des Fortschritts aufzuhalten, ist absurd. Ideen können nicht durch Zurückhaltung aufgehalten werden. Und was die kleinliche polizeiliche Verfolgung betrifft, was macht das schon?

Während ich dies schreibe, schweifen meine Gedanken zur Todeszelle in Auburn, zu dem jungen Mann mit dem mädchenhaften Gesicht, der kurz davor steht, durch die groben, brutalen Hände des Gesetzes hingerichtet zu werden, der in der engen Zelle auf und ab geht, mit kalten, grausamen Augen, die ihn verfolgen,

die ihn beobachten, wenn er versucht zu weinen,

und wenn er versucht zu beten;

die ihn beobachten, damit er nicht selbst

Das Gefängnis seiner Beute berauben könnte.

Und mein Herz geht in tiefem Mitgefühl zu ihm und zu allen Opfern eines Systems der Ungleichheit und zu den vielen, die als Vorreiter eines besseren, edleren, großartigeren Lebens sterben werden.

Emma Goldman


Der Revolver von Czolgosz

Veröffentlicht am 26. Oktober 1901 in der anarchistischen Zeitung „El Rebelde“ aus Buenos Aires.

Aus der Beilage unseres Kollegen zur Revista Blanca transkribieren wir die interessante Korrespondenz aus New York, die unten eingefügt ist, mit einigen durchgestrichenen Absätzen über die Wechselfälle, die Mr. McKinley vor seinem Tod erlitt. Bitte lest sie aufmerksam. Stürmische Zeiten in der großen amerikanischen Republik sind angebrochen. Im ganzen Land sind zahlreiche Illustrationen und geistige Werke zu sehen, die zeigen, wie die industrielle und soziale Revolution den politischen und ökonomischen Körper der Nation umgestaltet und etwas Neues und Fremdes in sie einführt.

Das Ausmaß der teilrevolutionären Bewegungen des riesigen Heeres der amerikanischen Proletarier hat die Grenzen des bisher Bekannten im In- und Ausland überschritten. Es ist nicht nötig, über die großen Streiks der Bauarbeiter, der Bergleute, der Maschinisten, der Gewerkschaften/Syndikate in San Francisco, der riesigen Handwerksbetriebe, der Straßenbahnarbeiter, der Tabakarbeiter, der Schneider, der Stahl- und anderen Metallarbeiter und hundert anderer Branchen zu sprechen. Es genügt zu wissen, dass sich in den letzten acht Monaten mehr als eine Million Arbeiter gegen die Bosse aufgelehnt haben und dass weitere vier Millionen Menschen direkt von den Streiks betroffen waren. Bei diesen Streiks kam es zu immensen Börsenverlusten, Selbstmorden, Konkursen, der Zerstörung rosiger Träume für die einen und fabelhaften Gewinnen für die anderen, unter den Kapitalisten.

Die Arbeiter wurden manchmal von Soldaten, Polizisten usw. angegriffen und mussten den Verlust einiger Gefährten beklagen, die getötet, andere verwundet, einige ins Gefängnis und andere zur Deportation geschickt wurden. Es wurde viel gewonnen und einiges verloren. Trotzdem geht die Lohnsklaverei weiter, und die Privilegien des Kapitals sind immer noch sicher, und das protestantische Elend, die Lohnabhängigen, können nichts dagegen tun.

In Tampa streiken 6.000 Arbeiter für eine Erhöhung der Löhne; weitere 15.000 Streikende kämpfen um ein Auskommen, das sie nicht finden können; die Tabakarbeiter richten zwölf ökonomische Küchen ein und ernähren darin ein ganzes Volk, das vom bourgeoisen Hass blockiert ist. Streikende und Nichtstreikende ernähren sich nicht nur als Gemeinschaft, sondern stellen sogar Ärzte und Medikamente für alle bereit.

Der Streik wird auf dem legalen Weg geführt. Die Streikenden, alle spanischsprachig, halten Ordnung und Kultur aufrecht, bleiben aber in ihren Forderungen hartnäckig. Eines Tages treffen sich die Fabrikanten, die Behörden und die Bourgeoisie der Stadt und beschließen, einen Überfall zu verüben. Mitten in der Nacht kidnappen sie das Streikkomitee. Dreizehn Gefährten wurden von bewaffneten Banditen heimlich aus ihrem Haus entführt und auf mysteriöse Weise in den Golf von Mexiko gebracht, auf ein Piratenschiff verladen und an die Küste von Honduras transportiert, wo sie an einem verlassenen Ort ausgesetzt wurden, wo ihre Henker glaubten, sie würden verhungern. Später führte ein Indianer sie zu einem zivilisierten Ort, Trujillo, und von dort aus kehrten sie nach Key West zurück, im Angesicht der tampereanischen Entführer. Es ist eine wahre Geschichte, die sich wie ein Roman liest. Nach den Entführungen wollte die Bourgeoisie die ökonomischen Küchen schließen, aber das gelang ihnen nicht. Unter den Entführten war auch der Schatzmeister der Unión de Tabaqueros (A.d.Ü., Gewerkschaft/Syndikat der Tabakbauern), der 32.000 Pesos mit seiner Unterschrift in zwei Banken deponiert hatte. Durch seine Entführung sollte den Streikenden die notwendige Unterstützung vorenthalten werden, aber die Arbeiter des Handels in New York, Kuba usw. schickten die Gelder an ihre Gewerkschaften/Syndikate. Die Bourgeoisie von Tampa tat noch mehr: Sie warf alle Familien der Streikenden auf die Straße; heute leben sie auf dem Land unter Zelten. Andere sind ausgewandert. Bei all diesem Banditentum, das gegen die Gesetze des Rechts und der Menschlichkeit verstieß, taten die Behörden in Washington nichts für die Gerechtigkeit. McKinley drückte ein Auge zu; in der Zwischenzeit litten Tausende von Kreaturen unermesslich. Die Magnaten des milliardenschweren Steel Trust holten alle blinden Passagiere aus den Staaten, die von dem Monsterstreik betroffen waren, und begannen, Streikbrecher zu importieren und in den Fabriken einzusetzen. Erst gestern erklärte der Erzmilliardär und Präsident den Presseleuten, dass der Trust die Gewerkschaften/Syndikate der Arbeiter zerstören würde. Dass er einen totalen Krieg gegen diese Organisationen führen würde. Die Streikenden baten kürzlich um einige ehrenhafte Zugeständnisse, um den Konflikt zu beenden. Der Trust antwortete, dass er genug Kraft habe, um die Stahlarbeiter nach Belieben zu beherrschen, zu stören und zu unterwerfen. McKinley würde sich den ruchlosen Plänen des Trusts nicht in den Weg stellen. In einigen Städten begann die Inhaftierung der Streikenden, andere ließen ihre kleinen Holzhäuser beschlagnahmen und waren völlig verzweifelt.

Aus Puerto Rico meldet der Telegraf, dass Tausende von Menschen unter schrecklichem Hunger leiden. Dass die Lebensgrundlagen am Ende sind; dass die Einheimischen zur Auswanderung gezwungen sind; dass die Menschen, wenn sie protestieren, geschlagen werden, und dass eine republikanische Zeitung erklärt, „dass es ein Glück wäre, wenn dieser Wettlauf bald vorbei wäre.“ Washington tut nichts, und McKinley, der Menschenfreund, schweigt!… 6.000 Tote auf den Philippinen werden gemeldet. McKinley bleibt still. Die Presse kümmert sich nicht viel um menschliche Katastrophen. Was macht es schon, dass es in den Vereinigten Staaten vier Millionen Arbeiter gibt, die 25 Cent am Tag verdienen? Dass in Paterson einige Mütter großer Familien Brot stehlen mussten, um ihre Kinder zu ernähren? Dass eine Mutter ihr Kind vor dem Verhungern rettete, indem sie es mit dem Brot fütterte, das sie im Gefängnis bekam, und selbst das Wasser trank? Dass es täglich zehn Selbstmorde aufgrund von Elend gibt? Dass Menschen aus Mangel an Unterkunft und Brot unter Brücken sterben? Die Presse kümmert sich nicht um solche Kleinigkeiten. Stattdessen geht Leon Czolgosz nach Buffalo und feuert zwei Schüsse auf Präsident McKinley ab, vielleicht um seine Assoziierten wachzurütteln und ihnen zu zeigen, welche großen Ungerechtigkeiten und Schandtaten in der großen Republik begangen werden. Die Presse füllt Tausende von Seiten mit Lobeshymnen auf den großen McKinley, den Menschenfreund, den Weisen und Patrioten.

Leon Czolgosz ist Amerikaner, geboren in Detroit, Michigan, achtundzwanzig Jahre alt, Schmied von Beruf, hellbraun, blauäugig, naturgelocktes Haar, kräftig, stämmig gebaut, sein hübsches, jugendliches Aussehen verrät große Intelligenz und edle Gesinnung.

Als er die beiden Schüsse im Musikpalast in Buffalo abfeuerte, war er so elegant gekleidet und hatte so gute Manieren, dass der Präsident nicht zögerte, Leon die Hand zu schütteln, der in seinem Herzen die Idee hatte, mit dem obersten Richter der Republik die sozialen Verbrechen zu bestrafen, die in dieser kosmopolitischen Nation täglich begangen werden. Leon sagte, als er die erste Aussage machte: „Mein Name ist Leon F. Czolgosz. Mein Wunsch war es, den Präsidenten zu töten. Ich hatte mir vorgenommen, dies zu tun, und in drei Tagen hatte ich meinen Plan ausgearbeitet. Die Hand, in der ich den Revolver trug, rollte ich mit einem Taschentuch zusammen. Dann ging ich direkt zum Präsidenten und feuerte vor seinen Augen. Ich habe keine Komplizen; ich habe nur meine Tat ausgeführt. Ich bin ein Anarchist, ich glaube an diese Ideen und liebe sie. Ich glaube nicht an die Regierungsform meines Landes, ich glaube an keine Regierung, weil sie alle das schreckliche Elend und die Sklaverei der meisten hervorbringen; aus diesem Grund glaube ich, dass es meine Pflicht ist, den Präsidenten zu töten. Ich bin ein Anarchist; ich habe meine Pflicht getan. Ich habe keine Komplizen, das schwöre ich“.

Trotz Leons kategorischen Aussagen wurden zwölf anarchistische Gefährten in Chicago verhaftet: drei Frauen und neun Männer. Die meisten von ihnen sind Redakteure der Zeitung Free Society. Perspektivisch wird sich die Zahl der Verhaftungen auf ein halbes Hundert belaufen. In der Zwischenzeit werden die Gefährtin Emma Goldman und andere Gefährten verfolgt. Emma wird beschuldigt, dass Leon sie über Anarchie reden hörte und dies sie zu der Tat veranlasste.

Die Boulevardpresse leitet die öffentliche Meinung und die Machthaber dazu an, den Anarchisten viel mehr zu tun als Chicago ’87, wenn möglich, die Anarchisten in Scharen zu fangen und sie zu verbrennen.

Es besteht natürlich kein Zweifel daran, dass einige Unschuldige getötet oder zumindest lebenslang ins Gefängnis geschickt werden. Aber was macht das schon? Das Elend und die Sklaverei werden weitergehen, und die Rebellen werden daraus hervorgehen.

Leon Czolgosz wird nicht der letzte Anarchist sein.

Regierungen und Kapitalisten müssen davon überzeugt werden, dass selbst wenn Anarchisten solche individuellen Taten verhindern wollten, es für sie unmöglich wäre. Leon war kaum jemandem als militanter Anarchist bekannt, aber die Polizei und die erbärmliche Presse erfanden Komplotte, um viele unschuldige Gestalten links und rechts zu verhaften. Leons Familie kam aus Polen und Deutschland. Sie sind eine elfköpfige Familie: der Vater, die Schwiegermutter und acht Geschwister, von denen die ältesten Arbeiter und Soldaten sind. Die Jüngsten sind ärmlich gekleidet und barfuß. Die Arbeit reicht nicht aus, um so viele Kinder zu ernähren. Leons Haus ist eine kleine Kaserne für proletarische Sklaven.

Der Besitzer des kleinen Hotels, in dem Leon in Buffalo wohnte, erklärt: „Der junge Leon war sehr zurückhaltend, trank nicht und hat nie jemanden um einen Gefallen gebeten. Er war sehr freundlich; er ging tagsüber aus und kam abends nach Hause, ohne jemanden zu belästigen. Er war sehr nett und höflich. Er zahlte pünktlich und gab nichts zu tun. Er rief nie einen Bediensteten an.“

In letzter Minute soll Leon gesagt haben: Er würde McKinley wieder erschießen, wenn er die Gelegenheit dazu hätte. Es ist ein Glück für die Anarchisten in dieser Republik, dass Leon in diesem Land geboren wurde, denn wäre er Italiener oder Franzose gewesen, wäre die Presse noch wütender und kannibalischer gegen AUSLÄNDISCHE Anarchisten vorgegangen. Leons Tat hat das amerikanische Volk erschüttert. Lasst die stürmischen Zeiten rollen und lasst das Neue und Fremde in dieser MODELL-Republik erkennen, dass seine Millionen aus den Millionen proletarischer Sklaven hergestellt werden, die von der Ausbeutung zu Tode gequetscht werden.

M.S. PANTIN.

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Anarchistische Büchermesse Berlin-Kreuzberg 2024 https://panopticon.blackblogs.org/2023/10/09/anarchistische-buechermesse-berlin-kreuzberg-2024/ Mon, 09 Oct 2023 12:28:35 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5220 Continue reading ]]>

Anarchistische Büchermesse Berlin-Kreuzberg 2024

Wir verkünden mit großer Freude, dass vom 05. September bis zum 08. September 2024 im NewYorck im Bethanien 2 B, 10997 Berlin-Kreuzberg 36, eine anarchistische Büchermesse stattfinden wird. Das letzte Mal das in Berlin, unserer Kenntnis nach, so was stattfand, war im Jahr 2016, als die Tage der anarchistischen Ideen und Publikationen stattfanden. Es sind nicht nur allzu viele Jahre seitdem vergangen, sondern überhaupt ist es wichtig wieder in Berlin ein regelmäßig stattfindendes Ereignis zu organisieren, was die Verbreitung anarchistischer und revolutionärer Ideen angeht. Die Büchermesse soll also nicht als was ephemeres, sondern als ein kontinuierliches Ereignis verstanden werden, was jedes Jahr stattfinden soll. Seit Anfang der 2010er trugen anarchistische Büchermessen in ganz Europa, von der iberischen Insel bis zum Balkan, zu einen mehr als willkommen zu heißenden Wiederbeleben anarchistischer Ideen und Praxen bei. Nicht nur die Verbindung und Bezugnahme zwischen Gefährtinnen und Gefährten entlang des ganzen Globus war die Folge, sondern auch eine Internationalisierung von Debatten. Und dies wollen auch wir mit dieser Büchermesse erreichen.

Es gibt viele Gründe um in Berlin und sonst wo anarchistische Büchermessen zu machen, um anarchistischen Büchern, ergo anarchistischen Ideen, mehr Raum zu geben, aber ist es genau nur das, was wir wollen? Reicht es uns aus ein paar Büchertische hinzustellen, ein paar Lesungen zu Büchern zu halten, ein bisschen rumzuhängen? Nein es reicht nicht aus, denn was wir wollen, sind vor allem Debatten, die in der Praxis münden müssen, zu intensivieren. Bücher und sämtliche schriftliche Erzeugnisse sind daher wichtige Vehikel, die uns alle verbinden können, dennoch sind Bücher selbst nichts, es sind die Inhalte, die sie mittragen, die nützlich sind, es ist die Praxis die eine reale Bewegung formt. Bei den Inhalten handelt es sich um alle möglichen Themen und Fragen, die aber in einer Debatte, zur Diskussion stehen müssen. Das Ziel dieser Debatte, dieser Diskussionen, die wir hier und auf der ganzen Welt führen müssen, verfolgt nur ein Ziel, nämlich der Welt des Kapitalismus ein Ende zu setzen, diese aus ihren Fugen herauszuheben. Dies geschieht mittels der Praxis des Aufstandes, des Klassenkrieges, des sozialen Krieges um in einer weltweiten sozialen Revolution zu münden. Also die intensive Debatte unter Anarchistinnen, Anarchisten und sämtlichen Revolutionären, die dem Staat-Nation, dem Kapital, dem Patriarchat ein sofortiges Ende bringen werden.

Wir werden daher zusätzlich zu der Notwendigkeit spezifische Debatten zu intensivieren, auch inhaltliche Schwerpunkte für die Büchermesse haben.

– Die Haltung zum Krieg (in der Ukraine und sonstwo)

– Die Auseinandersetzung mit den Thema Nationalismus-Nation-Volk-Staat, die nicht voneinander zu trennen sind.

– Die Verbreitung anarchistischer und revolutionärer Ideen via Bücher, Propaganda, Praxis, etc.

Man könnte ja denken, dass die anarchistische Bewegung in vielen Fragen schon zu einer kohärenten Antwort/Haltung gekommen sei, aber wie der Spruch unter einigen Anarchistinnen und Anarchisten zu sagen vermag, es gibt nichts radikaleres als die Realität und dies ist wieder zum Ausdruck gekommen. Ein sehr missverstandener Spruch, denn nach wie vor stellen sich vermeintliche Anarchistinnen und Anarchisten auf die Seite des Staates-Nation, sind ja einige, den sie angeblich zu bekämpfen meinen. Worüber reden wir gerade? Meinen wir Katalonien, Kurdistan, die Mapuche, Palästina, Ukraine oder so viele andere vergangene und gegenwärtige Beispiele? Reden wir über die Teilnahme an Wahlen, die Unterstützung von Parteien, den Schutz der Demokratie (ergo des kapitalistischen Staates), das Legitimieren des Gewaltmonopols, oder alles zugleich? Dies konnten wir auch in Bezug zum Corona-Virus sehen, nicht nur in welche „Ohnmacht“ eine anarchistische Bewegung zu verfallen in der Lage ist, sondern mit was für einem Impetus sie in der Lage ist für die Legitimierung des Staates zu sein. Aber was kann all dies noch mit Anarchismus, noch mit einer anarchistischen Bewegung zu tun haben? Ganz einfach, gar nichts.

Aber worauf wollen wir mit all dem denn hinaus, was hat dies apropos mit dem oben erwähnten Spruch an sich und was hat dies mit dieser Anarchistischen Büchermesse zu tun? Ganz einfach, die Realität holt immer alle ein, die sich ihrer Sache nicht im Klaren sind, was dazu führt, dass sie Positionen verteidigen, die eigentlich nicht die ihren sind. Das sehen wir in den oben erwähnten Beispielen am besten. Die Realität holt alle ein, die meinen so unglaublich radikal zu sein, wo sie doch ihre Positionen nur auf Idealismus und Sand aufgebaut haben und was daraus resultiert, sind Positionen und Haltungen die nur dem Reformismus und der Konterrevolution dienen.

Dies führt uns zur Notwendigkeit von Debatten die in Praxis münden müssen um die Verwirrung des gegenwärtigen Moments aufzuheben.

Daher sollen die Schwerpunkte der Büchermesse auch den Fragen zum Krieg im Allgemeinen und zu spezifischen Kriegen, gegenwärtigen wie historischen, sein und alles, warum diese dem kapitalistischen Staat-Nation inhärent sind, warum unser Verhältnis dazu nur der einer unversöhnlichen Feindschaft ist. Also nicht nur die Agitation, die Propaganda, sondern inhaltliche Positionen sind von immenser Bedeutung und Notwendigkeit. Was bedeutet es für die anarchistische Bewegung, beziehungsweise was sagt es über diese aus, wenn sich Menschen, die sich selbst als Anarchistinnen und Anarchisten bezeichnen, an innerbourgeoise Kriegen zwischen den verschiedenen Fraktionen des Kapitalismus beteiligen? Ist das noch Anarchismus oder revolutionär? Und welche Optionen haben wir, um in Kriegen noch revolutionär handeln zu können? Und sicherlich tausend Fragen mehr, die in diesem Zusammenhang eine Rolle spielten und immer noch spielen.

Daher um über diese Fragen sowie viele andere, zu diskutieren, laden wir alle, die die Notwendigkeit haben diese Themen anzugehen, für die Anarchistische Büchermesse vom 05. September bis zum 08. September 2024 in Berlin-Kreuzberg ein.

Der Charakter der Büchermesse soll auch zudem international und internationalistisch sein und der Aufruf auf allen möglichen Sprachen veröffentlicht werden, denn der Bezug unter Anarchistinnen, Anarchisten und sämtlichen Revolutionären muss gestärkt werden.

Solltest du einen Infotisch machen wollen, solltest du eine Diskussion einleiten wollen, melde dich hier: [email protected], weiter Infos auf anarchistischebuechermesse.noblogs.org

Agitation, Aufstand, Anarchie!


Anhang

Wir werden im Verlauf der nächsten Monate, bis zum Beginn der Büchermesse, mehrere Texte veröffentlichen, die den Debatten auf dieser dienlich sein werden.

Bis jetzt handelt es sich um drei Texte, eins von der anarchistischen Publikation Black Flag – Bulletin of the Anarchist Black Cross die 1968 gegründet wurde und zwei Texte aus Argentinien vom anarchistischen Verlag expandiendo la revuelta.

Der Text von Black Flag aus dem Jahr 1968 beschäftigt sich mit dem Phänomen des Reformismus innerhalb der anarchistischen Bewegung und die beiden Texte von expandiendo la revueltazu der Frage zu anarchistischen Büchern sehr interessante kritische Dinge gesagt haben. Wir finden ihre Positionen so interessant und wichtig, so dass wir diese angesichts des Verbreitens von Publikationen/Bücher/usw. als eine wichtige Vorlage für eine Debatte diesbezüglich verwenden, bzw., auslegen und präsentieren, was für die Büchermesse von großer Bedeutung in Form eines Beitrages ist.


Text von Black Flag, die Übersetzung ist von uns. Alle Ausgaben ihrer Publikation hier zu finden.

Black Flag

Erklärung der Black Flag Group für die Liverpooler Konferenz der Anarchist Federation of Britain, September 1968

Der Anarchismus ist eine revolutionäre Methode, um eine freie, gewaltfreie Gesellschaft ohne Klassenunterschiede und ohne Autorität zu erreichen. Ob dies eine „utopische“ Errungenschaft ist oder nicht, ist unerheblich; der Anarchist oder die Anarchistin ist nach einer normalen Definition jemand, der oder die dieses Ziel vor Augen hat, sich von autoritären Strukturen befreit und auf eine solche Gesellschaft zusteuert, indem er oder sie die Menschen vom Staat unabhängig macht und den Klassenkampf intensiviert, damit die Mittel der ökonomischen Ausbeutung geschwächt und zerstört werden.

Verwirrung

Anarchismus und Liberalismus sollten nicht miteinander verwechselt werden, auch wenn letzterer militant ist (z. B. bei nationalen Befreiungsbewegungen). Der Liberale sucht die Freiheit innerhalb der Gesellschaftsstruktur, in der er sich befindet; er lehnt die Methoden des Klassenkampfes ab, die sich auf die ökonomische Spaltung der Gesellschaft beziehen. Da es jedoch eine solche Verwirrung gibt, stellen wir fest, dass es mittlerweile ZWEI gegensätzliche Auffassungen von Anarchismus gibt.

Es gibt nicht „so viele Konzepte wie Anarchistinnen und Anarchisten“ und auch nicht „tausend Fragmente“, aber es gibt ZWEI, die wahrscheinlich beide auf dieser Konferenz vertreten sind. Die eine, die wir unterstützen und der wir als Organisation Kohärenz verleihen wollen, ist das, was wir als revolutionären Anarchismus bezeichnen (obwohl Anarchismus eine solche Qualifizierung nicht nötig haben sollte), der besagt, dass es keinen Kompromiss mit dem Staat geben kann, dass es einen Klassenkampf gibt und dass es nichts zu gewinnen gibt, wenn man sich der Klassengesellschaft anpasst. Es kann nur eine Revolution geben, auf den Straßen und in den Fabriken. Die andere Auffassung bezeichnen wir als liberalen Anarchismus (auch wenn er sich selbst als revolutionär betrachtet, während er das Wort normalerweise eher verhöhnt), der versucht, sich an die heutige Gesellschaft anzupassen, ohne den Staat stürzen zu müssen (was als unwahrscheinlich gilt). Eine solche Anpassung kann natürlich an den Kapitalismus oder sogar an den Staatskommunismus erfolgen; und es gibt viele verschiedene Möglichkeiten, wie sie aussehen könnte.

Friedensbewegung

Hierzulande sind solche sozialliberalen Ideen vor allem über die Friedensbewegung in die anarchistische Bewegung gekommen, die bestimmte anarchistische Grundkonzepte in Frage gestellt oder vielleicht nie verstanden hat. Damit wollen wir nicht bestreiten, dass Pazifisten Anarchisten und Anarchistinnen sein können (auch wenn wir sie aus Gründen einer kohärenten Aktion aus unserer eigenen Gruppe ausschließen würden). Solange ihr Standpunkt nicht zur Hauptströmung wird, können wir ohne Zweifel mit ihnen innerhalb der AFB zusammenarbeiten.

Wir halten das Prinzip des Pazifismus für irrelevant und im Großen und Ganzen für unanarchistisch (ebenso wie einen Kult um Mäßigung oder Vegetarismus oder das Kiffen oder den „Ausstieg“ (A.d.Ü., aus der Gesellschaft) zu machen – das sind alles Angelegenheiten, die persönliche Entscheidungen betreffen und die zwar oft von den wichtigsten sozialen Fragen ablenken, aber nur dann absurd werden, wenn sie zu einem Kult gemacht werden, dem alle folgen sollen, und wenn sie zur wichtigsten sozialen Frage unter uns und in der Gesellschaft als Ganzes erhoben werden, während Themen wie der Klassenkampf in den Hintergrund treten oder ignoriert werden). Das Problem, mit dem wir auf dieser Konferenz konfrontiert sind, ist jedoch NICHT der Pazifismus an sich, sondern die Tatsache, dass er die Tür für so viele liberale Annahmen geöffnet hat. Zum Beispiel, dass Gefängnisse reformiert werden können und nicht abgeschafft werden dürfen (Vine1; Willis); dass wir so weit gehen sollten, Geld für Polizisten zu sammeln, die bei Demonstrationen verletzt werden (Featherstone)2; dass die Polizei eine notwendige Krücke für die Gesellschaft ist (Rooum)3; dass Kriminelle die einzigen freien Menschen sind, aber dass wir die Dienste der Polizei in Anspruch nehmen sollten, wenn es nötig ist (Schweitzer-Mariconi)4.

Liberalismus

Sobald man akzeptiert, dass „der Anarchismus mit der heutigen Gesellschaft in Verbindung gebracht werden muss“, also mit dem Kapitalismus ([Colin] Ward), kann man die Beteiligung an der Verwaltung akzeptieren (Topham bis Ostergaard)5; oder die Notwendigkeit psychologischer und soziologischer Anpassungen an das Leben im erbarmungslosen Konkurrenzkampf (various, Anarchy); oder dass Steuern notwendig sind, um den ärmeren Klassen zu helfen ([Vernon] Richards); oder dass wir uns lediglich in einem Zustand des permanenten Protests gegen Missstände in der Gesellschaft befinden müssen (Sydney Libertarians); uns an gewaltfreie Methoden anpassen müssen (Peace News) oder an autoritäre Körperschaften wie die katholische Kirche ([Ammon] Hennacy) oder sogar unseren Frieden im kommunistischen Staat machen müssen (Jeff Robinson)6.

Ein so verwässerter Anarchismus kann von der Monarchie anerkannt werden ([Sir Herbert] Read) oder mit dem Wählen der Labour Party vereinbar sein ([George] Melly); oder er kann auf einen bloßen imaginären Denkprozess reduziert werden, der zu einer intellektuellen Erlösung führt (various, Minus One)7. Diejenigen, die das revolutionäre Konzept ablehnen, können verschiedene Ansichten haben, die von einer Ablehnung der zeitgenössischen Werte und einem bloßen Ignorieren des Staates in der Hoffnung, dass er verschwindet (Hippies, Diggers) bis hin zu einer bewussten Provokation des Staates reichen, damit er seine vollen repressiven Kräfte einsetzt, ohne sich jedoch auf einen wirksamen Widerstand vorzubereiten (einige zumindest der Provo-Situationisten).

Wir erkennen das, was wir als Liberalen Anarchismus bezeichnen, nicht als echten Anarchismus an, aber da es ihn gibt, sind wir gezwungen, uns als Revolutionäre Anarchisten zu bezeichnen. Wir wissen nicht, inwieweit es in der AFB eine allgemeine Übereinstimmung mit uns gibt. Unser Ziel ist es, eine Mitgliederorganisation innerhalb der AFB und der lokalen Gruppen zu sein. Wenn wir andererseits den Großteil der Mitglieder der AFB vertreten, gibt es keinen Grund, warum die Organisation unser Programm nicht übernehmen kann. Zumindest diejenigen, die die Kontroversen in der libertären Presse verfolgt haben, werden wissen, worum es in diesem Flugblatt geht. Diejenigen, die aufgrund ihrer heutigen Erfahrungen den Namen Anarchistin und Anarchist ablehnen, weil sie meinen, sie würden sich mit dem identifizieren, was wir hier Liberale Anarchistinnen und Anarchisten nennen, sind eingeladen, ihre Position zu überdenken

International

Die internationale Situation ähnelt der britischen, nur dass dort die Tendenz, sich in den Rahmen der Gesellschaft einzufügen, von einem institutionalisierten Syndikalismus herrührt oder die Exilbewegungen bürokratisiert wurden. Darum ging es bei dem Zusammenstoß in Carrara8. Aber es war auch ein Konflikt zwischen einer revolutionären Politik und einer Politik des „Sich-Einfügens“. Unser Ziel ist es, ein revolutionäres Programm zu erarbeiten, und zwar als Gruppe, die kein vorgefertigtes Programm zur Organisation der Arbeiterklasse hat, sondern das Prinzip der direkten Aktion akzeptiert und mit den Menschen auf der Grundlage ihrer Überzeugungen und Aktionen zusammenarbeitet und nicht auf der Grundlage der bloßen Etiketten, die sie sich selbst geben, wobei wir jedoch unsere eigene Identität bewahren.

(Originalunterzeichner) A. Meltzer, Ross Flett, Adrian Derbyshire, Stuart Christie, Roger Sandell, Mike Walsh, Jim Duke, Ted Kavanagh

Wir bitten um Kommentare zum Entwurf der „Aims & Principles of Anarchism“.

Herausgegeben von der BLACK FLAG GROUP, 735 Fulham Road, London, S.W.6.

Die erste Konferenz der „Black Flag“-Gruppe wird im Herbst in Brighton stattfinden. Diskussion über die Gründung einer weiteren anarchistischen Zeitung.

Anmerkungen

Wie aus dem Text hervorgeht, reagiert er auf verschiedene Auseinandersetzungen in der anarchistischen Presse, insbesondere in Freedom and Anarchy. Es ist mir nicht gelungen, alle Beteiligten zu identifizieren und alle Aussagen aufzuspüren. (A.d.Ü., der Text endet abrupt an dieser Stelle)


Text von expandiendo la revuelta, die Übersetzung ist von uns.

DIE ANARCHISTISCHEN BÜCHER SIND KEINE WERKZEUGE

TREFFEN VON ANARCHISTISCHEN BIBLIOTHEKEN AM SAMSTAG DEN 13.11.21.

Bücher sind nicht nützlich, sie sind keine Dienstleistungen, sie erfüllen keine Funktionen und schon gar nicht sind sie Hämmer oder Schraubenschlüssel zum Öffnen oder Schließen von Ideen. Während es nicht viel braucht, um Literatur zu finden, die darauf abzielt, Regime durchzusetzen oder sie zu beseitigen, gibt es eine Vorstellung, die bei einigen Anarchistinnen und Anarchisten fest verwurzelt zu sein scheint: „Bücher sind Werkzeuge“, sagen sie, und in der Tat mangelt es nicht an Dutzenden von Covern und Titeln, an denen dies deutlich wird, dass „Bücher an sich keinen Wert haben, aber wenn sich Ideen materialisieren“, wiederholen sie und verbinden mit diesen Prämissen die weit verbreitete Vorstellung, dass „wir die Idee nicht von der Aktion trennen dürfen“.

Aber wovon reden wir, wenn wir an „anarchistische Bücher“ denken? Und was bedeutet es, Idee und Aktion zu vereinen? Denn offensichtlich können wir Ursula K. Le Guin, Mikhail Bakunin, die internationale Zeitschrift Kalinov Most oder ein auf einem Demonstrationszug gefundenes Pamphlet mit einem gezeichneten A, selbst wenn wir sie alle unter dem Label „anarchistische Literatur“ zusammenfassen wollen, nicht reduzieren. Auf dieser Linie können wir über die Intentionalität jedes Formats nachdenken, d.h. sowohl über sein physisches Format als auch über die Merkmale der Sprache, denn die Bindung eines Buches wie Kropotkins „Gegenseitige Hilfe“ ist nicht dasselbe wie der schnelle Druck von Flugblättern vor einer Demonstration, die für eine bestimmte Zeit und einen bestimmten Ort bestimmt sind.

Doch um endlich über anarchistische Literatur nachzudenken, müssen wir uns zunächst von der Vorstellung befreien, dass sie eng mit der „Aktion“ verknüpft sein sollte, denn sonst würden wir ihre Besonderheit, d. h. ihre Tiefe, ihren Weg, ihre Besonderheiten und ihre Stärken auslöschen.

Deshalb haben wir uns die doppelte Aufgabe gestellt, die Behauptung zu präzisieren, dass unserer Meinung nach anarchistische Bücher keine Werkzeuge sein können, und dann darüber nachzudenken, was sie sind oder sein könnten.

Um mit dem ersten Punkt zu beginnen, finden wir in dieser Behauptung eine utilitaristische Logik der Buchstaben in Bezug auf die militante Logik, die wir mit einem kurzen Rundgang von der Russischen Revolution über die Spanische Revolution bis hin zu den politisch-militärischen Parteien der 1970er Jahre verorten können. Das heißt, dass die Literatur ebenso wie die Malerei, das Kino oder das Theater „im Dienste der Revolution“ (oder in den meisten Fällen der Partei) stehen muss.

In diesem Sinne rief ein berühmtes Plakat aus Spanien 1936 aus: „Anarchistische Bücher sind Waffen gegen den Faschismus“, obwohl dies eigentlich Teil der Propaganda des CNT-Sektors war, der beschloss, mit Republikanern und Sozialisten zu paktieren, um eine „antifaschistische Front“ zu bilden, die mit der Militarisierung der autonomen Arbeiter*innenmilizen und anti-anarchistischen Repressionen endete. Was wir zumindest in diesem Fall behaupten wollen, ist, dass die utilitaristische Vision der „anarchistischen Bücher“ von der Logik des Krieges angetrieben wird, aber nicht des sozialen Krieges, sondern der Logik der formalen Armeen, des formalen Krieges und der Notwendigkeiten, die dies angeblich mit sich bringt.

Eine der Rechtfertigungen, die wir in diesen Fällen finden, ist der Appell an die Dringlichkeit und die greifbar lauernde Gefahr durch den Feind auf der anderen Seite der Grenze. Wäre es in diesem Zusammenhang nicht logisch, dass anarchistische Bücher der Propagandaarbeit und der Rekrutierung untergeordnet werden sollten? Auch wenn diese Frage aus unserer Gegenwart heraus unpassend erscheint, kann sie uns helfen, über diese extremen Momente nachzudenken. Im Gegensatz zu diesem Ansatz können wir einen deutlichen Unterschied zwischen dem, was anarchistische Literatur und Propaganda während der Spanischen Revolution (1936-1937) und während des Bürgerkriegs (1937-1939) war, feststellen. Zur Zeit der Revolution können wir Ausdrucksformen sehen, die nicht auf propagandistische Logiken reduziert wurden, sondern die aus ihren eigenen Sphären heraus versuchten, revolutionäre Freiheit zu denken, zu teilen und zu propagieren, ein deutliches Beispiel für diesen Aspekt war der „Sindicato de la Industria del Espectáculo Films“ (SIE FILMS), der zwischen 36 und 37 etwa 30 Filme produzierte, deren Inhalt sich nicht nur auf die dokumentarische Erzählung beschränkte, sondern die meisten Werke im Bereich der Fiktion angesiedelt waren, d.h. es ging nicht nur darum, Kunst für die Revolution zu denken, sondern darum, dass die Revolution ihren eigenen künstlerischen Ausdruck fand.

Wenn wir die Debatte auf die letzten Jahrzehnte zurückführen, ist es alarmierend oder zumindest auffallend, dass die Diskurse, die versuchen, den literarischen Ausdruck auf ein Werkzeug zu reduzieren, d.h. in den Dienst des „Ideals“ oder eines größeren Ziels zu stellen, was auch immer das sein mag, dass diese Schlussfolgerung ihre Rechtfertigung in der Hierarchisierung der „Aktion“ hat, die, wenn sie früher in den Bedürfnissen der revolutionären Partei verkörpert war, heute in der Überbewertung der zerstörerischen Aktion oder der anarchischen Offensive bekräftigt wird.

Wir glauben zwar, dass diese Behauptung äußerst kohärent und eine fast schon angeborene Reaktion auf unseren Alltag ist, der von der staatsbürgerliche Befriedung der Sozialdemokratie, den unisono wiederholten Demonstrationen/Prozessionen und den von verschiedenen Verlagen und Literaten vorgeschlagenen „kritischen“ Debatten geprägt ist, die kaum mehr sind als dialektische Paraphernalien, die heraufbeschworen werden, um den Verkauf ihres nächsten Buches zu positionieren oder die jüngste Förderung des CONICET9 zu rechtfertigen. Aber da wir in dieser Position waren und angesichts der ohrenbetäubenden Wiederholung von leeren Phrasen der Demokratie immer wieder destruktive Aktionen bekräftigen, wissen wir auch, dass Aktionen ihre eigene Logik, ihre eigenen Formen und Bedürfnisse haben, die oft nicht mit den Möglichkeiten von Worten übereinstimmen.

Du kannst von einem Buch nicht verlangen, dass es sich in eine Aktion verwandelt, genauso wie die ständige Wiederholung der Worte „Feuer“ und „Schießpulver“ in unseren Publikationen nicht bedeutet, dass sie tatsächlich greifbar werden können, und du könntest uns fragen, ob Buchstaben nicht als Agitation funktionieren können? Ja, das können sie, aber wenn sie sich vorher von dem leiten lassen, was sie „sein sollten“, werden sie am Ende zu einer Karikatur ihrer selbst. Wenn die Literatur ihre Besonderheit verliert, haben wir es mit einem Sammelsurium von Gemeinplätzen und individuellen Bekräftigungen zu tun, die am Ende nicht über sich hinauswachsen. An diesem Punkt verlangen wir von den Wörtern, etwas zu sein, was sie nicht sind, nämlich funktional zu sein, in der Hoffnung, dass die Tatsache, dass wir Sätze wie „bewaffne deine Affinitätsgruppe“ schreiben, bei den Leser*innen wirklich eine Gegenseitigkeit hervorruft, während dies in Wirklichkeit die primäre Aufgabe der direkten Kommunikation, der Schaffung von Begegnungsräumen und der Vertiefung von Ideen sein sollte, und in jedem Fall könnte die literarische Reflexion über die Gründe für diese Gruppen nachdenken, über die sozialen und politischen Merkmale, in die sie eingebunden sind, über die Art und Weise, wie sie funktionieren könnten, usw. usw.

Nach dieser kritischen und vergleichenden Sichtweise können wir in die Vergangenheit zurückgehen und an die „klassischen“ anarchistischen Zeitungen denken, die wir zwischen 1898 und 1930 in Buenos Aires geordert haben. Dort reichten die Genres und literarischen Themen von propagandistischen und pamphletartigen Artikeln über Theaterstücke, Lieder, Auszüge aus Erzählungen und Romanen bis hin zu Artikeln über Philosophie, Geschichte oder Astronomie, um nur einige Beispiele zu nennen. Diese für die verschiedenen Tendenzen typischen Merkmale zeigen uns deutlich die ganzheitliche Vision des anarchistischen Projekts, bei dem die Arbeit der Agitation nur einen kleinen Teil ausmachte, und gleichzeitig zu sehen, dass diejenigen, die im Laufe der Zeit Bestand hatten, ihre Kraft in der Reflexion, in der literarischen Suche selbst fanden, unabhängig von dem Genre, in dem sie angesiedelt sind, und die jesuitische Wiederholung des Anarchismus vermeiden.

Eine weitere Unterstellung, die wir häufig finden, wenn wir Kritiken hören, die von der falschen Dichotomie zwischen „Schreiben“ und „Handeln“ ausgehen, ist die Vorstellung, dass Literatur an sich eine Art petite bourgeoises Vergnügen bedeutet, eine Logik, die eindeutig vom Marxismus-Leninismus und seiner berühmten Kritik an der „Kinderkrankheit der Linken“ beeinflusst ist, in der es heißt: „Der durch die Schrecken des Kapitalismus „wild gewordene“ Kleinbürger ist eine soziale Erscheinung, die ebenso wie der Anarchismus allen kapitalistischen Ländern eigen ist. Die Unbeständigleit dieses Revolutionarismus, seine Unfruchtbarkeit, seine Eigenschaft, schnell in Unterwürfigkeit, Apathie und Phantasterei umzuschlagen, ja sich von dieser oder jener bürgerlichen Modeströmung bis zur „Tollheit“ fortreißen zu lassen – all das ist allgemein bekannt.“. So sehen wir, wie leider die konservativen Ideen des ruchlosen Leninismus in anarchistische Konzepte einfließen und die Tatsache unsichtbar machen, dass unser Freiheitsbegriff über die klassistische und parteiische Vision des Bolschewismus hinausgeht und ihr direkt gegenübersteht.

Wenn der Anarchismus uns daran hindert, uns hinzusetzen, um die Bewegung der Sterne zu beobachten, über unsere Sexualität zu schreiben, über die Eigenschaften der Musik oder der menschlichen Natur nachzudenken, wenn er sich nicht der Zerstörung und dem Wiederaufbau dieser Welt widmet und unsere eigenen Vorstellungen vom Dasein, von Literatur, Theater oder Kino erreicht, wird er nur zu einer Selbstbehauptung, die aus Angst vor dem, was hinter dem ideologischen Schema steckt, nicht aufhört, Nabelschau zu betreiben.

Wir könnten uns also fragen: Kann ein Buch anarchistisch sein? Selbst wenn es auf jeder Seite „Es lebe die Anarchie“ wiederholt, was ist, wenn es von jemandem geschrieben wird, der nicht behauptet, Anarchist zu sein? Was macht ein Buch letztendlich anarchistisch?

Was den ideologischen Charakter unserer Literatur historisch zusammenhält, ist viel mehr als eine bestimmte Zeile oder eine repräsentative Art von Referentialität, nämlich die redaktionelle, bibliothekarische und verbreitende Praxis der Gefährt*innen im Laufe der Geschichte. Wie sonst könnten wir Henry Thoreau oder Leon Tolstoi mit Alfredo Bonnano oder den Angry Brigade in einen Topf werfen? Das heißt, der Charakter, der unserer Literatur verliehen wurde und weiterhin verliehen wird, hat nicht nur mit den Büchern selbst zu tun, nicht einmal speziell mit der Absicht ihrer Autor*innen, sondern mit der propagandistischen Arbeit, der Rezeption und dem Wert, den die Gefährt*innen ihr im Nachhinein notwendigerweise verliehen haben.

Diese wichtige Arbeit, die so viele in den letzten 150 Jahren geleistet haben, hat also ihre Besonderheiten, nicht nur in Bezug auf die Katalogisierung, sondern auch in Bezug auf die interessante Vielfalt an Fragen und Herausforderungen, die sie hervorrufen kann. In diesem Sinne haben wir uns zum Beispiel gefragt, ob ein Buch auf eine Ideologie reduziert werden kann, und während diese Antwort innerhalb doktrinärer Räume „einfacher“ sein mag, erhält sie in unseren Kreisen eine relevante Kategorie über die mögliche anarchistische Konzeption in der Gegenwart und die immer latente Spannung zwischen der revolutionären Projektion und den ethischen Grundlagen des Anarchismus. Wenn wir zum Beispiel an anarchistische Literatur denken, können wir erstens die äußeren Merkmale betrachten, zum Beispiel die Verweigerung des geistigen Eigentums, der ISBN oder der Zusammenarbeit mit staatlichen oder multinationalen Verlagen, aber diese Merkmale sind in den Formen zusammengefasst, da viele Verlage in diese Kategorien fallen können und gleichzeitig nichts mit unseren Absichten zu tun haben, also müssen wir zweitens an die anarchistische Literatur selbst denken, Und hier könnte die eigentliche Herausforderung liegen: Es gibt zwar einige Kategorien, die sich leicht „klassifizieren“ lassen, wie im Kino der Dokumentarfilm, in der Literatur die vielen Publikationen, die sich als solche bezeichnen und die allgemeine Absicht haben, Anarchie zu propagieren, aber im Fall von Rafael Barret, Ursula K. L. Guin, Manuel Rojas oder so vielen Gefährt*innen, die Gedichte schreiben, die sich von anarchistischen Klischees befreien, ist es dann sinnvoll, sie unter einem ideologischen Gesichtspunkt zu betrachten?

Vielleicht sind sowohl die Frage als auch ihre Antworten viel umfangreicher, vielleicht muss man sich mit den verschiedenen literarischen Gattungen auseinandersetzen, um zu verstehen, auf welche Weise Lyrik, Prosa, soziale oder wissenschaftliche Aufsätze unter einem spezifisch ideologischen Etikett zusammengefasst oder umarmt werden können – eine Aufgabe, die diese kleine Skizze nicht erfüllen kann, aber sie versucht, uns einige dieser Anliegen näher zu bringen.

So kommen wir schließlich zu der Frage: Kann Literatur für die Revolution „nützlich“ sein? Auch wenn sie historisch gesehen auf diese Weise genutzt wurde, man erinnere sich an das Rote Buch von Mao bis hin zur Bibel, wäre es absurd zu denken, dass die Aktion des Schreibens und Lesens selbst für die Aktionen verantwortlich sein könnte, mit denen sie später gerechtfertigt wurden, denn das Schreiben ist ein rein reflexiver Akt, bei dem die Freiheit sowohl im Angesicht der Leere der leeren Seite erfahren wird, das uns von der Welt trennt, sie liegt in der Möglichkeit einer Beziehung zwischen unserer Existenz und der Materialität außerhalb von ihr, eine Beziehung, die umfassend, beschreibend oder irrational, klangvoll und sogar chaotisch sein kann.

Wir sind uns einig, dass es keine revolutionäre Aktion ohne revolutionäre Theorie geben kann, aber wir bekräftigen auch, dass das eine nicht auf Kosten des anderen gehen kann. Es ist genauso naiv, von Büchern zu verlangen, dass sie zu Revolten aufrufen, wie es naiv ist, von einem Sprengsatz zu verlangen, dass er uns etwas über Freiheit erzählt, wie poetisch wir ihn auch immer einbauen wollen.

WEDER LITERARISCHER ANARCHISMUS
NOCH UTILITARISTISCHE LITERATUR
FÜR DIE ZERSTÖRUNG JEGLICHER AUTORITÄT.


Text von expandiendo la revuelta, die Übersetzung ist von uns.

Einige Reflexionen rund um die anarchistische Edition und die demokratische Rekuperation.

Eröffenung der Bibliothek in Caza Zaragoza am 19. Juni 2021.

Von Expandiendo la Revuelta.

„Zweifellos wird man sagen, dass alle Werkzeuge auf unsere Freiheit abzielen, da sie die Instrumente einer möglichen Aktion sind und dass das Kunstwerk in dieser Hinsicht nicht spezifisch ist. Und es ist wahr, dass das Werkzeug der verdichtete Umriss einer Operation ist. Aber es bleibt auf der Ebene des hypothetischen Imperativs: Ich kann einen Hammer benutzen, um eine Kiste zu nageln oder um meinem Nachbarn den Kopf einzuschlagen. Für sich betrachtet ist ein Werkzeug keine Voraussetzung für meine Freiheit, es stellt mich nicht vor sie, sondern versucht, ihr zu dienen, indem es die freie Erfindung von Mitteln durch eine geordnete Abfolge von traditionellen Verhaltensweisen ersetzt.

Das Buch dient nicht meiner Freiheit: Es verlangt sie. In der Tat wäre es nicht möglich, sich der Freiheit als solcher durch Druck, Faszination oder Flehen zu nähern. Um sie zu erreichen, gibt es nur ein Verfahren: sie zunächst anzuerkennen und ihr dann zu vertrauen; kurz gesagt, von ihr einen Akt im Namen ihrer selbst zu verlangen, d. h. im Namen des Vertrauens, das man ihr entgegenbringt. Auf diese Weise ist das Buch nicht wie das Werkzeug ein Mittel mit einem bestimmten Ziel; das Buch schlägt die Freiheit des Lesers als sein Ziel vor“.

Die Eröffnung einer Bibliothek ist immer ein Ereignis, das uns mit Freude erfüllt, vor allem, wenn sie mit Verbindungen und Forderungen einhergeht, die auf eine kritische und antiautoritäre Sichtweise setzen.

In unserem Fall, als anarchistischer Verlag, glauben wir, dass es notwendig ist, durch die Veröffentlichung von Material und vor allem durch die Reflexion über das, was wir als eine Reihe von Debatten über den Zweck von Propaganda und ihre anarchistische Positionierung betrachten, einige Beiträge zu leisten.

Wenn wir kurz auf die umfangreiche anarchistische Geschichte in Buenos Aires zurückblicken, war die Veröffentlichung von Lesematerial eine der Säulen, von denen aus Treffen und gemeinsame Affinitäten projiziert wurden, in diesem Sinne die Veröffentlichung von Publikationen, von der ersten Großauflage „El perseguido“ im Jahr 1890, über „La Protesta“, die 1897 begann, oder „La antorcha“ im Jahr 1921, Sie hatten aber nicht nur die „Funktion“, eine Botschaft zu vermitteln oder ein „Ideal“ zu teilen, sondern informierten auch über Treffen und Aktivitäten, sammelten Spenden für die lokale Bevölkerung oder Gefangene und stellten Verbindungen zwischen den verschiedenen Publikationen und Räumen her. Auf diese Weise leisteten die anarchistischen Verlage, die keine zentrale Organisation oder irgendeine Art von Anführer hatten, einen Beitrag sowohl „innerhalb“ als auch „außerhalb“ der Bewegung, und obwohl es immer wieder Differenzen gab, können wir heute die Geschichtlichkeit, die Debatten und Spannungen genau aus diesen Archiven heraus nachvollziehen und sie so in der Gegenwart nutzbar machen.

Der 1961 gegründete Verlag Reconstruir hat es sich zur Aufgabe gemacht, eine Reihe von Netzwerken und Räumen wiederzubeleben, die zunächst durch die Diktatur der 1930er Jahre und dann durch den peronistischen Vormarsch unter Repression gelitten hatten, auf diese Weise funktionierte Reconstruit, sowohl um klassiche Texte zu retten, wie auch um gegenwärtige Debatte der Zeit vorzuschlagen, die von der kubanischen Revoltuion, über den Existenzialismus, bis hin zum Krieg im Vietnam gingen. Wir können auch die Arbeit von „La Protesta“ während dieser Jahrzehnte und ihre konstante Funktion der Aufrechterhaltung der anarchistischen Ideologie finden, sogar bis weit ins 21. Jahrhundert.

Diese Publikationen wurden jedoch während der letzten Militärdiktatur 1976 wieder eingestellt, und erst 1983 kam es zu einer neuen Welle von Ausgaben in Form verschiedener Anarkopunk-Fanzines und einiger Publikationen mit eher „gegenkulturellem“ Charakter, die die Bestrebungen der so genannten „neuen Linken“ unter einer gewissen anarchischen Ästhetik verbargen. An dieser Stelle wollen wir uns mit dem auseinandersetzen, was wir als eindeutige Absicht ansehen, anarchistische Ideen wiederzugewinnen, um auf verschiedene reformistische, akademische und sogar kommerzielle Absichten einzugehen.

Ganz allgemein können wir sagen, dass nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 und der Repression der verschiedenen lateinamerikanischen Diktaturen in den 70er und 80er Jahren, der marxistisch-leninistische Horizont die vermeintlich revolutionären Hoffnungen mit seinen großen Armeen fallen sah, so kann von einer neuen Linken gesprochen werden, von „neuen Wegen, Politik zu machen“, und jeder Versuch, einen bewaffneten Aufstand zu fördern, wurde teilweise zunichte gemacht, wie zum Beispiel die von der gesamten „nationalen Linken“ diktierte Ablehnung der Übernahme der La Tablada-Kaserne im Jahr 1989 zeigt.

So gewannen die anarchistische Praxis und die anarchistischen Ideen für einige redaktionelle Bereiche wieder an Bedeutung und fanden verschiedene Annehmlichkeiten, zum Beispiel die Tatsache, dass es sich um eine Geschichte handelte, die bereits fast hundert Jahre alt war, d.h. viele Gefährt*innen hatten nicht die Möglichkeit, auf diese Visionen zu reagieren, und das bedeutete offensichtlich eine „Freiheit“ für viele Intellektuelle, Akademiker und demokratische Schriftsteller, die in der anarchistischen Geschichte einen Raum sahen, den sie ohne Ressentiments ausnutzen konnten.

Auf diese Weise finden wir eine Reihe von Menschen und staatlichen Räumen, die eine Rekuperation unserer Erinnerung (A.d.Ü., im Sinne der Geschichte) von einer staatsbürgerlichen und linken, ja sogar nationalistischen Perspektive aus betreiben und sogar behaupten, dass wir Teil der „argentinischen Geschichte“ sind. Von Dora Barrancos über Martin Caparros bis hin zu Cedinci finden wir eine klare Linie, die einerseits der Verharmlosung anarchistischer Ideen und Praktiken und andererseits der Verfolgung akademischer Karrieren in den Händen des Staates, d.h. auf der Suche nach Macht, vorgeworfen wird.

Das ist jedoch nur ein Teilaspekt der Situation, denn wenn wir den Blick auf andere Bereiche öffnen, finden wir auch staatlich finanzierte Filme und Theaterstücke, die uns einen klaren Versuch erkennen lassen, den Anarchismus von seinem aufständischen Inhalt zu entleeren, so wie es zum Beispiel in den letzten Jahrzehnten mit der Geschichte der verschiedenen indigenen Völker geschehen ist. Aus der Perspektive des Progressivismus und der Linken wird so die völkermörderische Geschichte des argentinischen Staates reingewaschen und einige bestimmte Personen werden als Sündenböcke benutzt, sei es Julio Argentino Roca, Oberst Varela, Videla oder Menem, während die indigenen Völker unaufhörlich verfolgt und die anarchistischen Räume geräumt werden und von Repression getroffen werden.

Damit wollen wir uns nicht selbst zum Opfer machen, sondern lediglich auf einen repressiven Prozess hinweisen, der einerseits mit der Kommerzialisierung und Trivialisierung der Anarchie und andererseits mit Inhaftierung und Mord hinter verschlossenen Türen und meilenweit entfernt zu tun hat.

Das wird auch an dem Etikett der „Eingeschleusten“ deutlich, das uns der Kirchnerismus und die Linke während des Verschwindens von Santiago Maldonado aufgedrückt haben, d.h. einerseits wurde eine Maske der „Solidarität“ , der „Gerechtigkeit“ aufgesetzt, und gleichzeitig wurden die Ideen von Lechuga (A.d.Ü., ein Spitzname von Santiago Maldonado) unsichtbar gemacht und eine politische Kampagne in seinem Namen durchgeführt, die sogar so weit ging, dass versucht wurde, einen Film zu veröffentlichen, der glücklicherweise sowohl in Buenos Aires als auch in verschiedenen Teilen Argentiniens boykottiert wurde.

Um noch einmal auf das Verlagswesen und die Propaganda zurückzukommen: Wir glauben, dass es heute mehr denn je notwendig ist, sich zu positionieren, da wir nicht wollen, dass anarchistische Ideen zum Konsum werden oder nur ein weiterer Raum, in dem sich Intellektuelle von der Nationalbibliothek aus sich gegenseitig einen runterholen, obwohl diese sicherlich auch weiterhin von staatlichen Institutionen finanziert werden, heute sind wir viel mehr von der Notwendigkeit überzeugt, unseren Gedankengut aus der Konsequenz zwischen Mitteln und Zielen zu festigen, so finden wir Publikationen und Verlage wie „Anarquista“, „Gatx Negrx“ oder „L’anomia“, und in jüngster Vergangenheit die Veröffentlichungen von „Abrazando el Caos“ oder die „Anarquía“-Ausgaben, um nur einige Beispiele zu nennen.

Deshalb geht es uns nicht um die Veröffentlichung von Büchern als Selbstzweck, obwohl uns das Spaß macht und es zweifellos ein Aspekt ist, in dem wir uns auch wohlfühlen, sondern als Mittel zur Revolte, vor allem aber für die anarchistische Bewegung und Räume. Auch wenn wir unsere Reflexionen nicht von einem erleuchteten Standpunkt aus denken, sind wir der Meinung, dass die Mittel viel mehr über die Ziele aussagen als die Titel, denn Anarchie findet sich nicht in den Büros der Macht und auch nicht in den vermeintlich „guten Absichten“ der heutigen Linken, sondern im praktischen aufständischen und autonomen Einsatz derjenigen, die sich als solche bekräftigen und mit ihren Worten einen Schritt weiter in Richtung sozialer Krieg gehen.


1Ian Vine schrieb über Verbrechen und das Gesetz in Anarchy 59 & ‚Anarchism as a realist alternative‘ Anarchy 74

2Siehe den Brief von Godfrey Featherstone in Freedom vom 20. April 1968 und die Antworten von Stuart Christie, Adrian Derbyshire, James Duke, Ross Flett, Albert Meltzer und Martin Page in der folgenden Ausgabe.

3In Donald Rooums Bericht über den Fall Challenor „Ich habe ein Stück Ziegelstein verlegt“ in Anarchy 36

4In Jean-Pierre Schweitzers „Prolegomena to an Anarchist Philosophy: 3 – Politics“, Minus One Nr. 13, heißt es: „Der Kriminelle ist der (An)archist „par excellence““.

5Tony Topham (Institute for Workers Control) war keine Anarchistin und Anarchist; Geoffey Ostergaard schrieb über Workers‘ Control in Anarchy Nr. 2 und 80.

6Ich habe nichts von Jeff Robinson gesehen, das dies behauptet. Sein ‚A statement‘ (u.a. ‚Innere Freiheit ist in der modernen Welt sogar in einer Gefängniszelle möglich‘) Freedom 29. Juli 1967 brachte Albert Meltzer auf die Palme: ‚Die Spaltung besteht zwischen denen, die den Anarchismus als lebendige Kraft sehen, und denen, die ihn für einen aufregenden Namen halten, wenn sie über die Notwendigkeit von Kinderspielplätzen sprechen.‘ An Understatement“ Freedom 19. August 1967.

7Minus One („Individualist Anarchist Review“) siehe https://www.unionofegoists.com/journals/minus-one-1963/

8Internationaler Kongress der Anarchistinnen und Anarchisten in Carrara, 31. August bis 3. September 1968.

9A.d.Ü., Consejo Nacional de Investigaciones Científicas y Técnicas ist die unabhängige Hauptinstanz in Argentinien für das Fördern von Forschungen, für das Verleihen von Stipendien usw.

]]> ZWEI KUGELN GEGEN DIE AUTORITÄT – Das Attentat auf Lenin 1918 https://panopticon.blackblogs.org/2023/09/14/zwei-kugeln-gegen-die-autoritaet-das-attentat-auf-lenin-1918/ Thu, 14 Sep 2023 11:51:04 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5185 Continue reading ]]> Wir übersetzten diesen Text von expandiendo la revuelta, welches sie selbst übersetzten, weil es historisch und allgemein nicht nur interessant ist, sondern sich mit zwei Themen beschäftigt, die nach wie vor sehr marginal behandelt werden. Erstens das Attentat gegen Lenin, wofür nach wie vor die Anarchistin Fania (manchmal auch Fanni, oder Fanny) Kaplan verantwortlich gemacht wird und die Repression gegen alles was nicht-bolschewistisch war (Sozialrevolutionäre, Anarchistinnen und Anarchisten, usw.). Zum zweiten Thema gibt es zwar reichlich Literatur, ja sogar auf Deutsch, wird aber selten gelesen und zum ersteren, worum es hier eigentlich eher geht, gibt es so gut wie gar nichts.

Dieser Text befasst sich mit den Berichten und den Fakten zu den man noch zugriff hat und zeigt sämtliche Widersprüche in den Ermittlungen gegen Fania Kaplan, überhaupt alles rund um den Anschlag gegen Lenin, selbst. Auch wir kennen die Geschichte die in anarchistischen Kreisen kursiert, in der Fania auf Lenin schoss, weil er „die Revolution verraten habe“, so zumindest in Bezug auf Quellen die meinen sie habe dies im Verhör der Tschecka, kurz vor ihrer Erschießung gesagt haben. Wenn die Geschichte so stimmt, ist alles perfekt, Lenin verdiente mehr als nur zwei oder drei Schüsse, dieser Text aber geht der Sache mehr auf den Grund, und schon dafür, abgesehen von einigen Stellen die wir sehr problematisch finden, wie das Charakterisieren von Fania, erinnert etwas an die Charakterisierung von Marinus van der Lubbe, finden wir den Text wichtig, lesenswert und sollte, was auch bald hoffentlich passiert gedruckt und verbreitet werden.

Wir haben bis jetzt einige Texte übersetzt und veröffentlicht, gemeint ist die Kritik am Leninismus, wer sich also damit mehr befassen will, bitte sehr, weitere Texte werden folgen.

Soligruppe für Gefangene


ZWEI KUGELN GEGEN DIE AUTORITÄT

Das Attentat auf Lenin 1918

Am 30. August 1918 trat Fania Kaplan aus dem Schatten der Mikhelson-Rüstungsfabrik in Moskau und widmete dem Anführer der bolschewistischen Partei, Wladimir Lenin, zwei Schüsse.

Im folgenden Essay untersucht Semion Lyandres den Anschlag und das Repressionsverfahren, das dazu führte, dass Fania nur wenige Tage später als „Konterrevolutionärin“ erschossen wurde, eingehend. Gleichzeitig verknüpft er die verschiedenen juristischen Manöver (um nicht zu sagen Montagen), die die bolschewistische Partei durchführte, um das versuchte Attentat auf Lenin mit der Sozialistischen Revolutionären Partei in Verbindung zu bringen.

Die Entscheidung, diesen Text zum ersten Mal ins Spanische zu übersetzen und zu veröffentlichen, ist vor allem auf die Absicht zurückzuführen, einen Beitrag zur Geschichte der anarchistischen Bewegung zu leisten und einen der Scharniermomente der revolutionären Milieus des 20. Jahrhunderts zu vertiefen.

Es bleibt uns jedoch, ein paar kleine Klarstellungen vorzunehmen, angefangen bei der Tatsache, dass Lyandres in unseren Augen weder ein Anarchist noch ein Revolutionär ist, aber wir glauben, dass dies die Qualität seiner Recherchen und die Menge des Materials, das er für seinen Essay zusammengetragen hat, nicht beeinträchtigt. Andererseits ist es auch notwendig zu erwähnen, dass ein wichtiger Teil der Fußnoten nicht in diese Version aufgenommen wurde, weil wir einige Redundanzen gefunden haben, die aber leicht im Original „The 1918 Attempt on the Life of Lenin: A New Look at the Evidence“ zu finden sind.

Gleichzeitig halten wir es für notwendig, einige Überlegungen am Ende des Textes anzufügen, um unsere Positionen zu vertiefen und dieses kleine Pamphlet nicht auf eine unkritische Übersetzung zu reduzieren.

Dies ist auf bestimmte ideologische Perspektiven Lyandres zurückzuführen, aber vor allem, um uns die Möglichkeit zu geben, eine anarchische und antiakademische Position der Geschichte zu etablieren.

Schließlich möchten wir noch den vom „Circulo anárquico Villa española“ veröffentlichten Text mit dem Titel „Fania Kaplan, la anarquista que baleó a Lenin“ erwähnen, ohne den wir die Geschichte von Fania wahrscheinlich nicht gekannt hätten und der uns auch motiviert hat, uns mit der anarchistischen Erinnerung an die russische Revolution zu beschäftigen.

ZUM GEDENKEN AN DIE VOM BOLSCHEWISTISCHEN REGIME ERMORDETEN ANARCHISTINNEN UND ANARCHISTEN

WEDER DIKTATUR NOCH DEMOKRATIE

FÜR DIE ZERSTÖRUNG VON STAAT UND KAPITAL


Das Attentat auf Lenin 1918: Ein neuer Blick auf die Beweise

Semion Lyandres

Am Freitag, den 30. August 1918, wenige Tage nach der Ermordung des Vorsitzenden der Petrograder Tscheka, M.S. Uritskii, sollte Lenin um 18 Uhr vor der Kornbörse im Moskauer Stadtteil Basmannyi und später vor der Rüstungsfabrik Mikhelso, Sektion Serpukhovskii, sprechen. Die erste Rede verlief ohne Zwischenfälle; in der Mikhelson-Fabrik hielt er dieselbe fünfzehn- oder zwanzigminütige Rede wie in der Kornbörse, mit einem scharfen Angriff auf die Kräfte der Konterrevolution. An beiden Orten schloss er seine Rede mit den Worten: „Es gibt nur eine Möglichkeit: Sieg oder Tod!“1 Als Lenin auf dem Fabrikhof zu seinem Auto zurückkehrte, wurde er dreimal angeschossen und fiel mit Schusswunden in der linken Schulter und der linken Halsseite zu Boden; die dritte Kugel traf eine in der Nähe stehende Frau. Die Arbeiter, die ihn zu seinem Auto begleiteten, rannten weg und schrien: „Sie haben ihn getötet, sie haben ihn getötet!“ und der überfüllte Hof leerte sich schnell2.

Wenige Augenblicke später nahmen Milizionäre und Rotgardisten aus der Fabrik mehrere Verdächtige fest und übergaben sie der Tscheka. Unter ihnen befand sich eine junge Jüdin, Fania Kaplan, die von ihren Tscheka-Vernehmungsbeamten zunächst als hysterisch beschrieben wurde. Bald wurde sie zur Haupttäterin erklärt, obwohl sie keine Angaben zu dem Vorfall machen konnte. Um 22:40 Uhr gab Iakov M. Sverdlov, der Vorsitzende des Vserossiiskii Tsentral’nyi Ispolnitel’nyi Komitet, bekannt, dass ein Anschlag auf Lenin verübt worden war, und machte die Partei der Sozialrevolutionäre für den Anschlag verantwortlich. Das Zentralkomitee der Partei der Sozialrevolutionäre wies die Verantwortung für das Attentat von sich. Aber die Bolschewiki nutzten diese Gelegenheit, um ihre wichtigsten politischen Rivalen anzugreifen, indem sie verkündeten die Sozialrevolutionäre (A.d.Ü., also die Mitglieder der Partei der Sozialrevolutionäre) seien weder Sozialisten noch Revolutionäre. Ein paar Jahre später, während des Moskauer Schauprozesses von 1922, wurden die Sozialrevolutionäre formell angeklagt und wegen Mittäterschaft an diesem Attentat auf Lenin verurteilt. Auch Fania Kaplan, die als Attentäterin angeklagt war, wurde formell beschuldigt, im Namen des Zentralkomitees der Partei der Sozialrevolutionäre gehandelt zu haben.

Sowjetische Historiker folgen der offiziellen Version der Beteiligung der Sozialrevolutionäre an dem Attentat und gehen davon aus, dass die beschuldigte Attentäterin ein Mitglied dieser Partei war.3 Westliche Historiker haben weitgehend ähnliche Annahmen übernommen. Leonard Schapiro zum Beispiel weist die offiziellen Anschuldigungen gegen die Sozialrevolutionäre von 1922 zurück, akzeptiert aber die Vorstellung, dass Kaplan eine Sozialrevolutionäre war, die auf eigene Faust handelte, als Tatsache. Adam Ulam4 hingegen akzeptiert generell die sowjetische Version, nachdem er kurz Kaplans Parteizugehörigkeit und den Schuldbeweis der Bolschewiki in Frage gestellt hat. Der ausgewanderte sowjetische Historiker Boris Orlov5 schlägt vor, dass ein Mitglied der Partei der Sozialrevolutionäre, LV Konopleva, Lenin erschossen hat, zieht aber nicht alle Beweise in Betracht oder stellt die notwendigen Quellen in Frage.

Trotzdem ist die Verantwortung Kaplans für das Attentat nicht ganz offensichtlich. Außerdem deuten die Beweise darauf hin, dass Fania Kaplan keine Sozialrevolutionäre, sondern eher eine Anarchistin war. Die Behauptung der sowjetischen Behörden, dass Kaplan persönliche Verbindungen zu den Sozialrevolutionären hatte, beweist nicht, dass sie ein Mitglied der Partei war, und schon gar nicht, dass die Sozialrevolutionären hinter dem Attentat steckten. Im Allgemeinen haben sich die Historiker nicht kritisch genug mit den relevanten Dokumenten auseinandergesetzt, insbesondere mit den offiziellen Aufzeichnungen der Tscheka-Verhöre von Kaplan, die 1923 in der Zeitschrift Proletarskaia revoliutsiia veröffentlicht wurden.

Fania Kaplan und die Katorga

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, nach einem Jahrzehnt der relativen Ruhe, stand der Terrorismus im kaiserlichen Russland wieder auf der Tagesordnung. Mehrere revolutionäre Organisationen waren an diesen terroristischen Aktivitäten beteiligt, vor allem ein Teil der Organisation der Sozialrevolutionäre, die sogenannten Maximalisten (die Ende 1905 mit den Sozialrevolutionären brachen und ihre eigene Terrorkampagne mit besonders grausamen Hinrichtungen ihrer Opfer durchführten) und die Anarchisten, die während des Chaos von 1905-1907 ebenfalls immer gewalttätiger wurden.

Frauen spielten in diesen Organisationen eine herausragende Rolle und verübten zahlreiche terroristische Akte. Obwohl laut offiziellen Medien persönliche Motive oder emotionale Instabilität hinter ihren Taten stecken könnten, wurden Terroristinnen wie Mariia Spiridonova, Aleksandra Izmailovich, Fruma Frumkina und Dora Briliant zu lebenden revolutionären Legenden6, bevor sie ihre ideologischen Positionen überhaupt ausreichend definiert hatten7. Im August 1906 verhängte die Regierung wirksame Maßnahmen zur Bekämpfung des revolutionären Terrorismus, so dass fast alle angeklagten Terroristen verurteilt und in der Regel hingerichtet oder zu Zwangsarbeit (im Folgenden Katorga) verurteilt wurden. Die Katorga diente dazu, diese jungen, unerfahrenen Straftäter in das Lager der revolutionären Opposition aufzunehmen.

Feiga Khaimovna Roitman, später bekannt als Fania Kaplan, war typisch für ihre Generation von Radikalen. Sie wurde 18878 in einer jüdischen Familie in der ukrainischen Provinz Wolhynien geboren. Ihr Vater war Lehrer in der jüdischen Gemeinde und sie hatte vier Brüder und drei Schwestern. Sie wurde zu Hause unterrichtet und verließ bald darauf die Stadt, um in Odessa eine Hutmacherin zu werden. Spätestens 1906 nahm Feiga Roitman den Namen Kaplan an und schloss sich dem anarcho-syndikalistischen Flügel der anarchistischen Bewegung an. Mit einem unter ihrem neuen Namen ausgestellten Pass, aber unter Beibehaltung ihres Vornamens und Vatersnamens, Feiga Khaimovna Kaplan, kam sie Ende Dezember 1906 in Kiew an, einer Stadt außerhalb des Siedlungsgebiets9 , und plante zusammen mit zwei anderen jungen Anarchisten einen Terroranschlag auf den Generalgouverneur von Kiew. Sie und ihre beiden Gefährten mieteten Zimmer in der dritten Klasse des Hotels Kupecheskii im Zentrum von Podol, dem großen jüdischen Viertel von Kiew.

In der Nacht zum 22. Dezember gab es in Kaplans Zimmer eine gewaltige Explosion, die das Hotel erschütterte und einen Angestellten, der dort arbeitete, tödlich verletzte. Sofort versammelte sich eine große Menschenmenge. Als Kaplan aus dem Gebäude kam und die Menge sie fragte, was passiert sei, antwortete sie: „Ich habe es nicht getan…. Ich war es nicht… Lasst mich in Ruhe.“ Eine Kiewer Zeitung berichtete damals, dass diese Antwort Verdacht erregte und zu ihrer Verhaftung führte. Kaplans Komplizen konnten unverletzt entkommen, während sie durch Splitter im Bein, in der Hand und im Gesäß leicht verletzt wurde. In ihrem Zimmer wurde ein ungeladener Browning-Revolver gefunden. Obwohl sie zum Zeitpunkt der Explosion nicht im Zimmer war und die Ursache offenbar nicht kannte, weigerte sie sich auch, mögliche Komplizen zu nennen. Ihr Fall wurde zur Verhandlung an das örtliche Kriegsgericht übergeben. Sie wurde wegen bewaffneten Angriffs (vooruzhennoe napadenie) für den Tod des Dienstmädchens angeklagt und zum Tode verurteilt. Angesichts ihrer Jugend wurde das Urteil jedoch in eine lebenslange Haftstrafe in Katorga umgewandelt. „Sie verbrachte das Jahr nach dem Prozess in einem Odessaer Gefängnis mit mehreren anarchistischen Terroristen, die auf die Katorga warteten“10.

Nach dem Prozess kannte die revolutionäre Welt sie als Fania Kaplan, obwohl Anarchisten sie immer noch als Feiga Roitman bezeichneten. Wahrscheinlich hatte sie den Namen Kaplan 1906 nicht speziell für die Zwecke der revolutionären Verschwörung angenommen, sondern hatte ihren neuen Nachnamen möglicherweise durch die Heirat mit einem Mann namens Kaplan erworben, der das Recht hatte, Landesgrenzen überschreiten zu können11.

Ab Anfang 1907 wurden fast alle weiblichen Terroristen in das Maltsev-Gefängnis der Nerchinsk-Katorga in Ostsibirien geschickt. Kaplan war zwischen 1908 und dem Frühjahr 1912 in Maltsev, wo etwa sechzig Terroristinnen das Gefängnis durchliefen. Diese Frauen lebten in einer Gemeinschaft und teilten sich Essen, Bücher und Wohnraum. Mehr als die Hälfte gehörte der Partei der Sozialrevolutionäre an; der Rest verteilte sich fast zu gleichen Teilen auf Sozialdemokraten (jüdische, polnische und litauische Ableger) und anarchistische Kommunisten. Die große Mehrheit war Ende zwanzig und Anfang dreißig. Doch trotz ihrer unterschiedlichen politischen Zugehörigkeit stritten die Gefangenen nicht über Parteidoktrinen; sie waren sich in ihrem Ziel, das gegenwärtige Regime zu stürzen, einig.

„Ich betrachtete mich als Sozialist, ohne einer bestimmten Partei anzugehören“, erklärte Kaplan viele Jahre später. Da politische Gefangene im zaristischen Russland von allen Arbeitspflichten befreit waren, war das Gefängnis in der Regel ihre einzige Möglichkeit, intensiv zu lernen. Einer der Gefangenen nannte das Maltsev-Gefängnis „unsere freie Universität [vol’nyi]“.

Trotz der relativ milden Bedingungen in Maltsev hatte der krasse Gegensatz zwischen dem Leben der Gefangenen als aktive Terroristinnen und ihrer plötzlichen Einweisung in jahrelange Untätigkeit eine tiefgreifende und oft traumatische Wirkung auf ihre psychische Stabilität. Mehrere dieser Frauen litten an chronischen Krankheiten, darunter auch psychische Erkrankungen verschiedener Art.

Der tragischste Fall war nach Aussage einiger ehemaliger Gefangener der von Fania Kaplan. Als sie im Gefängnis ankam, wirkte sie auf ihre Mitgefangenen gesund und gut gelaunt. Umso überraschender war es, als sie tagelang unter starken Kopfschmerzen litt und dabei ihr Augenlicht verlor. Im Sommer 1909 erblindete sie vollständig12 und unternahm mindestens einen Selbstmordversuch, der jedoch von ihren Freundinnen verhindert wurde, die sie fortan nicht mehr allein ließen, bis sie sich an ihre Blindheit gewöhnt hatte. Schritt für Schritt, gewann Kaplan ihre Unabhängigkeit zurück, lernte mit Hilfe des Braille-Alphabets lesen und kümmerte sich ohne Hilfe um ihre persönlichen Bedürfnisse.

Im Frühjahr 1912 wurde die völlig erblindete Kaplan in das nahe gelegene Akatui-Gefängnis verlegt, wo sie die anderen Gefangenen kennenlernte, indem sie deren Gesichter berührte. Einer der Gefangenen erinnerte sich an sie als „eine schöne junge Frau mit blinden Augen“. Da ihre Pupillen jedoch auf Licht reagierten, drängte ein mitfühlender Arzt ihre Gefängnisfreunde, die Behörden um die Erlaubnis zu bitten, Kaplan für eine spezielle elektrische Behandlung in das Gefängniskrankenhaus von Chita zu verlegen. Im August 1912 wurde sie auf besonderen Befehl des Militärgouverneurs der Region Sabajal in das Krankenhaus in Tschita verlegt und später, im Jahr 1913, zur weiteren Behandlung in das Gefängniskrankenhaus in Irkutsk. In einem Bericht heißt es, dass sich sein Sehvermögen nach der Behandlung offenbar etwas verbessert hatte, da sie sich nicht mehr in der „völligen Dunkelheit befand, in der sie jahrelang gelebt hatte“. Nach ihrem Krankenhausaufenthalt kehrte Kaplan nach Akatui zurück, wo sie bis zu ihrer endgültigen Entlassung im Jahr 1917 blieb. Sie und die anderen politischen Gefangenen gingen nach Tschita, wo sie blieben, bis ein Transport für ihre Rückkehr ins europäische Russland organisiert werden konnte.

Diese Gruppe von Frauen war sich während ihrer Haft sehr nahe gekommen und als die Nachricht von der Generalamnestie eintraf, weigerten sie sich, Akatui zu verlassen, bis zwei ihrer Freundinnen, die als „gewöhnliche“ Kriminelle inhaftiert waren, ebenfalls freigelassen wurden. So tendierten die Frauen dazu, die enge Verbindung, die sie im Gefängnis geknüpft hatten, aufrechtzuerhalten, und im April 1917 fuhr Kaplan mit ihrer engen Freundin, der ehemaligen Terroristin Anna Pigit, nach Moskau. Sie blieb einen Monat lang in Pigits Moskauer Wohnung und begab sich dann zur medizinischen Behandlung in ein Sanatorium für ehemalige politische Gefangene auf der Krim. Zwei Monate später reiste Kaplan zur weiteren Behandlung nach Charkow und war immer noch im Krankenhaus, als die Nachricht vom Oktoberaufstand eintraf. Offensichtlich nahm sie das Ereignis mit wenig Begeisterung auf und reiste bald nach Simferopol, wo Vertreter der sozialistischen Parteien Ende November 1917 eine nicht-bolschewistische Regierung bildeten.

Man bot ihr eine hochbezahlte Stelle in der Stadtverwaltung an, wo sie offenbar mit Faina Stavskaia, ebenfalls eine ehemalige Anarchistin, zusammenarbeitete. Als Zeugin der Anklage während des spektakulären Prozesses gegen die Moskauer Partei der Sozialrevolutionäre im Jahr 1922 behauptete Stavskaia, „lange Zeit Kaplans Freundin gewesen zu sein“.

Im Januar 1918 übernahmen die Bolschewiki die Macht in Simferopol und lösten einen Monat später alle bestehenden Regierungsorgane auf, wodurch Kaplan offenbar ihr Amt verlor. Zu dieser Zeit begann sie über den Einsatz von Terrorismus gegen die bolschewistischen Führer nachzudenken. Sie beschloss, nach Moskau zu gehen, wo viele ihrer ehemaligen Mitgefangenen lebten, und erzählte Stavskaia möglicherweise von ihren Plänen, dort politischen Terror auszuüben. Ende Februar oder Anfang März kam Kaplan in Moskau an und wohnte wieder in Pigits Wohnung, unternahm aber keine ernsthaften Anstrengungen, eine Arbeit zu finden. Sie sah viele ihrer Freundinnen aus dem Gefängnis wieder, darunter auch A. Bitsenko, die jetzt Mitglied des Zentralkomitees der Linken Sozialrevolutionäre und Abgeordnete der VTSIK war. Aus einer Quelle geht hervor, dass sie sogar den Kreml besuchte, obwohl die Umstände und Motive unbekannt sind. Ihre Aktivitäten lassen sich von diesem Zeitpunkt an bis Anfang September 1918, als die Zeitungen ihre Hinrichtung ankündigten, nicht mehr nachvollziehen.

30. AUGUST 1918

Am Tag des Attentats war Lenin gegen 20:00 Uhr bereit, zu seinem Auto zurückzukehren, während Kaplan unmittelbar nach ihrer Ankunft, ebenfalls gegen 20:00 Uhr, am Fabrikeingang angehalten wurde. Wahrscheinlich war sie nicht in der Fabrik, bevor Lenin erschossen wurde. Die Aufzeichnungen ihrer Verhöre enthalten keine Details über ihre Handlungen ab dem Zeitpunkt, an dem sie in der Fabrik erschien, bis zu ihrer Verhaftung, obwohl ein Verhörbeamter solche Informationen normalerweise als Teil einer gründlichen Untersuchung eines so großen Verbrechens aufnehmen würde. Lenins Chauffeur, S.K. Gil, und der bolschewistische Sekretär des Fabrikkomitees, N.Ia. Iwanow, machten unterschiedliche Angaben zu ihren Aktivitäten in dieser Fabrik. Beide sagten aus, dass sie Kaplan in der Fabrik gesehen haben, bevor sie verhaftet wurde. Ihre Aussagen widersprechen sich jedoch in vielen Punkten und sind auch in sich nicht schlüssig. Beide haben mehrmals ausgesagt, und Informationen aus ihren anfänglichen Aussagen werden durch spätere Aussagen widerlegt. Iwanow beschrieb zwei verschiedene Frauen, als er über die „zukünftige Angreiferin des Genossen Lenin“ aussagte.

Unmittelbar nach dem Vorfall gab er an, dass er Kaplan vor Lenins Ankunft dabei beobachtet hatte, wie sie sich eine Auslage mit Zeitungen und Büchern in der Fabrik ansah. Aber als er einige Tage später, nach der Hinrichtung, aussagte, verwechselte er seine Handlungen mit denen von MG Popowa, der einzigen Unbeteiligten, die bei dem Vorfall verletzt wurde.

Popova war eine Ladenbesitzerin aus dem nahe gelegenen Petropavlovskaia-Krankenhaus, die unter dem Verdacht, Kaplans Komplizin zu sein, verhaftet und inhaftiert wurde. Sie wurde von Tscheka VE-Ermittler Kingisepp verhört und dann freigelassen. Iwanow hat Kaplan wahrscheinlich gar nicht gesehen, bevor sie in Tscheka-Gewahrsam genommen wurde. Ihre Zuverlässigkeit als Zeugin wird außerdem durch ihre Beschreibung von Kaplans angeblichen Komplizen untergraben. Zunächst behauptete sie, dass zu ihnen Popova und ein sechzehnjähriger Gymnasiast gehörten, den keiner der anderen Zeugen erwähnte. In seiner zweiten Aussage, die in der Proletarskaia revoliutsiia veröffentlicht wurde, und in einer dritten Version, die am fünften Jahrestag des Bombenanschlags in den Zeitungen erschien, war der Schüler durch einen Matrosen ersetzt worden, während Popova überhaupt nicht erwähnt wurde. Gils Aussage, die von den sowjetischen Behörden als „einziger echter Zeuge“ anerkannt wurde, deutet auch darauf hin, dass er Kaplan vor seiner Verhaftung nicht wirklich gesehen hat, weil er Kaplan ebenfalls mit Popowa verwechselt hat. Außerdem bezog er in seine Aussage die Handlungen einer dritten Frau ein, einer Verwandten von Popowa, die zufällig ebenfalls in der Fabrik anwesend war.

Die veröffentlichten Beweise legen nahe, dass niemand gesehen hat, wie Kaplan auf Lenin geschossen hat. In seiner ersten Aussage gab Gil an, dass er die Person, die geschossen hat, nicht gesehen hat, aber nach dem ersten der drei Schüsse sah er die ausgestreckte Hand einer Frau, die eine Pistole hielt. Erst in seiner späteren Aussage behauptete er, „die Frau deutlich gesehen und sie verfolgt zu haben, bevor er mit dem verwundeten Lenin zurückkehrte“. Gil, dessen Aussage die einzige ist, die über den tatsächlichen Moment der Schießerei spricht, konnte die Angreiferin wahrscheinlich nicht einmal sehen. Iwanow und ein weiterer Fabrikarbeiter, AM Kozhukhov, sagten aus, dass Gil, als Lenin die Fabrik verließ, „bereits hinter dem Steuer des Autos saß und den Motor angelassen hatte“. Die beiden Arbeiter behaupteten auch, dass Gil „erst nach dem ersten Schuss aus dem Auto gesprungen“ sei und dass es „in der Menge, vor allem in der völligen Dunkelheit des Hofes, unmöglich war, festzustellen, wer geschossen hat, wer ein solches Verbrechen begangen haben könnte“.

Zwei Männer, der stellvertretende Kommissar S.N. Batulin und Iwanow, behaupteten unabhängig voneinander, Kaplan ergriffen und verhaftet zu haben. Ihre Aussagen stehen in direktem Widerspruch zueinander, und keiner von ihnen konnte sich bei der Verhaftung von Kaplan auf handfeste oder materielle Beweise stützen. Ivanov sagte aus, dass er Kaplan auf der Straße einige Blocks von der Fabrik entfernt festnahm und sie mit Hilfe von Kindern, die ihr nach der Schießerei nachgelaufen waren, identifizierte. Er hatte keine Beweise dafür, dass sie die Tat begangen hatte, abgesehen von der angeblichen Antwort auf ihre Frage bei der Verhaftung: „Warum hast du auf unseren großen Anführer geschossen?“ „Ich habe es als revolutionärer Sozialistin getan“. Diese Antwort, die nur von Iwanow selbst bezeugt wurde, erschien erstmals 1922 während des Moskauer Prozesses in der Rabochaia Moskva. In seinem neueren Bericht über die Ereignisse, der 1969 veröffentlicht wurde, behauptet Iwanow jedoch, dass er sich zum Zeitpunkt der Schießerei im Gebäude befand und an einem Tisch saß, an dem er Rekruten der Roten Armee anmeldete.

Batulin, der stellvertretende Kommissar der in der Nähe der Fabrik stationierten Division der Roten Armee, lieferte eine zweite Version von Kaplans Verhaftung. Zumindest scheint Batulin am Tatort des versuchten Mordes gewesen zu sein13. Seine Aussage deutet jedoch nicht nur darauf hin, dass er Kaplan ohne jeglichen Beweis für ihre Schuld verhaftet hat, sondern auch, dass Kaplan nach seiner eigenen Beschreibung des Ereignisses nicht von dort aus auf Lenin geschossen haben kann, wo er sie stehen sah. Alle Beweise deuten darauf hin, dass Lenin aus nächster Nähe erschossen wurde, aus einer Entfernung von nicht mehr als drei oder vier Schritten, entweder von der Seite oder von hinten. Batulin sagte, dass er fünfzehn oder zwanzig Schritte hinter Lenin stand, als die Schüsse fielen, und dass er den Angreifer zu diesem Zeitpunkt nicht gesehen hat. Dann blickte er zurück und sah Kaplan hinter sich, eine „seltsam aussehende Frau“, die offenbar allein geblieben war, als die verängstigte Menge den Hof leerte. Als er sie fragte: „Was tust du hier?“ antwortete sie mit denselben Worten, die sie zwölf Jahre zuvor nach der Hotelexplosion benutzt hatte: „Eto sdelala ne ia“ (Ich habe es nicht getan).

Batulin erklärte später, dass es ganz natürlich war, dass er etwas an ihr vermutete, da sie so seltsam wirkte und die einzige war, die er ansprechen und festnehmen konnte, die einzige, die nicht vom Tatort geflohen war. Batulin durchsuchte sie und fand zwar nichts Verdächtiges, beschlagnahmte aber die Aktentasche, die die mutmaßliche Täterin in einer Hand hielt, und den Regenschirm, den sie in der anderen hielt. Dann forderte er sie auf, ihm zu folgen, ohne sie zu fragen, wie sie mit beiden Händen eine Waffe hätte halten und abfeuern können. Auf dem Weg zum Tscheka-Bezirk fragte Batulin, der in ihr die Person erkannte, die ein Attentat auf Genosse Lenin verübt hatte: „Warum hast du auf Genosse Lenin geschossen?“ Sie antwortete etwas seltsam: „Warum musst du das wissen?“ Diese Worte überzeugten Batulin schließlich davon, dass er die richtige Person verhaftet hatte. Trotz seiner Gewissheit wäre Kaplan, selbst wenn sie nahe genug an Lenin dran gewesen wäre und beide Hände frei gehabt hätte, um eine Waffe zu halten, nicht die Person gewesen, die geschossen hätte, vor allem, weil sie blind war. D.D. Donskoi beschrieb später ihr Aussehen bei einer kurzen Begegnung im Frühjahr 1918: „Eine recht hübsche Frau, aber zweifellos geisteskrank und außerdem mit verschiedenen Gebrechen: taub, halbblind, in einem Zustand der Begeisterung, als wäre sie ein heiliger Idiot.“

Im Tscheka-Bezirk, wo sie das erste Mal verhört wurde, wurde Kaplan erneut gefragt, ob sie auf Lenin geschossen habe. Ihre Reaktion war bezeichnenderweise ungewöhnlich: Sie sprang plötzlich von ihrem Sitz auf dem Sofa auf und rief: „Ich habe auf Lenin geschossen!“ Sie weigerte sich jedoch, mehr zu sagen und unterschrieb das Protokoll ihres Verhörs nicht. „Unmittelbar nach ihrem ersten Verhör in den Räumen der Tscheka wurde sie in die Lubjanka gebracht, wo sich Regierungsbeamte versammelt hatten, um sie zu verhören: Ia. M. Sverdlov, der Vorsitzende des VTSIK, Dmitrii I. Kurskii, der Volkskommissar für Justiz, und Ia. Kh. Peters, stellvertretender Leiter der Tscheka und Beauftragter für die Ermittlungen. Laut Peters weigerte sich Kaplan, Auskunft über ihre Identität, ihre Komplizen, eine mögliche Beziehung zu Boris Sawinkow – einem berühmten sozialrevolutionären Terroristen – oder woher sie die Waffe erhalten hatten, zu geben.

Die Waffe, mit der Lenin erschossen wurde, wurde weder in Kaplans Besitz noch am Tatort in der Nacht der Erschießung gefunden. Laut Gils Aussage „hat die Frau, die Lenin erschossen hat, ihm die Waffe vor die Füße geworfen und er hat nicht gesehen, dass jemand sie aufgehoben hat“. Andererseits sagte ein Mann, der den verwundeten Lenin zum Kreml begleitete und offenbar sein Wachmann war, gegenüber Gil aus, „dass er die Waffe gesehen und sie unter Lenins Auto geschoben hatte“. Zwei prominente Tschekisten, V E. Kingisepp und Ia. M. Lurovskii, gingen am 31. August in die Fabrik, um nach Beweisen und Zeugen zu suchen, aber ohne Erfolg. Am 1. September appellierte die Tscheka an die Öffentlichkeit, die Pistole zu übergeben. In Kaplans Vernehmungsprotokollen und anderen relevanten Materialien wird die Pistole nie erwähnt und wurde im Laufe der Verhöre auch nicht als Beweismittel vorgelegt.

Am 3. September berichtete Izvestiia schließlich, dass „ein Fabrikarbeiter von Mikhelson (es wurde kein Name oder eine Aussage genannt) der Tscheka einen Revolver gebracht hatte, der Kaplan gewaltsam abgenommen worden war“. Selbst dann konnte die Tscheka nicht feststellen, dass diese Pistole dasselbe Kaliber hatte wie die Waffe, die bei dem Überfall verwendet wurde, da die am 30. August abgefeuerten Kugeln noch in Lenins Körper steckten14. Diese Information machte für Kaplan jedoch keinen Unterschied. Die offizielle Untersuchung wurde am 2. September abgeschlossen und wenn Kaplan zu diesem Zeitpunkt noch lebte, wurde sie im Kreml festgehalten und sollte hingerichtet werden.15

Lenins Aussage wurde bei den Ermittlungen nicht berücksichtigt, obwohl er die einzige Person gewesen zu sein scheint, die den Angreifer gesehen haben könnte. Ein Bericht über Lenins Verletzung wurde erstmals 1923 von zwei Ärzten veröffentlicht, die ihn damals behandelt hatten, V.A. Obukh und B.S. Veisbrod. Sie behaupteten, dass Lenin von der Kugel, die ihn in den Nacken traf, nicht getötet wurde, weil er im Moment des Schusses seinen Kopf schnell gedreht hatte. „Möglicherweise hat er den Angreifer gesehen, bevor er sich umdrehte.“ Nachdem er angeschossen worden war, verlor Lenin nicht das Bewusstsein und versuchte, die in Panik geratenen Menschen um ihn herum zu beruhigen und zu kontrollieren: „Genossen, beruhigt euch! Es ist nicht wichtig! Behaltet die Ordnung bei.“ Lenins erste Frage an Gil lautete: „Haben sie ihn erwischt oder nicht?“ Gil kommentierte Lenins Verwendung des männlichen Pronomens viele Jahre später zum ersten Mal in gedruckter Form, als er sagte: „Er dachte wahrscheinlich, er sei von einem Mann erschossen worden.“

In den ersten Tagen nach seiner Ermordung wollte Lenin unbedingt wissen, wer es getan hatte, aber die Identität der weiblichen Verdächtigen, die sich in Haft befand, wurde ihm vorenthalten. Da er von seinen bolschewistischen Mitstreitern keine Antworten bekam, befragte er wiederholt seine Ärzte, aber ohne Erfolg. Lenins hartnäckiger Wunsch, herauszufinden, wer auf ihn geschossen hatte, und das Versagen der Tscheka, einen geeigneten Verdächtigen zu finden, waren vielleicht die Faktoren, die die Anführer der Tscheka und den Staatschef Swerdlow dazu veranlassten, die Ermittlungen während der Unfähigkeit des bolschewistischen Anführers zu beschleunigen und sie vor seiner Rückkehr an die Macht abzuschließen. Auch auf der Sitzung des VTSIK am 2. September wurden die Mitglieder nicht über den aktuellen Stand der Ermittlungen oder die Identität des Verdächtigen informiert. Einer Quelle zufolge wurde Kaplan vor dieser Sitzung heimlich von der Lubjanka in einen Raum im Keller unter Swerdows Kremlwohnung verlegt. Die Verlegung wurde „vom Kremlkommandanten PD Mal’kov auf Swerdlowsk’s Befehl durchgeführt“.

Die meisten Quellen deuten darauf hin, dass Kaplan am 3. September, einen Tag nach ihrer Verlegung in den Kreml, hingerichtet wurde. Ihr Name erscheint auf der Liste der „Konterrevolutionäre“, die im Zusammenhang mit dem versuchten Attentat auf Lenin und dem Mord an Uritskii hingerichtet wurden. 1958 enthüllte Mal’kov in seinem Zapiski (geschrieben mit Hilfe von Sverdlovs Sohn), dass er Kaplan am 3. September auf Sverdlovs Befehl im Kreml-Hof erschossen hatte. Sverdlovs direkter Befehl an Mal’kov, Kaplan zu erschießen (im Gegensatz zu dem ursprünglichen Bericht, dass der Befehl von der Tscheka erteilt und ausgeführt wurde), deutet darauf hin, dass Sverdlov ein besonderes Interesse daran gehabt haben könnte, sicherzustellen, dass Kaplan hingerichtet wurde. Als Mal’kov Sverdlov fragte, wo Kaplans Leiche begraben werden sollte, antwortete der Sekretär: „Wir werden Kaplan nicht begraben. Die Überreste müssen spurlos vernichtet werden“.

Die zahlreichen Ungereimtheiten zwischen diesem Bericht und den offiziellen Berichten über Kaplans Hinrichtung sowie die Überarbeitungen in späteren Ausgaben von Mal’kovs Memoiren verwirren unser Verständnis des Datums und der Umstände von Kaplans Tod zusätzlich. Jahrzehntelang ging das Gerücht um, dass Kaplan am Leben und inhaftiert war. Zahlreiche Zeugen behaupteten, sie nach 1918 in verschiedenen sibirischen Arbeitslagern oder Gefangenentransporten gesehen zu haben oder Bücher aus ihrer Hand in der Butyrki-Gefängnisbibliothek erhalten zu haben, wo sie angeblich als Bibliothekarin eingesetzt war.

Fania und die Partei der Sozialrevolutionäre

Es gibt keine wirklichen Beweise für die Behauptung, Kaplan sei Mitglied der Partei der Sozialrevolutionäre gewesen. Die Behauptung, dass es eine Verbindung zwischen Kaplan und den Sozialrevolutionären gab, geht auf eine Meldung des VTSIK in der Nacht des Anschlags zurück, in der behauptet wurde, dass die Sozialrevolutionäre die Drahtzieher eines Komplotts gegen die bolschewistische Führung seien. Am nächsten Tag berichtete die Prawda offiziell, dass die Tscheka die Frau, die am Vortag auf Lenin geschossen hatte, noch nicht identifizieren konnte, dass aber ihre Verbindung zur Partei der Sozialrevolutionäre und der von der Partei der Sozialrevolutionäre geführten Regierung in Samara bereits feststand. Diese angebliche Verbindung war für die Bolschewiki ein ausreichender Vorwand, um ihre wichtigsten politischen Rivalen zu vernichten. In der offiziellen Verlautbarung hieß es, dass die Tscheka nach dem Bombenanschlag Massenverhaftungen gegen die Sozialrevolutionäre vornahm, weil „diese Partei bei der Ermordung von Uritskii und dem Anschlag auf Lenin eine Rolle gespielt hatte“. Diese Verhaftungen waren eindeutig vor den Terroranschlägen vorbereitet worden.

Kaplans Vernehmungsprotokolle legen nahe, dass die Tscheka sehr wohl wusste, dass die Sozialrevolutionäre nicht hinter dem Bombenanschlag steckten. Auf der Suche nach dem Motiv für Kaplans Aktion versuchte die Tscheka herauszufinden, ob er aus persönlichem Rachegefühl gehandelt oder einen vorsätzlichen politischen Terrorakt gegen die Bolschewiki verübt hatte. Bei den Verhören wurde sie gefragt, ob einer ihrer Freunde von der Tscheka verhaftet oder hingerichtet worden war – eine Befragung, die im Falle eines durch politische Rivalität motivierten Attentats wahrscheinlich unnötig gewesen wäre. Kaplan, von der nur bekannt war, dass sie zu den Anarchistinnen und Anarchisten gehörte, leugnete wiederholt jede Verbindung zu einer Organisation oder Person, auch zu der Partei der Sozialrevolutionäre. Das Zentralkomitee der Partei der Sozialrevolutionäre bestritt seinerseits jede Beteiligung an dem Attentat auf Lenin. Selbst das Foto von Kaplan in den Archiven der Sozialrevolutionäre, das die Tscheka in ihrer Anklageschrift von 1922 verwendete, war lediglich ein Stück aus einem Archiv, das der Parteisekretär S.W. Morosow 1919, lange nach Kaplans Tod, zusammengestellt hatte. Morozov leugnete, Kaplan jemals getroffen zu haben. Die offiziellen Versuche, Kaplan mit der Partei in Verbindung zu bringen, wurden jedoch fortgesetzt. So wurde Fania mehrfach mit der Gruppe von Victor Chernov und Savinkov in Verbindung gebracht, obwohl letzterer die Partei im September 1917 verlassen hatte.

Parteimitglieder im Exil bestritten ebenfalls, dass Kaplan eine Sozialrevolutionäre war, ebenso wie Mitglieder des Zentralkomitees der Partei während des Moskauer Prozesses von 1922. In diesem Prozess wurden die Mitglieder des Zentralkomitees der Partei der Sozialrevolutionäre unter anderem beschuldigt, am Attentat auf Lenin im Jahr 1918 beteiligt gewesen zu sein und andere „Verbrechen gegen den Sowjetstaat“ begangen zu haben. Alle Beweise für diese Mittäterschaft stammten vom Hörensagen und basierten ausschließlich auf den Aussagen von Provokateuren, die während des Prozesses sowohl Angeklagte als auch Zeugen waren. Diese Provokateure waren ehemalige Mitglieder der extremsten linken revolutionär-sozialistischen Gruppen: Narod und die sogenannte Menshinstvo PSR. Sowohl die angeklagten Mitglieder des Zentralkomitees als auch ihr Hauptverteidiger, der belgische Sozialist Emil Vandervelde, bezeichneten die Mordvorwürfe als Erfindungen der Polizei. Während des Prozesses sagte der Provokateur I.S. Dashevskii aus, dass er Kaplan seit Mai 1918 kannte, als sie in der Moskauer Filiale des Zentralkomitees der Partei der Sozialrevolutionäre arbeitete. Diese Aussage löste ein sofortiges und wütendes Dementi der angeklagten Vertreter der Moskauer Gruppe aus, insbesondere von E.M. Ratner, der zu dieser Zeit Kassierer der Partei war und für die Ressourcen, einschließlich der Einziehung der Mitgliedsbeiträge, zuständig war. Morozov und E.M. Timofeev, die ebenfalls gut über die Mitgliedschaft informiert waren, bestritten vehement jede Verbindung oder Zugehörigkeit zu Kaplan.

Trotz der Proteste wurde Kaplans Zugehörigkeit zur Partei der Sozialrevolutionäre während des Schauprozesses 1922 als erwiesene Tatsache akzeptiert. Die Staatsanwaltschaft musste daher nur noch nachweisen, dass es persönliche Verbindungen zwischen Kaplan und dem Zentralkomitee der Partei der Sozialrevolutionäre gab. Diese Verbindung wurde im Prozess von zwei Zeugen der Anklage, G.I. Semenov und Faina Stavskaia, hergestellt. Letztere war eigens für den Prozess aus Simferopol nach Moskau gebracht worden und wurde in der Verhandlung als alte Freundin Kaplans aus der sibirischen Katorga vorgestellt, wo Stavskaia in Wirklichkeit nie inhaftiert gewesen war. Semenov sagte aus, dass ein Treffen zwischen Kaplan und dem Angeklagten D.D. Donskoi, einem Mitglied des Zentralkomitees, kurz vor der Erschießung im August 1918 stattfand. Semenov behauptete, dass bei diesem Treffen das Thema eines terroristischen Akts gegen Lenin zur Sprache kam. Ihre Aussage passte perfekt zur Geschichte der Staatsanwaltschaft über die Beteiligung Sozialrevolutionärer an dem Bombenanschlag und lieferte dem Staatsanwalt Nikolai Krylenko alles, was er brauchte, um das Zentralkomitee der Partei der Sozialrevolutionäre des Attentats zu überführen. Obwohl Donskoi bestätigte, dass sich mit Kaplan getroffen zu haben, sagte er nie, dass Semenov bei dem Treffen anwesend war. Es gibt Hinweise darauf, dass das Treffen kurz nach Kaplans Rückkehr aus Simferopol nach Moskau stattfand. Nach dem Prozess vertraute Donskoi einem Parteikollegen an, dass Kaplan nie Mitglied der Partei der Sozialrevolutionäre gewesen sei, dass sie nie mit einem ihrer Mitglieder zu tun gehabt habe, weder in der Katorga noch später, und dass sie niemand außer einigen ehemaligen weiblichen Gefangenen von Akatui und Maltsev kenne. Bei dem Treffen waren keine ehemaligen weiblichen Gefangenen von Akatui und Maltsev anwesend.16

Keiner von Kaplans ehemaligen Mitgefangenen sagte beim Moskauer Prozess 1922 aus. Stattdessen wurden die Informationen über sie von den Zeugen der Anklage geliefert, die mit Ausnahme von Stavskaia alle ehemalige Mitglieder der Partei der Sozialrevolutionäre waren. Stavskaia wurde im Prozess jedoch als ehemalige Sozialrevolutionäre dargestellt, obwohl ihre einzige bekannte politische Zugehörigkeit vor dem Prozess die der Anarchistinnen und Anarchisten war. Mit Ausnahme von Stavskaia kannte keiner der Zeugen Kaplan; sie unterscheiden sich in ihren Beschreibungen ihres Aussehens und ihrer vorbereitenden Aktivitäten für das Attentat auf Lenin. Sie schreiben ihr Taten zu, die sie nie begangen hat und möglicherweise auch nicht begehen konnte, sowie Gewohnheiten, die sie nie hatte. Semenov befand, dass Kaplan (die, wie wir uns erinnern müssen, taub, chronisch nervös und halbblind war) die „beste Täterin“ für die Erschießung Lenins war, sie gab ihr das Aussehen eines „echten revolutionären Terroristen“. Auch andere Zeugen der Anklage, wie L.V. Konopleva, P.N. Pelevin, F.V. Zubkov und F.F. Fedorov-Kozlov, erwähnten nicht ihre auffälligen körperlichen Probleme, die 1918 sogar für ihre Tscheka-Vernehmer offensichtlich waren. Den Prozessprotokollen zufolge war sie eine kaltblütige und geschickte, erfahrene Terroristin des vorrevolutionären sozialrevolutionären Typs und eine Maximalistin, etwas, zu dem sie nie die Gelegenheit hatte, falls es ein solches Potenzial wirklich gab.

Die Verwirrung unter den Historikern über die Stichhaltigkeit der Anschuldigungen gegen Kaplan und ihre politische Zugehörigkeit ist offenbar darauf zurückzuführen, dass 1923 in der Proletarskaia revoliutsiia die Aufzeichnungen ihres Verhörs unmittelbar nach ihrer Verhaftung veröffentlicht wurden. Trotz ihrer offensichtlichen Selektivität und Unschlüssigkeit diente diese Publikation Generationen von Historikern, die sich mit diesem Anschlag auf Lenins Leben befasst haben, als primäre und fast ausschließliche Beweisquelle für den Fall. Die veröffentlichten Protokolle des Moskauer Prozesses von 1922 zeigen, dass die Staatsanwaltschaft und ihre „Zeugen“ ausgiebig Gebrauch von den damals unveröffentlichten Protokollen der Verhöre von 1918 machten. Diese ursprünglichen Vernehmungsprotokolle von 1918 wurden offensichtlich speziell für den Prozess von 1922 und ihre anschließende Veröffentlichung in der Proletarskaia revoliutsiia bearbeitet, da sie Details enthielten, die 1918 noch nicht bekannt sein konnten.

Daher gibt es einige bemerkenswerte Unstimmigkeiten zwischen den Quellen. Zum Beispiel war der Name des mutmaßlichen Attentäters 1918 erst mehrere Tage nach dem Anschlag bekannt und wurde erst am 3. September, mehr als drei Tage nach Beginn der Ermittlungen, bekannt gegeben. Laut der Proletarskaia revoliutsiia wurde diese Information jedoch fast unmittelbar nach Kaplans Verhaftung bekannt gegeben. Den Erinnerungen eines Vernehmungsbeamten zufolge gab Kaplan ihren Ehenamen nicht an, und die Tscheka war mehrere Tage lang nicht in der Lage, ihn zu ermitteln. In einem Artikel aus dem Jahr 1973 unterstützt V. Khomchenko, der Kaplans in den sowjetischen Archiven hinterlegte Akten benutzte, die Behauptung von Peters, dass Kaplan nicht antwortete, als der Ermittler das erste Mal den Verhörraum der Lubianka betrat und sie mit dem Namen ansprach, den sie bei ihrer Verhaftung angegeben hatte. Der Name, den sie bei ihrer Verhaftung angegeben hatte, ist nicht bekannt, aber ein Mitgliedsausweis der Gewerkschaft/Syndikat der Eisenbahner, der in ihrer Aktentasche gefunden wurde, war auf den Namen „Mitropol‘ skaia“ ausgestellt. Kaplan stritt später ab, von dem Ausweis gewusst zu haben. In den Unterlagen der Proletarskaia revoliutsiia heißt es jedoch, dass sie zugab, die Karte gefunden zu haben, obwohl sie sagte, dass sie sie nie benutzt habe. Interessanterweise taucht die Geschichte über „Mitropol‘ skaia“ erst in der jüngsten Veröffentlichung, dem Artikel von Khomchenko, auf. Dieser Name scheint derjenige zu sein, den Kaplan (oder seine mutmaßlichen Komplizen) benutzt haben, um seine Identität zu verschleiern.

Zum Zeitpunkt von Kaplans Hinrichtung waren die Behörden nicht in der Lage, ihren Mädchennamen herauszufinden, obwohl sie in den vier Tagen der Tscheka-Untersuchung mehr als vierzig Personen verhört hatten. Kaplans Freunde aus dem sibirischen Gefängnis (Pigit, Radzilovskaia und Tarasova-Bobrova) wurden in die Lubjanka gebracht, um sie zu identifizieren, aber sie kannten sie nur als Fania Kaplan. Selbst die offizielle Zeitung meldete am Tag nach ihrer Hinrichtung den Namen Roid-Kaplan. In den Aufzeichnungen über Kaplans Verhöre, die 1923 in der Proletarskaia revoliutsiia veröffentlicht wurden, aber auf den 30. August 1918 datiert sind, wird ihr Name in der Form Roidman (und nicht Roitman) angegeben, was darauf hindeutet, dass diese Aufzeichnungen die zum Zeitpunkt der ursprünglichen Untersuchung verfügbaren Informationen nicht genau wiedergeben.

Der Bericht der Proletarskaia revoliutsiia über den Zeitpunkt des Angriffs im Zusammenhang mit dem ersten Verhör stimmt nicht mit dem in anderen Quellen beschriebenen Zeitpunkt überein, sondern deckt sich mit der offiziellen Version, die beim Prozess 1922 präsentiert wurde. Während Lenins Chauffeur, dessen Aussage zuerst in der Proletarskaia revoliutsiia veröffentlicht wurde, behauptete, er habe Lenin um 22:00 Uhr zur Mikhelson-Fabrik gefahren, deuten zeitgenössische Zeitungsberichte und andere Quellen auf eine viel frühere Ankunft hin. Die Unterschiede zwischen diesen Berichten scheinen auf den ersten Blick unbedeutend zu sein, werden aber entscheidend, wenn man sie im Zusammenhang mit der ganzen Geschichte betrachtet und insbesondere die Beziehung zwischen Lenins und Kaplans Ankunftszeiten in der Fabrik herstellt. Der Zeitpunkt von Kaplans erstem Verhör wird in der Proletarskaia revoliutsiia mit 23:30 Uhr in der örtlichen Zweigstelle der Tscheka angegeben, während sie anderen Quellen zufolge zu dieser Zeit von Justizkommissar Kurskii in der Lubianka verhört wurde.

Einige Schlussfolgerungen

Es hat zwar jemand versucht, Lenin am 30. August 1918 zu ermorden, aber es ist unmöglich, die Identität dieser Person oder einer Gruppe, die hinter der Tat stecken könnte, festzustellen. Bei einer schnellen und oberflächlichen Untersuchung der Tscheka wurde keine Verbindung zwischen der Tat und einer anerkannten politischen Partei oder Organisation gefunden. Es lässt sich auch nicht feststellen, ob Kaplan Teil einer Verschwörung war oder ob er in jener Nacht zufällig in der Mikhelson-Fabrik eintraf.

Sowohl 1906 als auch 1918 wurde Kaplan wegen terroristischer Handlungen verhaftet, nachdem sie die Worte „Ich habe es nicht getan“ wiederholt hatte. Diese verbale Reaktion und die Verwendung des konspirativen Namens „Mitropol’skaia“ im Jahr 1918 deuten darauf hin, dass sie in beiden Fällen in eine Verschwörung verwickelt gewesen sein könnte, obwohl sie offiziellen Quellen zufolge in beiden Fällen bestritt, Komplizen zu haben.

Aufgrund ihrer körperlichen Behinderung und ihrer angeblichen Entschlossenheit, einen terroristischen Akt zu begehen, ist es ebenso möglich, dass sie von einer Gruppe von Verschwörern als Teil eines Plans zur Erschießung Lenins benutzt wurde. Und es ist auch möglich, dass sich diese Verschwörer auf dem Fabrikhof befanden und sie als Lockvogel benutzten (und ihr einen unter einem Decknamen ausgestellten Ausweis der Gewerkschaft/Syndikat aushändigten, wenn auch ohne Waffe).

Der russischen revolutionären Tradition verpflichtet, in der die Bereitschaft, für die Sache zu sterben, der ultimative Beweis für Engagement und Hingabe war, wurde Fania Kaplan, wie so viele vor ihr, „Terroristin, nicht um zu töten, sondern um sich zu opfern“. Und in diesem Sinne hat sie sich vielleicht entschieden, die volle Verantwortung für die Tat gegen Lenin zu übernehmen.


Einige Überlegungen von Expandiendo la Revuelta

Wie wir bereits in der Einleitung sagten, finden wir Lyandres‘ Nachforschungen insofern interessant, als dass sie in die russische Presse selbst sowie in Memoiren und Archive der damaligen Zeit eindringen, aber wir glauben, dass ein Teil seiner Nachforschungen auch (wie alle Nachforschungen) durch seine eigene Position, d. h. durch seine demokratische und akademische Sicht der Tatsachen, verzerrt ist.

Diese Form zeigt sich in der Art und Weise, wie der Text verfasst ist, indem er sich auf „Beweise“ und juristische Logiken konzentriert, die zwar aus historischer Sicht wertvoll sein mögen, aber zweifellos mit unserer anarchischen Position kollidieren, die bekräftigt, dass wir „weder schuldig noch unschuldig“ sind, da es hinter den Prozessen der Staaten keine Vorstellung von Gerechtigkeit geben kann, wenn sie nicht im Sinne der Unterwerfung unter Autorität und Kapital ist.

Das zeigt sich auch im Schauprozess der Partei der Sozialrevolutionäre im Jahr 1922, wo diese gerichtlich gestützte Logik nun zeigt, dass die bolschewistische und „revolutionäre“ Justiz das Werkzeug der Partei war, um die absolute Kontrolle über den Staat zu übernehmen. Ein weiterer Unterschied, den wir vor allem am Ende des Aufsatzes feststellen, ist Lyandres‘ Unterschätzung von Fania und ihrer teilweisen Blindheit sowie einige Erwähnungen ihrer „Instabilität“ und sogar des „Benutztwerdens durch Verschwörer“, mit einer klassisch patriarchalischen Logik, wenn es um Frauen geht, die sich gegen die Macht stellen, und die versuchen, ihr Engagement und ihre revolutionäre Hingabe herunterzuspielen.

Denn während diese Fakten die Vorstellung bekräftigen, dass Fania vor allem aus politischen Gründen und ohne „fairen Prozess“ erschossen wurde, leugnen sie auch die Verurteilung der Gefährtin und hören nicht auf, in die belanglose Frage zu verfallen, ob sie diejenige war, die den Abzug gedrückt hat oder nicht.

Was die juristische Logik nicht verstehen kann (und will), ist die mögliche kollektive Aktion, sondern versucht, jede rebellische Aktion zu individualisieren, zu isolieren und zu stigmatisieren, weshalb jemand für die Schüsse gegen den Anführer erschossen werden musste, jemand „Fremdes“ und „Verrücktes“. Klar ist jedoch, dass hinter dem Attentat auf Wladimir auch die verschiedensten Anarchistinnen, Anarchisten, Sozialistinnen und Sozialisten steckten, die noch an die Revolution glaubten und sahen, wie die Bolschewiki auf jeden autonomen Sowjet und jede Möglichkeit zum Ausbau einer neuen Gesellschaft vorstießen und dabei ständig unter der „konterrevolutionären Bedrohung“ unterdrückt wurden, die so oft zur Rechtfertigung des Regimes selbst herangezogen wurde.

Wir bedauern nur, dass Lenin nicht genau in diesem Moment gestorben ist und dass einige so genannte Revolutionäre bis heute den bolschewistischen Mythos unterstützen17.

AM 30. AUGUST 1918 GAB DIE ANARCHISTISCHE GEFÄHRTIN FANIA KAPLAN ZWEI SCHÜSSE AUF DEN FÜHRER DER BOLSCHEWISTISCHEN PARTEI AB.

UNMITTELBAR DANACH BEGANN EIN REPRESSIVER VORSTOSS, BEI DEM DIE RACHEAKTION VON FANIA GEGEN DIE „PARTEI DER SOZIALREVOLUTIONÄRE“ EINGESETZT WERDEN SOLLTE.

IN DEN FOLGENDEN RECHERCHEN, DIE WIR ÜBERSETZT UND BEARBEITET HABEN, KÖNNEN WIR UNS DEM GERICHTSPROZESS, DEM LEBEN VON FANIA UND DER BOLSCHEWISTISCHEN EINRICHTUNG GEGEN SEINE „POLITISCHEN GEGNER ANNÄHREN!

FÜR DIE RACHE GEGEN ALLE TYRANNEN

TOD DEM STAAT UND LANG LEBE DIE ANARCHIE


1Petrogradskaia pravda, 4. September 1918, S. 1; Pravda, 30. August 1918.

2David Shub, Lenin. A Biography (London: Penguin, 1966), 362.

3Leonard Schapiro, „Die Ursprünge der kommunistischen Autokratie. Politische Opposition im Sowjetstaat. Erste Phase“ 1917-1922 (Cambridge: Harvard University Press, 1966). Beispiele für die westliche Sicht der sozialrevolutionären Schuld siehe Robert Payne, The Life and Death of Lenin (New York: Simon and Schuster, 1964) ; Louis Fischer, The Life of Lenin (New York: Harper and Row, 1964) ; Hellmut Andics, Der lrosse Terror. Von den Anfängen der russischen Revolution bis zum Tode Stalins (Wien: Molden, 1967).

4Adam Ulam, The Bolsheviks. The Intellectual and Political History of the Triumph of Communism in Russia (New York: Macmillan, 1965), 430.

5Boris Orlov, „Mif o Fanni Kaplan“, Vremia i my 2-3 (Tel Aviv: Vremia i my, 1975). Andererseits akzeptieren M. Geller und A. Nekrich in Utopia u vlasti, 2. Aufl. (London, 1986), die offizielle sowjetische Version von Kaplans Verantwortung für die Tat und ihre Mitgliedschaft in der Partei der Sozialrevolutionäre.

6Es gibt einige Beweise, die die Theorie stützen, dass Spiridonova den lokalen Regierungsbeamten erschossen hat.

7Eine kurze, aber aufschlussreiche Erörterung der terroristischen Aktivitäten in diesen turbulenten Jahren findet sich in Norman M. Naimark, „Terrorism and the Fall of Imperial Russia“, Boston University lecture pamphlet (14. April 1986), S. 16-19.

8Für Kaplan werden viele verschiedene Geburtsdaten angegeben. Das lag vor allem an der Verwirrung während des Tscheka-Verhörs im Jahr 1918, als sie behauptete, achtundzwanzig Jahre alt zu sein. Spätere sowjetische Quellen geben mehrere Daten an, aber am zuverlässigsten scheint Chomtschenko zu sein, ein Beamter des sowjetischen Innenministeriums mit Zugang zu Kaplans Akte. Er behauptet, dass Kaplan im Alter von einunddreißig Jahren von der Tscheka hingerichtet wurde (Khomchenko, „Oni tselilis“, 33). Zwei frühe Quellen bestätigen seine Behauptung: die ukrainischsprachige Zeitung Rada, 24. Dezember 1906, und der anarcho-kommunistische Burevestnik (Paris) 10-11 (März-April 1908), 24; beide geben an, dass Kaplan im Dezember 1906 neunzehn Jahre alt war.

9Siedlungsgebiet oder Pale of Settlement war die westliche Grenzregion des Russischen Reiches, in der die jüdische Ansiedlung erlaubt war und deren Zuständigkeitsbereich sich entlang der Grenze zu Mitteleuropa erstreckte.

10Kaplan war möglicherweise schon im Dezember 1907 in Katorga; siehe „Pis’ma Egora sazonova k rod riym“ 1895-1910 (Moskau, 1925), 158.

11Im offiziellen Presseorgan der Partei, dem Burevestnik, wurde sie 1908 noch als Roitman bezeichnet. Ihr Ehemann könnte der spätere Bolschewik Max Kaplan gewesen sein, der 1918 für den bolschewistischen Untergrund auf der von Deutschland besetzten Krim in Simferopol arbeitete (V. Baranchenko, Gaven [Moskau: Molodaia gvardiia, 1967], 97, 100). Von der Polizei überwachte Frauen verbargen ihre Identität oft durch Heirat; siehe zum Beispiel IV Alekseev, Provocative Anna Serebriakova (Moskau, 1932), 19.

12Vierundzwanzig Jahre später erinnerten sich einige von Kaplans Freunden aus dem sibirischen Gefängnis an den Vorfall und gaben Gründe für die Annahme an, dass seine Blindheit eine direkte Folge der Explosion von 1906 war (Radzilovskaia, KS, 122-123). Andere zeitgenössische Berichte weisen darauf hin, dass die Ärzte die Ursache seines Leidens nicht wirklich kannten (siehe „Protokol doprosa Very Mikhailovny Tarasovoi“ in PR, 281).

13Seine Aussage wurde in der Proletarskaia revoliutsiia zusammen mit Kaplans Verhören veröffentlicht und lieferte zwei leicht unterschiedliche Berichte, einen vom 30. August 1918 und den anderen vom 5. September, nach Kaplans Hinrichtung. Da Iwanow im Prozess als die Person anerkannt wurde, die Kaplan offiziell verhaftet hatte, erschienen die in der Petrogradskaia pravda veröffentlichten Teile von Batulins Aussage als Aussagen „eines Zeugen“ (I. Volkovicher, „Ochevidtsy o pokushenii“, Petrogradskaia pravda, 30. August 1923, 2). Ein bolschewistischer Arbeiter, NV Strelkov, behauptete 1935, Zeuge des Attentats gewesen zu sein. Sein Bericht über das Ereignis ist jedoch nie veröffentlicht worden (NV Strelkov, Avtobiograficheskii ocherk Bolshevika- podpol’shchika zavoda im. Vl. Il’icha [Moskau, 1935], 49).

14Diese eklatante Lücke im Fall wurde erst vier Jahre später im Moskauer Prozess geschlossen, als der Provokateur Semenov aussagte, dass er Kaplan die Waffe zusammen mit einigen vergifteten Kugeln gegeben hatte (N. Krylenko, Za prat ‚let 1918-1922 [Moskau – Petrograd, 1923], 293). In den Protokollen der Tscheka-Untersuchung heißt es, dass ein Arbeiter der Mikhelson-Fabrik, AV Kuznetsov, die Pistole und die Kugeln am 2. September in die Lubianka brachte. Laut seiner Aussage hob er sie sofort auf, nachdem Kaplan sie „fallen gelassen“ hatte (Glazunov und Mitrofanov, „Sledovatel ‚po vazhneishim delam“, 102).

15Kaplan wurde möglicherweise am 31. August 1918 von der Tscheka erschossen und nicht, wie offiziell verkündet, am 3. September (V. Vladimirova, God sliizhby sotsialistov kapitalistam [Moskau-Leningrad, 1927], 303).

16Babina, „Fevral, 1922“, 25-26. Babina, der auch beim Prozess 1922 anwesend war, akzeptierte die Darstellung der Staatsanwaltschaft über die Schuld der Partei der SOzialrevolutionäre; erst später, als er mit anderen Parteigenossen in Butyrki eine Gefängniszelle teilte, erfuhr er von Kaplans Geschichte von Donskoi. Der Druck auf die angeklagten Mitglieder des Zentralkomitees der Partei der Sozialrevolutionäre während des Prozesses war so groß, dass langjährige Revolutionäre wie Liberov (der 1918 für die Militäroperationen der Sozialrevolutionäre in Moskau verantwortlich war und ein sicheres Haus für Sozialrevolutionäre unterhielt, die aus den Provinzen zurückkehrten) von den Beweisen der Staatsanwaltschaft überzeugt wurden. Liberov sagte 1932 gegenüber Olitskaia, dass die Partei nicht genug getan habe, um Kaplan an dem Versuch zu hindern, Lenin zu töten.

17Für weitere Informationen über die frühen Jahre der russischen Revolution empfehlen wir Emma Goldmans „My Disillusionment with Russia“ (1923); Alexander Berkmans „The Bolshevik Myth“ (1925); Agustin Souchys „The Workers and Peasants of Russia and Ukraine: How Do They Live?“ (1922); Angel Pestañas „Seventy Days in Russia: What I Saw“ (1924).

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Anarchistischer Brief aus der argentinischen Diktatur, Buenos Aires 1978 https://panopticon.blackblogs.org/2022/12/22/anarchistischer-brief-aus-der-argentinischen-diktatur-buenos-aires-1978/ Thu, 22 Dec 2022 22:22:16 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=4692 Continue reading ]]> Gefunden auf expandiendo la revuelta, die Übersetzung ist von uns. Das erwähnte Buch von dem die Rede sein wird, ‚Anarquismo: Insurrección armada y guerrillas‘ überlegen wir ernsthaft zu übersetzen, mehr dazu in kommender Zeit. Darüber hinaus lag das Interesse der Übersetzung dieses historischen Dokuments daran, wie die Texte britischer anarchistischer Publikationen während des Falklandkrieges, daran historische Positionen wieder ans Licht kommen zu lassen, die heute vielen für fremd und sogar unbekannt vorkommen könnten.


Anarchistischer Brief aus der argentinischen Diktatur, Buenos Aires 1978

Der folgende Brief wurde aus dem Buch „Anarquismo: Insurrección armada y guerrillas – Anarchismus: Bewaffnete Insurrektion und Guerilla“ (2021) entnommen, in dem wir die verschiedenen Debatten und Positionierungen rund um den bewaffneten Kampf und den politisch-sozialen Kontext der 60er und 70er Jahre in Buenos Aires untersuchen.

Dieser Brief wurde von anarchistischen Gefährt*innen nach der Fußballweltmeisterschaft 1978 geschrieben, als die populistischen Paraphernalia der Diktatur auf dem Höhepunkt waren und die Welle der Repression ihren Höhepunkt erreichte. Er wurde geschrieben und ins Ausland verschickt, um inmitten der Verhaftungen von Gefährt*innen, die später verschwanden und von denen die meisten bis heute verschwunden sind, ein Zeugnis abzulegen.

Anstatt zu versuchen, die „Einmischung“ der anarchistischen Bewegung in den 1970er Jahren zu maximieren, glauben wir, dass dieses Zeugnis ein kleines Fenster zur Realität der Diktatur öffnet und uns gleichzeitig eine klare Sicht auf die verschiedenen Widersprüche, Schwierigkeiten und Positionen dieser Zeit gibt.

Ohne viel mehr hinzuzufügen, bekräftigen wir noch einmal, dass unser Gedächtnis nicht danach strebt, ein weiteres Regal in der Vitrine der Vergangenheit zu sein, sondern ein aktives revolutionäres Gedächtnis, das sich sowohl gegen die Diktatur als auch gegen die Demokratie positioniert, da diese die verschiedenen Gesichter der Auferlegung des Kapitals darstellen und nicht eine gegensätzliche Politik. Genauso wie wir uns vor der Opferstellung und der Idealisierung der ermordeten und verschwundenen Gefährt*innen scheuen, eint uns die subversive Überzeugung, der revolutionäre Atem und Wille, ohne Zweifel, aber wir distanzieren uns auch von den politisch-militärischen Apparaten und dem unkritischen Märtyrertum, das bei so vielen Gelegenheiten betrieben wurde.

Tod dem Staat

Lang lebe die Insurrektion

Ohne Anführer oder Leitern


AN DIE GEFÄHRTEN:

Anarchistische Gruppen in Argentinien. 1978.

Am 31. Mai 1978, zu Beginn der großen sportlichen Dummheit, die die Fußballweltmeisterschaft darstellte, begannen die argentinischen Streitkräfte mit einer der vielen Operationen, die sie täglich ohne Pause und ohne Abscheu durchführen. Es war, wie fast immer, die faule Frucht eines mit klassischen Foltermethoden erpressten Geständnisses, die die Repression auf die Werft lenkte, wo Pablo Daniel Tello und Rafael Arnaldo Tello zwei Jahre lang gearbeitet hatten. Sie wurden verhaftet und in eine der zahllosen anonymen Militäreinrichtungen gebracht, in denen die sadistischsten Foltermethoden angewandt werden, und waren ihrerseits Bestandteil einer weiteren Serie von „Razzien“, die mit der Verhaftung von Oscar Elichabe Urriol, Raul Olivera, Fernando Díaz, Hernán Ramírez, Oscar Cantero, Elsa Martínez und anderen Staatsbürgern endete, die zu diesem Zeitpunkt etwa zwanzig Personen ausmachten, von denen keine genauen Einzelheiten bekannt sind.

Der Aufenthaltsort, der Ort der Inhaftierung, das Verbrechen, dessen sie beschuldigt werden, und sogar, ob sie noch am Leben sind, sind unbekannt, denn zum Schrecken der argentinischen Militärdiktatur gehört die Angst, „nichts über die Inhaftierten zu wissen“, als psychologische Waffe, die den Seelenfrieden der Familie untergräbt und den Fleck des Terrors, der Argentinien bedeckt, vergrößert.

Natürlich wurden die eingereichten „Habeas-Corpus“-Einsprüche von der Justiz zurückgewiesen, weil die Justiz nicht funktioniert und nur eine Quelle des militärischen Mechanismus ist. Bei den verschiedenen Überfällen der Repressionskräfte wurden alle Arten von körperlichen Übergriffen begangen, ebenso wie Diebstahl, Plünderungen, Einbrüche und Ausschreitungen, die ein ständiges Merkmal der Übergriffe sind, die die Nachrichtendienste der drei Armeen und ihre „Untereinheiten“ wie die Gendarmerie, die Marinepräfektur, die Militärpolizei sowie die föderale Koordinierung, die heute Superintendentur genannt wird, täglich unter dem Vorwand des Antisubversionskampfes durchführen.

Alle diese Dienststellen praktizieren – wie die Besatzungsarmeen – die Technik der „Kriegsbeute“, die auch Teil der psychologischen Wirkung ist, und in jedem Verfahren krönt der Diebstahl (schlicht und einfach) den Vandalismus.

In diesem Fall haben die Soldaten in jedem Haus, das sie auf der Suche nach Waffen und Sprengstoff besucht haben (das ist der Vorwand), alle Wertsachen in den durchsuchten Häusern mitgenommen, ebenso wie jedes Geld, das sie gefunden haben, egal wie gering die Summe war. Ein konkretes Beispiel für eine militärische Plünderung fand im Haus eines Klempners statt, den sie verhaften wollten. Als sie ihn nicht fanden, nahmen sie nach Drohungen an seine Verwandten alle Werkzeuge seines Vaters mit und ließen ihn ohne die wichtigsten Elemente für seinen Lebensunterhalt zurück. Dasselbe geschah in den Häusern der Gebrüder Tello, die alles verloren, was sie an Wert besaßen. Alle diese Verhafteten sind militante Anarchisten1, sie sind zumeist Arbeiter, sie stehen weder mit der ERP noch mit den Montoneros in Verbindung, noch wurden bei ihnen Waffen, Munition oder Sprengstoff gefunden, was die unfehlbare Voraussetzung für die Repression ist, die angesichts des wiederholten entscheidenden Triumphs über die Subversion, dessen sie sich rühmt, Komplotte erfindet, imaginäre terroristische Organisationen entdeckt oder hypothetische Waffenlager findet, all dies, um das repressive faschistische Regime aufrechtzuerhalten, das heute in Argentinien herrscht, wo die Meinung verboten ist, abweichende Meinungen mit dem Tode bestraft werden, die Presse eine gut bezahlte Kurtisane ist und die Massenmedien der Milikratie (A.d.Ü., Militärherrschaft) unterstehen, die jetzt versucht, sich dem Populismus zu öffnen, nach dem „Rausch“, den die Fußballweltmeisterschaft ’78 ausgelöst hat, angeführt von Experten für Massenpsychologie, die für die Streitkräfte und ihre Geheimdienste arbeiten. Eine der offensichtlichsten Manifestationen dieser populistischen Politik war die letzte Sitzung der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO) in Genf, an der eine dreigliedrige Vertretung (Staat, Unternehmen, Gewerkschaften) teilnahm, in deren Verfassung, die weithin bekannt gemacht wurde, eine beschönigende Vereinbarung getroffen wurde, zwischen den Militärs und der gewerkschaftlichen/syndikalistischen Bürokratie (ein Krebsgeschwür, unter dem die argentinische Arbeiterbewegung nach wie vor leidet), obwohl sich diese Elemente hinter mehr oder weniger geometrischen Bezeichnungen wie vertikalistisch, schräg, stehend, sitzend, horizontalistisch und sogar unabhängig (? ), während sie in Wirklichkeit alle auf den Knien liegen und die Diktatur mit ihrer Neigung zum Feilschen und Entgegenkommen wie in den besten Tagen des Peronismus bestätigen.

Aber um auf unsere Gefangenen zurückzukommen, sei gesagt, dass diese neue Methode, Subversive zu erfinden, den Plänen der Streitkräfte entspricht, die versuchen, das populäre Unwohlsein einzudämmen und zu verhindern, dass der wachsende Protest kanalisiert wird. Die Verschärfung der ökonomischen Krise, die permanente Inflationsspirale mit ihrer Folge der Rezession, die unaufhaltsame Geldemission, die die Kaufkraft unserer Währung Tag für Tag entwertet, das Fehlen von Informationen oder die Verzerrung der Nachrichten durch die offiziellen Agenturen, der erste Teil der Aufhebung des Mietgesetzes, die am 30. Juni stattfand, und ihre Folge von mehr als 44.000 Zwangsräumungen, die sich in den Gerichten zusammenbrauen, die Halbstreiks in einigen Schlüsselindustrien (Textil-, Automobil-, Metallindustrie usw.) schaffen eine angespannte Situation in der Bevölkerung, die einen Monat lang durch die Entwicklung der Fußballweltmeisterschaft ’78 betäubt war, bis hin zu dem chauvinistischen Paroxysmus, das Land mit einem Ball zu verwechseln.

Die Militärjunta beabsichtigt nun, dieses Ereignis als Sprungbrett zu nutzen, um eine kriegerische „Heldentat“ zu begehen, die vielleicht die Besetzung kurzerhand (manu militari) der drei südlichen Inseln sein könnte, deren Souveränität mit Chile umstritten ist. Die Psychologen der Diktatur sind der Meinung, dass die Aufregung der Weltmeisterschaft ’78 weitergehen kann, wenn Pinochet der dreifache Elfmeter „geschossen“ wird, und sie erwarten, dass das Volk auf die Straße geht, um diesen „Sieg“ zu feiern, wie es das am 25. Juni getan hat. Das ist die Annahme der Milicos (A.d.Ü., Militärs), und wir schließen nicht aus, dass, wenn dieser „Blitzkrieg“ gestartet wird, viele Schwachköpfe auf die Straßen von Buenos Aires gehen werden, um zu „schwören, mit Ruhm zu sterben“, wobei sie immer daran denken, dass sie einen Monat lang die toten, inhaftierten und verschwundenen Opfer der Diktatur vergessen haben, deren Zahl in die Tausende geht, und um sich selbst mit Tausenden von Dezibel zu betäuben, als ob sie eine Katharsis des Lärms bräuchten, um die Spannungen abzubauen, die durch die Angst oder den psychischen Druck entstehen, der durch die Ohnmacht entsteht. Das überlassen wir den Analytikern und Psychologen.

Wir stehen mit unserer Hypothese nicht allein da, denn das Manöver ist absehbar, und die Massenmedien setzen alles daran, den einfachen Menschen davon zu überzeugen, dass wir uns auf der Startrampe befinden, die uns zu nationaler Größe führen wird. Vielleicht wisst ihr das besser als wir, denn die ausländische Presse übersetzt getreu, was in diesem Land geschieht.

Der Stachel, den diese Informationen bei der Militärjunta hinterlassen, spiegelt sich in hysterischen Anfragen von Phantomorganisationen oder in der Haltung einer Wirtschaftskammer wider, die Direktoren des internationalen Journalismus einlädt, „das wahre Bild Argentiniens zu sehen“, was natürlich, wenn die Einladung angenommen wird, nicht über ein offizielles Pressetreffen, den Besuch einer gut vorbereiteten Strafvollzugsanstalt oder einen gelegentlichen Besuch hinausgeht, vielleicht ein Interview mit Videla und das unvermeidliche Mittagessen mit einflussreichen Persönlichkeiten aus dem diktatorischen Umfeld, bei dem weder die Zahl der durch die Diktatur verursachten Todesfälle ans Licht kommen wird, die in die Tausende geht, noch die Zahl der Verschwundenen, die schrecklich ist, noch die Identität der Gefangenen, von denen man nur weiß, dass sie „von Elementen in Zivilkleidung entführt wurden, die Waffen zeigten“, eine sehr verwirrende Erklärung, die sich an die Nachrichten hält, die von Zeit zu Zeit in der Presse erscheinen. In den meisten Fällen spielt die Verschwörung des Schweigens eine komplizenhafte Rolle in den kriminellen Verfahren der drei Waffengattungen und ihrer Untereinheiten, die – so scheint es – getrennt, aber immer mit größter Straffreiheit und strengster Geheimhaltung handeln.

Es ist bekannt, dass es Konzentrationslager gibt, aber nicht, wo: es wird geschätzt, dass es versteckte Gefängnisse gibt, aber ihr Standort ist unbekannt; die Escuela de Mecánica de la Armada, Campo de Mayo, die Escuela Penitenciaria, die Escuadrón Güemes der Gendarmería, sind Orte der Inquisition, aber es gibt keine gesicherten Zeugnisse; es gibt Zwangsarbeitsfarmen, aber es ist nicht bekannt, wo sie sich befinden. Wenn überhaupt, wird nur wenig durchsickern. Dies beweist die Effizienz der Methode, die aus den blutigen Erfahrungen der OAS in Algerien, der vietnamesischen Ausrottung durch die USA und ihre Spezialdienste, den raffinierten Techniken des sowjetischen KGB oder den dämonischen Vernichtungsmodulen des Nationalsozialismus gelernt wurde.

Der Imperialismus brachte und bringt eine ganze Reihe von Einschüchterungsmaßnahmen mit sich, die von der Verhaftung bis zum Tod reichen und den tragischen Weg von der Hilflosigkeit bis zur Angst gehen. Jede Waffe ist für diesen Zweck geeignet, und wir können sagen, dass jede Person, die von denen, die diese Techniken anwenden, verhaftet wird, vom Moment ihrer Verhaftung an ein Mysterium ist. Es ist nicht bekannt, wer ihn festnimmt, wo er festgehalten wird und was ihm vorgeworfen wird. Aber was die Sache noch schlimmer macht, ist die Tatsache, dass man sich nirgendwo hinwenden kann, weil die Polizei nicht alles „weiß“, die Justiz blind, taub und stumm ist, die Anwälte durch den Terror gelähmt sind und das Land sich langsam in ein Haus ohne Türen und Fenster verwandelt, weil die repressive und permanente Propaganda die Menschen im Allgemeinen zu flüchtigen und ängstlichen Tieren gemacht hat, die in ihrer eigenen Angst eingesperrt sind und dabei oft den menschlichen Gehalt der Solidarität vergessen.

Deshalb schicken wir diesen Bericht ins Ausland, damit die Gefährten die Forderung für diese Opfer des argentinischen Faschismus, alle würdigen Arbeiter, alle tapferen Militante für die Freiheit, alle Anarchisten, in ihre eigenen Hände nehmen.

Anarchistische Gruppen in Argentinien.

1978


1A.d.Ü., son de militancia anarquista kann man so nicht ins Deutsche übersetzten, denn es würde bedeuten, alle Verhafteten sind anarchistischer Militanz. Dies zu erklären würde zu lange dauern und es geht hier nur um sprachliche Differenzen.

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Die Anarchist*innen in Großbritannien angesichts des Falklandkriegs 1982 – 1983 https://panopticon.blackblogs.org/2022/12/10/die-anarchistinnen-in-grossbritannien-angesichts-des-falklandkriegs-1982-1983/ Sat, 10 Dec 2022 14:35:41 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=4674 Continue reading ]]>

Einleitung von Soligruppe für Gefangene,

wir haben diese Zusammenstellung von Artikeln aus zwei anarchistischen Publikationen, ‚Freedom‘ und ‚Black Flag‘, auf der Seite eines anarchistischen Projekts, namens ‚expandiendo la revuelta‘, aus Argentinien gefunden. Diese Artikel setzten sich mit der Invasion Argentiniens gegen Gebiete im Südatlantik, die Falklandinseln, also mit Krieg, zu der spezifischen Thematik gibt es mehr Artikel auf beiden Publikationen, man müsste sich durch die Ausgaben dieser Zeit durchwühlen, die Links zu den Quellen hängen an. Wir fanden aus historischer Sicht, wenn es auch eher kürzere Artikel sind, diese nicht nur interessant, sondern wie immer, aus unserer verdorbenen und verdrehten Haltung, wir denken immer hinterlistig um mindestens zwei Ecken, dass sie im gegenwärtigen Krieg in der Ukraine von nutzen sind, zumindest was es anscheinend angeht wie sich Anarchistinnen und Anarchisten verhalten sollten wenn das Land in denen sie leben, ergo ‚nicht ihr‘ Land, sich im Krieg befindet.

Wie bekannt ist, herrschte die sogenannte Militär’junta’ in Argentinien von 1976 bis 1983, wenn auch die Zahlen schwanken, wurden offiziell um die 30.000 Personen ermordet. Nach einem gegenwärtigen und zeitgenössischen Diskurs und der Ideologie dahinter, müsste die radikale Linke des Kapitals und ‚Anarchistinnen und Anarchisten‘ sich kompromisslos hinter Großbritannien stellen, da diese von einem ‚faschistischen‘ Land angegriffen wurden. Solltest du dies Argumentation für absurd halten, keine Sorge, wir tun es auch, aber genau dasselbe passiert im Krieg in der Ukraine.

Daher ein paar Gedanken aus einer anderen Ecke auf der Welt, mehrere Artikel von Anarchistinnen und Anarchisten in Argentinien zu der Zeit werden folgen, aus einer anderen Zeit, wo doch man wusste wo man stand und gegen was man kämpfte.


Einleitung der Ausgabe von expandiendo la revuelta.

Am 2. April 1982 begann der argentinische Staat unter dem Kommando der patriotischen Junta, die sechs Jahre zuvor die Macht übernommen hatte, mit dem militärischen Vormarsch auf die Falklandinseln und begann einen Krieg, der bis zum 14. Juni desselben Jahres andauern sollte. Inmitten der nationalistischen Euphorie, die die Schreie der Verschwundenen1 überdeckte, sagte General Galtieri: „Wenn sie kommen wollen, sollen sie kommen, wir werden ihnen die Stirn bieten“, und leitete eine Kampagne ein, bei der fast tausend junge Männer starben, die gezwungen waren, für die Ehre ihres Landes und die Vorherrschaft der Militärregierung zu kämpfen, während viele andere bei ihrer Rückkehr in die Heimat Selbstmord begingen, durchzogen von dem anschließenden Prozess der „desmalvinización“2.

Es lohnt sich, daran zu erinnern, dass unter so vielen Diskursen, die bis heute von „Helden“ sprechen und die nationalistische Logik hinter ihren eigenen ökonomischen und imperialen Interessen fördern, damals ein großer Teil der nationalen Bevölkerung die Kriegsanstrengungen bedingungslos oder „kritisch“ unterstützte, darunter das in Erinnerung gebliebene „Festival der lateinamerikanischen Solidarität“, bei dem die „großen Persönlichkeiten des nationalen Rock“ offen mit der Staatspropaganda zusammenarbeiteten und ein Festival anboten, um Vorräte für die argentinischen Soldaten auf den Inseln zu sammeln.

Während viele heute versuchen, ihre Hände in Unschuld zu waschen, sowohl was das Verschwinden und die Folterung Tausender revolutionärer Militanten als auch ihr Schweigen und ihre Beteiligung an Aktivitäten zur Unterstützung des Krieges betrifft, hat es in der Geschichte immer Rebell*innen und Menschen gegeben, die selbst angesichts der schlimmsten Szenen populistischer Paraphernalien ihre Würde bewahrt haben.

Zu ihnen gehören die Bands Virus und Los Violadores, die sich weigerten, an dem oben genannten Festival teilzunehmen, und andererseits die revolutionären Gruppen, die sich nicht scheuten, ihre Ablehnung des Krieges zum Ausdruck zu bringen und eine radikale Kritik am britischen und argentinischen Staat zu üben.

In England war die anarchistische Bewegung noch immer von den Aktionen der Angry Brigade3 und den verschiedenen Repressionsfällen Ende der 1970er Jahre betroffen, darunter der Fall „unknown persons“, bei dem verschiedene Räumlichkeiten durchsucht und verschiedene Gefährt*innen des Anarchist Black Cross verhaftet wurden und der Teilnahme an Aktionen des Angriffes teilgenommen zu haben,

Inmitten der konservativen Regierung von Margaret Thatcher und unter voller Mitwirkung der Labour-Partei scheute sich Großbritannien nicht, sich an der Konfrontation um die „Souveränität seiner Inseln“ zu beteiligen und seine Einmischung in die faschistische Politik der argentinischen Regierung zu rechtfertigen, der gleichen Regierung, die wenige Monate zuvor mit Waffenlieferungen und polizeilichem Nachrichtendienst bei der Ausrottung „kommunistischer Extremist*innen“ geholfen hatte.

Obwohl die patriotische Euphorie in Großbritannien nicht das argentinische Niveau erreichte, fand sie doch die Zustimmung eines großen Teils der Bevölkerung, mit Ausnahme verschiedener antimilitaristischer, linksextremer und vor allem anarchistischer Kreise.

Im Großen und Ganzen können wir sehen, wie die wichtigsten anarchistischen Publikationen dieser Zeit, die 1886 von Piotr Kropotkin gegründete „Freedom“ und die 1970 gegründete und mit einer informellen Tendenz „Black Flag“, die mit der ABC (Anarchist Black Cross) verbunden war, sowie die bekannte Anarcho-Punk-Band „Crass“ ihre Ablehnung des Krieges und der Gesellschaft, die ihn aufrechterhält, zum Ausdruck bringen. Deshalb haben wir uns entschlossen, einige Notizen, die in den Monaten Mai und April 1982 veröffentlicht wurden, zu übersetzen und weiterzugeben, nicht nur als ideologische Bekräftigung, sondern auch als Rechtfertigung der Würde, der rebellischen, antimilitaristischen und staatsfeindlichen Würde, denn wir wissen, dass die revolutionäre Erinnerung, auch wenn die nationalistische Euphorie oft versucht, die Stimmen der Rebellen im ohrenbetäubenden Ruf nach Bestrafung und Repression untergehen zu lassen, immer wieder ihre Geschichte bekräftigen und sich den vorbewaffneten Diskursen von Staat und Kapital entgegenstellen wird.

Weder Krieg zwischen den Völkern noch Frieden zwischen den Klassen.

Tod dem argentinischen Staat und allen Staaten.


Die Falklandinsel-Farce

Freedom Zeitung, 17. April 1982

Wenn Andrew Lloyd Webber so sehr von der argentinischen Politik angetan ist, dass er eine Fortsetzung von „Evita“ schreiben will, könnte er kaum etwas Besseres tun, als ein Szenario aus den Medien der letzten Woche aufzugreifen und passende Songs zu schreiben.

Tatsächlich sind einige der Songs bereits vorhanden, mit ein wenig Raubkopiererei, was durchaus angebracht wäre. Man ändere den Text von „Georgia On My Mind“ und mische ein bisschen „Any Old Iron“ hinein, und schon hat man die Eröffnungsnummer mit all den Schrotthändlern, die auf Südgeorgien4 (wo?) landen, um eine alte, unbenutzte Walfangstation abzureißen, wobei die Windmaschine ihr Haar durch die energische Tanzroutine zerzaust, und schließt mit Rückprojektionen von Kapitän Ahab und dem Großen Weißen Wal – Moby Dick selbst – als Symbol für den Geist der natürlichen Souveränität.

Zum Zeitpunkt, an dem du dies liest, Gefährte, wirst du wahrscheinlich das Ende dieses Divertissements5 kennen, denn die Dinge passieren so schnell, dass wir bei Redaktionsschluss nur sagen können, dass die britische Flotte, Gott segne sie, immer noch entschlossen nach Süden in Richtung des 200-Meilen-Kreises dampft, der vom Lord High der Admiralität hier in London für argentinische Schiffe für tabu erklärt wurde, wo jeder immer noch entschlossen ist, am Besitz von ein paar unfruchtbaren Felsen festzuhalten, die von unseren Vorfahren im neunzehnten Jahrhundert gestohlen wurden.

Über den tatsächlichen Ursprung der britischen Souveränität über die Falklandinseln reden alle (also alle, die an der Macht sind) sehr leise. Das könnte daran liegen, dass die Briten sie erst 1831 oder so (niemand scheint sich ganz sicher zu sein, wann) in Besitz genommen haben, nachdem die Spanier, die sie zuvor besetzt hatten, all ihre „Besitztümer“ im Südatlantik geräumt hatten und der neu entstehende Staat Argentinien Anspruch darauf erhoben hatte – der den Fehler machte, die relativ unfruchtbaren Inseln, 400 vor der Ostküste Patagoniens, nicht zu besetzen und eine Flagge darauf zu setzen.

Das war noch die Blütezeit des Empire, insbesondere des Britischen Empire, und jeder, der eine Insel ohne Flagge entdeckte (selbst 8000 Meilen entfernt), fühlte sich berechtigt, seine eigene Flagge zu hissen und laut zu rufen: „DAS IST UNSER“, und so war es auch.

Unglücklicherweise haben die Argentinier aufgrund des Abkommens mit den abziehenden Spaniern geglaubt, dass die Falklandinseln und Südgeorgien ihnen „gehören“ – und sie haben die britische Souveränität nie akzeptiert, die durch den Import vieler Schafzüchter und die Besiedlung des Gebiets ähnlich wie in Nordirland begründet wurde.

Im Laufe der Jahre war der Streit um die Besitzverhältnisse ein Dauerbrenner für die Argentinier, obwohl sie nicht allzu sehr darauf drängten, denn es war vor allem eine Frage des Nationalstolzes – wie auch für die Briten, die die Inseln als Walfangstation, Handelsposten und Ausgangspunkt für die Erkundung des antarktischen Kreises nutzten, und natürlich auch als Brutstätte für all die Schafe, die heute 600.000 zählen, und ihre Besitzer, die heute 1.800 sind.

Das sind die Menschen, und das sind die Schafe (man erkennt den Unterschied daran, dass die Menschen nur auf zwei Beinen gehen), um die sich der ganze Ärger dreht. Zumindest soll man das glauben. Die Bewohner der Falkland-Inseln, wie auch die Bewohner von Gibraltar und die protestantischen Bewohner Nordirlands und zweifellos auch die Bewohner von Hongkong und Nord-Bornio und die Bewohner der Isle of Man, wollen alle BRITISCH bleiben.

Und das werden sie auch! Koste es, was es wolle! Sie alle mögen in diesem Kampf umkommen, aber bei Gott, sie werden als Briten umkommen! Niemand geht besser unter als die Briten. Wir sind in Indien umgekommen; wir sind in Afrika umgekommen, wir sind in Amerika umgekommen, im Norden und im Süden; wir sind in Europa umgekommen. Es gibt keinen entlegenen Winkel der Welt, in dem die Briten nicht umgekommen sind. Wenn wir gut genug sind, in Nordirland umzukommen, dann müssen wir bei Gott auch gut genug sein, auf den Falklandinseln umzukommen! Wozu, hören wir dich fragen“? Sind Sie verrückt, Sir, oder Madam, oder Person? Das ist eine Frage des Prinzips. Du hast vielleicht in deinen öffentlichen Zeitungen gelesen, dass wir gerade jetzt die vollständige Kontrolle über ihre nationalen Angelegenheiten an die Kanadier abgeben – aber wir müssen dich darauf hinweisen, dass dies auf dem Rechtsweg geschehen ist. Wir haben die Frankokanadier und die verbleibenden Indianer nach den ordnungsgemäßen und legalen Verfahren, die jeder respektiert, über den Tisch gezogen – aber hier kommen diese Argies6 einfach herein und übernehmen das, was wir vor anderthalb Jahrhunderten übernommen haben. Das war etwas anderes!

Außerdem hat jemand Öl in den Meeren um die Falklandinseln gefunden. Was soll’s? Hier sind diese 1.800 Schafzüchter – nein, Entschuldigung, mehr als die Hälfte von ihnen arbeiten für die Falkland Islands Company (Tochtergesellschaft von Charrington Coal) und leben in firmeneigenen Häusern, aber sie sind alle frei geborene Briten und wollen bleiben, und was wissen sie über Öl unter dem Meer? Nun, offen gesagt, nichts, was traurig ist, denn es ist ihr Leben, das aus Prinzip geopfert werden könnte, um die britische Souveränität über die Falklandinseln zu erhalten.

Wir sagen ‚vielleicht‘, weil wir realistisch sein müssen, nicht wahr? Es ‚könnte sein‘, dass wir, die gottgegebenen Briten, am Ende dieses ganzen Tohuwabohus einen Deal mit diesen verdammten Kanaken7 aus Argentinien machen müssen. Aber wir werden aus einer Position der Stärke heraus verhandeln müssen. Es mag zu weit gehen, Buenos Aires tatsächlich mit Atomwaffen zu bombardieren, wie einer unserer Abgeordneten vorschlug, aber wir müssen den Argies auf jeden Fall eine Lektion erteilen. Sie befinden sich auf den Falklandinseln. Genau in Port Stanley, richtig? Also müssen wir sie von dort aus vertreiben, richtig? Und wenn wir Port Stanley und den Rest der Insel aus dem Meer sprengen müssen – so sei es. Das Recht muss sich durchsetzen, nicht wahr? In dieser Hinsicht müssen wir Michael Foot von der Labour Party Anerkennung zollen. In der Dringlichkeitsdebatte im Unterhaus am Samstag, den 3. April, hat niemand eine patriotischere, chauvinistischere und imperialistischere Rede gehalten als Michael. Er mag zwar gegen Atomwaffen sein, aber bei Gott, er setzt wirklich auf konventionelle Streitkräfte. Und er weiß, was richtig ist!

Schade um diese Inselbewohner. Aber wir müssen zugeben, dass sie bei der Ausbeutung des Öls zwischen den Inseln und dem Festland – das Gebiet, das die Leute, die Bescheid wissen, als das neue Kuwait bezeichnen – nicht viel nützen würden, nicht wahr? Wir wollen die Ölmänner, die Aberdeen zum Dallas des Nordens gemacht haben, und nicht einen Haufen verdammter Schafzüchter.

Zweifellos können wir also ein Geschäft machen. Wenn es darauf ankommt, wer schert sich schon um die Souveränität? Es ist der materielle Wohlstand, der zählt. Sollen die Inselbewohner doch nach Großbritannien zurückkehren, sie sind schließlich weiß, auch wenn sie nach Frau Thatchers Nationalitätengesetz Staatsbürger dritter Klasse sein werden, weil die meisten von ihnen nicht in diesem Land geboren wurden. Aber, wir wiederholen, sie sind weiß, und das ist es, was wirklich zählt. Verwandte und Bekannte, nicht wahr?

Fünfzig Millionen Pfund hat uns das gekostet – noch bevor ein Schuss gefallen ist. Aber es geht nur ums Prinzip. Es spielt keine Rolle, dass die Bevölkerung der Falklandinseln die Falklandinseln nie selbst besessen hat, genauso wenig wie die Bevölkerung Argentiniens die Souveränität über all diese riesigen Ländereien haben, oder das britische Volk Großbritannien besitzt. All diese Gebiete wurden vor Jahrhunderten besetzt, und zwar mit denselben Mitteln, mit denen die Briten diese Inseln besetzt haben.

Zufälligerweise wird Argentinien derzeit von einer besonders bösartigen faschistischen Junta regiert, die ihre Staatsbürger von ihren ökonomischen Problemen ablenken will, und die Falklandinseln werden von den Resten eines imperialistischen Tory-Regimes aus dem neunzehnten Jahrhundert verteidigt, das seine Staatsbürger von seinen ökonomischen Problemen ablenken will und willige Rekruten einsetzt, um die Drecksarbeit für es zu erledigen. Was ist also neu? Wir verteidigen eine ‚Souveränität‘ gegen eine andere? Es ist sehr bequem für die Briten, dass das derzeitige Regime in Argentinien ein besonders böses faschistisches Regime ist – aber hat das die Regierung Thatcher davon abgehalten, mit ihm Handel zu treiben? Oder Waffen an es zu verkaufen? Oder ihm Geld zu leihen? Nein, das hat es nicht.

Eine der Ironien der gegenwärtigen Situation ist, dass die argentinische Marine mit britischem Gerät ausgerüstet wurde. Wenn es zu einem Schießwettkampf kommt, weiß die britische Marine genau, was sie zu erwarten hat – denn es ist ihre eigene (veraltete) Ausrüstung, die gegen sie eingesetzt werden wird. Eine weitere Ironie besteht darin, dass Großbritannien trotz der Abschreckung, die es mit seinem riesigen, nach Osten gerichteten Atomwaffenarsenal ausübt, von einer drittklassigen Macht aus dem Westen in den Schatten gestellt und überrascht wurde.

Man könnte Mitleid mit den Inselbewohnern haben, und mit den Marinesoldaten, Matrosen und Fliegern, die bei dieser Übung getötet werden könnten, wenn es zu einem Schießwettbewerb käme. Aber niemand hat die Soldaten gezwungen, sich den Streitkräften anzuschließen. Wenn sie auf den Schwachsinn über ein gutes Leben bei den Profis hereingefallen sind, wenn sie dachten, es sei glamourös, zu lernen, wie man seine Mitmenschen – und Kinder – für die Mythen von Nationalität, Patriotismus und Souveränität tötet, haben sie niemandem außer sich selbst die Schuld daran gegeben. Die Inselbewohner haben es gut gemacht und sind von den Mythen der britischen Souveränität verwöhnt worden – jetzt bekommen sie die Rechnung präsentiert.

Als Anarchisten müssen wir sagen, dass die Souveränität, die zählt, die individuelle Souveränität ist. Wir alle leben in besetzten Ländern. Dieses Land, Großbritannien, ist seit Jahrhunderten von einer herrschenden Klasse besetzt. Wir leben zu ihren Bedingungen; wir sind gezwungen, ihre Regeln zu befolgen, die ohne Rücksprache mit uns festgelegt wurden – wir werden mit Gewalt regiert, aber wir müssen nicht dafür kämpfen.

Die Nationalität unserer Herrscher spielt keine Rolle. Entscheidend ist die Tatsache, dass wir regiert werden.

PS


Falklandinseln Verbindung?

Black Flag Zeitung, Mai 1982

Am vergangenen Freitag, dem 2. April, geschahen zwei Dinge, die, so überraschend sie auch erscheinen mögen, fest miteinander verbunden sind.

Die argentinische Regierung besetzte die Falklandinseln. Sofort führte die Antiterror-Einheit von Scotland Yard anti-libertäre Razzien durch und beschlagnahmte, wie der „Daily Telegraph“ berichtete, „terroristische Flugblätter“.

Der Grund für Argentiniens Invasion der Falklandinseln war, wie es allgemein bekannt sein dürfte, die Ablenkung von der ökonomischen Krise zu Hause und der altbekannten Nutzung des Patriotismus im Dienste des Betrugs an den Arbeitern. Dieser Patriotismus wurde von den faschistischen Banden, die an der Macht sind, in einer Reihe von bewaffneten Angriffen gegen die Arbeiterklasse und dem kürzlichen Verschwinden von Hunderten von Frauen und Männern konstruiert, die nie wieder gefunden wurden oder nach der Folter in einem Zustand absoluter Verzweiflung gefunden wurden. Diese faschistischen Banden sind auf Widerstand gestoßen und wurden von der internationalen Presse unter verschiedenen Anordnungen als „Terroristen“ bezeichnet. Es war immer bekannt – uns, dem argentinischen Widerstand, der Regierung beider Länder, der Welt -, dass die argentinische Republik, sobald sie den Widerstand wegen wachsender ökonomischer Not, wachsender Abscheu gegen das Terrorregime nicht mehr aufhalten konnte, zu einem Akt wie der Invasion der Falklandinseln werden würde.

Eng verbündet mit der argentinischen Schreckensherrschaft waren die „Verräter“ des britischen Geheimdienstes und der politischen Geheimpolizei. Sie haben die argentinische Republik bei Ermordungen und Verschwindenlassen unterstützt, sie haben geholfen, den Widerstand zu bekämpfen, sie haben alle verfolgt, die sich dem Regime widersetzten, wohl wissend, dass dieses Regime irgendwann mit Großbritannien in Konflikt geraten würde. Unmittelbar nach Beginn der Kämpfe – und in dem Wissen, dass ihr „verräterisches“ Verhalten aufgedeckt werden könnte – begannen sie mit einem neuen Blitz gegen die Anarchisten, das immer für einen aufsehenerregenden Angriff im faschistischen Stil gut ist.

Die Razzien richteten sich gegen kleine Druckereien und die Buchhandlung Freedom, die in den Flugblättern als Adresse für den Vertrieb dieser Exemplare angegeben ist. Die Razzien wurden offenbar durchgeführt, wie aus einem kürzlich erstellten und noch nicht erhältlichen Infoblatt über die Unruhen in Brixton hervorgeht. Diese Razzien werden im „Telegraph“ als „verstärkte nachrichtendienstliche Verfolgung“ beschrieben (ist es nicht schwer, ein Flugblatt zu erkennen, das kurz vor der Veröffentlichung steht? Jeder Buchhändler kann das) „und Anti-Terror-Maßnahmen im Vorfeld des Besuchs des Papstes und von Präsident Reagan in Großbritannien“. Was haben der Papst und Reagan mit Brixton zu tun? Warum wird das als Vorwand benutzt?

Der wahre Grund lag in Argentinien. Die „Antiterroreinheit“ hat nun einen Vorwand, um von ihren Aktivitäten gegen argentinische Flüchtlinge und Widerstandskämpfer abzulenken, da ihre Politik in Argentinien als Hochverrat bezeichnet werden kann.

Wenn Russland einen Teil eines britischen Besitzes an sich reißen würde, würde die Presse nach kommunistischen „Maulwürfen“ schreien, und die Polizei würde dies wahrscheinlich als Vorwand nutzen, um alle revolutionären Organisationen anzugreifen, egal, wie anti-UdSSR sie auch sein mögen. Aber natürlich geschah nichts dergleichen, als das faschistische Argentinien britische Besitztümer an sich riss: und die „Maulwürfe“ in Whitehall waren nicht so aufgebracht.

Lasst uns wissen, wer sie sind. Wenn der Generalstaatsanwalt versucht, schmutzige Geschäfte zu machen, haben wir zumindest die Möglichkeit, in der Öffentlichkeit die Forderung zu erheben, die Verräter in den geheimen Machtorganen aufzudecken.

Ob die „freie Presse“ Großbritanniens die Botschaft weitergeben wird, ist eine andere Frage.


Krieg in den Felsen

Black Flag Zeitung, Juni 1982

Mit der Frage, wer der rechtmäßige Eigentümer der Falklandinseln ist, ist keine Debatte zu gewinnen. Die Argumentation beider Seiten beruht auf der Lüge, dass ein Land dem Staat gehört, dem der erste weiße Mann, der es sah, die Treue hielt.

Der erste bekannte weiße Mann, der die Inseln entdeckte, war ein Engländer. daher behauptet das Vereinigte Königreich, dass die Falklandinseln eindeutig ihm gehören. Doch die spanischen „Conquistadores“ unterwarfen in einer Reihe von kriminellen Vergehen Amerika und raubten das riesige Land der südlichen Hemisphäre. Argentinien revoltierte gegen sie, als sie einen Krieg führten und der König geflohen war. Die Republik beansprucht nun das „Erbe“ des von ihr gestürzten spanischen Imperiums. Da der Papst die Amerikas, die ihm nicht gehörten, an das spanische Imperium übergeben hatte, ist auch der Anspruch Argentiniens klar.

In den letzten 150 Jahren waren die Inseln in britischem Besitz. Jetzt wird uns gesagt, wie „britisch“ die Bewohner der Falklandinseln sind. Dies half ihnen jedoch nicht, als das Vaterschaftsgesetz verabschiedet wurde.

In den letzten vierzig Jahren wurde Argentinien die meiste Zeit von einem faschistischen Regime regiert. Und es gibt einen entschlossenen Widerstand, der versucht, sie loszuwerden. Folter, Mord und Verschwindenlassen sind an der Tagesordnung.

Nicht nur, dass dem Widerstand von anderen Mächten keine Hilfe zuteil wurde, vor allem Großbritannien hat die argentinische Polizei und Armee zur Unterdrückung des Widerstands bereitgestellt. Es ist jedoch klar, dass sich eine Militärdiktatur immer dann auf ausländische Aggressionen konzentrieren muss, um die nationale Einheit zu bilden, wenn sie in ihrem langen Kampf gegen die eigene Bevölkerung an Kraft zu verlieren scheint. Und es gibt immer viele liberale Regimegegner, die umschwenken und die Regierung unterstützen werden, ebenso wie es Menschen gibt, die sich schließlich von dem patriotischen Argument überzeugen lassen.

Zwar kann man argumentieren, dass „Großbritannien“ im Rahmen der Logik des Etatismus keine andere Wahl hatte, als gegen „Argentinien“ Widerstand zu leisten, doch folgt aus dieser natürlichen Logik auch, dass ein solcher „Widerstand“ voller Verräter ist….

Wie einfach wäre es, die faschistische Militärjunta zu stürzen, wenn sie gegen „unsere“ Interessen verstößt, indem man ihren inneren Feinden Hilfe leistet – oder einfach die Maßnahmen gegen sie zurückzieht -, wenn dies nicht geschieht, dann zeigt das, dass die britische Regierung Menschen auf breiter Front in den Tod schickt, aber nicht bereit ist, Maßnahmen zu ergreifen, die ihr staatsbürgerliches Gewissen „beflecken“ könnten. Das Prinzip „bis hierher und nicht weiter“ bedeutet, dass diejenigen, die ihr Leben geben, automatisch irgendwann von denen, die sie leiten, verraten werden, und im Großen und Ganzen wissen sie das auch, was die fantastischste aller Wendungen ist.

Wir können nur hoffen, dass der argentinische Widerstand die Gelegenheit ergreift, die der Krieg bietet, um seine Unterdrücker loszuwerden, und wir müssen dafür sorgen, dass die britischen Führer keine Hilfe erhalten, um die Junta zu retten, die so lange ihre Interessen wahrgenommen hat. Wir müssen darauf hinarbeiten, dass die britische Bevölkerung nicht von denen getäuscht wird, die nach dem Sieg schreien (sei es des britischen Kapitalismus oder des argentinischen Faschismus). ). Derzeit zählt die kriegsgeile Zivilbevölkerung herabstürzende Flugzeuge und im eiskalten Meer verbrennende oder ertrinkende Menschen wie Fußballtore; ja, der ganze Konflikt wird als Verlängerung der Fußballweltmeisterschaft behandelt, und der Sesselterrorismus der breiten Bevölkerung freut sich über die schrecklichen Todesfälle in der Arktis. Manche „gehen so weit“, dass sie eine Absage der Fußballweltmeisterschaft fordern, schließlich haben sie mit dem Krieg im Südatlantik einen guten Ersatz.

Jetzt sehen wir die Heuchelei der globalen Staatsmacht, die gegen den Terrorismus aufruft und friedliche Slogans benutzt, um den Imperialismus zu rechtfertigen, der ihre eigenen Interessen bedroht.

Die Zahl der Opfer begrenzen: nur die Schuldigen angreifen!


How does it feel?

CRASS,

When you woke this morning you looked so rocky-eyed,
Blue and white normally, but strange ringed like that in black.
It doesn’t get much better, your voice can get just ripped up shooting in vain,
Maybe someone hears what you say, but you’re still on your own at night.
You’ve got to make such a noise to understand the silence.
Screaming like a jackass, ringing ears so you can’t hear the silence
Even when it’s there – like the wind seen from the window,
Seeing it, but not being touched by it.

(We never asked for war, nor in the innocence of our birth were we aware of it.
We never asked for war, nor in the struggle to realisation did we feel there was a need for it.
We never asked for war, nor in the joyful colours of our childhood were we conscious of its darkness.)

HOW DOES IT FEEL?
How does it feel to be the mother of a thousand death?
Young boys rest now, cold graves in cold earth.
How does it feel to be the mother of a thousand death?
Sunken eyes, lost now; empty sockets in futile death.

Your arrogance has gutted these bodies of life,
Your deceit fooled them that it was worth the sacrifice.
Your lies persuaded people to accept the wasted blood,
Your filthy pride cleansed you of the doubt you should have had.
You smile in the face of the death cause you are so proud and vain,
Your inhumanity stops you from realising the pain
That you inflicted, you determines, you created, you ordered –
It was your decision to have those young boys slaughtered.

You never wanted peace or solution,
From the start you lusted after war and destruction.
Your blood-soaked reason ruled out other choices,
Your mockery gagged more moderate voices.
So keen to play your bloody part, so impatient that your war be fought.
Iron Lady with your stone heart so eager that the lesson be taught
That you inflicted, you determines, you created, you ordered –
It was your decision to have those young boys slaughtered.

How does it feel to be the mother of a thousand death?
Young boys rest now, cold graves in cold earth.
How does it feel to be the mother of a thousand death?
Sunken eyes, lost now; empty sockets in futile death.

Throughout our history you and your kind
Have stolen the young bodies of the living
To be twisted and torn in filthy war.
What right have you to defile those birth?
What right have you to devour that flesh?
What right to spit on hope with the gory madness
That you inflicted, you determines, you created, you ordered –
It was your decision to have those young boys slaughtered.

How does it feel to be the mother of a thousand death?
Young boys rest now, cold graves in cold earth.
How does it feel to be the mother of a thousand death?
Sunken eyes, lost now; empty sockets in futile death.

You accuse us of disrespect for the dead,
But it was you who slaughtered out of national pride.
Just how much did you care? What respect did you have
As you sent those bodies to their communal grave?
You buried them rough-handed, they’d given you their all,
That once living flesh defiled in the hell
That you inflicted, you determines, you created, you ordered –
It was your decision to have those young boys slaughtered.

You use those deaths to achieve your ends still,
Using the corpses as a moral blackmail.
You say „Think of what those young men gave“
As you try to bind us in your living death,
Yet we do think of them, ice cold and silence
In the snow covered moorlands, stopped by the violence
That you inflicted, you determines, you created, you ordered –
It was your decision to have those young boys slaughtered.

How does it feel to be the mother of a thousand death?
Young boys rest now, cold graves in cold earth.
How does it feel to be the mother of a thousand death?

1 – 2 – 3 – 4 – We don’t want your fucking war!
1 – 2 – 3 – 4 – We don’t want your fucking war!
1 – 2 – 3 – 4 – We don’t want your fucking war!
1 – 2 – 3 – 4 You can stop your fucking war!


1A.d.Ü., wir schrieben darüber in der Einleitung, gemeint sind die mindestens 30.000 ermordeten, die allgemein auch als die Verschwundenen, los desaparecidos, bezeichnet werden.

2A.d.Ü., de-malvinisation auf Englisch, hier geht es um die Zeit nach dem Krieg, mit der Wiedereinführung der Demokratie, wo über den Krieg und den Soldaten die dort kämpfen, starben usw. nicht berichtet bzw. gesprochen wurde, als ob dies nur mit der Militärjunta zu tun gehabt hätte.

3A.d.Ü., wir übersetzten dazu Die Angry Brigade 1967-1984

4A.d.Ü., Südgeorgien und die Südlichen Sandwichinseln sind ein britisches Überseegebiet im Südatlantik, die Inseln sind 3677 km vom Südpol entfernt und um die 1700 Kilometer östlich von den Falklandinseln

5A.d.Ü., Gesangs- oder Balletteinlage in französischen Opern des 17. und 18. Jahrhunderts.

6A.d.Ü., Abkürzung.

7A.d.Ü., dagoes auf Englisch, was als Kanake übersetzt wird.

 



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