Grupo Barbaria – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org Für die Anarchie! Knäste, Staat, Patriarchat und Kapital abschaffen! Fri, 27 Dec 2024 12:01:22 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://panopticon.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1233/2020/02/cropped-discharge-degenerik-blog-1-32x32.jpg Grupo Barbaria – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org 32 32 (Grupo Barbaria) Wir lassen uns nicht zum Schweigen bringen. Wir werden für unsere Toten sprechen. https://panopticon.blackblogs.org/2024/12/09/grupo-barbaria-wir-lassen-uns-nicht-zum-schweigen-bringen-wir-werden-fuer-unsere-toten-sprechen/ Mon, 09 Dec 2024 13:02:54 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6102 Continue reading ]]>

Geschrieben von Grupo Barbaria, die Übersetzung ist von uns.


WIR LASSEN UNS NICHT ZUM SCHWEIGEN BRINGEN. WIR WERDEN FÜR UNSERE TOTEN SPRECHEN.

Nein. Wir wissen es genau. Die Hunderte von Toten und Vermissten sind nicht das Produkt einer unkontrollierten Natur. Sie sind nicht das Ergebnis eines Unglücks, gegen das nichts unternommen werden konnte.

Wir begnügen uns nicht mit der „meteorologischen“ Erklärung, den Litern Regen, den überlaufenden Flüssen….

Die Ursachen liegen tiefer, sie haben mit den Grundlagen des Kapitalismus zu tun: wie er die Arbeiter in marginalisierte und einkommensschwache Gegenden der Städte drängt, um sie besser ausbeuten zu können, oder wie er die produktive und kommerzielle Tätigkeit schützt und privilegiert, ohne sich darum zu kümmern, dass alle ungeschützt und ihrem Schicksal inmitten des Sturms ausgeliefert sind.

Es gibt auch seine „Verwalter“, verschiedene Hunde mit demselben Halsband. Bei dieser Gelegenheit fügen diese Arschlöcher, diese Niemande, ob sie nun Mazón oder Sánchez heißen, plus ein paar Borbón, zu ihren üblichen Titeln als Lakaien hinzu, dass sie für die Todesfälle und die erlebte Tragödie verantwortlich sind. Wir werden ihre Namen nicht vergessen und bei der ersten Gelegenheit werden wir sie zur Rechenschaft ziehen.

CHRONOLOGIE DER KATASTROPHE

Sowohl der meteorologische Dienst als auch der hydrographische Verband sahen die Katastrophe voraus. Am Dienstag, den 29. Oktober, setzten sintflutartige Regenfälle die trockenen Becken unter Wasser, ließen Flüsse und Schluchten überlaufen und überschwemmten einen großen Teil des Gebiets Horta-Sud in Valencia mit Wasser und Schlamm. Die Tragödie war vorprogrammiert.

Von diesem Moment an und ohne jegliche Voraussicht seitens des Staates (autonom oder zentral), sind es die Nachbarn, die ihre Nachbarn retten und bei den grundlegendsten Aufgaben helfen. Ohne Wasser und Strom überleben sie und organisieren sich in Abwesenheit der „Regierung“ und ihrer militärischen und polizeilichen „Kräfte“. Die Zeugnisse, die uns erreichen, sind schockierend, aber auch heldenhaft: Menschen und Familien, die sich gegenseitig unterstützen, selbst unter Einsatz ihres Lebens, und verhindern, dass die Katastrophe noch größer wird.

Am Freitag, den 1. November, sind die „Behörden“ und ihre „Kräfte“ noch immer abwesend, aber die Solidarität der Menschen manifestiert sich auf außergewöhnliche Weise. Tausende von Menschen organisierten sich von der Stadt Valencia aus und zogen in Kolonnen zu Fuß in die Dörfer von La Horta, um zu helfen, Wasser und Lebensmittel zu bringen und ihre Mitmenschen mit ihrem Zuspruch zu unterstützen. Der Staat war alarmiert und begann, die Solidarität zu behindern, zu versuchen, sie zu strukturieren und ihr die Form zu geben, die er für seine eigenen Interessen brauchte. Er beginnt, die Solidarität in Form von freiwilliger Arbeit zu desorganisieren, und versucht auf katastrophale Weise (wie es in den Händen des kapitalistischen Staates nicht anders sein kann), sie zu zerschlagen.

Am 2. November, fünf Tage nach der Flut, rückt die Armee mit schwerem Gerät und einer Strategie an, um Straßen und Dörfer freizulegen und die enorme Tragödie aufzudecken, die noch immer unter Schlamm, Schutt und aufgetürmten Autos verborgen ist.

Die „Freiwilligen“ beginnen, auf schändliche Aufgaben verwiesen zu werden (Reinigung von Geschäften und Kaufhäusern), die die Freiwilligen ablehnen. Sie sind nicht dorthin gegangen, um Geschäftsleuten und multinationalen Konzernen zu helfen, sondern um ihren Brüdern und Schwestern, ihren Gleichen, zu helfen.

Inzwischen werden Hunderte von Menschen vermisst und Hunderte sind tot. Die Schäden sind groß und Tausende von Menschen, die meisten von ihnen Arbeiter, stehen vor dem Nichts.

Am 3. Mai verbietet die Regierung der Generalitat den Zustrom von „Freiwilligen“ in die betroffenen Gebiete mit der Begründung, dass Alarmstufe Orange ausgerufen wurde, um Proteste und Konfrontationen mit den Politikern zu vermeiden, die an diesem Tag in die Region kommen – Politiker, die von der Bevölkerung gehasst und verabscheut werden, egal welche Parteifarbe sie haben oder welchen Rang sie im Staatsapparat bekleiden, seien sie nun Könige oder Präsidenten. Doch trotz des Verbots kommen die Menschen weiterhin in die Dörfer der Horta. Daraufhin kommt es zur Konfrontation und Felipe VI, Mazón und Pedro Sánchez müssen unter „Mörder“-Rufen, Schlamm und Steinen aus Paiporta fliehen.

GRÜNDE FÜR DAS MASSAKER

Weil es ein Massaker war, weil es zu einem großen Teil hätte vermieden werden können, weil es von einem katastrophalen und räuberischen System wie dem Kapitalismus geschaffen und von seinem Staat (autonom und zentral, derselbe Scheiß) verwaltet wurde, der nur den Gesetzen des Profits und des kapitalistischen Gewinns gehorcht.

Das sind die Elemente, die zu dem Massaker führen:

  • Der ökonomische Aufschwung/Entwicklung und die absurde und zügellose Bautätigkeit sind nicht das Werk korrupter Politiker, gieriger Geschäftsleute oder ungeschickter Stadtplanung, sondern es ist die Art und Weise, wie das Kapital die Arbeiter an die Städte heranführt, in denen sich Arbeit und Konsum konzentrieren, egal wo und wie sie gebaut wurden, mit dürftigen Qualitäten und in natürlichen Räumen, in denen Wasser und Flüsse natürlich geflossen sind. Kein Wunder, dass die Namen Torrent (für eine Stadt) oder die Namen Cañada oder Rambla für eine Vielzahl von Straßen, Namen, die verraten, wo das Wasser früher geflossen ist und wo es wieder fließen wird, wenn es zu viel regnet. Es ist egal, wo gebaut wird, was zählt, ist der unmittelbare Nutzen, ohne die Folgen für die Arbeiter zu messen, die für sie (die Reichen, die Bourgeoisen, ihre Politiker) nichts weiter als eine Ware sind, eine weitere Ware, die ersetzt werden kann.

  • Den Kältelufttropfen gab es in diesen Regionen schon immer, aber die hohen Temperaturen des Mittelmeers aufgrund der globalen Erwärmung führen dazu, dass die Intensität und Häufigkeit der sintflutartigen Regenfälle zunimmt. Der Kapitalismus ist das System, das das meiste Wissen über die Auswirkungen menschlichen Handelns auf sein Ökosystem angesammelt hat, aber er ist auch die zerstörerischste Produktionsweise dagegen. Sein Bedürfnis, Kapital anzuhäufen, führt dazu, dass er auf Teufel komm raus immer größere Mengen an Energie und Rohstoffen benötigt. Das ist eine interne Dynamik, die sie nicht aufhalten können und die uns zwangsläufig in ein Szenario versetzt, in dem sich die erlebte Katastrophe im Laufe der Zeit wiederholen kann.
  • Mangelnde Prävention war auch ein Teil des Massakers, einer der grausamsten Teile. Trotz der Warnungen, trotz der Vorhersagen und obwohl man das Risiko seit Dienstagmorgen, dem 29. September, kannte, wurde nichts unternommen, der Arbeits- und Warenfluss konnte nicht unterbrochen werden, ein Produktionsstopp ist für die politischen Verwalter des Kapitals etwas Unvorstellbares. Niemand, weder die Generalitat, noch die Zentralregierung, noch die Opposition (die jetzt versucht, die Situation auszunutzen) schlug vor, dass die Menschen nicht zur Arbeit, zum Einkaufen oder zu den Studienzentren gehen sollten; sie schlugen nicht vor, die Bewohner der (bekannten) „Überschwemmungsgebiete“ zu evakuieren. Die Welt der Ware und des Wertes darf nicht verändert werden, jedes Menschenopfer ist zu wenig für den Blutrausch des Kapitalismus und seiner Bastard-Verwalter.
  • Und wenn das Verbrechen erst einmal vollendet ist, wird es durch das Chaos bei der Versorgung der Opfer noch getoppt. Mit kaum staatlicher Hilfe bis zum 5. Tag und der Verhinderung von Selbstorganisation. Der Staat macht deutlich, dass seine Funktion nicht die „Fürsorge“ für die Menschen ist, sondern die Fürsorge für die Welt des Geldes, der Waren und der herrschenden Klassen, und auf jeden Fall die Kontrolle und Repression jedes Versuchs der Organisation von unten, der menschlichen Solidarität.

SPONTANE SELBSTORGANISATION

Das Kapital und seine Medien werden nicht müde, überall zu wiederholen, dass die Menschen von Natur aus egoistisch sind, dass wir uns nur um unsere eigenen kleinen und persönlichen Interessen kümmern, dass wir uns um niemanden kümmern, dass wir Wölfe für einander sind. Sie wollen in uns das sehen, was sie sind, was ihr Ausbeutungssystem, ihr Klassensystem, darstellt. Diese Leier ist so alt wie der Kapitalismus. Schreckensgeschichten.

Was sie nicht verbergen können, sind die Solidaritätsaktionen und die Selbstorganisation der Menschen inmitten der Tragödie. Sie werden nicht in der Lage sein, die spontane Organisation im Angesicht des Massakers und der Brutalität eines Systems, das das Leben hasst, zu verbergen. Im Gegensatz zu dem, was sie predigen, haben wir Tausende von Männern und Frauen gesehen, die in den betroffenen Gebieten selbstlos, leidenschaftlich und aktiv ihre Hilfe anbieten. Sie können es nicht ertragen, zu sehen, wie sich die Menschen in den Städten selbst organisieren, um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, ohne darauf zu warten, dass der Staat grünes Licht gegeben hat. Das ist es, was sie erschreckt: dass die Kasse nicht klingelt, dass viele Waren zum Gebrauchswert geworden sind, den man genießen kann, ohne ihn zu kaufen. Die Kapitalisten und ihre Medien, dieses unterwürfige und gut bezahlte Aas, sind schnell dabei, den Diebstahl und die Plünderung ihres Eigentums anzuprangern. Der Staat scheint das Privateigentum nur mit Blut und Feuer zu verteidigen.

Der Leichenberg wird jeden Tag, jede Stunde größer, die Verwüstung ist dantesk, aber sie denken nur daran, ihre vier verdammten Tüten Madeleines, zwei Paar Schuhe und einen Fernseher zu retten… Auch das werden wir nicht vergessen.

An diesem Punkt liegt die Antwort auf der Hand: Das haben wir davon, dass wir unter dem Stiefel des kapitalistischen Systems leben, egal ob seine politischen Verwalter von rechts oder von links kommen.

In den kommenden Tagen werden wir Zeuge des Karnevals der „Vorwürfe“. Diejenigen, die jetzt zu Demonstrationen gegen die „Fascho“-Regierung der Generalitat aufrufen, sind Opportunisten, die versuchen, aus unseren Toten, aus unserem Elend politisches Kapital zu schlagen. Die politischen Parteien der Linken sind ebenso wie die Gewerkschaften/Syndikate schuldig und verantwortlich für die Förderung und Verwaltung eines ungezügelten ökonomischen Aufschwungs, der der Natur den Rücken kehrt, weil es nur darum geht, Reichtum zu generieren (natürlich für die Reichen) und Gewinne (Mehrwert) auf Kosten der Arbeiterklasse zu erzielen.

Denn lassen wir uns nicht täuschen, das ist die Daseinsberechtigung von Parteien und Gewerkschaften/Syndikate: die kapitalistische Produktionsweise bis zum Äußersten zu verteidigen, politisch und ideologisch die notwendigen Vermittler zu sein und die Illusion zu nähren, dass dieses System reformiert werden kann, um es „menschlicher“ zu machen. Man kann von ihnen nicht verlangen, etwas anderes zu sein als das, was sie sind.

Es ist an der Zeit, um die verschwundenen Angehörigen zu trauern, ihre Leichen zu bergen und den Verstorbenen ein würdiges Begräbnis zu geben. Es ist an der Zeit, das Wenige, das wir in diesem erbärmlichen Leben haben, zu enttrümmern und zu retten. Es ist auch an der Zeit, unsere Fäuste und Zähne zu ballen. Aber über die Flut der Gefühle hinaus ist es an der Zeit, die wahren Ursachen, die zu der Tragödie geführt haben, genau zu verstehen. Das Wesentliche ist, dass der Kapitalismus die Tätigkeit nicht einstellen kann, die Arbeiter müssen in ihren Jobs produzieren und die „Staatsbürger“ müssen die produzierten Waren konsumieren. Das Rad der kapitalistischen Verwertung kann um keinen Preis gestoppt werden, auch nicht, indem man Dörfer in riesige Mausefallen verwandelt.

Die Natur ist nicht plötzlich verrückt geworden, sie ist das Ergebnis einer tiefgreifenden Veränderung, die durch die Konkurrenz von Kapital und Produktivität verursacht wird, die die Reduzierung von Treibhausgasen ebenso verhindert wie die beschleunigte Produktion von überflüssigen Waren, bloßem bedeutungslosen „Schrott“. Und selbst wenn man die Natürlichkeit von Überschwemmungen und Hochwasser anerkennt, die es schon immer gegeben hat, so sind die exponentielle Zunahme und ihr Auftreten in Gebieten, in denen sie vorher nicht vorkamen (man denke an die Überschwemmungen in Deutschland und Belgien im Jahr 2021 und ihre 167 Todesopfer), eine Reaktion auf Ursachen, die sozialer Natur sind. Das ist der Kapitalismus.

Obwohl individuell betrachtet jeder von einem Auto „berührt“ werden könnte und sogar einige Geschäftsleute von den Fluten mitgerissen wurden, sind diejenigen, die die Hauptlast tragen, die Arbeiter, eingepfercht in ihren Schwemmlandvierteln, bedrängt von Immobilienspekulation und einem prekären und elenden Leben. Es ist kein Zufall, dass die unkontrollierte Verstädterung Millionen von Arbeitern, die die Häuser oft mit ihren eigenen Händen gebaut haben, jahrzehntelang in Flüsse oder Müllhalden gezwängt hat. Diese Arbeiter, die aus verarmten ländlichen Gebieten stammen, bezahlen nun die Gier des Kapitals nach Arbeit mit ihrem Leben. Was wie ein bloßes Unglück aussieht, ist in Wirklichkeit die Verwirklichung einer Klassengesellschaft.

Angesichts von so viel Schmerz und Leid ist es tröstlich, die Solidarität zu sehen, die sich überall ausgebreitet hat. Außerhalb des Staates und aller Arten von Verwaltungen erkennen die Menschen einander als Gleiche an, als Brüder und Schwestern im Unglück. Wir müssen diese Energie bündeln. Es liegen komplizierte Tage vor uns, in denen die Ohnmacht angesichts von so viel Zerstörung durch die Aktionen aller Unterstützer des Systems noch verstärkt wird, von der extremen Rechten mit ihren „nationalen“ und rassistischen Lösungen, die ein vermeintliches „Volk“ hochhalten, das uns alle umfasst, bis hin zur extremen Linken mit „neuen“ Vorschlägen für „radikale“ Reformen und ihren Schikanen gegen die Rechte.

Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit. Das Nachdenken in unser Umfeld zu tragen, am Arbeitsplatz, in der Klasse, unter Freunden und in der Familie. Die Tragödie betrifft uns in dem, was wir als Proletariat sind, ganz gleich in welchem Sektor. Die wirklichen Ursachen eingehend zu diskutieren und die Analyse der kapitalistischen Gesetze in den Mittelpunkt der Debatte zu stellen. Es gibt keine halben Sachen, keine Zwischenlösungen. Alles, was nicht dazu führt, das kapitalistische System an der Wurzel zu packen, bedeutet, seine verheerenden Auswirkungen in all seinen Erscheinungsformen zu verewigen.

Der Dreck wird weggeräumt, die Autos und Möbel werden entfernt. Hoffentlich entsteht ein neues Klassenbewusstsein, eine neue Würde, die alle Toten der Gegenwart und Vergangenheit ehrt und unseren Feinden, den Politikern, Polizisten, Geschäftsleuten und Bettlern des kapitalistischen Systems, zuruft, dass wir eine Gemeinschaft ohne Kapital, ohne Geld und Waren, ohne den Staat wollen. Dass wir den Kommunismus wollen.

Es ist nicht für heute, aber vielleicht können wir uns in die Reihen derer einreihen, die einen unerbittlichen Kampf führen wollen.

Denn wir werden uns nicht zum Schweigen bringen lassen, wir werden für unsere Toten sprechen.

]]> (Grupo Barbaria) Die Bäume des Tourismus lassen dich den Wald nicht sehen https://panopticon.blackblogs.org/2024/12/09/grupo-barbaria-die-baeume-des-tourismus-lassen-dich-den-wald-nicht-sehen/ Mon, 09 Dec 2024 12:56:20 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6099 Continue reading ]]>

Geschrieben von Grupo Barbaria, die Übersetzung ist von uns.


Die Bäume des Tourismus lassen dich den Wald nicht sehen

Die ideologische Vision der Linken des Kapitals ist eigenwilligerweise die der Vertreibung der „negativen“ Merkmale des Kapitalismus, um einen kleinbourgeoisen Kapitalismus ohne seine inneren Widersprüche, ohne Krise, ohne Großunternehmen oder Kapitalkonzentration aufrechtzuerhalten, also letztlich eine vermeintliche Rückkehr zu einem weniger „wilden“ Kapitalismus.

Mit dieser Denkgrundlage ist die Analyse der Linken nicht in der Lage, uns die wahre Ursache für die Verschlechterung unserer Lebensbedingungen verständlich zu machen. Deshalb ist eine marxistische Analyse notwendig, die sich von diesen Positionen und Visionen entfernt, wenn es darum geht, die Welt, in der wir leben, zu verstehen und sie zu überwinden.

In diesem Sommer gab es eine Reihe von Diskussionen rund um den Tourismus sowie Demonstrationen in den Orten, die am stärksten vom Tourismus geprägt sind und in denen die zentrale Rolle des Kapitals von diesem Sektor übernommen wird. Ausdruck davon sind die Demonstrationen Mitte April auf dem Kanarischen Archipel, an denen Zehntausende von Menschen teilnahmen, die Demonstrationen Anfang Juli in Barcelona oder Ende Juli auf den Balearen.

Diese Demonstrationen sind Ausdruck eines realen Problems wie der immer akuter werdenden Armut, der Arbeitsplatzunsicherheit, der immer höheren Kosten für den Lebensunterhalt, einschließlich der Wohnungspreise, die zu Situationen wie der Vertreibung von mehr als tausend Menschen von einem illegalen Campingplatz auf Ibiza aufgrund der hohen Wohnungspreise auf der Insel geführt haben.

Aus diesen realen Problemen konstruiert die Linke des Kapitals mit Hilfe einer vagen und falschen Analyse ihren ideologischen Diskurs, in dem sie den Touristen als Schuldigen für die Misere der Bewohner und die Lösungen in Maßnahmen des Staates gegen die Überbevölkerung durch Touristen festlegt.

Um die Analyse zu beginnen, muss man verstehen, dass weder der Tourismus noch die Touristen die Ursache für die Probleme sind, die uns das Kapital auferlegt, sondern dass sie eine direkte Folge seiner eigenen Entwicklungsdynamik sind, die nur Elend und Zerstörung in diese Welt bringt.

Die Entwicklung des Kapitals tendiert zur Konzentration des Kapitals, d.h. mit der Entwicklung des Kapitalismus findet ein Prozess der Kapitalkonzentration statt, der auch geografisch stattfindet und dazu führt, dass die Gebiete, in denen die Entwicklung der Produktivkräfte weniger entwickelt ist, am Ende den Metropolenraum selbst zur Ware machen oder sich entleeren. Beispiele dafür sind die Touristifizierung des mediterranen Europas und, im Fall von Spanien, die „Entleerung Spaniens“ als Gegenbeispiel. Die Auswirkungen dieses Prozesses auf den Wohnungsbau sind unmittelbar, denn die Arbeitskräfte gehen auf der Suche nach Arbeit dorthin, wo das Kapital konzentriert ist. In Städten, die es schaffen, Kapital mit hoher Wertschöpfung und ökonomischer Dynamik anzuziehen, steigen die Wohnungspreise rapide an, weil das Proletariat auf der Suche nach einem stabilen Lohn in diese Städte strömt. Diejenigen, die im Wettbewerb der Regionen den Kürzeren ziehen, haben nur zwei Möglichkeiten: ausverkaufen oder sterben. Diejenigen, die über ein natürliches oder kulturelles Erbe verfügen, wie z. B. die Städte und Gemeinden entlang der Mittelmeerküste oder die Inseln, werden als Touristenware verkauft. Diejenigen, die entweder im ersten oder im zweiten Fall scheitern, wie der größte Teil Kastiliens oder die von der Deindustrialisierung betroffenen Gebiete, werden anfangen, sich zu entvölkern. Wenn die Hauspreise nicht aufgrund der Nachfrage von Proletariern steigen, die ihre Arbeitskraft verkaufen wollen, werden sie aufgrund von Ferienvermietungen oder der Entwicklung von Hotels steigen. Der einzige Weg, wie sie nicht steigen können, ist im Rahmen einer ökonomischen Depression. Je weiter sich der Kapitalismus also entwickelt, desto mehr schreitet die Krise des Werts voran und mit ihr Arbeitslosigkeit und Prekarität, desto mehr konzentriert er sich auf bestimmte Punkte des Territoriums zum Nachteil anderer und desto mehr steigen die Preise für Wohnraum, unabhängig davon, ob der Tourismus in diesen Gebieten zunimmt oder nicht. Der Kapitalismus kennt keinen Mittelweg: Entweder er wächst oder er stirbt. Aber in beiden Fällen verschlechtert sich die Lage der Mehrheit des Proletariats. Wir haben kein kleineres Übel zur Auswahl, kein kapitalistisches ökonomisches Modell, das wir einem anderen vorziehen könnten.

Staaten können die Entwicklung des Kapitalismus nicht nur nicht aufhalten, sie sind von ihm abhängig. Die eigentliche Dynamik des Kapitalismus erfordert den Staat als Schiedsrichter des Marktspiels, der die Interessen des Kapitals im Allgemeinen sicherstellt, selbst auf Kosten kleinerer Regulierungen, um die Anarchie des Wettbewerbs zu kontrollieren, aber immer ohne die Kapitalakkumulation zu beeinträchtigen und damit die allgemeineren Tendenzen des Marktes zu verändern. Daher werden die von der Linken des Kapitals vorgeschlagenen Regulierungslösungen gegen den Tourismus nicht in der Lage sein, den Anstieg der Wohnungspreise zu verhindern. Wenn sie aggressiv sind, werden sie zu einer Beschränkung des Angebots und damit zu einem Anstieg der Preise und einer Elitisierung des Tourismus in diesen Städten führen, aber ihr Druck auf die Wohnungspreise und die Bodennutzung wird nicht verschwinden. Würden sie noch aggressiver werden, würden sie die Hauptressourcenquelle der Stadt einfach auslöschen, in eine Krise geraten und die Bevölkerung in Orte mit mehr Beschäftigungsmöglichkeiten treiben.

Der Preis für Wohnraum wird unabhängig vom ökonomischen Sektor steigen, sei es durch die Touristifizierung oder durch die Konzentration von Proletariern in einem anderen, besser entwickelten Sektor. Der einzige Weg, wie er sinken kann, ist ein Prozess der Entvölkerung, wenn es der Stadt nicht gelingt, sich im Wettbewerb an den Markt anzupassen.

Aufgrund dieser Faktoren sind die Mobilisierungen, Demonstrationen und verschiedenen aktivistischen Aktionen in diesem Sommer Ausdruck echter sozialer Unruhen innerhalb des Proletariats, die auf eine immer akutere Krise dieses historisch überholten Systems als Reaktion auf die steigenden Wohnungspreise und Lebenshaltungskosten im Allgemeinen zurückzuführen sind.

Obwohl sie Ausdruck des Unbehagens innerhalb unserer Klasse sind, bietet der ideologische Diskurs, der ihnen zugrunde liegt, nur leere Lösungen. Ein Diskurs, der sich in zwei wesentlichen Punkten irrt.

Zum einen die Ursachen für die Prekarität des Lebens: von den steigenden Wohnungs-, Lebensmittel- und Lebenshaltungskosten im Allgemeinen über die zunehmende Unsicherheit und Instabilität am Arbeitsplatz bis hin zur „Gentrifizierung“ der uneinnehmbaren und perfekten „Arbeiterviertel“ (ironisch gelesen). Die Ursache dieser Probleme ist weder der Tourist noch der Tourismus, sondern der Kapitalismus als Ganzes, denn er ist eine Folge der Entwicklung des Marktes und der Auswirkungen auf das Leben des Proletariats, der immer weiter fortschreitenden historischen Erschöpfung dieser kranken Art der Reproduktion unseres Lebens namens Kapitalismus.

Andererseits wird der Tourist als Ursache des Elends individualisiert und das Problem in einer bestimmten Form des Konsums und nicht in den Produktions- und Ausbeutungsverhältnissen, in denen wir leben, verortet, was in diesem speziellen Fall auch zu einer gefährlichen Unterscheidung zwischen den „Einheimischen“ und den „Auswärtigen“ führt.

Auf diese Weise geht der Kern der Kritik nicht an die Bourgeois, sondern an den Touristen, der über Airbnb kommt, den proletarischen Touristen, der nicht genug Geld hat, um ein Hotel zu bezahlen und nach der billigsten Option sucht. Wenn sich die Kritik nicht an Touristen, sondern an Ausgewiesenen richtet, wird ein Unterschied zwischen der ausländischen und der einheimischen Mittel- und Oberschicht gemacht, als ob der Anstieg der Wohnungspreise in den städtischen Zentren besser wäre, wenn er auf die Nachfrage der Katalanen oder Mallorquiner und nicht auf die der Franzosen oder Deutschen reagiert. In dieser Art von Kritik sehen wir wieder einmal den alten nationalistischen Interklassismus am Werk.

Die Vertreibung der Proletarier aus den städtischen Zentren aus den oben genannten Gründen führt zu einer „barrionalistischen“ (A.d.Ü., Kieznationalismus) Antwort der Linken, die angesichts des Problems nicht nur unzureichende, sondern auch unpassende und reaktionäre Lehren zieht, die auf der Sehnsucht nach einem Viertel beruhen, das als Interessengemeinschaft zwischen dem Proletariat und der lokalen Kleinbourgeoisie vereint ist. Die Verteidigung des Viertels wird so zur Verteidigung des Kleinkapitals gegen das Großkapital und zur Idealisierung der Vergangenheit, als ob das Leben unserer Klasse besser gewesen wäre, als sie noch von der Fabrik oder der Bar ihres Lebens ausgebeutet wurde, anstatt von McDonalds und dem Souvenirladen. Kommunisten wollen die Entwicklung des Kapitalismus nicht für eine unmögliche Umkehr aufhalten. Wir wollen auch nicht ein Modell der Arbeitsausbeutung gegen ein anderes verteidigen. Wir wollen dem Kapitalismus und damit allen Formen der Ausbeutung ein Ende setzen. Dazu ist es notwendig, die Kritik aufzugeben, die den Ausländer (Tourist oder Ausgewiesenen) und bestimmte Formen des Konsums als Feind identifiziert, statt zu verstehen, dass das Problem in den Produktionsverhältnissen eines kranken Systems liegt, das unser Elend nur tendenziell vergrößert und unser Leben verschlechtert.

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(Grupo Barbaria) DEN KAPITALISMUS INTERSEKTIONIEREN? https://panopticon.blackblogs.org/2024/04/28/grupo-barbaria-den-kapitalismus-intersektionieren/ Sun, 28 Apr 2024 15:01:07 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5671 Continue reading ]]>

Text von Grupo Barbaria, die Übersetzung ist von uns.


DEN KAPITALISMUS INTERSEKTIONIEREN?

Einleitung

Dies ist nicht das erste Mal, dass wir über die Postmoderne1 schreiben, und doch kommen wir immer wieder darauf zurück. Warum? Zum einen wollen wir einige theoretische und methodische Überlegungen zur Kritik der Postmoderne verfeinern und zum anderen scheint sie uns auch heute noch eine der einflussreichsten Ideologien für diejenigen zu sein, die sich angesichts des Elends dieser Welt aufklären und radikalisieren wollen. Für uns ist es auch eine Frage der Methode. Es ist nicht nur wichtig, was wir über die soziale Realität denken, sondern auch, mit welcher Methode wir uns ihr nähern. Die postmoderne Methode reproduziert, wie wir später erklären werden, unweigerlich die Kategorien des Kapitals und hindert uns daran, eine Kritik zu üben, die dieses System an der Wurzel packt, was für diejenigen von uns, die sich für eine andere Welt einsetzen, unerlässlich ist. Zu verstehen, worin diese postmoderne Methode besteht und welche Konsequenzen sie hat, ist in diesem Sinne nützlich, um eine Methode zu übernehmen, die auf dem Kommunismus und einem festen Bekenntnis zur Revolution basiert. Aus all diesen Gründen erscheint es uns wichtig, auf diese Themen zurückzukommen, und zwar auf eine Art und Weise, die sich unserer Meinung nach nicht wiederholt, sondern die Gründe für die Kritik vertieft, die falschen Dichotomien, die die Verteidiger der Postmoderne oft mit ihren fiktiven Kritikern konfrontieren. Um zu verstehen, woher die Postmoderne kommt, was die Gründe für ihre Stärke und Hegemonie sind, müssen wir wissen, dass das Falsche immer ein Moment des Wahren ist, oder, anders gesagt, dass jede Ideologie ein Ausdruck ist, der aus dem Boden dieser Gesellschaft geboren wird. Es reicht nicht aus, sie einfach als falsch oder negativ anzuprangern, sondern sie als einen verzerrten, fetischistischen Ausdruck der materiellen Produktion und Reproduktion der Welt, in diesem Fall des Kapitalismus, zu verstehen. Wir wissen mit Marx und anderen Gefährten unserer historischen Partei, dass die Ideologie nichts anderes ist als ein weiteres Zeichen für die Metamorphosen des Werts als gesellschaftliches Verhältnis. Ein Ausdruck seiner objektiven gesellschaftlichen Form auf der Ebene des Denkens, des Geistes. Eine geteilte und gespaltene Welt, wie der Kapitalismus, in dem wir leben, reproduziert Ideologien und Theorien, die Spaltung und Trennung zur Grundlage ihres Weltbildes machen. In der gegenwärtigen Phase der kapitalistischen Entwicklung, in der sich die Krise immer mehr zuspitzt, werden die Trennungen zudem immer schärfer. Geld erscheint in seiner Virtualität als authentischer Reichtum, der durch sich selbst bestätigt wird. Wir leben in Zeiten, in denen sich das fiktive Kapital geometrisch vervielfacht und kaum noch etwas mit der realen Wertproduktion zu tun hat. Wenn Trennungen akzentuiert werden, wird eine Theorie möglich, die in die reine Simulation der Sprache verliebt ist, unabhängig von ihrem Bezug zur Realität. All das wollen wir auf den folgenden Seiten näher erörtern und untersuchen.

1. Die Niederlage der revolutionären Welle in den 70er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts

Die 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts markierten das teilweise Ende der konterrevolutionären Periode, die die Niederlage der wichtigen revolutionären Welle einleitete, die das Weltproletariat von 1917 bis 1927 angeführt hatte. In diesen Jahren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts führte das Proletariat von Frankreich bis Spanien, von Portugal bis Mexiko, von Argentinien bis Italien, von Polen bis zum Iran … erneut eine Welle von Kämpfen an, die in Bezug auf die revolutionäre Kraft und Intensität nicht mit der vorangegangenen Welle vergleichbar war, die aber einen Ausweg aus der konterrevolutionären Langeweile der vorangegangenen Jahrzehnte bedeutete. Eine neue Generation von Proletariern taucht im Klassenkampf auf und versucht, sich in Positionen zu klären: ein teilweiser Ausdruck davon, wie der Klassenkampf aus dem Boden dieser Gesellschaft hervorgeht und mit ihm Minderheiten entstehen, die den historischen Ausdruck der Partei des Proletariats bilden. Diese partielle Kampfwelle scheiterte im Laufe der 1980er Jahre nicht nur an ihren eigenen Grenzen, an einer gesellschaftlichen Kraft (der des kämpfenden Proletariats), die noch weitgehend von den Verwirrungen der siegreichen Konterrevolution lebte (dem Stalinismus, der schließlich ab 1989 in eine endgültige Krise geriet), aber auch, weil der Kapitalismus und seine Bourgeoisien noch viel mehr Handlungsspielraum hatten als jetzt (die Krise begann sich 1973/75 zu manifestieren), als die inneren Grenzen des Kapitals deutlich wurden. Die Revolution wurde als subjektive Dringlichkeit empfunden, aber nicht als materielle Notwendigkeit. Heute leben wir in einem umgekehrten Paradoxon: Der Kapitalismus offenbart deutlich die Unmöglichkeit seiner Existenz in der Zeit (mit der Vertreibung der Arbeitskraft, der geometrischen Zunahme der überflüssigen Menschheit, dem beschleunigten Verbrauch des Planeten…) sowie die tatsächliche Potenzialität des Kommunismus als eine Lebens- und Produktionsweise, die bereits durch die gegenwärtige materielle Entwicklung möglich ist (die Möglichkeit, einen Plan für die Produktion und Reproduktion der Spezies ohne Waren und Geld zu verwirklichen, ist bereits völlig aktuell und möglich), und gleichzeitig wird seine subjektive Möglichkeit nicht gesehen. Wir leben in einer ewigen Gegenwart, in der der Horizont der Zukunft im Bewusstsein des Proletariats gebrochen zu sein scheint.

Als revolutionäre Kommunisten und historische Materialisten sind wir davon überzeugt, dass die Widersprüche des Kapitalismus und die Bedrohung, die er für das Überleben der Spezies und des Planeten selbst darstellt, mit Sicherheit zu einer Verschärfung des Klassenkampfes und der Prozesse der sozialen Polarisierung, von Klasse gegen Klasse, führen werden. Ein Antagonismus, der den Zusammenprall zwischen zwei Welten – Kapitalismus oder Kommunismus, Katastrophe oder Spezies – zutiefst offenbart. Aber in diesem Prozess des Antagonismus und der sozialen Polarisierung, der sich immer weiter ausbreiten wird, ist es sehr wichtig, wie wir Kommunisten die allgemeine Dynamik des Prozesses und die Reichweite der Ziele unseres Kampfes (Gemeinschaft ohne Klassen und ohne Staat) aufzeigen. Und dazu ist es auch unerlässlich, die ideologischen Strömungen, die eine Emanation der alten Welt sind und die in diesem Sinne bewusst oder unbewusst für das Überleben der alten Welt und ihre Katastrophe kämpfen, entschieden zu kritisieren. Unsere Kritik an der Postmoderne muss auf diesem Terrain angesiedelt sein, nämlich auf der Suche nach Klarheit angesichts eines Konzepts, das uns in dieser Welt verwurzelt.

Und tatsächlich geht der Begriff Postmoderne auf ein Buch von Lyotard aus dem Jahr 1979 mit dem Titel Das postmoderne Wissen zurück. Wie wir bereits bei anderen Gelegenheiten angedeutet haben, ist Lyotard ein ehemaliges Mitglied der ultralinken Gruppe Socialisme ou Barbarie (andere prominente Mitglieder waren Castoriadis oder Lefort), einer Gruppe, die ausgehend von internationalistischen Perspektiven und der Suche nach Klassenautonomie, mit dem Trotskismus ab dem Zweiten Weltkrieg gebrochen hatte, allerdings hatten sie dabei eine Reihe von Verwirrungen mitgenommen, wie zum Beispiel den Anspruch, Marx‘ Überlegungen zum Kapitalismus zu aktualisieren, oder die Charakterisierung der UdSSR als bürokratische und nicht-kapitalistische Gesellschaft. Diese Schwächen waren ausschlaggebend für den späteren Niedergang der Gruppe. In jedem Fall scheint es uns wichtig zu betonen, dass Lyotards Buch von 1979 der Moment ist, in dem er sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt. Und dieser Moment war bereits der Moment der Ebbe und der Niederlage, die sich seit den 1980er Jahren angekündigt hatten. Die Hoffnungen von ’68 waren zur Ernüchterung der Ebbe geworden. Das ist der Moment, in dem die Individuen und ihre Versuche, sich mit der Normalität zu versöhnen, in Erscheinung treten. Die Revolution ist nicht mehr eine materielle Realität, die aus dem Klassenkampf und den Widersprüchen dieser Welt entsteht, sondern wird zu einer Idee. Und für Lyotard ist es eine schlechte Idee. Eine Idee, die zu den schlimmsten Katastrophen, zum Totalitarismus, führt, weil sie die schlimmsten Wurzeln hat: Meta-Narrative, die eine religiöse und teleologische Erlösung suchen, eine unmögliche, kurz gesagt. Wir halten es für sehr wichtig, diesen Ursprung hervorzuheben, weil er die politische und ideologische Matrix der Postmoderne enthält, einer Theorie, die versucht, eine historische Epoche, die Postmoderne, und eine relativistische Sichtweise der Welt zu erklären, die aber im Wesentlichen eine Theorie ist, die aus der Niederlage des Klassenkampfes und des Zyklus der proletarischen Kämpfe, der in den 1960er Jahren entstanden war, geboren wurde. Es ist eine Theorie, die die Konterrevolution aus den Kategorien der Konterrevolution heraus denkt, also das Gegenteil von dem, was wir vorgeben zu tun, die aber als falscher Radikalismus erscheint, weil sie die Kategorien dieser Welt dekonstruieren will und deshalb eine ideologische Faszination unter radikalen Aktivisten ausübt. Aber die verbale Dekonstruktion löscht diese Welt nicht aus, sie untermauert sie.

Postmoderne Autoren, angefangen bei Lyotard selbst, sehen die Postmoderne als eine neue historische Epoche. Diese These wird nicht nur von ihnen, sondern auch von einigen ihrer akademischen Kritiker (Jameson) vertreten, die hier eine neue objektive Epoche (Jameson spricht vom Spätkapitalismus) sehen, die auch einen neuen subjektiven Zugang zu Kultur, Kunst und Denken impliziert. In der Architektur zum Beispiel wird der künstlerische Funktionalismus des Bauhauses oder Le Corbusiers und ihrer Bienenstöcke für Proletarier durch die Gebäude von Robert Venturi, Moneo oder Calatrava ersetzt… die die Heterogenität der Stile, eine Rückkehr zur Vergangenheit und zu den spezifischen Stilen jedes Landes fördern. Wenn wir an ein Gebäude wie das Centre Pompidou in Paris denken, ist es nicht gerade ein Gebäude, bei dem Harmonie oder Funktionalität im Vordergrund stehen, und das ist es, was auffällt und überrascht. Auch im Denken hat die Suche nach dem Begehren Vorrang vor der aufgeklärten Vernunft, der Zweifel vor dem Absoluten. Und die Klassenperspektive wird durch neue soziale Bewegungen identitärer Natur ersetzt. Es ist eine neue Ära, die von einem anderen Weltbild geprägt ist. Und so stellen es uns die Autoren vor.

Wir leugnen nicht, dass es im Kapitalismus Veränderungen und Umwälzungen gibt, aber wir behaupten immer, dass seine kategorischen Grundlagen immer dieselben sind. In Realität erleben wir eine Verschärfung der Krise des Kapitalismus, eine Welt, der die Luft ausgeht, inmitten einer Krise, die ihre Grundlagen leugnet und durch die Erosion der klassischen Institutionen, die das Leben der Menschen getragen haben, ein sinnloses Leben erzeugt. Damit meinen wir die tiefgreifende Krise der traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung, der Parteien und Syndikate auf der linken Seite des Kapitals, der Familie, der Nachbarschaft … Dieser Erosionsprozess und das, was er hervorbringt, in Form eines allgemeinen Unbehagens, der Schwierigkeit, Gewissheiten und feste Sicherheiten zu finden, ist der Nährboden für viele der postmodernen Perspektiven. Auf diese Weise ist die Postmoderne ein Ausdruck dieser Welt in der Krise, die jedoch an ihre Kategorien, an die Kategorien des Kapitals, gebunden bleibt. Eine Welt in der Krise, in der ihre eigenen Kategorien ein zunehmend dysfunktionales und getrenntes Verhältnis zueinander haben: zwischen produktiver Ökonomie und fiktivem Kapital, zwischen Ökonomie und Staaten, zwischen ihrer nationalen und transnationalen Realität. Es handelt sich um eine zunehmend erschöpfte bourgeoise Welt, die sich in der Krise befindet, und in diesem Sinne sagen wir, dass es sich um eine objektive soziale Form des bourgeoisen Geistes handelt: eine Art, über diese Welt zu denken, die die ihr zugrunde liegenden sozialen Kategorien zum Ausdruck bringt.

Die Postmoderne wurde an französischen und amerikanischen Universitäten geboren, d.h. sie ist ein akademisches Produkt. In Wirklichkeit ist das, was wir normalerweise als Postmoderne bezeichnen, zu einem großen Teil eine bestimmte Strömung der bourgeoisen Philosophie aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der Poststrukturalismus, eine Strömung, die von Foucault, Derrida, Deleuze, Guattari und einer langen Reihe von Autoren verkörpert wird, die, vom philosophischen Strukturalismus kommend, eine Theorie konstruieren, die die Subjektivität und den Willen in den Mittelpunkt des Denkens über Philosophie stellt. Diese und andere Autoren unterschiedlicher Herkunft haben ihre mehr oder weniger scharfe Kritik an Marx‘ Werk gemeinsam. Insbesondere die kommunistische Perspektive des Proletariats als universelle Klasse und die materialistische Auffassung von Geschichte als Grundlage für die Analyse der Realität. Gleichzeitig sind der Stalinismus und die Postmoderne die beiden entgegengesetzten Pole derselben Einheit, da sie aus gemeinsamen Ursprüngen schöpfen und in ständigem Dialog mit ihr stehen. Man denke nur an die Beziehung von Foucault und Althusser, die von einem gemeinsamen Strukturalismus ausgehen. Wie wir bereits gesagt haben, ist die Postmoderne als theoretische Strömung aus einer Verherrlichung der Subjektivität entstanden, einem Subjekt, das in seiner eigenen gnoseologischen Soße gekocht wird. Es gibt keine Kausalität zwischen dem wissenden Subjekt und der bekannten Realität, also gibt es auch kein objektives Wahrheitskriterium. Andererseits führt dieser Subjektivismus auch zu politischem Voluntarismus, denn es gibt auch keine Beziehung zwischen dem Willen des Individuums und einer Perspektive, die es übersteigt und umschließt. Das Subjekt strebt nicht nach menschlicher Emanzipation und Befreiung, was in Realität eine religiöse Metaerzählung wäre, die zum Totalitarismus führt. Im Gegenteil, das Subjekt strebt danach, sein eigenes rhizomatisches Begehren zu verwirklichen und brütet somit auch über das Begehren seines eigenen Willens. Alles, was gewollt wird, ist gut.

Wir können also damit beginnen, einige der Merkmale zu definieren, die die sehr unterschiedlichen Autoren, die wir dieser Strömung zuordnen, vereinen.

– Diese Kritik an der Idee der Wahrheit impliziert die Anfechtung aller revolutionären Theorien als teleologischer und religiöser Ausdruck, als eine Geschichte, hinter der sich ein gnostischer Traum von religiöser Erlösung verbirgt, der der irdischen Welt eine religiöse Prüfung auferlegt. Natürlich ist die revolutionäre Theorie für postmoderne Ansichten eine unter anderen, aber als gute bourgeoise Theoretiker ist sie auch eine gefährliche und schlechte. Daher ist die Postmoderne eine Theorie gegen die Revolution und reduziert die Revolution auf eine Idee unter anderen und nicht auf die reale Bewegung, die diese Welt leugnet, d.h. eine Perspektive, die tief in dieser Welt verankert ist.

– Es wird argumentiert, dass die globale Kritik dieser Welt unmöglich ist, unmöglich zu denken und unmöglich zu praktizieren. Es bleiben uns nur die Ränder. Die Postmoderne flieht vor den Zentren, preist und verherrlicht Unterschiede und Heterogenität. Sie wendet sich gegen die Totalität, die sie als Totalitarismus bezeichnet, und nimmt die Fragmente als einen Ausdruck an, der in der Reichweite des menschlichen Willens liegt. In Realität bekräftigt sie damit die Unmöglichkeit, das Fundament zu hinterfragen, das die unterdrückende Einheit dieser Welt untermauert.

– Dieser extreme Relativismus geht Hand in Hand mit der Reduktion der Realität dieser Welt auf theoretische Repräsentationen. Was wichtig ist, ist das Subjekt, das weiß, und nicht das Objekt, das gewusst wird. Die Konzepte und Kategorien des Subjekts, seine begrifflichen Repräsentationen, seine Diskurse und seine Texte. Alles ist Sprache, die Realität wird ausschließlich durch Worte und Sprache gefiltert, Worte, die, wie wir bereits wissen, keinen Grund haben, uns etwas Wahres über die Realität zu sagen. Für prominente postmoderne Autoren wie Derrida wäre diese Beziehung zwischen Denken und Realität eine Form der Metaphysik der Gegenwart. Der Gegenstand ist unserem Wissen nie unmittelbar gegeben, was zwar wahr ist, aber nicht aufgrund einer bloßen ontologischen und ahistorischen Frage, sondern aufgrund der Art und Weise, wie wir in einer undurchsichtigen, vom Kapital beherrschten Welt leben. Nur wenn wir diesen Warenfetischismus aufdecken, können wir die Realität begreifen, die uns beherrscht.

– Wenn die Realität eine (performative) Konstruktion des Subjekts, seiner Sprache und seiner Repräsentationen ist, dann ist es offensichtlich, dass die Postmoderne dem Determinismus des historischen Materialismus radikal entgegensteht, einem Determinismus, der keine Form des Fatalismus ist. Alles ist ein Produkt des menschlichen Willens, Kontingenz und Zufall dominieren in postmodernen Diskursen über Kausalität und Determinismus. Diese Überhöhung der Freiheit steht im Einklang mit früheren Lehren: Die Realität ist nichts anderes als ein Ausdruck der Vorstellungen der Subjekte, die menschliche Emanzipation kann keine reale Grundlage haben, weil sie sonst totalisierend und totalitär wäre, die Handlungen der Subjekte sind ein reiner Ausdruck ihrer Identität und ihres Willens und daher niemals materieller Interessen und Dynamiken.

Eine Identitätsphilosophie, die sich den materiellen Prozessen der sozialen Polarisierung und der Bildung sozialer Klassen entgegenstellt. Für postmoderne Theoretiker ist alles das Ergebnis von Subjekten, die in ihrer Identität selbstbestimmt sind oder die im Gegenteil ihre Identität durch den Blick der anderen geformt sehen. Es gibt keine materiellen Prozesse, die die Subjekte dieser Gesellschaft formen, d.h. es gibt keine sozialen Klassen. Im Gegenteil, für uns sind Klassen kein Ausdruck sozialer und subjektiver Identitäten, sondern der materiellen Spaltungen dieser vom Kapital beherrschten Welt und der Bewegungen des Kampfes, die auf der Grundlage materieller Widersprüche und Antagonismen das Proletariat als soziale Klasse abspalten, die sich als Partei konstituiert, wie Marx sagte, d. h. als eine gegen die Grundlagen dieser Welt organisierte Subjektivität. Aber dieser ganze Prozess wird vom Determinismus der materiellen Prozesse beherrscht. Identität und soziale Klasse sind nicht gleichzusetzen und passen nicht zusammen. Das Proletariat ist keine Identität unter anderen, die den postmodernen Dreiklang aus Klasse, Rasse und Geschlecht begleiten kann. Und auch die patriarchalische oder rassistische Unterdrückung des Kapitalismus lässt sich nicht aus einer identitären Perspektive heraus verstehen. Die Identitätsbesessenheit der Postmoderne steht im Einklang mit dem Voluntarismus und Antideterminismus, der alle ihre theoretischen Begriffe umgibt.

– Identitarismus, Relativismus, Kritik an Teleologie und Meta-Narrativen, Unmöglichkeit einer emanzipatorischen Perspektive… All dies impliziert eine Kritik des Essentialismus und Dogmatismus, von der wir Kommunisten, die diese Welt negieren wollen, Gebrauch machen werden. Und in der Tat verstehen wir, dass der Kapitalismus durch Kategorien konstituiert wird, die seit seinem Aufkommen als herrschende Produktionsweise im Wesentlichen gleich sind, dass es einen Widerspruch zwischen den menschlichen Bedürfnissen und der Dynamik des Kapitals gibt und dass wir daher von einer menschlichen Natur sprechen können, die, wie alle Formen der Invarianz, dynamisch und nicht statisch ist, aber wesentliche Aspekte enthält: Jeder Mensch muss sich biologisch fortpflanzen, ist ein Gemeinschaftswesen und hat rationale und sentimentale Fähigkeiten. Wir sind natürliche Wesen, die mit Fähigkeiten ausgestattet sind, die, wenn sie nicht entwickelt und eingesetzt werden, eine Entfremdung unseres Seins in der Welt bedeuten, wie Marx und die kommunistische Bewegung von Anfang an erklärt haben. Dies sind die materiellen Grundlagen des Antagonismus und der Gegenposition des Proletariats gegenüber dem Kapitalismus. Die Negation dieses postmodernen Anti-Essentialismus, seine Leugnung der Existenz materieller Grundlagen, impliziert wiederum die Negation sozialer Interessen, die aus der Existenz entstehen und ihr zugrunde liegen. Es bedeutet, wie wir bereits gesehen haben, dass alles auf eine Frage der Identität und nicht der materiellen Existenz reduziert wird. Der Dualismus zwischen Subjekt und Objekt, der der postmodernen Theorie zugrunde liegt, und ihr vorherrschender Subjektivismus implizieren die Reduzierung sozialer Konflikte auf Fragen der Identität und der Anerkennung von Subjekten.

Die Unmöglichkeit, eine Wahrheit über diese Welt und eine befreiende Praxis zu erreichen. Es sind also Theorien der sozialen Ohnmacht, denn wenn nichts authentischer ist als alles andere, gibt es weder eine Grundlage für den Kampf gegen diese Welt noch eine bessere Perspektive, mit der die bestehende Ordnung überwunden werden kann. Es handelt sich also um eine relativistische Sicht der Welt.

2. Der methodologische Individualismus der Postmoderne

Wir finden es interessant, zu Beginn dieses Teils eine Anekdote zu erzählen, die wir in ähnlicher Form tatsächlich schon bei zahlreichen anderen Gelegenheiten erlebt haben. In einer Diskussion über 1968 und die radikale Kritik der Umweltschützer an dieser Welt wurde uns gesagt, dass unsere Perspektive zwar interessant sei, aber nur von der Ökonomie spreche, dass der Fokus der Analyse auf alle Formen der Unterdrückung ausgeweitet werden müsse. Und die antiindustrielle Reflexion nach 1968 hat dabei geholfen. Dieses kleine Beispiel enthält eine Weltsicht, die typisch für die bourgeoise Soziologie ist und implizit von allen postmodernen Theoretikern aufgegriffen wird. Für sie leben wir in einer Welt, die unterdrückerisch ist, aber aus einer Vielzahl von Quellen besteht, die soziale Macht erklären. Die Analyse des Kapitalismus bedeutet, nur eine der Grundlagen der Herrschaft zu verstehen, in diesem Fall die ökonomische. Es ist jedoch notwendig, die Analyse durch eine Betrachtung der Unterdrückung der Geschlechter, des Kolonialismus, der die Beziehungen zwischen Rassen und Ländern bestimmt, der Umwelt und eines konsumistischen und produktivistischen Konzepts, das den Planeten ausbeutet, zu ergänzen… Nur mit diesem pluralen Ansatz können wir eine aktualisierte Sicht auf die Herrschaft des Systems über unser Leben gewinnen. Das wäre, nicht ganz so schematisch, die Art von Ansatz, mit der wir konfrontiert sind. Und es ist einfach nicht wahr. Es gibt keine Vielzahl von Unterdrückungen, die die Menschen dann durch unsere intersektionalen Kämpfe zusammenführen können. Wenn wir dabei bleiben, bleiben wir in der Art und Weise, wie der Kapitalismus den Menschen in ihrem täglichen Leben, in ihrer Existenz erscheint. Der Kapitalismus trennt uns in eine Vielfalt von Sphären, die voneinander getrennt sind, und lässt jede von ihnen als mit Autonomie ausgestattet erscheinen, mit einer eigenen Macht, hypostasiert, fetischisiert. Es handelt sich um eine Teilwahrheit (so erscheint die Realität den Subjekten), die die konstitutive Unwahrheit des Kapitalismus als globale soziale Beziehung verschleiert. Die Politik erscheint als das privilegierte Terrain kollektiver Entscheidungsfindung, das Recht als die Sphäre staatsbürgerlicher Verhaltensnormen, die Familie als Ort des persönlichen und privaten Zusammenlebens und der Zuneigung, der Markt als die Instanz, in der ökonomische Akteure Waren, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren austauschen… Das ist die gewöhnliche Art und Weise, in der der Kapitalismus den Menschen erscheint. Es ist kein Zufall, dass das bisher Gesagte die Grundlage der Theorien des politischen und ökonomischen Liberalismus ist, zum Beispiel der neoklassischen Theorie. Postmoderne Autoren sind in ihren Analysen kritischer, mehr an Max Weber angelehnt als an die Vulgärökonomie. Und deshalb sind sie kritisch. Aber kritische Kritik reicht nicht aus, wie Marx und Engels schon wussten, um diese Welt zu leugnen. Postmoderne Autoren entlarven die Falle, in die wir geraten sind. Nicht alles ist rosig. Es ist notwendig, zu dekonstruieren. Das Recht ist ein biopolitisches Instrument, das die Identität der Menschen unter dem Gesichtspunkt der sozialen Kontrolle formt, die Familie ist ein Terrain der patriarchalen Unterdrückung, oder die Staatsbürgerschaft verbirgt ein weißes, cis- und patriarchales männliches Subjekt, das die Welt beherrscht… Dieser Versuch ist sicherlich kritisch gegenüber der Art und Weise, wie diese Welt erscheint, aber er enthüllt nicht ihre Daseinsberechtigung, ihr Fundament. Es ist kein Zufall, dass die Postmodernen die Frage nach dem Ursprung scheuen. Trotz ihrer genealogischen und archäologischen Bemühungen gibt es keinen Ursprung, der es uns ermöglicht, die Entstehung der Kategorien, die uns beherrschen, konkret und praktisch zu verstehen. Letztlich ist alles das Ergebnis des Willens zur Macht und der Vorherrschaft einiger Subjekte über andere. Männer gegen Frauen, Weiße gegen rassifizierte Menschen, Heterosexuelle gegen Homosexuelle, Behinderte gegen Nichtbehinderte … Und das alles in einer Vielzahl von Kombinationen, die ein komplexes Geflecht aus Privilegien und Gegenprivilegien bilden.

All diese Argumente erklären jedoch nur sehr wenig und verfälschen in der Realität das Wesentliche. Es handelt sich um eine Art Idealtypus (wie in Webers Soziologie), in dem die Dynamik des pluralen Verhaltens von Subjekten verallgemeinert wird. Wie in jeder Verhaltenssoziologie geht es darum, diese Verhaltensweisen zu analysieren und daraus allgemeine Modelle zu konstruieren, die es uns ermöglichen, diese menschlichen Verhaltensweisen zu universalisieren und zu verallgemeinern. Diese Sichtweise setzt das Individuum als treibende Kraft hinter seinem eigenen Verhalten voraus (daher der Begriff methodologischer Individualismus), und das Ziel ist es, es zu beobachten und theoretisch über es nachzudenken. Sie geht vom Konkreten zum Abstrakten. Und das Konkrete wäre das soziale Verhalten von Individuen. In diesem Fall mehr oder weniger privilegierte Individuen, mit mehr oder weniger sozialer Anerkennung, mit mehr oder weniger Machtwillen. Aber der Ausgangspunkt ist immer das Individuum und seine soziale Selbstdarstellung.

Was wäre, wenn das Konkrete in Realität ein historisches Produkt wäre, was wäre, wenn das Konkrete wiederum eine Synthese aus mehreren abstrakten Bestimmungen wäre? Das ist der Ausgangspunkt von Marx und von uns. Das von der Gemeinschaft getrennte Individuum ist ein historisches Produkt des Kapitalismus, ebenso wie die Existenz selbst in den einzelnen Instanzen der Ökonomie, der Politik, des Öffentlich-Privaten, des Rechts, der Nationen… Von diesen Quellen sozialer Macht als natürlicher Sphäre auszugehen, in der die Subjekte handeln, bedeutet einfach, auf dem Terrain der kapitalistischen Welt zu bleiben, aber zu glauben, dass sie natürlich und nicht historisch, neutral und nicht eine Instanz der sozialen Reproduktion und Herrschaft ist. Das Paradoxe an der Postmoderne ist, dass sie in ihrem Versuch, alles in Frage zu stellen, die konstitutiven und historischen Grundlagen des Kapitalismus einfach naturalisiert. In diesem Sinne sagen wir, dass das Konkrete eine Synthese des Abstrakten ist, d. h. der abstrakten Kategorien des Kapitalismus, die die vom Kapital beherrschte Welt der menschlichen Praxis durchdringen und konstituieren. Die Postmoderne naturalisiert die Verhaltensweisen der Subjekte oder erklärt sie allenfalls als Ergebnis unterschiedlicher Vorstellungen oder Machtwillen im Kampf, während sie in Realität Ausdruck der Art und Weise sind, in der der Kapitalismus einen bestimmten Typus von Subjekt und menschlicher Anthropologie hervorbringt.

Der Kapitalismus ist eine Produktionsweise, die einen sehr genauen Ursprung hat. Er entsteht historisch aus den Brüchen der bäuerlichen Gemeinschaften in Europa, die diese Bauern dazu zwingen, Proletarier zu werden, indem sie ihre Arbeitskraft verkaufen, und auf einem Weltmarkt, der mit der kastilischen und portugiesischen Eroberung Amerikas entscheidend erweitert wurde. Indem das Proletariat seine Arbeitskraft an das Kapital verkauft, wird das Kapital produktiv verwertet. Das Kapital schwillt im Wert an, es wird dadurch vermehrt. Das Kapital ist in Realität nichts anderes als Mehrwert, d. h. Wert, der sich mit Wert aufbläht und diesen ständig erhöht. Das macht den Kapitalismus zu einer Produktionsweise, die vom Kapital beherrscht wird, von jener Gesellschaftsform, die vom unerbittlichen Streben nach Wertsteigerung angetrieben wird. Es ist ein System, in dem die Beziehungen zwischen den Menschen den sozialen Dingen untergeordnet sind, das seine eigene Bewegung hat und eine Art zweite Natur darstellt. Was ursprünglich eindeutig eine gewalttätige soziale Beziehung ist, erscheint den Subjekten als etwas Natürliches. Die Geschichte, die aus den Eingeweiden der kapitalistischen Gesellschaft geboren wird, erzählt uns, dass es normal ist, jeden Morgen aufzustehen und zur Arbeit zu gehen, weil wir von irgendetwas leben müssen. Es ist normal, unsere Arbeitskraft zu verkaufen und dafür einen Lohn zu bekommen. Es ist normal, dass der Eigentümer des Produktionsfaktors (der Maschinen), der unsere Arbeitskraft mietet, sich die Früchte unserer zunehmend kollektiven Arbeit aneignet. Das alles ist völlig normal, weil es sich um einen Vertrag handelt, der zwischen Subjekten geschlossen wurde, die frei und gleich in ihrem abstrakten Willen sind. All das findet auf einem bestimmten Markt statt, z. B. auf dem Arbeitsmarkt. Das heißt, was ein gesellschaftliches Ausbeutungsverhältnis ist, erscheint den beteiligten Subjekten als etwas Natürliches, das von gesellschaftlichen Kräften bewegt wird, die nicht von ihnen kontrolliert werden und sich verselbständigen. Deshalb spricht Marx vom Kapital als einer unpersönlichen Kraft (die nicht von uns kontrolliert wird), die sich durch eine automatische Dynamik bewegt und uns zu Anhängseln (Dingen) macht, die ihrer Kraft unterliegen.

Dies ist das soziale Verhältnis, das die Postmoderne zu naturalisieren versucht. Darüber hinaus drückt sich dieses vom Kapital vermittelte soziale Verhältnis nicht nur in einer ökonomischen Sphäre aus, sondern verdichtet und kristallisiert sich in vielfältigen Bestimmungen und Terrains, durch die Aktivitäten, Überlegungen, Umstände, Denkweisen und menschlicher Austausch in Bezug auf die Menschen, die sie aufrechterhalten, objektiviert und autonomisiert werden. Auf diese Weise können wir von verschiedenen Metamorphosen der Wert-Form in den verschiedenen Instanzen des gesellschaftlichen Lebens sprechen, die die für den Kapitalismus typische fetischistische und verdinglichende Logik übertragen. Der Kapitalismus verdinglicht nicht nur die ökonomischen Beziehungen, sondern seine Metamorphosen berühren alles. Der Kapitalismus erklärt nicht alles, aber nichts kann verstanden werden, wenn wir den Kapitalismus nicht verstehen. Die Logik der Wert-Form reproduziert sich auf der Grundlage einer Vielzahl von Trennungen und Spaltungen, die für sie eigen sind: zwischen der Produktion und der Zirkulation von Waren, zwischen der Sphäre der Produktion (Lohnarbeit) und der Sphäre der Reproduktion (der privaten Sphäre von Familien und Elternschaft, dem privilegierten Ort der patriarchalischen Struktur des Kapitalismus), zwischen der privaten Sphäre der Zivilgesellschaft und der des Staates, zwischen Handelsrecht und öffentlichem Recht, zwischen Staatsbürgern und Arbeitern, zwischen Mensch und Natur, zwischen Körper und Geist… All diese Formen sind der Logik des Werts in ihrer fortwährenden und unpersönlichen Reproduktion immanent. Sie sind nicht Ausdruck eines freien individuellen Verhaltens oder eines persönlichen Machtwillens, sondern Formen, in denen die Logik des Werts in einem permanenten Prozess gerinnt. Das verstehen nicht alle bourgeoisen Theoretiker, die in ihren Analysen von der gesellschaftlichen Natürlichkeit des Kapitals ausgehen. Sie können allenfalls die schädlichsten Auswirkungen in Frage stellen, für eine gerechtere Verteilung des Werts oder für die Anerkennung der Opfer der Kapitaldynamik kämpfen. Aber immer ohne die Dynamik selbst in Frage zu stellen. Ohne zu verstehen, dass der Schatten des Kapitals hinter all diesen Bewegungen steht. Denn das kapitalistische Gesellschaftsverhältnis ist nicht nur ein Ausdruck der Produktionsverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit. Wenn wir von Kapitalismus sprechen, reden wir nicht nur über Ökonomie, sondern über die gesellschaftliche Gesamtheit, die Ausdruck der Dynamik des Kapitals in Bewegung ist, in der Metamorphose, in der es neue Gesichter in Form von Recht, Demokratie, Staatsbürgerschaft … annimmt. Unsere Kritik am Kapital ist auch untrennbar eine Kritik an der Politik, am Patriarchat, am Recht.

Wir sprechen also nicht über ein soziales Verhältnis, das eine summative Kombination von Netzwerken, Interaktionen und Institutionen ist, sondern im Gegenteil über dieselbe soziale Logik, die das soziale Verhalten in die Metamorphosen der Wert-Form des Kapitals einschreibt. Deshalb kann soziales Verhalten nicht (wie die Postmoderne und die bourgeoise Soziologie meinen) außerhalb dieser Analyse der Bewegungen des sozialen Kapitals verstanden werden, und schon gar nicht als Ausgangspunkt für Gesellschaftskritik.

Das ist der große Unterschied in der theoretischen Methode zwischen unserer Partei und anderen kapitalismuskritischen Strömungen, die jedoch im langen Schatten des Kapitals stehen. Die Postmodernen, als typischer Ausdruck der bourgeoisen Soziologie, gehen von einer analytischen Sichtweise aus, die auf der Art und Weise basiert, wie die Realität den Subjekten erscheint, und von dort aus verallgemeinern sie, wobei sie Gefangene der unpersönlichen Dynamik des Kapitals selbst bleiben. Das soziale Verhältnis, das sich durch mehrere Masken entfaltet, ist für die Menschen in ihrer sozialen Isolation nicht direkt sichtbar und wahrnehmbar. Masken wie Technologie, Warenästhetik, der Überfluss an Objekten, Konsum, Demokratie und Allgemeinwohl, Menschenrechte… Sie alle sind Ausdruck desselben sozialen Wesens, des Kapitals und seiner abstrakten Logik. Es ist nicht sichtbar, aber es wirkt als das wahre Prinzip der Realität. Das Kapital ist eine Reihe von Abstraktionen, die seine soziale Dynamik formen und die, wie wir sagen, untrennbar mit seiner Bewegung selbst verbunden sind. Ihren gemeinsamen Ursprung und ihre Verknüpfung zu ignorieren und sie als autonome und unabhängige Einheiten zu verstehen, entwaffnet uns und macht unsere Kritik ohnmächtig. Lohnarbeit und patriarchalische Familie, Staatsbürgerschaft und Recht, Demokratie und Nation … sind Ausdruck ein und derselben sozialen Welt, nämlich der des abstrakten Individuums, das seine Verbindung zu vorkapitalistischen Gemeinschaften gelöst hat. Das Kapital ist der wahre Geist der Welt, auch wenn es in seiner Unmittelbarkeit nie als solcher erscheint, auch wenn es die Beziehungen zwischen sozialen Dingen oder zwischen verdinglichten und gesellschaftlich produzierten Denkformen vermittelt. Gegen diese materielle Grundlage müssen wir uns wenden. Das Patriarchat oder der herrschende Ökozid sind nicht einfach das Produkt von Weltanschauungen, sondern Ausdrucksformen, die in der Materialität einer sozialen Dynamik verwurzelt sind. Deshalb können wir das Patriarchat nicht dekonstruieren, um es zu beenden, oder weniger konsumorientiert sein, um den Ökozid zu stoppen. Nur eine stärkere Materialität ist in der Lage, dem verborgenen Monster, das sich in seiner automatischen Verwandlung für allwissend hält, ein Ende zu setzen. Der Kommunismus ist die reale Bewegung, die all diese Formen negiert, um sich selbst zu bestätigen und das Kapital zu negieren.

3. Der Wille zur Macht als Ursprung?

Nach dem, was wir bisher gesehen haben, können wir verstehen, dass es eine Logik der Identität gibt, die dieser Gesellschaft innewohnt und die aus ihren Grundlagen und Parametern erwächst. Identität als Selbstbewusstsein in einer klassenbasierten und daher unterdrückerischen Gesellschaft kann nicht anders, als die Grundlagen der Gesellschaft zu reproduzieren, die sie ständig hervorbringt. Deshalb bewegt sich die Identitätspolitik, die der unmittelbarste ideologische Ausdruck der Postmoderne ist, immer innerhalb der Kategorien dieser Welt. Sie verstehen weder ihren Ursprung noch, warum sie sich selbst reproduziert, noch ihre Kategorien oder wie man sie abschafft.

Für die Postmoderne ist alles eine Frage der Macht. Allerdings ist der Ursprung der Herrschaft nicht ganz klar. Es läuft alles auf den Machtwillen einiger Subjekte gegenüber anderen, einiger Weltanschauungen gegenüber anderen hinaus. Wir sind zu einem ewigen Konflikt verdammt, aus dem es keinen Ausweg gibt. Es ist ein Krieg aller gegen alle, der nur in der rechtlichen Anerkennung der subalternen Identität durch den Staat eine Lösung finden kann. Es ist kein Zufall, dass man am Ende zum selben Schluss kommt wie Hobbes, wenn auch auf eine andere Art und Weise. Der Staat als Repräsentant multipler Identitäten dient als Vermittler. Nur er kann diesen ständigen Konflikt durch die Anerkennung subalterner Identitäten vermitteln: durch Gesetze zugunsten von Trans-Personen, durch eine Politik zugunsten rassifizierter Menschen in Schulen, durch eine Politik des Gedenkens an die koloniale Vergangenheit, durch das Abreißen von Statuen ehemaliger Sklavenhalter… Das Problem bei dieser Politik ist, wie bei allem, was der Staat tut, dass er Unterdrückungen nicht auflöst und abmildert, sondern sie auf eine höhere Ebene hebt. Und Tatsache ist, dass der Ursprung dieser realen Unterdrückungen (Rassismus, Patriarchat, der Mangel an Lebenssinn, den viele Menschen heute erleben…) eine gemeinsame Wurzel in der Art und Weise hat, wie der Kapitalismus seine Ausbeutung organisiert, sowie in all den Unterdrückungen, die wir weltweit erleben. Kein Gesetz wird den Rassismus beseitigen. Tatsache ist, dass der kapitalistische Wettbewerb ein Treibstoff ist, der den Funken des rassistischen Motors permanent entzündet. Es ist die kapitalistische Welt, ihre eigene Anthropologie, der permanente Wettbewerb, der in nationalen kollektiven Identitäten organisiert ist, der den Rassismus zu etwas macht, das dem Kapitalismus selbst immanent ist. So ist die Geschichte des Kapitalismus untrennbar mit der Geschichte dieser Unterdrückungen verbunden.

Aber wenn man von einer identitären Sichtweise ausgeht, die alles auf konfliktträchtige Subjekte reduziert, die von einem Willen zur Macht angetrieben werden, bedeutet das logischerweise, dass die Trennung ad infinitum reproduziert wird. Es gibt immer einen anderen, der unterdrückt wird und der anerkannt werden muss. Die postmoderne Logik der Herrschaft und die Logik der Ausbeutung, die unsere historische Partei verteidigt, sind antagonistisch. Die kapitalistische Ausbeutung geht davon aus, dass es eine abstrakte Totalität gibt, den Wert, der seine Herrschaft in allen Lebensbereichen reproduziert und vereinheitlicht. Wie die Subjekte diese Ausbeutung und Beherrschung erleben, kann nur auf der Grundlage dieser konkreten Totalität verstanden werden. Die Aufteilung der Herrschaft in verschiedene Bereiche dient lediglich dazu, nichts zu verstehen und sich innerhalb einer Totalität, die der Kapitalismus ist, in seinen eigenen Kategorien zu bewegen. Das ist es, was mit der postmodernen Identitätspolitik geschieht. Und so können sie sich beim Handeln nur auf die entsprechenden Kanäle beziehen, die ihnen der Kapitalismus selbst in seiner unpersönlichen Reproduktion vorgibt. Wenn es eine subalterne Identität gibt, muss man dafür kämpfen, dass der Staat sie anerkennt und ihr Rechte zugesteht. Die Grundlage der Identitätspolitik sind die Demokratie und der Staat, die Nation und das Gesetz als soziale Bindemittel für die Identität der Subjekte. Identitätspolitik geht von den Trennungen und Fragmentierungen dieser Welt aus und kann nur durch die Kategorien, die diese Welt ihr bietet, eine gescheiterte Einheit und Stabilität versuchen. Wie wir im Abschnitt über Intersektionalität sehen werden, ist die Bedeutung von Rechtsstudien und Praktiken zur Anerkennung von Rechten für Identitätsaktivisten nicht zufällig. Sie ist die logische Konsequenz ihrer eigenen theoretischen Positionen.

Unsere Perspektive besteht nicht darin, die Anerkennung dieser Welt zu erreichen, sondern sie zum Explodieren zu bringen. Es ist die Logik der Negation, um das wahre menschliche Gemeinschaft (Gemeinwesen) zu bejahen, eine Gemeinschaft, die nur durch die Negation der materiellen Grundlagen dieser Welt entstehen kann: Waren, soziale Klassen, Staaten und Nationen. Mit anderen Worten: Es geht weder um Anerkennung noch um die Verteilung von Macht oder Ressourcen, sondern um die radikale Verneinung der Kategorien des Kapitalismus. Unsere Bewegung hat diese negative Bewegung, die die menschliche Gemeinschaft bejaht, historisch als Kommunismus bezeichnet: diese reale Bewegung, die den gegenwärtigen Zustand verneint und überwindet. Das Proletariat ist die revolutionäre Klasse (und nicht nur ausgebeutet), insofern die Proletarier „(…) keine Ideale zu verwirklichen; sie hat nur die Elemente der neuen Gesellschaft in Freiheit zu setzen, die sich bereits im Schoß der zusammenbrechenden Bourgeoisgesellschaft entwickelt haben“ (Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich, Kapitel III). Und dies ist insofern möglich, als das Proletariat die Bildung einer Klasse mit radikalen Ketten voraussetzt, einer Klasse der bourgeoisen Gesellschaft, die keine Klasse der bourgeoisen Gesellschaft ist, einer Gesellschaftsschicht, die das Verschwinden aller Gesellschaftsschichten ist; eines Sektors, der einen universellen Charakter aus seinen universellen Leiden ableitet und keine Sonderrechte beansprucht, weil sie nicht unter einer sozialen Ungerechtigkeit leidet, sondern unter der Ungerechtigkeit selbst, der sich nicht mehr auf einen historischen Vorwand berufen kann, sondern auf einen menschlichen Vorwand, der nicht in einem besonderen Widerspruch zu den Folgen, sondern in einem universellen Widerspruch zu den Prämissen der deutschen öffentlichen Ordnung steht; eines Sektors schließlich, der nicht emanzipiert werden kann, ohne sich von allen anderen Sektoren der Gesellschaft zu emanzipieren und ohne diese ihrerseits zu emanzipieren; mit einem Wort, es bedeutet, dass der totale Verlust des Menschen nur durch die vollständige Wiedergewinnung des Menschen wettgemacht werden kann. Diese Auflösung der Gesellschaft, in Form einer besonderen Klasse, ist das Proletariat.

Wie wir sehen, ist das Proletariat für uns und unsere historische Partei gleichzeitig eine ausgebeutete und revolutionäre Klasse. Es ist revolutionär, weil es in der materiellen und realen Bewegung der Verteidigung seiner menschlichen Bedürfnisse die Notwendigkeit bekräftigt, die gesamte alte Welt, die wir kapitalistisch nennen, aufzulösen und eine neue Welt zu bejahen, die bereits potenziell in den Eingeweiden der alten Welt am Werk ist. Das Proletariat macht kein Sonderrecht geltend, sondern kämpft für die Abschaffung aller Formen des Rechts und damit des Staates. Das Proletariat ist, wie Marx behauptet, die entscheidende Ursache für die Auflösung der kapitalistischen Gesellschaft. Zu diesem Zweck muss es alle dieser Welt innewohnenden Trennungen und Zersplitterungen auflösen, um die kommunistische materielle Gemeinschaft zu bekräftigen. Das Proletariat setzt seine Interessen und Rechte nicht innerhalb dieser Welt durch, sondern kämpft darum, sich selbst zu negieren, indem es die gesamte Welt des Kapitals negiert: nicht nur die Ökonomie als Terrain der Produktion und der Realisierung des Werts, sondern auch die Politik als soziale Vermittlung des menschlichen Willens, das Patriarchat als Kristallisation der Geschlechterverhältnisse, den Rassismus als gewalttätige und unterdrückerische Beziehung zum Anderen… Aus der Perspektive von Marx muss der Kampf zwischen den Klassen, der soziale Krieg, der dem Kapitalismus eigen ist, innerhalb des globaleren Zusammenstoßes zwischen Kapitalismus und Kommunismus verstanden werden. Das Proletariat ist lediglich das handelnde Subjekt dieser Bewegung hin zum Kommunismus, denn um seine menschlichen Bedürfnisse zu verteidigen, muss es sich als Klasse behaupten, indem es sich als Partei konstituiert und durch die Weltrevolution die Bedingungen der Möglichkeit schafft, sich selbst und den Kapitalismus zu negieren. Es ist der einzige Sektor dieser Welt, der darum kämpft, sich selbst auf allen Ebenen seiner Existenz zu negieren.

Weder Anerkennung noch Verteilung: kommunistische Negation.

4. Modernität oder Postmoderne?

Allein die Tatsache, dass wir von Moderne oder Postmoderne sprechen, impliziert bereits eine theoretische Konzeption, die unserer Perspektive und Methode fremd ist. Es ist kein Zufall, dass wir von Produktionsweisen und nicht von Zivilisationen sprechen. Von der Moderne zu sprechen, bedeutet, von einer Zivilisation zu sprechen, die durch ein Weltbild (die Aufklärung) und säkularisierte soziale Praktiken in der Politik geprägt ist. Der vorherrschende Ansatz ist wieder einmal der von Max Weber. In diesen Ansätzen dominieren Perspektiven, in denen die Analyse durch die Zentralität von Ideen, Kultur, Herrschaftswillen und sozialem Verhalten vermittelt wird… Die Prozesse sind unausweichlich, aber nicht aus der Logik unseres historischen Determinismus. Sein Determinismus ist fatalistisch und geht immer von einer Sackgasse aus, aus der es keinen emanzipatorischen Ausweg gibt. Die Moderne birgt in sich den eisernen Käfig, der unser Leben in einer instrumentellen Rationalität gefangen hält. Wir werden zu Anhängseln einer bürokratischen Maschine, die die qualitativen Aspekte unseres Lebens in sich einschließt. Oberflächlich betrachtet unterscheidet sich die Perspektive nicht so sehr von Marx‘ Warenfetischismus, und doch sind der Ausgangspunkt und das Ergebnis völlig anders. Unsere Methode ist diametral entgegengesetzt.

Wenn wir von einem materialistischen und historischen Ansatz ausgehen, der den Kapitalismus als Widerspruch im Prozess begreift, können wir verstehen, dass die kapitalistische Welt in ihrer Materialität viel widersprüchlicher ist, als die Soziologie und die bourgeoise Philosophie zugeben wollen, weil sie letztlich von ihren eigenen Kategorien her denken. Der berühmte Webersche eiserne Käfig ist nicht das Ergebnis bloßer und unvermeidlicher sozialer Komplexität, sondern einer auf alle Aspekte des Lebens verallgemeinerten Logik, der Logik der Ware, die uns zu Dingen und Instrumenten für andere macht und den Waren und Dingen automatisch Persönlichkeit verleiht. Daraus erwächst die instrumentelle Rationalität. Einmal mehr wird deutlich, dass die modernen Sozialwissenschaften nichts anderes sind als objektive Denkformen der Kategorien des Kapitals. Die Moderne als Konzept ist nichts anderes als das Ergebnis der Verallgemeinerung verschiedener Idealtypen, die aus den Erfahrungen und Identitäten des sozialen Verhaltens in dieser Welt hervorgehen. Und natürlich werden soziale Verhaltensweisen von den Menschen auf eine Knast-Weise empfunden. Wir leben ein eingeschlossenes, erstickendes, zunehmend sinnloses Leben. Die Moderne ist all das, und sie wird immer tiefgreifender, denn sie ist keine einfache Logik, sondern die konkrete Materialität, die entsteht und alles in dieser Welt umschließt.

Und gleichzeitig ist sie eine dynamische, widersprüchliche, dialektische Totalität. Dieses letzte Wort, das für manche so magisch ist, als wäre es ein Fetisch, ist dennoch grundlegend für Marx und seinen Ansatz. Marx analysiert stets die widersprüchlichen Pole jeder sozialen Realität, jeder Produktionsweise. Der Kapitalismus ist gleichzeitig eine Katastrophe, aber in seiner eigenen Entwicklung bereitet er seine Negation vor. Deshalb ist die Perspektive von Marx nicht die einer Rückkehr in eine idyllische und ferne Vergangenheit, sondern die der universellen Gemeinschaft, eines Kommunismus als Plan für die Spezies. Der Kapitalismus stirbt an der sozialen Komplexität. Die Entwicklung der Produktivkräfte passt nicht mehr in den engen Rahmen der kapitalistischen Gesellschaftsbeziehungen. Wir können nicht mehr unter der Ägide von Wert, Geld, Ware und abstrakter Arbeit leben. Wie Marx in seinen vorbereitenden Notizen zum Kapital, den Grundrissen, deutlich erklärt:

„Das Kapital fügt hinzu, daß es die Surplusarbeitszeit der Masse durch alle Mittel der Kunst und Wissenschaft vermehrt, weil sein Reichtum direkt in der Aneignung von Surplusarbeitszeit besteht; da sein Zweck direkt der Wert, nicht der Gebrauchswert. Es ist so, malgré lui, instrumental in creating the means of social disposable time, um die Arbeitszeit für die ganze Gesellschaft auf ein fallendes Minimum zu reduzieren und so die Zeit aller frei für ihre eigne Entwicklung zu machen. Seine Tendenz aber immer, einerseits disposable time zu schaffen, andrerseits to convert it into surplus labour. Gelingt ihm das erstre zu gut, so leidet es an Surplusproduktion, und dann wird die notwendige Arbeit unterbrochen, weil keine surplus labour vom Kapital verwertet werden kann. Je mehr dieser Widerspruch sich entwickelt, um so mehr stellt sich heraus, daß das Wachstum der Produktivkräfte nicht mehr gebannt sein kann an die Aneignung fremder surplus labour, sondern die Arbeitermasse selbst ihre Surplusarbeit sich aneignen muß. Hat sie das getan – und hört damit die disposable time auf, gegensätzliche Existenz zu haben –, so wird einerseits die notwendige Arbeitszeit ihr Maß an den Bedürfnissen des gesellschaftlichen Individuums haben, andrerseits die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft so rasch wachsen, daß, obgleich nun auf den Reichtum aller die Produktion berechnet ist, die disposable time aller wächst.“ Karl Marx, Grundrisse, MEW Band 42

Das Problem liegt nicht in der sozialen Komplexität, sondern darin, dass der Grad der materiellen Entwicklung, den die Menschheit erreicht hat, eine unumkehrbare Gabelung impliziert: kapitalistische Katastrophe oder Kommunismus. Tertium non datur. Es gibt kein kleineres Übel und keine Alternative. Unser historischer und dialektischer Determinismus hat nichts mit dem Fatalismus der modernen oder postmodernen Interpretationen des Kapitalismus zu tun. Der Kommunismus ist die Produktions- und Lebensweise, die für unsere Spezies auf der gegenwärtigen Stufe der historischen Entwicklung möglich ist. Tatsächlich ist sie die einzig mögliche, wenn wir nicht in eine immer größere Katastrophe stürzen wollen.

Moderne und Postmoderne ist das Binom, um das sich die Soziologie und die bourgeoise Philosophie heute größtenteils streiten: auf der einen Seite die Verfechter der Moderne und der Aufklärung, wie Habermas; auf der anderen Seite ihre Kritiker, die postmodernen Autoren in ihren verschiedenen Versionen. Für uns ist das eine falsche Dichotomie.

Auf der einen Seite verteidigen Philosophen wie Habermas die europäische Aufklärung als Sinnbild der Vernunft und des menschlichen Fortschritts. Die Moderne mit ihrem Einsatz der Vernunft im öffentlichen Raum ermöglicht eine kommunikative Rationalität, die ihre Grundlage in einer „Lebenswelt“ findet, die nicht von den Strukturen des sozialen Systems kolonisiert werden kann und soll. Die Aufklärung und die Moderne leben in diesem Konflikt zwischen dem Weber’schen eisernen Käfig und der Möglichkeit einer kommunikativen Rationalität, die die Lebenswelt der Menschen, ihre tiefste Verankerung, entwickelt. Die Aufklärung und die philosophische Moderne ermöglichen diese positive Öffnung zum Leben durch die Politik, die verhindert, dass sich ökonomische und politische Systeme von ihren tiefsten anthropologischen Grundlagen ablösen. Habermas und seine postmodernen Gegner haben viel mehr gemeinsam, als sie sich selbst einzugestehen wagen. Wie wir bereits gegenüber den Postmodernen gesehen haben, geht auch Habermas vom Verhalten der symbolisch und kommunikativ strukturierten Subjekte aus, um über die Gesellschaft nachzudenken. Mit anderen Worten: Es sind die Identität der Subjekte und ihre Aktionen, die uns helfen, über das Funktionieren von sozialen Systemen nachzudenken. Daher kann Habermas nicht verstehen, warum die Prozesse der Autonomisierung sozialer, politischer, kultureller und ökonomischer Systeme stattfinden… Dazu muss man die Grundlagen der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion verstehen, und die sind nicht in erster Linie im sozialen Verhalten zu finden. Im Gegenteil, es ist ein Produkt davon.

Dennoch präsentiert sich Habermas auf voluntaristische und idealistische Weise als Verteidiger der modernen Rationalität, als ein unvollendetes Projekt. Die Aufklärung macht es möglich, den Defiziten ihrer Grenzen mit dem Einsatz von authentischer Vernunft und einer deliberativen Demokratie, die kommunikative Aktion einsetzt, zu begegnen. Im Gegensatz dazu sehen postmoderne Autoren den Ursprung des Bösen eindeutig in der Moderne selbst und allem, was sie mit sich bringt, verwurzelt. Eine teleologische Perspektive der menschlichen Entwicklung hin zur Emanzipation, hinter der sich in Realität eine Säkularisierung des religiösen Narrativs verbirgt, eine Form des Gnostizismus, diesmal im Gewand radikaler Ideologien (anarchistisch und/oder kommunistisch), ein Projekt des Social Engineering, hinter dem sich die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts verbergen, ein Gebrauch der Vernunft, der die Welt mit monströsen Träumen überzogen hat…. Es gibt kein universelles Projekt, wie die Moderne dachte, denn hinter jedem Universalismus steht immer ein bestimmtes Individuum, das sich unrechtmäßig als das Universelle ausgibt. Und das tut es auf der Grundlage seines Willens zu herrschen.

Alles, wofür wir Platz haben, sind Fluchtlinien in Bezug auf das Bestehende, Subtraktion als Strategie, um totalitäre Meta-Narrative wie die Weltrevolution zu vermeiden, das Molekulare immer besser als das Molare, das Alltägliche im Gegensatz zu den Formen des Social Engineering revolutionärer Programme, die konkreten Identitäten der Individuen im Gegensatz zur Tyrannei der Abstraktionen?

Natürlich hat die postmoderne Vision der Moderne theoretisch viel mit der modernen Philosophie gemeinsam, die sie kritisiert. Sie ist einfach eine Radikalisierung davon, wie wir bereits an anderer Stelle ausgeführt haben.2

Von der Postmoderne aus wird das Universelle als etwas Vorkonstituiertes kritisiert, das Vielfalt und Partikularismen nicht berücksichtigt. Das wird zum Beispiel sehr deutlich, wenn man sieht, wie die Rassifizierung die Vorstellung von der Arbeiterklasse als einer universellen Klasse kritisiert, wenn sie in sich überschneidende und hierarchische Rassen unterteilt ist. Wir wissen bereits, dass damit jede Vorstellung von Universalität beseitigt wird und es dann keinen Ausweg mehr gibt. Im Grunde genommen greift diese Perspektive die ewige Debatte in der Philosophie zwischen dem Universellen und dem Partikularen auf. Postmoderne Autoren sagen uns, dass jedes Universelle nichts anderes als eine eindeutige Reduktion ist, die das Besondere, das Konkrete, auslöscht. Es wäre also eine totalitäre Operation. Und doch ist dies nicht die einzige mögliche Beziehung, die zwischen dem Universellen und dem Partikulären konstituiert werden kann.

Denken wir an unseren kommunistischen Klassenbegriff, der nicht der der soziologischen Arbeiterklasse ist, sondern ein universelles Werden: Wenn das Proletariat kämpft, muss es sich mit den Formen der Trennung auseinandersetzen, die das Kapital ihm auferlegt, um zu siegen, und dabei wird es universell und nimmt die universelle Gemeinschaft des Kommunismus vorweg. Doch das ist unverständlich, wenn wir nicht verstehen, wie der Kapitalismus zuvor die Grundlagen dafür gelegt hat: Er hat den gesamten Planeten unterworfen und proletarisiert, er hat mit seinem individualisierenden Impuls die patriarchalischen und traditionellen Strukturen vorkapitalistischer Gemeinschaften ausgehöhlt, er hat die Religion als Paradigma für das Verständnis der Welt in Frage gestellt und so weiter. Die Beziehung zwischen dem Universellen und dem Partikularen ist von einer ständigen Analogie durchzogen. Einerseits wird das Proletariat zu einer universellen Klasse, indem es sich mit den verschiedenen Formen der Trennung vom Kapital auseinandersetzt, andererseits ist es die Universalität (Totalität) des Kapitals, die die verschiedenen partikularen Instanzen konstituiert, die seinen Bereich ausmachen. Das Universelle und das Partikuläre stehen in der Realität des Kapitalismus und seiner globalen historischen Bewegung in einer ständigen wechselseitigen und dialektischen Beziehung. Das ist etwas ganz anderes als der Reduktionismus, den die postmoderne Auffassung von Kapitalismus darstellt.

5. Unser historischer Faden

Die Postmodernen lesen alles durch ihre Scheuklappen. Alles ist eine subjektive Identität, so dass das Proletariat und seine Geschichte, seine Parteien und formalen Organisationen, sein historisches Programm … auf eine Weltanschauung unter anderen der Moderne reduziert werden. Eine Vision, die in diesem Fall darauf abzielt, die Vorherrschaft des cis-männlichen Arbeiters gegen den Rest der subalternen Minderheiten durchzusetzen. Für sie ist alles eine Geschichte, aber das wirkliche Leben und die Geschichte lassen sich nur auf trickreiche Weise auf bloße Ideenkonflikte reduzieren. Das kommunistische Programm des Proletariats, das genau durch die Negation der Klassengesellschaft und des Proletariats geht, verschwindet daher einfach aus der postmodernen Gleichung. Sie wissen es einfach nicht. Sie trinken so sehr von der Moderne, dass sie nur ein weiterer Ausdruck der Konterrevolution sind, die schon seit 100 Jahren im Gange ist. Für sie ist der Marxismus der Stalinismus, die Proletarier sind die an die kapitalistische Konkurrenz geketteten und in national-kommunistischen Parteien organisierten Arbeiter… Unsere Gegenposition zu dieser Perspektive kann nur frontal sein. Es ist die Frontalität, die wir mit jeder bourgeoisen Fraktion auf der politischen und ideologischen Ebene haben.

Und natürlich unterscheidet sich unsere Geschichte, die unserer Klasse und unserer Minderheiten, sehr von den ignoranten Erzählungen, die in einem Text eingeschlossen sind, um die logozentrische Kontamination3 zu vermeiden, wie Derrida sagen würde, also die Kontamination des realen Lebens. Unsere Klasse und unsere Partei werden dauerhaft aus dem Boden dieser Gesellschaft geboren, deshalb ist sie historisch. Und sie ist ihrem Wesen nach global, wie der Kapitalismus. Es handelt sich um eine materielle, konstitutive und primäre Realität der sozialen Welt, in der wir leben, und nicht um einen bloßen sprachlichen Wunsch. Ein Proletariat, das als Klasse überall für die Verteidigung unserer historischen Interessen gekämpft hat, von der Pariser Kommune 1871 bis nach Russland 1917, von Deutschland 1919 bis nach Ecuador 1922, vom Italien des Bienio Rosso bis zu den chinesischen Proletariern von 1927 und zu den Kämpfen, die in den 1960er und 1970er Jahren mit der Wiederaufnahme des unabhängigen Klassenkampfes die Welt eroberten, von Paris bis zum Vitoria des wilden Streiks, vom Italien des heißen Herbstes bis zu den proletarischen Slums von São Paolo, von den chilenischen cordones industriales bis zu den schwarzen Bergarbeitern Südafrikas, vom Iran 1979 und seinen Shoras oder Arbeiterräten bis zu Polen 1980 oder der koreanischen Kommune Gwangjiu, um nur einige Beispiele unter Zehntausenden zu nennen. Unsere Klasse ist eine materielle Realität, die gegen diese Welt kämpft, wie ein alter Maulwurf, der auftaucht und verschwindet, aber immer wieder auftaucht. Von Niederlage zu Niederlage lernen wir bis zum endgültigen Sieg über diese elende Welt, die die Katastrophe auf allen Ebenen des Lebens reproduziert.

Historische Kontinuität und unser Gedächtnis sind grundlegend für die Zukunft. Nur durch Kontinuität und Lernen aus unserer Vergangenheit ist ein Lebensplan für die Spezies möglich. Und das erfordert Kontinuität mit den historischen Gefährtinnen und Gefährten unserer Partei, die kompromisslos gegen Kapitalismus und Konterrevolution in all ihren Formen gekämpft haben. Das schulden wir den pétroleuses der Pariser Kommune und Chen Du Xiu und den Zehntausenden von chinesischen Kommunisten, die von der Kuomintang und der späteren stalinistischen (maoistischen) Konterrevolution ermordet wurden, an die tausenden vietnamesischen internationalistischen Kommunisten, die durch die Konterrevolution von Ho Chi Minh das gleiche Schicksal erlitten, an die iranischen Proletarier, die auf den Plätzen der Konterrevolution gehängt wurden, während Foucault Khomeinis Ayatollahs bejubelte.…

Für sie alle, bekannte und unbekannte, ist der proletarische Internationalismus eine konstitutive materielle Realität unseres historischen Programms. Das ist weit entfernt von dem postmodernen Baudrillardschen Spiel der reinen Simulation, in dem die Realität nur als leere intellektuelle Projektion existiert.

6. Den Kapitalismus intersektionieren?

Die Intersektionalität wird aus den Grenzen der postmodernen Theorie geboren, wenn sie versucht, sich selbst politisch zu übersetzen. Sie ist ein Versuch, gemeinsame Aktionen zu verwirklichen, wenn die Realität auf ein unendliches Netz von Unterdrückungen reduziert wird, in dem jedes Opfer wiederum ein Unterdrücker sein kann. Das Proletariat als Klasse ist weiß und daher kolonialistisch. Der Feminismus als Reaktion auf den patriarchalen Machismo ist ebenfalls ein weißer Feminismus und folglich rassistisch und kolonialistisch. Der Chauvinist deiner eigenen Rasse ist weniger chauvinistisch, weil er innerhalb seiner kulturellen Parameter verstanden werden muss. Das Gegenteil kann ein Zeichen von Privilegien sein, die sich aus dem Weißsein ergeben.

Die Überlegungen der Philosophin Judith Butler über die Burka4 können als symptomatisches Beispiel für diese Art von postmoderner Ohnmacht dienen. Für sie sollte die Burka als kulturelles Merkmal der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, einer gemeinsamen Geschichte, einer Religion und einer Familie verstanden werden. Die Burka dient auch als Schutzmaßnahme für afghanische Frauen Die Burka ist auch ein Instrument zum Schutz der Frauen vor Scham und dient als Abgrenzung des Raums, in dem weibliche Aktivitäten möglich sind. In diesem Zusammenhang erscheint die Burka als ein Instrument zum Schutz vor der Verletzlichkeit und Unsicherheit von Frauen, zumindest in den Ländern, in denen sie verwendet wird. Dies würde für Butler eine gewisse positive Bewertung der Burka bedeuten, da sie mit einem spezifischen Ethos (Brauch, Kultur) der afghanischen Frauen verbunden ist, den sie nicht von heute auf morgen ablegen können. Die Burka abzunehmen bedeutet, diese Frauen nackt zu machen und sie aus ihrer Kultur und Gemeinschaft auszulöschen. Der Feminismus, der dies vorschlägt, verbirgt in Wirklichkeit den Wunsch des westlichen Kolonisators, seine Kultur aufzuzwingen.

Dieses Beispiel ist sehr hilfreich, um das Nullsummenspiel zu verstehen, zu dem die Postmoderne politisch verurteilt ist. Aus dieser Perspektive ist es unmöglich, diese Welt zu überwinden, weil sie immer von ihren Kategorien ausgeht. Wir wollen das, was Butler sagt, nicht bagatellisieren. Natürlich dient die Denunziation der Burka durch westliche Staaten als ideologische Rechtfertigung für ihre imperialistischen Ziele. Aber die berühmte amerikanische Philosophin entwaffnet uns mit ihren Kategorien ganz einfach für jedes Projekt der Befreiung, das im Grunde nur universell sein kann. Die Burka ist eindeutig ein patriarchalisches Instrument der Unsichtbarmachung von Frauen im öffentlichen Raum, ein Zeichen für den patriarchalischen Charakter aller Klassengesellschaften, den wir als Kommunistinnen und Kommunisten bekämpfen müssen. Nur in einem Prozess der antikapitalistischen Klassenrevolution des Weltproletariats wird es möglich sein, die Sackgassen zu überwinden, die von der postmodernen Theorie angeprangert werden, für die Butler eine illustre Vertreterin ist. Nur der Kampf der afghanischen proletarischen Frauen kann ein Mittel zur Befreiung von dieser und anderen Formen der Unterdrückung sein, denn nur das Proletariat hat die Kraft, die totale Negation dieser Welt zu verkörpern.

Postmoderne Autoren entdecken echte Widersprüche innerhalb dieser Welt. Natürlich wird die Aufklärung als Waffe benutzt, um Formen der Unterdrückung ideologisch zu rechtfertigen, die für dieses System und seine soziale und politische Dynamik typisch sind. Das ist es, was sie nicht verstehen. Sie selbst bewegen sich in einer Welt, die von Unterdrückungen und Formen sozialer Herrschaft zersplittert ist, die sie letztlich verinnerlichen, weil sie nicht in der Lage sind, deren Ursachen und Ursprünge zu verstehen. So wird die Burka einfach zu einem Instrument des Ethos der afghanischen Frauen, das auch einen Raum der weiblichen Freiheit abdeckt. Und jeder kritische Anspruch in diesem Zusammenhang würde den westlichen Wunsch nach Vorherrschaft verdecken. Die Postmoderne zeigt sich deutlich als das, was sie ist: die theoretische Strömung der Ohnmacht. Die Identitäten, die der Kapitalismus und andere Klassengesellschaften schaffen, werden in einem unkritisierbaren Jenseits unüberwindbar, dem lokalen Ethos eigen und heilig. Indem man ihren Ursprung nicht als Produkt der Klassengesellschaften versteht und alles auf einen Machtkampf (in diesem Fall West gegen Ost) reduziert, wird das, was das Ergebnis der materiellen Entwicklung der Geschichte und der Klassengesellschaften ist, einfach als natürlich aufgefasst (und ontologisiert).

Die postmoderne Theorie arbeitet mit den eigenen Kategorien des Kapitals. Die Intersektionalität ist nur eine zusätzliche Wendung im Umgang mit diesen Instrumenten. Der Kapitalismus vereinheitlicht sein soziales Wesen, das durch die kapitalistische Konkurrenz zersplittert ist, dank des Rechts. Und es ist kein Zufall, dass Intersektionalität als Theorie geboren und als Begriff in einem Artikel von Kimbelé Cremshow mit dem Titel Mapping the Margins für die Stanford Law Review geprägt wurde. Hier wird deutlich, wie wichtig das Recht für die intersektionale Perspektive ist. Hill Collins und Sirma Bilge, zwei intersektionale Wissenschaftlerinnen, sind der Meinung, dass ihre Perspektive sowohl die Sprache der Aktivistinnen und Aktivisten als auch der Institutionen spricht. Es geht darum, sie zusammenzubringen, und dafür ist die Praxis von Aktivistinnen und Aktivisten sowie Praktikerinnen und Praktikern unerlässlich: Akademikerinnen und Akademiker, Anwältinnen und Anwälte, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter… Intellektuelle und Praktikerinnen und Praktiker wenden sich an staatliche Stellen, um die Regierungspolitik zu verändern. Als positive Beispiele nennen diese beiden Akademikerinnen und Aktivistinnen die UN-Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban (2001), Yunus‘ Mikrokredite (Nobelpreis für Wirtschaft) usw. Kurz gesagt, Intersektionalität würde dazu dienen, von den Basisorganisationen der Aktivistinnen und Aktivisten und den Fähigkeiten der Fachleute aus in die öffentliche Agenda der Staaten einzugreifen, um eine günstige öffentliche Politik für verschiedene Minderheiten der Klasse, der Rasse, des Geschlechts usw. umzusetzen. Mögliche Beispiele sind Kampagnen, um Druck auf die Obama-Regierung auszuüben (Why we can’t wait), die bereits erwähnte Kampagne zu Mikrokrediten oder wie Intersektionalität für internationale Organisationen nützlich sein könnte, um die soziale Ungleichheit in der Welt besser zu verstehen, wofür als Beispiel eine Konferenz über inklusiven Kapitalismus in London im Jahr 2014 genannt wird.

Diese Art der Interpretation von Intersektionalität ist besonders pragmatisch. Sie stellt eine Art sehr gemäßigten Verteilungsliberalismus dar. Wir erkennen an, dass andere intersektionale Perspektiven zwar in der Form radikaler sein können, aber niemals im Inhalt. Die Inhalte sind immer die Instrumente, die der Kapitalismus dir anbietet, wenn du dich innerhalb seiner Kategorien und Unterteilungen bewegst, wie es unsere Postmodernisten tun. Wie Elizabeth Duval in ihrem Buch After Trans sagt, wenn sie mit Paul Preciado polemisiert, ist an der queeren Perspektive nichts Revolutionäres. Sie ist lediglich ein Versuch, die staatliche Anerkennung bestimmter Rechte zu erreichen (was Duval als gute Linke positiv sieht).

Intersektionalität spricht einfach von verschiedenen Achsen der Ungleichheit, die autonom und unabhängig voneinander sind (Klasse, Rasse, Geschlecht, Gender, Fähigkeiten, Sexualität… und so weiter und so fort). Es gibt keine Hierarchie der Unterdrückung über andere und Pluralismus ist dieser Idee von verschiedenen Herrschaftssystemen immanent. Seine Logik ist typisch für verschiedene persönliche Diskriminierungen, die auf Kategorien beruhen, die für Menschen spezifisch sind (z. B. Weißsein bei Weißen) und die als Wille zur Macht und nicht als Realität einer kapitalistischen Herrschaft zum Ausdruck kommen, die vor allem durch eine unpersönliche und automatische Dynamik realisiert wird. Für intersektionale Autorinnen wäre unser Ansatz ein Ausdruck von monistischem und theologischem Reduktionismus. Aber es ist auf jeden Fall die Realität des Kapitalismus und seiner versteckten Masken, die auf diese Weise funktioniert.

Wie wir gesehen haben, neigt die Postmoderne mit ihrer empirischen Methode dazu, Identitäten auf der Grundlage des unmittelbaren Verhaltens von Individuen zu verdinglichen, die in Wirklichkeit ein konkreter Ausdruck der kapitalistischen Welt sind. Die Klassenidentität, an die Postmodernisten denken, hat viel mit den soziologischen Erfahrungen von Arbeiterinnen und Arbeitern zu tun, und dasselbe könnte man auch von Geschlecht oder Rasse sagen. Was sie nicht analysieren, ist, warum soziales Verhalten und Identitäten auf diese Weise organisiert sind. Dafür reichen ihre Idealtypen nicht mehr aus, sondern sie müssen verstehen, wie die Abstraktion des Kapitals sie konstruiert.

Für die Theoretikerinnen der Intersektionalität sind diese Achsen der Ungleichheit in jedem Fall Ausdruck unterschiedlicher Diskriminierungserfahrungen, die die Menschen auf besondere Weise machen: unterschiedliche Hierarchien des Schmerzes, die eine Vielfalt von Geopolitiken der Angst und intersektionalen Beschwerden ausdrücken. Da die Achsen der Ungleichheit vielfältig sind und immer unterschiedlich in jeder Person verkörpert werden, können wir verstehen, dass intersektionale Einheit ein frommer und unmöglicher voluntaristischer Wunsch nach einem Treffen zwischen schwarzen und weißen Feminismen, Epistemologien des Südens und Gender-Dekolonialität, zwischen schwulen und rassifizierten iranischen Bewegungen bleibt, zu deren Ethos die Verfolgung von Homosexuellen gehört…

An diesem Punkt und als Zusammenfassung können wir mit sieben Ideen abschließen:

1. All dies ist der Preis dafür, dass man von verdinglichten Kategorien ausgeht, die aus dem unmittelbaren Verhalten von Individuen gewonnen werden, und zu diesem Zweck eine empirische Methode anwendet, die für die Schaffung von Idealtypen typisch ist.

2. Die Postmoderne ist das Ergebnis einer statischen und kristallisierten Vorstellung von den Trennungen des Kapitals, die nicht in der Lage ist, die Dynamik der historischen Perspektive zu erkennen, in der sich die Klassengesellschaften und insbesondere der Kapitalismus bewegen.

3. Indem es das Proletariat als Klasse auf eine Identität unter anderen reduziert, versäumt es, seine potenzielle Realität als globale Negation dieser Welt zu begreifen, und erklärt damit letztlich die Unmöglichkeit einer solchen Negation.

4. Die Postmoderne umgeht Geschichte und Herkunft bei der Analyse von Ausbeutung und den verschiedenen Formen der Unterdrückung, die in ihrer Besonderheit aufgegriffen und tendenziell essentialisiert werden, als wäre alles das Ergebnis eines ewigen Machtkampfes, eines Krieges aller gegen alle.

5. Es ist eine idealistische Perspektive, die alles auf ein sprachliches Spiel von Signifikanten reduziert, die sich ins Unendliche ausbreiten, und in der die Realität eine bloße Projektion ohne materielle Grundlage ist.

6. Die gesellschaftliche Totalität des Kapitalismus lässt sich nicht auf die Summe seiner Teile reduzieren, wie es die Theoretiker der intersektionalen Postmoderne tun, die von ihrem Wunsch nach Pluralismus um jeden Preis getrieben werden, sondern ist im Gegenteil Ausdruck eines sozialen Verhältnisses, des Wertes, der in seiner automatischen Bewegung verschiedene Metamorphosen durchläuft. Die Summe der Teile ist nicht das Endergebnis, denn um die Teile zu verstehen, muss man von der konkreten Abstraktion ausgehen, die der Wert im Prozess ist.

7. Kurz gesagt, die Postmoderne ist im Wesentlichen eine Perspektive, die im bourgeoisen und legalistischen Terrain von Recht und Demokratie angesiedelt ist, also in dem Terrain, das das Kapital für die Koexistenz seiner Konflikte und Trennungen bietet.

7. Ein paar letzte Anmerkungen… zum Rojipardismus (A.d.Ü., Roten Faschismus)

In der spanischen Region erleben wir eine hitzige Debatte zwischen Postmodernen und Anti-Postmodernen. Es ist unsere ausdrückliche Absicht, uns von dieser Debatte zu distanzieren. Natürlich haben wir nichts mit der Postmoderne zu tun, wie auf diesen Seiten deutlich gemacht wurde, aber wir haben auch nichts mit ihren falschen Kritikern zu tun, die ihre angeblichen Gegner reproduzieren und verschlimmern. Wer sind diese Kritiker der Postmoderne und woher nehmen sie ihre Kritik? Schriftsteller und Journalisten wie Daniel Bernabé mit seinem La trampa de la diversidad oder Ana Iris Simón mit ihrem Buch Feria lehnen die Postmoderne einfach deshalb ab, weil sie über die Auflösungsdynamik, die der Kapitalismus mit sich bringt, entsetzt sind. Mit Marx wissen wir, dass der Kapitalismus die materiellen Bedingungen für seine eigene Überwindung vorbereitet. Und aus dieser Erkenntnis heraus kann der Wille die Praxis der katastrophalen Dynamik, die der Kapitalismus ebenfalls mit sich bringt, umkehren: „Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.“ (Marx-Engels, Manifest der Kommunistischen Partei).

Die genannten Autoren stellen den postmodernen Strömungen die Rechtfertigung und Idealisierung einer Vergangenheit entgegen, die bereits gewesen ist, eine Vergangenheit, die sie ebenfalls idealisieren und aus der sie ihre kapitalistische und ausbeuterische Realität willkürlich entfernen. Der Nachkriegskapitalismus war das Ergebnis des imperialistischen Gemetzels des Zweiten Weltkriegs, des Todes von Millionen von Proletariern an allen Fronten, der herrschenden Konterrevolution der 1930er Jahre, des Faschismus, des New Deal und des Stalinismus. Unsere Intellektuellen beschönigen all dies, weil ihr Diskurs in Wirklichkeit ein Produkt des lebenslangen Stalinismus ist. Sie sind das Ergebnis der Konterrevolution mit diesem Maß an Oberflächlichkeit.

Die Postmoderne wird kritisiert, um das Vaterland zu verteidigen (was nicht nur Ana Iris Simón, sondern auch Podemos und Errejón tun), der Queer-Feminismus wird im Namen der Familie kritisiert und der Liberalismus des selbstbestimmten Willens wird im Namen des Staates kritisiert. Tut uns leid: All diese falschen Festigkeiten haben sich bereits aufgelöst und werden nicht wiederkehren, trotz der „frommen“ Wünsche von Bernabé, der beim jüngsten proletarischen Streik in Cádiz die Gewerkschaften/Syndikte verteidigt hat, die ihre Rolle als Streikbrecher erfüllt haben. Die Alternative ist nicht zwischen dem korporativen Staat oder der postmodernen Selbstbestimmung, sondern zwischen der kapitalistischen Katastrophe oder dem Kommunismus.

Zu dieser Heiligen Familie von Verteidigern der kapitalistischen Vergangenheit gesellen sich auch andere, die explizit konterrevolutionär sind, wie der Youtuber Roberto Vaquero. Vaquero ist der Anführer der stalinistischen Gruppe (des pro-albanischen Zweigs) Frente Obrero. Indem er in seinen Videos die Postmoderne im Namen des stalinistischen Kapitalismus5 und der Konterrevolution kritisiert, die das Proletariat und seine revolutionären Minderheiten in der Vergangenheit massakriert hat, hilft er uns, die Trugschlüsse der Dichotomie Postmoderne-Antipostmoderne noch besser zu verstehen.

Wenn all diese Autoren die Arbeiterklasse für sich beanspruchen, dann beanspruchen sie in Wirklichkeit nicht das Proletariat als revolutionäre Klasse im Sinne von Marx und unserer Tradition, sondern die soziologische Arbeiterklasse, ausgebeutet, reduziert auf die Rädchen der kapitalistischen Gesellschaft mit ihren Heimatländern, ihrer produktiven und arbeiteristischen Logik. Ihre Tradition ist die des Nationalkommunismus, der eine lange Geschichte hinter sich hat. Es ist die Geschichte der Konterrevolution.

In diesem Text haben wir versucht, der Postmoderne als Ideologie unserer Zeit zu begegnen. In diesem kurzen Abschnitt stellen wir fest, dass es derzeit eine Dichotomie gibt, die dazu neigt, die Milieus und Sektoren, die dieser Welt radikal entgegentreten wollen, in zwei Alternativen zu polarisieren: postmodern oder anti-postmodern. Das scheint uns, wie so oft, eine falsche Alternative zu sein. Unsere Zeit ist von viel wichtigeren und entscheidenderen Konflikten geprägt.

Wenn sich das Feste in Luft auflöst, wenn der Kapitalismus an seine inneren Grenzen stößt, wenn das Leben keinen Sinn mehr zu haben scheint, wenn die Verteidigung unserer menschlichen Bedürfnisse uns zur Rebellion treibt, wenn das soziale Umfeld dazu neigt, von Polen mit gegensätzlichen Interessen elektrisiert zu werden, wenn der Kapitalismus alles Feste auflöst, weil es nicht mehr möglich ist, unter der Herrschaft der Ware zu leben, wenn wir unser Leben als Spezies organisieren könnten, ohne den Staat oder die Lohnarbeit… In diesem historischen Moment ist es weder die Zeit der Moderne noch der Postmoderne, es ist die Zeit des Kommunismus.


1Siehe unsere Broschüre Contra la postmodernidad – Gegen die Postmoderne, die in Papierform und auch digital erhältlich ist. http://barbaria.net/2018/11/20/posmodernidad-o-la-impostura-de-una-falsa-radicalidad/ Und die Mitschrift eines unserer Vorträge in der chilenischen Region: http://barbaria.net/2020/09/11/titulo-el-espiritu-posmoderno-del-capitalismo/, oder von uns hier übersetzt: (Grupo Barbaria) Postmoderne oder der Schwindel einer falschen Radikalität

2http://barbaria.net/2020/09/11/titulo-el-espiritu-posmoderno-del-capitalismo/, oder hier von uns übersetzt: (Spanien) Der postmoderne Geist des Kapitalismus

3A.d.Ü., Kontamination bedeutet ‚Verschmutzung‘.

4Siehe dazu sein Buch Vida precaria. El poder del duelo y la violencia. Und den online verfügbaren Artikel von Gabriel Bello: Hacia una hermenéutica de la extraña. El burka y las mujeres-bomba musulmanas.

5Siehe unsere Broschüre Stalins Kapitalismus: http://barbaria.net/2020/12/15/el-capitalismo-de-stalin/, oder hier von uns übersetzt: (Grupo Barbaria) Stalins Kapitalismus – der Kapitalismus von Stalin

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(Grupo Barbaria) Stalinismus: Die rote Fahne des Kapitals https://panopticon.blackblogs.org/2024/04/03/grupo-barbaria-stalinismus-die-rote-fahne-des-kapitals/ Wed, 03 Apr 2024 09:22:45 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5628 Continue reading ]]>

Von Grupo Barbaria, die Übersetzung ist von uns. Ein hervorragender Text, der dennoch in seiner historischen Analyse einige klare Fehler macht, bzw. an einigen Stellen sich selbst widerspricht. Diese hier zu erklären würde sehr viel Platz einnehmen. Wir werden es noch nachholen.


Stalinismus: Die rote Fahne des Kapitals

Einleitung

Der Inhalt dieser Broschüre erscheint uns für diejenigen von uns, die diese Welt radikal umstürzen wollen, unerlässlich. Wir sind davon überzeugt, dass die soziale Energie zur Verleugnung und Überwindung des Kapitalismus immer stärker werden wird. Damit diese soziale Energie aber fruchtbar wird, ist es wichtig, sie mit dem historischen Programm der Revolution und des Kommunismus zu verbinden. Und dadurch das Terrain der Revolution von dem der Konterrevolution abzugrenzen. Diese Broschüre ist den theoretischen, politischen und historischen Ursprüngen der wichtigsten Konterrevolution des 20. Jahrhunderts gewidmet, die wir bequemerweise Stalinismus nennen. Der Name ist problematisch. Wenn wir von Stalinismus sprechen, beziehen wir uns nicht auf die Handlungen einer Person, Stalin, einer Art Superschurke, sondern auf ein politisches und praktisches Programm, das die Grundlagen des Kommunismus als echte Bewegung leugnete und alle Begriffe umkehrte. Internationalismus wurde durch Sozialismus in einem Land und Klassenunabhängigkeit durch Interklassismus1 ersetzt. Das kommunistische Ziel, eine klassen- und staatenlose Gesellschaft, wurde unter den Trümmern einer kapitalistischen ursprünglichen Akkumulation und einer Entschuldigung für Akkordarbeit hinweggefegt. Mit der stalinistischen Konterrevolution erleben wir ein wahres Lexikon der politischen Trickserei (Léxico de la truhanería política)2, wie Munis es ausdrückte. Alle Begriffe der Revolution und unserer historischen Bewegung wurden in ihr genaues Gegenteil verwandelt. Deshalb ist es so wichtig zu verstehen, was wir meinen, wenn wir von Kommunismus und menschlicher Befreiung sprechen. Der Kommunismus ist eine echte Bewegung und nicht eine Idee unter anderen, die die materiellen und kategorischen Grundlagen der Welt des Kapitals leugnet. Der Kommunismus ist die Bejahung der menschlichen Weltgemeinschaft, einer Gemeinschaft ohne Geld und Waren, ohne Staat und ohne soziale Klassen. Dies wurde auf der Grundlage der historischen Erfahrung unserer Klasse und des rigorosen Studiums der Gesellschaft des Kapitals durch unsere historische Partei, ausgehend von Marx, bekräftigt. Der Kommunismus als Weltgesellschaft erfordert eine politische Zwischenphase, die unsere Gefährtinnen und Gefährten die Diktatur des Proletariats nannten. Die Klassendiktatur ist die Gewalt, die das als Klasse und Partei konstituierte Proletariat gegen das Kapital und seine Kategorien sowie gegen die Bourgeoisie als Klasse ausübt. Die Existenz einer Klassengesellschaft bringt immer die Vorherrschaft einer Klasse über eine andere, einer Produktionsweise über die Bestätigung einer anderen mit sich. Diese Klassengewalt ist grundlegend und steht im Einklang mit dem Endziel des Kommunismus. Deshalb besteht das grundlegende Ziel der Diktatur des Proletariats darin, den revolutionären Prozess auf Weltebene auszuweiten, nationale Grenzen zu überwinden, die Kommodifizierung und den Einfluss des Kapitals auf die Gesellschaft so weit wie möglich zu reduzieren, den Arbeitstag zu reduzieren, den bewussten Protagonismus des Proletariats in der Ausübung seiner eigenen Diktatur auszudrücken… Antagonistische Realitäten, die im Gegensatz zu dem standen, was die stalinistische Konterrevolution behauptete, die den Nationalismus, die Verteidigung der russischen Grenzen als „revolutionäres“ Bollwerk, die Unterwerfung des Proletariats unter höllische Arbeitszeiten im Namen des Aufbaus des Sozialismus, in Wirklichkeit des russischen Staates und der kapitalistischen Industrie, und die physische Vernichtung von Millionen von Proletariern auf der ganzen Welt bekräftigte.

Deshalb ist der Marxismus eine Doktrin über die Konterrevolution. Denn es ist wichtig, Emanzipation von Ausbeutung, Kommunismus von Kapitalismus zu unterscheiden, wenn wir diese katastrophale Welt überwinden wollen, die an ihre inneren Grenzen stößt und das Aussterben unserer Spezies bedroht. Unsere Gefährtinnen und Gefährten, die sich in den 30er Jahren des letzten Jahrhunderts, als es die Mitternacht im Jahrhunderts war, die Aufgabe gestellt haben, sich von der Konterrevolution abzugrenzen, sahen die zwingende Notwendigkeit, unsere Theorie doktrinär zu rekonstruieren, zu ihren ursprünglichen Grundlagen zu gehen, um zu zeigen, dass der Stalinismus die konterrevolutionäre Negation unserer Doktrin ist. Er ist kein Kind von uns, weder legitim noch illegitim. Er ist die totale Negation unserer grundlegenden, theoretischen und materiellen Fundamente – man denke nur an die stalinistischen Massaker an echten Revolutionären). Auf diesen Seiten werden wir versuchen, die wichtigen Kämpfe zu rekonstruieren, die unsere Gefährtinnen und Gefährten gegen diese große Lüge führen werden, gegen diese verwirrende Lüge, die der Stalinismus war und heute in viel geringerem Maße ist, um das wichtige Buch von Anton Ciliga zu paraphrasieren.

Wir leben in turbulenten Zeiten, interessanten Zeiten. Es sind Zeiten der Katastrophe und Zeiten der Hoffnung auf eine neue Welt, die entstehen kann. Wir haben Beweise dafür, und zwar nicht nur negativer Natur. Es sind nicht nur die negativen Beispiele von Krieg, Klimawandel oder ökonomischen Krisen, die immer dramatischer werden. Wir sprechen auch von sozialen Umwälzungen überall und von den materiellen Möglichkeiten, heute in einer kommunistischen Gesellschaft zu leben. Der Kapitalismus negiert sich selbst. Der Hauptgrund für seine Krise ist, dass er immer weniger in der Lage ist, die Gesellschaft an die miserablen Zeiten seines gesellschaftlichen Maßes, des Tauschwerts und der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit, zu ketten. Schon heute wäre es möglich, global in einer Gesellschaft zu leben, in der die Arbeitszeit minimal wäre und die gesellschaftliche Produktion rationell und kostenlos verteilt würde, ohne Geld- oder Warenvermittlungen. Es sind der Kapitalismus und seine Widersprüche, die den Kommunismus zu einem realen Ziel machen und nicht zu einer idealen oder bloß moralischen Utopie, zu einem Don Quichotte-Abenteuer, wie Marx in Grundrisse sagte.

Entscheidend für die Bewegungen der zukünftigen sozialen Polarisierung ist, dass sie sich das historische Programm der Vergangenheit wieder aneignen, um die Praxis umzukehren, zu der der Kapitalismus uns verdammt. Der Kommunismus als wirkliche Bewegung verlangt, mit dieser kapitalistischen Praxis zu brechen, mit dem Warenfetischismus zu brechen, an einem bestimmten Punkt den kommunistischen Kopf und die bewussten Ziele ans Ruder zu setzen. Deshalb ist die Auseinandersetzung mit der vergangenen Konterrevolution so wichtig, und das umso mehr, als wir als weiteren der gegenwärtigen positiven Anlässe eine neue Generation sehen, die sich mit den vergangenen Debatten unserer Klasse auseinandersetzt. An sie richtet sich dieser Text in erster Linie. In sozialen Netzwerken oder in Diskussionen auf der Straße ist oft von einer Internationalen Kommunistischen Bewegung (IKB) die Rede. Was wäre diese IKB? Eine nominalistische Vereinigung, bei der ein gemeinsamer Name ausreicht, um uns alle mehr oder weniger zu nahen Verwandten zu machen. Wir sagen ein klares NEIN zu dieser Union Sacree. Wir sprechen ein klares Nein aus. Und das ist der Vektor, der diese Broschüre bewegt. Die Revolution von der Konterrevolution zu unterscheiden. Zu verstehen, mit Nachdruck zu spüren, dass der Stalinismus in seinen vielfältigen Versionen – vereint durch das Programm des nationalen „Kommunismus“, das Bündnis mit der Bourgeoisie und den faktischen Aufbau des Staatskapitalismus – ein Todfeind der Revolution und der Kommunisten ist, ein legitimes Kind der Welt des Kapitals. Und das Kapital, in welcher Form auch immer, bekämpfen wir erbarmungslos und mit aller Kraft. Deshalb gibt es kein Wir, sondern einen radikalen Antagonismus, den Antagonismus zwischen Bourgeoisie und Proletariat, zwischen Revolution und Konterrevolution, zwischen Kapitalismus und Kommunismus. In diesem Sinne ist unsere Kritik an der Konterrevolution keine Form des Anti-Stalinismus im üblichen Sinne, sondern sie erfolgt aus einem kompromisslosen Kommunismus heraus.

Die Prinzipien der Konterrevolution

Sozialismus in einem Land

Diese theoretische „Innovation“ Stalins wurde zur theoretischen Achse, um die sich die stalinistische Konterrevolution drehte und die bis heute anhält. Die Idee, dass der Sozialismus in einem einzigen Land aufgebaut werden kann, noch dazu mit einem rückständigen und ungleichen Kapitalismus wie dem russischen vor hundert Jahren. Eine Position, die sich radikal von der von Marx oder Engels unterscheidet – von der Kritik des Gothaer Programms bis zum Anti-Dühring -, die argumentiert hatten, dass der Kommunismus, ob in seiner niederen oder höheren Phase, eine Gesellschaft ohne soziale Klassen und den Staat, ohne Warenvermittlung zwischen Produktion und Verteilung der Produkte, ohne Geld voraussetzt. Vor dieser Phase, nach dem Triumph einer Revolution in einem bestimmten Gebiet, herrscht die politische Diktatur des Proletariats mit dem Ziel, sich weltweit auszudehnen, um den Kapitalismus zu zerstören und die Kräfte der kommunistischen Gesellschaft freizusetzen. Marx war sich über den Gegensatz zwischen nationalem Sozialismus und Kommunismus immer sehr im Klaren. Zum Beispiel sagte er in der Kritik des Gothaer Programms und in Bezug auf Lassalle:

Lassalle hatte, im Gegensatz zum Kommunistischen Manifest und zu allem früheren Sozialismus, die Arbeiterbewegung vom engsten nationalen Standpunkt gefaßt. Man folgt ihm darin – und dies nach dem Wirken der Internationalen!

Es versteht sich ganz von selbst, daß, um überhaupt kämpfen zu können, die Arbeiterklasse sich bei sich zu Haus organisieren muß als Klasse, und daß das Inland der unmittelbare Schauplatz ihres Kampfs. Insofern ist ihr Klassenkampf, nicht dem Inhalt, sondern, wie das Kommunistische Manifest sagt, „der Form nach“ national. Aber der „Rahmen des heutigen nationalen Staats“, z.B. des Deutschen Reichs, steht selbst wieder ökonomisch „im Rahmen des Weltmarkts“, politisch „im Rahmen des Staatensystems“. Der erste beste Kaufmann weiß, daß der deutsche Handel zugleich ausländischer Handel ist, und die Größe des Herrn Bismarck besteht ja eben in seiner Art internationaler Politik.

Und worauf reduziert die deutsche Arbeiterpartei ihren Internationalismus? Auf das Bewußtsein, daß das Ergebnis ihres Strebens „die internationale Völkerverbrüderung sein wird“ – eine dem bürgerlichen Freiheits- und Friedensbund entlehnte Phrase, die als Äquivalent passieren soll für die internationale Verbrüderung der Arbeiterklassen im gemeinschaftlichen Kampf gegen die herrschenden Klassen und ihre Regierungen. Von internationalen Funktionen der deutschen Arbeiterklasse also kein Wort!

Marx ist glasklar gegen den nationalen Sozialismus, dessen fortschrittlicher und innovativer Erbe Stalin war. Der Kapitalismus ist ein ökonomisches und politisches Weltsystem, daher kann der Inhalt des Kommunismus niemals national sein. Seine Form ist ebenso global wie die des Kapitalismus. Dem Weltcharakter des Kapitals kann nur eine Klasse entgegengesetzt werden, die ebenfalls weltumspannend ist, eben weil sie das Ergebnis der Entwicklung des Kapitalismus selbst ist, die Menge der Proletarier, die ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, um zu überleben. Es ist also gerade die Entwicklung des Kapitalismus, die den Weltkommunismus notwendig macht, um mit den Kategorien des Kapitals – von der Ware bis zum Nationalstaat – materiell zu brechen. Die internationale proletarische Union ist keine bloße humanitäre Phrase, nach dem Motto „Wir müssen miteinander auskommen und uns wie gute Freunde lieben“: Sie ist, wie Marx selbst sagt, ein gemeinsamer Kampf gegen die Gesamtheit der herrschenden Klassen und ihrer Staaten, die sich in der Heiligen Familie auch gegen das Proletariat zusammengeschlossen haben. Es ist ein weltweiter Antagonismus, Klasse gegen Klasse, Produktionsweise gegen Produktionsweise.

Dieser internationale Charakter der Revolution war eine unumgängliche Grundlage für die Bolschewiki. Für sie gab es keine russische Revolution an und für sich. Sie war eine Episode der Weltrevolution, die ausbrechen musste und ausbrach und in Deutschland (November 1918) ihre nächste Episode hatte. Ein Beispiel:

Als wir seinerzeit die internationale Revolution begannen, taten wir es nicht in dem Glauben, dass wir ihre Entwicklung vorgreifen könnten, sondern deshalb, weil eine ganze Reihe von Umständen uns veranlasste, diese Revolution zu beginnen. Wir dachten: Entweder kommt uns die internationale Revolution zu Hilfe und dann ist unser Sieg ganz sicher, oder wir machen unsere bescheidene revolutionäre Arbeit in dem Bewusstsein, dass wir selbst im Falle einer Niederlage der Sache der Revolution dienen und dass unsere Erfahrungen den anderen Revolutionen von Nutzen sein werden. Es war uns klar, dass ohne die Unterstützung der internationalen Weltrevolution der Sieg der proletarischen Revolution unmöglich ist. Schon vor der Revolution und auch nachher dachten wir: Entweder sofort oder zumindestens sehr rasch wird die Revolution in den übrigen Ländern kommen, in den kapitalistisch entwickelteren Ländern, oder aber wir müssen zugrunde gehen.3 4

Lenin sprach 1921 und stellte klar, dass es ihnen klar war, dass der Sieg der proletarischen Revolution ohne die Unterstützung der proletarischen Weltrevolution nicht möglich ist. Wenn diese nicht zu ihrer Hilfe käme, wenn wir nicht im Weltmaßstab triumphierten, wären wir dem Untergang geweiht, aber das sei in jedem Fall in Ordnung, denn sie hätten der Sache der Revolution gedient, und ihre Lehren würden dem Weltproletariat nützlich sein: kurzum, eine internationalistische Position, mit der Stalin radikal brechen wird. Das ist die tiefe, infame und konterrevolutionäre Bedeutung der Theorie des Sozialismus in einem Land. Wie wir bereits gesagt haben, wiederholt Lenin in Bezug auf Marx einfach, was die Gründer unserer historischen Partei gesagt haben. Schon Engels erklärte in seinen Grundsätzen des Kommunismus, die dem Manifest vorausgingen:

Wird diese Revolution in einem einzigen Lande allein vor sich gehen können? Nein. Die große Industrie hat schon dadurch, daß sie den Weltmarkt geschaffen hat, alle Völker der Erde, und namentlich die zivilisierten, in eine solche Verbindung miteinander gebracht, daß jedes einzelne Volk davon abhängig ist, was bei einem andern geschieht. Sie hat ferner in allen zivilisierten Ländern die gesellschaftliche Entwicklung so weit gleichgemacht, daß in allen diesen Ländern Bourgeoisie und Proletariat die beiden entscheidenden Klassen der Gesellschaft, der Kampf zwischen beiden der Hauptkampf des Tages geworden. Die kommunistische Revolution wird daher keine bloß nationale, sie wird eine in allen zivilisierten Ländern, d.h. wenigstens in England, Amerika, Frankreich und Deutschland gleichzeitig vor sich gehende Revolution sein.

Und das in der Zeit vor den bourgeoisen Revolutionen von 1848. Es liegt auf der Hand, dass diese Position 1917 und erst recht heute, da der Kapitalismus zum Weltkapitalismus geworden ist, wiederum eine Revolution voraussetzt, um ihn auch auf Weltebene zu bekämpfen und zu besiegen. Sogar Stalin selbst bis 1924: Man lese nur seine Über die Grundlagen des Leninismus, in denen er behauptet, dass die russische Revolution die Diktatur des Proletariats in Russland errichtet hat, ihr endgültiger Triumph aber eine Weltrevolution erfordert. Erst im Dezember 1924 veröffentlichte Stalin in der Prawda einen Artikel mit dem Titel „Die Oktoberrevolution und die Taktik der Kommunisten“, in dem er zum ersten Mal vom Aufbau des Sozialismus in einem einzigen Land sprach. Im Jahr 1925 wird er als Vorwort zu Stalins Buch „Oktoberweg“5 und in den folgenden Ausgaben von „Zu den Fragen des Leninismus“ erscheinen. Für Stalin kann das russische Volk nicht „in seinen Widersprüchen dahinvegetieren und verrotten, während es auf die ‚Weltrevolution‘ wartet“. Auf diese Weise rekonstruiert und manipuliert er, wie wir weiter unten genauer sehen werden, Texte, um sie mit der Notwendigkeit der Entwicklung des russischen Staates und seiner kapitalistischen Akkumulation in Einklang zu bringen. Die zentrale These vom Sozialismus in einem Land ist eine konterrevolutionäre Umkehrung des bisher Gesagten: Der Sozialismus wird in Russland aufgebaut und das Proletariat muss ihn in allen Ländern verteidigen. Eine These, die des Sozialismus in einem Land, die untrennbar mit dem Scheitern der Weltrevolution verbunden ist – die ihre letzten beiden großen Episoden in Deutschland 1923 und in China 1927 erlebte. Diese Isolierung der russischen Revolution angesichts des besiegten Weltproletariats erzeugt in Russland nationalen Druck für eine Normalisierung der Beziehungen zu den kapitalistischen Staaten auf diplomatischer und ökonomischer Ebene. Diese Normalisierung ist das, was der Idee des Sozialismus in einem Land zugrunde liegt. Wir sollten uns auf uns selbst und unsere Entwicklung konzentrieren. Geben wir die Schimären einer Weltrevolution auf. Der Sozialismus muss in Russland auf der Grundlage des Willens der Arbeiter und Bauern, verkörpert durch die Partei, aufgebaut werden. Und das Weltproletariat muss vom aktiven Subjekt der Weltrevolution zum Verteidiger des Heimatlandes des Sozialismus, der belagerten russischen Bastion, werden. In der Fortsetzung der Debatte innerhalb der Russischen Kommunistischen Partei war es Bucharin, der theoretisch viel kompetenter war als Stalin6, der die Perspektive des Sozialismus in einem Land aufgriff und dieser Idee auf dem XIV Parteitag der Kommunistischen Partei Russlands mehr theoretisches Gewicht verlieh. Stalin griff sie im Rahmen des Kampfes gegen Sinowjew und Trotzki endgültig wieder auf und gab sie nicht auf. Sein Text ist in dieser Hinsicht wichtig: Die Frage des Sieges des Sozialismus in einem Land. Stalin verwendet seine typische Prosa voller einfacher Fragen, die bejahend oder verneinend beantwortet werden. Eine Prosa, die eine Schule schaffen wird, die Schule der Konterrevolution. Stalin beginnt mit einer Selbstkritik an seiner Behauptung, dass der Triumph des Sozialismus den Triumph der Weltrevolution voraussetzt, eine Formel, die sich in Über die Grundlagen des Leninismus findet:

Aber die Macht der Bourgeoisie stürzen und die Macht des Proletariats in einem Lande errichten heißt noch nicht, den vollen Sieg des Sozialismus sichern. Das Proletariat des siegreichen Landes, das seine Macht gefestigt hat und die Führung über die Bauernschaft ausübt, kann und muss die sozialistische Gesellschaft aufbauen. Bedeutet das aber, dass es damit schon den vollständigen, endgültigen Sieg des Sozialismus erreichen wird, das heißt, bedeutet es, dass das Proletariat mit den Kräften eines Landes allein endgültig den Sozialismus verankern und das Land gegen die Intervention und folglich auch gegen eine Restauration völlig sichern kann? Nein, das bedeutet es nicht. Dazu ist der Sieg der Revolution wenigstens in einigen Ländern notwendig. Deshalb ist die Entwicklung und Unterstützung der Revolution in den anderen Ländern eine wesentliche Aufgabe der siegreichen Revolution. Deshalb soll sich die Revolution des siegreichen Landes nicht als eine sich selbst genügende Größe betrachten, sondern als Stütze, als Mittel zur Beschleunigung des Sieges des Proletariats in den anderen Ländern.

Stalin sagt, dass diese Formel bis zur Zerstörung der Opposition von Trotzki und Sinowjew innerhalb der russischen KP gerecht war. Sobald sie zerstört ist, ist klar, dass eine vollständige sozialistische Gesellschaft mit den Kräften Russlands allein und ohne Hilfe von außen aufgebaut werden kann.

Ihr Fehler liegt darin, dass sie zwei verschiedene Fragen zu einer einzigen verschmilzt: die Frage nach der Möglichkeit, den Aufbau des Sozialismus mit den Kräften eines einzigen Landes durchzuführen, eine Frage, die bejaht werden muss, und die Frage, ob ein Land mit einer Diktatur des Proletariats ohne eine siegreiche Revolution in anderen Ländern als vollständig garantiert gegen eine Intervention und damit gegen die Wiederherstellung des alten Regimes angesehen werden kann, eine Frage, die verneint werden muss. Ganz zu schweigen davon, dass eine solche Formulierung Grund zu der Annahme geben könnte, dass es unmöglich ist, die sozialistische Gesellschaft mit den Kräften eines einzigen Landes zu organisieren, was natürlich falsch ist.

Wie wir deutlich sehen können, sind alle Grundlagen des stalinistischen nationalen „Kommunismus“ bereits in dieser Formulierung enthalten. Dies ist der Kern der Konterrevolution. Die offenkundig falsche Behauptung vom Sozialismus in einem Land dient dazu, das Weltproletariat auf ein bloßes Anhängsel zur Verteidigung der geopolitischen und imperialistischen Interessen der UdSSR als kapitalistischer Staat zu reduzieren. Es gibt eine radikale Umkehrung der Pyramide des proletarischen Internationalismus, wie Bordiga auf der Sechsten Erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale 1926 erklärte. Das Subjekt ist nicht mehr das Weltproletariat, das sich als Klasse konstituiert, durch seine Partei als Klassenorgan, und das den Triumph der Weltrevolution anstrebt. Das Proletariat ist lediglich ein passiver Akteur, der den russischen Staat als Vaterland des Sozialismus, eines selbsternannten Sozialismus, unterstützt. Das wird die Geschichte des Stalinismus von da an sein: die Reduzierung der kommunistischen Parteien auf Agenten zur Verteidigung der ökonomischen und politischen Interessen des russischen Staates. Letzterer, seine politischen Apparate und die Komintern selbst werden durch die Theorie des Sozialismus in einem Land als Agenten des russischen unpersönlichen Kapitals und der Weltbourgeoisie konstituiert. Das ist das Geheimnis des Stalinismus und seiner Konterrevolution, die sich im Sozialismus in einem Land verkörpert.

Zunächst einmal ist es wichtig, immer wieder zu betonen, dass der Sozialismus in einem Land unmöglich ist, denn Sozialismus bedeutet, wie Sinowjew selbst in der Diskussion gegen Stalin in Anlehnung an Marx sagte, die Abschaffung der Diktatur des Proletariats und die Auslöschung der sozialen Klassen. Der Sozialismus oder die erste Phase des Kommunismus, wie Marx sagte, ist eine Gesellschaft, in der die kapitalistischen Kategorien nicht mehr gelten: Lohnarbeit, Staat, Geld und Waren, soziale Klassen… Stalin und der Stalinismus, als unbewusster Ausdruck der unpersönlichen Kräfte des Weltkapitals, geben als Kommunismus aus, was ein Ausdruck des nationalen Kapitals ist. Wie wir bereits in unserem Text Stalins Kapitalismus7 erläutert haben, verteidigt dieser, dass die Existenz des Wertgesetzes, der Akkumulation von Waren zum richtigen Preis – denn dieser totalitäre proudhonianische Kapitalismus wäre exzessive, monopolistische Profite -, des Lohnsystems als Vermittlung zwischen Produktion und Konsum … der Aufbau des Sozialismus in Russland wäre, eines Sozialismus, den der Vater der Konterrevolution bereits 1931 proklamierte.

Diese Diskussion ist nicht nur terminologisch, denn es geht um die Verfälschung des Programms des Kommunismus. Eine Verfälschung, die bis heute anhält, wenn auch in abgeschwächter Form. Wir erleben junge Proletarier, die sich gegen den Kapitalismus radikalisieren und ihn auf revolutionäre Weise überwinden wollen, doch dafür finden sie in ihren vielen Familien die Instrumente der Konterrevolution in verschiedenen stalinistischen Apparaten verkörpert. Sie kommt aber auch selbst bei linken Kritikern des Stalinismus vor, wie z. B. den Kommunisierern8, die den Sozialismus mit dem verwechseln, was Stalin darüber gesagt hat – d. h. eine Gesellschaft, in der das Wertgesetz herrscht -, die die Notwendigkeit der Überwindung jeglicher Übergangsphase zum Kommunismus beteuern – und dabei die zentrale Bedeutung der Diktatur des Proletariats als revolutionäre politische Phase ignorieren – und damit Stalins voluntaristische Position radikalisieren. Der Kommunismus wäre sofort möglich, ohne Weltrevolution, nicht einmal auf nationaler Ebene, denn er würde sich im Kampf selbst, im Aufstand selbst, durchsetzen. Ohne es zu wissen, sind diese Theorien das Ergebnis dessen, was sie vorgeben zu kritisieren, nämlich die Vorstellungen der Konterrevolution, die sie als die von Marx und unserer historischen Bewegung ausgeben. Nein, der Sozialismus ist bereits Kommunismus, er ist keine Gesellschaft mit sozialen Klassen und einem Staat, sondern eine Klassendiktatur als Übergangsphase. Und der Kommunismus braucht diese Zwischenphase. Er entsteht nicht aus bloßem Willen, wie es die kommunizierende Ideologie voraussetzt9.

Aber um auf Sinowjew zurückzukommen: Im Kampf gegen Stalins Positionen sprach er bereits von der nationalen Beschränktheit des Georgiers und wie dieser den proletarischen Internationalismus leugnete. Trotzki und Sinowjew haben in ihrer Reaktion gegen den Stalinismus sehr viele Grenzen. Wir werden sie im Laufe unseres Textes und der Lehren, die wir heute als Kommunisten ziehen müssen, entwickeln und auch auf die Grenzen von Lenin selbst zurückkommen. Aber es ist wichtig, auf seine Reaktion hinzuweisen, auf die verwirrte, aber gerechte Verteidigung der Grundlagen des Kommunismus. Der Sozialismus ist eine klassenlose und staatenlose Gesellschaft, wie Trotzki in Die verratene Revolution von 1936 sagen wird.

Das Endergebnis der stalinistischen Konterrevolution kommt für uns als revolutionäre Kommunisten, die versuchen, die materialistische Methode auf die Geschichte anzuwenden, nicht überraschend. Eine proletarische Revolution, die in einem Land triumphiert, aber international isoliert ist, ist dem Untergang geweiht. Das ist das Geheimnis hinter dem russischen Schlamassel. Die russische Revolution war eine proletarische Revolution, deren Ziel es war, den Kommunismus zu erreichen. Dieses Ziel ist erst nach der Entwicklung und dem Sieg einer Weltrevolution möglich, die zwar stattgefunden hat, aber gescheitert ist. Wie Rosa Luxemburg in ihrer Analyse der russischen Revolution sagte, tragen die Bolschewiki das unvergängliche Verdienst in sich, es gewagt zu haben. Doch damit stellten sie eine Herausforderung dar, die nur vom internationalen Proletariat angenommen werden und in der Weltarena des Klassenkampfes triumphieren konnte. Die Isolierung der Revolution stärkte das Gewicht des Weltkapitalismus in Russland. Als historische Materialisten wissen wir, dass es nicht anders sein konnte. Im Gegensatz zu dem, was die Rätekommunisten später behaupteten, war die russische Revolution eine proletarische Revolution, die in einem kapitalistischen Kontext stattfand. Es konnte nicht anders sein: Das war die soziale Realität des damaligen Russlands und jedes anderen Landes seiner Zeit – obwohl die deutsche Entwicklung natürlich mehr dazu beigetragen hätte als die russische Situation – und das wird auch in unserer Zeit so sein, selbst wenn der Kapitalismus die gegenwärtige Reife des Kommunismus stark erweitert hat. In jedem Fall bedeutet eine siegreiche Revolution immer auch eine politische Übergangsperiode, die durch die revolutionäre Diktatur des Proletariats gekennzeichnet ist.

Wie wir sagen, führt ein Kontext der Isolation der Weltrevolution unweigerlich zu einer Anhäufung konterrevolutionären Drucks, der schließlich triumphiert. Unter diesen schwierigen Bedingungen agieren die Bolschewiki und das führt sie in eine Reihe von Fehlern. Inmitten der Isolation der Revolution, vor allem ab 1921, konzentrierten sich die Bolschewiki auf den Versuch, die nationale Ökonomie, die NEP, den Staatskapitalismus zu entwickeln, um eine kapitalistische Entwicklung zu erzeugen, während sie auf den Triumph der Weltrevolution warteten. Lenin geht sogar so weit, diesen Staatskapitalismus als einen Fortschritt auf dem Weg zum Sozialismus zu bezeichnen – in einer Perspektive, die sich zu sehr auf die nationale ökonomische Entwicklung konzentriert, sind die Übergänge zum Sozialismus, die zweifelsohne weltweit sind. Lenin argumentiert, dass das Beste, was sie in dieser Zeit für das Weltproletariat tun können, ist, sich auf ihre eigene ökonomische Entwicklung zu konzentrieren:

Mit unserer ökonomischen Politik greifen wir in die Weltpolitik ein; wenn wir dieses Problem lösen, werden wir auf internationaler Ebene sicher und endgültig gewinnen.10

Den Bolschewiki geht es immer darum, sich Luft und Zeit zu verschaffen, um durchzuhalten, bis die Weltrevolution wieder ausbricht, daher die Bedeutung, die die Kommunistische Internationale 1923 dem Triumph der deutschen Revolution beimessen wird. Es scheint uns sehr wichtig zu sein, den qualitativen Bruch zu betonen, den die bolschewistische Perspektive im Verhältnis zum Stalinismus impliziert. Wir verstehen zwar, dass dieser Druck bereits in der anfänglichen Entwicklung der russischen Revolution vorhanden war, aber wir verstehen auch, dass er ohne einen Triumph der Weltrevolution unvermeidlich war. Es ist unmöglich, eine gesunde proletarische Macht im Kontext einer kapitalistischen Welt- und Nationalökonomie auf Dauer zu erhalten. Lenin hat auf jeden Fall das Verdienst, die Situation beim richtigen Namen zu nennen. Was existiert und sich aus der bolschewistischen Macht entwickelt, ist eine Form des Staatskapitalismus, der volle Sozialismus wird nicht auf nationaler Ebene aufgebaut. Er selbst erkennt an, dass der Wagen des Staates seinen eigenen Weg geht, dass sie ihn nicht kontrollieren. Es wäre sehr wichtig gewesen, diesen Aspekt deutlicher herauszuarbeiten, um die bolschewistische Partei und die Kommunistische Internationale davor zu bewahren, Instrumente der Konterrevolution zu werden.

Und doch sind die Bolschewiki, angefangen bei Lenin, nicht klar genug. Die Konzentration auf die Entwicklung einer nationalen Ökonomie, während die Weltrevolution ausbricht, wird die Grundlage sein, die die stalinistische Konterrevolution später ausnutzen wird. Sie schafft Missverständnisse über den endgültigen Horizont der kommunistischen Revolution und erzeugt eine Reihe von Tendenzen, die automatisch, unpersönlich und für sich selbst funktionieren, wenn sie nicht durch die Ausdehnung der Weltrevolution und die internationale Macht des Proletariats durchbrochen werden. Andernfalls wird die Logik des Staates und der kapitalistischen Ökonomie schließlich jede revolutionäre Erfahrung verschlingen und brechen, was schließlich auch geschah. Die merkantile Logik der Kapitalakkumulation und die geopolitischen Interessen des russischen Staates legten die Rechnung für ihre Interessen vor und fanden in Stalin und seinem Kreis die Agenten und Funktionäre ihrer Logik11. Wir werden später auf diese Lektionen zurückkommen, aber es scheint uns sehr wichtig, sie jetzt hervorzuheben. Das Problem war nicht die Anwendung der NEP im Jahr 1921 oder gar Lenins Positionen zugunsten des Staatskapitalismus – wir teilen sie nicht, aber sie scheinen uns ein taktisches Problem zu sein, andere ökonomische Maßnahmen, die den Konsum und die proletarische Freizeit so weit wie möglich gefördert hätten, wären besser gewesen – solche Maßnahmen – merkantil – sind in einem gesellschaftlichen Kontext, der kapitalistisch bleibt, unvermeidlich. Was stärker hätte betont werden müssen, war, dass diese Maßnahmen ohne die proletarische Weltrevolution ihre Tage gezählt hatten, dass diese das A und O der revolutionären Macht sein muss und dass sich der russische Staat und die bolschewistische Partei gerade deshalb der Zentralisierung der Internationale unterwerfen mussten – wie Bordiga auf der Sechsten Erweiterten Exekutive der Kommunistischen Internationale betonte. Es war nicht möglich, die Illusion zu nähren, dass man sich außerhalb der Marktbörsen befände und dass deren Wirbelwind die Revolution nicht verhängnisvoll mit sich reißen würde. Wenn die Weltrevolution dem Kapitalismus nicht ein Ende setzte, würde der Kapitalismus am Ende in Moskau mit ihm abrechnen12. Und es musste berücksichtigt werden, dass, wenn die Zeit gekommen war, auf die politische Macht verzichtet werden musste, damit sie das Klassenorgan, die Weltpartei, nicht zerdrückte und deformierte. Wer diese Perspektive nicht berücksichtigt, wird am Ende den Prozess ruinieren und eine kapitalistische Konterrevolution herbeiführen, aber mit einer roten Fahne, die die revolutionären Möglichkeiten des Proletariats über Jahrzehnte hinweg unterdrückt hat. Deshalb ist es heute so wichtig, die Lehren aus der russischen Revolution und vor allem aus der Konterrevolution, die uns niedergeschlagen hat, klar zu erkennen.

An diesen Punkten sind Lenin und die Bolschewiki nicht klar genug. Ihr rechtschaffener Wille, durchzuhalten und Widerstand zu leisten, berücksichtigt nicht ausreichend die Gefahren, die entfesselt werden, und die Art und Weise, wie die Logik des Kapitals und der internationalen Diplomatie sie schließlich verschlingen wird. Schon sehr früh gibt es zwei Logiken, die nebeneinander existieren. Die eine ist die der Kommunistischen Internationale und die andere die der internationalen Verträge, in denen der russische Staat versucht, die Anerkennung durch die bourgeoise Staatengemeinschaft zu erlangen. Die ersten revolutionären Impulse waren im Abklingen begriffen. Tschicherin und Litwinow (Kommissare für auswärtige Angelegenheiten der UdSSR) unterscheiden sich stark von Trotzki, der behauptete, er wolle seinen Posten nutzen, um revolutionäre Propaganda unter deutschen und österreichischen Soldaten zu verbreiten, nur um dann die Tür des Ministeriums zu schließen. Jetzt, in den frühen 1920er Jahren, strebt der russische Staat nach internationaler Anerkennung, die er 1922 in Rapallo erlangt. Er machte geheime Vereinbarungen nicht mehr öffentlich, sondern schloss sie ab: zum Beispiel ein geheimes Protokoll mit Weimar-Deutschland, in dem die UdSSR den Bau von Fabriken für die heimliche Bewaffnung der deutschen Armee genehmigte; oder der Rückzug der UdSSR aus der Unterstützung für die Sowjetrepublik Guilan im Nordiran aufgrund des Abkommens zwischen der russischen und britischen Diplomatie von 1921; oder der Moskauer Vertrag von 1921 mit Atatürks Türkei, der sowjetische Militärhilfe für die Türken im Krieg mit den Griechen vorsieht, während Atatürk die türkischen Kommunisten verfolgt.

Wir sehen also einen engen Zusammenhang zwischen den Bewegungen der russischen Staatsdiplomatie, der Einbindung in die Gemeinschaft der kapitalistischen Staaten durch internationale Verträge und wie diese Dynamik nach und nach gegen die Interessen der Weltrevolution ausgespielt wird. Dies zu verstehen, ist der entscheidende Aspekt, und darüber waren sich die Bolschewiki trotz ihres Internationalismus nicht im Klaren. Dieser Mangel an Klarheit führte zusammen mit der internationalen Dynamik der Isolierung der Revolution zur Entstehung eines Teils der russischen Partei, der die Interessen der automatischen Dynamik des internationalen Kapitalismus verkörperte.

Interklassismus als Bündnis mit der fortschrittlichen Bourgeoisie

Wir haben die Hauptstütze der stalinistischen Konterrevolution, den Sozialismus in einem Land, der die logische Krönung der Interessen des russischen kapitalistischen Staates vor denen des Weltproletariats ist, bereits eingehend analysiert. Es ist die theoretische Ursache, die eine praktische Dynamik bestätigt, nämlich die der Zerstörung der kommunistischen Partei, die von einem proletarischen Organ in ein Instrument der bourgeoisen Weltkonterrevolution verwandelt wird. Diese konterrevolutionäre Position wird auf dem XV. Kongress 1927 als notwendige Bedingung für die Mitgliedschaft in der russischen KP und auf dem VI. Kongress 1928 in der Kommunistischen Internationale eingeführt. Von da an wurde die Behauptung von der Notwendigkeit des Sozialismus in einem Land zu einem Glaubensdogma der Konterrevolution.

Und das ist sehr wichtig, wenn man bedenkt, was wir in der Einleitung zu diesem Text gesagt haben. Viele der Organisationen, die sich heute als kommunistisch bezeichnen, sind in Wirklichkeit national-“kommunistisch“. Sie sind die Erben dieser Konterrevolution in Prinzip und Praxis, die die proletarische Bewegung zerfressen hat. Deshalb ist es, wie gesagt, so wichtig, sich von diesen Kräften zu distanzieren, sie im feindlichen Lager zu sehen und sie als konterrevolutionär zu bezeichnen.

Im Lexikon der politischen Tricks des Stalinismus wird der Sozialismus zum Nationalismus und der Internationalismus zur Verteidigung der geopolitischen Interessen des russischen Staates, wie wir bereits gesagt haben. Ein Internationalist zu sein bedeutet nicht, die Klassensolidarität hochzuhalten und gegen die Weltbourgeoisie zu kämpfen, sondern das Heimatland des Sozialismus zu verteidigen.

Wie wir bereits erahnen können, hat dies direkten Einfluss auf die internationale Politik der stalinistischen Komintern. Die Dritte Internationale wurde 1919 als Ausdruck der Weltpartei des Proletariats gegründet. Zweifellos war sie, mit all ihren Grenzen und Zögerlichkeiten, eine sehr klare Demonstration des Internationalismus, der der russischen Revolution und den Bolschewiki innewohnt. Die Politik des Sozialismus in einem Land verändert alles, denn dann geht es um die Verteidigung der Interessen des russischen Staates und die Bündnisse, die er mit den nationalen Bourgeoisien in zahlreichen Ländern eingeht. Seit 1927 sind die kommunistischen Parteien ein Anhängsel der Konterrevolution.

Um das oben Gesagte zu verdeutlichen, wollen wir uns mit verschiedenen revolutionären Prozessen und der opportunistischen und kriminellen Politik der Kommunistischen Internationale befassen. Wir werden über den Prozess der Bolschewisierung der Kommunistischen Internationale von 1923-24, das Anglo-Russische Komitee von 1925/26, die chinesische Revolution von 1927 und den Zickzackkurs der stalinistischen Politik von der Theorie des Sozialfaschismus zum Volksfrontismus und Antifaschismus als Bündnis mit der demokratischen Bourgeoisie sprechen. In einem späteren Abschnitt werden wir auf andere Prozesse der berüchtigten Politik des Stalinismus eingehen, wie zum Beispiel Spanien 1936.

Die Kommunistische Internationale durchlief von 1923 bis 1924 einen Prozess der Bolschewisierung aller kommunistischen Parteien, der 1926 seinen Höhepunkt erreichte. Im Rahmen dieses Prozesses wurde die Pyramide der Internationale völlig auf den Kopf gestellt. Wie Bordiga auf der IV Erweiterten Exekutive sagte:

Wir können unsere internationale Organisation mit einer Pyramide vergleichen. Diese Pyramide muss eine Spitze haben und Seiten, die zu dieser Spitze hin tendieren. So können Einheit und die notwendige Zentralisierung dargestellt werden. Aber heute ruht unsere Pyramide aufgrund unserer Taktik gefährlich auf ihrer Spitze. Die Pyramide muss daher umgedreht werden […]. Das ganze System muss von oben nach unten verändert werden.

Bordiga bringt die Prinzipien der organischen Zentralisierung, die die Internationale haben muss, klar zum Ausdruck. Sie muss sich auf ihre Basis stützen und auf eine Bewegung in zwei Richtungen, von unten nach oben und von oben nach unten, die eine Einheit auf der Grundlage gemeinsamer kommunistischer Positionen ermöglicht. Im Gegensatz dazu bedeutet Bolschewisierung – ein Begriff, den der französische Kommunist Albert Treint verwendet hat – die Schaffung einer internationalen Disziplin, die den revolutionären Geist der kommunistischen Parteien und der Kommunistischen Internationale verkrüppeln wird. Und wie die italienische Linke in der gleichen Exekutive erklärte:

Die Disziplin ist ein Ankunftspunkt, kein Ausgangspunkt, keine unveränderliche Plattform. Andererseits entspricht dies dem freiwilligen Charakter der Mitgliedschaft in unserer Organisation der Partei. Aus diesem Grund kann eine Art Parteistrafgesetzbuch kein Heilmittel für die häufigen Fälle von Disziplinlosigkeit sein. In unseren Parteien ist in letzter Zeit ein Terrorregime eingeführt worden, eine Art Sport, der darin besteht, einzugreifen, zu bestrafen, zu unterdrücken und zu vernichten. Und das alles mit einem ganz besonderen Vergnügen, als ob dies das Ideal des Parteilebens wäre.

Der anthropologische Typus des stalinistischen Militanten wurde hier geboren, aber es war ein Bruch mit den revolutionären Traditionen der frühen Jahre der Kommunistischen Internationale. Der Rubaschow in Koestlers Roman Sonnenfinsternis ist bereits jemand, der an dieser künstlichen Disziplin zerbrochen ist, die aus Infamien, Verrat und Denunziationen besteht, die die Verbindung zu einem wahren revolutionären Programm und zu einer Disziplin, die bewusst sein muss, korrumpieren und von innen heraus brechen. Die Bolschewisierung und ihr Triumph auf Kosten der Militanten, die die authentischen Traditionen unserer Klasse vertraten, ist die Erklärung für die organisatorische und moralische Logik des Stalinismus: von Säuberungen bis hin zu einem ständigen Zickzackkurs der taktischen Positionen und Prinzipien. Und das alles im Namen der Verteidigung der UdSSR als Heimatland des Sozialismus, der Verteidigung der „Eigenen“, um dem Feind keine Waffen zu geben. Mit anderen Worten: All das um den Preis, dass das wahre kommunistische Programm und die Ziele begraben werden. Es wird also bekräftigt:

Eine Methode der persönlichen Demütigung, die eine bedauerliche Methode ist, selbst wenn sie gegen politische Elemente eingesetzt wird, die es verdienen, hart bekämpft zu werden. Ich glaube nicht, dass es eine revolutionäre Methode ist. Ich denke, dass die meisten von denen, die heute ihre Rechtgläubigkeit beweisen, indem sie sich auf Kosten von Sündern und Verfolgten amüsieren, höchstwahrscheinlich aus ehemaligen Gegnern bestehen, die seinerzeit gedemütigt wurden […]. Dieser Selbstaufopferungswahn muss aufhören, wenn wir uns wirklich für die Führung des revolutionären Kampfes des Proletariats bewerben wollen.

Die Logik der Kritik und Selbstkritik wurde bereits 1926 als etwas beschrieben, das im Namen des kommunistischen Programms radikal bekämpft werden muss, als Zeichen dafür, dass die Konterrevolution zwar eine Frage des Inhalts und nicht der Form ist, die Methoden, die die kommunistische Organisation und Militanz aufbauen, aber nicht unabhängig von diesen Inhalten sind, sondern untrennbar mit ihnen verbunden sind. Es gibt eine ständige Beziehung zwischen Mitteln und Zielen. Und den Zielen der stalinistischen bourgeoisen Konterrevolution entsprechen die Mittel: Denunziation und Selbstaufopferung, die Zerstörung der kollektiven Reflexion und künstliche Disziplin, Personalismus und die unerbittliche Verfolgung von Sündern. Eine Logik, die den Antipoden der Organisation der Kommunisten entspricht. Ziele und Mittel sind im Stalinismus untrennbar miteinander verbunden, und seine Methoden sind weder unserer Bewegung noch dem bolschewistischen Zentralismus im Besonderen eigen, sondern sind seine eigentliche Negation als Produkt der Konterrevolution.

Der oben beschriebene Prozess der Bolschewisierung dauert nun schon drei Jahre an. Er ist das Ergebnis der langsamen Durchsetzung der Konterrevolution, die die Bolschewiki dazu bringt, sich in ihre belagerte Festung zurückzuziehen, und sie dazu bringt, zu versuchen, die Kommunistische Internationale zu kontrollieren, um sie in den Dienst des Vaterlandes des Sozialismus zu stellen. Paradox ist in diesem Sinne, was in der Kommunistischen Partei Italiens (KPI) geschah, wo die linke Führung 1923 von Moskau abgelöst und von Gramsci angeführt wurde, der von da an zum Verteidiger der Moskauer Linie wurde, die versuchte, die revolutionäre Unnachgiebigkeit der italienischen Partei – die sich gegen die politischen Einheitsfronten und die Arbeiterregierung oder den Zusammenschluss mit den Sozialisten von Serrati stellte13 – zu mildern. Gramsci, der sich offensichtlich sehr von dem berüchtigten Togliatti unterscheidet, wird die Kontrolle der Partei durch die Kommunistische Internationale unerbittlich durchsetzen, sogar mit einer Parteipolizei, die versuchte, die von den Militanten mitgeführten Dokumente und Papiere zu kontrollieren, um Fraktionslogiken zu verhindern, und mit so undemokratischen Methoden wie der Vergabe aller Stimmen an die Führung, die aufgrund der Geheimhaltung der Partei im faschistischen Italien nicht abgegeben werden konnten. Und trotz alledem war die Linke auf der Konferenz von Como (1924) immer noch in der Mehrheit, und erst 1926 wurde die Partei durch Gramsci vollständig von Moskau kontrolliert. Und, wie wir schon sagten, gab es immer noch eine gewisse Logik und einen gewissen Kameradschaftsgeist, der in den 1930er Jahren in der italienischen Partei wie auch in den anderen kommunistischen Parteien endgültig zerschlagen werden sollte.

Was wir gerade für Italien angedeutet haben, was auch dazu dient, das heutige geschönte Bild eines akademisch verbrämten Gramsci zu diskreditieren, lässt sich auf unterschiedliche Weise und mit unterschiedlichen Klarstellungen auf alle kommunistischen Parteien der Welt verallgemeinern. In Frankreich wurde die Führung von Boris Souvarine, Rosmer und Monatte abrupt durch die Figur von Albert Treint ersetzt, der später zugunsten von Maurice Thorez eliminiert wurde. In Deutschland säubert die KPD zunächst – unter Paul Levi – die Mehrheit ihrer Militanz, woraus die KAPD entsteht. Nach der gescheiterten Revolution von 1923 wird Brandler durch die „Linken“ Maslow und Ruth Fischer ersetzt, und schließlich setzt sich der disziplinierte und unterwürfige Thälmann durch. Das ist das Geheimnis der stalinistischen Führer, Produkte der Konterrevolution, unterwürfige Menschen, die zu Moskau ja zu sagen wissen und die ihrerseits als kleine Väter oder Mütter des Proletariats gefeiert werden: von Dolores Ibárruri bis Tito, von Mao bis Thorez, von Dimitrov bis zum ungarischen Rákosi. In einigen Fällen handelt es sich um intelligente und berüchtigte Figuren wie Togliatti, die ihre Intelligenz in den Dienst der Konterrevolution stellen und die Säuberungen durch eine Kombination aus Glück, Fügsamkeit und vor allem einer hohen Dosis an Niedertracht überleben. In anderen Fällen werden die Kinder gegen ihre Eltern rebellieren. Das ist es, was Tito mit Stalin, Mao mit Chruschtschow oder Carrillo mit Ibárruri macht. Aber die konterrevolutionäre Logik ist identisch, das national-“kommunistische“ Programm treibt sie an und sie fordern einfach ihren eigenen Anteil am Kuchen. Aber darauf werden wir später zurückkommen. Für den Moment wollten wir betonen, dass sowohl die Bolschewisierung der Kommunistischen Internationale als auch die Bolschewisierung der russischen Partei selbst für den Erfolg der laufenden Konterrevolution entscheidend waren.

Das erste Beispiel, auf das wir eingehen wollten, um die Folgen dieser interklassistischen und versöhnlichen Politik der Komintern genau zu beobachten, ist der britische Fall. Im April 1925 wurde zwischen den sowjetischen und britischen syndikalistischen Anführern, die sich der „Linken“ zugewandt hatten, ein Abkommen unterzeichnet, das als „Anglo-Russisches Komitee“ bekannt wurde. Tatsächlich ist diese Vereinbarung untrennbar mit früheren diplomatischen Schritten verbunden. Im Januar 1924 kam die erste Labour-Regierung überhaupt an die Macht und erkannte die UdSSR am 1. Februar 1924 diplomatisch an. Sowjetische Diplomaten, darunter der syndikalistische Anführer Tomsky, treffen im Mai 1924 auf britischem Boden ein. Britische syndikalistische Anführer besuchen die UdSSR Ende 1924 und, wie bereits erwähnt, wird im April 1925 das berühmte Anglo-Russische Komitee zwischen den sowjetischen und britischen Gewerkschaften/Syndikate unterzeichnet. Diese Vereinbarungen bedeuteten die Unterordnung der Autonomie der Britischen Kommunistischen Partei (GBCP) unter diesen Ausschuss und die syndikalistische Logik der britischen linken Anführern: radikal in ihren Worten und absolut zaghaft in ihrem Handeln. Kurz gesagt, eine für den Syndikalismus typische Logik, die den Radikalismus der Arbeiterbewegung aufgreift und ihn in den politischen Rahmen des bourgeoisen Staates integriert, und genau das werden sie mit Hilfe der UdSSR tun. Lloyd George, der berühmte liberale Politiker, hatte bereits 1919 zu den syndikalistischen Anführern gesprochen und ihnen gesagt, dass ihre Funktion darin besteht, die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten. Es ist allgemein bekannt, dass die Funktion das Organ bestimmt, in diesem Fall dem Syndikalistischen14.

Im Jahr 1926 erlebten wir in Großbritannien eine sehr wichtige Streikwelle, die durch den Kampf der Bergarbeiter vorweggenommen wurde. Am ersten Tag des Streiks, dem 4. Mai, war der Streik total. Alles ist still als Zeichen der potenziellen Macht des Proletariats im Kampf. Der Verkehr im Land steht komplett still, nur 3,5% der Personenzüge und 2-3% der Güterzüge fahren. Gleichzeitig ist die GBCP eine schwache Partei und den syndikalistischen Leitungen völlig untergeordnet. Wie wir bereits in El pasado de nuestro ser angedeutet haben, ist dies ein neuer Beweis für die Freiwilligkeit der Dritten Internationale, revolutionäre Situationen durch Abkürzungen zu schaffen. Doch hier vollziehen wir einen qualitativen Sprung, da die Politik der Komintern der Perspektive des Sozialismus in einem einzigen Land und den geopolitischen Interessen des russischen Staates untergeordnet ist.

Die britische Regierung und die Gewerkschaften/Syndikate fürchteten sich zu Tode vor der Radikalisierung und der proletarischen Offensive, die sich jeden Tag auf den Straßen manifestierte. Nach etwas mehr als einer Woche Streik beendeten sie den Streik am 12. Mai, um den Prozess der Radikalisierung der Klasse zu brechen und zu versuchen, den Prozess wieder in Richtung der Ordnung des Kapitals zu lenken. Die Bergarbeiter setzten den Streik allein fort, aber in Isolation. Mitte Oktober 1926 kehrten 200.000 Bergarbeiter an die Arbeit zurück, und bis zum Ende des Jahres waren es alle. Der Streik von 1926 war die Niederlage von Millionen von Proletariern im Kampf. Das lag zum einen an der politischen Schwäche des Proletariats im Kampf, zum anderen aber auch an einer Politik der Kommunistischen Internationale, die den Kampf der Logik der britischen Gewerkschaften/Syndikate und damit dem politischen Rahmen des britischen Kapitals unterordnete. Für Stalin war es vorrangig, eine Politik der kommunistischen Parteien zu gewährleisten, die die Sicherheit der UdSSR garantieren würde. In diesem Sinne diente das Anglo-Russische Komitee als Instrument des russischen Staates im geopolitischen Spiel mit dem britischen Imperialismus.

Vom Standpunkt der Weltrevolution aus gesehen sind die Ereignisse in China von 1925 bis 1927 noch wichtiger. Wir sind Zeugen einer echten proletarischen Radikalisierung, die aufgrund der Politik der Dritten Internationale, die das chinesische Proletariat der von der Kuomintang (KMT) vertretenen nationalen Bourgeoisie unterordnet, in Blutvergießen enden wird. Die Politik der Führung der Dritten Internationale, die bereits der Logik des Sozialismus in einem Land und einer Vision der Weltrevolution in Etappen und als nationale Revolutionen untergeordnet ist, die eine Revolution von der anderen in wasserdichte Abteile trennt, wird in China mit schrecklichen Folgen angewandt werden. Die erste, die Idee einer Revolution in Etappen, bedeutete, die chinesische Revolution auf eine bourgeoise Revolution mit antiimperialistischem Charakter zu reduzieren. In diesem Sinne war es notwendig, ein Bündnis mit den übrigen nationalen Klassen gegen den ausländischen Imperialismus zu suchen – eine Politik, die später von Mao in den 1930er und 1940er Jahren angesichts des vollständig stalinistischen Charakters des chinesischen bourgeoisen Nationalismus entwickelt werden sollte. Das heißt, dass er in erster Linie ein Bündnis mit der nationalen Bourgeoisie anstrebte, die von der KMT vertreten wurde, der Partei, die von Sun Yat Sen gegründet worden war und die nach seinem Tod im März 1925 Jiang Jieshi zu ihrem wichtigsten Anführer gemacht hatte. Die stalinistische Dritte Internationale zwang die junge Kommunistische Partei Chinas (KPCh), sich ganz der KMT unterzuordnen. Das ging so weit, dass sich die KPCh innerhalb der KMT auflöste, an ihren Strukturen teilnahm, ohne eine eigene politische Physiognomie zu haben, und die KMT sogar zu den Treffen der Dritten Internationale eingeladen wurde. Sie gehen sogar so weit, dass sie Jiang Jieshi als Vizepräsidenten der Dritten Internationale vorschlagen. Auf diese Weise wird eine antiimperialistische Einheitsfrontpolitik betrieben, die die Dritte Internationale auch in anderen kolonialen und halbkolonialen Ländern anwenden wird – mit katastrophalen Folgen.

Neben der etapistischen Unterordnung und einem bourgeoisen Programm der KPCh erleben wir, dass die chinesische Revolution ausschließlich in nationalen Begriffen betrachtet wird. Dies ist eine direkte Folge der konterrevolutionären Strategie des Sozialismus in einem Land. Die chinesische Revolution wird nicht als Teil der 1917 ausgebrochenen Weltrevolution betrachtet, sondern als eine Revolution, die ausschließlich in ihren nationalen Grenzen gefangen ist. Und doch ist es unmöglich, irgendetwas über die chinesische Revolution zu verstehen, wenn wir sie nicht als einen Moment im Gesamtprozess der Weltrevolution betrachten, als einen entscheidenden Moment, der die revolutionäre Ebbe, die seit 1921 im Gange war, hätte umkehren können. Mit ihren Grenzen und Schwächen geht die junge KPCh zaghaft auf diese Positionen der Dritten Internationale ein. Und natürlich stand der Prozess der Klassenbildung des chinesischen Proletariats durch Landbesetzungen, wilde Streiks und die Bildung bewaffneter Milizen im Gegensatz zum kapitalistischen Charakter der chinesischen Gesellschaftsformation. Wie die italienische kommunistische Linke im Exil damals behauptete, ging es ihr um die klassenmäßige und organisatorische Unabhängigkeit von der Bourgeoisie und um die Durchsetzung der Diktatur des Proletariats in China als Teil der Weltrevolution15.

Die kapitulierende und konterrevolutionäre Position der Dritten Internationale wird nicht nur in China, sondern international Gegentendenzen haben. Die Linke Opposition, die beginnt, sich mit Trotzki und zeitweise auch mit Kamenew und Sinowjew zu verbinden, stellt sich der selbstmörderischen und kriminellen Politik von Stalin und Bucharin entgegen. Sie gehen nicht so weit, dass sie für einen organisatorischen Bruch mit der KMT plädieren, aber sie verteidigen die Notwendigkeit der Unabhängigkeit der Politik der KPCh, die ihr eigenes proletarisches Programm in China verteidigen muss. Für Trotzki bedeutet dies die Entwicklung einer permanenten Revolution, die der chinesischen Revolution einen kommunistischen Charakter verleiht, auch wenn sie mit demokratischen und bourgeoisen Slogans gewürzt ist16. Diese sehr wichtigen Grenzen seiner Position können uns nicht über die radikalen Unterschiede zu Stalins Politik hinwegtäuschen. Für Trotzki ergibt sich das Element, das der chinesischen Bewegung Bedeutung verleiht, aus ihrem internationalen Charakter als Teil der Weltrevolution und aus den kommunistischen Zielen: Das heißt, die Revolution ist auf die Diktatur des Proletariats und die Enteignung der Bourgeoisie durch das kämpfende Proletariat gerichtet.

Sehr ähnliche Positionen werden, wenn auch zögerlich, von einigen KPCh-Führern vertreten. Li Dazhao zum Beispiel, neben Chen Duxiu der wichtigste Anführer jener Zeit, verband das chinesische und das britische Proletariat eindeutig als Teil desselben weltweiten Klassenkampfes. Chen Duxiu und der Rest der KPCh lehnten den Beitritt zur KMT zunächst ab, da dies zu Verwirrung führte und die proletarische Politik der KMT unterordnete. Die chinesische Führung beugte sich jedoch dem Druck und der Disziplin der Komintern, und die KPCh wurde so als Partei des Proletariats Teil des linken Flügels der nationalen Bourgeoisie. Li Dazhao gestand Peng Suzhi, dass sie die Arbeit von Nationalisten und nicht von Kommunisten machten, dass sie ihre Partei, die KPCh, im Austausch für die KMT aufgegeben hatten. Der Hintergrund der politischen und programmatischen Diskussionen ermöglicht uns ein besseres Verständnis der historischen Ereignisse, die André Malraux in seinen Romanen (Les Conquérants und So lebt der Mensch) verarbeitet hat. Am 30. Mai 1925 brach in Kanton und Hongkong ein Streik aus, aus dem der erste proletarische Sowjet in China hervorging, ein Streik, der durch die Ermordung von 10 Arbeitern durch die Polizei ausgelöst wurde. Ein Sowjet entsteht, wie wir sagen, mit bewaffneten proletarischen Milizen, die die Bewegung von Menschen und die Zirkulation von Waren kontrollieren, d.h. mit territorialer Kontrolle und Macht. Diese Logik der Klassenautonomie und der Verteidigung ihrer unmittelbaren und historischen Interessen als Proletarier wird durch die Unterordnung unter die KMT und ihr nationalistisches und bourgeoises Programm gebrochen.

Aber die Bedürfnisse des russischen Staates sind für Stalin und seine Politik von entscheidender Bedeutung. Er geht sogar so weit zu behaupten, dass die KMT die Herrschaft des Imperialismus im Osten beenden wird – als ob es möglich wäre, den Imperialismus zu beenden, ohne den Kapitalismus zu beenden. Stalin ist daran interessiert, einen politischen Verbündeten in China zu finden, um die geopolitischen und ökonomischen Interessen des russischen Staates zu verteidigen. So nimmt er in Kauf, dass die KPCh ihre Listen mit Militanten an die KMT aushändigt – was für die späteren Massaker von grundlegender Bedeutung sein wird. Die Revolution nimmt ihren eigenen Lauf aus der Klassenradikalisierung heraus, landlose Proletarier besetzen Land in Hubei und Hunan und organisieren bewaffnete Milizen. Doch das Zentrum der chinesischen Revolution liegt in Shanghai, wo 1927 Hunderttausende bewaffnete Arbeiter die Stadt kontrollieren. Am 21. März 1927, nach einem gescheiterten Versuch einen Monat zuvor, erobern 500.000 bis 800.000 Arbeiterinnen und Arbeiter die Stadt, bewaffnet mit Gewehren, Stöcken und Messern. Jiang Jieshi steht jedoch vor den Toren der Stadt und die bewaffneten Arbeiterinnen und Arbeiter, die von der KPCh beraten werden, halten ihn für einen Freund. Um 4 Uhr morgens am 11. April 1927 startete Jiang eine Militäroffensive gegen die Shanghaier Kommune, die zu einem brutalen Massaker an Proletariern führte. Von da an breitete sich die Repression wie ein Ölteppich aus. Unter dem Befehl von Jiang Jieshi, den die verbrecherische Politik von Stalin und Co. als Vizepräsidenten der Komintern vorgeschlagen hatte, werden mindestens 547.000 Arbeiter und Bauern ermordet17. Diese Katastrophe und das Scheitern der chinesischen Revolution sind einzig und allein auf die Politik der Kommunistischen Internationale zurückzuführen, auf ihre Idee einer Revolution in Etappen und national, einer Revolution, die isoliert und in rein nationalen Begriffen gedacht wird. Bei der Suche nach Bündnissen mit den nationalen Bourgeoisien, hinter denen sich in Wirklichkeit die imperialistischen Interessen des russischen Staates selbst verbergen. Das Studium der Vergangenheit und der chinesischen Revolution von 1927 muss uns dazu dienen, revolutionäre Lehren für die Gegenwart und die Zukunft zu ziehen. Und in dem Fall, der uns in diesem Text aufruft, dazu, den inhärent konterrevolutionären Charakter des Stalinismus von Anfang an zu verstehen.

Wir haben uns ausführlich mit dem chinesischen Fall befasst, weil er uns erlaubt, die ständigen Zickzackkurse der Politik der stalinistischen Komintern von nun an besser zu verstehen: Zickzackkurse, hinter denen sich, wenn wir an der Oberfläche kratzen, die geopolitischen Interessen des russischen Staates verbergen, der Versuch, einen Krieg mit den übrigen imperialistischen Mächten zu vermeiden, diplomatische und geopolitische Bündnisse zu schließen. Und zu diesem Zweck wird das Weltproletariat als Kanonenfutter benutzt.

So wurde auf dem Sechsten Kongress der Kommunistischen Internationale im Jahr 1928, der den Sozialismus in einem Land zur Pflichtaufgabe aller „kommunistischen“ Militanten machte, die Politik des Sozialfaschismus eingeleitet. Der Kapitalismus wäre nach der Stabilisierungsperiode von 1924 in eine dritte Periode eingetreten, die die revolutionären Wellen der Periode von 1918 wieder aufleben lassen würde, entweder aufgrund der Krise des Kapitalismus oder aufgrund der Radikalisierung des Proletariats. Die Verwirrung in den Reihen der Dritten Internationale ist angesichts der ständigen Schwankungen total. Sogar jemand, der so schlau und hinterhältig ist wie Togliatti, sagt in einem Brief zu sich selbst, dass er sich wünschte, Bordiga wäre anwesend, denn dann würde er ihnen wenigstens sagen, was los ist. Die Komintern war bereits ein Instrument der Konterrevolution in Aktion, voller nützlicher Idioten, die mit dem Machtapparat gefüttert wurden. Die Hauptlinie der Dritten Periode ist die des Sozialfaschismus, die Stalin mit seiner üblichen mittelmäßigen Klarheit zum Ausdruck bringt: „Die Sozialdemokratie ist objektiv der gemäßigte Flügel des Faschismus… sie sind Seelenverwandte“. Angesichts des neuen Zickzackkurses entstanden in den lokalen KPs neue Führungen – Togliatti gelang es mit seinem üblichen Geschick, sich zu retten -, die die neue Linie vertraten. Bullejos in Spanien zum Beispiel vertritt diese Linie, unter der Aufsicht und Kontrolle des Argentiniers Codovilla.

Die Position zum Sozialfaschismus ist eine theoretische Absurdität. Die Sozialdemokratie ist eine bourgeoise Strömung, aber sie ist weder Teil des Faschismus noch sein Seelenverwandter. In Wirklichkeit unterscheidet sich diese Position nicht so sehr von dem, was der Stalinismus später mit dem Antifaschismus machen wird. Er ist immer auf der Suche nach dem kleineren Übel, das er schlagen und besiegen kann. Zuerst wird es die Sozialdemokratie sein – die KPD wird so weit gehen, bei einer Volksabstimmung in Preußen gegen die Landesregierung von Otto Braun ein Bündnis mit den Nazis zu schließen – und dann der Faschismus mit der Politik der Volksfronten. Der Kampf gegen den Kapitalismus wird also nicht auf der Grundlage des Klassenkampfes organisiert, sondern ausschließlich gegen den „Sozialfaschismus“. Es ist nicht mehr die Bourgeoisie, die bekämpft wird, sondern nur noch einer ihrer Flügel, die Sozialdemokratie. Und das alles mit dem Ziel, eine „nationale Emanzipation“ durchzuführen, was die KPD zu einer Politik führte, die mit der der Nazis übereinstimmte, und das alles, um Deutschland einem Bündnis mit der UdSSR näher zu bringen18. Nach der Taktik des Sozialfaschismus kam eine neue Wendung. Es ist der Antifaschismus, die Politik der Volksfronten, der tödliche Feind ist jetzt der Faschismus. Es ist notwendig, sich mit den antifaschistischen nationalen Bourgeoisien zu verbünden. 1935 unterzeichnete Stalin ein Abkommen mit dem französischen Premierminister Pierre Laval. Damit billigt Stalin, und durch ihn die PCF, die französische Politik der Wiederbewaffnung und der nationalen Verteidigung. Geben wir Stalins Satrapen das Wort, damit sie die Bedeutung der neuen Politik verstehen, deren Ziel der Sozialismus in einem Land ist:

Heute bestimmen die Interessen der Verteidigung der UdSSR die grundsätzliche Linie des Weltproletariats im Angesicht des Krieges.19

Die Sowjetunion ist die Ursache des Weltproletariats, das Land, in dem der Sozialismus aufgebaut und verwirklicht wird, das sozialistische Vaterland aller Länder.20

Nur wenn wir diese Logik verstehen, die des Sozialismus in einem Land, können wir die ständigen Ausschläge der national-“kommunistischen“ Parteien und der Komintern verstehen. Was diesen Zickzackkursen einen Sinn gibt, sind die Interessen der UdSSR als kapitalistische Macht. Der letzte dieser Schlenker kam für viele Militante überraschend: der Molotow-Von Ribbentrop-Pakt, das Bündnis zwischen Stalins UdSSR und Hitler-Deutschland zu Beginn des Zweiten Weltkriegs. Auf diese Weise verteidigt die UdSSR ihre kapitalistischen und imperialistischen Interessen. Im Rahmen dieses Abkommens besetzt die UdSSR nach dem deutschen Einmarsch in Polen im September 1939 die baltischen Staaten und den östlichen Teil Polens. Das Einvernehmen zwischen den beiden Staaten wird durch gegenseitige „Geschenke“ hergestellt. Zum Beispiel übergibt Stalin 570 deutsche und österreichische Kommunisten an Hitler, ein verbrecherischer Pakt zwischen ebenso bourgeoisen Politikern21. Außerdem verhandelten die UdSSR und Nazi-Deutschland eine Zeit lang über die Ausweitung des Dreierpakts (Deutschland, Italien und Japan) auf die UdSSR. Schließlich werden die Verhandlungen durch Hitlers Einmarsch in die UdSSR im Juni 1941 abgebrochen und Stalins UdSSR wechselt im Zweiten Weltkrieg die imperialistische Seite. Wie wir sehen, ermöglicht nur ein Verständnis des imperialistischen Charakters der Politik des Sozialismus in einem einzelnen Land, die materiellen Wurzeln der stalinistischen Politik zu verstehen.

Die Grundlagen der Konterrevolution

Im letzten Abschnitt dieses Blocks möchten wir auf die programmatischen Beiträge zurückkommen, die die Gefährten der italienischen Linken im Exil in den 1930er Jahren geleistet haben. Wir sind der Meinung, dass sie grundlegende Beiträge zum Verständnis der stalinistischen Konterrevolution geleistet haben und uns darüber hinaus auf zukünftige Klassenkonfrontationen vorbereiten, die uns mit ähnlichen Schwierigkeiten konfrontieren werden wie die revolutionäre Welle von 1917-1921. Nicht zufällig lautete der Name der von diesen Gefährten herausgegebenen Zeitschrift BILAN, französisch für „Bilanz“, eine programmatische Bilanz der Revolution und Konterrevolution, immer mit der Perspektive des Kampfes für den Kommunismus und der Notwendigkeit, strategisch und theoretisch tiefer in die praktischen Probleme einzusteigen, was eine grundlegende methodische Lektion als Kommunisten ist.

Der erste Text, auf den wir uns beziehen wollen, ist der von Mitchell, einem belgischen Gefährten, Über die Probleme der Übergangszeit22. Mitchell untersucht die ökonomischen Probleme während der Diktatur des Proletariats anhand des russischen Beispiels. Grundlegend an diesem Text ist, wie er erkennt, dass die Ökonomie in einer solchen politischen Periode zwangsläufig kapitalistisch bleibt und dass eine kommunistische Gesellschaft – schon auf ihrer unteren Stufe – die Negierung von Geld, Waren und Wert als Maß für den gesellschaftlichen Reichtum impliziert. Dabei polemisiert er mit einem wichtigen Text aus der gleichen Zeit: Jan Appels und Henrik Canne-Meyers Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung. Darin versuchen die Rätekommunisten, sich ideell von den konkreten Problemen der Übergangszeit zum Kommunismus zu trennen. Sie erkennen die Existenz von Markt und Geld an, leiten daraus aber nicht die Vorherrschaft des Werts in der Produktion und Reproduktion der Gesellschaftsstruktur ab. Es wird also eine Art Marktsozialismus vorausgesetzt, in dem jeder Produzent das Produkt seiner Arbeit erhält. Diese ideale Verteilung des Produkts schließt, wie wir sagen, aus, dass in der Übergangszeit der kapitalistische Einfluss die ökonomischen Formen der Diktatur des Proletariats dominiert. Dies ist das große Problem und die größte Herausforderung, vor der uns nur die Weltrevolution retten kann.

Ähnlich ist Trotzkis Position, wenn auch mit einer anderen Lösung. Für Trotzki wäre auch eine Art von ökonomischer Politik in völliger Übereinstimmung mit sozialistischen Prinzipien möglich. Das zeigt sich in den ökonomischen Auseinandersetzungen in den 1920er Jahren zwischen der Linken Opposition und der Gruppe um Stalin und Bucharin. Erstere verteidigten die Notwendigkeit einer sozialistischen ursprünglichen Akkumulation – ein Ausdruck, den ihr Theoretiker Preobajenski in Wirklichkeit Kapitalakkumulation nannte -, die Russland die Industrialisierung ermöglichen würde. Während Bucharin die Theorie vertrat, dass der Sozialismus im Schneckentempo durch die Kommodifizierung des Landes erreicht werden würde, d.h. durch die Fortsetzung von Lenins NEP-Politik. Schließlich werden die Ungleichgewichte aufgrund der scherenartigen Entwicklung der Preise zwischen Stadt und Land Stalin dazu zwingen, die Industrie zu modernisieren und die Fünfjahrespläne sowie die Kollektivierung des Landes einzuleiten, eine brutale Politik der ursprünglichen Kapitalakkumulation, die den Tod von Millionen von Proletariern und Bauern zur Folge haben wird. Es ist wichtig, den kapitalistischen Charakter dieser ökonomischen Politik zu verstehen, was Trotzki nicht begreift, weil er immer noch in einer Vision gefangen ist, die den Sozialismus mit dem Staatseigentum an den Produktionsmitteln identifiziert. So verteidigt er in Die verratene Revolution die produktiven Fortschritte der UdSSR als Beispiel für die ökonomische Überlegenheit des Sozialismus – ohne zu verstehen, dass solche Fortschritte für einen jungen Kapitalismus wie den russischen charakteristisch sind und dass die Zunahme der Produktion von Kapitalgütern lediglich dessen kapitalistischen Charakter widerspiegelt. Wie Mitchell in seiner Polemik mit Trotzki sagt, geht es nicht darum, die Produktion zu beschleunigen, sondern die sozialen Beziehungen zu verändern, was eine Weltrevolution erfordert. Nur auf einer globalen Ebene ist der Kommunismus möglich.

Und letzteres ist zentral. Wir dürfen uns keine Illusionen über die Existenz kapitalistischer Gesellschaftsverhältnisse in der Zeit des Übergangs zum Kommunismus machen. Wir können und sollten versuchen, die Last der Kommodifizierung der Gesellschaft so weit wie möglich zu verringern, die Arbeitszeit zu verkürzen, die es dem Proletariat ermöglicht, eine führende Rolle in der Diktatur des Proletariats zu spielen – wie es BILAN oder andere Gefährten wie Munis befürworten. Aber wir dürfen uns keine Illusionen über die Art der ökonomischen sozialen Beziehungen machen, die in der Übergangsphase weiterhin vorherrschen werden. Sozialismus in einem Land ist nicht möglich. Ganz anders als Stalin ist dies paradoxerweise das, worüber sich Trotzki nicht im Klaren ist, wenn er von der UdSSR als Bastion des Sozialismus und einer sozialistischen ökonomischen Struktur spricht – durch die staatliche Verwaltung der Produktionsmittel und das Außenhandelsmonopol – und die Rätekommunisten selbst, wenn sie die Wirkungsweise des Wertgesetzes in der Übergangsphase ignorieren.

Wie BILAN in all seinen Texten aus dieser Zeit eindringlich darlegt, gibt es keine reifen und unreifen Länder für den Sozialismus: Die weltweite Verteilung der Produktivkräfte macht den Kommunismus sowohl für „fortgeschrittene“ als auch für „rückständige“ Länder unmöglich. Denn das Terrain des Sozialismus ist global, es ist die Weltrevolution. Wie Mitchell sagt, muss die proletarische Macht eine ökonomische Politik entwickeln, die so weit wie möglich mit den kommunistischen Zielen übereinstimmt, aber der zentrale Punkt ist die Entwicklung der Weltrevolution, die die wichtigsten politischen Zentren der Weltbourgeoisie zerstört. Nur aus dieser Weltrevolution kann der Kommunismus entstehen und die gesellschaftlichen Verhältnisse umgestaltet werden. Deshalb gibt es angesichts der bolschewistischen Schwächen auch keine Konkurrenz zwischen sozialistischer und kapitalistischer Ökonomie. Was es gibt, ist ein Antagonismus zwischen der Bourgeoisie und dem Proletariat. Die Weltrevolution ist der einzige Hebel, aus dem das Proletariat die Kräfte des Kommunismus befreien kann. Das große Problem ist zu glauben, dass die ökonomischen Grundlagen des Sozialismus geschaffen werden können.

Und dieser Internationalismus, als Grundposition der Kommunisten, wird in den folgenden Artikeln, die wir kommentieren werden, noch einmal eindringlich aufgegriffen. Sie stammen vom Hauptinitiator von BILAN, Ottorino Perrone, der unter dem Pseudonym Vercesi bekannt ist. Es sind die Artikel „Partei – Internationale – Staat“ und der darauf folgende Artikel in der Zeitschrift Octobre „Die Frage des Staates“, ein Text, der die Schlussfolgerungen des vorherigen aufgreift. Was sind die Hauptthesen von Vercesi?

1. Die Weltrevolution und die Revolution der Internationale haben Vorrang vor den nationalen Parteien. Das Ziel einer siegreichen Klassendiktatur ist nicht die ökonomische Reorganisation, um die ökonomische Leistung zu steigern, sondern um dem Bürgerkrieg des Proletariats den größtmöglichen Spielraum zu geben. Das Gegenteil ist die Suche nach Kompromissen mit den feindlichen Klassen, gerade in dem Moment, in dem die revolutionären Erfordernisse einen totalen Kampf gegen das Kapital verlangen. Das Zentrum ist immer das Weltproletariat.

2. Das Wesentliche ist immer der Inhalt des kommunistischen Programms und das erklärt das Wesentliche der Ausweitung der Revolution. Die Revolution ist eine Frage des Inhalts, obwohl sie nicht von ihren harmonischen Formen getrennt werden kann.

3. Wie er später in Octobre sagen wird, impliziert der leninistische Voluntarismus23 eine Mystifizierung der Gewalt, die es ermöglichen würde, die Probleme der Übergangsperiode zu lösen, wobei die Kontrolle der Partei über den Staat es ermöglichen würde, die unvermeidlichen Probleme der Isolierung der Revolution durch den Einsatz von Gewalt zu bewältigen, wenn sie gegen die proletarische Klasse selbst ausgeübt wird, was die Aufgabe der Klassenprinzipien bedeutet. Vercesi verweist ausdrücklich auf die bolschewistische Repression von Bewegungen wie der von Makhnov in der Ukraine oder Kronstadt im Jahr 1921. Auf diese Weise wurden die Substanz und die Grundlage des Staates in einem bourgeoisen Sinne verändert.

Was er in Octobre’s Text sagt, ist in dieser Hinsicht sehr wichtig:

Wenn es um grundlegende Probleme geht, dürfen wir nicht zögern: Es ist besser, den Kampf trotz der Gewissheit einer Niederlage aufzunehmen, als an der Macht zu bleiben, indem wir unsere proletarischen Prinzipien aufgeben.

Mit anderen Worten: Repression gegen das Proletariat bedeutet den Verzicht auf proletarische Prinzipien. In solchen Momenten ist eine Teilniederlage, aus der wir Lehren für die Zukunft ziehen können, besser als die Opferung von Klassenpositionen. Letzteres ist schließlich geschehen und hat die bolschewistische Partei und die Kommunistische Internationale zu Instrumenten der Konterrevolution gemacht. Diese Position von BILAN, in den 1930er Jahren, ist sehr wichtig für ihre Kohärenz. Im Mittelpunkt stehen die Internationale und der Triumph der Weltrevolution. Man kann eine Schlacht, eine Episode in der Weltrevolution verlieren – in diesem Fall die Klassendiktatur in Russland -, aber das Wichtigste ist, die revolutionären Positionen in der Internationale und in den Parteien als Klassenorganen kohärent aufrechtzuerhalten, im Gegensatz zu dem, was in der UdSSR geschah, wo am Ende das Verhältnis zum Rest der bourgeoisen Staaten die Aktionslinie bestimmte. Deshalb ist es, wie Vercesi sagte, wichtig zu verhindern, dass sich der proletarische Staat mit dem Rest der bourgeoisen Staaten verbindet.24

4. Ebenso problematisieren sie die Identifizierung zwischen Staat und Klassendiktatur. Der Staat ist immer Zwang und soziale Erhaltung. Deshalb steht er immer im Gegensatz zur Verwirklichung des kommunistischen Programms. Die Stärke der Klassendiktatur, so betont BILAN erneut, ist die Internationale und die Ausweitung der Weltrevolution. Von dort aus, aus der Übereinstimmung mit dem kommunistischen Programm, kann und muss die Diktatur des Proletariats ausgeübt und die Autonomisierung von Staat und bourgeoiser Logik verhindert werden. Solange es keine Weltrevolution gibt, neigt der innere und äußere Druck des Kapitalismus dazu, die Partei und die Klassendiktatur unter die Logik des Kapitalismus und des Staates zu subsumieren. Der Sozialismus in einem Land ist ein Versuch, die UdSSR – wo der Sozialismus angeblich verwirklicht wird – künstlich vom Rest der Welt zu trennen. Auf diese Weise werden alle Klassenprinzipien ins Gegenteil verkehrt. Das Problem der Entartung der russischen Revolution ist kein persönliches. Ob von außergewöhnlich guten Anführern (Lenin) oder von Abgesandten des Teufels, von Degeneration und Perversion (Stalin). Bei Lenin gibt es, wie wir gesehen haben, bereits Grenzen, die die sehr objektive Dynamik der Isolierung der Revolution zum Ausdruck bringen, wie in seinem Text Über die Genossenschaft (1923) zu sehen ist. Es ist kein Zufall, dass sich die Fälscher auf sie stützen, um die Theorie des Sozialismus in einem Land zu skizzieren. Aber Stalin ist der Ausdruck der gesellschaftlichen Kräfte, die aus der Isolation der russischen Revolution, aus der Ebbe der revolutionären Welle seit 1921, Kraft schöpfen. Die neuen Umstände hatten die Klassendiktatur ihrer natürlichen Stütze, dem Weltproletariat, beraubt, das vom Feind besiegt worden war. Der Versuch, sich unter diesen Umständen um jeden Preis an der Macht zu halten, wird die Kluft zwischen der Realität und dem Wesen dieser Macht und den kommunistischen Prinzipien immer größer werden lassen. Stalin und seine kapitalistische Diktatur wurden in diesem Riss geboren. Und schließlich wurde der russische Staat zum Ausdruck der Logik des Kapitals, ebenso wie die bolschewistische Partei, die von der offiziellen Partei des Proletariats zur Partei der Bourgeoisie wurde25. Daher sind „die Ursachen der gegenwärtigen Degeneration auf dem Terrain des Klassenkampfes zu suchen und nicht bei den Individuen“.

Wir haben BILAN´s Beiträge sehr synthetisch zusammengefasst, die uns sehr wichtig erscheinen, um die Kämpfe von morgen vorzubereiten, die uns wieder vor ähnliche Probleme stellen werden, wie sie unsere Gefährtinnen und Gefährten vor hundert Jahren zu bewältigen hatten. Dies in dem Wissen, dass, wie Vercesi selbst sagte, die Prinzipien der russischen Revolution und der Dritten Internationale nicht als Endpunkt betrachtet werden dürfen, sondern als ein weiterer Schritt auf dem Weg, den das Proletariat auf dem Weg zu seiner Befreiung gehen muss.

Die acht Schritte, mit denen die Konterrevolution aufgebaut wird

Bisher haben wir die Grundlagen gesehen, auf denen der Stalinismus als rotes Banner des Kapitals aufgebaut ist: der Sozialismus in einem Land und der Interklassismus als Politik der Bündnisse mit der internationalen Bourgeoisie. Wir werden uns nun kurz auf einige logische und historische Konsequenzen dieser Positionen konzentrieren, die uns erklären, was der Stalinismus historisch gewesen ist.

Diplomatie am Kommandoposten

Wir haben bereits gesehen, dass der russische Staat und seine Bedürfnisse nach Verteidigung oder Eroberung an den Kommandoposten rücken. Dies ist das Herzstück der internationalen Politik des Stalinismus. Kommunistische Parteien und die „marxistische“ Ideologie werden zur Verteidigung dieser Interessen eingesetzt. Wir sind also Zeuge eines Fälschungswerks, das in der Geschichte beispiellos ist. Es ist dieses Werk der Fälschung, das Orwell in seiner Metapher von 1984 im Sinn hatte. Wir haben bereits einige Beispiele im frühen Stalinismus gesehen: das Bündnis der Komintern mit der KMT und die anschließende Unterwerfung und das Massaker an der KPCh, die Bündnisse mit den westlichen Demokratien gegen den Faschismus und mit Hitler gegen eben diese westlichen Demokratien, die jetzt Plutokratien genannt werden. Aber die Beispiele sind unendlich, auch wenn sie durch die linke Mystifizierung im Laufe der Zeit nur wenig bekannt geworden sind. Zum Beispiel unterstützen die UdSSR und Kuba Videlas Argentinien – ja, das der Militärdiktatoren – oder Maos China verteidigt Pinochets Diktatur und tauscht mit seinem großen national-“kommunistischen“ Rivalen bei der Verteidigung einer Militärdiktatur. Im Gegenzug werden die Vereinigten Staaten, die mit China verbündet sind, auch die Roten Khmer in Kambodscha unterstützen. Die ganze Geschichte des Stalinismus ist voll von solchen Beispielen, die eine linke Logik konstruiert haben, die im Namen des Antiimperialismus die schlimmsten bourgeoisen Satrapen verteidigt: von Gaddafi bis Saddam, vom syrischen al-Assad bis zum sandinistischen Nicaragua oder dem chavistischen Venezuela.

Der Aufbau des nationalen Kapitalismus

Wir wissen bereits, dass man, wenn man vom Aufbau des Sozialismus in einem einzelnen Land spricht, in Wirklichkeit den nationalen Kapitalismus aufbaut. Das ist es, was Stalin mit seinen Fünfjahresplänen und den Prozessen der Zwangskollektivierung aufgebaut hat: 8,5 bis 9 Millionen Tote aufgrund der allgemeinen Knappheit, die er verursachte, geben uns eine Vorstellung davon, was diese enorme ursprüngliche Kapitalakkumulation zur Folge hatte26. Alle Staaten des falsch benannten „Realsozialismus“ sind nur Beispiele für diese Entwicklung eines nationalen Kapitalismus, in dem alle Kategorien des Kapitals beibehalten werden: Wert, Ware, Geld, Lohnarbeit, die Logik des Unternehmens … in dem auch auf dem Land wichtige Anteile des Privateigentums vorherrschen, zum Beispiel in den Kolchosen – die Genossenschaften sind – oder in einer Vielzahl von Subunternehmern, die durch Verträge mit den Staatsbetrieben verbunden sind, um sie mit Waren zu versorgen. Eine kapitalistische Logik, die weniger wettbewerbsfähig ist als die des Westens und die letztlich zum Zusammenbruch der meisten „realsozialistischen“ Ökonomien geführt hat, da diese nicht in der Lage waren, sich an die größere Effizienz und Produktivität der Vereinigten Staaten anzupassen. Andere stalinistisch-kapitalistische Ökonomien wie China und Vietnam waren in der Lage, sich weiterzuentwickeln. Aber es handelt sich dabei immer um kapitalistische Ökonomien, die die grundlegenden Kategorien des einzigen existierenden Kapitalismus beibehalten, abgesehen von den Besonderheiten, die bei der Reproduktion derselben abstrakten Kategorien auftreten können.

Die Rhythmen der Arbeit: Stachanowismus

Einer der Aspekte, in denen die kapitalistische Logik in den stalinistischen Ländern am deutlichsten sichtbar wird, ist die Frage nach dem brutalen Rhythmus der Arbeit. Die ursprüngliche Kapitalakkumulation, die den Fünfjahresplänen Stalins ihren Sinn gab, beinhaltete eine enorme Konzentration von Akkordarbeit. Der Aufbau einer ganzen Infrastruktur von Kapitalgütern zur Steigerung der russischen Wettbewerbsfähigkeit erfolgte auf der Grundlage der massiven Extraktion des absoluten Mehrwerts aus dem russischen Proletariat. Dies geschah durch höllische Arbeitszeiten – laut H. Schwartz 15-16 Stunden pro Tag -, durch Akkordlöhne für 50-60% der Proletarier in den Bergwerken und der Großindustrie, die 1928 auf 90% für die Arbeiter in der Großindustrie stiegen, und durch die Erhöhung der Lohnskala auf 17 verschiedene Typen. Außerdem gab es Arbeitsbrigaden und Vorzeigearbeiter als Arbeitshelden wie Stachanow, die idealisierte Figur des Proletariers, der sich wild ausbeutete und im Gegenzug einen höheren Lohn erhielt. Inzwischen machten Lebensmittel 40-50% des Familieneinkommens aus, und die Wohnungspreise verdreifachten sich zwischen 1921 und 1925, so dass die Bevölkerung im Durchschnitt nur noch 6 Quadratmeter pro Kopf zur Verfügung hatte.27 Das Strafgesetzbuch wurde vollständig an das neue sozialistische System angepasst.

Das Strafgesetzbuch ist vollständig an diese kapitalistische Logik angepasst, in der die Verteidigung des bourgeoisen Eigentums – ob privat oder staatlich – im Mittelpunkt steht. Jeder kann ab einem Alter von 12 Jahren eingesperrt werden und die Strafe für Diebstahl ist höher als die Strafe für die Entführung eines Kindes. Ebenso brutal sind die Änderungen im Familiengesetzbuch, die eine konterrevolutionäre Invasion bewirken, sei es bei den Frauenrechten oder bei der Entwicklung von Gesetzen zur Verfolgung von Homosexualität während des Stalinismus28, durch ein Dekretgesetz von Stalin im Jahr 1936 und das Familienedikt von 1944.

Doch fahren wir mit einigen Straftaten fort, die von den sowjetischen Strafgesetzbüchern erfasst wurden: das so genannte „Fünf-Ohren-Gesetz“ vom August 1932, das diejenigen zum Tode verurteilte, die sich eines geringfügigen Diebstahls schuldig machten, um nicht zu verhungern; die Anti-Arbeiter-Dekrete von 1940, die jede Verzögerung der Arbeit um mehr als 20 Minuten mit einem Sabotageakt gleichsetzten; das Dekret vom 4. Juni 1947, das sich aus dem Gesetz vom 7. August 1932 ableitete und Zehntausende von Frauen wegen eines geringfügigen Diebstahls von Milch oder Brot, um ihre hungernden Kinder zu ernähren, in den Gulag schickte.29

Nahrung für Maschinen, Hunger für Menschen ist ein Satz, der die Logik des Kapitalismus perfekt zusammenfasst, eine Logik, die von der UdSSR mit einer unerbittlichen repressiven Dynamik umgesetzt wird. Ihr kapitalistischer Charakter zeigt sich deutlich darin, wie sie der Akkumulation von Produktionsmitteln Vorrang vor der Produktion von Konsumgütern einräumt:

 19131928193219371940
Produktios-mittel44,3%32,8%53,3%57,8%61%
Konsum-mittel55,7%67,2%46,7%42,2%39%

So betrug der Milchverbrauch pro Person und Jahr 1928 189 Liter, während er 1937 nur noch 132 Liter betrug, während der Fleischverbrauch pro Person und Jahr 1928 bei 27,5 kg lag, während er 1937 nur noch 14 kg betrug. All dies gibt einen Eindruck vom Lebensstandard des russischen Proletariats im „Vaterland des Sozialismus“. In anderen Ländern des Realsozialismus werden wir ähnliche Phänomene erleben, wie der ständige Klassenkampf zur Verteidigung der unmittelbaren Bedürfnisse zeigt, der sich durch alle Länder zieht: Man denke nur an Berlin 1953 bis Poznań 1956, wo es aufgrund eines Kaufkraftverlustes von bis zu 30-40% im Falle der deutschen Hauptstadt zu proletarischen Ausbrüchen kam.

Staatlicher Totalitarismus

Die UdSSR zu Stalins Zeiten war ein wahres Konzentrationsuniversum. Aber wie wir gesehen haben, können wir dieses Universum nicht von seinen materiellen Grundlagen trennen: einer Konterrevolution zur revolutionären Bewegung von 1917 und einer brutalen Bestätigung der ursprünglichen Kapitalakkumulation. Die UdSSR war ein konzentrationalistisches Universum, das sich durch Repression und die brutale Kapitalakkumulation entfaltete. Gab es 1928 in der UdSSR 30.000 Häftlinge in Gefängnissen und Konzentrationslagern, waren es 1933-1935 bereits 5 Millionen und 1939 9 Millionen. Die stalinistischen Gulags sind Ausdruck einer offensichtlichen Klassengewalt gegen das Proletariat und einer präzisen Ideologie, die darauf ausgerichtet war, die Akkumulation des Kapitals in den 1930er Jahren zu rechtfertigen, eine Ideologie, die daher antikommunistisch war. Um die Fünfjahrespläne durchzusetzen, wurde im Juni 1929 beschlossen, dass man bei mehr als drei Jahren Haft direkt in die von der GPU betriebenen Arbeitslager kommt. 1934 wurden die Gulags und das Konzentrationslager-System verwaltungstechnisch eingerichtet. Die Verurteilungen konnten wegen unerlaubten Berufswechsels, Verstoßes gegen die Passvorschriften, Rowdytums, Schmarotzertums oder Profitmacherei, Beschädigung oder Diebstahl von sozialistischem Eigentum erfolgen. Die Gründe für die Verurteilungen geben diesem Zustand einen klaren Klassensinn.

Zwischen 1930 und 1953 starben 1.800.000 Menschen. Nicht mitgezählt sind die staatlichen Hinrichtungen, zum Beispiel die 750.000 zwischen August 1937 und November 1938, während der Zeit der großen Säuberungen und der Moskauer Prozesse: Diese 750.000 Hinrichtungen entsprechen durchschnittlich 50.000 pro Monat, 1.600 pro Tag. Ein Prozent der erwachsenen Russen wird durch den „klassischen“ Schuss in den Hinterkopf beseitigt, hinzu kommen 800.000 Menschen, die zu mehr als 10 Jahren Zwangsarbeit im Gulag verurteilt wurden. Im Jahr 1951, zwei Jahre vor Stalins Tod, befanden sich noch 2.700.000 Menschen im Gulag.

Das Repressionsfieber lässt sich durch konterrevolutionäre Gefräßigkeit erklären. Stalins Regime wusste, dass es schwach war und musste vor allem jede Art von Opposition auslöschen, die an die revolutionäre Vergangenheit erinnerte. Dazu musste es sich auch mit der unterwürfigen militanten stalinistischen Anthropologie umgeben, von der wir oben gesprochen haben. Stalin hatte nicht alles selbst in der Hand. Auf dem 17. Parteitag der KPdSU (1934) strichen 292 Delegierte seinen Namen aus dem Zentralkomitee. Stalin war der Kandidat mit den wenigsten Stimmen auf der einzigen Liste für das Zentralkomitee. Von den 63 Mitgliedern der Wahlkommission, die den Kongress organisierte, wurden 60 bei den Säuberungen getötet. Die verschiedenen Prozesse finden nicht nur in Moskau und in der UdSSR oder gegen internationalistische Revolutionäre in allen Teilen der Welt statt – von Spanien bis Griechenland, von Italien bis Frankreich, von China bis Vietnam – sondern auch in den Reihen der stalinistischen Dritten Internationale selbst. Wie wir bereits gesagt haben, massakriert Stalin genauso viele Anführer der KPD wie Hitler und liefert sogar viele von ihnen an ihn aus, damit der deutsche Kriegsherr die Arbeit zu Ende bringen kann. Er rottete die Führung der polnischen Partei aus – mit der autorisierten Unterschrift von Togliatti und mit der lobenswerten Arbeit des Antifaschisten Dimitrov, der die Termine in seinem Büro organisierte, wo sich auch der damalige offizielle Henker Djezov befand -, fast alle lettischen und türkischen Exilanten, 2000 italienische Kommunisten, 1.000 Bulgaren, 800 Jugoslawen… Niemand in den mittleren oder oberen Rängen des internationalen Stalinismus war sich eines solchen Maßes an Infamie bewusst, einer Infamie, die einen gewissen unterwürfigen Militanten und Diener der Konterrevolution prägte.30

Der Voluntarismus

Hinter der Theorie der stalinistischen Konterrevolution verbirgt sich ein tiefgreifender Idealismus. Die Vorstellung, dass der Sozialismus in einem einzigen Land aufgebaut werden kann, selbst wenn es isoliert ist, ist bereits ein Hinweis auf den Subjektivismus, der diese Konzeption ständig durchdringt. Stalin ging sogar so weit zu sagen, dass die Ablehnung der Theorie vom Sozialismus in einem Land bedeute, kein Vertrauen in die Macht des russischen Proletariats und der Bauernschaft zu haben. Seine Gegner wären nichts anderes als Defätisten, die dem westlichen Kapitalismus nachgeben. Die Entschuldigung für die Macht der großen Männer, der brillanten Anführer, der Väter des Volkes, ist daher auch der Kern der Theorie der Konterrevolution. Die Anführer sind durch die Kraft ihres Willens zu allem fähig. Das Proletariat hat ihnen alles zu verdanken. Deshalb sind Heiligsprechung und Personenkult Elemente, die dem Wesen des Stalinismus selbst innewohnen. Es ist nicht nur Stalin, alle national-“kommunistischen“ Parteien neigen dazu, ihre Anführer zu vergöttern, von Dolores Ibárruri bis Ceaucescu, von Kim Il Sung bis Ho Chi Minh. Es wird in der Tat eine von Maos Antworten auf Chruschtschow sein: die Bekräftigung, dass Stalin ein großer Marxist-Leninist ist31. Daher die stereotypen Formulierungen im Stalinismus, die vom „Mao Tse Tung-Gedanken“ oder „Gonzalo-Gedanken“ sprechen, um auf den peruanischen Anführer des Leuchtenden Pfads, Abimael Guzman, anzuspielen. Der Personenkult ist ein konstantes Merkmal des Stalinismus und ergibt sich aus seinem konterrevolutionären politischen Wesen. Die Beseitigung der theoretischen Grundlagen des Marxschen Werkes, seiner Untersuchung der Kategorien Kapital und Kommunismus als Negation und Auflösung dieser Kategorien, verlangt, dass das Kriterium der Wahrheit in die taktische und brillante Intelligenz des jeweiligen Anführers gelegt wird. Wichtig ist nicht mehr das kritische und rigorose Studium der Anatomie der bourgeoisen Gesellschaft, sondern das, was der brillante Anführer sagt, der – wie im Fall von Stalin – alles weiß, wie ein neuer irdischer Gott.

Deshalb ist es so wichtig, als Kommunistinnen und Kommunisten zu der theoretischen Lehre zurückzukehren, die Marx für das Studium der Klassengesellschaften und ihre Auflösung im Kommunismus aufgestellt hat. Diese theoretische Lehre basiert auf der materialistischen Geschichtsauffassung, auf der Kritik der politischen Ökonomie und auf der Methode der materialistischen Dialektik. Das ist unser unpersönliches Fundament und nicht die allwissenden Worte eines großen Mannes.

Die Unterwerfung der Kommunistischen Internationale unter die Weisungen Moskaus

Wir haben bereits gesehen, dass ein weiteres Merkmal des frühen Stalinismus die Umkehrung der Pyramide ist. Alles ruht auf einer Spitze, die über alles und jeden entscheidet. Das erklärt die Verwandlung der Kommunistischen Internationale von einem Weltorgan des kämpfenden Proletariats in einen Apparat, der den imperialistischen Interessen Russlands dient. Wir haben oben bereits auf verschiedene Beispiele hingewiesen: von England 1926 bis China 1927, von Deutschland in den 1930er Jahren bis zur gesamten Politik der UdSSR während und nach dem Zweiten Weltkrieg.

Wir möchten diese Tatsache auch am Beispiel Spaniens während des Bürgerkriegs veranschaulichen. In diesem Fall ist die PCE keine autonome Partei, die ihre Entscheidungen auf der Grundlage ihrer eigenen Analyse der Situation trifft. Nein, die PCE ist eine Partei, die von Abgesandten der Komintern aus Moskau gelenkt wird: zuerst der Argentinier Codovilla und ab 1937 Palmiro Togliatti – der sich Alfredo nennt -, sekundiert von anderen Abgesandten wie dem Bulgaren Stepanov, dem Ungarn Erno Gerö – dem finsteren Pedro, der 1936/37 gegen die echten Revolutionäre in Barcelona vorgehen wird – oder dem NKVD-Agenten Orlov, der Nin und andere Militante verschwinden lassen wird. Stalin hat große Angst vor dem, was in Spanien passiert. Er fürchtet vor allem ein revolutionären Aufstieg des spanischen Proletariats. Er befürchtet, dass die Wiedererlangung der authentischen Traditionen des Internationalismus die laufende Konterrevolution in Frage stellen wird. Deshalb misst er der Intervention in Spanien so große Bedeutung bei. Sie ist kein Beispiel für altruistische Solidarität, wie die naive Linke glaubt. Nein, es ist eine bewusste Intervention, um den Klassenkampf dort zu belassen, wo er war, nämlich auf dem Terrain der Konterrevolution, um Mitternacht im Jahrhundert, wie Victor Serges gleichnamiger Roman es ausdrückt. Stalins Absichten sind konterrevolutionär und werden von allen spanischen republikanischen und bourgeoisen Politikern als solche gedankt. Außerdem sind sie eindeutig. Es genügt, den Brief zu lesen, den er 1936 an den spanischen Premierminister der Zweiten Republik, den Sozialisten Largo Caballero, schrieb:

Wir halten es für unsere Pflicht, im Rahmen unserer Möglichkeiten der spanischen Regierung zu helfen, die den Kampf aller Arbeiter, der gesamten spanischen Demokratie, gegen die militärische und faschistische Clique führt, die nichts anderes als ein Instrument der internationalen faschistischen Kräfte ist. […] Die spanische Revolution geht Wege, die sich in vielerlei Hinsicht von denen Russlands stark unterscheiden. Das liegt an den unterschiedlichen historischen und geografischen sozialen Bedingungen, an den Erfordernissen der internationalen Situation, die sich sehr von denen unterscheiden, denen sich die russische Revolution stellen musste. Es ist gut möglich, dass sich der parlamentarische Weg in Spanien als ein effektiveres Verfahren der revolutionären Entwicklung erweisen wird als in Russland… Besondere Aufmerksamkeit sollte den Bauern gewidmet werden, die in einem Agrarland wie Spanien so wichtig sind. Es wäre wünschenswert, eine Agrar- und Steuergesetzgebung zu erlassen, um die Interessen dieser Arbeiter zu schützen. Es wäre auch wünschenswert, diese Bauern für die Armee zu gewinnen und mit ihnen im Rücken der faschistischen Armeen Guerillagruppen zu bilden. […] Es wäre auch ratsam, die kleine und mittlere Bourgeoisie der Städte auf die Seite der Regierung zu ziehen oder ihnen zumindest die Möglichkeit zu geben, eine neutrale Haltung einzunehmen, die die Regierung begünstigt, sie vor Beschlagnahmungsversuchen schützt und ihnen so weit wie möglich Handelsfreiheit zusichert … Es gibt keinen Grund, die Anführer der republikanischen Parteien abzulehnen, sondern im Gegenteil, sie anzuziehen, ihnen näher zu kommen und sie mit den gemeinsamen Bemühungen der Regierung zu verbinden … Es muss verhindert werden, dass die Feinde Spaniens darin eine kommunistische Republik sehen, um so ihre erklärte Intervention zu verhindern, die die größte Gefahr für das republikanische Spanien darstellen würde…. Die Gelegenheit sollte genutzt werden, um über die Presse zu erklären, dass die Madrider Regierung Angriffe auf das Eigentum und die legitimen Interessen der in Spanien ansässigen Ausländer nicht dulden wird.…

Bei all dem, worauf wir in diesem Heft hingewiesen haben, passt alles zusammen: Der Sozialismus in einem Land führt zu einer nationalistischen Vision, die einige Revolutionen von anderen trennt; der Etapismus32, der die Revolution auf die Verteidigung des bourgeoisen und kapitalistischen Rahmens reduziert; die geopolitischen Interessen, Vereinbarungen mit bourgeoisen und kapitalistischen Mächten zu treffen… Die scheinbaren Widersprüche des stalinistischen Diskurses passen perfekt zusammen. Es gibt keine Trennung zwischen seinem Antifaschismus und den Säuberungen, die überall „Freunde“ und Feinde ausrotten. Es gibt keine Trennung oder Widersprüche, sondern immer dasselbe Programm: die kompromisslose Verteidigung der bourgeoisen und kapitalistischen Ordnung, die unnachgiebige Verteidigung ihrer Interessen als kapitalistische und imperialistische Macht. Zu diesem Zweck benutzt sie das Proletariat der Welt als Kanonenfutter und die „kommunistischen“ Parteien als Instrumente, mit denen sie in der nationalen Politik der verschiedenen bourgeoisen Staaten agiert. Der Sozialismus in einem Land ist die theoretische Rechtfertigung, die es dem konterrevolutionären Bauwerk ermöglicht, zu stehen, deshalb ist es wichtig zu klären, was er wirklich bedeutet: die Theorie der kapitalistischen Konterrevolution zu sein. Die rote Fahne des Kapitals zu sein.

Die nationalen Wege zum Sozialismus

Der Stalinismus trägt die Ursprünge seines Zerfalls in sich selbst. Die Verteidigung des Sozialismus in einem einzigen Land impliziert, wie wir gesehen haben, die Zerschlagung der einheitlichen Bewegung der Weltrevolution. Was dazu neigt, jede Revolution und jede proletarische Bewegung zu denken, wird in engen nationalen Begriffen gelesen. Die UdSSR als kapitalistischer und imperialistischer Staat nutzt die Komintern für ihre eigenen Zwecke, aber die Gegentendenzen, bei denen jede kommunistische Partei dazu tendiert, sich von der Kontrolle Moskaus zu emanzipieren und ihre eigenen Machtquellen zu suchen, sind immer eine lauernde Gefahr. Stalin selbst schaffte die Komintern 1943 ab, um sich bei seinen Verbündeten im Zweiten Weltkrieg einzuschmeicheln und ihnen zu zeigen, was sie bereits wussten: dass die Dritte Internationale kein revolutionäres Instrument war. Nach dem Beginn des Kalten Krieges und der Ausweitung des imperialistischen Lagers der UdSSR auf Osteuropa baute Stalin die Komintern wieder auf, jetzt unter dem Namen Kominform (1947). Doch 1947 kam es zum ersten Bruch innerhalb des Stalinismus: Titos Jugoslawien. Tito hatte mit eigenen Mitteln die Macht in Jugoslawien ergriffen und wollte sie behaupten, auch um den Preis der Konfrontation mit Stalin. In allen kommunistischen Parteien der Welt bricht ein unerbittlicher Kampf aus. Stalins beliebtester Leutnant, Tito, wurde 1948 über Nacht zum Symbol des inneren Feindes. Tito verteidigte sich, indem er Stalins Gefolgsleute in Jugoslawien inhaftierte und italienische National-“Kommunisten“, die in dem ehemaligen Land aufgrund der Existenz italienisch besiedelter Gebiete sehr zahlreich waren, in Konzentrationslager sperrte. Stalin verfolgte unerbittlich vermeintliche oder potenzielle Titoisten innerhalb der kommunistischen Parteien. Die Prozesse kehrten zurück, diesmal nicht in Moskau oder Barcelona – gegen die POUM oder die Trotzkisten – sondern in Osteuropa unter der Kontrolle der russischen Armee (von 1950 bis 1952). Nach Stalins Tod und Chruschtschows Eingeständnis der Fehler des Personenkults auf dem 20. Kongress der KPdSU (1956)33 kam es erneut zu einer teilweisen Versöhnung zwischen dem Bund der jugoslawischen Kommunisten und der KPdSU.

Doch innerhalb der Konterrevolution entstanden neue Casus Belli der Desintegration34, und hier spielen wir auf den chinesisch-sowjetischen Konflikt nach Stalins Tod an. Auch hier ist der Grund derselbe: Mao und Konsorten wollen die Quellen ihrer eigenen politischen Macht präsentieren, die sie während des Bürgerkriegs zwischen 1946 und 1949 erobert haben. Darüber hinaus kommt es in den ersten fünf Jahren der 1960er Jahre zu zahlreichen territorialen Konflikten, die zu Tausenden von kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen den beiden Armeen führen. Dies ist der wahre Grund für Maos stalinistische Orthodoxie im Gegensatz zum Sozialrevisionismus der Russen – so Mao, der zuvor Chruschtschows Rede nach dem XX Kongress gebilligt hatte. Erst nach den territorialen Zwischenfällen – und der Notwendigkeit, sich vom russischen imperialistischen Block zu distanzieren – ergriff er die Gelegenheit, im Namen der stalinistischen Orthodoxie mit Moskau zu brechen. Und so ist die Anprangerung des Personenkults auf dem 20. Parteitag der KPdSU nicht mehr „ein großer und mutiger Kampf“ („Volkszeitung“, offizielle Zeitung der KPCh im Jahr 1956), denn in einem anderen Artikel derselben Zeitung heißt es 1963, dass „Chruschtschow Stalin mit Beleidigungen überzieht“. Was zwischenzeitlich passiert ist, ist der imperialistische Konflikt zwischen Russland und China. Mao nimmt Stalin angesichts seiner eigenen kapitalistischen Interessen in Schutz.

Im Übrigen ist Mao ein theoretischer und praktischer Stalinist, der immer die Lehren seines Meisters fortgesetzt hat, indem er den Sozialismus in einem Land und den bourgeoisen Etapismus gegenüber der Revolution verteidigte:

Kann ein Kommunist als Internationalist gleichzeitig auch ein Patriot sein? Wir sind der Meinung, daß er das nicht nur kann, sondern auch muß. Der konkrete Inhalt des Patriotismus wird durch die historischen Bedingungen bestimmt. Es gibt einen „Patriotismus“ der japanischen Aggressoren und Hitlers, und es gibt unseren Patriotismus. Den sogenannten „Patriotismus“ der japanischen Aggressoren und Hitlers müssen die Kommunisten entschieden bekämpfen. […].eshalb müssen die chinesischen Kommunisten den Patriotismus mit dem Internationalismus verbinden. Wir sind Internationalisten, und wir sind auch Patrioten; unsere Losung lautet: Kampf zur Verteidigung des Vaterlands gegen die Aggressoren! Für uns ist Defätismus ein Verbrechen, die Erringung des Sieges im Widerstandskrieg aber eine unabweisliche Pflicht. Denn nur durch den Kampf zur Verteidigung des Vaterlands können wir die Aggressoren besiegen und die nationale Befreiung erreichen. Und nur wenn die Nation befreit ist, kann die Befreiung des Proletariats, des ganzen werktätigen Volkes herbeigeführt werden. Der Sieg Chinas und die Zerschlagung der Imperialisten, die China überfallen haben, werden auch eine Hilfe für die Völker der anderen Länder sein. Deshalb ist der Patriotismus die Verwirklichung des Internationalismus im nationalen Befreiungskrieg. Das ist der Grund, warum jeder Kommunist höchste Aktivität entfalten, tapfer und entschlossen auf das Schlachtfeld des nationalen Befreiungskriegs ziehen und das Gewehr auf die japanischen Aggressoren anlegen muß.35

Wir sehen, dass sich der Kampf für die kommunistische Revolution in einen patriotischen nationalen Befreiungskrieg auflöst, der auf eine Neue Demokratie abzielt, in der, in Maos Worten, der Hauptwiderspruch nicht mehr zwischen Proletariat und Bourgeoisie, sondern zwischen uns, dem Volk, und dem Imperialismus besteht. Dieses Wir, das Volk, besteht aus dem Block der vier nationalen Klassen – einschließlich der Bourgeoisie -, die durch die vier gelben Sterne auf der offiziellen Flagge des derzeitigen chinesischen bourgeoisen Staates repräsentiert werden. Maos gesamte theoretische Rhetorik: seine Idee der Neuen Demokratie, die Existenz von Haupt- und Nebenwidersprüchen, die sich je nach den Umständen ändern, sein Internationalismus, der ihn dazu bringt, Regime wie das von Reza Pahlevi oder Pinochet zu unterstützen… machen Mao zu einem würdigen Erben von Marschall Stalin36.

Wir haben zu Beginn dieses Pamphlets gesagt, dass wir den Stalinismus als theoretische und politische Strömung der Konterrevolution nicht mit der Figur Stalins verwechseln dürfen. Der Stalinismus ist ein konterrevolutionäres und bourgeoises Programm zum Aufbau des Sozialismus (Kapitalismus) in einem Land und zum Bündnis mit der nationalen Bourgeoisie unter dem roten Banner des Proletariats. Das ist ihre Mystifizierung: eine nationalistische und klassenübergreifende Mystifizierung37. Daher scheint es uns in diesem Abschnitt besonders wichtig zu verstehen, dass wir uns mit Stalinismus nicht nur auf diejenigen beziehen, die sich explizit auf Stalin beziehen. Wir beziehen uns auf ein Programm, das sich durch Nationalismus – der sich als Klassendiskurs tarnt – und logischerweise durch das Bündnis mit bürgerlichen Fraktionen auszeichnet. Dieses Programm wird heute von zahlreichen Strömungen geteilt, die trotz ihrer Unterschiede Erben desselben Programms sind: von den Maoisten bis zu den spanischen Stalinisten der PCPE-PCTE, von den Erben des Eurokommunismus38, wie Podemos oder den offiziellen kommunistischen Parteien fast überall, bis zu den fehlgeleiteten Anhängern von Enver Hoxha von Roberto Vaquero und Co.

Eine ethische Investition

Der Kommunismus ist eine Frage des Inhalts und nicht der Form. Aber wie wir bereits ausführlich in diesem Text gesehen haben, lassen sich Inhalt und Methoden nicht voneinander trennen. Kommunistische Militanz treibt – auf praktische Weise – die Kämpfe des Proletariats voran und verteidigt stets dessen allgemeine und historische Perspektive und Interessen. Sie ist zu jedem historischen Zeitpunkt Ausdruck der langen Kette, die seit der Entstehung der Spezies aus der Kooperation danach strebt, die Ausbeutung und Unterdrückung der Klassengesellschaften zu überwinden, um einen ganzheitlichen Kommunismus zu erreichen. Sie ist Ausdruck der Tendenz des Proletariats, sich als Klasse und Partei zu konstituieren, als Organ der Klasse, das in Übereinstimmung mit seinem Programm versucht, die kommunistische Gesellschaft, für die wir kämpfen, von jetzt an vorzubereiten.

Wir sind die Antipoden der stalinistischen Doppelzüngigkeit, der Korridormanöver, der aufgezwungenen Disziplin, der Unterwürfigkeit gegenüber den großen Anführern, des begleitenden Personalismus, der Säuberungen und Massaker im Namen einer glorreichen Zukunft – einer Zukunft, die aus denselben Formen und denselben Prinzipien besteht wie die des Kapitals. Diese Frage erscheint uns besonders wichtig, weil sie eine unüberwindbare Grenze zwischen Revolution und Konterrevolution zieht und weil sie diese Kohärenz zwischen Methoden und Programmen als wichtiges Element des Programms für den Kommunismus festschreibt.

Fazit

Wir sind nun am Ende dieses Textes angelangt. Das zentrale Ziel ist es, Prozesse der Klärung und theoretischen Klärung über das Wesen des Kommunismus zu begünstigen. Wir sprechen vom Kommunismus als einer realen Bewegung und einem lebendigen Programm und nicht als einem Namen, der von seinen größten Feinden enteignet wurde, von denen, die unerbittlich zur Zerstörung der revolutionären Welle von vor 100 Jahren beigetragen haben. Zu diesem Zweck haben wir versucht, konsequent unsere theoretische Methode anzuwenden, eine materialistische Sicht der Geschichte, die den Grund für die Konterrevolution erklärt und verständlich macht, das Programm, das sie definiert und dem Kommunismus entgegensetzt.

Heute hat der Stalinismus glücklicherweise weitgehend seinen bourgeoisen Charakter eingestanden. Die zahlreichen Parteien, in denen zig Millionen Proletarier in allen Teilen der Welt organisiert waren, haben sich aufgelöst. Wir haben es in der Gegenwart mit Strömungen zu tun, die im Vergleich zur Vergangenheit einen winzigen Einfluss haben. Das ist ein Element, das uns für die Zukunft sehr wichtig zu sein scheint. Jede Revolution zieht eine Gegenrevolution nach sich. Die zukünftigen Revolutionen, die unweigerlich aus den anhaltenden Widersprüchen eines Kapitalismus entstehen, der an seine inneren Grenzen stößt, werden nicht den mächtigen Feind haben, der der Stalinismus in der Vergangenheit war. Sein Triumph ermöglichte eine politische und ideologische Konterrevolution, die erst in den 1960er und 1970er Jahren zu erodieren begann, eine konterrevolutionäre Epoche, von der wir glauben, dass wir langsam beginnen, sie zu überwinden. Wir befinden uns in einer Scharnierperiode zwischen Vergangenheit und Zukunft39, einer Periode, die aufgrund der materiellen Widersprüche des Kapitalismus zu einer sozialen Polarisierung tendiert, die nicht nur Massenprotestbewegungen hervorbringt, sondern auch das Entstehen kleiner Klassenminderheiten bewirkt, die versuchen, sich in eine revolutionäre Richtung zu orientieren. Das Ziel dieses Papiers ist es, eine solche Orientierung in einem authentisch revolutionären Sinne zu fördern.


1A.d.Ü., klassenübergreifend.

2Siehe diesen Artikel in der virtuellen Bibliothek von barbaria.net.

3V.I. Lenin: Referat über die Taktik der KPR, 05. Juli 1921.

4A.d.Ü., wenn man diesen Text von Lenin weiterließt, wird dieser den Brest-Litowsker Frieden dennoch verteidigen, obwohl genau dieser ein weiterer Grund, wie viele weitere, die Revolution zu erdrosseln und nur im herrschenden Interesse der Bolschewiki zu handeln. Typisch Lenin, Zickzack-Kurs, Stalin lernte vom Meister.

5A.d.Ü., den Originaltitel dieses Textes haben wir nicht gefunden.

6Einmal, auf einer Parteiversammlung, sagt David Rjasanow, der russische Marxologe, zu ihm: „Gib es auf, Koba! Mach dich nicht lächerlich. Jeder weiß ganz genau, dass die Theorie nicht deine Stärke ist“, als Stalin Trotzki kritisierte.

7A.d.Ü., auf Spanisch hier und auf Deutsch hier.

8A.d.Ü., gemeint ist die Strömung der Kommunisierung.

9Siehe zu diesem Thema unter anderem den Text von Leon de Mattis über kommunistische Maßnahmen: https://colectivobrumario.wordpress.com/2015/12/22/las-medidas-comunistas-leon-de-mattis

10Zitat aus BILAN´s Artikel: „Partido, Internacional y Estado“.

11Stalin beruft sich dabei auf Texte von Lenin, die diese Notwendigkeit des Durchhaltens und der Maßnahmen unterstreichen, die angewendet werden müssen, um Schritte in Richtung Sozialismus zu unternehmen, um die industriellen Grundlagen für den Sozialismus zu schaffen. Auf jeden Fall spricht Lenin nie von der Möglichkeit, den Sozialismus in Russland aufzubauen, da er ganz klar sagt, dass Sozialismus eine klassenlose Gesellschaft bedeutet. Selbst wenn er sich zweideutig ausdrückt, wie in seinem Text Über die Genossenschaften (1923), spricht Lenin von einem Bündnis zwischen Arbeitern und Bauern, um den sozialistischen Aufbau voranzutreiben. Natürlich bleibt eine Gesellschaft mit Arbeitern und Bauern, mit Waren und Geld, eine kapitalistische Gesellschaft. Lenin wusste ganz genau, und er wiederholt es ständig, dass der Triumph der internationalen Revolution die unabdingbare Voraussetzung für den Triumph der russischen Revolution ist. Er fragt sich nur, was zu tun ist, bis die Revolution in anderen Ländern ausbricht (siehe Bericht über die Naturalsteuer, 1921).

12Das ist es, was Bordiga in seinem Text Dialog mit den Toten feststellt.

13Um diese Debatten innerhalb der Kommunistischen Internationale zu verstehen, die bereits die Schwierigkeiten der bolschewistischen Mehrheit widerspiegeln, eine revolutionäre Unnachgiebigkeit angesichts der Ebbe der revolutionären Welle zu verteidigen, siehe unseren Text el pasado de nuestro ser auf barbaria.net.

14Vgl. auf barbaria.net [Audio] Contra los Sindicatos

15Vgl. hierzu den wichtigen Text von Vercesi: „La tattica del Comintern (1926-1940)“, der zwischen 1946 und 1947 in Prometeo veröffentlicht wurde und wertvolle programmatische Hinweise gibt.

16Über die Idee der permanenten Revolution bei Trotzki und die Grenzen dieser Politik kannst du unseren Artikel Sobre la decadencia del capitalismo, la revolución permanente y la doble revolución in barbaria.net lesen.

17Daten von Pierre Broué in seiner Histoire de l’Internationale Communiste.

18Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf den bereits erwähnten Text von Vercesi über La tattica della Comintern. Und auf die hervorragende Broschüre des Programma Comunista, in der die Verflechtungen zwischen der KPD und dem deutschen Nationalismus im Detail erklärt werden. Und wie all dies koexistiert es mit der Entwicklung einer nationalbolschewistischen Strömung: https://internationalcommunistparty.org/images/pdf/testi/Nazionalismo_e_internazionalismo.pdf.

19Manuilsky, russischer Anführer der Komintern.

20Dimitrov, Rede auf dem Siebten Kongress der Komintern.

21Pierre Broué gibt in seiner Histoire de l’Internationale Communiste die Anzahl der von Hitler und Stalin getöteten Anführer der KPD an, wobei die Rechnung nicht zugunsten Hitlers ausfällt.

22Diesen Artikel, wie auch die beiden anderen Artikel von Vercesi, die wir kommentieren werden, findest du im Abschnitt unserer Seite, der der Bibliothek der historischen Texte gewidmet ist.

23Siehe in diesem Zusammenhang auch El pasado de nuestro ser.

24Litwinow, Auslandskommissar unter Stalin, sprach vor Chruschtschow von der „friedlichen Koexistenz von Kapitalismus und Sozialismus“. Wie wir sehen können, waren die Erfolge der kapitalistischen Logik bereits in vollem Gange.

25Wie Bordiga später kommentierte: „Die historische Situation, dass der proletarische Staat nur in einem Land konstituiert worden war, während es ihm in den anderen nicht gelungen war, die Macht zu erobern, machte es für die russische Sektion schwierig, die klare organische Lösung zu finden, das Ruder der Weltorganisation in der Hand zu halten. Die [kommunistische] Linke war die erste, die bemerkte, dass das Verhalten des russischen Staates sowohl in seiner inneren Ökonomie als auch in den internationalen Beziehungen anfing, Abweichungen zu zeigen, und sie warnte auch davor, dass sich ein Unterschied zwischen der Politik der historischen Partei, d.h. aller revolutionären Kommunisten der Welt, und der Politik einer formalen Partei, die die Interessen des kontingenten russischen Staates verteidigt, herausbilden würde“, Überlegungen zur organischen Tätigkeit der Partei, wenn die allgemeine Lage historisch ungünstig ist. So wurde die russische Partei unweigerlich und in perfekter Logik mit dem Determinismus des historischen Materialismus zu einer Leine des russischen Staates und seiner Bedürfnisse nach Kapitalakkumulation. Der Kampf, der geführt werden musste, und deshalb ist die Konterrevolution politisch und nicht unvermeidlich, bestand natürlich darin, die Partei und die Internationale vor der kompromisslosen Verteidigung des kommunistischen Programms zu bewahren. Eine isolierte Revolution kann die Klassendiktatur nicht auf Dauer aufrechterhalten. Die Anerkennung dieser Tatsache durch Revolutionäre ist die wichtigste Lehre, die wir ziehen können, um die schlimmste aller Konterrevolutionen zu vermeiden: diejenige, die die Bourgeoisie mit den von unserer Klasse im Kampf geschaffenen Instrumenten ausstattet. Deshalb argumentiert BILAN eindringlich, dass die Konterrevolution in erster Linie politisch und ideologisch ist. Das Scheitern der Klassendiktatur war unvermeidlich, die Degeneration der Partei nicht. Und genau auf diese Logik müssen wir, die Kommunisten von heute und morgen, uns vorbereiten.

26Zu den Daten siehe das Buch von Graziano Giusti: I conti con nemico. Über den kapitalistischen Charakter der Ökonomie der ehemaligen UdSSR, siehe unsere Broschüre Stalins Kapitalismus auf barbaria.net.

27Alle diese Daten sind dem großartigen Werk von Graziano Giusti: I conti col nemico entnommen. Giusti ist ein Gefährte der internationalistischen kommunistischen Gruppe Pagine marxiste.

28Das sowjetische Strafgesetzbuch von 1933 verurteilte das Verbrechen der männlichen Homosexualität nach Artikel 121 mit bis zu 5 Jahren Zwangsarbeit im Gefängnis, im Gegensatz zum Gesetzbuch von 1922, das sie entkriminalisiert hatte.

29Siehe das Buch von Jean Jacques Marie: Le rapport Khrouchtchev.

30Die Daten stammen aus dem oben erwähnten Buch von Pierre Broué. Ich möchte nur hinzufügen, dass diese Art von Militanten der Konterrevolution der Gegenpol zu den Zehntausenden von Kommunistinnen und Kommunisten, Anarchistinnen und Anarchisten und Revolutionären im Allgemeinen ist, die sich der konterrevolutionären Schandtat mutig entgegenstellten. Die Geständnisse, die die Henker und Richter – manchmal nur durch brutale Folter – erpresst haben, haben nicht verhindert, dass der Zusammenbruch dieser schändlichen Regime uns dem wahren Geständnis näher gebracht hat: dem kapitalistischen Charakter dieser Staaten.

31Im Oktober 1961 legte Chu En-Lai einen Kranz an Stalins Sarkophag nieder, der dem „großen Marxisten-Leninisten Joseph Wissarionowitsch Stalin“ gewidmet war. Damit reagierte er auf die Kritik, die Chruschtschow seit dem 20. Kongress geübt hatte. Uns geht es darum zu betonen, dass der stalinistische Personenkult aus dieser personalistischen und voluntaristischen Sichtweise resultiert, die typisch für die bourgeoise Politik ist.

32A.d.Ü., der Etapismus ist die Idee die vorsieht dass die „Revolution“ in Etappen durchgehen muss. Wenn diese nicht vorhanden sind, kann sie auch nicht stattfinden.

33In Wirklichkeit handelt es sich um einen Versuch, das stalinistische kapitalistische Regime zu reformieren, das bereits Anzeichen einer tiefen Krise aufwies.

34Die Fälscher von gestern und heute bezeichnen das Lager der Konterrevolution als die Internationale Kommunistische Bewegung. Wir denken, dass in diesem Pamphlet deutlich gemacht wurde, warum wir es für wichtig halten, die Dinge beim richtigen Namen zu nennen und die Realität nicht mit Bezeichnungen zu verwechseln, die sie leugnen.

35Mao: Der Platz der Kommunistischen Partei Chinas im nationalen Krieg. Die Kursivschrift ist von uns.

36Wir können der Kritik an dem Konterrevolutionär Mao keine ausführlichere Studie widmen, da dieses Pamphlet bereits umfassend genug ist. Wir möchten uns in nicht allzu ferner Zukunft damit befassen, weil seine Figur bei jungen Generationen von radikalisierenden Proletariern nach wie vor für große Verwirrung sorgt.

37Ein Programm, das sich von dem offiziellen Programm der evolutionistischen und reformistischen Sozialdemokratie der Zweiten Internationale unterscheidet. Letztere gab vor, den Kapitalismus mit schrittweisen Mitteln zu überwinden, und stützte sich dabei auf ein Klassenprogramm, das sich formal von dem der Bourgeoisie unterschied. In Inhalt und Form war es ganz offensichtlich ein bourgeoises Programm, auf das unsere damaligen Gefährtinnen und Gefährten die ihm gebührende Antwort gaben. Wir wollen lediglich darauf hinweisen, dass der Reformismus von damals ernster war, wie es ein Gefährte, der beide konterrevolutionären Strömungen bekämpfte, ausdrückte.

38 Der Eurokommunismus ist der endgültige Bruch der westlichen KPs – insbesondere der italienischen, spanischen und französischen Parteien – mit der UdSSR aufgrund der offensichtlichen Krise des Stalinismus, einer Krise, die die politische Stärke dieser nationalen Parteien selbst schwächt, was die Suche nach einem eigenen, unabhängigen Weg zum Sozialismus verstärkt.

39Siehe dazu auf unserer Website unsere Broschüre 10 Anmerkungen zur revolutionären Perspektive und andere Texte.

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Grupo Barbaria, Revolution und Konterrevolution in der spanischen Region Teil IV; V; VI; VII https://panopticon.blackblogs.org/2024/02/29/grupo-barbaria-revolution-und-konterrevolution-in-der-spanischen-region-teil-iv-v-vi-vii/ Thu, 29 Feb 2024 12:42:35 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5595 Continue reading ]]>

Gefunden auf der Seite von Grupo Barbaria, wir hatten vor einiger Zeit mit dieser Reihe begonnen und veröffentlichen hiermit die letzten Teile dieser. Für mehr Texte die wir seit dem Beginn dieser Textreihe zur sozialen Revolution 1936 veröffentlicht haben, hier oder hier die Texte.


Grupo Barbaria, Revolution und Konterrevolution in der spanischen Region Teil IV; V; VI; VII

Revolution und Konterrevolution in der spanischen Region (IV)
Das „schwarze Biennium“1 und der spanische Lenin

Das Ende der fortschrittlichen Regierung hatte eine blutige Bilanz von Repression und sozialen Protesten hinterlassen: die Massaker von Arnedo2 und Casas Viejas3, 30 Generalstreiks, 3.600 Teilstreiks, 9.000 Verhaftungen, mehr als 400 Tote, 161 Einstellungen der konföderierten Presse4 und 160 Deportationen. Wir wollen diese ungefähren Zahlen deutlich machen, bevor wir mit der Beschreibung der Fakten der nächsten Serie beginnen, da die beiden folgenden Jahre als das schwarze oder reaktionäre Biennium bekannt ist, ein Etikett, das offensichtlich von der Bourgeoisie, insbesondere von der Linken, angebracht wurde, um die vorangegangene Periode als eine Periode des Wohlstands und des Fortschritts gegenüber der nächsten zu mystifizieren, die als das absolute Übel dargestellt werden würde, als eine Rückkehr zur obskurantistischen Vergangenheit der rechten Regierungen. Wir wissen bereits, dass das revolutionäre Proletariat keine Mystifikationen versteht und dass, wenn die kommenden Jahre schwarz sein sollten, die Vergangenheit nicht weniger schwarz gewesen wäre. Die Bourgeoisie ordnet die Namen den von ihr gewünschten historischen Epochen zu, damit sie diese am besten zählen können. Dasselbe geschah mit der „tragischen“ Woche5. Tragisch für wen? Gerade für diejenigen, die ihre Ordnung in Gefahr gesehen hatten, nicht für diejenigen, die sich gegen diese erhoben hatten.

Tatsächlich waren die Zweifel, Illusionen oder direkte Unterstützung, die wir bereits in einigen wichtigen Bereichen des Umfelds der Arbeiterklasse gegeben hatten, angesichts der Realität der republikanischen Gewalt verflogen. So waren die Wahlen, die Ende 1933 stattfanden, von Enthaltungen geprägt, die exponentiell zunahmen.

Das Ergebnis der Wahlen brachte den radikalen Lerroux6 mit der konservativen Unterstützung der CEDA7 an die Macht, obwohl diese letzte Partei nicht Teil der Regierung war. Dieser Machtverlust erschütterte die Linke des Kapitals enorm und provozierte eine vermeintliche Polarisierung in den Reihen der PSOE8. Auf der einen Seite gab es die Linie von Besteiro9 und Indalecio Prieto10, die zwar etwas anders war, aber im Wesentlichen die eines klassischeren und gemäßigteren Reformismus war. Auf der anderen Seite haben wir den Sektor Largo Caballero11, der in seiner unsinnigen Rolle als „spanischer Lenin“ den angeblich revolutionären Sektor anführen würde. Letzterer, wenn er bereits seine Jacke gewechselt hatte – wie wir zuvor gesehen hatten – von Ämtern bei Primo de Rivera12 als Mitglied des Staatsrates, zur Unterstützung der Republik aller Klassen übergegangen war, widmete er sich in diesem Fall dem Geschrei in ganz Spanien über die Notwendigkeit dessen, was er als „Diktatur des Proletariats“ verstand. Wie wir bereits gesehen haben, wurde in den Debatten über die Geschehnisse in Russland 1917, die sich in der spanischen Region herausgebildet hatten, die Konzeption einer proletarischen Diktatur, die in einem mehrheitlichen Sektor innerhalb des Arbeitermilieus gültig geblieben war, mit der leninistischen Machtergreifung identifiziert und nicht mit der wirklichen Diktatur als Zerstörung des Staates durch das Proletariat. Largo Caballero konnte auf diesem programmatischen Misserfolg reiten, und das ist nicht verwunderlich, denn als repräsentative Figur der Sozialdemokratie konnte er keine andere Funktion erfüllen, als zu versuchen, dem Proletariat auf der Suche nach einer der Fraktionen des Kapitals durch Mystifikationen einen Rahmen zu geben und es seine eigene Autonomie vergessen zu lassen. Es muss jedoch klargestellt werden, dass die Radikalisierung des Sprachrohrs von Largo Caballero auf etwas Reales zurückzuführen war. Die Militanten dieser Organisation, vor allem durch ihre Jugend, hatten im Kampf den Wunsch geäußert, über die Republik hinauszugehen und die Bewegung bis zum Ende zu führen. Die Gesten von Largo Caballero wären ein Toast auf die Sonne13, die diesen Radikalismus verdecken würde, indem sie ihn innerhalb des Programms der Sozialdemokratie erschöpfen. Dasselbe gilt für die Militanten der UGT14 und der FTT15.

Zu dieser Pantomime über die Diktatur des Proletariats, die von der Sozialdemokratie ausgestrahlt wird, kommt eine weitere hinzu, die während dieser ganzen Periode bestimmend sein wird: der Antifaschismus. Das Anwachsen von Faschismus und Nationalsozialismus in Europa hatte bereits als Anreiz für die Herausbildung einer bereits besiegten revolutionären Bewegung gedient: nun war die spanische Region an der Reihe. Dafür war die Rolle der CEDA, einer von Gil Robles geführten rechten Partei, die des Faschismus beschuldigt wurde und die von der Sozialdemokratie als das absolut Böse ins Rampenlicht gestellt wurde, von grundlegender Bedeutung. Wenn wir nicht einmal den deutschen Nationalsozialismus und den italienischen Faschismus als ein und dieselbe Sache betrachten können, dann bedeutet das Etikett „faschistisch“ auf die CEDA zu setzen, einen viel schwerwiegenderen Fehler zu begehen, umso mehr angesichts des ideologischen Gewichts des Antifaschismus gegen unsere Klasse. Es stimmt zwar, dass die soziale Lage und ihre Instabilität den Ton des rechten Flügels des Kapitals, der in diesem Fall von der CEDA vertreten wurde, erhöht hatte, doch die Partei von Gil Robles stellte in keiner Weise eine Bedrohung der republikanischen Legalität dar, und ihr Diskurs hatte nichts mit Faschismus zu tun. Über diesen Tonfall hinaus hatte Gil Robles selbst den Faschismus als Ketzerei bezeichnet und die Anwendung von Gewalt öffentlich abgelehnt. Das CEDA-Programm stand der Republik zwar skeptisch gegenüber, war aber gradualistisch16, legalistisch und den demokratischen Methoden der Machtübernahme treu. Ein Programm, das nichts mit den Slogans von Hitler oder Mussolini zu tun hatte. Diese falsche Dichotomie, bei der eine Seite angeblich faschistisch und die andere „kommunistisch“ ist, ist nichts anderes als die Form eines innerbourgeoisen Konflikts als Antwort auf die wachsende Stärke des Proletariats. Die einzige Partei mit einem eindeutig faschistischen Programm war die Falange, die noch eine winzige Organisation war, die in keiner Weise in der Lage war, die Massen zu mobilisieren, wie es in Italien und Deutschland geschehen war. Neben dem italienischen Faschismus und dem deutschen Nationalsozialismus wurde das internationale Klima auch durch die konterrevolutionären Maßnahmen beeinflusst, die die österreichische Regierung von Engelbert Dollfuss durch ihren Angriff auf die Wiener Arbeiterkieze immer härter durchsetzte und die als weiterer Ansporn zur Unterstützung des Antifaschismus dienten.

Auf den Straßen gingen die Unruhen und die Aufregung jedoch unvermindert weiter. Das Jahr 1934 begann mit Streiks in Madrid, Barcelona und Saragossa. In dieser letzten Stadt wurde ein Streik für die Freiheit aller Gefangenen ausgerufen. Das durch den anhaltenden Streik verursachte Spannungsklima erreichte einen solchen Punkt, dass die Stadt ohne Dienstleistungen und in einem Zustand der totalen Hungersnot sich befand. Dies führte zu der Entscheidung, die Kinder massenweise zu anderen proletarischen Familien in anderen Städten zu überführen, was eine der wichtigsten Unruhen dieses Jahres auslöste: Die Generalitat versuchte aus Furcht vor mangelnder Kontrolle, den Empfang zu übernehmen, was jedoch von den proletarischen Familien nicht akzeptiert wurde, die darauf bestanden, die Kinder direkt vom Bahnhof abzuholen. Die Guardias de Asalto griff ein und musste den Empfang mit Kugeln und Schlägen unterdrücken. Der Klasseninstinkt war sehr präsent, und man wusste, was die Ersetzung der gegenseitigen Hilfe unter Proletariern durch die Verwaltung des Staates bedeutete.

Im Allgemeinen würde der Protagonist des ersten Teiles des Jahres dass ländliche Proletariat werden. Im Mai und Juni würde es größere Streiks geben, mit Andalusien und Extremadura als Hauptschwerpunkten. Hervorzuheben ist der Streik vom 5. Juni, der von mehr als 1.500 Gemeinden unterstützt wurde. Die typische soziologische Trennung der Sozialdemokratie würde bei diesem Streik eine schädliche und entscheidende Rolle spielen. Da der Streik von den Kämpfen des „Stadtproletariats“ getrennt war, konnte er viel leichter unterdrückt werden und endete damit, dass etwa 7.000 Gefährten die Gefängnisse füllten. Zu diesem rein soziologischen Faktor kam hinzu, dass das Proletariat in fast der gesamten spanischen Region erschöpft war, entweder durch die Zahl der Gefangenen und Toten oder durch Desorganisation. Diese Erschöpfung war es, die den Rest des Jahres in den Mittelpunkt des Aufstands rückte, der fast ausschließlich in Asturien stattfand.

Als Folge der „Wendung nach Links“ der PSOE und der Polarisierung, von der wir zuvor sprachen, entstand die Alianza Obrera17 (Arbeiterallianz), ein klassenübergreifendes Organ, das zunächst von der UGT, dem BOC18 (Bloque Obrero Campesino/Arbeiter-Bauern Block), der Izquierda Comunista de España19 (Spanische Kommunistische Linke) und später der PCE (Partido Comunista de España/Spanische Kommunistische Partei) gebildet wurde. Die CNT würde sich nur in León und Asturien beteiligen. Die Allianz würden von Anfang an zum Organ der Eindämmung der autonomen Organisationen des Proletariats wie der Fabrikkomitees, Nachbarschaftskomitees, Verteidigungskomitees usw. werden und eine entscheidende Rolle bei der Niederschlagung des Oktoberaufstandes spielen. Ihre gebräuchlichste Losung war, ewig auf den entscheidenden Moment zu warten und die Aufstandsversuche mit Ballast zu füllen.

Oktober 1934

Am 4. Oktober treten mehrere Mitglieder der CEDA in die Regierung ein. Da die PSOE und die Linke bereits gedroht hatten, wurde beschlossen, angesichts der angeblichen faschistischen Bedrohung den „revolutionären Generalstreik“ auszurufen. Im ganzen Land wird versucht, diesen Streik fortzuführen. Der proletarische Aufstand begann jedoch, bevor die Losung lanciert wurde.

In Madrid gibt es neben dem Streik überall in der Stadt aufständische Aktionen, Aktionen, die von den Arbeitern selbst durchgeführt, aber nie von den Organisationen unterstützt wurden, die die Streikparole lanciert hatten, was den Aufstand sehr schnell ersticken würde. Weder die PSOE noch die Alianza Obrera wollten das aufständische Proletariat bewaffnen und verschoben alles – wie immer – auf den entscheidenden Moment, der nichts anderes war als das traurige Warten, bis die Regierung Lerroux ihre Entscheidung rückgängig gemacht hatte. Wir sehen wieder einmal, dass das so genannte revolutionäre Geschwätz von Largo Caballero und seinen Leuten, wenn sie nach etwas suchten, nichts anderes war, als einen politischen Gewinn zu erzielen und gleichzeitig das Proletariat in einem Zustand der Lähmung zu halten. Bereits am 7. war die Situation von der Bourgeoisie kontrolliert worden.

In Barcelona war die Situation ganz ähnlich. In diesem Fall wurde der verbreitete Aufstand – Barcelona war einer der größten Arbeitergürtel – nicht nur durch die Lähmung der PSOE und die von der AO (Alianza Obrera) geförderte Disartikulation behindert, sondern auch der Nationalismus der katalanischen Bourgeoisie spielte eine bedauerliche, aber entscheidende Rolle bei der Verhinderung der Ausbreitung der Bewegung. Der durch die soziale Lage in die Enge getriebene Companys beschloss, mitten im Konflikt die unabhängige Republik Katalonien auszurufen, was nur dazu diente, das Proletariat zu spalten und zu verwirren, das in keinem Fall massiv die Ausrufung eines neuen Staates forderte oder dafür kämpfte. Trotz alledem kann nicht gesagt werden, dass diese nicht die gewünschte spaltende Wirkung hatte, und wieder einmal wurde die Bewegung innerhalb weniger Tage von den Kräften der Regierung zerschlagen. Companys, Badia und die anderen Schweine der katalanischen Bourgeoisie entschieden sich nach dem Großmaulerei, den Staat für unabhängig zu erklären, und angesichts der Angst vor der Hinrichtung durch die Staatsgewalt, ohne weiteren Widerstand zu kapitulieren oder in einigen Fällen in der Hitze des Faschismus in Italien Zuflucht zu suchen oder wie Ratten20 zu fliehen. Kommt euch das bekannt vor?

In einem anderen der großen Arbeitergürtel, wie in Bilbao, waren die Probleme die gleichen. Der Streik dauerte in diesem Fall bis zum 12., wurde aber hauptsächlich von der UGT eingedämmt. Es gab andere relevante Aufstände in Kantabrien, Murcia oder Valencia, die das gleiche Ende erleiden würden.

Asturien

Schon während des ganzen Jahres hatte das Proletariat der Region Asturien große Kampflust gezeigt, vor allem um den Bergbausektor, und wurde ab Mai zum Zentrum der revolutionären Tätigkeit. Die Monate vor dem Oktoberaufstand waren nicht nur durch offene Kämpfe und Konfrontationen gekennzeichnet, sondern auch durch eine geheime und geduldige Organisation, die Waffen aus verschiedenen Fabriken – wie z.B. den Öfen in Mieres – stahl und sie dann in Minen und anderen von den Arbeitern kontrollierten Orten versteckte. Es ist unmöglich, das Ausmaß der kommenden Ereignisse zu begreifen, ohne die vorherige organisierte Aktivität zu kennen, die von den asturischen Bergarbeitern selbst illegal durchgeführt wurde und die sich nicht auf die Anhäufung von Waffen beschränkte, sondern auch den Angriff auf die Zentren der bourgeoisen Macht vorbereitete und plante.

Am 4. Oktober wird die Streikparole von den Arbeitern aufgegriffen. Dieses Mal warteten sie nicht auf Befehle oder „entscheidende Momente“ und griffen schnell die wichtigsten Städte des Bergbaugebiets an: Mieres, Langreo, La Felguera… In wenigen Tagen wird ganz Asturien – mit Ausnahme einiger Stadtviertel in Gijón21 – vom bewaffneten Proletariat eingenommen werden. Der qualitative Sprung, den das, was in Asturien geschah, bedeutete, war zum großen Teil auf das Überlaufen aller Organisationen der Sozialdemokratie zurückzuführen. Tatsächlich waren viele der Probleme, die die Bewegung hatte, als sie anfangs Oviedo einnahm, die Versuche der sozialdemokratischen Anführer der Stadt, sie einzudämmen (A.d.Ü., den Aufstand einzudämmen). Die Führung der verschiedenen bourgeoisen Parteien und Gewerkschaften wurde als Ausdruck proletarischer Autonomie durch ihre eigenen Organisationen ersetzt: Verteidigungskomitees, Fabrikkomitees usw. Der in anderen Regionen aufgetretene Widerspruch zwischen der angeblichen (bourgeoisen) Führung und der revolutionären Bewegung des Proletariats, der im Rest des Landes unterdrückt worden war, war im Fall von Asturien weitgehend aufgehoben worden. Doch obwohl diejenigen, die sich um Demobilisierung und „Geduld“ bemühten, verfolgt wurden, durften in wichtigen Momenten einige Mitglieder des provinziellen AOKomitees die Führung übernehmen. Wenn wir von Revolution sprechen, und noch mehr in diesen Zeiten des offenen Aufstands, werden halbherzige Aktionen und Lauheit gegenüber dem Feind am Ende teuer bezahlt.

Neben dieser Überschreitung hatte der Aufstand auch einen wichtigen kommunistischen Inhalt: In verschiedenen Städten wie La Felguera wurde der freiheitliche Kommunismus proklamiert und Geld verbrannt. Die Verbrennung des Geldes ist nicht einfach eine spektakuläre Geste (oder eine performative, wie die Postmodernisten heute sagen würden), sondern ein realer Ausdruck, um das soziale Verhältnis, das das Kapital darstellt, abzuschaffen, um die Trennung zwischen Bedürfnis und Objekt aufzuheben, die das Geld als „Bindung der Bindungen“ ausdrückt. Dass es sich dabei nicht um eine einfache Geste handelte, beweist die Tatsache, dass zur Zeit des Aufstands die Produktion so organisiert war, dass sie direkt und ohne Vermittlung die verschiedenen Bedürfnisse der Menschen befriedigen und Waffen für den Kampf gegen den Feind liefern konnte.

Dieser generalisierte Aufstand in der Region dauerte etwa 3 Wochen. Die Situation war so außer Kontrolle geraten, dass die Bourgeoisie (wieder einmal!) den Kriegszustand ausrufen und die Truppen der Armee unter Führung von Franco und Goded einsetzen musste, um den Aufstand brutal niederzuschlagen. Nach tagelangem heldenhaftem Widerstand wurde die Bewegung mit relativer Leichtigkeit niedergeschlagen. Da Asturien durch die Aktion der Sozialdemokratie isoliert war, konnte die Repression auf diesen Schwerpunkt konzentriert werden, um ihn gnadenlos zu liquidieren.

Einmal mehr muss einer der Mythen der Linken widerlegt werden. Franco hat nicht gegen die republikanische Legalität gehandelt, er war ihr blutrünstigster Verteidiger. Franco hat sich nicht gegen die Linke gestellt, wie oft behauptet wird, sondern er hat getan, was die Linke nicht konnte: Die Sozialdemokratie hatte die Bewegung in einer einzigen Region gespalten und isoliert, so dass die staatlichen Kräfte eingreifen konnten. Franco und andere Generäle hatten bereits eine lange Erfahrung in der Unterdrückung des Proletariats, wie wir bereits im Marokkokrieg22 gesehen hatten; die Republik wandte sich nicht zufällig an sie. Die Linken und die Rechten haben sich wieder einmal gemeinsam gegen ihren potenziellen Totengräber gestellt. Es war die Aktion der Alianzas Obreras und der PSOE, die Franco die Vernichtung des Proletariats auf einem Tablett servierten.

Die Unterdrückung durch die Armee war bestialisch und grausam in unbeschreiblichem Ausmaß. Zeugenaussagen berichten von zu Tode geprügelten Gefährten, von Massenvergewaltigungen, von der Ermordung ganzer Familien, von weit verbreiteter und unsäglicher Folter. Klöster und andere öffentliche Gebäude wurden für Folterungen genutzt, weil die Polizeistationen und Gefängnisse nicht mehr ausreichten. Die Bourgeoisie unterdrückt, um ihre Spuren in den Körpern und im kollektiven Gedächtnis zu hinterlassen, und zwar proportional zum Grad der Stärke ihrer Opposition. Alles in allem war das Kräfteverhältnis immer noch zugunsten des Proletariats, das zwar eine Schlacht verloren hatte, aber nicht besiegt war. Ein Beweis dafür ist die Behandlung der proletarischen Gefangenen; im ganzen Land wurden die Gefängnisse mit Geschenken und Briefen von Proletariern aus allen Teilen des Landes gefüllt. Ein weiterer Beweis dafür ist die Tatsache, dass Franco 1936 auf Befehl der Volksfront auf die Kanarischen Inseln reiste und ein proletarischer Streik auf Teneriffa den Schlächter des Proletariats willkommen hieß. Ein weiterer Beweis für die immer noch vorhandene moralische Kraft waren die Erklärungen der wenigen Aufständischen, die vor Gericht gestellt wurden, in denen sie stolz ihre Beteiligung an den Taten gestanden und versprachen, das Verbrechen gegen den Staat und das Kapital erneut zu begehen.

Im Parlament bezeichneten Leute wie Calvo Sotelo23 von der Rechten die Aufständischen als Pöbel. Auf der linken Seite erklärte Azaña24 im Zweifelsfall öffentlich, dass er sich nicht mit dem Aufstand und der erlittenen Repression solidarisiere. Andere, die höflicher waren, brandmarkten sie als Idealisten oder manipulierte Menschen, als ob die Revolution eine Gewissensfrage wäre und nicht der Klassenantagonismus, der dem Boden dieser Gesellschaft entspringt.

Ein wichtiger Punkt, der bei dem großen Aufstand in Asturien zu beachten ist, ist das Verhalten der Armee. Franco und die verschiedenen Generäle setzten Söldner aus Marokko vor allem deshalb ein, weil innerhalb der Armee eine notorische Unzufriedenheit unter den Soldaten über die Situation herrschte. Die Verbrüderung eines Teils der Armee mit den Aufständischen ist dort, wo die Revolution triumphiert, eine Konstante. Der Gefährte Grandizo Munis25 erzählt, dass die Soldaten, die die Züge der drei Heereskolonnen gegen Asturien führen sollten, von ihren Führern mit dem Gewehr in der Hand auf mögliche Desertion oder Verbrüderung überwacht wurden. Auf dem Luftwaffenstützpunkt in León kam es zu einer Meuterei, die scheiterte und für die mehrere Meuterer zum Tode verurteilt wurden.

Die Ereignisse vom 34. Oktober hatten mehrere Dinge deutlich gemacht. Einerseits hatte das Proletariat seit dem Beginn der Republik seinen Kampf um die Durchsetzung seiner menschlichen Bedürfnisse gegen das Kapital und den Staat fortgesetzt. Diese Situation der Agitation provozierte die bereits beobachtete innerbourgeoise Polarisierung zwischen dem angeblichen Faschismus der CEDA und der konterrevolutionären Scharlatanerie der PSOE und verwandter Organisationen. Der revolutionäre Qualitätssprung, den der asturische Aufstand bedeutete, sollte wie immer von der Konterrevolution begleitet werden.

Was im Oktober geschah, könnte Aufschluss darüber geben, was die Arbeiterallianzen wirklich waren: klassenübergreifende Organisationen, die nicht der Impuls der Revolution waren, sondern ihre Bremse, mit den ständigen Aufrufen zu Ruhe und Zurückhaltung. Diese Allianz entstand als Antwort auf die angebliche Radikalisierung des rechten Flügels des Kapitals, gegen das absolute Übel, das in diesem Fall von der CEDA repräsentiert wurde. Die linke Bourgeoisie begann, die Fahne des Frontismus26 zu erheben, was nichts anderes bedeutete als das Aufgeben proletarischer Positionen und den Verlust ihrer Klassenautonomie. Obwohl es dem Proletariat in Asturien gelungen war, diese Klassenkollaboration zu überwinden, hatte der Frontismus seine Wirkung gezeigt und das Proletariat hatte große Schwäche gezeigt, die Aufstände autonom zu führen. Zu dieser Positionsschwäche kam hinzu, dass das Proletariat bereits durch die gescheiterten Kämpfe aller vorangegangenen Jahre mit den entsprechenden Repressionen zermürbt worden war. Das darauffolgende Jahr sollte durch eine angespannte Ruhe gekennzeichnet sein, die aus diesem Verschleiß resultierte. Der Frontismus würde in den kommenden Jahren weiter wachsen und sehr wichtig sein, aber er hatte bereits begonnen, der revolutionären Bewegung seinen Stempel aufzudrücken.


Revolution und Konterrevolution in der spanischen Region (V)

Der Kater nach dem Aufstand in Asturien und die schrecklichen Repressionen, denen das Proletariat ausgesetzt war, weil es gewagt hatte, das miserable Leben im Kapitalismus in Frage zu stellen, machten das Jahr 1935 zu einem Jahr relativer Ruhe. Die antifaschistische Ideologie gewann durch die Repressionen im Zusammenhang mit der CEDA-Regierung und der Partido Radical (der Radikalen Partei) an Bedeutung, und die Taktik der Bildung von Fronten gegen den Faschismus nahm Gestalt an. Im Juli wurde die Französische Volksfront aus dem Zusammenschluss der Sozialisten, der Stalinisten und der Radikalsozialistischen Partei gebildet, was 10 Tage später für die Stalinisten zum heiligen Gesetz wurde und die Politik der Allianz auf dem 7. Kongress der Komintern verabschiedet. Auf diesem Kongress wurde die Allianz mit der Sozialdemokratie und den bourgeoisen Parteien gegen die faschistische Bedrohung und zur Verteidigung der Demokratie beschlossen.

Togliatti, ein Bollwerk der Konterrevolution, der im Krieg in Spanien eine wichtige Rolle spielen wird, erklärt perfekt, was die Allianz gegen die faschistische Bedrohung und zur Verteidigung der Demokratie wirklich bedeutet:

Was sind all die Kräfte, die am Frieden interessiert sind und die die kommunistischen Parteien in einer gemeinsamen Front zusammenfassen müssen? Natürlich die populären Massen, aber auch alle Gruppen der herrschenden Klassen, die am Frieden interessiert sind, einschließlich der kleinen und großen Staaten, die zum gegebenen Zeitpunkt ein ähnliches Interesse haben. […] Die Friedenspolitik der UdSSR wird nicht nur die Pläne der Imperialisten zur Isolierung der Sowjetunion zunichte machen, sondern hat auch die Grundlage dafür geschaffen, dass sie bei der Erhaltung des Friedens mit den kleinen Staaten zusammenarbeitet, für die der Krieg wegen der Bedrohung ihrer Unabhängigkeit eine besondere Gefahr darstellt, sowie mit den Staaten, die zum gegebenen Zeitpunkt an der Erhaltung des Friedens interessiert sind“.

An der imperialistischen Front beteiligt sich das Proletariat nicht zur Verteidigung seiner Bedürfnisse, sondern als Kanonenfutter, zur Verteidigung des Staates und des Kapitalismus, oder wie Togliatti es ausdrückt, zur Erhaltung des Friedens. Der Frieden des Gehorsams und der freie Warenverkehr.

In Spanien wird das Jahr 1935 das Jahr der Auflösung der ICE (Izquierda Comunista de España, Sektion der spanischen Region, die mit Leo Trotzki verbunden ist) sein, da die meisten ihrer Militanten unter der Führung von Andreu Nin eine Allianz mit dem BOC (Bloque Obrero y Campesino) eingehen werden (Organisation unter der Leitung von Joaquín Maurín, die mit der Rechten Opposition von Bucharin in der Komintern verbunden war) zur Gründung der POUM (Partido Obrero de Unificación Marxista), die die Vereinigung aller Marxisten in einer einzigen Partei anstrebte und unter dem Banner der Vereinigung in die Volksfront einging. Obwohl der Teil der ICE (ihr wichtigster Anführer war Grandizo Munis), der an Trotzkis Positionen festhielt, sich der Jugend der PSOE anschloss und sich später in der Sección Bolchevique-leninista (Bolschewistisch-Leninistischen Sektion) organisierte, hat er die Volksfront stets als klassenübergreifende Allianz verurteilt.

Der Sieg der Volksfront bei den Wahlen im Februar war ein weiterer Schritt in der programmatischen Konsolidierung des Antifaschismus und seiner Formierung zu einer klassenübergreifenden Front, wie sie nicht anders sein konnte. Eine Konsolidierung, die ihren Höhepunkt während des innerbourgeoisen Konflikts erreichen wird, der fälschlicherweise als Bürgerkrieg bezeichnet wird und in Wirklichkeit ein imperialistischer Krieg ist, wie die Gefährten von BILAN27, der „italienischen“ kommunistischen Linken, bekräftigten. Die Volksfront wird sich aus der Izquierda Republicana (Republikanische Linke), der Unión republicana (Republikanische Union), der PSOE, der PCE, der Partido Sindicalista (Syndikalistischen Partei) und der POUM zusammensetzen. Die CNT, obwohl nicht Teil der Front, weigerte sich, revolutionären Absentismus zu verbreiten, und verwies auf die konjunkturelle Bedeutung dieser Wahlen, was einer Kampagne für die Volksfront gleichkam. Ihre Unmittelbarkeit veranlasste sie, eine Regierung zu unterstützen, die bereits am Tag nach den Wahlen den Alarmzustand ausrief, der es ihr erlaubte, das Proletariat ungestraft zu unterdrücken – als ob sie das nötig hätte.

Die Gefängnisse waren voll von Proletariern, die am Aufstand von 1934 teilgenommen hatten, und ihre Freilassung war eine Priorität für die Arbeiterbewegung. In diesem Sinne wird die CNT aufgrund ihres Unmittelbarkeitscharakters keine Kampagne gegen die Volksfront führen, da diese die Amnestie zur Grundlage ihres Wahlkampfes gemacht hat. Die Amnestie der Gefangenen war die bourgeoise Antwort auf die Forderung der Proletarier nach Freilassung ihrer inhaftierten Brüder nach dem Aufstand von 1934. Tatsächlich wurden viele Gefängnisse gestürmt und ihre Gefangenen freigelassen, ohne zwischen politischen und gewöhnlichen Gefangenen zu unterscheiden, bis die Amnestie verkündet wurde und die Frage der Gefangenen rechtsstaatlich geregelt wurde.

Für die Kommunisten hingegen besteht der Sieg der Klasse nicht in irgendeinem Dekret, sondern in der organisatorischen Stärkung der Klasse, der praktischen Bekräftigung ihrer Autonomie, und dass die Gefangenen auf der Straße sind. Und die Amnestie? Wir verurteilen die Amnestie als das, was sie ist: ein legales Manöver der Bourgeoisie, die versucht, das, was auf der Straße passiert und was sie nicht verhindern kann, in ihre Legalität, in ihren demokratischen Staat zu integrieren. Ihr Ziel liegt auf der Hand: ein für den Feind günstiges Kräfteverhältnis in sein Gegenteil zu verwandeln, indem sie die Zügel der Gesellschaft wieder in die Hand nimmt.“28

Ein weiteres Beispiel für die Unmöglichkeit, das Proletariat in die Institutionen zu integrieren, waren die Landbesetzungen durch die Tagelöhner vor dem Juli. In der Erwartung einer Verbesserung der bereits von der ersten Regierung im Jahr ’31 versprochenen Agrarreform beschloss das Proletariat, das Land der Großgrundbesitzer zu besetzen und es für seine Bedürfnisse zur Verfügung zu stellen. Am 25. März kam es in der Extremadura zu einer massiven Bewegung von etwa 80.000 Tagelöhnern, die etwa 25.000 Hektar besetzten. Angesichts des Ausmaßes der Bewegung entsandte die Regierung Beamte des Instituts für Agrarreform, um den Besetzungen den Anschein der Legalität zu verleihen. Extremadura war die massivste Bewegung, aber die Aktivität des Proletariats auf dem Lande war nicht nur auf diese Zeit und diesen Ort beschränkt. Vom 1. Mai bis zum Ausbruch des Krieges wurden halb so viele registriert wie im gesamten Jahr 1933 und genauso viele wie 1932. Aber nicht nur das Land war das Terrain des proletarischen Kampfes, auch Streiks und Fabrikbesetzungen gehörten zum täglichen Brot. Der Bauarbeiterstreik in Madrid, bei dem die UGT mit ihrer kämpferischen Haltung von den Arbeitern nicht akzeptiert wurde, führte zu schweren Zusammenstößen zwischen UGT– und CNT-Militanten. Die linke Volksfrontregierung zögerte nicht, mit Hilfe von bewaffneten Falangisten gegen die Streikenden vorzugehen.

Angesichts der Unmöglichkeit der liberalen Bourgeoisie, ein Proletariat zu assimilieren, das dabei ist, sich als Klasse in demokratischen Institutionen zu formieren, brach am 17. Juli in Marokko der Aufstand der Militärs aus und löste den Konflikt aus. Der Staatsstreich war nicht das Ergebnis einer kleinen Gruppe von Übeltätern – wie Bösewichte in einem Superheldenfilm -, die der Freiheit einer paradiesischen Republik ein Ende setzen wollten29, sondern vielmehr das Ergebnis der Unfähigkeit der demokratischen Fraktion der Bourgeoisie, das Proletariat zu beschwichtigen, wie sie es seit der Ausrufung der Republik mit Mühe getan hatte. Tatsächlich waren die Vorbereitungen für einen Staatsstreich bereits seit Ende Februar im Gange, da es unmöglich war, die Bildung der Volksfrontregierung durch die Ausrufung des Kriegszustandes zu verhindern.

Soziale Unruhen beunruhigten und ärgerten die republikanische Regierung mehr als die ständigen Warnungen vor einer militärischen Verschwörung. Schließlich handelte es sich nicht um einen Ideologiekonflikt, sondern um einen Antagonismus der Klassen.

In Wahrheit, so fügt er hinzu, hatte Azaña sehr ernste Gründe, sich zu ärgern, und zwar nicht über die Militärs, die ihre Pläne mit perfekter Disziplin unter Verschluss hielten, sondern über die fabelhaften Konflikte in der Gesellschaft und der öffentlichen Ordnung, die von den Wählern ausgelöst wurden, die der Volksfront zum Sieg verholfen hatten.“30

Der Staatsstreich kam weder für die Regierung noch für die Arbeiterorganisationen überraschend. Die republikanische Bourgeoisie zog es vor, den Putschisten Ministerien anzubieten – Martinez-Barrios bot sie Mola an, um den Aufstand zu beenden -, anstatt dem Proletariat Waffen zu geben, das sie sich mit Gewalt holen würde. Die Ausweitung des Militärputsches auf die Halbinsel am 18. Juli und die Untätigkeit der republikanischen Regierung machten das Proletariat zum eigentlichen Schuldigen für das Scheitern des Putsches in weiten Teilen Spaniens. In Barcelona, wo die Tage des 18. und 19. Juli über die Verteidigung der republikanischen Legalität hinausgingen, organisierte sich das Proletariat um das Comité Local de Coordinación Revolucionaria (Lokales Komitee für revolutionäre Koordination), das aus dem Zusammenschluss der Comités de Defensa (Verteidigungskomitees) und der Comités de barriada (Nachbarschaftskomitees) hervorgegangen war. Durch diesen und andere Ausschüsse bereitete das Proletariat die Antwort auf den Militärputsch vom 18. Juli gründlich vor.

Es war das riesige Netzwerk von Komitees, das die Zusammensetzung des Proletariats zu einer Klasse am besten veranschaulichte, und es war wiederum ihre Verbindung zur CNT und zur CNT-Führung, die ihre Dynamik bis zu dem Punkt eindämmte, an dem sie ihre volle Kapazität eliminierte. In dieser Hinsicht war die antifaschistische Ideologie der Tsunami, der alle revolutionären Perspektiven auf das Terrain der Bourgeoisie brachte. Erst in den Maitagen des Jahres ’37 sollten diese Komitees wieder eine herausragende Rolle als autonome Organisation des Proletariats gegen die kollaborationistische Führung der CNT spielen.

Während auf den Straßen Barcelonas die Kämpfe zwischen den Putschisten und den Proletariern, die sich ihnen widersetzten, andauerten, schlossen sich die sozialdemokratischen Organisationen zu einem Comité de Enlace (Verbindungskomitee) zusammen, das sich später Comité Central de la Milicias AntifascistasCCMA – (Zentralkomitee der Antifaschistischen Milizen) nannte, um die staatlichen Institutionen wieder aufzubauen und das Proletariat in sie einzubinden. Für diese Aufgabe brauchten sie die CNT, denn sie war die einzige Organisation, die in der Lage war, das Proletariat auf die Wiederherstellung des Staates auszurichten. Eine Rolle, die sie sehr bereitwillig angenommen haben. Companys berief das Comité Regional (Regionalkomitee) der CNT für den 20. ein, und für denselben Tag wurde eine CNT-FAI-Plenarsitzung einberufen, um eine Entscheidung zu treffen, aus der unter anderem ein Gefolge von Durruti, García Oliver, Abad de Santillán und Aurelio Fernández aufbrechen würde. Dieses Gefolge bedeutete bereits, die Errichtung der Diktatur der Bedürfnisse für die antifaschistische Zusammenarbeit zurückzustellen.

Das schrecklichste Beispiel für den Antiautoritarismus, für die schrecklichen Folgen, wenn man das Problem der Macht in der Revolution als etwas betrachtet, das die Revolutionäre nicht betrifft, da es im Idealfall die Ursache für die Korruption des Menschen ist. Der Idealismus mag weit von der Realität entfernt sein, aber seine Folgen bekamen in jenen Jahren Tausende von Proletariern zu spüren. Bei dem oben erwähnten Treffen mit Companys und den übrigen Kräften, die dieses Verbindungskomitee bildeten, entstand das Zentralkomitee der Antifaschistischen Milizen, das noch am selben Tag vom Comité Regional Ampliado (Erweiterten Regionalkomitee) angenommen wurde, bis es am nächsten Tag von der Plenarversammlung bestätigt wurde. Allerdings würde dieses Treffen wenig bewirken, außer den Autoritarismus der antifaschistischen Politik zu verdeutlichen, die nur die Kollaboration der Klassen versteht. Es war der Beginn der Konterrevolution und der Beginn des imperialistischen Krieges31.

Von einer Dualität der Macht zwischen dem CCMAComité Central de las Milicias Antifascistas (Zentralkomitee der Antifaschistischen Milizen) und der Regierung der Generalitat kann keine Rede sein, da es nie ein Zentrum der Arbeitermacht gab. Obwohl Trotzki und damit auch Munis die CCMA als Klassenorgan und nicht als das verstanden, was sie war, nämlich ein Organ der Kollaboration der Klassen. Im Falle Kataloniens könnte man statt von einer Dualität der Mächte zwischen dem CCMA und der Generalitat von einer Duplizität der Mächte sprechen, bei der der CCMA als Vermittler zwischen den revolutionären Komitees und dem Zusammenbruch des Staatsapparats fungieren würde. Bei dieser Aufgabe war die Rolle der CNT von wesentlicher Bedeutung, um das Proletariat zu formieren, das durch den Antifaschismus voll in den innerbourgeoisen Konflikt eintreten würde. Die CNT war der wichtigste Vertreter der Sozialdemokratie als historische Partei der Bourgeoisie für das Proletariat. Der CCMA war ein Pakt zwischen bourgeoisen Organisationen, Arbeiterorganisationen und staatlichen Institutionen, er war nichts anderes als die Wiederherstellung des bourgeoisen Pols nach dem revolutionären Tag des 19. Juli. Die revolutionären Komitees hingegen waren die Selbstorganisation des Proletariats in einem revolutionären Moment, auch wenn sie sich ohne Koordination und Zentralisierung nicht zu echten Machtorganen entwickelten. Auch der Einfluss der antifaschistischen Ideologie hatte einen großen Einfluss auf sie, was dazu führte, dass viele von ihnen zu antifaschistischen Komitees wurden.

„Nach Angaben von García Oliver wurde Komitee auf Vorschlag von Präsident Companys eingesetzt. Wahrscheinlich war dies der Fall, denn niemand konnte klarer als Companys erkennen, dass man, um den Krieg zu gewinnen, um einen Teil der Werte und Institutionen des republikanischen Regimes vor dem revolutionären Orkan zu retten und um den revolutionären Terror einem Minimum an Kontrolle zu unterwerfen, ein zentrales Regierungsorgan brauchte – eine De-facto-Regierung, wenn auch nicht dem Namen nach, an der die CNT-FAI-Führer teilnehmen konnten, ohne in Misskredit zu geraten, und die den Krieg leiten sollte, bis der Zeitpunkt gekommen war, an dem die nominelle Regierung in der Lage war, die unverzichtbaren Instrumente der realen Macht wiederzuerlangen.“ Bolloten32 S. 604-605

Nachdem der CCMA zusammen mit der CNT gegründet worden war, wurden die ersten Kolonnen der Milizionäre gebildet. Als sich die Kolonnen auf Anweisung von Durruti bereits formiert hatten, traf sich die Grupo Nosotros zum letzten Mal. Dieses Treffen ist ein lebendiges Beispiel dafür, was „der Anarchismus“ in den 1930er Jahren war: Insurrektionalismus, revolutionärer Instinkt und Kollaborationismus zugleich. Bei diesem Treffen schlug García Oliver vor, alle ihm zur Verfügung stehenden Männer einzusetzen und statt nach Zaragoza zu marschieren, die Machtzentren in Barcelona einzunehmen, während Durruti, der Verfechter des Antifaschismus, sich bereit erklärte, unter dem Banner der Volksfront in den innerbourgeoisen Krieg zu ziehen. Die Sitzung endete mit der Auflösung der Gruppe und der Zustimmung zur Position von Durruti. In den Milizen wie der Columna de Hierro (Eisernen Kolonne) oder der Columna Durruti (Durruti-Kolonne), die zwischen Ende Juli und Anfang August an die Front zogen, befanden sich viele erfahrene Revolutionäre, die, getrieben von dem Gedanken, dass Krieg und Revolution gleichzeitig geführt werden mussten, die Nachhut verließen, wo sie der Revolution sicher mehr geholfen hätten. Mit der Schaffung der Milizen und der Akzeptanz eines Zweifrontenkrieges, bei dem eine Front der demokratische Staat und die andere der faschistische Staat war, wurde die Möglichkeit eines Krieges zwischen den Klassen ausgeschlossen und der Krieg als Konflikt zwischen zwei Fraktionen der Bourgeoisie akzeptiert. Das Proletariat, das die Hauptfigur des Juli-Aufstands gewesen war, beugte sich den Methoden und dem Programm der Bourgeoisie, verzichtete darauf, für sein Programm zu kämpfen und schaufelte sich sein eigenes Grab. Die Militarisierung der Milizen, die im Oktober stattfand und von einigen als zentrales Moment des konterrevolutionären Prozesses angesehen wird, ist nichts anderes als die logische Fortsetzung der Entwicklung und Strukturierung einer jeden Armee. Die bourgeoise Armee entsteht also nicht erst mit der Militarisierung, sondern wurde bereits zu dem Zeitpunkt geschaffen, als sie zur Teilnahme am innerbourgeoisen Krieg zugelassen wurde.

Nachdem die PSUC – eine stalinistische Partei, die nach den Julitagen aus der Fusion verschiedener sozialdemokratischer Parteien hervorgegangen war – und die ERC Anfang September versucht hatten, eine neue Regierung der Generalitat zu bilden, um die Macht der CNT-FAI und der Komitees zu begrenzen, schlug die CNT selbst die Auflösung der CCMA vor. Laut Abad de Santillán war der Vorschlag der CNT, die CCMA aufzulösen, darauf zurückzuführen, dass die einzige Möglichkeit, den Krieg nicht zu verlieren, darin bestand, das Komitee aufzulösen und Teil einer Regierung der Generalitat zu werden, da nur diese die Gunst der Zentralregierung hätte und Mittel zum Kauf von Waffen im Ausland erhalten würde.

Es wurde eine neue Regierung mit allen antifaschistischen Kräften gebildet, die auf Antrag der CNT in Consejo de la Generalitat (Rat der Generalitat) umbenannt wurde, um ihre Beteiligung ideologisch zu rechtfertigen. Sie behielten das gleiche Programm wie der Consejo de Economía del CCMA (Wirtschaftsrat des CCMA) bei. Die neue Regierung wurde am 28. September von Tarradellas gebildet, dem ehemaligen Vertreter der Generalitat und Companys‚ rechter Hand im CCMA. Die CNT kontrollierte nur drei von zwölf Ämtern (Ökonomie, Gesellschaft und Öffentliche Hilfe und Versorgung), während Andreu Nin für die POUM das Amt für Arbeit und öffentliche Dienste innehatte. Montseny rechtfertigte den Eintritt in die Regierung der Generalitat auf diese widerwärtige Weise:

In Russland hatten die Anarchisten versucht, ihre Ideen in Regionen wie der Ukraine zu verwirklichen, wo sich der libertäre Kommunismus etabliert hatte, aber da sie nicht an allen Bereichen des öffentlichen Lebens teilnahmen, wurden sie von der politischen Führung ausgeschlossen und mit Blut und Feuer verfolgt. Aus diesem Grund haben wir es uns in Katalonien zur Aufgabe gemacht, uns überall einzubringen, überall mitzumachen und überall zu sein. So haben wir in Spanien auch in der Politik eine Revolution gemacht. Es geht nicht darum, Prinzipien zu verletzen, sondern ein wenig zu akzeptieren, was die Geschichte uns gelehrt hat.“

Am 9. Oktober ordnete die Generalitat die Auflösung der revolutionären Komitees an, die nach dem Juli entstanden waren, um die CNT zu schwächen, die über die Junta de Seguridad (Sicherheitsjunta) die patrullas de control (Kontrollpatrouillen), die bewaffneten Arbeiter selbst und das gesamte Netzwerk der noch bestehenden Komitees kontrollierte. Sie würden dann durch Gemeinderäte ersetzt, in denen die Organisationen entsprechend ihrer Beteiligung an der Regierung vertreten wären. Gleichzeitig wurde mit Unterstützung der CNT das Dekret über die Kollektivierung verabschiedet, das den Gewerkschafts-, Syndikatskapitalismus33 und einen starken Interventionismus der Generalitat etablierte. Der frühere Eigentümer wurde durch einen Komitee ersetzt, das sich aus Arbeitern, Verwaltungstechnikern und sogar einigen ehemaligen Eigentümern zusammensetzte, alles unter der Aufsicht eines Prüfers der Generalitat.

Am 4. September wurde Largo Caballero zum neuen Präsidenten und gleichzeitig zum Kriegsminister ernannt. Diese Regierung setzte sich hauptsächlich aus Sozialisten ( gemäßigte und linke) und „Kommunisten“ zusammen. Largo Caballero bot der CNT zunächst nur ein Ministerium ohne Portefeuille an, was das Pleno Nacional (nationale Plenum) ablehnte. Die CNT wollte nicht aus revolutionärer Überzeugung in die Regierung eintreten, sondern weil sie der Meinung war, dass sie aufgrund ihrer Anerkennung in der Arbeiterklasse mehr Gewicht in der neuen Regierung verdiente. Um die Entscheidung zu rechtfertigen, der neuen Regierung beizutreten, erklärte die CNT:

Wir berücksichtigen die Skrupel, die die derzeitigen Regierungen angesichts der internationalen Realität haben könnten… und aus diesem Grund macht die CNT das größtmögliche Zugeständnis, das mit ihrem antiautoritären Geist vereinbar ist: das Einschreiten in die Regierung. Das bedeutet nicht, dass auf die volle Bewahrung der eignen Ideen in der Zukunft verzichtet wird; es bedeutet nur, dass sie vor der Wahl steht, im schmutzigen Griff der Reaktion unterzugehen oder die höchste emanzipatorische Hoffnung, die dem Proletariat aller Länder offensteht, zu vereiteln, und dass sie bereit ist, mit jedem zusammenzuarbeiten, innerhalb der Führungsorgane, die sich Räte oder Regierungen nennen, um den Kampf zu gewinnen und die Zukunft unseres Volkes und der Welt zu retten.“

Am 3. November trat die CNT in die Regierung ein und übernahm die Ministerien für Justiz, Industrie, Handel und Gesundheit. Dies war natürlich nicht nur Teil der antifaschistischen Politik, durch die Einbindung der CNT in die Regierung gewann sie nicht nur an Legitimität gegenüber dem radikalsten Teil der Arbeiterbewegung, sondern öffnete auch die Tür zur Wiedererlangung (A.d.Ü, recuperación, Rekuperation) aller Autorität und repressiven Kapazitäten, die der Staat nach den Ereignissen des Juli verloren hatte. Vier Tage später zog die Regierung aus Angst vor der franquistischen Machtübernahme in Madrid nach Valencia um.

Zum Eintritt der Anarchistinnen und Anarchisten in die Regierung sagte Largo Caballero: „Vom Terrorismus und der direkten Aktion gingen sie zur Kollaboration und zur Teilhabe an der Macht über… Es war ein einzigartiger Fall in der Welt und er würde nicht steril sein“.

Eine weitere, noch widerwärtigere Rechtfertigung für den Eintritt der CNT in die Regierung:

Der Eintritt der CNT in die Zentralregierung ist eines der folgenreichsten Ereignisse in der politischen Geschichte unseres Landes. Die CNT war aus Prinzip und Überzeugung immer ein Staatsfeind und ein Feind aller Regierungsformen.

Aber die Umstände … haben das Wesen der Regierung und des spanischen Staates entstellt.

Die Regierung als regulierendes Instrument der Staatsorgane hat heute aufgehört, eine Unterdrückungsmacht gegen die Arbeiterklasse zu sein, so wie der Staat nicht mehr den Organismus darstellt, der die Gesellschaft in Klassen trennt. Und beide werden mit dem Eingreifen von Elementen der CNT noch mehr aufhören, das Volk zu unterdrücken.“

Als Reaktion auf den raschen Vormarsch der franquistischen Truppen im Süden und die Einnahme von Toledo Ende September setzte die Regierung am 14. Oktober eine Reihe von Dekreten in Kraft, die zur Militarisierung der Milizen und zur Schaffung der so genannten Roten Armee unter dem theoretischen Kommando von Largo Caballero führten, das in Wirklichkeit nur eine Fassade war, da das eigentliche Kommando von den sowjetischen und Komitern-Gesandten ausgeübt wurde.

Die spanische Regierung und insbesondere das für die Operationen zuständige Ministerium sowie die Generalstäbe, vor allem der Zentralstab, konnten nicht in absoluter Unabhängigkeit vorgehen, da sie gegen ihren Willen einer fremden, unverantwortlichen Einmischung unterworfen waren, von der sie sich nicht befreien konnten, weil sie die Hilfe Russlands gefährdeten, die wir durch den Verkauf von Kriegsmaterial erhalten hatten. Manchmal erlaubten sich die russische Botschaft und die Generäle unter dem Vorwand, dass ihre Befehle nicht so pünktlich ausgeführt wurden, wie sie es wünschten, mir gegenüber ihren Unmut zu äußern, indem sie sagten, dass wir, wenn wir ihre Zusammenarbeit nicht für notwendig und wünschenswert hielten, dies klar und deutlich sagen sollten, damit sie ihre Regierung informieren und abreisen könnten.“

Die Anwendung der Militarisierung erfolgte nicht sofort, da sich viele anarchistische Militante dagegen wehrten, wie z.B. die vierte Gelsa-Gruppierung der Columna Durruti, die mit Waffen nach Barcelona zurückkehrte und sich der Gruppierung Los Amigos de Durruti34 oder der Columna de Hierro anschloss, obwohl die CNT keine Probleme damit hatte und einen Monat später der gleichen Regierung beitrat, die sie angewendet hatte.

Und sie hatten allen Grund, gegen die Militarisierung zu sein, zumal die CNT einige Monate vor dem Bürgerkrieg auf ihrem Kongress eine Resolution verabschiedete, in der es hieß, dass jedes stehende Heer eine Bedrohung für die Revolution sei und nur das bewaffnete Proletariat ihre Verteidigung garantieren könne, aber der Wirbelsturm des Antifaschismus fegt alles zugunsten der Klassenkollaboration hinweg. Doch wie die BILAN-Mehrheit zu Recht feststellte, war die Bildung der Milizen, die gegen die Putschisten kämpften, bereits Teil des Prozesses zum Wiederaufbau des bourgeoisen Staates. Sie hätten zwar nicht das Aussehen einer konventionellen Armee, erfüllten aber inhaltlich die gleiche Funktion, nämlich die Verteidigung des Staates und der Bourgeoisie, auch wenn sie rot eingefärbt seien.

Wir wollen keine nationale Armee. Wir wollen populäre Milizen (A.d.Ü., Volksmilizen), die die Verkörperung des Willens und des freien Lebens des spanischen Volkes sind. Wie vor diesem sozialen Krieg schreien wir auch jetzt wieder: Nieder mit den Ketten! Die Armee ist die Kette, das Symbol der Tyrannei. Abschaffung der Armee.“

Textanhang: Kritik an den Kollektivitäten

Nachdem wir uns mit den wichtigsten Ereignissen dieser Zeit befasst haben, halten wir es für wichtig, die Ereignisse im Umfeld der berühmten Kollektivitäten zu analysieren. Häufig wird diese Analyse von den „politischen“ Ereignissen getrennt, als ob dies möglich wäre. Es ist von „Krieg und Revolution“ die Rede, und zwar auf höchst verwirrende Weise. Wir wollen hier Klarheit schaffen, indem wir die für die Sozialdemokratie typische Trennung zwischen Wirtschaft und Politik kritisch hinterfragen. Das heißt, wir wollen zu Protokoll geben, dass der Verlust der Autonomie des Proletariats nach dem schändlichen Pakt mit der Bourgeoisie nach den Julitagen in keiner Weise irgendeine Verbesserung in Form von sozialen und wirtschaftlichen Vorteilen für das Proletariat gebracht hätte. Wir gehen von einer völlig entgegengesetzten Position aus; die Kollektivierung war eine Waffe der Bourgeoisie in einem für sie heiklen Moment und daher bedeutete dies mehr Elend und Opfer für die Ausgebeuteten, die Unterstützung des Proletariats für den antifaschistischen Kampf hatte eindeutig eine Stärkung des Kapitalismus bedeutet.

Wir haben bereits gesehen, dass die II República (Zweite Republik) die Landnahme des Landproletariats, insbesondere in den Regionen Andalusien und Extremadura, von Anfang an hart unterdrückt hat. Mit dem Amtsantritt der Volksfrontregierung änderte sich dies keineswegs. Wir haben bereits oben gesehen, dass die Wahlversprechen der Agrarreform – wie es nicht anders sein konnte – nichts weiter als toter Buchstabe waren, und so wurden viele Ländereien gewaltsam beschlagnahmt und dann von der fortschrittlichen Regierung der Volksfront brutal unterdrückt.

Die Bodenreform war eine der wichtigsten Maßnahmen, die die republikanische Regierung von Anfang an versprochen hatte. Es handelte sich um einen Versuch des Staates, die mächtigen Kämpfe, die seit den 1920er Jahren auf dem Lande stattfanden, zu zerschlagen. Die Republikaner versprachen mit der demagogischen Formel „Schluss mit den Großgrundbesitzern auf dem Lande“ die Vergabe von Land an die Bauern und eine angebliche Umverteilung des landwirtschaftlichen Besitzes, was nur in seltenen Fällen und unter lächerlichen Bedingungen geschah. Die wenigen Zugeständnisse, die das Institut für Agrarreform gewährte, erfolgten unter den Bedingungen eines bourgeoisen Individualismus, der mit dem gemeinschaftlichen Charakter der Landnahme durch die Bauern konfrontiert wurde. Der republikanisch-populistische Ansatz, einige wenige „señoritos“35 auszusondern, war bereits ein Hinweis auf die Entflechtung des Kampfes, da es nicht mehr darum ging, die Bourgeoisie als Ganzes zu bekämpfen, sondern nur noch gegen einige wenige Männer dieser.

Die Regierung der Volksfront schlug als Wahlkampfmaßnahme die Wiederaufnahme der Agrarreform vor, aber die Weigerung, etwas zu bewilligen, führte zu der bereits erwähnten massiven Beschlagnahmung von Land. In diesem Zusammenhang fand das Massaker von Yeste statt, bei dem 17 Bauern von der Guardia Civil getötet wurden, nachdem ein Teil der Bevölkerung versucht hatte, vom Staat enteignetes Land zurückzugewinnen. Wie bei den Ereignissen in Casas Viejas im Jahr 1933 handelte es sich bei den Geschehnissen in Yeste nicht um ein isoliertes Ereignis, sondern um eine Episode, die stellvertretend für eine allgemeine Situation steht, in der die Bauernschaft die Regierung der Volksfront bis an die Grenzen trieb, was für das Verständnis der Gründe für den militärischen Putsch entscheidend sein wird.

Wir möchten diesen Kampf des Agrarproletariats aus zwei Gründen hervorheben. Die wichtigste ist, dass wir die Trennung zwischen den Kämpfen auf dem Land und in der Stadt ablehnen, wie es die sozialdemokratische Ideologie tut. Der andere Grund ist, den Widerstand der Bourgeoisie gegen jeden Versuch der Ausgebeuteten, sich die Verbesserung ihrer Lebensbedingungen mit Gewalt anzueignen, deutlich zu machen. Dies wird helfen, die Farce des Kollektivierungsprozesses zu verstehen, der nach den Julitagen stattfinden wird.

Die Kriegswirtschaft in der Zeit nach den Julitagen

Nach dem fulminanten Aufstand des Proletariats am 19. Juli hatte die gesamte Bourgeoisie gezittert. Die Angst beschränkte sich nicht auf diesen oder jenen Politiker wie Azaña oder Companys, sondern hatte sich auf die Bosse, Firmenchefs usw. ausgebreitet. Viele von ihnen mussten fliehen, sie verließen ihre Fabriken und Ausbeutungszentren, wenn sie nicht direkt von den Arbeitern selbst hingerichtet wurden. Die Lähmung durch den Putsch der Bourgeoisie hat auch die Wirtschaft lahmgelegt. Mit dem Kräfteverhältnis zugunsten der Revolutionäre wurden Betriebsräte zusammen mit anderen autonomen Organisationen gebildet, und auf dem Land konnte die Verteilung von Land durch das Proletariat autonom durchgeführt werden.

Wir haben bereits erklärt, dass das Proletariat nach der Allianz mit der Bourgeoisie – im Namen des Antifaschismus – in der Woche nach dem Putsch verraten wurde, zwischen zwei Fronten eines innerbourgeoisen Krieges eingeklemmt war und nur als Kanonenfutter in einem Krieg diente, der nicht sein eigener war, da das Ziel dieses Konflikts nichts anderes war als das Überleben des Kapitalismus.

Sobald dieser Pakt geschlossen war, griffen die Gewerkschaften/Syndikate als bourgeoise Vermittlungs- und Rekuperierungsorgane (A.d.Ü., recuperación) in die Neutralisierung der Autonomie des Proletariats ein, mit der CNT und der UGT an der Spitze. Beide Gewerkschaften/Syndikate riefen dazu auf, nach dem Generalstreik die Arbeit wieder aufzunehmen. Die POUM rief zwar zunächst dazu auf, den Streik fortzusetzen, aber nur, um „den Faschismus zu stoppen“. Am 30. Juli wies sie jedoch auch die Arbeiter an, in die Fabriken zurückzukehren.

Companys seinerseits räumt einige ökonomische Maßnahmen ein, wie z.B. eine Verkürzung der Wochenarbeitszeit und eine Erhöhung der Löhne in einigen Sektoren, um die Rückkehr zur kapitalistischen Normalität zu erleichtern. In Wirklichkeit waren dies nichts anderes als Zugeständnisse, die jede Bourgeoisie in Zeiten der Kriegswirtschaft macht. Darüber hinaus dient diese Anerkennung bestimmter unmittelbarer Forderungen der Arbeiter durch den Staat dazu, die unmittelbaren Bedürfnisse der Arbeiter von den historischen und endgültigen Bedürfnissen zu trennen, unabhängig vom Staat und dem geografischen Ort des Konflikts. Was passierte am Ende mit den 8 Stundentag, nach dem Streik in la Canadiense 1919, diese Zugeständnisse zielen nur auf den Fortbestand des Kapitalismus ab, ohne eine seiner Säulen anzutasten.

Nach der Flucht der Bosse und der Bourgeoisie funktionierten die Produktionszentren also wieder ohne sie, sondern unter der Führung der Gewerkschaften. So traten die comités de fábrica (Fabrikkomitees) am 11. August dem consejo de economía (Ökonomischer Rat) bei, der aus dem Estado Republicano Catalán (Republikanischer Staat Katalonien), der CNT, der FAI, der UGT, der POUM, der Acción Catalana (Katalanische Aktion) und der Unión Republicana (Republikanische Union) bestand. Das Programm des ökonomischen Rates machte bereits deutlich, dass es sich um eine von den Gewerkschaften/Syndikate ausgeübte Verwaltung handelte, die von der Generalitat zentralisiert wurde und, wie es nicht anders sein konnte, das Privateigentum respektierte und dass es im Wesentlichen darum ging, die Ausbeutung selbst zu übernehmen.

Der Stalinismus seinerseits beteiligte sich über die PCE ebenfalls am konterrevolutionären Karneval. La Pasionaria, eine unvergleichbare reaktionäre Figur, rief in den Julitagen zu einer „bourgeoisen Revolution“ auf, während Mundo Obrero, das Organ der PCE, eine sehr klare Parole ausgab: „Keine Streiks im demokratischen Spanien“.

Es sei darauf hingewiesen, dass viele der so genannten Kollektivierungen mit der Zustimmung der Bosse selbst durchgeführt wurden. Eine so bedauerliche Persönlichkeit wie Gaston Leval hat über den Prozess der Kollektivierung in Valencia Folgendes zu sagen:

Aus dem Wunsch heraus, die Produktion zu modernisieren und die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen zu bekämpfen, berief die CNT am 1. September 1936 eine Vollversammlung ein. Neben den Arbeitern wurden auch die Arbeitgeber eingeladen, sich an der Kollektivität zu beteiligen. Und sie kamen überein, sich zusammenzuschließen, um die Produktion und das Leben auf einer neuen Grundlage zu organisieren.

Ungeachtet dessen, was der Prozess der Kollektivierung für die Bourgeoisie bedeutete, wurde er als Triumph der Arbeiter verkauft, die endlich – wie sie behaupteten – die Produktion kontrollieren und die Unternehmen und Produktionszentren zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse leiten konnten, während in Wirklichkeit das Gegenteil der Fall war. Nachdem das Proletariat aus seinem Klassenterrain herausgerissen worden war, wurde es, anstatt weiter zu streiken und zu enteignen, um seine eigenen Interessen zu befriedigen, dazu gebracht, den kapitalistischen Staat wieder aufzubauen und als Gefangene der Kapitalverwaltung zu enden.

Die staatliche Verwaltung der Kollektivitäten würde fortgesetzt, und der bereits erwähnte Consejo de Economía (Wirtschaftsrat) würde im Oktober durch ein Regierungsdekret abgelöst, an dem sowohl die CNT als auch die Stalinisten der PSUC teilnehmen würden. Dieser ganze Prozess führte zu einer fortschreitenden Militarisierung der Arbeitsplätze durch die so genannten patrullas de control (Kontrollpatrouillen). Die CNT verbot die Kämpfe um Forderungen und forderte ständig eine Steigerung der Produktion. Ein bezeichnendes Beispiel für diese produktivistische Hysterie war García Olivers Einweihung des Arbeitslagers in Totana, an dessen Eingang zu lesen war: „Arbeite und verliere die Hoffnung nicht“, was sich nicht so sehr von dem „Arbeit macht frei“ der nationalsozialistischen Konzentrationslager unterscheidet.

Ein weiterer Mythos der so genannten Kollektivitäten ist die angebliche Tatsache, dass die Arbeiter Verbesserungen erzielt und die Produktion kontrolliert haben. Offensichtlich ist dies nur eine weitere Unwahrheit. Die Kaufkraft der Arbeiter fiel zwischen Juli 1936 und Dezember 1938 um nicht weniger als 200 %. Die Preise und die Arbeitslosigkeit stiegen trotz des Abschlachtens der Proletarier an den Kriegsfronten. Der Arbeitstag, der in einem Handstreich der Bourgeoisie im Namen von Companys zur Beruhigung des Aufstands von 44 auf 40 Stunden verkürzt worden war, wurde auf 48 Stunden pro Woche erhöht. Darüber hinaus stellte die CNT im Dezember klar, dass die Hälfte der Einnahmen jedes Unternehmens für die Kosten und Ressourcen des Unternehmens selbst und die andere Hälfte für die Gemeinde oder den Landkreis verwendet werden soll. Kurzum: nichts für die Arbeiter. Durch den Prozess der Kollektivierung und der Arbeiterkontrolle hatten die Arbeiter ausbeuterische Bedingungen akzeptiert, die sie nicht toleriert hätten, wenn sie von den früheren Chefs auferlegt worden wären.

Man muss schon ein sehr fantasievoller Lügner sein, um in irgendeiner dieser Maßnahmen einen wirtschaftlichen und sozialen Nutzen für das Proletariat zu sehen. Wie wir bereits dargelegt haben, hatten die Kollektivitäten nur mehr Elend, Ausbeutung, Kontrolle und Unterwerfung unter das Kapital bedeutet.

Ein besonders aussagekräftiges konkretes Beispiel für die Kollektivierungen ist die gewaltige Entwicklung der Kriegsindustrie in Katalonien. Wir wollen uns nicht nur auf eine Region konzentrieren, aber die Entwicklung bestimmter Ereignisse ist bezeichnend für den Verlauf der Ereignisse. Nun, in Katalonien, dem Gebiet des spanischen Staates, in dem die meiste Industrie angesiedelt war, gab es bis zum 19. Juli 1936 überhaupt keine Fabriken und Industrien. Im Oktober des folgenden Jahres waren bereits mehr als 400 Fabriken für die Kriegsindustrie entstanden. Diese exponentielle Produktion von Rüstungsgütern wurde vom Staat nur wenige Tage nach dem Stopp des Putsches durch das Proletariat angekurbelt. Die CNT übernahm sofort die Führung und ernannte Eusebio Vallejo mit Zustimmung von García Oliver zum Leiter der Zentralisierung dieser Industrie. Wenige Tage später wurde die Kommission für die Kriegsindustrie gegründet, ein von der Generalitat abhängiges Gremium, und Vallejo sollte der Delegierte und Verantwortliche dafür sein, die Arbeiter dazu zu bringen, sich auf ihre eigene Ausbeutung zu konzentrieren, während sie für den innerbourgeoisen Krieg produzieren. Die Entwicklung der Rüstungsindustrie war für die Bourgeoisie so positiv, dass Companys selbst sie in einem Brief an Indalecio Prieto anerkannte:

Ich kann Ihnen versichern, dass die Masse der Arbeiter in Katalonien immer die maximale Anstrengung unternommen hat, ohne irgendwelche Verhandlungen, die Mehrheit der Arbeiter arbeitet die 56-Stunden-Woche, die anderen machen Überstunden ohne Bezahlung und der Rest verdient höchstes Lob – wie die Arbeiter der Häuser von Girona, Riviere, Ezalde und andere – die trotz der Bombenanschläge und der Opfer, die sie in ihren Fabriken verursachten, mit dem gleichen Enthusiasmus wie immer weiterarbeiteten.“

In der Landwirtschaft ist dasselbe passiert wie in den städtischen Sektoren. Zunächst der Rat für Wirtschaft und dann der Rat der Generalitat, umrahmten alle Initiativen, die die Autonomie des Proletariats auf dem Lande zugunsten des Krieges implizierten. Im Oktober genehmigte der stalinistische Kriegsminister Uribe in Madrid die „Enteignung“ zugunsten des Staates als eine Maßnahme zur Neutralisierung und als eine weitere Maßnahme einer bourgeoisen Regierung in einem Kontext der Kriegswirtschaft.

Weder Verwaltung noch Politik36: Diktatur des Proletariats.

In diesem Zusammenhang möchten wir etwas zu Protokoll geben, das wir bereits oben kommentiert haben. Einige Sektoren, vor allem libertäre und trotzkistische, neigen dazu, die Idee zu akzeptieren, dass, obwohl der Krieg vom Klassenstandpunkt aus mit der Unterstützung der Linken akzeptiert worden wäre, auch die Tatsache, einen Pakt mit der republikanischen Seite zu schließen, die Revolution auf wirtschaftlicher und sozialer Ebene ermöglicht hätte, und als Beispiel für letztere wären die Kollektivitäten und die so genannten „Sozialisierungen“ der Industrie und die „Arbeiterkontrolle“ zu nennen. Wir müssen auf diesem Punkt bestehen.

Indem man den Staat intakt ließ, nachdem das Proletariat nach den Julitagen aus seinem Klassenterrain herausgerissen worden war, hätte man alle Aspekte der Wirtschaft, des Sozialen und auch des Militärs auf den Wiederaufbau des Staates und der kapitalistischen Wirtschaft als Ganzes konzentriert. Genauso wie wir die typisch leninistisch-reaktionäre Position kritisieren, die die Ergreifung der Staatsmacht durch eine Partei als Hauptmaßnahme ansieht, müssen wir die andere Position bekämpfen, nach der der Kapitalismus verwaltet werden könnte, sobald seine sichtbarsten Erscheinungsformen scheinbar verschwunden sind.

Die BILAN-Gefährten haben es am besten erklärt:

Angesichts eines Klassenbrandes kann der Kapitalismus nicht einmal daran denken, auf die klassischen Methoden der Legalität zurückzugreifen. Was bedroht ist, ist die Unabhängigkeit des proletarischen Kampfes, der die andere revolutionäre Etappe zur Abschaffung der bourgeoisen Herrschaft bedingt. Folglich muss der Kapitalismus das Netz seiner Kontrolle über die Ausgebeuteten neu knüpfen. Die Fäden dieses Geflechts, die früher die Magistratur, die Polizei und die Gefängnisse waren, verwandeln sich in der extremen Situation von Barcelona in die Komitees der Milizen, die vergesellschafteten Industrien, die Arbeitergewerkschaften, die die wesentlichen Sektoren der Wirtschaft verwalten, usw.“

Wenn also dem Kapitalismus nicht ein Ende gesetzt wird, erweist sich die Konterrevolution in ihren verschiedenen Formen als elastisch. Deshalb sind all diese vielgepriesenen Sozialisierungen nichts anderes als das Ergebnis der Niederlage des Antifaschismus. Der Kampf gegen einen gemeinsamen Feind beseitigt nicht die sozialen Unterschiede. Und welche soziale Klasse ist stolz auf ihre Niederlage, wenn man bedenkt, dass Companys und andere Bourgeois die Kollektivitäten loben?

In Analogie dazu erweitern wir von diesem Standpunkt aus die Analyse der angeblichen Militarisierung der Milizen. Es kommt nicht so sehr darauf an, ob dieser Bourgeois oder jener Arbeiter die Armee anführt, sondern es kommt auf das Kräfteverhältnis an, darauf, welcher Krieg letztlich geführt wird, ob es sich um einen Klassenkampf handelt oder um einen innerbourgeoisen Krieg, bei dem das Proletariat als Kanonenfutter herhalten muss. Daran ändert sich auch nichts, wenn die Person, die die Waffe führt, eine Frau ist, wie uns die bourgeoise Propaganda durch die Mystifizierung der Milizionärin mit dem Gewehr in der Hand glauben machen will.

Wir teilen die libertäre Kritik am Staat. Wir vermuten jedoch, dass diese Kritik verwässert wird, sobald ihre offensichtlichsten Formen in den Hintergrund treten. Der Staat ist nicht nur ein Zwangsinstrument in den Händen der Bourgeoisie. Wenn der Staat so verstanden wird, ist es verständlich, dass viele glauben, wenn die Polizei, die Bourgeoisie oder die Richter verschwinden, verschwindet auch der Kapitalismus.

Auf diese Weise, so die Libertären, wäre die Zerstörung des Staates nicht mehr notwendig und es wäre nur notwendig, diese Formen durch verschiedene konföderierte Gemeinschaften zu ersetzen.

All dies beweist die Notwendigkeit der Diktatur des Proletariats, um dem Kapitalismus ein Ende zu setzen. Wenn das Kapital als gesellschaftliches Verhältnis nicht zerstört wird, wird es unweigerlich dazu neigen, sich selbst zu reproduzieren. Was zählt, ist der Inhalt der Revolution, der in diesem Fall darin besteht, den Wert und den Staat, der ihn reproduziert, abzuschaffen und gleichzeitig die menschlichen Bedürfnisse zu bekräftigen. Wir können eine Bewegung nicht nur anhand ihrer Formen als revolutionär bewerten. Wir haben bereits gesehen, dass Vergesellschaftungen nur eine der Formen der Konterrevolution waren und dass wir ohne eine kritische Analyse dieser Formen dazu verleitet werden, Interessen zu verteidigen, die nicht unsere eigenen sind. Sobald das inhaltliche Problem geklärt ist, wird sich auch das Problem der Formen, die die Revolution annimmt, von selbst lösen.


Revolution und Konterrevolution in der spanischen Region (VI)

Auf dem Weg zum Mai 1937

Im Mai 1937 wurden die Folgen der Niederlage des Proletariats immer deutlicher. Die Polarisierung des innerbourgeoisen Krieges verwandelte den Klassenkrieg mit zunehmender Kraft in einen imperialistischen Krieg. Auf republikanischer Seite wurde der Wiederaufbau des Staates von allen Kräften der Linken effizient durchgeführt, vor allem durch die PSOE, PCE, CNT, POUM und andere Satelliten, die unter dem Banner des Antifaschismus und der Volksfront vereint waren.

Die verhängnisvolle und ermüdende Proklamation, das kleinere Übel zu unterstützen, um den Faschismus zu bekämpfen, hatte es geschafft, die revolutionären Kräfte so in die Enge zu treiben, dass in Barcelona und anderen Regionen Kataloniens die Erinnerung an die Julitage am lebendigsten blieb, verglichen mit dem ganzen konterrevolutionären Spektakel, das sich nach dem Juli 1936 abgespielt hatte. Aus all diesen Gründen setzte die Bourgeoisie all ihr Interesse und ihre Energie darauf, dieser letzten proletarischen Hochburg mit ständigen Provokationen und Angriffen ein Ende zu bereiten.

Trotz all dieser ungünstigen Umstände führte die offensichtliche Tatsache, dass an den Geschehnissen nichts Revolutionäres war, zu einem Klima der Spannung und Opposition, das sich in der Bildung revolutionärer Minderheiten wie Los Amigos de Durruti im März 1937 oder in den unterschiedlichen Positionen der Sección Bolchevique-Leninista von Munis, die damals eine linke Ausprägung des Trotzkismus war, während der Mai-Ereignisse manifestierte. Wir werden später über die revolutionären Minderheiten sprechen, aber es ist wichtig festzuhalten, dass trotz der zunehmend ungünstigen Atmosphäre mitten im Kampf Widerstand und Fortschritte bei den programmatischen Positionen entstanden, die sehr wichtig waren und sind.

Die Situation der innerbourgeoisen Polarisierung innerhalb des spanischen Staates war ein Spiegelbild der angespannten internationalen Lage, die bereits einen Vorgeschmack auf den Konflikt gab, der später mit dem sogenannten Zweiten Weltkrieg kommen sollte. Auf der einen Seite standen sich Italien und Deutschland und auf der anderen Seite Frankreich und Russland (die UdSSR und Frankreich seit 1936, mit dem Laval-Stalin-Pakt) und später England theoretisch gegenüber, aber vereint, um das Proletariat als gemeinsamen Feind zu vernichten. In diesem Zusammenhang wollen wir auf das Verhältnis der Komplizenschaft zwischen den demokratischen Mächten und dem russischen Stalinismus hinweisen. Stalin wird oft als viel blutrünstiger dargestellt als das gemäßigte Frankreich und England. Das ist aber nicht der Fall. Der Stalinismus war vielmehr der Pitbull, der Vollstrecker der Demokratien, die in Spanien durch die PCE und PSUC als Vertreter der UdSSR agierten.

Darüber hinaus gibt es einen weiteren Mythos, der mit der angeblichen Angst zu tun hat, dass der Konflikt in der spanischen Region eine ausländische Intervention provozieren würde. Wir sagen, dass dies ein Mythos ist, denn diese Intervention gab es von Anfang an. Sowohl das Proletariat als auch die Bourgeoisie sind internationale Klassen, also fand die internationale Intervention von dem Moment an statt, als die spanische Bourgeoisie bedroht war. Klassensolidarität wirkt in beide Richtungen.

Die Ereignisse im Mai37

In Barcelona schlug immer noch ein doppelter Impuls ein. Einerseits war es die Stadt, in der der Widerstand gegen den Wiederaufbau des bourgeoisen Staates am größten war, andererseits war es auch der Ort, an dem sich die Spannungen aufbauten. Die Arbeiterinnen und Arbeiter in der Gegend, die Opfer zahlreicher Provokationen wie der Ermordung des Anarchisten Antonio Martin im April desselben Jahres geworden waren, wussten instinktiv, dass die Situation jeden Moment explodieren würde. Die Spannung war so groß, dass bereits am 1. Mai alle Demonstrationen und Feierlichkeiten abgesagt wurden.

Die Provokation, die den Frühling in Gang setzte, fand am 3. Mai statt. Rodriguez Salas, Generalkommissar für öffentliche Ordnung und Mitglied der PSUC, erschien mit drei Lieferwagen bewaffnet mit einem Befehl des Innenministers an der Telefonzentrale, einem strategischen Zentrum, das vollständig von den bewaffneten Proletariern übernommen wurde. Rodriguez Salas forderte die Arbeiterinnen und Arbeiter, die die Telefonzentrale übernommen hatten, auf, ihre Waffen abzulegen und das Gebäude seinem Kommando zu überlassen. Mit dieser Provokation war es mit der Geduld der Arbeiterinnen und Arbeiter vorbei, und sie reagierten, indem sie auf die Angreifer schossen und fast sofort in der ganzen Stadt einen Aufstand auslösten: Der Angriff auf die Telefonzentrale fand um 15 Uhr statt, und um 19 Uhr gab es in den wichtigsten Stadtteilen Barcelonas Barrikaden.

Diese schnelle und effektive Reaktion der Arbeiterinnen und Arbeiter hatte die von den Ereignissen überwältigte Bourgeoisie, einschließlich der CNT, völlig unvorbereitet getroffen. Die meisten Machtzentren der Stadt waren in Windeseile eingenommen worden. Trotzdem hielten Rodriguez und die gesamte PSUC an ihrer Entschlossenheit fest, die Telefongesellschaft (A.d.Ü., Telefónica) zu übernehmen.

Am 4. Mai wurde ganz Barcelona von den Arbeiterinnen und Arbeitern eingenommen. In der Zwischenzeit gingen die CNT und die FAI ihrer Arbeit nach und forderten im Radio ein Ende der Kämpfe, damit die Regierung der Generalitat die Kontrolle über den Konflikt übernehmen konnte, obwohl Companys und Tarradellas nicht bereit waren, eine Vereinbarung mit irgendeinem Delegierten der CNT zu treffen; sie waren eher daran interessiert, eine bewaffnete Intervention zu erzwingen, um das Eingreifen der Regierung von Valencia zu provozieren, die bereits um 1500 Guardias de Asalto gebeten worden war. Am selben Tag trafen die Minister der CNT in Barcelona ein, um der Kapitulation zuzustimmen, und es kam zu einer Episode, die die Arbeiterinnen und Arbeiter am stärksten anwiderte: García Oliver hielt eine Radioansprache, in der er die Arbeiterinnen und Arbeiter ausdrücklich um einen Waffenstillstand bat. Die Arbeiterinnen und Arbeiter nannten ihn schnell einen „Judas“, einige Gefährtinnen und Gefährten schossen auf das Radio… Sie konnten nicht glauben, dass sie solche Befehle von jemandem erhielten, den sie für einen Gefährten hielten.

Angesichts dieser Unzufriedenheit beschlossen Los Amigos de Durruti, den Kampf gegen die CNT-Direktiven voranzutreiben. Noch am selben Tag traf sich die kleine Organisation mit prominenten Mitgliedern der POUM (u. a. Andreu Nin und Gorkin), um die Lage zu erörtern. Sie kamen einstimmig zu dem Schluss, dass, da die CNT und die FAI nicht zum Aufstand übergehen würden, ein geordneter Rückzug angestrebt werden sollte, um blutige Repressionen zu verhindern. Mit anderen Worten, es wurde eine unmögliche Situation gefordert: einerseits ein Waffenstillstand der Arbeiterinnen und Arbeiter und andererseits eine nicht-repressive Antwort der Bourgeoisie. Am nächsten Tag, dem 5. Mai, verteilten Los Amigos de Durruti ihr berühmtes Flugblatt, in dem sie eine revolutionäre Junta und die Erschießung der Schuldigen forderten. Diese Erklärungen waren in der Tat abhängig von der Position der Führung des CNT.

Angesichts dieser Situation beschlossen Los Amigos de Durruti in der Nacht vom 4. auf den 5. Mai, ein polemisches Flugblatt herauszugeben, in dem sie die Geschehnisse erklärten, die revolutionären Positionen verteidigten und die Mitglieder der CNT-Führung scharf angriffen.Am 5. riefen die Regierung und die CNT verstärkt zu einem Waffenstillstand auf. Die Regierung der Generalitat trat als Ganzes zurück, während die Regierung von Valencia die öffentliche Ordnung und die Leitung des Krieges in Katalonien übernahm. Die Bourgeoisie hatte zunächst Mitglieder der FAI geschickt, um die Lage zu beruhigen, während sie plante, Truppen in den Hafen von Barcelona zu schicken.

Der Kampf ging auf den Barrikaden weiter, das am Vorabend vorbereitete Flugblatt wurde verteilt und von den Arbeiterinnen und Arbeitern gefeiert (einige Gefährtinnen und Gefährten starben sogar bei der Verteilung selbst). Die CNT brandmarkte diesen Aufruf zur Fortsetzung des Kampfes sofort als faschistisch, was Verwirrung stiftete und die Aufständischen demoralisierte. Auch die Sección Bolchevique Leninista verteilte ein Flugblatt auf den Barrikaden.

An diesem Tag fanden mehrere Treffen zwischen Los Amigos de Durruti und anderen revolutionären Minderheiten wie der POUMCélula 72 unter Leitung von Josep Rebull oder der Sección Bolchevique Leninista statt. Keines dieser Treffen führte zu einem Ergebnis.

Am 6. Mai gaben die CNT und die UGT ein gemeinsames Kommuniqué heraus, in dem sie zur Rückkehr zur Arbeit und zur Normalität aufriefen. Am selben Tag erklärte die CNT einen Waffenstillstand und forderte die Aufständischen auf, ihre Waffen niederzulegen. Die Rückkehr zur Arbeit wurde gefordert und 6000 Männer der Guardia de Asalto wurden in die Stadt hereingelassen. Der Waffenstillstand war nur teilweise, denn während viele Arbeiterinnen und Arbeiter auf Aufforderung der ihrer Meinung nach „eigenen“ Organisation das Schießen einstellten, wurden sie gleichzeitig auf den Barrikaden von den Stalinisten der PSUC beschossen und erpresst, sobald sie entwaffnet waren. Dieser Terror wurde von neuen Verleumdungen begleitet, die vor allem von Solidaridad Obrera gegen die Organisationen, die den Kampf unterstützten, verbreitet wurden. Diese Verleumdungskampagne beschränkte sich nicht nur auf Katalonien; auch die CNT in Madrid griff die Revolutionäre scharf an.

Diese Kombination von Faktoren brachte die Arbeiterinnen und Arbeiter der Telefonzentrale schließlich dazu, aufzugeben und ihre Waffen abzugeben, was einen sehr wichtigen Verlust einer strategischen Position bedeutete, die den Widerstand in anderen Teilen der Stadt schwächen würde (die Arbeiterinnen und Arbeiter konnten sich nicht mehr auf das Telefon verlassen).

Nach und nach übernahmen die Regierungstruppen die Kontrolle über Barcelona und rückten durch den Rest Kataloniens vor. García Oliver forderte die Arbeiterinnen und Arbeiter auf, diese „Gefährten“ der Regierung mit offenen Armen und friedlich zu empfangen, während sie in Reus, Tarragona und Tortosa Dutzende von Toten hinter sich ließen. Die CNT neutralisierte schließlich den letzten Versuch, den Kampf fortzusetzen, den Los Amigos de Durruti zusammen mit Bolchevique-Leninistas zusammen wieder aufgenommen hatten.

Am 7. Mai wurden die Barrikaden von Revolutionären geleert, aber die Barrikaden der PSUC, der CNT und der Regierung waren weiterhin siegreich. Die Bolchevique-Leninistas versuchten jedoch, sich mit Los Amigos de Durruti zu einigen, aber es war sinnlos. Die Repression gegen die Arbeiterinnen und Arbeiter nahm mit Erschießungen, Inhaftierungen und Folterungen immer mehr zu… Marianet, der Sekretär der katalanischen Region, und Federica Montseny stimmten mit ihrem üblichen Zynismus zu, die öffentlichen Beerdigungen von Gefährteninnen und Gefährten zu verbieten, um Unruhen zu vermeiden.

Wie immer folgte auf die Niederschlagung des revolutionären Aufstandes eine blutige Repression. Bekannt sind die mörderischen Manöver der PSUC mit ihren Tschekas und Todeslagern, in denen diejenigen, die es wagten, sich gegen die bourgeoise Ordnung zu wehren, aufgetürmt und massakriert wurden. Diese stalinistische Repression wurde in der Hitze der Moskauer Prozesse mit internationaler Resonanz geschmiedet, sie war nicht auf die spanische Region beschränkt. Aber wenn der Stalinismus bei all diesen Gräueltaten eine besondere Rolle spielte, müssen wir auf seiner Rolle als Vollstrecker eines Plans bestehen, der auch die CNT und die demokratischen Nationen einschloss. Es waren nicht nur der Nationalsozialismus und der Stalinismus, die Konzentrationslager errichteten. Erinnern wir uns zum Beispiel an die französischen Konzentrationslager von Le Vernet oder Septfonds, in denen verzweifelte spanische Flüchtlinge eingesperrt und in ungeahntem Ausmaß gedemütigt wurden. Der Mythos des demokratischen Asyls ist eine weitere groteske Mystifikation.

Einige Anmerkungen zur Bilanz

Die Bedeutung dessen, was im Mai geschah, ist von enormer Relevanz, und sie ist auch heute noch aktuell. Die Kämpfe während dieser vier Tage und ihre anschließende unmenschliche Repression waren eine eindeutige Offenbarung des gesamten konterrevolutionären Prozesses, der sich in der spanischen Region abgespielt hatte. Das Proletariat stand im Mai nackt und auf seine schwindenden Kräfte reduziert allen Varianten der Konterrevolution gegenüber, die sich unter dem Banner des Antifaschismus zusammengeschlossen hatten. CNT, der Stalinismus durch die PSUC, PSOE und UGT. Wir unterscheiden die Rolle der POUM durch ihren Zentrismus und ihre Subalternität zur CNT, die sie eine konterrevolutionäre Rolle einnehmen lässt, aber nicht mit der von PSUC, PSOE und UGT vergleichbar ist. Organisationen, die zwar anders als ihr potenzieller Totengräber gehandelt haben, aber – wie wir bereits gesagt haben – von Anfang an deutlich gezeigt haben, was Klassenkollaborationismus (A.d.Ü., im Sinne des klassenübergreifendes) bedeutet. Falls es irgendwelche Zweifel daran gab, worum es beim Antifaschismus ging, wurden sie durch die Maiereignisse brutal ausgeräumt. Die ultimative Wahrheit des Kapitalismus erscheint in Form eines gewaltsamen Konflikts zwischen zwei Klassen. Auf keinen Fall kann man sagen, dass es sich um einen „internen Bürgerkrieg“ zwischen Anarchistinnen/Anarchisten und Kommunistinnen/Kommunisten handelte, wie man oft hört.

Oft wird gesagt, dass die Ereignisse, von denen wir gerade berichtet haben, nur ein weiteres Beispiel für das Leben des Proletariats sind, das eine Revolution durchführt, seit die Arbeiterinnen und Arbeiter den Putsch Francos verhindern konnten. Unser Kollektiv ist da ganz anderer Meinung. Die Ereignisse im Mai lassen sich nur erklären, wenn man im Nachhinein versteht, was wir bereits mehrfach wiederholt haben: dass der Verlust der Autonomie des Proletariats durch die Akzeptanz der Klassenkollaboration im Namen des Antifaschismus den Weg für den gesamten bereits beschriebenen konterrevolutionären Prozess frei gemacht hat. Daher kann das, was im Mai geschah, als ein revolutionärer Moment in einem allgemeinen Klima der Niederlage verstanden werden, und der Aufstand in Barcelona stellte eine vorübergehende Zäsur in einem ungünstigen Kräfteverhältnis dar.

Wie immer müssen alle revolutionären und aufständischen Versuche von einem internationalistischen Standpunkt aus verstanden werden, der den weltweiten Kontext der verschiedenen Kämpfe des Proletariats als Weltklasse berücksichtigt. Wir haben bereits darauf hingewiesen, dass dem gesamten revolutionären Prozess in der spanischen Region die Niederlage der weltweiten Welle vorausging, die um 1917 ausgebrochen war. Was im Mai geschah, geht also nicht nur über Barcelona, sondern auch über Spanien hinaus und wird als der letzte Impuls des Proletariats gesehen, das Kapital radikal zu bekämpfen, bevor es im Zweiten Weltkrieg zu Kanonenfutter wurde.

Das heißt, das Klima der Niederlage, das in Spanien herrschte, ist noch viel gravierender, wenn wir das internationale Klima betrachten. Deshalb muss man zugeben, dass es für das Proletariat wirklich schwierig, wenn nicht gar unmöglich war, das Kräfteverhältnis umzukehren. Es ist jedoch notwendig, klarzustellen, dass trotz dieser Schwierigkeit alle Lehren, die aus dem Mai ’37 gezogen wurden, ihre volle Gültigkeit haben und dass es daher wichtig ist, nicht nur die Ereignisse zu bekräftigen und sich an die Tausenden von Gefährtinnen und Gefährten zu erinnern, die in jenen Tagen heldenhaft ihr Leben gelassen haben.

Die erste und wichtigste Lektion betrifft den Antifaschismus; darüber haben wir bereits ausführlich gesprochen und wir halten es nicht für nötig, noch mehr zu sagen. Aber darüber hinaus verdeutlicht uns der Mai ’37 die Notwendigkeit, dass das Proletariat seine Diktatur gegen die des Kapitals durchsetzen muss. In diesen entscheidenden Momenten gibt es keinen Mittelweg: Entweder wird die Bourgeoisie zerschlagen oder sie reißt sich zusammen, um sich durchzusetzen. Das muss unterstrichen werden, denn während der Maiereignisse war die Überlegenheit gegenüber der Bourgeoisie in der Stadt Barcelona enorm und trotzdem erlaubten das Zögern und die Zweifel den linken konterrevolutionären Organisationen, zu agieren und Verwirrung zu stiften und so die revolutionären Kräfte zu liquidieren. Entweder Diktatur des Proletariats oder Diktatur des Kapitals, das ist alles.

Nach dem ganzen Prozess des Kampfes in der spanischen Region hatte die Konterrevolution schließlich ihre Herrschaft durchgesetzt und die Welt wurde in ein schreckliches Klima von Krieg, Elend und Repression gestürzt, wodurch die gesamte radikale Bewegung auf kleine, weit voneinander entfernte Minderheiten reduziert wurde. In der Hitze der Streiks vom Mai 68 konnte sich das Proletariat jedoch wieder weltweit erheben und einmal mehr zeigen, dass das Kapital nicht das letzte Wort gesprochen hatte.

Die Saat der Zukunft in der Gegenwart: revolutionäre Minderheiten

Die Positionen derjenigen zu kennen, die darauf setzen, den Kampf auf den Barrikaden im Mai bis zu seinen letzten Konsequenzen zu führen, ist eine programmatische Verantwortung unserer Klasse. Die Positionen derjenigen zu kennen und Lehren daraus zu ziehen, die auf die Revolution bis zum Ende gesetzt und die Konfrontation mit dem Staat gesucht haben, sei er nun republikanisch oder franquistisch, ist entscheidend, um uns in den Positionen der historischen Partei des Proletariats zu bestätigen.

Die Spannung des Proletariats in Barcelona explodierte im Mai, der letzte Strohhalm war die Erstürmung des Telefonica-Gebäudes durch die Hunde der Guardia de Asalto auf Befehl des Stalinisten Rodriguez Salas, aber das Glas hatte sich schon lange gefüllt. Die CNT war zu einem Staatsapparat geworden, der sich mehr für die Politik von Valencia als für die Revolution interessierte, die Kollektive und selbstverwalteten Fabriken hatten mehr Arbeitsstunden und niedrigere Löhne gebracht, der so genannte Volkskrieg konnte seinen Charakter als Krieg zwischen zwei Fraktionen der Bourgeoisie nicht mehr verbergen, die stalinistische Verfolgung wurde immer grausamer und unverhohlener usw. Der Hunger war die Königin von Barcelona, der Stadt, die von den Arbeiterparteien regiert wurde, die wie Sklaven dem Kapital und der republikanischen Bourgeoisie dienten.

In dieser Situation zeichneten sich einige Gruppen durch ihre Klarheit und ihre Zäsur aus, wenn auch in den meisten Fällen nicht genug, Minderheiten von Revolutionären, die ihren Wunsch, mit dieser Welt zu brechen, über die Verantwortung des Staates und die kalte militärische Strategie, den Krieg gegen den Faschismus zu gewinnen, stellten. Die Unkontrollierten, wie die Wortführer der sozialdemokratischen Intelligenz von heute und damals sie nennen.

Unter den Gruppen, die wir als revolutionäre Minderheiten betrachten, gibt es eine, die sich durch ihre Klarheit von den anderen abhebt: BILAN. Diese Gruppe, die zur Fraktion der Italienischen Kommunistischen Linken in Frankreich gehörte, zeichnet sich dadurch aus, dass sie auf der Grundlage einer in den 1930er Jahren vorgenommenen Einschätzung der weltrevolutionären Welle eine Reihe von Positionen formulierte, die sie später bei ihrer Analyse der spanischen Revolution anwenden wollte. Damit wollen wir sagen, dass sie nicht in der Hitze des Klassenkampfes in den Jahren 1936 und 1937 mit bestimmten sozialdemokratischen Positionen, die sie bis dahin vertreten hatten, brachen, sondern aus der Bilanz der Kampfwelle der 1920er Jahre.

In einer Position der Isolation, in einem internationalen Kontext, der zu Waffen für Spanien aufrief, forderte BILAN Waffen für das Proletariat, um gegen die faschistische oder antifaschistische Bourgeoisie zu kämpfen. Im Gegensatz zu all den Revolutionären, die an den Maiereignissen 1937 teilgenommen hatten, stellte BILAN das Scheitern der Revolution bereits in den Julitagen fest. Es ging nicht um Namen oder bürokratische Verirrungen dieser oder jener einst revolutionären Organisation, sondern um die Entscheidungen, die auf den Julitagen getroffen wurden. Für die italienischen Gefährtinnen und Gefährten waren der 19. und 20. Juli der Moment, in dem sie alles hätten haben können, aber alles wegwarfen. Wie sie erklären, kommt die Konterrevolution nicht immer von den klassischen Apparaten der Bourgeoisie, sondern auch von denen, die behaupten, das Proletariat zu vertreten.

Was sie bedroht, ist die Unabhängigkeit des proletarischen Kampfes, die die andere revolutionäre Etappe zur Abschaffung der bourgeoisen Herrschaft bedingt. Folglich muss der Kapitalismus das Netz seiner Kontrolle über die Ausgebeuteten neu knüpfen. Die Fäden dieses Geflechts, die früher die Richterschaft, die Polizei und die Gefängnisse waren, verwandeln sich in der extremen Situation von Barcelona in die Komitees der Milizen, die vergesellschafteten Industrien, die Arbeitergewerkschaften und -syndikate, die die wesentlichen Sektoren der Ökonomie verwalten, usw.“

Die klassenübergreifende Allianz, die den republikanischen Staat, der nicht in der Lage ist, die Bestrebungen des Proletariats mit den klassischen Mitteln der Repression einzudämmen, aufrechterhalten und fast aus der Asche auferstehen lassen wird, wird die antifaschistische Ideologie als Klebstoff haben. In der Kritik des Antifaschismus haben uns die Gefährtinnen und Gefährten von BILAN den besten Beitrag zu den Ereignissen in Spanien hinterlassen. Der Antifaschismus verschleiert den Antagonismus zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie und verwandelt ihn in eine falsche Opposition zwischen zwei Fraktionen der Bourgeoisie, für die unsere Klasse zum Kanonenfutter wird. Im Falle Spaniens wird es die republikanische Bourgeoisie sein, die von der CNT bis zu Azaña alles gegen Franco aufbringt. Aber wir dürfen uns nicht von falschem Radikalismus täuschen lassen. Am Ende hat der heldenhafte Durruti mit seiner Parole, Revolution und Krieg gegen den Faschismus zu machen, dieselbe Bourgeoisie verteidigt, zu der auch Azaña gehörte. Unter dem Dach der Bourgeoisie, sei sie demokratisch oder faschistisch, gibt es keine mögliche Revolution, keine mögliche Hoffnung für das Proletariat. Es war die Verteidigung des Antifaschismus, dass die CNT die Möglichkeit sah, Minister zu stellen, es war die Verteidigung des Antifaschismus, dass die CNT und die POUM dazu brachten wegzuschauen, während die Stalinisten in Barcelona Revolutionäre ermordeten und inhaftierten, es war die Verteidigung des Antifaschismus, dass das Proletariat akzeptierte, um mehr für weniger Lohn zu arbeiten, usw. Der Antifaschismus war der Virus, der die Konterrevolution verbreitete. Was im Juli noch nicht zu erkennen war, wurde im Mai 1937 zu einer schwer zu ertragenden Belastung.

Ein weiteres Element, bei dem BILAN besonders deutlich war, war die Frage der Armee und des Krieges. Die gepriesene Armee der Milizen, die von den Arbeiterorganisationen befehligt wird und im Fall der Anarchistinnen und Anarchisten ohne Hierarchien und ohne die klassische militärische Kommandostruktur. Es geht nicht um die Frage, wie diese „neue Armee“ strukturiert war. Es waren die Milizen, die die Drecksarbeit der Bourgeoisie erledigten, indem sie sich bereit erklärten, für die Verteidigung eines Staates zu kämpfen, aber sie konnten dafür die rote oder rot-schwarze Flagge wehen lassen. Wo die Franquisten nicht triumphierten, nahm es die Linke als fleißige Vertreterin des Kapitals auf sich, das Proletariat in seiner Engstirnigkeit gefangen zu halten. Die revolutionäre Leitlinie ist nicht, das kleinere Übel zu wählen, also Demokratie gegen Faschismus, sondern revolutionärer Defätismus. Die Klassengrenze neu zu ziehen und die Gewehre auf die Bourgeoisie zu richten. Diese Position, die die italienischen Gefährtinnen und Gefährten so gut aus der Bilanz des imperialistischen Massakers, das fälschlicherweise als Erster Weltkrieg bezeichnet wird, übernommen haben, ist von entscheidender Bedeutung. Jeder Krieg ist entweder ein Klassenkonflikt oder ein imperialistischer Krieg, egal ob er Volkskrieg oder Befreiungskrieg genannt wird, denn jeder innerbourgeoise Konflikt ist seinem Wesen nach imperialistisch. Im Falle Spaniens ist das offensichtlich, denn es war das Testgelände für den späteren Zweiten Weltkrieg. Das viel gefeierte Massaker im Namen der Demokratie und gegen den Faschismus. Angesichts all dessen wird BILAN an der einzig möglichen revolutionären Position festhalten, dem revolutionären Defätismus.

Die militärischen Fronten konnten nicht anders, als den Arbeiterinnen und Arbeitern das Grab zu schaufeln, weil sie die Fronten des Krieges des Kapitalismus gegen das Proletariat darstellen. Gegen diesen Krieg konnten die spanischen Proletarier, wie ihre russischen Brüder, die ihnen das Beispiel von 1917 gaben, nur antworten, indem sie in den beiden Lagern der Bourgeoisie, dem republikanischen und dem „faschistischen“, einen revolutionären Defätismus entwickelten. Sie verwandelten den imperialistischen Krieg in einen Bürgerkrieg mit dem Ziel, die totale Zerstörung des bourgeoisen Staates zu erreichen.“

Andererseits gab es eine ganze Reihe von Gruppen, die zwar nicht mit bestimmten sozialdemokratischen Vorstellungen brachen (siehe Syndikalismus), aber in den Tagen des Mai ’37 revolutionäre Positionen vertraten und die Konterrevolution innerhalb ihrer Organisationen vehement anprangerten, wie die Los Amigos de Durruti, die Sección bolchevique-leninista und Josep Rebulls Célula 72. Auch wenn diese Gruppen ihre Grenzen haben und nicht so eindeutig sind wie BILAN, ist es wichtig, die Brüche und die Kritik dieser Gruppen wegen ihrer politischen und historischen Bedeutung zu würdigen, die sie auch heute noch haben. Deshalb betrachten wir sie, wenn auch in unterschiedlichem Maße, als revolutionäre Minderheiten. Diejenigen, die nicht nur im Bild der Gegenwart gefangen waren, sondern die Zukunft in ihren Aktionen mit sich trugen.

Eine dieser Gruppen war Los Amigos de Durruti, die im März 1937 von Milizionären gegründet wurde, die gegen die Militarisierung der Milizen waren und beschlossen, mit ihren Waffen nach Barcelona zurückzukehren, anstatt sie der republikanischen Regierung zu übergeben. Bis zu den Maiereignissen 1937 organisierte diese Gruppierung innerhalb der CNT Kundgebungen und verschiedene Aktionen und gab eine Zeitung mit dem Namen „el Amigo del pueblo“ heraus. Während des proletarischen Angriffs im Mai spielten sie eine führende Rolle, als sie dazu aufriefen, die Anführer der CNT, die zum Rückzug von den Barrikaden aufriefen, zu erschießen. Die verteilten Flugblätter mit ihren Positionen und ihrer Einschätzung der Geschehnisse wurden Ende 1937 in einem Pamphlet mit dem Titel Einer neuen Revolution entgegen veröffentlicht. Dieser Text musste wegen der von der Republik und den Stalinisten geführten Jagd auf Revolutionäre heimlich veröffentlicht werden.

In ihrer Bewertung der Julitage kam die Gruppierung zu Schlussfolgerungen, die für den anarchistischen Umfeld der CNT von größter Bedeutung waren, und zwar vor allem zwei: das Fehlen eines revolutionären Programms in der CNT und die Tatsache, dass Revolutionen immer totalitär sind, weil sie die gesamte gesellschaftliche Realität betreffen. Auf die offensichtliche Frage, warum die Anführer der CNT am 19. Juli die Macht abgaben, antworteten sie rundheraus, dass dies am Fehlen eines revolutionären Programms lag.

Der CNT fehlte eine revolutionäre Theorie. Wir hatten kein richtiges Programm. Wir wussten nicht, wo wir hinwollten. Viel Lyrik, aber kurz gesagt, wir wussten nicht, was wir mit den riesigen Arbeitermassen anfangen sollten; wir wussten nicht, wie wir die populäre Welle, die in unsere Organisationen strömte, plastisch machen sollten, und weil wir nicht wussten, was wir tun sollten, übergaben wir die Revolution auf einem Teller an die Bourgeoisie und die Marxisten, die die Farce von gestern aufrechterhielten und, was viel schlimmer ist, der Bourgeoisie Raum gaben, sich neu zu erfinden und als Sieger aufzutreten.“

Sie war nicht nur verwaist, was die revolutionäre Theorie angeht, sondern agierte auch als eine weitere sozialdemokratische Organisation und akzeptierte als solche die Klassenkollaboration und spielte eine wesentliche Rolle bei der Neuaufteilung eines republikanischen Staates in Trümmern. Aus diesen Tatsachen leiteten sie ab, dass Revolutionen totalitär sind.

Obwohl Los Amigos de Durruti eindeutig nicht mit vielen sozialdemokratischen Positionen wie der Gewerkschaft/Syndikat als Organisator der Ökonomie oder der Idee einer „revolutionären Armee“ brachen; eine unmögliche Idee in einem innerbourgeoisen Konflikt. Und angesichts anderer Probleme wie der mangelnden Führung der Revolution, die die CNT vorbrachte und die zu ihrer praktischen Kapitulation führte, schlug die Agrupación die Schaffung einer Revolutionären Junta vor, die die Angelegenheiten des Krieges leiten und die Macht ausüben sollte. Man muss sie wertschätzen, nicht unbedingt wegen ihrer programmatischen Qualität, sondern wegen der Fähigkeit dieser Minderheit, die in den Augen des Proletariats offensichtliche Konterrevolution öffentlich zu kritisieren und die Julitage als unvollendete Revolution zu bilanzieren (mit allen Grenzen, im Juli eine unvollendete Revolution und nicht eine Niederlage des Proletariats durch einen imperialistischen Krieg in Form eines Bürgerkriegs zu sehen). Abgesehen von ihrer unbestrittenen Rolle bei den Maiereignissen, als sie dazu aufriefen, alles zu tun und sich um ein Programm zu bemühen, im Gegensatz zu ihrer Kritik an den Julitagen. Angesichts einer Atmosphäre, in der Klassenkollaboration an der Tagesordnung war, verteidigten Los Amgios de Durruti die Klassenautonomie und kritisierten die Kollaboration der CNT-Anführer und forderten die Erschießung der Verantwortlichen für die Mai-Niederlage, darunter auch García Oliver als Justizminister. Konfrontiert mit den Positionen der FAI und der CNT zum Autoritarismus der Revolution, würden sie sagen, dass die Revolution immer totalitär ist, es gibt keinen dritten Weg in einer Gesellschaft mit antagonistischen Klassen. Und ohne ein Programm ist keine Revolution möglich, wie sie in den Julitagen gesehen haben.

Revolutionen ohne eine Theorie kommen nicht voran. Wir, „Los Amigos de Durruti“, haben unsere Überlegungen dargelegt, die zwar von den großen sozialen Umwälzungen beeinflusst werden können, aber auf zwei wesentlichen Punkten beruhen, die nicht zu vermeiden sind. Ein Programm und Gewehre.“

Neben den Los Amigos de Durruti war die Sección Bolchevique-Leninista de España (SBLE) eine weitere der revolutionären Organisationen, die den Kampf und die programmatischen Brüche darin förderten. Munis schrieb in seinem Buch Jalones de derrota, promesas de victoria eine der interessantesten und wichtigsten Einschätzungen. Darin macht Munis nicht nur seinen Bruch mit dem Opportunismus und der typisch trotzkistischen Verwirrung deutlich, sondern er liefert auch eine sehr klare Analyse der Geschehnisse im Mai, indem er auf der Abgrenzung der beiden Barrikaden zwischen dem bewaffneten Proletariat und der Konterrevolution beharrt. Wie Rebull und Los Amigos de Durruti brach die SBLE jedoch nicht vollständig mit den vermeintlich radikalen Organisationen der Volksfront und ging nur so weit, dass sie vage eine revolutionäre Junta aus CNT, FAI und POUM vorschlug. Dennoch gelang es den wichtigsten Militanten dieser Organisation, im Nachhinein sehr wertvolle Schlussfolgerungen aus den Geschehnissen zu ziehen, und das oben erwähnte Buch war einer der ersten Versuche, eine Bilanz unserer Klasse zu ziehen.

Wie Los Amigos de Durruti innerhalb der CNT vertrat auch die von Josep Rebull geführte Célula 72 eine kritische Haltung gegenüber der Mitläufertumsführung der POUM. Auch ohne mit der Mutterorganisation zu brechen, führte Rebull eine wichtige Analyse der im Juli gemachten Fehler durch und behielt im Mai ’37 revolutionäre Positionen zur Volksfront und zum bourgeoisen Staat bei, was einen wichtigen Bruch mit der opportunistischen Politik der POUM darstellte. Wie Los Amigos de Durruti bezeichneten sie die Julitage als eine unvollendete Revolution, aber ihre wichtigste Kritik galt dem bourgeoisen Charakter der Volksfront und der konterrevolutionären Rolle der Organisationen, die ihr angehörten, sowie der CNT-FAI und dem um sie herum verbreiteten Mythos einer möglichen ausländischen Intervention während der Maitage.

Eine Bewegung, die genau von den Komponenten der FP (A.d.Ü., Frente Popular, Volksfront) provoziert und von ihnen ausgenutzt wurde, um den repressiven Apparat der Bourgeoisie zu stärken, ist der stärkste Beweis dafür geblieben, dass die FP eine konterrevolutionäre Front ist, die durch die Verhinderung der Zerschlagung des Kapitalismus – der Ursache des Faschismus – diesem den Weg bereitet und andererseits jeden Versuch, die Revolution voranzutreiben, unterdrückt.“

Eine solche Position in einer Organisation einzunehmen, die zur Volksfront gehörte, und das zu einer Zeit, als der stalinistische Terror völlig frei agierte, stellte sie auf die Seite der Revolution. Im Gegensatz zum Mitläufertum der POUM, das Rebull kritisierte, zogen sie aus der Mai-Niederlage Klassenpositionen, auch wenn sie nicht mit ihrer Partei brachen und dies in nichts anderes als eine genaue Kritik umwandeln konnten.

Eines der Klischees, das die Wortführer der Konterrevolution ständig wiederholten, um das Proletariat zum Rückzug von den Barrikaden zu bewegen, war die Möglichkeit einer ausländischen Intervention. Die Befürchtung, dass anglo-französische Schiffe im Hafen von Barcelona anlegen würden, um dem Aufstand ein Ende zu setzen. Das war sicherlich eine Möglichkeit, aber die imperialistische Intervention war für jeden Revolutionär, der von Stalins Hunden in Barcelona verfolgt wurde, bereits Realität.

Die anglo-französische Intervention gegen die spanische proletarische Revolution gab es bereits seit Monaten, mehr oder weniger im Verborgenen. Diese Intervention besteht in der Herrschaft, die diese Imperialismen durch den Stalinismus über die Regierungen von Valencia und Barcelona ausüben; sie besteht in dem jüngsten Kampf – immer durch den Stalinismus – innerhalb der Regierung von Valencia, der mit der Beseitigung von Largo Caballero und der CNT endete; sie besteht schließlich in den Vereinbarungen der „Nichteinmischung“, die nur eingehalten werden, wenn es darum geht, das spanische Proletariat zu begünstigen. Eine offene Intervention durch die Entsendung von Kriegsschiffen und Besatzungstruppen würde nur die Form der Intervention ändern.“

Die sozialdemokratischen Grenzen der Célula 72 sind offensichtlich; extremer Taktizismus brachte sie dazu, die Rolle der Konterrevolution und all ihrer Agenten in den Maiereignissen zu kritisieren. Aber niemals, dass sie einen Bruch mit der POUM als Teil einer opportunistischen Organisation vollzogen. Wir werden uns nicht auf ihre Grenzen konzentrieren, sondern darauf, wie sie in einer Zeit, in der Positionen wie die von Rebull und seinen Gefährtinnen und Gefärten, die sich auf die Seite der Revolution stellten, ihr Leben kosten konnten, wie es für viele Revolutionäre nach den Maiereignissen der Fall war. Das macht ihre Lehren so wertvoll: Es war ihre revolutionäre Praxis, die zu der späteren Kritik führte, die sie schrieben, und nicht andersherum.


Revolution und Konterrevolution in der spanischen Region (VII): Fazit und Bewertung

In diesem letzten Teil unserer Serie über die Kämpfe des Proletariats in der spanischen Region geht es darum, die wichtigsten programmatischen Lehren zu ziehen. Wir stellen diese Lehren in Thesen zusammengefasst dar; viele von ihnen wurden bereits in der vorherigen Serie erwähnt, aber wir hielten es für notwendig, sie noch einmal hervorzuheben, um sie zu betonen und ihnen die Bedeutung zu verleihen, die sie verdienen. Wir stellen klar, dass diese Lehren nicht aus dem Kopf eines Genies kommen, sondern dass es Lehren sind, die das Proletariat aus seinem Kampf zieht, und dass dieses Lernen grundlegend und unerlässlich ist, um sich den kommenden und bereits stattfindenden Kämpfen zu stellen. Eine der Schwächen, die wir als Klasse haben, ist die Schwierigkeit, die gegenwärtigen Kämpfe mit denen des Proletariats in der Vergangenheit zu verknüpfen, was uns dazu verdammt, in eine kontinuierliche Gegenwart zu verfallen und immer wieder in Irrtümer und Mystifikationen zu verfallen. Wie alle programmatischen Lektionen zielen auch diese Thesen auf den Kommunismus ab, sie sind ein bescheidener Beitrag zur menschlichen Emanzipation.

I

Jede Untersuchung oder Analyse eines proletarischen Kampfes muss zwangsläufig von der internationalen Situation ausgehen, in der er sich befindet. In diesem Fall ist der gesamte revolutionäre Prozess in der spanischen Region durch die Niederlage der weltweiten Welle bedingt, die ihre deutlichsten Beispiele in Deutschland und Russland (1917-1923) hatte, die aber auch andere Fälle in der ganzen Welt hat. Das Scheitern dieser Welle und ihre anschließende Repression bedeutete die physische Auslöschung der revolutionären Bewegung, die auf kleine, meist voneinander isolierte Minderheiten reduziert wurde. Dieser „Schnitt“ in der Bewegung fand in der spanischen Region nicht statt, was zu einem großen Teil erklärt, warum das Proletariat einen Anstieg der Kämpfe gegen den Strom des internationalen Kontextes erlebte. Das ist der Grund für die Besonderheit dieses revolutionären Prozesses.

II

Der Aufschwung der proletarischen Kämpfe innerhalb des spanischen Staates erlebte fast seit Beginn des 20. Jahrhunderts ein Wachstum und einen Aufstieg. Die Kämpfe gegen den Krieg in Marokko, die so genannte „tragische Woche“, der Streik der canadiense sowie die verschiedenen Kämpfe gegen das Elend, die Ausbeutung und die unmenschliche Gewalt der Bourgeoisie wirkten sich in Form von wachsendem Assoziationsgeist, Solidarität und Autonomie der Proletarier in Bezug auf ihre Ziele sowie einer zunehmenden Organisationsfähigkeit zur Verteidigung ihrer Interessen aus. Kein Regime, ob liberal oder konservativ, war in der Lage, diese Kraft aufzuhalten, die keine der bourgeoisen Fraktionen als ihre eigene anerkannte. Mit der Diktatur von Primo Rivera wurde versucht, diesen revolutionären Impuls zu unterdrücken, der den Staat erschütterte, der keine andere Wahl hatte, als seine repressiven Maßnahmen noch weiter zu verstärken.

III

Angesichts der historischen Bedeutung sind einige Betrachtungen über den Streik der canadiense wichtig, die über diesen konkreten Kampf hinausgehen. Die Niederschlagung dieses Kampfes ging mit der gesetzlichen Verankerung der berühmten achtundvierzig Stunden Arbeit einher (8 Stunden Arbeit pro Tag über 6 Stunden pro Woche). Bis heute wird dies als einer der größten Triumphe der Arbeiterklasse verkauft, obwohl es in Wirklichkeit eine gesetzliche – d. h. staatlich verordnete – Trennung zwischen den unmittelbaren und historischen Zielen der Bewegung war. Natürlich ist es besser, acht Stunden am Tag zu arbeiten als zwölf, aber das Problem ist, dass die Akzeptanz der staatlichen Regulierung die Solidarität und die revolutionäre Kraft neutralisierte, die die Bourgeoisie zu harter Arbeit gezwungen hatte. Die Auswirkung davon zeigte sich deutlich, als die Regierung sich weigerte, die Vereinbarung über die Freilassung aller Gefangenen einzuhalten. Der anschließende Streik der CNT fand unter viel ungünstigeren Bedingungen statt und war ein Misserfolg: Die Integration und Absorption der Bewegung durch den Staat ermöglicht immer die Repression derjenigen Teile der Bewegung, die außerhalb des Staates stehen. Diese Trennung zwischen den historischen und den unmittelbaren Zielen des Proletariats durch seine rechtliche Anerkennung ist eine der Waffen, die die Bourgeoisie stets einsetzt, um das Proletariat als Klasse zu zersetzen.

IV

Die harten Bedingungen der Regierung von Primo de Rivera, die viele Gefährtinnen und Gefährten ins Exil gezwungen hatte, konnten die Situation für die Bourgeoisie nicht stabilisieren, die weiterhin überwältigt wurde. In diesem Kontext kam die Zweite Republik, ein Regime, das von der Bourgeoisie mit großem Tamtam angekündigt wurde, vor allem durch die Sozialdemokratie als Partei der Konterrevolution. Die Zweite Republik kam mit einem sehr starken ideologischen Gewicht, als die Lösung für ein Land, das angeblich immer noch in feudalistischen Produktionsverhältnissen versunken war. Das ist die typische ideologische Vision der Sozialdemokratie, der zufolge die Aufgaben der Modernisierung der Produktionsverhältnisse notwendig wären, um zum „Sozialismus“ und zu dem, was sie soziale Gerechtigkeit nennen, voranzukommen. Solche Positionen ignorieren, was kapitalistische Produktionsverhältnisse wirklich sind, und ignorieren daher die Tatsache, dass der spanische Staat in Wirklichkeit bereits eine modern-kapitalistische Nation war, deren Produktion von der Ware und der Auferlegung von Lohnarbeit bestimmt wurde und die als eine weitere Nation Teil des Weltmarktes war. Die Tatsache, dass dieser oder jener Sektor modernisiert wurde oder dass einige Infrastrukturen geändert werden sollten, ändert nichts an der Tatsache, dass das Hauptziel der Zweiten Republik darin bestand, die Kämpfe des Proletariats zu mystifizieren und zu neutralisieren, die durch die verschiedenen von der Bourgeoisie vorgeschlagenen Regierungen nicht zur Ruhe kommen konnten.

Dass all dies nichts anderes als dumme bourgeoise Ideologie war, zeigte sich schnell, wie immer, angesichts der enormen Konflikte zwischen Bourgeoisie und Proletariat, die von Beginn der Zweiten Republik an stattfanden. Diese frühen Jahre waren von einem Aufschwung der Kämpfe und ihrer entsprechenden Niederschlagung geprägt. Wir können vor allem von den Kämpfen im Alto Llobregat, dem Massaker an den Arbeiterinnen von Arnedo oder der Ermordung der Gefährtinnen und Gefährten von Casas Viejas im Auftrag von Manuel Azaña (1933) sprechen. Der Höhepunkt dieses Aufschwungs der Kämpfe fand im Oktober 1934 in Asturien statt.

Aus dieser ganzen Zeit ist es wichtig, die Fähigkeit des Proletariats hervorzuheben, seine Kämpfe zu organisieren und zu zentralisieren, vor allem durch die Verteidigungskomitees. Es gibt einen Mythos über die Spontaneität der Kämpfe, aber die Wahrheit ist, dass diese Kämpfe gerade deshalb an Bedeutung gewannen, weil sich die Organisationsfähigkeit der Klasse verbesserte und die Verteidigungskomitees in der Lage waren, die verschiedenen Aktionsgruppen der Klasse als Ganzes zu zentralisieren und zu koordinieren.

V

Bevor wir über den Oktober ’34 sprechen, ist es wichtig, über die Polarisierung zu sprechen, die die Bourgeoisie durchlaufen hatte und die dazu diente, das Proletariat in zwei Lager zu spalten. Auf der einen Seite stand die Linke des Kapitals in Form der Sozialdemokratie unter der Führung der PSOE und ihres vermeintlich radikaleren Flügels unter der Führung von Largo Caballero, die auf die Radikalisierung des Proletariats mit einem viel aggressiveren, mystifizierenden und direkteren Diskurs reagierte und es schaffte, diese Radikalisierung zu stoppen, indem sie eine falsche Einheit im Kampf gegen den rechten Flügel förderte, die mit der Bildung der Arbeiterallianzen zustande kam.

Auf der anderen Seite wurde der rechte Flügel des Kapitals durch die Entstehung der CEDA beschuldigt, faschistisch zu sein. Wir haben bereits in anderen Texten gesehen, dass die CEDA keine der typischen Merkmale des Faschismus aufwies, sondern sich auch öffentlich gegen ihn stellte.

Die zunehmenden Spannungen zwischen den verschiedenen Fraktionen der Bourgeoisie waren das Ergebnis eines zunehmenden sozialen Konflikts, der kanalisiert wurde. Es handelte sich also um einen falschen Konflikt, der letztlich dazu diente, die Ordnung aufrechtzuerhalten und das Proletariat in diesen innerbourgeoisen Kampf einzubinden. Auf diese Weise wird die Spannung aufrechterhalten, aber das Ganze platzt nicht.

VI

Der Aufstand des Proletariats in Asturien war ein qualitativer Sprung in Bezug auf Praxis und Inhalt im Vergleich zu den bisherigen Kämpfen. Das Proletariat schaffte es, wenn auch in reduzierter und begrenzter Form, das Problem der Diktatur des Proletariats aufzuwerfen und eine Organisation der Produktion zur Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse (einschließlich des Bedarfs an Waffen für den Kampf) durchzusetzen, während es gleichzeitig in verschiedenen Teilen der Region auf entschlossene Weise Geld verbrannte. Natürlich beseitigt die Geldverbrennung an sich nicht den Kapitalismus als gesellschaftliches Verhältnis, da Geld eine Erscheinung ist, die diesem gesellschaftlichen Verhältnis innewohnt, aber es muss betont werden, dass sie in diesem Fall von einer Infragestellung der kapitalistischen Produktion und ihrer Diktatur des Werts als zu zerstörender Grundpfeiler begleitet wurde.

Es ist wichtig zu betonen, dass der Oktoberaufstand nicht nur in Asturien stattfand, sondern in den wichtigsten Städten des spanischen Staates. Die Isolation, die der Aufstand in Asturien erlitt, wurde durch die Lähmung der revolutionären Kräfte durch die Sozialdemokratie verursacht, vor allem in Bilbao und Asturien. In Barcelona wurde diese Spaltung und Lähmung durch den katalanischen Nationalismus und seinen reaktionären Anführer Companys gefördert. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die negative Rolle zu betonen, die die CNT als Teil der Sozialdemokratie spielte. Während diese Organisation den Aufstand in Asturien unterstützte, tat sie dies im Rest des Landes nicht und trug so zur Niederschlagung des Aufstandes in Asturien bei. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Tatsache, dass die Waffen der Armee, die den Aufstand in Asturien niederschlagen sollten, ohne größere Probleme in die Region gelangen konnten, da sie den Eisenbahnstreik nicht im ganzen Staat unterstützten.

Die Repression nach dem 34. Oktober war von unbeschreiblicher Gewalt von Seiten der Bourgeoisie geprägt. In diesem Sinne war die Arbeit von General Franco und anderen Militäroffizieren wie Mola bei der Verteidigung der Rechtmäßigkeit der Republik sehr wichtig. Es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass Franco kein Agent des Faschismus war, aber in diesem Fall war er der Vollstrecker, der das vollendete, was die Linke nicht erreicht hatte, weil sie nicht in der Lage war, das Proletariat einzudämmen und so die Republik zu retten.

VII

Die Polarisierung zwischen den verschiedenen Seiten der Bourgeoisie setzte sich fort, erst recht nach den Ereignissen in Asturien im Jahr 1934. Diese Polarisierung erreichte mit dem Wahlsieg der Volksfront im Februar 1936 einen sehr wichtigen Punkt. Die FP war nichts anderes als eine bourgeoise Gruppierung mit klassenübergreifenden Bestrebungen, die von PSOE, PCE, Partido Sindicalista, POUM, Izquierda Republicana und Unión Republicana gebildet wurde, um angeblich die faschistische Bedrohung zu bekämpfen. Obwohl die CNT nicht Teil des FP war, rief sie nicht zur Wahlenthaltung ihrer Militanten auf und trug damit implizit zum Wahlsieg der FP bei. Der Aufstieg all dieser Organisationen war ein Zeichen für die Einbindung des Proletariats in diese Organisationen und für die offensichtliche Niederlage und den Zerfall des Proletariats als Klasse.

VIII

Die Tage des Juli 1936. Die FP hatte sich als unfähig erwiesen, das Klima sozialer Spannungen zu stabilisieren und zu befrieden, so dass die Bourgeoisie einen Machtwechsel zugunsten der von Franco, Mola usw. vertretenen rechten Sektoren plante. Da dieser Machtwechsel jedoch nicht auf natürliche Weise stattfinden konnte, beschlossen die Generäle der Armee, am 19. Juli einen Coup d’état zu inszenieren, der von den Arbeiterinnen und Arbeitern auf autonome Weise verhindert wurde. Wir möchten betonen, dass dieser Angriff in Form eines Coup d’état kein Angriff des Faschismus war, sondern des Kapitalismus als Ganzes. Wenn es möglich war, diesen Angriff zu stoppen, dann nur, weil die Arbeiterinnen und Arbeiter ihre spezifische Klassenposition gegen das Kapital in seinen verschiedenen Formen eingenommen haben, es war keine antifaschistische Antwort auf einen Angriff des Militärs.

IX

Die Unterbindung des Putsches führte zu einer Schwächung der gesamten Bourgeoisie, die durch den Klassenkampf überwunden wurde. Die Arbeiterinnen und Arbeiter reagierten nach dem 19. Juli mit Streiks und klassenspezifischen Kämpfen und brachten den Kampf zu seinem typischen Klassenausdruck. Leider wurde dieser Verlust an Stärke und Macht, den die Bourgeoisie erlitten hatte, nicht von Klassenorganisationen begleitet, die das Kräfteverhältnis, das zu diesem Zeitpunkt günstig war, gegen den kapitalistischen Staat ausrichteten. Das heißt, die Arbeiterinnen und Arbeiter hatten sich am 19. Juli instinktiv auf dem spezifischen Klassenterrain positioniert, aber dieser Instinkt reichte nicht aus, es fehlte an Klarheit und Entschlossenheit hinsichtlich der Ziele der Bewegung. Dieser Mangel an Klarheit macht militante Arbeit notwendig, um den revolutionären Kampf und den Aufstand zu orientieren. Diese Orientierung, von der wir sprechen, hat nichts mit der sozialdemokratischen Auffassung zu tun, nach der die „Kommunisten“, die über Bewusstsein verfügen, ihre Weisheit einbringen und dem Proletariat den Weg weisen. Diese leninistische Auffassung von der Partei – die bereits in der ersten Runde der Debatte kritisiert wurde – geht davon aus, dass Revolutionäre eine Sache sind und das Proletariat eine andere, und verfällt im Hinblick auf den Kampf in Voluntarismus. Für sie ist die Partei niemals das Produkt der Klasse, sondern ein Werkzeug, das in den richtigen Händen die Geschichte verändern kann. Deshalb verteidigen wir die Rolle der Gefährtinnen und Gefährten von BILAN, die verstanden haben, dass die Partei ein Produkt der tellurischen Bewegungen der Klasse ist und dass die Partei nur von dort aus zu einem Faktor der Geschichte werden kann. Auf diese Weise wird die tiefe Einheit zwischen Klasse und Partei (die Organisation des Proletariats in einer Klasse und damit in einer Partei, wie Marx und Engels im Manifest sagen) verstanden. Von diesem Gedanken ausgehend werden BILANs Gefährtinnen und Gefährten verstehen, dass sie im Allgemeinen eine konterrevolutionäre Epoche durchleben und dass in Spanien die proletarische Reaktion des 19. Juli schnell in einen imperialistischen Krieg kanalisiert wird, in dem sich zwei bourgeoise Seiten gegenüberstehen.

X

Wir können also sagen, dass das Fehlen eines klaren Klassenprogramms dazu führte, dass sich das Proletariat leicht dazu verleiten ließ, den bourgeoisen Staat wieder aufzubauen, den es am 19. Juli in die Schranken gewiesen hatte. Wir möchten in dieser Hinsicht kategorisch sein: Das Kapital und der Staat werden, wenn sie nicht zerstört werden, frei gelassen, um sich wieder aufzubauen. Es ist daher verständlich, dass die anfängliche Dynamik und Autonomie des Aufstandes schnell nachließ und die Arbeiterinnen und Arbeiter in das Netz aller in der Volksfront vereinten bourgeoisen Organisationen, einschließlich der CNT, gerieten. Am deutlichsten kristallisierte sich diese Niederlage in der Bildung der antifaschistischen Milizen als Organe der Kollaboration zwischen den verfeindeten Klassen heraus. Hierin liegt die ganze wesentliche Wahrheit über die Falle des Antifaschismus, der nichts anderes als eine bourgeoise Ideologie ist, für die es notwendig ist, dass das Proletariat seine spezifischen Klassenziele vergisst, um gegen das absolute Übel zu kämpfen, das angeblich im Faschismus verkörpert ist, und so als Klasse zersetzt und zu einem bloßen Rädchen im Getriebe einer der streitenden bourgeoisen Seiten gemacht wird.

XI

Als das Proletariat seine Klassenautonomie aufgab, wurde der Klassenkrieg zu einem imperialistischen Krieg, in dem das Proletariat nur noch Kanonenfutter sein konnte. Wir bekräftigen, dass man nicht davon sprechen kann, „gleichzeitig Revolution und Krieg zu machen“. Das heißt, sobald die Bewegung in die bourgeoise Kriegsmaschinerie integriert ist, stirbt die Revolution. All die Debatten darüber, ob die so genannte revolutionäre Armee von Milizen oder „von unten“, von Brigadisten aus aller Welt oder von fotogenen Milizfrauen angeführt werden soll, sind unfruchtbar. Entscheidend ist das Zusammenspiel der Kräfte unter Berücksichtigung der Art des Krieges, der geführt wird. Die innerbourgeoise kriegerische Konflikt zielt immer darauf ab, das Proletariat als Klasse zu zerschlagen und zu neutralisieren. Deshalb ist es nicht notwendig, zwischen Demokratien und Faschismus zu wählen, sondern beide Fronten gleichermaßen zu boykottieren. Diese als „revolutionärer Defätismus“ bekannte Praxis ist der einzige revolutionäre Ausweg, sobald ein solcher Konflikt auftritt. Es gab nur sehr wenige Gefährtinnen und Gefährten, die sowohl den Faschismus als auch den Antifaschismus gleichermaßen ablehnten. Wir heben in dieser Hinsicht die Gefährtinnen und Gefährten von BILAN als deutlichsten Ausdruck der Klasse hervor, trotz ihrer durch die Konterrevolution provozierten Isolation.

XII

Durch eine Analogie können wir das „Phänomen“ der berühmten Kollektive besser verstehen. Als die Bourgeoisie nach dem 19. Juli gelähmt war, war die Ökonomie außer Kontrolle geraten. Doch als die Macht nach der Integration des Proletariats wiedererlangt wurde, wurden die Besetzungen und Fabrikbesetzungen zu Produktionszentren für den Krieg und für die Reorganisation von Staat und Kapital. Die Kollektive, mit der CNT an der Spitze in Zusammenarbeit zunächst mit der Generalitat und dann mit der Regierung der Republik, organisierten die Bedürfnisse des Kapitals der Zeit. Die Mystifizierung von „Arbeiterkontrolle“ oder Selbstverwaltung sind nichts als Lügen der Sozialdemokratie, die in den Formen gefangen ist. Was auch immer die Beteiligten über ihre eigenen Kämpfe sagen, welche Formen sie auch immer annehmen mögen, das Wesentliche ist, wie wir zum Thema Krieg gesagt haben, der Inhalt der gesellschaftlichen Verhältnisse, die reproduziert werden, und die Kollektive als getrennte Produktionseinheiten haben weder die Werttheorie in Frage gestellt, noch dienten sie dazu, einen der Grundpfeiler des Kapitals anzutasten.

XIII

Die Niederlage des Proletariats zwingt uns dazu, die Bedeutung der Diktatur des Proletariats als materielle Notwendigkeit zu diskutieren. Wir haben gesehen, dass das Proletariat entweder als Klasse kämpft oder den äußeren Interessen zum Opfer fällt. Deshalb ist die einzige Möglichkeit, dem Kapitalismus ein Ende zu setzen, die Durchsetzung einer zentralisierten Klassenkraft gegen das Kapital und den Staat, wobei die Ausweitung der Kämpfe auf internationaler Ebene ein wesentlicher Bestandteil der Revolution ist. Die Auffassung von Diktatur, die wir verteidigen, hat nichts mit der vom Bolschewismus übernommenen Vorstellung zu tun, nach der es darum ginge, die Macht zu ergreifen, um den Staat gegen die Bourgeoisie und das Kapital führen zu können. Der Staat ist kein bloßes Instrument der herrschenden Klasse, ein von den kapitalistischen Produktionsverhältnissen losgelöstes Gebilde, sondern organisiert und reproduziert diese unweigerlich, unabhängig vom Willen derjenigen, die glauben, die Macht zu haben. So haben alle, die geglaubt haben, den Staat gegen das Kapital einsetzen zu können, ihn am Ende ausnahmslos reproduziert.

Im Fall der spanischen Region ist diese Kritik am Staat als Äußerlichkeit umso zutreffender, wenn man sie auf den Anarchismus anwendet, wenn man bedenkt, was mit den Kollektiven passiert ist. Die Verfechter der Selbstverwaltung, des Konföderalismus und der Kollektivierung sehen den Staat als absolutes Übel, das es auszurotten gilt, und als eine rein äußere Instanz, die die „normalen“ ökonomischen Beziehungen parasitiert. Wenn der Staat also scheinbar verschwunden ist, ist der Weg frei für eine Ökonomie, die auf konföderierten Kommunen basiert. Was die Befürworter einer solchen Position nicht wissen, ist, dass diese Kommunen nichts anderes sind als getrennte Produktionseinheiten, die vom Staat organisiert werden, um die kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse zu reproduzieren.

Die Diktatur des Proletariats trennt nicht zwischen Ökonomie und Politik, sondern organisiert sich als international zentralisierte Klassenkraft, um den Staat zu zerstören und gleichzeitig alle Säulen des Kapitalismus als gesellschaftliches Verhältnis von oben nach unten umzustürzen und die Produktion so zu organisieren, dass die menschlichen Bedürfnisse direkt befriedigt werden. Die Diktatur des Proletariats tendiert dazu, ihre Kraft gegen die Diktatur durchzusetzen und die Trennung aufzuheben, die die Existenz des modernen kapitalistischen Staates möglich macht. Wir sprechen hier also nicht von einem Halbstaat, sondern von einem „Anti-Staat“, der von der Klasse zur weltweiten Zerstörung der kapitalistischen Verhältnisse durchgesetzt wird.

Natürlich geht dieser Prozess nicht von heute auf morgen und braucht Zeit, um den Kapitalismus und die Diktatur des Werts abzuschaffen. Das bedeutet jedoch nicht, dass wir bis ins Unendliche warten müssen, um andere Arten von Beziehungen und andere Wege zur Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zu etablieren, ganz im Gegenteil: Der Prozess der sozialen Revolution muss alle Merkmale dieser sozialen Revolution in sich tragen, das Patriarchat verleugnen, die Art und Weise in Frage stellen, wie wir kommunizieren, lernen, uns um unsere Gesundheit kümmern, usw. ….. Mit anderen Worten: Es ist notwendig, die Diktatur des Proletariats nicht von der Umgestaltung des Alltags zu trennen, denn die Beendigung des Kapitalismus bedeutet nicht, eine Bourgeoisie gegen eine andere auszutauschen oder die Verwaltung des Bestehenden zu ändern, sondern letztlich zu hinterfragen, wie wir uns zueinander und zur Natur verhalten.

Es ist wichtig zu betonen, dass die Diktatur des Proletariats nicht die Selbstbestätigung des Proletariats als Klasse ist. Sie ist genau das Gegenteil. Der Kampf des Proletariats zielt darauf ab, seinen Status als ausgebeutete Klasse zu beenden, sich selbst zu ermächtigen, indem es alle Trennungen aufhebt, die es als Klasse ausmachen, und so die Möglichkeit einer menschlichen Gemeinschaft im globalen Maßstab zu ermöglichen.

XIV

Der proletarische Aufstand vom Mai 1937 brachte ans Licht, was sich seit den Tagen nach dem 19. Juli 1936 abgespielt hatte. Der Versuch der PSUC und der ERC, die Telefonzentrale in Barcelona zu übernehmen, war eine Provokation, um eine der letzten Hochburgen auszulöschen, in denen das Proletariat noch Widerstand leistete. Die Arbeiterinnen und Arbeiter reagierten sofort und schafften es, alle Organisationen, in denen sie organisiert waren, innerhalb weniger Stunden zu überwältigen. Die Reaktion aller sozialdemokratischen Organisationen war wie im Juli des Vorjahres: CNT, POUM, PSOE, PSUC, UGT und die Regierung der Generalitat taten sich zusammen, um zu versuchen, das Proletariat mit Waffengewalt zu zerschlagen. Der Mai war kein Bürgerkrieg zwischen den Anarchistinnen/Anarchisten und den Stalinistinnen/Stalinisten, sondern ein Ereignis, das einmal mehr die Trennlinie zwischen Revolution und Konterrevolution markierte. In Wirklichkeit war der Mai eine rein defensive Reaktion des Proletariats in einer Situation der fast totalen Niederlage.

Einmal mehr müssen wir von der mangelnden Führung des Proletariats in diesen Schlüsselmomenten sprechen, denn den Arbeiterinnen und Arbeitern gelang es zwar, die gesamte katalanische Bourgeoisie in kürzester Zeit in Schach zu halten, aber die mangelnde Entschlossenheit und die unvollständigen Brüche der revolutionären Minderheiten mit ihren Satellitenorganisationen führten dazu, dass die vor allem von der CNT und der PSUC verkündeten Parolen der Rückkehr zur Arbeit und der Niederlegung der Waffen ihre Wirkung zeigten und der Aufstand innerhalb weniger Tage niedergeschlagen wurde.

Es ist wichtig zu verstehen, dass dieser Mangel an Führung untrennbar mit dem Vertrauen zusammenhängt, das das Proletariat in die CNT als Teil der Sozialdemokratie gesetzt hatte und das die Fähigkeit der Bewegung einschränkte, sich gegen die Befriedungsparolen zu entscheiden, die Garcia Oliver inmitten des Kampfes lanciert hatte.

XV

Wenn wir diese Bestandsaufnahme mit einem Verweis auf die internationale Situation begonnen haben, müssen wir sie auch so beenden. Wir haben bereits gesagt, dass der gesamte Prozess der Kämpfe in der spanischen Region durch die Isolierung von der internationalen Welle um 1917 gekennzeichnet war, so dass der Triumph der Revolution in Spanien praktisch unmöglich war. Das Schicksal der Kämpfe des Proletariats in einer Region hängt unweigerlich von den Kämpfen seiner Klassenbrüder und -schwestern im Rest der Welt ab. Das entkräftet keineswegs all die reichen Lehren, die wir aus dieser historischen Periode gezogen haben, aber es ist wichtig, sich daran zu erinnern, dass alle Kämpfe, die isoliert bleiben, schließlich sterben. Der Mai ’37 war in der Tat der letzte Aufstand dieser internationalen Welle und machte den Weg frei für den Beginn des sogenannten Zweiten Weltkriegs, in dem das Proletariat als Kanonenfutter in diesem imperialistischen Krieg massakriert werden sollte. Ein Zyklus von Revolutionen ging zu Ende und ein weiterer, sehr dunkler Zyklus der Konterrevolution stand bevor, in dem die revolutionäre Bewegung bestenfalls isoliert, wenn nicht sogar verfolgt und gefoltert werden würde. In der Hitze der Streiks und Kämpfe von 1968 würde das Proletariat als revolutionäre Klasse wieder auftauchen und einen neuen Zyklus eröffnen.


1A.d.Ü., ein Biennium ist ein Zeitraum von zwei Jahren.

2A.d.Ü., Arnedo ist eine Ortschaft im Bundesland La Rioja, am 05. Januar 1932 eröffnete die Guardia Civil das Feuer auf eine Menschenmenge die sich versammelt hatte, weil Arbeiter und Arbeiterinnen aus einen Unternehmen der Schuhe herstellte, entlassen worden waren. Elf Personen wurden ermordet und dreißig weitere wurden von Kugeln getroffen. Dies geschah ein Monat nach der Proklamierung der Zweiten Spanischen Republik. Dieses Ereignis ist als das Massaker von Arnedo in die Geschichte eingegangen.

3A.d.Ü., Casas Viejas ist eine Ortschaft im Süden von Andalusien, in der während der sogenannten anarchistischen Januar-Insurrektion 1933 in Folge der Repression gegen die Bauernschaft 26 Personen von den Repressionskräften erschossen wurden.

4A.d.Ü., mit konföderierten Presse, werden jene Zeitungen und Publikationen die im Zusammenhang mit der CNT standen. Zwischen 1869 und 1939 gab es in Spanien 950 anarchistische Publikationen verschiedener Art, von denen die meisten Zeitungen waren.

5A.d.Ü., im Verlauf der Einberufung für den Krieg der in Marokko 1909 geführt wurde, gab es am 25. Juli einen Aufstand dagegen. Allein in Barcelona wurden etliche kirchliche Gebäude und Einrichtungen geplündert und angezündet. Berühmt wurden diese Ereignisse dafür, weil der Anarchist Ferrer i Guardia – einer der Begründer der Modernen Schule – für die Ereignisse beschuldigt wurde und zum Tode verurteilt wurde.

6A.d.Ü., Alejando Lerroux war ein Politiker republikanischer Gesinnung (Antimonarchisch) und der Gründer des Partido Republicano Radical.

7A.d.Ü., die CEDA Confederación Española de Derechas Autónomas war eine Koalition rechter und katholischer Parteien im spanischen Staat während der Zweiten Republik (1931-1939).

8A.d.Ü., die Partido Socialista Obrero Español (Spanische Sozialistische Arbeiterpartei) (PSOE) ist eine 1879 gegründete spanische politische Partei mit einer sozialdemokratischen Ideologie. 1879 von Pablo Iglesias Posse gegründet, definierte sie sich hundert Jahre lang als Arbeiter-, Sozialisten- und marxistische Partei, bis zum Außerordentlichen Kongress von 1979, auf dem sie den Marxismus als ideologische Definition aufgab.

9A.d.Ü., Julián Besteiro Fernández (Madrid, 21. September 1870 – Carmona, 27. September 1940) war ein spanischer Professor und Politiker, Präsident des spanischen Parlaments während der Zweiten Republik sowie Mitglied der PSOE und der UGT.

10A.d.Ü., Indalecio Prieto Tuero (Oviedo, 30. April 1883 – Mexiko-Stadt, 12. Februar 1962) war ein spanischer Politiker der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens (PSOE), der während der Zweiten Republik die Ministerien für Finanzen, Öffentliche Arbeiten, Marine und Luftfahrt sowie Landesverteidigung innehatte.

11A.d.Ü., Francisco Largo Caballero (Madrid, 15. Oktober 1869 – Paris, 23. März 1946) war ein spanischer Gewerkschafter/Syndikalist und marxistischer Politiker, historischer Anführer der PSOE (Spanische Sozialistische Arbeiterpartei) und der UGT (Allgemeine Gewerkschaft der Arbeiter). Zwischen September 1936 und Mai 1937 war er Präsident des Ministerrats der Zweiten Republik.

12A.d.Ü., Miguel Primo de Rivera y Orbaneja (Jerez de la Frontera, 8. Januar 1870 – Paris, 16. März 1930) war ein spanischer Militäroffizier, der zwischen 1923 und 1930 als Diktator regierte. In dieser Zeit bekleidete er auch die Ämter des Hochkommissars von Spanien in Marokko und des Staatsministers.

13A.d.Ü., frommer Wunsch

14A.d.Ü., die Unión General de Trabajadores y Trabajadoras (UGT) ist eine spanische gewerkschaftliche/syndikalistische Arbeiter- und Arbeiterinnenorganisation. Sie wurde 1888 auf dem Arbeiterkongress in Barcelona gegründet und hat ihre historischen Wurzeln in der Sozialistischen Arbeiterpartei Spaniens (PSOE), die sich vom klassischen Marxismus zu einer sozialdemokratischen Ausrichtung entwickelt hat.

15A.d.Ü., die Federación Nacional de Trabajadores de la Tierra (FNTT) war eine spanische sozialistische Gewerkschaft/Syndikat der Land- und Viehwirtschaft, die Teil der Unión General de Trabajadores (UGT) war und in den 1930er Jahren in Spanien stark vertreten war.

16A.d.Ü., Gradualismus, gebildet aus gradus (Stufe, Sprosse, Schritt), -alis (in Bezug auf) und -ismus (Tätigkeit, Gedanke, Lehre), ist jede Tätigkeit, bei der Veränderungen in Form von gradualen (allmählichen) Schritten erfolgen oder erfolgen sollten.

17A.d.Ü., die Alianza Obrera war ein Bündnis linker Parteien die der rechten Regierung während der Zweiten Republik entgegenwirken wollten.

18A.d.Ü., Bloque Obrero y Campesion, Bloc Obrer i Camperol (auf Katalan), war eine marxistische Partei die 1931 aus verschiedenen marxistischen Parteien und Organisationen gegründet wurde. Ein Teil BOC würde in der Gründung der POUM einfließen, während ein anderer Teil der stalinistischen PSUC wurde.

19A.d.Ü., die Izquierda Comunista de España (ICE), auch bekannt als Izquierda Comunista, war eine spanische politische Partei mit marxistischer Ideologie in den 1930er Jahren. Sie galt, bis die Mehrheit der Mitglieder an der Gründung der POUM teilnahmen, als eine trotskistische Organisation. Der Teil der Trotzki ergeben blieb, schloss sich der PSOE an.

20In einigen Fällen war dies sogar wörtlich zu nehmen: Dencás entkam durch die Kanalisation von Barcelona.

21Dies sollte später für die Einreise der Truppen der Zweiten Republik auf dem Seeweg entscheidend sein. In Oviedo gelang es der Bourgeoisie, dem Vormarsch des Proletariats von einigen Gebäuden aus zu widerstehen.

22A.d.Ü., war ein Krieg der von 1911 bis 1927 andauerte, Aufständische lehnten sich gegen die Kolonialmächte Spanien und Frankreich. Es war nicht nur ein sehr grausamer Krieg bei dem die Lokalbevölkerung massakriert wurde, es wurden auch gegen diese chemische Waffen verwendet.

23A.d.Ü., José Calvo Sotelo (Tuy, 6. Mai 1893 – Madrid, 13. Juli 1936) war ein spanischer Jurist und Politiker und Finanzminister während der Diktatur von Primo de Rivera.

24A.d.Ü., Manuel Azaña Díaz (Alcalá de Henares, 10. Januar 1880-Montauban, 3. November 1940) war ein spanischer Politiker, Schriftsteller und Journalist, Präsident des Ministerrats (1931-1933) und Präsident der Zweiten Republik (1936-1939).

25A.d.Ü., Manuel Fernández-Grandizo Martínez (Torreón, Mexiko, 1912 – Paris, 4. Februar 1989), besser bekannt unter dem Pseudonym Grandizo Munis, war ein spanischer Revolutionär. Sein Werdegang fing in der ICE an, in den 1940ern brach er jedoch im Exil mit dem Trotzkismus. Hier, oder hier, ein Text von ihm, bei dem er den Syndikalismus scharf angreift.

26A.d.Ü., im Originaltext ist die Rede von Frentismo, hier bezieht sich die verfassende Gruppe auf den Frente Popular – Volksfront, die 1936 in Spanien die Wahlen gewinnen würde. Eine ähnliche gegenwärtige Verwendung dieser Idee finden wir heutzutage im sogenannten Campism, oder Campismus.

27A.d.Ü., BILAN war eine kommunistische Publikation die im Exil von der Linken Fraktion der Kommunistischen Partei Italiens herausgebracht wurde. Jene Fraktion wurde aus der Partei ausgeschlossen und entschloss sich im Exil besser handeln zu können als in der Klandestinität in Italien. Diese Zeitschrift ist mit der Strömung der Kommunistischen Linken verbunden, die versucht, die Lehren aus der russischen Konterrevolution aus der Sicht des revolutionären Proletariats zu ziehen und „Bilanz (BILAN) zu ziehen“. In der Einleitung der ersten Ausgabe werden die Ziele der Zeitschrift so formuliert: „Wir wollen die Zeitschrift zu einem Organ der politischen Aufklärung und des Verständnisses der gegenwärtigen, besonders komplexen gesellschaftlichen Situation machen.“ BILAN setzte sich sehr intensiv mit der sozialen Revolution auseinander und veröffentlichten Texte die nach wie vor für Anarchistinnen und Anarchisten von großen Interesse sein könnten. Wir haben von ihnen mehrere Texte veröffentlichen, die findet man hier oder hier.

28Qarmat: Contra la democracia

29Wir verweisen auf die Artikelserie über die 1930er Jahre in Spanien auf http://barbaria.net, in der wir die repressive Rolle des republikanischen Staates gegen das Proletariat erklären.

30Burnett Bolloten, The Spanish Civil War: Revolution and Counterrevolution.

31Hier folgen wir BILANs Analyse des Konflikts, die sie als imperialistischen Krieg bezeichnet, da jeder innerbourgeoise Konflikt im Grunde genommen imperialistisch ist.

32Burnett Bolloten, The Spanish Civil War: Revolution and Counterrevolution.

33A.d.Ü., hier wieder einmal verbinden wir beide Begriffe – Syndikat und Gewerkschaft – weil sie Synonyme sind und nicht unterschiedliche Dinge, Konzepte, Organisationsformen oder weiteres sind.

34A.d.Ü., wir empfehlen zu dieser Gruppe auch ihren Text Los amigos de Durruti – Einer neuen Revolution entgegen, zum lesen, hier oder hier.

35A.d.Ü., ein Pejorativ um die herrschende Klasse im spanischen Staat zu benennen, es ist die Verniedlichung von Señor (Herr).

36A.d.Ü., im Originaltext ist die Rede von Ni gestionismo ni politicismo: dictadura del proletariado, was die Anbindung eines -ismus an den Ideen/Konzepten/Kategorien der Verwaltung und der Politik an dieser Stellen wären. Grupo Barbaria weißen auf die Ideologisierung beider, auf Spanisch kann man dies leicht mit dem Sufix -ismus machen, auf deutscher Sprache klingt es fürchterlich und ist unverständlich.

37A.d.Ü., wir empfehlen auch die Schrift von Paul Mattick, Die Barrikaden müssen niedergerissen werden, der Text kann hier oder hier gelesen werden.

]]> (Grupo Barbaria) Gegen palästinensischen und israelischen Nationalismus https://panopticon.blackblogs.org/2023/10/17/grupo-barbaria-gegen-palaestinensischen-und-israelischen-nationalismus/ Tue, 17 Oct 2023 08:34:03 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5244 Continue reading ]]>

Ein Text von Grupo Barbaria, die Übersetzung ist von uns.


Gegen palästinensischen und israelischen Nationalismus

Der Angriff der Hamas auf Israel am Samstag, den 7. Oktober, löste eine sofortige militärische Reaktion der Regierung Netanjahu aus, die den Kriegszustand erklärte und mit der systematischen Bombardierung des Gaza-Streifens begann. Unterdessen hat die Hisbollah unter dem Jubel des Ayatollah-Regimes die Situation ausgenutzt und von der libanesischen Grenze aus Raketen auf Israel abgefeuert. Die Kämpfe haben bereits (9. Oktober) mehr als tausend Tote zwischen dem israelischen Staat und dem Gaza-Streifen sowie Tausende von Verwundeten und Entführten gefordert. In den kommenden Tagen und Monaten werden das Elend und das Leid der Arbeiter auf beiden Seiten zunehmen und die allgemeine Not der Mehrheit der Bevölkerung, sowohl im Gazastreifen als auch des verarmten Proletariats in Israel, verschärfen.

Zusätzlich zu dem Elend, das die palästinensischen Proletarier sowohl innerhalb als auch außerhalb des Streifens unter dem bestehenden Regime der Segregation in Israel ertragen müssen, gibt es einen allgemeineren Prozess der Verarmung des Proletariats in der gesamten Region nach der Covid-Pandemie und dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine: Ein Anstieg der Rohstoff-, Energie- und Lebensmittelpreise, der bereits die Hälfte der arabischen Familien in Israel, mehr als ein Fünftel der jüdischen Familien und fast die gesamte Bevölkerung in Gaza – jenem großen Flüchtlingslager, das von den Brosamen der Vereinten Nationen erhalten wird – unterhalb der Armutsgrenze hält.

Was hat die Hamas veranlasst, jetzt zu handeln? Sicherlich nicht die Verteidigung der Interessen des Proletariats in Gaza, das erneut unter israelischen Bomben liegt. Ihr Überraschungsangriff, der zu einer Eskalation eines bereits seit langem bestehenden Konflikts geführt hat, kann nicht als Reaktion auf die Wut der Bevölkerung gegen die israelische Besatzung verstanden werden. Es gibt kein „palästinensisches Volk“, keine undifferenzierte Einheit von geschädigten Menschen, die heldenhaft auf ihre alten Aggressoren reagieren. Das Proletariat in Gaza, das noch vor wenigen Monaten gegen das Hamas-Regime, gegen Stromabschaltungen, Lebensmittelknappheit und heftige staatliche Repressionen protestierte, hat weder dieselben Interessen wie der untergeordnete Apparat des Ayatollah-Regimes noch wie die „tapferen“ Milizen, die die Zivilbevölkerung beider Seiten als menschliche Schutzschilde benutzen. Die israelische Reaktion auf den Angriff mag den nationalistischen Schulterschluss auf beiden Seiten des Konflikts neu entfachen, aber sie kann diese Tatsache nicht leugnen.

Denn es muss laut und deutlich gesagt werden: Die Kräfte, die sowohl auf palästinensischer als auch auf israelischer Seite am Werk sind, sind zutiefst reaktionär. Seit der Gründung des Staates Israel im Jahr 1948 ist die Region nur eine weitere Figur auf dem Schachbrett des globalen innerimperialistischen Kampfes gewesen. Israel positionierte sich schnell als Spielfigur im Dienste der US-Interessen. Seitdem hat es sowohl unter Ben-Gurions Arbeitspartei als auch unter den verschiedenen konservativen Regierungen eine systematische Ausgrenzung und Unterdrückung der Palästinenser innerhalb und außerhalb seiner Grenzen sowie eine militaristische und sicherheitspolitische Politik betrieben, die bisher dazu diente, von den tiefen sozialen Ungleichheiten innerhalb der jüdischen Bevölkerung abzulenken. Die verschiedenen Fraktionen des palästinensischen Nationalismus nach der britischen Mandatszeit entstanden ihrerseits unter der panislamistischen Schirmherrschaft der ägyptischen Muslimbruderschaft und später unter dem säkularen Dach des Stalinismus unter Nasser, um dann nach dem Fall der UdSSR an den Iran als Regionalmacht überzugehen. Ob politischer Islamismus oder Stalinismus, der Militärapparat des palästinensischen Nationalismus war immer mit den reaktionärsten Erscheinungen des 20. Jahrhunderts verbunden. Es konnte ja auch gar nicht anders sein: Wie Rosa Luxemburg schon Jahrzehnte zuvor in ihrer Auseinandersetzung mit Lenin feststellte, kann sich jede nationalistische Bewegung nur nach außen hin unter die Fittiche einer der Großmächte im imperialistischen Kampf begeben und nach innen hin jeglichen Klassenausdruck unterdrücken, um den inneren Zusammenhalt gegen den nationalen Feind zu fixieren.

Denn die Reaktion ernährt die Reaktion, und beide brauchen sich gegenseitig. Ob Netanjahu nun von dem Hamas-Anschlag wusste oder nicht, ob er dessen Ausmaß ignorierte oder unterschätzte oder ob er beschloss, ihn geschehen zu lassen, in jedem Fall kam es ihm sehr gelegen, mitten in einer politischen Krise seiner Regierung und angesichts eines drohenden Korruptionsprozesses die Reihen zu schließen. Die Hamas und die Hisbollah ihrerseits, wie auch das iranische Regime selbst, verschaffen sich auf diese Weise einen Moment des Aufatmens über die wachsende soziale Unzufriedenheit in den drei Gebieten, die im Libanon während der Proteste 2019 in dem Slogan Alle bedeuten alle – also auch die Hisbollah – zum Ausdruck kam und die im Iran seit 2018 Streiks und Mobilisierungen antreibt und letztes Jahr in den Antischleier-Protesten nach der Ermordung von Mahsa Amini explodierte.

In seiner endgültigen Krise treibt der Kapitalismus nicht nur das soziale Elend und die Verwüstung des Planeten immer weiter voran und motiviert damit Prozesse der sozialen Polarisierung, sondern verschärft auch die Konfrontation zwischen den verschiedenen Mächten um die Vorherrschaft auf einem Weltmarkt mit immer größeren Dysfunktionalitäten. In dem Maße, wie der Kapitalismus die Arbeit vertreibt und die materielle Reproduktion unseres Lebens immer schwieriger macht, macht er uns zu Kanonenfutter im Dienste der Interessen einer Fraktion der Bourgeoisie gegen eine andere. In dieser Logik des innerimperialistischen Kampfes hat die Hamas mit dem Ziel gehandelt, die Annäherung zwischen Israel und Saudi-Arabien zu torpedieren und eine neue regionale Konfiguration im Einklang mit den Spannungen zwischen den imperialistischen Blöcken zu verhindern. Unter dem Banner des „palästinensischen Widerstands“ gehorcht sie einfach dem Bedürfnis eines Teils der regionalen Bourgeoisie. Es ist jedoch das palästinensische und israelische Proletariat, das weiterhin Blut vergießen wird. Jedes Zugeständnis an den Nationalismus, jede Bevorzugung einer Nation gegenüber einer anderen in diesem Prozess bedeutet, sich auf die andere Seite der Barrikade gegen unsere Klasse zu stellen, die keine Heimat hat und deren einzige reale Chance, ihre Lebensbedingungen zu verbessern, darin besteht, genau das System zu beseitigen, das sie in immer krasserer Weise bedroht. Der israelisch-palästinensische Konflikt wird weder durch die Schaffung eines einzigen binationalen Staates noch durch die Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates gelöst werden. Er kann nur durch einen revolutionären Prozess gelöst werden, der mit jeder Nation und jeder Grenze bricht.

Wenn nachts die Flugabwehrsirenen ertönen und die israelischen und palästinensischen Militärapparate ihre Bevölkerung unter Bomben in Geiselhaft nehmen, stellen wir Revolutionäre uns dieser Barbarei mit aller Kraft entgegen. Den Bannern des Nationalismus, ganz gleich welcher Farbe, stellen wir den gemeinsamen Kampf der palästinensischen und israelischen Arbeiter entgegen. Für die Israelis ist ihr erbittertster Feind der jüdische Staatsapparat, so wie die PNA (A.d.Ü., Palästinensische Autonomiebehörde) und die Hamas unerbittliche Feinde der Palästinenser sind. Nur durch die direkte Konfrontation mit ihnen werden sie aus dem höllischen Labyrinth, in dem sie sich befinden, herauskommen können. Kurz gesagt, gegen den imperialistischen Krieg – und das ist ein imperialistischer Krieg – kann es nur eine Umwandlung in einen Klassenkrieg geben.

]]> (Grupo Barbaria) Anmerkungen zur Demokratie https://panopticon.blackblogs.org/2023/08/06/grupo-barbaria-anmerkungen-zur-demokratie/ Sun, 06 Aug 2023 16:35:46 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5103 Continue reading ]]> Ein weiterer Text von Grupo Barbaria, die Übersetzung ist von uns. Eine weitere Kritik an der Demokratie.


Anmerkungen zur Demokratie

Von Demokratie zu sprechen, bedeutet, von einem der Kernprinzipien des kapitalistischen Produktionsmodells zu sprechen. Dieser Gemeinplatz ist so fest, dass die Kritik daran selbst im radikalen Milieu umstritten ist, wo sie bestenfalls eine Minderheiten- und Gegenposition darstellt, da Demokratie gewöhnlich als etwas anderes als der Staat angesehen wird, als eine ahistorische Art, kollektive Angelegenheiten auf die harmonischste und friedlichste Weise zu regeln und auch die individuelle Freiheit und Autonomie am meisten zu respektieren. Für uns hingegen ist die Demokratie die notwendige Form der politischen Organisation einer Gesellschaft, die um die Ware herum organisiert ist. Die merkantilen (A.d.Ü., auf Waren bezogen) sozialen Beziehungen implizieren gleichzeitig eine formale Gleichheit zwischen ihren Mitgliedern und einen permanenten Antagonismus zwischen ihnen: Die Demokratie ist also weit davon entfernt, friedlich und ein Garant für individuelle Autonomie zu sein, sondern sie ist die Organisationsform eines Krieges aller gegen alle, in dem der einzig mögliche Schiedsrichter der Leviathan ist. Deshalb wird die Demokratie, die ein Produkt der merkantilen Beziehungen (A.d.Ü., Warenbeziehungen) ist, mit ihnen sterben.

Doch beginnen wir mit einer Frage: Was ist Demokratie? Schon die Etymologie des Begriffs gibt uns einen Hinweis auf seinen Charakter: die Macht des Volkes. Der Begriff Volk, wie auch der Begriff Demokratie selbst, versucht mit seinem vereinheitlichenden Charakter die Widersprüche abzuschwächen, die es in allen Klassengesellschaften gibt, sowohl in der griechischen Gesellschaft, die der Urheber war – Befürwörter der Sklaverei – als auch in der heutigen kapitalistischen Gesellschaft. Wie unsere Strömung historisch behauptet hat, und wie Jacques Camatte in Die demokratische Mystifikation erklärt:

Demokratie impliziert also die Existenz von Individuen, von Klassen und des Staates; Demokratie ist also gleichzeitig eine Regierungsform, eine Form der Herrschaft einer Klasse und der Mechanismus der Vereinigung und Versöhnung. […] in unseren Tagen, hat der ökonomische Prozess zur Vergesellschaftung der Produktion und der Menschen geführt. Die Politik hingegen neigt dazu, sie zu spalten und sie als bloße Tauschflächen für das Kapital zu erhalten. (Die demokratische Mystifikation, These 5).

Im Kapitalismus ist die Produktion für die Ware bestimmt. Aber Waren, so erinnert uns Marx, gehen nicht allein auf den Markt. Alle Mitglieder der Gesellschaft sind isolierte Eigentümer von Waren, die über den Markt miteinander verbunden sind. Da sie alle Eigentümer mit dem gleichen Rechtstitel sind, müssen sie rechtlich gleichgestellt sein. Und doch stehen ihre Interessen im Konflikt: Der Verkäufer konkurriert mit anderen Verkäufern, um seine Ware an einen Käufer zu vermitteln, und baut eine Beziehung zum Käufer auf, die gleichzeitig komplementär (jeder braucht den anderen) und antagonistisch (jeder muss das Beste aus dem anderen herausholen) ist. Der Kapitalismus ist also ein soziales Aggregat aus gleichen und entgegengesetzten Atomen, die über den Markt und seinen gesetzlichen Garanten, den Staat, miteinander in Beziehung stehen. Dies wird auf zwei Arten in die konkrete Realität umgesetzt. Auf der Seite der herrschenden Klasse impliziert es eine ständige Konkurrenz zwischen einzelnen Kapitalisten, zwischen Fraktionen der Bourgeoisie und zwischen Nationen und Völkern. Auf der Seite des Verhältnisses zwischen den Klassen ist der Proletarier, wie wir im Text über das Recht erklärt haben, nur ein weiterer Eigentümer, der auf den Markt geht, um seine Ware zu verkaufen, die einzige, die er hat: seine Arbeitskraft. Als Eigentümer ist er seinem Käufer, dem Kapitalisten, rechtlich gleichgestellt und unterzeichnet mit ihm einen Arbeitsvertrag, in dem die Ware Arbeitskraft gegen einen Lohn getauscht wird. Mit dieser Unterschrift wird die spezifische Form der Ausbeutung im Kapitalismus abgesegnet. In früheren Produktionsweisen fand die Klassenausbeutung durch außerökonomischen Zwang statt: Der Sklave wurde durch Auspeitschen zur Arbeit gezwungen, der Leibeigene wurde gezwungen, einen Teil seiner Ernte abzugeben. Im Kapitalismus ist der Zwang interner, ökonomischer Natur: Der Proletarier verkauft freiwillig die einzige Ware, die er besitzt, um Geld zu erhalten, mit dem er sich Zugang zu den übrigen Waren auf dem Markt verschaffen und überleben kann. Die formale Gleichheit des Rechts ist also das notwendige Mittel, um die reale Ungleichheit des Kapitalismus zu reproduzieren.

Die Demokratie ist daher die am besten geeignete politische Artikulation für eine Gesellschaft freier Atome, die gleichberechtigt sind und sich gegenseitig bekämpfen. Sie ist das soziale Wesen des Kapitals, das organisierte Misstrauen, die Art und Weise, die Antagonismen der Klassen- und Sozialatome im Krieg aller gegen alle, den die kapitalistische Konkurrenz hervorruft, zu verwalten. Die Summe des individuellen Willens von Mehrheiten und Minderheiten, die wiederkehrenden Konsultationen, um die Repräsentativität dieser widersprüchlichen Willen zu gewährleisten, die abstrakten Regelungen, um zu verhindern, dass sich die einen den anderen aufdrängen, das Gleichgewicht der Kräfte – all das ist der notwendige Apparat, damit dieser Hobbes’sche Krieg mit/durch anderen Mitteln stattfinden kann, die weniger destabilisierend für die Verwaltung des Staates sind.

Diese Vorstellung impliziert natürlich eine Naturalisierung der Ware und all dessen, was mit ihr zusammenhängt. Damit eine solche politische Organisation stattfinden kann, muss eine Trennung vorgenommen werden, die es vor dem Kapitalismus noch nicht gab: die Trennung zwischen der Ökonomie – dem Bereich der entgegengesetzten Interessen – und der Politik – wo wir alle frei und gleich sind. Wir haben bei anderen Gelegenheiten die typische Idee der Linken des Kapitals des Staates kritisiert, wonach dieser eine neutrale Einheit ist, die übernommen und gut verwaltet werden kann, wenn diese Aufgabe von den richtigen Leuten übernommen wird (sei es die KP (A.d.Ü., Kommunistische Partei) am Dienst oder die aufgeklärte Universitätsclique, die Podemos gegründet hat). Diese Vorstellung bringt eine andere mit sich, mit der wir uns hier beschäftigen: dass die Produktion von Waren so verwaltet werden kann, dass die Gesellschaft als Ganzes davon profitiert. Das ist dasselbe wie die Annahme, dass die kapitalistische Produktionsweise irgendwie neutral ist, dass der Staat das Interesse der Gesellschaft als Ganzes – und nicht das Interesse der Ware – verkörpern würde und dass wir alle – jenseits der formalen Gleichheit des Rechts – in ihm gleich sind. Recht und Politik können dank ihrer Abstraktion über die konkreten Elemente der Gesellschaft als neutrale Instanzen anerkannt werden, die sich um das allgemeine Interesse kümmern – das kein anderes ist als das der Ware – selbst wenn dies bedeutet, sich gegen einen bestimmten Kapitalisten zu stellen. Der Himmel der Politik erstrahlt somit über dem Despotismus der Fabrik, und dies ermöglicht es uns zu verstehen, wie der Kapitalismus aus der Gleichheit, die ihn -formal- kennzeichnet, eine -materielle- Ungleichheit macht, wobei die Demokratie ein bemerkenswerter Ausdruck dafür ist. In der Demokratie, wie auch im Recht, gibt es keine sozialen Klassen, jede Stimme hat genau die gleiche Gültigkeit, egal ob es die von Amancio Ortega oder die des Bettlers ist, der in einem Geldautomaten schläft.

Unsere Ablehnung der Demokratie ist keine a priori Position, ebenso wenig wie ihre Übernahme als Prinzip durch die Bourgeoisie auf der Grundlage eines vermeintlich freien Willens, der nichts anderes wäre als der Wille der Dinge selbst, der sich von der individuellen bis zur nationalen Souveränität ausdrückt. Bordigas Eröffnung seiner Rede Zur Frage des Parlamentarismus (auf dem Zweiten Kongress der Internationale) ist anschaulich:

Gefährten! Die linke Fraktion der Sozialistischen Partei Italiens ist aus Gründen, die nicht nur Italien betreffen, sondern allgemeiner Natur sind, antiparlamentarisch. Ist das eine Grundsatzdiskussion? Nein, sicher nicht. Wir sind alle prinzipiell Antiparlamentarier, da wir den Parlamentarismus als Mittel zur Emanzipation des Proletariats und als politische Form des proletarischen Staates ablehnen. Die Anarchisten sind prinzipiell Antiparlamentarier, da sie sich gegen jede Übertragung von Macht von einem Individuum auf ein anderes aussprechen; ebenso die Syndikalisten, die Gegner der politischen Aktion der Partei sind und die eine völlig andere Vorstellung vom Prozess der proletarischen Emanzipation haben. Was uns betrifft, so ist unser Antiparlamentarismus mit der marxistischen Kritik an der bourgeoisen Demokratie verbunden.

Dieser idealistische Apriorismus ist der notwendige Schritt zur Mystifizierung der Demokratie, die zu einem Prinzip erhoben wird und dabei ihren Status als koordinierendes Organ im Ensemble der sozialen Beziehungen, die das kapitalistische System ausmachen, aus den Augen verliert. Unsere Ablehnungsposition ist, wie alle Ablehnungen des revolutionären Programms, nicht – wie bei der Bourgeoisie – eine Frage der Organisationsform (der Politik), wie Bordiga bereits sagte, sondern des Inhalts1.

Solange die Produktion nicht neutral ist, kann auch ihre Verwaltung nicht neutral sein. Die Demokratie ist also orientiert, sie hat ein bestimmtes Interesse, das natürlich über den Willen derjenigen hinausgeht, die sich an ihr beteiligen (das kann durchaus das revolutionärste sein, das wollen wir nicht beurteilen). Wenn die Linke des Kapitals unseren Abstentionismus als „privilegierte“ Position kritisiert, können wir nichts anderes erkennen als das Privileg derjenigen, die uns kritisieren, nämlich das Privileg, in einer der Fraktionen vertreten zu sein, die an der Leitung des Staates beteiligt sind und ihm die Kontrolle streitig machen (die, wie wir gesagt haben, notwendigerweise bourgeois sind). Die politische Diskussion ist, wie wir täglich sehen, eine Frage der Form und niemals des Inhalts, denn da sie von den konkreten Elementen der Gesellschaft abstrahiert, kann sie die sozialen Beziehungen, die ihnen zugrunde liegen, nicht hinterfragen. Es geht nicht darum, dass die politische Demokratie falsch ist, genauso wenig wie die Demokratie in der Produktion (die die Selbstverwaltung des Waren-Elends ist), sondern darum, dass sie aufgrund ihres kapitalistischen Charakters darauf ausgerichtet ist, die Zwänge der Warenproduktion zum Nachteil der großen Mehrheit der Gesellschaft, der Besitzlosen und der Proletarier zu verwalten. Das ist der Punkt: Die Demokratie ist von Natur aus gegen das Proletariat.

Unsere Ablehnung der Demokratie ist, wie wir bereits erklärt haben, eine ganzheitliche, programmatische und keine konjunkturelle Position. Der Parlamentarismus impliziert einen Widerspruch zur Kritik der Demokratie, er ist eine Taktik, die der strategischen Frage der Zerstörung des bourgeoisen Staates zuwiderläuft. Diese Ablehnung schließt jede Form der Demokratie ein, da sie notwendigerweise Ausdruck einer zerrissenen Gesellschaft ist, zwischen der Tatsache – der Existenz von Klassen mit widerstreitenden Interessen – und dem Recht – das uns alle gleich macht. Eine emanzipierte Gesellschaft braucht keine Demokratie, genauso wenig wie sie den Staat, die Politik oder das Recht braucht, weil es einfach keinen Klassenantagonismus mehr gibt, der versöhnt werden muss, da es keine Ware gibt, die ihn erzeugt.

Wir treten nicht für eine „echte Demokratie“ oder eine „Arbeiterdemokratie“ ein, weil wir die Demokratie bereits kennen und leben, weil wir uns bereits dafür entschieden haben, weil wir eine vereinte Gesellschaft als Rahmen anstreben, in dem wir unsere Unterschiede so artikulieren können, dass sie nicht zu einem Bruch führen (insofern unsere Beziehungen nicht verdinglicht werden). Deshalb halten wir die übliche Dichotomie zwischen Diktatur und Demokratie (wenn es um die Verwaltung des Kapitals geht) für falsch, denn es kann nur eine Diktatur geben: die des Kapitals, die wir heute leben, oder die unserer Bedürfnisse, die wir als Revolutionäre anstreben. Wie Camatte in These 11 des zitierten Textes2 darlegt:

Außerdem ist der Zugang des Proletariats zum Staat seine eigene Negation als Klasse sowie die Negation anderer Klassen. Es ist der Beginn der Vereinheitlichung der Spezies, der Bildung der Gemeinschaft. Die Forderung nach Demokratie würde die Forderung nach einer Versöhnung zwischen den Klassen implizieren, was bedeuten würde, dass man bezweifelt, dass der Kommunismus die Lösung aller Antagonismen ist, dass er die Versöhnung des Menschen mit sich selbst ist.


1„Die Revolution ist kein Problem der Organisationsformen; die Revolution ist im Gegenteil ein Problem des Inhalts“. (Bordiga, Das demokratische Prinzip). Du kannst sowohl diese Rede als auch diejenige in Zur Frage des Parlamentarismus hier lesen: https://barbaria.net/2022/08/26/amadeo-bordiga-la-ilusion-democratica/

2Der gesamte Text kann hier gelesen werden: https://barbaria.net/2023/02/15/jacques-camatte-la-mistificacion-democratica/ – die Übersetzung von uns, ist hier zu lesen: Jacques Camatte: Die demokratische Mystifikation

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(Grupo Barbaria) Kommunistische Kritik des Rechts https://panopticon.blackblogs.org/2023/08/06/grupo-barbaria-kommunistische-kritik-des-rechts/ Sun, 06 Aug 2023 16:33:42 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5100 Continue reading ]]> Ein weiterer enorm interessanter Text von Grupo Barbaria, die Übersetzung ist von uns.


Kommunistische Kritik des Rechts

In diesen Notizen werden wir eine Kritik des Rechts als der spezifischen Form entwickeln, in der die gesellschaftliche Normativität in der kapitalistischen Produktionsweise erscheint. Das heißt, wir betrachten das Recht nicht als eine transhistorische Form, die für alle Klassengesellschaften gilt, sondern als eine spezifische Form, die ihre Daseinsberechtigung in der Logik der kapitalistischen Gesellschaft hat.

Zu diesem Zweck gehen wir von der Methode aus, die Marx in seiner Kritik der politischen Ökonomie verwendete. Und wir verstehen das Recht als ein spezifisches Moment, das seine Daseinsberechtigung in einer Welt findet, die die Ware zur einfachsten und unmittelbarsten Beziehung macht, die die kapitalistische Totalität artikuliert. Mit anderen Worten: Wir können das Recht nicht als eine autonome, vom Rest der gesellschaftlichen Gesamtheit unabhängige Dimension verstehen, die nach ihrer eigenen, unabhängigen sozialen Daseinsberechtigung analysiert werden sollte. Das Recht ist untrennbar mit der sozialen Logik verbunden, die der kapitalistischen Produktionsweise zugrunde liegt. Wir können es nur durch die Bewegung seiner einfachen und abstrakten Kategorien verstehen. Nachdem wir die Methode aufgezeigt haben, mit der wir unsere Untersuchung beginnen, wollen wir sie begründen.

Was ist das Recht?

Wenn wir nach einer allgemeinen Definition von Recht suchen, finden wir etwas sehr Ähnliches wie diese:

Das Recht ist „die rationale Organisation sozialer Beziehungen in Übereinstimmung mit der Begegnung des freien Willens der Individuen“.

„Das Recht ist eine Reihe von Regeln, die das menschliche Verhalten regeln und die Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt durch die Auferlegung von Regeln und die Schaffung von Gremien und Institutionen, die deren Einhaltung und Durchsetzung gewährleisten, ordnen“.

Wie wir sehen, zeichnen sich diese Definitionen durch ihren allgemeinen Charakter aus, d. h. sie gelten für jede Epoche und jede Gesellschaft. Jede Gesellschaft braucht eine Reihe von Normen, die das menschliche Verhalten durch gemeinsame Regeln ordnen und durch Institutionen garantiert werden, die für ihre Durchsetzung sorgen. Diese Definitionen des Rechts erinnern sehr an eine andere typische und allgemeine Definition, in diesem Fall der Ökonomie:

Die Ökonomie ist „die Wissenschaft, die die Befriedigung unbegrenzter menschlicher Bedürfnisse mit Hilfe knapper Ressourcen untersucht“.

Marx beginnt in seiner Einleitung zu Grundrisse genau damit, dass er diese Art von Definitionen, die für alle Zeiten und Orte gelten, in Frage stellt: Was sind menschliche Bedürfnisse? Was sind Ressourcen? Sind Ressourcen in den Händen der menschlichen Gemeinschaft nicht genauso in soziale Klassen aufgeteilt wie in einer Gesellschaft, die die Produktionsmittel zu Kapital macht? Die Antwort von Marx ist klar: Es geht darum, von den spezifischen Bestimmungen auszugehen, die jeder Produktionsweise eigen sind. Es ist notwendig, die konkreten Bestimmungen zu finden, die jeder Produktionsweise einen logischen und historischen Sinn geben, und von diesen einfacheren Bestimmungen aus nach oben zu gehen, um dieser historischen Totalität den allgemeinen Sinn zu geben. Wenn wir von den Definitionen ausgehen, die wir zuvor über Recht oder Wirtschaft gesehen haben, erklären wir nichts. Sie sind unbestimmte Abstraktionen, aus denen nichts Gültiges und Konkretes, nichts Erklärendes abgeleitet werden kann. Sie sind die typischen leeren Begriffe, von denen die bourgeoisen Sozialwissenschaften ausgehen. Wenn wir diese Definitionen jedoch konkreter hinterfragen, kommen wir zu konkreteren Feststellungen.

Genau das hat Marx mit seiner Kritik der politischen Ökonomie getan. Was sind diese Ressourcen? In einigen Gesellschaften werden einige Produktionsmittel von der bäuerlichen Gemeinschaft unabhängig (siehe die Arbeitsmittel in den mittelalterlichen Zünften), andere sind jedoch immer noch keine Waren (z. B. Land im Feudalismus). In anderen Fällen, z. B. in Rom, neigen die Patrizier dazu, sich den ager publicus der Gemeinschaft anzueignen, was sich in der Geschichte Roms sehr stark auswirken wird. Das ist die Methode des historischen Materialismus. Die spezifischen Bestimmungen jeder Produktionsweise zu finden, die spezifischen Unterschiede, die eine historische Totalität von einer anderen unterscheiden. Im Kapitalismus ist die einfachste Kategorie, von der wir den Rest aus seiner Einheit der Gegensätze ableiten können, die Ware. In Gesellschaften, in denen die kapitalistische Produktionsweise vorherrscht, erscheint der Reichtum tatsächlich als eine enorme Anhäufung von Waren. Alles wird in eine Ware verwandelt, die gekauft und verkauft werden kann, vom Land bis zur Arbeitskraft. Etwas, das in seiner Allgemeinheit in anderen früheren Produktionsweisen nicht denkbar war. Von der Ware leitet Marx eine weitere Reihe von Kategorien ab, wie Wert, Tauschwert und Gebrauchswert, Geld, Kapital (als Wert, der durch Wert aufgeblasen wird), usw. Und auf diese Weise rekonstruiert er die konkrete Totalität des Kapitals im Prozess, der dazu tendiert, mit seiner widersprüchlichen Logik die gesamte gesellschaftliche Bestimmung zu erfassen.

Gehen wir nun dazu über, die Definition des Gesetzes mit der gleichen Logik zu analysieren. Man sagt uns, dass es eine rationale Organisation der sozialen Beziehungen ist, die den freien Willen der Individuen regelt. Aber was ist dieser freie Wille des Einzelnen und gibt es einen freien Willen des Einzelnen im Ancien Régime oder in einer Inkagemeinschaft? Diese Fragen lassen uns verstehen, dass das, was dem modernen Recht zugrunde liegt, das individuelle Rechtssubjekt, dem eine Reihe von Rechten und Pflichten kosubstantiell zukommen, nichts anderes als ein historisches Nebenprodukt der kapitalistischen Produktionsweise ist. Das moderne Recht ist eine spezifische Form, die von den kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen durchdrungen und bestimmt ist. Es entsteht aus dessen Bestimmungen und Metamorphosen, und wir können es nur von dort aus erklären.

In vorkapitalistischen Gesellschaften gibt es (natürlich) Regeln des Zusammenlebens, aber sie beruhen auf anderen Prinzipien und einfachen Kategorien. Man denke an den Feudalismus und das Ancien Régime. Der Begriff des Privilegs ist ein wesentlicher Bestandteil des feudalen sozialen und politischen Gefüges. Es gibt keine Vorstellung von der Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz, wie sie für das moderne Recht und den Kapitalismus typisch ist. Der Unterschied zwischen den Menschen ist ein zentrales Element für die soziale Reproduktion der Struktur der Produktionsweise. Ein Adliger wird niemals mit einem Bauern gleich sein und ein Bourgeois niemals mit einem Bischof. Es gibt keine Vorstellung von abstrakter Gleichheit zwischen allen Personen als Personen. Der Feudalismus ist eine Produktionsweise, die die Reproduktion von ökonomischer und politischer Macht auf Verwandtschaft gründet. Privilegien werden strukturell vererbt. Wenn ich der Sohn eines Adligen bin, werde ich mein ganzes Leben lang ein Adliger sein und kann mich nur mit anderen Adligen fortpflanzen. Die Gleichheit zwischen Menschen ist in der sozialen Logik aller vorkapitalistischen Gesellschaften unverständlich. Explizite Ungleichheit ist eine Grundlage für die soziale Reproduktion ihrer Klassenstrukturen. Deshalb hat zum Beispiel jemand wie Aristoteles die Sklaverei gerechtfertigt. Er rechtfertigte damit lediglich theoretisch und ideologisch die Grundlage seiner Welt. Das ist nicht anders, als wenn Habermas die kommunikative Rationalität des Rechtsstaats und der liberalen Demokratie rechtfertigt, um ein aktuelles Beispiel zu nennen.

Das Besondere am Kapitalismus im Vergleich zu anderen Klassenproduktionsweisen ist also die Vorstellung von abstrakter Gleichheit. Auf dieselbe Weise stellt der Kapitalismus auf der Grundlage abstrakter Arbeit eine Reihe konkreter Tätigkeiten gleich, die in anderen Klassengesellschaften nichts gemeinsam haben: Die Tätigkeit des Handwerkers hat nichts mit der des freien mittelalterlichen Bauern oder des Leibeigenen gemein. In anderen Gesellschaften ist das hierarchische Netzwerk von Privilegien jedoch untrennbar mit diesen Gesellschaften verbunden. So wie die abstrakte Arbeit die soziale Substanz der kapitalistischen Gesellschaft zum Ausdruck bringt, drückt das juristische Subjekt (A.d.Ü., oder Rechtssubjekt) (die Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz als Personen) die einfachste Kategorie aus, aus der wir den modernen juristischen Rahmen ableiten müssen. In diesem Sinne sind Ware und Recht zwei untrennbare und verständlicherweise wechselseitige Phänomene, zwei Phänomene, die all ihre Bestimmungen und Möglichkeiten im Kapitalismus entwickeln.

Pashukanis ist zweifelsohne der kommunistische Theoretiker (bolschewistischer Herkunft), der diese Perspektive am besten entwickelt hat. Im Kapital fragt Marx nicht nur nach dem gemeinsamen Inhalt der auf dem Markt verkauften Waren (der Arbeitszeit, die die klassischen Ökonomen schon früh erkannt hatten), sondern auch danach, warum die Produkte menschlicher Arbeit die Form von Waren annehmen, was in anderen Gesellschaftsformationen nicht in verallgemeinerter Form der Fall war. In ähnlicher Weise fragt Pashukanis, warum die menschlichen Beziehungen eine juristische Form annehmen, warum die Menschen zu abstrakten Subjekten werden, die als Personen gleiche Rechte und Pflichten haben. Es ist wichtig, nicht nur nach dem Inhalt, sondern auch nach der Form zu fragen. Die Methode ist in beiden Fällen ähnlich: Warum nehmen die menschlichen Produkte die Form des Wertes an? In anderen Gesellschaften wurden die Produkte menschlicher Arbeit weder gekauft noch verkauft, sondern waren direkt gesellschaftliche Gebrauchswerte. Warum werden die sozialen Verbindungen von Menschen als gleichberechtigte Subjekte hergestellt, die Rechte und Pflichten haben? In anderen Gesellschaften gab es kein allgemeines Recht, sondern die Beziehungen wurden auf der Grundlage der spezifischen Rechte organisiert, die jede soziale Gruppe hatte, sie waren in ihre eigene sozio-politische Gemeinschaft eingebettet. Eine Person, die Mitglied der mozarabischen Gemeinschaft in Al-Andalus war, hatte andere Rechte als ein Muladi (spanischer Konvertit zum Islam), ein Berber oder ein Araber. In vorkapitalistischen Gesellschaften gibt es die Figur des Individuums als abstraktes Subjekt mit gleichen Rechten nicht.

Die kapitalistischen sozialen Beziehungen

Um dies zu verstehen, müssen wir uns mit der Besonderheit der kapitalistischen Produktionsweise befassen, mit einer Gesellschaft, in der die Ware die Grundzelle ihrer Struktur ist. Marx beginnt das zweite Kapitel des Kapitals mit der Feststellung, dass die Ware (deren Logik alles bestimmt) nicht allein auf den Markt geht:

„Die Waren können nicht selbst zu Markte gehn und sich nicht selbst austauschen. Wir müssen uns also nach ihren Hütern umsehn, den Warenbesitzern. Die Waren sind Dinge und daher widerstandslos gegen den Menschen. Wenn sie nicht willig, kann er Gewalt brauchen, in andren Worten, sie nehmen. Um diese Dinge als Waren aufeinander zu beziehn, müssen die Warenhüter sich zueinander als Personen verhalten, deren Willen in jenen Dingen haust, so daß der eine nur mit dem Willen des andren, also jeder nur vermittelst eines, beiden gemeinsamen Willensakts sich die fremde Ware aneignet, indem er die eigne veräußert. Sie müssen sich daher wechselseitig als Privateigentümer anerkennen. Dies Rechtsverhältnis, dessen Form der Vertrag ist, ob nun legal entwickelt oder nicht, ist ein Willensverhältnis, worin sich das ökonomische Verhältnis widerspiegelt. Der Inhalt dieses Rechts- oder Willensverhältnisses ist durch das ökonomische Verhältnis selbst gegeben. Die Personen existieren hier nur füreinander als Repräsentanten von Ware und daher als Warenbesitzer. Wir werden überhaupt im Fortgang der Entwicklung finden, daß die ökonomischen Charaktermasken der Personen nur die Personifikationen der ökonomischen Verhältnisse sind, als deren Träger sie sich gegenübertreten.“

Wir haben es hier mit einem dieser typischen Marx-Zitate zu tun, die dank der Methode, die unser Gefährte verfolgte, reichlich Licht auf unsere Untersuchung werfen. Er sagt uns, dass das Recht die Gesellschaftsform ist, die dem allgemeinen Warenaustausch zwischen formal gleichen privaten Produzenten entspricht. Das heißt, es ist eine objektive Gesellschaftsform des Kapitalismus. Die Waren gehen nicht allein auf den Markt, sondern müssen von ihren Besitzern getragen werden. Die einzige Ware, die ein Proletarier auf den Markt bringen kann, ist seine Arbeitskraft. Dort ist es jemand anderes, der Unternehmer, der sie anheuert oder nicht. Ich entfremde meine Ware freiwillig für den Gebrauch eines anderen (des Unternehmers) im Austausch für ihren Wert (der in Form von Lohn erscheint). Der freie und wechselseitige Wille ist Teil dieser sozialen Beziehung, die die Grundlage des Kapitalismus ist. Die beiden gesellschaftlichen Akteure (Bourgeois und Proletarier) müssen sich darauf einigen, ihre Waren zu tauschen (der Proletarier seine Arbeitskraft, der Bourgeois das Geld, mit dem er für die Anmietung seiner Arbeitskraft bezahlt wird), und das Ergebnis all dessen wird in einem privaten Arbeitsvertrag geregelt (den wiederum der öffentliche Staat so reguliert, dass er in allen seinen Bedingungen erfüllt wird).

Wir sehen also ganz klar, dass das Privatrecht untrennbar mit der Entstehung kapitalistischer sozialer Beziehungen verbunden ist. Es gibt keinen Kapitalismus ohne modernes Recht. Deshalb wollen wir die allgemeinen Begriffe, mit denen wir diese Studie begonnen haben, etwas näher beleuchten. Der freie Wille der Individuen, der für die bourgeoisen Rechtstheoretiker die Grundlage des rationalen Zusammenlebens der Menschen ist, ist nichts anderes als die Widerspiegelung und Manifestation der Logik des Kapitalismus auf der rechtlichen Ebene.

Der Kapitalismus ist von seinen Ursprüngen her unmittelbar und zwangsläufig juristisch. Das Recht ist nicht etwas Freiwilliges, das existieren kann oder nicht, sondern eine objektive Bestimmung des gesellschaftlichen Wesens des Kapitals. Die juristische Form ist die Form der Verbindung des Willens von Individuen, die durch die reale Vermittlung von Dingen gesellschaftlich verbunden sind. Das heißt, als Besitzer verschiedener Waren auf dem Markt verhalten sich die Menschen zueinander als rechtlich gleiche Subjekte, die Gegenstände austauschen, ein Austausch, der durch Verträge rechtlich abgesegnet ist. Wenn ich meine Arbeitskraft nicht verkaufen will, bin ich nicht dazu gezwungen, dies zu tun. Es gibt keinen außerökonomischen Zwang, wie bei anderen ausgebeuteten Klassen der Vergangenheit. Der Sklave gehört mit seiner ganzen Person dem Besitzer der römischen Latifundien. Der Leibeigene gehört zum Land, er kann sich nicht vom Grundbesitz des Adligen entfernen. Wir als Proletarier können frei von einem Arbeitsplatz zum anderen wechseln. Oder nicht zu arbeiten. Niemand zwingt uns, dies zu tun. Es gibt keine außerökonomischen Sanktionen, die Sanktion ist direkt ökonomisch. Denn wenn wir als Proletarier das Einzige, was wir besitzen, nämlich unsere Arbeitskraft, nicht verkaufen, können wir uns weder menschlich noch gesellschaftlich reproduzieren. Wir werden überflüssig. Im Kapitalismus ist der Zwang nicht äußerlich, sondern innerhalb der sozialen Logik selbst. Wir müssen nicht durch äußere Regeln gezwungen werden, um ausgebeutet zu werden, sondern die Ausbeutung ergibt sich aus der gesellschaftlichen Notwendigkeit, unsere Arbeitskraft zu verkaufen. Und das ist die soziale Macht des Kapitals im Vergleich zu anderen Produktionsweisen. Deshalb sagen wir oft, dass der Kapitalismus Ungleichheit (den Antagonismus zwischen den Klassen, die Trennung des Proletariats von seinen materiellen Existenzbedingungen) durch (rechtliche) Gleichheit reproduziert. Das macht den Kommunismus zu einer realen Bewegung, die, um den Kapitalismus als soziales Verhältnis zu negieren, auch anti-juridisch ist. Er negiert das juristische Subjekt, das die Grundlage der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse bildet.

In Anlehnung an das Marx-Zitat, das wir zu Beginn dieses Abschnitts erwähnt haben, sagt uns Marx, dass unser Wille in den Dingen zu finden ist. So wird der Fetischismus der Ware, den Marx nur wenige Seiten zuvor beschrieben hat, von einem juristischen Fetischismus abgelöst. Der freie Wille ist in Wirklichkeit ein Nebenprodukt der Logik des Kapitals als Wert im Prozess. Unser Wille ist in Dingen enthalten, die in Wirklichkeit soziale Beziehungen verkörpern: Die Produktionsmittel sind nicht einfach Dinge, die Reichtum produzieren, sondern Kapital, das Waren produziert. Diese sozialen Beziehungen sind also durch den Antagonismus zwischen Kapital und Proletariat gekennzeichnet, in dem das Kapital (als Wert, der sich in Wert auflöst) als automatisches und unpersönliches Subjekt erscheint, das mit seiner Logik die gesamte gesellschaftliche Totalität subsumiert. Wie wir sehen, ist die rechtliche Gleichheit ein Aspekt, der nicht autonom von den Produktionsverhältnissen ist, sondern in die allgemeine Bewegung des Kapitals eingeschrieben ist. So sind wir Menschen, wie Marx in demselben Zitat immer wieder sagt, lediglich Verkörperungen der verschiedenen gesellschaftlichen Kategorien, in denen sich die Kapitalbewegung ausdrückt (Arbeit als variables Kapital, die Bourgeoisie als Eigentümerin der toten Arbeit). Natürlich ist diese automatische und unpersönliche Bewegung des Kapitals nur ein weiteres Zeichen für den fetischistischen Charakter des Kapitals in seiner Bewegung, der den Antagonismus zwischen Kapital und Proletariat, zwischen der Logik der toten Arbeit und den menschlichen Bedürfnissen verschleiert. Der Kommunismus ist die reale Bewegung, die auf der Grundlage dieses Widerspruchs und Antagonismus danach strebt, das Kapital in all seinen Metamorphosen und objektiven (auch juristischen) Formen aufzulösen, um die menschliche Weltgemeinschaft (ohne Klassen, Waren oder Staat) zu behaupten.

Der Kapitalismus als konkrete Totalität

Wie wir an anderer Stelle ausgeführt haben, ist der Kapitalismus nicht das Ergebnis einer Summe von getrennten Teilen, die dann miteinander verbunden werden. Er ist eine gesellschaftliche Gesamtheit, die in der Ware, die erst in Geld und dann in Kapital umgewandelt wird, ihre Daseinsberechtigung findet, die eigentliche Kategorie, die der Gesamtheit zugrunde liegt. Keiner seiner Teile kann losgelöst von dieser sozialen Logik verstanden werden. Die verschiedenen Teile, in die der Kapitalismus als Produktionsweise gegliedert ist, sind eine spezifische Bestimmung, eine Metamorphose des Kapitals als soziales Verhältnis. Wie wir bereits gesehen haben, können wir das Recht nicht verstehen, wenn wir nicht erkennen, dass es nicht einfach ein rechtlicher und neutraler Vertrag zwischen Willen ist. Diese Willen gehören zu den Dingen, sie sind in Wirklichkeit Verkörperungen von sozialen Kategorien, die sie beherrschen und verdinglichen. Als Proletarier wird mein Wille durch die Notwendigkeit, meine Arbeitskraft zu verkaufen, eingeschränkt. Wir können das Recht nur verstehen, wenn wir es als eine spezifische Ausprägung der kapitalistischen Produktionsweise als gesellschaftliche Totalität begreifen. Es ist das Kapital als widersprüchliches gesellschaftliches Verhältnis, das den gesamten gesellschaftlichen Prozess mobilisiert, das den Takt der Produktionsbewegungen und der gesellschaftlichen Reproduktion vorgibt.

Deshalb kann man die Besonderheit des Rechts nur verstehen, wenn man es in die kapitalistische Totalität einordnet, wenn man seine Besonderheit als eine konkretere Bestimmung der abstrakten Logik des Kapitalismus versteht. Und das Kapital wiederum ist keine unbestimmte und leere Kategorie. Es entwickelt und konkretisiert sich in jeder seiner Besonderheiten durch einen Prozess, bei dem das soziale Wesen des Kapitals im Rechtssubjekt, im demokratischen Staatsbürger, in der Verrechtlichung und Politisierung aller Lebensbereiche, in den rechtlichen und politischen Institutionen usw. verkörpert wird.

Wir haben gesehen, dass die Bewegung des Kapitals verschiedene Momente durchläuft, die vom einfachsten und abstraktesten bis zum konkretesten reichen: von der Ware zum Geld, vom Kapital im Allgemeinen zum Wettbewerb zwischen den vielen Kapitalen. Die gleiche Bewegung können wir in den juristischen Kategorien beobachten. Wir folgen Pasukhanis, der von der grundlegendsten Kategorie, dem Rechtssubjekt, ausgeht, aus dem Rechtsbeziehungen entstehen und das immer mehr in die gesellschaftliche Gesamtheit eindringt, bis wir beim Recht als Norm in seinen verschiedenen Erscheinungsformen ankommen (von zivilrechtlichen Verträgen bis hin zu Verfassungen als Grundgesetze des öffentlichen Rechts). Oder, im Fall der demokratischen Logik, vom Staatsbürger als einfacher Kategorie über seinen Willen, der sich im Mythos der nationalen und/oder Volkssouveränität manifestiert und sich in Wahlen und politischen Vertretern verkörpert, bis hin zu seiner Konkretisierung in Parlamenten und politischen Institutionen als Ganzes. Nur wenn wir von der allgemeineren sozialen Logik ausgehen, können wir die Bedeutung der konkreteren Elemente verstehen. Außerdem können wir so die Naturalisierung, die dem Recht zugrunde liegt, entmystifizieren. Wir gehen nicht von seinen Regeln aus, als ob sie einfach ein neutrales Instrument zur Organisation des gesellschaftlichen Zusammenlebens wären, sondern erklären sie als Ergebnis eines rechtlichen oder politischen Subjekts, das nicht neutral ist. Sie sind das Ergebnis der kapitalistischen Verdinglichung (A.d.Ü., im Sinne des „zur Ware werden“). Diese Operation ist nicht zufällig das Gegenteil von dem, was die bourgeoisen Theoretiker tun.

Mit anderen Worten: Den Kapitalismus als konkrete Totalität zu verstehen, ist die einzige Methode, um die Wirklichkeit in der Fülle all ihrer spezifischen Erscheinungsformen zu begreifen.

Der Kapitalismus ist ein System, das sich durch eine Reihe von gegensätzlichen Einheiten reproduziert, von Aspekten, die sich für uns auf unterschiedliche Weise manifestieren. In der „ökonomischen“ Logik des Kapitalismus selbst ist es die Einheit von Gegensätzen zwischen Gebrauchswert und Wert, zwischen konkreter Arbeit und abstrakter Arbeit und so weiter. Das kapitalistische Gesellschaftsverhältnis wiederum impliziert, dass die Verbindung zwischen den Individuen nicht direkt sozial ist, sondern über den Markt hergestellt wird.

Dieser Aspekt ist für die Frage des Rechts sehr wichtig. Der Kapitalismus bringt eine Atomisierung der Menschen mit sich, die voneinander getrennt und fragmentiert sind. Wir gehen als individuelle Subjekte auf den Markt und verkaufen unsere Arbeitskraft, die über ein anderes Rechtssubjekt, in diesem Fall ein Unternehmen, unter Vertrag genommen wird. Die Grundlage des kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisses impliziert also diese Trennung, die wiederum ein Privatrecht für die Beziehungen zwischen den verschiedenen sozialen Akteuren im kapitalistischen Spiel nach sich zieht, diesen Krieg aller gegen alle, der der kapitalistische Markt ist, diesen ständigen Interessenkonflikt, in dem die Beziehungen des Rahmens der kapitalistischen Gesellschaft zum Ausdruck kommen. Deshalb kann die politische Macht, anders als bei anderen Produktionsweisen in der Vergangenheit, nicht innerhalb der ökonomischen Macht liegen. Und Tatsache ist, dass die verschiedenen ökonomischen Mächte in einem ständigen Konflikt miteinander stehen, und zwar aufgrund der dem Kapitalismus innewohnenden (A.d.Ü., intrinsisch) Konkurrenz. Daher zerfällt der Kapitalismus in eine neue Einheit von Gegensätzen, die zwischen Ökonomie und Staat, zwischen Zivilgesellschaft und Politik. Der Staat tritt als Verteidiger der allgemeinen Interessen der Gesellschaft auf (einer Gesellschaft, die bereits durch die Logik und Bewegung des Kapitals fetischisiert wurde), die die Interessen des Kapitals als Ganzes sind. Diese Logik der Trennung unterscheidet sich stark von der Logik vorkapitalistischer Gesellschaften. Wenn wir zum Beispiel an den Feudalismus als Gegenpol denken, hatte der Feudalherr sowohl ökonomische Macht (durch seinen Grundbesitz) als auch politische Macht (durch seine Hoheitsrechte). Der Kapitalismus trennt in einer Einheit von Gegensätzen, was in anderen Produktionsweisen vereint war.

So werden im Kapitalismus Ökonomie und Politik, Privatrecht und öffentliches Recht getrennt. Das soziale Wesen kann nur in Erscheinung treten, wenn es sich von dem ständigen Konflikt zwischen den verschiedenen atomisierten und miteinander konkurrierenden Subjekten trennt. Das ist es, was die bourgeoisen Denker in den Anfängen des Kapitalismus als Gesellschaftsvertrag theoretisiert haben. Von Hobbes über Locke bis hin zu Rousseau müssen diese „natürlichen“ konkurrierenden Individuen eine Art Vereinbarung treffen, einen Gesellschaftsvertrag, aus dem die moderne Politik und der Staat hervorgehen. In Realität sind sie Theoretiker, die im Reich der Ideen und des Geistes lediglich die Logik und Bewegung des sozialen Wesens des Kapitals widerspiegeln.

Der Staat als unpersönliche öffentliche Macht

Wie wir bereits gesehen haben, ist der Kapitalismus durch den universellen Austausch von privaten und formal gleichen Produzenten gekennzeichnet. Dies führt zu einer Reihe von Trennungen innerhalb der kapitalistischen Welt. Die politische Macht erscheint daher unabhängig von den einzelnen privaten Produzenten. Sie identifiziert sich mit keinem von ihnen, sondern verteidigt die Interessen des gesellschaftlichen Ganzen, d. h. des Kapitals im Allgemeinen.

Das gibt der unpersönlichen Logik, die die kapitalistische Dynamik kennzeichnet, einen Sinn. Die Menschen existieren hier nur füreinander als Vertreter von Waren, als Besitzer von Waren. Sie sind nichts anderes als Verkörperungen der kapitalistischen Verhältnisse in ihren verschiedenen Metamorphosen. Es ist nicht der Bourgeois, der die Logik des Kapitalismus nach Belieben beherrscht, sondern die unpersönliche Logik des Kapitals, die sich dem Bourgeois aufdrängt. Der Kapitalist, der nicht konkurriert, der seine Produktivität nicht steigert, wird von der unerbittlichen Logik des Teufels, der den Körper des Kapitals bewegt, entsorgt.

Die gleiche unpersönliche Logik kommt auch im Bereich des Staates und des öffentlichen Rechts zum Ausdruck. Wir haben diese Überlegungen bereits in unserem Notizbuch über Podemos entwickelt. Es sind nicht die Politiker, die die Bewegungen des Kapitals beherrschen. Der Staat ist lediglich ein Garant für die Interessen des Kapitals. Es ist die erweiterte Reproduktion des Wertes im Prozess, die das Tempo der Intervention und den Willen des Staates und seiner Manager bestimmt, unabhängig von ihrer politischen Couleur. Der politische Instrumentalismus der reformistischen Linken ist angesichts der Verwertung des Kapitals im Wandel begriffen. Sie handeln, bevor sie gedacht haben, wie Marx sagte.

Daher ist die Trennung zwischen Ökonomie und Politik, Privatrecht und öffentlichem Recht, Ausdruck einer Autonomie innerhalb der kapitalistischen gesellschaftlichen Totalität. Es ist eine Trennung in der Einheit, eine Einheit von Gegensätzen, wie Marx in seiner dialektischen Logik sagen würde. Die Konsequenzen, die sich daraus für die Theorie des Staates und des öffentlichen Rechts ergeben, sind sehr wichtig. Dazu bedienen wir uns eines interessanten Textes von Alain Bihr in einer Polemik mit dem Trotzkisten Ernest Mandel:

– Die Macht gehört (anders als in der vorkapitalistischen Produktionsweise) niemandem, nicht einmal denen, die sie ausüben, egal auf welcher Ebene sie das tun. Sie verkörpern lediglich die kapitalistischen gesellschaftlichen Verhältnisse. Ihr Wille ist in den Dingen enthalten, wie wir gesehen haben. Es ist ihre Funktion (im Dienste der allgemeinen Logik des Kapitals), die das Organ und die Menschen, die es zu verwalten versuchen, bestimmt.

– Die öffentliche Macht des Staates unterscheidet sich formal von den vielfältigen privaten Machtbefugnissen, die im Rahmen der kapitalistischen Zivilgesellschaft weiterhin ausgeübt werden: Machtbefugnisse, die mit der Geburt, der sozialen Herkunft, der Macht des Geldes und des Kapitals, der Konkurrenz… Die Macht des Staates garantiert allgemeine Interessen, die über den privaten Interessen stehen.

– Die Handlungen dieser Macht dürfen nicht Ausdruck der Partikularinteressen privater Fraktionen sein, sondern ausschließlich des allgemeinen Interesses. Das allgemeine Interesse ist, wie wir bereits wissen, mit der kapitalistischen bourgeoisen (vertraglichen) Ordnung gleichgesetzt worden. Diese muss jedem die Achtung seiner Rechtssubjektivität und die Möglichkeit garantieren, frei nach seinem individuellen Willen Verträge abzuschließen. Die abstrakte Logik des Kapitalismus setzt voraus, dass alle Individuen auf dem Markt zu gleichen Bedingungen konkurrieren können. Damit die kapitalistische Logik auf rein kapitalistische Weise funktionieren kann, muss ihr eine demokratisierende Logik zugrunde liegen. Daher ist die Logik der Identitätspolitik, die die Anerkennung von Rechten für subalterne Subjekte aufgrund ihrer Rasse oder ihres Geschlechts fordert, nichts anderes als eine Aktualisierung der juristischen Logik des Kapitals, eine Möglichkeit, Unterdrückungen zu beseitigen, die die Gleichheit der Menschen im Wettbewerb auf dem Markt behindern. Sie haben nicht nur nichts Subversives an sich, sondern sie sind eine Reinigung der Logik des Kapitals.

– So respektiert die Macht die Vorrechte des Einzelnen als Rechtssubjekt. Sie verkörpert die Logik des Rechtsstaates, in dem sie in verschiedene Institutionen aufgeteilt ist, um ihre Konzentration in den Händen einiger weniger zu verhindern.

– Diese Macht richtet sich gleichberechtigt an alle und garantiert die gleichen Pflichten und im Gegenzug die gleichen Rechte. Auch hier zeigt sich der demokratische Charakter des Rechts, der die Gleichheit aller Rechtssubjekte anstrebt, als etwas streng Kapitalistisches.

Es ist offensichtlich, dass wir über die abstraktesten Merkmale der kapitalistischen Logik im juristischen und politischen Sinne sprechen: Das soziale Wesen des Kapitals ist sowohl demokratisch als auch juristisch. In der Geschichte der kapitalistischen Gesellschaften gibt es viele Anfechtungen dieser allgemeinen Merkmale, die wir gezeichnet haben: Machtgruppen, die Teile des Staates übernehmen, Lobbys, die Druck zum Vorteil ihrer Kunden ausüben, Fälle von politischer Korruption, unterdrückte Subjekte, die nicht gleichberechtigt konkurrieren können… Wir behaupten, dass die abstrakte, reine Logik des Kapitals dazu tendiert. Und dass daher alle Reformen, die Recht und Demokratie als Mittel einsetzen, um die Ordnung des Kapitals in Frage zu stellen, diese lediglich verstärken. Auch die historische Entwicklung des Kapitalismus hat diese demokratischen und rechtlichen Merkmale verstärkt und gleichzeitig alle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens auf totalitäre Weise subsumiert. Wie die italienische Linke behauptete, hat der Faschismus den Krieg zwar militärisch, aber nicht politisch verloren. Das Leben wird heute viel stärker von Gesetzen und Rechtsbeziehungen beherrscht als zur Zeit der Entstehung des Kapitalismus. Auf diese Weise lässt sich der inhärent kapitalistische Charakter dieser objektiven Formen ihres gesellschaftlichen Seins besser beobachten.

Die bourgeoise Theorie des Rechts

Die bourgeoisen Ökonomen bleiben konzeptionell in den Grenzen der Kapitalbewegung gefangen, und selbst ihre besten klassischen Vertreter wie Adam Smith und David Ricardo naturalisieren die kapitalistische Produktionsweise als die fortschrittlichste und am weitesten entwickelte ökonomische Form, eine Produktion von Reichtum, die im Wesentlichen schon immer durch das atomisierte Verhalten der Menschen im gesellschaftlichen Produktionsprozess bestimmt wurde. In ähnlicher Weise bewegt sich die bourgeoise Rechtstheorie immer innerhalb der Ränder, in denen die Normen den Rechtssubjekten in ihrem Verhalten erscheinen. So entstehen verschiedene Schulen, die die Dualismen und Widersprüche des bourgeoisen Rechts selbst widerspiegeln.

Auf der einen Seite gibt es diejenigen, die versuchen, das Recht als Verkörperung der fortschrittlichsten Moral und Ethik, als Ausdruck der Menschenrechte und der Natur des Menschen zu verteidigen. Es ist kein Zufall, dass die frühneuzeitlichen Theoretiker des Rechts und der Politik, wie z. B. Locke, Iusnaturalisten (A.d.Ü., Naturrechtler) waren. Das heißt, sie sahen in den Menschenrechtserklärungen der bourgeoisen Revolutionen die Erfüllung der menschlichen Natur. So hieß es in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der Französischen Revolution:

1. Die Menschen sind und bleiben von Geburt frei und gleich an Rechten. Soziale Unterschiede dürfen nur im gemeinen Nutzen begründet sein.

2. Das Ziel jeder politischen Vereinigung ist die Erhaltung der natürlichen und unveräußerlichen Menschenrechte. Diese Rechte sind Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung.

3. Der Ursprung jeder Souveränität ruht letztlich in der Nation. Keine Körperschaften, kein Individuum können eine Gewalt ausüben, die nicht ausdrücklich von ihr ausgeht.

4. Die Freiheit besteht darin, alles tun zu können, was einem anderen nicht schadet. So hat die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen nur die Grenzen, die den anderen Gliedern der Gesellschaft den Genuss der gleichen Rechte sichern. Diese Grenzen können allein durch Gesetz festgelegt werden“.

Mit anderen Worten: Die natürlichen und unantastbaren Rechte des Menschen fallen mit dem Eigentum und seiner Sicherheit zusammen. Meine Freiheit bedeutet, dass ich anderen keinen Schaden zufügen kann, weil ich die natürlichen Rechte respektieren muss, die mit denen der Welt der Waren und des Geldes, des Eigentums und des Kapitals übereinstimmen.

Wie Marx in seiner Jugend sagte, sind die Rechte des Menschen nichts anderes als die Rechte des bourgeoisen Staatsbürgers. Sie sind die Rechte des Kapitals (in all seinen Bestimmungen, einschließlich der patriarchalen). Der gesamte bourgeoise Iusnaturalismus ist im Grunde nichts anderes als eine Verteidigung abstrakter und unbestimmter Menschenrechte, deren konkrete Natur ein unkritischer Positivismus ist, der die Welt der Bourgeoisie verteidigt. Genauso verhält es sich mit dem kantischen kategorischen Imperativ, der immer die Welt des Privateigentums und den bourgeoisen Staat, der es verteidigt, voraussetzt.

Im Laufe der Zeit verlor das bourgeoise Recht allmählich diese moralischen und rechtlichen Feinheiten und wurde in einen Rechtsnormativismus umgewandelt, der die Rechtsnorm verteidigt, wie sie ist: Das Recht ist legitim, weil es legal ist. Hans Kelsen ist der führende Vertreter dieser Perspektive im 20. Jahrhundert. Das Recht impliziert eine normative Hierarchie, die immer respektiert werden muss. Die Vorherrschaft dieser bourgeoisen Perspektive, die die Demokratie und den Rechtsstaat identifiziert, zeigt sich in vielen der aktuellen politischen Debatten im heutigen Spanien, in denen die Autorität der Verfassung sakralisiert wird.

Auf diese Weise schwingt das bourgeoise öffentliche Recht auf einem Pendel vom essentialistischen Moralismus zum Rechtsrealismus, von der kantischen Pflicht zum Wesen des Gesetzes und der Herrschaft der bourgeoisen Konstitutionalisten der Gegenwart.

In diesem Abschnitt geht es darum, über den methodischen Unterschied zwischen unserer Perspektive und der der Bourgeoisie nachzudenken. Die bourgeoise Rechtsauffassung geht immer von dem aus, was unmittelbar gegeben ist, von der Rechtsnorm. Eine Norm, die entweder essentialisiert wird, als ultimativer Ausdruck der menschlichen Natur (wie es die klassische Ökonomie mit der Arbeit tat), oder einfach als de facto gegeben beschrieben und verteidigt wird. Und auf diese Weise wird sie immer als unüberwindbar dargestellt: Wie können wir etwas überwinden, das eine einfache gesellschaftliche Norm oder nichts weniger als der Ausdruck der menschlichen Natur selbst ist. Unser Konzept beginnt damit, dass wir uns nach dem Ursprung des Rechts und der Rechtsnorm fragen, indem wir versuchen, den Ursprung der Erscheinung der Rechtsform als die Art und Weise zu verstehen, in der Wesen, die sich bei der Produktion und Reproduktion ihres sozialen Lebens atomisiert verhalten, miteinander in Beziehung treten können. Auf diese Weise verstehen wir das Recht als Ausdruck des juristischen Subjekts, das typisch für die kapitalistische Moderne ist, wie wir zu Beginn dieses Textes erklärt haben. Und so wird das Recht mit der Gesellschaft sterben, in der dieses kontingente Rechtssubjekt entstanden ist.

Der Kommunismus als Negation und Überwindung des Rechts

Wenn Recht und Kapital untrennbare Formen sind, die der kapitalistischen Produktionsweise eigen und für sie spezifisch sind (auch wenn es vorsinflutliche Formen geben mag, die ihnen unvollkommen vorausgehen), bedeutet Kommunismus die Überwindung des Rechts, wie auch der Kategorien der Welt des Kapitals.

Diese These vertrat Pasukhanis in seinem Buch über den Allgemeine Rechtslehre und Marxismus und folgte damit dem, was Marx selbst in seiner berühmten Kritik des Gothaer Programms aufgestellt hatte. Und das war es, was ihm schließlich den Tod während der Säuberungen der stalinistischen Konterrevolution einbrachte.

In der Tat ist dies eine unveränderliche Position des kommunistischen Programms seit 1848. Der Kommunismus ist eine Gesellschaft ohne Klassen und ohne Waren, also auch ohne Staat und ohne Recht. Der Kommunismus ist die reale Bewegung, die die Kategorien des Kapitals in ihren verschiedenen Metamorphosen negiert und überwindet. Die Schwierigkeit, diese Bewegung der Negation und Überwindung als machbar und notwendig zu verstehen, rührt von dem fetischistischen Charakter her, den diese Kategorien in unserem Alltag haben. Wie wir bereits gesehen haben, ist Fetischismus kein falsches Bewusstsein oder eine bloße ideologische Verblendung, sondern ein sehr realer Ausdruck, durch den die Kategorien des Kapitals wirken und sich selbst reproduzieren. Die kapitalistischen sozialen Beziehungen haben sowohl einen sozialen als auch einen übersinnlichen Charakter, wie Marx uns erklärt hat. Ihre soziale und vergängliche Natur haftet an der materiellen Dimension, als wären sie ein und derselbe untrennbare Körper. So erscheint der kapitalistische Charakter der Produktionsmittel als untrennbar, die Produkte menschlicher Arbeit werden zusammen mit ihrem Warencharakter dargestellt, als wären sie ein und dasselbe Wesen, und die Tatsache, dass eine Gesellschaft auf der Grundlage sozialer Normen zusammenlebt, wird mit der Tatsache identifiziert, dass wir atomisierte Subjekte mit Rechten und Pflichten sind.

Aber jeder dieser Aspekte, der materielle und der soziale, ist trennbar. Der Fetischismus der Waren und des Kapitals naturalisiert ihr soziales Wesen als untrennbar mit der menschlichen Existenz verbunden. Der Kommunismus wird einen Lebensplan für die Spezies bedeuten, einen Plan, in dem die gesellschaftliche Produktion auf globaler Ebene technisch organisiert wird, um eine freie Verteilung von Gütern und Dienstleistungen zur Befriedigung aller menschlichen Bedürfnisse zu erreichen. Dieser Plan beinhaltet eine Reihe von technischen Fragen, die sowohl auf der Ebene der lokalen Produktion als auch auf der Ebene der globalen Verteilung der gesellschaftlichen Produktion zu lösen sind. Der Rechtsfetischismus bringt all diese Aspekte durcheinander, um den Kommunismus als eine unmögliche Utopie darzustellen. Aber die Organisation eines Eisenbahnnetzes oder der Produktion einer beliebigen Ware erfolgt nicht nach einer Reihe von rechtlichen Regeln, sondern nach technischen Regeln: technische Regeln, die in einer kommunistischen Gesellschaft außerdem mit dem globalen Ziel, das wir verfolgen, im Einklang stehen.

Ein Plan (ein Ziel), der eine Negation aller Kategorien darstellt, in denen sich das Kapital ausdrückt, ebenso wie eine Negation der produktivistischen Logik des Kapitals (das nicht aufhören kann zu wachsen, koste es, was es wolle), wird das Verschwinden des Staates (denn der Staat ist ein Organismus der Herrschaft einer Klasse über eine andere und kein einfacher Apparat der sozialen Organisation und Zentralisierung) und des juristischen Subjekts, das die Grundlage des Rechts ist, mit sich bringen. Es wird weder ein Zivilrecht geben, das die Interessen und Pflichten derjenigen regelt, die Waren kaufen und verkaufen (weil es keine Waren mehr geben wird), noch ein öffentliches Recht, das die Trennung zwischen Ökonomie und Politik regelt, weil die Politik als eine vom Menschen getrennte Tätigkeit mit dem Staat verschwunden sein wird. Der Kommunismus ist keine menschenfeindliche Utopie, und es wird weiterhin soziale Konflikte und Feindschaften geben. Aber diese Konflikte werden nicht klassenbezogen sein. Und die Menschen, die am kommunistischen Gemeinwesen teilnehmen werden, werden keine Rechtssubjekte sein, die als Monaden voneinander getrennt sind. Alle Feindseligkeiten und Konflikte, auch die schwerwiegenden, werden ohne die strafenden und abstrakten Merkmale beigelegt werden, die der kapitalistischen Gesellschaft zugrunde liegen (und die jeder anderen Gesellschaft in der Vergangenheit oder in der Zukunft fremd sind). Wie Pasukhanis am Ende seines oben erwähnten Buches sagt:

„Das Strafrecht ist, wie das Recht im Allgemeinen, eine Form der Verbindung zwischen egoistischen, isolierten Subjekten, Trägern eines autonomen Privatinteresses oder gleichberechtigten Eigentümern… Die Begriffe Verbrechen und Strafe sind, wie sich aus dem oben Gesagten ergibt, unverzichtbare Bestimmungen der juristischen Form.“ Der Kommunismus wird den begrenzten Horizont des bourgeoisen Rechts in jeder seiner Formen überwinden, einen begrenzten Horizont, der nichts anderes ist als der Ausdruck einer Produktionsweise, die durch die Waren-Logik zwischen dem Individuum und dem Sozialen, zwischen dem Privaten und dem Öffentlichen, zwischen Ökonomie und Politik gespalten ist. Es ist diese Spaltung, die die bourgeoisen Theoretiker des Rechts begrifflich widerspiegeln und die sie dazu bringt, permanent zwischen zwei Extrempunkten zu pendeln: dem Zwang der Norm und der Pflicht zur Moral. Durch die Überwindung dieser Spaltung, durch die Auslöschung der Welt der Ware, kann der Kommunismus organisch nach einem Lebensplan für die Spezies artikuliert werden.

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(Grupo Barbaria) Die Zersplitterung des Imperialismus: Der revolutionäre Defätismus und seine Feinde. https://panopticon.blackblogs.org/2023/06/17/grupo-barbaria-die-zersplitterung-des-imperialismus-der-revolutionaere-defaetismus-und-seine-feinde/ Sat, 17 Jun 2023 21:40:14 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=5019 Continue reading ]]> Die Zersplitterung des Imperialismus: Der revolutionäre Defätismus und seine Feinde.

Einleitung von Tridni Valka:

Wir veröffentlichen hier (und übersetzen ins Englische und Französische) den neuesten Beitrag der Grupo Barbaria über den Krieg in der Ukraine und den Kampf gegen beide bourgeoisen Seiten des Konflikts. Barbaria bekräftigt sehr richtig die einzige proletarische Alternative zur Verneinung unserer Menschlichkeit, sei es in der Arbeit oder im Krieg: den revolutionären Defätismus und die Umwandlung des kapitalistischen Krieges zwischen Staaten in einen revolutionären Krieg zwischen den Klassen.

Es gibt jedoch ein Problem, das wir nur schwer verdauen können: Wir weigern uns, den Gefährtinnen und Gefährten der Grupo Barbaria zu folgen, wenn sie Lenin zitieren (auch wenn das Zitat richtig sein mag), als wäre diese Figur ein Gefährte unserer Klasse, unserer Partei (A.d.Ü., die des Proletariats), als wäre er nicht (er und seine Partei als politische Strukturierung), in all den Prozessen, in denen unsere Klasse versucht, aus dem Vakuum ihrer Entfremdung herauszukommen, eines der radikalsten Elemente der historischen Sozialdemokratie (d.h. der bourgeoisen Partei für die Arbeiter) und damit der Wiederherstellung des von der Welle des proletarischen Aufstandes erschütterten Staates in Russland.

In Bezug auf Lenins Rolle im Kampf gegen den Krieg stellen wir hingegen einfach fest: Weder die Zimmerwalder Konferenz, die in Wirklichkeit ein Treffen der „nichtkriegerischen“ und pazifistischen internationalen Sozialdemokratie war, noch die so genannte „Zimmerwalder Linke“, die nur die Farbe der Revolution hatte, ohne wirklich eines ihrer Attribute zu besitzen, stellten eine wirkliche Antwort unserer Klasse auf das Weltgemetzel dar. Auf der anderen Seite rechtfertigen wir alle kommunistischen (und/oder anarchistischen) Brüche, die sich außerhalb und gegen die Repression des Proletariats durchsetzen werden.

Und als Konsequenz daraus lehnen wir es auch ab, die Gruppe Matériaux critiques (Kritische Materialien) als „Gefährten und Gefährtinnen“ zu betrachten, wie es in Barbarias Text behauptet wird. Wie wichtig bestimmte Aussagen dieser Gruppe auch sein mögen, sie hat nie wirklich mit dem Leninismus oder dem Bolschewismus gebrochen, ganz im Gegenteil!

In diesem Sinne wünschen wir dir viel Spaß beim Lesen dieses Beitrags…

Tridni Valka/Klassenkrieg – 29. Mai 2023


Die Zersplitterung des Imperialismus: Der revolutionäre Defeatismus und seine Feinde

Quelle: https://barbaria.net/2023/05/26/fragmentando-el-imperialismo-el-derrotismo-revolucionario-y-sus-enemigos/

Geschändet, entehrt, im Blute watend, von Schmutz triefend – so steht die bürgerliche Gesellschaft da, so ist sie. Nicht wenn sie, geleckt und sittsam, Kultur, Philosophie und Ethik, Ordnung, Frieden und Rechtsstaat mimt – als reißende Bestie, als Hexensabbat der Anarchie, als Pesthauch für Kultur und Menschheit –, so zeigt sie sich in ihrer wahren, nackten Gestalt.“

Rosa Luxemburg, Die Krise der Sozialdemokratie [Die „Junius“-Broschüre] (1916)

Einleitung

Ein Jahr nach Beginn des Krieges in der Ukraine sollte angesichts des Verlaufs der Ereignisse deutlicher denn je sein, dass es sich um einen imperialistischen Krieg handelt. Wir haben gesehen, wie sich nach und nach immer mehr Staaten an dem Massaker an ukrainischen und russischen Proletariern beteiligen, um ihre geopolitischen Interessen zu verteidigen. In diesem Zusammenhang sollte es offensichtlicher denn je sein, welche revolutionären Positionen in Bezug auf den Krieg zu verteidigen sind. Das ist jedoch nicht immer der Fall. Innerhalb einiger Strömungen, die sich als revolutionär bezeichnen, werden nach wie vor campistische1 Positionen mit den unterschiedlichsten Argumenten vertreten, die den revolutionären Defätismus und damit die Lehren aus unserer Tradition leugnen.

Unserer Meinung nach haben sich diese Strömungen, indem sie sich für eine imperialistische Seite entschieden haben, vom Internationalismus und dem Prinzip der Klassenunabhängigkeit abgewandt und damit automatisch das revolutionäre Lager verlassen. In diesem Text wollen wir die Argumente von Organisationen darlegen, die sich, ohne von der Linken des Kapitals zu kommen, von den Klassenpositionen abgrenzen, indem sie die Positionen des revolutionären Defätismus aufgeben, sowie die Argumente anderer Organisationen, die von der Linken des Kapitals kommen und die, indem sie nicht mit der ideologischen Konterrevolution brechen, die Argumente des Lagers reproduzieren, indem sie in innerkapitalistischen Konflikten immer das geringere Übel wählen.

Die campistischen Positionen

Die Unterstützung des ukrainischen Volkes: der Arbeiterfetischismus der Selbstorganisation

Eines der Argumente, mit denen eine pro-ukrainische campistische Position verteidigt wird, ist der Gedanke, dass man sich mit dem ukrainischen Volk solidarisieren sollte, das sich selbst organisiert, um seine Heimat und sein Land zu verteidigen. In John Garveys Text, der in der Zeitschrift Insurgent Notes veröffentlicht wurde, sagt er, er unterstütze nicht den ukrainischen Staat, sondern das ukrainische Volk, die ukrainischen Arbeiter, die sich angesichts der russischen Staatsoffensive selbst in Milizen organisieren. In Avtonom betonen sie, dass nicht nur die ukrainische Armee gegen die russische Armee kämpft, sondern auch die territorialen Verteidigungseinheiten: gewöhnliche Menschen, die jetzt Waffen haben und sie von nun an behalten könnten und von den Behörden Respekt verlangen.

Die Bindung, die diese einfachen bewaffneten Menschen knüpfen, indem sie gemeinsam mit ihrer Bourgeoisie für die Verteidigung des ukrainischen Staates kämpfen, wird nicht über Nacht verschwinden. Ihre Erfahrung der Kollaboration gegen einen äußeren Feind wird das Proletariat nicht dazu bringen, nach dem Krieg gegen seine Bourgeoisie zu kämpfen, egal wie bewaffnet es (A.d.Ü., das Proletariat) sein mag. Die Geschichte hat gezeigt, dass die klassenübergreifende Zusammenarbeit zur Verteidigung des Staates im Krieg nicht zu mehr Klassenkampf führt, sondern zum Gegenteil: Die Volksfronten und der Sieg der Alliierten im Zweiten Weltkrieg führten nicht zu einer Welle von Revolutionen, sondern trugen dazu bei, dass der Klassenkampf zunichte gemacht wurde; und dasselbe geschah in den antikolonialen Kriegen um nationale Unabhängigkeit. Auf der anderen Seite ging die proletarische Revolution Hand in Hand mit dem revolutionären Defätismus, der den Ersten Weltkrieg beendete.

Es gibt tatsächlich selbstorganisierte Milizen, die sich selbst als anarchistisch bezeichnen und sich aus soziologisch proletarischen Menschen zusammensetzen. Proletarier handeln jedoch nicht immer in einem revolutionären Sinne, sie handeln nicht immer als Proletariat, als Klasse, egal, mit wie vielen radikalen Bezeichnungen sie sich identifizieren. Das Proletariat konstituiert sich nur in dem Maße als Klasse, in dem es Klassenunabhängigkeit erlangt, sich seine Doktrin aneignet und an seinem historischen Programm festhält. Da diese Milizen ihre Waffen nicht gegen den ukrainischen Staat und seine Bourgeoisie richten, sondern ihn verteidigen und von ihm abhängig sind, bedeutet ihre Unterstützung, dass sie die Klassenübergreifung (A.d.Ü., also die Zusammenarbeit der Klassen) und die Verteidigung des bourgeoisen Staates direkt unterstützen. Und das ist das Gegenteil davon, die Revolution zu verteidigen.

Wir bedauern, dass einige Gruppen, die sich für revolutionär halten, bereit sind, die Prinzipien der Klassenunabhängigkeit und des Internationalismus gegen die Arbeiterunterstützung jeder praktischen Aktivität einzutauschen, an der die soziologische Arbeiterklasse beteiligt ist, auch wenn sie den historischen und unmittelbaren Interessen des Proletariats direkt zuwiderläuft. In dieser Situation halten wir es für notwendig, diejenigen Positionen zu kritisieren, die durch die Verteidigung dieser Formen der Selbstorganisation letztlich die Klassenübergreifung unterstützen, der die reale Möglichkeit der Klassenselbstorganisation untergräbt. Es ist notwendig, sich klar gegen diese selbsternannten libertären Organisationen in der Ukraine wie RevDia, Black Flag oder Black Headquarter zu stellen, die sich bewaffnet und in Milizen organisiert haben, um Seite an Seite mit der Bourgeoisie für die Verteidigung des Territoriums gegen die russische Invasion zu kämpfen, sowie gegen Initiativen wie Solidarity Collectives – früher Operation Solidarity -, ein Netzwerk, das Gelder sammelt, um „nicht-autoritäre“ antifaschistische und anarchistische Bataillone in der Ukraine zu bewaffnen. Diese Organisationen müssen als Feinde unserer Klasse betrachtet werden, da sie aktiv daran arbeiten, dass sich russische und ukrainische Proletarier gegenseitig umbringen, anstatt sich zu vereinen und ihren wahren Unterdrückern entgegenzutreten.

Solidarität mit dem weniger mächtigen Imperialismus

Es gibt auch diejenigen, die ihre pro-ukrainische Verteidigungsposition mit dem Argument rechtfertigen, dass dieser Krieg nur auf einer Seite imperialistisch ist. Es wäre ein imperialistisches Land, Russland, das ein kleineres Land, die Ukraine, unterjocht, das lediglich versucht, sich zu verteidigen. Die Gruppe Militante Anarquista erklärt zum Beispiel:

„Alle Staaten sind Konzentrationslager. Aber was jetzt in der Ukraine passiert, geht über diese einfache Formel und den Grundsatz hinaus, dass jeder Anarchist für die Niederlage seines Landes im Krieg kämpfen muss. Denn dies ist nicht einfach ein Krieg zwischen zwei im Großen und Ganzen ähnlichen Mächten um die Neuaufteilung der Einflusssphären des Kapitals (…). Was jetzt in der Ukraine geschieht, ist ein Akt imperialistischer Aggression“.

Da es sich nicht um einen Krieg zwischen zwei gleichwertigen Mächten handelt, ist die Gruppe Militante Anarquista wie die Avtonom-Gruppe oder der zitierte Artikel in den Insurgent Notes zu dem Schluss gekommen, dass es das Richtige sei, sich mit der schwächeren Macht und ihrer Verteidigung ihres Territoriums gegen die russische Invasion zu solidarisieren; Solidarität – so sagen sie – mit dem ukrainischen Volk, mit den Menschen, die ihr Land und ihre Häuser verteidigen. Aber was für eine Art von Solidarität ist das, die das Proletariat schickt, um für nationale bourgeoise Interessen zu sterben und andere Proletarier zu töten, selbst wenn es sich um eine schwache Nation handelt? Solidarität, um einen Staat zu verteidigen, der den Menschen verbietet, aus dem Land in Sicherheit zu fliehen, und sie zwingt, für das Vaterland zu kämpfen und zu sterben? Mit wem zeigen sie wirklich Solidarität? Sicherlich nicht mit dem Proletariat.

Für uns ist Solidarität die Gefährtenschaft zwischen russischen und ukrainischen Proletariern gegen den imperialistischen Krieg, gegen ihre jeweilige Bourgeoisie. Die Massenproteste in Russland mit Tausenden von Verhaftungen, der Ungehorsam, die Desertion und die Flucht angesichts der Zwangsmobilisierung in beiden Ländern oder die Eisenbahnsabotage in Belarus usw. – das sind Zeichen der internationalistischen Solidarität und des proletarischen Instinkts. Wir unterstützen diejenigen, die sich ihren herrschenden Klassen widersetzen, ihre Pläne boykottieren und sich weigern, im Namen der Nation zu töten oder getötet zu werden. Das setzt eine Kritik an allen nationalen Bourgeoisien voraus und daher keine Solidarität mit irgendeiner im Namen des kleineren Übels.

Es geht nicht darum, eine moralistische Kritik an den Handlungen der russischen oder ukrainischen Regierung oder der US-amerikanischen und europäischen Regierungen zu üben, sondern darum, die inhärent imperialistische Tendenz jedes Staates zu verstehen, auch kleinerer oder subalterner Staaten wie der Ukraine. Imperialismus ist der politische und internationale Ausdruck der Kapitalakkumulation, des globalen kapitalistischen Wettbewerbs. Jeder Staat hat ein Kapital und ein Territorium zu verteidigen, eine Bourgeoisie, die mit anderen Bourgeoisien um ihren Anteil am Mehrwert und um den Zugang zu bestimmten natürlichen Ressourcen und Arbeitskräften kämpft. Bei bestimmten Gelegenheiten zwingt die kapitalistische Konkurrenz die Staaten dazu, Krieg zu führen, und zwar sowohl die großen oder dominanten Staaten als auch die kleinen oder subalternen Staaten. Sowohl beherrschende als auch untergeordnete Staaten sind imperialistisch und werden ihre Kriege gegen andere Staaten führen, wobei sie das Leben ihres Proletariats opfern, um die Interessen ihrer Bourgeoisie zu schützen.

Das bedeutet jedoch nicht, dass es sich nicht um einen imperialistischen Krieg handelt und sollte uns nicht an der Relevanz des revolutionären Defätismus zweifeln lassen. Andererseits sollten wir nicht vergessen, dass der gegenwärtige Krieg nicht nur zwischen Russland und der Ukraine stattfindet, sondern dass auch der gesamte westliche imperialistische Block an der Verteidigung des ukrainischen Staates beteiligt ist. Auf jeden Fall können wir nicht den Imperialismus wählen, nur weil er unbedeutend ist, oder einen Staat verteidigen, nur weil er überfallen wurde. Es geht auch nicht darum, zu überlegen, unter welchen Umständen ein Staat das Recht hat, kriegerische Mittel einzusetzen – zum Beispiel angesichts einer Aggression auf seinem Territorium – und unter welchen Umständen nicht, welche Maßnahmen rechtmäßig sind und welche nicht, und auf der Grundlage all dessen die vermeintlich „gerechtere“ Seite zu wählen. Überlassen wir dies den Überlegungen der bourgeoisen Theoretiker, denn damit ist uns wenig gedient. Wie wir in Der Warum des revolutionären Defätismus argumentiert haben, verteidigt das ukrainische Proletariat „nicht seine Existenz im imperialistischen Krieg, sondern wird zum Kanonenfutter für Interessen, die nicht seine eigenen sind: Es sind die der ukrainischen Bourgeoisie und die des westlichen imperialistischen Blocks die hinter diesem stehen“. Wir wissen, dass jeder Staat immer gegen das Proletariat vorgehen wird und dass die einzige revolutionäre Seite die des Proletariats im Kampf gegen seinen eigenen Staat und die Bourgeoisie ist. Deshalb ist in jedem imperialistischen Krieg die einzige revolutionäre Position der revolutionäre Defätismus: den imperialistischen Krieg in einen Klassenkrieg zu verwandeln.

Taktik versus Prinzipien: Die ukrainische Demokratie gegen das autoritäre Russland verteidigen

Wie während des Zweiten Weltkriegs ist die Frage nach dem kleineren Übel im antifaschistischen Diskurs der linke Treibstoff, um das imperialistische Gemetzel zugunsten der einen oder anderen Seite zu verteidigen. In diesem Fall taucht die Parole des spanischen Stalinismus von 1936 wieder auf: „Erst den Krieg gewinnen und dann die Revolution machen“ und damit das Bündnis mit der fortschrittlichsten Bourgeoisie. Was also zu tun wäre, ist, gegen Putin zu kämpfen, denn Russland ist ein autoritäres oder direkt faschistisches Regime. Daher würde ein Sieg Putins zu einer viel schlechteren Situation führen als die jetzige und die Handlungsfähigkeit der Revolutionäre wäre viel geringer. Das erklärt John Garvey in der amerikanischen Zeitschrift Insurgent notes:

Auf der anderen Seite ist es wichtig, mit denjenigen zu argumentieren, die glauben, dass jeder der kriegführenden Staaten genauso schlecht ist wie der andere und dass jeglicher Nationalismus giftig ist. Wir müssen Schluss machen mit falschen Äquivalenten – eine bourgeoise Republik, die durch übermäßige Korruption verzerrt ist, ist nicht dasselbe wie eine quasi-faschistische Autokratie. In der einen ist Politik möglich, in der anderen ist nichts anderes als hirnloser Konsum und Kollaboration die Regel des Tages.

Dieselben Argumente, die der Antifaschismus schon immer benutzt hat: Es gibt immer ein kleineres Übel, eine Bourgeoisie, die man um einer vermeintlichen Zukunft willen verteidigen muss, die niemals kommt und niemals kommen wird, weil der Bruch mit revolutionären Prinzipien niemals bessere Bedingungen für die Selbstorganisation des Proletariats schaffen wird. Die einzige Möglichkeit ist die Verteidigung des revolutionären Defätismus gegen die gesamte Bourgeoisie. Wir Revolutionäre weigern uns, die Politik des Möglichen zu verteidigen, denn die liegt immer unter den Leichen unserer proletarischen Brüdern und Schwestern. Ja, jeglicher Nationalismus ist Gift. Ja, jede Verteidigung der nationalen Bourgeoisie impliziert die Negierung der Klassenunabhängigkeit. Und wenn man den proletarischen Internationalismus und die Klassenautonomie negiert, bricht man mit jeder echten revolutionären Perspektive.

Wenn wir von revolutionärem Defätismus sprechen, beziehen wir uns deshalb nicht auf eine Position, die zu einem bestimmten Zeitpunkt eingenommen werden muss, sondern die je nach Situation des Klassenkampfes variieren kann. Es ist keine taktische Frage, sondern die einzige Waffe, die wir als Klasse haben, um den imperialistischen Konflikten als Revolutionäre entgegenzutreten. Jede andere Alternative führt immer zur Kollaboration mit der nationalen Bourgeoisie zur Verteidigung ihrer Interessen. In diesem Sinne gibt es nichts Besseres, als diejenigen zu Wort kommen zu lassen, die der Klassenpolitik zur Verteidigung einer imperialistischen Seite abschwören. Insbesondere ein russischer Freiwilliger der Internationalen Anti-Autoritären Kräfte der Ukraine, der Folgendes über den Defätismus zu sagen hat:

Der revolutionäre Defätismus, der Stellvertreterkrieg der NATO gegen Russland sind für mich ziemlich beleidigende ausländische Mythen für diejenigen, die wissen, was die russische Welt mit sich bringt. Die Gesellschaft ist sich fast einig darin, dass die Invasion ein Versuch ist, das Volk zu unterdrücken.

Hier wird ganz deutlich, was wir meinen, wenn wir von der Aufgabe der Interessen des Proletariats sprechen. Es gibt keinen Klassenantagonismus mehr, alle sind in heiliger Eintracht (Union sacrée) unter der nationalen Flagge vereint, auch wenn im Interview selbst von den Problemen der russischen Freiwilligen mit den ukrainischen Behörden die Rede ist, weil sie Russen sind. Und das ist normal, denn in ihrem nationalen Arkadien gibt es keinen Internationalismus und der Antagonismus ist national und nicht klassenbezogen. Lieber die nationale Bourgeoisie als das ausländische Proletariat. Die Verteidigung des Klassenübergreifenden und das Verschwinden jedes Anscheins von Klassenunabhängigkeit, um den russischen Sieg zu verhindern, wird nicht dazu beitragen, den Kampf zu verlängern, wenn der Krieg vorbei ist, und es wird auch nicht dazu beitragen, dass Revolutionäre eine bessere Position innerhalb des Proletariats einnehmen, einfach weil wir keine Revolutionäre mehr sein werden.

Weder Putin noch die NATO, aber…

Hinter dieser Parole, die scheinbar den imperialistischen Charakter des Krieges zwischen den Blöcken anprangert, verbirgt sich die Unterstützung der Seite, die sich gegen die Vereinigten Staaten stellt, die damit zur Inkarnation des Kapitalismus wird. Es ist dieselbe Politik des geringeren Übels, bei der das schlimmste Übel die NATO als bewaffneter Flügel des US-Imperialismus wäre. In diesem Fall sollten wir uns nicht direkt gegen das ukrainische „Volk“ oder Putins autoritäres Regime richten, sondern gegen die imperialistische Expansion der NATO nach Osten.

In dieser Perspektive wird der Imperialismus zersplittert, indem die Vereinigten Staaten und damit die NATO an der Spitze stehen und dann andere imperialistische Mächte, die jedoch von geringerer Bedeutung sind. Auf diese Weise sind die NATO und ihre Interessen die Ursache für den Krieg und damit auch für die russische Reaktion. In diesem Sinne scheint uns die Analyse des Krieges auf dem letzten Kongress der sección española de la Corriente Marxista Internacional (spanischen Sektion der Internationalen Marxistischen Strömung) sehr relevant zu sein:

Es handelt sich nicht um einen Krieg Russlands gegen die Ukraine, sondern um einen Krieg Russlands gegen die NATO und die NATO ist der US-Imperialismus. […] Es ist ein innerimperialistischer Krieg, aber wir müssen aufpassen, dass die beiden imperialistischen Mächte, die an diesem Krieg beteiligt sind, nicht genau dieselben sind. Die Vereinigten Staaten sind die mächtigste und reaktionärste imperialistische Macht der Welt. Russland ist eine imperialistische Macht, die imperialistische Ambitionen hat, aber auf regionaler Ebene.

Eine ähnliche Bewegung ist die, die in den Veröffentlichungen der Sozialistischen Bewegung in Euskadi die Volksrepubliken des Donbass als dritte Position verteidigt, die sich von der Unterstützung Russlands und der Ukraine unterscheidet (was natürlich unmöglich ist, denn die Donbass-Republiken waren immer ein Anhängsel des russischen Imperialismus). Demnach würden die Donbass-Republiken im Osten der Ukraine und an der Grenze zu Russland ihr Recht auf Selbstbestimmung angesichts des zunehmenden westlichen Einflusses und des Gewichts des Faschismus auf dem Euromaidan verteidigen. Deshalb sollten Revolutionäre nicht nur ihren Kampf für die Unabhängigkeit unterstützen, sondern sich auch mit ihrem antifaschistischen Widerstand solidarisieren:

Angesichts dieses vom Westen gesteuerten Ethnozids schlossen sich verschiedene angegriffene Kollektive zusammen, um sich zu verteidigen: Antifaschisten, diejenigen, die gute Erinnerungen an die UdSSR hatten, diejenigen, die sich Russland zugehörig fühlten … aber auch diejenigen, die verfolgt wurden, nur weil sie Russisch sprachen oder die es nicht für gerecht hielten, Armut zu ertragen, weil sie im Osten lebten. So wurde, wie in den meisten östlichen Ländern, diese Frage der Klassenschichten und der vielfältigen Interessen auf einen bloßen Kampf zwischen „pro-russisch“ und „pro-europäisch“ reduziert.

Doch diese Position bricht frontal mit den beiden Grundprinzipien für Revolutionäre: Klassenunabhängigkeit und Internationalismus. Die Verteidigung des Selbstbestimmungsrechts bringt unweigerlich eine klassenübergreifende Position mit sich, bei der die Klassenunabhängigkeit den nationalen Interessen, d. h. der nationalen Bourgeoisie, untergeordnet wird. So sollte das Proletariat, anstatt gegen seine Ausbeutung zu kämpfen, für einen neuen Staat kämpfen, der diese Ausbeutung verwaltet. Andererseits wird jeder Prozess der Schaffung eines neuen Staates unweigerlich eine Annäherung an eine der imperialistischen Mächte nach sich ziehen, um ökonomischen und militärischen Schutz zu erlangen, wie wir jetzt im Krieg deutlich sehen können. In diesem Fall müssen sich die Donbass-Republiken in dem Konflikt für die imperialistische Seite Russlands entscheiden und diejenigen, die sie verteidigen, müssen eine der imperialistischen Seiten im Krieg unterstützen. Einen dritten Weg gibt es nicht:

Und wie reagiert die westliche „Linke“ auf all das? Im spanischen Staat, wie auch an vielen anderen Orten, hat die antirussische Position Vorrang vor der Anprangerung des Faschismus, der in Kiew wütet, und der Bombardierungen im Osten. Dieselben Leute, die sich bei den Wahlen lautstark gegen den Faschismus aussprechen, haben der NATO in die Hände gespielt, indem sie gegen das „böse“ Russland eine Regierung verteidigt haben, die im Herzen Europas mit ausdrücklicher Unterstützung der Nazis an die Macht gekommen ist. Inzwischen stehen die Milizen der Volksrepubliken Donezk und Lugansk einer Berufsarmee gegenüber, die einen Antrag auf NATO-Mitgliedschaft gestellt hat. In einem Krieg, den sie aufgrund mangelnder Ressourcen von vornherein nicht gewinnen können, haben sie keine andere Wahl, als mit dem, was ihnen zur Verfügung steht, an der Grenze Widerstand zu leisten und Tod und Armut zum Alltag zu machen. Die einzige Möglichkeit im Angesicht von Tod und Armut ist nicht das Recht auf Selbstbestimmung, sondern revolutionärer Defätismus. Das Proletariat kann nur dann gegen seine Ausbeutung kämpfen, wenn es eine Position der Klassenunabhängigkeit gegenüber jeder imperialistischen Seite und jedem nationalen Projekt aufrechterhält.

Wie die Gefährtinnen und Gefährten von Matériaux Critiques sagen, ist der Antiimperialismus das schädlichste Nebenprodukt des Imperialismus und unter den Schirm des Antiimperialismus passt alles, denn er gibt der Position, die für ein imperialistisches Lager günstig ist, einfach einen roten Anstrich. So ist es letztlich das Gleiche zu sagen, dass Russland nicht imperialistisch ist oder nur das Selbstbestimmungsrecht der Donbass-Republiken verteidigt, wie die NATO als größte imperialistische Macht in den Mittelpunkt zu stellen, da die Konsequenz in der Praxis dieselbe ist, entweder direkter oder durch geschickte geopolitische Analyse. Als Revolutionäre können wir uns nur für den revolutionären Defätismus entscheiden.

Revolutionärer Defätismus: die einzige Alternative

Wir haben bereits gesehen, auf welch unterschiedliche Weise eine Verteidigungshaltung zum Ausdruck kommt und wie versucht wird, die Unterstützung für eines der streitenden Lager unter einem sogenannten revolutionären Vorwand zu rechtfertigen. Wir haben auch gesehen, dass unter dem Deckmantel der Anprangerung des innerimperialistischen Konflikts die NATO im Verhältnis zu Russland oder Russland im Verhältnis zur Ukraine als größerer Imperialismus hingestellt wird und so die Klassengrenze verwischt, die jederzeit unüberwindbar sein muss.

Wenn wir von revolutionärem Defätismus sprechen, meinen wir die Umwandlung des imperialistischen Krieges in einen Klassenbürgerkrieg. Man könnte sagen, dass dies eine leere Phrase ist, ein bloßer Slogan ohne wirklichen politischen Inhalt dahinter, und sogar ein zutreffender Slogan, aber nur für Momente des starken Klassenkampfes. Aber die Realität zeigt uns das Gegenteil, die Aktualität des revolutionären Defätismus ist größer denn je, denn er ist die Manifestation der beiden Grundlagen aller revolutionären Politik: Klassenunabhängigkeit und Internationalismus. Das Gegenteil davon hat immer noch denselben Charakter, den Lenin 1915 anprangerte:

Heute bedeutet die Einheit mit den Opportunisten faktisch die Unterordnung der Arbeiterklasse unter „ihre“ nationale Bourgeoisie und das Bündnis mit ihr zur Unterdrückung anderer Nationen und zum Kampf für die Privilegien jeder Großmacht, was die Spaltung des revolutionären Proletariats aller Länder bedeutet.

Es ist wichtig, die zentrale Bedeutung dieser programmatischen Position zu betonen, denn wie wir in dem Artikel erläutert haben, bedeutet die Kapitulation, wenn auch in unterschiedlichen Formen, immer die Unterordnung des Proletariats unter seine nationale Bourgeoisie und die trügerische Aussetzung des Klassenkampfes für die Interessen der Nation. Das Proletariat hört auf, eine Weltklasse zu sein, deren Interessen durch ihre soziale Stellung bestimmt werden, und wird durch Nationen mit gegensätzlichen Interessen gespalten, da ihre Interessen die des nationalen Kapitals sind, das auf dem Weltmarkt konkurriert. Wenn wir sagen, dass es für Revolutionäre, die sich einmal auf die Seite des imperialistischen Lagers gestellt haben, kein Zurück mehr gibt – sie werden Teil des bourgeoisen Lagers -, dann meinen wir das auch so. Deshalb ist der revolutionäre Defätismus nicht nur eine taktische Frage, die in Zeiten, in denen die Klasse eine revolutionäre Rolle spielt, ihre Berechtigung hat, sondern eine Grundsatzfrage, die das revolutionäre Lager vom bürgerlichen Lager trennt. Denn Kommunistinnen und Kommunisten handeln nicht auf der Grundlage des gegenwärtigen Moments und unserer Fähigkeit, auf das Unmittelbare zu reagieren, sondern unsere Aufgabe ist es, die Linie der Zukunft in der Gegenwart zu halten. So dient die Aufrechterhaltung und Verteidigung der Bedeutung der Positionen dazu, dass die Klasse sie sich in der Zukunft zu eigen machen kann.


1A.d.Ü., aus dem Englischen campism, eine linke Haltung die jedes Land/Organisation nur aus dem Grund unterstützt, weil diese gegen die Vereinigte Staaten, oder die westliche Welt ist. Dazu gezählt gehören autoritäre Regime.



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(Grupo Barbaria) Stalins Kapitalismus – der Kapitalismus von Stalin https://panopticon.blackblogs.org/2023/06/08/grupo-barbaria-stalins-kapitalismus-der-kapitalismus-von-stalin/ Thu, 08 Jun 2023 20:44:23 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=5008 Continue reading ]]> Gefunden auf der Seite von Grupo Barbaria, die Übersetzung ist von uns


Stalins Kapitalismus (der Kapitalismus von Stalin)

Anmerkungen zu den Theorien des Staatskapitalismus

Die Diskussion, die wir in diesem Text einführen wollen, ist nicht akademisch. Als es „Mitternacht im Jahrhundert“ war, um Victor Serges glücklichen und beschwörenden Ausdruck zu verwenden, wagte es eine Handvoll von Gefährten und Gefährtinnen, über die sozialen Wurzeln von Stalins Russland nachzudenken. Zu jener Zeit bedeutete der Versuch, die Wahrheit über dieses konterrevolutionäre Phänomen herauszufinden, buchstäblich, sein Leben zu riskieren. Viele dieser Gefährten und Gefährtinnen wurden deshalb verfolgt, einige von ihnen wurden von den Auftragskillern des Kapitals ermordet, in seiner „national-kommunistischen“, „faschistischen“ oder „demokratischen“ Form. Offensichtlich wurden diese Beiträge, an denen Leute, die heute das Lob der herrschenden Kultur erhalten, wie Simone Weil oder George Orwell, direkt oder indirekt mitwirkten, weder in akademischen Büchern veröffentlicht, noch erhielten sie das Lob der Sonntagsblätter der bourgeoisen Presse. Zu dieser Zeit, in den 1930er Jahren, war Stalin ein Verbündeter der damaligen imperialistischen Großmächte. Er war einer mehr am Tisch der imperialistischen Räuber, die sich das Blut des Weltproletariats teilen. Der nordamerikanische Botschafter in Moskau, Joseph Davis, teilte mit Stalin nicht nur dessen Vornamen, sondern auch den Anspruch der Moskauer Prozesse als Beispiel für universelle Gerechtigkeit. Für den Rest der kapitalistischen Weltstaaten war Stalin ein guter Traum, der sie von dem Gespenst des schlimmsten ihrer Albträume, der proletarischen Weltrevolution, befreite. Das ist der Grund, warum ein heute berühmter Schriftsteller, damals ein verfolgter Ausgestoßener und Teil der schwarzen Listen der Eliminierbaren war, nämlich George Orwell, er konnte die Veröffentlichung des Buches Farm der Tiere nicht erleben. Kein Verlag wollte ein Buch veröffentlichen, das die britischen und amerikanischen Alliierten im Zweiten Weltkrieg kritisierte. Klassenverbündete in einem imperialistischen Krieg sind den Bourgeoisien heilig. Niemand wollte Bücher des Autors von „Mein Katalonien“ veröffentlichen, einem Buch, das nicht von Nationalismus spricht, ungeachtet dessen, was einige ahnungslose Gelehrte denken mögen, sondern von den Träumen und Versuchen einer sozialen Revolution, die vom Stalinismus, dem wichtigsten bourgeoisen Agenten im republikanischen Spanien zu jener Zeit, massakriert wurde. Die Republik, die heute von so vielen Linken mit Nostalgie beschworen wird, war nichts anderes als ein riesiges Massengrab für Tausende von Revolutionären.

Wie gesagt, diese Beiträge erblickten nicht das Licht in offiziellen Büchern, sondern in internen Dokumenten, in Zeitungen mit reduzierter Auflage, in Konzentrationslagern und Gefängnissen von den Vereinigten Staaten bis Italien, von Stalins UdSSR bis zum Barcelona der Zweiten Republik. So wird unsere Partei der Klasse aufgebaut, durch revolutionäre Minderheiten, die gegen den Strom die Bedeutung und Zentralität unseres Programms und unserer Ziele aufrechterhalten, die Notwendigkeit, kompromisslos für eine Gesellschaft freier Frauen und Männer zu kämpfen, ohne Geld und soziale Klassen, ohne Ware und Staat. Wie wir am Ende dieses kurzen Textes sehen werden, ist dies die zentrale These dieser Arbeit. Die Zentralität des Kommunismus als Negation aller Kategorien des Kapitals, das Verständnis, dass Stalins Russland nur insofern kapitalistisch sein konnte, als es Waren, soziale Klassen, Geld, Löhne, Unternehmen, einen Staat in totalitärer Hyperinflation gab…

Darüber hinaus helfen uns diese Gefährten, einen der üblichen Gemeinplätze zu durchbrechen, die in den Lehrbüchern aller Institute und Universitäten der Welt wiederholt werden. Eine Geschichte, die auf Folgendes hinausläuft: Im 19. Jahrhundert herrschte eine sehr schlechte Welt, die von extremen Ungleichheiten geprägt war, zwischen Reichen und Armen, Bourgeois und Proletariern. Diese Welt war keine andere als die Welt des Kapitalismus und der Marktökonomie. Die Lebensbedingungen des Proletariats waren dramatisch und die sozialen Ungleichheiten extrem. Der Kapitalismus ist eine Welt, in der das Privateigentum regiert und der Staat kaum in die Ökonomie eingreift. Dieser Welt wurde eine andere gegenübergestellt, die sozialistische Welt. All dies war der Russischen Revolution und ihrer Planwirtschaft zu verdanken. Der Sozialismus zeichnet sich durch den Eingriff des Staates in die Ökonomie aus und ist heute in Ländern wie Nordkorea oder Kuba in Kraft. Es ist gut, dass den Kindern, die noch keine Staatsbürger sind, ein Video über Nordkorea gezeigt wird, damit sie es mit eigenen Augen sehen können, um sie zu erziehen. All dies, wenn es auch „nationalkommunistische“ Gruppen gibt, Konterrevolutionäre, die die ideologischen Vereinfachungen des Kapitalismus nutzen, um zu behaupten und zu versuchen, den Kommunismus zu rekonstruieren oder wiederherzustellen, der in Stalins UdSSR, in Hoxhas Albanien oder vielleicht in den blutigen Delirien, die in den Universitäten des peruanischen Hochlands geboren wurden, wirklich existierte. Die Welt, von der sie träumen, ist mit allen Finessen kapitalistischer Albträume ausgestattet. Unsere Gegenposition zu diesen Formen des wiederbelebten Stalinismus kann nicht vollständiger sein, dieser Text kann helfen zu verstehen, dass der Stalinismus nicht nur ein verbrecherisches und totalitäres Monster ist, sondern ein kapitalistisches Monster, dessen Verbrechen in erster Linie gegen das revolutionäre Proletariat gerichtet sind.

Wir kommen zum Ende der offiziellen Geschichte, wir stehen vor zwei Extremen und wissen bereits, wie Aristoteles sagte, dass in der Mitte die Tugend liegt. Konfrontiert mit den extremen Ungleichheiten des Kapitalismus und der bürokratischen und totalitären Ineffizienz des Sozialismus, finden wir als Menschheit die Lösung in der gemischten Ökonomie. Eine ökonomische Form, die das Beste des Kapitalismus (die Effizienz des Marktes) und das Beste des Sozialismus (die Verteilung des Reichtums) zusammenbringt. So wird der apologetische Bericht über die beschissene Welt, in der wir leben, ohne große Vereinfachung erzählt. Eine Welt, die von extremer Ungleichheit, menschlicher und anthropologischer Armut sowie ökonomischer Armut geplagt ist, eine Welt, die unweigerlich zusammenbricht, weil sie nichts anderes ist als die vom Kapital beherrschte Welt, also der Kapitalismus in der Reinheit seiner Kategorien. Nun, diese Diskussion, die wir anhand dieses Textes führen werden, ist für uns sehr wichtig, weil sie eine Rakete auf die Wasserlinie dieser Ideologie ist. Es gibt keine sozialistische Ökonomie in der UdSSR und den übrigen Ländern des so genannten „realen Sozialismus“. Und Tatsache ist, dass Sozialismus bzw. Kommunismus menschliche Gemeinschaften ohne Ware und Geld sind. Ohne das Funktionieren des Grundgesetzes der kapitalistischen Gesellschaft, des Wertgesetzes. Auf der anderen Seite sind Planung und Kapitalismus nicht unvereinbar. Der Kapitalismus hat seit den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts mit teilweisem Erfolg versucht, seine unpersönliche Dynamik zu kontrollieren, um spätestens seit 1973-1975 das Scheitern dieser Versuche zu erkennen. Wir befinden uns heute in einem Moment, in dem der Kapitalismus die innere Grenze seiner Entwicklung erreicht hat, eine zunehmend katastrophale Situation. Die Untersuchung des kapitalistischen Charakters der UdSSR dient uns also dazu, die grundlegenden Kategorien des Kapitalismus zu erkennen und zu verstehen. Der Kapitalismus ist kein System, das auf dem Privateigentum an den Produktionsmitteln beruht, sondern auf einem gesellschaftlichen Verhältnis, das die ungeheure, auf den proletarischen Zustand reduzierte Mehrheit der Menschheit aus dem Bereich der Produktion und Reproduktion des Lebens ausschließt. Eine unpersönliche gesellschaftliche Kraft (also nicht die für den Expressionismus typische Bourgeoisie, die fette, Zigarre rauchende Bourgeoisie), die der toten Arbeit die lebendige Arbeit entgegensetzt, die uns einer katastrophalen und selbstmörderischen Trägheit unterwirft.

Doch wenden wir uns nun den Überlegungen einiger Gefährten und Gefährtinnen zu, die gegen die Auswirkungen von „Mitternacht im Jahrhundert“ gekämpft haben.

Trotzki und der Trotzkismus

Trotzkis Denken war immer von der Rolle geprägt, die er innerhalb des bolschewistischen Regimes der Russischen Revolution spielte. Für ihn war Sowjetrussland, anders als für Lenin, eine postkapitalistische Gesellschaft im Übergang zum Sozialismus. Eine gesellschaftliche Formation, die einen progressiven Fortschritt gegenüber dem Kapitalismus bedeutete, eine Eroberung für das Proletariat. All dies führt dazu, dass er schon in den Debatten der frühen 1920er Jahre verteidigt, dass sich die Gewerkschaften dem bolschewistischen Staat unterwerfen mussten, denn in reiner Logik, wenn der russische Staat ein proletarischer Staat war, musste er sich nicht gegen einen Staat verteidigen, der von ihm als Klasse beherrscht wurde. Auf diese Weise wendet sich Trotzki seit Beginn der Revolution gegen jeden Aspekt der Klassenautonomie (A.d.Ü., oder Autonomie der Klasse) des Proletariats gegenüber dem russischen Staat. Das wird seine Opposition gegen die Moskauer und Petrograder Arbeiterstreiks von 1921 kennzeichnen oder seine Rechtfertigung des Kronstädter Massakers durch den bolschewistischen Staat.

Trotzkis spätere Reaktion auf Stalins totalitäre Degeneration wird immer an diese Grenze stoßen. Die Unfähigkeit, den kapitalistischen Charakter der sowjetischen Gesellschaftsformation von Anfang an zu erkennen, wird immer eine Belastung für Trotzkis Perspektive in seiner Opposition zu Stalin sein. Wenn die aus der Oktoberrevolution hervorgegangene proletarische Macht aufgrund des Scheiterns der Ausdehnung der Weltrevolution endgültig degeneriert, wird Trotzki diese politische Degeneration erkennen, aber er wird nicht die Probleme sehen, die von Anfang an in einer gesellschaftlichen Formation zu finden waren, die ohne die Hilfe der proletarischen Weltrevolution zu einer kapitalistischen Entwicklung verdammt war. Wie die italienische Linke von Anfang an und Bilan in den 30er Jahren mit Nachdruck behaupten, ist der Sozialismus in einem einzigen Land unmöglich. Die russische Revolution war von ihren Zielen her eine proletarische Revolution, aber diese konnte nur durch die Ausweitung der Weltrevolution verwirklicht werden, nur eine siegreiche proletarische Macht auf Weltebene kann die globalen Aufgaben der kommunistischen Revolution durchführen. Daher war die russische Gesellschaftsformation immer kapitalistisch. Und die proletarische Macht war ohne diese Welterweiterung der Revolution zur Degeneration verurteilt. Bilans Beiträge sind grundlegend für das Verständnis dieses Zusammenhangs zwischen Weltrevolution und der Isolierung der Revolution in Russland. Der Prozess der Identifizierung zwischen der bolschewistischen Partei und dem Staat und die Gewalt, die von beiden gegen die autonomen Bewegungen des russischen Proletariats ausgeübt wurde, waren nichts anderes als der Todesstoß für den russischen revolutionären Prozess, der schließlich zum Stalinismus und zur Konterrevolution führte. Auf jeden Fall war die Revolution, die durch das weltweite Scheitern der weltproletarischen Welle (1923 in Deutschland, 1927 in China, um zwei emblematische Daten zu nennen) isoliert wurde, bereits verurteilt. Nur die Weltrevolution konnte das Proletariat retten. Trotzki bewahrte sich einen internationalistischen Instinkt, der es ihm erlaubte, gegen die stalinistische Degeneration zu reagieren, aber dieser Instinkt war enorm belastet durch seine theoretischen und vor allem praktischen Grenzen, durch die führende Rolle, die er beim Aufbau des russischen Staates gespielt hatte, und daher durch seine konterrevolutionären Anfänge.

In der Folge war für den Trotzki der 1930er Jahre und für die gesamte orthodoxe trotzkistische Bewegung seither die russische Gesellschaftsformation ein bürokratisch degenerierter Arbeiterstaat. Das liegt daran, dass die Ökonomie sozialisiert ist, da die Produktion und Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums verstaatlicht wurde, während die politische Macht von einer bürokratischen Kaste kontrolliert wird, die gestürzt werden muss. Deshalb ist die russische Ökonomie (was der offizielle Trotzkismus nach dem Zweiten Weltkrieg auf die übrigen Volkswirtschaften des so genannten „realen Sozialismus“ ausdehnen wird) fortschrittlich und nachkapitalistisch (das öffentlich-rechtliche Eigentum an den Produktionsmitteln ist eine sozialistische Errungenschaft), aber der begrenzte und reaktionäre Aspekt, konterrevolutionär seit den 1930er Jahren, ist die politische Kontrolle des Staates durch die Bürokratie. Die Bürokratie ist keine autonome und unabhängige Klasse, sondern eine Kaste. Deshalb ist sie nicht in der Lage, über die russische Gesellschaftsstruktur zu entscheiden und lebt parasitär von den revolutionären Errungenschaften des sowjetischen Oktobers, von der Plan- und Staatsökonomie. Eroberungen, die das Proletariat zu verteidigen hat. Nun, für Trotzki sind seit 1933, mit der Machtübernahme Hitlers, die Möglichkeiten, den russischen Staat zu reformieren, vorbei, und es geht darum, eine politische Revolution durchzuführen, die gewaltsam mit der stalinistischen bürokratischen Clique endet. Natürlich handelt es sich um eine politische Revolution und nicht um eine soziale Revolution, denn sie wäre kein Angriff auf die gesellschaftliche Struktur, die sich bereits im Übergang zum Sozialismus befindet, die postkapitalistisch ist, sondern nur auf die bürokratische und politische Degeneration, die die volle Entfaltung der Möglichkeiten der sowjetischen Plan- und sozialistischen Ökonomie verhindert.

Diese These wird von Trotzki in seinem wichtigen Buch „Die verratene Revolution“ (1936) deutlich dargelegt. In den ersten vier Kapiteln wird er die materielle Verifizierung der Überlegenheit der sozialistischen Ökonomie über die kapitalistische Ökonomie stark unterstützen, die sich auf die Fortschritte in der industriellen Produktion stützt, die durch die Fünfjahrespläne der stalinisierten Wirtschaft erzielt wurden. Das heißt, für Trotzki ist die russische Wirtschaft durch die bürokratische Ineffizienz, durch die brutalen und verbrecherischen Methoden Stalins belastet, aber letztlich ist ihre Struktur sozialistisch, so dass die Fortschritte in den Statistiken der Produktionssteigerung im sozialistischen Charakter der russischen Ökonomie zu finden sind. Trotzki lässt den kapitalistischen Charakter der russischen Produktion als sozialistischen Charakter durchgehen, wie wir bei ihm sehen können, gibt es eine Identifizierung des Charakters einer gesellschaftlichen Formation von den juristischen Verhältnissen des Eigentums. Da das Eigentum dem Staat gehört, kann die russische Ökonomie nicht kapitalistisch sein, was das Gegenteil dessen ist, was eine materialistische und kommunistische Methode sein muss: Es sind die sozialen Beziehungen, die den Sinn einer gesellschaftlichen Formation bestimmen. Im Fall des Kapitalismus, wie wir am Ende dieses Textes sehen werden, sind die gesellschaftlichen Verhältnisse durch die Trennung des menschlichen Lebens von den Produktions- und Reproduktionsmitteln des Daseins gekennzeichnet, was das Erscheinen des Proletariats (als von der Erde getrennte, in der Luft schwebende Menschheit) und die Notwendigkeit, seine Arbeitskraft im Austausch gegen einen Lohn zu verkaufen, hervorruft. Was den Gegensatz zwischen lebendiger Arbeit und toter Arbeit, d.h. Kapital, bestimmt. Darin liegt der kapitalistische Charakter der russischen Gesellschaftsformation und der aller Ökonomien des sogenannten „realen Sozialismus“ und nicht in einem juristischen Fetischismus wie dem des privaten oder staatlichen Eigentums an den Produktionsmitteln.

Wie wir sehen, verfällt Trotzki in einen Fehler, der einem guten Teil der kapitalistischen Linken gemein ist, aber bei jemandem wie dem bolschewistischen Revolutionär noch schwerer wiegt: die Identifizierung des Staates als etwas Fortschrittliches gegen das Privateigentum an den Produktionsmitteln als etwas Charakteristisches der kapitalistischen Ökonomie. Wie Bordiga aus der Marx’schen Kritik der politischen Ökonomie entwickeln wird, ist es nicht das Privateigentum, das den Kapitalismus charakterisiert, sondern die Tatsache, dass er eine unpersönliche soziale Kraft ist, die immer mehr Reichtum produzieren und akkumulieren muss und die uns alle zu Rädchen in ihrer unbegrenzten und scheinbar unendlichen Maschinerie macht. Für Trotzkisten kann es jedoch keinen Staatskapitalismus geben, weil er zugunsten einer konkreten Bourgeoisie ausgeübt werden muss, die es in der UdSSR nicht gab. Das Eigentum in der UdSSR war nicht bourgeois und seine sozialen Widersprüche sind mit denen jeder Übergangsgesellschaft vereinbar: sozialistische Produktion, kapitalistische Verteilung.

Wenn Trotzki auf der einen Seite die ökonomische Struktur auf eine fortschrittliche und postkapitalistische Realität reduziert, so reduziert er auf der anderen Seite die Politik des russischen Staates auf eine bloße bürokratische Degeneration. Deshalb geht es darum, dass das Proletariat eine rein politische Revolution durchführt und nicht eine soziale (was in den kapitalistischen Ländern notwendig ist). Letztlich hat die Bürokratie in diesem Schema etwas Fortschrittliches und Besseres als der Rest der kapitalistischen Länder. Und im Falle eines Krieges oder Konflikts müssten diese Staaten gegen den Rest der imperialistischen Mächte verteidigt werden. Diese Tatsache, die Verteidigung des Arbeiterstaates, wird immer eine der Säulen des Trotzkismus sein, die ihn als Teil der Linken des Kapitals platziert. Das ist es, was sie heute dazu veranlasst, wegen dieses Spiels innerhalb der bourgeoisen Institutionalität im Allgemeinen sozialdemokratische Linksregierungen gegen rechte oder konservative Parteien zu verteidigen. Diese trotzkistische Dualität, zwischen sozialistischer Ökonomie und politischer Degeneration, verbirgt einen guten Teil der Unwegsamkeiten des Trotzkismus als sozialdemokratische politische Strömung.

Die deutsch-niederländische Linke und der Rätekommunismus

Die deutsch-holländische Linke war innerhalb des revolutionären Marxismus die erste Strömung, die Sowjetrussland als kapitalistisch charakterisierte. Dies ist ein unbestrittener Verdienst. Bereits 1923 analysiert die Kommunistische Arbeiter-Internationale (KAI, ein Bruch mit der Dritten Internationale aus der deutschen KAPD) die Russische Revolution als eine Doppelrevolution, proletarisch für ihre Ziele, aber bourgeois für ihre Methoden und einige ihrer Merkmale. Diese These wird von Herman Gorter ausgearbeitet, aber sie entwickelt sich schnell bei anderen deutschen Linkskommunisten wie im Fall von Otto Rühle. Für den deutschen Kommunisten war die russische Revolution dazu verdammt, schnell und unausweichlich zu entarten. Der russische Staat war ein bourgeois-kapitalistischer Staat, der aus einer bourgeoisen Revolution hervorging. 1926 wurden verschiedene Oppositionsführer der KPD ausgeschlossen (Korsch, Scholem, Maslow, Fischer, Katz…). Einige von ihnen, wie Korsch, würden sich schnell zu den rätekommunistischen Positionen entwickeln, die die deutsch-niederländische Linke annehmen würde. Iwan Katz wird z.B. Stalin als „König der Bauern“ und Russland als kapitalistische Macht definieren. Während Karl Korsch im August 1926 die UdSSR als das Produkt einer radikal-bourgeoien Revolution betrachtet, ist sie 1928 bereits Ausdruck eines kapitalistisch-faschistischen Regimes, das von der jakobinischen Struktur der bolschewistischen Organisation und Philosophie geprägt ist.

Der am meisten ausgearbeitete Text dieser Strömung sind die „Thesen zum Bolschewismus“ (1934), die von dem deutschen Linkskommunisten Helmut Wagner ausgearbeitet wurden. Veröffentlicht in der Zeitschrift Rote Kämpfer, weisen sie darauf hin, dass Russland einen Übergang vom absolutistischen Zarismus zum absolutistischen Bolschewismus durchlief. Zwischen dem Proletariat und der Bauernschaft erhebt sich eine Bürokratie und wird zur herrschenden Klasse. Nicht eine bloße ohnmächtige Kaste, die dem Staatscharakter der russischen Ökonomie untergeordnet ist, wie bei Trotzki, sondern ein dominanter sozialer Geschlecht, der von sich aus autonom ist und einen Kapitalismus ohne Bourgeoisie formt. Ein System, das durch eine „staatliche Produktion mit kapitalistischen Methoden“ gekennzeichnet ist.

Helmut Wagner wird derjenige sein, der innerhalb der deutsch-niederländischen Linken den am meisten ausgearbeiteten Beitrag über den kapitalistischen Charakter der UdSSR leistet. Andere Gefährten, die den rätekommunistischen Positionen nahe standen, arbeiteten jedoch Texte und Artikel aus, die den konterrevolutionären Charakter der UdSSR verteidigten. Zum Beispiel spricht die Zeitung Réveil Communiste um Pappalardi (ein italienischer Linkskommunist, der sich immer mehr rätekommunistischen Positionen annähert) von einem antiproletarischen Klassenstaat, oder der Anführer der russischen Arbeitergruppe Miasnikov wird in Paris ein Buch veröffentlichen, Der nächste Streich, in dem er verteidigt, dass der russische Staat „sozial-bürokratisch mit einer staatskapitalistischen Struktur“ sei.

Wir beenden diesen Teil, indem wir uns auf zwei der wichtigsten Rätekommunisten beziehen: Paul Mattick und Anton Pannekoek. Mattick verbindet den Stalinismus mit dem III. Reich oder Roosevelts New Deal und identifiziert die Bürokratie mit der Bourgeoisie, obwohl er je nach Zeitraum undeutlich von Kapitalismus und Staatssozialismus spricht. Zum Beispiel argumentiert er in seinem wichtigen Buch „Marx und Keynes“, dass sich die sowjetische Ökonomie mit ihrer fast totalen staatlichen Kontrolle stark vom westlichen Kapitalismus unterschied. Das nimmt seiner Charakterisierung der russischen Ökonomie als kapitalistisch offensichtlich eine Menge Kraft.

Etwas Ähnliches geschieht im Fall von Pannekoek, der in einem 1946 veröffentlichten Text (obwohl während des Zweiten Weltkriegs geschrieben) ebenfalls vom Staatssozialismus sprach, während er auf dem fortschrittlichen Charakter des sowjetischen Regimes beharrte. Andere Militante, obwohl aus trotzkistischen Perspektiven und Ursprüngen, werden auch die Charakterisierung des Staatssozialismus für die UdSSR aufrechterhalten. Wir beziehen uns auf den bedeutenden, in der Ukraine geborenen Ökonomen Roman Rosdolsky und den ehemaligen Surrealisten Pierre Naville in seinem voluminösen Werk Le Nouveau Léviatan. Für Rosdolsky führt die Isolierung der Revolution zur Industrialisierung Russlands mittels der Bürokratie und bei Naville gibt es einen sozialistischen Lohn aus den Kooperativen, in denen sich die Proletarier selbst ausbeuten. Für beide ist ihre Position ein Mittelweg zwischen Trotzkis Konzeption und der des Staatskapitalismus, über die wir etwas später sprechen werden.

In jedem Fall sind die rätekommunistischen Ansichten, obwohl sie das Verdienst haben, den kapitalistischen Charakter der UdSSR seit Anfang der 1920er Jahre zu definieren, durch einen Mangel an Tiefe in ihrer Reflexion gekennzeichnet. Sie sind eine wichtige Probe des Instinkts und der Reaktion der Klasse, aber sie zeichnen sich auch durch einen Mangel an rigorosen Kategorien aus, die es ihnen nicht erlauben, den Grund für diese Charakterisierung tiefer und ausführlicher zu erklären. Das ist es, was einige dieser Gefährten, wie Pannekoek oder Mattick, dazu bringt, die Begriffe Kapitalismus und Staatssozialismus austauschbar zu verwenden. Was letztlich nicht erlaubt zu verstehen, in welchem Sinne der Zusammenbruch der UdSSR ein Beispiel für die allgemeinere Krise des Weltkapitalismus war.

Die Theoretiker des Dritten Lagers: bürokratischer Kollektivismus

Einige Gefährten und Gefährtinnen dieser Zeit werden argumentieren, dass Stalins Russland weder ein bürokratisch degenerierter Arbeiterstaat war, wie Trotzki argumentierte, noch eine Form des Kapitalismus, sondern eine dritte Form gesellschaftlicher Unterdrückung, weder kapitalistisch noch von Arbeitern. Für viele dieser Gefährten stand der Stalinismus als Gesellschaftsform im Einklang mit den allgemeineren Veränderungen, die der Kapitalismus durchlief und die das Privateigentum an den Produktionsmitteln angesichts einer neuen Herrschaft der Technik, der Manager, der Bürokratie abschafften.

Aber gehen wir der Reihe nach, die ersten Ansätze dieser Vorstellungen entstehen im Umfeld der französischen Gruppe um den Revolutionär Boris Souvarine. Konkret wird es der österreichische Kommunist Lucien Laurat, das Pseudonym von Otto Maschl, sein, für den die von der Weltrevolution isolierte Russische Revolution von den stalinistischen Bürokraten abgelöst wurde, die auch die inneren Schwächen des russischen Prozesses ausnutzten. Für Laurat gibt es keinen Kapitalismus, weil es keine Klasse von Privateigentümern gibt, daher ist seine Analyse sehr auf die Analyse der juristischen Formen des Eigentums ausgerichtet. Die Bürokratie ist eine parasitäre Klasse, und es geht darum, eine neue Gesellschaftsform zu analysieren, die sich in der Hitze des Maschinismus und der Technologie entwickelt, mit neuen Formen der technokratischen Planung. Italien und Deutschland würden aus ihren faschistischen Formen diese Formen der Plutokratie und Bürokratie entwickeln, die für Laurat die Dekadenz der Bourgeoisie als kapitalistische Klasse zum Ausdruck bringen würden.

Es wird die damalige französische Philosophin und Kämpferin Simone Weil sein, die Laurats Ausführungen in einem in La Révolution Prolétarienne (Nr. 138) veröffentlichten Text folgen wird: Gehen wir auf eine proletarische Revolution zu? Darin wird er argumentieren, dass das Wachstum von Managern und Technokraten mit der gesellschaftlichen Arbeitsteilung einhergeht, der Teilung zwischen Verwaltern und intellektuellen Arbeitern im Gegensatz zu Arbeitern, wobei er diesen Prozess mit Deutschland, Roosevelts Vereinigten Staaten usw. in Verbindung bringt. Von dort aus kommt sie zu dem Schluss, dass der Klassenkampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie durch einen viel umfassenderen Gegensatz zwischen manueller Arbeit und technischer Arbeit sowie zwischen der Menschheit und der Entwicklung der Technologie ersetzt wird. So verteidigte Simone Weil in diesem und in späteren Texten wie „Reflexionen über die Ursachen von Freiheit und sozialer Unterdrückung“ die Unmöglichkeit einer proletarischen Revolution und wie der Marxismus als theoretische Weltanschauung die progressiven Mythen des Kapitals fortsetzt. Jeder Versuch einer revolutionären oder tiefgreifenden sozialen Reform wird angesichts des Fortschritts der Technologie unmöglich. Sich vorzustellen, dass die Geschichte aufgrund von Reformen oder Revolutionen in eine andere Richtung gelenkt werden kann, ist Tagträumerei, wird sie wörtlich sagen. Dies ist nicht der Ort für eine Kritik dieser Perspektive, die bei anderen zeitgenössischen und späteren Autoren wie Lewis Mumford, Jacques Ellul oder Bernard Charbonneau zu finden ist. Wir können einfach darauf hinweisen, dass die Reduktion des Kapitalismus auf eine Megamaschine oder auf ein industrielles und technokratisches System dazu neigt, die auf Technologie und Maschinen basierenden kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse zu fetischisieren. Das heißt, die Technologie ist nichts anderes als der materialisierte Ausdruck jenes Teufels im Körper der Maschinen, der das Kapital ist und der die kapitalistische Technologie selbst in ihrem Wunsch nach unbegrenztem Wachstum bewegt. Andererseits schließen Visionen wie die von Simone Weil sehr früh in der Geschichte, nämlich schon vor fast 100 Jahren. Seitdem haben wir enorm wichtige Klassenkämpfe erlebt, wie die der 1960er und 1970er Jahre, und wir haben immer noch wichtige Kämpfe zu durchleben, die auf die eine oder andere Weise unsere Zukunft als Spezies bestimmen werden. Der Kampf zwischen Kommunismus oder Auslöschung der Spezies ist die Dichotomie unserer Zeit und bleibt in einem entscheidenden Kampf für die nächsten Jahrzehnte offen.

Andere Gefährten, die diese Perspektive fortsetzen, werden sich auf die trotzkistischen Milieus konzentrieren. Zunächst der italienische Militante Bruno Rizzi, ex PCdI, der den Milieus der IV. Internationale in den 30er Jahren nahe stand. Er wird ein Buch mit dem Titel „Die Bürokratisierung der Welt“ schreiben, in dem er den unumkehrbaren Marsch der Welt in Richtung einer aufsteigenden bürokratischen Macht argumentiert. Aus dieser Diskussion ergeben sich bereits Ansätze zu Theorien über einen bürokratischen Kollektivismus als dritte Gesellschaftsform, die sich unweigerlich aus der Spannung zwischen einer individuellen Ausbeutung, die zugunsten einer kollektiven Unterdrückung zurückgeht, durchsetzt. Eine Form der totalitären Unterdrückung (die an Orwells Vorstellungen von 1984 oder an die Vorstellungen von Totalitarismus und Freiheit des verstorbenen Victor Serge erinnert, um von zwei Gefährten zu sprechen, die von diesen Lektüren innerhalb des revolutionären Milieus beeinflusst wurden), in der es keine Möglichkeit der Wahl gibt, in der die russischen Arbeiter Gefangene sind. Der einzige Unterschied, den sie zu den griechischen Sklaven hätten, sei ihr Zugang zum Militärdienst. In jedem Fall löst der bürokratische Kollektivismus bei Bruno Rizzi den Kapitalismus als neue Stufe der historischen Entwicklung und die Technokratie als letzte herrschende Klasse in der Welt ab.

In den Reihen des Trotzkismus wird diese Diskussion innerhalb der amerikanischen SWP geführt. Ab dem Russisch-Finnischen Krieg, aufgrund des sowjetischen Einmarsches in Finnland im November 1939. Trotzki und eine reduzierte Mehrheit der amerikanischen SWP (der wichtigsten trotzkistischen Partei dieser Zeit) werden die UdSSR als Arbeiterstaat in diesem Krieg verteidigen, aber sie werden von einer Minderheit von fast 50% der Organisation, angeführt von Max Schachtman, bekämpft werden, die Trotzkis Verteidigungshaltung gegenüber der UdSSR kritisieren wird. Für sie ist es ein imperialistischer Krieg, in dem es kein Lager zu verteidigen gibt. Diese Perspektive der Klassenunabhängigkeit wird von einer Analyse begleitet, die dazu führt, den sozialen Charakter der UdSSR als eine dritte Gesellschaftsform zu verteidigen, weder proletarisch noch kapitalistisch, sondern als bürokratischen Kollektivismus.

Der erste Beitrag in diesem Sinne wird der von James Burnham sein, der einer der Theoretiker der Spaltung war, aus der die Workers Party hervorgehen wird. Kurz nach der Spaltung brach er schließlich mit der Organisation und später mit dem Marxismus und veröffentlichte 1941 ein wichtiges Buch: „The Managerial Revolution“. Burnhams Thesen sind denen von Bruno Rizzi sehr ähnlich, ja letzterer wird ihm sogar vorwerfen, seine Idee kopiert zu haben. Burnham argumentiert, dass eine neue Bürokratie zur dominierenden Klasse wird und diese Tatsache weltweit unaufhaltsam ist. Wir werden in den 1930er Jahren Zeuge eines Übergangs vom Kapitalismus zu einer neuen Managergesellschaft, die nicht von den Eigentümern der Produktionsmittel, sondern von Managern, Führungskräften, Technikern, Ingenieuren, Verwaltern, Büroleitern beherrscht wird… Im Gegensatz zu Rizzi führt dieser Übergang für Burnham nicht zu einer zukünftigen sozialistischen Revolution, sondern markiert eine neue, endgültige historische Ära.

Andere Gefährten werden diese Positionen innerhalb der Workers Party mit einer immer noch revolutionären Perspektive weiter verteidigen. Vor allem Max Schachtman, der in „Is Russia a Workers’State?“ unterscheidet zwischen den Formen des Eigentums (von der juristischen Herrschaft des Staates) und den Produktionsverhältnissen im Angesicht Russlands. Erstere sind fortschrittlich, letztere sind es nicht, weil sie von der Bürokratie kontrolliert werden. Die zentrale Frage ist also, wer den Staat kontrolliert und ob die Bürokratie eine autonome und unabhängige Klasse ist oder nicht. Da die Eigentumsformen in Bezug auf das für den westlichen Kapitalismus typische Privateigentum an den Produktionsmitteln fortschrittlich sind, sollten diese Formen auf jeden Fall gegen eine mögliche kapitalistische Restauration verteidigt werden. Andere Gefährten in seiner Partei wie Joseph Carter, derjenige, der als erster den Begriff des bürokratischen Kollektivismus prägen wird, werden die Idee kritisieren, dass die Eigentumsformen der UdSSR etwas Fortschrittliches waren. Für Carter ergibt es keinen Sinn. Es geht darum, ob das Proletariat die Produktionsmittel kontrolliert oder nicht, also kann verstaatlichtes Eigentum nicht als etwas Positives verteidigt werden, außerhalb dieses Aspekts der Kontrolle der Produktionsmittel durch die Arbeiter und Arbeiterinnen.

Wie wir am Ende dieser Notizen sehen werden, sind solche Positionen durch ein tiefgreifendes Missverständnis der Natur des Kapitalismus gekennzeichnet, da sie ihn auf das Privateigentum an den Produktionsmitteln reduzieren. Sie verstehen den Kapitalismus nicht als ein gesellschaftliches Verhältnis, das durch die Trennung der Proletarier von den Produktionsmitteln gekennzeichnet ist, sondern als eine Form der privaten Herrschaft und Kontrolle über die Produktionsmittel. Im Grunde sind sich die meisten Kontrahenten in dieser Debatte in diesem Aspekt einig, nämlich der Reduzierung des Kapitalismus auf seine juristische Form. Das ist es, was Trotzki dazu bringen wird, den sozialistischen Charakter der UdSSR zu unterstützen, und was, im Gegenteil, Schachtman und seine Gefährten dazu bringen wird, die Idee des bürokratischen Kollektivismus in der UdSSR zu verteidigen. Heutzutage gibt es nur noch wenige, die diese Positionen des bürokratischen Kollektivismus innehaben. Im Fall der Workers‘ Party wird sie sich am Ende in der American Socialist Party auflösen und Schachtman wird am Ende die Vereinigten Staaten im Vietnamkrieg unterstützen. Letztlich handelt es sich um Konzeptionen, die eine Schwierigkeit haben, sich von einer klaren Klassenunabhängigkeit zu positionieren. Die Übertreibung und Verwirrung über den spezifischen Charakter der russischen Gesellschaftsformation wird dazu führen, sich auf ihre besonderen totalitären Merkmale zu konzentrieren und den westlichen Kapitalismus als kleineres Übel zu sehen. So wird es nicht nur Schachtman ergehen, sondern auch anderen Zeitgefährten wie George Orwell, um einen der bekanntesten zu nennen.

Heutzutage gibt es eine trotzkistische Gruppe, die die Theoretiker des Dritten Lagers nachdrücklich verteidigt. Wir beziehen uns auf die Workers‘ Liberty, deren bekannteste theoretische Figur Sean Matgamna ist. Es gibt zahlreiche Veröffentlichungen in englischer Sprache zu diesem Thema, was eine interessante Quelle ist, um die Genesis dieser Debatten zu kennen. Auf jeden Fall ist es bezeichnend, dass diese trotzkistische Gruppe (und eines nicht besonders radikalen Zweigs des Trotzkismus (wie er in der enthusiastischen Unterstützung für Corbyn in der Labour Party durch den Eintritt in die sozialdemokratische Partei zum Ausdruck kommt) kein Problem damit hat, die klassischen Positionen des sozialdemokratischen Trotzkismus (Verteidigung der Einheitsfront, Arbeiterregierung, proletarischer Charakter, proletarischer Charakter der traditionellen sozialdemokratischen Parteien) zu verbinden, mit der Verteidigung des bürokratischen Kollektivismus gegenüber der UdSSR und den Ländern des sogenannten „realen Sozialismus“.

Die UdSSR als Staatskapitalismus

Wir nähern uns jetzt den Gefährten und Gefährtinnen, die den kapitalistischen Charakter der UdSSR ab den 1940er Jahren verstehen werden. Einige von ihnen kommen aus Organisationen, die mit der kommunistischen Linken verbunden sind, und andere werden mit dem Trotzkismus in unterschiedlicher Intensität brechen.

Unter den ersteren stechen die Figuren von Marc Chiric (Gründer der CCI) und Onorato Damen (Anführer der Battaglia Comunista) hervor. Beide werden die Positionen des Staatskapitalismus verteidigen und verstehen, dass der Staat in dem Versuch, die Dynamik des Kapitals totalitär zu kontrollieren, an die Spitze der gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse tritt. Die UdSSR wäre auf diese Weise ein Beispiel für die allgemeinere Dynamik der kapitalistischen Entwicklung, und zumindest für die zweite stellt die Entwicklung der UdSSR sie an die Spitze des kapitalistischen Fortschritts. Beide werden von Bordiga wegen dieser Charakterisierung kritisiert. Für ihn kann der Staat niemals die Dynamik des Kapitalismus kontrollieren, deshalb hat er viele Einwände gegen die Verwendung des Begriffs Staatskapitalismus, wenn unter diesem Begriff das Primat des Staates über die Dynamik des Kapitals verstanden wird. Er wird implizit Chiric, einen Kommunisten moldawischer Herkunft, in seinem Text „Der Teufel im Leib“ kritisieren, und letzteren in einer besonderen Korrespondenz, die zum Bruch beider und zur Spaltung innerhalb der italienischen Linken zwischen Battaglia Comunista und Programma Comunista (um sich auf die Zeitungen beider Organisationen zu beziehen) führen wird. Diese Korrespondenz wird von Damen selbst in seinem Buch mit dem Titel: „Bordiga, jenseits des Mythos“ veröffentlicht werden.

Was die Brüche innerhalb des Trotzkismus mit den offiziellen Versionen und die Entfaltung staatskapitalistischer Positionen betrifft, so findet man einen Präzedenzfall in dem britischen linken Trotzkisten der 1930er Jahre Ryan Worrall in seinem Text „Proletarischer Staat oder kapitalistischer Staat?“ Worrall nimmt von der kapitalistischen Entwicklung die Abschaffung des Privateigentums durch die Dynamik des Kapitals selbst vorweg (siehe unten, was wir zu Bordiga sagen werden). Das Privateigentum charakterisiert den Kapitalismus nicht, anders als Trotzki dachte, und die UdSSR wäre ein Ausdruck eines kollektiven Kapitalisten durch den Staat. Worrall hält die UdSSR jedoch nicht für einen imperialistischen Staat wie andere kapitalistische Staaten und argumentiert darüber hinaus, dass es sich um einen Typus von Gesellschaftsformation handelt, der dem Sozialismus näher steht als die westlichen Kapitalismen. Sein Text wird von dem berühmten sozialdemokratischen Ökonomen Rudolf Hilferding kritisiert, der eine dem bürokratischen Kollektivismus nahe stehende Position vertritt. Die UdSSR würde ein neues ökonomisches System mit totalitärem Charakter zum Ausdruck bringen, in dem die Ökonomie den Bedürfnissen des Staates unterworfen ist.

Ab den 40er Jahren des 20. Jahrhunderts gab es verschiedene Brüche innerhalb des Trotzkismus, die eine proletarische und internationalistische Reaktion gegen die Beteiligung des offiziellen Trotzkismus am imperialistischen Krieg, bekannt als Zweiter Weltkrieg, zum Ausdruck brachten. Die offiziellen Sektionen des Trotzkismus werden eine Verteidigung der proletarischen Militärpolitik und eine aktive Teilnahme an den nationalen Widerständen gegen den Faschismus durchführen, was dazu führen wird, dass sie ein aktiver Teil eines der Lager sein werden, die in diesem imperialistischen Krieg kämpfen. Diese Positionen werden von innen heraus von einigen Gefährten konfrontiert, die sich um die spanische Sektion (unter der Anführung von Grandizo Munis und Benjamin Péret), die griechische Sektion (von Agis Stinas, wo ein junger Castoriadis ein Militanter sein wird) und die vietnamesische Sektion um Ngo Van gruppieren, die sich später zu rätekommunistischen Positionen entwickeln wird.

Das Wichtige an all diesen Reaktionen ist, dass sie eine Verteidigung internationalistischer Positionen und der Unabhängigkeit der Klasse gegen die sozialdemokratische und reformistische Rolle des Trotzkismus darstellen, der sich seit den 1940er Jahren eindeutig auf ein anderes Klassenterrain begeben hat, indem er eines der Lager im imperialistischen Krieg verteidigte und außerdem seine Unterstützung für die UdSSR als bürokratisch degenerierten Arbeiterstaat bekräftigte. Eine Charakterisierung, die auf den Rest der Länder des so genannten Realsozialismus ausgedehnt wird, als bürokratisch deformierte Arbeiterstaaten und nicht degenerierte, in diesem Fall.

Diese Gefährten werden nicht nur diese internationalistischen Positionen verteidigen, sondern sie werden sich über die kapitalistische Charakterisierung der UdSSR vertiefen. An erster Stelle verweisen wir auf Munis, der zusammen mit Benjamin Péret und Trotzkis Gefährtin Natalia Sedowa bereits 1946 einen Text schrieb, in dem sie den kapitalistischen Charakter der UdSSR verteidigten. Diese Positionen, zusammen mit einem konsequenten Internationalismus, sollten sie 1951 zum Bruch mit der Vierten Internationale führen. Für Munis triumphiert die stalinistische bourgeoise Konterrevolution seit dem Molotow- Ribbentrow-Pakt. Dies impliziert die Entwicklung eines Staatskapitalismus ohne eine reife herrschende Klasse, anders als in den westlichen Ländern. Der Staatskapitalismus impliziert einen Antagonismus zwischen toter Arbeit und lebendiger Arbeit, zwischen Kapital und Arbeit, wo die Akkumulation von konstantem Kapital über die Löhne der Arbeiter herrscht. Der kapitalistische Charakter der UdSSR zeigt sich für Munis letztlich darin, dass in der russischen Planung die Bedürfnisse der Kapitalakkumulation und der Schwerindustrie dominieren und nicht die menschlichen Bedürfnisse der Proletarier, ihr sozialer Konsum, die Notwendigkeit, ihren Arbeitstag zu verkürzen und den Grad der Befriedigung menschlicher Bedürfnisse zu erweitern, was eine echte kommunistische und nicht kapitalistische Planung bedeuten würde.

Eine Perspektive der gesellschaftlichen Charakterisierung der UdSSR als Staatskapitalismus wird auch von der so genannten Johnson und Forest-Tendenz verteidigt. In der Tat wurde es von CLR James, Raya Dunaievskaya und Grace Lee geleitet. Vor allem Raya Dunaievskaya wird einen entscheidenden Beitrag leisten, denn sie beherrscht die russische Sprache (sie war eine Jüdin ukrainischer Herkunft, die in einem Grenzgebiet geboren wurde), was es ihr ermöglicht, offizielle Statistiken aus erster Hand einzusehen. Im Gegensatz zu Munis oder den griechischen und vietnamesischen Gefährten wird die Johnson-Forest-Tendenz jedoch keine klare und deutliche Anprangerung der bourgeoisen Rolle des Trotzkismus vornehmen, der eines der imperialistischen Lager im Zweiten Weltkrieg verteidigt hat. Dieses Fehlen ist sehr wichtig, weil es uns erlaubt, die weitere Entwicklung der Gruppe oder einige der aktuellen Positionen von Dunaievskayas amerikanischen Anhängern zu verstehen, die angesichts der Trump-Administration eine antifaschistische Logik verteidigt haben. Für die amerikanischen Revolutionäre der Tendenz war zentral, dass sie die Charakterisierung der UdSSR als ein staatskapitalistisches Regime verteidigten. Dies führte dazu, dass sie 1947 mit Max Schachtman und Carters Workers Party brachen und sich der amerikanischen SWP anschlossen, basierend auf der Perspektive, dass nach dem Zweiten Weltkrieg eine neue revolutionäre Welle bevorstand. 1951 brachen sie schließlich auch mit der SWP auf der Grundlage des hauptsächlich von CLR James verfassten Dokuments Staatskapitalismus und Weltrevolution.

Dunaievskaya individualisiert das Funktionieren des Wertes in der sowjetischen Gesellschaft auf der Grundlage der offiziellen Statistik. Wie Bordiga wird sie dem 1952 geschriebenen Text Stalins über „Die wirtschaftlichen Probleme der UdSSR“ große Bedeutung beimessen, in dem der georgische Diktator das Funktionieren des Wertgesetzes in der russischen Gesellschaft anerkennt. Dunaievskaya verteidigt, dass durch den Weltmarkt das Gesetz des Wertes in der russischen Gesellschaft wirkt, so dass es die Kategorien des Kapitals sein werden, die die Produktion und Verteilung der russischen Ökonomie bewegen. Dafür wird sie mit berühmten prosowjetischen und stalinistischen Ökonomen (die auch heute noch einen großen und unverdienten Ruhm genießen) wie Paul Baran oder Oskar Lange polemisieren. Das Wertgesetz ist also die treibende Kraft der russischen Ökonomie, die sich auch im Gegensatz zwischen toter und lebendiger Arbeit, zwischen der Akkumulation des konstanten Kapitals und der despotischen Unterwerfung der lebendigen Arbeit ausdrückt. Dunajewskaja wird im Gegensatz zu Bordiga nicht so viel Wert darauf legen, dass in der russischen Ökonomie eine Logik des Unternehmertums aus verschiedenen produktiven Einheiten, die ihren eigenen und irrationalen Logiken folgen, weiterwirkt. Aber auf jeden Fall individualisiert sie klar und eindringlich, dass der Kapitalismus ein gesellschaftliches Verhältnis ist, dass die russische Bürokratie der Agent des Kapitals in seinem Staat ist und dass es nicht das offizielle juristische Eigentum sein kann, was die gesellschaftlichen Verhältnisse einer gesellschaftlichen Formation definiert. Ihre Analyse ist damit eine der klarsten über den sowjetischen Kapitalismus.

Eine weitere Tendenz, die in dieser Periode internationalistische Positionen entwickeln wird, sind die Gefährten um die Zeitschrift Sozialismus oder Barbarei. Cornelius Castoriadis und Claude Lefort waren ihre wichtigsten Anführer. Die Gruppe entstand 1946 aus einer Abspaltung von der Französischen Internationalistischen Kommunistischen Partei, der Sektion der Vierten Internationale. Castoriadis wurde durch seine Militanz mit dem griechischen Internationalisten Agis Stinas während des Zweiten Weltkriegs tief geprägt. Sie verteidigten internationalistische und revolutionäre Defätismus-Positionen, die sie außerhalb der trotzkistischen Kapitulation gegenüber den demokratischen Lagern während dieses imperialistischen Krieges stellten (sie übten auch eine klare Kritik an der UdSSR als imperialistischer Macht). Auf dem Zweiten Kongress der Vierten Internationale fungierte Castoriadis als Vertreter der griechischen Gruppe von Stinas, zusammen mit anderen französischen Gefährten wie Montal (Pseudonym von Claude Lefort). In den ersten Ausgaben von Sozialismus oder Barbarei und angesichts des Themas, das uns in unserem Text beschäftigt, scheinen die Sozial-Barbaren die UdSSR als einen bürokratischen Kollektivismus zu charakterisieren, aber von 1948-1949 beziehen sie sich auf ihre Perspektive auf das Wesen der UdSSR als bürokratischen Kapitalismus (in diesem Fall, die privilegierte Beziehung, die sie mit der amerikanischen Gruppe von Dunaievskaya, James und Grace Lee haben werden), wo die Bürokratie die Produktionsmittel und den sozialen Überschuss kontrolliert, mit dem sie es schafft, ein totalitäres Regime mit fast keinen Grenzen zu etablieren, eine globale Ausbeutung. Auf diese Weise wird die Bürokratie zu einer autonomen Klasse, zu einem authentischen Agenten der sozialen Herrschaft zu ihrem eigenen Nutzen. Es ist diese Tatsache, die Amadeo Bordiga in einer Reihe von Texten, die unter dem Namen Klasse, Partei und Staat in der marxistischen Theorie veröffentlicht werden, zu Recht kritisieren wird.

Schließlich werden wir uns auf die Gruppe beziehen, die mit dem jüdischen Trotzkisten Tony Cliff verbunden ist. In diesem Fall handelt es sich um eine Strömung, die in allen Positionen orthodox trotzkistisch sein wird, mit Ausnahme ihrer Verteidigung des kapitalistischen Charakters der UdSSR, was sie links vom offiziellen Trotzkismus platzieren wird, und ihrer Verteidigung, dass das Theorieprogramm der permanenten Revolution seit der Nachkriegszeit abgewichen ist und zur Entwicklung staatskapitalistischer Formen geführt hat, wie im Fall des maoistischen China. Cliff wird 1947 sein Buch über den „Staatskapitalismus“ schreiben. Diese britische Gruppe liebäugelte anfangs mit Positionen links vom Trotzkismus, von einer Annäherung an die Figur Rosa Luxemburgs, aber seit den 70er Jahren und mit der Geburt der Socialist Workers Party (SWP) wird sie alle typisch trotzkistischen programmatischen Positionen sammeln (Verteidigung der Einheitsfront, der Rolle der Linken als fortschrittlicher als die Rechte, Verteidigung der Gewerkschaftsbewegung, der Arbeiterregierungen…). Und tatsächlich ist sie heute eine der am weitesten rechts stehenden Strömungen des Trotzkismus, die in einigen ihrer Positionen der europäischen Strömung nahe steht, die historisch mit Ernest Mandel verbunden ist (was früher als SU der Vierten Internationale bekannt war).

Um auf die Positionen zum Staatskapitalismus zurückzukommen: Für Cliff ist die Idee der Selbstemanzipation des Proletariats zentral, um zu definieren, dass die UdSSR kein sozialistisches Regime sein kann. Die stalinistischen Fünfjahrespläne sind eine Form der bourgeoisen Revolution, in der die Prozesse der Kapitalakkumulation auf dem russischen Lande entwickelt werden. Obwohl Cliff anfangs die Bedeutung des Weltmarktes für die Erklärung der Wirkung des Wertes auf die russische Gesellschaft und damit ihres kapitalistischen Charakters argumentierte, wird er diese Konzeption schließlich durch die der permanenten Rüstungsökonomie ersetzen. Die weltweite Konkurrenz in Zeiten des Kalten Krieges zwischen der UdSSR und den USA wird erstere zu einer Wettbewerbslogik zwingen, die für den im Vereinigten Königreich ansässigen Trotzkisten einen kapitalistischen Charakter ihrer Ökonomie haben wird. In jedem Fall handelt es sich um ein Regime, das wichtige Unterschiede zum westlichen Kapitalismus aufweist: Die Preise werden nicht über den Markt, sondern durch den Staatsapparat festgelegt (wie z.B. auch Hilferding dachte), es gibt keine unabhängigen Einzelunternehmen, sondern eine Unterordnung unter den Staatsplan (wie auch Dunaievskaya verteidigte und im Gegensatz zu Bordiga). Die UdSSR ist also ein großes Unternehmen, das mit dem Weltmarkt verbunden ist, auch wenn das Monopol des Außenhandels diese Auswirkungen begrenzt. Sie tut dies, wie wir oben gesagt haben, durch die Rüstungspolitik. Darüber hinaus weigerte sich Cliff, die Idee zu akzeptieren, dass die russischen Arbeiter moderne lohnabhängige Proletarier seien, weil es keinen Arbeitsmarkt gäbe; es wäre auf jeden Fall etwas, das mit dem Kapitalismus vereinbar wäre, genau wie eine Sklavenplantage. Diese Position wird von wichtigen Kollegen von ihm, wie Alex Callinicos und Duncan Hallas, auf der Grundlage des Beweises der Existenz von Löhnen als Mittel zur Erlangung des gesellschaftlichen Reichtums seitens der Proletarier der Länder des sogenannten „realen Sozialismus“ kritisiert werden. Außerdem wäre für sie die Leugnung der Existenz von Lohnarbeit als Ware in der UdSSR dasselbe wie die Behauptung, es gäbe kein Proletariat in der UdSSR und daher auch kein Kapital.

Bordiga: Kapital als unpersönliche soziale Kraft

Bordigas dunkle Jahre sind die seiner politischen Isolation, die zwanzig Jahre von 1926 (als er vom italienischen faschistischen Regime inhaftiert wurde), bis er 1945 den Kontakt zu seinen Gefährten in Norditalien wieder herstellte und sich den Diskussionen der italienischen kommunistischen Linken anschloss. Diese Jahre waren für den neapolitanischen Kommunisten nicht verloren, im Gegenteil, es sind die Jahre, die es ihm erlauben werden, systematisch zu Marx zurückzukehren und wesentliche theoretische Beiträge zu unserem revolutionären Programm zu leisten. Einer der zentralen Aspekte, auf den sich sein Beitrag konzentrieren wird, ist die Erklärung des kapitalistischen Charakters der russischen Gesellschaft. Bordiga würde dieser Diskussion in den 1940er und 1950er Jahren Hunderte von Seiten widmen. Ein neuer Aspekt, wie Amadeo selbst erkannte, der durch die innere Entartung der proletarischen Revolution in Russland gekennzeichnet war, der aber eine ernsthafte und systematische Untersuchung erforderte, die nur aus einem rigorosen Verständnis der Marxschen Methode und Theorie heraus erfolgen konnte. Für Bordiga kann man nur verstehen, warum Russland kapitalistisch war, wenn man versteht, was Kapitalismus ist. Das ist sein großer Beitrag in dieser Hinsicht und was ihn radikal vom Rest der bisher diskutierten Beiträge unterscheidet. Dafür wird er sich die nötige Zeit nehmen, nicht nur, weil die verstrichenen Jahre dazu beigetragen haben, das russische Phänomen besser zu verstehen, sondern auch, um den theoretischen Impressionismus zu bekämpfen, den er in vielen Beiträgen anderer Gefährten destilliert hat.

Was ist das Kapital für Bordiga? Eine unpersönliche soziale Kraft, die von einem automatischen Impuls angetrieben wird, Kapital ohne Ende anzuhäufen. Und Tatsache ist, dass im Kapitalismus das System der Aneignung des Produkts gesellschaftlich ist und anders als in der Vergangenheit nicht zum Zweck des persönlichen Konsums der Kapitalisten, sondern zur Kapitalakkumulation als dem primären und ausschließlichen Zweck erfolgt. Das ist es, was Bordiga dazu bringt, das Problem der herrschenden Klasse im Kapitalismus in die richtigen Begriffe zu fassen und sich nicht mit der Besessenheit zu befassen, die andere Gefährten mit der Entdeckung beschäftigt, ob es eine russische Bourgeoisie gibt oder nicht. Dieses neue soziale System der Unterdrückung ist nicht durch eine neue Form des privaten persönlichen Eigentums gekennzeichnet, sondern durch seinen sozialen Charakter. Im Falle der Sklaverei oder des Feudalismus eigneten sich die herrschenden Klassen das vom Sklaven oder Leibeigenen geschaffene individuelle Überschussprodukt für ihren eigenen persönlichen Konsum an, aber im Kapitalismus geschieht dies nicht. Es ist das Kapital, das die Kapitalisten unterjocht, sie subsumiert, als ob sie besessen wären, als ob sie den Teufel im Leib hätten. Das Kapital ist ein gesellschaftliches System in ständigem Wachstum, in Wirklichkeit ist es nichts anderes als dies, Wert aufgequollen mit Wert, Wert in ständiger Steigerung. Geld subsumiert Lohnarbeit in den Produktionsprozess, der zusätzliches Geld, Mehrwert, G‘, produziert: G-W-G‘ ist das Schema, mit dem Marx die kontinuierliche Bewegung des Kapitals erklärt. Kapitalisten, die sich dieser Bewegung nicht unterwerfen, verschwinden einfach, weil sie dem Niveau des Prozesses selbst, der Bewegung selbst, nicht gewachsen sind. Deshalb erklärt Bordiga im Anschluss an Marx, dass die Bourgeois nichts als Funktionäre des Kapitals sind. Die Funktion wird der Person auferlegt. Darin unterscheidet sich der Kapitalist sehr von anderen Ausbeutern der Vergangenheit, die in erster Linie private Aneignung, die der Feudalherr oder der Sklavenhalter für seine eigenen Reproduktionsbedürfnisse kontrolliert, verschwindet, weil das, was alles und jeden beherrscht, eine automatische Bewegung ist, die sich mit einer scheinbar natürlichen und allwissenden, unhinterfragbaren Kraft durchsetzt. Deshalb ist das Kapital ein gesellschaftliches System und kein System des persönlichen Eigentums, und deshalb wird die Macht des Kapitalisten nicht an dem Eigentum gemessen, dessen rechtlicher Eigentümer er ist, sondern an der Masse des Kapitals und der akkumulierten gesellschaftlichen Arbeit, die ihm zur Verfügung steht und der er sich unterwirft, auch wenn er es nicht weiß. Aus diesem Grund können wir zusammenfassend behaupten, dass das Kapital eine unpersönliche gesellschaftliche Macht ist, ein mit Wert gefüllter und in ständigem Wachstum begriffener Wert.

Nun, der Kapitalismus ist ein soziales Verhältnis, aber was bedeutet das? Er setzt die Trennung zwischen dem Arbeiter und den Mitteln zur Produktion und Reproduktion des Lebens voraus. Dadurch wird das private Privateigentum an Land (das die Bauern im Mittelalter hatten) abgeschafft und die Arbeiter gezwungen, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um über den Lohn Zugang zu Reichtum zu erhalten. Der Reichtum äußert sich nicht direkt, durch den Eigenverbrauch des Produzierten, sondern immer indirekt über den Markt. Das bedeutet aber, dass die kapitalistische Produktion immer (indirekt) gesellschaftlich ist und als Tauschwert produziert wird, der auf dem Markt verkauft wird. Alles erhält im Kapitalismus eine gesellschaftliche Funktion, sei es die Arbeit (ich reproduziere mich selbst, indem ich meine Arbeitskraft verkaufe, um einige Waren zu produzieren und andere Waren zu konsumieren), oder die Funktion des Kapitalisten. Kapitalist zu sein ist nicht mehr eine persönliche, sondern eine gesellschaftliche Position, und ebenso ist das Privateigentum nicht mehr so sehr eine juristische oder persönliche Form, sondern eine gesellschaftliche Aneignung der Produktion. Das ist auch der Grund, warum die Klassen im Kapitalismus offene Gesellschaftsformen sind (man kann als Proletarier geboren werden und in sehr wenigen Fällen zum Kapitalisten werden oder vom petite Bourgeois zum Proletarier werden), im Gegensatz zum geschlossenen Charakter der feudalen Stände. Klassen werden durch ihr soziales Wesen und nicht durch ihre persönlichen Figuren charakterisiert.

Bleibt man bei der Erklärung des Kapitalismus als gesellschaftliches Verhältnis, so ist der Wert nichts anderes als die Form, in der den Produzenten die Bedingungen ihrer Produktion präsentiert werden. Eine äußere Kraft, verkörpert in Maschinen und Unternehmen, an die ich meine Arbeitskraft verkaufen muss, wenn ich Zugang zu Reichtum haben will. Das ist es, was das Kapital dazu bringt, seine Macht über die gesellschaftliche Arbeit durchzusetzen und dies mit einem scheinbar natürlichen Despotismus tut. Was ein soziales und historisches Verhältnis ist, die Vertreibung der Bauern vom Land und der Zwang, Proletarier zu werden, indem man die Arbeitskraft als Besitz verkauft, als zwingende Notwendigkeit, um nicht zu verhungern, wird naturalisiert und erscheint als einfache Beziehung zwischen den Dingen. Menschen finden sich vermittelt und unterworfen von Dingen (Maschinen, Firmen, Konsumobjekten, Geld…) und Dinge werden zu Menschen, den eigentlichen Protagonisten von Bewegung und sozialer Dynamik. Es ist die Herrschaft der toten Arbeit (Maschinen, Werkzeuge, Fabriken, in der Vergangenheit akkumulierte Arbeit) über die lebendige Arbeit. Das ist die Analyse des Kapitals, die Marx macht und die Bordiga wieder aufgreift, um zu verstehen, warum die UdSSR ein kapitalistischer Staat ist.

Die Konsequenzen aus dieser Analyse sind vielfältig. Wenn uns die von den gesellschaftlichen Verhältnissen produzierten Objekte als die authentischen Subjekte erscheinen, diese gesellschaftlichen Verhältnisse aber durch die gesellschaftliche Dynamik (d.h. durch den Fetischismus der Ware und des Kapitals) verborgen sind, sind die Produkte der gesellschaftlichen Verhältnisse von den Individuen autonom, es braucht sie nicht, es bedarf nicht ihres bewussten Willens. Der Kapitalismus ist also nicht durch den Willen der Menschen geprägt, sondern im Gegenteil, es ist der Kapitalismus, der diesen Willen definiert und formt. Das macht es möglich, dass der Kapitalist in der Geschichte verschiedene Gestalten und Gewänder annimmt, dass das Kapital auf einige seiner Inkarnationen verzichten und sie durch andere ersetzen kann (eine Gesellschaft der Klassen und nicht der geschlossenen Gesellschaftschichten), denn was den Kapitalisten ausmacht, ist nicht seine Persönlichkeit und sein Wille, sondern die Tatsache, dass er eine bloße Personifizierung der Dynamik und der Bedürfnisse des Kapitals ist. Es ist die Funktion, die das Organ bestimmt. Bordiga erklärt, dass dies nicht nur die Substanz von Marx‘ Analyse ist, sondern dass die eigentliche Dynamik des Kapitalismus im 20. Jahrhundert, weit davon entfernt, sich von seiner Beschreibung im Kapital zu entfernen, dazu tendiert, sie mit zunehmender Kraft zu bestätigen. Der Mythos des fetten, Zigarre tragenden Bourgeois, typisch für die expressionistischen Karikaturen eines George Grosz zum Beispiel, der die Arbeiter für seinen unstillbaren Durst nach Reichtum beherrscht und ausbeutet, ist nicht Marx‘ Analyse dessen, was Kapitalismus ist. Und außerdem sind sie Karikaturen, die nicht die wahre Natur des Kapitalismus ausdrücken. In dem Maße, in dem sich der Kapitalismus entwickelt und seine gesellschaftliche Kraft entfaltet, neigt er zur Entpersönlichung, die Figur des einzelnen Unternehmers verschwindet im Namen der Konzentration und Zentralisierung des Kapitals. Mit der Ausbreitung von Konzernen, Finanzkapital und großen Unternehmen. Der individuelle Eigentümer wird ausgelöscht und ein kollektiver Eigentümer tritt auf, verkörpert durch viele Aktionäre oder den Staat selbst. Was das Kapital definiert, ist nicht das persönliche rechtliche Eigentum, sondern das gesellschaftliche Verhältnis, die Tatsache, dass Kapital akkumulierte Arbeit ist, die die lebendige Arbeit subsumiert und ihr gegenübersteht. Mit der Entwicklung des Kapitalismus gibt es eine immer deutlichere Trennung zwischen dem Eigentum (zunehmend kollektiv, durch Aktien oder durch das öffentliche Kapital des Staates) und der Verwaltung des Kapitals, die von Managern, Führungskräften, Technikern durchgeführt wird… Es war diese Tatsache, über die die Theoretiker des bürokratischen Kollektivismus auf impressionistische Weise nachdachten. Eine Tatsache, die nicht eine neue, von der Herrschaft der Technik geprägte Ära impliziert, die über den Kapitalismus hinausgeht, sondern einfach den immer reineren und akzentuierteren Ausdruck der kapitalistischen Logik in ihrer Opposition gegen die lebendige Arbeit, gegen die von allem anderen Eigentum als ihrer Arbeitskraft entkleidete Menschheit. Es gibt dann eine Scheidung zwischen Eigentum und Kapital. Der Kapitalist verschwindet dann als physische Figur, die die ausschließliche Kontrolle des Kapitals über seine Fabrik hat, und ist mehr und mehr ein Unternehmer, der in den Prozess der Selbstverwertung des Kapitals durch die Ausbeutung der Arbeitskraft eingreift und sich diesem unterwirft. Bordiga wird also vom Kapitalisten als reinem Unternehmer und dem Unternehmen als gesellschaftlicher Institution ohne Eigentum sprechen, das wie früher durch eine einzelne Person verkörpert wird. Es ist ein Interessensystem, das auf zunehmend unpersönlichen kapitalistischen Funktionen basiert. Der andere ist wichtig für das, was er hat oder besitzt, für das, was ich mit ihm austauschen kann und nicht für das, was er ist. Was die Bourgeoisie als Klasse ausmacht, ist ihre Bindung an eine gesellschaftliche Kraft, die sie besitzt, und nicht die persönlichen Abhängigkeiten, die in der Vergangenheit Feudalherren oder Sklavenbesitzer charakterisierten.

Aus all dem Gesagten können wir verstehen, wie wichtig es ist, das Kapital als gesellschaftliche Macht zu definieren, wobei die Gesellschaft nichts anderes ist als ein abstrakter Kapitalist, der den Staat selbst enthält. Der Staat ist ein sozialer Ausdruck des Kapitalismus selbst, er ist keine andere soziale Kraft, geschweige denn eine gegensätzliche. Sie ist ein weiteres Ergebnis der Vergesellschaftung des Kapitals und des allgemeineren Prozesses der Trennung und Gegensätzlichkeit zwischen akkumulierter Arbeit und lebendiger Arbeit. Deshalb ist es so wichtig, den Kapitalismus im Hinblick auf seine gesellschaftlichen Verhältnisse zu definieren und nicht im Hinblick auf das juristische Eigentum an den Produktionsmitteln. Ob ein Unternehmen öffentlich oder privat ist, ändert nichts an seinem ebenfalls kapitalistischen Wesen. Daher die Absurdität des Versuchs, im verstaatlichten Eigentum ein Beispiel für den antikapitalistischen Charakter der russischen Gesellschaft zu sehen, wie es Trotzkisten taten und tun.

Also ja, Stalins UdSSR war kapitalistisch. Sie unterlag der Wertdynamik im Innersten: durch den Weltmarkt, der einen zwingenden Wettbewerbszwang erzeugte, aber vor allem durch die Art und Weise, wie alle typischen Kategorien des Kapitals im kapitalistischen Zeitalter aufrechterhalten und eingesetzt wurden: Geld, Unternehmen, Lohnarbeit, Markt… Nur die Analyse dieser Kategorien erlaubt es uns, das Wesen der russischen Gesellschaft zu verstehen und die Fehler anderer Gefährten zu vermeiden, die das Ergebnis eines unzureichenden Verständnisses des kapitalistischen Charakters der UdSSR waren (da sie unter Staatskapitalismus ein Kapital verstanden, das in Wirklichkeit der Dynamik des Staates unterworfen war, was unmöglich ist), oder von Gefährten, die die allmächtige Macht der Bürokratie verteidigten (wenn die Bürokratie in Wirklichkeit der Macht des Kapitals unterworfen war, war sie nichts anderes als dessen ohnmächtige Personalisierung). In Wirklichkeit stimmten beide irrigen Vorstellungen in der grundlegenden Sache überein, im Verständnis, dass es einen gewissen Gegensatz zwischen Staat und Kapital gibt, zwischen verstaatlichtem Eigentum (das eine nicht-kapitalistische Logik ausdrückt) und Kapitalismus (der mit bloßem Privateigentum identifizierbar wäre). Das tiefe Verständnis dessen, was Kapitalismus ist, erlaubt es Bordiga, die Sackgassen all dieser Theorien zu überwinden, während er gleichzeitig mit der trotzkistischen Sichtweise bricht, die mit ihrer – in diesem Fall positiven – Obsession für verstaatlichtes Eigentum nicht aufhörte, die Grundlage der anderen zu teilen.

Zwei Fragen zum Abschluss dieses bereits langen Artikels. Bordiga wird Tausende von Seiten zu dieser Analyse entwickeln und dafür eine Menge Statistiken aus den russischen Fünfjahresplänen verwenden. So kann er auf viele Details eingehen, wenn er erklärt, wie sich die Warenbeziehungen in der russischen Gesellschaft konkretisierten. Um dies zu erreichen, wird er auch die erdrückende Last des Staatseigentums in Russland abbauen. Er wird z.B. argumentieren, dass auf dem Land der überwiegende Teil des Eigentums privat war, in Form von Genossenschaften, durch die Kolchosen. Hinzu kommt, dass die Genossenschaftler einen Teil des Landes in Form von kleinen Parzellen zur eigenen Nutzung hatten. Auf diese Weise gab es, wie Stalin selbst in einem Text von 1952 einräumte, mit dem Bordiga in seinem Dialog mit Stalin polemisierte, eine Warenbeziehung zwischen Stadt und Land, zwischen staatlicher Industrie und einem Land voller privater Genossenschaften. Außerdem herrschte trotz der Zentralisierungsversuche durch die Fünfjahrespläne auch in der Industrie eine private Logik. Nicht nur wegen der Wertdynamik durch den Weltmarkt, sondern auch, weil die eigenen Pläne und die Logik jedes Unternehmens in Opposition und in Konkurrenz zueinander blieben. Und weil fast 53 % der staatlichen Ausgaben für Infrastruktur und Bauarbeiten durch Verträge und Unteraufträge an kleine und mittlere Unternehmen getätigt wurden, so die Daten aus dem fünften Fünfjahresplan der UdSSR (1951-1955). Das heißt, auch in der Industrie gab es neben den staatskapitalistischen Betrieben ein breites Netz von kleinen und mittleren Privatunternehmen.

Stalin selbst wird die Existenz Warenbeziehungen in Russland, sowohl zwischen Stadt und Land als auch auf Weltmarktebene, in seinem Text von 1952: „Die wirtschaftlichen Probleme in der UdSSR“ anerkennen. Interessant ist er nicht nur wegen dessen, was er inmitten all seiner Hochstapelei erkennt, wie Bordiga in seinem bereits erwähnten „Dialog mit Stalin“ zeigt. Stalin erkennt an, dass in der UdSSR das Wertgesetz funktioniert, die Logik des Unternehmens, des Lohns, der Ware, des Geldes… Dann versucht er sich aus dem Staub zu machen, indem er argumentiert, dass das Wertgesetz in diesem Fall sozialistisch ist und dass das, was den Kapitalismus charakterisiert, die Existenz von Monopolen ist, von schlechten Monopolen, die außerordentliche und unfaire Profite erzielen. Mit anderen Worten, reine Gemeinplätze, die gar nicht so weit entfernt sind von dem heute gebräuchlichen reformistischen Denken. Nun ist es wichtig, mit Bordiga zu bekräftigen, dass die Marx’sche Analyse des Kapitals ein Nachruf auf die Kategorien dieser schmutzigen Gesellschaft ist. Ein Nachruf auf seine Kategorien, die mit der Bejahung des Kommunismus untergehen sollen. Bordigas Analyse des kapitalistischen Charakters der UdSSR endet genau auf diese Weise. Indem wir skizzieren, dass immer dann, wenn wir in der modernen Zeit die Existenz von Märkten, Geld, Waren, Löhnen, Unternehmen, Eigentum, Staat… sehen, wir von einer Gesellschaft sprechen, in der der Kapitalismus existiert. Und deshalb wäre der Kommunismus als reale Bewegung, die das Bestehende leugnet, nichts anderes als das positive Gegenteil dieser schmutzigen Gesellschaft. Eine menschliche Gemeinschaft, Gemeinwesen, ohne Unternehmen, ohne Geld, ohne Eigentum (Nießbrauch für die Spezies, für diese und zukünftige Generationen), ohne Buchhaltung, ohne Lohnarbeit, ohne Staat… Eine Gesellschaft ohne Kapital: Kommunismus.

Grupo Barbaria – Dezember 2020


Empfohlene Lektüren um im Thema zu vertiefen:

Amadeo Bordiga: Dialog mit Stalin.

Liliana Grilli: Amadeo Bordiga, capitalismo sovietico e comunismo.

Arturo Peregalli y Riccardo Tacchinardi: L’URSS e la teoría del capitalismo di Stato.

Marcel van der Linden: Western Marxism and the Soviet Union.

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