Grupo Ruptura – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org Für die Anarchie! Knäste, Staat, Patriarchat und Kapital abschaffen! Tue, 07 May 2024 22:14:37 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://panopticon.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1233/2020/02/cropped-discharge-degenerik-blog-1-32x32.jpg Grupo Ruptura – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org 32 32 Die Anarchisten und Anarchistinnen und der 15M https://panopticon.blackblogs.org/2023/02/02/die-anarchisten-und-anarchistinnen-und-der-15m/ Thu, 02 Feb 2023 12:57:02 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=4756 Continue reading ]]>

Gefunden auf der Seite von Grupo Ruptura aus Madrid, der Text, sowie eine dazu Kritik von ‚Tridni Valka – Klassenkrieg‘ wurden von uns übersetzt.

Wir haben zwei Texte aus dem spanischen Staat ausgegraben und übersetzt die sich mit dem Phänomen des ‚15M‘ im spanischen Staat im Jahr 2011 auseinandersetzen, sowie welche die Herausforderungen von Anarchistinnen und Anarchisten in diesen sind, bzw., waren. Der hier vorliegende, der nicht nur ein, unserer Meinung nach, sehr naiver Text ist, das Übersetzten fühlte sich zum Teil wie ein ewiges Zahnziehen, warf zu seiner Zeit zwar nicht mal unwichtige Fragen auf, immerhin, und versuchte sich in der Beantwortung dieser. Der zweite Text dazu wird eine vernichtende Kritik an die Ereignisse des ‚15M‘ sein.

Die Fragen waren insofern richtig, denn sie stellen die ghettolastige Praxis einer anarchistischen Bewegung in Frage die nicht in der Lage war, und nach wie vor ist, gesellschaftlich zu handeln. Die Antworten sind opportunistischer, reformistischer und naiver Natur. Dennoch ist der Text sehr interessant, weil er aus einem gesellschaftlichen ‚Konflikt‘ entstand. Deswegen auch die Übersetzung und Publikation von diesem. Der von uns übersetzte Texte versucht im Kontext dieser Bewegung eine Analyse und Vorschläge zur Debatte zu machen um die Intervention von Anarchistinnen und Anarchisten vor Ort zu „schärfen“. Eine durchaus wichtige Frage, die, wenn auch viele unserer Gefährtinnen und Gefährten es nicht unter den folgenden Begriffen hören wollen, eine ist, wo das Handeln einer revolutionären Minderheit an der Tagesordnung steht. Es ist eine Tautologie die Frage zu stellen wie eine anarchistische und revolutionäre Bewegung die die Mehrheit der Gesellschaft ausmachen würde, handelt, da dies nicht der Fall ist, kann die Frage nur in Form der Minderheit gestellt werden. Für viele hat dies logischerweise einen leninistisch-stalinistischen und avantgardistischen faden Beigeschmack, doch stellt sich die Frage der Praxis im hier und jetzt nach wie vor. Diese Fragen versuchten die Verfassenden im konkreten Kontext von 2011 zu beantworten, wer sich noch daran erinnern kann, war der 15M hierzulande eine Quelle der Begeisterung, der Erleuchtung und der Faszination, meistens aus der weiten Betrachtung des Zuschauenden, des fernen wohl bemerkt, ohne das Konkrete zu verstehen, wo alles im Exotischen und im Fetisch zerfällt. Ähnlich was es mit der Revolte 2008 in Griechenland, mit dem arabischen Frühling, den Gelben Westen in Frankreich, etc. Solche Phänomene, Ereignisse und Dergleichen faszinieren weil den meisten, Anarchistinnen und Anarchisten leider auch, immer das Quantitative und nicht das Qualitative fasziniert.

Im Falle des spanischen Staates ist die Zusammenfassung kurz und prägend, aus der Bewegung schöpften nur reformistische und konterrevolutionäre Kräfte Kraft und gründeten eine Partei, Podemos, die jetzt Teil der spanischen Regierung ist und das Kapital und deren Interessen auf spanischen Nationalterritorium verwalten. Bravo, die feuchten Träume einiger Anhänger von Negri, Gramsci, Lenin und Schmitt gingen damals in Erfüllung. Sowie auch in Griechenland mit dem Wahlsieg von Syriza einige mit Posten im Innenministerium träumten, der Sozialismus war zum greifen nah. Doch was gedeiht aus dem Reformismus, falls dieser überhaupt noch existiert und in gewisserweiße jemals existiert hat, aus der Konterrevolution? Nur der Tod durch die Hand des Kapitals. Stellt sich die Frage ob de Ausgang ein anderer hätte werden können.

Wir machten diese Übersetzung, weil wir leider wie so oft nicht in der Lage sind dazu selbst was zu schreiben. Und wollen zu diesem konkreten Text sagen, dass er, wenn auch komplett naiv und falsch, zumindest auf grundlegende Fragen zu stellen einige Antworten zu geben versuchte. Der Grund warum wir diesen Text ausgewählt haben ist wie immer keine zufällige, sondern angesichts der gegenwärtigen Situation wo nicht nur weltweit Konflikte ausgetragen werden, der Kapital wieder in einen Moment der Krise sich befindet. Die Kriege, die Pauperisierung des Alltags, die Zerstörung der Umwelt, die Folgen der Pandemie, die Unfähigkeit des Kapitals aus lebendiger Arbeit Mehrwert zu schöpfen, usw., bestimmen die jetzige Situation, und doch ist die Antwort vieler anarchistischer Gruppen hierzulande nur eine sozialdemokratische die mit radikalen Parolen verkleidet ist. Das Vergangene kann uns nach wie vor sehr zum Nachdenken verleiten und dies wäre eine gute theoretische Übung um ins praktische zu kommen.

Für jede holprige Stelle und Ungenauigkeit entschuldigen wir uns an dieser Stelle mal wieder für unsere Unfähigkeit beim Übersetzten, sowie unsere Unfähigkeit beim Schreiben.

Soligruppe für Gefangene


(Tridni Valka – Klassenkrieg) Einleitung und eine kurze Kritik des Textes

Wir bringen hier einen Text „Spanien: Anarchisten und die Bewegung des 15. Mai – Überlegungen und Vorschläge1, der von Anarchistinnen und Anarchisten aus Madrid verfasst und kürzlich von der Gruppe Klassenkrieg/Tridni Valka ins Tschechische übersetzt wurde. Wir halten ihn für einen sehr interessanten Beitrag zur Frage der Aktivitäten revolutionärer Minderheiten in sozialen Bewegungen wie der Bewegung des 15. Mai. Er befasst sich mit der Aktivität innerhalb von Bewegungen, die voller Widersprüche, Verwirrungen, falscher Ideen, Manipulierer und Politiker sind, die aber dennoch einige Forderungen vertreten und Fragen stellen, deren Inhalt hinter dem mehr oder weniger deutlichen Schleier der bourgeoisen Ideologie notwendigerweise einen klassistischen Aspekt hat – Forderungen, die menschliche Bedürfnisse befriedigen oder sie gegen den Angriff der Bourgeoisie verteidigen, Forderungen, deren Streben nach Erfüllung die menschlichen Bedürfnisse notwendigerweise in Gegensatz zur Ökonomie, d.h. zu den Interessen des Kapitals, stellt.

Dieser Text hat eine Diskussion ausgelöst, in der wir natürlich versucht haben, starke und schwache Aspekte dieses Beitrags zu erkennen. Vorab sei gesagt, dass wir hier nicht die falsche Dichotomie zwischen Anarchismus und Marxismus (manche sagen auch Kommunismus) reproduzieren wollen. Dieser Dichotomie zu folgen, führt in der Praxis zu nichts anderem als einer weiteren Spaltung innerhalb unserer Klasse, wobei diese interne Zersplitterung der Bourgeoisie in die Hände spielt, die ein Interesse daran hat, alle Kämpfe des Proletariats gegen das Kapital in Kämpfe innerhalb der proletarischen Klasse selbst zu verwandeln.

Natürlich machen wir uns nichts vor, dass es weder Unterschiede noch verschiedene Ansätze und/oder Schwächen zwischen verschiedenen Strukturen gibt, die den historischen Prozess der Herausbildung der revolutionären Opposition zum Ausdruck bringen – denn „diese beiden Strömungen“ (d.h. Anarchismus und Kommunismus) sind Produkte dieses Prozesses. Wir haben jedoch nicht die Absicht, das Beste aus dem „antiautoritären“ Anarchismus und dem „wissenschaftlichen“ Marxismus herauszupicken und in einer Art Eklektizismus einen neuen „-ismus“ zu konstruieren. Ein solcher Ansatz würde bedeuten, dass man in der Umarmung dieser Dichotomie bleibt.

Die einzig wichtige Praxis und Theorie, egal ob wir sie als anarchistisch oder kommunistisch bezeichnen, ist diejenige, die sich gegen den Staat und das Kapital stellt, die die Emanzipation des Proletariats verteidigt – also diejenige, die auf dem „massenhaften“ Klassenbewusstsein basiert, das die Klasse in ihrem praktischen Kampf und ihrer eigenen theoretischen Entwicklung außerhalb jeglicher Vermittler erlangt, durch die Entwicklung der Selbstorganisation der Klasse (direkte Kampfstrukturen auf der Grundlage des proletarischen Programms), durch Diskussionen, Praxis, Solidarität, Internationalismus (das Proletariat hat keine Heimat!), bewaffneter Kampf…, all dies ist Teil des Prozesses, der das Proletariat zur revolutionären Klasse macht, die die soziale Revolution durchführt. Deshalb kritisieren wir den Text auch nicht von dieser oder jener ideologischen Position aus, sondern aus der Perspektive dessen, was wir als Beitrag zur Entwicklung des proletarischen Kampfes betrachten.

Warum halten wir diesen Text also für interessant? Weil der zentrale Gedanke des Textes die Diskussion darüber ist, wie man zu diesem Prozess der Konstituierung des Proletariats als Klasse beitragen kann. Wie man in Bewegungen wie der 15M-Bewegung den Antagonismus zwischen proletarischen Interessen (ein würdiges Leben, gesunde, d.h. ungiftige, und preislich erschwingliche Lebensmittel, weniger Arbeit ohne Lohnkürzungen, d.h. der Kampf um die Senkung der Ausbeutungsrate und der Widerstand gegen die absolute Degradierung zu einer bloßen Begleiterscheinung des Produktionsprozesses – was in letzter Konsequenz nichts anderes ist als die Zerstörung des Kapitals) gegen die zerstörerischen Interessen der kapitalistischen Produktionsweise, wie man die proletarische Selbstorganisation gegen die demokratische Trennung von unserer Kraft und unserer Kontrolle anstachelt…

Ein weiteres starkes Moment des Textes ist die entscheidende Kritik an einer Propagierung revolutionärer Organisationen per se, also Selbstwerbung, Selbstvermarktung, die nichts mit dem Prozess der Konstituierung des Proletariats zur Klasse zu tun hat. Ganz im Gegenteil, der Text prangert alle möglichen Sekten an, die versuchen, den Proletariern ihre „Wahrheit“ aufzuzwingen und sie zu rekrutieren, damit sie diese „Wahrheit“ passiv nachplappern, ganz so wie es die Herrschaft der bourgeoisen Ideologie anstrebt. Die sozial-proletarisch-kommunistische Revolution wird nicht durch eine Repräsentation ausgeführt, eine solche Bewegung produziert keine Abgrenzungen, Spezialisten und Fetische, und die Revolution ist eine Aktion, eine Aktivität des „massenhaften“ klassenbewussten Proletariats.

Auf der anderen Seite scheint es uns jedoch, dass sich hinter dieser beitragenden (Selbst-)Kritik und der Ablehnung der Selbstvermarktung der pseudorevolutionären Sekten eine Schwäche des Formalismus verbirgt. Wenn die Autoren über ihre Hingabe an Vollversammlungen sprechen, scheint es uns, zumindest lesen wir es so, dass sie in die Fetischisierung einer Form abgleiten. Für uns ist jede Form, z.B. Vollversammlungen, nicht per se „das effektivste Mittel, um zur Revolution zu führen“. Die inhaltliche Qualität solcher Formen hängt vom Kräfteverhältnis zwischen dem Proletariat und der Bourgeoisie, zwischen dem Inhalt des proletarischen Kampfes (dem proletarischen Programm) und der Konterrevolution ab. Die Frage, wie sich der revolutionäre Prozess entwickeln wird, ist also kein Problem einer Organisationsform oder Taktik, sondern eine Frage des Inhalts und der sich daraus ergebenden Formen und Methoden, die diesen Inhalt verwirklichen.

Die Gedanken der herrschenden Klasse sind in jeder Epoche die herrschenden Gedanken“, heißt es im Manifest der Kommunistischen Partei von 18482, und obwohl „die Tatsache aus, daß sich innerhalb der alten Gesellschaft die Elemente einer neuen gebildet habe (…) der Auflösung der alten Lebensverhältnisse die Auflösung der alten Ideen gleichen Schritt hält.“, sind die von den Proletariern erhobenen Forderungen lediglich ein Ausdruck des Grades dieser Zersetzung in einem bestimmten Moment. Revolutionäre Inhalte entstehen nicht über Nacht. Das Proletariat ist zwar die erste ausgebeutete und zugleich revolutionäre Klasse in der Geschichte, aber eben nur potenziell; erst wenn das Proletariat im historischen Sinne anfängt, politisch zu kämpfen, sich zur Klasse zusammenschließt, seinen Klassenantagonismus (Programm) gegen das Kapital bewusst macht und sich mit einer eigenen Organisation (Partei) bewaffnet, dann kann man vom Proletariat als einer wirklichen revolutionären Macht sprechen. Das ist der Grund, warum revolutionäre Minderheiten innerhalb der proletarischen Strukturen um den revolutionären Inhalt kämpfen müssen, der diesen Strukturen in der Tat nicht aufgezwungen werden kann, sondern im Gegenteil mit anderen Proletariern in diesem Prozess „wieder“ aufgegriffen und vertieft werden muss. Historisch gesehen können weder Vollversammlungen noch verschiedene Räte (egal ob Arbeiter- oder Nachbarschaftsräte) von sich aus völlig revolutionär sein, weil sie von der Gesellschaft, aus der sie hervorgehen, und von den Ideen derer, die an ihnen teilnehmen, bestimmt werden. Und weil „… die die Mittel zur materiellen Produktion zu ihrer Verfügung hat, disponiert damit zugleich über die Mittel zur geistigen Produktion, so daß ihr damit zugleich im Durchschnitt die Gedanken derer, denen die Mittel zur geistigen Produktion abgehen, unterworfen sind. Die herrschenden Gedanken sind weiter Nichts als der ideelle Ausdruck der herrschenden materiellen Verhältnisse, die als Gedanken gefaßten herrschenden materiellen Verhältnisse; also der Verhältnisse, die eben die eine Klasse zur herrschenden machen, also die Gedanken ihrer Herrschaft. …“3 Proletarier reproduzieren also selbst während des Prozesses der Brüche/Kämpfe teilweise den Fortbestand ihres sozialen Status, sowohl durch die bourgeoise Ideologie als auch durch ihre eigene Bestimmung der Position der Proletarier. Die Überwindung dieser Position bedeutet sowohl die Zerstörung des Proletariers selbst als auch die Zerstörung der sozialen Beziehungen, die ihn bestimmen. Die verschiedenen Organisationsformen sind eine unvollständige, begrenzte und kontinuierliche Konkretisierung des Aufbaus des Proletariats zur revolutionären Macht.

Der revolutionäre Ansatz bezieht sich dann notwendigerweise auf gemeinsame proletarische Interessen en masse, auf Proletarier, die an diesen Strukturen als personifizierter Ausdruck des proletarischen Interesses teilnehmen, also auch auf unsere direkten Interessen. Dabei ist klar, dass die Interessen der Proletarier in „ihrem Bauch“ entstehen, dass die Proletarier nicht wegen guter Ideen auf die Straße gehen. Wenn wir über die Propagierung des Programms sprechen, ist es wichtig, dies nicht mit einer vulgären Propaganda durch die Verwendung von „großen“ Mottos zu verwechseln (wie die Autoren richtig bemerken) und von „(politischer) Führung“ oder Richtung zu sprechen. Dieser Kampf beinhaltet notwendigerweise die Stärkung der Rolle der revolutionären Minderheiten und ihre organische Zentralisierung, um diesen Kampf effektiver zu machen.

Der letzte Punkt, den wir im Zusammenhang mit dem Text hervorheben möchten, ist die Frage des Reformismus. Wenn die Autoren sagen: „Durch direkte Aktionen Druck auf die Bankfilialen ausüben, von denen die Hypotheken der in Schwierigkeiten geratenen Familien abhängen, damit sie diese neu verhandeln oder einfach den Konflikt sichtbar machen. “ – dann ruft das zwar nicht zur Revolution auf, aber wir können es trotzdem nicht als Reformismus abtun. Diese Forderung oder dieses Interesse drückt vage ein wirkliches Bedürfnis aus – also eine Forderung nach guten Lebensbedingungen oder deren Erhalt. Dieses Interesse, das für die meisten der Proletarier eine momentane Antwort auf ihre belastende Wohnsituation zu sein scheint, wird hier im Kontext des Kräfteverhältnisses ausgedrückt, in der Bewegung, die widersprüchlich ist, im Verhältnis zwischen dem Proletariat als Klasse und dem Kapital, zwischen der Revolution und der Konterrevolution. Deshalb bleibt bei der Formulierung der eigentlichen Forderung unter den Proletariern „diese Reihe von Parolen, die typisch für das entfremdete Proletariat sind, das heißt, das einer beherrschten Klasse angehört, die die Ideologie ihrer eigenen Beherrschung und Ausbeutung reproduziert.“

Hinter dem Schleier der bourgeoisen Ideologie und der Vermittlungen gilt es, den wahren Inhalt der proletarischen Mottos/Losungen aufzuspüren und zwar wie Proletarier für ihre Interessen kämpfen, wie sie mit ihrer eigenen Position eines isolierten individualistischen Staatsbürgers brechen, wie sie mit Gewerkschaften/Syndikate, politischen Parteien usw. brechen. Revolutionäre müssen alle kurzsichtigen Forderungen in solchen Kämpfen kritisieren und diese Kämpfe in einen historischen Kontext stellen, gegen alle konformistischen Tendenzen (die eine Antwort nur in einer politischen Sphäre oder in einer teilweisen Anpassung eines bestimmten Gesetzes finden…), gegen alle Ideologien, die versuchen, die Bewegung in verschiedene Interessengruppen aufzuteilen (Jugendliche und ihre spezifischen Bedürfnisse, Rentner, Arbeiter, Arbeitslose…) und gegen alle selbsternannten Anführer und Prominenten (Gewerkschafts-, Syndikatenführer, Journalisten, die intellektuelle Elite oder aus dem Exil zurückkehrende Oppositionelle…), die versuchen, die Kämpfe wieder in „realistische“ Bahnen zu lenken und so die proletarische Klasse in ein unterwürfiges Subjekt zu verwandeln, das seiner revolutionären Kraft beraubt ist. Wenn die Kämpfe innerhalb der Grenzen der bourgeoisen Ideologie bleiben und nicht in der Klärung, Vertiefung und Verallgemeinerung der Forderungen vorankommen, ist das nicht nur eine echte Schwäche, sondern auch eine Niederlage des Kampfes.

Reformismus ist für uns purer Konformismus, dessen einziger Zweck es ist, wichtige und entscheidende Kämpfe zwischen Proletariern und der Bourgeoisie zu verhindern – d.h. die Eskalation des Klassenkonflikts zu verhindern. Während eine Forderung, wie verworren oder unvollständig sie auch immer formuliert sein mag, die tatsächlichen Bedürfnisse und Interessen des Proletariats repräsentiert, verändert die Reform die Realität so, dass alles beim Alten bleibt, die Reform verändert Ausbeutung und Herrschaft, um jeden Angriff auf diese Pfeiler der bourgeoisen Gesellschaft auszuschalten. Wir meinen hier verschiedene Verbesserungen des Wahlkretinismus, das Einschmelzen eines Kampfes in der Zivilgesellschaft auf der Grundlage von Non-Profit-Organisationen, Wohltätigkeitsorganisationen oder Mikrofinanzierung (Sozialkapital) usw., also alle Aktivitäten, die die Proletarier auf der Ebene des einzelnen Staatsbürgers-Wählers, des Staatsbürgers-Zivilaktivisten halten, die die politische Macht der Bourgeoisie nicht angreifen und die prinzipielle Position des Proletariers als Klasse nicht verändern. Der Reformismus ist eine bourgeoise Antwort auf die zunehmenden proletarischen Forderungen, die Antwort, die ihnen zeigen soll, dass diese Veränderung das Maximum ist, was sie – als verlässlicher Partner in der Diskussion mit den Vertretern des Kapitals – erreichen können, so dass sich vor allem auch nach der „Veränderung“ nichts Grundlegendes geändert hat.

Die gegenwärtige Form der weltweiten Krise des Verhältnisses zwischen Arbeit und Kapital hat nicht nur dazu geführt, dass immer mehr Proletarier als überflüssig über Bord geworfen werden, dass die Reproduktion der Proletarier in dieser Epoche der kapitalistischen Herrschaft offensichtlich eine Sache ist, um die sich die Bourgeoisie einen Dreck schert, dass die Proletarier sich im Namen der nationalen Ökonomien (d.h. (d.h. die Ökonomie der „eigenen“ Bourgeoisie und damit auch die des Staates) opfern müssen, hat uns diese Krise auch gezeigt, dass die grundlegenden proletarischen Bedürfnisse innerhalb dieses Verhältnisses weder erfüllt noch stabilisiert werden können, dass hinter der Ankündigung der politischen Eliten, dass im nächsten oder übernächsten Jahr alles wieder besser sein wird, nichts anderes steht als eine weitere und noch zerstörerischere Maßnahme, die zu unserer totalen Verarmung führt. Wir leben in einer Epoche, in der das Kapital versucht, mit seinem zweiten Teil fertig zu werden – mit dem Proletariat, seiner ewigen Last. Das weltweite Gespenst der proletarischen Revolution – Demonstrationen, Ausschreitungen, Revolten, von Peru bis China, von Südafrika über den Maghreb nach Griechenland – zeigt, dass das Proletariat noch nicht für immer begraben ist. Die 15M-Bewegung, die sich in Spanien entwickelt hat, ist nur eine Episode in diesem Prozess. Wir befinden uns in einer Situation, in der sich die weitere Entwicklung dieses Kampfes entscheiden wird. Es wird sich zeigen, ob er sich in eine Reform verwandelt, die die barbarische Herrschaft des Kapitals verstärkt, oder ob er sich seinen Weg (oder zumindest einen Schritt nach vorne) zur totalen Zerstörung der herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse und zu einer Gesellschaft, die auf menschlichen Bedürfnissen basiert – dem Kommunismus – bahnt.

Gruppe Klassenkrieg/Tridni Valka, Juli 2011

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Die Anarchisten4 und Anarchistinnen und der 15M5

Dieser Text wurde in Madrid verfasst, sodass viele der Beschreibungen und Überlegungen möglicherweise nicht auf die Realität in anderen Orten passen, insbesondere angesichts der Heterogenität der 15M-Bewegung. Dennoch denken wir, dass sie als Ausgangspunkt für Überlegungen für alle Gefährt*innen nützlich sein kann, die sich an den Vollversammlungen beteiligen, unabhängig vom Ort. Der Text wurde in aller Eile geschrieben und korrigiert, damit er noch vor dem Aufruf zu den Stadtteil- und Stadtvollversammlungen am 28. Mai verfügbar ist. Bitte beachtet das beim Lesen und entschuldigt eventuelle Fehler, die der Text haben kann.

0. Ein paar Worte zu Beginn…

Lasst uns die Dinge klarstellen. Diejenigen von uns, die diesen Text unterschreiben, sind Anarchist*innen, antiautoritäre Kommunist*innen, Antikapitalist*innen oder was auch immer für ein Etikett ihr verwenden wollt. Das heißt, wir sind für die Abschaffung von der Lohnarbeit und dem Kapital, die Zerstörung des Staates und seine Ersetzung durch neue horizontale und geschwisterliche Formen des Zusammenlebens. Wir glauben, dass die Mittel, um dies zu erreichen, so kohärent wie möglich mit den Zielen sein müssen, die sie anstreben. Deshalb sind wir gegen die Beteiligung an Institutionen, gegen politische Parteien (parlamentarisch oder nicht) und hierarchische Organisationen und für eine Politik, die auf Vollversammlungen6, Solidarität, gegenseitiger Hilfe, direkten Aktionen usw. basiert. Denn wir sind überzeugt, dass dies die effektivsten Mittel sind, um uns zur Revolution zu führen.

Wenn wir das sagen, dann nur, um jeden Verdacht auszuräumen und um die Linien zu markieren, entlang derer wir diesen Beitrag bewegen wollen. Nur weil wir für eine soziale Revolution sind, die den Kapitalismus und den Staat zerstört und die sozialen Klassen abschafft (und so viele andere Dinge), heißt das nicht, dass wir glauben, dass dies kurzfristig und über Nacht geschehen kann. Was wir hier dargelegt haben, sind Ziele, d.h. Situationen, die wir hoffentlich nach einem langen Weg und einer beachtlichen Entwicklung der revolutionären Bewegung erreichen werden. Das Gegenteil zu denken ist nicht utopisch, sondern eine Übung im Delirium und eine immediatistische Tagträumerei7. Ein revolutionärer Gesichtspunkt muss die Form einer kurzfristigen Strategie annehmen, einer Reihe von Vorschlägen, um in die Realität zu intervenieren, die uns einer Situation näher bringen, in der Fragen wie die Abschaffung der Lohnarbeit, die Errichtung des libertären Kommunismus, eine soziale Revolution… Fragen, die heute offensichtlich nicht einmal im Entferntesten auf dem Tisch liegen. Diese Intervention kann sich nicht darauf beschränken, die dringende Notwendigkeit einer Revolution und der Abschaffung von Staat und Kapital beharrlich zu wiederholen. Anarchist*in zu sein bedeutet nicht, eine Nervensäge zu sein die anderen hinterherläuft und immer wieder wiederholt, wie schlecht der Staat ist und wie gut die Anarchie ist. Und doch haben wir in den letzten Tagen als Folge der 15M-Bewegung im Internet Texte und Kommentare gelesen, die an ein immediatistisches Delirium grenzen, und, was noch schlimmer ist, wir haben von Gefährt*innen und Freund*innen Positionen gehört, die in den Abgrund des Anarco-Chapismo8 abrutschen, die bei all ihren guten Absichten im Maximalismus grandioser Parolen, langfristiger Vorschläge usw. gefangen sind. Wir wissen sehr wohl, wovon wir sprechen, denn wir alle waren schon einmal in solchen Situationen und, was noch schlimmer ist, wir haben oft zu deren Ausweitung beigetragen. Wir wollen auch klarstellen, dass dieser Text sowohl kritisch als auch selbstkritisch ist und dass er vor allem dazu dient, zu versuchen, nicht selbst in diese Fallen zu tappen. Abschließend ist anzumerken, dass dieser Text in Eile geschrieben wurde, mit dem Ziel, ihn vor dem 28. Oktober zu veröffentlichen, wenn die Asambleas Populares9 in verschiedenen Stadtteilen und Städten Madrids einberufen wurden. Wir haben getan was wir konnten.

Kurz gesagt, dieser Text soll eine Reflexion und ein Vorschlag sein, um die Sackgasse zu durchbrechen, in der wir seit langem stecken, um die Lasten loszuwerden, die viele von uns mit sich herumschleppen und die uns lahmlegen. Es ist im Wesentlichen eine Reflexion, um zu klären, wie wir zu dem, was um uns herum geschieht, beitragen und daran teilnehmen können.

1. Die 15M-Bewegung: grundlegende Koordinaten

Und was um uns herum passiert, ist natürlich die sogenannte 15M-Bewegung, die in der letzten Woche in die nationale Politik eingebrochen ist wie ein Elefant im Porzellanladen. Ob es uns gefällt oder nicht, und ob wir es wollen oder nicht, die 15M-Bewegung hat alle Erwartungen gebrochen und alle überrascht: Polizei, Politiker, Journalisten, Versammlungsleiter, normale Menschen, Staatsbürger10, Linke11 und natürlich auch die Anarchisten. Zu Beginn standen alle im Abseits und von da an war alles eine Reihe von mehr oder weniger erfolgreichen Versuchen, Positionen gegen oder innerhalb von 15M einzunehmen. Wir werden nicht die Ursachen analysieren oder die verschiedenen Verschwörungstheorien oder Rauschzustände untersuchen, die in ihrem Gefolge entstanden sind; das ist für das, was wir sagen wollen, nicht wichtig. Wir werden versuchen, die grundlegenden Koordinaten, in denen sich die sogenannte 15M-Bewegung bewegt, oder zumindest die wichtigsten davon, darzustellen, um zu sehen, ob (und wenn ja, wie) eine anarchistische oder antikapitalistische Beteiligung an ihr möglich ist. Es ist logisch, dass es sich dabei um eine bruchstückhafte, partielle und unvollständige Beschreibung handeln wird. Das ist uns egal, die Dinge bewegen sich zu schnell.

Zunächst ist zu sagen, dass die 15M-Bewegung eine echte soziale Bewegung ist und als solche enorm heterogen und widersprüchlich ist. Es gibt alles und alles ist in verschiedenen Dosen vorhanden. Das heißt, alles, was wir hier sagen, sollte nicht als absolute Definitionsmerkmale verstanden werden, sondern eher als Tendenzen, Nuancen, etc. Ausdrücke einer Bewegung im Aufbau, in der es Kämpfe, Spannungen und ständige Veränderungen gibt.

Nach dieser Erklärung, aus ihrer sozialen Zusammensetzung und den Parolen, die in den Vollversammlungen und Arbeitsgruppen am häufigsten zu hören sind, sowie aus den Meinungen der Menschen, die sie ständig im Internet (Twitter) bekannt machen, könnte man sagen, dass sie hauptsächlich eine Staatsbürgerbewegung12 und offen demokratisch ist. Oder besser gesagt, es sind diese Art von Vorschlägen für politische und soziale Reformen (Wahlreform, echte Demokratie, mehr Partizipation, Kritik an den Mehrheitsparteien, aber nicht am repräsentativen System oder den Parteien im Allgemeinen…), die im Allgemeinen die meisten Menschen und die meisten erhobenen Hände13 um sich versammeln.

Dieser Inhalt drückt sich jedoch in Vollersammlungsformen14 aus, die jede klassische Repräsentation ablehnen (wie z.B. eine weitere politische Partei zu werden) und die jede Ideologie, jedes Symbol oder jede vorgefertigte politische Form ablehnen (von Parteien bis hin zu republikanischen Fahnen15, über die A´s im Kreis16). Auf Twitter kursiert eine Parole: „Hier geht es nicht um links oder rechts, sondern um oben und unten“. Die sich im Moment vor allem für Selbstorganisation, direkte (gewaltfreie) Aktionen und zivilen Ungehorsam ausspricht, auch wenn sie diese Zauberworte nicht benutzt. Die Gewaltlosigkeit ist in der Tat eine weitere der grundlegenden Koordinaten vom 15M, etwas, das zweifelsohne kollektiv und ohne Diskussion vorausgesetzt/übernommen wird. Darauf werden wir später eingehen.

All das lenkt nicht von der Tatsache ab, dass im Kern ein „Machtkampf“ zwischen verschiedenen „Fraktionen“, ob organisiert oder nicht, zu erkennen ist. Mitglieder und Militante linker politischer Parteien, Mitglieder der sozialer Bewegungen, Libertäre, ganz normale und gewöhnliche „empörte“ Menschen mit ihrer eigenen Weltanschauung usw. kämpfen innerhalb der Bewegung auf allen Ebenen, von der ideologischen oder praktischen Ausrichtung der Bewegung bis hin zur Kontrolle (und in vielen Fällen Manipulation) der Vollversammlungen, Kommissionen usw. In vielen Kommissionen und Gruppen sehen wir alles: Gelegentlicher Verlust von Protokollen, Personalismus, Leute, die sich an die Sprecher klammern, Delegierte, die in den Vollversammlungen Dinge verschweigen, Kommissionen, die Vereinbarungen überspringen, kleine Gruppen, die den kleinen chringuito den sie sich da aufgebaut haben17 am Laufen halten wollen, usw. Viele davon (A.d.Ü., gemeint sind die Kommissionen) sind sicherlich das Ergebnis von Unerfahrenheit und Egos; andere scheinen direkt aus den alten Handbüchern für die Manipulation von Vollversammlungen zu stammen.

Um diesen Kampf herum gibt es auch all die Menschen, die vorbeikommen. Menschen, die kommen, um mitzumachen, um zuzuhören, um zugehört zu werden, um Essen oder andere Materialien beizutragen, um zu sehen, was vor sich geht, oder einfach, um in ihrer eigenen Stadt Fotos als Touristen zu machen. Unter den Zelten in Sol (A.d.Ü., ein zentraler Platz in Madrid) hat man das Gefühl, auf einem großen Basar zu sein, wo nichts gekauft oder verkauft wird.

Andererseits ist eines der großen Probleme der Zeltlager18 die Schwierigkeit, sich vollständig daran zu beteiligen: nicht jeder kann jeden Tag ins Stadtzentrum gehen, nicht jeder kann über Nacht bleiben, nicht jeder kann regelmäßig in den Kommissionen mitarbeiten, usw. Dies kann zweifellos die Bildung von informellen Führungsgruppen, Cliquen, seltsamen Dingen und seltsamen Verläufen begünstigen, die Menschen, die nicht dumm sind, bemerken, kommentieren und entsprechend handeln werden. Eine mögliche Folge davon, wer im Zeltlager das meiste Gewicht hat (und auch davon, wer es eher gewohnt ist, zu gehen und Aktivitäten vorzuschlagen), ist die fortschreitende Ghettoisierung, die das Zeltlager im Laufe des Wochenendes erfahren hat. Verglichen mit der Versammlungs- und Protestatmosphäre der intensivsten Tage (vor allem am Freitag, angesichts der Erwartung aufgrund des Verbots des Zentralen Wahlvorstands), verlor sich die Stimmung am Wochenende und eine spielerischere und weniger protestierende Atmosphäre machte sich bemerkbar, obwohl die Kommissionen, Unterkommissionen und Arbeitsgruppen weiter arbeiteten. Manchmal scheint #acampadasol das Schlimmste und Banalste der Squats im Ghetto zu reproduzieren: Workshops, Konzerte, Batucadas (A.d.Ü., Getrommel), Voküs, Aufführungen, Clowns usw. auf Kosten der ursprünglichen Aspekte, die viel stärker auf Protest, Politik und „Empörung“19 (wie pro-demokratisch und begrenzt auch immer) ausgerichtet sind. Auf Twitter, das, wie wir nicht vergessen sollten, maßgeblich für den Aufstieg der 15M-Bewegung und des Zeltlagers auf Sol verantwortlich ist, dringt diese Unzufriedenheit zu vielen Menschen durch, die dieser Entwicklung nicht wohlwollend gegenüberstehen. Ein deutliches Beispiel für die Unzufriedenheit, die am Wochenende herrschte, war das Thema „botellón ja – botellón nein“20, am Samstag musste eine der Vollversammlungen auf Sol wegen der vielen besoffenen Menschen verlassen, und das Thema batucadas, das am Sonntag sogar die Verschiebung einiger Vollversammlungen erzwang, wo aufgrund des Lärms, man nichts hören konnte (obwohl man sagen muss, dass die batucadas genau wie der botellón eine große Anziehung hatten).

Es ist offensichtlich, dass die 15M-Bewegung keine Revolution ist, das weiß man aus dem A und O Handbuch der Militanz21 und wer sie aufgrund des Hashtags #spanishrevolution, mit dem sie sich anfangs verbreitete, kritisiert, sollte erkennen, dass es sich um eine Mischung aus Marketing, Scherz und Illusion handelt. Das ist alles.

Der letzte Punkt, den wir ansprechen wollten, ist das, was für uns neben dem ausgeprägten horizontalen und vollversammlungsbasierten Charakter (mit all seinen Mängeln, von denen es viele gibt) vielleicht das Wichtigste ist: der brutale Gesinnungswandel, den wir während dieser Woche in der Umgebung von Sol beobachten konnten. Fassen wir noch einmal zusammen. Nach der ersten Massendemonstration am 15. Mai und vor allem nach der Räumung der ersten Campierenden (A.d.Ü., im Zeltlager der in Sol errichtet wurde) haben die Menschen die Puerta del Sol Nacht für Nacht in einer Weise in Beschlag genommen, die keiner von uns je zuvor gesehen hatte. Die Mobilisierungen gegen den Krieg, auch wenn einige massiver waren, hatten bei weitem nicht die Kontinuität, die Beteiligung, die Einstellung und die Atmosphäre, die wir diese Woche in Sol erlebt haben. Es ist so als ob ganz plötzlich, die Passivität und die Tatsache, dass jeder seinen eigenen Weg geht, um den Kilometer 0 (A.d.Ü., gleich vom Anfang an) herum durchbrochen wurde. Das Verteilen von Flugblättern in Sol und den umliegenden Straßen ist eine Freude, die Leute kommen auf dich zu und bitten dich, ihnen eines zu geben, sie nehmen es mit einem Lächeln, sie stellen dir Fragen, sie danken dir… In den ersten Tagen, wenn du eine Gruppe gebildet hast, um über etwas zu sprechen, haben die Leute zugehört und zugehört. Es war normal, eine Vielzahl von Menschen zu sehen, die in kleinen Gruppen diskutierten; die Arbeitsgruppen und Vollversammlungen sind Massenveranstaltungen mit 500, 600 und 2000 Menschen (sitzend, stehend, versammelt, um etwas zu hören) usw. Und außerdem dieses ständige Gefühl einer guten Atmosphäre, von „das ist etwas Besonderes“. All das erreichte seinen Höhepunkt in der Nacht von Freitag auf Samstag, als der Tag der Besinnung begann. Es war wirklich beeindruckend zu hören, wie mehr als 20.000 Menschen „Wir sind illegal“ brüllten und sich wie Kinder darüber amüsierten, das Gesetz zu brechen. Es stimmt, dass diese intensive Atmosphäre der Beteiligung und echten Politik nach dieser Nacht zu schwinden begann. Zum Teil wegen des Kicks am Freitagabend, zum Teil wegen der Entscheidung, am Samstag und Sonntag keine „Politik“ zu machen, hatte das Wochenende einen viel festlicheren, „zirkusähnlicheren“ Ton als die Tage zuvor. Trotzdem können wir uns an so etwas ähnliches nicht erinnern, um ehrlich zu sein.

2. Was nicht auf dem Spiel steht. Eine strategische Vision.

Nach alldem, stellt sich die Frage, was wir Anarchisten dort machen? Für jeden Libertären, der etwas auf dem Kasten hat – und das ist glücklicherweise die große Mehrheit – ist es offensichtlich, dass man dort sein muss, dass es dort was vor sich hin geht. Was keiner von uns so genau weiß, ist, was wir tun können, was wir beitragen können und was wir von der 15M-Bewegung erwarten können. Und das ist auch logisch, angesichts der Heterogenität und der Widersprüche, die sie mit sich bringt. In diesem Abschnitt werden wir versuchen auszudrücken, wie und in welchem Sinne es unserer Meinung nach interessant sein kann, sich an dieser Bewegung zu beteiligen und einen Beitrag zu leisten. Wir sagen strategische Vision, weil es eine allgemeine Vision ist, die wir später mit konkreten Vorschlägen und einigen taktischen Überlegungen einzugrenzen versuchen werden.

Der größte Teil des Prozesses, der momentan in der 15M-Bewegung sich entwickelt, besteht darin, die politischen Parolen und Forderungen zu finden, die sie definieren werden. Dieser Prozess findet sowohl in den Arbeitsgruppen als auch in den Kommissionen selbst statt. In den ersteren wird mehr debattiert und ideologisch gekämpft, während in einigen der letzteren, wo diese Debatten konkretisiert werden, die Tricks und Kniffe usw. zu sehen sind. Man muss nicht besonders schlau sein, um zu wissen, wo das Chaos herrscht: in Kommissionen wie Kommunikation, Inneres, Vollversammlung und Politik wirst du die meisten Politiker pro Quadratmeter finden. Bei Kommissionen wie Infrastruktur, Lebensmittel oder Respekt sind die Stiche in den Rücken dagegen viel geringer. Natürlich sagen wir nicht, dass dies die einzige Sache ist, die in den Kommissionen gemacht wird, aber einige der Dinge, die wir gesehen haben oder von denen wir gehört haben, sind äußerst problematisch.

Wie wir bereits gesagt haben, sind die Forderungen mit dem größten Widerhall in #acampadasol die der politischen Reformen und in geringerem Maße die der sozialen Reformen, mit einem starken staatsbürgerlichen Inhalt: Reform des Wahlgesetzes, ein Gesetz der politischen Verantwortung, mehr Partizipation, das Gesetz über die Rückzahlung von Hypotheken, etc. Mitglieder und Militante linker Parteien (IU, IA usw.) und sozialer Bewegungen versuchen, das Schiff mehr nach links zu lenken damit mehr klassische linke Forderungen übernommen werden (vom Grundeinkommen oder der Streichung der Auslandsschulden bis hin zur Verstaatlichung der Banken), obwohl sie es mit denen zu tun haben, die es vorziehen, dass die Bewegung so neutral wie möglich bleibt (z.B. http://twitpic.com/51lyqa) und sich auf einen grundlegenden #consensodeminimos22 konzentriert. Unserer Meinung nach ist das wahrscheinlichste Ziel beider Seiten, dass entweder durch eine Art Volksinitiative oder durch eine politische Partei, wahrscheinlich der IU, dem Kongress ein Vorschlag unterbreitet wird, der durch eine Volksabstimmung gebilligt werden soll. In diesem Sinne spielen sich die einen und die anderen den Inhalt eines solchen Vorschlags und sicherlich auch um die Art und Weise, wie er umgesetzt werden soll, aber zu einem bestimmten Zeitpunkt können sie sich auf bestimmte grundlegende Punkte einigen.

Natürlich sind wir Anarchisten davon überzeugt, dass einige dieser Reformen, selbst wenn sie einige der „Defekte“ des Systems ändern, die die Menschen am meisten stören, nichts Wesentliches ändern werden. Das Problem ist nicht die politische Korruption, sondern die Politik als eine vom Leben getrennte Sphäre; das Problem ist nicht die mangelnde Transparenz der Regierungen, sondern die Regierungen selbst; und das Problem sind nicht die Banken und Bänker, sondern die kapitalistische Ausbeutung: die große und die kleine.

Wir sind der Meinung, dass Anarchisten sich nicht an diesem Kampf beteiligen können und sollten, dem Kampf der großspurigen Forderungen und der hochfliegenden Politik. Wir sollten uns nicht auf dieses Spiel einlassen, obwohl wir, wenn wir in den Vollversammlungen sein wollen, davon ausgehen müssen, dass wir es ertragen werden müssen und uns dem entgegenstellen müssen. Wir haben auf diesem Brett nichts verloren. Die 15M-Bewegung ist keine anarchistische oder antikapitalistische Bewegung, also sind maximalistische anarchistische Forderungen fehl am Platz. Es ergibt keinen Sinn, dafür zu kämpfen, dass auf Hauptvollversammlungen Dinge wie die verallgemeinerte Selbstverwaltung, die Abschaffung der Knäste oder auch nur ein unbefristeter Generalstreik beschlossen werden, denn es ist klar, dass die Menschen, die dort sind, und die Menschen, die sie mit Erwartung und Sympathie verfolgen, nicht dafür sind. Angenommen (also sehr viel angenommen), die Hauptvollversammlung oder die Nachbarschaftsvollversammlungen würden aus irgendeinem seltsamen Grund oder einer seltsamen List einen dieser Parolen akzeptieren und sich zu eigen machen, würde die 15M-Bewegung höchstwahrscheinlich schnell die Luft verlieren, einen Großteil ihrer Unterstützung und Sympathie einbüßen und ein seltsamer Volksfront-Cocktail aus linken Militanten, Staatsbürgeraktivisten23, Kommunisten und Anarchisten bleiben. Mit anderen Worten, genau das, was wir immer kritisiert haben und wo wir nie hinwollten. In der Politik gibt es den Begriff „mit den Füßen abstimmen“, was bedeutet, dass man einfach woanders hingeht, wenn einem die Verwaltung eines Ortes nicht gefällt. Etwas Ähnliches passiert in allen Vollversammlungen, es gibt viele Menschen, die, wenn ihnen etwas nicht gefällt oder sie sich unwohl fühlen, schweigen, sich verbeugen und nicht mehr vorbeikommen, ohne ihre Unzufriedenheit zu äußern.

Warum passiert das alles? Denn echte Bewegungen sind meist ziemlich komplex. Sie haben ihre Zusammensetzung, ihre Idiosynkrasien (A.d.Ü., Eigenheiten) und ihre Entwicklungen, und vor allem, weil man nicht erwarten kann, dass Menschen über Nacht zu Anarchisten werden. Keiner von uns ist schnell und schmerzlos zu einem/einer Anarchist*in geworden, sondern durch Irrtümer, Illusionen, Inkohärenzen, Enttäuschungen, Debatten, Frustrationen, Ausraster und oft durch das Aufschlagen auf den Boden (manchmal im wörtlichen Sinne, mit einem Polizisten oben drauf). Es spielt keine Rolle, dass sich bei diesen Gelegenheiten die Menschen und Dinge schwindelerregend verändern. Es tut uns leid, aber wir glauben, dass es einfach nicht funktionieren wird.

Wir müssen uns über die Repräsentativität der Kommissionen gegenüber den Menschen die die Mobilisierung ausmachen im Klaren sein. Das zeigte sich deutlich in der Kommission Politik, die auf ihrem Höhepunkt 350 Menschen zwischen den beiden Unterkommissionen (kurz- und langfristig) zusammenbringen konnte. Es ist klar, dass die Vollversammlungen offen sind und jeder an ihnen teilnehmen konnte, aber die Wahrheit ist, dass sie am Ende zu zwei Unterkommissionen geworden sind, die scheinbar durch Zeitphasen getrennt wurden, die aber in Wirklichkeit zwei sehr unterschiedliche Postulate markieren, das „reformistische“ und das „revolutionäre“, zwischen denjenigen, die die Machtstrukturen mit kleinen (oder großen) Gesetzesreformen fordern und legitimieren, und denjenigen, die einen Weg des Bruchs mit dem vom Kapitalismus aufgezwungenen Modell markieren wollen.

Das ist ein schwerwiegender Fehler, denn es kann kurzfristig „revolutionäre“ oder radikale Maßnahmen geben und langfristig müssen wir uns nur über den aktuellen Kontext und die Schritte, die wir unternehmen wollen, im Klaren sein. Um ein Beispiel zu nennen: In der Kurzzeitkommission werden Änderungen an der spanischen Verfassung vorgeschlagen, und in der Langzeitkommission Konsenslösungen wie ein Generalstreik. Wir glauben nicht, dass eine Änderung der Verfassung (sie benötigt die Zustimmung von ¾ des Abgeordnetenhauses) kurzfristig viel praktikabler ist als die Ausrufung eines Generalstreiks (der eher ein Mittel des Kampfes als ein Selbstzweck ist), auch wenn dies derzeit recht kompliziert ist.

Wir glauben, dass es notwendig ist, über unser Engagement in den Kommissionen nachzudenken und zu versuchen, sicherzustellen, dass sie effizient sind und dass der Verschleiß und die Energieverschwendung gut kanalisiert werden. Es bringt nichts, wenn sich 200 Menschen mit einer „ähnlichen“ Ideologie zusammenfinden und einen Kurs festlegen, der weder von dieser Bewegung (wie heute) übernommen werden kann, noch die kurzfristigen Forderungen einfach nur ein Plädoyer für die Stärkung des Wohlfahrtsstaates sind… Bei dieser Reflexion sollten wir Selbstkritik üben und sofort über kurz- und langfristige Vorschläge nachdenken, die übernommen werden können und die uns vorwärts bringen oder uns Schritte in Richtung einer echten sozialen Revolution machen lassen, denn sonst enden wir in der Erschöpfung einer Gruppe von Menschen, die sich über den Moment hinweg befinden. Wir sollten etwas Intelligenz zeigen und uns der Illusion des Wandels, die in diesen Tagen in der Puerta del Sol geweckt wird, anschließen, um zu sehen, ob wir gemeinsam dafür sorgen können, dass dieser Wandel ein wenig weiter geht als vier Reparaturen an der Fassade der Demokratie.

Welche anderen Möglichkeiten haben wir also?

Sicherlich haben viele von euch schon einmal darüber nachgedacht oder sich sogar dabei ertappt, dass sie, ohne es zu merken, den Diskurs verwässert haben, d.h. dass wir unsere Vorschläge versüßt haben, um zu sehen, ob sie mit ein wenig Zucker besser ankommen. Zum Beispiel spielen wir mit einer eigennützigen semantischen Verwirrung, die von „direkter Demokratie“ statt von „Anarchie“ spricht, wir schlucken alles, was wir schlucken müssen, um die Geschichte am Leben zu erhalten, usw. usw. usw.

Eine andere Möglichkeit ist, den kleinen Laden den sich da einigen aufgebaut haben, aufgrund seines reformistischen Charakters aufzugeben. Aus unserer Sicht ist das einfach absurd. Im Grunde, weil weder heute noch in der Geschichte revolutionäre Bewegungen aus dem Nichts oder von selbst entstanden sind, sondern weil es die Revolutionäre selbst und die Ereignisse sind, die es mit ihren Bemühungen und ihrer Hartnäckigkeit manchmal schaffen, soziale Bewegungen nicht länger zur Domäne von Parteien, Profiteuren usw. zu machen.

Obwohl wir später darüber noch sprechen werden, wollen wir klarstellen, dass unsere Idee nicht darin besteht, die 15M-Bewegung in eine „revolutionäre Massenbewegung“ zu verwandeln, was genauso ein Film ist wie die Vorstellung, dass die Anarchie morgen kommen wird, wenn wir es nur stark genug wünschen. Wir sagen auch nicht, dass wir bis zum Ende dabei sein müssen, nur um dabei zu sein. Uns ist klar, dass wir, wenn wir die Dinge nicht richtig machen, irgendwann gehen müssen oder, was auch sehr wahrscheinlich ist, rausgeschmissen werden. Aber uns scheint klar zu sein, dass dieser Moment noch nicht gekommen ist, dass es noch Möglichkeiten gibt, zu dieser Geschichte beizutragen und daran teilzunehmen, vor allem angesichts der Einberufung von populären Vollversammlungen (Asambleas Populares) in den Stadtvierteln.

Damit soll klargestellt werden, dass wir keine leichtgläubige Menschen sind, dass der 15M unsere Sicht vernebelt hat oder dass sie ihre kleinen Geschäfte „für die Revolution“ (mehr Marketing) geschlossen haben, sondern wir sind einfach Anarchist*innen, die eine klare Chance gesehen haben, die erste seit vielen Jahren, um an einer echten Bewegung von beträchtlicher Größe teilzunehmen.

3. Für praktische und konkrete anarchistische Partizipation.

Unserer Meinung nach geht es in der 15M-Bewegung darum, sie zu einem Ausgangspunkt zu machen, der in der Lage ist, den täglichen Kampf um konkrete und grundlegende Aspekte zu aktivieren, einen Kampf, der von der Horizontalität, der Idee der Vollversammlungen24, der direkten Aktion, der direkten Partizipation, der Solidarität usw. getragen wird, die zu den grundlegenden Koordinaten der 15M-Bewegung gehören. Vollversammlungen sollten nicht nur Orte sein, von denen aus (an wen? Wie?) Gesetze, Reformen und Volksabstimmungen (welche?) gefordert werden, sondern sie sollten auch Orte sein, an denen die Menschen ihre eigenen Probleme debattieren, nach Lösungen suchen und entscheiden, wie sie diese selbst umsetzen. Sie sollten zu Treffpunkten für Kommunikation und reale Partizipation werden. Kleine (oder große) solidarische Kerne des Widerstands.

Es ist klar, dass ein wichtiger Teil dieses Prozesses ist, welche Probleme und welche Lösungen diskutiert werden, welche Inhalte sozusagen in diesen Vollversammlungen zum Ausdruck gebracht werden. Das könnte die andere Aufgabe sein, die wir uns stellen könnten, nämlich dafür zu sorgen, dass die Themen, die in den Vollversammlungen diskutiert werden, Fragen der Klasse, des Genders usw. sind, die in der Praxis die Kritik an Staat, Kapital und Lohnarbeit vertiefen.

Mit anderen Worten: wir schlagen eine praktische und konkrete Partizipation aus einer antiautoritären Perspektive und Arbeitsweise vor, und zwar in Bezug auf grundlegende Fragen der Klasse und anderer ebenso wichtiger Unterdrückungen wie Patriarchat, Rassismus usw.

Um diesen praktischen Beitrag zu ergänzen, müssen wir auch unseren Standpunkt und unseren Diskurs einbringen, wiederum ohne in den Maximalismus der „Revolution jetzt!“ und änhliches zu verfallen.

Unserer Meinung nach besteht der Versuch, Menschen für unseren Diskurs zu gewinnen, nicht darin, mit den üblichen anarchistischen Parolen und Prinzipien zu hämmern. Parolen, die unserer Meinung nach fehl am Platz sind. Nicht, weil sie keinen Sinn ergeben oder nicht wahr sind, sondern weil sie aus dem Zusammenhang gerissen sind und nicht wissen, was gerade passiert. Das ist so, als ob du dich mit einem Kollegen über Fußball unterhältst und ein anderer Kollege kommt und erzählt dir irgendeine Geschichte aus einem iranischen Film. Heißt das, dass wir den Anarchismus aufgeben und uns der Demokratie zuwenden sollten? Logischerweise nicht. Sollten wir uns verstecken? Nein. Sollen wir der Welt zeigen, dass wir Anarchisten sind? Für uns ergibt es keinen Sinn, wenn es nicht über „Anarchist sein“ hinausgeht. Sich als Anarchist zu bezeichnen, bedeutet an sich nichts, es sagt nichts aus: weder gut noch schlecht. Unserer Meinung nach geht es weder darum, sich zu verstecken noch anzugeben, sondern darum, den Anarchismus in einem bestimmten Kontext zu praktizieren. Ein Beispiel: von all den Parolen, die einige von uns und andere Gefährt*innen an einem der ersten Tage in Sol skandierten, verbreiteten sich nur ein paar Parolen minimal über unseren Kreis hinaus: „Das vereinte Volk funktioniert ohne Parteien“ und „A, anti, antikapitalistisch“, warum? Nicht, weil die Parolen eine große Sache waren, was sie nicht sind, und auch nicht, weil sie witzig waren, was sie auch nicht sind. Wir denken, es war, weil es zu dieser Zeit und an diesem Ort Parolen waren, die zumindest einige der Menschen, die dort waren, ansprechen können. Ob es uns gefällt oder nicht, die Menschen dort waren weder gegen die Nationale Polizei (A.d.Ü., Policia Nacional), noch wollten sie den Staat stürzen… die Arbeit ist viel grundlegender… Wenn wir uns darauf beschränken, in den Vollversammlungen kontextlose Parolen zu skandieren oder vorzuschlagen, verfallen wir in reine und einfache Propaganda, im schlimmsten Sinne des Wortes, und nicht in die Partizipation.

Und es ist eine Tatsache, dass uns die Trägheit (A.d.Ü., aus der Gewohnheit) oft übermannt, wahrscheinlich wie jeden anderen auch. Anstatt darüber nachzudenken, was wir sagen können und wollen, entscheiden wir uns für die einfachen Dinge: „Der Kampf ist der einzige Weg“, „von Nord nach Süd, von Ost nach West ….“, „Tod dem Staat ….“, usw. Ein Diskurs, der unserer Meinung nach fehl am Platz und daher unwirksam ist. Im libertären Block auf der Demo des 15M passierte mehr vom selben, nach einer ersten Phase mit Parolen (bessere oder schlechtere, mehr oder weniger nützliche, das ist am wenigsten wichtig), aber über die betreffende Frage (Demokratie, Kapitalismus, Krise) gingen wir zu einem Remix des Ghettos über (von den Gefangenen zu Patricia Heras25 hin zu der mördenden Polizei), wir glitten in die Selbstreferenzialität ab, hin zum zusammenhalten… Leider wusste außer uns vieren niemand, wer Patricia Heras war, wozu also für sie zu rufen, wenn es kein Flugblatt gab, das es erklärte? Wir haben die Leute nur durcheinander gebracht, die uns anschauten, als ob wir von einem außerirdischen Planeten kommen würden… Alles hat seine Zeit und seinen Ort, und wenn wir nicht wissen, wie wir unseren Diskurs an die Zeit und den Ort anpassen können, wird es für uns schlecht laufen. Den Diskurs anzupassen bedeutet nicht, den Diskurs herabzusetzen, es bedeutet, die Botschaft an den Kontext und den Code an den Empfänger anzupassen, es bedeutet, unsere Meinung zu dem zu äußern, worüber die Leute reden, und nicht zu dem, was wir meinen, worüber die Leute reden sollten….. Und zwar in ihrer „Sprache“ und nicht in unserem „Dialekt“, der voller Fachausdrücke und Redewendungen ist, die wir zwar gerne untereinander sprechen, die aber bei denen, die sie nicht sprechen, Barrieren und Verwirrung stiften.

4. Einige Ziele und mögliche Aktionslinien

Dieser Vorschlag zur Beteiligung auf praktischer und konkreter Ebene hat mehrere Ziele. Offensichtlich, um unsere Überlebensbedingungen im Kapitalismus zu verbessern. Manche Leute werden das sicher als Reformismus bezeichnen, aber für uns ist es einfach eine Notwendigkeit. Ein weiteres Ziel ist es, während des Prozesses alle Widersprüche und Missstände des Kapitalismus, der Demokratie, der Gewerkschaften/Syndikate usw. aufzuzeigen und zu auseinander zu nehmen. Nicht durch ausgeklügelte und vorgefertigte Diskurse, sondern durch die Debatte und die Reflexion über das, was uns begegnet, etwas, das viel komplexer und mühsamer ist als die einfache Bearbeitung von Büchern, die zu einer anderen Zeit und an einem anderen Ort geschrieben wurden. Sie will auch eine Kultur des Kampfes in der Bevölkerung schaffen und verbreiten, ein kollektives Gefühl, dass man etwas erreichen kann, wenn man gemeinsam mit anderen kämpft und die Probleme für die Betroffenen löst, basierend auf Solidarität und gegenseitiger Hilfe, ohne sie an einen Profi für Vermittlung oder Repräsentation zu delegieren. Ein Gefühl von „heute für dich, morgen für mich“ durchdringt die Bevölkerung und verdrängt das „jeder für sich“ und das „Gott sei Dank war ich nicht an der Reihe“, das in unserer Gesellschaft weit verbreitet ist.

Wenn uns in der letzten Woche etwas klar geworden ist, dann, dass wir als Anarchist*innen nicht nur viel beizutragen haben, sondern auch viel, sehr viel lernen können, sowohl von den Menschen, die wir auf unserem Weg treffen, als auch von den Situationen, mit denen wir konfrontiert werden. Die Teilnahme an den Vollversammlungen ist die perfekte Gelegenheit, um uns selbst, unsere Positionen und die Art und Weise, wie wir sie Unseresgleichen kommunizieren. Das ist das Normale. Der beste Weg, unsere Fehler und Inkohärenzen zu erkennen (von denen wir viele haben, und es gibt zwangsläufig viele), ist zu versuchen, unsere Position denen zu erklären und mit ihnen zu teilen, die sie nicht kennen.

Wir glauben aufrichtig, dass dies eine gute Art und Weise sein kann, um aus der Falle einer Intervention aus der Ideologie herauszukommen, die vorgibt, spezifisch anarchistische Prinzipien oder langfristige Ziele zu verabschieden, etwas, das, wie wir schon ein paar Mal wiederholt haben, nicht auf der Tagesordnung steht oder stehen kann. Wir glauben auch, dass es eine Möglichkeit sein kann, die Machtkämpfe zu vermeiden, die in den Vollversammlungen über hochrangige Fragen (Gesetze usw.) ausgetragen werden, ohne dass man aufhören muss, sich an einer Bewegung zu beteiligen, die immer noch eine Menge Spielraum bieten kann. Ein Zermürbungskrieg, damit diese Vorschläge nicht herauskommen, oder eine offene und ständige Konfrontation mit allen Linken, Staatsbürgern und normalen Menschen, die nur ein paar Änderungen wollen, wird uns nicht weiterbringen. Wir müssen uns jederzeit bewusst sein, wo wir sind und wie weit wir gehen können. Wenn wir diese Übung der Analyse und Reflexion nicht ständig machen, werden wir einen sehr schweren Schlag und erhebliche Frustration erleiden.

Wenn wir uns an der 15M-Bewegung beteiligen, laufen wir natürlich immer Gefahr, am Ende die Drecksarbeit für die Linken und dem Staatsbürgertum zu machen. Wir glauben, dass dieses Risiko angesichts unserer begrenzten Kraft und Unterstützung bei jeder echten Mobilisierung, an der wir uns beteiligen (Streiks, Konflikte gegen die Entwicklung usw.), immer vorhanden sein wird. Das ist ein Risiko, das man nicht vorhersehen kann, und es ist wahrscheinlich etwas, das sich bis zu einem gewissen Grad nicht vermeiden lässt. Das Einzige, was wir tun können, ist, aufmerksam zu bleiben, uns nicht von Emotionen mitreißen zu lassen und zu versuchen, abzuschätzen, an welchem Punkt sich unsere Beteiligung darauf beschränkt, die Arbeitskraft anderer zu sein, und an welchem Punkt es notwendig wird, den Chiringuito26 zu verlassen.

Zum Abschluss dieses Abschnitts halten wir es für notwendig, einige Aktionslinien zu nennen, die uns als Beispiel für das, was uns vorschwebt, in den Sinn gekommen sind. Sie sind nicht die einzigen und auch nicht die besten, sie sind nur einige Beispiele, die uns eingefallen sind oder die wir in diesen Tagen in den Vollversammlungen gehört haben. Gemeinsam sollten wir sie vervollständigen, klären, kritisieren, etc.

Wohnung: Selbstorganisation im Widerstand gegen Zwangsräumungen und Immobilienmobbing. Die Hausbesetzung als vorübergehende Alternative bei Zwangsräumungen vorschlagen, die nicht gestoppt werden. Druck auf Hausbesitzer ausüben, die ihre Mieterinnen und Mieter übergehen oder ausnutzen. Durch direkte Aktionen Druck auf die Bankfilialen ausüben, von denen die Hypotheken der in Schwierigkeiten geratenen Familien abhängen, damit sie diese neu verhandeln oder einfach den Konflikt sichtbar machen. Den Konflikt durch Transparente o.ä. auf den Balkonen der Häuser, die unter Druck stehen, sichtbar machen.

Arbeit/Arbeitslosigkeit: Das Beispiel der Vollversammlung auf Sol auf die Arbeit übertragen, in den Vollversammlungen über Arbeitskonflikte debattieren und über unsere Probleme als Arbeitslose sprechen, vorschlagen, dass die Vollversammlungen eine Anlaufstelle sind, wenn wir ein Problem am Arbeitsplatz haben. Die Arbeitsplätze zu besuchen und anzuprangern, an denen Arbeitsunfälle passieren….

Migrationen: Versuche, Migranten einzubeziehen, die wahrscheinlich zunächst unterrepräsentiert sind, die Menschen darüber zu informieren, was in den Abschiebeknästen passiert, Handlungsmechanismen gegen Razzien gegen Migranten zu informieren und vorzuschlagen, Selbstorganisation, um rechtliche Informationen anzubieten, durch Beratung, Workshops, etc.

Gesundheit/Gesundheitswesen: Versuche, die Arbeiter und Nutzer-Erleidenden des öffentlichen Gesundheitswesens in den Kampf gegen seine Verschlechterung und Unzugänglichkeit einzubeziehen, zu vermeiden, uns gegeneinander auszuspielen („es ist die Schuld der Arbeiter, die zu wenig arbeiten“ oder „es ist die Schuld der alten Leute, die zu oft hingehen“).

Gender: Wir müssen sehen, wie wir der aktuellen großen Welle des Antifeminismus entgegenwirken können, die auf der gesellschaftlichen Ebene grassiert und die in den Zeltlagern schon mehrfach zum Ausdruck kam. Es könnte interessant sein, das Thema der männlichen Gewalt aufzugreifen oder zu diskutieren…

Organisation: Versuche, die Funktionsweise der Vollversammlung zu verbessern. Für eine echte, nicht nur formale Horizontalität zu kämpfen, um die Bildung von Cliquen von Spezialisten oder ewigen Vertretern zu vermeiden, um nicht zu einer Clique von Spezialisten oder ewigen Vertretern zu werden.

Diese Themen und Vorschläge sind eindeutig begrenzt, das Ergebnis von Eile und unserer eigenen Unerfahrenheit in dieser Art von Bewegung. Sie müssen verbessert, verfeinert und weitergegeben werden. Und vor allem müssen sie gemeinsam mit den Menschen, die an den Vollversammlungen teilnehmen, in einem Prozess aufgebaut werden, der sowohl die Vorschläge als auch diejenigen, die sie aufgreifen und in die Praxis umsetzen, verändern wird, und der sicherlich von Erfolg zu Erfolg führen wird. Wir sollten jetzt nicht denken, dass die Leute sie wie von Geisterhand akzeptieren werden, nur weil wir vier konkrete Vorschläge anstelle des üblichen anarchistischen Leier vorlegen. Nein, wir schlagen keine Beschwörungsformeln vor. Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es ein langer und schwieriger Weg sein wird, selbst wenn wir diesen Prozess in Gang setzen können. Wir glauben, dass wir alle mit der Zeit lernen und klarer werden. In gewisser Weise müssen Anarchisten die 15M-Vollversammlungen als ein Laboratorium betrachten, in dem wir experimentieren, Vorschläge machen, Fehler machen, lernen und neu anfangen können.

5. Nachbarschaftsvollversammlungen: Hoffnungen und Lokalismen

Ein Großteil dieses Textes wurde mit der Absicht geschrieben, vor den für den 28. Mai einberufenen populären Vollversammlungen (A.d.Ü., Asambleas Populares) in den Stadtvierteln zu erscheinen, daher seine Dringlichkeit, seine Eile und viele der Fehler, die er haben wird.

Die Ausdehnung auf die Stadtteile ist eine logische Erweiterung, weil das Lager in Sol auf Dauer nicht haltbar ist und weil es aufgrund seiner Eigenschaften eine viel begrenztere Beteiligung zulässt, wie wir bereits erwähnt haben.

Im Gespräch mit vielen Gefährt*innen haben wir festgestellt, dass einige große Hoffnungen in die Nachbarschaftsvollversammlungen setzen. Die Idee ist: „In Sol gibt es nichts mehr zu tun, lass uns in die Nachbarschaften gehen“. Machen wir uns nichts vor: Wenn die 15M-Bewegung ihren Schwung beibehält, werden die Nachbarschaften zu kleinen Puertas de Sol, mit all ihren guten Seiten, aber auch mit all ihren Fehlern, darunter die Militanten der Parteien, die fischen gehen, die Staatsbürger usw. In einigen Nachbarschaften und Städten im Süden Madrids ist der Anteil der Militanten unter den politischen Parteien sogar höher als in Sol. Das Spielfeld mag kleiner und weniger überwältigend sein, aber die Heterogenität, die Probleme, Widersprüche und Konflikte werden gleich oder sogar noch größer sein.

Wir glauben, dass die militanten Linken sowie alle einfachen Menschen, die für die vier grundlegenden Reformen sind, versuchen werden, die populären Vollversammlungen zu Brennpunkten zu machen, von denen aus sie die Parolen und Forderungen, für die sie in Sol gekämpft haben, verbreiten. Sie werden für die Unterschriftensammlung und die Propaganda für die Mobilisierungen zuständig sein und in den Stadtteilen (Nachbarschaftsvereinigungen, Ladenbesitzervereinigungen …) Unterstützung für ihre mittelfristige Strategie zur Umsetzung der Gesetzesänderungen sammeln. Und kaum etwas mehr. Die Staatsbürger könnten versuchen, sich etwas mehr um bestimmte Probleme in den Nachbarschaften zu kümmern, indem sie Verbindungen zu den Nachbarschaftsverbänden herstellen, wo sie können, für ihre Räumlichkeiten, sozialen Zentren und Büros für soziale Rechte werben, wo immer diese vorhanden sind, usw.

Wir haben bereits im vorherigen Punkt erwähnt, dass wir glauben, dass es eine interessante Art und Weise sein kann, an diesen Vollversammlungen teilzunehmen, also werden wir hier nicht weiter ins Detail gehen. Wir möchten jedoch anmerken, dass in jeder Nachbarschaft und jedem Ort einige Themen und Vorschläge wichtiger sein können als andere (z. B. sind in manchen Gegenden Razzien gegen Migranten häufiger als in anderen, in manchen Orten ist die Gesundheitsversorgung schlechter als in anderen, usw.). Man wird sehen was notwendiger und wichtiger in jedem konkreten Fall ist, hier gibt es keine magischen Lösungen.

6. Taktische Fragen

Der Text wird länger und wir wollen ihn mit einigen Überlegungen abschließen – wir werden versuchen, uns kurz zu fassen – zu bestimmten taktischen Aspekten, die wir gesehen haben und die wir auch in den kommenden Tagen sehen werden.

Gewalt/Gewaltlosigkeit: Wie wir bereits bei der Beschreibung der Bewegung erwähnt haben, ist die Ablehnung von Gewalt ein grundlegender Punkt, auf dem die 15M-Bewegung basiert. Die Initiatoren (Democracia Real Ya) nahmen es auf sich, dies auf die widerlichste Art und Weise zum Ausdruck zu bringen: sie distanzierten sich nach der Demonstration von den Vorfällen und zeigten mit dem Finger auf jeden, der notwendig war. Das ist auch nicht weiter verwunderlich, wenn man bedenkt, wie sehr die Medien in den letzten Jahren mit diesem Thema bombardiert wurden. Medien wie La Razón und Público haben nicht gezögert, über die Polizei vor der Gefahr zu warnen, dass das „400 Chaoten“ versuchten, die Bewegung zu kontrollieren und/oder zu zerschlagen. Eine Woche später: gar nichts davon. Es scheint, dass die große Mehrheit der Anarchisten (mit mehr oder weniger Problemen) davon ausgeht, dass nichts passiert, weil jemand sich für gewaltfrei erklärt. Gewalt oder Selbstverteidigung ist eine Frage, die es immer geben wird, aber sie ist völlig zweitrangig. Wenn wir aufhören, sie als etwas zu betrachten, das je nach den Umständen nützlich oder nicht nützlich, vorteilhaft oder schädlich sein kann, und sie in etwas verwandeln, auf das man nicht verzichten kann, oder wenn wir in einen Wutanfall geraten, weil die 15M ein Loblied auf die Gewalt singt, werden wir uns völlig verirren. Heute ist es Zeit für Gewaltlosigkeit, an einem anderen Tag wird es Zeit für etwas anderes sein.

Vollversammlungen27: wir hören viel Kritik, dass die Vollversammlungen keine echten Vollversammlungen sind, dass es keine wirkliche Horizontalität gibt, dass einige versuchen, sie zu manipulieren, usw. Logisch, denn es handelt sich um echte Vollversammlungen mit normalen Menschen, die sich mitten in einem Kampf zwischen verschiedenen Sektoren um die „Kontrolle“ (bewusst oder unbewusst) der Situation befinden. Die Horizontalität, die Gleichheit, die Effektivität der Vollversammlungen, die Kommunikation der Vollversammlungen, die Tatsache, dass sie gesund sind, ist nicht etwas, das gegeben ist, weil sich Menschen auf einem Platz treffen und miteinander reden. Um nichts in der Welt. Man muss es gegen Manipulatoren, Politiker und toxische Menschen bekämpfen; und man muss es gegen jahrelange Demobilisierung, Herdentrieb und täglichen Delegationismus aufbauen. Wenn wir uns darüber nicht im Klaren sind, sind wir in den Händen derjenigen, die wollen, dass die Vollversammlungen die Transmissionsriemen sind, die sich darauf beschränken, ihre zu Hause ausgeheckten Vorschläge zu billigen oder zu akzeptieren.

Monster bekämpfen: es ist sehr kompliziert und frustrierend, an Vollversammlungen teilzunehmen, in denen es Menschen gibt, die alles tun, was nötig ist (manipulieren, lügen und sich meistens dumm stellen), um ihre Geschichte durchzusetzen. Jeder, der das schon einmal erlebt hat, kann dir sagen, dass es scheiße ist. Erstens wegen all dem, was du schlucken musst, zweitens, weil es in der Regel nicht jeder sieht. Wenn du also jemanden beschuldigst, bist du am Ende derjenige, der Verdacht schöpft, drittens, weil du am Ende einfache Fehler oder Versehen mit unverhohlenen Manipulationsversuchen (die an Paranoia grenzen) verwechselst und schließlich, weil du, sobald du es nicht merkst, am Ende ähnliche Dinge mit ihnen machst oder dazu gezwungen wirst. In den letzten Tagen haben wir Dinge gehört wie „die Kommissionen übernehmen“, „die Machtpositionen in den Vollversammlungen einnehmen“, „sich in den Vollversammlungen zerstreuen“, „so tun, als würden wir uns nicht kennen“ und andere solche Dinge von Gefährt*innen, an denen wir keine Zweifel oder Verdächtigungen haben, und natürlich werden wir sie nicht verurteilen. Diese Art von Situation ist so: Frustration, Wut auf die Manipulatoren und das Gefühl, an die Wand gedrückt zu werden, lassen dich solche Dinge sagen und tun. Dagegen bleibt nichts anderes übrig, als ständig aufmerksam zu sein, selbstkritisch zu sein und zu wissen, wie man Kritik übt und mit Kritik umgeht, ohne hysterische Anschuldigungen oder dummes Opferverhalten. Und davon ausgehen, dass wir uns irgendwann die Hände schmutzig machen werden, ob wir wollen oder nicht. Das passiert in den besten Familien.

„Hab keine Angst, spielt einfach mit“ Ch. Parker: In Verbindung mit dem oben Gesagten müssen wir uns bewusst sein, dass die Teilnahme an der 15M-Bewegung für die meisten von uns unbekanntes Terrain ist. Gehen wir mal davon aus, dass wir es vermasseln werden, und zwar richtig vermasseln. Anarchist*innen sind nicht perfekt und wollen es auch nicht sein, wir haben alles Recht der Welt, uns zu irren. Sich zu weigern zu handeln, aus Angst, ein Reformist zu werden, oder schlimmer noch, aus Angst, dass irgendein Arschloch dich als Reformist oder Avantgardist abstempelt, ist genauso absurd wie sich zu weigern zu denken, aus Angst, falsch zu liegen.

Anarchistischer Avantgardismus: Zwei Wörter, die zusammen einen Widerspruch darstellen, aber bei weitem nicht so sind. Einige marxistische Strömungen halten sich selbst für Avantgarde und rühmen sich damit, auch wenn ihnen niemand Beachtung schenkt. Wir Anarchist*innen weigern uns, zur Avantgarde zu werden, was nicht bedeutet, dass wir, wenn wir uns verirren, in den Avantgardismus abrutschen. Wenn man versucht, viel schneller zu sein als das Tempo der Ereignisse, läuft man Gefahr, sich immer mehr von ihnen zu lösen, bis man allein dasteht, weit weg von der Realität und von dem, was passiert. Außerdem ist damit noch nicht einmal sichergestellt, dass man den anderen „voraus“ ist, sondern man kann auch falsch abgebogen sein. Anarchist*innen wollen den Menschen nicht vorschreiben, was sie zu tun oder zu lassen haben, nur weil sie ein heiliges Buch oder ein revolutionäres Heiligtum besser kennen. Das bedeutet aber nicht, dass wir manchmal denken, wir seien besser als die anderen und dass sie „unserem Beispiel folgen“ sollten, vor allem, wenn wir an solchen Konflikten teilnehmen.

Symbologie und Dialekte: Damit unsere Beteiligung effektiv ist und wir gemeinsam etwas Sinnvolles aufbauen können, müssen wir all die Symbolik, die Codes, die Fetischwörter und das andere Merchandising unseres Bewegungsghettos beiseite lassen. Wie wir schon oben beim Thema Diskurs gesagt haben. Das bedeutet nicht, den Diskurs abzuschwächen oder die Menschen in die Irre zu führen, sondern auf die magischen Worte und starken Ideen zu verzichten, die wir gerne verwenden. Begriffe wie aktive Enthaltung, direkte Aktion, gegenseitige Hilfe, Revolution usw. müssen von Menschen, die mit ihrer Verwendung nicht vertraut sind, nicht auf den ersten Blick verstanden werden. Es ergbit keinen Sinn, sich darin zu verzetteln. Es ist sinnvoller, zu versuchen, sie in einfacher Sprache zu erklären, ohne anarchistischen Intellektualismus und Technizismus. Das Gleiche gilt für die Ästhetik der Propaganda, die für die meisten Menschen oft ebenso einheitlich wie weit entfernt ist. Ein klares Beispiel ist das Problem mit den A’s, die im Zeltlager auf Sol kursieren. Da keine politischen Symbole oder Flaggen erlaubt sind, sahen viele Menschen in der Vollversammlung mehr oder weniger zu Recht ein, dass auch die eingekreisten A’s dort nichts zu suchen hatten. Da die eingekreisten A’s keine politischen Symbole sind, sondern das Gegenteil, haben einige Anarchist*innen es ziemlich übel genommen. Andere, die ein Beispiel dafür sind, dass Horizontalität und Konsens oft nur dann respektiert werden, wenn es in ihrem Interesse ist, verwendeten es weiterhin auf Transparenten und Graffiti. Auf jeden Fall sollten wir darüber nachdenken, ob das alles nicht unsere Schuld ist, weil wir es in all den Jahren nicht geschafft haben, deutlich zu machen, dass wir nicht so sind wie alle anderen, obwohl zu unseren Gunsten gesagt werden muss, dass die Entscheidung, die eingekreisten A’s wegzulassen, auch diskutiert worden zu sein scheint. Der Punkt ist, dass die eingekreisten A’s am unwichtigsten sind. Das Wichtigste ist die Botschaft, die wir vermitteln wollen, und wenn wir sie weglassen müssen, ist das in Ordnung. Schließlich haben wir, wie ein Gefährte neulich zu Recht sagte, nichts zu verkaufen (was stimmt, wenn wir uns in der Praxis so verhalten, was nicht immer der Fall ist). Schlimmer als der Fall der eingekreisten A’s, der, so sehr er uns auch schmerzen mag, bis zu einem gewissen Grad verständlich ist, ist der Fall des Feminismus, der sowohl auf den Zeltlagern als auch auf Twitter auf einigen Widerstand stößt, mit ziemlich hässlichen Gesten und unangebrachten Kommentaren.

7. Das Ende, endlich.

Wir schließen mit einer abschließenden Überlegung. Die 15M-Bewegung hatte einen Anfang und wird ein Ende haben. Realistisch betrachtet und in Anbetracht der Tatsache, wie wenige Anarchist*innen wir sind und unserer Unerfahrenheit, ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass unsere Partizipation an ihr die Komponente sein wird, die ihre Entwicklung und ihr Ende bestimmt. Dennoch glauben wir, dass wir den Spielraum und die Fähigkeit haben, uns daran zu beteiligen und einen Beitrag zu leisten, und dass sie nicht auf eine staatsbürgerliche Reformbewegung oder auf den chiringuito einer Partei28 beschränkt sein sollte. Dieser Vorschlag geht in diese Richtung, indem er versucht, ein wenig weiter zu gehen. Wir haben nicht viel Hoffnung, dass die 15M-Bewegung das Wesen der heutigen Gesellschaft radikal verändern wird; sie könnte es nicht, selbst wenn sie es wollte, und alles scheint darauf hinzudeuten, dass sie es nicht will. Selbst wenn sie ihre Ziele erreicht, wird alles in eine Reform des demokratischen Systems oder sogar in eine vorübergehende Stärkung des Wohlfahrtsstaates umgesetzt werden. Trotzdem ist das keine Entschuldigung dafür, zu Hause zu bleiben. Wir glauben, dass wir dabei sein und mitmachen müssen, denn wenn wir es einigermaßen gut machen, kann es mittel- und langfristig für den Antikapitalismus und Anarchismus von Vorteil sein.

Zunächst einmal glauben wir, dass das demokratische System und das Kapital so sind, wie sie sind, und dass alle Parteien im Grunde gleich sind. Wenn die 15M-Bewegung Erfolg hat und es ihr gelingt, das demokratische System zu reformieren und der „Zweiparteienherrschaft“ und „Partitokratie“ ein Ende zu setzen, werden die Kleinparteien mit der Zeit entlarvt werden, weil das demokratische System und das Kapital so sind, wie sie sind.

Zweitens gibt es bei all dem, was passiert, auch etwas Positives. Vor einem Monat war die allgemeine Meinung: „ Was für eine beschissene Situation, aber was sollen wir tun? Man kann nichts tun, usw.“ Heute gibt es viele Leute, die glauben, dass das Wahlgesetz geändert werden kann, dass es gerecht ist, die Entscheidungen des Wahlvorstands zu ignorieren, wenn sie ungerecht sind, und so weiter. Irgendwo muss man ja anfangen. Wenn die 15M-Bewegung fortbesteht und Dinge durch Mobilisierungen und Vollversammlungen erreicht werden, und diese mehr oder weniger funktionieren, unabhängig vom Ergebnis, ist das ein Vorteil, den es zu nutzen gilt. In diesem Land wurde schon lange nichts mehr gewonnen: der Beitritt zur NATO, nichts, das PRESTIGE, nichts, der Irakkrieg, nichts, die Kämpfe an der Universität, nichts… Tatsächlich war die einzige Veränderung, die viele Menschen als ihre eigene ansahen, als die PSOE nach dem 11-M gegen die PP gewann, und das geschah durch Wahlen, die demokratische Illusionen verstärkten.

Drittens hat es die 15M-Bewegung geschafft, dass Menschen auf die Straße gehen, um gemeinsam und öffentlich über Politik zu sprechen, über einige der sozialen und politischen Probleme, die sie umgeben. Das war etwas, das man schon lange nicht mehr gesehen hatte. Die meisten Gespräche drehen sich um Reformen, um minimale Veränderungen, aber wie wir schon sagten, irgendwo muss man anfangen. In gewisser Weise hat sie eine Bresche geschlagen in das „Halt dich aus der Politik raus“, die „Politikverdrossenheit“ und das „Da kann man nichts machen“, die drei kleinen Geschenke, die uns der Franquismus, die Transición29 und die Demokratie hinterlassen hatten. Was nicht sein kann, ist, dass wir Menschen, die zu Hause bleiben, kritisieren, weil sie nicht auf die Straße gehen, und wenn sie doch auf die Straße gehen, kritisieren wir sie, weil das, was sie fordern, keine soziale Revolution ist. Das ergibt doch keinen Sinn.

Wenn einige Dinge durch den Kampf auf der Straße erreicht werden, glauben wir, dass es nach all dem vielleicht einfacher sein wird, die Menschen davon zu überzeugen, dass eine Vollversammlung am Arbeitsplatz funktionieren kann, dass es sinnvoll ist, auf die Straße zu gehen, um zu protestieren, dass man einen Streik gewinnen oder einen städtischen Plan umstürzen kann: durch Solidarität, direkte Aktionen und so weiter. Wenn das, was erreicht wird, ausschließlich durch politische Manöver, Abstimmungen, Volksabstimmungen usw. erreicht wird (was ziemlich unwahrscheinlich ist, wenn es keinen beträchtlichen Druck von der Straße gibt), wird das einzige, was gestärkt werden wird, das demokratische System sein. Das ist die Frage, und da müssen wir Anarchisten da sein.

Wir werden sehen, wie sich das alles entwickelt, aber die anarchistische Bewegung wird gestärkt, wenn sich ihre Praktiken, ihre Art, sich der Realität zu stellen, und einige ihrer Ansichten verbreiten und in der kollektiven Ideologie verankern. Die anarchistische Bewegung wird auch stärker sein, wenn unsere Beteiligung an der 15M-Bewegung nach Kritik, Selbstkritik und öffentlicher Analyse in neue kollektive Erfahrungen mündet. Es ist unwahrscheinlich, dass unsere langfristigen Ziele dank des 15M auf gesellschaftlicher Ebene deutlich wachsen werden, unabhängig davon, ob wir dabei bestimmte Leute überzeugen können. Dieser Kampf geht andere Wege, durch die ständige Arbeit der Öffnung von Zentren, der Herausgabe von Texten, der Analyse, der Veranstaltung von Tagungen, Veranstaltungen usw., die wir auf keinen Fall aufgeben sollten, nur weil wir in 15M sind.

Gezeichnet: Einige Anarchist*innen aus Madrid

Madrid, Mai 2011


1A.d.Ü., so die Übersetzung vom Titel aus dem Englischen, wir haben uns an das Original auf Spanisch gehalten.

2A.d.Ü., alle hier vorliegenden Zitate von Karl Marx, die zumindest die von uns erkannt wurden, haben wir aus den Originalschriften übernommen.

3A.d.Ü., wir haben an dieser Stelle die ganze Passage von Thesen über Feuerbach übernommen.

4A.d.Ü., der Text ist in der Originalfassung gegendert worden, wenn auch nicht immer und somit der Titel auch nicht, wir übersetzten alle Texte ganz nach dem Original und wenn wie im Fall des Titels nicht gegendert worden ist, kann dies ein Fehler der Verfassenden sein, oder einen Grund dafür haben warum hier eine Ausnahme gemacht wurde, wie es an anderen Stellen genauso der Fall ist. Man müsste sich der Gruppe wenden um dies zu erläutern, da aber diese Seit über zehn Jahren nicht mehr existiert, wird dies schwierig sein. Wir erwähnen dies damit der Aufklärung Weise genüge getan wurde.

5A.d.Ü., man hätte den Titel auf zwei Arten übersetzen können, Die Anarchisten und der 15M was sich auf den Datum beziehen würde, genauso wäre aber Die Anarchisten und die 15M richtig, weil auf die daraus entstandene Bewegung Bezug genommen wird.

6A.d.Ü., im Originaltext ist die Rede von Asamblearismo, was sowohl als eine Ideologie und/oder Theorie der Vollversammlungen verstanden werden, genauso aber die Praxis des Halten derselben.

7A.d.Ü., Immediatismus, was unmittelbar heißt.

8A.d.Ü., diese Stelle kann zwei Bedeutungen haben, deswegen haben wir den Begriff erst gar nicht übersetzt. Chapa hat auf Spanisch zwei Bedeutungen die hier Sinn ergeben könnten, die erste ist Nervensäge und die zweite ist Opportunist. Chapas sind Kronkorken, aber auch Buttons, im Sinne als etwas oberflächliches, der wie ein Chamäleon nur den Button ändern muss, als ein Opportunist, und ist wer anders im politischen Sinne.

9A.d.Ü., hier ist die Rede über eine ‚populäre Vollversammlung‘, welche auch als eine Volksversammlung verstanden werden kann, die eine bindende politische Funktion gegenüber des Staates hat, hier war es aber nicht der Fall, der Name war aufgeblasen um der Vollversammlung mehr Gewicht zu verleihen.

10A.d.Ü., ciudadanista, jene die mittels der Demokratie und der herrschenden Ordnung „Verbesserungen“, ohne aber das kapitalistische System als solches anzugreifen, zu erlangen versuchen.

11A.d.Ü., izquierdistas, alle politischen Strömungen außer die anarchistische, ein Pejorativ.

12A.d.Ü., movimiento ciudadanista, der Staatsbürgertum als Bewegung, siehe Fußnote Nummer 10.

13A.d.Ü., an dieser Stelle wird die Form von Zustimmung durch komische Handbewegungen gemeint die in den letzten Jahren so beliebt geworden sind.

14A.d.Ü., asambleario, sprich durch das Abhalten von Vollversammlungen..

15A.d.Ü., gemeint sind die Fahnen der spanischen Republik, ein Symbol gegen die Monarchie.

16A.d.Ü., gemeint sind die eingekreisten A´s als Symbol für die Anarchie, bzw. Anarchismus.

17A.d.Ü., ein chiringuito, ist eine einfach gebaute Hütte, am Strand, oder sonstwo, wo Getränke, Eis, oder andere Waren für den Verzehr verkauft werden. Was es aber auch bedeutet, was an dieser Stelle zutreffend ist, ist wenn man sich ein kleines Geschäft aufgebaut hat, man muss das politische wie ein Geschäft führen, in dem Sinne eine Kritik.

18A.d.Ü., gemeint sind Camps wie diese und ähnliche im Allgemeinen.

19A.d.Ü., indignación bedeutet Empörung, die Bewegung wurde als los indignados bekannt, sprich die Empörten.

20A.d.Ü., ein botellón ist ein öffentliches Zusammentreffen, können riesig werden, wo man sich zum Saufen trifft.

21A.d.Ü., an dieser Stelle schrieben die Verfassende eso es de primero de militancia, was wortwörtlich als ‚dass ist Militanz für Erstklässler‘ übersetzt werden kann. Mit Militanz meint man nicht die Gewaltfrage, sondern die Haltung und das Engagement zum politischen Leben.

22Während der Korrektur des Textes hat das Zeltlager auf Sol die vier Punkte gebilligt, die den sogenannten #consensodeminimos ausmachen. Wir werden es nicht bewerten, da wir nicht glauben, dass es die Aussagen des Textes wesentlich verändern wird, denn so etwas wurde früher oder später erwartet.

23A.d.Ü., ciudadanistas, siehe Fußnote Zehn.

24A.d.Ü., asamblearismo, die Theorie des Abhaltens von Vollversammlungen.

25A.d.Ü., Patricia Heras war eine der betroffenen im berühmten Fall 4F. Am 04.02.2006 wurde ein besetztes Haus mitten in der Nacht gestürmt, wobei es zu Zwischenfällen kam und mehrere Personen wie Bullen verletzt wurden. Einer dieser war querschnittgelähmt und wie verrückt machten die Behörden mehrere Personen dafür verantwortlich, einer davon Rodrigo Lanza, über den wir schon in mehreren Artikeln berichtet haben und die andere Patricia Heras, die zum Zeitpunkt der Verletzung des Bullen gar nicht vor Ort war. Sie war eine junge Literaturstudentin und wurde in einem Krankenhaus mit einem Freund von ihr verhaftet. Was darauf folgte waren drei Jahre Knast und am Ende nahm sie sich das Leben während einem Ausgang (Knasturlaub) im April 2011. Dazu wurde ein Film gedreht mit dem Namen Ciutat Morta.

26A.d.Ü., siehe Fußnote Nummer 17.

27A.d.Ü., asamblearismo, siehe Fußnote 24.

28A.d.Ü., siehe Fußnote 17.

29A.d.Ü., als Transicíon wird der Übergang im spanischen Staat vom Faschismus zur Demokratie bezeichnet, dieser verlief ab den Tod von Franco 1975 bis zu den ersten Wahlen 1977.



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(Grupo Ruptura) Faschismus, Antifaschismus und Klassenkampf https://panopticon.blackblogs.org/2022/11/09/grupo-ruptura-faschismus-antifaschismus-und-klassenkampf/ Wed, 09 Nov 2022 09:16:15 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=4595 Continue reading ]]> Dieser Text wurde vor einigen von der Gruppe aus Madrid, Grupo Ruptura, geschrieben, ein weiterer Text in der Reihe bzw. Auseinandersetzung mit der Kritik an dem Antifaschismus. Die Übersetzung ist von uns.


(Grupo Ruptura) Faschismus, Antifaschismus und Klassenkampf

Dieser Text wurde am 10.03.2010 veröffentlicht.

Dieser Text wurde im Rahmen des Vortrags „Faschismus, Antifaschismus und Klassenkampf“ anlässlich des 5-jährigen Bestehens des Klinamen-Projekts präsentiert.

Einführung

Bevor wir eine Analyse dessen vornehmen, was wir unter Faschismus verstehen, scheint eine erste Warnung notwendig. Die Worte „Faschist“ und „Faschismus“ sind im Laufe der Zeit zu Fetischwörtern geworden. Faschistisch kann also die Monarchie, die Polizei, der Staat, die Demokratie, Hitler, Aznar, Bush oder meine Katze sein… In ihrem Anspruch, allumfassend zu sein, bezeichnen diese Worte letztlich nichts. Sie sind einfach eine Art Totem, mit dem Schamanen aller Couleur versuchen, den Stamm zu mobilisieren. In der Politik der Mobilisierung (im Gegensatz zur Politik der Bewegung), der Sichtbarkeit und der Unmittelbarkeit spielt es keine Rolle, dass Worte und Begriffe ihre Bedeutung verlieren, solange sie ihre symbolische Ladung behalten. Es macht nichts, wenn sie zu nutzlosen theoretischen Instrumenten werden, solange sie bunte Fahnen bleiben, mit denen man vor den Massen winken kann. Das heißt, dass wir versuchen werden, den Begriff „Faschismus“ recht eng zu fassen, und dass wir, wenn wir sagen, dass diese oder jene Sache faschistisch ist, dies auf einer theoretischen Grundlage tun werden.

Block 1: Faschismus gestern und heute

1. Historischer“ Faschismus: Charakteristika, Funktion, Verhältnis zum Kapitalismus.

Unter historischem Faschismus verstehen wir die historischen Erfahrungen der faschistischen Bewegungen, die in den 1920er und 1930er Jahren an die Macht kamen und sich als Diktaturen konstituierten. Diese ultranationalistischen Massenbewegungen kamen an die Macht, weil sie die Interessen einer von der ökonomischen Krise bedrohten Mittelschicht vertraten und unter dem Druck einer starken reformistischen Bewegung standen (das Ergebnis der sozialdemokratischen Niederlage und des Verrats an einer starken revolutionären Bewegung), der es gelang, sowohl Teile der Arbeiterklasse als auch Teile der Großbourgeoisie mitzureißen. Der Faschismus hat als ersten und grundlegenden Feind die reformistischen oder revolutionären Arbeiterorganisationen, die er entweder während seiner Machtergreifung (Italien) oder unmittelbar danach (Deutschland) bekämpft und zerstört hat. Auf diese Weise erfüllt sie eine grundlegende Aufgabe für den Kapitalismus in Krisenzeiten, nämlich die Schaffung einer unstrukturierten, terrorisierten, gehorsamen und daher billigen Arbeiterklasse. Der Faschismus versuchte auch, die Arbeiterklasse durch ideologische und materielle Mechanismen in den faschistischen Staat zu integrieren, und zwar durch die Verwaltung der Freizeit (touristische Reisen, sportliche oder Freikörperkultur), durch die falsche Vertretung ihrer Interessen in korporativistischen Organen, die in der Praxis Organe der Kontrolle und der Durchsetzung der Interessen der Bosse in den Fabriken waren, und durch eine mächtige Ideologie, die zwischen der Integration in eine „nationale Gemeinschaft“, ein „Volk“ (im Falle der Nazis eine zutiefst rassistische Idee), in dem die Klassenwidersprüche verwässert wurden, und dem Ausschluss (und gegebenenfalls der Ausrottung) einer ganzen Reihe von Asozialen, Juden und „Roten“, die für die Missstände in der Nation verantwortlich waren, sich drehte.

Die Machtergreifung des Faschismus war weder eine Erfindung noch eine Marionette der Bourgeoisie. Es handelte sich auch nicht, wie gesagt, um eine historische Tendenz des Kapitalismus. Sie war ein Notfallmittel der Bourgeoisie bestimmter Länder, um eine tiefe ökonomische und politische Krise diktatorisch zu überwinden, die sowohl auf die Grenzen des Kapitalismus selbst als auch auf die Kanalisierung des Proletariats in Richtung Reformismus und seine Integration in den Kapitalismus durch die Sozialdemokratie zurückzuführen war (was im Falle Deutschlands die Vernichtung der revolutionären Proletarier durch die Freikorps unter der Kontrolle der Sozialistischen Partei Deutschlands, SPD, und in Italien durch die Fasci bedeutete). Der Kapitalismus braucht manchmal die Diktatur und manchmal die Demokratie (der spanische, chilenische und argentinische Übergang1 sind gute Beispiele), um die Ausbeutung der Proletarier und die kapitalistische Akkumulation fortzusetzen.

2. Faschismus, Diktatur und Demokratie

Wir verstehen, dass der Faschismus, sobald er an die Macht kommt, nur eine andere Art von Diktatur ist, wie die Militärdiktaturen, die religiösen Diktaturen oder die Diktaturen der autoritären Rechtsparteien, die das Ergebnis spezifischer sozialer und historischer Bedingungen sind. Es stimmt, dass die faschistische Ästhetik und die faschistischen Paraphernalien ein großes Vorbild für alle nachfolgenden Diktaturen waren, noch viel mehr für ihre Zeitgenossen, die versuchten, die Unterstützung der faschistischen Mächte zu gewinnen, aber das sollte nicht irreführend sein.

Diktatur und Demokratie sind spezifische Formen, die der kapitalistische Staat je nach den gesellschaftlichen Bedingungen annimmt. Sie folgen einander je nach den Interessen der imperialistischen Mächte, der nationalen bourgeoisen Fraktionen oder je nach dem Klassenkampf. Was wirklich wichtig ist, ist, dass die tolerierbaren Bedingungen in einer Demokratie a priori sind (und wir sagen a priori, weil die Demokratie über Mechanismen verfügt, um Ausnahmezustände anzuwenden und hart durchzugreifen, siehe Italien in den 1970er Jahren oder was heute im Baskenland geschieht2), beide sind kapitalistische Regierungsformen, die auf der Ausbeutung des Proletariats beruhen, und, was noch wichtiger ist, die Bourgeoisie wird versuchen, im Falle einer ökonomischen oder politischen Krise den Übergang von der einen zur anderen zu erzwingen, mit der unschätzbaren Kollaboration der sozialdemokratischen Unterdrückung, entweder durch den Übergang von der Demokratie zur Diktatur oder andersherum. Wenn die demokratischen Methoden nicht ausreichen, um die Forderungen der Arbeiter einzudämmen, wird die Diktatur zum geeigneten Mittel, um die Arbeiterorganisationen zu unterdrücken und die Ordnung so lange wie nötig aufrechtzuerhalten. Wenn diktatorische Methoden nicht ausreichen, um die Arbeiterklasse zu vernichten, oder wenn die Diktatur ihre Funktion erfüllt hat, ist die Rückkehr zur Demokratie der perfekte Mechanismus, um mögliche revolutionäre Tendenzen zu deaktivieren und die Arbeiter dazu zu bringen, die notwendigen kapitalistischen Maßnahmen „um der Demokratie willen“ zu akzeptieren. Der spanische Übergang3, bei dem die Änderung der Staatsform für die Fortführung der Form der Ausbeutung und auch für die Verantwortlichen und Profiteure dieser Ausbeutung notwendig war, stellt ein perfektes Beispiel für den letzteren Fall dar.

3. Faschismus heute: Kontinuität und Unterschiede zum historischen Faschismus.

Unserer Meinung nach können wir faschistische Gruppen heute in zwei verschiedene Gruppen einteilen. Die erste würde von all jenen kleinen Gruppen, kleinen Parteien und anderen hirnlosen Leuten gebildet werden, die offen behaupten, die direkten Erben des historischen Faschismus in jeder seiner Varianten (faschistisch, falangistisch, nationalsozialistisch) zu sein: Nación y Revolución, Combat España, die verschiedenen Falanges4, Alianza nacional, etc. Die zweite Gruppe sind jene rechtsextremen Parteien, die sich von jeglicher faschistischen Szenografie und Ästhetik, ja sogar von Teilen ihres Programms, verabschiedet oder öffentlich distanziert haben, um andere aufrechtzuerhalten. Sie bezeichnen sich selbst als „Patrioten“ und andere haben sie als Nationalpopulisten oder Postfaschisten bezeichnet. Ihre Vorbilder sind der Front National von Le Pen, die Nationale Allianz von Fini oder die FPÖ von Haider. Populistische Parteien, die ihre Kampagne im Wesentlichen auf die Ablehnung der Einwanderung, die Verteidigung der nationalen Präferenz (Spanier zuerst) und die Sicherheit der Staatsbürger ausrichten. In Spanien gibt es noch keine derartigen Parteien mit einem gewissen Grad an Etabliertheit, was an sich schon ein Punkt ist, den es zu analysieren gilt, aber auch ein Punkt, der auf Absichten hinweist: Democracia Nacional, España2000, Plataforma per Catalunya, usw.

Wir wissen sehr wohl, dass in beiden Blöcken Gruppen vertreten sind, die sich in ihrer Ideologie und ihrer sozial-militanten Zusammensetzung stark voneinander unterscheiden (sie haben sogar ihre Streitigkeiten). Die Trennung zwischen Neofaschisten und Nationalpopulisten (um sie in gewisser Weise zu unterscheiden) beruht nicht nur auf diesen ideologischen, ästhetischen und taktischen Unterschieden, sondern, was für uns noch wichtiger ist, auch auf ihrer potenziellen sozialen Projektion und der Art der Bedrohung, die sie für die Arbeiterklasse darstellen.

Trotz ihrer Unterschiede werfen wir alle Gruppen des ersten Typs in einen Topf, weil wir ihre mögliche soziale Projektion in der Zukunft für null halten. Sie werden mikrige Parteien bleiben, mit einem konstanten Strom von Menschen, die ein- und ausgehen, und mittelfristig so bleiben, wie sie sind. Wir glauben zwar nicht, dass NyR oder La Falange einen Sitz im Parlament gewinnen können, aber es ist durchaus möglich, dass solche Gruppen in kleinen Städten, die von rassistischen oder fremdenfeindlichen Konflikten erschüttert wurden, einen Sitz im Stadtrat oder eine gewisse Bedeutung erlangen können. Mit anderen Worten: Diese Gruppen stellen mittelfristig keine soziale Bedrohung dar. Ihre Bedeutung liegt auf einer anderen Ebene, der der physischen Bedrohung sozusagen. Im Gegensatz zu den Mitgliedern der zweiten Gruppe, die sich kein radikales und gewalttätiges Image zulegen wollen, haben die Militanten dieser Gruppen im Allgemeinen weniger Probleme damit, gewalttätige Aktionen (Schläge, Angriffe auf Räumlichkeiten usw.) gegen die radikaleren oder schwächeren Teile der Arbeiterklasse durchzuführen.

Die zweite Gruppe, die ebenfalls ideologische und soziale Unterschiede aufweist, ist in einem anderen Sinne gefährlich. Wir sehen die Möglichkeit, dass durch die Wiederholung des französischen, italienischen, österreichischen usw. Phänomens und unter bestimmten Bedingungen einige dieser Parteien oder eine Koalition von ihnen mittelfristig eine gewisse gesellschaftliche Relevanz erlangen könnten, die sich in Bürgermeisterämtern, Abgeordnetenmandaten, Mitgliedern des Europäischen Parlaments usw. niederschlagen könnte, und dass ihre Botschaft den Mainstream der Gesellschaft erreichen könnte. Die spezifischen Bedingungen, die diesen Gruppen zum Durchbruch verhelfen können, stehen unmittelbar vor der Tür. Zum einen die ökonomische Krise, die, wie immer, vor allem die Arbeiter treffen wird. Sie werden einen zunehmenden Wettbewerb um einen Arbeitsplatz, um Subventionen usw. am eigenen Leib spüren, den Faschisten und Geschäftsleute versuchen werden, in einen Wettbewerb zwischen Einheimischen und Ausländern zu kanalisieren, indem sie die typischen und logischen Reibungen ausnutzen, die entstehen, wenn Menschen mit unterschiedlichen Kulturen, Traditionen und Herkünften zusammenleben. Indem sie die Einwanderer mit dem Mangel an Arbeit oder Subventionen (Schulbildung, Arbeitslosigkeit usw.), mit dem Anstieg der Kriminalität (in einer Gesellschaft, in der sich die sozialen Unterschiede Tag für Tag verschärfen, kann die Kriminalität nur zunehmen), mit dem Zusammenbruch der öffentlichen Dienste usw. in Verbindung bringen, spielen diese Parteien die Karte der nationalen Präferenz (Spanier zuerst) aus, um ihre Relevanz zu erhöhen. Die Folge ist die Konstruktion einer sozialen Neuzusammensetzung rund um Nation, Rasse und Kultur, die die Arbeiterklasse in „Spanier“ und „Einwanderer“ spaltet und versucht, die Klassenunterschiede zwischen Bourgeois und Proletariern zu verwischen. Hinzu kommt, dass die Krise auch viele kleine Gewerbetreibende treffen wird, die die „unfaire“ Konkurrenz der zugewanderten Geschäfte und der großen Läden beklagen und sich in die Arme dieser Parteien stürzen werden, um deren national-populistische Ideologien zu unterstützen.

Diese Parteien sind jedoch derzeit in der Minderheit, und um zu wachsen, müssen sie sich bekannt machen, sie brauchen starke und zunächst gezielte Propagandakampagnen, was im Wesentlichen eine Frage des Geldes und der Möglichkeiten ist. Die Gelegenheiten, auf die wir uns beziehen, sind Vorfälle jeglicher Art, die in fremdenfeindlicher Weise thematisiert werden, sei es irgendein Ärger in der Nachbarschaft wie in Alcorcón, ein Ereignis, das von der Presse als Kriminalität von Einwanderern dargestellt wird wie in El Ejido, der Bau von Moscheen in Städten mit hohem Einwanderungsanteil usw. Geld kann heutzutage nur noch aus Subventionen kommen, entweder privat von Geschäftsleuten oder vermögenden Privatpersonen, oder aus öffentlichen Subventionen für Wahlerfolge. Die oben erwähnten „Chancen“ sind mit dem Geld verknüpft, da die extreme Rechte bei solchen Ereignissen an die Wahlurnen gehen wird, um Stimmen und hoffentlich Rats- oder Bürgermeistersitze zu gewinnen, mit denen sie ihre Parteien finanzieren kann.

Aus diesem Grund wird der andere entscheidende Faktor für den Erfolg dieser Parteien darin bestehen, wie sich diese Krise in der nationalen Politik niederschlägt. Gegenwärtig gibt es mehrere Faktoren, die den Aufstieg rechtsextremer Parteien behindern. Der erste ist die politische Spannung zwischen den beiden großen Parteien PSOE und PP. Der Rechtsruck der PP hat zu einer Polarisierung der Situation geführt, der Zusammenbruch der Izquierda Unida ist ein Spiegelbild der Unfähigkeit der extremen Rechten, ihr Gesicht zu zeigen, auf der linken Seite. So wie viele IU-Wähler oder linke Stimmenthalter 2004 und 2008 für die PSOE gestimmt haben, um die PP zu verdrängen oder ihre Rückkehr zu verhindern, haben viele potenzielle Wähler der extremen Rechten für die PP gestimmt, um zu verhindern, dass die PSOE weitermacht. Die PP hat jedoch einen Erneuerungsprozess eingeleitet, bei dem ihre härtere Seite (in den Medien von Aguirre und ihren Freunden von COPE vertreten) mit einem gemäßigteren Sektor konkurriert, in dem Rajoy, Gallardón usw. hervorstechen. Eine Verschiebung der PP in die Mitte würde eine Lücke nach rechts aufreißen, in der rechtsextreme Parteien Fuß fassen könnten. Hinzu kommt die Auswirkung der Krise auf die politische Delegitimierung der PSOE, die gezwungen sein wird, unpopuläre Maßnahmen gegen die Krise zu ergreifen, und der es daher immer schwerer fallen wird, ihre Strategie des „die Rechte kommt“ aufrechtzuerhalten.

Hinzu kommt eine mögliche Reform des Wahlrechts, die es kleinen Parteien derzeit sehr schwer macht, ins Parlament einzuziehen, es sei denn, sie sind geografisch konzentriert wie die Nationalisten, was ihnen zugute kommen könnte.

Ein weiterer Grund ist die Erinnerung an die Franco-Diktatur, die zwar immer weniger präsent ist, aber immer noch mehrere Generationen von Wählern beeinflusst. Die extreme Rechte muss sich von der Diktatur „distanzieren“ und gleichzeitig ein spanisches nationalistisches und „patriotisches“ Image pflegen. Der Geschichtsrevisionismus von Persönlichkeiten wie Pio Moa, Cesar Vidal usw. kann zweifellos dazu beitragen, ebenso wie der Versuch der Sozialisten, Spanien ein neues Gesicht zu geben, um den Angriffen der PP zu begegnen. In den 1980er Jahren entstanden sowohl in Deutschland als auch in Italien geschichtsrevisionistische Strömungen, die, indem sie freiwillig oder unfreiwillig das Gesicht des Faschismus reinwaschen, in gewisser Weise den Aufstieg der extremen Rechten begünstigten.

Schließlich muss die extreme Rechte wissen, wie sie ihre Karten ausspielen kann; der Populismus braucht ein starkes, fähiges und vor allem charismatisches öffentliches Gesicht, um ihre ideologische Verwirrung in gewisser Weise zu kompensieren. Ein FN ohne Le Pen, eine Nationale Allianz ohne Fini oder eine FPÖ ohne Haider sind nur schwer vorstellbar. Abgesehen von anderen Faktoren, auf die wir jetzt eingehen werden, ist die Krise vieler dieser Parteien auf die Erosion ihrer Führungspersönlichkeiten oder auf die Nachfolgekrisen zurückzuführen, die sich in diesen Parteien auftun.

Ein weiterer Faktor, der die Anziehungskraft dieser Parteien untergräbt, ist die Tatsache, dass viele ihrer Wähler zur traditionellen Rechten zurückkehren, wenn die Rechte ihre politischen Positionen in Bezug auf Einwanderung und Sicherheit übernimmt, wie dies in Frankreich der Fall war, wo bei den letzten Wahlen ein signifikanter Wählerwechsel von Le Pen zu Sarkozy stattgefunden hat. Das Problem wird dadurch nicht kleiner, sondern eher noch größer, da der Anti-Immigrations- und Pro-Sicherheits-Diskurs (ein Diskurs, der einerseits die Arbeiterklasse noch mehr isoliert, indem er sie dazu bringt, in ihresgleichen einen möglichen Dieb, Vergewaltiger, Mörder usw. zu sehen, und sie andererseits um Papa Staat gruppiert, genau wie der Terrorismus, nur auf eine diffusere und effektivere Weise) institutionalisiert und normalisiert wird, was zu weiteren Spaltungen und Mystifikationen in einer Arbeiterklasse führt, die ohnehin schon genug am Arsch ist.

Um diesen Überblick über die faschistischen Gruppen von heute zu vervollständigen, ist es notwendig, einen Blick auf die Bedingungen zu werfen, unter denen sie entstehen. Der Wald, der es nicht immer zulässt die Äste zu sehen, ist die Klassengesellschaft, in der die Einen von den Anderen ausgebeutet werden und in der die Letzteren von jedem Diskurs, jeder politischen Formation und jeder Arbeits- und Wirtschaftsstruktur profitieren, die die Arbeiterklasse isoliert und individualisiert und falsche Identitäten schafft, auf denen sie sich neu formieren kann. Der „historische Faschismus“ war der Mechanismus, mit dem dies in einigen Ländern in der Zwischenkriegszeit erreicht wurde.

Heute ist die Situation ganz anders: Die Niederlage der Arbeiter in den 1970er Jahren und der Neoliberalismus haben die Arbeiterklasse in den am weitesten entwickelten Ländern in einen Zustand der Zersetzung versetzt. Heute gibt es weder bedrohliche revolutionäre Bewegungen noch reformistische Bewegungen, die den Kapitalismus mit unerträglichen Kosten belasten; im Gegenteil, wir sehen, wie sich die materiellen Bedingungen der Arbeiterklasse von Tag zu Tag verschlechtern, während die sozialen Unterschiede immer größer werden. In diesem Zusammenhang wird die heutige extreme Rechte nicht genau die gleiche Rolle spielen wie der „historische Faschismus“, da die harte Rechte bereits von der Demokratie und in vielen Ländern von der Sozialdemokratie übernommen wurde.

Dennoch gibt es eine Kontinuität zwischen dem Faschismus von damals und der nationalpopulistischen extremen Rechten von heute. Das erste ist persönlich: Die meisten Gründer und führenden Kader der rechtsextremen Parteien sind „seid jeher Faschisten“. Der französische Front National wurde auf der Grundlage ehemaliger Vichy-Kollaborateure, ehemaliger OAS-Mitglieder und poujadistischer Populisten wie Le Pen gegründet. Die italienische MSI wurde gegründet und bis in die 1980er Jahre von Faschisten geführt, die in der Republik Saló usw. waren. In Spanien war der derzeitige Führer der Democracia Nacional, Manuel Canduela, ein bekanntes Mitglied der Acción Radikal und Sänger von División 250. All dies deutet darauf hin, dass es sich nicht um eine Bekehrung dieser Elemente handelt, sondern um ein notwendiges Facelifting, um Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen, wobei die „problematischsten“ Teile ihrer Ideologie beiseite gelassen werden und diejenigen beibehalten werden, die ihnen helfen können, sich zu verbreiten. Die Faschisten suchen nach ihrer zweiten Chance, umgewandelt in patriotische Populisten.

Es gibt eine zweite Kontinuität, nämlich die Auswirkungen, die ihr Diskurs auf die Arbeiterklasse hat. Wir werden dies nicht weiter ausführen, da es bereits oben erörtert wurde, aber wir möchten betonen, dass die Fremdenfeindlichkeit und der Nationalismus, die diese Parteien verbreiten, die Arbeiterklasse in Bezug auf Rasse oder Herkunft spaltet und gleichzeitig die Klassenunterschiede innerhalb desselben Landes verdeckt.

Block 2: Perspektiven des antifaschistischen Kampfes

1. antifaschistisch und antikapitalistisch.

„Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen“ M. Horkheimer

Für uns ist es unmöglich, Faschismus und Kapitalismus zu trennen, wir sind nicht antifaschistisch, weil wir für eine mildere Form der kapitalistischen Ausbeutung, die Demokratie, kämpfen, oder weil wir den Faschismus für das größte aller Übel halten. Wir sind antifaschistisch, weil wir antikapitalistisch sind, weil wir verstehen, dass der Faschismus eine der möglichen Waffen ist, mit denen der Kapitalismus das Proletariat konfrontieren kann, und weil die Faschisten die Spaltung der Arbeiterklasse nähren und reproduzieren und sie in ihrem Kampf gegen das Kapital schwächen. Wir könnten sagen, dass wir genauso wie Antifaschisten auch Antidemokraten sind, weil wir, wie wir sagen, keine Gesellschaftsordnung akzeptieren, die auf der Ausbeutung einer Klasse durch eine andere beruht. Für uns ergibt der Antifaschismus nur im Rahmen des Klassenkampfes einen Sinn, der als ein weiterer Kampf des Proletariats gegen den Kapitalismus und seine Bourgeoisie verstanden wird, genauso wie die Kämpfe für die Arbeit, für unsere Lebensbedingungen, die Geschlechterkämpfe, usw. Ein Kampf also, der sich aus der Autonomie und der Klasseneinheit von der Basis her entwickeln und darauf hinarbeiten muss, wobei eine Zusammenarbeit mit politischen Parteien, Gewerkschaften/Syndikaten oder bourgeoisen oder institutionellen Kräften abgelehnt wird. Von der horizontalen Entscheidungsfindung, der Selbstverwaltung und der Selbsttätigkeit der Arbeiter, gegen Hierarchien, Dirigismus oder subventionierter Institutionalisierung. Für uns ist das Endziel in diesem Kampf genauso wichtig wie die Mittel, die wir einsetzen, um es zu erreichen.

2. Ziele und Strategien des antifaschistischen Kampfes.

Wie wir gesagt haben, sind wir nicht einfach so Antifaschisten. Wir sind antifaschistisch, weil wir antikapitalistisch sind und deshalb verstehen wir den Antifaschismus als eine weitere Dimension des antikapitalistischen Projekts, ohne eine besondere Bedeutung im Vergleich zu anderen. Im Rahmen dieses Projekts, dessen Endziel die Abschaffung des Kapitalismus durch die Revolution ist, bestünde das Teilziel des Antifaschismus darin, all jene zu beseitigen, die versuchen, die Arbeiterklasse in Einheimische und Fremde zu spalten und damit zu schwächen. All jenen ein Ende zu setzen, die versuchen, uns eine klassenübergreifende Sicht der Realität aufzuzwingen, die uns durch die Verzerrung der Realität noch tiefer in die Situation hineinzieht, in der wir uns befinden, in diesem Fall eine Sicht in Bezug auf „das Volk“, auf „die Nation“, so wie es in anderen Fällen eine Sicht in Bezug auf „die Staatsbürgerschaft“ ist. Zum Schluss, der Antifaschismus ist der direkte Kampf gegen die Nazis und Faschisten, die unsere Gefährten direkt angreifen und versuchen, ihre Gewalt auf der Straße durchzusetzen.

Die ersten beiden Momente dieses Kampfes, gegen Spaltungen und falsche klassenübergreifende Konstruktionen, sind ein Grundpfeiler des antikapitalistischen Kampfes, sie sind eine ständige Arbeit in jedem der Konflikte, denen wir begegnen. Im konkreten Fall der Trennung nach Rasse oder Nation geht es darum, Solidaritätsbande mit den eingewanderten Arbeitern zu knüpfen, die auf Gleichheit und Solidarität beruhen und nicht auf Opfertum, Bevormundung oder Wohltätigkeit. Diese tägliche Arbeit ist offensichtlich die komplizierteste, wenn nicht sogar noch komplizierter als das Knüpfen von Verbindungen mit einheimischen Arbeitern. Wir glauben, dass dies durch die Teilnahme an Konflikten erreicht werden kann: Nachbarschaftskonflikte, Arbeitskonflikte, Konflikte gegen Abschiebeknäste usw. Wir müssen diesen Botschaften einen Diskurs und eine Praxis der Einheit und Solidarität unter Gleichen und der Konfrontation mit denjenigen entgegensetzen, die wirklich für unsere Probleme verantwortlich sind, indem wir jederzeit sowohl den Feind als auch seine Strategien, das Problem zu verbergen und Sündenböcke zu benennen, aufzeigen. Diese Arbeit ist vielleicht die wichtigste und wird dennoch in vielen Bereichen des Antifaschismus am wenigsten umgesetzt. Wir möchten diesen Kampf nicht einmal als Antifaschismus bezeichnen, denn er ist Teil des Kampfes für die Einheit der Klasse und die Solidarität gegen alle Arten von Spaltungen, nach Rasse, Geschlecht, Alter, Kategorie usw.

Unter Antifaschismus wird seit jeher der mehr oder weniger direkte Kampf gegen faschistische Organisationen und ihren Diskurs verstanden: die individuelle oder kollektive Konfrontation mit den Nazis, Propagandaarbeit usw. Das Ziel dieses Kampfes muss es sein, die faschistischen Gruppen zu stoppen und ihre Ausbreitung zu verhindern. An diesem Punkt müssen wir überlegen, welche Strategien und Instrumente wir entwickeln sollten, um den Nazigruppen entgegenzutreten. Im Allgemeinen bedeutet dies, dass man ständig Druck ausübt, um es ihnen so schwer wie möglich zu machen, ihre Propagandaarbeit zu verrichten. Die Tatsache, dass Parteien wie DN oder Nación y Revolución keinen öffentlichen Sitz haben oder keine Kundgebungen, Demonstrationen usw. abhalten können, ohne dass es zu Angriffen, Zusammenstößen usw. kommt, ist sicherlich ein gutes Zeichen.

Vielleicht wäre es interessant, zwischen den beiden oben beschriebenen Typen von Faschisten zu unterscheiden. Neofaschistische Gruppen versuchen, Mitglieder und Sympathisanten zu gewinnen, indem sie offen und ausdrücklich ihren Rassismus, ihre Fremdenfeindlichkeit, ihre Homophobie usw. verteidigen. Je mehr Nazis und je lauter sie auftreten, desto besser. Ihr Zielpublikum sind in der Regel junge Leute, Boneheads usw. Aus diesem Grund organisiert NyR (Nación y Revolución) Veranstaltungen in Tirso5, am 2. Mai, usw. Mit diesen provokanten Gesten wollen sie zwei Dinge erreichen: erstens natürlich Medienresonanz und zweitens ihr Image als „harte Jungs“ stärken. Viele argumentieren, dass die antifaschistischen Gegenreaktionen ihr erstes Ziel nur dadurch erleichtern, dass sie ihr Auftreten in den Medien verstärken, und das stimmt auch. NyR hätte nie so viele Fotos bekommen wie nach den Krawallen in Tirso. Diese Bewertung ist jedoch unvollständig, da sie den zweiten Teil nicht berücksichtigt: die Art und Weise, wie sie erscheinen. Es stimmt, dass NyR nach den Krawallen überall im Fernsehen zu sehen war, aber wie sind sie erschienen? Als eine Bande in die Enge getriebener Nazis, die ohne die Polizei in ernsthafte Schwierigkeiten geraten wären. Ihr hartes, eingebildetes Image verschwand in den Rauchkesseln. Das haben die Nazis selbst in ihren eigenen Foren erkannt. Die konkrete Antwort auf diese faschistischen Gruppen besteht darin, ihr Image als harte Kerle, als Supernazis, als Schockkräfte, das für die Kinder, denen sie eine Gehirnwäsche verpassen, so attraktiv ist, jederzeit zu zerstören. Man muss sie schwach aussehen lassen, wie die Arschlöcher, die sie sind, um sie zu demütigen, um sie lächerlich zu machen, auf jede erdenkliche Weise. Durch Propaganda und durch Taten. Die Frage ist also nicht, ob die Taten dieser Nazis eine Reaktion erfordern oder nicht, sondern was die angemessenste Reaktion ist, um sie lächerlich zu machen und ihr Image zu zerstören.

Die zweite Gruppe von Faschisten erfordert vielleicht eine sorgfältigere Analyse und eine konstantere Arbeit, weil ihr Wachstum von Umständen abhängt, die weitgehend außerhalb unserer Reichweite liegen. Gegenwärtig kann die antikapitalistische Bewegung wenig tun, um die Beziehungen zwischen den großen Parteien zu verändern, eine gemeinsame Antwort auf die ökonomische Krise zu finden oder einen charismatischen Führer in der extremen Rechten zu finden. Unsere Schwäche verurteilt uns zu einer fast erwartungsvollen Position, die als erste Barriere der Eindämmung dient, da wir immer noch in der Minderheit sind. In diesem Fall glauben wir, dass die zentrale Strategie darin besteht, den Druck aufrechtzuerhalten, der ihr öffentliches Handeln behindert, und zwar mit den jeweils geeigneten Mitteln, um ihre Botschaft zu entkräften, wo immer sie sie einzubringen versuchen, sei es durch Propaganda oder durch die Praxis echter Solidarität angesichts von Trennungen, indem sie die wahren Täter gegenüber ihren Versuchen, die Schuld auf Sündenböcke abzuwälzen, aufzeigen. All dies, ohne in den paternalistischen, viktimisierenden6 Diskurs der Linken zu verfallen, der den „armen kleinen Einwanderer“ mythologisiert und es der fremdenfeindlichen Botschaft nur noch leichter macht, zur einheimischen Bevölkerung durchzudringen.

Wir können diesen Text nicht beenden, ohne darauf hinzuweisen, was Antifaschismus unserer Meinung nach nicht sein sollte. Bei bestimmten Ansätzen und Positionen kann der Antifaschismus leicht zu einer Verteidigung des demokratischen Kapitalismus in Wort oder Tat werden, oder er kann zu einem Schlachtruf werden, mit dem linke Gruppen und Parteien versuchen, ihre Botschaft oder ihre Kampagnen zu verbreiten, indem sie die große Medienwirksamkeit der Worte „faschistisch“ und „Antifa“ nutzen.

Die erste Möglichkeit ist schon oft diskutiert worden, wenn aus verschiedenen Gründen der Antifaschismus vom Antikapitalismus getrennt wird. Die grundsätzliche Opposition zwischen Kapitalismus und Kommunismus wird durch die Opposition Demokratie-Faschismus ersetzt, d.h. durch die Wahl zwischen verschiedenen Systemen der politischen Verwaltung des Kapitals. Auf diese Weise wird der Kampf gegen den Faschismus zu einem Kampf für die Demokratie und damit zu einem Kampf zur Verteidigung einer Art von Kapitalismus gegen eine andere. In diesem makabren „Spiel“ versuchen die bourgeoisen Kräfte (Demokraten oder Faschisten), die Proletarier in ihr Lager zu holen, die die Kämpfe zwischen den verschiedenen Fraktionen des Kapitals mit ihrem Blut bezahlen werden. Klassischerweise kam diese Position im stalinistischen Volksfrontismus zum Ausdruck, der eine Koalition zwischen den „Arbeiterparteien“ und einigen „liberalen“ bourgeoisen Kräften anstrebte. Dieser sozusagen „demokratische Antifaschismus“ kommt heute in bestimmten Strömungen innerhalb der antifaschistischen Bewegungen zum Ausdruck. Zum Beispiel, indem sie zur Vermittlung der Institutionen im Kampf gegen die Nazis aufrufen („Verbot von Democracia Nacional“, „härtere Knaststrafen für Faschisten“ usw.) oder wenn antifaschistische Demonstrationen unter Beteiligung von Parteien oder Mitgliedern von Parteien, die an der Macht oder in der Opposition sind, stattfinden und sie sogar dazu aufrufen, „die Linke zu wählen“.

Die andere Möglichkeit ist der Antifaschismus als Sammelbecken für Organisationen mit anderen, nicht verwandten Interessen. Aus verschiedenen Gründen übt der Kampf gegen den Faschismus eine Anziehungskraft aus, die kein anderer hat. Auf der einen Seite sehen viele den Faschismus als die schlimmstmögliche Unterdrückung, als verdichtete Darstellung all dessen, was in der Welt oder im Kapitalismus schlecht ist. Andererseits leben wir seit 20 Jahren in einer grundsätzlich jugendlichen Bewegung, die sich ständig erneuert: Man tritt mit 16 Jahren mit Enthusiasmus ein und verlässt sie mit 30 ausgebrannt. Die meisten von uns, die in diese Bewegung eingetreten sind, haben dies über den Antifaschismus, die 20N7 usw. getan, was wie ein Minimum ist, von dem aus man in den Antikapitalismus oder die Linke eintritt, wer weiß. Diese Anziehungskraft, aber auch die mangelnde Definition des Begriffs Faschismus, die dazu führt, dass fast alles, was nach Autoritarismus, Tyrannei oder Ungerechtigkeit riecht, als faschistisch bezeichnet werden kann (von den Nazigruppen bis zur PP, über die bourbonische Monarchie oder die amerikanische Demokratie), machen sich viele bewusst oder unbewusst den Antifaschismus zunutze, um ihrem Kampf mehr Resonanz zu verleihen, um bestimmte Gruppen von Menschen in ihren Kampf einzubinden oder um in bestimmten Umfeldern bestimmte Forderungen oder Kämpfe einzuführen oder zu legitimieren, die vorher nicht so empfunden wurden. Der Kampf für die Republik ist viel mehr gerechtfertigt, wenn die Monarchie als faschistisch bezeichnet wird. Der Kampf für die Selbstbestimmung der Völker ist besser legitimiert, wenn die spanische Nation faschistisch ist, und so weiter. Man ist sogar antikapitalistisch, weil „der Kapitalismus zum Faschismus neigt“ oder direkt „Faschismus ist“. In gewisser Weise geht es darum, den Erfahrungsweg vom Antifaschismus zum Antikapitalismus in der Theorie zu reflektieren. Für uns, die wir als Militante ebenfalls vom Antifaschismus zum Antikapitalismus übergegangen sind, stellt sich die Frage umgekehrt, und wir erklären uns zu Antifaschisten, weil wir Antikapitalisten sind, und wenn wir uns zu Antifaschisten erklären, ist nicht alles gültig, und wir verstehen auch nicht, dass es möglich ist, eine gemeinsame Front zu bilden oder mit irgendjemandem Seite an Seite zu stehen, nur weil man sich als solcher erklärt.


1A.d.Ü., hier ist die Rede der Transición die im spanischsprachigen Raum, vor allem im spanischen Staat, nach dem Tod von Franco 1975, den sogenannten Übergang in die Demokratie beschreibt. Dieser Begriff wird für ähnliche Übergange, wie z.B., Chile und Argentinien, auch verwendet.

2A.d.Ü., gemeint war die harte Repression des Repressionsapparates der spanischen Staates gegen die baskischen Befreiungsbewegung.

3A.d.Ü., siehe Fußnote Nummer Eins.

4A.d.Ü., gemeint ist die faschistische Partei Falange, die sich in verschiedene Parteien gespalten hat, die alle denselben Ursprung für sich beanspruchen.

5A.d.Ü., Tirso de Molina, ein zentraler Platz in Madrid.

6A.d.Ü., Opferdiskurs.

7A.d.Ü., am 20.November 1975 starb Franco und seit dem ist dieser Tag ein Anlass vieler faschistischer Parteien, Organisationen und Persönlichkeiten, in Andenken an Franco und der Diktatur von 1939 bis 1975, Kundgebungen und Demonstrationen abzuhalten. Früher waren solche Kundgebungen massiv, zigtausende Anwesende, haben aber über die Jahre stark abgenommen. Dazu gab es, hauptsächlich in Madrid, Gegendemonstrationen bei denen es nicht selten Ausschreitungen gab.

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(Grupo Ruptura) Für eine revolutionäre Autonomie https://panopticon.blackblogs.org/2021/11/14/grupo-ruptura-fuer-eine-revolutionaere-autonomie/ Sun, 14 Nov 2021 08:55:14 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=2380 Continue reading ]]> Hier ein Artikel aus der Publikation der gleichnamigen Gruppe Grupo Ruptura aus Madrid, aus dem Jahr 2007, aus ihrer ersten Ausgabe. Diese Gruppe entsprang aus jener aufständischen Jugend und Zeit, die die Stadt in den 1990ern prägte. Wir werden einige ihrer Texte veröffentlichen, weil sie vor langer Zeit übersetzt wurden, und wir sie endlich veröffentlichen wollen, irgendwie interessant auch, auch wenn wir nicht alles teilen. Wie man sehen kann, wir finden, dass wir nur interessante Texte veröffentlichen, ob dies noch wem auch auffällt? Prost. Apropos, die Übersetzung ist von uns.


Für eine revolutionäre Autonomie

Am Ende des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts und inmitten der Folgen der proletarischen Niederlage der 1970er Jahre mit der vollständigen Überflutung des Lebens durch Waren und der Zersetzung und Zerlegung des Widerstands der Arbeiter gegen den Kapitalismus stellt sich die Frage: Was tun? Wie auf einen immer gefräßigeren und zersetzenden Kapitalismus reagieren? Zunächst einmal glauben wir, dass es notwendig ist, die bisher eingenommenen Positionen neu zu konfigurieren und mit vielen der Klischees sowohl der so genannten anarchistischen Bewegungen als auch der so genannten revolutionären Linken zu brechen, um die nützlichen beizubehalten und die unbrauchbaren zu zerstören, da wir als Ausgebeutete die gültigen und revolutionären Elemente jedes einzelnen historisch analysierten, glauben wir, dass das revolutionäre historische Projekt nur ein einziges ist und noch materialisiert werden muss. Wir haben keine Angst vor der Revolution und wir werden nicht dasitzen und darauf warten, dass sie kommt, und wir werden sie auch nicht an uns vorbeiziehen lassen, wenn sich die Gelegenheit bietet, indem wir uns auf die Gesetze der Mehrheit berufen.

Dass die Arbeiterklasse heute nicht anwesend ist, ist mehr als klar, und dass sie nicht anwesend ist, bedeutet nicht, dass sie nicht existiert, jeder, der arbeitet, weiß das, natürlich geht die Lohnausbeutung weiter, aber die Ware hat Geschmack und Gewohnheiten vereinheitlicht, und das Bewusstsein, einer faden Mittelklasse anzugehören, hat den Raum geleert, in dem die Kämpfe enthalten waren, und für eine bessere Ausbeutung die Individuen isoliert. Mit der Auflösung der Orte der Klassenkonfrontation, wie Fabriken und klassische Arbeiterviertel, wird die Zeitarbeit im tertiären Sektor zu einer der wertvollsten Handelswaren.

Während die traditionelle Linke weiterhin an das Paläolithische appelliert, indem sie die privilegierten Überreste der gewerkschaftlich organisierten Arbeiterklasse aus früheren Stadien meist staatsabhängiger Produktionsweisen unterstützt, wie die Kämpfe auf den Werften, die Beamten usw., die zutiefst unsolidarisch sind, sogar mit ihren Kollegen die nicht ihre Arbeitsbedingungen teilen, wie Leiharbeiter, oder Angestellte die keine Beamte sind… Wir müssen uns mit den Begriffen befassen, die auf die Existenzbedingungen eines heutigen Proletariats hindeuten, das Bewusstsein in der formlosen Masse isolierter Individuen erlangt, in der Leiharbeit, in der Pauperisierung der Arbeitsverhältnisse, in bestimmten Bereichen der Immigration…

Die leninistischen Thesen sagten uns: „Ohne revolutionäre Theorie kann es auch keine revolutionäre Bewegung geben.“, für uns ist die Revolution das endgültige Ergebnis des täglichen Kampfes der Arbeiter. Für sie ist der Ausgangspunkt der Diskussion nicht der Klassenkampf, sondern die Revolution. Es ist nicht wahr, dass es ohne eine revolutionäre Theorie keine revolutionäre Praxis gibt, wir sehen es ständig, auch ohne das Bewusstsein kann man revolutionär handeln, denn für die neuen Gesellschaftsschichten, die bereits beginnen zu erscheinen, deren objektive Bedingungen beginnen, jeden Tag mehr Bereiche der Gesellschaft zu betreffen, ein Beispiel dafür ist die Senkung der Lebensbedingungen, die durch den Preis der Wohnung im Verhältnis zum Preis des Verkaufs unserer Arbeitskraft gekennzeichnet ist. Wir denken, dass sie das Proletariat bilden, das den dritten Ansturm auf die Klassengesellschaft bilden wird, denn es ist klar, dass sie keine revolutionäre Theorie haben, aber sie werden sich mit der Ausdehnung ihrer Kämpfe damit ausstatten, und es ist die Aufgabe der autonomen Gruppen, die sich unter dieser neuen Form der Ausbeutung organisieren und sich von innen heraus mit einer Theorie ausstatten, die das historische Projekt der Revolution aufnimmt, indem sie von den veralteten und unbrauchbaren Formen der Vergangenheit ebenso lernen wie von den Elementen, die Klarheit bringen können, ohne in Substitutionen oder in Avantgardismus zu verfallen.

Der Prüfstein wird der Konflikt sein, in ihm zeigt jeder sein wahres Gesicht hinter den Reden und in ihm wächst auch das Bewusstsein sprunghaft an, eine effektive Aufgabenverteilung wird wesentlich sein, um Konflikte zu beeinflussen oder zu schaffen, und nicht zwischen politischen und ökonomischen Aufgaben zu trennen, ist die wichtigste historische Lektion, die wir aus der angestrebten Revolution ziehen müssen.

Wir müssen wieder anfangen, Organisation zu schaffen, jede Gruppe auf ihre Weise, aber mit einem Ziel vor Augen: die vergessene Revolution. Wir glauben, dass die Mittel, mit denen wir uns diesem Ziel nähern, vielfältig sind, aber vor allem sind wir uns darüber im Klaren, dass sie weit entfernt sind von jugendlichen Folklorismus, von unreflektiertem Praktizismus, von postmoderner Ästhetik und Vokabular, von der Exklusivität des antirepressiven Kampfes und von der Unterstützung von Bereichen, die dem, was wir als revolutionäres Subjekt entwickeln wollen, fremd sind. Nehmen wir die Analyse der Konflikte um uns herum wieder auf und bewerten wir, ob sie den Keim haben, wie klein er auch sein mag, der unsere Unterstützung verdient, und nehmen wir die Tradition der direkten Aktion (die, weit entfernt von der Anwendung von Gewalt als Mythos, nicht mehr oder weniger ist als die Lösung von Konflikten ohne Vermittler) in ihren vielfältigen Wegen und Formen wieder auf. Fangen wir sofort an, die autonomen Gruppen zu gründen, die es uns erlauben, uns auf wirksame Weise zu artikulieren und das Hau-Ruck Handeln1 zu verlassen, die Revolution wird nicht morgen kommen und hängt nicht nur von unserem Handeln/Aktion ab, so wie sie auch innerhalb des Kapitalismus nicht unvermeidlich ist, aber wenn wir uns nicht auf den Weg machen, ist es sicher, dass wir sie nie verwirklichen werden. Erweitern wir die Solidarität und handeln wir gemeinsam mit ähnlichen Gruppen, die bereits existieren oder dabei sind auf der Grundlage eines klaren gemeinsamen Ziels der Ablehnung des Kapitals und seiner falschen Gegner zu entstehen, auch wenn sie manchmal physisch noch neben uns in einer Versammlung sind (A.d.Ü., die falschen Gegner).

Lasst uns in Kontakt treten und Verbindungen zwischen uns schaffen, das ist die einzige Möglichkeit, die wir haben, um etwas zu bewirken und nicht bei den ersten Schlägen zu fallen.

Unsere Aktionslinien zur Verbreitung und zum Handeln können mehrere sein und nicht deswegen die einzige:

– Die direkte Organisation der Arbeiter und alles, was sie fördert und anregt, sowie ihre Ausdrucksformen.

– Versuchen die Klassenkonflikte zu radikalisieren, aber mit den Füßen auf dem Boden, da wir das Haus nicht vom Dach aus bauen können. In dem Moment, in dem wir uns befinden, wird die (immer schädliche) Anwesenheit der Gewerkschaften für uns keine allzu große Rolle spielen, wenn man die Eigenschaften jedes Konflikts und das, was darin gefordert wird, berücksichtigt. Verkürzung der Arbeitszeit, Verbesserung der hygienischen Bedingungen…

– Egalitarismus und die Ablehnung von Kategorisierungen der Forderungen der Arbeiter und dies als Symptom/Folge für die Entstehung von Klassenbewusstsein.

– Wohnen nicht als Streben nach Privateigentum, sondern als Notwendigkeit, wenn es nur um den Gebrauchswert geht. Die Unterstützung politischer Hausbesetzungen, wenn sie ein subversives Element und kein staatsbürgerliches Bestreben sind.

– Der Kampf gegen die Schädlichkeit und für die Gesundheit, die Lebensmittel, gegen die gentechnisch veränderten Organismen, für die Nutzung des Wassers und gegen seine Entsorgung durch die Hotel- und Gaststättenbourgeoisie.

– Der Kampf gegen den stupiden Konsum, ohne in den verlogenen Anti-Konsum zu verfallen, der uns nur immer mehr von unseren Mitmenschen entfernt und eine isolierende Ästhetik schafft.

– Der Kampf gegen die faschistischen Straßenkräfte, so wie es ist, eine Machtdemonstration gegen ein paar hirnlose Leute und nicht mehr, ohne ihnen mehr Bedeutung zu geben, als sie haben, und ohne alles, was uns umgibt, als Faschismus zu bezeichnen, was die Aufmerksamkeit vom wahren Feind ablenkt: der bourgeoisen Demokratie, die wir genießen.

– Die Enteignung derer, die uns enteignen. Die kollektive Wiederaneignung der Waren der Notwendigkeit, die uns verweigert werden, und die Verweigerung ihres Tauschwerts für ihren primären Gebrauch ist eine Waffe, die, gut eingesetzt, ein gutes zündendes Element sein kann.

– Die Lokalisierung der Gruppen außerhalb der für die Ästhetik und das „Pseudo“ typischen Unterhaltungs- und/oder Treffpunkte ist etwas Grundlegendes, um ein revolutionäres Projekt voranzutreiben.

– Es ist notwendig, deutlich zu zeigen, dass es unmöglich ist, den Kampf für soziale Forderungen in der Sphäre der Legalität aufrechtzuerhalten.

– Die Ablehnung der Lohnarbeit als Negation des freien Lebens, unter Berücksichtigung der kapitalistischen Erpressung und ohne deswegen die Arbeiter geringzuschätzen, was eine sehr schädliche Strömung ist, die man in den pseudoradikalen, meist jugendlichen Milieus hört.

– Ablehnung der Sozialdemokratie, der Gewerkschaften und der Garanten2 des Staates als Form der Umverteilung des Reichtums und als Überbau, der Ausbeutung garantiert und soziale Klassen erzeugt.

– Die Ablehnung der Isolation und der Diskussion in den politischen Kreisen oder Kämpfen, die uns interessieren.3

– Der Internationalismus.

– Die Kämpfe gegen die Kommunikationsmittel, die die kapitalistische Zirkulation vereinfacht.

– Der Kampf gegen Gefängnisse.

Entlang dieser Linien können wir beginnen, zu unterscheiden, was wir tun wollen und sollen und was uns überhaupt nicht interessiert, sowie beginnen, ein klares Programm zu erkennen, das versucht, Klarheit zu schaffen, und das verbreitet werden kann, weg von verwirrenden Ideen und dem Mangel an etwas Klarem, das man den Menschen sagen kann, wenn kapitalistische Spannungen und/oder Krisen auftreten.

Für die Abschaffung der Gesellschaft die die Klasse kontrolliert.

Für den Kommunismus, für die Anarchie. Für den Bruch (Ruptura).

1A.d.Ü., im Originaltext ist die Rede von inmediatismo was eine „eine schnelle, unreflektierte Art des Denkens und Handelns, die nur die unmittelbarsten Ereignisse berücksichtigt“ bedeutet.

2A.d.Ü., z.B., Wohlfahrtsstaat, Soziale Hilfe, Hartz IV…

3A.d.Ü., diesen Satz haben wir auch nicht verstanden, ist zu unklar, dieser ergibt keinen Sinn, hier auf Spanisch: „El rechazo a su vez del aislamiento y de la discusión en los ámbitos políticos o de lucha que nos interesen.“

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