Krieg – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org Für die Anarchie! Knäste, Staat, Patriarchat und Kapital abschaffen! Thu, 03 Apr 2025 11:31:03 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://panopticon.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1233/2020/02/cropped-discharge-degenerik-blog-1-32x32.jpg Krieg – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org 32 32 Kommentar zu einem Graffiti eines „unbekannten“ Künstlers https://panopticon.blackblogs.org/2025/03/23/kommentar-zu-einem-graffiti-eines-unbekannten-kuenstlers/ Sun, 23 Mar 2025 16:32:04 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6238 Continue reading ]]>

Gefunden auf den Blog von Lukas Borl, die Übersetzung ist von uns.


Kommentar zu einem Graffiti eines „unbekannten“ Künstlers

Ich dachte immer, dass alles seine Grenzen hat. Aber als ich das Graffiti auf dem beigefügten Foto sah, dachte ich, dass die politische Verwirrung des Künstlers absolut grenzenlos ist. Ein anarchistisches Symbol in den Namen eines Staates einzubauen, erfordert viel Verrücktheit. Vielleicht weiß der Autor nicht, dass Anarchie die Negation aller Staaten ist, d. h. Russland, Tschechische Republik, Ukraine, Frankreich und aller anderen Staaten. Vielleicht ist es für ihn nicht wichtig, dass Anarchistinnen und Anarchisten schon immer von allen Staaten verfolgt, kriminalisiert, inhaftiert und unterdrückt wurden – von totalitären und demokratischen. Vielleicht denkt der Autor, dass, wenn wir ein anarchistisches Symbol in den Namen eines Staates einfügen, der Staat aufhört, ein Staat zu sein, und sich in Anarchie verwandelt. Wenn es nur so einfach wäre.

Wer weiß, vielleicht sehen wir das nächste Mal dasselbe anarchistische Symbol in den Worten „StAat“ oder „ČeskÁ RepublikA“. Diese Wörter enthalten auch den Buchstaben „A“, sodass die verwirrten Graffiti-Künstler gutes Material für ihre Arbeit haben.

Für diejenigen, die sich nicht für politische Verwirrung interessieren, sind andere Bereiche vielleicht interessanter. Zum Beispiel Fakten über die Natur des Staates, der den Namen Ukraine trägt.

  • Die Ukraine ist ein Staat, der seine Grenzen für einen Großteil seiner männlichen Bevölkerung geschlossen hat und diese Menschen somit in einem Kriegsgebiet gefangen hält.
  • Die Ukraine ist ein Staat, dessen Armee Männer im wehrfähigen Alter verfolgt und sie gewaltsam an die Front zwingt, wo sie der Gefahr schwerer Verletzungen oder des Todes ausgesetzt sind.
  • Die Ukraine ist ein Staat, dessen Grenzschutz Deserteure verfolgt, foltert und ermordet.
  • Die Ukraine ist ein Staat, dessen Gerichte Deserteure strafrechtlich verfolgen und dessen Gefängnisse sie einsperren. Derzeit sprechen offizielle Statistiken von mehr als 200.000 Deserteuren, aber es gibt wahrscheinlich noch weitere, die nicht offiziell registriert sind.
  • Die Ukraine ist ein Staat, dessen Gerichte derzeit politische Prozesse gegen Antimilitaristinnen und Antimilitaristen wegen „Diskreditierung der Streitkräfte des ukrainischen Staates“ führen.
  • Die Ukraine ist ein Staat, der bestimmte politische Einheiten wegen „Unterstützung und Förderung der kommunistischen Ideologie“ kriminalisiert, was logischerweise auch anarchistische Gruppen betreffen könnte, die sich auf Klassenkampf und anarchistischen Kommunismus beziehen.
  • Die Ukraine ist ein Staat, der eine diskriminierende Politik gegenüber der russischsprachigen Bevölkerung betreibt.
  • Die Ukraine ist ein Staat, der rechtsextreme Gruppierungen wie Asow, die Bruderschaft, den Rechten Sektor, die Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN) usw. integriert hat.
  • Die Ukraine ist ein Staat, der der Bourgeoisie, die die Arbeiterklasse stark ausbeutet, Schutz bietet. Arbeiterinnen und Arbeiter in der Ukraine erhalten normalerweise 20.000 Griwna (= 460 Euro) für einen Monat Arbeit, während die Preise für Grundnahrungsmittel denen in der Tschechischen Republik ähneln.
  • Der ukrainische Staat unterdrückt den Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen.
  • Die Ukraine ist ein Staat, der weniger brutal ist als Nachbarstaaten wie Russland oder Belarus, aber dennoch in seinem Kern die Privilegien der Kapitalistenklasse auf Kosten der Arbeiterklasse verteidigt.
  • Die Ukraine ist ein Staat, der insbesondere den Teil der Arbeiterklasse unterdrückt, der in Bezug auf die Staatsbürokratie in die Kategorie „ukrainische Staatsbürger“ fällt.
  • Die Ukraine ist ein Staat, der alle Widersprüche der Klassengesellschaft und damit das ganze Elend des proletarischen Lebens bewahrt.

Die Ukraine ist ein Staat, also ein Feind der Anarchie!

]]> Ich lasse mich nicht einschüchtern https://panopticon.blackblogs.org/2025/03/23/ich-lasse-mich-nicht-einschuechtern/ Sun, 23 Mar 2025 16:29:20 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6236 Continue reading ]]>

Gefunden auf dem Blog von Lukas Borl, die Übersetzung ist von uns.


Ich lasse mich nicht einschüchtern

In der Vergangenheit habe ich eine ausführliche Analyse darüber veröffentlicht, wie bestimmte Individuen und Gruppen versuchen, mich zu isolieren, mein Privatleben anzugreifen, meine Sicherheit zu bedrohen und die antimilitaristischen Aktivitäten, an denen ich mich beteilige, zu sabotieren. Eines der Beispiele war eine Beschreibung, wie ein Mitglied des Trhlina-Infoladens und der Anarchistická federace (Anarchistische Föderation) einem Freund von mir mitteilte, dass ich Gefahr lief, eine heftige Reaktion militanter Antifaschisten zu provozieren. Mit anderen Worten: Die Person aus Trhlina und die Anarchistická federace haben mir gedroht. Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht klar, ob die Drohung wahr werden würde. Jetzt ist es klar. Am Samstag, dem 8. Februar 2025, wurde ich im Prager Club 007 von einem dieser militanten Antifaschisten tätlich angegriffen.

Was ist passiert?

Der Angreifer wartete, bis die meisten meiner Freunde den Club verlassen hatten, und folgte mir auf die Toilette, wo er mir mehrmals ins Gesicht schlug. Nein, ich bin nicht überrascht, dass er eine so hinterhältige Methode gewählt hat. Ich habe so viel Intrigen von seinen Kumpanen gesehen, dass ich von ihnen jetzt nichts anderes als Gemeinheit, Skrupellosigkeit und Heuchelei erwarte.

Bevor „Mr. Hero“ mich körperlich angriff, versuchte er mir auch in wenigen Worten zu „erklären“, dass ich die Verteidigung der Ukraine nicht ablehnen sollte. Er gab mir keine Gelegenheit, meine Argumente vorzubringen, warum ich die Verteidigung der Ukraine oder die Verteidigung Russlands, die Verteidigung der Tschechischen Republik oder die Verteidigung eines anderen Staates nicht unterstütze. Ich bin Anarchist, daher kämpfe ich gegen alle Staaten. Gegen faschistische Staaten ebenso wie gegen demokratische, stalinistische, monarchistische …

Anstatt die Ukraine zu verteidigen – also einen bestimmten Staat und sein Regime – ziehe ich es vor, die auf ukrainischem Gebiet lebende Arbeiterklasse zu unterstützen und zu verteidigen, denn einerseits wird sie jetzt durch Putins Invasion massakriert, andererseits wird sie von der ukrainischen Regierung verfolgt und unterdrückt und von ukrainischen Kapitalisten stark ausgebeutet.

Ich denke, es wäre ohnehin sinnlos, so etwas der Person zu erklären, die mich angegriffen hat. Ich bezweifle, dass er den Kern der Sache verstehen würde. Es war nicht das erste Mal, dass er mir gezeigt hat, dass er eine starke Vorliebe für hartes Macho-Gehabe hat, aber keine ernsthafte politische Analyse.

Ich kann nicht schweigen

Ich halte es für wichtig, diesen Vorfall öffentlich zu thematisieren. Er ist ein konkretes Beispiel für die Heuchelei derer, die im Internet Erklärungen veröffentlichen, in denen sie sich als unschuldige Opfer stilisieren, die verletzt werden, während sie in Wirklichkeit zu Aggressionen gegen Gegner aus dem anarchistischen Milieu anstiften und diese unterstützen.

Ich will die Tatsache nicht verhehlen, dass mich dieser Vorfall erschüttert hat. Ich war sehr frustriert, wütend und fühlte mich hilflos. Aber ich habe diese starken Emotionen schnell verarbeitet. Unter anderem dank der Menschen, die sich für mich eingesetzt haben, mir die nötige emotionale Unterstützung gaben und mir versicherten, dass ich damit nicht allein war.

Auch wenn ich weiß, dass es legitime Gründe gibt, Gewalt gegen manche Menschen anzuwenden, verspüre ich im Moment keine Lust auf Vergeltung. Es ist nur so, dass ich mich in einer ähnlichen Situation vermutlich genauso verhalten würde wie ein Tier, das in die Enge getrieben wurde und fest zubeißt, um sich aus der Gefahr zu befreien. Ich bin kein Pazifist , und ich weiß, dass es Zeiten gibt, in denen bloße Hände nicht ausreichen, um sich zu verteidigen. Jeder, der in Zukunft versucht, mich und/oder meine Freunde anzugreifen, sollte sich dessen bewusst sein.

Mein blaues Auge und die Schmerzen in meinem Gesicht werden mit der Zeit sicherlich nachlassen, aber meine Bereitschaft, Antikriegsaktivitäten zu unterstützen, wird bleiben. Da bin ich mir sicher. Wer mich angegriffen hat, mag es nicht bemerken, weshalb es für ihn und seine Macho-Crew wichtig ist, dies zu lesen: Ich lasse mich nicht einschüchtern! Was in dieser Nacht passiert ist, bestärkt mich nur darin, den eingeschlagenen Weg weiterzugehen.

Wer diesen Weg ebenfalls einschlagen möchte, dem empfehle ich, die Spendenaktion für Deserteure und Kriegsflüchtlinge der Anti-Militaristischen Initiative (AMI) zu unterstützen.

Außerdem empfehle ich die Publikation Voices from Ukraine“. In diesen Publikationen veranschaulicht das anarchistische Kollektiv Assembly aus Charkiw die Positionen von Revolutionären, die an einem Ort leben, an dem Krieg herrscht.

]]> Hintergrund des Vorfalls auf der Anarchistischen Buchmesse in Graz https://panopticon.blackblogs.org/2025/03/23/hintergrund-des-vorfalls-auf-der-anarchistischen-buchmesse-in-graz/ Sun, 23 Mar 2025 16:27:00 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6234 Continue reading ]]>

Gefunden auf dem blog von Lukas Borl, die Übersetzung ist von uns.


Hintergrund des Vorfalls auf der Anarchistischen Buchmesse in Graz

Vom 19. bis 21. September fand in der österreichischen Stadt Graz die Anarchistische Buchmesse statt, an der ich auf Einladung des Organisationskollektivs aktiv teilnahm. Während der Buchmesse kam es zu einem Zwischenfall zwischen mir und einer anderen Person. An diesem Tag begann alles mit einem verbalen Konflikt, der anschließend in einen physischen Konflikt eskalierte. Um den Beginn dieses Konflikts zu finden, ist es jedoch notwendig, in die Vergangenheit und ihre Kontexte zu blicken, die für die Menschen auf dieser Veranstaltung (oder außerhalb) möglicherweise nicht offensichtlich waren. Deshalb habe ich mich entschlossen, diesen Text zu schreiben und den Kontext, die Geschichte und die Tragweite dieses Konflikts zu klären. Ich möchte auch die Vorstellung in Frage stellen, dass es sich um eine Art „Frosch-und-Maus-Krieg“ handelt, bei dem sich jemand unnötigerweise wegen unbedeutender Streitigkeiten gegenübersteht. Es handelt sich sicherlich nicht um einen rein persönlichen Streit zwischen zwei Personen oder um das Ergebnis toxischer Männlichkeit. Wie ich in diesem Text zeige, entscheidet sich in diesem Konflikt die Zukunft der anarchistischen Bewegung und ob sie überleben und sich praktisch weiterentwickeln kann oder sich in eine weitere Kraft verwandelt, die in die kapitalistische Gesellschaft integriert ist und zur Erhaltung des Kapitalismus beiträgt.

Um den gesamten Kontext zu erklären, kann ich mich nicht auf ein paar Sätze beschränken. Mir ist klar, dass dies eine gewisse Grenze für meine Bemühungen darstellt. Ich bitte die Leser um Geduld und Respekt dafür, dass dieser Text so umfangreich ist.

Ich glaube, dass jeder, der wirklich daran interessiert ist, dieses Thema zu verstehen, den ganzen Text lesen wird, auch wenn dies viel Zeit und Energie erfordert.

Ich habe den Eindruck, dass die moderne Lesemethode von der Idee geleitet wird, dass man sich nicht zu sehr anstrengen muss – es sollte einfach sein, so kurz wie möglich und sofort Freude bereiten. Natürlich sind das alles Illusionen. Nichts wirklich Wertvolles kann ohne Anstrengung und sogar ohne Opfer und Disziplin erreicht werden.“

Erich Fromm

***

Was sagt und unterstützt diese Person?

Zunächst möchte ich einen Teil einer Geschichte erzählen, in der ich meine erste Begegnung mit der Person beschreibe, der ich in Graz gegenüberstand.

Auf dem Fluff Fest in Rokycany (Hardcore-Musikfestival in Westböhmen) am 30. Juli 2022 organisierte die Anarchistische Föderation eine Präsentation mit dem Titel „Anarchisten und der Krieg in der Ukraine“1. Diese Person war aktiv an der Organisation dieser Präsentation beteiligt. Ich würde diesen Vortrag kurz als eine Mischung aus Kriegspropaganda und Unterstützung für Militarismus, verpackt in linke Terminologie, beschreiben. Ihr Ziel war es, ideologisch zu rechtfertigen, warum Anarchisten am Krieg teilnehmen sollten. Ein wesentlicher Teil bestand aus demagogischen Äußerungen und unsinnigen Anschuldigungen gegen ihre ideologischen Gegner. Die Gegner hatten nicht einmal die Möglichkeit zu reagieren.

Im Gegenteil, was fehlte in dieser Präsentation? Zum Beispiel die Kritik am ukrainischen Nationalismus und die konsequente Kritik an imperialistischen Mächten, die nicht nur Russland sind. Kritik an der mythischen Gegenüberstellung von Diktatur und Demokratie. Kritik am Antifaschismus, der im Namen des Kampfes gegen Faschismus/Totalitarismus für demokratische Formen des Kapitalismus kämpft …

Kurz gesagt, es fehlte die Fähigkeit, den gesamten Kontext der Kriegssituation zu analysieren.

Und was habe ich bei dieser Präsentation erlebt? Die Redner warfen ihren Gegnern (d. h. Antimilitaristen und Kriegsgegnern) „koloniales Denken“ vor, weil Kritik am ukrainischen Nationalismus und Kritik an den Beziehungen zwischen der NATO und der Ukraine nichts anderes als Ausdruck des Gefühls kultureller/ideologischer Überlegenheit sei. Konterrevolutionäre und reaktionäre Kräfte zu kritisieren, ist anscheinend nicht zulässig, weil wir nicht in der Region leben, in der sie stattfinden.

Wir müssen schweigen. Oder besser noch, unsere Energie in ihre Unterstützung stecken. Wenn man außerhalb der Ukraine lebt, hat man kein Recht auf eine eigene Meinung zum Krieg in der Ukraine. Man muss alles akzeptieren, was die ukrainische Bevölkerung sagt. Wenn man eine andere Meinung vertritt, ist das nur ein „Überbleibsel der kolonialen Vergangenheit und postkolonialen Gegenwart des Westens“. Selbst wenn man nicht im „Westen“, sondern in Mittel-/Osteuropa oder auf dem Balkan lebt. Aber was ist, wenn die eigene Meinung mit den antimilitaristischen Positionen der Menschen in der Ukraine übereinstimmt (wie z. B. die anarchistische Gruppe Assembly plus Tausende anderer Proletarier)? Das spielt keine Rolle. Für diese Menschen ist es nur die Stimme einer kleinen Gruppe verblendeter Dogmatiker.

Wer würde sich schon die Mühe machen, fast 45 Millionen Ukrainer zu fragen, was sie denken?“, fragten sie sarkastisch, wenn sie internationalistische Revolutionäre kritisierten. Vielleicht, um den Mythos zu stärken, dass ihre kriegsfreundliche Haltung im Grunde das Ergebnis des Zuhörens auf die Stimme der gesamten ukrainischen Bevölkerung ist. Aber irgendwie haben sie „vergessen“ zu erwähnen, dass sie hauptsächlich auf die Stimmen der ukrainischen Nationalisten, der Bourgeoisie, der Politiker und der Bürokraten des ukrainischen Staates und einiger weniger Personen in der sogenannten „Anti-autoritären Einheit“ hören. In Wirklichkeit verbirgt diese Einheit hinter der Maske des Antiautoritarismus ihre Zusammenarbeit mit Nationalisten und Kriegsverbrechern, wie in einem Artikel mit dem Titel „Kollaboration von kriegsfreundlichen Anarchistinnen und Anarchisten mit der extremen Rechten. Die Masken wurden abgenommen oder das Scheitern des Mythos vom ‚antiautoritären Widerstand‘2

Es ist auch offensichtlich, dass sie die Stimmen Tausender Proletarier ignorieren, die sich der Zwangsrekrutierung widersetzen oder desertieren. Und einige von ihnen fordern uns auf, einen internationalistischen Kampf für die Öffnung der ukrainischen Grenzen zu organisieren, die das Selenskyj-Regime am ersten Tag von Putins Invasion für alle Männer geschlossen hat. Warum sollten sie darüber sprechen, wenn sie den Mythos aufrechterhalten wollen, dass die meisten Ukrainer freiwillig dem Ruf folgen, ihrem Land zu dienen, und sich in die Warteschlangen vor den Rekrutierungsbüros einreihen?

Eine genauere Beschreibung der ukrainischen Projekt Assembly:

Es hat sich herausgestellt, dass es im Land bereits eine kritische Masse an Menschen gibt, die die militaristischen Ausschreitungen satt haben: Für zu viele Menschen ergibt es keinen grundlegenden Unterschied mehr, unter welcher Flagge sie ausgeraubt werden. Diese dumpfe, hoffnungslose Verzweiflung lähmt einerseits den Willen, sich sozial zu engagieren, andererseits kann sie die Menschen dazu bringen, darüber nachzudenken, wie sie es anstellen können, damit sie überhaupt nicht ausgeraubt werden. Aus diesem Grund sagen wir, dass eine revolutionäre Situation bevorsteht.“

Obwohl es gewisse Einschränkungen bezüglich Reisen aus der Ukraine heraus und einige Rekrutierungsversuche gibt, schließt sich die Mehrheit der Männer freiwillig der Armee an“, predigen die Redner. Ich denke, wenn sie dies in den Augen von Männern sagen würden, die auf den Straßen der Ukraine gejagt und gegen ihren Willen an die Front geschickt werden, würden nicht viele zögern und diesen Rednern zumindest ein paar Ohrfeigen verpassen, um sie aus dem Traum zu wecken, in dem sie leben. Ich kann mich erneut auf den Artikel der Gruppen Assembly von Charkiw beziehen, der von Tausenden Männern berichtet, die sich der Zwangsrekrutierung widersetzen, von ihren Müttern, Partnerinnen und Schwestern, die Proteste gegen die Rekrutierung organisieren usw.3

Warum sollte Selenskyj die Grenze schließen und das Rekrutierungsgesetz verschärfen, wenn die meisten Männer freiwillig zur Armee gehen? Das ist eine logische Frage, aber die Redner erlauben es keinem Zuhörer, sie zu stellen.

Sie halten sich an die vorgegebene Linie: Wir sprechen, ihr hört zu und vor allem seid ihr ruhig. Und verlasst euch nicht darauf, dass wir nach dem Vortrag Raum für Feedback lassen.

„Die Ukraine ist ein souveräner Staat, der von seinem viel mächtigeren Nachbarstaat angegriffen wurde“, behaupteten die Redner wütend, als ob die größte Sorge von Anarchistinnen und Anarchisten die Souveränität dieses oder jenes Staates sein sollte. „Außerdem ist ein Land der Aggressor – und zwar ein sehr rücksichtsloser – und das andere ist ein Opfer, das sich verteidigt“, fuhren die Redner fort und verteidigten einen Staat gegen den anderen.

Zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch keinen Kontakt zu Ilja, der aus der Ukraine geflohen war, um der Zwangsrekrutierung zu entgehen. Jetzt denke ich über das nach, was er gesagt hat: „Als ich vor einer passiven Menschenmenge von einem Soldaten in ukrainischer Uniform zusammengeschlagen wurde, weil ich mich geweigert hatte, Einberufungspapiere entgegenzunehmen, wurde mir sehr deutlich, dass die ukrainische Armee nicht hier ist, um mir zu helfen, sondern dass sie eine unmittelbare Gefahr für mich darstellt. Erst gestern wolltet ihr, dass ich Unternehmer, Fabrikarbeiter oder Angestellter werde, der euch Steuern bringt, und jetzt wollt ihr, dass ich ein Schütze und Wächter eures Territoriums bin.“4

Ich habe auch die Worte des Kollektivs Assembly aus Charkiw im Kopf; die sagten:

Stellen dir vor, dein Nachbar (Russland) zündet dein Haus an, du oder jemand aus deiner Familie ist drinnen, und draußen steht jemand, der von deinen Steuern lebt, mit vorgehaltener Waffe, verbietet dir, rauszukommen, und verlangt, mit dem Haus zusammen niederzubrennen. Kannst du dir das vorstellen? So ist das Verhältnis zwischen den Menschen und dem Staat in der Ukraine …“5

Jeden Tag hörte ich Geschichten darüber, wie ein anderer russischsprachiger Mann in Lwiw gewaltsam an die Front gezwungen wurde. Aber kaum jemand glaubte daran, weil die offiziellen Medien von endlosen Schlangen von Freiwilligen sprachen“,sagt Ilja.

Selbst einige Medienunternehmen sind manchmal bereit, uns darüber zu informieren, wie aggressiv der ukrainische Staat sein kann.

Seit Beginn des Krieges haben sich bereits Tausende Ukrainer dazu entschlossen, zu fliehen. Zu Beginn des Krieges verbot die Regierung Männern, die Grenze zu überqueren, sodass ein solcher Versuch illegal ist. Dennoch fliehen die Ukrainer in alle Richtungen, oft über die Berge. Einige gingen nach Polen und Ungarn, andere in die Slowakei. Oder nach Rumänien.

Im letzteren Fall müssen sie den Fluss Theiß überqueren, der einen beträchtlichen Teil der rumänisch-ukrainischen Grenze bildet. Und der jetzt als Fluss des Todes bezeichnet wird. Steile Ufer und ein schlammiges, mit Felsbrocken übersätes Flussbett machen die Flucht zu einem Kampf ums Überleben. Mindestens 22 Menschen haben bereits mit ihrem Leben bezahlt, weil sie versucht haben, die Theiß zu überqueren. Über sechstausend Männer haben bereits Rumänien erreicht.“6

Ist der ukrainische Staat wirklich nur ein Opfer, das sich verteidigt? Ist er nicht auch ein bisschen (oder viel!) aggressive Macht, die die lokale Bevölkerung gefährdet, die jetzt Putins Invasion als Vorwand missbraucht?

Vielleicht nur, um den Behauptungen, Russland sei der einzige imperiale Aggressor in diesem Krieg, etwas Gewicht zu verleihen, betonten die Redner, dass „keine anderen NATO-Armeen in der Ukraine kämpfen“. Dass die ukrainische Armee vollständig von Waffen aus NATO-Lagern abhängig ist, ist vielleicht nur eine winzige Banalität, oder? Die Interessen der westlichen Mächte an der Fortsetzung des Krieges sind auch eine Banalität. Sind die Bedingungen für die militärische Hilfe der NATO in der Ukraine eine weitere Banalität, die nicht der Rede wert ist? Sie war keinem der Redner, die 2002 an den anarchistischen Protesten gegen die NATO in Prag teilnahmen, der Rede wert. Diese Person bezeichnet mich gerne als „dogmatisch“. Ich würde ihn in dieser Angelegenheit als Opportunisten und Heuchler bezeichnen. Warum? Er ist in der Lage, Artikel7 in einer anarchistischen Zeitschrift zu veröffentlichen, die sich für eine internationalistische Ablehnung des Krieges, revolutionären Defätismus, eine klare Klassenanalyse und die Ablehnung aller nationalistischen Tendenzen einsetzt … und dann, einige Jahre später, in einer Kriegssituation, für völlig entgegengesetzte Positionen zu diesen Artikeln argumentiert. An einem Tag protestiert er gegen die Politik der NATO, am nächsten „unterstützt er mit Kritik“ die Politik der NATO. Nun kann jeder selbst beurteilen, ob dies etwas anderes als Opportunismus und Heuchelei ist.

Menschen wie er verstecken sich immer hinter Phrasen wie „Pragmatismus als Alternative zum Dogmatismus“, „kritischer Unterstützung“ oder sogar „taktischer Allianz“ mit unseren Feinden. Sie erkennen nie an, dass Putins Russland nicht der einzige bedeutende Akteur ist, der ein Interesse am und eine Rolle im Krieg in der Ukraine hat.

Die Gefahr einer nuklearen Eskalation ist der Grund dafür, dass die NATO alles tut, um zu eskalieren und gleichzeitig ihre Spuren zu verwischen“, bemerkt Bill Beech treffend in dem Artikel ‚War on Anarchism‘8.

Nach den langen Monaten dieses langwierigen Krieges kann nur ein völliger Ignorant oder Demagoge mit bösen Absichten die Rolle des westlichen imperialistischen Blocks, angeführt von den USA und unterstützt von den NATO-Mitgliedstaaten, in diesem Konflikt leugnen. Und dennoch verbreiten diese Leute weiterhin Aussagen wie: „Wir haben von Anfang an argumentiert, dass der Beginn eines umfassenden Krieges in der Ukraine am 24. Februar 2022 eine imperialistische Aggression des russischen Staates ist. Das gilt immer noch.“ Mit anderen Worten reduzieren sie den Konflikt auf eine Schwarz-Weiß-Geschichte: „Das diktatorische russische Reich als alleiniger Aggressor gegen nicht-aggressive demokratische Länder ohne eine imperialistische Natur.“ Und was bedeutet das für ihre Praxis? Sie stellen dem ukrainischen Staat und dem westlichen imperialen Block finanzielle, materielle und propagandistische Ressourcen zur Verfügung, trotz ihrer vagen Aussagen und Beteuerungen, dass sie nur das ukrainische Volk unterstützen, nicht den Staat. Ihre reduktionistische Logik lässt sie nicht verstehen, dass Konzepte wie „Volk – Selbstbestimmung der Völker – Nation – nationale Befreiung – Staat – Kapitalismus“ nicht voneinander getrennt werden können. Sie sind ein integraler Bestandteil des kapitalistischen Komplexes.

Und Anarchistinnen und Anarchisten müssen alle seine Teile zerstören.9 Ohne den Zusammenhang zwischen diesen Konzepten zu verstehen, ist es für sie leicht zu argumentieren, dass sie eine staatliche Armee unterstützen können, ohne den Staat zu unterstützen, für die nationale Befreiung kämpfen können, ohne die Position der herrschenden Klasse einer bestimmten Region zu stärken, Ressourcen für die Selbstbestimmung der Völker bereitstellen können, ohne der lokalen Bourgeoisie zu helfen, die Bedingungen des proletarischen Elends zu diktieren. Sie sehen den Widerspruch nicht, weil sie den Zusammenhang nicht sehen können. Und wie ich im nächsten Teil dieses Textes zeigen werde, greifen sie diejenigen an, die die Probleme ihrer Widersprüche aufdecken und hervorheben.

Neben dem Reduktionismus spielt der Populismus für diese Menschen auch eine wichtige Rolle, wie wir zum Beispiel an der Meinung der Autonomous Action sehen können, die die Anarchistische Föderation bereitwillig teilt:

Unter den Ukrainern herrscht die Meinung vor, dass jetzt Widerstand erforderlich ist, und dieser Widerstand wird derzeit in erster Linie mit der AFU in Verbindung gebracht. Die Anwesenheit von Anarchisten in den Reihen der AFU ist daher nützlich, um den Respekt der Menschen zu gewinnen.“10

Die AFU ist die offizielle Armeestruktur des ukrainischen Staates, und aus dem obigen Zitat geht hervor, dass die Hauptsorge dieser „Anarchisten“ darin besteht, wie sie die Menge zufriedenstellen können. Deshalb werden sie immer alles unterstützen, von dem sie glauben, dass es in der Gesellschaft mehrheitsfähig ist oder eine dominante Stellung einnimmt. Heute ist es die Unterstützung der nationalen Armee. Was wird es morgen sein? Werden sie die Unterstützung der parlamentarischen Parteien fordern, weil die meisten Menschen die repräsentative Demokratie als wirksames Mittel zur Verbesserung ihrer Lebensbedingungen ansehen? Werden sie uns das nächste Mal bitten, uns der Polizei anzuschließen, weil die vorherrschende Meinung in der Gesellschaft ist, dass die Polizei uns beschützt?

Diese Art von Populismus ist toxisch. Menschen, die ihn praktizieren, können revolutionäre Positionen niemals akzeptieren: Sie werden immer sagen, dass revolutionärer Kampf im Moment nicht realistisch ist und uns die Gunst der Massen kosten könnte. Sie werden immer nur ein Schwanz sein, der hinter den Massen wedelt – egal wie konterrevolutionäre oder reaktionäre Ansichten von dieser Masse geäußert werden. Der Respekt der Menschen, d. h. die Gunst der Massen, ist ihr wichtigstes programmatisches Mittel. Aus der Logik dieser Position heraus werden sie revolutionäre Impulse immer als kontraproduktiv ablehnen, da ein konsequenter revolutionärer Kampf immer auf die Missbilligung ordentlicher Staatsbürger stoßen wird, die den Status quo verteidigen.

Denken wir darüber nach, was dieser Populismus, wie oben zitiert, in der Praxis bedeutet. Je länger der Krieg dauert, desto mehr Nachrichten über „Anarchisten“, die an der Front getötet wurden, werden veröffentlicht. Mit anderen Worten, die unbedeutende Handvoll Abenteurer, die für den Krieg bedeutungslos ist, wird immer kleiner. Was wird davon übrig bleiben, wenn der Krieg endet? Die meisten dieser Krieger werden nicht mehr am Leben sein, also wer wird von dem „Respekt des Volkes“ profitieren? Was nützt den toten Proletariern irgendein Respekt? Und wie können tote Proletarier diesen Respekt nutzen, um eine anarchistische Gesellschaft zu schaffen? Wahrscheinlich werden es vor allem Liberale aus der Mittelklasse sein, die sich die ganze Zeit in der sicheren Zone versteckt haben, die die „Märtyrer“ feiern werden, die für „unsere Sache“ gefallen sind.

Nennt mich also einen Dogmatiker, einen Arroganten, einen Sektierer oder was auch immer ihr wollt. Ich sehe jedoch wirklich keinen Grund, unser Leben zu opfern, damit einige Akademiker an Universitäten den historischen Mythos von der enormen Bedeutung heldenhafter, „antiautoritärer Kämpfer“ im nationalen Befreiungskampf am Leben erhalten können.

Schließlich bringen der oben erwähnte Reduktionismus und der Populismus ihren dummen Slogan gut zum Ausdruck: „Das Imperium wird fallen, die Solidarität wird siegen“. Ihrer Meinung nach gibt es nur ein Imperium – Russland – und wenn jemand es wagt, auf den schwerwiegenden Fehler in ihrer Analyse hinzuweisen, ist ihre Reaktion immer dieselbe. Normalerweise behaupten sie: „Ihr seid Putinisten, weil Leute, die so etwas sagen, nur auf die Stimmen aus Moskau hören.“ Diese Aussagen, die nach „Russophobie“ riechen, sind falsch. Sie zielen darauf ab, die Opposition durch eine Kategorisierung zu diffamieren, die nicht der Realität entspricht. Weder ich noch einer meiner antimilitaristischen/internationalistischen Freunde haben jemals Unterstützung für Putin und/oder den Putinismus geäußert. Wir haben uns immer gegen den Imperialismus des russischen Staates gestellt, und es muss betont werden, dass wir auch gegen die imperialistischen Blöcke sind, die mit Russland um die Einflusssphäre und die Umverteilung der „postsowjetischen Gebiete“ konkurrieren. Dennoch werden wir für angeblichen Putinismus kritisiert, den wir in Wirklichkeit genauso verabscheuen wie die Politik des Regimes von Selenskyj oder die Kriegspolitik der NATO, Israels, der Hamas, der Hisbollah und so weiter.

Um es klar zu sagen: Die Behauptung, dass auch andere imperiale Aggressoren eine bedeutende Rolle in diesem Krieg spielen, bedeutet nicht, dass wir die Aggression des russischen Imperiums in Frage stellen, und es ist auch kein Ausdruck von Sympathie dafür. Es ist nur der Versuch, den Gesamtkontext zu verstehen. Es ist eine Sichtweise, die die Rolle aller bedeutenden Akteure/Aggressoren berücksichtigt. Was meine Gegner als Analyse betrachten, ist in höchstem Maße unanalytisch. Es ist eine Mischung aus Populismus, Reduktionismus, Demagogie und Opportunismus. Sie nehmen einen Teil des Ganzen, überschätzen seine Bedeutung und ignorieren andere Teile oder verharmlosen ihre Bedeutung. Aber wie können wir einen komplexen Mechanismus/ein komplexes Phänomen/einen komplexen Prozess auf diese Weise verstehen? Wir können es nicht! Das ist unmöglich. Es ist, als würde man versuchen, das Bewegungsprinzip eines Autos zu verstehen, indem man die Funktion seines Lenkrads überschätzt, ohne die Funktion seiner Räder, seines Motors, seines Kraftstoffverbrennungsprozesses, der physikalischen Gesetze der Anziehung, der Aerodynamik usw. zu berücksichtigen. Ebenso ist die Bewegung eines Autos nicht nur das Ergebnis der Funktion des Lenkrads; es ist nicht der Krieg in der Ukraine, nur das Ergebnis des russischen Imperialismus. Aber versucht mal, das der Person zu erklären, mit der ich in Graz eine Konfrontation hatte, und vermeidet es, von ihm und seinen Kumpanen aggressiv angegriffen zu werden. Mir ist das noch nicht gelungen. Nun, um mich auszudrücken, ja, aber nicht ohne dann Angriffen, Sabotage, Verleumdung, Diffamierung, Ausgrenzung und Bedrohungen meiner Sicherheit ausgesetzt zu sein.

Was praktizieren die Menschen, mit denen diese Person zusammenarbeitet?

Nun möchte ich beschreiben, wie böswillig und rücksichtslos die erwähnte Person und die Kollektive, mit denen sie zusammenarbeitet, mich behandeln.

Ich habe in der anarchistischen Bewegung seit über zwanzig Jahren den Ruf, anderen gegenüber kritisch zu sein. Ich werde dem in keiner Weise widersprechen. Ich betrachte Kritik und Selbstkritik als einen Wachstumsprozess. Vor allem, wenn es nicht um Verleumdung geht, sondern um den konstruktiven Versuch, voranzukommen, über Fehler nachzudenken und Grenzen zu überwinden. Das Problem ist, wie die kritisierten Personen meine Neigung, Kritik zu äußern, missbrauchen. Es ist ganz einfach: Sie nehmen keinerlei Rücksicht auf meine Sicherheit, Würde oder Privatsphäre. Sie betrachten jede Kritik als persönlichen Angriff, als Kriegserklärung, in der es erlaubt ist, mich auf jede erdenkliche Weise zu demütigen. Vielleicht sogar, indem sie mich der Polizei „vorwerfen“ und ihr einen Vorwand liefern, mich zu verfolgen.

Ab etwa 2014 wurde mein Name in diesen Kreisen mit verschiedenen illegalen Aktionen, anonymen Texten und Projekten in Verbindung gebracht, die die Aufmerksamkeit der staatlichen Repressionskräfte auf sich zogen.

Obwohl ich mich nie für irgendetwas auf dieser langen Liste verantwortlich erklärt habe und niemand jemals Beweise dafür vorgelegt hat, die mich mit irgendetwas in Verbindung bringen, konstruieren meine Kritiker munter einen Mythos von der unbestreitbaren Tatsache, dass ich hinter all dem stecke.

Dieser Prozess funktioniert wie folgt: Wenn beispielsweise eine direkte Aktion durchgeführt wird und dabei Eigentum beschädigt wird, wird ein Kommuniqué herausgegeben, in dem die Gründe und das Ziel der Aktion erläutert werden.

Einige Gruppen beschließen, das Kommuniqué zu veröffentlichen, andere nicht. Denn die Art und Weise, wie die Aktion durchgeführt und kommuniziert wird, wird in bestimmten Kreisen, gelinde gesagt, als kontrovers angesehen. Einige Personen behaupten, sie wüssten, wer dahintersteckt, und können so auf den vermeintlichen Schuldigen zeigen und ihre Wut auf ihn richten. In der Regel haben sie keine Ahnung. Sie haben nur irgendwelche Vermutungen und Spekulationen. Durch den Groll gegen mich gestärkt, beginnen sie, ihren Annahmen Luft zu machen. Zunächst behaupten sie in ihrem engen Freundeskreis, „es war Lukáš Borl“. Diese Behauptung, ohne jegliche Beweise, wird weitergegeben und verbreitet sich wie ein Lauffeuer. Je öfter sie wiederholt wird, desto schneller verlieren die Menschen die Fähigkeit, sich selbst zu hinterfragen und zu fragen: „Wie kann jemand eine so schwerwiegende Anschuldigung erheben, ohne Beweise vorzulegen?“ Die wiederholte Annahme wird für viele Menschen zur „allgemein bekannten Wahrheit“. Niemand stellt mehr Fragen, niemand zweifelt, niemand verlangt Beweise. Und was noch schlimmer ist: Fast niemand hat ein Problem damit, dass diese „allgemein bekannten Wahrheiten“ auf eine Weise kommuniziert werden, die der Polizei einen Vorwand liefern könnte, mich (erneut!) anzuklagen.

Ich kann mehrere Beispiele aus einer langen Liste nennen. Als erstes möchte ich auf die Beschreibung des Vorfalls beim Fluff Fest in Rokycany zurückkommen.

Der Vortrag der Anarchistischen Föderation war zu Ende, und ich wartete naiverweise darauf, dass die Diskussion begann.

Ich machte fleißig Notizen, aber als die Leute von AF nach dem Vortrag gingen, beschloss ich, ihnen mein Feedback direkt mitzuteilen. Einer der Redner sagte mir ohne Umschweife, dass er mit mir nicht diskutieren würde. Als Grund gab er an, dass ich Informationen über Dubovik und Kolchenko verbreiten würde, die er als Lügen bezeichnete. Und im nächsten Moment des Gesprächs brachte er mich offen mit einem bestimmten Verlagsprojekt in Verbindung, das wegen seines „illegalistischen“ Inhalts möglicherweise von der Polizei überwacht wird. Ich protestierte und forderte ihn auf, mich nicht mehr mit diesem anonymen Projekt in Verbindung zu bringen und solche Dinge nicht mehr auf dem Fluff Fest zu sagen, wo, wie auch an anderen Orten, bewiesen wurde, dass die Polizei Gespräche aufgezeichnet hat11. Ihre Reaktion war Spott und Verharmlosung der ganzen Situation. Anscheinend konnten sie keine Polizisten sehen und sprachen leise, sodass niemand es hören konnte. Kann wirklich jemand behaupten, dass die Polizei im 21. Jahrhundert keine fortschrittlicheren Methoden hat, um Menschen auszuspionieren, als ihnen aus nächster Nähe zuzuhören? Diese Person ist seit den 90er Jahren in der „Bewegung“ aktiv und kennt die Methoden der Polizei sehr gut. Dennoch beschloss sie, mich offen mit einer bestimmten illegalen Aktivität in Verbindung zu bringen, obwohl dies der Polizei eine Waffe gegen mich in die Hand geben könnte.

Zum Kontext ist es wichtig zu erwähnen, dass ich zu diesem Zeitpunkt im Fall Fénix 2 (siehe12) strafrechtlich verfolgt wurde und möglicherweise mit einer Gefängnisstrafe von drei bis zehn Jahren rechnen musste. Einer der Vorwürfe gegen mich war die angebliche Verbreitung von Texten mit illegalem Inhalt, die von der Staatsanwaltschaft als „Unterstützung und Förderung von Bewegungen, die auf die Unterdrückung von Menschenrechten und Freiheiten abzielen“ (Abschnitt 403 – wird normalerweise gegen Neonazis verwendet) bezeichnet wurden.

Als indirekten Beweis legte die Polizei auch Aufzeichnungen von Gesprächen vor, in denen bestimmte Personen bestimmte Spekulationen äußerten. Also eine sehr ähnliche Art von „Beweis“, die die oben erwähnte verantwortungslose Person der Polizei beim Fluff Fest vorlegte. Vor Gericht habe ich die Verwendung dieser Behauptungen als Beweismittel in der Vergangenheit angefochten. Die Tatsache, dass ich aufgrund von Spekulationen vor Gericht gestellt werden kann, sollte jedoch dazu führen, dass wir solche Spekulationen nicht anstellen. Aber für diese Person spielt das keine Rolle. Der Groll gegen mich hat wahrscheinlich sein Urteilsvermögen getrübt, oder vielleicht hat er sich einfach dafür entschieden, meine Sicherheit nicht zu berücksichtigen, weil er einen festen ideologischen Gegner um jeden Preis loswerden wollte.

Ein weiteres Beispiel: Ein Kollektiv, dem ich angehöre, erhielt eine Nachricht mit einem Link zur Website stopwarpropaganda.noblogs.org, auf der unter anderem Folgendes erwähnt wird:

„Im September 2023 wurden mehrere Einrichtungen, die aktiv an Kriegspropaganda beteiligt sind, angegriffen, insbesondere im sogenannten Russland, in der Ukraine und in der Tschechischen Republik. Für direkte Aktionen wurde die Methode ‚Einleitung der Evakuierung‘ angewendet. Die folgenden Ziele wurden angegriffen.

TASS = Die russische Nachrichtenagentur

Der Moskauer Kreml = Die offizielle Residenz des russischen Präsidenten

Ukrinform = Die nationale Nachrichtenagentur der Ukraine

MAFRA, a.s. = Tschechische Mediengruppe

Riot Over River Fest = Das Festival bietet Raum für Propaganda-Initiativen zur Unterstützung der ukrainischen Armee

Diese Kriegspropagandisten haben unterschiedliche Perspektiven, aber sie sind gleichermaßen entschlossen, ihr „Publikum“ von der angeblichen Notwendigkeit zu überzeugen, den Krieg aktiv zu unterstützen, selbst auf Kosten der unzähligen Toten und des anderen Leids, das er mit sich bringt.(…)13

Weder unser Kollektiv noch ich haben diese Aussage geteilt oder verherrlicht. Ich habe lediglich meine Besorgnis darüber zum Ausdruck gebracht, dass einige Leute mich mit der in der Erklärung erwähnten Aktion in Verbindung bringen wollen.

Ich schrieb:

Wie es in unserem kleinen tschechischen Teich Tradition ist, hat sich die „rot-schwarze Klatschküche“ in Gang gesetzt. Alle möglichen Leute beginnen zu spekulieren, lassen ihrem Rätselraten freien Lauf oder behaupten, sie wüssten mit Sicherheit, wie alles passiert ist. Aber höchstwahrscheinlich wissen sie, wie ich, nichts über die Hintergründe des Vorfalls.“14

Obwohl ich in meiner Erklärung darauf hingewiesen habe, dass es nicht in Ordnung ist, mich damit in Verbindung zu bringen, bin ich seitdem mehreren Personen begegnet, die behaupten, ich hätte etwas mit diesem Vorfall zu tun.

Zum Beispiel Marek Dočekal, den ich bereits in meiner Stellungnahme „Das Dilemma kehrt zurück: Wahnsinn oder Tod?“15erwähnt habe. Dočekal versuchte, mich auf besonders hinterlistige und manipulative Weise mit diesem Vorfall in Verbindung zu bringen. Und als ich ihm sagte, er solle damit aufhören, machte er einfach weiter.

Was den Vorfall selbst betrifft, über den auf stopwarpropaganda.noblogs.org berichtet wird, so möchte ich sagen, dass ich die Art und Weise, wie die Aktion durchgeführt wurde, aus mehr als einem Grund sehr problematisch finde. Ich denke nicht, dass jemand eine solche Aktion verherrlichen sollte, und das habe ich selbst auch nie getan. Was das Kommuniqué zu der Aktion betrifft, so stimme ich der darin geäußerten Kritik an Militarismus und Kriegspropaganda zu.

Das ist aber in keiner Weise ein Beweis für meine angebliche Verbindung zu diesem Vorfall. Es kann nicht als Rechtfertigung dafür dienen, dass mich jemand in einem Bereich, in dem die Polizei ihre Finger und Ohren hat, offen damit in Verbindung bringt.

Wie denken die Leute, die mich damit in Verbindung bringen? Ich weiß das gut aus ihren Reaktionen. Sie sagen sich: „Oh, Borl sagt auch ähnliche Dinge; wir kennen seinen Stil und seine Ausdrucksweise“, und das ist für sie Beweis genug. Ihre Schlussfolgerung lautet: „Es war Borl“, und jetzt kann sie weit und frei in alle Richtungen verbreitet werden, von Ohr zu Ohr, in Info-Shops, Pubs und bei Auftritten, in sozialen Medien oder durch Nachrichten und E-Mails, die auf Unternehmensservern eingerichtet werden, die mit der Polizei zusammenarbeiten.

Ähnlich verhielt es sich mit anderen Ereignissen, über die unser Kollektiv durch anonyme Nachrichten in unserem E-Mail-Postfach informiert wurde. Sobald wir diese Nachricht erhalten haben:

– Originalnachricht –

Datum: 2024-06-14 10:46

Von: ??????????

An: [email protected]

—————————-

„– Zwei Benzinbomben wurden an den Info-Shop Trhlina in Pragdeponiert

– Autoreifen mit einem Brandsatz wurde vor den Eingang der Žižkov-Kirche in Prag deponiert

DIESES MAL OHNE FEUER, ABER NÄCHSTES MAL KANN ES MIT FEUER SEIN, INSBESONDERE WENN:

1) Wenn diese Orte nicht aufhören, Menschen Raum zu geben, die Anarchistinnen und Anarchisten belästigen und ihre antimilitaristischen Aktivitäten sabotieren.

2) Wenn diese Orte nicht aufhören, der Verherrlichung der Informanten Alexander Kolchenko und Anatolij Dubovik Raum zu geben.

3) Wenn diese Orte nicht aufhören, für Kriegspropaganda genutzt zu werden, die die Verbrechen von Putins Imperialismus hervorhebt, aber die Verbrechen des Imperialismus der USA, der NATO-Mitgliedstaaten und die Verbrechen des ukrainischen Staates verschweigt.

4) Wenn diese Orte nicht aufhören, als Infrastruktur zur Unterstützung der ukrainischen Armee genutzt zu werden, der Armee, die Deserteure massakriert, Menschen daran hindert, in die Sicherheitszonen zu fliehen, Männer auf der Straße jagt, um sie zwangsweise zu mobilisieren und an die Front in den Tod zu schicken.

5) Wenn diese Orte nicht aufhören, als Sprachrohr für Klassenkollaboration zu dienen – die Einheit des Proletariats mit der Bourgeoisie, die die Bourgeoisie immer zum Nachteil des Proletariats stärkt.

6) Wenn diese Orte nicht aufhören, diffamierende Lügen über Revolutionäre zu verbreiten, wie ihre Anschuldigungen des „Putinismus“ und Pazifismus usw.

Die Reaktionen waren wie bei einem Copy-and-Paste – genau wie zuvor. Die Leute „können garantieren“, dass sie wissen, wer dahintersteckt. Das Kommuniqué hat „Bors Schreibstil“. Der Beweis wurde erbracht. Das konterrevolutionäre Tribunal verkündete sein Urteil: Borl ist schuldig und wird dazu verurteilt, aus dem öffentlichen Raum verbannt zu werden, der Polizei übergeben zu werden, wegen Verleumdung und übler Nachrede, geächtet und isoliert zu werden und nicht zuletzt sein Recht auf Privatsphäre und Sicherheit zu verlieren.

Es ist ein faszinierendes Phänomen: Diese Leute bringen mich mit allen möglichen Dingen in Verbindung, mit denen ich nie in Verbindung gebracht werden wollte. Sie machen mich – ohne Beweise, gegen meinen Willen – zum Hauptakteur vieler solcher (meist anonymer) Ereignisse, Projekte und Aussagen. Sehr oft betonen sie auch meine angebliche Selbstbezogenheit. Diese Leute stellen mich als das „Zentrum“ von allem dar, was gegen sie steht, aber anscheinend handle ich selbstbezogen.

Ich muss sie enttäuschen. Ich bin nicht wirklich der Einzige, der antimilitaristische Positionen vertritt, der Einzige, der den „Anarcho-Militaristen“ den Spiegel vorhält, der Einzige, der bereit ist, anarchistische Werte trotz der falschen Verbündeten zu verteidigen. Ja, im tschechischen Milieu bin ich einer der wenigen, die das offen tun. Und vielleicht ist es das, was es meinen Gegnern ermöglicht, mich so intensiv ins Visier zu nehmen. Außerdem nähren sie damit den Mythos, dass Borl im Mittelpunkt aller Kontroversen steht, sodass es sich um eine völlig nebensächliche Angelegenheit handelt, weil es niemanden wie ihn gibt.

Sie brauchen nur einen solchen Mythos, um ihr Gefühl von Wichtigkeit und Grandiosität zu stärken. Sie stellen sich als eine wachsende progressive Kraft dar und ihre Gegner als einen Verrückten. Wenn sie akzeptieren würden, dass viele Menschen ähnliche Werte wie ich vertreten, würde das ihren Mythos schwer erschüttern. Also halten sie an der legendären Geschichte fest: Es ist alles nur ein verrückter Borl und ein paar dogmatische Spinner, unbedeutender sektiererischer Abschaum, der nicht mit unserer Großartigkeit verglichen werden kann. Und um den Mythos noch stärker zu machen, setzen sie eine weitere Waffe ein: Sie bezeichnen mich als Aggressor, der ihre Sicherheit bedroht. Es ist ein seltsames Paradoxon, denn wie ich bereits sagte (und später näher darauf eingehen werde), sind sie diejenigen, die meine Sicherheit bedrohen. Und wie ich Ihnen anhand eines anderen Beispiels zeigen werde, verteidigen sie gerne Menschen, die unsere anarchistischen Freunde böswillig in Gefahr bringen.

Bevor ich das Beispiel anführe, möchte ich noch einmal auf den Text „Die Linke des Kapitals sabotiert die anarchistische Bewegung: Wehren wir uns!“16 zurückkommen. Darin heißt es:

Es muss berücksichtigt werden, dass die Linke des Kapitals trotz ihrer erklärten Staatsfeindlichkeit nie zögert, ihre Gegner mit Hilfe der repressiven Kräfte des Staates zu bekämpfen, wenn sie die Gelegenheit dazu hat. Es liegt im Interesse des revolutionären Anarchismus, sie daran zu hindern und ihr die Möglichkeiten zu nehmen. Die Risiken sind zu groß, um sie zu ignorieren oder zu unterschätzen.“17

Ich denke, die von mir angeführten Beispiele zeigen deutlich, wie meine Gegner die Macht der Repressionskräfte gegen mich einsetzen. Sie bringen mich mit verschiedenen kriminellen Handlungen in Verbindung, an Orten, die von der Polizei überwacht werden können. Damit liefern sie der Polizei einen guten Vorwand, mich zu schikanieren.

Und nun das bereits erwähnte Beispiel. Ich möchte mit einem Zitat beginnen:

Es gibt verschiedene Motivationen für Doxing. Dazu gehört, schädliches Verhalten aufzudecken und den Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Andere nutzen es, um jemanden in Verlegenheit zu bringen, zu erschrecken, zu bedrohen oder zu bestrafen. Es wird auch häufig für Cyberstalking eingesetzt, wodurch jemand um seine Sicherheit fürchten könnte. Forscher haben darauf hingewiesen, dass einige Fälle von Doxing gerechtfertigt sein können, z. B. wenn dadurch schädliches Verhalten aufgedeckt wird, aber nur, wenn der Akt des Doxing auch mit der Öffentlichkeit übereinstimmt.“

Wikipedia18

Am 9.5.2024 veröffentlichte ich eine Stellungnahme mit dem Titel „The Dilemma Returns: Insanity or Death“19

Darin machte ich auf das aggressive Mobbing aufmerksam, dem ich ausgesetzt war, und nannte vier konkrete Personen, die maßgeblich daran beteiligt sind.

Es ist interessant, wie unterschiedlich die Reaktionen darauf ausfielen. Nicht wenige Menschen haben mir gesagt, dass sie beim Lesen entsetzt waren und sich Sorgen um meine Gesundheit und mein Leben machten. Die logische Frage dieser Menschen lautete dann: „Wie kann ich dir helfen, damit es dir gut geht und du diese schwierige Situation überlebst?“

Die völlig gegensätzliche Reaktion war: „Es handelt sich um eine Doxxing von persönlichen Namen antiautoritärer Aktivisten (…), es ist ein beispielloser Verstoß gegen den sicheren Raum, den die antiautoritäre Bewegung zu sein versucht.“20

Während die erste Art von Reaktion mich sehr unterstützte, schürte die zweite verständlicherweise nur meine negativen Emotionen und Gedanken an Selbstmord und Wahnsinn. Menschen, die zu Empathie fähig sind, verstanden, dass ich mich in einer verzweifelten Situation befand, und versuchten zu helfen, auch wenn sie die Form meiner Botschaft vielleicht kontrovers fanden. Auf der anderen Seite gibt es Individuen und Kollektive, die völlige Rücksichtslosigkeit und Herzlosigkeit an den Tag legen, wenn sie nur aus dem gesamten Text entnehmen, dass dort die Namen bestimmter Personen erwähnt werden. Aber sie filtern das Wichtigste heraus: Ich habe Menschen genannt, die mich durch ihre Machenschaften fast in eine psychiatrische Anstalt oder ins Grab gebracht hätten. Eine Banalität, die nicht der Rede wert ist, oder? Kann man die Rücksichtslosigkeit noch weiter treiben?

Ja, das kann man. Menschen, die meinen Text als Doxxing und offenbar als „einen beispiellosen Verstoß gegen den sicheren Raum“ bezeichnen, dieselben Menschen, die in den Aktivitäten von Alexander Kolchenko und Anatolij Dubovik, die die Namen und Privatadressen von in Russland lebenden Anarchistinnen und Anarchisten öffentlich machten und ihre Liquidierung forderten, kein Problem sehen.21

Die Internationale Arbeiterassoziation (IWA-AIT) veröffentlichte eine Erklärung, in der es heißt:

… diese falschen Anarchisten hetzen durch die Veröffentlichung der Adressen von in Russland ansässigen Antikriegsaktivisten direkt die russischen Geheimdienste und nationalistische Schläger gegen sie als Kriegsgegner auf, damit diese mit ihnen kurzen Prozess machen! Angesichts der anhaltenden Schikanen, Entlassungen, Drohungen und körperlichen Repressalien gegen antimilitaristisch eingestellte Menschen in Russland kommen solche Aktionen einer echten Denunziation gleich, die direkt angibt, wem die repressiven Kräfte ihre Aufmerksamkeit widmen sollten.“22

Und in einem Artikel von Voice of Anarchists23heißt es:

… der berüchtigte Anatoly Dubovik hat sich nicht nur der Grobheit und der dreistesten Verleumdung gegen internationalistische Anarchisten schuldig gemacht, sondern auch zusammen mit Sergei Shevchenko und Alexander Kolchenko Doxxing betrieben – die Veröffentlichung der Privatadressen von Anarchistinnen und Anarchisten, die gegen den Krieg sind, mit einem direkten Aufruf zu ihrer Ermordung24.

Es ist auch erwähnenswert, dass andere Anhänger von Dubovik ebenfalls dazu aufriefen, die Kriegsgegner unter den Anarchistinnen und Anarchisten mit staatlicher Gewalt zu „eliminieren“.

All diese Gehässigkeiten gegenüber den Internationalisten hinderten Plattformen wie das tschechische Magazin Kontradikce, die Website Anarchist Federation und „Pramen“ [Ray] jedoch nicht daran, Duboviks Verleumdungen zu verbreiten und ihn und Shevchenko sogar zu einem Interview einzuladen!

Darüber hinaus haben sich die Redakteure von „Pramen“ selbst nachdem sie Duboviks Lügen mit Beweisen widerlegt hatten, nicht bei den Internationalisten für die Verbreitung von Verleumdungen entschuldigt und sich auch nicht bei ihren Lesern für die Irreführung entschuldigt – sie haben die Nachricht mit der detaillierten Antwort der Internationalisten auf eben diese Verleumdung gelöscht!

Außerdem haben dieselben Leute, die sich zuvor ernsthaft über die Internationalisten beschwert hatten, weil … sie ihre Kritiker verbannen, feige Nachrichten mit genau dieser Antwort in verschiedenen Chats verbannt und gelöscht!“

Würde irgendjemand erwarten, dass diejenigen, die mich anprangern, auch eine Erklärung an Kolchenko und Dubovik herausgeben, in der sie behaupten: „Es handelt sich um eine Doxxing persönlicher Namen von antiautoritären Aktivisten (…), es ist ein beispielloser Verstoß gegen den sicheren Raum, den die antiautoritäre Bewegung zu sein versucht. “?

Das würde Sinn ergeben, aber das genaue Gegenteil ist passiert. Eine feindselige Erklärung gegen mich und meine Freunde wurde von mindestens vier Projekten unterzeichnet, die den beiden Informanten, die Anarchistinnen und Anarchisten in Russland doxxen, unkritisch Raum bieten. Konkret handelt es sich um: die Anarchistische Föderation, den Info-Shop Trhlina, das Kollektiv, das die Anarchistische Buchmesse in Prag organisiert, und das Riot Over River Festival in Prag.25

Jeder vernünftige Mensch, der zumindest vage mit den Besonderheiten dessen vertraut ist, was in Tschechien als anarchistische Bewegung bezeichnet wird, muss doch erkennen, dass diejenigen, die mich beschuldigen, von persönlichem Groll und der Unfähigkeit, mit meiner Kritik umzugehen, motiviert sind. Ein unparteiischer Mensch versteht sicherlich, dass man mehr als nur ein paar Namen im Internet erwähnen muss, um etwas als gefährliches Doxxing bezeichnen zu können. Der Kontext ist wichtig.

Doxxing ist ein Akt der öffentlichen Bereitstellung personenbezogener Daten über eine Person oder Organisation, in der Regel über das Internet und ohne deren Erlaubnis. Doxxing hat in der Regel eine negative Konnotation, da es als Mittel zur Rache durch Verletzung der Privatsphäre eingesetzt werden kann. An dieser Stelle möchte ich hinzufügen, dass ich die Namen der betroffenen Personen nicht aus Rache veröffentlicht habe, sondern nur, um auf den Schaden aufmerksam zu machen, den sie mir zugefügt haben, und um andere potenzielle Opfer vor der Gefahr zu warnen, die der Kontakt mit ihnen darstellt. Es ist auch wichtig zu erwähnen, dass ich durch die Nennung der Namen keine sensiblen Informationen über ihr Privatleben preisgegeben habe. Es wurde nichts über ihre politische Tätigkeit, ihre Arbeit, ihre Privatadresse, ihre persönlichen Beziehungen, ihre sexuelle Orientierung oder Ähnliches gesagt. Ich habe lediglich darauf hingewiesen, dass sie mich schwer verletzt haben. Ich habe auch Spitznamen erwähnt, mit denen sich diese Personen normalerweise in der Öffentlichkeit präsentieren, und daher gibt es keine geheimen Decknamen, die ihre Identität verbergen sollten. Ich kenne viele Menschen, die diese Spitznamen verwenden, wenn sie sich in der Öffentlichkeit auf diese Personen beziehen oder sie im Internet erwähnen. Ich habe keine Geheimnisse preisgegeben.

Außerhalb der Hacker-Community gab es Ende der 90er Jahre die ersten prominenten Beispiele für Doxxing in Internet-Chatforen, in denen Benutzer Listen mit mutmaßlichen Neonazis verbreiteten. In Tschechien gibt es eine aktive antifaschistische Aktion (AFA), die seit über zwanzig Jahren die Aktivitäten von Neonazis überwacht und nicht nur ihre Fotos, Namen und Spitznamen, sondern auch Informationen über ihre Arbeit, ihre familiäre Situation oder ihre Freizeitaktivitäten usw. veröffentlicht. Ich bin froh, dass die AFA das tut. Und ich sehe darin nichts Falsches, auch wenn es rechtlich als Doxxing bezeichnet werden könnte. Ebenso stört es mich nicht, wenn Opfer sexueller Übergriffe den Namen des Täters zusammen mit den Einzelheiten der traumatischen Situation, in die sie gebracht wurden, öffentlich machen (wie kürzlich bei der sexuellen Belästigung durch den tschechischen Politiker Dominik Feri geschehen). Nein, ich denke nicht, dass es sich um ein skandalöses Doxxing von Namen handelt oder dass es „ein beispielloser Verstoß gegen den sicheren Raum“ war. Genauso wie wir das Recht haben, die Aktivitäten von Neonazis zu überwachen und uns so vor ihren Aggressionen zu schützen. Genauso wie Überlebende sexueller Übergriffe das Recht haben, die Namen der Sexualstraftäter zu veröffentlichen, hat Borl das Recht, die Namen der Personen zu veröffentlichen, die an Mobbing, Aggressionen und Machenschaften beteiligt sind.

Es ist zu beachten, dass in der von siebzehn Projekten unterzeichneten Erklärung die Blog-Domain lukasborl.noblogs.org aufgeführt ist und mein Vor- und Nachname in dieser Adresse enthalten ist. Es heißt weiter, dass ich Dinge getan habe, die einen beispiellosen Verstoß gegen den sicheren Raum darstellen. Dies ist ein perfektes Beispiel für Doxxing, das darauf abzielt, den Ruf oder die Ehre einer Person zu schädigen – in diesem Fall speziell mich. Wie ich bereits angedeutet habe, habe ich mit der Nennung von Namen in meiner Erklärung keinen sicheren Raum verletzt.

Übrigens, wenn du „Lukáš Borl“ in die Suchleiste auf der Website der Anarchistischen Föderation „afed.cz“ eingibst, erscheinen im Menü mehr als zehn Artikel mit diesem Namen. Zum Beispiel diese:

Angenommen, ich würde mich so dumm verhalten, wie es meine Gegner in den oben genannten Erklärungen unterschrieben haben. In diesem Fall würde ich einen weiteren Artikel verfassen und behaupten, dass die Anarchistische Föderation mich auf gefährliche Weise bloßstellt, weil sie meinen Namen ohne meine Zustimmung verwendet hat. Ich werde einen solchen Artikel nicht schreiben, weil ich die Anarchistische Föderation aus einem ganz anderen Grund für gefährlich halte. Ich habe in diesem Text bereits auf konkrete Beispiele hingewiesen und werde gerne noch weitere nennen:

Ein aufmerksamer Mensch wird zweifellos bemerken, dass die Aussage „We will not be intimidated26 bestimmte Teile völlig übertreibt, sodass die unterzeichnenden Kollektive sich als unschuldige Opfer darstellen können, denen offensichtlich Schaden zugefügt wird. So bezeichneten sie beispielsweise den folgenden Satz als Morddrohung: „Die Geschichte ist voll von Beispielen dafür, wie Revolutionäre mit Denunzianten und ihren Komplizen umgehen.“27

Ihre Fantasie kann eine unspezifische Aussage in den dunkelsten Farben malen, und sie scheuen sich nicht, ihre Fantasien öffentlich zu teilen. Eine Person, die den Kontext nicht kennt, könnte sogar denken, dass sie die unschuldigsten Wesen der Welt sind, die grundlos von einigen Verrückten terrorisiert werden. Aber wie ich in meiner Erzählung offenbare, sind sie keine so unschuldigen Opfer. Sie beschweren sich, dass sie bedroht werden, erwähnen aber nicht, wie sie andere bedrohen.

Die Tschechoslowakische Anarchistische Assoziation (ČAS) schrieb dies als Reaktion auf die Aussage: „We will not be intimidated“:

„Wir glauben nicht, dass dieser Vorfall asymmetrisch ist. Im Gegenteil, er ist ein trauriges Spiegelbild des Zustands der Bewegung und der Praktiken, die zum Standard geworden sind. Von Verleumdung, Zensur, Verunglimpfung und Machenschaften bis hin zu Drohungen, die sogar unsere Gruppe bei der Organisation eines Benefizkonzerts erlebt hat (…).“28

Ich möchte hinzufügen, dass es bei den Drohungen um das Konzert „Make Music Not War“ ging, das von Mitgliedern der ČAS in Poděbrady (einer Stadt in Mittelböhmen) organisiert wurde. Das Konzert sollte Geld für ältere Menschen in der Ukraine sammeln, die während Putins Invasion in Gefahr waren. Mitglieder von ČAS gaben an, dass die Konzertorganisatoren Beleidigungen und Drohungen ausgesetzt waren. Und siehe da, dahinter steckten dieselben Leute, die der Aussage „We will not be intimidated“ zustimmten.

Hier sind einige weitere Beispiele.

Meine Freunde trauten sich, die Band Bezlad zu kritisieren, die beim Riot Over River Festival in Prag auftrat29. Die Kritik bezog sich hauptsächlich auf Russophobie und nationalistische Positionen, die von den Bandmitgliedern vertreten wurden, sowie auf ihre Verherrlichung des Asowschen Bataillons30, das für seine Verbindungen zu Neonazis und rechtsextremen Militanten berüchtigt ist. Als Antwort auf ihre Kritik erhielten meine Freunde Drohungen und die Verbreitung von abfälligen Kommentaren im Internet, in denen sie sich wünschten, dass ihre Familien bombardiert und ihre Töchter vergewaltigt würden usw.

Aber das ist nicht das einzige Beispiel für Drohungen aus diesem Milieu. Vor einiger Zeit versuchte ein guter Freund von mir, mit dem ich ähnliche politische Ansichten teile, mit einem Mitglied des Info-Shops Trhlina in Prag, das auch Mitglied der Anarchistischen Föderation (AF) ist, persönlich zu sprechen. Er sagte meinem Freund, dass alte militante Antifaschisten sehr wütend auf Borl und die Antimilitaristische Initiative (AMI) seien und dass eine Art Reaktion auf das, was sie sagen und tun, drohe. Er war nicht sehr konkret, was für eine Art von Reaktion es sein sollte. Allerdings kann nur seine wiederholte Betonung, dass sie von Militanten kommen wird, die Erfahrung mit Straßenkämpfen haben, als Hinweis darauf interpretiert werden, dass die Reaktion die Form einer physischen Konfrontation annehmen kann.

Das ist sehr interessant, denn derselbe Info-Shop Trhlina, dessen Mitglied diese Drohungen übermittelt hat, hat die Erklärung unterzeichnet, in der es heißt:

Wir halten es für normal, dass wir innerhalb der antiautoritären Bewegung in einigen Fragen unterschiedlicher Meinung sind und unsere Wege sich trennen. Kritik muss jedoch von Aggression unterschieden werden, bei der es letztlich nicht um eine echte antimilitaristische Agenda geht, sondern um persönliche Abrechnungen mit bestimmten und zufällig ausgewählten „Feinden“.

Vielleicht sollte das Kollektiv um Trhlina und die Anarchistische Föderation zuerst „vor der eigenen Tür kehren“, bevor sie andere der Aggression und Bedrohung beschuldigen. Ich glaube nicht, dass sie das tun werden. Denn selbst wenn sie aggressive Methoden anwenden, ist es für sie einfach, dies zu vertuschen und zu behaupten, dass es keine Beweise dafür gibt. Wenn jemand Trhlina mit einem Brandanschlag bedroht, wäre es wahrscheinlich einfach, Beweise dafür zu liefern, dass so etwas passiert ist. Aber wenn das Mitglied von Thrlina und AF meinen Freund, AMI und mich bedroht, ist es einfach zu behaupten, dass es sich nur um eine Verleumdung handelt. Für diese Leute ist ein Zeugenbericht kein Beweis. Aber Vorsicht, es ist nichts dergleichen erforderlich, wenn mich jemand eines Vergehens beschuldigt. Spekulative Anschuldigungen gegen mich sind einfach deshalb „wahr“, weil sie sich gegen mich richten. So handeln diejenigen, die von Gerechtigkeit, Gleichheit und Solidarität sprechen … bla bla bla bla. Wie kann man nach all dem noch ihren Schwachsinn glauben?

Wie sich herausstellt, haben sie in anderen Teilen der Welt ähnliche Erfahrungen mit Drohungen gemacht. Zum Beispiel berichtet Voice of Anarchists:

Zeitungen, die es wagten, über die Verbindungen zwischen BOAK und „Bruderschaft“ zu berichten, erhielten Drohungen.“31

Zur Erklärung des Kontextes: Nach dem Tod des Gründers von BOAK, Dimitri Petrov, in der Nähe von Bachmut im Jahr 2023 sowie seiner „Mitstreiter“ Finbar und Cooper stellte sich heraus, dass sie alle mit Korchinskys rechtsextremen Bataillon „Bruderschaft“ (zu dessen Mitgliedern Personen wie die Neonazi Vita Zaverukha gehören) zusammengearbeitet hatten. Und durch Korchinsky wurden sie alle Mitglieder seines Bataillons.

Die Aussage des bereits erwähnten Dubovik kann auch als Drohung und Einschüchterung angesehen werden.

In einem seiner Doxxing-Posts veröffentlichte er Folgendes:

Nur um sicherzugehen, möchte ich daran erinnern, dass der wichtigste russische Einflussagent in der internationalen quasi-anarchistischen Bewegung, der führende Wissenschaftler von XXXX, Ds C. XXXX, an der Adresse XXXX lebt. An dieser Adresse befindet sich auch sein Name. Diese Informationen sind in erster Linie für die Betreiber von Angriffsdrohnen der ukrainischen Streitkräfte bestimmt, aber wenn sie einem militanten Antifaschisten auf russischem Gebiet nützlich sind, ist das auch gut32

Wir könnten auch Cyber-Angriffe auf Mobiltelefone in die Liste aufnehmen. Vor Beginn der Aktionswoche (actionweek.noblogs.org) im Mai 2024 gab es wiederholt Angriffe auf ein Mobiltelefon, das als „Hotline“ für die Öffentlichkeit genutzt wurde. Später wurde ein ähnlicher Cyberangriff auf das Mobiltelefon eines Freundes durchgeführt. Obwohl ich keine bestimmte Person/Personen hinter diesen Angriffen ausmachen kann, deuten bestimmte Anzeichen darauf hin, dass der Angriff von Personen aus dem Umfeld des Info-Shops Trhlina ausging. Der Freund, dessen Telefon angegriffen wurde, beschloss, mit einem Mitglied des Trhlina-Kollektivs darüber zu sprechen. In einem Gefühlsausbruch während der dramatischen Debatte sagte dieses Mitglied etwas, das es wahrscheinlich geheim halten wollte. Er deutete an, dass der Cyberangriff auf das Telefon meines Freundes eine Vergeltungsmaßnahme für die Androhung eines Brandanschlags auf den Info-Shop Trhlina war. Es wurde klar, dass er als Mitglied von Trhlina von den Angriffen auf das Telefon wusste (zu diesem Zeitpunkt war diese Information nicht öffentlich), und er wusste so viel wie nur jemand, der direkt von der Person informiert wurde, die für die Angriffe verantwortlich war.

Menschen wie ich und meine Freunde befinden sich in einer benachteiligten Situation, in der es schwierig ist, die Machenschaften und Aggressionen unserer Gegner zu beweisen. Diese Situation wird von denen, die mit unserer Kritik nicht umgehen können, böswillig ausgenutzt. Sie lassen keine Gelegenheit aus, Kritik und Meinungsverschiedenheiten in den Hintergrund zu rücken, ihre Machenschaften zu vertuschen oder die Situation vielleicht sogar so zu verdrehen, dass sie aus Angreifern Opfer und aus Opfern Angreifer machen.

Ein Beispiel dafür ist auch meine Bereitschaft, mit ihnen von Angesicht zu Angesicht über einige Dinge zu sprechen. Als ich erfuhr, dass die AF und Utopia Libri von einem anderen Kollektiv „verlangen“, mir, AMI und dem Geschichtskollektiv Zádruha die Teilnahme an der anarchistischen Buchmesse in Brünn 33 zu untersagen, beschloss ich, direkt mit den Verantwortlichen darüber zu sprechen. Und weil ich wusste, dass Mitglieder von AF häufig den Info-Shop Trhlina besuchen, habe ich sie dort besucht – unangekündigt.

Um den Kontext zu verstehen, muss ich erwähnen, dass ich allein mit einem kleinen, schüchternen Hund und unbewaffnet an einem Tag dort war, an dem Trhlina für die Öffentlichkeit geöffnet hatte. Ich setzte mich an einen Tisch und bat drei Personen von AF, mir ihre Gründe für ihr betrügerisches Verhalten zu erklären. Dinge wie: „Wir werden nicht mit dir über die interne Kommunikation zwischen uns und anderen Gruppen sprechen“ wurden während des Gesprächs gesagt. Dies unterstrich nur den trügerischen Kontext des gesamten Konflikts. Angriff von hinten – oh ja. Verteidigung von Angesicht zu Angesicht – nein, niemals!

Es muss betont werden, dass die Debatte auf beiden Seiten sehr emotional geführt wurde. Aber während der gesamten Dauer saßen wir alle am selben Tisch und meine Gesten konnten definitiv nicht als aggressiv oder als Vorbereitung auf eine Aggression aufgefasst werden. Nach einer Weile kam jedoch ein anderes Mitglied von Trhlina von draußen herein. Er baute sich im Stehen vor mir auf und gab mir den bestimmten Befehl, dass ich, wenn ich über das Thema Krieg sprechen wolle, das wir gerade erwähnt hatten, gehen und woanders darüber sprechen solle. Auf seine Frage: „Hast du verstanden?“ antwortete ich: „Nein, das habe ich nicht, weil ich mich in einem Info-Laden befinde, der derzeit geöffnet ist und erklärt, dass er auch für Diskussionen gedacht ist. Außerdem hängen an den Wänden Plakate, die sich direkt auf das Thema Krieg beziehen.“

Diese Person betrat wütend meine Komfortzone (ich muss erwähnen, dass ich immer noch saß und er stand) und sagte: „Nun, ich werde es dir auf andere Weise erklären.“ Obwohl ich diese Geste als Einschüchterung und Drohung auffassen konnte, antwortete ich: „In Ordnung, erkläre es.“ Glücklicherweise trat diese Person schnell ein paar Schritte zurück und beruhigte sich, sogar in ihrer verbalen Ausdrucksweise. Plötzlich versuchte er, seine Herausforderung als etwas darzustellen, das für alle Anwesenden bestimmt war. „Es ist nicht nur für dich, Lukáš, niemand hier wird jetzt über den Krieg sprechen. Außerdem machen einige Leute hier ihre Sachen für die Schule, und sie sind nicht an euren Meinungsverschiedenheiten interessiert. Und es gibt eine Person, die Angst hat, weil ihr hier alle einen hitzigen Streit habt.“ Danach gingen einige Leute nach draußen, um zu rauchen. Ich sagte zu denen, die noch drinnen waren: ‚Ich entschuldige mich, wenn meine Kommunikation euch bei dem, was ihr gerade getan habt, gestört hat.‘ Die Antwort der Anwesenden (Leute aus dem Umfeld des Projekts Dekonstrukce) lautete: ‚Nein, ist schon okay, mach dir keine Sorgen.‘ Nachdem sie mir versichert hatten, dass alles in Ordnung sei, ging ich. Aber das war noch nicht alles. Ein paar Wochen später erhielt ich eine E-Mail vom Trhlina-Kollektiv, in der stand, dass mein unangekündigter Besuch als äußerst unangemessen bewertet wurde und ich nicht mehr in den Info-Shop kommen dürfe. Mit anderen Worten, sie wiesen mich erneut darauf hin, dass ich in ihren Augen der Aggressor und sie die Opfer meiner Aggression seien. Und das, obwohl ich Trhlina besucht habe, um mit den Intriganten über ihre Angriffe zu sprechen. Obwohl ich allein in ihrem Raum war und die ganze Zeit am Tisch saß, während das Mitglied von Trhlina über mir stand und mich bedrohte. Obwohl einige der Anwesenden meine Kommunikation nicht als Störung ihrer Aktivitäten empfanden.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Ein schönes Beispiel dafür, wie leicht es ist, Aggressoren zu Opfern zu machen, wenn die Aggressoren die Oberhand haben und manipulative Fähigkeiten entwickelt haben.

„Die Geschichte“ wurde später an einem anderen Ort in ähnlicher Weise fortgesetzt. Unser Kollektiv hatte mit einem Veranstaltungsort namens „Safe Space“ in Žižkov, Prag, eine Vereinbarung über die Ausrichtung einer Benefiz-Tattoo-Veranstaltung, „Make Tattoo Not War“, getroffen. Teil der Veranstaltung war eine öffentliche Diskussion mit dem Titel „Der kapitalistische Frieden ist eine Fortsetzung des Krieges und eine Vorbereitung auf seine Eskalation“34. Einige Tage vor Beginn dieser Veranstaltung wurde mir mitgeteilt, dass zwei Personen der Anarchisten Föderation das Kollektiv von Safe Space „gewarnt“ hätten, dass es nicht richtig sei, mit uns zusammenzuarbeiten. Anscheinend sagten sie, dass die Veranstaltung von einem Kollektiv organisiert wird, das das Recht der Menschen in der Ukraine, sich gegen Putins Aggression zu verteidigen, nicht anerkennt – einer von vielen Unsinnigkeiten über uns, die die Runde machen. Wir haben versucht, diese Verleumdung, die dazu benutzt wurde, unsere Veranstaltungen auf der AMI-Website abzusagen, mit dem Text „Wir widerlegen die Lügen, die über AMI verbreitet werden“35 zu widerlegen. Dennoch konnte die Veranstaltung nicht an dem ursprünglich vereinbarten Ort stattfinden. Wieder einmal hat sich gezeigt, dass es einfach ist, absurde Anschuldigungen gegen mich oder die Aktivitäten, an denen ich beteiligt bin, zu erheben, ohne dass jemand sich die Mühe macht, Beweise dafür vorzulegen. Ich werde sofort so behandelt, als gäbe es keinen Zweifel daran, dass all diese Anschuldigungen wahr sind.

Eine häufige Art, mich zu diffamieren, ist, mich der Gleichgültigkeit gegenüber den vom Krieg in der Ukraine betroffenen Menschen zu beschuldigen. Ich habe mich jedoch wiederholt an der sehr praktischen Unterstützung dieser Menschen beteiligt – finanziell, materiell, logistisch, journalistisch usw.36

Antimilitaristen Gleichgültigkeit, Untätigkeit und mangelnde Solidarität anzuklagen, ist eine weitere von vielen demagogischen Lügen. Wie zum Beispiel auf dem von AF auf der Anarchistischen Buchmesse in Prag verteilten Flyer37 gezeigt wird, schwelgen diese Leute buchstäblich in Demagogie. Zum Beispiel behaupten sie, dass Internationalisten im Krieg neutral bleiben, obwohl Internationalisten nie abseits stehen, sondern immer auf der Seite des Proletariats auf beiden Seiten der Kampflinie stehen. In den Augen der AF (und derjenigen, die der AF ähneln) bedeutet die Weigerung, die ukrainische Armee zu unterstützen, dass man den Kriegsopfern gegenüber gleichgültig ist. Ist es möglich, dass ihnen die Vorstellungskraft fehlt und sie nicht verstehen, dass die praktische Unterstützung von Menschen, die vom Krieg betroffen sind, auch ohne Zusammenarbeit mit dem Staat und der Armee funktionieren kann? Ich glaube nicht. Sie wollen ihre Gegner auf die schlimmstmögliche Weise darstellen. Die Realität ist für sie nicht von Bedeutung, wenn Lügen ihre „pragmatische“ Funktion in ihrer Strategie erfüllen können. Wie im Artikel „Voice of Anarchism“ erwähnt, ist die völlige Rücksichtslosigkeit bei den Mitteln ein charakteristisches Merkmal dieser Menschen.

Asymmetrischer Konflikt

Nach der Auflistung all dieser Taten von Individuen und Gruppen, die den Text „We will not be intimidated“ unterzeichnet haben, ist es überraschend, dass jemand Aussagen wie „Es handelt sich um einen asymmetrischen Konflikt, in dem antiautoritäre Kollektive lange versucht haben, abzuwarten und ihren normalen Aktivitäten nachzugehen, während Sektierer die Aggressivität kontinuierlich eskalieren ließen“

Für den Fall, dass es noch jemand nicht verstanden hat, möchte ich Folgendes betonen: Ein erheblicher Teil der Menschen, die solche Proklamationen unterzeichnet haben, wartet in Wirklichkeit nicht ab, sondern handelt, d. h. sie eskalieren die Aggression. Und das in der Regel so, dass sie es vor dem weiteren Umfeld so gut wie möglich verbergen können. Die Anarchistische Föderation, der Info-Shop Trhlina, Utopia Libri und Marek Dočekal, um nur einige zu nennen.

Es stimmt, dass in dieser Konfliktsituation die Eskalation von beiden Seiten vorangetrieben wird. Nichts weicht von der Logik der antagonistischen Beziehung zwischen den revolutionären Kräften und den Anhängern der Konterrevolution ab. Wenn jemand behauptet, dass eine Seite nur passiv „abwartet“, während die andere die Aggression eskaliert, lügt er entweder absichtlich und verdreht die Realität oder ist nicht in der Lage, die Realität in ihrer ganzen Breite wahrzunehmen. Wenn also das nächste Mal jemand behauptet, dass die eine Seite ein verletztes Opfer und die andere ein bösartiger Angreifer ist, muss man sich den Hintergrund all dessen ins Gedächtnis rufen.

Ja, es handelt sich um einen asymmetrischen Konflikt, aber nicht in dem Sinne, dass er von denen vorangetrieben wird, die mich so sehr hassen, dass sie bereit sind, jedes rücksichtslose Mittel einzusetzen, um mich zum Schweigen zu bringen oder zu isolieren.

Die Asymmetrie dieses Konflikts liegt hauptsächlich in der völligen Unvergleichbarkeit. Sei es in Bezug auf die Anzahl oder die verfügbaren Ressourcen. Auf der einen Seite steht eine Minderheit internationalistischer Revolutionäre, die hauptsächlich aus Menschen in einer proletarischen Position besteht, von denen ein erheblicher Teil Probleme hat, selbst die grundlegenden menschlichen Bedürfnisse (Wohnung, Nahrung, Kleidung, Fahrgeld, medizinische Versorgung usw.) zu sichern, und daher nur über sehr begrenzte Kapazitäten für ihre politischen Aktivitäten verfügt. Auf der anderen Seite steht eine viel größere Gruppe der „radikalen“ Sozialdemokratie, die sich selbst als Anarchistinnen und Anarchisten/Antiautoritäre/Antifaschisten/Progressive oder nicht-demagogische Linke bezeichnet und hauptsächlich aus Menschen, die über Privilegien der Mittelklasse verfügen, besteht. Neben beträchtlichen finanziellen Mitteln verfügen diese Menschen auch über sogenanntes „kulturelles Kapital“ – höhere Bildung, einen stabilen Hintergrund, weitreichende soziale Verbindungen, soziales Prestige und Zugang zu den Medien. Diese sind für die Proletarier unerreichbar.

Die revolutionäre Minderheit ist in dem asymmetrischen Konflikt nicht nur aufgrund der geringen Anzahl der beteiligten Personen im Nachteil, sondern auch, weil die für die „andere Seite“ verfügbaren Mittel unerreichbar sind. Die revolutionäre Minderheit und ihre Kampfgemeinschaft verfügen weder über die Mittel, um eine Infrastruktur aufzubauen (z. B. Anmietung von Räumlichkeiten für Info-Shops), noch für eine hochwertige Publikationstätigkeit (der Druck von Büchern und deren Verteilung erfolgt über das offizielle Vertriebsnetz). Selbst die Stimme ihrer „Mitglieder“ hat einen geringeren Wert, weil Professoren, Manager, Anwälte und Journalisten immer mehr Aufmerksamkeit erhalten. Und das nicht, weil sie etwas Interessanteres sagen, sondern weil ihr angesehener sozialer Status ihren Worten mehr „Gewicht“ verleiht. Selbst wenn sie völligen Unsinn von sich geben.

Natürlich gibt es in beiden „Lagern“ Ausnahmen – Individuen aus der Mittelklase mit revolutionären Tendenzen oder Proletarier, die vom Reformismus vereinnahmt werden. Hier müssen wir uns jedoch dessen bewusst sein, was uns die Geschichte lehrt – die Mittellasse neigt im Vergleich zum Proletariat immer stärker dazu, zwischen revolutionären und konterrevolutionären Positionen zu schwanken. Es ist auch wichtig zu sehen, dass im reformistischen „Lager“ die Mittelklasse die dominierende Macht ist: In erster Linie sind sie es, die die politische Linie vorgeben, und die Proletarier sind die „Hilfsarbeiter“, die manchmal dabei helfen, einen Eintopf zu kochen oder eine verschimmelte Wand in einem Info-Laden neu zu streichen, aber nie einen grundlegenden Einfluss auf die programmatische Richtung haben.

Die Bedeutung der gewaltsamen (Selbst-)Verteidigung

Am Ende meines ausführlichen Textes möchte ich auf den Vorfall in Graz zurückkommen. Die Tatsache, dass ich einer bestimmten Person ins Gesicht geschlagen und sie aufgefordert habe, den Ort zu verlassen, war das Ergebnis einer Situation, die mir den Grund dafür gab.

Zunächst forderte diese Person die Organisatoren der Buchmesse auf, eine Präsentation über „Solidaritätsaktivitäten im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine“ in das Programm aufzunehmen. Dies wurde abgelehnt, und zwar mit der Begründung, dass die Buchmesse einen antimilitaristischen Schwerpunkt habe und es daher nicht erwünscht sei, Aktivitäten zur Unterstützung der staatlichen Armee und kapitalistische Kriegspropaganda zu präsentieren. Die Person, die über die Ablehnung ziemlich verärgert war, begann den Anwesenden zu erklären, dass sie nicht verstehen könne, wie sie mit jemandem zusammenarbeiten könne, der Aktivisten gefährlich doxxte und hinter aggressiven Angriffen stecke. Er meinte mich und beschrieb die Angriffe, die er mit mir in Verbindung brachte, sehr genau. Wer meinen Text bis hierher aufmerksam gelesen hat, wird sicher verstehen, welche Probleme ich hier sehe.

Erstens bedeutet der Versuch, Kriegspropaganda auf einer anarchistischen Buchmesse zu verbreiten, tatsächlich zur Unterstützung des Krieges beizutragen, der mit einer enormen Menge illegitimer Aggression verbunden ist, von der Verstümmelung von Menschen bis hin zu ihrer Ermordung.

Zweitens habe ich kein gefährliches Doxxing betrieben; ich habe Aggressoren beim Namen genannt.

Drittens: Mich willkürlich und ohne Beweise mit illegalen Aktivitäten in Verbindung zu bringen (insbesondere auf einer Buchmesse, die von der Polizei überwacht werden kann), bedeutet, der Polizei die Möglichkeit zu geben, mich zu verfolgen.

Die Situation wiederholte sich im Grunde genommen am nächsten Tag, als ich beschloss, mit dieser Person zu sprechen. Als Worte wie Doxxing und Angriffsvorwürfe fielen, ballte ich meine Faust und schlug der Person absichtlich ins Gesicht. Ich verteidigte mich und meinen kollektiven politischen Raum vor einem Eindringling, der ihn für Kriegszwecke missbrauchen wollte, vor einem Raubtier, das mich in Gefahr brachte und versuchte, mich der Polizei auszuliefern. Vor einem Intriganten, der mit anderen Menschen Aktivitäten organisiert, die antimilitaristische Initiativen angreifen …

Ich bereue nicht, Gewalt angewendet zu haben. Aber ich bedaure, dass ich nicht energischer war, was dieser Person die Möglichkeit gab, eine improvisierte Waffe zu ziehen38. Aus Fehlern lernt man. Jetzt weiß ich, dass wir diesen Leuten keine Chance geben dürfen. Jeder Fehler, jede Schwäche und jedes Zögern, das wir machen, nutzen sie sofort gegen uns aus.

Was ist also meine Lehre daraus? Beim nächsten Mal, wenn es zu Gewalt kommt, weiß ich, dass ich meinem Gegner keine Chance geben darf, sich herauszuwinden oder gar zum Gegenangriff überzugehen.

Lukáš Borl, Oktober 2024


1Die Abschrift des Vortrags ist im Internet auf der Website der Anarchistischen Föderation zu finden: https://www.afed.cz/text/7710/anarchiste-a-valka-na-ukrajine

2https://antimilitarismus.noblogs.org/post/2024/09/27/collaboration-of-pro-war-anarchists-with-the-far-right-masks-are-off-or-the-fail-of-the-anti-authoritarian-resistance-myth/

3Links zu mehreren Artikeln über Zwangsrekrutierungen in der Ukraine, Entführungen von Männern auf der Straße und am Arbeitsplatz und deren Verschickung an die Front gegen ihren Willen.

https://antimilitarismus.noblogs.org/post/2022/12/30/represe-proti-tem-kteri-nechteji-valcit/

https://antimilitarismus.noblogs.org/post/2023/04/05/kdyz-se-obyvatelstvo-bouri-proti-valce/

https://antimilitarismus.noblogs.org/post/2024/01/11/год-начался-новости-облав-тцк-по-улица/

https://antimilitarismus.noblogs.org/post/2023/10/06/a-volunteer-from-kharkov-was-tortured-by-the-military-after-trying-to-leave-ukraine/

https://antimilitarismus.noblogs.org/post/2024/04/04/war-against-war-is-starting-the-grapes-of-wrath-in-ukraine/

https://antimilitarismus.noblogs.org/post/2024/07/30/judge-lynch-you-have-the-floor-the-murder-of-farion-amid-the-decay-processes-in-the-warring-armies/

https://antimilitarismus.noblogs.org/post/2024/09/27/catastrophe-for-somebody-salvation-for-others-desertion-is-flooding-ukraine/

Der Kiewer Journalist Volodymyr Boiko, der in der 101. Brigade der ukrainischen Streitkräfte dient, äußerte sich auf seiner Facebook-Seite noch deutlicher zu diesem Gesetz: „Ich bin mehrmals auf Hinweise zu meiner bescheidenen Person gestoßen, in denen die Zahl der Deserteure in den Streitkräften und anderen bewaffneten Formationen mit 200.000 angegeben wird. Tatsächlich habe ich gesagt und sage ich, dass die Zahl der Deserteure bereits 150.000 Personen überschritten hat und sich 200.000 nähert. Bei der derzeitigen Dynamik ist es möglich, bis Dezember 2024 200.000 Deserteure vorherzusagen.“

https://libcom.org/article/catastrophe-somebody-salvation-others-desertion-flooding-ukraine

4https://antimilitarismus.noblogs.org/post/2024/06/10/the-advice-led-to-hell-ilya-kharkow/

Weitere Informationen über den Autor finden Sie unter: https://www.ikharkow.com/

5https://libcom.org/article/despair-and-anger-concentration-camp-assemblys-interview-second-anniversary-big-war-ukraine

In diesem Interview wird auch erwähnt: Die Ukraine ist ein so „freies Land“, dass ihre Behörden alle Menschen mit einem ukrainischen Pass als ihr persönliches Eigentum betrachten, und zwar im wahrsten Sinne des Wortes. Daher haben sie als Sklavenhalter das ausschließliche Recht, mit ihnen Geld zu verdienen und sie auszubeuten. Wenn sie ins Ausland gehen, ist das ein Verlust für die Besitzer, und sie wollen entweder eine Entschädigung in der Tasche oder die Rückkehr der Sklaven in den Stall. Ähnliches geschah im 19. Jahrhundert vor dem Bürgerkrieg in den USA (auch dieser Vergleich ist nicht rhetorisch, sondern wörtlich gemeint: Die Flucht in die EU über die vereiste Theiß unterscheidet sich von der Flucht über den winterlichen Ohio River im Roman Onkel Toms Hütte nur durch den Einsatz von Drohnen und Wärmebildkameras durch die Verfolger, und bei solchen Versuchen in diesem Fluss sind bereits 20 Menschen gestorben (vor zwei Wochen ertrank außerdem unser Landsmann aus der Region Charkiw im Grenzfluss Prut, wie der staatliche Grenzschutzdienst der Ukraine berichtete)).

6https://www.bbc.co.uk/news/world-europe-65792384

7„Die Position der Anarchistischen Föderation zum Krieg“ https://antimilitarismus.noblogs.org/post/2023/03/01/postoj-anarchisticke-federace-k-valce/

(Artikel auf Tschechisch)

Die erwähnte Person war und ist Herausgeber der Revue Existence (theoretische Zeitung der AF), in der diese großartige Aussage im völligen Widerspruch zu dem steht, wofür er heute steht.

„Unsere Antwort ist revolutionärer Defätismus, was in der Praxis bedeutet, dass wir uns weigern, uns auf die Seite des einen oder anderen Lagers zu stellen, und stattdessen versuchen, die Unterprivilegierten auf beiden Seiten des Konflikts zu verbinden. Schließlich wurde dies bereits von Anarchistinnen und Anarchisten aus der Ukraine kurz vor Ausbruch des Bürgerkriegs zum Ausdruck gebracht:Rivalisierende Cliquen von Geschäftsgruppen zwingen uns, gewöhnliche Menschen: Lohnarbeiter, Arbeitslose, Studenten, Rentner, wie üblich, für ihre Interessen zu kämpfen … Sie wollen uns mit Nationalismus berauschen, uns gegeneinander ausspielen, uns zwingen, unsere wahren Bedürfnisse und Interessen zu vergessen … […] Wir können uns fragen, ob es in der Tschechischen Republik heute überhaupt relevant ist, Fragen zum Krieg zu stellen. Unserer Meinung nach absolut. Wir sind auch davon überzeugt, dass wir dort weitermachen sollten, wo wir nach dem NATO-Treffen in Prag im Jahr 2002 und dem darauffolgenden Beginn des Irakkriegs aufgehört haben. Seitdem hat sich nicht viel geändert. (…)“

Veröffentlicht in Existence 4/2014

Ich stimme diesen Worten voll und ganz zu. Aber der Herausgeber von Existence behauptet nun und argumentiert nachdrücklich und praktisch für das genaue Gegenteil dessen, was in dem Artikel gesagt wurde. Zufall? Nein. Ein konkretes Beispiel für Skrupellosigkeit und Opportunismus. Er würde wahrscheinlich die Begriffe „Nicht-Dogmatismus“ und „Pragmatismus“ verwenden.

8A.d.Ü., auch auf unseren Blog zu lesen Krieg gegen den Anarchismus – Bill Beech.

9Wir können nicht für das Volk oder die Nation kämpfen, nur weil diese Begriffe eine künstliche Einheit zwischen Proletariat und Bourgeoisie, zwischen den Gegnern des Staates und den Staatsmanagern bezeichnen. Das Volk und die Nation verschleiern immer die Kollaboration der Ausgebeuteten mit den Ausbeutern, von der in erster Linie die Ausbeuter profitieren, während die Ausgebeuteten die größten Opfer bringen. Das sehen wir auch in der Ukraine, wo vor allem die Proletarier an der Front sterben. Sie haben keine finanziellen Mittel oder bourgeoise Privilegien, die es ihnen ermöglichen würden, der Zwangsrekrutierung zu entgehen. Schon kleine Beispiele reichen aus: Wer hat die größere Chance, die Grenzkontrolle zu bestechen, um das Land zu verlassen, trotz des Auswanderungsverbots von Selenskyj? Wer hat die größere Chance, seine Angehörigen aus dem Kriegsgebiet zu bringen, Asyl zu erhalten, Mittel für ein würdiges Leben, d. h. wer hat die größere Chance, den Bombenbeschuss zu überleben? An wen werden die Soldaten die Vorladung zustellen wollen: an einen Lagerarbeiter oder an einen Manager eines staatlichen Unternehmens…?

Wie Bill Beech es treffend ausdrückt: Es ist immer die Arbeiterklasse, die in den Krieg der herrschenden Klasse geschickt wird. Deshalb bleibt die herrschende Klasse in Kiew und im Ausland unantastbar, während sich die Mittelklasse von der Wehrpflicht freikauft. https://antimilitarismus.noblogs.org/post/2024/06/12/war-on-anarchism-bill-beech/

Das Volk und die Nation sind nur ein ideologisches Werkzeug, das das Proletariat von der revolutionären Praxis ablenkt und seine Energie in den Dienst bestimmter Fraktionen der Bourgeoisie dieser oder jener „Nation“, „Völker“ oder „Länder“ stellt. Für „das Volk“ oder „nationale Selbstbestimmung“ zu kämpfen, bedeutet in diesem Sinne immer, den Staat und die Bourgeoisie zu unterstützen. Denn egal, welche Seite im kapitalistischen Krieg formal den Sieg erklärt, es wird immer die Bourgeoisie („unsere“ oder „ihre“) sein, die die Lebensbedingungen der ausgebeuteten Klasse bestimmt. Daher bedeutet „nationale Selbstbestimmung“ oder „nationale Befreiung“, dass es die lokale Bourgeoisie ist, die einen großen Teil der Verwaltung unserer Ausbeutung und der Verwaltung der Unterdrückung übernimmt. Daher kämpfen Anarchistinnen und Anarchisten logischerweise nicht für das Volk oder die Nation, sondern schließen sich mit allen Teilen des Proletariats (in der Ukraine, in Russland und überall sonst) zusammen, um gegen alle Fraktionen der Bourgeoisie (in der Ukraine, in Russland und überall sonst) zu kämpfen.

10https://avtonom.org/en/news/anti-war-leaflets-dsitribute

11Siehe Artikel unter https://borodin.noblogs.org/ (auf Tschechisch)

Artikel über die Abhörgeräte der Polizei an einem Veranstaltungsort in Prag https://borodin.noblogs.org/post/2018/02/01/482/ (auf Tschechisch)

12https://antifenix.noblogs.org/post/2019/03/27/what-is-fenix-2-about/

13https://stopwarpropaganda.noblogs.org/post/category/english/

14„Eine Bombe auf dem Festival und die “rot-schwarze Gerüchteküche“

https://lukasborl.noblogs.org/bomba-na-festivalu-a-cernoruda-drbarna/

15„The Dilemma returns: Insanity or death?“

https://lukasborl.noblogs.org/dilema-se-vraci-silenstvi-nebo-smrt/

(auf Tschechisch)

16A.d.Ü., auch auf unseren Blog (AMI) Die Linke des Kapitals sabotiert die anarchistische Bewegung: Wehren wir uns!

17https://antimilitarismus.noblogs.org/post/2024/06/14/the-left-of-capital-is-sabotaging-the-anarchist-movement-lets-fight-back/

18https://en.wikipedia.org/wiki/Doxing

19Gleicher Link wie Fußnote Nr. 14.

20https://afed.cz/text/8248/we-will-not-be-intimidated

21https://antimilitarismus.noblogs.org/post/2024/05/07/sweep-out-snitches-and-their-accomplices/

22https://www.anarchistcommunism.org/2022/06/08/anarchists-who-forget-the-principles-statement-by-kras-iwa/

23https://antimilitarismus.noblogs.org/post/2024/09/27/collaboration-of-pro-war-anarchists-with-the-far-right-masks-are-off-or-the-fail-of-the-anti-authoritarian-resistance-myth/

24„Dubovik’s slander of KRAS, even more lies than imaginable“

https://antimilitarismus.noblogs.org/post/2024/09/29/dubovikova-pomluva-na-adresu-kras-jeste-vice-lzi-nez-se-zdalo/

(auf Tschechisch und Russisch)

25Erstens veröffentlicht die Anarchistische Föderation (Anarchistická federace) Duboviks und Konltschenkos Artikel voller Kriegspropaganda auf ihrer Website afed.cz und in ihrer Zeitung Existence.

https://afed.cz/text/8097/anarchiste-a-valka-na-ukrajine-iv

Original in englischer Sprache:

https://kontradikce.flu.cas.cz/en/online-content/156

https://afed.cz/text/7761/levicaci-mimo-ukrajinu-jsou-zvykli-poslouchat-jen-lidi-z-moskvy

Original in Englisch:

https://freedomnews.org.uk/2022/10/04/leftists-outside-ukraine-are-used-to-listening-only-to-people-from-moscow-interview-with-rkas-anarcho-syndicalists-in-eastern-ukraine/

Zweitens schließt sich AF Kolchenkos Aufruf an, für den Kauf eines Autos für Kriegszwecke zu spenden.

https://afed.cz/text/7730/sbirka-na-auto?lang=english

(auf Tschechisch)

Drittens verteilt der Infoshop Trhlina die Zeitung Existence, die Texte von Dubovik und Kolchenko und bewirbt sie in seinen sozialen Medien.

Viertens gab die Website Kontradikce (eine akademische Zeitschrift) Dubovik und Kolchenko unkritisch Raum. Der Herausgeber Ondřej Slačálek verteidigte später die Entscheidung. Unter anderem erklärte er: „(…) Der Fragebogen ist kein politisches Unterfangen, sondern der Versuch eines Verständnisses einer akademischen Zeitschrift, wenn auch sicherlich einer Zeitschrift mit einem bestimmten Profil. Daher kann ich mir unter bestimmten Umständen vorstellen, Personen mit einem noch inakzeptableren Profil um unseren Fragebogen zu bitten (…).“

Fünftens bot die Anarchistische Buchmesse in Prag Kontradikce Raum für die Verteilung der Zeitschrift mit dem oben genannten Inhalt und die Präsentation von Kontradikce war im Programm enthalten.

Sechstens bietet das Riot Over River Festival AF die Möglichkeit, Publikationen mit Texten von Dubovik und Kolchenko auf dem Festival zu verteilen. Und auch Kriegspropaganda zu präsentieren, die mit der Art und Weise übereinstimmt, wie Kolchenko und Dubovik die angebliche Legitimität des von ihnen begangenen Doxing rechtfertigten.

26https://afed.cz/text/8248/we-will-not-be-intimidated

27https://antimilitarismus.noblogs.org/post/2024/05/07/sweep-out-snitches-and-their-accomplices/

28https://anarchiste.org/stanovisko-cas-k-domacim-pomerum-v-hnuti/

(in tschechischer Sprache)

29https://www.crossclub.cz/cs/program/6985-riot-over-river-7-spolecne-proti-rasismu/

(in tschechischer Sprache)

30„Interview mit der Band Bezlad“: „Ja, anfangs bestand es hauptsächlich (aber nicht ausschließlich) aus Vertretern rechter Organisationen und Ultras. Aber das Bataillon begann zu wachsen und wurde mit der Zeit zu einem Regiment. Das liegt daran, dass viele Menschen bereit waren, sich ihm freiwillig anzuschließen, weil es gute Aufstiegschancen bot und als eine der effektivsten Einheiten seit der Befreiung und Verteidigung von Mariupol im Jahr 2014 durch das Bataillon und andere Einheiten der Streitkräfte der Ukraine galt. (…) In den letzten Jahren gab es keinerlei Grund für Vorwürfe, dass Neonazis in nennenswertem Umfang im Asowschen Regiment dienen. Was jedoch nicht ausschließt, dass einige dieser Personen in geringem Umfang vertreten sind.“

https://www.kidsandheroes.com/nikdy-nevite-kde-bude-dalsi-uder-a-kdo-po-nem-zemre-rika-mira-z-ukrajinske-kapely-bezlad/

(in tschechischer und englischer Sprache)

31https://x.com/jungewelt/status/1687434498235932672

32Ich gebe die Quelle dieses Zitats nicht preis. Es ist immer noch öffentlich zugänglich und ich könnte mich an der gefährlichen Doxxing beteiligen, indem ich den Link teile. Ich kann Personen, denen ich vertraue, auf Anfrage Informationen über die Quelle geben. Um die Identität dieser Person zu schützen, werden sensible Informationen wie Name und Adresse durch XXXX ersetzt.

33Aus der Erklärung „Why won’t AMI have a stall at the Anarchist Bookfair in Brno“:

„Die Anti-militaristische Initiative (AMI) hat zunächst eine Einladung zur Anarchistischen Buchmesse angenommen, die am 21. Oktober 2023 stattfindet. Mit dieser Erklärung wollen wir erklären, warum AMI doch nicht auf der Buchmesse vertreten sein wird. Später werden wir möglicherweise einige der hier erwähnten Punkte in einer tiefergehenden Analyse vertiefen, um einen breiteren Kontext zu beleuchten. Vom Organisationskollektiv der Buchmesse erhielten wir Informationen über die Aktivitäten einer bekannten Person des Verlags Utopia Libri. Diese Person teilte dem Organisationskollektiv mit, dass die Teilnahme des Verlags davon abhängig sei, dass AMI, der Geschichtskreis Zádruha und Lukáš Borl nicht an der Veranstaltung teilnehmen. Später äußerten auch Personen aus dem Umfeld der Anarchistischen Föderation eine ähnliche Forderung. Die Begründung für diese seltsame Forderung war, dass die genannten Initiativen antimilitaristische Ansichten vertreten, die in ihrer Form als beleidigend gegenüber ihren Freunden angesehen werden. Uns wurde noch nicht erklärt, warum antimilitaristische Positionen in einem anarchistischen Umfeld als Problem angesehen werden sollten. Niemand hat auch nur erklärt, welche konkreten Angriffe AMI begangen haben soll. Sicher, AMI veröffentlicht einen Kommentar und eine Analyse, in denen erklärt wird, warum es wichtig ist, sich von allen militaristischen Tendenzen zu distanzieren. AF hingegen veröffentlicht Texte, in denen sich die Föderation gegen Anhänger des Antimilitarismus abgrenzt. Wir sind nicht der Meinung, dass in einem solchen Kontext die Aktivitäten von AMI als Aggression angesehen werden sollten, während die Aktivitäten von AF an einem anderen Maßstab gemessen werden sollten.

ANTI-MILITARISTISCHE INITIATIVE (AMI) 18/10/2023“

https://antimilitarismus.noblogs.org/post/2023/10/18/proc-nebude-stanek-ami-na-anarchistickem-bookfairu-v-brne/

(in tschechischer Sprache)

34https://actionweek.noblogs.org/post/2024/05/10/akce-make-tattoo-not-war-je-zrusena-make-tattoo-not-war-is-canceled/

35https://antimilitarismus.noblogs.org/post/2024/05/22/we-refute-the-lies-being-spread-about-ami/ , A.d.Ü., auch auf unseren Blog Wir widerlegen die Lügen, die über AMI verbreitet werden

36https://maketattoonotwar.noblogs.org/post/2023/03/18/the-beneficial-tattoo-supported-the-solidarity-activities-of-the-ukrainian-assembly-project/

https://maketattoonotwar.noblogs.org/post/2022/09/21/your-new-tattoo-can-support-people-in-kharkiv/

37https://panopticon.noblogs.org/files/2024/08/scan_20240527130551-1.pdf

Foto des Flyers am Stand der Anarchistischen Föderation (unten rechts) auf der Prager Anarchistischen Buchmesse

https://antimilitarismus.noblogs.org/files/2024/08/442424204_980041333912539_6363351376744818930_n.jpg

38Diese Person setzte während der Auseinandersetzung eine improvisierte Waffe ein – ein Stahl-Fahrradschloss. Die Frage ist jedoch, wie viel davon wirklich improvisiert war und ob es sich eher um eine vorgeplante Aktion/Provokation handelte. Es ist schon seltsam, dass jemand die ganze Zeit auf einer Buchmesse mit einem aufgesetzten Fahrradhelm herumläuft. Und nach meinem ersten Schlag hat er plötzlich ein Fahrradschloss in der Hand (ohne vorher das Fahrrad anfassen zu müssen). Wirklich seltsam, oder? Allerdings bin ich mir bei der Antwort auf diese Frage nicht sicher.

]]> (Tristan Leoni) Die Ukraine und ihre Deserteure. Teil II: Krieg und Revolution? https://panopticon.blackblogs.org/2025/03/20/tristan-leoni-die-ukraine-und-ihre-deserteure-teil-ii-krieg-und-revolution/ Thu, 20 Mar 2025 12:17:10 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6231 Continue reading ]]>

Gefunden auf ddt 21, die Übersetzung ist von uns. Teil Eins dieses Textes findest du auf unseren Blog.


Die Ukraine und ihre Deserteure.

Teil II: Krieg und Revolution?

Nichts, weder die Anerkennung eines begangenen Fehlers noch der Beitrag zur nationalen Verteidigung, kann den Menschen dazu zwingen, auf Freiheit zu verzichten. Die Vorstellung von Gefängnis und Kaserne ist heute alltäglich: Diese Monstrositäten überraschen dich nicht mehr. Die Unwürdigkeit liegt in der Gelassenheit derer, die die Schwierigkeit durch verschiedene moralische und physische Kapitulationen (Ehrlichkeit, Krankheit, Patriotismus) umgangen haben.“ Surrealistisches Flugblatt, Paris, 1925.

Ich liebe die 3. Angriffsbrigade!

Werbeplakat, Kiew, 2024.

Noch bevor sie in den Kampf gezogen ist, zählt die brandneue 155. mechanisierte Brigade der ukrainischen Armee, auch Anne-de-Kiev-Brigade genannt, mehr als 1.700 Deserteure bei einer Gesamtstärke von 4.500 Soldaten; die Hälfte dieser Männer wurde in Frankreich ausgebildet, wo sich bereits etwa fünfzig von ihnen in Luft aufgelöst hatten. Zum Zeitpunkt, als wir diese Zeilen schrieben, machte diese Angelegenheit Schlagzeilen in den Medien und enthüllte die Krise, in der sich diese Armee befindet1.

NEUES MOBILISIERUNGSGESETZ

Er dachte an seine besorgte Mutter

An die Ernte, die nicht eingebracht werden wird

An Mohnblumen, Klee und Ameisen

Gilles Servat, 1974.

Die Zahl der ukrainischen Freiwilligen nimmt ab, die Zahl der internationalen Freiwilligen steigt und der Einsatz von Söldnern ist sehr kostspielig2. Im Laufe des Jahres 2023 taucht die Idee einer Änderung der Wehrpflicht auf, die sowohl in der Rada als auch in der Armee heftige Debatten auslöst. Das bittere Scheitern der ukrainischen Sommeroffensive im Jahr 20233 reißt die Wunde noch weiter auf, und im Herbst fordert der Generalstab nicht weniger als die Mobilisierung von 500.000 zusätzlichen Männern… ein Projekt, das die ohnehin schon niedergeschlagene öffentliche Meinung bei weitem nicht zufriedenstellt. Erst am 11. April 2024, nach monatelangen parlamentarischen Auseinandersetzungen, wird mit 283 von 450 Abgeordneten eine Reihe von Reformen verabschiedet, die im folgenden Monat in Kraft treten.

In erster Linie wird das System zur Kontrolle und Repression der männlichen Bevölkerung verschärft. In diesem Bereich sprudeln die Ideen der Parlamentarier nur so hervor, aber die Ukraine muss ihre Verfassung und die internationalen Verträge ein wenig respektieren, um ihren demokratischen Anschein zu wahren; wenn die Sanktionen gegen Wehrdienstverweigerer und Deserteure verschärft werden, werden diese beispielsweise nicht ihr Bankkonto eingefroren sehen.

Die von der Militärverwaltung am meisten erwartete Maßnahme ist die Einrichtung einer zentralisierten digitalen Plattform, auf der Männer im Alter von 18 bis 60 Jahren verpflichtet sind, sich innerhalb von 60 Tagen zu registrieren und verschiedene Informationen (persönliche Daten, Telefonnummer, Adresse, Beruf usw.) anzugeben; sie müssen auch im Besitz eines Dokuments sein, das ihre rechtmäßige Situation belegt, und dieses bei einer Kontrolle vorlegen. Die Einberufungen zum Wehrdienst, die bisher persönlich oder per Post zugestellt wurden, können nun auch in digitaler Form erfolgen. Innerhalb weniger Monate haben sich vier Millionen Männer registriert … aber genauso viele haben „vergessen“, dies zu tun4.

Die Bedingungen für eine Befreiung aus sozialen oder medizinischen Gründen wurden verschärft, und insbesondere zur Betrugsbekämpfung werden alle Männer, die nach dem 24. Februar 2022 für dienstuntauglich erklärt werden, neuen medizinischen Untersuchungen unterzogen – mit Ausnahme von Soldaten, die im Kampf verwundet wurden.

Ein zweiter Teil der Reformen zielt darauf ab, den Pool der einsatzfähigen Männer zu vergrößern. Die wichtigste Maßnahme ist die Herabsetzung des Einberufungsalters für Männer von 27 auf 25 Jahre, wodurch 445.000 potenzielle Rekruten zur Verfügung stehen; die Biden-Regierung hat sich stark dafür eingesetzt, dieses Alter auf 18 Jahre zu senken, aber wie wir im ersten Teil dieses Artikels gesehen haben, die Ukraine versucht, ihre Jugend, also ihre Zukunft, zu bewahren.

Der Militärdienst wird auch auf Bevölkerungsgruppen ausgedehnt, die bisher davon befreit waren, z. B. bestimmte Beamte (Polizisten sind natürlich weiterhin befreit) oder auch Priester aller Glaubensrichtungen (nicht unbedingt, um als Militärseelsorger eingesetzt zu werden).

Es werden auch Maßnahmen ergriffen, um die Hunderttausenden von Männern, die in die Europäische Union (EU) geflüchtet sind, zu motivieren, insbesondere die Aussetzung von konsularischen Dienstleistungen (z. B. Passverlängerung) für diejenigen, die sich weigern, sich auf der zentralen Plattform zu registrieren oder die nicht auf eine Vorladung reagieren.

Wenn Gefangene mit militärischer Erfahrung bereits im Februar 2022 aus der Haft entlassen worden waren, fördert die Reform die Rekrutierung anderer im Austausch gegen eine bedingte Freilassung, außer bei Häftlingen, die wegen Mordes, Sexualverbrechen oder Verletzung der Staatssicherheit verurteilt wurden; die Armee hofft, auf diese Weise 20.000 zusätzliche Männer zu rekrutieren.

Obwohl die Kontrolle der Bevölkerung zentralisiert ist, ist die Rekrutierung nun auf den Niveau jeder Einheit legal; einige von ihnen, insbesondere die besonders mächtigen und renommierten (wie die Azov-Brigade, die in die diskrete 12. Angriffsbrigade umbenannt wurde), starten bereits ihre eigenen 4X3-Plakatkampagnen in den Städten der Ukraine. Unter Anwendung moderner Verwaltungsmethoden und unter Rückgriff auf private Unternehmen, die auf Rekrutierung spezialisiert sind, wetteifern die reichsten Brigaden um Einfallsreichtum, um die wenigen freiwilligen Staatsbürger (insbesondere die kompetentesten Fachkräfte) anzuziehen, indem sie Praktika in Immersion, ergänzende spezifische Schulungen, vorteilhafte finanzielle Bedingungen usw. anbieten5.

Als Anreiz wird jedoch beschlossen, den freiwilligen Kämpfern einige Vorteile zu gewähren, zum Beispiel Beihilfen für den Kauf eines Fahrzeugs oder die Aufnahme eines Immobiliendarlehens. Dagegen wird die von der Zivilbevölkerung und den Soldaten mit Spannung erwartete Begrenzung der Dienstzeit auf 36 Monate schließlich vom Parlament aufgrund des Drucks des Generalstabs abgelehnt; dieser befürchtet, dass im Falle einer Annahme die erfahrensten Soldaten ab Februar 2025 zu Zehntausenden die Armee verlassen würden! Mit dem Eintritt in die Armee unterzeichnet ein Wehrpflichtiger, ob freiwillig oder nicht, einen unbefristeten Arbeitsvertrag, der nur vom Arbeitgeber gekündigt werden kann.

In den Monaten nach der Verabschiedung dieser Reformen begrüßt die Verwaltung die ersten Auswirkungen und versichert im Sommer, dass die Rekrutierungen auf 35.000 Männer pro Monat gestiegen sind; eine Zahl, die, wie angekündigt, sollte steigen, fällt aber im Herbst 2014 auf 20.000 Männer pro Monat6, obwohl der Generalstab dringend 160.000 zusätzliche Soldaten fordert (um nur 85 % des Bedarfs der Einheiten zu decken). Es liegt definitiv ein Mangel an Motivation in der Luft. Verärgert erklärt der ukrainische Premierminister im Dezember sogar, dass Personen, die ihre Steuern nicht zahlen, vorrangig eingezogen werden! Einige weisen ihn sofort darauf hin, dass er damit impliziert, dass die Teilnahme an der Verteidigung des Landes eine Strafe wäre…7

Abgesehen von der Ausrüstung (die nur schwer geliefert werden kann) wird diese Frage des Kanonenfutters nun vom Westen als zentral angesehen: Die NATO setzt sich nun dafür ein, dass das Wehrpflichtgesetz geändert wird und Männer ab dem Alter von 18 Jahren betrifft; laut dem Briten Patrick Turner, Leiter des NATO-Büros in Kiew (sic), „in unserer Partnerschaft […], hat die NATO sehr wichtige militärische Unterstützung und Ausbildung geleistet und wird dies auch weiterhin tun, aber natürlich braucht man Soldaten. Der ukrainische Teil dieser Vereinbarung besteht darin, Soldaten zu stellen“, und Schweigen wäre die verständliche Reaktion8.

DIE UKRAINISCHEN GEFLÜCHTETEN MÄNNER IN EUROPA

Die Kinder sind nach Deutschland oder anderswo abgehauen. Ich sehe sie nicht mehr, nur am Telefon.

Niemand an der Front?

Niemand, Gott sei Dank!

Anonym, 20249.

Weit weg zu fliehen ist in der Ukraine wirklich keine neue Idee. Aufgrund von Armut und Perspektivlosigkeit ist das Land seit Jahrzehnten ein Auswanderungsland, das von fast 52 Millionen Einwohnern im Jahr 1991 auf 43 Millionen im Jahr 2021 geschrumpft ist.

Wenn ab Februar 2022 einige tausend im Ausland lebende Männer freiwillig in die Ukraine zurückkehren, um sich an der Verteidigung des Landes zu beteiligen, sind sie die Ausnahme; und diejenigen, die sich für den Militärdienst anstellen, sind bei weitem nicht in der Mehrheit. Seit dem Einmarsch versuchen viele andere, das Land zu Fuß oder mit dem Auto zu verlassen, insbesondere in Richtung Polen, aber diejenigen, die im wehrfähigen Alter sind, werden systematisch zurückgewiesen, da der Staat vorsichtshalber jegliche männliche Auswanderung verboten hat. Hunderttausende Frauen und Kinder haben die Grenze überquert.10

Es ist nicht leicht zu wissen, wie viele Einwohner die Ukraine seit Beginn des Krieges verlassen haben – die Situationen, Organisationen und Berechnungsmethoden variieren –, aber es sind wahrscheinlich etwa sieben Millionen. Es ist nicht leicht, weil zum Beispiel Russland das erste Aufnahmeland für Flüchtlinge ist! Der große Nachbar ist in der Tat seit Jahren ein bevorzugtes Auswanderungsland für die russischsprachige Bevölkerung der Ukraine, insbesondere für ihre mittlere Klasse. Nach Angaben der UNO sind dort 1,2 Millionen Menschen geflüchtet, während Russland behauptet, (zusammen mit Belarus) 2,8 Millionen aufgenommen zu haben, größtenteils aus annektierten Gebieten, deren Bewohner nun die russische Staatsbürgerschaft erhalten können.

Hingegen sind 4,8 Millionen Ukrainer in europäische Länder gezogen, hauptsächlich nach Deutschland (1.200.000), Polen (etwa eine Million) und Tschechien (400.000); nur sehr wenige haben sich für Frankreich entschieden (70.000). Die EU, die zum ersten Mal in ihrer Geschichte mit einem hochintensiven Krieg vor ihrer Haustür und dem damit verbundenen massiven Zustrom von Flüchtlingen konfrontiert ist, führt mit einer beispiellosen Richtlinie einen vorübergehenden Schutz ein, damit sie ohne das aufwändige Asylverfahren aufgenommen werden können; Ende 2023 kommen 4,3 Millionen Ukrainer in den Genuss dieser Regelung11. Zu allen Zeiten, ob sie es wollen oder nicht, müssen Länder, deren Nachbar in den Krieg verwickelt ist, die Aufnahme von Menschen bewältigen, die vor den Kämpfen fliehen (Spanier in Frankreich, Palästinenser im Libanon, Karen in Thailand, Iraker in Jordanien, Syrer in der Türkei und im Libanon, Sudanesen im Tschad, Libanesen in Syrien, Syrer im Libanon usw.). die EU befindet sich in diesem Fall.12 Wenn sich ukrainische „ökonomische“ Migranten in den Strom einreihen, gibt es auch Männer, die nicht so sehr vor einer bombardierten Stadt fliehen, sondern vor der Gefahr, in die Armee eingezogen zu werden.

Was ist also mit den Männern im wehrfähigen Alter? Sie machen nach den am häufigsten genannten Zahlen nur 10 % der ukrainischen Flüchtlinge in Europa aus – die also zum allergrößten Teil Frauen und Kinder sind –, aber für einige könnten sie, abgesehen von Schwankungen je nach Aufnahmeland, tatsächlich 15 bis 22 % der Flüchtlinge ausmachen13. Im Februar 2023 zählte Deutschland 163.287 arbeitsfähige ukrainische Männer auf seinem Territorium (mehr als 13 % der Flüchtlinge)14, aber am Ende des Jahres erreichte der Anteil der Männer unter den Neuankömmlingen 21 %, gegenüber 7 % im Vorjahr15. In Österreich sollen sie im Sommer 2023 14 % der Flüchtlinge ausmachen16, in Polen 8 %17. In den EU-Ländern befinden sich also mehrere hunderttausend Männer im wehrfähigen Alter; es ist nicht bekannt, wie viele von ihnen eine gültige Genehmigung zur Ausreise aus ihrem Land besitzen oder ob diese legal erworben wurde; es ist jedoch wahrscheinlich, dass viele nicht mit den Militärbehörden in Einklang stehen, sei es als Wehrdienstverweigerer, als Totalverweigerer oder als Deserteur.

Ukrainische Migranten zur Rückkehr „nach Hause“ zwingen?

Im Sommer 2023, als sich die Schwierigkeiten und schlechten Nachrichten häufen, beginnt die Frage der Ukrainer im Ausland die Regierungen und die Rada zu beunruhigen. Wie kann man diese Hunderttausenden von Männern zwingen, in ihr Land zurückzukehren? Was können die Verbündeten Kiews tun, damit es diesen hervorragenden Vorrat an Kanonenfutter zurückgewinnt?

Es werden viele Ideen und Gerüchte verbreitet, insbesondere über einen Antrag auf Unterstützung durch Interpol – aber das würde bedeuten, dass Tausende internationale Haftbefehle ausgestellt und eine regelrechte Jagd auf Ukrainer in allen Ländern organisiert werden müsste. Die Kiewer Behörden beginnen daher mit der Lobbyarbeit bei ihren europäischen Amtskollegen.

Im April 2024 kündigten Litauen und Polen an, die Ausweisung ukrainischer Männer im wehrfähigen Alter, die auf ihrem Territorium als Flüchtlinge leben, zu erleichtern18; im September schlug der polnische Außenminister vor, dass die europäischen Länder ihnen keine Sozialleistungen mehr zahlen sollten. Warschau erwägt auch die Möglichkeit, die militärische Ausbildung der Ukrainer vor ihrer Ausweisung sicherzustellen.

Im Laufe des Jahres setzt sich jedoch in den EU-Ländern die Idee durch, die Aufnahmebedingungen für ukrainische männliche Flüchtlinge zu verschärfen und ihnen das Leben zu erschweren, um sie zur Rückkehr zu bewegen (was im Übrigen eine Quelle für Haushaltseinsparungen darstellt). In Ungarn wurde im August 2024 ein Gesetz in Kraft gesetzt, das den Zugang zu Sozialwohnungen nur noch für Vertriebene aus den Kampfgebieten (und nicht mehr aus der gesamten Ukraine) vorsieht. In Tschechien wurde im September die Zeit, in der ukrainische Flüchtlinge kostenlose Unterkunft erhalten können, auf 90 Tage verkürzt. Gleichzeitig hat Norwegen damit aufgehört, Ukrainern automatisch Asyl zu gewähren, eine Maßnahme, die mit einem Anstieg des Anteils von Männern im wehrfähigen Alter begründet wurde. Angesichts der geringen Zahl der aufgenommenen Flüchtlinge scheint Frankreich jedoch weniger betroffen zu sein, obwohl im Oktober in Meurthe-et-Moselle mehrere Dutzend ukrainische Flüchtlinge aufgefordert werden, ihre Unterkunft zu verlassen, weil die Präfektur ihnen mangelnde Integration vorwirft19. Zufall?

Wie man sieht, ist die Vorzugsbehandlung, die Ukrainer aufgrund ihrer Hautfarbe genießen sollen, zumindest fragwürdig und schwankt in Wirklichkeit in Abhängigkeit von ökonomischen und geopolitischen Faktoren. Die europäischen Staaten sind übrigens nicht alle auf der gleichen Wellenlänge, zumal es darum geht, die Menschenrechte nicht allzu offen mit Füßen zu treten; die gewaltsame Abschiebung von Migranten, damit sie direkt an die Front geschickt werden, wäre moralisch, medial und rechtlich kaum zu rechtfertigen. Als im April 2024 die ukrainischen Botschaften im Rahmen des neuen Wehrpflichtgesetzes die konsularischen Dienste für Männer einstellen, die nicht in Ordnung mit der Militärverwaltung sind, und sie damit de facto zu illegalen Einwanderern machen, zeichnen sich die deutschen Behörden dadurch aus, dass sie erklären, dass sie ihren Aufenthalt verlängern können, auch wenn die Gültigkeit ihres Reisepasses abläuft, vorausgesetzt, sie verfügen über ein anderes Identifikationsmittel. Es stimmt, dass die deutsche Unternehmensleitung es vorziehen würde, wenn sich diese Männer, die besonders qualifizierte und angesehene Arbeitskräfte sind, dauerhaft niederlassen und sich in die Gesellschaft integrieren würden, indem sie arbeiten, was sie angeblich zu wenig tun (kaum ein Viertel); es ist also nicht aus Menschenliebe, dass das Arbeitsministerium im Jahr 2024 mehr als sechs Milliarden Euro für die Finanzierung von Unterkünften, Sprachkursen und Sozialhilfe für sie vorgesehen hat20.

Aber auch hier gilt: Wenn die nach Europa geflüchteten Männer die Wahl haben zwischen einem prekären Leben, ja sogar einem Leben als Illegale, und der Einverleibung in eine Armee im Krieg und auf der Flucht, was werden sie dann mehrheitlich wählen?

DEN TOTALVERWEIGERERN UND DESERTEUREN HELFEN

„– Was würdest du antworten, wenn dich jemand einen Feigling nennen würde?

Ich habe kein Land, ich habe nur eine Familie.

Anonym, 2023.21

In der Ukraine

Ukrainische Totalverweigerer und Deserteure, die das Land verlassen oder gefälschte Dokumente erhalten möchten, wenden sich häufig gegen Bezahlung an korrupte Beamte oder illegale Netzwerke, die mit dem organisierten Verbrechen in Verbindung stehen. Auch Familien- oder Freundeskreise mobilisieren sich, um denjenigen zu helfen, die sich verstecken, aber es wird komplizierter, wenn es darum geht, den illegalen Grenzübertritt zu organisieren.

Wie bereits erwähnt, entwickeln sich in der Ukraine zahlreiche Hilfsnetzwerke, die darauf abzielen, den Patrouillen der Rekrutierungsagenten (TCC) zu entkommen, aber auch Telegram-Gruppen, in denen sich „Touristen“ und andere „Pilzsammler“22, die versuchen, der Armee oder dem Land zu entkommen, Ratschläge und Tipps austauschen. Wir haben keine Informationen über die Existenz von gemeinnützigen Netzwerken, die materiell bei der Flucht aus dem Land helfen; wenn es sie gibt, können sie natürlich nicht öffentlich für ihre Aktionen werben, da sie sonst Gefahr laufen, sofort staatliche Repressionen zu erleiden.

Was die gegenseitige Hilfe betrifft, so kann man zweifellos wenig von dem Milieu linker Militanter der Vorkriegszeit erwarten, das größtenteils in die Union sacrée zur Verteidigung des Vaterlandes hineingezogen wurde (diejenigen, die sie zu offen denunzierten, wurden wie pro-russische Agenten behandelt); dies gilt insbesondere für die „ehemaligen Anarchisten“ und andere Antifaschisten, die, wie wir gesehen haben, die Kriegsanstrengungen unterstützen und in ihren Äußerungen nur Feindseligkeit und Verachtung gegenüber denen zeigen, die gegen den Krieg Stellung beziehen23.

Zu denen, die Anarchisten und/oder Antimilitaristen geblieben sind oder geworden sind, gehört die Gruppe Assembly aus Charkow, die Flüchtlingen praktische und Deserteuren „theoretische“ Unterstützung bietet; sie stellt sich öffentlich wie folgt vor: „Assembly ist ein Online-Newsletter, und wenn wir Deserteuren auf irgendeine Weise helfen können, dann nur, indem wir ihren Handlungen eine politische Rechtfertigung geben, damit sie keine Gewissensbisse haben, sondern stolz auf ihre Weigerung sind, eine Seite zu wählen. […] Wir bemühen uns nur darum, eine Art ideologischer Kern für diejenigen zu werden, die nicht kämpfen wollen (nicht nur das Militär, sondern auch die Zivilisten), damit es nicht nur eine Manifestation ihres Selbsterhaltungstriebs ist, sondern eine bewusste Position. Nicht einverstanden, für die Villen und Yachten anderer zu töten und zu sterben“24. Es ist natürlich unmöglich, konkretere Aktionen zu fordern, ohne den Zorn der Justiz auf sich zu ziehen, zumal Gruppen dieser Art von den ukrainischen Behörden besonders überwacht werden.

Zu erwähnen ist auch die Existenz einer sehr kleinen Gruppe, der Ukrainischen Friedensbewegung, die Mitglied der War Resisters‘ International ist und versucht, den vom Staat verfolgten Kriegsdienstverweigerern zu helfen25. Ihr von Liebe, Pazifismus und Gewaltlosigkeit geprägter Diskurs mag zwar als etwas naiv angesehen werden, aber ihr Vorsitzender, Yurii Sheliazhenko, wird seit mehreren Jahren von rechtsextremen Militanten und der Justiz schikaniert, weil er zu einem Waffenstillstand und Friedensgesprächen aufgerufen hat, Äußerungen, die in der Ukraine als pro-russische Propaganda angesehen werden…26 Zumindest bis Donald Trumps Sieg sichergestellt ist und ab Juli 2024 diskrete Verhandlungsprozesse wieder in Gang gesetzt werden, auch im Hinblick auf „Frieden gegen Territorium“27.

In Westeuropa

Ukrainische Deserteure in westlichen Ländern? In Frankreich?

Man sieht sie nicht … aber dennoch beschäftigen sich einige NGOs, staatliche Stellen oder Anwälte seit den ersten Kriegstagen mit ihnen. So berichtet die UNO von „zahlreichen Meldungen von Staatsbürgern, die von der ukrainischen Armee an den Grenzen zu europäischen Nachbarländern zurückgewiesen wurden“ und fordert Kiew auf, „Verständnis für Männer zu zeigen, die die Ukraine verlassen wollen28. Bereits im April 2022 veröffentlichte die Schweizerische Flüchtlingshilfe im Internet einen 40-seitigen Bericht mit dem Titel „Ukraine: Militärdienst und Sanktionen bei Totalverweigerung oder Desertion29. Im November 2022 veröffentlicht das OFPRA seinerseits im Rahmen der Dokumentation, die für die Prüfung der Anträge von Asylbewerbern verwendet wird, eine Mitteilung mit dem Titel „Ukraine: Die allgemeine Mobilmachung vom Februar 2022“, in der die Risiken für Wehrdienstverweigerer und Deserteure dargelegt werden.

Man sieht sie nicht … doch ihre Existenz ist seit Kriegsbeginn eine Selbstverständlichkeit. Anfang Mai 2022 schrieben wir, ohne über Informationen aus erster Hand zu verfügen:

„Nicht alle Ukrainer schienen sich in der Armee oder der Territorialverteidigung (TV) verpflichten zu wollen. Es gibt in der Tat Totalverweigerer und Deserteure; einige versuchen, sich zu verstecken, gefälschte Papiere zu bekommen, ins Ausland zu fliehen; es gibt also nicht umsonst Kontrollen an der Grenze für die Ausreise von Flüchtlingen. Andere melden sich vorsichtshalber in ihrer örtlichen TV an, im Hinterland, um nicht zwangsweise in eine Einheit eingezogen zu werden, die in den Kampf ziehen würde. Zu ihrem Unglück ermöglichen die Lieferungen der NATO (zum Beispiel Zehntausende von Helmen und kugelsicheren Westen) die Ausrüstung einer immer mehr neue wachsende Anzahl an Rekruten (und Mitglieder der TV)die ausgerüstet und an die gefürchtete Ostfront geschickt werden … daraus ergibt sich automatisch eine wachsende Zahl an Wehrdienstverweigerern und vielleicht sogar die ersten Demonstrationen gegen die Wehrpflicht (in Khoust, im Westen des Landes).“

Man sieht sie nicht … aber Le Monde widmet ihnen dennoch einen Artikel im August 202230.

Man sieht sie nicht … obwohl es in Europa tatsächlich Hunderttausende von ihnen gibt, man ihnen in Bistros oder öffentlichen Verkehrsmitteln begegnet (also nicht nur am Steuer großer deutscher Limousinen).

Man sieht sie nicht … weil sie kein Interesse daran haben, Aufmerksamkeit zu erregen, während die Ukraine die EU um ihre Rückführung bittet.

Man sieht sie nicht … in militanten Kreisen, oder nur sehr wenige, oder sehr spät, weil man es lieber nicht sieht, weil ihre Existenz nicht mit der vorherrschenden politischen Moral vereinbar ist (an alternativen Orten wie der Nationalversammlung), weil „das Auge nur das sieht, was der Geist bereit ist zu verstehen“. Mit der medialen Dampfwalze, die die bedingungslose Verteidigung der Ukraine gegenüber Russland predigt und Putin als den x-ten neuen Hitler darstellt, beklagt man den „Münchener Geist“ (ohne genau zu wissen, was das ist) und man ist sich einig, dass wir kämpfen müssen, um Europa, unsere Werte, unsere Freiheit, unsere Ruhe, unsere Demokratie und tutti quanti zu verteidigen, man ist sich einig, dass die Ukrainer kämpfen müssen31.

Während die bourgeoise Presse seit der russischen Invasion meist die Pressemitteilungen des französischen Außenministeriums kopiert und einfügt, betont die militante Mainstream-Presse den (zwangsläufig) heldenhaften Widerstand des ukrainischen „Volkes“, seine angebliche Selbstorganisation, die im Wesentlichen subversiv sei32, oder die „libertären“ Freiwilligen in der Armee. So verfassen ehrwürdige anarchistische Organisationen antimilitaristische Kommuniqués von großem Klassizismus, die zur bedingungslosen Unterstützung nur der in Russland aufständischen und desertierten Soldaten aufrufen und ihre ukrainischen Homologen einfach ausblenden! Intern ist nicht jeder damit einverstanden, aber es geht darum, bestimmte osteuropäische Gefährten mit atlantistischer Gesinnung nicht zu verärgern. Einige lassen sich nicht täuschen, insbesondere in Italien, oder unter den individualistischen Anarchisten, einigen Anarchosyndikalisten oder kleinen kommunistischen Gruppen, insbesondere den Bordigisten, die internationalistische Positionen beibehalten. Mit der Zeit wird es jedoch schwierig, die Augen vor der Realität zu verschließen. Obwohl die Texte der Gruppe Assembly nach und nach zur Referenz für die Behandlung des Themas werden, wird die grausame Realität manchmal immer noch zugunsten bequemer Gewissheiten beiseitegeschoben. Als im Winter 2023-2024 eines der Führungsmitglieder des Solidarity Collective, der ukrainischen Organisation, die „anarchistische“ Soldaten unterstützt, eine neue Tournee in Westeuropa unternimmt, um Spenden zu sammeln, gibt es noch einige alternative Orte, an denen sie empfangen werden kann, insbesondere in Frankreich, oder gefällige militante Medien, die ihr eine Plattform bieten.

Aber was kann man konkret tun? Man kann sich natürlich an eine mehr oder weniger karitative NGO wenden, die ukrainischen Flüchtlingen wie auch anderen Menschen hilft. Doch obwohl sich militante Freiwillige im Allgemeinen wenig Gedanken über die Gründe machen, die Migranten dazu bewegen, nach Europa zu kommen (die Lust auf Mobilität und cooles Nomadentum spielt dabei leider keine große Rolle), so fällt hier doch auf, dass diese ukrainischen Männer nicht ganz echte Migranten sind, keine guten Migranten… Einige verstehen im Übrigen nicht, was diese jungen Männer hier tun, warum sie nicht in „ihrem Land“ sind, wo sie doch das Glück haben, den Totalitarismus bekämpfen zu können. Das ist gelinde gesagt „unangenehm“.

Was die alternativen Orte oder Gruppen betrifft, die sich mehr oder weniger direkt für die Unterstützung der ukrainischen Armee ausgesprochen haben, ist es unwahrscheinlich, dass ein Deserteur auf der Suche nach Hilfe an ihre Tür klopft. Die öffentliche Meinung ist immerhin ein Hinweis darauf, was man tun könnte, auch ohne es von den Dächern zu rufen.33

Zu den Ausnahmen gehören neben den oben erwähnten anarchistischen und kommunistischen Gruppen und Publikationen, die grundsätzlich gegen den Krieg sind, auch die Arbeit der Initiative Olga Taratuta. Dieses Kollektiv wurde im Februar 2022 in Frankreich gegründet und hat sich zum Ziel gesetzt, russischen, belarussischen und ukrainischen Flüchtlingen und Deserteuren, die vor dem Krieg fliehen, zu helfen, Anarchisten in der Ukraine, die Widerstand leisten, ohne ihre Grundprinzipien aufzugeben (insbesondere die Gruppe Assembly), moralische, politische und materielle Unterstützung zu leisten, und als Resonanzboden für den Antikriegswiderstand in Russland und Belarus zu dienen. Ihre Tätigkeit beschreibt sie wie folgt:

In einem Jahr ist unsere Bilanz angesichts des großen Bedarfs sicherlich sehr mager. Wir haben uns an der Aufnahme und Unterstützung mehrerer ukrainischer Flüchtlingsfamilien beteiligt (Hilfe bei absurden Verwaltungsangelegenheiten, Wohnungssuche, materielle Hilfe insbesondere für Kleidung, Bereitstellung eines gemeinsamen Gemüsegartens usw.). Wir helfen weiterhin – zusammen mit anderen – jungen Russen, die vor der Mobilmachung geflohen sind. Wir haben versucht, die Bevölkerung und den zivilen Widerstand in der Ukraine, Russland und Belarus über die tatsächliche Situation auf dem Laufenden zu halten, indem wir Artikel direkt aus den lokalen Sprachen übersetzt und auf unserer Website veröffentlicht haben.“34

Für diejenigen, die sich fragen, was im Westen getan werden kann, macht die Assembly-Gruppe aus Charkow folgende Vorschläge35:

– Unterstützung der ukrainischen Kriegsdienstverweigerer, die sich mobilisieren.

– Druck auf die ukrainischen Botschaften und Konsulate ausüben.

– Die Frage der Kriegsverweigerung in den Medien thematisieren.

In diesem Sinne wurden im Dezember 2024 in Paris, Köln und Berlin von russischen und ukrainischen Flüchtlingen Demonstrationen organisiert, um auf diejenigen aufmerksam zu machen, die sich weigern, an diesem Krieg teilzunehmen.

Die Unterstützung der Deserteure kann auch in viel radikalere Aktionen einbezogen werden, die nichts weniger als die Kriegsmaschinerie zum Ziel haben. Für Kiew ist das Gebiet der EU-NATO-Staaten das eigentliche hintere Ende der Front, wo just in time und über eine Vielzahl von Flüssen Ausrüstung und Munition gelagert und verteilt, Panzer repariert und gewartet, Soldaten ausgebildet und gepflegt, nachrichtendienstliche Tätigkeiten durchgeführt werden usw. Zu Beginn des Krieges kam es in Griechenland und Italien zu Blockadeaktionen von Gewerkschaften/Syndikate gegen den Transport von NATO-Ausrüstung in die Ukraine (ebenso wie 2024 gegen Munition nach Israel). In Deutschland kam es zu Sabotageakten (und Verdachtsmomenten auf Sabotage) gegen den militärisch-industriellen Komplex, oft mit ökologischen Forderungen, manchmal aber auch mit revolutionären Forderungen gegen Krieg und Kapitalismus36. In Frankreich wurde in der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober 2024 in Toulouse eine Eisenbahnstrecke sabotiert, „gegen die Rüstungsindustrie und den Waffentransport “ und „in Solidarität mit allen Deserteuren, Kriegsgegnern und Kriegsdienstverweigerern37.

Alle Kriege sind widerlich38, aber die Deserteure zu unterstützen, es zu versuchen, unabhängig von ihrer Nationalität, ist nicht (nur) eine moralische Notwendigkeit. Es geht um große Worte, die überholt erscheinen, wie Internationalismus oder revolutionärer Defätismus, die nichts weniger als mit dem Klassenkampf zu tun haben, denn „die Banditen, die Kriege verursachen, sterben nie, nur die Unschuldigen werden getötet“, also hauptsächlich die Proletarier. Auch wenn es derzeit unmöglich ist, die genaue Soziologie der ukrainischen Kriegsdienstverweigerer und Deserteure zu kennen, ist es offensichtlich, dass, wenn Geld das wichtigste Mittel ist, um der Wehrpflicht zu entgehen, die Proletarier, abgesehen davon, dass sie den größten Teil der Bevölkerung ausmachen, massenhaft an die Front geschickt werden (auch wenn, wie wir gesehen haben, Solidarität innerhalb einer Familie oder unter Freunden möglich ist). Auch Angehörige der Mittelklasse sind von diesem Phänomen betroffen, allerdings auf andere Weise, da sie durch ihre Beziehungen die Mobilisierung vermeiden können (dies gilt für eine ganze patriotische Militärelite aus Intellektuellen, Influencern, Journalisten oder Mitgliedern von NGOs), ihre Ausbildung sie in Einheiten lenkt, die weniger gefährlich sind als die Infanterie (Cyberkrieg, Nachrichtendienst, Medizin) und ihr Einkommen erleichtert den Rückgriff auf Korruption. Le Figaro berichtet beispielsweise über den Fall eines 22-jährigen Informatikers aus der Stadt Lviv, der im Oktober 2022 4.000 Euro im Monat verdiente, also das Zehnfache des durchschnittlichen ukrainischen Gehalts, und gezwungen war, zu Hause zu bleiben: „Ich möchte mein Leben nicht für das Land geben. Meine Pläne waren, wegzugehen, um die Welt zu sehen, nicht hier zu sterben“39. Die Mittelklasse ist daher wahrscheinlich unter denen überrepräsentiert, die Korruption einsetzen, um falsche Ausnahmen zu erhalten (durch Geld oder Beziehungen), und die Proletarier (und Bauern) sind unter den Deserteuren überrepräsentiert, weil sie keine Lösung gefunden haben, um der Einberufung zu entgehen40.

WIRD DER PANZER DES STAATES AUF DER KRIEGSSPUR SCHLEUDERN?

Wenn Hass, Kriegslügen und die Instinkte der unter Helm und Maske entfesselten Bestie das menschliche Gesicht erneut verzerren, ist es unsere Pflicht, uns dem nicht zu beugen. Nicht zu erliegen.

In den schlimmsten Tagen nur das wesentliche Anliegen zu haben, zu retten, was jeder Mensch mit seinen eigenen Mitteln an Intelligenz, Würde, Wahrheit und Solidarität der Menschen retten kann… Den Kapitulationen des Denkens, den Brudermorden, der großen Verschwörung der Katastrophenprofiteure eine ruhige Ablehnung entgegenzusetzen. Diese feste Entschlossenheit, wenn sie nicht ausreicht, um uns vor dem Kanon zu retten, befreit uns zumindest von der Komplizenschaft mit den Kriegsherren.“ Victor Serge, 1938.

Der ukrainische Staat stand kurz vor dem Zusammenbruch. Das war im Februar 2022. Von einem großen patriotischen Elan getragen, half ein Teil der Bevölkerung durch eine Form der Selbstorganisation, die Mängel der Institutionen auszugleichen. Eine Krücke des Staates unter dem Deckmantel der „Volksmobilisierung“, die damals von alternativen Kreisen in Europa besonders gepriesen wurde41.

Zu Beginn des Jahres 2025 besteht möglicherweise zum zweiten Mal die Gefahr, dass der ukrainische Staat zusammenbricht. Die Ökonomie und die Armee des Landes werden von den Infusionen der Vereinigten Staaten (deren Fortbestand seit der Wahl von Donald Trump ungewiss ist) und der EU-Mitglieder (die am Ende ihrer Kräfte sind) am Leben erhalten – Partner, die sich wahrscheinlich nicht weiter engagieren werden.

Zum Zeitpunkt, an dem wir diese Zeilen schreiben, bricht die Front an mehreren Stellen angesichts der russischen Angriffe zusammen, ukrainische Einheiten geben Dörfer fast unversehrt auf, die sie vor einem Jahr wochen- oder monatelang wütend verteidigt hätten. Die Moral ist am Boden, es mangelt an Munition und an Männern, und selbst die finanzielle Unterstützung der Armee durch die Bevölkerung ist rückläufig.

Das neue Wehrpflichtgesetz vom April 2024 löst den Mangel an Männern nicht, sondern verstärkt den Unmut der Bevölkerung und die Konflikte mit einem Staat, der seit 2022 das Arbeitsgesetz ausgesetzt und alles, was sich demontieren und privatisieren ließ, privatisiert hat42. Sogar soziale Bewegungen tauchen wieder auf: Im Herbst 2023 finden Demonstrationen gegen die Lebensbedingungen (Entschädigungen, fehlende Heizung und Strom) und die Inkompetenz der Behörden, im Mai 2024 legten die Fernfahrer gegen die Intensivierung der Wehrpflicht die Arbeit nieder und im September und Oktober streikten die Arbeiter der Wasserversorgungsbetriebe in der Region Lissitschansk oder auch die Fahrradkuriere in Kiew wegen Lohnfragen.43

Die Wahrscheinlichkeit, dass die Front zusammenbricht und die Einheiten vollständig auseinanderfallen, ist zwar gering, aber vorhanden. Was würde dann passieren? Was wäre, wenn die russischen Truppen den Dnjepr erreichen würden? (Sie sind weit davon entfernt.) Was wäre, wenn sie durch eine erneute Offensive aus Belarus die Hauptstadt erneut bedrohen würden?

Aufgrund der anfänglichen Schwierigkeiten der russischen Armee fantasierten einige im Jahr 2022 von Meutereien, die nicht weniger als den Sturz Putins zur Folge hätten; doch wenn heute ein Staat mit dem Russland vom Februar 1917 verglichen werden muss, dann eher die Ukraine, was die militärische Lage und die Unzufriedenheit der Bevölkerung angeht. Könnten also Proletarier, die in Massen von der Front fliehen und dabei ihre Waffen behalten, einen Aufstand der Bevölkerung auslösen? Vom Kampf verhärtete Proletarier? J.R.R. Tolkien sah nur einen positiven Aspekt im Krieg: „Die zunehmende Gewohnheit unzufriedener Menschen, Fabriken und Kraftwerke in die Luft zu sprengen; ich hoffe, dass dies, jetzt, da es als Akt des ‚Patriotismus‘ gefördert wird, eine Gewohnheit bleiben kann!“ Doch wie er zu Recht bemerkte, „wird es in keiner Weise von Vorteil sein, wenn es nicht universell ist.“44.

Daher könnte sich die Situation, mehr als zu einem revolutionären Umbruch, viel banaler zu einem traurigen Bürgerkrieg entwickeln. Wenn der Staat nun zusammenbricht, wird es keinen zweiten patriotischen Impuls geben – denn die Patrioten sind tot oder müde –, der Staat erscheint bereits als das, was er ist, ein Gegner, autoritär, undemokratisch, gewalttätig, korrupt, inkompetent usw. Von nun an wird die Selbstorganisation im Krisenfall weniger den klassenübergreifenden Aspekt vom April 2022 haben, sondern sich vor allem de facto gegen den Staat aufbauen und daher zerschlagen werden. Es ist übrigens sehr wahrscheinlich, dass der ukrainische Staat in den Vororten von Kiew Einheiten in Reserve hält, die in der Lage sind, die Ordnung in der Hauptstadt wiederherzustellen (Einheiten mit NATO-kompatiblen Offizieren, die dem Staat, aber nicht unbedingt dem Präsidenten treu sind), eine Aktion, die die russische Armee sicherlich nicht behindern würde45.

Nach dem mehr oder weniger freiwilligen/gewaltsamen Rücktritt von Zelinsky beispielsweise würde die Einsetzung einer Regierung der nationalen Einheit, die integrativer und demokratischer wirkt, eine interessante politische Ablenkung bieten, um die Unzufriedenheit der Bevölkerung zu besänftigen. Im Falle einer völligen Instabilität hätten jedoch nur die am besten organisierten politischen Kräfte mit militärischen Einheiten (d. h. rechtsextreme Gruppen oder von Oligarchen finanzierte Gruppen) den Willen und die Fähigkeit, die Ordnung wiederherzustellen, um die Ukraine zu „retten“ (der polnische Nachbar würde die Machtübernahme durch Ultranationalisten wahrscheinlich nur mäßig begrüßen). Falls nötig, könnte sogar der Einsatz von NATO-Truppen unter dem Deckmantel der „Friedenssicherung“ oder einer humanitären Operation im Westen des Landes erfolgen. Das Aufkommen einer Kommune in Kiew oder der Stadt Lwiw ist daher unwahrscheinlich, ihre sozialen Errungenschaften wären wahrscheinlich eher gering und ihre Lebensdauer sicherlich sehr kurz.

Die Wahl von Donald Trump kommt genau zum richtigen Zeitpunkt, um solche Szenarien zu vermeiden, wenn er wenigstens eines seiner Wahlversprechen einhält, nämlich den Krieg in der Ukraine zu beenden.

Das endgültige Friedensabkommen wird unweigerlich territoriale Zugeständnisse an Russland beinhalten, die vor dem Krieg durch einfache Verhandlungen hätten erreicht werden können (wie die Trennung zwischen Tschechien und der Slowakei im Jahr 1992) und die auch bei den russisch-ukrainischen Verhandlungen in der Türkei im März-April 2022 in Betracht gezogen wurden, aber von den Angelsachsen beendet wurden …46 Da der Westen so viel in die Ukraine investiert hat und dort so große Projektpläne hatte, wäre es bedauerlich gewesen, die Region der russischen Wirtschaftssphäre zu überlassen; außerdem versprach der Krieg für bestimmte Fraktionen des amerikanischen Kapitalismus solche Gewinne, dass es schade gewesen wäre, sich dessen zu berauben47. Aber die Zeit vergeht und jetzt, insbesondere für andere Fraktionen, scheinen die Dividenden des Friedens höher zu sein als die einer Fortsetzung des Krieges. Das Business as usual muss wieder aufgenommen und der Wiederaufbau in Angriff genommen werden. Am wahrscheinlichsten ist, dass in mehr oder weniger kurzer Zeit ein Waffenstillstand erklärt und eine Interventionsmacht eingesetzt wird. Während es für den amerikanischen Präsidenten relativ einfach sein dürfte, den Ukrainern einen Strich durch die Rechnung zu machen, wird es zweifellos notwendig sein, mit Zugeständnissen und Drohungen subtiler, ja sogar brutaler umzugehen, um die Russen, die sich derzeit in einer Offensivdynamik befinden und ihre minimalen Kriegsziele noch nicht erreicht haben, aufzuhalten, mit dem Risiko, dass dies zu einem Abgleiten führt.48

Trotz der Vorteile, die der Ausnahmezustand der Ukraine bringt (Aussetzung des Arbeitsgesetzes, Ausreiseverbot für Männer), muss das Kriegsrecht aufgehoben und ein Anschein von Rechtsstaatlichkeit hergestellt werden. Der tägliche Verlauf des Klassenkampfes kann wieder aufgenommen werden; seine Form wird jedoch von den Bedingungen des Wiederaufbaus, der „Hilfen“ und der Investitionen des Westens abhängen – im Jahr 2024 schätzte die Weltbank den Bedarf des Landes für das nächste Jahrzehnt auf 500 Milliarden Euro. In diesem vom Krieg zerstörten Land, das durch den Ausverkauf an angelsächsische Firmen verwüstet wurde , wo die Verarmung einen wachsenden Teil der Bevölkerung betrifft, wird das Konfliktniveau zweifellos hoch sein, zumal es nur wenige Arbeitskräfte geben wird und ein Teil von ihnen monatelang einem intensiven Prozess der Brutalisierung ausgesetzt war (der vom Historiker George L. Mosse in Bezug auf den Ersten Weltkrieg beschrieben wurde). Die Gewerkschaften/Syndikate, die durch ihre Zusammenarbeit mit der Union sacrée in Verruf geraten sind, werden zweifellos wenig dazu beitragen können, die Arbeiter zu besänftigen; wird es ausreichen, die für dieses Desaster verantwortlichen Figuren der herrschenden Klasse zu verdrängen (auf politische und gerichtliche Weise und nicht durch Aufruhr)?

Die Wut der Bevölkerung wird sich eher in einer massiven Abwanderung in die EU entladen, insbesondere was Männer aus der Mittelklasse und besser ausgebildete Arbeiter betrifft, die von den europäischen Chefs sehr geschätzt werden.

Aus demografischer Sicht ist die Situation der Ukraine katastrophal, ihre Zukunft besonders düster. Ihre vor dem Krieg schrumpfende und alternde Bevölkerung leidet unter den Kämpfen (etwa 100.000 Tote, 400.000 Schwerverletzte und Zehntausende Amputierte49). Seit Kriegsbeginn soll sie laut Regierung 8 Millionen Einwohner verloren haben und laut UNO 10 Millionen, womit sie auf 35 oder 33 Millionen Ukrainer geschrumpft wäre. Eine Blutung, die unterschätzt werden könnte und sich verstärken wird, sobald der Frieden wieder einkehrt; die meisten in Europa oder Nordamerika lebenden Flüchtlinge werden nicht in die Ukraine zurückkehren und stattdessen von ihren übrigen Familienangehörigen begleitet werden. Um das Bild zu vervollständigen, muss darauf hingewiesen werden, dass das Land im Jahr 2023 die niedrigste Geburtenrate seiner Geschichte verzeichnete; die Fruchtbarkeit, die 2021 bei 1,2 Kindern pro Frau lag, fiel 2022 auf 0,9 und 2023 auf 0,750.

Dieser Arbeitskräftemangel beunruhigt bereits jetzt die lokalen, deutschen, angelsächsischen und sogar französischen Kapitalisten51, die gezwungen sein werden, sehr viele Proletarier aus ärmeren Gebieten zu importieren, um das Land wieder aufzubauen und die Fabriken, die sie dort errichten werden, zu betreiben – die an Russland angeschlossenen Gebiete werden mit dem gleichen Problem konfrontiert sein. Das Spiel ist es offensichtlich wert. Larry Fink, CEO von BlackRock, der größten Finanzmacht der Welt, bestätigte dies: „Diejenigen, die wirklich an ein kapitalistisches System glauben, werden die Ukraine mit Kapital überschwemmen […]. Wenn wir die Ukraine wieder aufbauen wollen, kann sie zu einem Leuchtturm für den Rest der Welt werden, der die Macht des Kapitalismus verkörpert“52.

UND DER KRIEG HAT GERADE BEGONNEN…

Ich gab Brot für die Vögel

Ich sammelte den Hund ein, der am Bach trank

Jean Yanne, 1957.

Man kann versuchen, sich zu beruhigen, versuchen, die positiven Seiten der Dinge zu sehen. Der Krieg in der Ukraine wird wahrscheinlich im Jahr 2025 enden. Wenn dies der Fall ist, wird es letztlich nur ein Randkonflikt gewesen sein53 – eingebettet in einen innerimperialistischen Konflikt von globalem Ausmaß, dessen Karten gerade neu verteilt werden –, ein Konflikt von relativ begrenztem Ausmaß, wenn man ihn mit dem vergleichen, was der schwelende Dritte Weltkrieg sein könnte, auf den sich viele Länder vorbereiten, jeder im Rahmen seiner Möglichkeiten. Ein „kleiner“ Konflikt, der sich in Zukunft also durchaus häufen könnte.

Während Analysten und Militärs seit Jahren Alarm schlagen und (zumindest seit 2017) die europäischen Länder als eine Herde von Pflanzenfressern in einer Welt von Fleischfressern beschreiben, macht die russische Invasion von 2022 einigen ihre Verwundbarkeit bewusst. Programme zur Modernisierung und vor allem zur Massenmobilisierung ihrer Armeen wurden gestartet, allen voran in Polen, aber der Kauf von (sehr oft amerikanischem) Material ist nicht alles; das Ausmaß der ukrainischen Verluste zeigt, dass die Wehrpflicht ein wesentliches Thema in einem „echten“ Krieg ist – man entdeckt wieder, dass Militärtechnologie nichts ohne Infanteristen ist, dass Kapital nichts ohne Arbeit ist54. Nach der Annexion der Krim war ein Schaudern zu spüren: Litauen führt ab 2015 die Wehrpflicht wieder ein (sie wurde 2008 abgeschafft), Norwegen, wo sie auf Freiwilligkeit beruht, weitet sie auf Frauen aus; Schweden führt sie 2018 ebenfalls selektiv für Männer und Frauen wieder ein (sie war 2010 abgeschafft worden).

Wenn Lettland ab Juli 2022 den Wehrdienst wieder einführt (der 2007 abgeschafft wurde), müssen wir bis 2024 warten, um neue Entwicklungen zu beobachten: Im März verlängert Dänemark die Dauer seiner Wehrpflicht von vier auf elf Monate und weitet sie auf Frauen aus; In Deutschland wird ein neues Modell des Militärdienstes (seit 2011 ausgesetzt) auf freiwilliger Basis mit einer obligatorischen Erfassung potenzieller männlicher Rekruten geprüft; im Vereinigten Königreich wird ebenfalls über die Wiedereinführung der Wehrpflicht (1960 abgeschafft) nachgedacht, während in Litauen eine Reform ausgearbeitet wird, die Staatsbürger betreffen könnte, die im Ausland leben und studieren.

Frankreich, das am Rande des Bankrotts steht, hat überhaupt nicht die Mittel, sich diesem makabren Tanz anzuschließen; sein Verteidigungsbudget, selbst mit der durch das Militärprogrammgesetz von 2023 diktierten Steigerung, ist nur ein Notbehelf, der kaum das Niveau der bestehenden Streitkräfte aufrechterhält.

Die Verteidigung der Interessen des westeuropäischen Kapitalismus geschieht nun, wie wir gesehen haben, im Namen der Verteidigung demokratischer Werte, in denen sich ein großer Teil der Linken und der Umweltschützer verfangen hat, ebenso wie oft Kreise mit revolutionären Ansprüchen. Es braucht immer gute Vorwände; Rosa Luxemburg betonte dies bereits 1915: „Seitdem die sogenannte öffentliche Meinung bei den Berechnungen der Regierungen eine Rolle spielt, gab es nie einen Krieg, in dem nicht jede kriegführende Partei aus schwerem Herzen das Schwert aus der Scheide gezogen hätte, nur um das Vaterland und ihre eigene gerechte Sache gegen die unwürdige Invasion des Gegners zu verteidigen? Diese Legende gehört ebenso zur Kriegskunst wie Schießpulver und Blei. Das Spiel ist uralt. Das einzige Neue ist, dass eine sozialdemokratische Partei daran teilgenommen hat.

Es ist nicht klar, wie in Zukunft eine Reihe sogenannter linker Organisationen, die einen militärischen Widerstand gegen die totalitäre Bedrohung durch Russland befürworten, und andere, die Waffenlieferungen an die Ukraine befürworten, sich einer Erhöhung des französischen Militärbudgets, dem Einsatz von Truppen und Kampfflugzeugen in Osteuropa55 oder sogar der (sehr unwahrscheinlichen) Wiedereinführung des Militärdienstes widersetzen könnten, wenn es darum geht, Demokratie und Frieden zu verteidigen… Sind die deutschen militanten Umweltschützer nicht die kriegslustigsten Europäer? Es scheint, als seien nun nur noch die Ratingagenturen in der Lage, eine Erhöhung der Kriegsausgaben zu verhindern.

Zu einem Zeitpunkt, da sie sich theoretisch als nützlich erweisen könnten, befinden sich die Friedens- und Antikriegsbewegungen also auf einem Tiefpunkt. Die Bevölkerung erträgt ihrerseits (vorerst) ohne viel Aufhebens die ökonomischen Folgen der „strategischen“ Entscheidungen ihrer Regierenden (Krise, Inflation) und scheint durch die offizielle Darstellung der Ereignisse, den Kampf zwischen Gut und Böse, betäubt zu sein … eine Rhetorik, auf die Moskau gleichermaßen zurückgreift, um seine Bevölkerung in einem neuen Großen Vaterländischen Krieg gegen einen „kollektiven Westen“ , der als im Niedergang begriffen beschrieben wird.

Man erinnert sich, dass die Volksfront 1936 mit diesem antifaschistischen Diskurs das Proletariat entwaffnete, nachdem sie es wieder an die Arbeit geschickt hatte, es dazu brachte, seine Klasseninteressen aufzugeben, und es in eine neue Union sacrée einband, was den französischen Rüstungsindustriellen den größten Gewinn einbrachte.

In diesem zweiten Viertel des 21. Jahrhunderts wird der französische Staat bereits alle Hände voll zu tun haben, seine Armee wieder auf Vordermann zu bringen, aber er wird dazu gezwungen sein; außerdem muss der Wiederaufbau der Ukraine finanziert werden… Die Rechnung wird sehr, sehr hoch sein. Wir wissen bereits, wer sie begleichen muss: die Proletarier, sei es durch Lohnkürzungen, durch die Verschlechterung ihrer Lebensbedingungen, durch den beschleunigten Abbau der öffentlichen Dienstleistungen und des Sozialschutzes usw. Werden sie sich dem widersetzen? Wenn ja, muss man darauf achten, welche Form ihr Widerstand annehmen wird, aber es ist möglich, dass er nicht genau unseren Erwartungen und Hoffnungen entspricht. Doch obwohl das Umfeld besonders düster erscheint, ist noch nichts entschieden.

Tristan Leoni, Januar 2025.

Ende des zweiten Teils

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Literaturhinweise

UNSERE TEXTE:

Tristan Leoni, « L’Ukraine et ses déserteurs. Première partie : Où sont les hommes ? », DDT21, November 2024. ((Tristan Leoni) Die Ukraine und ihre Deserteure)

Tristan Leoni, « En Ukraine, des anarchistes sous l’uniforme ? », DDT21, Januar 2024. (In der Ukraine: Anarchistinnen und Anarchisten in Uniform?)

Tristan Leoni, « Adieu la vie, adieu l’amour… Ukraine, guerre et auto-organisation », DDT21, Mai 2022. ((Frankreich) Lebewohl zum Leben, Lebewohl zur Liebe… Ukraine, Krieg und Selbstorganisation)

Tristan Leoni, Manu militari ? Radiographie critique de l’armée, Grenoble, Le Monde à l’envers, 2020, 128 p. (zweite überarbeitete und erweiterte Auflage)

WEITERE TEXTE:

Julien Chuzeville, Zimmerwald 1915. L’internationalisme contre la Première Guerre mondiale, Smolny, Toulouse, 2024, 154 p.

Collectif, Les anarchistes contre la guerre, de 1914 à nos jours, Quatre.zone, 2022, 28 p.

Gilles Dauvé, « La paix, c’est la guerre », troploin.fr, Juni 2022. ((Gilles Dauvé) Der Frieden ist der Krieg)

Michel Goya, « L’ Ukraine et la GRH de guerre », La Voie de l’épée, 15 Januar 2025.

Jean Lopez et Michel Goya, L’ours et le renard, Histoire immédiate de la guerre en Ukraine, Paris, Perrin, 2023, 352 p.

Victor Serge, « Angoisse et confiance », La Wallonie, 1er-2 Oktober 1938.

Georges-Henri Soutou, La Grande rupture 1989-2024, Paris, Tallandier, 2024, 362 p.


1Der erste Teil dieses Textes, „Wo sind die Menschen?“, wurde im November 2024 im Blog DDT21 veröffentlicht. Eine vollständige Referenz sowie die Referenzen unserer anderen Artikel über den Krieg in der Ukraine (auf die später eingegangen wird) findet ihr in den Literaturhinweisen am Ende des Artikels.

2Kiew greift (wie auch Moskau, wenn auch vielleicht in geringerem Umfang) auf die Dienste klassischer Söldnertruppen zurück, die man in allen heutigen Kriegsgebieten antrifft, insbesondere auf die aus ehemaligen kolumbianischen Soldaten bestehenden Truppen. Es ist anzumerken, dass die Vereinigten Staaten im November 2024 die Präsenz ihrer privaten Militärfirmen (Private Military Companies, PMCs) in der Ukraine legalisiert haben, jedoch nur in Bezug auf Kampfeinsätze (Aufrechterhaltung der Einsatzfähigkeit, Logistik, Ausbildung, Medizin usw.).

3Die am 8. Juni 2023 begonnene groß angelegte Offensive in der Oblast Saporischschja, die darauf abzielt, die russische Verteidigungslinie zu durchbrechen, indem sie etwa 90 km weiter südlich das Asowsche Meer erreicht, sollte nacheinander drei Verteidigungslinien durchbrechen – ein Angriff, der seit Monaten angekündigt und in den Medien stark beachtet wurde. Die ukrainischen Truppen verschanzten sich sofort im Bereich der ersten russischen Befestigungen und befreiten nur drei oder vier Dörfer. Obwohl der Misserfolg offensichtlich war, beharrte der Generalstab, der starkem politischen und medialen Druck ausgesetzt war, mehrere Monate lang darauf, Angriffe auf diesen Sektor zu starten; eine absurde Haltung, die sich als sehr kostspielig in Bezug auf Menschen und Material erwies. Diese Episode trägt dazu bei, dass die ukrainische Armee und ihr Generalstab in den Augen der Bevölkerung weiter in Misskredit geraten.

4Sidonie Rahola-Boyer, « Guerre en Ukraine : des officiers de conscription contrôlent les hommes à la sortie d’un concert à Kiev », Le Figaro, 18. Oktober 2024.

5Zu diesem Thema (und trotz des besonders himmlischen und unpassenden Tons der Gastrednerin Anna Colin Lebedev in Bezug auf die Bedingungen der Mobilisierung) kann man sich den Podcast von Le Collimateur vom 12. November 2024 anhören: „Qui se bat pour l’Ukraine ? Mobilisation et engagement dans un pays en guerre“ auf lerubicon.org.

Wir haben die Frage der (relativen) Autonomie der ukrainischen Armeebrigaden und ihre politischen oder ethnischen Besonderheiten in unserem Artikel vom Mai 2022 angesprochen.

6Thomas d’Istria, Stanislav Asseyev, « Nous avons une immense armée de déserteurs qui se balade dans le pays », Le Monde, 26. Oktober 2024.

7Isobel Koshiw, « Ukraine struggles to recruit new soldiers as desertions rise », Financial Times, 1er Dezember 2024.

8Élise Vincent, « Pour l’Otan, l’Ukraine doit fournir des soldats », Le Monde, 14. Dezember 2024.

9Tamas Balassa, « En Transcarpatie, dans l’ouest de l’Ukraine, “bientôt, il n’y aura plus de garçons” », Le Courrier International, 23. Februar 2024. https://www.courrierinternational.com/article/reportage-en-transcarpatie-dans-l-ouest-de-l-ukraine-bientot-il-n-y-aura-plus-de-garcons?at_campaign=partage_article_app&at_medium=ios9

10Die Familien der ukrainischen Bourgeoisie ihrerseits sind in den Tagen vor der russischen Invasion mit dem Flugzeug in die westlichen Länder geflogen.

11Dieser vorübergehende Schutz gilt für sechs Monate und kann verlängert werden; er folgt auf einen Beschluss des Europäischen Rates vom 4. März 2022, der am 28. September 2023 bis März 2025 verlängert wurde.

Der vorübergehende Schutz ist ein Verfahren, das nur im Falle eines massiven oder unmittelbar bevorstehenden Zustroms von Vertriebenen aus Drittländern gewährt wird, die nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können. Diese Personen erhalten sofortigen und vorübergehenden Schutz, insbesondere wenn auch die Gefahr besteht, dass das Asylsystem nicht in der Lage ist, den Zustrom zu bewältigen, ohne dass dies negative Auswirkungen auf sein effizientes Funktionieren hat, im Interesse der betroffenen Personen und anderer schutzsuchender Personen.https://ec.europa.eu/eurostat/fr/web/products-eurostat-news/w/ddn-20240112-2

12Wir glauben nicht an die Mär von einer „rassischen“ Präferenz bei der Behandlung ukrainischer Flüchtlinge (auch wenn die kulturelle und geografische Nähe unweigerlich einen Einfluss auf das empfundene Maß an Empathie hat). Die Behandlung russischer Wehrdienstverweigerer und Deserteure durch die EU bestätigt dies: Nach der von Moskau im September 2022 angekündigten Teilmobilmachung zur Rekrutierung von 300.000 Männern im Alter von 18 bis 65 Jahren sind Hunderttausende, vielleicht sogar eine Million Russen legal nach Armenien, Kasachstan oder in die Türkei (da die Grenzen des Landes für Männer im wehrfähigen Alter nicht geschlossen sind) geflohen. Einige versuchten, in die demokratische EU zu gelangen, um dort Asyl zu beantragen, aber ab dem 19. September 2022 schlossen Polen und die baltischen Länder ihre Grenzen für russische Staatsbürger, gefolgt von Finnland, das mit dem Bau eines 200 km langen Zauns begann, genau wie Polen um die Exklave Kaliningrad und im folgenden Monat von Tschechien. Am 9. September 2022 entschied der Rat der EU, das Abkommen mit Russland zur Erleichterung der Visaerteilung vollständig auszusetzen und empfahl, Schengen-Visa nur restriktiv zu erteilen. Nur sehr wenige dieser Widerspenstigen flüchten daher in die EU-Länder, wo sie ohnehin mit einer tiefsitzenden antirussischen Fremdenfeindlichkeit konfrontiert sind. Ariane Riou, „Je vis dans la peur, mais je préfère rester ici » : en Russie, le discret retour des « traîtres », Le Parisien, 21. April 2024.

Während in Kasachstan und Armenien rund 500 russische Deserteure registriert sind und sich Tausende weitere in Russland verstecken, nimmt Frankreich im Oktober 2024 sechs russische Deserteure auf, eine „beispiellose“ Entscheidung in Europa! „Guerre en Ukraine : la France accueille six déserteurs russes“, Le Figaro, 21. Oktober 2024.

13Olena Harmash, « Polish minister, visiting Kiev, calls for end to benefits for Ukrainian men in Europe », Reuters, 15. Septembre 2024.

14« Liefert uns die Fahnenflüchtigen aus! », Bild, 1er September 2023.

15« Anteil männlicher ukrainischer Geflüchteter in Deutschland steigt », ifo.de, 13. Oktober 2023.

16« Flucht vor der Front : 14.000 Ukrainer im wehrfähigen Alter in Österreich », Exxpress.at, 21. August 2023.

17Rebecca Rommen, « The Ukrainian draft dodgers who don’t want to go to war against Russia », businessinsider.com, 18. November 2023.

Budapest hat ihrerseits Menschen der ungarischen Minderheit in der Ukraine aufgenommen, denen sie seit 2012 Pässe ausstellt, ein praktisches Mittel, um die Ukraine legal zu verlassen.

18Serhiy Morgunov, David L. Stern und Francesca Ebel, „Ukrainian men abroad voice anger over pressure to return home to fight“, Washington Post, 3. Mai 2024.

19Thomas Bonnet, « Meurthe-et-Moselle : des réfugiés ukrainiens menacés d’être expulsés de leur logement », France Bleu, 20. Oktober 2024.

20Emmanuel Grasland, « L’Allemagne prévoit 6 milliards pour les réfugiés ukrainiens en 2024 », Les Échos, 3. Janaur 2024.

21Nick Thorpe, « Ukraine war: Deserters risk death fleeing to Romania », bbc.com, 8. Juni 2023.

22Assembly, « Наперегонки со смертью. Что нужно знать желающим пересечь границу Украины через лес или реку », 2024.

23Es ist jedoch ziemlich wahrscheinlich, dass einige dieser „ehemaligen Anarchisten“, die für den Militärdienst geworben haben, sich aber persönlich dafür entschieden haben, im Hintergrund zu arbeiten (in der Annahme, dass sie bei der Verwaltung der Logistik oder der Website der Gruppe nützlicher sind), dann ihrerseits von einer immer gefräßigeren Wehrpflicht eingeholt werden.

24Despair and anger in a concentration camp. Assembly’s interview on the second anniversary of big war in Ukraine“, libcom.org, 24. Februar 2024.

25Die Adresse ihrer Website lautet https://pacifism.org.ua/

26Pierre Barbancey, « Ukraine : pourquoi Zelensky a fait placer un pacifiste en résidence surveillée », L’Humanité, 12. September 2023.

Jan Ole Arps, « Que fait et pense la gauche ukrainienne ? », alencontre.org, 13. Januar 2023.

27Voir Georges-Henri Soutou, La Grande rupture 1989-2024, Paris, Tallandier, 2024, p. 306-310.

28Lorenzo Tondo, « Reportage. “Ce n’est pas ma guerre” : ces hommes ukrainiens qui refusent de se battre», Courrier international, 13. April 2022.

29Organisation suisse d’aide aux réfugiés, Ukraine : service militaire et sanctions en cas d’insoumission ou de désertion, 11. April 2022.

30Jean-Baptiste Chastand « À la frontière roumaine, avec ces Ukrainiens qui ont décidé de ne pas se battre », Le Monde,‎ 17. August 2022.

31Es ist doch seltsam, dass angesichts dieses angeblichen neuen Hitlers niemand fordert, dass Frankreich Russland den Krieg erklärt, und dass, abgesehen von etwa hundert Männern, meist ehemalige Militärs oder Rechtsextremisten, niemand in die Ukraine zieht, um dort zu kämpfen, obwohl die ukrainische Armee ausländische Freiwillige mit offenen Armen empfängt – eine seltsame Tendenz, die besagt, dass man sich hinter einem Schreibtisch nützlicher fühlt als in einem Schützengraben. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass im September 1939 viele dieser Radikalen vorsichtshalber vorgeschlagen haben, dass Frankreich und Großbritannien sich damit begnügen sollten, Waffen nach Polen zu schicken, anstatt an der Seite dieses Landes in den Krieg einzutreten.

32Zu diesem Thema siehe unseren Artikel vom Mai 2022.

33In den 1990er Jahren, während der Balkankriege, richtete eine französische anarchistische Organisation einen klandestinen RIng ein, um serbischen Deserteuren zu helfen. Heute, da viele NGOs in Wirklichkeit als Subunternehmer des Staates bei der Verwaltung der Einfuhr außereuropäischer Arbeitskräfte agieren, erweist sich der Fall der russischen und ukrainischen Migranten also, wie wir gesehen haben, als heikler – Staaten mögen keine Deserteure –, zumal selbst in Frankreich die Dienste und Anhänger der beiden Herkunftsländer eine reale, physische Bedrohung für Militante darstellen können.

34Die Initiative de solidarité Olga Taratuta, Nr. 4, Mai 2023. Die Website des Kollektivs ist http://nowar.solidarite.online/blog; es stellt seine Tätigkeit am 24. Oktober 2024 in Si vis pacem, der Sendung der Union pacifiste auf Radio libertaire, vor. Das letzte Bulletin des Kollektivs, Nr. 7, Januar 2025, ist HIER verfügbar.

35Assembly, „Internationalism – a guide to action or an excuse for inaction? To the start of the Prague Action Week 20-26 May“, 19. Mai 2024.

36„Contre la guerre toujours, pas de vacances pour ses fabricants !“, Sans dessous dessus, Nr. 1, Herbst 2024, S. 40.

Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass einige der beeindruckendsten und am wenigsten beanspruchten Vorfälle das Werk russischer Dienste sind (es handelt sich nicht um eine Anspielung auf die Sabotage der Nord Stream-Gaspipelines, die offensichtlich das Werk anderer Dienste sind).

37« Sabotons leurs chemins de guerre », iaata.info, 6. Oktober 2024.

38Diejenigen, die behaupten, den Krieg zu lieben, müssen ihn fernab des Gemetzels auf den Schlachtfeldern, der verstreuten Leichen und aufgeschlitzten Frauen geführt haben. Krieg ist ein absolutes Übel. Es gibt keinen fröhlichen oder traurigen Krieg, keinen schönen oder schmutzigen Krieg. Krieg ist Blut, Leid, verbrannte Gesichter, durch Fieber geweitete Augen, Regen, Schlamm, Exkremente, Müll, Ratten, die über die Leichen laufen, monströse Wunden, Frauen und Kinder, die zu Aasfressern werden. Der Krieg demütigt, entehrt und erniedrigt. Er ist der Schrecken der Welt, versammelt in einem Paroxysmus aus Dreck, Blut, Tränen, Schweiß und Urin. » Hélie de Saint Marc, Mémoires. Les champs de braises, Paris, Perrin, 2002, S. 136.

39Clara Marchaud, „Dans l’Ukraine en guerre, ces réfractaires à la mobilisation“, Le Figaro, 26. Oktober 2022.

40Dies wird durch den Artikel von Peter Korotaev und Volodymyr Ishchenko „Why is Ukraine struggling to mobilise its citizens to fight?“ auf aljazeera.com vom 23. Januar 2025 bestätigt. In diesem sehr guten Artikel wird zum Beispiel festgestellt, dass seit Kriegsausbruch Menschen mit Behinderungen unter den ukrainischen Spitzenbeamten seltsamerweise überrepräsentiert sind.

41Zu diesem Thema siehe unseren Artikel vom Mai 2022.

42Serhiy Guz, « Le gouvernement ukrainien démantèle les droits du travail pendant la guerre », Courant alternatif, n° 319, April 2022.

43Assembly, « Internationalism – a guide to action or an excuse for inaction? To the start of the Prague Action Week 20-26 May », 19. Mai 2024 ; Assembly, « The autumn rise of social struggle across Ukraine », 1er Dezember 2023.

44J.R.R. Tolkien, Brief an Christopher Tolkien, 29. November 1943.

45Im Juni 1940, als die Front durch den deutschen Blitzkrieg weitgehend durchbrochen war, bemühte sich der französische Generalstab, Truppen um die Hauptstadt herum zu halten, um eine neue Pariser Kommune zu verhindern. Im Jahr 1944, während die Wehrmacht den Aufstand in Warschau niederschlägt, macht die Rote Armee am Rande der Hauptstadt eine Pause, um das Schauspiel zu genießen; 1991 bewahren die Vereinigten Staaten die Einheiten der irakischen Präsidentengarde, damit sie die schiitische Revolte um Basra niederschlagen kann; usw.

46Zu diesen Verhandlungen, von denen viele Details inzwischen öffentlich sind, siehe z. B. das Werk von Georges-Henri Soutou, op. cit., S. 254-257.

47Ohne die amerikanische Hilfe hätte der Krieg in der Ukraine nur wenige Wochen gedauert – man wird es bemerkt haben, wenn ein Konflikt auf der Welt ausbricht, greift der Westen nicht systematisch ein, um das Opfer gegen den Angreifer zu unterstützen. Das ursprüngliche Ziel Washingtons war hier zweifellos, den wichtigsten Verbündeten Chinas, Russland, auszubluten und dessen Interessen von denen Deutschlands zu entkoppeln, um so nebenbei die ökonomische und militärische Vasallisierung der EU-Länder zu vollenden. Emmanuel Todd behauptet in verschiedenen Interviews mit einem nicht ohne Scharfsinnigen Humor, dass es sich hier nicht um einen Krieg Russlands gegen die Ukraine oder gar einen Krieg der NATO gegen Russland handelt, sondern um einen Krieg der Vereinigten Staaten (und ihrer britischen, polnischen und ukrainischen Verbündeten) gegen Deutschland, das nun unterworfen und erneut besetzt ist.

48Das Risiko einer Eskalation oder Ausweitung des Konflikts kann daher nicht vollständig ausgeschlossen werden, auch und vor allem in Richtung der baltischen Staaten, der Exklave Kaliningrad oder des Suwałki-Korridors, auch wenn die russische Armee nicht über die Mittel für eine solche Eskalation verfügt; aber ein Zwischenfall ist so schnell passiert… Die Eskalation kann auch als die einzige Möglichkeit angesehen werden, eine kritische Situation zu lösen, insbesondere ist dies die interessante Hypothese, die Philippe Fabry, ein liberal-konservativer Essayist und YouTuber, vorbringt: Er zieht insbesondere eine Parallele zwischen dem Russland von 2025 und dem Japan von 1941; Letzteres, das seit 1937 in einem gigantischen Konflikt gegen China verstrickt ist, findet keinen anderen Ausweg als die Flucht nach vorn, die Kriegserklärung an die Vereinigten Staaten und das Vereinigte Königreich.

49Wenn es einen Sektor der deutschen Ökonomie gibt, der keine Krise kennt, dann ist es der der Prothesen.

50Emmanuel Grynszpan, „L’Ukraine au défi de l’exode des femmes et des adolescents“, Le Monde, 29. September 2023.

51Das Thema wurde auf der internationalen Konferenz im Juni 2024 in Berlin diskutiert. Unter den wenigen Franzosen, die sich bewerben, möchte Xavier Niel, Präsident von Free (und nebenbei Miteigentümer der Gruppe Le Monde), eine Milliarde Euro in die Ukraine investieren und der größte Betreiber des Landes werden. Siehe Pierre Avril, „Mobilisée sur le front, déplacée dans le pays ou exilée, la main-d’œuvre manque cruellement à la reconstruction de l’Ukraine“, Le Figaro, 12. Juni 2024.

52Zur Frage des Wiederaufbaus siehe zum Beispiel Jean-Pierre Duteuil, „Reconstruire l’Ukraine : Le Capital dans les starting-blocks“, Courant alternatif, Nr. 336, Januar 2024.

53Während des Kalten Krieges, als Europa sich darauf vorbereitete, das wichtigste Schlachtfeld zu werden, konnten militärische Zusammenstöße zwischen Ost und West nur indirekt in sekundären Regionen Afrikas oder Asiens stattfinden. Im 21. Jahrhundert ist Europa eine Randzone am Rande einer Rivalität, deren Zentrum der Pazifik ist.

54Wir haben diese Frage in unserem Buch Manu militari angesprochen (siehe Literaturhinweise am Ende des Artikels).

55Konkret stellt die französische Armee die Ausbildung Tausender ukrainischer Soldaten sicher, beteiligt sich an den Kämpfen an der Seite Kiews, indem sie ihre Kapazitäten in der elektronischen Kriegsführung und im Nachrichtendienst (Flugzeuge, Satelliten usw.) mobilisiert, entsendet Truppen und Flugzeuge in die baltischen Staaten und nach Rumänien, um sie vor der „russischen Bedrohung“ zu schützen; die Arbeiter der Rüstungsindustrie ihr Bestes tun, damit die Caesar-Kanonen schnell in die Ukraine geliefert werden. Zu wünschen, dass Frankreich seine Hilfe für die Ukraine erhöht, bedeutet also, eine Erhöhung des Verteidigungshaushalts und eine Stärkung des französischen militärisch-industriellen Komplexes zu fordern.

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Proletarier „an der Heimatfront“!
Gefährtinnen und Gefährten!

In vielen Teilen der Welt setzt der Kapitalismus gerade wieder seine ihm innewohnende Kriegsmaschinerie in Gang, um Tausende und Abertausende Proletarier abzuschlachten. Sie werden unerbittlich bombardiert und beschossen; absichtlich ausgehungert und ohne Wasser gelassen; gezwungen, sich in den Schützengräben gegenseitig zu erschießen, zu erstechen oder mit Gas zu vergiften, vergewaltigt, gefoltert und verstümmelt…

Wenn unsere Klasse mit diesem Gemetzel, dieser schrecklichen Zuspitzung der Unmenschlichkeit der kapitalistischen Gesellschaft konfrontiert wird, ist ihre einzige Reaktion, sich dem nicht zu unterwerfen! Das kommt aus unserem Bauch heraus und ist gleichzeitig Ausdruck unserer historischen Klasseninteressen.

Deshalb kam es kurz nach Beginn des Krieges in der Ukraine auf beiden Seiten der Front zu den sogenannten „Zwischenfällen“. Soldaten beider Armeen versuchen zunehmend, sich der Einberufung und Entsendung an die Front zu entziehen. Sie verstecken sich, wenn sie können, und wenn sie in die Militäreinheiten gezwungen werden, versuchen sie zu fliehen und ihre Positionen bei der ersten Gelegenheit zu verlassen. Es ging so weit, dass sich die ukrainischen Generäle über den „völligen Zusammenbruch der Armeedisziplin“ beschwerten. Dasselbe passiert, wenn auch leider in kleinerem Maßstab, in anderen innerbürgerlichen Konflikten im Nahen Osten, im Sudan und anderswo. Sowohl in der Ukraine als auch in Russland wurden Armeeoffiziere und Militärrekrutierer von ihren „eigenen“ Truppen angegriffen.

Aber was können wir als Proletarier, die in den „friedlichen“ Gebieten der „Heimatfront“ leben, tun, um den Kampf unserer Klassenbrüder in Uniform, die sich gegen den kapitalistischen Krieg auflehnen, praktisch zu unterstützen und ihn mit unseren eigenen Kämpfen zu verbinden? Selbst wenn wir das Glück haben, weit genug von der „Todeszone“ entfernt zu leben, dass wir nicht unter Bombenangriffen, Raketen, militärischer Besatzung oder der Anwesenheit umherstreifender Banden von „Spezialeinheit“-Mördern leiden?

Unser Leben wird dennoch täglich durch Kürzungen bei den „Sozialausgaben“, die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und die Intensivierung der Ausbeutung, den Anstieg der Preise für Wohnraum, Lebensmittel, Energie und andere Überlebensmittel, die zunehmende soziale Kontrolle und Repression sowie die allgemeine Militarisierung der Gesellschaft beeinträchtigt.

Das ist natürlich nichts Neues, wir erleben dieses Elend auch in Zeiten des kapitalistischen „Friedens“ und kämpfen trotzdem dagegen an. Aber während eines Krieges oder intensiver Kriegsvorbereitungen müssen das Kapital und der Staat einen zunehmenden Teil der Produktion in die sogenannte „Kriegswirtschaft“ verlagern. Mit anderen Worten: Waffen, Munition und Militärfahrzeuge, Treibstoff, Lebensmittelrationen usw. müssen schnell produziert und ebenso schnell für den Prozess des Massenmordes an Proletariern – UNS! – ausgegeben werden. Und weil jeder Staat dies schneller und umfassender tun muss als der „Feind“, entsteht ein immenser Druck, immer härter und länger zu arbeiten, mit weniger Schutz und so weiter. Gleichzeitig muss der Staat die Propaganda für die Nation und die Heiligkeit des „Vaterlandes“, der „Demokratie“ und der „Freiheit“ verstärken, um uns davon zu überzeugen, uns für die Interessen des Kapitals zu opfern, die niemals unsere eigenen sein können.

Die erste Antwort auf die Frage, was zu tun ist, lautet daher: Revolte gegen unsere eigene Ausbeutung! Durch Streiks, Besetzungen, Blockaden und Sabotage von Autobahnen und Eisenbahnen, Plünderung von Gütern sowie deren Umverteilung innerhalb unserer Klasse usw. greifen wir während des Krieges die Produktion, Verwertung und Reproduktion des Kapitals an, die für die Kriegsanstrengungen benötigt werden. Aber auch, indem wir unsere Klasseninteressen gegen die Interessen der herrschenden Klasse durchsetzen, untergraben wir ihr Märchen von der „nationalen Einheit“! Unsere Klassenfeinde werden auch mehr Polizisten und Soldaten entsenden müssen, um zu versuchen, unsere Kämpfe zu unterdrücken – und diese werden dann für die Jagd auf Deserteure und Flüchtlinge, für die Durchsetzung der Mobilmachung, für die Bewachung der Grenzen fehlen… und ihre Loyalität gegenüber dem Staat ist nicht selbstverständlich. Schließlich wurden die Meutereien in der russischen Armee im Februar 1917 dadurch ausgelöst, dass die Soldaten von ihren Offizieren den Befehl erhielten, streikende Arbeiter in Petrograd zu zerschlagen!

Um unseren Angriff auf die Kriegsmaschinerie direkt und effizient zu gestalten, müssen wir unsere subversiven Aktivitäten auf mehrere Bereiche konzentrieren:

Störung der militärischen Infrastruktur wie Munitionslager, Eisenbahnen, Häfen, Flughäfen und Straßen, die zur Lieferung von Truppen und militärischem Material an die Fronten genutzt werden.

Wir können uns von unseren proletarischen Brüdern und Schwestern inspirieren lassen, die seit Beginn des Krieges in Belarus und Russland kollektiv die Eisenbahn sabotieren, um die Lieferung von Militärmaterial an die Front zu stoppen.

Auch von den Hafenarbeitern in Genua und Triest in Italien und in Piräus in Griechenland, die den Transport von Waffen und Munition in die Ukraine, nach Israel oder für die amerikanischen Bombenangriffe auf den Jemen blockieren.

Unterbrechung der militärischen Rekrutierung, Einberufung und „Busifizierung“ von Wehrpflichtigen an die Front. Sowohl in der Ukraine (Transkarpatien und andere) als auch in Russland (Dagestan und andere) werden Schweine und Militärpatrouillen, die die Wehrpflichtigen verhaften wollen, von ihren wütenden Verwandten und Freunden konfrontiert.

Wenn wir in Ländern leben, die weiter von der Front entfernt sind, setzt der Staat bisher entweder auf eine Art „freiwillige“ Rekrutierungstaktik oder auf nationalistische Manipulation wie die patriotischen Bildungsprogramme, die beispielsweise in Frankreich oder Polen durchgeführt werden, oder auf Projekte zur Wehrpflicht. Wenn wir nach Inspiration suchen, was wir dagegen tun können, sollten wir auf die lange Tradition von Protesten und Aufständen gegen militärische Rekrutierer und „militärische Karriereberater“ an amerikanischen Universitäten hinweisen, die bis zu den sogenannten Kriegen in Vietnam und am Persischen Golf zurückreichen und bis zum jüngsten Krieg in Gaza andauern.

Warum sollten Militärrekrutierer, nationalistische Propagandisten oder jene braven Staatsbürger, die für den Staat denunzieren und den antimilitaristischen Klassenwiderstand anprangern – jene, die uns zwingen, uns für das „Wohl der Nation“ zu opfern – ihr Leben in Frieden und Sicherheit leben dürfen? Lasst uns mit ihnen umgehen, wie unsere Klassenbewegung schon immer mit Streikbrechern umgegangen ist! Verräter bekommen Stiche!

Den Deserteuren bei der Flucht helfen, sie verstecken und über die Grenzen schmuggeln, aber auch unseren Kampf gemeinsam mit ihnen organisieren! Es gibt bereits Netzwerke sowohl in Russland als auch in der Ukraine, die Soldaten bei der Flucht aus der Armee helfen, und wir müssen sie praktisch mit unseren eigenen Netzwerken des Kampfes verbinden. Das bedeutet sichere Kontakte, sichere Telefone, sichere Häuser, Sammlungen von Geldern…

Die Geschichte des Klassenkampfes zeigt uns, dass der einzige Weg, wie wir uns dem kapitalistischen Krieg wirklich widersetzen können, nicht zugunsten der Fortsetzung unseres Elends im kapitalistischen Frieden, sondern für die Zerstörung der Gesellschaft des Elends und der Ausbeutung insgesamt und damit für die Beendigung aller Kriege, darin besteht, dass sich der Aufstand der Proletarier an der Front und der Kampf derer an der „Heimatfront“ praktisch vereinen!

Erinnern wir uns an die Erfahrungen der Proletarier im Irak während des sogenannten Ersten Golfkriegs 1991, als sich Armeedeserteure, von denen viele ihre Waffen behielten, sowohl in den Sümpfen im Süden als auch in den Bergen im Norden versammelten, wo sie zusammen mit den militanten Arbeitern den Aufstand gegen den Staat organisierten!

Angesichts einer globalen kapitalistischen Katastrophe ist die Revolution unsere einzige Hoffnungsperspektive!

Lasst uns unsere Waffen gegen „unsere eigenen“ Ausbeuter und gegen „unsere eigenen“ Generäle richten!

Lasst uns gemeinsam gegen den kapitalistischen Krieg, gegen den kapitalistischen Frieden kämpfen!

Lasst uns den kapitalistischen Krieg in einen globalen Klassenaufstand für den Kommunismus verwandeln!

]]> Spendenaktion für Deserteure und Kriegsflüchtlinge https://panopticon.blackblogs.org/2025/03/05/spendenaktion-fuer-deserteure-und-kriegsfluechtlinge/ Wed, 05 Mar 2025 21:52:18 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6207 Continue reading ]]>

Gefunden auf antimilitarismus, die Übersetzung ist von uns.


Spendenaktion für Deserteure und Kriegsflüchtlinge

Das Kriegsgemetzel in der Ukraine dauert an und betrifft die Bevölkerung auf beiden Seiten der Front. Während Putins Armee ukrainische Städte bombardiert, hat die ukrainische Regierung diese Städte für einen erheblichen Teil der lokalen Bevölkerung in Gefängnisse verwandelt.

Die Menschen werden durch die Handlungen der Machthaber im Kreml und in Kiew verstümmelt, eingesperrt, vergewaltigt und ermordet. Wir dürfen nicht wegsehen. Wir müssen den Betroffenen helfen.

Krieg und nationalistische Propaganda täuschen und manipulieren uns und verschleiern gleichzeitig wichtige Fakten. Unter anderem die Tatsache, dass die Staatsgrenzen in der Ukraine für Männer im wehrpflichtigen Alter geschlossen sind. Sie werden von der Armee bewacht, die Männer ins Gefängnis schickt, sie erschießt und im Fluss ertränkt, wenn sie versuchen, die Grenze zu einem sicheren Ort zu überqueren. Bewaffnete Soldaten der Armee jagen Männer auch auf der Straße, um sie an die Front zu schleppen und sie als „Kanonenfutter“ zu benutzen. Ja, das ist dieselbe ukrainische Armee, die von vielen gelobt wird, als wäre sie eine edle Form der Befreiungsinstitution. Wenn wir nach Russland schauen, sehen wir eine ähnlich beunruhigende Realität. Schon der geringste Protest gegen den Krieg führt dazu, dass Menschen im Gefängnis landen; die Zwangsrekrutierung hat viele Proletarier dazu gezwungen, zu fliehen oder unterzutauchen. Deserteure, Saboteure und Kriegsdienstverweigerer werden in Russland und der Ukraine massakriert, verurteilt und inhaftiert.

Es ist uns egal, wie die Bourgeoisie diese Aggression gegen die Arbeiterklasse in Russland und der Ukraine rechtfertigt. Es ist nicht nur notwendig, sie zu verurteilen und zu kritisieren, sondern auch den Betroffenen praktische Unterstützung zu bieten, d. h. Deserteuren, Rebellen, Saboteuren, Flüchtlingen, denen, die sich der Zwangsrekrutierung an die Front entziehen, und vielen anderen. Es ist notwendig, sich konsequent gegen Putins Aggressoren zu stellen, ebenso wie gegen Aggressoren, die auf Betreiben der ukrainischen Regierung handeln.

Was können wir tun, die wir derzeit außerhalb des Kriegsgebiets leben? Zumindest können wir Ressourcen mit denen teilen, die sie dringend benötigen. Die Anti-Militaristische Initiative (AMI) startet daher ab dem 1. Februar 2025 eine öffentliche Spendenaktion. Mit dem gesammelten Geld werden Proletarier aus Russland und der Ukraine unterstützt, die versuchen, der Mobilisierung zu entgehen, die desertiert sind, die Repressionen ausgesetzt sind oder versuchen, ihr Leben zu retten, indem sie aus einem Kriegsgebiet fliehen.

Wie kann man die Spendenaktion unterstützen?

1) Du kannst Geld auf das Konto überweißen.

Zahlungsdetails:

IBAN: CZ1955000000001024164477

Kontoinhaber: Historický spolek Zádruha, z.s.

Bank: Raiffeisenbank

Bankleitzahl: 5500

SWIFT-Code: RZBCCZPP

2) Es ist auch möglich, das Geld persönlich in bar zu übergeben.

3) Benefizkonzerte, Solidaritätsfeiern und -essen usw. sind willkommen.

4) Die Weitergabe von Informationen über die Spendenaktion ist ein wichtiger Teil der Spendenaktion. Sie kann in verschiedene Sprachen übersetzt werden, und die Weitergabe eines Flyers oder Plakats, die Veröffentlichung des Aufrufs auf Websites, in sozialen Netzwerken, Zeitschriften usw. ist ebenfalls willkommen.

5) Wir planen, nacheinander Stellungnahmen von Kollektiven und Individuen zu veröffentlichen, die die Spendenaktion unterstützt haben. Diese werden ihre Beweggründe und Überlegungen zum Widerstand gegen den Krieg erläutern. Schreib deinen eigenen Beitrag.

]]> „Palästina: Volk oder Klasse? (2. Teil)“ https://panopticon.blackblogs.org/2025/01/26/palaestina-volk-oder-klasse-2-teil/ Sun, 26 Jan 2025 21:12:57 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6155 Continue reading ]]> Gefunden auf dndf, die Übersetzung ist von uns. Der erste Teil des Textes kann hier auf unseren Blog gelesen werden.


„Palästina: Volk oder Klasse? (2. Teil)“

Die Fortsetzung in der letzten Ausgabe von Courant Alternatif.

Als Fortsetzung und Vertiefung der Debatte, die mit Emilio Minassian bei den libertären Treffen im Quercy in diesem Sommer stattfand, um eine klassenbezogene Lesart und Perspektive der Situation in Palästina-Israel zu verteidigen, haben wir ihm einige Fragen gestellt. Im ersten Teil (CA Nr. 345) haben wir uns mit der Integration der Region Israel/Palästina in den Weltkapitalismus und der Klassenzusammensetzung in Palästina befasst. In dieser Ausgabe wollen wir die Auswirkungen dieser Klassenzusammensetzung auf die proletarischen Kämpfe und den nationalen Befreiungskampf diskutieren.

Kann der nationale Befreiungskampf, so klassenübergreifend er auch sein mag, nicht den Schraubstock der Klassenherrschaft für die palästinensischen Proletarier lockern? Denn es ist möglich, dass die israelische Kolonisierung die palästinensische Bourgeoisie vor einer Ausweitung der Klassenwidersprüche schützt.

Wo steht der nationale Befreiungskampf in Palästina heute? Existiert er überhaupt noch? Der nationale Befreiungskampf ist zwar eine Perspektive (ein Nationalstaat ohne Kolonialherren), und man kann davon ausgehen, dass diese in Palästina weiterhin gültig ist, solange der Kolonialismus andauert. Aber wie steht es um den Mobilisierungsprozess? Historisch gesehen hat sich dieser immer um politische Formationen herum vollzogen, während er gleichzeitig auf die Klassenstruktur einwirkte.

In Palästina verkörperte sich der nationale Befreiungskampf in den Parteien der PLO (Palästinensische Befreiungsorganisation), den Akteuren der so genannten „palästinensischen Revolution“ nach dem Krieg von 1967: Um diese Parteien (Fatah, PFLP – Volksfront für die Befreiung Palästinas – und alle Abspaltungen, die daraus hervorgegangen sind) entstand eine soziale Bewegung, die die traditionellen, aus der feudalen Welt übernommenen Hierarchien umstürzte. Die „palästinensische Revolution“ brachte eine Kaderklasse aus der intellektuellen Kleinbourgeoisie im Exil hervor, die über die Zirkulation politischer Renten das Proletariat in den Flüchtlingslagern in Jordanien, Libanon und Syrien (und manchmal auch nicht-palästinensische Proletarier in diesen Ländern) in Kampforganisationen integrierte. Die traditionelle Bourgeoisie wurde nicht gestürzt, aber sie wurde herausgefordert: Sie wurde dazu gebracht, mit diesen Organisationen zu verhandeln, um sich vor den bewaffneten Proletariern, die ihre Farben trugen, zu schützen. Dies ist die klassische Triebfeder der nationalen Befreiungsbewegungen: Die Absorption einer proletarischen oder bäuerlichen sozialen Bewegung oder, meistens – wie in Palästina – der Proletarisierung der Bauernmassen, die sich aus den kolonialen Verhältnissen ergab, durch eine politische Führung, die danach strebt, sich in einen Staatsapparat zu verwandeln. In den 1980er Jahren weitete sich der Prozess auf Gaza und das Westjordanland aus, jedoch ohne die militärische Dimension: Die erste Intifada begann als Revolte der Proletarier in den besetzten Gebieten (weitgehend in den Flüchtlingslagern), die vom israelischen Kapital ausgebeutet wurden, und wurde erst in einem zweiten Schritt von der PLO zu einer nationalen politischen Bewegung „vereinnahmt“.

Was geschah als nächstes? Im „klassischen“ Modell, wenn die politische Führung den Staat übernimmt, kommt es zu einer Entkoppelung der Interessen der sozialen Bewegung und der politischen Formation, und die Proleten werden von dem angeblich den Massen dienenden Nationalstaat wieder an die Arbeit geschickt. Das Besondere an Palästina ist, dass diese Entflechtung stattfand, ohne dass die Unabhängigkeit erreicht wurde: Am Ende der Periode zwischen dem Oslo-Abkommen und der zweiten Intifada (1993-2004) gab die nationale Führung den Kampf für die Unabhängigkeit auf und gab sich mit den von Israel gewährten Renten und Märkten zufrieden. Seitdem nimmt die Unterdrückung der Proletarier immer noch die Züge der israelischen Besatzung und Kolonisierung an, aber ohne eine Kampfperspektive, die von den politischen Organisationen, die aus dem nationalen Befreiungskampf hervorgegangen sind, angeboten wird, da deren Führer nun als Subunternehmer in diese Konfiguration integriert sind. Dies ist die berühmte „doppelte Besatzung“, die in den Reden im Westjordanland allgegenwärtig ist.

Hat die Hamas diese Rolle nicht übernommen?

In mancher Hinsicht ist die Hamas in die Fußstapfen der PLO getreten. Die soziale Zusammensetzung ihres Kaders ist ähnlich: Mittelschichten ohne eigenes Kapital, die aus den Universitäten hervorgegangen sind und den Spagat zwischen einer proletarischen Basis und den Interessen der Handelsbourgeoisie schafft. Aber die Hamas stützte sich im Gegensatz zur PLO nicht auf eine soziale Bewegung. Sie bildete eine Art fromme Gegengesellschaft, die hierarchisch aufgebaut war und die soziale Ordnung respektierte. Sie hat die Proletarier im Modus der Rekrutierung integriert und nie versucht, ihre autonomen Aktivitäten im Rahmen ihrer Verhandlungen mit der Bourgeoisie anzuzapfen.

In diesem Zusammenhang denke ich, dass man, zumindest methodologisch, zwischen dem Begriff des Kampfes, der eine Form der Handlungsautonomie, materielle Herausforderungen und soziale Widersprüche voraussetzt, und dem Begriff des „Widerstandes“, wie er von hierarchischen militärischen Organisationen wie den Al-Qassam-Brigaden in Gaza verwendet wird, unterscheiden muss. Die Hamas kann rechtmäßig behaupten, im Widerstand zu sein (wie die Hisbollah und andere politisch-militärische Gruppen in der Region), aber sie tut dies auf der Grundlage eines zentralisierten, hierarchischen und militärischen Modells, das die Bevölkerung von ihren „Truppen“ trennt und bereit ist, diese zur Unterdrückung von Kämpfen loszulassen.

Mitte der 2000er Jahre drängten Teile der Hamas die Hamas, sich in den Rahmen des Autonomieabkommens einzufügen und an den Wahlen teilzunehmen, d.h. sich nach der Fatah als Subunternehmer Israels für die Verwaltung der Proletarier in den Territorien zu positionieren. Dies tat sie schließlich, als sie 2007 die Macht in Gaza übernahm. Da sie dies militärisch und ohne Verhandlungen mit den Besatzern tat, konnte sie ihr Gesicht der Unnachgiebigkeit bewahren, wurde aber dennoch objektiv zu einem lokalen Subunternehmer bei der Verwaltung der überzähligen Proletarier.

16 Jahre lang hat die Hamas den Streifen verwaltet, die Beziehungen zu Israel geregelt (durch Verhandlungen und Raketen), Kämpfe unterdrückt und einer Klasse von Unternehmern erlaubt, unter ihren Fittichen reich zu werden. Bis er plötzlich, am 7. Oktober 2023, aus dieser Rolle als Zulieferer ausbrach, um, wie ich mir vorstellen kann, seine Dimension als transnationale politisch-militärische Organisation vom Typ Hisbollah neu zu besetzen. Dabei opferte sie die Klasse der Gaza-Unternehmer, die sich unter ihren Fittichen entwickelt hatte. Man kann davon ausgehen, dass diese Neuausrichtung nicht ohne innere Zerrissenheit erfolgte und dass sie den Ausbruch eines alten Widerspruchs innerhalb der Partei zwischen ihrem politisch-militärischen Flügel mit einer starken proletarischen Klientel und ihrem Rand, der in die palästinensische Geschäftsbourgeoisie eingebunden ist, widerspiegelt.

Die britische Herrschaft, dann die zionistische Kolonialisierung, der enorme Anteil an Flüchtlingen, die tägliche Ausübung kolonialer Gewalt usw. konnten materiell eine gemeinsame Identifikation der Palästinenser und ihres Widerstands aufbauen, die sich in der Form des Begriffs „Volk“ ausdrückt. Ist diese Konstruktion nur ein Spiegelbild des Diskurses der palästinensischen Eliten?

Diese Identifikation existiert natürlich, aber man muss sich fragen, was dahinter steckt. Ich versuche nicht, um jeden Preis zu sagen: „Völker gibt es nicht, das ist eine Mystifikation der herrschenden Klasse, um ihre Herrschaft zu verschleiern“; und noch weniger „wenn die Maske fallen würde, würden sich die Proletarier ihrer Klasseninteressen bewusst werden“.

Die Idee eines palästinensischen Volkes ist nicht nur den palästinensischen Eliten eigen, sie wird sogar manchmal gegen diese gehandhabt. Die Frage ist: Welche Kämpfe werden innerhalb der Kategorie „Volk“ offen oder diskret zwischen den verschiedenen Klassensegmenten ausgetragen, die mit ihr hantieren? Nur weil man sich mit einem Volk identifiziert, heißt das nicht, dass man nicht von seiner sozialen Position aus kämpft.

Und damit schließen wir an das an, was ich über den nationalen Befreiungskampf und den Interklassismus gesagt habe. In den 1960er bis 1990er Jahren brauchte die PLO die proletarischen Kämpfe, um ihr Stück vom Kuchen gegenüber Israel auszuhandeln, während die Proletarier ihre „nationale“ Führung als Legitimationsmodus für ihre Kämpfe gegen die Eliten nutzten. In den Territorien war die erste Intifada der Höhepunkt dieser doppelten Logik der Vereinnahmung der sozialen Bewegung durch die politischen Führungen und der Nutzung des nationalen Kampfes durch die soziale Bewegung. Aber zwischen 2002 und 2005 hörten die proletarischen Kämpfe und die Kämpfe der nationalen Führungen, die bis dahin gemeinsam (konfliktreich) unterwegs waren, auf, dies zu tun. Nach dem Scheitern der zweiten Intifada (die in ihren ersten Monaten die gleiche klassenübergreifende Logik fortsetzte, die das aufständische oder bewaffnete Proletariat mit den politischen Anführern verband), gingen die nationalen Führungen (im Westjordanland und sogar in Gaza) zu einer Logik der Unterdrückung von Kämpfen über, einschließlich derjenigen, die die Sprache der nationalen Befreiung mobilisierten.

Auch wenn es kontraintuitiv erscheinen mag, haben die proletarischen Kämpfe in den Territorien seit dem Scheitern der zweiten Intifada eine palästinensische nationale Führung als Hauptgegner. Einfach deshalb, weil sie sich mit ihm auseinandersetzen und als Puffer fungieren. Israel hat sich der Last der Bevölkerungsreproduktion entledigt und sie auf die palästinensische Führung abgewälzt. Israel greift in den Siedlungen des Westjordanlandes nach der Logik eines „Überfalls“ ein – und in Gaza nach der Logik eines Massakers.

Was ist mit den Kämpfen der letzten 20 Jahre außerhalb/gegen die Parteien?

Um von dem zu sprechen, was ich am besten kenne (ich war nur einmal in Gaza, 2002), gab es 2015-2016 im nördlichen Westjordanland einen larvierten Aufstand des Proletariats in den Flüchtlingslagern gegen die Palästinensische Autonomiebehörde (PA). Man sprach damals von einer „internen“ Intifada, deren Epizentrum das Lager Balata in einem Vorort von Nablus war. Diese soziale Bewegung drängte die palästinensische Polizei zurück und ließ den Jugendlichen Raum, um auf ihrer Basis, außerhalb der Parteihierarchie, wieder bewaffnete Gruppen zu bilden und sich sozial gegen die mit der PA verbundenen Honoratioren in Nablus und Jenin durchzusetzen. Die Zusammenstöße im Frühjahr 2021 (Unruhen in Jerusalem und in palästinensischen Städten in den israelischen Gebieten „von 1948“, politisch-militärische Offensive der Hamas, Annullierung der Wahlen durch die PA) setzten noch einen drauf: Die PA wurde geschwächt und das hat ihre Bestrebungen nach einem autoritären Regime etwas abgekühlt.

Was ich an dem Zyklus der Unruhen 2015-2016 interessant fand, war, dass viele Menschen einen (nur scheinbar widersprüchlichen) Diskurs führten, wonach die palästinensische Verwaltung sowohl die physische Konfrontation mit der Besatzung als auch den Zugang zur israelischen Ökonomie als Arbeiter verhinderte. Es gab eine Nostalgie für die Zeit, in der „wir tagsüber für die Israelis arbeiteten und nachts Molotows auf die Israelis warfen“.

Im selben Jahr gab es einen großen Streik unter den von der PA beschäftigten Lehrern, den die PA durch Einschüchterung, Repression und Erpressung nach dem Vorbild der „arabischen“ Regime in der Region neutralisieren konnte, der aber eine Sequenz von sozialen Protesten darstellte, die die Grundlagen ihrer politischen Kontrolle erschütterte.

Warum das Schweigen unseres politischen Lagers zu diesen Kämpfen?

Die PA und die palästinensische Bourgeoisie sind in den Diskursen im Westjordanland als Quelle der Unterdrückung allgegenwärtig. Aber man muss natürlich die Interaktionssituationen berücksichtigen: Wir weißen Militanten, die sich in den Territorien herumtreiben, werden mit einer Funktion angeeignet: der Funktion, Zeugnis abzulegen, um der israelischen Propagandamaschine entgegenzuwirken. Diese Aneignung wird im Wesentlichen von den Mittelklassen betrieben, die sich auf die eine oder andere Weise in eine Logik des Zugangs zu (materiellem oder symbolischem) Kapital aus dem Westen einschreiben, und es ist eine Tatsache, dass niemand Solidarität im Klassenkampf gegen die palästinensischen Ausbeuter erwartet. Also werden die Leute, die in diesen „internen“ (aus nationaler Sicht) Ausbeutungsverhältnissen gefangen sind, dir davon erzählen, die ganze Zeit sogar, aber man wird dieses Reden nicht mit der Dimension einer politischen Botschaft ausstatten – außer in Momenten extremer Spannung, wie es 2015-2016 im Norden des Westjordanlandes der Fall war.

Was die palästinensischen Proletarier als Proletarier erleben, dringt kaum an unsere Ohren, was nicht verwunderlich ist: Diese Erfahrungen sind nicht in der „nationalen Sache“ enthalten, die die politischen Kader an ihre Multiplikatoren außerhalb weitergeben.

Welche gemeinsamen Perspektiven können die Proletarier in diesem Gebiet haben?

Israel steht für das Bild einer alptraumhaften Zukunft: das Bild eines Staates, der zum zentralen Block kapitalistischer Länder gehört, der die globale Zonierung der Arbeitskraft, wie sie in der weltweiten Arbeitsteilung zu beobachten ist, auf seinem Territorium reproduziert hat. Diese soziale Zonierung spielt sich in einer Quasi-Konurbation ab: Die Entfernung zwischen Gaza und Tel Aviv ist kaum größer als die zwischen Paris und Mantes-la-Jolie. Und sie erfolgt auf der Grundlage der Ethnizität (dies ist eine Konstante in der Geschichte Israels wie auch vieler anderer Staaten, sogar außerhalb des Kontextes des nationalen Kampfes: Vor der Besetzung des Westjordanlandes und des Gazastreifens waren es die aus den arabischen Ländern „importierten“ jüdischen Proletarier, die die Kosten dafür trugen).

Aber in den letzten 20 Jahren hat sich der Staat als Garant nicht nur für die soziale Reproduktion des von ihm beherrschten jüdischen Proletariats, sondern für seine „physische“ Existenz selbst, für sein Überleben, etabliert. Heute erleben wir, dass dieses nationale“ Proletariat in einem in der Geschichte noch nie dagewesenen Ausmaß hinter seinen Ausbeutern steht, angesichts der überzähligen Menschen in Gaza, die in einem Konzentrationslager unter ständigem Bombenbeschuss geparkt sind.

Man muss sich also vor Augen halten, dass die Kämpfe in dieser alptraumhaften Welt stattfinden. Es ist schwer vorstellbar, dass sie Kräfteverhältnisse hervorbringen, die geeignet sind, „die Segmentierungen zu durchbrechen“. Bis letztes Jahr war die einfache Tatsache, dass diese Kämpfe in den Territorien weiter existierten und die Reproduktion der sozialen Beziehungen erzwangen (noch einmal, ich spreche hier von den Kämpfen, nicht vom hierarchischen Widerstand), an sich etwas, das mich persönlich erschütterte und nährte. Heute erdrückt das Gewicht der Logik des Massenmords alles: Die autonome Handlungsfähigkeit des palästinensischen Proletariats steht unter der Bedrohung des Bombenteppichs, und solange das jüdische Proletariat in der Gefangenschaft des israelischen Staates bleibt (was sich nicht ändern wird), gibt es nichts, was durch das Kräfteverhältnis verhandelt werden könnte. Wir sind tatsächlich in eine andere, wenig hoffnungsvolle Phase eingetreten.

Wenn man die materielle Basis des palästinensischen „Volkes“ leugnet, läuft das nicht de facto darauf hinaus, dem Staat, der es kolonisiert und unterdrückt, „passive Unterstützung“ zu gewähren?

Ich denke, dass es möglich ist, einen analytischen Rahmen zu entwickeln, in dem man sich mit den Kämpfen in Palästina solidarisch fühlt, ohne sich über die Perspektiven zu täuschen, die von den „nationalen“ sozio-politischen Apparaten getragen werden. Das ist das, was Socialisme ou Barbarie während des Algerienkriegs teilweise erreicht hat: eine internationalistische Linie zu entwickeln, die in der Lage ist, eine kritische Position gegenüber der FLN auf der Grundlage einer Klassenanalyse zu vertreten.

In Palästina wie überall auf der Welt befinden wir uns in einer Periode, in der es nirgends eine „klassenbezogene“ politische Verkörperung des Proletariats geben wird. Einige klammern sich an eine Identifikation mit linken Parteien wie der PFLP oder der DFLP (Demokratische Front für die Befreiung Palästinas) oder an eine hypothetische Zivilgesellschaft, die sich von den Parteien fernhält. Ich verstehe den Ansatz und habe ihn auf meinen Reisen aus „kultureller“ Affinität geteilt, aber diese Parteien und diese Zivilgesellschaft sind von Klassenwidersprüchen durchzogen, die die Kader angesichts der nationalen Herrschaft als zweitrangig erscheinen lassen wollen. Es ist jedoch der Diskurs dieser Kader, mit dem wir uns (im Allgemeinen) solidarisieren, ohne uns dessen bewusst zu sein.

Ich halte an der Idee fest, dass soziale Beziehungen Vorrang vor politischen Ideologien haben und dass man sowohl emotional als auch intellektuell immer versuchen muss, sozial gesprochen „von unten“ zu beginnen, jenseits politischer Identifikationen, um die Kämpfe zu verstehen, die „der“ nationale Kampf zu umfassen vorgibt.

In der Identifikation mit Palästina, mit der Idee von Palästina, lassen sich je nach Klasse, Beziehung zur Politik, zum militanten und kulturellen Kapital usw. unterschiedliche Logiken ausmachen. Dies ist dort der Fall, aber auch bei uns in den Solidaritätsbekundungen. Diese verschiedenen Logiken existieren nicht nebeneinander, sie zeichnen keine Konvergenz oder Einheit: Sie sind widersprüchlich, sie stehen im Kampf, auf mehr oder weniger bewusste oder stille Weise.

Ich habe wenig zum Thema „Was tun“ zu sagen. Mir scheint jedenfalls, dass es mehr als die verschiedenen politischen Positionen, die in der Solidaritätsbewegung vertreten werden (was man von der Hamas, einem bi-nationalen Staat oder anderem hält), angebracht ist, ihre soziale Zusammensetzung und die Kampfpraktiken, die sich daraus ergeben, zu hinterfragen, um sich dann in der Bewegung zu positionieren – in der Hoffnung, „den Krieg nach Hause zu bringen“ und die Aufrechterhaltung der sozialen Ordnung dort anzugreifen, wo man sich befindet, und so den Massakern in Gaza ein Ende zu setzen.

In Frankreich verweist die Vereinnahmung und Betreuung der Solidaritätsdemos durch Politiker von La France insoumise und Konsorten, die die „palästinensische Sache“ im Rahmen ihrer Interessen instrumentalisieren, oder auch von Assos, die sich als Ansprechpartner der Macht positionieren, meiner Meinung nach auf eine Niederlage der proletarischen, nicht-politischen Komponente der Bewegung, die sich beispielsweise während des Krieges von 2014 stärker ausgedrückt hatte.

Interview geführt von zyg im Oktober/November 2024

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[peace deserters] Weder nationale Befreiung noch irredentistisch – Unser Krieg ist ein Klassenkrieg https://panopticon.blackblogs.org/2025/01/18/peace-deserters-weder-nationale-befreiung-noch-irredentistisch-unser-krieg-ist-ein-klassenkrieg/ Sat, 18 Jan 2025 21:06:56 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6147 Continue reading ]]> Gefunden auf der Seite von Tridni Valka, die Übersetzung ist von uns.
[peace deserters] Weder nationale Befreiung noch irredentistisch – Unser Krieg ist ein Klassenkrieg Quelle auf Griechisch:

https://athens.indymedia.org/post/1632881/

Seit mindestens 15 Jahren wird eine Reihe von „Notfällen“ mobilisiert, um sicherzustellen, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter immer länger arbeiten, immer weniger fordern und immer mehr diszipliniert werden. Unsere Chefs und der kapitalistische Staat versuchen uns glauben zu machen, dass ihre Forderungen Vorrang haben, dass ihre Interessen unsere Interessen sind und dass wir von der Verteidigung unserer eigenen Bedürfnisse Abstand nehmen müssen. Manchmal berufen sie sich auf die „Schuldenkrise“, die von uns Lohnkürzungen und Sozialausgaben verlangt; manchmal auf die „Pandemiekrise“, die von uns die Akzeptanz von Ausgangssperren und flächendeckenden Impfungen der Bevölkerung verlangt; manchmal auf die „Umweltkrise“, die von uns die fatalistische Akzeptanz verlangt, dass „Naturkatastrophen“ – die jedoch durch die Ausweitung des Kapitalverhältnisses auf Kosten der Natur verursacht werden – weiterhin die Bevölkerung treffen werden; und manchmal die „Energiekrise“, die uns dazu zwingt, Sparmaßnahmen als Naturereignis zu akzeptieren, und so weiter. Diese aufeinanderfolgenden „Notfälle“ werden überwunden, so heißt es, wenn die Arbeiterklasse ihre eigenen Interessen vergisst und sich für die Unterstützung nationaler Interessen einsetzt. Und wenn in Zeiten des kapitalistischen Friedens all dies die Opfer sind, die Staat und Kapital von uns verlangen, dann ist das Proletariat in Zeiten des kapitalistischen Krieges dazu aufgerufen, sein eigenes Leben zu opfern, um seine Klassenbrüder und -schwestern im Namen des nationalen Interesses abzuschlachten. Und um den Krieg der Bosse zu führen, müssen die Arbeiterinnen und Arbeiter an der Heimatfront (sowohl in Nicht-Kriegsgebieten als auch insbesondere in Kriegsgebieten) Waffen und alles, was die Kriegsfront benötigt, produzieren, ohne den Arbeitsfrieden zu stören, und das sogar mit niedrigeren Löhnen und höherer Arbeitsbelastung, und mit Regierungen, die Streiks als Untergrabung der „nationalen Sache“ (und in der unrühmlichen Vergangenheit der Weltkriege sogar als „Verrat“) verurteilen. Heute, mitten in einer Kriegssituation, werden wir erneut aufgefordert, „ihnen (den Nationen) den Rücken zu stärken“, die Milliarden an Kriegskosten durch eine schlechtere Gesundheitsversorgung und Bildung, Inflation, noch härtere Arbeit und zunehmende Prekarität und Repression zu bezahlen. Das Elend eines Gehaltsschecks zu ertragen, der ausgeht, bevor der Monat vorbei ist, während wir mit Staaten konfrontiert sind, die behaupten, dass die von ihnen selbst verursachten und unterstützten Kriege für die außer Kontrolle geratenen Lebenshaltungskosten verantwortlich sind. Was ist die angemessenste Antwort auf die Pläne des Kapitals und seines Staates, ob im Westen oder in den Kriegsgebieten, damit die Arbeiterklasse ihre Autonomie verteidigen kann? Wie und warum hat die Verteidigung aller Arten von Nationalismen Vorrang vor der Verteidigung unserer unmittelbaren Klasseninteressen? Auf der Grundlage dieser Fragen übersetzen wir [ins Griechische] den Proklamationstext der Gefährten und Gefährtinnen von Proletarios Hartos de Serlo aus Ecuador, um ein Beispiel für kompromisslosen proletarischen Internationalismus vorzulegen, das wir durch die wesentliche Frage ergänzen, was hier, im Hinterland des Krieges, zu tun ist. Die Proletarier der Kriegsgebiete können aktiv die internationalistische proletarische Brüderlichkeit an der Front verfolgen, ohne Rücksicht darauf, wer als Sieger hervorgeht, und die Kriegshandlungen der Armee untergraben, sabotieren, desertieren und ihre Waffen gegen ihre eigenen Offiziere richten. Und wenn dies für sie angemessen ist, was ist dann für uns hier und für das Proletariat der westlichen Metropolen aus proletarisch-internationalistischer Sicht angemessen, nicht Partei für den einen oder anderen Nation-Staat zu ergreifen oder sich in die Perspektive von „guten“ und „schlechten“ Nationen zu verstricken und die nationale Befreiung der am meisten „geschädigten“ Nation gegen ihre Unterwerfung unter die mächtigen imperialistischen Mächte zu verteidigen. Wir sind für nichts Geringeres verantwortlich als den Klassenkampf zu verschärfen, kollektiv die Arbeit zu verweigern, zum Beispiel durch Streiks und Sabotage, und die Kriegsproduktion hier anzugreifen, d. h. sowohl die Rüstungsindustrie als auch die Reproduktion des Kapitals insgesamt anzugreifen. Was bringt es, wenn die Arbeiterinnen und Arbeiter die Staaten auffordern, die Lösung für die von ihnen selbst geschaffenen Kriegskonflikte zu liefern? Zum Beispiel werden der Waffenstillstand an der russisch-ukrainischen Front und die Rückkehr zum kapitalistischen Frieden dazu dienen, Privatisierungen und harten Maßnahmen der kapitalistischen Umstrukturierung Platz zu machen. Es sei denn, der Frieden wird durch die Kämpfe der Arbeiterinnen und Arbeiter selbst erzwungen, sowohl in den Kriegsgebieten als auch im Hinterland des Westens, es sei denn, die Macht des Proletariats selbst, wie sie in der Sphäre der Produktion und darüber hinaus in der sozialen Fabrik zum Ausdruck kommt, wird zur „friedensstiftenden“ (und gleichzeitig revolutionären) Kraft. Gegen die mageren „Erhöhungen“, die die Lohnverluste und Ausgabenkürzungen in jedem Bereich der sozialen Reproduktion des Proletariats nicht ausgleichen, gegen alle Arten von billigen Gutscheinen und Ausweisen für Elend und staatliche Wohltätigkeit, gegen die neuen Einhegungen und die Plünderung der natürlichen Umwelt durch das Kapital, gegen die Heftigkeit der Inflation, gegen alle Arten von Spaltungen und Trennungen, national, rassisch, geschlechtsspezifisch und mehr, die vom Kapital auferlegt werden, kann unsere Antwort nur der Verrat an jeder „nationalen Anstrengung“, die Wiederbelebung von Kämpfen, der Ausbruch neuer Streiks, Proteste, Demonstrationen und Ausschreitungen sein. Indem sie gegen die Sparmaßnahmen und die Intensivierung der Arbeit kämpfen, die die bourgeoisen Klassen durchzusetzen versuchen, um ihre Kriege zu befeuern, kämpfen die Arbeiterinnen und Arbeiter tatsächlich gegen den Krieg, bewusst oder unbewusst. Was die aktiven Kriegsfronten betrifft, so unterstützen wir nicht die „Anarchistinnen und Anarchisten in Uniform“, sondern die 150.000 Ukrainerinnen und Ukrainer, die in zweieinhalb Jahren Krieg desertiert sind, die Russinnen und Russen, die keine Verträge mit der russischen Armee unterzeichnen wollen, und die Frauen in Transkarpatien, die Grenzsoldaten mit Steinen und Stöcken angriffen, als sie für Wehrpflichtige gehalten wurden! Gleichzeitig freuen wir uns über die 270.000 Diebstähle von Schusswaffen in der Ukraine seit Beginn des Krieges und die ständigen „unerklärlichen“ Fluchtversuche gefangener Soldaten aus beiden gegnerischen Lagern! Wir dienen keiner antiimperialistischen, sozialpatriotischen oder anarcho-leninistischen Perspektive für die nationale Einheit! Autonomer proletarischer Kampf, keine Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie, ihrem Staat und gewerkschaftlicher Vermittlung! Massen Desertionen und Verbrüderung aller Seiten an der Front! Sabotage und Streiks in den Fabriken der Rüstungsindustrie, Bahnhöfen und Häfen! Wir unterstützen die Deserteure von allen Fronten in jeder Hinsicht! Deserteure vom kapitalistischen Frieden [email protected] 20. November 2024]]>
Mythen und die Wahrheit über die Feinde unserer Feinde https://panopticon.blackblogs.org/2025/01/18/mythen-und-die-wahrheit-ueber-die-feinde-unserer-feinde/ Sat, 18 Jan 2025 20:59:50 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6142 Continue reading ]]>

Von Lukas Borl, die Übersetzung ist von uns.


Mythen und die Wahrheit über die Feinde unserer Feinde

Lasst mich mit einer Frage beginnen: Sind die Feinde unserer Feinde automatisch unsere Freunde und Verbündeten? Diese Frage haben sich Menschen schon immer gestellt, wenn sie entscheiden mussten, mit wem und wie sie sich bei der Verfolgung ihrer Ziele verbünden. Auch heute sind Fragen dieser Art für uns relevant. Ein Beispiel: Wenn unser Feind Putin und seine Anhänger sind, ist dann jeder, der zu den Waffen greift und sie gegen Putins Anhänger einsetzt, automatisch unser Freund und Verbündeter? Manche mögen argumentieren, dass eine so gestellte Frage zu vage ist, um sofort beantwortet zu werden. Ich werde daher versuchen, konkreter zu werden. Ich werde einige konkrete Personen beschreiben, die im Krieg in der Ukraine gestorben sind und für nicht wenige Menschen zu unkritisch verherrlichten Märtyrern geworden sind.

1) Yuri Samoylenko / Юрий Самойленко

Der Nachruf auf der Website der Anarchistischen Föderation lautet: „Yuri Samoylenko: ein großartiger Organisator des antifaschistischen Widerstands“. Auf seinem Grabstein steht jedoch „Offizier des Rechten Sektors“.

Quelle: https://x.com/Voxkomm/status/1678148412347404288

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Es stellt sich die Frage: Können beide Aussagen wahr sein oder schließen sie sich gegenseitig aus? Jeder möge für sich selbst antworten. Und falls jemand Schwierigkeiten hat, die Antwort zu finden, finden sich hier einige grundlegende Informationen über den Rechten Sektor, die als nützliche Anhaltspunkte dienen können.

Rechter Sektor“ (ukrainisch: Пра́вий се́ктор [právyj séktor]) ist der Name einer ukrainischen nationalistischen Partei, die am 22. März 2014 gegründet wurde. Die Bewegung verbindet den radikalen ukrainischen Nationalismus in der Tradition von Stepan Bandera und der Ukrainischen Aufständischen Armee (UPA).

Anhänger des „Rechten Sektors“ tragen eine Flagge mit dem Porträt von Stepan Bandera, Kiew, 1. Januar 2015

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Und wer war dieser Stepan Andrijowytsch Bandera? Er war der Anführer und Vorsitzende des radikalen Flügels der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN-B). 1939 arbeitete er mit Nazi-Deutschland zusammen und organisierte eine Militäreinheit unter der deutschen Wehrmacht. Bandera gelobte die Zusammenarbeit des neuen ukrainischen Staates mit Nazi-Deutschland unter Hitler, mit der abschließenden Bemerkung „Ruhm der heldenhaften deutschen Armee und ihrem Führer Adolf Hitler“. Die Erklärung wurde von gewalttätigen Pogromen begleitet.

Und was war die Ukrainische Aufständische Armee (UPA)? Es handelte sich um eine bewaffnete Einheit der Organisation Ukrainischer Nationalisten (OUN), genauer gesagt um deren radikale Fraktion unter der Führung von Stepan Bandera (OUN-B). Die Organisation gilt als höchst umstritten, insbesondere wegen ihrer Assoziation mit den Nazi-Besatzern und wegen ihrer Massaker an Zivilisten.

Ich werde nun zwei Fragen stellen, klar und konkret. War Yuri Samoylenko – d. h. der gefallene Offizier des Rechten Sektors – ein Held, der gelobt werden sollte, weil er ein Feind der Putinisten war, genau so wie es die Anarchistinnen und Anarchisten sind? War dieser Feind unserer Feinde unser Freund und Verbündeter? Lasst jede und jeden für sich selbst antworten.

2) Roman Legar / Романа „Ісуса“ Легара

Am 9. Juni 2024 wurde ein Anarchist, Soldat der Asow-Brigade, unser Gefährte und enger Freund Roman Legar getötet“, heißt es in seinem Nachruf auf dem Profil vonRevolutionary Action“ (Революційна Дія). Ein paar Zeilen weiter heißt es: „Die Strapazen seines Dienstes und seiner Umgebung haben Roman nicht gebrochen, er blieb seinen anarchistischen Überzeugungen bis zum Ende treu.“

Bedeutet dies, dass die Asow-Brigade, die für ihre Zusammenarbeit mit der extremen Rechten berüchtigt ist, in eine Formation für Menschen mit anarchistischen Überzeugungen umgewandelt wurde? Auch hier soll sich jede/r selbst eine Meinung bilden.

3) Sergey Petrovichev / Сергей Петровичев

Auf der Website von „Autonomous Action“ wurde der Tod von Sergey Petrovichev, auch bekannt unter den Namen „Rubin“ und „Vasili Volgin“, bekannt gegeben. „Wir trauern um unseren Gefährten, der sein Leben für die Freiheit aller Nationen gegeben hat.“, heißt es auf der Website. „Sergey Petrovichev: der unerschütterliche Anarchist aus Russland“, heißt es erneut im Nachruf auf der Website der Anarchistischen Föderation. Auf seinem persönlichen Facebook-Profil postete derselbe Sergey Petrovichev jedoch ein Foto, auf dem er stolz mit dem Neonazi Maxim Martsinkevich posiert. Er lud das Foto zwei Tage nach Maxim’s Tod hoch und kommentierte, dass die Leute ihn „rächen“ sollten.

Quelle:https://www.facebook.com/photo.php?fbid=3293046094106365

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Die Frage ist also: Hat sich die politische Situation mit dem Krieg in der Ukraine wirklich so sehr verändert, dass es jetzt so etwas bedeutet, ein „unzerbrechlicher Anarchist“ zu sein, wie ein „Freund eines Neonazis“ zu sein? Ich lasse die Frage unbeantwortet. Als Hinweis zitiere ich nun Informationen von der antifa.cz-Website über die Bekleidungsmarke White Rex, vor deren Logo „unzerbrechlicher Anarchist“ Sergey Petrovichev mit dem Neonazi Maxim „Tesak“ Martsinkevich posierte.

White Rex ist eine russische Bekleidungsmarke, die sich auf Kampfsportarten spezialisiert hat.Obwohl der Besitzer alles verschleiert und leugnet, muss man kein großer Guru sein, um zu erkennen, dass White Rex in erster Linie Neonazis anspricht. Die Marke wurde 2008 von Denis Nikitins mit der Idee gegründet, Menschen mit ähnlichen Ansichten und Überzeugungen zusammenzubringen und gleichzeitig etwas Geld für „Wohltätigkeitszwecke“ zu sammeln. Mit Wohltätigkeit meint er die finanzielle Unterstützung für inhaftierte Neonazis, die er als „Gefangene aus Gewissensgründen“ bezeichnet.(…) 2011 startete White Rex eine Reihe eigener Turniere mit dem Namen „Duch Vojna“ (Spirit Warrior). Obwohl sie nicht ausschließlich für Neonazis gedacht sind, ist klar, dass sie in erster Linie für sie bestimmt sind. (…) Bei der letzten Veranstaltung im Dezember 2012 sprach ein bekannter Neonazi-Aktivist von Format18, Maxim „Tesak“ Martsinkevich, auf der Veranstaltung.

Und noch ein paar grundlegende Informationen über den bereits erwähnten Martsinkevich (Максим Марцинкевич auf Russisch). Er erlangte erstmals öffentliche Aufmerksamkeit als Anführer der rechtsextremen Jugendgruppe Format 18, die als „bewaffneter Arm“ der Nationalsozialistischen Gesellschaft dargestellt wurde. Die Zahl 18 ist der Code oder das Symbol für den Namen „Adolf Hitler“, da der Buchstabe A der erste und H der achte in lateinischer Reihenfolge ist. Mitglieder von Format 18 griffen asiatische Arbeiterinnen und Arbeiter sowie Obdachlose an. Sie filmten die Angriffe und stellten die Videos ins Internet.

Martsinkevich wurde dreimal wegen Anstiftung zu Rassen- oder Volkshass zu Gefängnisstrafen verurteilt. Das erste Mal war 2007, nachdem er politische Debatten gestört hatte, indem er in einem Buchclub in Moskau „Sieg Heil!“ rief. 2009 wurde er erneut wegen eines Videos mit rassistischem Inhalt verurteilt. Im Herbst 2013 wurde er erneut beschuldigt, neue Videos mit rassistischen Äußerungen veröffentlicht zu haben. Während seiner nächsten Verurteilung im Jahr 2020 wurde eine Untersuchung über seine Beteiligung an Hassmorden eingeleitet. Er gestand, an einer Reihe von Morden beteiligt gewesen zu sein, die durch rassistische Ideologie motiviert waren. Den Ermittlungen zufolge handelte es sich bei den Opfern um mehrere Männer mit nicht-slawischem Aussehen (hauptsächlich zentralasiatische Migranten) und eine russische Sexarbeiterin. Martsinkevich sagte gegen andere an den Morden Beteiligte aus und führte die Ermittler zu einigen Leichen der Opfer, wurde aber bald darauf tot in seiner Zelle aufgefunden.

Das ist richtig, das ist der Mann, mit dem der „unzerbrechliche Anarchist“ Sergey Petrovichev Fotos machte, den er verteidigte und für den er Rache forderte, nachdem er tot in einer Gefängniszelle aufgefunden wurde.

Schlussbemerkung

Ein Freund eines Neonazis und Mörders wird uns als „unzerbrechlicher Anarchist“ präsentiert, ein Offizier des Rechten Sektors als „großer Organisator des antifaschistischen Widerstands“ und ein Asow-Soldat als „Mann mit einem anarchistischen Gedankengut“.

Warum habe ich das Gefühl, dass hier etwas nicht stimmt? Oder täuscht mich mein Gefühl, denn einigen Leuten zufolge bin ich nur ein verwirrter Dogmatiker und Sektierer, der die Bedeutung von Pragmatismus nicht versteht? Wer weiß? Bildet euch eure eigene Meinung.

Lukáš Borl, 2. Dezember 2024

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Ich würde revolutionären Internationalismus bevorzugen https://panopticon.blackblogs.org/2025/01/18/ich-wuerde-revolutionaeren-internationalismus-bevorzugen/ Sat, 18 Jan 2025 20:55:16 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6140 Continue reading ]]>

Gefunden auf anarchist news, aber auch auf libcom zu finden, die Übersetzung ist von uns.


Ich würde revolutionären Internationalismus bevorzugen

8. Dezember 2024

Eine Antwort auf Wayne Prices „Sollten Anarchistinnen und Anarchisten die Ukraine verteidigen? Eine Antwort auf Bill Beech“ in Black Flag, Herbst 2024, Vol4.

Der Kampf um Klassen- und Selbstbefreiung ist nicht mit nationalen Konflikten zu vergleichen. Es ist die Funktion des unpersönlichen Staates, das Leben im Krieg zu verschwenden, oder die einer überlegenen Klasse, geringere Menschen als entbehrlich zu betrachten; daher muss jeder Krieg des Nation-Staates an sich eine Gräueltat sein. […] [V]erglichen mit anderen Konflikten ist die soziale Befreiung am schwierigsten zu erreichen, neben der die nationale Befreiung ein Zeitvertreib ist. Denn Klassenkampf bedeutet nicht nur kollektive Aktion, sondern auch das Aufbrechen jener Abfolge von Ereignissen, die in unserer Gesellschaft als Befehl und Gehorsam verankert ist. Jede Form des sozialen Protests kann nützlich sein, um diese Abfolge zu zerstören, die das Lebenselixier der Menschheit schwächt und es den Wenigen ermöglicht, die Vielen zu regieren.

The Floodgates of Anarchy (Die Schleusen der Anarchie) – Stuart Christie & Albert Meltzer

Denjenigen, die die Seiten von Black Flag lesen, wird aus Wayne Prices Antwort auf meinen Aufsatz „Krieg gegen den Anarchismus“1 klar, dass seine Arroganz nur durch seine Ignoranz übertroffen werden kann.2 Es ist schwierig, mit jemandem zu diskutieren, der sich voll und ganz dafür einsetzt, unwissend zu bleiben, und der jede Diskussion über Einzelheiten beharrlich vermeidet, während er sich in abstrakte Slogans und idealistische Positionen zurückzieht. Als Antwort auf die vielen von mir vorgebrachten Fakten und die 48 Fußnoten bietet Wayne Price einen abgedroschenen Verweis auf Bakunin, einen indirekten Verweis auf den ukrainischen Antisemitismus (um mit einem Argument zu streiten, das ich nicht vorgebracht habe) und einen Verweis AUF SICH SELBST, Wayne Price. Er gibt auch einen Abriss der Geschichte des ukrainischen Kampfes für nationale Selbstbestimmung, der ebenso vage wie emotional ist. Und er stellt die unbegründete Behauptung auf, Nestor Machno sei ein Nationalist gewesen. Es ist klar, dass Price und die Natopolitans3 sich in den schwindelerregenden Höhen des abstrakten, ahistorischen, nicht auf Fakten basierenden Idealismus viel wohler fühlen als im Blut, Urin und Erbrochenen der ukrainischen Schützengräben oder in der Realpolitik des innerimperialen Konflikts. Oder in der Realität des Klassenkampfes.

Weil er sich nicht traut, die Fakten anzufassen, streitet Price mit Punkten, die ich nicht angesprochen habe, wie z. B. dass die Ukraine eine Brutstätte des Antisemitismus ist, dass ich die russische Ansicht teile, dass die Ukraine kein Existenzrecht hat, oder dass das kleinere Übel in diesem Konflikt darin bestünde, den russischen Imperialismus gegen die NATO zu unterstützen. Keine dieser Positionen vertrete ich, daher besteht keine Notwendigkeit, sie zu verteidigen. Worauf sich Price nicht einlässt und nicht einlassen kann, sind die Punkte, die ich anspreche: die Ursprünge und Ursachen des Krieges, seine Natur und seinen Verlauf, seine anhaltende Realität.

Ich werde auf einige von Prices Argumenten eingehen, bevor ich die ideologischen Unterschiede zwischen der natopolitisch-defensiven-nationalistischen Position einerseits und der antimilitaristischen-defätistischen-internationalistischen Position andererseits so präzise wie möglich darlege. Wer direkt zur Zusammenfassung springen möchte, findet diese im letzten Abschnitt weiter unten.

Der letzte Kreuzzug

Beginnen wir mit der Frage des Antisemitismus, da dies ein häufiges Thema ist und von gewissem Interesse ist. Außerdem ist es eine Überlegung wert, da Wayne Price sich bemüht hat, es in die Debatte einzubringen. Wenn man bedenkt, dass wir im letzten Jahr die ungeheuerlichsten und groteskesten imperialistischen und rassistischen Ausreden für den Zionismus gehört haben, die durch den Vorwurf des Antisemitismus geschützt wurden, bin ich sehr amüsiert darüber, dass Price die Ukraine reinwaschen will, die in jeder Hinsicht der Weltmeister der bewaffneten Hitler- und Bander-Folklore ist.

Der ultimative Trick der ukrainischen Nationalisten und Natopolitiker ist, dass Selensky selbst Jude ist, weshalb Antisemitismus in der Ukraine keine starke Kraft sein kann. Daran ist genauso viel Wahres dran wie daran, dass Obama das Ende des Rassismus eingeläutet hat, wie jeder, der sich auch nur grundlegend für Fakten interessiert, zugeben wird. Wie lässt sich jedoch die Tatsache erklären, dass dieser jüdische Präsident Jaroslaw Hunka, einem echten ukrainischen Nazi von Statur eines Nazis im Zweiten Weltkrieg, zu Standing Ovations verhalf? Der einfache Grund dafür ist, dass der Hauptfeind des ukrainischen Faschismus das Russentum ist. Daher kann die Judenfrage auf Eis gelegt werden, bis die Ukraine sich mit Russland und seinen russischen Minderheiten auseinandergesetzt hat – es ist dieselbe prinzipientreue Verschiebung, für die sich Wayne Price einsetzt: Verteidige die Nation, und die Revolution kommt danach.

Aber während Price gerne ein Tastaturkrieger bleibt, tourt das blutgetränkte Asow-Bataillon durch Europa (seine Mini-Tour 2024 stieß auf einige Widerstände) und verbreitet seine Stiefelglanz-Ideen und knüpft Kontakte zu gleichgesinnten Individuen und Gruppen. Sein Gründer Biletsky erklärte bekanntermaßen, dass es das nationale Ziel der Ukraine sei, „die weißen Rassen der Welt in einem letzten Kreuzzug … gegen die von Semiten geführten Untermenschen zu führen“4 Dieser charmante Bursche war ein Maidan-Ultra, dann ein faschistischer Paramilitär im Donbass (von der NATO im Umgang mit Granatwerfern und anderen US-Waffen ausgebildet), der schließlich zum Mitglied des ukrainischen Parlaments avancierte. Er ist nur einer von vielen in einer Galerie von Ghulen5, die den ukrainischen Staat und die halbstaatlichen Organisationen bevölkern. Für diejenigen, die den tiefen Strömungen des ukrainischen Faschismus nachgehen wollen, möchte ich auf die beiden Blogs von Moss Robeson verweisen: Bandera Lobby Blog und Ukes, Kooks and Spooks. Dort könnt ihr lesen, wie Neonazis die ukrainische Präsidialbrigade ausbilden und ihr oberster Ausbilder die Ukrainer als Sklaven bezeichnet, die bewaffnet werden müssen. Über das Nazi-Heidentum in der Ukraine. Über den Besuch von Nazis aus Asow im NATO-Hauptquartier. Über die Leugnung des Holocaust. Über ukrainische Nazi-Paramilitärs, die in Russland einmarschieren. Und so weiter und so fort.

Auch wenn ich mich wiederhole, möchte ich betonen, dass es mir hier nicht darum geht, dass alle Ukrainer Nazis sind oder dass die Ukraine ein Nazi-Staat ist. Ich möchte damit sagen, dass die ukrainischen Faschisten eine übergroße Rolle bei der Gestaltung des ukrainischen Nationalprojekts spielen, dass sie direkt an einigen der schlimmsten Gewalttaten des Bürgerkriegs beteiligt waren und dass sie weiterhin die Speerspitze gegen alles Russische sind. Sie sind die schärfsten Werkzeuge des US-Imperialismus, weil ihr Hass auf Russland und alles Russische wahnsinnig ist. Die Größe dieses Problems zu leugnen (wie Price es tut), bedeutet zu leugnen, dass diese Menschen durch die Regierungen nach dem Maidan und durch die NATO-Sponsoren des Stellvertreterkrieges mit Russland gestärkt wurden. Es bedeutet auch, eine der Ursachen des Krieges zu leugnen: Russlands Weigerung, ein faschistenfreundliches Regime in der Ukraine zu akzeptieren. Jedes Regime, das Faschisten aus dem Zweiten Weltkrieg rehabilitiert6 und Nazis in seine staatlichen und militärischen Strukturen aufnimmt, ist für den russischen Staat inakzeptabel – das ist eine einfache Tatsache. Vor allem, wenn sie mit NATO-Waffen ausgerüstet werden und zu einem Stützpunkt für Atomraketen werden könnten. Aber weil wir die Beweggründe des russischen Staates nicht verstehen dürfen, können wir nur die Analyse von Natopolitan akzeptieren, warum Russland einmarschiert ist (um die Ukraine auszulöschen!). Deshalb ist Putin Hitler und dies ist ein kosmischer Kampf auf Leben und Tod, über den es keine Debatte geben kann. Wir müssen im Kampf gegen den russischen Faschismus alle Prinzipien aufgeben und den ukrainischen Staat verteidigen. Die Wahrheit ist viel schmutziger und unangenehmer: Die Ukraine ist ein Werkzeug, und jedes Werkzeug muss scharf gehalten werden.

Die Schlussfolgerung, die wir daraus ziehen sollten, ist genau das Gegenteil von der von Wayne Price. Er glaubt, dass wir, indem wir das faschistische Problem der Ukraine herunterspielen, uns weigern, den Russen in die Hände zu spielen, und dass wir den „demokratischen“ ukrainischen Staat unterstützen, der gegen eine imperialistische Invasion verteidigt werden muss. Im Gegenteil, als Anarchistinnen und Anarchisten müssen wir uns dem Faschismus entgegenstellen, weil er der Feind aller libertären Prinzipien ist, weil er die schärfste Manifestation des Nationalismus (und seiner schreienden Opferrolle) ist, weil er von Militarismus und Fantasien von rassischer Reinheit durchdrungen ist.7 Er ist auch der Triumph des Kapitalismus und der Interessen des Kapitals. Die ukrainischen Oligarchen Ihor Kolomojskyj und Serhij Taruta finanzieren das Asow-Bataillon (und andere paramilitärische Organisationen) mit dem Ziel, russische Oligarchen fernzuhalten. Ihr Patriotismus erstreckt sich nicht auf den Schutz vor US-/EU-Kapital, z. B. der „Wiederaufbaubank“ der Ukraine, die von BlackRock und JPMorgan Chase gegründet wurde, um das Land billig aufzukaufen und Konzessionen für die Ausbeutung seines Reichtums zu erhalten. Wir gefährden uns selbst als Anarchistinnen und Anarchisten und wir gefährden alles Gute in der Ukraine, und wir geben dem russischen Staat eine legitime Angriffslinie, indem wir dem ukrainischen Faschismus einen Freibrief erteilen.8

Die Gefahr der Position von Wayne Price, der sich für die Verteidigung der Nation einsetzt, besteht in der Vorstellung, dass es einen guten Nationalismus und einen guten Staat gibt, der sich einfach und natürlich aus der Opposition gegen den Eindringling und Besatzer ergibt. Da Selbstbestimmung nur durch die Nation erreicht und artikuliert werden kann und weil Selbstbestimmung der anarchistischen Revolution/Befreiung vorausgeht, muss der Anarchismus aufgeschoben werden, bis ein klarer, ungestörter nationaler Raum gesichert ist. Die vollständige Verschmelzung von Staat und Nation geht an Price vorbei. Er ist ein Anarchist, der sich dafür einsetzt, einen Staat zu stärken, nur um ihn dann niederzureißen. Und er ist bereit, auf Abwege zu geraten, entweder durch staatliche Zusammenarbeit oder durch Zusammenarbeit mit Nazis, indem er sich jahrelang NATO-kontrollierten Brigaden anschließt, bis Russland besiegt ist (was auch immer das bedeutet, da Russland über das größte Atomwaffenarsenal der Welt verfügt). Dann wird er als der Anarchist in Erscheinung treten, der er ist, und bei Jupiter! wird er der herrschenden Klasse der Ukraine zeigen, was in ihm steckt. Aber das wird er nicht tun, denn er ist ein Tastaturkrieger, und die Ukrainer und die Anarchistinnen und Anarchisten werden für ihn sterben.

Das Vaterland der Reichen

Bei der Diskussion über die „nationale Frage“ und die Probleme der Selbstbestimmung erwies sich Rosa Luxemburg eher als Anarchistin denn als Wayne Price oder sein Zitat von Bakunin. In ihrer Broschüre aus dem Jahr 1909 heißt es kühn:

Mit einem Wort, die Formel „Selbstbestimmungsrecht der Völker“ ist im Grunde keine politische und problematische Leitlinie in der Nationalitätenfrage, sondern nur ein Mittel, um diese Frage zu umgehen.9

Luxemburg hält am Klassenkampf fest und weigert sich, sich von schwammigen Begriffen wie Freiheit und Selbstbestimmung blenden zu lassen. Die Nation ist ein Instrument der Klassenherrschaft, nationale Rechte werden von der herrschenden Klasse ausgedrückt, sie werden durch die Interessen der herrschenden Klasse ausgedrückt, die auf Kosten der Arbeiterklasse gehen. Einfach ausgedrückt: „In einer Klassengesellschaft existiert die Nation als homogene soziopolitische Einheit nicht.“10

Und in einer scharfen Erwiderung an die Adresse der Anarchistinnen und Anarchisten verteidigt sie den Klassenkampf:

In diesem Fall, wie in vielen anderen, erwies sich der Anarchismus, der vermeintliche Antagonist des bourgeoisen Liberalismus, als würdiges Kind desselben. Der Anarchismus akzeptierte mit der ihm eigenen „revolutionären“ Ernsthaftigkeit die Phraseologie der liberalen Ideologie für bare Münze und zeigte wie diese nur Verachtung für den historischen und sozialen Inhalt des Nation-Staates, den er als nichts anderes als eine Verkörperung der „Freiheit“, des „Volkswillens“ und ähnlicher leerer Worte darstellte.11

Wenn euch das lieber ist, wenn es von Anarchistinnen und Anarchisten kommt, dann können wir uns Rudolf Rocker in seinem großen Buch „Nationalismus und Kultur“ (1933) zuwenden – der Inhalt ist im Großen und Ganzen derselbe:

Es ist daher völlig sinnlos, von einer Gemeinschaft der nationalen Interessen zu sprechen, denn was die herrschenden Klassen jedes Landes als nationale Belange bisher verteidigt haben, ist nie etwas anderes gewesen als die Sonderinteressen privilegierter Minderheiten in der Gesellschaft, welche durch wirtschaftliche Ausbeutung und politische Unterdrückung der breiten Massen erkauft werden mußten, wie ja auch der Grund und Boden des sogenannten Vaterlandes und seine natürlichen Reichtümer stets im Besitze jener Klassen gewesen sind, so daß man mit vollem Recht von einem «Vaterland der Reichen» gesprochen hat. – Wäre die Nation in der Tat eine Interessengemeinschaft, als welche man sie bezeichnet hat, so hätte es in der modernen Geschichte nie Revolutionen und Bürgerkriege gegeben, denn aus reinem Vergnügen haben Völker wohl kaum zu der Waffe des Aufstandes ihre Zuflucht genommen; ebensowenig wie die endlosen Lohnkämpfe, die für das System des Kapitalismus so bezeichnend sind, etwa deshalb stattfinden, weil es den werktätigen Schichten der Bevölkerung zu wohl ist.12

Der Klassenkampf durchzieht jeden Aspekt des Nation-Staates, er kann nicht aus Rücksicht auf die Interessen der herrschenden Klasse oder irgendein Vaterland der Reichen beiseitegeschoben werden. Aber genau das ist es, was Price befürwortet. Er beginnt mit stereotypen libertären Aussagen, nur um sie dann alle über Bord zu werfen:

Anarchistinnen und Anarchisten stellen sich gegen ihre etatistischen herrschenden Klassen. In der Ukraine unterstützen Anarchistinnen und Anarchisten weder Zelenskys Partei, noch kandidieren sie bei Wahlen, noch unterstützen sie seine Regierung in irgendeiner Weise politisch. Sie lehnen die Sparpolitik der Regierung und ihre gewerkschaftsfeindlichen Gesetze ab. Sie befürworten weder die Wehrpflichtgesetze noch die bürokratische Armee. Aber sie verurteilen die Regierung und die Armee nicht dafür, dass sie gegen Invasion und Besatzung kämpfen! Insofern können sie mit der Regierung zusammenarbeiten (solange sie zu schwach sind, um den kapitalistischen Staat zu stürzen).

Von welchen Anarchistinnen und Anarchisten spricht Price? Er nennt kein Beispiel. Für ihn sind „Anarchistinnen und Anarchisten“ wie „Ukrainerinnen und Ukrainer“ eine monolithische, vereinte Masse. Diese Anarchistinnen und Anarchisten lehnen die Wehrpflicht ab (weil Wehrpflicht vermutlich Sklaverei bedeutet), aber sie verurteilen auch nicht die Regierung und die Art und Weise, wie sie kämpft (durch Wehrpflicht!). Weil sie zu schwach sind, werden und tun diese Anarchistinnen und Anarchisten es und sollten es, ihren Anarchismus aufgeben, um sich dem „kapitalistischen Staat“ zu unterwerfen, der Anspruch auf ihre Körper erhebt und sie in ihre „bürokratische Armee“ schickt, die sie nicht unterstützen. Weil sie zu schwach sind, um gegen den Staat zu kämpfen, sollten sie jeden Klassenkrieg aufgeben und sich dem Krieg des Staates um sein eigenes Überleben unterwerfen. Als ob dies ihre Fähigkeiten zum Klassenkampf erhöhen würde! Stattdessen ist es viel wahrscheinlicher, dass sie tot in einem Graben landen. Aber selbst tot in einem Graben werden sie ihre Prinzipien der Zusammenarbeit mit einem Staat beibehalten haben, solange sie ihn anprangern. Mit den Worten von Wayne Price: „Ich würde revolutionären Internationalismus bevorzugen.“ Aber … die Nation steht an erster Stelle.

Gegen Ende seines Textes wirft Price mir vor, ich würde die anarchistische Revolution nicht auf ein höheres Niveau heben. Er beschuldigt mich sogar des Pazifismus. Welche Demütigung! Um ehrlich zu sein, wäre ich lieber ein Pazifist, der sich für kreative libertäre Kräfte einsetzt, als jemand, der sich für die Zwangsrekrutierung von Männern aus der Arbeiterklasse im Ausland einsetzt, um Boden und Nation zu verteidigen, und sich dabei hinter einem Computerbildschirm versteckt. So wie die Dinge stehen, sind wir Anarchistinnen und Anarchisten, die den Klassenkampf führen, keine Pazifisten, sondern Antimilitaristen und Internationalisten. Wir verstehen den Staat als Mechanismus nationalistischer Befehlsgewalt, der das Gewaltmonopol beansprucht, die Rechtmäßigkeit seiner Kriege verankert und das Monopol auf Tötungsmaschinen (von Panzern bis hin zu Atomwaffen) besitzt. Wir rufen nicht mutig und männlich dazu auf, unsere Brüder und Schwestern aus der Arbeiterklasse abzuschlachten. Tatsächlich sehen wir dies als hoffnungslos kompromittiert an. Wir sehen all die Politiker, all die Nation-Staaten und die Medien und ihre kleinen Natopolitiker, die nach Hass und industriellem Mord lechzen. Wir sehen den Schwindel, der die Waffenproduktion und den Waffenhandel darstellt, und die Drehtüren des militärisch-industriell-politisch-medialen Komplexes. Wir sehen das globale System imperialer Herrschaft und ökonomischer Ausbeutung durch westliche Staaten, d. h. den NATO-Block. Wir sehen, wie unsere Staaten fest auf bewaffnete Herrschaft, Krieg und Genozid programmiert sind. Wir kennen die Geschichte der NATO-Kriege und der Verbrechen der USA und arbeiten dagegen an. Wir verstehen sehr gut, dass ein gestärkter Staat, der sich im Ausland an Kriegen beteiligt, bei der ersten Gelegenheit sein Augenmerk auf uns im Inland richten wird.

Über eine bewaffnete Revolution zu schwärmen, wenn wir nur eine kleine Zahl sind, wenn unsere Bewegung durch Identitätspolitik gespalten, von der Masse der Arbeiterklasse getrennt und durch die Unterstützung etatistischer, nationalistischer Projekte wie dem ukrainischen gespalten ist, wäre unangemessen. Außerdem scheint Price unter Revolution nur einen bewaffneten Aufstand, einen Maidan-ähnlichen Putsch zu verstehen, weshalb er nicht verstehen kann, dass Antimilitarismus eine der Säulen der sozialen Revolution ist und dass Anarchistinnen und Anarchisten darauf hinarbeiten, die Kontrolle des Staates zu untergraben und ihn zu entwaffnen. Solange der Militarismus nicht geschwächt, diskreditiert und abgebaut ist, wird der Würgegriff des Staates und der Nation auf die Arbeiterklasse und ihre freien Befreiungskräfte weiter bestehen. Für Price ist Antimilitarismus ein interessanter Zeitvertreib, vielleicht eine Seite aus der Geschichte, vielleicht sogar außerhalb des Bereichs revolutionärer Aktivitäten. Für uns ist er einer der Hauptpfeiler der Befreiung der Arbeiterklasse, denn, wie Rudolf Rocker sagt:

Nicht bloß, daß der Krieg im allgemeinen verheerend auf die Natur des Menschen wirkt, indem er fortgesetzt an seine brutalsten und grausamsten Triebe appelliert, die militärische Disziplin, die er erfordert, erstickt auch jede freiheitliche Regung im Volke und züchtet systematisch jenen Ungeist des Kadavergehorsams, der noch immer der Vater jeder Reaktion gewesen ist.13

Träume der Ukrainischen Agentur

Der oben zitierte Abschnitt von Price über die Zusammenarbeit mit der Regierung und der Armee ist der deutlichste Ausdruck der Position des „Defencism“, der besagt, dass die Nation an erster Stelle steht und der libertäre Kampf an zweiter Stelle. Und weil die Nation – d. h. die herrschende Klasse der Ukraine – sich mit der NATO verbündet hat14, handelt es sich auch um einen natopolitischen Defencism. In seiner Antwort regt sich Price darüber auf, als Natopolitiker bezeichnet zu werden, was mich überrascht. Er befürwortet offen eine Allianz mit der NATO gegen Russland. Vielleicht würde ein „taktischer Natopolitaner“ besser zu ihm und seinem Hang zum Paradoxen passen? Strategisch antiimperialistisch und libertär, aber taktisch ein NATO-Anhänger.

In der Ausgabe von Black Flag vom Frühjahr 2023 schrieb Price: „Dass sie Waffen von den westlichen Regierungen nehmen, bedeutet wenig – sie brauchen Waffen und wo sonst können sie sie bekommen?“ In der Ausgabe von Black Flag vom Herbst 2024: „Ist die Beteiligung der NATO so groß, dass die Ukrainer nicht als Kämpfer für ihr Land angesehen werden können?“ In der für ihn typischen irreführenden Sprache spricht Price von „Ukrainern“, nie vom ukrainischen Staat, und von „Waffen“ statt von der gesamten NATO-Ausbildungs-, Logistik-, Ziel- und Kommandostruktur. In dieser kindlichen Welt ist der Begriff „ukrainische Agentur“ weit verbreitet. Welche Agentur ist das? Diejenige, die abgelehnt wurde, als Boris Johnson im Frühjahr 2022 geschickt wurde, um die Istanbuler Abkommen zu zerschlagen? Diejenige, die die NATO entscheiden lässt, wann und wo die Ukraine ihre katastrophalen Offensiven starten soll, wie zum Beispiel im Sommer 2023? Diejenige, die ukrainische Frauen dazu treibt, deutsche Bordelle zu füllen?15 Was ich sehe, ist die brutale Ausbeutung von Menschen im Dienste der NATO-Interessen und mit dem Ziel, Russland ausbluten zu lassen, und im Idealfall einen Regimewechsel und die Balkanisierung Russlands zu erreichen. Und ihre ultimative Ausbeutung ist die zynische Nutzung ihres Landes und ihrer Ressourcen als NATO-Stellvertreter. Hier sind sich Wayne Price und ich ausnahmsweise einmal einig:

„Ukrainer, nicht Amerikaner, Deutsche oder Franzosen, kämpfen und sterben. Für sie ist es kein ‚Stellvertreterkrieg‘.“

Und genau darin liegt die Tragödie: Sie sind billiges Kanonenfutter, das die amerikanische und europäische herrschende Klasse benutzt, um Russland zu bekämpfen. Für den Tastaturkrieger Wayne Price ist es unbezahlbar, sein Leben zu geben. Und weil man in einer echten Armee für eine echte Nation kämpft, bedeutet das, dass der eigene Tod niemals den Interessen der herrschenden Klasse und des Staates dienen kann, der ein Klientelstaat des US-Imperiums ist. Alles ist rein unter diesem azurblauen Himmel.

Auch für den ukrainischen Verteidigungsminister Aleksey Reznikov ist alles klar, der offen darüber sprach, dass sein Land ein NATO-Stellvertreter sei. Er reflektierte darüber, wie die Ukraine „den gesamten Westen“ verteidigt und wie Russland als die größte Bedrohung für die NATO angesehen wurde:

Heute geht die Ukraine gegen diese Bedrohung vor. Wir führen heute die Mission der NATO aus, ohne ihr Blut zu vergießen. Wir vergießen unser Blut, also erwarten wir, dass sie uns Waffen zur Verfügung stellen.“16

Das ist die herrschende Klasse der Ukraine. Hier ist ein Beispiel aus der britischen, aus dem Mund des Premierministers, der die Friedensgespräche im Frühjahr 2022 torpedierte und ukrainische Nazis im englischen Parlament empfängt – Alexander Boris de Pfeffel Johnson:

Kumpel, seien wir ehrlich. Wir führen einen Stellvertreterkrieg!“17

Ein weiterer Grund, warum dies laut Price kein Stellvertreterkrieg sein kann, ist, dass es sich nicht um einen innerimperialen Konflikt handelt. Warum entscheiden dann die USA, ob die Ukraine Langstreckenwaffen einsetzen darf, um Russland anzugreifen? Warum engagiert sich die gesamte NATO-Allianz für diesen Krieg? War nicht jeder Krieg der NATO ein imperialistischer Krieg? Es wäre eine unbequeme Wahrheit, Interessen aufzudecken, die so groß sind, dass sie nicht hinter dem Feigenblatt des „Kampfes eines kleinen Landes um nationale Selbstbestimmung“ versteckt werden können. Ein letzter Grund, warum der Krieg in der Ukraine nicht als Stellvertreterkonflikt verstanden werden kann, ist, dass Wayne Price und seine Tactical Natopolitans in diesem Fall wie nützliche Idioten des US-Imperiums aussehen würden. Aber früher oder später werden sie die Realität akzeptieren müssen, da selbst Jens Stoltenberg, der (damalige) Generalsekretär der NATO, offen über den innerimperialistischen Ursprung des Krieges gesprochen hat. Er bestätigte auch, dass es die Aktionen der NATO (der die Ukraine nicht angehört) waren, die die russische Invasion provoziert haben. So viel zur „ukrainischen Agentur“:

„Präsident Putin erklärte im Herbst 2021, und schickte tatsächlich einen Vertragsentwurf, den die NATO unterzeichnen sollte, um keine weitere NATO-Erweiterung zu versprechen“, sagte Stoltenberg am 7. September [2023] vor einem gemeinsamen Komitee des Europäischen Parlaments. „Das war es, was er uns geschickt hat. Und [das] war eine Vorbedingung dafür, nicht in die Ukraine einzumarschieren [sic]. Natürlich haben wir das nicht unterschrieben. Er ist in den Krieg gezogen, um zu verhindern, dass die NATO, mehr NATO, näher an seine Grenzen rückt. Er hat genau das Gegenteil bekommen.“18

Dies ist der Casus Belli, und darin liegt der Keim für ein Ende dieses Krieges oder eine fatale Eskalation. Weit entfernt von der Frage einiger weniger Waffen und Vorräte steht die Frage der NATO im Mittelpunkt der geopolitischen und innerimperialistischen Natur dieses Konflikts. Wie John Mearsheimer den Moment nach dem Maidan im Jahr 2015 richtig analysierte, war es schon immer ein innerimperialistischer Wettbewerb:

Der Westen führt die Ukraine auf den Holzweg und das Endergebnis ist, dass die Ukraine zugrunde gehen wird.“19

Das war vor zehn Jahren – es gibt derzeit keine Grundlage oder Rechtfertigung für die Ansichten, die Wayne Price und seine Tactical Natopolitans vertreten.

Bittere Pillen

Weil Price so gründlich NATO-geprägt ist, kann er die Verantwortung von Zelenskys Regime und des ukrainischen Staates für den Tod von Hunderttausenden ukrainischer Wehrpflichtiger nicht akzeptieren. Für Price ist alles ganz einfach: Die einfallenden Russen töten sie und sie sind schuld – jede Anerkennung der Rolle des ukrainischen Staates beim Abschlachten der ukrainischen Arbeiterklasse verrät, was er „eine imperialistische Denkweise“ nennt.

Aber sehen wir uns an, wie eine lokale anarchistische Gruppe dieses Regime beschreibt, für das Wayne Price arbeitet. In ihrem Rundschreiben vom 11. November 2024 bezeichnet die in Charkow ansässige anarchistische Gruppe „Assembly“ es als „die quälende Diktatur in der Ukraine“. Sie berichten von Graffiti aus der Stadt Saporischschja: „Selenskyj ist ein Henker“.20 Weit entfernt von einer imperialistischen Denkweise ist dies die Denkweise des Klassenkampfes. Und es ist die Unterstützung für innerstaatliche und innerimperialistische Kriege, die etatistisch, militaristisch, nationalistisch und imperialistisch ist.

Wayne Price erkennt die Positionierung des ukrainischen Staates an: „Der ukrainische Staat hat sich gegen den russischen Imperialismus auf die Seite der westlichen Imperialisten gestellt.“21 Aber das war nach Jahrhunderten russischer Herrschaft zu erwarten, schreibt Price. Unser taktischer Natopolit ist so engstirnig, dass er nicht sehen kann, dass etwas, das gegen Russland ist, nicht automatisch pro-ukrainisch ist. Und wie bei der Frage der Zusammenarbeit von Regierung und Militär ist dies für Price ein notwendiges Übel: Man landet in einer staatlichen Armee, die Teil eines imperialistischen Blocks ist, so ist das Leben, wir müssen weiterkämpfen „für die nationale Selbstbestimmung“. Nichts hindert uns daran, Abrakadabra! zu rufen und zu erklären, dass wir als Anarchistinnen und Anarchisten gegen den Imperialismus und „unsere etatistischen herrschenden Klassen“ sind. Es ist nur so, dass diese Aussagen durch unsere Aktionen bedeutungslos geworden sind. Es gibt keine größere Unterstützung für eure „etatistische herrschende Klasse“ und den Imperialismus, als seinen Körper und sein Leben dafür zu opfern. Und es gibt keine größere Heuchelei als die von Wayne Price, der dazu aufruft, dass jemand anderes an seiner Stelle stirbt.

Die konservative Schätzung der kapitalistischen Presse geht von 500.000 toten, verstümmelten und vermissten Ukrainern aus.22 Die Realität sieht sicherlich viel schlimmer aus, wenn man die Frontlinien verfolgt. Seit Februar 2022 wurden drei ukrainische Armeen von der russischen vernichtet. Aus diesem Grund werden junge ukrainische Männer von Zelenskys Truppen zwangsrekrutiert, in einem verzweifelten Versuch, 160.000 weitere in den Tod zu schicken (dies ist eine Zielvorgabe, die sie im November 2024 veröffentlicht haben). Die ukrainischen Soldaten gehören zu den ältesten der Welt, mit einem Durchschnittsalter von 43 Jahren im November 2023, 10 Jahre älter als im März 2022. Ein Bataillonskommandeur der 65. Brigade sagt:

Man schickt mir Männer, die über 50 sind, mit ärztlichen Attesten, die besagen, dass sie zu krank sind, um zu dienen. Manchmal fühlt es sich an, als würde ich einen Altersheim leiten und nicht eine Kampfeinheit.“23

In den ersten zehn Monaten des Jahres 2024 wurden 60.000 Fälle von Desertion vor Gericht verhandelt – die Gesamtzahl liegt sicherlich höher.24 Die schlecht ausgebildeten Soldaten werden in Positionen zurückgelassen, die nicht zu verteidigen sind, wie z. B. Vuhledar. Ein Soldat, der aus der 123. Brigade desertiert ist, sagte: „Vuhledar hat verdammt noch mal niemand gebraucht.“ Es sei vor mehr als einem Jahr in Schutt und Asche gelegt worden, und er ist überzeugt, dass es nicht nötig war, diese ukrainischen Soldaten dort zurückzulassen. Er gibt der ukrainischen Armee die Schuld: „Sie bringen sie einfach um, anstatt sie sich rehabilitieren und ausruhen zu lassen.“ Aber das ist noch nicht genug, die Oberherren der Ukraine (Wayne Prices geistige Anführer) fordern vom Klientelstaat, das Einberufungsalter auf 18 Jahre zu senken.25 Selbst diejenigen, die aus gesundheitlichen Gründen „untauglich“ sind, werden nicht mehr von der militärischen Registrierung ausgeschlossen und bleiben im Register.26 Wer einen Herzschlag hat, kann sein Leben für die Nation opfern.

Und weil Price mental tief in Natostan lebt, kann er nicht verstehen, dass der von Russland geführte Krieg ein Zermürbungskrieg ist.27 Deshalb behauptet er, der Krieg sei „bestenfalls in einer Pattsituation“. Scheinbar kleine Bewegungen der Frontlinien werden als Pattsituation interpretiert. Aber die russische Armee folgt den Maximen von Clausewitz, der sich für die Zerstörung von Armeen und nicht für die Eroberung von Gebieten einsetzte:

Was verstehen wir unter der Niederlage des Feindes? Einfach die Vernichtung seiner Streitkräfte, sei es durch Tod, Verwundung oder auf andere Weise – entweder vollständig oder so weit, dass er aufhört zu kämpfen. (…) Die vollständige oder teilweise Vernichtung des Feindes muss als einziges Ziel aller Gefechte angesehen werden. (…) Die direkte Vernichtung der feindlichen Streitkräfte muss immer im Vordergrund stehen.28

Aus diesem Grund haben die Russen die Strategie verfolgt, die Ukrainer in Kessel und Feuerstöße zu treiben, was verheerende Auswirkungen hatte. Das Schlachtfeld bei Robotyno, auch bekannt als Bradley Square, und die völlig uneinnehmbare Surovikin-Linie. Bakhmut. Wuhledar. Chasiv Yar. Awdejewka. Kursk. Über 1000 Tage lang haben die Russen unzählige ukrainische Männer und NATO-Maschinen vernichtet, weil sie wissen, dass die imperialen Oberherren der Ukraine und Anfeuerer wie Wayne Price sie zwingen, trotz aller Widrigkeiten vorzurücken, um zu beweisen, dass sie ein lohnender Klient sind, und um die in sie getätigten Investitionen zu demonstrieren, indem sie Gebiete zurückerobern.

Price streitet mit mir, weil ich Noam Chomsky zitiere, weil er „ein philosophischer Anarchist“ ist, der nicht an eine Strategie für eine anarchistische Revolution glaubt oder sie vorschlägt. Wayne Prices Strategie für eine anarchistische Revolution besteht darin, (vorübergehend!) seine Autonomie aufzugeben und sich in eine NATO-Armee einzutragen. Chomsky hingegen ist sich bewusst, dass es für jede Art von libertärer Bewegung oder sozialer Revolution eine Katastrophe wäre, einen innerimperialen Konflikt unter dem Banner des „Kampfes bis zum letzten Ukrainer“ weiter anzuheizen. Chomsky ist sich auch der verhängnisvollen Auswirkungen bewusst, die das Schweigen antimilitaristischer und antiimperialistischer Stimmen in unseren imperialen NATO-Kernländern hat.29 Natürlich ist Chomsky eine Bedrohung für Prices Weltbild, denn für Price ist die Verlockung der (globalen) anarchistischen Revolution ebenso wie die ultimative Bedrohung durch den (russischen) Faschismus ein Mittel, um zu rechtfertigen, was auch immer er will: Wehrpflicht, Imperialismus, Nationalismus.

TLDR

Zum Abschluss fassen wir die Position der Tactical Natopolitans zusammen. Sie basiert auf:

Leugnung der Ursprünge des Krieges (NATO-Erweiterung),

Leugnung der Natur des Krieges (ein Stellvertreterkrieg) und damit

Leugnung des US/NATO-Imperialismus, der unterstützt wird durch

Leugnung des Vorrangs des Klassenkampfes,

unter dem Banner der Verteidigung der Nation als ultimatives Mittel zur Verteidigung von Völkern, Gemeinschaften und Individuen.

Unsere Position als Anarchistinnen und Anarchisten, die den Klassenkampf unterstützen, ist, dass es sich hierbei um einen innerimperialen Konflikt handelt, in dem die Arbeiterklasse abgeschlachtet, ausgebeutet und belogen wird. Durch eine Allianz mit einem der Staaten oder imperialen Blöcke kann nichts für die Arbeiterklasse oder die Sache der libertären Revolution gewonnen werden. Eine solche Allianz schwächt nur unsere Sache und Kräfte und gefährdet den Anarchismus auf fatale Weise.

Schließlich müssen wir uns entschieden und vollständig von der Idee verabschieden, dass die Nation das ultimative Mittel zur Selbstbestimmung und Befreiung ist. Es gibt eine Fülle von Traditionen, Erfahrungen, Institutionen, Gemeinschaften, Sprachen und Kulturen, die unabhängig von und trotz der Nation und des Staates existieren. Dies ist unser libertäres Erbe. Hier liegen die Quellen der Anarchie. Wir sollten uns von ihnen leiten lassen und nicht von den Sirenenstimmen imperialistischer Kriegstreiber wie Wayne Price.


1A.d.Ü., auch von uns übersetzt: Krieg gegen den Anarchismus – Bill Beech

2‘Should Anarchists Defend Ukraine? A Response to Bill Beech’ in Black Flag, Autumn 2024, Vol4, No3 https://www.anarchistfaq.org/blackflag/BlackFlag-vol4-no3.pdf

3„Der heute unklare Begriff ‚Natopolitan‘ wurde anscheinend in den späten 1970er Jahren vom britischen marxistischen Historiker EP Thompson geprägt. Er bezog sich nicht nur auf die NATO selbst, sondern auch (in einer späteren Glosse von Edward Said) auf ‚eine Mentalität, deren Netz sich über viel mehr Aktivitäten und Gedanken erstreckte‘.Gabriel Carlyle, Rezension des Buches „Natopolitanism“, Peace News, Dev 2023

4https://www.aljazeera.com/news/2022/3/1/who-are-the-azov-regiment

5A.d.Ü., leichenfressendes Fabelwesen aus der arabischen und persischen Kultur.

6Im Falle Russlands forderte dieser Kampf im Zweiten Weltkrieg etwa 27 Millionen Menschenleben, sodass es unwahrscheinlich ist, dass eine Regierung dort dies als eine Sache ansieht, über die man lachen kann. Im Falle Russlands forderte dieser Kampf im Zweiten Weltkrieg etwa 27 Millionen Menschenleben, sodass es unwahrscheinlich ist, dass eine Regierung dort dies als eine Sache ansieht, über die man lachen kann.

7Hier ist Robert Paxtons Definition recht nützlich: „Faschismus kann als eine Form politischen Verhaltens definiert werden, die durch eine zwanghafte Beschäftigung mit dem Niedergang der Gemeinschaft, Demütigung oder Opferrolle und durch kompensatorische Kulte der Einheit, Energie und Reinheit gekennzeichnet ist, in der eine massenbasierte Partei engagierter nationalistischer Militanter, die in einer unruhigen, aber effektiven Zusammenarbeit mit traditionellen Eliten arbeitet, demokratische Freiheiten aufgibt und mit erlösender Gewalt und ohne ethische oder rechtliche Beschränkungen Ziele der inneren Säuberung und äußeren Expansion verfolgt. Aus: The Anatomy of Fascism, 2004, S. 219

8Dies ist nicht meine Meinung, sondern eine Tatsache – Hitlerismus und banderistischer Nationalismus sind historisch besiegte und geächtete Ideologien, weil sie auf Töten und genozidalen Rassismus ausgerichtet sind.

9https://www.marxists.org/archive/luxemburg/1909/national-question/ch01.htm

10https://www.marxists.org/archive/luxemburg/1909/national-question/ch01.htm

11https://www.marxists.org/archive/luxemburg/1909/national-question/ch02.htm

12Rudolf Rocker, Nationalismus und Kulturhttps://theanarchistlibrary.org/library/rudolf-rocker-nationalism-and-culture

13Rudolf Rocker, Nationalismus und Kulturhttps://theanarchistlibrary.org/library/rudolf-rocker-nationalism-and-culture

14Die NATO-Mitgliedschaft ist seit 2019 in der ukrainischen Verfassung verankert – siehe die Seite der Ukraine auf der NATO-Website: https://www.nato.int/cps/en/natohq/topics_37750.htm

15https://www.welt.de/politik/deutschland/plus253481548/Prostitution-In-den-Bordellen-sind-es-mittlerweile-etwa-50-Ukrainerinnen.html

16https://english.almayadeen.net/news/politics/ukraine-shedding-blood-to-carry-out-nato-mission:-ukraine-de

1729. November 2024, in einem Daily Telegraph-Podcast

18https://responsiblestatecraft.org/russia-ukraine-nato-expansion/

19https://youtu.be/JrMiSQAGOS4?si=AX1kgIBXZxebzMdF

20https://libcom.org/article/ukraine-wave-desertion-spontaneous-self-demobilization-amid-us-elections

21Black Flag, Herbst 2024, Vol4, Nr. 3

22https://kyivindependent.com/economist-casualties-estimates/

23https://newkontinent.org/ukraines-warriors-brace-for-a-kremlin-surge-in-the-south/

24https://www.ft.com/content/9b25288d-8258-4541-81b0-83b00ad8a03f

25https://www.reuters.com/world/us-urges-ukraine-lower-fighting-age-18-bolster-ranks-official-says-2024-11-27/

26https://itc.ua/en/news/unfit-for-health-reasons-will-no-longer-be-excluded-from-military-registration-and-will-remain-in-the-register-order-of-the-ministry-of-defense/

27Es gibt viele Berichte über die Zermürbungsstrategie der russischen Armee. Ich empfehle John Mearsheimers.

28Carl von Clausewitz, Vom Kriege, Kapitel 2, Princeton University Press, 1976

29Die mit dem „Ukrainischen Projekt“ verbundenen Wahnvorstellungen haben kürzlich ihren Höhepunkt erreicht. Während ein großer Teil der sogenannten Anarchistinnen und Anarchisten taktische PR-Unterstützung für die NATO anbietet und alle anderen zum Schweigen bringt, wurden auch Kugeln eingesetzt. Dies ist eine schockierende Entwicklung für „demokratische“ Länder im Westen, die so an ihre Überlegenheit gewöhnt sind. Der slowakische Präsident Fico wurde von einem Mann angeschossen, der als Grund für seine Aktion die Empörung über die Entscheidung, die militärische Unterstützung für die Ukraine einzustellen, angab. Ryan Routh, der versuchte, Trump auf einem Golfplatz zu ermorden, ist ein ukrainischer Ultra und hat anscheinend Söldner für die CIA rekrutiert. Er schrieb sogar einen Tagtraum über eine NATO auf Steroiden in Buchform: „Ukraine’s Unwinnable War: The Fatal Flaw of Democracy, World Abandonment and the Global Citizen-Taiwan, Afghanistan, North Korea and the end of Humanity“, in dem er „die Ermordung des russischen Präsidenten Wladimir Putin fordert, träumt auch von Trumps Ermordung und fordert das US-Militär auf, einen Atomkrieg mit Russland „anzustiften“. (Siehe Grayzone-Bericht „Angeblicher Möchtegern-Attentäter auf Trump für die Internationale Legion der Ukraine rekrutiert“. ) Die erste Runde der rumänischen Wahlen wurde abgesagt, nachdem der NATO-kritische Kandidat Calin Georgescu gewonnen hatte. Als Grund dafür, dass wir die rumänische Bevölkerung vor sich selbst schützen müssen, wurde die russische Einmischung über TikTok genannt. Da die Atlantiker die kriegsmüde Bevölkerung über ihre staatlichen und kommerziellen Medien nicht mehr im Griff haben, arbeiten sie nun daran, jegliche abweichende Meinung anderswo zum Schweigen zu bringen. In einer Rede aus dem Jahr 2019 hat Jens Stoltenberg, NATO-Generalsekretär, bereits angedeutet, was kommen würde: Sir Julian King, EU-Kommissar für die Sicherheitsunion, erläuterte die Instrumente, die der Europäischen Union zur Verfügung stehen. Die Zusammenarbeit der NATO mit der EU ist wichtig, weil hybride Bedrohungen nicht nur militärischer Natur sind. Wir haben ein Muster von Cyberangriffen gegen unsere Länder erlebt. Desinformationskampagnen. Und Versuche, sich in unsere Demokratien einzumischen. Viele unserer Länder haben unter verschiedenen Arten von hybriden Angriffen gelitten. Für sich allein genommen sind wir vielleicht nicht immer in der Lage, die Zusammenhänge, Trends und Muster zu erkennen. Aber gemeinsam können wir die Punkte verbinden und das Gesamtbild sehen. Und gemeinsam verfügen wir über das gesamte Spektrum an Instrumenten, um diese Herausforderungen zu bewältigen. Die NATO muss sowohl auf konventionelle als auch auf hybride Bedrohungen vorbereitet bleiben: Von Panzern bis zu Tweets.

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