Kritik am Reformismus – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org Für die Anarchie! Knäste, Staat, Patriarchat und Kapital abschaffen! Thu, 20 Mar 2025 12:20:04 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://panopticon.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1233/2020/02/cropped-discharge-degenerik-blog-1-32x32.jpg Kritik am Reformismus – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org 32 32 DER UNHALTBARE ANARCHISMUS – Der aufständische Anarchismus in Russland in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts https://panopticon.blackblogs.org/2025/03/05/der-unhaltbare-anarchismus-der-aufstaendische-anarchismus-in-russland-in-den-ersten-jahren-des-20-jahrhunderts/ Wed, 05 Mar 2025 22:00:05 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6211 Continue reading ]]>

Dieser Text erschien im Jahr 2002 in Form einer Broschüre, nun haben wir es auch endlich übersetzen und veröffentlichen können.


DER UNHALTBARE ANARCHISMUS

Der aufständische Anarchismus in Russland in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts

EINLEITUNG

Der folgende Text erhebt nicht den Anspruch, ein Artikel zur historischen Vertiefung zu sein, noch ist er die Rezension eines etwas veralteten Textes, sondern vielmehr ein – aus unserer Sicht nicht unkritisches – Kompendium eines Fragments aus einem alten Buch von 1978, „The Other Soul of Revolution“ von Paul Avrich. Der amerikanische Gelehrte vertritt einen völlig anfechtbaren, wenn auch kritischen Ansatz gegenüber dem Bolschewismus und verteidigt die gemäßigte anarchistische Strömung, indem er die jungen Anarchisten der verschiedenen revolutionären Organisationen der damaligen Zeit als verrückte Terroristen bezeichnet, die von einer romantischen Sicht der Realität geprägt sind; eine kritische Sichtweise, die des verrückten, idealistischen, romantischen Terroristen, der von der Realität getrennt ist und sich leider zyklisch fortsetzt. Tatsächlich werden wir in diesen Seiten von den Anarchobürokraten sprechen, jenen realistischen, soliden Anarchisten – wie sie sich selbst bezeichneten –, die in Wirklichkeit im Dienste der Bolschewiki standen oder bestenfalls durch eine fast völlige Kurzsichtigkeit in Bezug auf die reaktionären und autoritären Abweichungen der Oktoberrevolution gekennzeichnet waren (einige, die so gut waren, haben später ihre Meinung geändert und und später – zu spät – das Scheitern der Revolution und ihre Rückentwicklung in ein Regime richtig interpretierten). Wir werden auch nicht über die grandiose revolutionäre Erfahrung sprechen, die die Machnowschina in der Ukraine war, sondern nur auf die Matrosen von Kronstadt eingehen, die stark vom Anarchismus beeinflusst waren. Wir werden versuchen, ein fast unbekanntes Kapitel der anarchistischen Erfahrung in den ersten zwanzig Jahren des 20. Jahrhunderts in Russland ans Licht zu bringen. Diese Erfahrung führte zur Gründung der Organisation Schwarze Fahne (Tschernoje Snamja), die 1905 entstand und unter Arbeitern, Bauern und Studenten, größtenteils russische Juden, verwurzelt war. Ihre Mitglieder nahmen an der ersten aufständischen Erfahrung von 1905 teil, die durch eine lange Kampagne von Enteignungen und Attentaten gekennzeichnet war; obwohl sie durch die Repression dezimiert wurden, kamen viele dieser Gefährten bis 1917, um dann gegen die Bolschewiki zu kämpfen. Einige von ihnen gründeten später die Schwarzen Garden (Tschornaja Gwardija), eine anarchistische Miliz, die es schaffte, ihren Angriff bis zum Sitz des Moskauer Komitees der Kommunistischen Partei zu führen, zwölf Mitglieder des Komitees hinzurichten und weitere 55 zu verletzen. Der Angriff auf die Bolschewiki, den die Anarchisten als den Beginn einer neuen Ära von Dynamit sahen, die das Regime der Bürokraten zerstören würde, führte schließlich zu einer äußerst brutalen Repression der Anarchisten, die durch die traditionelle Ächtung seitens der reformistischen Komponente, dieses offiziellen und institutionalisierten Anarchismus, noch verschärft wurde, eine lauwarme Denkströmung, die aus Schurkerei oder politischer Berechnung nie aufhört, mit der Macht zusammenzuarbeiten, wie auch immer diese sich darstellt, in den Momenten, in denen es notwendig war, zum Angriff überzugehen. Grundlegend und keineswegs veraltet bleibt die Kritik, die diese Gefährten vor fast hundert Jahren entwickelt haben, eine entzündliche Kritik an Demokratie und autoritärem Kommunismus.

SCHWARZE FLAGGE

Nieder mit dem Privateigentum und dem Staat! Nieder mit der Demokratie! Es lebe die soziale Revolution! Es lebe die Anarchie! Flugblatt von 1905

Die wahrscheinlich aktivste Gruppe revolutionärer Anarchisten im Russichen Reich verstand sich als anarchokommunistische Organisation, d. h. sie verfolgte Kropotkins Ziel einer freien, gemeinschaftlichen Gesellschaft, in der jeder nach seinen Bedürfnissen teilhat. Ihre unmittelbare, auf Verschwörung und Gewalt basierende Taktik war jedoch von Bakunin inspiriert.

Die Schwarze Fahne rekrutierte die meisten ihrer Anhänger in den westlichen und südlichen Grenzprovinzen. Vorherrschend waren Studenten, Handwerker und Industriearbeiter, aber es gab auch eine beträchtliche Zahl von Bauern aus den stadtnahen Dörfern sowie Arbeitslose, Landstreicher, Berufsdiebe und Nietzsche-artige Übermenschen. Obwohl viele ihrer Mitglieder polnischer, ukrainischer oder russischer Nationalität waren, waren die meisten Juden. Ein charakteristisches Merkmal der Organisation Schwarze Fahne war die extreme Jugend ihrer Mitglieder, die im Durchschnitt zwischen 19 und 20 Jahre alt waren. Einige der aktivsten waren erst 15 oder 16 Jahre alt, fast alle Anarchisten in Bialystok waren Mitglieder der Schwarzen Fahne. Die Geschichte dieser jungen Menschen ist geprägt von unbezähmbarer Tapferkeit und ununterbrochener revolutionärer Gewalt. Sie waren die erste anarchistische Gruppe, die eine gezielte Politik des Terrors gegen die bestehende Ordnung einleitete. In ihren Zirkeln mit 10 bis 12 Mitgliedern verschworen sie sich, um sich an den Herrschenden und den Bossen zu rächen. Anarchie, ihre Zeitung, war ein wahrer Strom von Brandreden, sie drückte offen einen gewalttätigen Hass auf die bestehende Gesellschaft aus und rief zu ihrer sofortigen Zerstörung auf. Typisch für diese Ausrichtung ist eine Flugschrift, die an alle Arbeiter von Bialystok gerichtet war und von der im Sommer 1905, kurz vor der Unterzeichnung des Friedens mit Japan, 2000 Exemplare in den Fabriken verteilt wurden. Die Atmosphäre ist von Angst und Verzweiflung geprägt, beginnt das Flugbatt, Tausende von Menschenleben werden im Fernen Osten zerstört und viele weitere Tausende sterben hier (in der Heimat) als Opfer der kapitalistischen Ausbeuter. Die wahren Feinde des Volkes sind nicht die Japaner, sondern die staatlichen Institutionen und das Privateigentum; es ist an der Zeit, sie zu zerstören. Das Flugblatt warnt die Arbeiter von Bialystok, sich in ihrer revolutionären Mission nicht von den verführerischen Versprechungen parlamentarischer Reformen ablenken zu lassen, die von vielen Sozialdemokraten und Sozialrevolutionären gemacht werden. Die parlamentarische Demokratie ist nichts als Betrug, ein Instrument der Spaltung, das die Mittelklasse nutzen würde, um die arbeitenden Massen zu beherrschen. Lasst euch nicht täuschen, sagt das Flugblatt, von den ätherischen wissenschaftlichen Ansichten sozialistischer Intellektueller. Seid eure einzigen Chefs und Lehrer. Der einzige Weg zur Freiheit ist der Kampf der gewalttätigen Klasse für anarchistische Kommunen, in denen es weder Arbeitgeber noch Herrscher geben wird, sondern wahre Gleichheit. Arbeiter, Bauern und Arbeitslose müssen die Schwarze Fahne der Anarchie hochhalten und auf eine wahre soziale Revolution hinarbeiten. Nieder mit Privateigentum und Staat! Nieder mit der Demokratie! Es lebe die soziale Revolution! Es lebe die Anarchie!

Obwohl ihre üblichen Treffpunkte Büros oder Wohnungen waren, versammelten sich die Gefährten der Schwarzen Fahne von Bialystok oft auf Friedhöfen unter dem Vorwand, der Verstorbenen zu gedenken, oder auch in den Wäldern in der Nähe der Stadt, nachdem sie Wachen aufgestellt hatten, die vor einer möglichen Gefahr warnten. Im Sommer 1903 trafen sich anarchistische und sozialistische Arbeiter, um ihre Strategie gegen die zunehmenden Entlassungen in den Textilunternehmen zu planen. Als eine dieser Versammlungen von einer Polizeieinheit aus Bialystok mit übermäßiger Brutalität aufgelöst wurde, schossen die Anarchisten aus Rache auf den Polizeichef von Bialystok und verletzten ihn. Dieser Vorfall führt zu einer Reihe von Zusammenstößen, die in den folgenden vier Jahren ununterbrochen andauern. Die Situation in den Fabriken verschlechtert sich weiter. Schließlich treten die Textilarbeiter im Sommer 1904 in Streik.

Der Besitzer einer großen Spinnerei, Abraham Bogan, lässt als Vergeltungsmaßnahme die Milizen der Crémieux-Armee eingreifen, was zu blutigen Auseinandersetzungen führt. Dies veranlasst einen achtzehnjährigen Mitglied der Schwarzen Fahne, Nissan Farber, sich für seine arbeitenden Gefährten zu rächen. Am jüdischen Versöhnungstag greift er Bogan auf den Stufen der Synagoge an und verletzt ihn schwer mit einem Messerstich. Einige Tage später findet ein weiteres Treffen in den Wäldern statt, um die nächsten Initiativen gegen die Textilunternehmer zu besprechen. Mehrere hundert Arbeiter, Anarchisten, Sozialisten, Bundisten1), Sozialrevolutionäre und Zionisten nehmen daran teil. Es werden sehr leidenschaftliche Reden gehalten und revolutionäre Lieder gesungen. Als die Luft von den Rufen „Es lebe die Anarchie“ und „Es lebe die Sozialdemokratie“ erfüllt war, griff die Polizei diese zu lärmende Vollversammlung an, wobei Dutzende von Männern verletzt und verhaftet wurden. Wieder suchte Nisan Farber Rache. Nachdem er die von ihm selbst hergestellten „mazedonischen“ Bomben in einem Stadtpark getestet hatte, warf er eine davon auf das Eingangstor der Polizeiwache und verletzte einige Beamte, die sich darin befanden. Farber selbst wurde bei der Explosion getötet. Der Name Nisan Farber war unter den Mitgliedern der Schwarzen Fahne in den Grenzregionen bereits zur Legende geworden. Nach dem Ausbruch der Revolution von 1905 folgten sie diesem Beispiel durch Terrorismus. Um sich Waffen anzueignen, plünderten anarchistische Banden Waffenlager, Polizeiwachen und Waffendepots; die auf diese Weise erbeuteten Mauser- und Browning-Gewehre waren ihre wertvollsten Besitztümer. Nachdem sie sich mit Pistolen und selbst gebastelten Bomben aus gelegentlich gebauten Labors bewaffnet hatten, verübten die anarchistischen Banden zahlreiche Anschläge und raubten Geld und Devisen aus Banken, Postämtern, Fabriken, Geschäften und Wohnungen der Aristokratie und der Mittelklasse. Angriffe auf Unternehmer und ihre Einrichtungen – Aktionen des ökonomischen Terrorismus – fanden während der gesamten Revolutionszeit täglich statt. In Bialystok wurden Dynamitstangen auf die Fabriken und Wohnhäuser der feindlich gesinnten Unternehmer geworfen. Anarchistische Agitatoren veranlassten die Arbeiter einer Pelzfabrik, den Besitzer anzugreifen, der sich aus einem Fenster stürzte, um den Angreifern zu entkommen. In Warschau plünderten und sprengten die Partisanen der Schwarzen Fahne Fabriken und sabotierten Bäckereien, indem sie die Öfen in die Luft sprengten und Kerosin in den Brotteig gossen. Die Gefährten von Schwarze Fahne aus Wilna veröffentlichten einen „offenen Brief“ in Jiddisch an die Fabrikarbeiter, um sie vor den Spionageagenturen und den unter ihnen eingeschleusten Spionen zu warnen, die gegen die Gefährten ermitteln. Nieder mit den Provokateuren und Spionen! Nieder mit der Bourgeoisie und den Tyrannen! Terror gegen die bourgeoise Gesellschaft! Es lebe die anarchistische Kommune! Im Süden waren die Gewalttaten noch zahlreicher. Die Mitglieder der Organisationen in Jekaterinoslaw, Odessa, Sewastopol und Saki organisierten „Kampfverbände“ von Anarchisten, die geheime Bombenlabors einrichteten, unzählige Morde und Raubüberfälle verübten, Fabriken in die Luft sprengten und blutige Kämpfe mit den Polizisten führten, die in ihre Verstecke eindrangen. Es kam sogar so weit, dass sogar die Handelsschiffe im damaligen Hafen von Odessa zur Zielscheibe der „Ex“-Anarchisten wurden – so nannten sie die Enteignungen – und Geschäftsleute, Ärzte und Anwälte sich gezwungen sahen, unter Todesdrohung einen finanziellen „Beitrag“ zur anarchistischen Sache zu leisten.

Ein typisches Beispiel für einen militanten von Schwarzer Fahne ist der Fall von Pawel Godman, einem jungen Arbeiter aus Jekaterinoslaw. Als Sohn eines Landarbeiters arbeitete er in der Nähe der Bahnhöfe. Nachdem er bei den Sozialdemokraten und den Sozialrevolutionären gewesen war, trat er 1905 der Schwarzen Fahne bei. Nicht die Redner haben mich zum Anarchismus bekehrt, erklärte er, sondern das Leben selbst. Godman gehörte dem Streikkomitee seiner Fabrik an und kämpfte während des Generalstreiks im Oktober auf den Barrikaden.

Er hatte bereits an Enteignungen teilgenommen und die Weichen in der Nähe von Jekaterinoslaw sabotiert. Von einer seiner Bomben verwundet, wurde er gefangen genommen und unter Bewachung ins Krankenhaus gebracht. Als seine Gefährten bei dem Versuch, ihn zu befreien, scheiterten, nahm sich Godman das Leben. Er war kaum 20 Jahre alt.

In den Augen der Schwarzen Fahne hatte jeder revolutionäre Gewaltakt, so verrückt und sinnlos er der öffentlichen Meinung auch erscheinen mochte, das Verdienst, den brennenden Wunsch der Ausgebeuteten zu wecken, sich an ihren Tyrannen zu rächen. Sie brauchten keine besondere Provokation, um eine Bombe in einem Theater oder Restaurant zu zünden: Es reichte ihnen zu wissen, dass sich an diesen Orten nur wohlhabende Bourgeois aufhielten. Ein Mitglied von Schwarze Fahne erklärte den Richtern, die ihn verhörten, dieses Konzept des „grundlosen“ Terrorismus wie folgt: Wir nehmen persönliche Enteignungen nur vor, um Geld für unsere revolutionäre Aufgabe zu haben. Wenn wir das Geld bekommen, töten wir die Person, die wir enteignet haben, nicht. Aber das bedeutet nicht, dass er, der Eigentümer, uns los ist. Nein! Wir werden ihn in Cafés, Restaurants, Theatern, Tanzveranstaltungen, Konzerten und so weiter finden. Zu jeder Zeit, wo immer er ist, kann er von einer Bombe oder einem anarchistischen Projektil getroffen werden.

Eine Gruppe von Dissidenten innerhalb der Organisation, angeführt von Ubdimir Striga, war davon überzeugt, dass zufällige Überfälle auf die Bourgeoisie sie nicht weit bringen würden, und rief zu einem Massenaufstand auf, um Bialystok in eine zweite „Pariser Kommune“ zu verwandeln. Diese Kommunarden, wie sie von ihren Gefährten der Schwarzen Fahne genannt wurden, lehnten Gewaltakte nicht ab, sondern wollten einfach den nächsten Schritt tun: die revolutionäre Massenaktion, die unverzüglich die staatenlose Gesellschaft einleiten sollte. Ihre Strategie gelang jedoch nicht. Auf der Konferenz in Kischinew im Januar 1906 setzte sich die Mehrheit der Organisation – die davon ausging, dass einzelne Terrorakte die wirksamste Waffe gegen die alte Ordnung seien – knapp gegen ihre Mitstreiter durch. Das Klima der Illegalität hatte bereits Ende 1905 seinen Höhepunkt erreicht, als Schwarze Fahne Bomben im Warschauer Hotel Sristol und im Odessaer Café Libman zündete und Banden der „Waldbrüder“ die nördlichen Waldregionen von Wilna bis zu den baltischen Provinzen in einen Sherwood-ähnlichen Wald verwandelten.

Nach der Niederschlagung des Aufstands in Moskau folgte eine vorübergehende Waffenruhe, während der sich viele Revolutionäre versteckten. Doch bald darauf kam es erneut zu Terroranschlägen. Die Sozialrevolutionäre und Anarchisten behaupteten, zwischen 1906 und 1907 4000 Menschen getötet zu haben, verloren aber auch eine beträchtliche Anzahl ihrer eigenen Mitglieder. Ende des Jahres hatte der Premierminister den größten Teil des Reiches unter Ausnahmezustand gestellt. Die Polizei verfolgte Schwarze Fahne und andere revolutionäre Gruppen bis in ihre Verstecke, beschlagnahmte Lager, Waffen und Munition, stellte gestohlene Druckerpressen sicher und zerstörte Sprengstofflabors. Die Repression war schnell und gnadenlos. Es wurden Kriegsgerichte eingerichtet, die jegliche Voruntersuchung abschafften, ihre Urteile innerhalb von zwei Tagen fällten und das Urteil sofort vollstreckten. Wenn die jungen Rebellen sterben mussten, waren sie entschlossen, ihren eigenen Weg zu gehen, bevor sie der Stolypin-Schlinge zum Opfer fielen, dem Rächer, der Hunderte von tatsächlichen oder vermeintlichen Revolutionären in den vorzeitigen Tod schickte. Der Tod erschien nicht mehr so schlimm nach einem Leben in Erniedrigung und Verzweiflung: Wie Kolosov, ein Mitglied der Schwarzen Fahne, nach seiner Verhaftung bemerkte, ist der Tod der Bruder der Freiheit. So war es nicht ungewöhnlich, dass Revolutionäre, die von der Polizei festgenommen wurden, ihre Pistolen auf sich selbst richteten oder sich, nachdem sie gefangen genommen worden waren, entschlossen in die Luft sprengten.

Die Reihen der Schwarzen Fahne wurden schnell dezimiert, Dutzende junger Menschen starben auf gewaltsame Weise. Boris Engelson, einer der Gründer der Druckerei Anarchia in Bialystok, wurde 1905 in Vilnius verhaftet, gelang jedoch aus dem Gefängnis zu fliehen und erreichte Paris. Als er zwei Jahre später nach Russland zurückkehrte, wurde er sofort wieder gefangen genommen und zum Galgen gebracht. 1909 fielen zwei der bekanntesten Gefährten von Schwarzer Fahne, die zu den treuesten Anhängern Nisan Farbers gehört hatten, in einem Zusammenstoß mit der Polizei. Der erste, Anton Nizhborskii, der vor seinem Beitritt zur anarchistischen Bewegung Mitglied der polnischen sozialistischen Partei gewesen war, beging nach einer gescheiterten Enteignung in Jekaterinoslaw Selbstmord, um einer Gefangennahme zu entgehen. Sein Mitstreiter Aron Elia, ein ehemaliger Sozialrevolutionär, der einen Kosakenoffizier durch die Explosion einer Bombe inmitten einer Gruppe von Polizisten hingerichtet hatte, wird von Soldaten ermordet, als er an einer Arbeiterversammlung auf dem Friedhof von Bialystok teilnimmt. Vladimir Striga, ein dritter Mitglied der Bialystoker Schwarzen Fahne, Nachkomme einer wohlhabenden jüdischen Familie, ehemaliger Student und ehemaliger Sozialdemokrat, starb im selben Jahr im Pariser Exil. „Gibt es vielleicht einen Unterschied, ob man eine Bombe auf diesen oder jenen Bourgeois wirft?“, fragte Striga kurz vor seinem Tod seine Gefährten. Es ist immer dasselbe: Die Aktionäre werden ihr verdorbenes Leben in Paris weiterführen … Ich proklamiere: Tod der Bourgeoisie! Und ich werde dafür mit meinem Leben bezahlen. Striga fand sein Ende, als er im Bois de Boulogne am Rande der französischen Hauptstadt spazieren ging; er holte eine Bombe aus seiner Tasche, stolperte und starb zerfetzt. Auf die Revolution von 1905 folgte ein Massaker an Anarchisten. Die Militärgerichte unter Stolypin warteten auf die Anarchisten, die den Kugeln der Polizei und ihren eigenen defekten Bomben entkommen waren. Hunderte von Männern und Frauen, von denen viele noch keine 20 Jahre alt waren, wurden summarisch vor Gericht gestellt und allzu oft zum Tode verurteilt oder von ihren Bewachern ermordet.

Während der Prozesse verteidigten sich die Anarchisten häufig mit leidenschaftlichen und feurigen Reden, die ihre Anklage untermauerten. Ein Anarchist der Schwarzen Fahne aus Vilnius, der wegen des Besitzes von Sprengstoff verhaftet worden war, versuchte sein Publikum davon zu überzeugen, dass Anarchie nicht, wie ihre Verleumder behaupteten, gleichbedeutend mit purem Chaos sei: Unsere Feinde setzen Anarchie mit Unordnung gleich. Nein! Anarchie ist die höchste Ordnung, sie ist die höchste Harmonie. Sie ist das Leben ohne Autorität. Wenn wir mit den Feinden, die wir bekämpfen, abgerechnet haben und eine Kommune haben, wird das Leben sozial, brüderlich und gerecht sein.

In Kiew war ein weiterer typischer Fall der einer ukrainischen Bauernmädchen namens Metrena Prisiazhnisk, einer Anarcho-Individualistin, die für schuldig befunden wurde, an einem Überfall auf eine Zuckerfabrik teilgenommen, einen Priester ermordet und versucht zu haben, einen Beamten des Polizeibezirks zu ermorden.

Nachdem das Militärgericht das Todesurteil verkündet hatte, wurde die Gefährtin aufgefordert, ihre letzten Worte zu sprechen. Ich bin eine Anarcho-Individualistin. Mein Ideal ist die freie Entfaltung der individuellen Persönlichkeit im weitesten Sinne des Wortes und die Abschaffung der Sklaverei in all ihren Formen … Wir werden mit Stolz und Mut auf den Galgen steigen und euch herausfordernd anblicken. Unser Tod wird wie eine Flamme viele Herzen entzünden. Wir werden als Sieger sterben. Also vorwärts! Unser Tod ist unser Triumph. Matrenas Vorhersage erfüllte sich jedoch nicht, da sie sich, um ihren Henkern zu entkommen, Zyanidkapseln einnahm, die nach dem Prozess heimlich in ihre Zelle geschmuggelt worden waren. Die spektakulärsten Prozesse gegen Anarchisten waren die gegen die Mitglieder der Odessa-Gruppe, die im Dezember 1905 das Café Libman in die Luft gesprengt hatten. Fünf junge Männer wurden vor Gericht gestellt und alle in einem Schnellverfahren verurteilt; drei von ihnen wurden zum Tode verurteilt.

Mosci Mets, ein 31-jähriger Zimmermann, weigerte sich, sich in irgendeiner Weise schuldig zu bekennen, auch wenn er sofort zugab, eine Bombe in das Café geworfen zu haben, um die Ausbeuter zu töten. Mets sagte dem Gericht, dass seine Gruppe die vollständige Zerstörung des bestehenden Gesellschaftssystems forderte. Es ging nicht um Reformen, sondern nur um die endgültige Vernichtung der ewigen Sklaverei und Ausbeutung. Die Bourgeoisie wird zweifellos auf meinem Grab tanzen, fügte Mets hinzu, aber meine Gefährten waren nur die ersten Knospen des bevorstehenden Frühlings. Andere werden kommen, erklärte er, und eure Privilegien und Laster, eure Wollust und eure Autorität zerstören. Zerstörung und Tod für die gesamte bourgeoise Ordnung! Es lebe der Anarchismus und der Kommunismus! Zwei Wochen nach dem Prozess stieg Mets zusammen mit zwei seiner Gefährten, einem 13-jährigen Jungen und einem 22-jährigen Mädchen, nach der Niederlage des Aufstands von 1905 auf den Schafott. Langsam löste sich Schwarze Fahne auf, aber ihre ehemaligen Mitglieder setzten den Kampf bis zur Revolution von 1917 fort; diesmal sollte der revolutionäre Anarchismus mit dem bolschewistischen Autoritarismus konfrontiert werden.

FEBRUAR 1917. PROVISORISCHE REGIERUNG. BESETZUNG DER STADT DURNOVO.

In den acht Monaten der Provisorischen Regierung verursachten die Anarchisten nicht wenige Probleme; ihr Ziel war die Zerstörung der Macht und die Errichtung freier Kommunen. Mit den Bolschewiki schien es, bis sie die Macht ergriffen, eine „vollkommene Parallelität“ in den wichtigsten Fragen zu geben. Die Probleme tauchten auf, als die Anarchisten zur Tat schritten; zu diesem Zeitpunkt, noch vor dem Sturz der Provisorischen Regierung, war der Wille der bolschewistischen Partei, jegliche revolutionäre Initiative von der Basis aus zu zerschlagen, offensichtlich. Eine der ersten Auseinandersetzungen zwischen Anarchisten und Bolschewiken ereignete sich, als eine Gruppe anarchokommunistischer Militanter eine Reihe von Privatwohnungen in Petrograd, Moskau und anderen Städten enteignete. Der aufsehenerregendste Fall betraf die Villa von R. R. Purnow, die die Anarchisten seit der Zeit, als Purnow während der Revolution von 1905 Generalgouverneur von Moskau gewesen war, als besonders interessantes Ziel angesehen hatten. Die Datscha befand sich in Petrograd am Nordufer der Newa, unweit des Bahnhofs. Hier hatten die Anarchisten unter den Arbeitern der Hauptstadt ihre überzeugtesten Anhänger. Anarchisten und linke Arbeiter bemächtigten sich der Datscha und verwandelten sie in ein Volkshaus mit Lese-, Diskussions- und Versammlungsräumen; der Garten diente als Spielplatz für ihre Kinder. Zu den neuen Bewohnern gehörten ein Bäckersyndikat und eine Einheit der Volksmiliz. Die anarchistischen Besetzer wurden bis zum 5. Juni in Ruhe gelassen, als eine Gruppe von Anarchisten aus der Datscha versuchte, die Druckerei der bourgeoisen Zeitung Freiheit zu beschlagnahmen. Nachdem sie das Gebäude für einige Stunden besetzt hatten, wurden die Angreifer von Truppen des Provisorischen Regimes vertrieben. Der erste Sowjetkongress, der genau in diesen Tagen zusammentrat, prangerte die Täter als Kriminelle an, die sich Anarchisten nannten; die bolschewistische Verleumdung hatte zaghaft begonnen. Am 7. Juni gab der Justizminister den Anarchisten 24 Stunden Zeit, die Datscha in Durnowo zu räumen. In den folgenden Tagen kamen 50 Seeleute aus Kronstadt, um die Datscha zu verteidigen, während die Arbeiter aus dem Gebiet von Wyborg die Fabriken verließen und mit Demonstrationen gegen die Räumungsanordnung in Erscheinung traten. Der Sowjetkongress reagierte mit einem Aufruf, in dem die Arbeiter aufgefordert wurden, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren. Der bolschewistische Aufruf verurteilte die Enteignung von Privatwohnungen ohne Zustimmung des Eigentümers, forderte die Räumung der Datscha und schlug den Arbeitern vor, sich mit der freien Nutzung des Gartens zu begnügen. Eine wahrhaft revolutionäre Gruppierung hatte sich bereits gebildet, noch bevor die bolschewistischen Plutokraten die Macht ergriffen hatten; die Matrosen von Kronstadt, die revolutionären Kommunisten und die Anarchisten scheiterten jedoch, weil sie von den Bürokraten unterdrückt wurden. Im Verlauf der Krise wurde die Datscha mit schwarz-roten Fahnen geschmückt, während bewaffnete Arbeiter ein- und ausgingen. Im Garten fanden eine Reihe von Versammlungen statt. Die anarchistischen Redner beharrten darauf, dass alle Befehle und Dekrete, ob vom Provisorischen Regierungsrat oder vom Sowjet, ignoriert werden sollten. Die Anarchisten verschanzten sich in der Datscha und forderten sowohl die Provisorische Regierung als auch den Petrograder Sowjet heraus. Mehrere Tage lang kam es zu sporadischen Demonstrationen, am 18. Juni stürmte eine große Gruppe von Anarchisten das Gefängnis im Gebiet von Wyborg, befreite zahlreiche Häftlinge und brachte einige von ihnen in den Unterschlupf der Datscha. Der Justizminister Perewerzaw sah sich gezwungen, zu handeln, und ordnete den Sturm auf die Datscha an. Als zwei der anarchistischen Besetzer, der Arbeiter Asnin und Anatolij Schelesnikow, ein mutiger Gefährte aus Kronstadt, Widerstand leisteten, kam es zu einer Schießerei, bei der Asnin tödlich verwundet und Anatolij gefangen genommen und entwaffnet wurde. Insgesamt wurden 60 Seeleute und Arbeiter verhaftet und inhaftiert. Die Provisorische Regierung ignorierte eine Petition der baltischen Seeleute zur Freilassung von Anatolij und verurteilte ihn zu 14 Jahren Zwangsarbeit. Einige Wochen später floh er jedoch aus dem „republikanischen Gefängnis“. Dies war eines der ersten Beispiele für den Konflikt zwischen libertären Instanzen und autoritären Tendenzen innerhalb der revolutionären Gruppierungen, der noch immer schwelte; wenig später wurde der Konflikt dramatisch realer. Der Beitrag der Anarchisten zum Aufstand gegen die Provisorische Regierung war enorm, und selbst der Tyrann Trotzki sah sich widerstrebend gezwungen zuzugeben, dass die Reaktion der Massen auf die Anarchisten und ihre Parolen von den Bolschewiki als Manometer zur Messung des Drucks der Revolution benutzt wurde. Was viele Anarchisten heute nicht wissen, ist, dass ein Großteil der Verantwortung für das Scheitern der Revolution jenen Anarchosyndikalisten zuzuschreiben ist, die in den Debatten zunächst sehr kritisch gegenüber den bewaffneten Enteignungen von Gebäuden und Druckereien durch Anarchisten und revolutionäre Kommunisten waren. Sie beklagten, was wie eine „rückschrittliche“ Rückkehr zum Terrorismus und zu den Enteignungen von 1905 wirkte. Später traten Differenzen zwischen den Anarcho-Bolschewiki – wie sie von den Anarcho-Kommunisten verächtlich genannt wurden – und diesen hinsichtlich der Verwaltung der Fabrik durch die Arbeiter selbst zutage. Zu denjenigen, die die sofortige Beschlagnahme vorschlugen, gehörten die Anarchokommunisten. Ein Delegierter dieser Strömung forderte auf einer Konferenz der Fabrikkomitees in der Hauptstadt deutlich die Beschlagnahme der Fabriken und die Entfernung der Bourgeoisie, Kontrolle allein reiche nicht aus. Wir müssen die Produktion vollständig in unsere Hände nehmen und alle Fabriken beschlagnahmen. Auf dem Kongress der Werftarbeiter von Petrograd (unter denen der Einfluss der Anarchisten außergewöhnlich stark war) forderte ein ungeduldiger Delegierter die Übertragung der Leitung der Fabriken und Häfen in die Hände der Arbeiterkomitees; die Komitees sollten aktiv und nicht passiv sein, das heißt, sie sollten die Fabrik leiten und nicht nur ihre Tätigkeit kontrollieren. Für die Anarchosyndikalisten spiegelten diese Reden dieselbe Ungestümheit wider, die in der Vergangenheit jede Zusammenarbeit mit den Anarchokommunisten unmöglich gemacht hatte. Laut Maksinov, Redakteur von Golos Truda, einer der am weitesten verbreiteten anarchistischen Zeitungen, gehörten die Befürworter der Enteignung durch Enteignung zur überholten und diskreditierten Schule des Banditentums und Terrorismus. Dieselben Anschuldigungen erhoben die Bolschewiki gegen alle revolutionären Anarchisten, die sich der Parteimacht zu widersetzen begannen.

PETROGRADER FÖDERATION. DIE GORODIN-BRÜDER

Innerhalb der Petrograder Föderation gab es zwei Strömungen: eine gemäßigte anarchokommunistische, die Kropotkin folgte, während die andere einflussreiche Fraktion sich an den Brüdern Gordin orientierte: Diese waren die Erben jener Strömung, die in der Vergangenheit Schwarze Fahne hervorgebracht hatte, und vertraten die leidenschaftlichste Variante des bakuninistischen Anarchismus. Die zahlreichen von ihnen verfassten Essays waren von einem starken Anti-Intellektualismus geprägt. Ein Beispiel dafür ist die folgende Proklamation, die Anfang 1918 auf der Titelseite einer ihrer Zeitungen abgedruckt wurde:

Ungebildete! Zerstört diese widerliche Kultur, die die Menschen in „ungebildete“ und „gebildete“ Menschen einteilt. Sie sind es, die euch in die Dunkelheit gezwungen haben. Sie sind es, die euch die Augen verschlossen haben. In dieser Finsternis, in der Finsternis der Nacht der Kultur, sind sie es, die euch ausgeraubt haben.

Im Jahr 1914 gründeten die Brüder Gordin eine anarchokommunistische Gesellschaft, die sie „Vereinigung der fünf Unterdrückten“ nannten und die Sektionen in Petrograd und Moskau hatte. Die fünf Unterdrückten bezogen sich auf die Kategorien der Menschheit, die mehr als alle anderen unter dem Joch der westlichen Zivilisation litten: die „vagabundierenden“ Arbeiter, die nationalen Minderheiten, die Frauen, die Jugendlichen und die Persönlichkeit des Individuums.

Für dieses Leid waren fünf grundlegende Institutionen verantwortlich: der Staat, der Kapitalismus, der Kolonialismus, die Schule und die Familie. Der Anti-Intellektualismus stand im Mittelpunkt des Anarchismus der Gordin. In Anlehnung an Bakunin konzentrierten sie ihre Kritik auf die Buchkultur, die teuflische Waffe, mit der die wenigen Gebildeten die Analphabeten beherrschten. Diese Strömung, die sie selbst als „Pan-Anarchismus“ bezeichneten, verfolgte das Ziel, den kreativen Geist des Menschen aus den Fesseln des Dogmas zu befreien. Für sie stellte die Wissenschaft die neue Religion der Mittelklasse dar. Der größte Betrug war der dialektische Materialismus von Marx. Der Marxismus ist das neue wissenschaftliche Christentum, das die bourgeoise Welt erobern soll, um das Volk, das Proletariat, zu täuschen, so wie das Christentum die feudale Welt getäuscht hat. Marx und Engels waren die Zauberer der schwarzen Magie des wissenschaftlichen Sozialismus.

MOSKAU 1918, SCHWARZE GARDE, KONFLIKTE MIT DEN BOLSCHEWIKEN

Als die Bolschewiki im März 1918 das Regierungssitz von Petrograd nach Moskau verlegten, verloren die anarchistischen Anführer in Petrograd keine Zeit und verlegten ihr Hauptquartier in die neue Hauptstadt. Moskau, der neue Brennpunkt der Revolution, wurde schnell zum Zentrum der anarchistischen Bewegung.

Die Anarchistische Föderation Moskaus überholte die Petrograder Föderation an Bedeutung und wurde zur wichtigsten Organisation der Anarchokommunisten im ganzen Land. Die im März 1917 gegründete Moskauer Föderation hatte ihr Hauptquartier im alten Kaufmannsclub eingerichtet, der im Zuge der Februarrevolution von einer Gruppe von Anarchisten beschlagnahmt und in „Haus der Anarchie“ umbenannt worden war. Die Föderation bestand aus einer Mischung von Individualisten und Syndikalisten, unter denen die Anarchokommunisten überwogen. Zu den prominentesten Mitgliedern gehörten auch die Gordin-Brüder, die von Petrograd nach Moskau gezogen waren. Im Laufe der ersten Monate des Jahres 1918 wurden die Anarchisten in Moskau und anderen Städten in ihren Auseinandersetzungen mit dem Sowjetregime immer kritischer. Bereits am Tag nach der Oktoberrevolution hatten ihre Proteste begonnen, zahlreich zu werden: die Schaffung des Rates der Volkskommissare, die nationalistische Erklärung der Rechte der Völker in Russland, die Bildung der Tscheka, die Verstaatlichung von Banken und Grundbesitz, die Unterordnung der Fabrikkomitees, kurz gesagt, die Errichtung einer Kommissarregierung, das Geschwür unserer Zeit, wie es die anarchokommunistische Assoziation von Charkow definiert hatte. Laut einer anarchistischen Broschüre aus dieser Zeit beweist der Bolschewismus Tag für Tag und Schritt für Schritt, dass die Staatsmacht unveräußerliche Eigenschaften besitzt; sie kann ihre Etikette, ihre Theorie und ihre Diener wechseln, aber in ihrem Wesen bleibt sie einfach Macht und Despotismus in neuen Formen. Die Anarchokommunisten griffen die Botschaft der Internationale auf, dass es keine Retter des Volkes gebe, weder Gott noch Zar noch irgendeinen Vertreter, und riefen die Massen auf, sich selbst zu befreien und die bolschewistische Diktatur durch eine neue Gesellschaft zu ersetzen, die auf Gleichheit und freier Arbeit beruhe. Eine anarchokommunistische Zeitung schrieb: „Arbeitervolk, glaube nur an dich selbst und an deine organisierten Kräfte!“

Die Opposition der anarchistischen Presse erreichte im Februar 1918 ein beispielloses Ausmaß, als die Bolschewiki die Friedensverhandlungen mit Deutschland wieder aufnahmen. Am 23. Februar sprach sich ein Anarchokommunist auf der Sitzung des Zentralen Exekutivkomitees der Sowjets vehement gegen den Abschluss des Friedensvertrags aus. Die Anarchokommunisten proklamieren Terror und Partisanenkrieg an zwei Fronten. Es ist besser, für die soziale Weltrevolution zu sterben, als auf der Grundlage eines Abkommens mit dem deutschen Imperialismus zu leben.

Im Frühjahr 1918 waren die meisten Anarchisten von Lenin so enttäuscht, dass es schließlich zu einem vollständigen Bruch kam, während die Bolschewiki begannen, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, ihre ehemaligen Verbündeten zu liquidieren. Um sich teilweise im Voraus auf den Guerillakrieg gegen die Deutschen vorzubereiten, vor allem aber, um die Feindseligkeit der Sowjetregierung zu entkräften, hatten lokale Kreise der Anarchistischen Föderation Moskaus Abteilungen der Schwarzen Garden organisiert und sie mit Gewehren, Pistolen und Granaten bewaffnet. Innerhalb der Föderation begann die gemäßigtere Komponente, wahrscheinlich unter dem Druck der Bolschewiki, die Schwarzen Garden zu beschuldigen, nicht nur von diesen, sondern auch von der anarchistischen Zeitung Anarchie der Enteignung und des Diebstahls für persönliche Zwecke und „illegaler“ Aktionen dieser Anarchobolschewiki beschuldigt zu werden. Nachdem die Verleumdungskampagne begonnen hatte, griffen die Bolschewiki an, nachdem sie selbst in den Reihen der am wenigsten vorbereiteten und gemäßigtesten Anarchisten Zweifel gesät hatten. Die Gelegenheit bot sich ihnen am 9. April, als eine Gruppe anarchistischer Gefährten den Privatwagen des amerikanischen Oberst Raymond Robins beschlagnahmte, der damit beauftragt war, inoffizielle Verhandlungen der Bolschewiki mit den Vereinigten Staaten zu führen. In der Nacht vom 11. auf den 12. April drangen bewaffnete Truppen der Tscheka in 26 anarchistische Zirkel der Hauptstadt ein. Im Monarom-Ponskoi und im Haus der Anarchie selbst leisteten die Schwarzen Garden erbitterten Widerstand. Bei den Kämpfen wurden zwölf Tscheka-Agenten getötet und 40 Anarchisten getötet oder verwundet, mehr als 500 wurden verhaftet. In Moskau wurden anarchistische Zeitungen verboten, in Petrograd prangerte eine wichtige anarchokommunistische Zeitung die bolschewistische Schande mit gewalttätigen Worten an und beschuldigte sie, sich auf die Seite der hundert schwarzen Generäle, der konterrevolutionären Bourgeoisie, geschlagen zu haben: Ihr seid Kains, ihr habt eure Brüder ermordet. Ihr seid auch Judasse, Verräter, Lenin hat seinen Oktoberthron auf unseren Knochen errichtet. Jetzt, um wieder zu Atem zu kommen, hat er sich hingelegt und ruht auf unseren toten Körpern, auf den Körpern der Anarchisten. Ihr sagt, die Anarchisten seien beseitigt worden. Aber das ist nur unser 3. bis 6. Juli. Unser Oktober steht noch bevor.

Als die Regierung aufgefordert wird, ihre Handlungen zu erklären, antworten die Bolschewiki, dass die Repression nicht gegen die „ideologisch“ Anarchisten gerichtet sei, sondern gegen die „kriminellen“ Elemente, die übliche Unterscheidung, die bis heute besteht, zwischen guten Anarchisten, die den Machthabern nicht lästig sind und Farbe ins Spiel bringen, und bösen Anarchisten, die wirklich etwas bewegen und handeln. Im Mai weitete sich die Repression auch auf viele andere Städte aus, viele Zeitungen wurden geschlossen.

ANTIBOLSCHEVISTISCHE REVOLUTIONÄRE WELLE

Im Sommer 1918 erhoben die Anarchisten und radikalen Sozialrevolutionäre in allen Teilen des Landes erneut den Kopf und bedrohten die bolschewistische Diktatur. Die radikalen Sozialrevolutionäre begannen eine Mordkampagne gegen die wichtigsten Männer der Regierung, wie sie es zu Zeiten Nikolaus II. getan hatten. Im Juni 1918 ermordete ein sozialrevolutionärer Gefährte Wolodarski, eine der höchsten Autoritäten der bolschewistischen Regierung in Petrograd. Im folgenden Monat ermordeten zwei Sozialrevolutionäre den deutschen Botschafter Graf Mirbach in der Hoffnung, den Friedensvertrag mit dem imperialistischen deutschen Staat zu sabotieren. Ende August fiel der Chef der Petrograder Tscheka, Michail Urizki, den Kugeln der Sozialrevolutionäre zum Opfer, und eine mutige junge Sozialrevolutionärin aus Moskau, Fania Kaplan, „Dora“2, gelang es, Lenin selbst zu erschießen und schwer zu verletzen. Der Anschlag auf Lenin beeindruckte all jene Anarchisten, die ihre anti-autoritären Positionen nicht aufgeweicht hatten. Fania hatte versucht, Lenin zu töten, bevor er die Revolution tötete.

Auch die Anarchisten kehrten wieder auf den Weg des „Terrorismus“ zurück. Die Schwarze Fahne Gruppen wurden wiedergegründet, sie schlossen sich zu kleinen Banden zusammen und agierten unter Namen wie Hurrikan oder Tod. Wie in den Jahren nach dem Aufstand von 1905 erwies sich der Süden als besonders fruchtbarer Boden für anarchistische Gewalt. Anarchisten aus Rostow, Jekaterinoslaw und Priansk stürmten die Gefängnisse der Städte und befreiten die Gefangenen. Brandanschläge wurden verübt, um die Bevölkerung zur Befreiung von ihren neuen Herren anzustacheln. Hier ein Aufruf, der im Juli 1915 von der Priansker Föderation der Anarchisten veröffentlicht wurde: Volk, erhebe dich! Die Sozialvampire saugen dir das Blut aus. Diejenigen, die einst Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit forderten, schaffen nun schreckliche Gewalt. Jetzt werden Gefangene ohne Prozess oder Anklage erschossen, und das auch noch ohne ihre „revolutionären“ Gerichte. Die Bolschewiki werden zu Monarchisten … Volk! Die Stiefel der Polizisten zertreten all unsere besten Gefühle und Wünsche. Es gibt keine Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit mehr. Überall nur Blut, Stöhnen, Tränen und Gewalt.

Deine Feinde rufen den Hunger zu Hilfe, um dich zu bekämpfen. Erhebe dich also, oh Volk! Vernichte die Parasiten, die dich quälen! Vernichte alle, die dich unterdrücken! Schaffe dir dein Glück selbst. Vertraue dein Schicksal niemandem an. Volk, erhebe dich, erschaffe Anarchie und Kommune!

Der Süden erwies sich als besonders fruchtbarer Boden für die Entstehung und Unterstützung anarchistischer Kampfeinheiten, die im Gefolge derjenigen von 1905 wiederauflebten. Ihr erklärtes Ziel war die Vernichtung aller Konterrevolutionäre, seien es „weiße“ Russen, Bolschewiki, ukrainische Nationalisten oder die dort aufgrund des Vertrags mit den Bolschewiki stationierten deutschen Truppen. Die Partisanenabteilung des Schwarzen Meeres aus Simferopol und die Abteilung M. A. Bakunin aus Ekaterinoslav sangen von einer neuen Ära des Dynamit, die die Unterdrückten befreien würde. Wir haben von Ravachol das Erbe/ und von Henry seine letzten Worte/ für das Motto Kommune und Freiheit/ sind wir bereit, unser Leben zu opfern/ lasst uns den Lärm der Glockentürme abschaffen/ ein anderes Signal werden wir hören/ auf der Erde mit Stöhnen und Explosionen/ unser Glück werden wir schaffen.

Gemäß ihren Worten leiteten die anarchistischen Gruppen im Süden eine turbulente Zeit der Explosionen und Enteignungen ein. Unterdessen erwogen die in Moskau verbliebenen Schwarzen Garden, die die Repressionen der Tscheka der vergangenen Monate überlebt hatten, eine bewaffnete Eroberung der Hauptstadt, aber gemäßigte Anarchisten konnten sie leider davon abbringen. Lev Chernyi, Sekretär der Anarchistischen Föderation Moskaus, beteiligte sich 1913 an der Bildung einer klandestinen Gruppe und schloss sich in den folgenden Jahren einer Organisation klandestiner Anarchisten an, die von Kazemir Kovalevich, einem Mitglied der Moskauer Eisenbahnergewerkschaft, und dem ukrainischen Anarchisten Petr Sobolev gegründet worden war. Obwohl sich ihre Basis in der Hauptstadt befand, knüpften die Untergrundanarchisten Verbindungen zu den Kampfeinheiten im Süden. Gegen Ende des Jahres 1919 veröffentlichten sie im Untergrund mehrere Ausgaben einer Brandschrift mit dem Titel Anarchie, von denen die erste die bolschewistische Diktatur als die schlimmste Tyrannei in der Geschichte der Menschheit anprangerte: „Nie hat es eine so tiefe Kluft zwischen Unterdrückern und Unterdrückten gegeben wie in unserer Zeit.“ Bereits wenige Tage bevor diese Worte gedruckt wurden, führten die Untergrundanarchisten die kühnste Aktion gegen die Unterdrücker durch. Am 25. September warfen sie gemeinsam mit einer Reihe von linken Sozialrevolutionären (beide Gruppen wollten die in den bolschewistischen Gefängnissen massakrierten und inhaftierten Gefährten rächen) Bomben auf das Hauptquartier des Moskauer Komitees der Kommunistischen Partei, während das Komitee zu einer Plenarsitzung zusammenkam. Bei der Explosion wurden zwölf Mitglieder des Komitees getötet und 55 verletzt, darunter auch Bucharin, der Herausgeber der Prawda. Die Untergrundanarchisten verkündeten triumphierend, dass diese Explosion das Zeichen einer Ära des Dynamits sei, die erst mit der vollständigen Zerstörung des Despotismus enden werde. Doch leider war dies nicht der Fall, die „herausragendsten Anführer der anarchistischen Bewegung“, die von der Tragweite der Geste entsetzt waren, vollzogen die übliche schmutzige Exkommunikation und isolierten die Untergrundanarchisten, die zu den ersten Verhafteten gehörten. Einige von ihnen sprengten sich in einer besetzten Datscha in die Luft, nachdem Kovalevich und Sobolev von der Polizei getötet worden waren. Der Tscheka gelingt es, Hunderte von Anarchisten zu verhaften und hundert vor das Militärgericht zu bringen. Dies war einer der letzten Aufschläge der echten anarchistischen Revolutionäre in Moskau, nach Machno und den ukrainischen Anarchisten und der Kronstädter Revolte ist alles verstummt.

Die Verantwortung für das Scheitern des Anarchismus in Russland kann nur all jenen Anarchisten zugeschrieben werden, die aus Dummheit oder Feigheit den Kampf aufgaben, das bolschewistische Regime diffamierten und mit ihm kollaborierten. Die beiden großen Revolutionäre Berkman und Emma Goldman glaubten (um Jahre später ihre Meinung zu ändern) kurz nach ihrer Ankunft in Russland im Januar 1920 den Worten des Anarcho-Bolschewisten Shatov: „Ich möchte Ihnen sagen, dass der kommunistische Staat in Aktion genau das ist, was wir Anarchisten immer verkündet haben, dass er werden würde: eine hochgradig zentralisierte Macht, die durch die mit der Revolution verbundenen Gefahren noch starrer wird. Unter solchen Bedingungen kann man nicht tun, was man will. Man kann nicht einfach aussteigen, vielleicht auf einem Pferd im Galopp, wie es in den Vereinigten Staaten üblich ist … Aber ihr solltet nicht denken, dass ich meine Ausflüge auf die amerikanische Art vermisse. Ich bin für Russland, für die Revolution und für ihre glorreiche Zukunft. Die Anarchisten, sagte Schatow, waren die Romantiker der Revolution. Berkman fügte hinzu: Wir Anarchisten müssen unseren Idealen treu bleiben, aber in einem solchen Moment dürfen wir nicht kritisch sein. Wir müssen arbeiten und beim Aufbau helfen. In der Zwischenzeit wurden die Anarchisten ausgerottet und die Revolution starb. Einige Anarcho-Bolschewiki wurden für ihre „Arbeit“ sogar belohnt: Alexander Schapiro und German Sandominski, anarchistische Anführer, bekamen wichtige Posten im Außenkommissariat, Aleksei Porovoi wurde Kommissar der Gesundheitsverwaltung, Wladimir Sabreschnjew, eines der wichtigsten Mitglieder der Kropotkin-Gruppe, trat der Kommunistischen Partei bei und wurde schließlich Sekretär von Iswestija in Moskau, Danil Nowominskii trat der Kommunistischen Partei bei und wurde zum Beamten des Komintern ernannt. Die Liste wäre lang, Namen, die uns heute wenig oder gar nichts mehr sagen. Viele von ihnen wurden nach einigen Jahren ihrerseits von der Partei ausgemerzt (eliminiert).

Jetzt, da die Bolschewiki verschwunden sind, gibt es keine Anarcho-Bolschewiki mehr, sie wurden durch Anarcho-Demokraten ersetzt, eine neue krebsartige Form, die unsere Bewegung befällt. LASST UNS SIE AUSROTTEN!

Herausgegeben von „Ediciones Insurgentes“

Barcelona November 2002.

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1A.d.Ü., der Allgemeine jüdische Arbeiterbund in Litauen, Polen und Russland, oder einfach als Bund bekannt, war die wichtigste sozialistische-jüdische Arbeiterpartei im ehemaligen Russischen Kaiserreich von 1897 bis 1935.

2A.d.Ü., dazu hier ein Text der von uns übersetzt wurde, ZWEI KUGELN GEGEN DIE AUTORITÄT – Das Attentat auf Lenin 1918.

]]> (Chile) Einige anarchistische Beiträge zur Reflexion: Autonomie oder Volksmacht? Die Erfahrung der Cordones Industriales während der Unidad Popular (1970-1973) https://panopticon.blackblogs.org/2025/02/03/chile-einige-anarchistische-beitraege-zur-reflexion-autonomie-oder-volksmacht-die-erfahrung-der-cordones-industriales-waehrend-der-unidad-popular-1970-1973/ Mon, 03 Feb 2025 11:38:24 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6167 Continue reading ]]>

Gefunden auf informativo anarquista, die Übersetzung ist von uns.


(Chile) Einige anarchistische Beiträge zur Reflexion: Autonomie oder Volksmacht? Die Erfahrung der Cordones Industriales während der Unidad Popular (1970-1973)

Es kann sein, dass wir, wenn wir uns die Erfahrungen der Selbstorganisation aus der Vergangenheit ansehen und näher damit befassen, verschiedene Möglichkeiten, Formen und Lehren finden, die uns helfen, neue Wege zu finden, um unsere Bestrebungen nach Freiheit und Autonomie voranzutreiben. In diesem Fall und in Bezug auf einen neuen 11. September ist es interessant, die Erfahrung der sogenannten Volksmacht in den 70er Jahren in Chile im Detail zu analysieren, die die UP zu kontrollieren versuchte und die durch einen Terrorstaat mit dem zivil-militärischen Putsch von 1973 vernichtet wurde. Wir wissen und erkennen, dass jedes Projekt, das sich als „Macht“ präsentiert, bei denen von uns, die nach Möglichkeiten suchen, außerhalb jeglicher Hierarchie zu leben und sich zu organisieren, ein gewisses Misstrauen hervorruft. Es ist jedoch wichtig, durch Diskussion, Reflexion und Lernen zu klären, was uns von den vergangenen Kämpfen in dieser Region trennt und was wir gleichzeitig wollen, wenn wir sie analysieren. Wir stellen von Anfang an klar, dass das Ziel dieses Textes darin besteht, einen bescheidenen Beitrag zur Debatte zu leisten und nicht eine unbestreitbare Wahrheit aufzuzwingen. Von diesem Punkt aus entstehen diese Worte.

Einige Vertreter des breiten Spektrums des Anarchismus haben diese Ausdrucksformen der Volksmacht als eine Erweiterung der Regierung der UP unter Salvador Allende verstanden und verstehen sie auch heute noch, da sein Programm die Umgestaltung der staatlichen Institutionen zur Gewährleistung der Beteiligung der Arbeiter und des Volkes als Ganzes beinhaltete. Aus unserer Sicht handelte es sich um zwei Prozesse, die im Laufe der Zeit nebeneinander existierten und (in der Anfangszeit) strategisch interagierten, was auf die politische Situation nicht nur in Chile, sondern auch international in den 1970er Jahren zurückzuführen war, in der die revolutionäre Hoffnung auf einen gesellschaftlichen Wandel triumphieren konnte.

Die „Unidad Popular“ (UP) war ein Zusammenschluss linker Parteien, bestehend aus der Sozialistischen Partei, der Kommunistischen Partei, der Movimiento de Acción Popular Unitario – MAPU (Bewegung der Volksaktion), der Acción Popular Independiente – API (Unabhängigen Volksaktion) und der Sozialdemokratischen Partei (PSD), die Salvador Allende bei den Wahlen 1970 als ihren Präsidentschaftskandidaten aufstellten und den Staat bis zum 11. September 1973 regierten. Eine reformistische und sozialdemokratische Regierung, die den legalen und friedlichen Weg zum Sozialismus förderte. In diesem Zusammenhang kam es ab Ende der 1960er Jahre zu einer starken Zunahme von Organisationsformen der Bevölkerung (Pobladorxs1, Arbeiter*innen, Bäuer*innn und Student*innen), in denen Entscheidungen über die verschiedenen Aspekte des sozialen und politischen Lebens autonom und kollektiv getroffen wurden, was als „Volksmacht“ verstanden wurde.

Diese beratenden und ausgeführten Erfahrungen der organisierten Basis wurden zu einer Bewegung, die an Stärke und Dynamik gewann und Allende und seine Regierung, den rechten Flügel und die Mächtigen verärgerte und ihnen Unbehagen bereitete. Eines der Hauptmerkmale war die Autonomie bei Entscheidungen, ohne das Betteln um die Erfüllung der Forderungen an die Partei, die Petition an den Kongress oder im besten Fall das Warten auf wohlfahrtsstaatliche Lösungen, die nichts lösten. Aus demselben Grund kann man die Manifestationen dieser Volksmacht, die sich zu dieser Zeit in Chile entwickelte, in Landbesetzungen sehen, bei denen die Pobladorxs selbst ihre Häuser und Gemeinden nach ihren Vorstellungen bauten, oder in anderen Fällen die Regierung dazu zwangen, die Häuser auf dem Gelände der Besetzungen selbst zu bauen. Ein weiteres erwähnenswertes Beispiel ist die Besetzung von Fabriken, bei der die Arbeiter*innen die Kontrolle übernehmen und die Produktion selbst verwalten, wodurch cordones industriales entstehen. Wir finden auch die Besetzung von Farmen und landwirtschaftlichen Flächen durch landlose Bäuer*innen, die die Agrarreform radikalisieren, indem sie die Grenzen und Zäune der Grundstücke erweitern, um das Land zu vergesellschaften und zu bewirtschaften. Es sind diese und andere Beispiele, die wir nicht erwähnt haben, die mit der damaligen politischen und ökonomischen Klasse in Konflikt gerieten, sogar mit derselben Regierung, die behauptet, sie zu vertreten.

Wir werden uns insbesondere auf die Erfahrungen der cordones industriales konzentrieren, als eine der Ausdrucksformen der Volksmacht, die in dieser Zeit große Bedeutung erlangten und eine Form der Selbstorganisation der Arbeiter*innen darstellten, als Reaktion auf die Arbeitsstillstände der besitzenden Klasse und die Boykott- und Putschversuche der Mächtigen insgesamt, die auch mit der Regierung in Konflikt gerieten. Während der UP war die CUT die offizielle gewerkschaftliche/syndikalistische Organisation, die von der Kommunistischen Partei angeführt wurde, die der Stärke und Autonomie der cordones industriales nicht so wohlwollend gegenüberstand, da diese tiefgreifendere und radikalere Veränderungen in der politischen, sozialen und ökonomischen Struktur der chilenischen Gesellschaft vorschlugen. Aus diesem Grund versuchte die Kommunistische Partei, die politischen Aktionen der cordones industriales einzuschränken und sie der Regierung unterzuordnen, da sie bereits ein Werkzeug darstellten , die die Vorherrschaft der CUT in Frage stellen und sie als wichtigste gewerkschaftliche/syndikalistische Organisation für Arbeiter*innen ablösen könnte. Darüber hinaus rief die Regierung zur Vorsicht bei ihren politischen Aktivitäten auf und schränkte ihre Anti-Putsch-Initiativen, Selbstverteidigung und Konfrontation auf der Straße mit rechten paramilitärischen Gruppen ein, wobei sie ihnen die Radikalisierung und Polarisierung des Konflikts vorwarf. Insbesondere trafen die in den cordones industriales organisierten Arbeiter*innen ihre eigenen Entscheidungen, sie waren kein institutionelles Gremium und entzogen sich der Kontrolle der Regierung.

Es stimmt, dass die cordones industriales beschlossen, die Regierung zu unterstützen, solange sie die Interessen der Arbeiter*innen und des chilenischen Volkes insgesamt vertrat, denn für sie war die UP ein Schritt, der den Weg zum Sozialismus ebnete, eine Möglichkeit, den Zaun zu durchbrechen. Es ist ebenso wahr, dass innerhalb der cordones industriales marxistisch-leninistische Tendenzen existierten, die auf die Machtergreifung durch die Basisarbeiter setzten, die nicht politisch engagiert waren, aber eine kritische Einstellung gegenüber dem Reformismus von Allende hatten.

Diese Menschen waren es, die Alarm schlugen, als die Regierung zur Vorsicht mahnte, um diesen Prozess der Selbstorganisation der Bevölkerung zu mäßigen und zu verlangsamen. Diese Situation wurde durch die Anwendung des Waffenkontrollgesetzes im Januar 1973 noch verschärft, das die entwaffneten Sektoren mobilisierte und den Weg für den Staatsstreich ebnete.

Die mangelnde Kontrolle, die Dynamik und der Wille der kämpfenden Gemeinschaften sind der Grund für die tatsächliche Angst vor der Kraft der horizontalen und autonomen Organisation. Aus diesem Grund wird in keinem offiziellen Gedenkakt die Geschichte der Wissenschaftler und Tausender Individuen erwähnt, die für eine radikale Veränderung der politischen, ökomischen, sozialen und kulturellen Strukturen dieses Landes gekämpft und diese in die Praxis umgesetzt haben, stattdessen wird die institutionelle Vision einer besiegten Regierung und des besiegten Präsidenten durchgesetzt. Denn der Staatsstreich richtete sich nicht nur gegen Allende und die UP. Die größte Errungenschaft des Putsches während der 17 Jahre der zivil-militärischen Diktatur bestand darin, jegliche Spur einer Volksorganisation zum Verschwinden zu bringen und auszurotten. Die Demokratie blieb unangetastet. Deshalb versucht die politische Klasse bis heute, die Kämpfe, die Unzufriedenheit und die territoriale Organisation zu vereinnahmen und zu verwalten, um die soziale Ordnung der Unterwerfung und des Gehorsams weiter aufrechtzuerhalten.

Wenn wir nun Autonomie als die Fähigkeit jeder Gemeinschaft, jedes Volkes oder jedes Einzelnen verstehen, zu verwalten und eigene Entscheidungen zu treffen und Verantwortung für das zu übernehmen, was sie wollen. Wenn wir darunter die Fähigkeit verstehen, völlig unabhängig von externen Instanzen selbst zu definieren, wie sie leben wollen, sich mit eigenen Instrumenten zur Selbstorganisation auszustatten, unabhängig von anderen zu sein, Politik für sich selbst zu machen, am Rande und in einigen Fällen gegen die politischen Parteien und den institutionellen Rahmen des Staates, könnten wir uns fragen: Waren die Ausdrucksformen der Volksmacht, die Anfang der 70er Jahre in Chile entwickelt wurden, ein Ansatz und/oder eine Erfahrung der Autonomie?

War die Besetzung von Fabriken und die Entscheidung, was mit ihrer Produktion geschehen sollte, eine autonome Form der Entscheidungsfindung? War die Ausübung einer solidarischen Ökonomie wie „gemeinsamer Einkauf“, Gemeinschaftsküchen und Warentausch eine Erfahrung außerhalb der Institutionen? Können die Versuche, sich zu bewaffnen und faschistische Initiativen zu bekämpfen, im Gegensatz zu dem, was die UP mit ihrem chilenischen Weg zum Sozialismus forderte, als Praktiken der Autonomie betrachtet werden? Wir können wahrscheinlich davon ausgehen, dass Autonomie tatsächlich ein Bestandteil dieser Ausdrucksformen und Praktiken war, der auf dem Vormarsch war. Wenn nicht, was ist dann Autonomie? Wie wird sie gedacht? Wie wird sie praktiziert? Wie wird sie entwickelt? Natürlich waren die Bestrebungen derjenigen, die mit dieser Volksmacht der 70er sympathisierten, die einer sozialistischen, proletarischen Arbeiterregierung. Unser Horizont hingegen ist die Anarchie, d. h. die Zerstörung des Staates, der Hierarchien, der Macht. Vielleicht ist der soziale Prozess etwas Ähnliches, aber ohne Chefs, ohne Macht.

Es gibt andere anarchistische Strömungen, die heute das Konzept der Volksmacht neu definieren. Für uns ist das jedoch nicht nur ein semantischer Unterschied, wir wollen die Erfahrungen und Praktiken der Kämpfe aus dieser Zeit retten. Ohne Zweifel ist dieser ganze Prozess eine Lernreferenz, eine Kampferfahrung, die es zu betrachten gilt. Es gibt viel zu lernen, wenn man analysiert und untersucht, wie sie darüber dachten und wie sie es planten, ganz klar aus anarchistischer Perspektive. Die Besetzung von Territorien, die Bildung von cordones, die territoriale cordones, die Besetzung von Universitäten und Schulen sind notwendige Methoden, auf die wir zurückgreifen müssen. Es gibt Elemente, die wir aus dieser anderen Vision und Erfahrung des Kampfes übernehmen können. 50 Jahre später liegt es an uns, ein Projekt mit anarchistischen Ideen auf die Beine zu stellen. Zu sehen, wie wir die besten Lektionen daraus ziehen und sie heute in unseren Kämpfen anwenden können, wie wir es während der Oktoberrevolution erlebt haben, hauptsächlich in den Territoien durch die Vollversammlungen: zeitgenössische, autonome und horizontale Erfahrungen.

Das Wichtige und Interessante wäre, unser Projekt weiterzuentwickeln und uns zu fragen, wie es aussehen würde? Wie werden wir es umsetzen? Werden wir die Fähigkeit haben, uns zu organisieren? Die Fähigkeit zu liefern? Zumindest heute ist es eine Herausforderung, es ist ein ständiger Aufbau von Anti-Macht, aber vor allem ist es eine Entscheidung und eine Notwendigkeit. Wir müssen Verantwortung für das übernehmen, was wir sagen und was wir wollen, in dem Wissen, dass wir das schwierigste Wagnis eingehen, aber mit immer größerer Gewissheit und Überzeugung, dass wir irgendwo anfangen müssen, damit libertäre Praktiken und Werkzeuge die Grenzen der anarchistischen Welt durchbrechen können. In unserer Zeit werden wir fruchtbaren Boden für unsere Ideen suchen und vorbereiten müssen. Autonome Erfahrungen entstehen, wenn der Staat in eine Krise der Repräsentation gerät, und heute befinden wir uns in einer schweren Krise. In diesem Zusammenhang gewinnen unsere Ideen und Praktiken immer mehr an Bedeutung. Horizontale Assoziativität manifestiert sich in der Suche nach anderen Praktiken, die weit von den alten Autoritätsdynamiken entfernt sind. Wenn wir an den Rändern aufhören, an den Staat, seine Logik und das, was er uns bietet, zu glauben, sind wir hier und jetzt in der Lage, Möglichkeiten und Risse in dieser Ordnung des Elends und des Todes zu erzeugen.

Wir streben nach Autonomie im weitesten Sinne des Wortes, denn nur die Beseitigung aller Formen von Zentralismus und Macht garantiert uns die Freiheit zu entscheiden und zu experimentieren, mitzureden und zu handeln. Es geht darum, zu lernen, sich zu organisieren, zusammenzukommen und zu diskutieren, wie wir die von uns gewünschte Autonomie aufbauen und sie zur Realität machen können. Heute tun wir dies in Bezug auf unsere jüngste Vergangenheit, aber in diesem vom chilenischen Staat dominierten Gebiet haben die Praktiken des horizontalen, autonomen und solidarischen Kampfes eine lange Geschichte. Es genügt, sich an die Erfahrungen von Ateneos, Widerstands-, Gegenseitigkeitsgesellschaften, Studienzentren, Gewerkschaften/Syndikate, Affinitätsgruppen und Gruppen für direkte Aktionen zu erinnern und sie in die Gegenwart zu bringen, um nur einige Beispiele zu nennen, die im letzten Jahrhundert die anarchistische Bewegung belebt haben und beleben. Auf diese Weise können wir mehr Möglichkeiten und sicherere Kämpfe eröffnen, um unsere Politik und Praktiken weiterzuentwickeln, die immer auf Anarchie abzielen.

Red de lucha y propaganda (Netzwerk für Kampf und Propaganda)

September 2023

(Eingegangen per E-Mail [email protected])

1A.d.Ü. Menschen die in den poblaciones wohnen. Dabei handelt es sich in der Regel um Blechhüttenstädte, oder sehr verarmte Stadtviertel.

]]> [Vamos hacia la vida] 50 Jahre nach dem Putsch: „Nie wieder“ Staat und Kapital https://panopticon.blackblogs.org/2025/02/03/vamos-hacia-la-vida-50-jahre-nach-dem-putsch-nie-wieder-staat-und-kapital/ Mon, 03 Feb 2025 11:36:08 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6165 Continue reading ]]>

Gefunden auf Vamos hacia la vida, die Übersetzung ist von uns.


[Vamos hacia la vida] 50 Jahre nach dem Putsch: „Nie wieder“ Staat und Kapital

(…) Die Erfahrung zeigt, dass die Arbeiter, indem sie diese Bewegung [der Besetzungen von Fabriken] aufrechterhalten, das reaktionäre Wesen des bourgeoisen Staates verstehen, da sie die Haltung der Regierung ihnen gegenüber in der Praxis sehen. Weit davon entfernt, an einen friedlichen Übergang zu glauben, erkennen sie, dass der einzige Weg, die Dinge in Ordnung zu bringen, darin besteht, diesen bedeutenden Staat der Bourgeoisie, der die Regierung ist, loszuwerden“1.

Mehr als 3.000 Menschen wurden ermordet und mehr als 1.000 verschwanden. Zehntausende wurden in Haftanstalten und Konzentrationslagern inhaftiert und Opfer von Folter, während ein ganzes Territorium von uniformiertem Terror heimgesucht wurde. Zu diesen schrecklichen Zahlen gehören Frauen, Männer, Mädchen und Jungen. Warum ein solches Maß an Brutalität und Grausamkeit? Wer war das Ziel all dieser genozidalen Gewalt? Was wollten sie nach dem blutigen Putsch vom 11. September 1973 begraben? War dieser Staatsterrorismus wirklich etwas Neues?

Heute stimmen die Erzählungen von links bis rechts darin überein, dass die Demokratie verteidigt werden muss, und sie schreiben sich gegenseitig die Verantwortung für den Zusammenbruch der verfassungsmäßigen Ordnung in jenen Jahren zu. Unter dieser Prämisse konstruieren sie ihre Diskurse des „Nie wieder“: Wenn sie den Horror nicht zurückhaben wollen, gibt es Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Welche? Die Legalität, die die kontinuierliche und ständig wachsende Produktion und Akkumulation von Kapital erlaubt und anordnet. Die Notwendigkeit, die demokratische Ordnung um jeden Preis zu verteidigen, ergibt sich aus der Notwendigkeit der Kapitalreproduktion.

Daher war das nach dem Putsch ausgelöste Blutbad kein bloßes machiavellistisches Manöver des „Yankee-Imperialismus“ (obwohl die Einmischung der US-Regierung in die Putschstrategie und die anschließende Repression vollständig bewiesen ist) und auch nicht nur die Reaktion einer verängstigten lokalen Bourgeoisie gegen eine antiimperialistische Linksregierung, die versucht hätte, „soziale Gerechtigkeit“ durch einen friedlichen Weg. Nicht die Reformen des von Allende angeführten Blocks waren der Grund für die blutige militärische Reaktion, sondern die von der Basis ausgehende Aktivität einer Bewegung, die seit dem vorangegangenen Jahrzehnt zu einer massiven Radikalisierung tendierte und autonome Erfahrungen in Gang setzte, die den gesetzlichen Rahmen sprengten und versuchten, selbst auf die Forderungen und Bedürfnisse ihrer Protagonisten zu reagieren, in dem Bewusstsein, dass die soziale Revolution der Weg in die Zukunft war. Angesichts dieser Kämpfe reagierte die lokale und globale Kapitalistenklasse brutal und ertränkte einen Prozess, der das Interesse des Antikapitalismus auf der ganzen Welt weckte, in Blut.

Während die Erinnerungen an die anhaltende Repression durch Polizei und Militär nicht aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht werden konnten, vom „Massaker an der Schule Santa María de Iquique“ im Jahr 1907 bis zum Massaker von Pampa Irigoin in Puerto Montt im Jahr 1969, schloss die Reformkoalition nach ihrem Wahlerfolg Regierungsabkommen genau mit der Partei, die im Jahr zuvor für die Morde in der Stadt im Süden verantwortlich war2 und versuchte, die Streitkräfte zu umwerben, indem er den Mythos ihrer demokratischen Tradition förderte, ein Mythos, der ihm am Morgen des 11. September um die Ohren flog, nachdem derselbe „Genosse Präsident“ 1972 das Militär in sein Kabinett aufgenommen hatte, trotz der ausdrücklichen Warnungen der Arbeiter- und Bauernbasis, und die autonome Tätigkeit der Cordones Industriales und anderer Erfahrungen mit direkten Aktionen unterdrückte (in Punta Arenas führte das Militär am 4. September 1973 eine Razzia im Unternehmen „Lanera Austral“ durch, um nach angeblichen Waffen zu suchen, die durch das von der Regierung selbst geförderte Waffenkontrollgesetz geschützt waren, was mit der Ermordung des Arbeiters Manuel González endete).

Das Programm der UP war eine Fortsetzung der Politik der vorherigen Regierung unter Frei, die den Kapitalismus in der Region modernisieren wollte, was zu vorhersehbaren Brüchen und Konfrontationen zwischen verschiedenen Sektoren der Bourgeoisie führte. Die Regierung musste sich aber auch mit der Eindämmung der proletarischen Bewegung befassen, die in Chile wie in der ganzen Welt die herrschende Ordnung bedrohte und sich weigerte, sich mit der Rolle des Zuschauers abzufinden, zu der das gesamte politische Spektrum sie verurteilen wollte. Dieser Widerstand gegen die Passivität, der Impuls, das eigene Leben selbst in die Hand zu nehmen, der sich auf einen großen Teil der Bevölkerung ausbreitete, war es, was der Kapitalistenklasse insgesamt wirklich Angst einflößte. Der Weltkapitalismus musste sich neu strukturieren, um auf die Krise zu reagieren, in der er sich in diesen Jahren befand, und diese Reorganisation musste mit Blut und Feuer durchgesetzt werden, insbesondere als die Gefahr bestand, dass die Krise in eine revolutionäre Lösung unter der Führung des Proletariats selbst mündete, das seine Energie und Kreativität einsetzte, um auf die reaktionären Aktivitäten der traditionellen Bourgeoisie zu reagieren, und seine eigenen Koordinations- und Organisationsinstanzen schuf, die die die Bürokratie der in den Gewerkschaften/Syndikate und anderen Organisationen installierten Regierungsparteien überwand und sich ihr entgegenstellte.

Wir sind absolut davon überzeugt, dass der Reformismus, der durch den Dialog mit denen angestrebt wird, die immer wieder Verrat begangen haben, historisch gesehen der schnellste Weg zum Faschismus ist. Und wir Arbeiter wissen bereits, was Faschismus ist … Wir glauben, dass wir nicht nur auf einen Weg geführt werden, der uns mit schwindelerregender Geschwindigkeit in den Faschismus führt, sondern dass uns auch die Mittel genommen wurden, uns zu verteidigen.“3.

Wir haben uns organisiert, Genosse, an den Fronten der Poblaciones. Wir haben uns organisiert an der Arbeiterfront, in den Gewerkschaften/Syndikate. Wir haben uns auch in den Cordones organisiert, und uns wird immer noch dieselbe alte Geschichte erzählt, Genosse, dass „jetzt nicht die Zeit ist“ und dass es eine gesetzgebende Gewalt und eine richterliche Gewalt gibt. Wir wurden gebeten, uns zu organisieren, von Anfang an, von den Bevölkerung bis hin zur höchsten Ebene, und bisher haben wir uns organisiert, Genosse, und wir sagen immer noch, „Genosse Präsident“ bittet uns immer noch, ruhig zu bleiben, so weiterzumachen und uns weiter zu organisieren. Aber wofür? … Die Wahrheit ist, Genosse, dass die Menschen, die Arbeiter, bereits müde werden, weil es nur noch um Papierkram geht und wir gegen die Bürokratie und in uns selbst, in unserer eigenen Verteidigung, in unseren eigenen Gewerkschaften/Syndikate, in unserer eigenen Macht kämpfen, Genosse, da die CUT immer noch bürokratisch ist, Genosse. Wie lange noch? … und die Genossen bitten uns immer wieder, ruhig zu bleiben. Wie lange noch, Genosse? … wenn es schon jetzt immer schlimmer wird“4.

Mit anderen Worten: Die bourgeoise Repression triumphiert inmitten des Prozesses der Vereinigung und Autonomie der Arbeiterklasse. Wir verstehen jetzt bis zu einem gewissen Grad, was der Putsch erreicht hat. Die ständige Repression der UP-Bürokratie gegen den unabhängigen Klassenkampf und ihre Auflösung nach dem Putsch ermöglichen es den Streitkräften und der Bourgeoisie, diese Aufgabe fortzusetzen, aber nun unter den Bedingungen der Konterrevolution: auf massive Weise, mit Blut und Feuer. Nicht einmal die doppelte Menge an vorhandenen Waffen hätte die Haltung der UP geändert. Dies war kein Ausdruck von Tapferkeit oder Feigheit, sondern von ihren politischen und ökonomischen Zielen. Einer der wenigen Märtyrer der UP-Führung, der im Kampf starb, Salvador Allende, hat durch seine Worte und Taten das Verhalten eines Mannes deutlich gemacht, der die Umsetzung des reformistischen Programms konsequent vorangetrieben hat: Er starb bei der Verteidigung der Prinzipien der Ehre, der bourgeoisen Demokratie, einer Verfassung, kurz gesagt, die die jahrhundertealte Ausbeutung der Arbeiterklasse rechtlich besiegelte. Er starb bei der Verteidigung des Präsidentenhauses. Aber wer hätte verlangen können, dass er an der Seite der Arbeiter in den Streikpostenketten der Cordones Industriales kämpft, wenn diese die Negation dessen waren, was er vertrat? Niemand. Nicht einmal die Arbeiter verlangten das von ihm (…) Aber diejenigen, die die UP drei Jahre lang aufforderten, ihr Programm umzusetzen, ohne die Tiefe der politischen Aktivität der Arbeiterklasse zu verstehen, waren auch während des Putsches konsequent. Zuerst forderten sie, dass die UP kämpft, und als sie dies offensichtlich nicht tat, zogen sie sich zurück, um ihre Partei zu schützen. Sie verstanden weiterhin nicht, dass der Bewusstseins- und Organisationsgrad der Arbeiterklasse die einzig mögliche Antwort auf den Militärputsch war“5.

Die wichtigste historische Lehre aus dieser Zeit ist jedoch bis heute schwer zu ziehen: Das Vertrauen in die Institutionen und die Beteiligung am Staat standen vor fünfzig Jahren im Mittelpunkt der Niederlage unserer Klasse und standen auch vor vier Jahren im Mittelpunkt der Niederlage, als es, anstatt die Netzwerke zu stärken, die sich nach dem 18. und 19. Oktober in allen Stadtvierteln ausbreiteten, einen massiven Marsch zu den Wahlurnen gab und die Kampfbereitschaft in jeder Stadt und jedem Gebiet in der chilenischen Region erneut gekapert und durch die Kanäle der demokratischen Domestizierung befriedet, was den Weg für die Konterrevolution ebnete und bei Hunderttausenden von Menschen, die sich mehr als drei Monate lang auf Straßen und Plätzen versammelten, Unruhe säte.

Wir haben nicht aufgehört, den Schmerz zu spüren, der durch die staatliche Brutalität ausgelöst wurde. Die Erinnerung an diejenigen, die vor uns kamen, aufrechtzuerhalten, bedeutet, weiter für eine Welt zu kämpfen, die sich radikal vom Elend des Kapitals unterscheidet. Aber um die Niederlagen zu beenden, müssen wir unsere Vergangenheit und unsere Gegenwart kritisch untersuchen. Ein Blick frei von Mythen und Götzendienst. Wir können nicht danach streben, eine Bewegung zu imitieren, die in einem bestimmten historischen Kontext entstanden ist, aber wir können verstehen, welche Dynamiken, die von dieser Bewegung entwickelt wurden, sich als unüberwindbares Hindernis herausgestellt haben, und versuchen, sie in den heutigen Kämpfen nicht zu reproduzieren.

GEGEN IHR TODESSYSTEM KÄMPFEN WIR FÜR DAS LEBEN!


1Interview mit Arbeitern der besetzten Fabrik COOTRALACO, Zeitschrift „Punto Final“ Nr. 90, Oktober 1969, ein Jahr vor der Wahl Allendes.

2Das berühmte „Statut der Verfassungsgarantien“, das mit den Christdemokraten (DC) unterzeichnet wurde.

3„Brief der Cordones Industriales an Salvador Allende“, 5. September 1973.

4Rede eines Genossen auf einer CUT-Versammlung nach dem UP. Aus dem Dokumentarfilm „The Battle of Chile, Part II (The Coup)“.

5Artikel „Quienes somos“, in der Zeitung „Correo Proletario“ Nr. 2, November 1975.

]]> [Vamos hacia la vida] Fast ein halbes Jahrhundert nach dem Militärputsch: Wir vergessen nicht und vergeben nicht https://panopticon.blackblogs.org/2025/02/03/vamos-hacia-la-vida-fast-ein-halbes-jahrhundert-nach-dem-militaerputsch-wir-vergessen-nicht-und-vergeben-nicht/ Mon, 03 Feb 2025 11:34:15 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6163 Continue reading ]]> Gefunden auf Vamos hacia la vida, die Übersetzung ist von uns.


[Vamos hacia la vida] Fast ein halbes Jahrhundert nach dem Militärputsch: Wir vergessen nicht und vergeben nicht

WIR VERGESSEN NICHT den Kampf unserer Klasse, ihr Leben zurückzugewinnen, Fabriken und Felder zu übernehmen und neue Formen der Existenz frei von Ausbeutung zu debattieren.

WIR VERGESSEN NICHT die enorme und heterogene Darstellung proletarischer Aktivitäten, die seit den 60er Jahren auf dem Vormarsch waren und deren Hauptziel entgegen der parteiischen Mythologie nicht in Wahlkämpfen bestand.

WIR VERGESSEN NICHT die reaktionäre Arbeit der in der UP vertretenen Sozialdemokratie, die alles in ihrer Macht Stehende tat, um das Proletariat zu deaktivieren und zu kontrollieren, um mit den traditionellen Parteien der Bourgeoisie verhandeln und ihr kapitalistisches Projekt mit dem Namen Sozialismus entwickeln zu können.

WIR VERGESSEN NICHT, dass die Regierung der UP dem revolutionären Prozess nie vertraute, wobei Allende selbst das Waffenkontrollgesetz erließ und das kämpferischste Proletariat entwaffnete, wodurch es unfähig wurde, den Bruch zu vertiefen und der Konterrevolution zu widerstehen.

WIR VERGESSEN NICHT die Parteien, die sich heute ihre Kleider für die Demokratie zerreißen, aber nicht zögerten, die militärische Brutalität gegen unsere Klasse zu unterstützen.

WIR VERGESSEN AUCH NICHT, dass Demokratie und Diktatur nicht gegensätzlich sind, sondern dass es sich um unterschiedliche und sich ergänzende Formen handelt, in denen der Staat die soziale Herrschaft ausübt.

WIR VERGESSEN AUCH NICHT die Tausenden von Gefährtinnen und Gefährten, die Verfolgung, Folter, Mord und Verschwinden erlitten haben.

WIR VERGESSEN NICHT, dass die elenden Bedingungen, gegen die sich unsere Klasse erhob, durch dieselbe soziale Dynamik hervorgerufen wurden, die auch das Elend von heute verursacht: kapitalistische Gesellschaftsverhältnisse, die physische und psychische Entfremdung erzeugen und nähren, die die große Mehrheit der proletarisierten Menschheit zu Hunger, Krankheit, Isolation und Tod verdammt, die eine sexuelle Hierarchie und die damit verbundene Gewalt erforderlich machen und aufrechterhalten.

WIR VERGESSEN NICHT, weil es unsere Geschichte ist. Aber vor allem VERGESSEN WIR NICHT, weil wir sehen, dass sich viele dieser Elemente in unseren turbulenten Zeiten wiederholen.

Die Mythologie des linken Flügels des Kapitals sieht in der Zeit von 1970 bis 1973 die Übernahme einer Regierung, die, unterstützt von einer Welle der Bevölkerung, vorgab, den Sozialismus friedlich zu erreichen (ein Pazifismus, der keine Skrupel hatte, Arbeiter zu unterdrücken, besetzte Fabriken zu stürmen oder Revolutionäre zu inhaftieren, zu foltern und zu ermorden), mit großen Helden, an die sie sich heute mit krankhafter Nostalgie erinnert, insbesondere die Figur Allendes.

Aber die Kämpfe des Proletariats in unserer Region standen im Einklang mit der revolutionären Welle, die in jenen Jahren den gesamten Planeten erschütterte, und die Kapitalistenklasse setzte ihnen eine Vielzahl von Antworten entgegen. Zwischen der Zerschlagung des Reformismus (der gewalttätige Repression nicht ausschloss) und dem blutigen Militärmassaker gibt es keinen Bruch, sondern Kontinuität in der repressiven Arbeit des Staates.

Heute, nach einer beeindruckenden Revolte, hat die Partei der Ordnung als Ganzes einem „Friedensabkommen“ zugestimmt, dessen ausdrückliches Ziel es ist, das Feuer zu löschen, das durch die Wut und Kreativität der Unterdrückten entfacht wurde.

Ein großer Teil der Linken spielt trotzdem mit und gibt vor, einen Prozess „zu überwältigen“, der genau zu dem Zweck der Eindämmung und der Repression erschaffen wurde.

Lasst uns nicht noch mehr Niederlagen fördern, lasst uns nicht noch mehr Wahnvorstellungen schüren. Lasst uns weitergehen. Lasst uns dem Leben entgegengehen.

UNSER GEDÄCHTNIS IST EINE WAFFE, GELADEN MIT ZUKUNFT

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[GCI-IKG] Das Gedächtnis der Arbeiter – Chile: September 1973 https://panopticon.blackblogs.org/2025/02/03/gci-ikg-das-gedaechtnis-der-arbeiter-chile-september-1973/ Mon, 03 Feb 2025 11:31:33 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6161 Continue reading ]]>

Von uns übersetzt.


[GCI-IKG] Das Gedächtnis der Arbeiter – Chile: September 1973

Quelle: Grupo Comunista Internacionalista (GCI) – Comunismo n°4 – Juni 1980

Nachstehend der Brief, den die Cordones Industriales am 5. September 1973, nur wenige Tage vor dem Putsch Pinochets, an Allende richteten. Wir halten es für wichtig, dieses Dokument zu veröffentlichen, das bereits Geschichte ist, weil es heute, auch ohne dass dies beabsichtigt war, eine Anklage gegen die konterrevolutionäre Rolle aller Unidades Populares in der ganzen Welt ist, und zeigt, dass die Pinochets ohne eine von der demokratischen Linken desorientierte, desorganisierte und politisch entwaffnete Arbeiterklasse nicht möglich sind. Dieses Dokument erlaubt es uns andererseits, all das Geschwätz über die „verräterischen Generäle“ anzuprangern, an das wir uns von den linken Parteien gewöhnt haben, und die wahren Ursachen für die Niederlage der Arbeiter in Chile aufzuzeigen, und zwar nicht in den Feinden, die eindeutig die Desorganisation der Arbeiter als Ganzes vorbereiteten (unabhängig davon, ob sie sich als Freunde bezeichnen oder nicht), sondern in ihren eigenen Illusionen, in ihrem völligen Mangel an Orientierung, an einer kommunistischen Perspektive. Wir veröffentlichen dieses Dokument auch, weil es nach weniger als sieben Jahren so aussieht, als hätte es nie existiert, weil alle demokratischen Oppositionskräfte alles getan haben, um es zu begraben, und versucht haben, es für immer aus unserer Klasse zu löschen, da es zu nahe an der Realität ist. Kurz gesagt, wir veröffentlichen dieses Dokument nicht, weil wir mit seinem Inhalt einverstanden sind, sondern weil es die Tragödie nicht nur der Arbeiterklasse in Chile, sondern der Arbeiterklasse weltweit zusammenfasst, eine Tragödie, die sich so lange wiederholen wird, wie das Proletariat seine Waffen nicht einsetzt, um die Allendes hinwegzufegen, die sich unter anderen Namen in allen Ländern verstecken: „… Wir glauben, dass wir nicht nur auf einen Weg geführt werden, der uns mit schwindelerregender Geschwindigkeit in den Faschismus führt, sondern dass uns auch die Mittel genommen wurden, uns zu verteidigen.

Dieses Dokument zeigt keineswegs die Stärke unserer Klasse, sondern ihre absolute Schwäche, ihre völlige Lähmung angesichts eines bourgeoisen Staates, der sie mit seiner linken Maske zum Rückzug aufforderte, während er alle verprügelte, die für proletarische Interessen kämpften, und den „letzten“ Schlag vorbereitete. Diese Schwächen zu ignorieren, anstatt sie aufzuzeigen, wird in keiner Weise zur Schaffung einer revolutionären Perspektive beitragen. Wenn wir jedoch Illusionen und Schwächen kritisieren, legen wir unsere eigenen Schwächen offen, die Schwächen unserer gesamten Klasse, eine wesentliche Voraussetzung für ihre Überwindung. Nichts liegt uns ferner, als den Klassenkampf zu verachten, um mit den Allende-Illusionen zu brechen, aber nichts wäre unverantwortlicher, als dieses Dokument als von der Arbeiterklasse stammend zu veröffentlichen, ohne zu betonen, inwieweit die bourgeoisen Ideen, die unter den Arbeitern vorherrschten – selbst unter der Avantgarde der Industriearbeiter –, sich als stärker erwiesen haben als ihr Klasseninstinkt und sie, sobald er sich regte, in den Schlachthof führten.

Am 5. September (in Wirklichkeit schon viel früher) gab es unter den Arbeitern, die zum Schlachthof gingen, keinen Zweifel daran, dass die Repression, die bereits wichtige Sektoren betroffen hatte, auf die gesamte Arbeiterorganisation übergreifen würde; dass es eine Verschiebung von einer Situation gegeben hatte, in der die Regierung, die sich für den Sozialismus einsetzte, „verhandelte (sic!), um eine bourgeois-demokratische Reformregierung der Mitte zu erreichen, die dazu neigte, …“ zu einer Situation, in der es „die Gewissheit gab, dass wir uns auf einem Weg befanden, der uns unweigerlich zum Faschismus führen würde“, „zu einem faschistischen Regime der unerbittlichsten und kriminellsten Art“. Der Präsident, dem im Voraus gesagt wird, dass er „dafür verantwortlich sein wird, das Land nicht in einen Bürgerkrieg zu führen, der bereits in vollem Gange ist, sondern in das geplante Massaker an der Arbeiterklasse …“, wird jedoch als nichts anderes als COMPAÑERO Salvador Allende behandelt. Dies fasst die Tragödie der chilenischen Arbeiterklasse zusammen, all derer, die sie an Händen und Füßen gefesselt von den Parteien, den Gewerkschaften/Syndikate und dem Staat gehalten hatten und nun aufgefordert wurden, zu entscheiden, wer den letzten Schlag ausführen würde, wodurch sie völlig schutzlos in dem Pferch zurückblieb, aus dem sie nicht lebend entkommen konnte. Es ist, als würde man diejenigen, die dich zum Erschießungskommando gebracht haben, bitten, gegen diejenigen vorzugehen, die den Abzug betätigen werden. In dem Dokument wird deutlich, dass das Misstrauen gegenüber diesen Kräften sich dahingehend verschiebt, dass dieser „Reformismus“ der schnellste Weg zum „Faschismus“ ist, aber diese Kräfte werden immer noch als Kräfte der Arbeiter betrachtet. „Wir Arbeiter sind zutiefst frustriert und entmutigt, wenn unser Präsident, unsere Regierung, unsere Parteien, unsere Organisationen uns immer wieder den Befehl zum Rückzug erteilen, anstatt uns die Hand zu reichen und uns voranzubringen.“ “Jetzt haben wir Arbeiter nicht nur Misstrauen, wir sind alarmiert.“ „Wir sind absolut davon überzeugt, dass der Reformismus, der durch den Dialog mit denen angestrebt wird, die uns erneut verraten haben, historisch gesehen der schnellste Weg zum Faschismus ist.“ Mit anderen Worten betrachtet sie weiterhin alle Reformisten (Reformismus ist notwendigerweise bourgeois) als „die proletarischen Parteien“, die UP-Parteien in der Regierung, die Gewerkschaften/Syndikate, als Arbeiterparteien, den Präsidenten als den Arbeiterpräsidenten. A ist eine Organisation, die Central Única de Trabajadores, deren Hauptaufgabe darin bestand, die Arbeitskämpfe im Einklang mit den Verwertungsbedürfnissen des Kapitals einzudämmen, im Interesse des chilenischen Vaterlandes (chilenisches Kupfer!) zu mehr Arbeit für weniger Lohn aufzurufen und die neben den Generälen der chilenischen Armee, die das Massaker verübten, Teil des zivil-militärischen Kabinetts wurde, und die immer noch als das „höchste Organ“ der Arbeiterklasse gilt.

Dieses Panorama war zutiefst tragisch, und selbst diejenigen, deren einzige Bezugspunkte zu Chile die Kommentare in der Mainstream-Presse sind, werden beim Lesen dieses Textes verstehen, in welchem Ausmaß das, was als Nächstes geschah, das unvermeidliche Ergebnis der völligen Orientierungslosigkeit der Arbeiterklasse bei der Gestaltung ihres eigenen Weges war. Eine Arbeiterklasse, die erkannte, dass „es an einer Entscheidung fehlte, einer revolutionären Entscheidung…, es fehlte eine entschlossene und hegemoniale Avantgarde“, und in Ermangelung dessen wurde der Präsident gebeten, sie zu führen. Eine Arbeiterklasse, die allen populistischen Kräften der Bourgeoisie völlig misstraute, aber wie so oft in der Geschichte versäumte, ihre eigene Stärke aufzubauen. Eine Arbeiterklasse, die auf der tiefsten Ebene ihrer Tragödie, einer Tragödie, die nicht chilenisch, sondern global ist, kein eigenes Programm hat (oder sich ihres Programms nicht bewusst ist) und die Erfüllung dessen fordert, was sie als „Mindestprogramm“ bezeichnet: nicht mehr und nicht weniger als das bourgeoise Programm der Unidad Popular.

In Chile kann man sagen, dass nicht nur ein systematisches Massaker stattfand, das auf dem ausgetretenen Pfad der „friedlichen Erfahrung des Aufbaus des Sozialismus“ vorbereitet wurde, sondern dass die Theorie der kritischen Unterstützung, der Einheitsfront, der Arbeiterregierung und der Arbeiterkontrolle vollständig umgesetzt wurde, mit allen Konsequenzen: der Zerstörung aller Arbeiterorganisationen. Tatsächlich war es, unabhängig von der relativ schwachen Bedeutung, die die effektive Präsenz des Trotzkismus in Chile hatte, und unabhängig vom formellen Bruch zwischen der MIR und der Vierten Internationale, eindeutig eine Ideologie, die eng mit dem internationalen Trotzkismus verbunden war und die die Kraftbarriere darstellte, die jene Proletarier eindämmen konnte, die aus dem Pferch entkommen wollten, aus dem sie nicht entkommen konnten. Wenn in den Cordones Industriales niemand an den friedlichen Weg zum Sozialismus glaubte (außer natürlich den Agenten des bourgeoisen Staates, die in die Reihen der Arbeiter eingeschleust worden waren), so glaubte man andererseits immer noch an die Notwendigkeit, diese „Arbeiterregierung“, die für die einen „populär“ war, kritisch zu unterstützen. Je verzweifelter das Proletariat versuchte, sich der Kontrolle durch den bourgeoisen Staat zu entziehen – wie bei so vielen anderen Gelegenheiten in der Geschichte – desto mehr radikalisierte der Zentrismus seinen Diskurs, desto mehr entwickelte sich der linke Flügel innerhalb der Partei der Bourgeoisie, desto mehr näherten sie sich der „kritischen Unterstützung“, der „Arbeiterkontrolle“ usw. an. Mit all ihren Varianten und Kombinationen näherten sich die sozialistische, christliche, MAPU-Linke usw. dieser Strömung an und schlossen sich in einer Radikalisierung mit allen möglichen Nuancen zusammen, die zuvor das ausschließliche Eigentum der MIR gewesen waren. Bei der Lektüre des Dokuments besteht kein Zweifel daran, dass diese radikale Ideologie der Bourgeoisie eine entscheidende Kraft war, die das Proletariat daran hinderte, den bourgeoisen Staat anzugreifen.

Damit Leser, die die „chilenische Erfahrung“ nicht selbst erlebt haben und nur die von der chilenischen Bourgeoisie (Sozialdemokraten, „Kommunisten“, Trotzkisten, Maoisten, MIRisten, MAPU usw.) konstruierten und von Gleichgesinnten auf der ganzen Welt reproduzierten Versionen für die Nachwelt gehört haben, das von uns vorgestellte Dokument so gut wie möglich verstehen können und wissen, warum es zu der Absurdität kommt, „zu fordern, vom bourgeoisen Staat die notwendigen Maßnahmen zu fordern, um die aktuellen staatlichen Institutionen so zu transformieren, dass die Arbeiter und das Volk die wahre Macht haben“, ist es notwendig, einige Hintergründe zu erläutern. Im September 1973 bestand kein Zweifel daran, dass das Schicksal der Arbeiterklasse besiegelt war, dass ihre Schwäche erdrückend war und dass das, was nun kam, nur noch ihre Hinrichtung war. Dies war jedoch nicht immer so, und es gab entscheidende Momente, in denen die Repression von links und rechts, vom gesamten bourgeoisen Staat, nicht ausreichte: Die chilenische Arbeiterklasse versuchte, ihren eigenen Weg zu gehen. In diesen entscheidenden Momenten traten der Zentrismus mit seiner klassischen konterrevolutionären Politik der „kritischen Unterstützung“, die vom MIR gefördert wurde, und der Guerillismus im Allgemeinen (die Räte und Reden von Fidel Castro in Chile oder „Von Kuba nach Chile“ waren zum Beispiel entscheidend) wirklich in den Vordergrund, um die letzte (aber eiserne) Barriere der Todesfalle zu errichten.

Jedes Mal, wenn die Realität nicht mehr verborgen werden konnte und der bourgeoise Terrorismus oder die Zerstörung des bourgeoisen Staates und die Diktatur des Proletariats, was offensichtlich bedeutete, zuerst die Regierung Allende und die bourgeoise Armee mit Gewalt zu beseitigen, als unvermeidliche Perspektiven auftauchten, traten die Ideologen der kritischen Unterstützung in den Vordergrund und schlugen einen dritten Weg vor: die Organisation und Bewaffnung des Proletariats, nicht um die gesamte Bourgeoisie und ihren Staat zu konfrontieren, sondern um von der Regierung die Umsetzung ihres „sozialistischen“ Programms (sic!) zu fordern, um die Kontrolle der Arbeiter über die Produktion und Verteilung auszuüben und so „bedeutende Machtanteile“ (sic!) zu erlangen und sich gegen die Angriffe der Bourgeoisie (die für diese Herren gleichbedeutend mit der Rechten ist) zu verteidigen, die versucht, die Umsetzung dieses Programms zu verhindern.

Es ist genau die Ideologie dieses sogenannten Dritten Weges (denn in Wirklichkeit führt er unweigerlich zur Aufrechterhaltung der Diktatur der Bourgeoisie und des weißen Terrors), die die entschlossensten Versuche der chilenischen Arbeiteravantgarde lähmte. Die gewalttätigsten Versuche in diesem Sinne während der Allende-Jahre konzentrierten sich auf das Jahr 1972 und insbesondere auf den 11. Oktober 1972, als sich die sogenannten „Cordones Industriales“ entwickelten. Sie waren eine Reaktion auf die katastrophale Situation, der die Arbeiterklasse durch das Kapital in der Krise und die staatliche Repression ausgesetzt war, und wurden zu dieser Zeit durch den Streik von Ladenbesitzern, Transportarbeitern und Fachkräften, der von der „Rechten“ gefördert wurde, noch verschärft.1

Tatsächlich verschärften sich die Arbeitskämpfe im Jahr 1972 angesichts einer Bourgeoisie, die einerseits von ihnen verlangte, härter für das chilenische Vaterland und sozialistische Veränderungen zu arbeiten, und andererseits ihre Lebensgrundlage beschneidet. Wie in jeder anderen Krise des Kapitalismus stehen sich Rechte und Linke in ihren fraktionellen Interessen gegenüber, aber sie ergänzen sich gegenseitig, indem sie eine Erhöhung der Ausbeutungsrate durchsetzen: Mehr arbeiten und weniger essen. Wie in jedem ähnlichen Fall verschärfen sich die Kämpfe der Arbeiter gegen die Bourgeoisie und die Repression des bourgeoisen Staates. Der chilenische Staat unter Frei, Allende und später Pinochet folgte (wie es nicht anders sein kann, egal ob der Präsident „Faschist“ oder „Sozialist“ ist) dieser seinem Wesen innewohnenden Handlungslinie. Der bourgeoise Staat hatte unter der Maske des „Kommunismus“, des „Sozialismus“, des „Allendeismus“ usw. versucht, die tiefe Krise, in der sich die chilenische nationale Ökonomie befand, zu lösen, indem er Verstaatlichungen und sozialistische Rhetorik als beste Methoden zur Steigerung der Ausbeutungsrate einsetzte. Aber wie offensichtlich ist, konnte er nicht aufhören, alle Arbeiterkämpfe gegen Ausbeutung zu unterdrücken, und von Beginn der „Arbeiterregierung“ an wurden die Kämpfe der Obdachlosen, der Bergleute … unterdrückt. Die Regierungsparteien und Allende prangerten zwar jeden Arbeiterkampf als Provokation an und die Arbeiter, die eine Lohnerhöhung forderten, wurden als „Arbeiteraristokratie“ (z. B. die Kupferbergleute) verurteilt, aber sie versuchten, die Verantwortung für die einzelnen Repressionsakte abzustreiten: „Sie konnten die Repressionsorgane nicht kontrollieren, sie waren nicht für die Exzesse der Carabineros und der Ermittlungsbehörden verantwortlich“. Mit anderen Worten: Es war die gleiche alte Geschichte: Der Präsident wusste nichts, der Innenminister wusste nichts, die KP war nicht involviert, die PS wusste nicht, dass bei den Ermittlungen gefoltert wurde usw.

Die Verschärfung des Kampfes und die staatliche und halbstaatliche Repression im Jahr 1972 machten es enorm schwierig, die Realität der Situation zu verbergen. Es wurde immer deutlicher, dass die Folterer, die Mörder von Arbeitern, nicht nur diejenigen von Patria y Libertad, der Nationalen Partei von PROTECO (Schutz der Gemeinschaft), der Christdemokraten usw. waren, sondern auch die Parteien der Regierung. Bei jeder Aktion der Carabineros und der Investigaciones gegen Gruppen von Arbeitern wurden Anführer der Unidad Popular, der „kommunistischen“ Partei und der „sozialistischen“ Partei identifiziert. Allende fordert weiterhin mehr Arbeit, um „zu definieren, zu produzieren und voranzukommen“, während seine Mitarbeiter, Anführer wie Carlos Toro oder Eduardo Paredes2, bei Investigaciones ihre Verhöre von vermummten Arbeitern auf der Grundlage von „der Strömung“, Schlägen, U-Booten usw. fortsetzten (sehr bald darauf sollte Pinochet diese Einrichtungen ausbauen). Im Laufe des Jahres verstärkte dieselbe staatliche Behörde zusammen mit den Carabineros ihre gegen die Arbeiter gerichteten Operationen, darunter auch den Angriff auf die Obdachlosenlager von Lo Hermida (eine Ansammlung von 8 proletarischen Lagern). Etwa 45.000 Menschen (fünf Lager) werden mitten in der Nacht von Polizeipanzern, Minibussen der Grupo Movil, Streifenwagen, Transportern usw. angegriffen, die sich mit Leuchtmunition im Dunkeln fortbewegen. Das Geräusch von Maschinengewehrsalven und die Explosion von Tränengasbomben, die in Häuser geworfen wurden, vermischten sich mit den Aufrufen in den Lautsprechern, Allendes Regierung zu unterstützen. Die Ergebnisse konnten nicht vertuscht werden (ein toter Arbeiter, Kinder mit Verletzungen durch das Gas, Hunderte von Verhören bei Ermittlungen). Die Aussagen der Einwohner, einschließlich der Allendistas, waren kategorisch: „1970 kamen wir in diese Gegend … wir hätten nie gedacht, dass wir das, was wir unter Frei und Alessandri nicht hatten, unter Genosse Allende haben würden.“ “Was hier passiert ist, ist ein Massaker. Die Toten sind unsere Gefährten aus den Poblaciones. Die Verwundeten und Empörten sind Männer, Frauen und Kinder aus unserem Lager. Was die Polizei in Lo Hermida getan hat, ist ein Mord an der Bevölkerung.“ „Heute sagen wir mit Schmerz, mit Trauer und mit Wut, dass diese Regierung ihre Hände mit Blut befleckt hat, aber mit dem Blut derer, die hingingen und das Kreuz auf dem Stimmzettel markierten, um der UP-Regierung den Sieg zu bescheren. Jetzt werden wir nicht mehr hinausgehen, um den Reformismus zu unterstützen. Wir werden hinausgehen und uns in die Schusslinie begeben, um zu zeigen, dass die geopferten, gedemütigten, toten, durchlöcherten Pobladores (A.d.Ü., Bewohner der Poblaciones)ein anderes Temperament und eine andere Entschlossenheit haben.“ Anscheinend konnte niemand den Konsequenzen entgehen, niemand außer den kritischen Unterstützern, die letzte Barriere zur Eindämmung der Konterrevolution.

Punto Final zentralisiert die Kampagne, prangert die Fakten an, macht den Reformismus verantwortlich und prangert ihn als das an, was er ist: konterrevolutionär3, d. h. sie (Punto Final) geht von den der Grundbedürfnisse und Positionen der Arbeiter aus. Wenn es jedoch darum geht, Schlussfolgerungen zu ziehen, lehnt sie die einzige proletarische Lösung (die Konfrontation mit jeglicher Konterrevolution, ob faschistisch oder reformistisch) entschieden ab und findet sich immer auf dem dritten Weg wieder: „Diese Regierung hat zwei Wege: auf der Seite des Volkes zu stehen oder sein Mörder zu sein“. Mit anderen Worten, sie präsentiert sich an der Spitze des bourgeoisen Staates als neutral und ihre Vertreter als fähig, auf die Seite der Arbeiter zu wechseln, „denn das strategische Ziel der Arbeiter endet nicht mit dieser Regierung, die, das ist wahr, das ehrenwerte Verdienst erlangen kann, wenn sie sich daran macht, den historischen Kampf der chilenischen Arbeiterklasse abzukürzen“4. Das Problem für die trotzkistische Kraft, die sich in Punto Final äußerte, beschränkte sich nun darauf, „die Schuldigen zu bestrafen“ und das Regime zu verteidigen: „… der Austausch von Besuchen zwischen La Moneda und Lo Hermida eröffnete eine neue Perspektive auf das Problem. Die Suspendierung des Direktors und des stellvertretenden Direktors der Ermittlungen trug ebenfalls dazu bei, die Offenheit von Präsident Allende (sic!) für einen Dialog mit den Bewohnern zu zeigen, die Sanktionen für die Verantwortlichen (sic!) forderten“5. Und die verschiedenen Miristas und Linken traten offen für Allende ein:

„Wir kennen Allende und obwohl wir mit vielen seiner Ansichten nicht einverstanden sind, wenn nicht sogar mit fast allen, gibt es grundlegende Themen, die wir an ihm anerkennen. Zunächst einmal die Übereinstimmung zwischen dem, was er denkt, sagt und tut. Dann persönlicher Mut. Darüber hinaus eine politische Laufbahn, die mit der Repression des Volkes unvereinbar ist (sic!). Deshalb glauben wir, dass Allende sicherlich (sic!) der erste war, der von der brutalen Repression gegen dieses Lager von Pobladores (offenbar nicht mehr als die Pobladores: Anm. d. R.) überrascht (sic!) und vielleicht am härtesten getroffen (sic!) wurde. Die rechte Presse (sic!) hat versucht, ihm die Schuld für die Geschehnisse zu geben, um seine Regierung mit früheren repressiven und volksfeindlichen Regimes gleichzusetzen (sic!)“6.

Beim Lesen des Briefes von den Cordones Industriales sollte der Leser diese Ereignisse und diese Art der Stellungnahme nicht aus den Augen verlieren. Die von der Bourgeoisie aufgezwungene Situation war so, dass jeder Angriff der Arbeiter auf die Spitze des bourgeoisen Staates als „rechtsgerichtet“ galt und dem Imperialismus in die Hände spielte. Offensichtlich greift die Bourgeoisie Revolutionäre immer auf diese Weise an. Beeindruckend war jedoch, wie sehr dieser Mythos der gesamten chilenischen Gesellschaft auferlegt wurde: Die Niederlage des Proletariats war darin enthalten.

Wie wir bereits im Oktober sagten, war die Situation der Arbeiterklasse unerträglich, der (von den „Rechten“ verursachte) Mangel an lebensnotwendigen Gütern war überwältigend. Nie zuvor hatte ich eine so katastrophale Situation erlebt, in der ich (dank der „Linken“) härter für so wenig arbeitete. Daher ist es nicht dem Fortschrittlichkeit der Volksregierung zu verdanken (wie die offizielle und halboffizielle Geschichte sagt), dass es so viele Arbeiterkämpfe gab, sondern weil die Situation gleichzeitig unerträglich war und weder die „Rechte“ noch die „Linke“ ihre vollständige Desorganisation erreicht hatten, um den „letzten“ Schlag zu versetzen. Überall wurden Basisorganisationen mit territorialen Zentralisierungen, Assoziationen von kämpfenden Arbeitern, Lagerkommandos, Nachbarschaftsräten, Mütterzentren, Organisationen, die Handwerker zusammenbrachten, Studentenorganisationen usw. gegründet, die die Arbeiterräte bildeten, die verschiedene Namen annahmen: Koordinierungsrat der Gemeinschaft, Arbeiterkommando der Gemeinschaft, Cordones Industriales7. Das Proletariat hatte nur ein Ziel: die Schuldigen für die unhaltbare Situation loszuwerden und die Kontrolle über die Situation zu übernehmen. Offensichtlich wurde überall die Frage der Macht gestellt. Es war ein entscheidender Moment. Die Regierung betrachtete die Situation als tragisch und reagierte mit der Bildung des zivil-militärischen Kabinetts, auf das in dem von uns veröffentlichten Dokument Bezug genommen wird. Die MIR8. und die Kräfte, die sie tatsächlich unterstützten, traten in den Vordergrund, sie förderten und ermutigten all diese Organisationen und die Koordinierungsräte, die Parolen, dass es notwendig sei, sich zu bewaffnen, waren populärer denn je, sie behaupteten, dass es der Moment sei, die „bourgeoise Macht“ zu besiegen, das heißt, sie stellten sich objektiv an die Spitze des Prozesses, aber wie immer, um ihn in kritischer Unterstützung einzudämmen. Wieder einmal nahmen sie eine Reihe von Bedürfnissen und Positionen der Arbeiter auf, um das Proletariat in die Sackgasse der kritischen Unterstützung für seine verschleiertesten Feinde zu führen, um es geschickter in die Verteidigung des bourgeoisen Staates zu führen. Punto Final titelte am 7. November 1972 in großen Buchstaben: „Besiegt die bourgeoise Macht JETZT“. Dies könnte wie eine aufständischer Parole klingen, wenn nicht bekannt wäre, dass diese Kräfte mit der MIR an ihrer Spitze unter „bourgeoise Macht“ alles andere als den „bourgeoisen Staat“ verstanden. Mehr denn je wird argumentiert werden, dass die Regierung den Sozialismus anstrebte und dass die Bourgeoisie dies nicht zulassen würde, dass die Armee sich noch nicht verteidigt hat und dass sie sich entscheiden muss, „Die Regierung von Präsident Allende ist dem Volk verpflichtet (sic!), ein Programm umzusetzen, das bedeutet, und ich zitiere, den Aufbau des Sozialismus (sic!) in unserem Land (sic!) einzuleiten. Genau dieses Ziel versucht die Bourgeoisie (sic!) zu verhindern“8. Punto Final kommentiert den Einzug der Generäle in die Ministerien wie folgt: “Die Streitkräfte werden, unabhängig von ihrem Wunsch, eine Neutralität zu wahren, die nicht den Merkmalen des chilenischen Prozesses (sic!) entspricht, gezwungen sein, sich zu entscheiden. Ihre Beteiligung an der Regierung der UP gibt Offizieren (sic!) und Soldaten die Möglichkeit, sich der historischen Mission der Arbeiter anzuschließen … Die Streitkräfte haben eine wahrhaft patriotische (sic!) und demokratische (sic!) Rolle an der Seite des Volkes (sic!) zu spielen, indem sie die Arbeiter in ihrem Kampf gegen die Ausbeutung der Bourgeoisie (sic!) unterstützen … Nur die Ereignisse werden diese Möglichkeit bestätigen (sic!) oder ausschließen. Nur die Seite, die sie im Klassenkampf wählen (sic!), wird die Bedeutung der bewaffneten Kräfte, die in die politische Arena eintreten, bestimmen“9. Mit anderen Worten: Nicht nur die Regierung ist nun nicht mehr Teil des bourgeoisen Staates, sondern auch die Armee muss nicht mehr zerstört werden, weil sie sich für die Arbeiter entscheiden und ihnen dienen kann! Es war die gesamte trotzkistische Strömung der „kritischen“ Unterstützer, die von den Bedürfnissen der Arbeiter ausging und eine Sprache verwendete, die sogar „aufständisch“ war, um die Konterrevolution, die sich in den Cordones Industriales durchsetzen würde, besser zu verteidigen und alle Klasseninitiativen, alle Möglichkeiten eines Übergangs zur Arbeiteroffensive, zu liquidieren. Diese internationale politische Strömung, die im Kern mit der Konterrevolution übereinstimmt, wird die Cordones nicht auf einen Angriff auf den bourgeoisen Staat ausrichten, sondern auf die Selbstverwaltung: „Sobald diese Organisationen spezifische Aufgaben übernehmen – in Bezug auf Versorgung, Lebensmittel, Transport, Gesundheit, Produktion und mögliche Verteidigung gegen den Faschismus – nehmen sie einen bedeutenden Teil der Macht selbst in die Hand“10. Die reaktionäre Lüge, dass Spanien entscheidend gewesen sei: Arbeiter werden niemals in der Lage sein, die Gesellschaft zu führen oder „Machtanteile“ zu haben, ohne gleichzeitig den bourgeoisen Staat anzugreifen und zu zerstören (dies war die einzige Möglichkeit, den Versorgungsengpass ernsthaft zu lösen). „Machtquoten“, eine Lüge der Konterrevolution, die sich jedoch durchsetzen und die Arbeiter in die Situation der Desorientierung und des Massakers von 1973 und den darauffolgenden Jahren führen würde. ‚Arbeiterkontrolle‘ würde die Bourgeoisie aus einer äußerst schwierigen Situation befreien und ihr erlauben, das Massaker akribisch vorzubereiten.

Man könnte sagen, dass im Kapitalismus die Bourgeoisie sich im Allgemeinen um ihre Unternehmen kümmert und diese überwacht, während das Proletariat seinen Krieg vorbereitet. In Chile, wo diese Ideologie immer mehr an Boden gewann und „Machtbereiche erobert wurden“, verlief die Entwicklung genau umgekehrt: Während die Arbeiter sich fröhlich um die kapitalistischen Unternehmen kümmerten („Sicherheitskomitees“), führte die Bourgeoisie ihren Krieg und bereitete das Massaker vor. Auf diese Weise gewannen sie den Krieg, 1972 und Anfang 1973, indem sie mehr auf Zerstreuung als auf Kugeln setzten. Ende 1973 blieb nur noch das Massaker. Wie immer fielen auch viele Verteidiger des chilenischen Staates und insbesondere Allende diesem zum Opfer. Dies ist keine Ausnahme, sondern es ist immer so, dass Teile des Kapitals betroffen sind, wenn arbeiterfeindliche Repression verallgemeinert wird. Es gibt keinen Grund, um diese Menschen zu trauern, die immer noch unsere Feinde sind, auch wenn sie jetzt in der Opposition sind. Es ist wichtiger, die Klassengewalt darauf vorzubereiten, die gefallenen Arbeiter zu rächen, als um sie zu trauern. Der beste Weg, um damit im Einklang zu stehen, ist, gegen das Kapital auf der ganzen Welt zu kämpfen, um die kommunistische Führung zu entwickeln, die in Chile so fehlte und in der ganzen Welt immer noch fehlt. Wir können noch viel aus der Geschichte unserer Klasse lernen, und das wird notwendig sein, wenn wir gewinnen wollen.


Brief der Koordinierung der Cordones an Salvador Allende

An Seine Exzellenz, den Präsidenten der Republik 5. September 1973

Genosse Salvador Allende:

Die Zeit ist gekommen, in der die Arbeiterklasse, die in der Coordinadora Provincial de Cordones Industriales, dem Comando Provincial de Abastecimiento Directo und der Frente Único de Trabajadores organisiert ist, es für dringend erforderlich hält, sich an dich zu wenden, alarmiert durch die Entfesselung einer Reihe von Ereignissen, von denen wir glauben, dass sie nicht nur zur Liquidierung des chilenischen revolutionären Prozesses führen werden, sondern kurzfristig auch zu einem faschistischen Regime der unerbittlichsten und kriminellsten Art.

Früher hatten wir Angst, dass der Prozess in Richtung Sozialismus aufgegeben werden würde, um eine reformistische bourgeois-demokratische Regierung der Mitte zu erreichen, die dazu neigt, die Massen zu demobilisieren oder sie aus Selbsterhaltungstrieb zu anarchischen Aufständen zu führen.

Aber jetzt, da wir die jüngsten Ereignisse analysieren, haben wir nicht mehr diese Angst, sondern sind uns sicher, dass wir uns auf einem Weg befinden, der uns unweigerlich zum Faschismus führen wird.

Deshalb werden wir die Maßnahmen auflisten, die wir als Vertreter der Arbeiterklasse für unerlässlich halten.

Erstens, Genosse, fordern wir, dass das Programm der Unidad Popular erfüllt wird. 1970 haben wir nicht für einen Mann gestimmt, sondern für ein Programm.

Das erste Kapitel des Programms der Unidad Popular trägt interessanterweise den Titel „Volksmacht“. Zitat: Seite 14 des Programms:

„… Die Volks- und Revolutionskräfte haben sich nicht zusammengeschlossen, um für den einfachen Austausch eines Präsidenten der Republik gegen einen anderen zu kämpfen oder um eine Regierungspartei durch eine andere zu ersetzen, sondern um die grundlegenden Veränderungen herbeizuführen, die die nationale Situation erfordert, und zwar auf der Grundlage der Machtübertragung von den alten herrschenden Gruppen auf die Arbeiter, die Bauern und die fortschrittlichen Sektoren der Mittelschicht…“ „Die derzeitigen staatlichen Institutionen müssen so umgestaltet werden, dass die Arbeiter und das Volk die tatsächliche Macht haben …“

„… Die Volksregierung wird ihre Stärke und Autorität im Wesentlichen auf die Unterstützung des organisierten Volkes stützen …“

Seite 15:

„… Durch Massenmobilisierung wird die neue Machtstruktur von der Basis aus aufgebaut …“

Es ist die Rede von einem Programm für eine neue politische Verfassung, einer einzigen Kammer, der Volksvollversammlung, einem Obersten Gerichtshof, dessen Mitglieder von der Volksvollversammlung ernannt werden. Das Programm besagt, dass der Einsatz der Streitkräfte zur Unterdrückung des Volkes abgelehnt wird … (Seite 24).

Genosse Allende, wenn wir nicht darauf hinweisen würden, dass diese Sätze Zitate aus dem Programm der Unidad Popular sind, das ein Minimalprogramm für die Arbeiterklasse war, würde man uns sagen, dass dies die „ultralinke“ Sprache der Cordones Industriales ist.

Aber wir fragen: Wo ist der neue Staat? Die neue politische Verfassung, die Einkammer-Versammlung, die Volksvollversammlung, die Obersten Gerichte?

Drei Jahre sind vergangen, Genosse Allende, und du hast dich nicht auf die Massen verlassen, und jetzt haben wir, die Arbeiter, das Vertrauen verloren.

Wir, die Arbeiter, sind zutiefst frustriert und entmutigt, wenn unser Präsident, unsere Regierung, unsere Parteien und Organisationen uns immer wieder zum Rückzug auffordern, anstatt uns den Weg nach vorne zu weisen. Wir fordern nicht nur, informiert zu werden, sondern auch bei Entscheidungen, die schließlich unser Schicksal bestimmen, konsultiert zu werden.

Wir wissen, dass es in der Geschichte der Revolutionen immer Momente des Rückzugs und Momente des Vorstoßes gab, aber wir wissen, wir sind uns absolut sicher, dass wir in den letzten drei Jahren nicht nur Teilkämpfe, sondern den ganzen Kampf hätten gewinnen können.

Wären bei diesen Gelegenheiten Maßnahmen ergriffen worden, die den Prozess unumkehrbar gemacht hätten, so hätte das Volk nach dem Sieg der Wahl der Ratsmitglieder im Jahr 1971 lautstark eine Volksabstimmung und die Auflösung eines antagonistischen Kongresses gefordert.

Im Oktober 1972, als es der Wille und die Organisation der Arbeiterklasse waren, die das Land angesichts des Streiks der Bosse am Laufen hielten, als in der Hitze dieses Kampfes die ersten Cordones Industriales entstanden und Produktion, Versorgung und Transport dank der Opfer der Arbeiter aufrechterhalten wurden und der Bourgeoisie ein tödlicher Schlag versetzt wurde, habt ihr uns nicht vertraut, obwohl niemand das enorme revolutionäre Potenzial leugnen kann, das das Proletariat unter Beweis gestellt hat und ihm eine Lösung aufgezwungen habt, die ein Schlag ins Gesicht der Arbeiterklasse war, indem ihr ein zivil-militärisches Kabinett eingesetzt habt, mit dem erschwerenden Faktor, dass ihr zwei Führer der Central Única de Trabajadores in dieses Kabinett aufgenommen habt, die durch ihre Zustimmung, diesen Ministerien beizutreten, dazu geführt haben, dass die Arbeiterklasse das Vertrauen in ihr höchstes Organ verloren hat.

Ein Organ, das unabhängig von der Art der Regierung im Hintergrund bleiben musste, um etwaige Schwächen gegenüber den Problemen der Arbeiter zu verteidigen.

Trotz der daraus resultierenden Enttäuschung und Demobilisierung, der Inflation, der Warteschlangen und der tausend Schwierigkeiten, mit denen die Männer und Frauen des Proletariats täglich konfrontiert waren, bewiesen sie bei den Wahlen im März 1973 erneut ihre Klarheit und ihr Gewissen, indem sie 43 % der Stimmen der Militanten an die Kandidaten der Unidad Popular gaben.

Auch dort, Genosse, hätten die Maßnahmen ergriffen werden müssen, die das Volk verdient und gefordert hat, um es vor der Katastrophe zu bewahren, die wir jetzt vorhersehen.

Und bereits am 29. Juni, als die sich auflehnenden Generäle und Offiziere, die mit der Nationalen Partei, Frei und Patria y Libertad verbündet waren, sich offen in eine Position der Illegalität begaben, hätten die sich auflehnenden Anführer enthauptet werden können, und mit dem Volk im Rücken und den loyalen Generälen und den Kräften, die ihnen damals gehorchten, die Verantwortung übertragen, hätte der Prozess zum Sieg geführt werden können, sie hätten in die Offensive gehen können.

Was bei all diesen Gelegenheiten fehlte, war Entschlossenheit, revolutionäre Entschlossenheit; was fehlte, war Vertrauen in die Massen; was fehlte, war das Wissen um ihre Organisation und Stärke; was fehlte, war eine entschlossene und hegemoniale Avantgarde.

Jetzt sind wir Arbeiter nicht nur misstrauisch, wir sind alarmiert.

Der rechte Flügel hat einen so mächtigen und gut organisierten Terrorapparat aufgebaut, dass es keinen Zweifel daran gibt, dass er von der CIA finanziert und (ausgebildet) wird. Sie töten Arbeiter, sie sprengen Ölpipelines, Busse und Eisenbahnen in die Luft.

Sie verursachen Stromausfälle in zwei Provinzen, sie greifen unsere Anführer und die Sitze unserer Parteien und Gewerkschaftften/Syndikate an.

Werden sie bestraft oder verhaftet?

Nein, Genosse!

Die linken Anführer werden bestraft und verhaftet.

Die Pablos Rodríguez, die Benjamin Matte, bekennen sich offen dazu, am „Tanquetazo“ (dem Panzerprotest) teilgenommen zu haben.

Werden sie überfallen und gedemütigt?

Nein, Genosse!

Lanera Austral in Magallanes wird überfallen, wo ein Arbeiter ermordet wird und die Arbeiter stundenlang im Dunkeln gelassen werden.

Die Spediteure legen das Land lahm und lassen bescheidene Häuser ohne Paraffin, ohne Lebensmittel, ohne Medikamente zurück.

Werden sie gedemütigt, unterdrückt?

Nein, Genosse!

Die Arbeiter von Cobre Cerrillos, Indugas, Cemento Melón und Cervecerías Unidas werden gedemütigt. Frei, Jarpa und ihre Kohorten, finanziert von ITT, rufen offen zum Aufruhr auf.

Werde sie ihrer Rechte beraubt, werde sie verfolgt?

Nein, Genosse!

Palestro, Altamirano, Garretón werden verfolgt, diejenigen die die Rechte der Arbeiterklasse verteidigen werden ihrere Rehte beraubt.

Am 29. Juni erhoben sich Generäle und Offiziere gegen die Regierung, beschossen den Palacio de la Moneda stundenlang mit Maschinengewehren und hinterließen 22 Tote.

Wurden sie erschossen, wurden sie gefoltert?

Nein, Genosse!

Die Matrosen und Unteroffiziere, die die Verfassung, den Willen des Volkes und dich, Genosse Allende, verteidigten, wurden auf unmenschliche Weise gefoltert.

Patria y Libertad stachelte den Putsch an.

Wurden sie verhaftet, wurden sie bestraft?

Nein, Genosse! Sie halten weiterhin Pressekonferenzen ab, sie erhalten sicheres Geleit, um im Ausland Verschwörungen zu schmieden.

Während Sumar dem Erdboden gleichgemacht wird, wo Arbeiter und Pobladores sterben, und die Bauern von Cautín, die die Regierung verteidigen, den unerbittlichsten Strafen ausgesetzt sind, werden sie an den Füßen aufgehängt in Hubschraubern über den Köpfen ihrer Familien vorgeführt, bis sie getötet werden.

Sie greifen euch an, Genossen, unsere Anführer, und durch sie die Arbeiterklasse als Ganzes, auf die unverschämteste und zügelloseste Weise durch die rechten Medien, die über Millionen verfügen.

Werden sie vernichtet, zum Schweigen gebracht?

Nein, Genosse!

Die linken Medien, Canal 9 de TV, die letzte Chance der Arbeiter, sich Gehör zu verschaffen, werden zum Schweigen gebracht und zerstört.

Und am 4. September, dem dritten Jahrestag der Arbeiterregierung, als eine Million vierhunderttausend Menschen auf die Straße gingen, um sie zu begrüßen und unsere revolutionäre Entscheidung und unser revolutionäres Bewusstsein zu zeigen, führte die Fach eine Razzia bei Mademsa, Madeco und Rittig durch, eine der dreistesten und inakzeptabelsten Provokationen, ohne dass es eine sichtbare Reaktion gab.

Aus all diesen Gründen, Genosse, sind wir Arbeiter in einem Punkt mit Herrn Frei einverstanden, dass es hier nur zwei Alternativen gibt: die Diktatur des Proletariats oder die Militärdiktatur.

Natürlich ist Herr Frei auch naiv, weil er glaubt, dass eine solche Militärdiktatur nur vorübergehend wäre und ihn letztlich zum Präsidentenamt führen würde.

Wir sind fest davon überzeugt, dass der Reformismus, der durch den Dialog mit denen angestrebt wird, die immer wieder Verrat begangen haben, historisch gesehen der schnellste Weg zum Faschismus ist.

Und wir Arbeiter wissen bereits, was Faschismus ist. Bis vor kurzem war es nur ein Wort, das nicht alle von uns verstanden haben. Wir mussten auf Beispiele aus nah und fern zurückgreifen: Brasilien, Spanien, Uruguay usw.

Aber wir haben ihn bereits am eigenen Leib erfahren, bei den Razzien, bei dem, was mit Matrosen und Unteroffizieren geschieht, bei dem, was unsere Gefährten bei Asmar und Famae erleiden, die Bauern von Cautín.

Wir wissen bereits, dass Faschismus bedeutet, alle Errungenschaften der Arbeiterklasse, der Arbeiterorganisationen, der Gewerkschaften/Syndikate, das Streikrecht, die Forderungskataloge zu beenden.

Arbeiter, die die grundlegendsten Menschenrechte fordern, werden entlassen, inhaftiert, gefoltert oder ermordet.

Wir glauben, dass wir nicht nur auf einen Weg geführt werden, der uns mit schwindelerregender Geschwindigkeit in den Faschismus führt, sondern dass uns auch die Mittel genommen wurden, uns zu verteidigen.

Deshalb fordern wir, dass Sie, Genosse Präsident, sich an die Spitze dieser wahren Armee ohne Waffen stellen, die jedoch in Bezug auf Gewissen und Entscheidungen mächtig ist, dass die proletarischen Parteien ihre Differenzen beilegen und zur wahren Avantgarde dieser organisierten, aber führerlosen Masse werden.

Wir fordern:

1/ Als Reaktion auf den Streik der Transportarbeiter die sofortige Beschlagnahmung von Lastwagen ohne Rückgabe durch die Massenorganisationen und die Gründung einer staatlichen Transportgesellschaft, damit die Möglichkeit, das Land lahmzulegen, nie wieder in den Händen dieser Banditen liegt.

2/ Angesichts des kriminellen Streiks der Medizinischen Vereinigung fordern wir, dass das Gesetz über die innere Sicherheit des Staates auf sie angewendet wird, damit das Leben unserer Frauen und Kinder nie wieder in den Händen dieser Söldner der Gesundheit liegt. Alle Unterstützung für die patriotischen Ärzte.

3/ Angesichts des Streiks der Händler dürfen wir nicht den Fehler vom Oktober wiederholen, als wir deutlich machten, dass wir sie als Gewerkschaft/Syndikat nicht brauchen. Es muss verhindert werden, dass diese Schmuggler in Zusammenarbeit mit den Transportunternehmen versuchen, die Bevölkerung durch Aushungern gefügig zu machen. Die direkte Verteilung, Volksläden und der Grundnahrungsmittelkorb müssen ein für alle Mal eingeführt werden.

Die Lebensmittelindustrie, die sich noch in den Händen der Bevölkerung befindet, muss in den sozialen Sektor überführt werden.

4/ Zum sozialen Sektor: Nicht nur sollte kein Unternehmen wiederhergestellt werden, wenn die Mehrheit der Arbeiter seine Verstaatlichung wünscht, sondern dies sollte zum vorherrschenden Wirtschaftssektor werden.

Es sollte eine neue Preispolitik eingeführt werden.

Die Produktion und der Vertrieb der Industrien im sozialen Sektor sollten diskriminiert werden. Keine Luxusproduktion mehr für die Bourgeoisie. In ihnen sollte eine echte Arbeiterkontrolle ausgeübt werden.

5/ Wir fordern die Aufhebung der Waffenkontrollgesetze. Dieses neue „verdammte Gesetz“ hat nur dazu gedient, die Arbeiter zu demütigen, mit Razzien in Industrien und Poblaciones, und wird als Generalprobe für die (reaktionären) Sektoren der Arbeiterklasse benutzt, um sie einzuschüchtern und ihre Anführer zu identifizieren.

6/ Angesichts der unmenschlichen Repression gegen die Matrosen von Valparaíso und Talcahuano fordern wir die sofortige Freilassung dieser heldenhaften Klassenbrüder, deren Namen bereits in die Geschichte Chiles eingegangen sind. Wir fordern, dass die Schuldigen identifiziert und bestraft werden.

7/ Die Folter und der Tod unserer Bauernbrüder von Cautín müssen thematisiert werden. Wir fordern ein öffentliches Verfahren und die entsprechende Bestrafung der Verantwortlichen.

8/ Höchststrafe für alle, die an Versuchen beteiligt sind, die rechtmäßige Regierung zu stürzen.

9/ Was den Konflikt beim Fernsehsender Canal 9 de TV betrifft, so darf dieses Medium der Arbeiter unter keinen Umständen übergeben oder verkauft werden.

10/ Wir protestieren gegen die Entlassung unseres Kollegen Jaime Faivovic, Unterstaatssekretär für Verkehr.

11/ Wir bitten euch, dem kubanischen Botschafter, Genosse Mario García Incháustegui, und allen kubanischen Genossen, die von der Elite der Reaktion verfolgt werden, unsere Unterstützung zu zeigen und ihm unsere proletarischen Viertel anzubieten, damit er dort seine Botschaft und seine Residenz errichten kann, als Dank an diese Menschen, die sogar so weit gegangen sind, sich selbst ihrer eigenen Brotration zu berauben, um uns in unserem Kampf.

Wir fordern die Ausweisung des US-Botschafters, der durch seine Vertreter, das Pentagon, die CIA und ITT, nachweislich Ausbilder und Geldmittel für die Rebellen bereitstellt.

12/ Wir fordern die Verteidigung und den Schutz von Carlos Altamirano, Mario Palestro, Miguel Henríquez und Oscar Garretón, die vom rechten Flügel und der Staatsanwaltschaft der Marine verfolgt werden, weil sie mutig die Rechte des Volkes verteidigen, mit oder ohne Uniform.

Wir warnen dich, Genosse, dass du mit dem Respekt und Vertrauen, das wir noch in dich haben, die einzige wirkliche Unterstützung verlieren wirst, die du als Person und als Anführer hast, wenn du das Programm der Unidad Popular nicht erfüllst und den Massen nicht vertraust. Du wirst dafür verantwortlich sein, das Land nicht in einen Bürgerkrieg zu führen, der bereits in vollem Gange ist, sondern in das geplante, kaltblütige Massaker an der bewusstesten und organisiertesten Arbeiterklasse Lateinamerikas. Und dass es die historische Verantwortung dieser Regierung sein wird, die mit so viel Opferbereitschaft von Arbeitern, Pobladores, Bauern, Studenten, Intellektuellen und Fachleuten an die Macht gebracht und dort gehalten wurde, zu zerstören und zu enthaupten, vielleicht in welchem Zeitrahmen und zu welchem blutigen Preis, nicht nur den chilenischen revolutionären Prozess, sondern auch den aller lateinamerikanischen Völker, die für den Sozialismus kämpfen.

Wir richten diesen dringenden Appell an Sie, Genosse Präsident, weil wir glauben, dass dies die letzte Chance ist, den Verlust des Lebens von Tausenden und Abertausenden der Besten der chilenischen und lateinamerikanischen Arbeiterklasse zu vermeiden.

Coordinadora Provincial de Cordones Industriales / Comando Provincial de Abastecimiento Directo / Frente Único de Trabajadores en Conflicto.


1Das erklärte Ziel dieses Streiks, bei dem die „Rechten“ die Kleinbourgeoisie und auch die arbeitenden Massen (die keinen Grund hatten, mit den Linken übereinzustimmen) für ihre eigenen Zwecke mobilisierten, war eindeutig der Kampf gegen die „Linken“ in der Regierung. Eine Analyse der Kämpfe zwischen den Fraktionen der Bourgeoisie sollte diese Faktoren hervorheben. Uns interessieren hier nur die Auswirkungen auf die Arbeiterklasse, da wir uns grundsätzlich (was grundlegend und daher verdeckter ist) mit dem Widerspruch zwischen Bourgeoisie und Proletariat befassen.

2Es ist vielleicht erwähnenswert, dass dieser „Sozialist“, ein Freund Allendes, der treu zu Allende in der Moneda starb, einer der Anführer war, die für die Verteilung von Waffen an die Arbeiter im Falle eines „faschistischen Putsches“ verantwortlich waren. Ironie oder Tragödie?

3In der Ausgabe vom 15. August 1972 heißt es: „Der direkte Schuldige dieses schwerwiegenden Ereignisses ist der Reformismus, dessen negative Rolle so weit geht, dass er einen Repressionsapparat für seine eigenen Zwecke einsetzt, der seit vielen Jahren das Fleisch des Volkes zerfrisst …“ Und im selben Text heißt es: „… wir beziehen uns auf den konterrevolutionären Faktor, den der Reformismus darstellt.“

4Ebenda.

5Ebenda.

6Ebenda.

7Einige von ihnen entstanden früher und waren fast geheim. Ihre Reproduktion und gesellschaftliche Bestätigung erfolgt unter diesen Umständen.

8Die MIR hatte bereits die Losung der „Arbeiterräte“ ausgegeben.

9Punto Final 7/11/72. Die fettgedruckten Wörter sind von uns.

10Ebenda.

]]> Chile: 1972-1973: Revolution und Konterrevolution https://panopticon.blackblogs.org/2025/02/03/chile-1972-1973-revolution-und-konterrevolution/ Mon, 03 Feb 2025 11:27:13 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6158 Continue reading ]]>

Von uns übersetzt. Hier eine weitere Kritik und eine historische Aufarbeitung des sogenannten „chilenischen Weg für den Sozialismus“ und warum man weder den Staat, das Kapital, die Armee… mit dem Staat, das Kapital und der Armee zerstören kann.


Chile: 1972-1973: Revolution und Konterrevolution

Mike González

Am 27. Oktober 1972 hielten die LKW-Fahrer ihre Fahrzeuge in einem bewussten Akt der Feindseligkeit an. Sie waren keine Lohnabhängige, sondern Eigentümer von LKWs, einige von ihnen mit großen Flotten, die Waren auf den Straßen dieses langen und schmalen Landes transportierten. Es war ein Streik der Geschäftsführung.

Aufgrund der begrenzten Größe des nationalen Schienennetzes spielten diese LKW-Flotten eine entscheidende ökonomische Rolle und besaßen echte Macht1, sollten sie sich dafür entscheiden, diese zu nutzen. Im Oktober lieferte die Entscheidung der Regierung, ein kleines Transportunternehmen im äußersten Süden des Landes, in Aisen, zu verstaatlichen, den Vorwand für die Unruhen. Die Entscheidung zum Streik wurde von León Vilarín, dem Anführer der LKW-Fahrer-Organisation, bekannt gegeben. Vilarín selbst, ein Anwalt, war ein bekannter rechtsextremer Politiker.2 Der Streik war nicht einfach das Ergebnis einer kleinen Verschwörung. Er war eine Schlüsselbewegung innerhalb einer Strategie, in der die Lkw-Fahrer die Rolle einer Stoßtruppe für eine Klasse spielen sollten, die entschlossen war, die Kontrolle über den chilenischen Staat wiederzuerlangen, die sie ihrer Meinung nach verloren hatte.

Der Streik im Oktober leitete eine Phase dieser politischen und ökonomischen Strategie ein. In den Monaten zuvor hatte es eine zunehmende Mobilisierung der Mittelklasse und einige politische Siege gegen die Regierung gegeben. Im Oktober waren die Anführer der rechten Opposition zu dem Schluss gekommen, dass die Zeit reif war, in die Offensive zu gehen und die Regierung zu stürzen.

Als dies geschah, nahmen die Ereignisse eine unerwartete Wendung, sowohl für die chilenische Bourgeoisie als auch für die Regierung von Salvador Allende. Allendes Sieg bei den Präsidentschaftswahlen 1970 setzte die gesamte Kette von Ereignissen in Gang. Allende war durch die Kämpfe der Arbeiterklasse an die Macht gekommen, auf die die Bourgeoisie nicht hatte reagieren können.

Nachdem Allende im Dezember 1970 offiziell das Präsidentenamt übernommen hatte, begann er mit einer Reihe von eher begrenzten sozialen und ökonomischen Reformmaßnahmen. An sich waren die Reformen nur für die Sektoren, die am engsten mit der herrschenden Klasse verbunden waren, ein Affront.3

Die chilenische Bourgeoisie sah in diesen Reformen jedoch eine politische Bedrohung, und zwar nicht so sehr wegen ihres Inhalts, sondern wegen des Kontextes, in dem sie umgesetzt wurden. Allendes Wahl war das Ergebnis eines wachsenden politischen Vertrauens der Arbeiterklasse, und der Sieg stärkte dieses Vertrauen und seine Stärke. In den ersten neun Monaten der neuen Regierung war die politische Führung der Bourgeoisie in Aufruhr: Ihre politische Reaktion beschränkte sich auf Blockaden bei Gerichten und im Parlament sowie auf Protestaktionen und Demonstrationen der Unzufriedenheit mit dem Ziel, ihre eigene Klasse neu zu organisieren.

Doch gegen Ende des Jahres 1972 schätzten aktive rechte Anführer wie Vilarín ein, dass die Unterstützung der Arbeiterklasse für Allende nachließ. Die ökonomischen Ereignisse des ersten Jahres waren einer wachsenden ökonomischen Krise gewichen, die sich in Inflation, sinkenden Investitionen und absichtlich gedrosselter Produktion manifestierte.4 Allendes Regierung geriet zunehmend in Konflikt mit den Arbeitern und Bauern, die sie unterstützt hatten, während sie mit zunehmender Verzweiflung versuchte, der Bourgeoisie zu versichern, dass sie bereit sei, bei allen durchzuführenden Reformen Zugeständnisse zu machen. Die ökonomische Situation wurde immer schwieriger und die Verteidigungsstrategien der herrschenden Klasse – im Grunde eine systematische Verringerung von Produktion und Verteilung, zusammen mit einer Investitionsverweigerung – wichen nun einem solideren Versuch, ökonomisches Chaos zu schaffen.

Der Streik der LKW-Fahrer war Teil dieser Bemühungen. Dies wäre vielleicht nicht passiert, wenn die Arbeiterklasse einen politischen Sprung nach vorne gemacht und die Kontrolle über die Straßen und Fabriken übernommen hätte. Zweimal in weniger als zwölf Monaten ergriffen Organisationen der Arbeiterklasse die politische Initiative und besiegten die Bourgeoisie, die in direkter Konfrontation mobilisiert wurde. Und zweimal zeigten die traditionellen politischen Anführer der Arbeiter, die sich die Kontrolle über den Staat mit Salvador Allende teilten, dass sie selbst mehr Angst vor der Stärke und Organisation der chilenischen Arbeiter hatten als vor ihren Klassenfeinden.

Die Ereignisse in Chile stellen ein dramatisches Paradoxon dar. Die Arbeiterklasse übte ihre Macht direkt zur Verteidigung ihrer Errungenschaften aus. Als diese Verteidigung zu wachsen begann, wurde sie zu einer Herausforderung für den bourgeoisen Staat selbst. Die traditionelle politische Führung der Arbeiterbewegung reagierte darauf, indem sie das Militär zur Wiederherstellung der Staatsmacht aufrief.

In diesem Kontext traf die herrschende Klasse, die in Angst und Schrecken versetzt war, die barbarischste und brutalste Entscheidung im Klassenkampf: den Militärputsch vom 11. September 1973.

In den Jahren nach dem Putsch wurde das chilenische Beispiel weltweit sowohl von kommunistischen Parteien als auch von Sozialdemokraten als Beweis dafür herangezogen, dass unter den damaligen Bedingungen jeder Veränderungsprozess von der Zustimmung der Bourgeoisie abhängig gemacht werden müsse: der „historische Kompromiss“. Tatsächlich wurde Chile damals als Rechtfertigung dafür herangezogen, dass diese Parteien den Kampf um die Machtübernahme durch die Arbeiterklasse aufgaben.5

Die Schlussfolgerung, die diese Parteien vorschlugen, beinhaltete die Verfälschung und Umschreibung der tatsächlichen Erfahrungen dieser dramatischen Periode des Klassenkampfes.

Die begrenzten Versprechen der Unidad Popular

Salvador Allende war als Vertreter einer Sechs-Parteien-Koalition namens Unidad Popular (UP) an die Macht gekommen. Es war sein sechster Auftritt als Kandidat einer breiten Front dieser Art. Die wichtigsten Bestandteile der UP waren die Sozialistische Partei, der Allende angehörte, und die Kommunistische Partei Chiles. Beide Organisationen konnten mit Recht behaupten, die politische Führung der chilenischen Arbeiterklasse zu sein. Die Hegemonie dieser Parteien war das Ergebnis einer Geschichte proletarischer Kämpfe, die mit den heldenhaften Streiks der Salzbergarbeiter im ersten Jahrzehnt des Jahrhunderts begann.

Die Kommunistische Partei Chiles wurde 1920 von Luis Emilio Recabarren gegründet, einem der beiden wichtigsten revolutionären Organisatoren in Lateinamerika. Die Sozialistische Partei,6die Anfang der 1940er Jahre gegründet wurde, beanspruchte ebenfalls revolutionäre Referenzen: Tatsächlich proklamierte sie noch 1970 in ihrer Satzung ihr Engagement für den bewaffneten Sturz des kapitalistischen Staates. Beide Parteien hatten sich jedoch eindeutig für Wahlbündnisse ausgesprochen und bei jeder Präsidentschaftswahl, alle sechs Jahre, breite Frontorganisationen gebildet. Ihre Wurzeln in der Arbeiterklasse waren jedoch tief, und das war es, was Allende bei den Wahlen von 1970 36 % der Stimmen einbrachte.

Nachdem Allende offensichtlich keine Mehrheit bei den Wahlen gewinnen konnte, wurde der Sieg der Unidad Popular oft auf die Spaltungen innerhalb der Bourgeoisie zurückgeführt.7 Sicherlich waren bourgeoise Organisationen nach dem Scheitern der „Revolution in Freiheit“ in interne Streitigkeiten und Fraktionskämpfe verfallen: das von der christdemokratischen Regierung von Eduardo Frei (1964-1970) versprochen hatte. Eine Erklärung, die sich auf die Probleme der Bourgeoisie stützt, ignoriert jedoch die aktive Rolle der Arbeiterklasse.

Die Unfähigkeit der Regierung Frei, die versprochenen Reformen durchzuführen, hatte eine zunehmend militante Arbeiterbewegung in Gang gesetzt.

So fiel 1967 die Aufhebung des Verbots ländlicher Gewerkschaften/Syndikate durch die Regierung mit der Verabschiedung des Gesetzes zur Bodenreform durch das Parlament zusammen. Diese Maßnahme stieß auf den unnachgiebigen Widerstand der ländlichen Grundbesitzeroligarchie, einer Klasse, der sich Frei weder stellen wollte noch konnte.

Die Landreform, die eine stabile Klasse von Kleinbauern schaffen sollte, zielte darauf ab, die Spannungen auf dem Land abzubauen. Das Ergebnis war das genaue Gegenteil. Diejenigen, die gehofft hatten, von der Landreform zu profitieren, und aus diesem Grund für die Christdemokraten gestimmt hatten, fühlten sich betrogen. Landlose Bauern, denen nichts versprochen worden war, hatten bereits mit einer Welle von Landbesetzungen begonnen.

Frei hatte industrielles Wachstum versprochen, und dieses Versprechen zog die arbeitslosen Landbewohner in die Stadt. Massen von Landbewohnern hatten sich zuvor in Arbeitervierteln niedergelassen, leere Grundstücke besetzt und bewohnt und begonnen, sich zu organisieren und für ihr Recht auf Wohnraum und Grundversorgung zu kämpfen.8 Diese Organisationen sollten bei den Ereignissen von 1972–1973 eine wichtige Rolle spielen.

Sowohl die landlosen Bauern als auch die obdachlosen Einwanderer standen außerhalb der traditionellen Arbeiterorganisationen und ihrer politischen Führung. Sie waren daher offen für den politischen Einfluss eines radikalisierten dritten Sektors der damaligen Zeit, der Studentenbewegung. In den Jahren 1968-1969 hatte sich in Chile eine große Bewegung für eine Bildungsreform entwickelt, die in einer großen Demonstration in Santiago, der Hauptstadt des Landes, gipfelte. Aber auch andere Strömungen flossen in diese Bewegung ein. Eine Generation junger Revolutionäre war von der Kubanischen Revolution von 1959 und der von Che Guevara verkörperten Revolutionsromantik beeinflusst worden. In Chile fand diese Strömung 1965 ihren Ausdruck in der Gründung der MIR – Movimiento de Izquierda Revolucionaria (Revolutionären Linken Bewegung).

Die reformistischen Experimente von Frei hatten versucht, eine nicht revolutionäre Alternative zu schaffen, aber ihr Scheitern führte schließlich zur Bildung einer zweiten Gruppe radikalisierter junger Reformer: Sie organisierten sich in der MAPU – Movimiento de Acción Popular Unificada (Bewegung der Unitaren Volksaktion), die Teil der christlichen Linken war.9 Ihre Hauptanstrengung galt der Organisation des Landreformprogramms. Als die Regierung Frei ihr Engagement für dieses Programm aufzugeben schien, schloss sich die MAPU der UP an.

Die Krise der Regierung Frei hatte keine Auswirkungen auf Sektoren, die zuvor nicht organisiert waren. Innerhalb der Sozialistischen Partei kam es zu einer lang anhaltenden politischen Spaltung in einer Debatte darüber, was im Mittelpunkt der Parteiaktivitäten stehen sollte: gewerkschaftliche/syndikalistische Organisation oder Parlamentswahlen.10 Diese Debatte kam nicht zufällig wieder auf, sondern aufgrund des Drucks, der die Entwicklung der Arbeiterbewegung bestimmte.

1968 hatte der chilenische Gewerkschaftsbund CUT einen landesweiten Streik ausgerufen, um gegen die Streikfeindlichkeit der Regierung Frei zu protestieren. Die Ereignisse während des Streiks steigerten die Kampfbereitschaft der Arbeiterklasse. Zwischen 1968 und 1969 mussten die Arbeiter eine Preissteigerung von rund 50 % hinnehmen, die Arbeitslosigkeit stieg und die Regierung reagierte zunehmend repressiv. Die Zahl der Streiks stieg von 1.939 Streiks, an denen 1969 etwa 230.725 Arbeiter teilnahmen, auf 5.995 Streiks, an denen 1970 etwa 316.280 Arbeiter teilnahmen.

So war die Stimmung im Jahr 1970, als Allende die Präsidentschaftswahlen gewann. Das politische Programm der UP versuchte, die gegensätzlichen Interessen der sozialen Kräfte, die die Koalition stützten, miteinander in Einklang zu bringen. Allende schlug jedenfalls vor, nur solche Reformen durchzuführen, die auf der Grundlage der bestehenden Gesetzgebung und mit Zustimmung des von der Rechten dominierten Kongresses umgesetzt werden konnten. Das schränkte die Möglichkeiten in der Realität stark ein und ermöglichte es der Rechten, das Tempo des Wandels zu bestimmen. Angesichts dieser eindeutig wahlkampforientierten Perspektiven würde Allende nichts tun, was dazu führen würde, dass er die Wähler der Mittelklasse aus den viel gepriesenen „Sektoren der Mitte“ verlieren würde, die eine parlamentarische Mehrheit bilden könnten. Paradoxerweise konnte er diese Stimmen nur gewinnen, wenn die Regierung ihre Fähigkeit, die Aktivitäten der Arbeiterklasse zu zügeln, deutlich unter Beweis stellte.

In ökonomischer Hinsicht versuchte die UP, Freis unvollständiges Wachstums- und Modernisierungsprogramm durch erhöhten Konsum mittels einer allgemeinen Lohnerhöhung zu vervollständigen und so einen Großteil der brachliegenden Industriekapazitäten Chiles zu reaktivieren. In der Landwirtschaft verpflichtete sich Allende, das Agrarreformgesetz von 1967 umzusetzen, ohne etwas zu ändern, einschließlich der Rücklagen für großzügige Entschädigungen an die Eigentümer, und garantierte ihnen, dass sie die 202 reichsten Hektar für den Eigenbedarf sowie die besten ihrer landwirtschaftlichen Maschinen behalten konnten.

Das zentrale Element des UP-Pakets war die entschädigungslose Verstaatlichung der in US-Besitz befindlichen Kupferminen.11 Die US-Unternehmen hatten seit mehreren Jahren nichts mehr investiert, und die Verstaatlichung durch die Regierung Allende ermöglichte es ihr, die Kontrolle über die wichtigste Exportindustrie Chiles zu übernehmen. Andererseits und zur gleichen Zeit, als das UP-Programm die Verstaatlichung der wichtigsten Industrie- und Finanzinteressen des Landes umfasste, beließ es die Mehrheit der Unternehmen in privater Hand.12 Die UP hoffte, nur 150 der 3.500 Industrieunternehmen in den staatlichen Sektor zu überführen, wobei letztere 40 % der Gesamtproduktion ausmachten, und selbst diese Zahl wurde später noch reduziert.

Das Programm der UP war nicht revolutionär, obwohl die halbe Welt glaubte, Chile habe seinen ersten „marxistischen“ Präsidenten gewählt. Sein Inhalt unterschied sich kaum von Freis Reformprogramm, das einem orthodoxen keynesianischen Plan zur Reaktivierung der Ökonomie folgte. Es stellte keine Herausforderung für die Bereiche des Privatkapitals dar. Im Gegenteil, es bot der industriellen Bourgeoisie eine Reihe von Garantien und sah großzügige Entschädigungen für Landbesitzer vor.

Der eigentliche Unterschied zwischen der UP und Frei bestand in der Beziehung zwischen der UP und der Arbeiterklasse. Ihr Hauptbeitrag zur Erholung des chilenischen Kapitalismus bestand darin, dass sie die Arbeiterklasse kontrollieren und die Unterstützung der Arbeiter für das ökonomische Wachstumsprogramm fordern konnte.

Doch dies reichte nicht aus, um den Argwohn der Bourgeoisie zu zerstreuen. Und als letzten Beweis für seinen Respekt vor dem bourgeoisen Staat und sein Engagement für dessen Überleben akzeptierte Allende ein „Statut der Garantien“, um die Erlaubnis der rechten Parteien zur Übernahme der Präsidentschaft zu erhalten.13 In diesem Dokument wurde versprochen, dass Allendes Regierung den Staat und seine Strukturen respektieren und alle Instrumente, die die Bourgeoisie zur Verteidigung ihrer Klasseninteressen entwickelt hatte, intakt lassen würde: das Bildungssystem, die Kirche, die Medien und die Streitkräfte. Das Statut wurde praktisch geheim gehalten und den Anhängern der UP nie vorgelegt. Seine Existenz lässt die Aussagen einiger Theoretiker der Kommunistischen Partei zynisch und opportunistisch erscheinen, die UP habe „an der Macht teilgenommen“, von wo aus sie einen Angriff auf die verbleibenden Institutionen des Staates starten könne. In Realität war das Statut ein Versprechen, keine grundlegende Umgestaltung der chilenischen Gesellschaft vorzunehmen.

Ebenso ging die Strategie der UP von einer Zusammenarbeit zwischen Privatkapital und Staat aus, um ökonomisches Wachstum zu erzielen. Einige Banken und Versicherungsgesellschaften sowie die Kupferminen sollten verstaatlicht werden, aber die Regierung würde dem Privatkapital eine Reihe staatlicher Subventionen anbieten. Das langfristige Ziel war eine gemischte Ökonomie aus drei Sektoren: Staat, Privatwirtschaft und gemischt.

Die Strategie der UP beinhaltete eindeutig eine parallele Zusammenarbeit auf politischer Ebene. Als Allende in seiner Antrittsrede von „Volksmacht“ sprach, bezog er sich sicherlich nicht auf eine Basisinitiative oder einen Kampf der Arbeiter um die Macht.14 Allendes „Statut der Garantien“ und der ständige Dialog mit der Bourgeoisie sowie seine ständigen Appelle an die Arbeiterklasse, Ruhe und Selbstdisziplin zu wahren, überließen die politische Initiative der Bourgeoisie.

Organisationen, wie sie in den ersten Monaten des Jahres 1971 mit Unterstützung der Regierung gegründet wurden, waren im Wesentlichen Instrumente zur Umsetzung oder zur Unterstützung von Regierungsmaßnahmen: wie im Fall der Juntas de Abastecimiento y Control de Precios – JAP (Versorgungs- und Preiskontrollausschüsse) oder der „Kerne“ der UP, ihre Komitees. Offensichtlich bezog sich Allende in seinen ersten Monaten als Regierungschef häufig auf die „Volksmacht“, was bedeutete, dass die Entscheidungen der UP-Führung bedingungslos akzeptiert wurden.

Gerüchte über Unzufriedenheit

Während seines ersten Regierungsjahres blieb Allendes Glaubwürdigkeit praktisch unangetastet. Unter der Oberfläche brodelte es jedoch vor ungelösten Spannungen. Da sein Wahlsieg die Antwort auf einen zunehmenden Kampf gewesen war, hegte er auch die Vorstellung, dass es möglich sei, durch Kampf zu Errungenschaften zu gelangen. Viele Arbeiter- und Bauerngruppen konnten nicht verstehen, warum Allendes Einzug in den Präsidentenpalast zu einer Demobilisierung führen sollte. Landlose Bauernorganisationen beispielsweise vertrauten auf das Versprechen der UP, eine Agrarreform durchzuführen, und intensivierten ihre Landbesetzungen. Im Mai 1971 forderte Allende dazu auf, die Landbesetzungen einzustellen und den Rechtsweg zu beschreiten. Er forderte auch die Führung der MIR auf, die Einfluss auf die Bauernorganisationen und die Bewohner der Peripherie hatte, und tadelte sie dafür, dass sie außerhalb des gesetzlichen Rahmens handelten.

Zu dieser Zeit war Allende bereit, dieses Thema zu diskutieren, aber seine Angriffe und die seiner Genossen auf diese und andere unabhängige Initiativen nahmen im Laufe des ersten Jahres zu. Die Arbeiterorganisationen hingegen zeigten im Allgemeinen mehr Gehorsam. In der ersten Hälfte des Jahres 1971 kam es nur zu wenigen Zusammenstößen zwischen den organisierten Arbeitern und der Regierung.

Dies lag zum einen daran, dass die UP-Parteien die Gewerkschaften/Syndikate fest im Griff hatten, und zum anderen daran, dass die Mitglieder der Gewerkschaften/Syndikate die Hauptnutznießer der Lohnerhöhungen und der neuen Arbeitsplätze waren, die sich aus dem ökonomischen Aufschwung ergaben. Im ersten Jahr stiegen die Löhne der Arbeiter um etwa 38% und die der Angestellten um etwa 120%. Die Arbeitslosigkeit sank unter 10% und das BIP wuchs um etwa 8%.15

Die relative Ruhe der ersten Monate war die Ruhe vor dem Sturm. Die Bourgeoisie leckte nur ihre Wunden und wartete auf den richtigen Moment für einen Gegenangriff. Die chilenischen Industriellen hatten das Jahr 1971 nicht ungenutzt verstreichen lassen, sie exportierten alles, was ihr Kapital ihnen erlaubte, und reinvestierten nichts. In vielen Fällen waren staatliche Subventionen die einzigen Gelder, die in die Fabriken flossen.16 Der steigende Lebensstandard der Arbeiter führte zu einem dramatischen Anstieg der Verbrauchernachfrage, und die daraus resultierende Produktknappheit wurde durch die systematische Bevorratung von Waren durch die Mittelklasse noch verschärft. Die Atmosphäre von Knappheit und Unsicherheit bot der Bourgeoisie die Umstände, um Allende zum ersten Mal herauszufordern.

Der Zeitpunkt war sorgfältig gewählt. Im November 1971 besuchte Fidel Castro Chile. Am zweiten Tag seines Besuchs wurde er von einer Demonstration begrüßt, dem „Marsch der leeren Töpfe“. Organisiert von den rechten Parteien gingen Hunderte Frauen der Mittelklasse mit leeren Töpfen auf die Straße, um den Mangel zu symbolisieren. Die Ironie dabei ist, dass viele von ihnen ihre Bediensteten mitbrachten, wahrscheinlich um ihnen beim Tragen der Töpfe zu helfen, die nur wenige dieser Damen jemals benutzt hatten.

Hinter diesen Protesten gegen die Warenknappheit standen jedoch andere, weitreichendere Ziele: die Mittelklasse zu mobilisieren, die Bourgeoisie auf internationaler Ebene auf die bevorstehenden Kämpfe aufmerksam zu machen und die Skepsis der Bourgeoisie gegenüber der Fähigkeit der UP, die Arbeiterklasse im Zaum zu halten, zum Ausdruck zu bringen.

Letzteres war durchaus begründet, denn trotz der Aufrufe der UP und ihrer kaum verhüllten Angriffe auf Streikende und Hausbesetzer war es Allende nicht gelungen, die Arbeiterbewegung im Land unter Kontrolle zu bringen. Zwischen Januar und Dezember 1971 gab es 1.758 Streiks und 1.278 Landbesetzungen.17

Die Parteien der Bourgeoisie reagierten mit Angriffen auf die Regierung, indem sie den Sturz des Innenministers José Toha anstrebten und Verstaatlichungsmaßnahmen im Parlament blockierten. Außerhalb des Parlaments beschwerten sie sich über die „illegalen Besetzungen [die nicht] das Werk der Ultralinken [seien]; es handele sich auch um spontane Aktionen von Gruppen von Bauern, Arbeitern und Bergleuten“.18

Seltsamerweise waren sich Allende und seine Gegner in dem Punkt einig, dass die größte Gefahr für den Dialog, auf dem seine Strategie basierte, die eigenständige Aktion der Arbeiterklasse selbst war. Der ökonomische Plan der UP für 1972 wurde ausführlich mit Oppositionsgruppen und mit Organisationen von Fachleuten und Technokraten diskutiert. Der Plan wurde jedoch zu keinem Zeitpunkt öffentlich diskutiert oder den Gewerkschaften/Syndikate zur Genehmigung vorgelegt. Es war daher kaum überraschend, dass die Arbeiter auf das Wachstum des Schwarzmarktes, die Knappheit und die steigende Inflation mit der Wiederbelebung ihrer traditionellen Kampforganisationen – insbesondere der Gewerkschaften/Syndikate – reagierten, um die von ihnen erzielten Erfolge zu schützen.

Spaltungen in der Koalition

Zu Beginn des zweiten Regierungsjahres der UP lösten die Offensive der Rechten und die Reaktion der Arbeiter darauf eine neue Debatte aus. Da Allende auf diese Ereignisse mit der Beschwichtigung bourgeoiser Ängste reagierte, führte dies zu Spannungen in den Beziehungen zwischen der UP und ihren Anhängern und warf tiefgreifende Fragen über den sogenannten „chilenischen Weg zum Sozialismus“ auf. Innerhalb der UP gab es zwei sehr unterschiedliche Strategien, die eine Lösung erforderten. Sollte die UP die Arbeiter in ihrem Kampf um die Verteidigung ihres Lebensstandards unterstützen und die Bourgeoisie daran hindern, ihre Erfolge des Vorjahres zu untergraben, oder nicht? Und wenn die Antwort ja lautete, welche politische Strategie würde eine solche Unterstützung implizieren?

Dies war die zentrale Frage, die von den politischen Vertretern der UP-Organisationen diskutiert wurde, als sie sich im Februar 1972 auf einer Konferenz in El Arrayán und erneut auf der Konferenz in El Curro im Juni desselben Jahres trafen. Die Debatte über die zukünftige Strategie der UP konzentrierte sich auf die Frage „Konsolidieren oder Voranschreiten“.

Die Rechte plädierte dafür, den Reformprozess zu stoppen, das Erreichte zu konsolidieren und vor weiteren Schritten eine breitere Unterstützung durch die Wähler zu suchen. Dies würde den „chilenischen Weg zum Sozialismus“ für die Sektoren der Mittelklasse, denen die Rechte so viel Aufmerksamkeit widmete, effektiv belasten. Der linke Flügel befürwortete eine Beschleunigung des Reformtempos, eine Vertiefung des Verstaatlichungsprozesses und die Übernahme der Führung in den Kämpfen. Die Arbeiterklasse, so argumentierten sie, habe sich bereit gezeigt, den Kampf voranzutreiben: Würden ihre politischen Anführer es wagen, die Führung der Klasse zu übernehmen?

Während der gesamten Debatte schlug keine der Organisationen vor, außerhalb der UP zu handeln.19 Die Diskussion drehte sich immer darum, was die UP auf der Grundlage ihrer Position innerhalb des Staates tun sollte.

Die Kommunistische Partei und der rechte Flügel von Allendes Sozialistischer Partei argumentierten, dass die Regierung den Ausbau des staatlichen Sektors nicht vorantreiben sollte. Sie sollte ihre Bereitschaft zu Verhandlungen mit der Bourgeoisie bekräftigen und in der Praxis zeigen, dass sie die Arbeiterklasse kontrollieren könne. Und sie sollte einen breiten Konsens für ihre Politik anstreben. Ein solcher Kompromiss, so hoffte man, würde die Bourgeoisie dazu bringen, die bereits erzielten Errungenschaften zu respektieren, nachdem die Fakten das Gegenteil bewiesen hatten.

Die Argumente dagegen kamen von der MAPU, der christlichen Linken und der Linken der Sozialistischen Partei, mit Unterstützung der MIR, obwohl diese Organisation bei den Diskussionen nicht anwesend war. Die Linke wurde von der Notwendigkeit angetrieben, den öffentlichen Sektor zu erweitern, um das ursprüngliche Engagement der UP für die Verstaatlichung der 90 größten Unternehmen durch Regierungsbeschluss zu bekräftigen, wobei diese Zahl auf 43 reduziert worden war, und sie engagierte sich aktiv in einem ideologischen Kampf, um neue Unterstützung zu gewinnen.

Die Meinungsverschiedenheiten zwischen dem linken und dem rechten Flügel waren eher quantitativer als qualitativer Natur. Ihr „numerischer Radikalismus“ veranlasste sie nie dazu, die Beziehung zwischen Staat und Privatkapital oder die Kontrolle und Lenkung der Ökonomie als Ganzes in Frage zu stellen. Die gesamte Linke schien sich einig zu sein, dass „einige Macht“ gewonnen worden war, und niemand äußerte Bedenken hinsichtlich der anderen „Mächte“, die Allende der Bourgeoisie garantiert hatte. Dieses Thema wurde oft durch verwirrende Rhetorik angeheizt.

Die MAPU forderte die Regierung auf, „den Staatsapparat im Massenstil zu nutzen“. Dies konnte kaum eine alternative Politik darstellen. Die Unentschlossenheit der MAPU hatte sich bereits auf ihrer eigenen nationalen Konferenz im Januar 1972 gezeigt. Sie hatte einen neuen gemeinsamen Plan von CUT und UP zur Beteiligung an der Industrie energisch unterstützt, der in der Realität ein Weg zur Verstaatlichung war, und sich dem Rest der UP angeschlossen, um den „Ultra-Linken“ der MIR zu verurteilen. Wem galt ihre Loyalität letztendlich: dem linken oder dem rechten Flügel?20

Wenn man die Diskussionen und Debatten auf den UP-Konferenzen liest, stellt man ein wachsendes Gefühl der Unwirklichkeit fest. Die guten und bewegenden Reden ignorierten die Tatsache, dass die zukünftige Richtung des chilenischen politischen Prozesses außerhalb des Kongresses und weit weg vom Palacio de la Moneda bestimmt wurde. Bereits im Januar, vor der Konferenz in El Arrayán, hatte Allende der Forderung nach einer Entlassung José Tohas wegen Beleidigung der Streitkräfte nachgegeben und dessen Rücktritt akzeptiert.

Im März rief Kennecott, ein amerikanisches Kupferunternehmen, dessen chilenische Tochtergesellschaft verstaatlicht worden war, zu einem weltweiten Boykott von chilenischem Kupfer auf, und der christdemokratische Senator Carlos Hamilton legte dem Kongress den ersten einer Reihe von Anträgen vor, die darauf abzielten, jegliche künftige Verstaatlichung zu verhindern. Allende reagierte darauf so schwach, dass er sich im April gezwungen sah, einen versöhnlichen Schritt zur Linken der UP zu machen und als Geste an die Linke im Allgemeinen förmliche Gespräche mit der MIR aufzunehmen, obwohl er nicht die Absicht zeigte, seine strategischen Differenzen mit dieser Organisation beizulegen.

Am 12. Mai wurde in einem Vorfall in der großen Industriestadt Concepción deutlich, was noch kommen sollte. Eine rechtsgerichtete Studentenorganisation kündigte ihre Absicht an, durch die Stadt zu marschieren. Eine beträchtliche Anzahl linker Organisationen, darunter auch die MIR, riefen zu einer Gegendemonstration auf. Der kommunistische Bürgermeister erließ ein allgemeines Demonstrationsverbot und rief die Bereitschaftspolizei zur Niederschlagung der Demonstrationen herbei. Bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen kam ein MIR-Mitglied ums Leben. Die Reaktion der Regierung durch ihren kommunistischen Sprecher Daniel Vergara bestand darin, jegliche Gewalt zu verurteilen, egal ob von rechts oder von links.21

Ebenfalls im Mai lehnte ein nationaler Kongress der Textilarbeiter eine einfache Beteiligung der Arbeiter ab und forderte stattdessen die Kontrolle der Industrie durch die Arbeiter selbst. Die Reaktion darauf erfolgte im Juni mit der Ankündigung eines neuen Kabinetts der UP, dem Pedro Vuskovic, ein unabhängiger Linker, nicht angehörte. Seine öffentliche Identifikation mit einer Politik der Förderung von Verstaatlichungen hatte ihn zu einem bevorzugten Ziel der Rechten gemacht.

Im selben Monat fand in El Curro erneut die Strategiekonferenz der UP statt, bei der es der Rechten gelang, einen Sieg zu erringen. Einer der Gründe dafür war, dass die Linke keine klare Alternative zu bieten hatte, obwohl linke Sozialisten versuchten, in El Curro einige der Forderungen nach einer „Volksvollversammlung“ oder einer „Vollversammlung der Volksmacht“ zu diskutieren, die aus dem Textilarbeiterkongress hervorgegangen waren.22 Gleichzeitig nahm die UP-Konferenz ihre Gespräche mit den Christdemokraten wieder auf (sie waren einen Monat zuvor vorübergehend ausgesetzt worden) und bekräftigte ihr Engagement für die Wahrung des sozialen Friedens und der Rechtsstaatlichkeit. Was dies in der Praxis bedeutete, zeigte sich auf dramatische Weise im Juni 1972 in Melipilla, einer Stadt in der Nähe von Santiago.

Dort mussten mehrere Haciendas große Flächen auf der Grundlage des Agrarreformgesetzes enteignet werden, aber ein örtlicher Richter, Olate, hatte wiederholt rechtliche Hindernisse für die Landumverteilung in den Weg gelegt und arbeitete konsequent mit den örtlichen Landbesitzern zusammen. Am 22. Juni endete eine Demonstration im Stadtzentrum damit, dass 22 Anführer der Landarbeiterorganisation ins Gefängnis kamen. Es folgten eine Reihe von Protestkundgebungen. Am 30. Juni wurden alle Zufahrtsstraßen zur Stadt blockiert. Am 12. Juli marschierte eine Massendemonstration in Richtung Stadtzentrum von Santiago und forderte die Freilassung der 22 Anführer und den sofortigen Rücktritt von Richter Olate. Die Regierung weigerte sich, einzugreifen.23

Die Vorfälle in Melipilla hatten eine viel tiefere Bedeutung, als es auf den ersten Blick den Anschein haben mag. Im Verlauf der Proteste schlossen sich Arbeiter aus dem benachbarten Industriegebiet Cerrillos ihren ländlichen Gefährten im Kampf an. Cerrillos war das Zentrum einer Reihe ungelöster industrieller Konflikte: Ende Juni streikten die Textilfabriken Perlak und Polycrom, die Aluminiumfabrik Las Américas und die Geflügelfabrik Cerrillos.

Die Streikenden schlossen sich nun mit ihren Brüdern und Schwestern in Melipilla zusammen. Ein Landarbeiter sagte: „Wir haben keinen Peso, um unsere Familien zu ernähren und zu unterstützen. Und wir haben diese Situation schon satt“, und der Journalist stellte fest, dass die Land- und Stadtarbeiter, mit denen er sprach, sich einig waren, dass ‚das Parlament ihre Interessen nicht vertrat‘. Die Demonstranten brachten ihre Unterstützung für Allende zum Ausdruck, behaupteten jedoch, dass der Kongress und andere staatliche Institutionen das Haupthindernis für die Umsetzung des UP-Programms seien.

Die gemeinsame Aktion der Landarbeiter und der Industriearbeiter eröffnete neue und andere Möglichkeiten. Aus dem gemeinsamen Kampf ging eine neue Organisationsform hervor, die im Verlauf der Cerrillos-Streiks geschmiedet wurde und sich „Cordones Industriales“ nannte. Ein weiterer Cordon entstand im Gebiet Vicuña Mackenna. Der Cerrillos-Cordon veröffentlichte Anfang Juli eine Erklärung. Die Forderungen nach Arbeiterkontrolle über die Produktion und die Ersetzung des Parlaments durch eine Arbeitervollversammlung waren weitaus ermutigender als alles, was von den linken Parteien offen diskutiert wurde. Dennoch wurde der Cerrillos-Cordon von der Zeitschrift Chile Hoy als ein Komitee beschrieben, das die Produktion aufrechterhalten und Regierungsentscheidungen in der Ökonomie umsetzen sollte. An sein Potenzial als alternative Basis für soziale und politische Organisation hatte niemand gedacht.24

Die Kommunistische Partei und der rechte Flügel der Sozialistischen Partei befahlen ihren Mitgliedern, sich aus den Cordones herauszuhalten. Alle Aktionen, so argumentierten sie, sollten über die offizielle Führung der Gewerkschaft/Syndikat, die CUT, koordiniert werden. Dies spiegelte die „konsolidierende“ Linie wider, die auf der Konferenz von El Curro triumphiert hatte. Für den rechten Flügel würde es keine zukünftigen Angriffe auf das Privatkapital und keine weiteren Herausforderungen an den Staat geben. Zugeständnisse an die Bourgeoisie, so Allende, würden dafür sorgen, dass diese die verfassungsmäßigen Verfahren respektiere.

Es schien, als hätten nur die Arbeiter erkannt, dass der Klassenkampf kein Ende hatte und dass der einzige Weg, die Errungenschaften zu verteidigen, darin bestand, den Kampf zu intensivieren. Die Alternative bestand darin, der Bourgeoisie zu erlauben, um die Rückeroberung dessen zu kämpfen, was sie verloren hatte. Paradoxerweise spiegelte die wachsende Unterstützung der UP in der Bevölkerung, die sich sowohl in den Ergebnissen der Nachwahl in Coquimbo im Juli als auch in den Wahlen für den CUT-Vorstand zeigte, die Vision der Arbeiter wider. Der rechte Flügel der UP interpretierte dies jedoch anders, als ob dies eine Bestätigung der Strategie der Klassenzusammenarbeit darstelle.25

Die Widersprüche der Situation wurden immer deutlicher, als aufeinanderfolgende Vorfälle die Regierung in Konfrontation mit Teilen der Arbeiter, Bauern, Studenten und Slumbewohner brachten. Im Juli wurden Mitglieder einer ultralinken Gruppe, die eine Razzia durchgeführt hatten, von der Sicherheitspolizei unter der Leitung von Manuel Contreras, der als Mitarbeiter von Allende identifiziert wurde, geschlagen und gefoltert. In den Bergbaugebieten ging die Regierung mit Streiks zu bestimmten Themen um, indem sie den Ausnahmezustand ausrief, was dazu führte, dass die Bergbaugebiete unter direkte militärische Kontrolle gestellt wurden.

Am 18. August griffen Polizei und Militär das Armenviertel Lo Hermida in Santiago an.26 Sie suchten intensiv nach einer ultralinken Guerillagruppe. Tatsächlich war Lo Hermida für die UP politisch ein Niemandsland. Dort, wie auch in anderen Gebieten mit armen Häusern und Baracken, hatte die MIR durch Massenorganisationen wie die „Revolutionäre Bewegung der Cantegriles“ [Anmerkung der Übersetzer: Dieser letzte Begriff wird je nach Land unterschiedlich übersetzt, als Slums, Barackensiedlungen oder Favelas, in jedem Fall als sehr arme Stadtviertel. Leider kennen wir den chilenischen Originalbegriff nicht].27

Der Polizeieinsatz stieß auf massiven Widerstand, woraufhin sich die Polizeikräfte zurückzogen, um am nächsten Tag mit 400 bewaffneten Männern zurückzukehren. Bei dem Angriff wurde eine Person getötet, eine weitere tödlich verwundet, elf Personen wurden verletzt und 160 verhaftet. Allende entschuldigte sich später bei den Einwohnern von Lo Hermida für den Angriff, aber in Wahrheit hatte die Regierung den Vorfall genutzt, um die revolutionäre Linke anzugreifen, um all diejenigen zu warnen, die begannen, außerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung zu handeln, und um der Bourgeoisie die Entscheidung der Regierung zu bekräftigen, Recht und Ordnung zu garantieren. Für die Bourgeoisie waren Angriffe wie der auf Lo Hermida erste Scharmützel, mit denen die Stärke und Fähigkeit des Militärs, direkt zu handeln, getestet werden konnte.

Für Allende war die zentrale Frage die politische Autorität der UP. Die UP hatte zweifellos die politische Hegemonie über die Arbeiterbewegung, aber der Kampf selbst warf politische Fragen auf, die im Rahmen des Reformismus der UP nicht beantwortet werden konnten. Wenn die Arbeiter- und Bauernorganisationen demobilisiert und aufgelöst werden sollten, weil sie außerhalb der Kontrolle der UP standen, welche Garantien könnte die Regierung dann geben, dass das Recht auf Protest und Demonstration nicht von der Polizei unterdrückt oder von rechten bewaffneten Gruppen bedroht würde? Würde Allende die Fabrikbesitzer herausfordern und die von ihnen verübte Sabotage stoppen, wenn die Arbeiter selbst es nicht täten ? Würde Allende die Arbeiter im Klassenkampf anführen, sollte dieser sich zuspitzen, oder würde er weiterhin die Rolle des Schlichters einnehmen?

Genau diese Fragen beherrschten die Ende Juli in Concepción abgehaltene Volksvollversammlung, bei der sich fast 3.000 Delegierte trafen, um die politische Lage zu erörtern.28 Diese Delegierten vertraten eine Vielzahl von Gewerkschafts-, Volks- und Studentenorganisationen sowie linken Organisationen. Die einzige Abwesende war die Kommunistische Partei, die die Vollversammlung von Concepción auf eine Weise beschrieb, die noch lange in Erinnerung bleiben sollte: als „reaktionäres und imperialistisches Manöver, bei dem ultralinke Elemente als Schutzschilde benutzt wurden“. Allende selbst entwickelte in einem Kommuniqué vom 31. Juli die gleiche Idee: „Zum zweiten Mal innerhalb von drei Monaten war Concepción Schauplatz einer spalterischen Aktion, deren Wirkung darin besteht, die Hegemonie der Unidad Popular über die Bewegung zu untergraben. Es besteht nicht der geringste Zweifel daran, dass es sich um einen Prozess handelt, der den Feinden der revolutionären Sache dient.“

In derselben Rede definierte er mit absoluter Klarheit, dass sein Engagement für die bourgeoise Demokratie und seine Opposition gegen die Entwicklung einer Doppelherrschaft, „die in anderen historischen Situationen in Opposition zu einer reaktionären Machtstruktur entstand, keine Grundlage oder gesellschaftliche Unterstützung hatte“. Er argumentierte, dass die Schaffung einer Doppelherrschaft in Chile ein Akt „eklatanter Verantwortungslosigkeit“ sei, da die chilenische Regierung die Interessen der Arbeiterklasse als Ganzes vertrete. Kein vernünftiger Revolutionär, so sein Fazit, könne „das institutionelle System ignorieren, das unsere Gesellschaft regiert und das unter der Regierung der Unidad Popular steht. Jeder, der etwas anderes vorschlägt, sollte als Konterrevolutionär betrachtet werden“.29

Innerhalb der Vollversammlung selbst gab es Meinungsverschiedenheiten, insbesondere in Bezug auf die Beziehung zu Allende. Die MAPU und die Linke der PS sprachen sich dafür aus, dass die Vollversammlung organisierten Druck auf die Regierung ausübt, damit diese ihr Programm umsetzt. Die MIR forderte die Ausarbeitung eines revolutionären Programms, das von den in der Vollversammlung vertretenen Organisationen des Kampfes getragen wird. Es wurde nicht erkannt, dass das beschleunigte Tempo des Kampfes und seine Ausbreitung mehr als nur einfache Unterstützung erforderten. Die Logik der Ereignisse wies auf die Frage nach dem Staat selbst hin: Welche Interessen vertrat und verteidigte er? Diese Frage konnte nur von einer revolutionären Führung gestellt werden, die bereit war, die Machtfrage auf die Tagesordnung zu setzen.

Die Ereignisse in Lo Hermida nahmen einige Wochen später eine neue und unheilvolle Bedeutung an, als erneut der Ausnahmezustand ausgerufen wurde, diesmal in der Provinz Biobio, wo Demonstranten sich für die Verteidigung eines regierungsfreundlichen Radiosenders einsetzten, der von rechts angegriffen wurde. Es wurde deutlich, dass Allende bereit war, den Staat gegen seine eigenen Anhänger einzusetzen und die Armee und die Polizei zur Wiederherstellung der bestehenden Gesetze und der bourgeoisen Ordnung einzusetzen.30

Trotz der Versuche, den Prozess zu stoppen, geriet der Klassenkampf schnell außer der Kontrolle von Allende und der UP. Die Bourgeoisie sah ihr Zögern als einen Pluspunkt an und organisierte offen eine Kampagne der politischen Opposition und der ökonomischen Sabotage. Ende Juli begann der rechtsextreme Pater Sasbun auf Canal 9 zu senden und forderte Militäraktionen gegen Allende.

Die Anführer der UP verurteilten Gewalt und Bürgerkrieg und riefen die Arbeiterklasse dazu auf, die Regierung auf die Angriffe der Rechten reagieren zu lassen. Die Regierung hatte jedoch bereits gezeigt, dass sie auf diese Drohungen nicht reagierte, sondern ihnen einfach nachgab und ihr Vertrauen in die Polizei und das Militär setzte.

So verkündete Allende Ende September ein Waffenkontrollgesetz, das sich eindeutig gegen Arbeiterorganisationen richtete, und überließ es der Armee, diese zu entwaffnen. Keines dieser Zugeständnisse hatte die erhoffte Wirkung. Im Gegenteil, jedes Mal, wenn die Führung der Arbeiter ihren Unwillen zum Kampf erklärte, wurde die Bourgeoisie selbstbewusster und sicherer, dass die Arbeiterklasse keine Antwort auf ihre Angriffe geben würde.

In den Machtzirkeln der herrschenden Klasse herrschte eine gewisse Zuversicht, als im September die chilenischen Ladenbesitzer einen Proteststreik gegen Preiskontrollen und den Mangel an Produkten begannen. Diese Zuversicht wuchs, als am 11. Oktober die LKW-Fahrer den Beginn eines unbefristeten Streiks ankündigten.

Sie standen kurz davor, auf eine Mauer zu stoßen: nicht auf Allende und seine Verbündeten, die weiterhin leugneten, dass es sich um einen grundlegenden Kampf um die Macht handelte, sondern auf die Arbeiterklasse, die die direkte Kontrolle über den Kampf übernahm und eine Reihe neuer Organisationsformen schuf, die ein Bild davon vermittelten, wie der Kampf der Arbeiter um die Macht geführt werden sollte und wie er gewonnen werden konnte.

Der Aufstand der Bourgeoisie

Der Streik der Lastwagenfahrer war gut geplant. Obwohl er von der gesamten Bourgeoisie gebilligt wurde, war die neofaschistische Organisation Patria y Libertad (Vaterland und Freiheit) am unmittelbarsten an seiner konkreten Organisation beteiligt.

Der Streik kam weder unerwartet noch war er besonders geheim. Der Streik der Ladenbesitzer im September und der gut organisierte Widerstand der Rechten im Kongress gegen jegliche Initiative der UP hatten bereits klare Anzeichen dafür gegeben, dass sie kurz vor einem Sprung standen. Die linken Zeitungen hatten jedenfalls schon 15 Tage vor dem Streik (der unter dem Decknamen „Plan September“ lief) detaillierte Informationen über ihn veröffentlicht.31 Falls es noch irgendwelche Zweifel gab, so wurde eine Kundgebung der Rechten am 10. Oktober in Santiago durch ihre frenetische Atmosphäre und die wiederholten Aufrufe aller Redner zu einer Massenmobilisierung gegen die Regierung geprägt. Einer dieser Redner war Vogel, ein Christdemokrat und Vizepräsident der CUT.

Aber weder Allende noch die UP gaben eine Antwort. In den vergangenen Monaten hatte Allende jede potenzielle Krise gelöst, indem er die Armee zur Wiederherstellung der Ordnung aufrief. Nun, angesichts der Drohung der LKW-Fahrer, schien es, als würde Allende die Vorbereitungen der Rechten bewusst ignorieren und so tun, als ob nichts geschehen wäre. Es schien, als sei seine Angst vor unabhängigen Massenaktivitäten größer als seine Sorge über den Widerstand der Rechten gegen seine Regierung.

Die Auswirkungen des Streiks sollten sich sofort bemerkbar machen. Das Fehlen des Straßentransports könnte die gesamte Versorgung mit Lebensmitteln, wichtigen Gütern und Rohstoffen und insbesondere die Verteilung von Lebensmitteln an die Arbeiterklasse unterbrechen. Darüber hinaus fand der Streik nicht isoliert statt. Ladenbesitzer drückten ihre Unterstützung für den Streik aus, indem sie ihre Geschäfte schlossen, Industrielle versuchten, ihre Maschinen anzuhalten, sogar durch Sabotage. Die Organisationen von Medizinern, Anwälten, Zahnärzten und anderen stimmten für den Streik und stellten alle Aktivitäten ein, was die Atmosphäre der Panik noch verstärkte. Dies war die Strategie des rechten Flügels, ihre ökonomische Macht, eine Macht, die noch völlig intakt war, zu nutzen, um Knappheit und ökonomisches Chaos zu schaffen. Man ging davon aus, dass die Panik Allende zum Rücktritt zwingen würde oder, noch besser, es ermöglichen würde, ihn an der Macht zu halten, um die notwendigen Sparmaßnahmen durchzusetzen, ihn so von der Unterstützung der Basis der UP zu trennen und ihn schließlich bei den Kongresswahlen im März 1973 eine vernichtende Niederlage erleiden zu lassen.

Wenn diese Strategie scheiterte, dann nur dank der Arbeiterklasse. Für die Arbeiter war die Situation sehr klar. Das unmittelbare Problem bestand darin, das Verkehrssystem aufrechtzuerhalten, die Fabriken offen zu halten und die Versorgung mit Lebensmitteln und lebensnotwendigen Gütern sicherzustellen. Gruppen von Arbeitern gingen gleich morgens auf die Straße. Jedes verfügbare Transportmittel wurde beschlagnahmt und von Freiwilligen gefahren. In den Fabriken wurden die comités de vigilancia (Überwachungskomitees geschult), um sich vor Sabotage zu schützen, und die Produktion wurde aufrechterhalten. In den Arbeitervierteln bildeten sich lange und geduldige Schlangen vor den Geschäften und Supermärkten. Die Eigentümer wurden überredet, sie zu öffnen, oder, falls dies nicht der Fall war, wurden die Geschäfte von den Menschen vor Ort selbst geöffnet und aufrechterhalten, die ständig Wache hielten.

In Santiago meldeten sich mehr als 8.000 Menschen freiwillig als Fahrer. Was die Cordones betrifft, so schickten mehrere Gruppen von Menschen, um die Transporte zu fahren.32

Die erste Reaktion der Regierung war typisch verwirrt und trug zur Verwirrung unter den Arbeitern bei. Allende befürwortete die Aufrechterhaltung der Produktion, setzte sich aber für Verhandlungen mit den LKW-Fahrern ein. Seine Wahl des Vermittlers, der Organisation der städtischen Busunternehmer, erwies sich als wenig zuverlässig. Sie schlossen sich eine Woche später dem Streik der LKW-Fahrer an. Die allgemeine Linie der UP bestand darin, die offizielle Gewerkschaft/Syndikate und die politischen Organisationen zu Disziplin, Ruhe und Gehorsam aufzufordern. Aber weder die CUT noch die UP gaben konkrete Anweisungen, und der erste Aufruf zur Massenmobilisierung als Reaktion auf den Streik wurde zwei Tage später zurückgezogen.

Die durch den Streik verursachten Probleme erforderten unterdessen eine sofortige Lösung. Es war kaum überraschend, dass die härtesten und entschlossensten Reaktionen von Arbeitern kamen, die bereits gemeinsame Aktionen entwickelt hatten. Die Fabriken, die sich in den ersten Cordones organisiert hatten, konnten sich schneller organisieren und die Initiative ergreifen, um andere zu organisieren.

Elecmetal, die Fabriken Vicuña Mackenna Cord und Perlak, Pastas Luchetti und Cristalerías Chile, die Teil der Cerrillos-Maipú Cord sind, spielten eine starke Führungsrolle. Ihre Forderungen waren radikal und klar definiert und erinnerten an das im Juni vorgestellte Programm: Sofortmaßnahmen gegen die Bosse, einschließlich sofortiger Verstaatlichung. Gleichzeitig verlangten andere von den Kapitalisten entwickelte Strategien eine schnelle und kreative Antwort, die auch gefunden wurde.

In der Glasfabrik Cristalerías Chile beispielsweise fror die Geschäftsführung das Bankkonto des Unternehmens ein. Die Arbeiter reagierten darauf mit der Entwicklung eines Systems der Direktverteilung. Ein Arbeiter erklärte: „Jetzt verkaufen wir direkt an Genossenschaften und kleine Unternehmen, und sie bezahlen uns in bar, sodass wir die Löhne auszahlen können, ohne die Banken in Anspruch nehmen zu müssen.“33

In der Zementfabrik El Melón wurde ein gerade begonnener Streik sofort ausgesetzt und die Arbeiter kehrten an ihre Arbeitsplätze zurück. In der Textilfabrik Perlak organisierten die Arbeiter als Ausgleich für die fehlende Milch vom Land eine sehr nahrhafte Suppe für ihre Kinder. Die Arbeiter von Polycron brachten die Stoffe in die Arbeiterviertel und verkauften sie direkt. Rohstoffe und Fertigprodukte wurden zwischen Fabriken, aber auch zwischen Arbeitern und Bauern getauscht.

Als die Ärztevereinigung am 17. Oktober ihre Unterstützung für den Streik ankündigte, wurde ein gemeinsamer Komitee von Krankenhausarbeitern gebildet, um den Krankenhausbetrieb aufrechtzuerhalten. Ein Gewerkschaftsführer erklärte: „Obwohl der Streik direkt von der Rechten angeordnet wurde, werden die 600.000 Menschen, für die dieses Krankenhaus zuständig ist, sehen, dass wir in Zusammenarbeit mit örtlichen Gesundheitsausschüssen, denen auch Menschen aus Arbeitervierteln angehören, bessere und effizientere Dienstleistungen anbieten können.“34

Die Versammlung der Gewerkschaft/Syndikat der Journalisten am selben Tag war der Verurteilung der Rolle der bourgeoisen Presse und der Forderung nach neuen Aktionen gegen die Medien in den Händen der Rechten gewidmet. Der Journalist Jaime Muñoz kritisierte das von Allende 1970 verabschiedete Garantiestatut, das versprach, die bestehenden Eigentumsverhältnisse der Massenmedien zu respektieren.35 Der Antagonismus zwischen der Rolle der rechten Medien und der Reaktion der Arbeiter zweier Zeitungen, La Mañana de Talca und Sur de Concepción, die die jeweiligen Büros besetzt und übernommen hatten, weil ihre Zeitungen die Arbeiterbewegung ständig angriffen, war klar. „Das einzige Statut der Garantien, das wir anerkennen“, argumentierten sie, „ist das, das wir uns selbst als Arbeiter geben“.36

Es hatte eine stillschweigende Vereinbarung zwischen linken Organisationen gegeben, das Statut nicht zu erwähnen. Dies war einer der ersten öffentlichen Hinweise auf dieses entscheidende und peinliche Dokument. Die Ereignisse im Oktober und die Übergabe der beiden enteigneten Zeitungen wurden zu einem zentralen Thema in der linken Debatte.

Es gab einen weiteren Grund für das schnelle Wachstum autonomer, sogenannter „Selbstverteidigungs“-Organisationen. Während die Mehrheit der Bourgeoisie sich damit begnügte, ihre ökonomische Macht zu nutzen, organisierte die extreme Rechte unter der Führung von Patria y Libertad ihre eigenen terroristischen Gruppen, um auf den Straßen zu kämpfen.37 Diese Banden, die aus Jugendlichen aus den reichsten Familien bestanden, begannen eine Reihe direkter physischer Angriffe. Am 12. Oktober wurden die Vorsitzenden der sozialistischen und kommunistischen Parteien in Punta Arenas, im äußersten Süden Chiles, angegriffen. Am 13. Oktober wurde die Bahnlinie nach Arica, 3.200 km nördlich, blockiert. Am selben Tag wurden in den Großstädten Valparaíso, Concepción und Viña del Mar Personen in ihren Fahrzeugen angegriffen. In den darauffolgenden Tagen wurden weiterhin gezielte Angriffe verübt.

In den Fabriken widersetzten sich die Arbeiter den Sabotageversuchen der Arbeitgeber und übernahmen die direkte Kontrolle über die Produktion. In der Textilfabrik Sumar in Santiago beispielsweise versuchten die Eigentümer, einige Maschinen zu entfernen, wurden jedoch von den Arbeitern daran gehindert und aus der Fabrik vertrieben. Für die Arbeiterkomitees gab es keine Verhandlungsbasis: Schließlich hatte die Regierung selbst die Aufrechterhaltung der Produktion zur absoluten Priorität erklärt. Eine junge 22-jährige Arbeiterin in Fabrillana brachte das Problem sehr deutlich auf den Punkt:

„Ich finde, dass der Genosse Allende zu nachgiebig war. Er sagt, er wolle Gewalt vermeiden, aber ich finde, wir sollten härter reagieren und ihnen Angst einjagen. Sie versuchen, uns das zu nehmen, was wir uns erkämpft haben.“38

Die Arbeiter von Alusa, einer Verpackungsfabrik, wiederholten im Chor:

„Die Geschäftsführung hat die Verwaltungsangestellten angerufen und sie haben die Arbeit niedergelegt. Aber wir konnten uns nicht erlauben, Teil dieser Manöver zu sein. Die Chefs können nicht kommen und uns sagen, was wir tun sollen. Also haben wir die Lager geöffnet, die Rohstoffe herausgeholt und einfach weiter produziert: Die Produktion hier wurde zu keinem Zeitpunkt eingestellt. Und wir werden jetzt und nie aufhören. Wir sehen Menschen, die mit echter Freude arbeiten. Ich glaube, dass wir in diesen Tagen erkannt haben, dass das, wofür wir eintreten, viel größer ist als ein Teller Essen.“39

Niemand war vor einem möglichen Angriff gefeit. Die Beschäftigten der Schuhkette Bata beispielsweise gründeten in jeder der 113 Filialen Selbstverteidigungskomitees:

„Wir haben in jedem Geschäft Selbstverteidigungskomitees gebildet, um die Angriffe abzuwehren. Wir mussten uns bereits einigen Angriffen stellen, insbesondere in Geschäften in Vierteln der Mittel- und Oberschicht. Aber wir haben nicht einen einzigen Tag geschlossen. Wir sind gegen diesen Streik, und wenn der entscheidende Moment kommt, werden wir niemandem nachgeben. Genug ist genug!“40

Ein Arbeiter aus dem Transportbetonwerk fasste die Erfahrung zusammen:

„Wir haben den Faschisten zu danken, dass sie uns gezeigt haben, dass man nicht mit Revolution spielen kann. Wenn es ein Problem gibt, müssen wir, die Arbeiter, an vorderster Front stehen. Wir haben in diesen wenigen Tagen mehr gelernt als in den letzten zwei Jahren.“41

Ähnliche Schlussfolgerungen wurden auch an anderen Orten gezogen, insbesondere in Arbeitervierteln, in denen frühere Kämpfe um Transport und Wohnraum unter anderem zur Gründung von Organisationen geführt hatten, die eine wichtige Rolle in den Arbeiterkämpfen im Oktober spielten.

Die JAPs, ursprünglich von der Regierung eingerichtete Verteilungskomitees, wurden zu Keimzellen einer Reihe von lokalen und kommunalen Organisationen: Nachbarschaftskomitees, Müttergruppen, Obdachlosenorganisationen, die die Aufgabe des Widerstands in den Gemeinden übernahmen.42 Am wichtigsten war jedoch, dass der Oktober diesen Gemeinschaftsorganisationen den direkten Kontakt zu den Arbeitern ermöglichte und ihr gemeinsames Handeln zur Realität werden ließ. El Cordón wurde, wie versprochen, zu einem Organisationszentrum für eine Reihe von Kämpfen, koordinierte sie und gab ihnen eine Richtung für die Arbeiterklasse.

Es stimmt, dass die Bourgeoisie in ihrer Kampagne erfolgreich gewesen wäre, wenn die Arbeiter nicht sofort gegen sie gekämpft hätten, die Ökonomie gelähmt worden wäre und Allende gezwungen gewesen wäre, den Forderungen der Bosse nachzugeben, die im „Pliego de Chile“ dargelegt wurden, der eine Liste ihrer Forderungen enthielt. Im Gegenteil, die Arbeiter beschlagnahmten den Transport und hielten die Ökonomie am Laufen. Die körperlichen Angriffe von Patria y Libertad stießen auf organisierten Widerstand der Arbeiter, die zwei Selbstverteidigungskomitees in den Stadtvierteln und zwei organisierte Komitees zur Überwachung der Fabriken gründeten.

Diese waren ein hervorragendes Beispiel für die Veränderungen, die sich im Laufe des Kampfes vollzogen hatten, denn obwohl sie als Komitees zur Überwachung der Produktion entstanden waren, änderten sie ihre Funktion während des Streiks der Chefs und wandelten sich in Kontrollorgane der Arbeiter in den Fabriken um. Auch die JAPs wandelten sich von Ausschüssen, die zur Produktionskontrolle eingesetzt wurden, zu militanten Basisorganisationen, die Vorräte kauften und verteilten, Geschäfte und Supermärkte offen hielten, sie vor Angriffen der Rechten verteidigten und einige häusliche Funktionen in armen Stadtvierteln kollektivierten, insbesondere die Ernährung von Kindern in Gemeinschaftsküchen, mit einem „gemeinsamen Topf“.

Es besteht kein Zweifel daran, dass es den Arbeitern im Oktober nicht gelungen ist, die politischen Schlussfolgerungen zu ziehen, die ihren konkreten Erfahrungen angemessen wären. Die Verallgemeinerung von Ideen aus spezifischen Situationen geschieht nicht spontan. Sie erfordert das bewusste Eingreifen revolutionärer Sozialisten, die einen Überblick und ein Verständnis für die Kämpfe der Arbeiterklasse vermitteln können. Und es muss gesagt werden, dass in Chile die zahlreichen politischen Organisationen das politische Lernen behindert haben. Aber dennoch hatte die Erfahrung des Oktobers der Arbeiterklasse eine völlig neue Perspektive auf ihr kollektives Potenzial eröffnet, und das stellte Allende und die UP vor ernsthafte Probleme.

Der erste Aufruf der UP an die Arbeiterklasse, die Regierung zu verteidigen, basierte auf der Annahme, dass die Arbeiterorganisationen den offiziellen Führungen, der CUT und der UP selbst, treu bleiben würden.43 Aber die Arbeiterklasse ergriff schließlich selbstständig die Aktion, um die Regierung zu verteidigen, ohne auf Anweisungen zu warten.Unter diesen Umständen konnten die Arbeiter leicht zu dem Schluss kommen, dass revolutionäre Maßnahmen notwendig waren, um die Krise in Chile zu lösen: Niemand war sich dessen mehr bewusst als Allende selbst.

Nach dem 11. Oktober war Allende unentschlossen und zögerte. Aber es gab wenig Zweifel, welchen Weg er einschlagen würde. Er hatte oft gesagt: „Die UP setzt ihre politische Zukunft auf ihre Fähigkeit, die Kapazität der Arbeiterklasse zu verwalten und ihr Programm in Zusammenarbeit mit der Mehrheit der Bourgeoisie zu entwickeln.“44

Aber Allende und seine Kollegen in der politischen Führung der UP schienen nicht bemerkt zu haben, dass im Oktober eine historische Grenze überschritten worden war und dass die Bourgeoisie schon lange das Interesse an einer Zusammenarbeit verloren hatte. In gewisser Weise wurde Allendes Regierung zum Zuschauer in der Arena des Klassenkampfes, der vergeblich versuchte, sich aus der privilegierten Position des Staates wieder in die Ereignisse einzumischen.

Der Oktober 1972 lieferte den aufregendsten und dramatischsten Beweis für die Möglichkeiten der Arbeitermacht. Die Arbeiterklasse überwand nicht nur das Zögern ihrer Führung, indem sie unabhängig handelte, sondern in der täglichen Realität des Kampfes gegen die LKW-Fahrer und ihre Kollaborateure wurden alte Spaltungen durch eine Führung überwunden, die nicht durch politische Kompromisse oder Loyalität gegenüber den Gewerkschaftsführern gelähmt war.

Dies war zum Teil auf das Auftreten einer neuen politischen Klasse von Akteuren zurückzuführen, die bisher von den Gewerkschaften/Syndikaten und anderen Organisationen ausgeschlossen waren, Arbeiter, die weniger von der Partei- und Gewerkschaftsdiziplin betroffen waren. Viele der kleinen Fabriken blieben außerhalb des Einflussbereichs der CUT, weil sie beispielsweise weniger als 25 Arbeiter hatten. Die Cordones stellten eine Allianz zwischen organisierten und nicht organisierten Arbeitern, der Bevölkerung der Slums, Landarbeitern und einigen Studentenorganisationen dar.

Ihr politischer Charakter war weniger definiert. Die CUT behauptete, dass die Cordones einfach ihre Basisorganisationen unter einem anderen Namen seien.45 Aber die Schwierigkeiten der CUT, den Cordones irgendeine Art von Disziplin aufzuerlegen, verbunden mit häufigen Angriffen auf die Anführer dieser Cordones, zeigten, dass die Beziehung zwischen CUT und Cordones nicht das war, was die CUT behauptete. Die MAPU beschrieb die Cordones mit ihrer charakteristischen Zweideutigkeit als „patriotische Komitees“.46 Die Sozialistische Partei versuchte wie immer, zwei widersprüchliche politische Traditionen miteinander zu versöhnen, und beschrieb die Cordones als „aktive Massenschulen, in denen Probleme diskutiert, konstruktive Kritik geübt, Lösungen geplant und Initiativen koordiniert werden“.47

Was die MIR betrifft, so genoss sie durch verschiedene Organisationen mit frontistischem Charakter zweifellos beträchtlichen Einfluss auf die ärmsten Bevölkerungsschichten. Aber obwohl die MIR die Versuche der UP, die Cordones und andere Basisorganisationen einzudämmen und zu manipulieren, am kritischsten beurteilte und revolutionäre Rhetorik verwendete, hatte sie keine Strategie zu bieten. Letztendlich teilte die MIR mit allen anderen linken Organisationen eine grundlegend schwache Analyse: Sie alle erkannten die Unfähigkeit der UP, den Gegenangriff der Massen gegen die Bosse anzuführen, aber daraus zogen sie den Schluss, dass sich die UP im Lichte ihrer Kritik neu formulieren sollte, um besser auf die Führung des Kampfes in der nächsten Runde vorbereitet zu sein.

Keine linke Gruppe sah in den widersprüchlichen Positionen der UP während der Ereignisse im Oktober das, was sie wirklich waren: der treue Ausdruck ihrer politischen Perspektive. Infolgedessen blieb die Linke während der neuen und schockierenden Entwicklung der Ereignisse orientierungslos.

Mit einem Streik im Luftverkehr, der am 31. Oktober begann, und der Weigerung der Transportarbeiter, ihre Aktion zu beenden, beschloss Allende am folgenden Tag, mehrere Generäle in sein Kabinett zu berufen. Gleichzeitig verhängte er den nationalen Notstand und übergab die Regierung Chiles für die Dauer des Notstands faktisch in die Hände des Militärs.

Der Kampf um die Niederschlagung des Streiks der Bosse brachte die Arbeiterklasse als unabhängigen Akteur in die politische Arena, und über viele Wochen hinweg entwickelte sich die tägliche Praxis der Arbeiterselbstverwaltung immer stärker. Was hinter Allendes Entscheidung stand, das Militär zu rufen, war zweifellos, dass die UP versuchte, die historische Initiative der Arbeiterklasse gewaltsam zu ersetzen, unter dem Vorwand, die Bourgeoisie zu zügeln.

Anschließend wurde versucht, Allendes Entscheidung zu rechtfertigen, indem die Situation in Chile Anfang November als ein Zustand des „Beinahe-Chaos“, des „Zusammenbruchs von Recht und Ordnung“ beschrieben wurde.48 In Wahrheit brach die Ordnung nicht zusammen, was geschah, war die tiefgreifende Krise einer Klasse. Als sich unter den Arbeitern neue Organisations- und Aktionsformen entwickelten, waren die traditionellen Organisationen zunehmend nicht mehr in der Lage, sie innerhalb der Grenzen der vorher festgelegten Verhandlungen zwischen Kapital und Arbeit einzudämmen.

Leider bedeutete dies nicht, dass die Arbeiterklasse sich darauf vorbereitete, die Macht mit einer revolutionären Perspektive zu übernehmen. Diejenigen, die sich als revolutionäre Sozialisten betrachteten, befanden sich in völliger theoretischer und politischer Verwirrung. Sie hatten keine kohärente Position zu einem der dringenden Probleme. Das Problem der Parteiorganisation, die Rolle und das Wesen der Streitkräfte oder die Frage, ob es richtig wäre, mit der UP zu brechen (in der Realität wurde diese letzte Option in dieser Zeit nicht einmal in Betracht gezogen). Sie waren daher nicht in der Lage, eine konsequente Führung zu bieten. Als die CUT, die Allende unterstützte, dazu aufrief, die Streitkräfte bei der Wiederherstellung der Ordnung zu unterstützen, erhob sich keine organisierte Stimme der Opposition.49 In diesem kritischen Moment zeigte sich die chilenische Linke verwirrt und unfähig.

Die Forderung nach einer Militärintervention kam von dem christdemokratischen Abgeordneten Rafael Moreno, aber eine Liste mit Forderungen, die von der Rechten ermutigt wurde, war bereits zu Beginn des Streiks der Arbeitgeber aufgetaucht. Auf die Ankündigung Allendes vom 3. November, ein neues gemeinsames Kabinett (UP-Militär) zu bilden, folgte eine Botschaft an die Arbeiter, in der er ihnen für ihre Unterstützung der Regierung dankte und sie aufforderte, an ihren Arbeitsplatz zurückzukehren und die Fabriken ihren Eigentümern zurückzugeben.

Nachdem die Lastwagenfahrer wieder an die Arbeit gegangen waren und die Streitkräfte in die Regierung eingetreten waren, war klar, dass die Hauptaufgabe der Armee darin bestand, die Rückkehr der Arbeiter in die Fabriken zu kontrollieren. Prats, der Befehlshaber der Armee, erklärte seine Position in einem betont neutralen Ton:

„In einem ordnungsgemäß konstituierten Staat sind die Streitkräfte verpflichtet, diesen zu respektieren. Die Streitkräfte sind selbstverständlich ein legitimes Instrument, das dem Präsidenten zur Verfügung steht und gegen jeden eingesetzt werden kann, der die öffentliche Ordnung bedroht.“50

Die Art der Bedrohung würde noch deutlicher werden, wenn der Ausnahmezustand ausgerufen würde. Es wurde eine strenge Ausgangssperre verhängt, um die Bewegung der Arbeiter zu kontrollieren, und die weitreichenden Befugnisse, die dem Militär übertragen wurden, wurden geltend gemacht, um die beiden besetzten Zeitungen in Talca und Concepción an ihre ursprünglichen Eigentümer zurückzugeben. Die Anführer der Selbstverteidigungskomitees in Bata wurden für mehr als einen Monat inhaftiert. Am 13. November verkündete der Wirtschaftsminister, dass die 28 von den Arbeitern besetzten Fabriken an ihre Besitzer zurückgegeben würden. Das Vertriebssystem war vielleicht der Sektor, der sich am meisten der staatlichen Kontrolle entzog, und aus diesem Grund war es der Bereich, der der direktesten militärischen Kontrolle unterlag. General Bachelet von der Luftwaffe wurde mit der Leitung von DRINCO, der staatlichen Vertriebsagentur, beauftragt.

Das neue Kabinett umfasste zwei Generäle, drei Minister der UP: zwei von der Kommunistischen Partei (Millas im Ministerium für öffentliche Arbeiten und Figueroa, Vorsitzender der CUT, als Arbeitsminister) und einen von der MAPU (Flores, im Wirtschaftsministerium).

Da der Ausnahmezustand dem Militär die tatsächliche Kontrolle übertrug, bestand die Aufgabe dieser Minister nicht darin, vermeintliche Kabinettsposten zu verteidigen, sondern im Gegenteil, sie verteidigten das Militär gegen die Arbeiter. Figueroa beispielsweise stritt sich heftig mit den Arbeitern von Arica, damit das Verwaltungspersonal, das den Streik der Arbeitgeber unterstützt hatte, an seinen Arbeitsplatz zurückkehren und seinen vollen Lohn für die Zeit des Streiks erhalten konnte, vermutlich als versöhnliche Geste.

Ein Arbeiter von Ex-Sumar, einer der kämpferischsten Fabriken in Santiago, fasste die neue Situation zusammen:

„Ich denke, die Zugeständnisse bedeuten, dass diese neue Regierung nach rechts gerückt ist. Sie hatten eine andere mögliche Alternative: die Unterstützung der Massen zu suchen und das Programm umzusetzen, das sie ursprünglich verteidigten. Aber sie wollten es nie wirklich umsetzen. So wurden die Massen außen vor gelassen, und als sie sich den Problemen stellen wollten, wurden sie brutal unterdrückt. Der rechte Flügel muss jetzt feiern, man kann förmlich spüren, wie sie überglücklich sind, wenn man sich ihre Radiosendungen anhört.51

Eine Regierung mit Generälen

Das Kabinett der Minister der UP und der Generäle hatte jedoch keine absolute Kontrolle über die Situation. Die Lage nach dem November blieb unübersichtlich, und das von den Arbeitern gewonnene Bewusstsein war nicht so leicht zu untergraben.

Figueroa kam beispielsweise zu dem Schluss, dass seine Doppelrolle als Vorsitzender der CUT und als Arbeitsminister nicht mehr so gut vereinbar war wie zuvor.

Die Arbeiter von Arica ließen sich von seinen Argumenten nicht überzeugen und weigerten sich am 24. November immer noch, mit den Beamten zusammenzuarbeiten, die den Streik der Arbeitgeber unterstützt hatten. Als Figueroa versuchte, die Arbeiter zur Annahme des Beschlusses zu überreden, besetzten sie die Fabrik erneut und weigerten sich, sie zu verlassen. Schließlich wurde die Polizei mobilisiert, um sie zu räumen.

Das Gleiche wiederholte sich an anderen Orten, wo die Arbeiter sich weigerten, die im Oktober errungenen Errungenschaften wieder aufzugeben, mit dem Argument, dass solche Zugeständnisse alles, was erreicht worden war, zunichte machen und der Bourgeoisie den Sieg auf einem Silbertablett servieren würden.

Die spontanen und unorganisierten Widerstandsaktionen der Arbeiter waren unterdessen nie Gegenstand einer Initiative zur Koordinierung oder Weiterentwicklung. Die politische Führung der Linken gab beispielsweise keine Leitlinien vor. Außergewöhnlich ist, dass sich niemand gegen die Anwesenheit des Militärs im Kabinett aussprach. Die MAPU beispielsweise beschrieb das neue Kabinett als „Regierung und Volk, die als Eins agieren“,52 während sie gleichzeitig eine Vertiefung der „Volksmacht“ forderte.

Die Kommunistische Partei und die Regierung lobten einmütig die patriotische Arbeit der Streitkräfte und bezeichneten das neue Kabinett als Zeichen dafür, dass die Bourgeoisie durch die Unterstützung der Armee an den Rand gedrängt würde: „Die Anwesenheit der Streitkräfte an der Seite der Anführer der CUT stärkt die Regierung und wird es ihr endlich ermöglichen, den Streik, den die Arbeiter bereits so energisch abgelehnt haben, zu beenden.“53

Überraschender war der Artikel von Manuel Cabieses in Punto Final, der MIR, in dem er argumentierte, dass „die Streitkräfte zusammen mit dem Volk eine patriotische und demokratische Rolle zu erfüllen haben, indem sie die Arbeiter in ihrem Kampf gegen die Ausbeutung unterstützen. Das ist es, was geschehen sollte, und das ist es, was die Arbeiterklasse erwartet, wenn sie die Streitkräfte als Teil der Regierung sieht“.54

Keine Berufsarmee hat jemals einem Arbeiter in seinem Kampf gegen Ausbeutung geholfen, oder anders ausgedrückt, den bourgeoisen Staat zu stürzen, dessen zentraler Pfeiler sie ist. Der Autor der zitierten Zeilen zeigte bestenfalls eine überraschende Naivität. Aber gleichzeitig verteidigte die MIR die Kontinuität der Cordones.

Am deutlichsten in den Erklärungen und Analysen der Linken war die Verwirrung und das Zögern. Es herrschte ein erstaunlicher Mangel an Klarheit darüber, wie auf die Entschlossenheit der UP, die im Oktober entstandenen Massenorganisationen aufzulösen, reagiert werden sollte. Gleichzeitig richteten sich die kämpferischsten Äußerungen, wie die Reden von Altamirano, dem Sekretär der Sozialistischen Partei, an die Regierung und forderten sie auf, ihren politischen Charakter zu ändern, d. h. revolutionär zu werden und den Reformismus aufzugeben.

Anstatt die Grenzen des Reformismus aufzuzeigen und Tausenden von Arbeitern, die noch Illusionen in Allende hatten, die Augen zu öffnen, suggerierte Altamirano mit seiner Rhetorik, dass die UP noch revolutionär werden könnte.

Theotonio dos Santos, regelmäßiger Mitarbeiter von Chile Hoy, erklärte: „Wenn sie die erreichten Errungenschaften bewahren wollen, müssen die Regierung und die Arbeiter sie vertiefen und erweitern, indem sie die bestehenden Mechanismen nutzen und tiefer in die Wurzeln der Volksmacht eindringen.“55 Selbst unter den radikalsten Stimmen war niemand bereit zu sagen, dass die politische Entwicklung der Arbeiterbewegung nach dem Oktober einen Bruch mit der traditionellen Führung der UP erforderte, dass die UP zu einem Hindernis für die qualitative Entwicklung des Klassenkampfes geworden war und dass der einzige Weg, das Erreichte zu sichern, darin bestand, weiter voranzuschreiten. Nur eine Organisation, die am wenigsten bedeutende, die Izquierda Cristiana (Christliche Linke) unternahm einige Schritte in diese Richtung, indem sie sich weigerte, dem Kabinett beizutreten, und erklärte: „Die Fortschritte im Bewusstsein der Arbeiter scheinen ihre politischen Anführer nicht erreicht zu haben. Die Basis ist viel reicher als ihre Führung. Die CUT und die Cordones sind auf ihren jeweiligen Ebenen viel effektiver als die UP auf politischer Ebene. Wenn die soziale Macht (zur Unterstützung der UP) in den Fabriken und Regionen in Organen zur Selbstverteidigung koordiniert organisiert wäre, würde sich die Situation weiterentwickeln und könnte nicht eingedämmt werden.“56

Die Arbeiterklasse selbst forderte jedoch eine andere Analyse der Situation. Am 13. November trafen sich 100 Delegierte der Cordones von Santiago in der Fabrik Cristalerías Chile, um den Widerstand gegen die Rückgabe der Fabriken an ihre früheren Eigentümer zu koordinieren. Diese Initiative fand bei der Linken keinen Anklang. Der Präsident des Cordón de O’Higgins, einer der beiden am weitesten fortgeschrittenen Cordones, erklärte: „Die linke Maschinerie ignoriert uns einfach, weshalb die Cordones die Funktion haben, uns dabei zu helfen, einander besser kennenzulernen, die besonderen Kämpfe zu verstehen und uns unserer Macht bewusst zu werden.“57

Die Ereignisse vom Oktober 1972 brachten viele neue Gruppen von Arbeitern in den Kampf, von denen viele keine Erfahrung mit der Organisation hatten. Auch sie brachten neue Formen der unabhängigen Organisation mit. Die Erfahrung der Cordones wurde zum zentralen Thema in den politischen Debatten, als sich das Jahr 1972 dem Ende zuneigte. Aber niemand zog die richtigen Schlüsse.

Offensichtlich war es unmöglich, dass die Arbeiterklasse im November die Macht übernahm. Viele der Arbeiter waren demobilisiert und andere waren demoralisiert und verwirrt. Der Ausnahmezustand machte selbst Versammlungen schwierig, und die Generäle waren an der Macht. Aber es war ebenso offensichtlich, dass die Situation zwar nicht zugunsten der Arbeiter, aber auch nicht zugunsten der Kapitalisten gelöst worden war. Überall herrschte eine Atmosphäre der Erwartung, und auf beiden Seiten wurden offen zukünftige Strategien diskutiert.58

In einem solchen Klima bestand die unmittelbare Aufgabe der revolutionären Sozialisten nicht darin, die Machtergreifung zu organisieren, sondern vielmehr darin, sich an einer geduldigen Debatte über Politik und Grundsätze innerhalb der Arbeiterbewegung mit denjenigen zu beteiligen, die die Kämpfe in der Praxis angeführt hatten,59 zusammen mit der Arbeit der politischen Organisation und der Beteiligung an den täglichen Kämpfen, in die die Arbeiterklasse verwickelt war. Aber nichts davon geschah. Es gab endlose Debatten, von denen viele sehr interessant waren, aber sie berührten nie das zentrale Thema: den politischen Charakter der UP.

Die erste Gelegenheit für alle linken Organisationen, die Erfahrungen vom Oktober 1972 zu diskutieren, bot eine öffentliche Debatte, die in Santiago von einer katholischen Organisation namens „Christen für den Sozialismus“ organisiert wurde.60 Die kommunistische Vertreterin Mireya Barta zog sich nach Beginn der Debatte zurück und beschuldigte die Ultralinken, der Hauptfeind zu sein. Als Reaktion darauf bezeichnete Miguel Enríquez, Generalsekretär der MIR, die Zeit als „vorrevolutionär“ und forderte die Schaffung von „Keimen der Volksmacht“. Das Hauptproblem, so argumentierte er (zu Recht), sei die Eroberung der „Arbeiterkontrolle“. In den folgenden Debatten und Diskussionen machte jedoch kein Vertreter der MIR deutlich, wie dies umgesetzt oder organisiert werden sollte.

Vorbereitung auf den Kampf

Die UP hatte weiterhin ein beträchtliches politisches Gewicht, aber sie war weit von der unumstrittenen Autorität entfernt, die sie einst gehabt hatte. Ihre besten Bemühungen reichten nicht aus, um die neuen Arbeiterorganisationen zu beseitigen. Tatsächlich waren es die Maßnahmen der UP-Regierung, die ihr Wiederaufleben Anfang 1973 beschleunigten.

Die Debatte nach dem Streik der Bosse führte zu einer Spaltung der MAPU zwischen dem linken Flügel, der den Namen der Partei beibehielt, und dem Pro-Allende-Flügel, der den Namen MAPUOC (MAPU obrero y campesino) annahm und von Jaime Gazmuri angeführt wurde. Im Januar 1973 stellte der Wirtschaftsminister Fernando Flores von der MAPU die Regierungspolitik in Frage und verteidigte eine Preisbindung, eine strenge Kontrolle der Spekulation und die Garantie eines Warenkorbs mit Grundnahrungsmitteln zu einem Mindestpreis. Seine Vorschläge fanden sofort Anklang in der Bevölkerung.

Am 15. Januar gingen 300 Familien aus dem Armenviertel Lo Hermida zum örtlichen Supermarkt, der seine Türen geschlossen hatte (mit der Begründung, es seien keine Waren mehr vorhanden), und forderten dessen Wiedereröffnung. Sofort erschienen Regierungsvermittler und versuchten, die Demonstration aufzulösen, jedoch ohne Erfolg. Um zwei Uhr morgens war der Supermarkt geöffnet und lokale Organisationen übernahmen die Verteilung der Lebensmittel nach Bedarf. Dasselbe geschah in Nueva La Habana, einem anderen Armenviertel im Bezirk Barrancas.

In diesem Klima kündigte Orlando Millas, Minister für öffentliche Arbeiten und Mitglied der Kommunistischen Partei, den neuen Wirtschaftsplan an. Dieser sah die Rückgabe von 123 Fabriken an ihre früheren Eigentümer vor, darunter auch an die mächtige Familie Yarun, die zu den aktivsten Regierungsgegnern gehörte. Millas argumentierte, dass nur 49% der Industrieanlagen in öffentlicher Hand bleiben sollten, wodurch effektiv ein staatskapitalistischer Sektor geschaffen würde, der in Abstimmung mit privatem Kapital agiert.61 Logischerweise wurde dies zusammen mit der Wiederaufnahme der Gespräche mit den Christdemokraten angekündigt. Es stellte ein klares und vollständiges Zugeständnis an die Forderungen der Bourgeoisie dar.

Die Arbeiterklasse reagierte wütend. Die Cordones wurden wieder aktiv und reagierten sofort. Arbeiter des Cordón Cerrillos-Maipú blockierten aus Protest die Straßen und führten eine gemeinsame Demonstration aller Cordones der Hauptstadt in Richtung Stadtzentrum an. Der Präsident des Cordon, Hernán Ortega, erklärte: „Wir werden uns dem Druck nicht beugen.“62 In der Textilfabrik Bromacktrece zerrissen Mitglieder der Kommunistischen Partei aus Protest ihre Parteibücher. Am wichtigsten war jedoch, dass im Cordon Vicuña Mackenna eine Zeitung für die Cordones mit dem Titel „Tarea Urgente“ (Dringende Aufgabe) herausgegeben wurde. Die erste Ausgabe enthielt eine äußerst bedeutsame Erklärung:

„An die Arbeiter: Die Arbeiter von Cordón Vicuña Mackenna rufen die Arbeiterklasse dazu auf, sich kämpferisch für die Verteidigung des Sozialbereichs [der verstaatlichte Teil der Ökonomie] und der beschlagnahmten oder während der Aussperrung im Oktober intervenierten Unternehmen einzusetzen, die durch ein Gesetz bedroht sind, das nicht die Meinung oder die Gefühle der Mehrheit der Arbeiter repräsentiert, die bereit sind, für die Verteidigung ihrer legitimen Rechte bis in die letzte Konsequenz zu gehen.

Daher haben die Arbeiter von Cordón Vicuña Mackenna in einer Vollversammlung am Montag, dem 29. Januar, Folgendes beschlossen:

1. Kein Unternehmen zurückzugeben, das während des nationalen Streiks im Oktober beschlagnahmt oder interveniert wurde.

2. Einstimmige Ablehnung des Projekts „Proyecto Millas“, da es nicht die wahre Meinung der Arbeiter zum Ausdruck bringt und dazu beiträgt, den revolutionären Prozess zu stoppen, der uns zum Sozialismus führen wird.

5. Wir schlagen vor, dass die Antwort der Arbeiter nicht nur darin besteht, keine Unternehmen zurückzugeben, sondern viel mehr in den Sozialbereich zu integrieren.63

In ähnlicher Weise forderten die Mitglieder des Cordón Panamericana-Norte zu wissen: „Wie viel schlimmer werden die Leute da oben die Dinge noch machen? Das macht uns langsam nervös, und wir warnen davor, dass von nun an kein Unternehmen mehr zurückgegeben wird. Wir werden in ständiger Alarmbereitschaft bleiben, um unser Recht zu verteidigen, die Entscheidungen zu treffen, die unser Leben bestimmen.“64

Am 5. Februar veranstalteten Arbeiter, Obdachlose, Organisationen aus armen Stadtvierteln und Gemeindegruppen eine Demonstration und eine Vollversammlung im Nationalstadion, um ihren Widerstand gegen den Plan Millas zu demonstrieren. Die Zeitung Punto Final schrieb einen Artikel darüber, in dem sie mit klarem historischem Urteilsvermögen warnte: „Ein unbewaffnetes Volk ist ein erobertes Volk“. Der Klassenkampf trat in eine neue Phase ein und gewann an neuer Intensität.

Aber es gab wenig Zusammenhang zwischen dem Tempo des Klassenkampfes und den Sorgen der wichtigsten Parteien. Die Kongresswahlen im März rückten näher und wurden sowohl von den Rechten als auch von den UP-Parteien als entscheidender Test für die Überlebensfähigkeit der Regierung angesehen. Alle linken Organisationen waren sich einig, dass die Wahlen absolute Priorität hatten, einschließlich der MIR, die bei den Parlamentswahlen erstmals Kandidaten der Sozialistischen Partei unterstützte. Die UP steigerte ihre Stimmenzahl auf nationaler Ebene auf 44 %. In dem damaligen Klima war dies ein bedeutendes Zeugnis für die Widerstandsfähigkeit der Arbeiterklasse und ein Beweis dafür, dass auch Teile der Kleinbourgeoisie gewonnen werden konnten.

Für die Rechte bedeuteten die Ergebnisse einen schweren Rückschlag, da es nicht gelang, die Wahlunterstützung für die UP zu untergraben. Sie begannen, über alternative Strategien zum Sturz der Regierung Allende zu diskutieren. Die beiden vorgestellten Optionen, die von einigen Sektoren befürwortete Option eines Militärputsches wurde zugunsten einer „Strategie des russischen Marschalls“ verworfen, die unter anderem von Aylwin, dem Präsidenten der Christlich-Demokratischen Partei, verteidigt wurde.65 Dabei handelte es sich um eine ökonomische Strategie der „verbrannten Erde“. Objektiv bedeutete dies, die Ökonomie zu entkernen, sie zu entblößen, die Akkumulation von Geld zurückzuhalten, bewusst internationale Unterstützung zu mobilisieren und einen Belagerungszustand von innen und außen zu schaffen.

Wenn es einen Stillstand in der Aktivität der Massen gegeben hatte, wurde dieser nun aufgehoben. Ende März 1973 verließen die Generäle das Kabinett und der Miles-Plan wurde aufgegeben. Allende kündigte die Verstaatlichung von mehr als 45 Fabriken an, aber dieser Ankündigung folgte fast unmittelbar, am 6. April, ein heftiger Angriff auf die revolutionäre Linke und die Arbeiterorganisationen, die die Fabriken nach den Besetzungen im Oktober nicht zurückgaben.66 Angesichts dieses Angriffs war es schwierig, die Eingliederung von 45 Fabriken in den staatlichen Sektor als etwas anderes als eine symbolische Geste zu betrachten.

So sehr Allende auch diejenigen verurteilte, die die Bourgeoisie „provoziert“ hatten, war er doch selbst blind für die Intensität des Klassenkampfes. Er bestand daher darauf, am ursprünglichen Programm des schrittweisen Wandels festzuhalten, und verurteilte die Arbeiter- und Bauernorganisationen dafür, dass sie diesen mit ihren überstürzten Aktionen aufs Spiel setzten. Die Ereignisse hatten ihn bereits überholt. Die Bourgeoisie diskutierte offen über außerparlamentarische Strategien, um ihn zu stürzen. Wenn Allende und die CUT auch weiterhin darauf bestanden, dass das Tempo des Wandels im Parlament bestimmt werden würde, so machten sich weder die Bourgeoisie noch die Arbeiterklasse darüber Illusionen. Die Arbeiter organisierten sich für einen Kampf, der bereits auf den Straßen, in den Fabriken und auf dem Land im Gange war. Es ging nicht darum, ob der Kampf sich entwickeln sollte oder nicht, es ging nur um sein Ergebnis.

Die Stimmenzuwächse der UP bei den Wahlen im März waren eindeutig eine Aufforderung in Aktion zu treten. Aber wenn die UP sie nicht anführen konnte, dann würde es trotzdem geschehen, sogar unkontrolliert. Die UP-Führung konnte das nicht verstehen.

Die linke Führung diskutierte zwar über die Krise, aber ihre Perspektive beschränkte sich darauf, von der UP ein anderes Vorgehen zu fordern.67 Es wurde eine viel radikalere Lösung gefordert, wie sie bereits von der Arbeiterklasse selbst auf die historische Tagesordnung gesetzt worden war.

Die Entscheidung, ein Koordinierungskomitee für die Cordones zu bilden, war ein qualitativer Sprung in der Art und Weise, wie der Kampf der Arbeiter geführt wurde. Es gab jedoch keine Spaltung in der UP. Warum? Die vorherrschende politische Strömung in der Führung der Cordones war zweifellos die Linke der Sozialistischen Partei, die zwar dazu übergegangen war, die charakteristische Rhetorik der Ultralinken zu verwenden, aber nicht bereit war, mit der UP zu brechen oder den von Allende geführten rechten Flügel offen herauszufordern.

Altamirano, der sozialistische Anführer, der allgemein als Teil des linken Flügels galt, betrachtete die Entwicklung unabhängiger Organisationen inmitten des Klassenkampfes als eine Form von Druck, der genutzt werden konnte, um seinen Sieg innerhalb der Parteiführung selbst voranzutreiben. Und es war diese begrenzte Perspektive, die die linken Sozialisten überzeugte, die die Cordones anführten. So wurde das Koordinierungskomitee, das leicht zu einer embryonalen Form der Arbeitermacht hätte werden können, zum Gegenteil, zu einer politischen Fraktion innerhalb der Sozialistischen Partei.

Die andere politische Kraft in der Massenbewegung war die MIR. Sie existierte erst seit acht Jahren und organisierte erst seit 1969/70 Arbeiter. Obwohl sie bei nicht gewerkschaftlich/syndikalistisch organisierten Arbeitern einige Unterstützung gewonnen hatte, war ihr Haupteinfluss bei den Organisationen der Obdachlosen und in der Studentenbewegung zu spüren. Obwohl die MIR Kandidaten bei Wahlen der Gewerkschaften/Syndikate aufstellte und tatsächlich Vertreter im CUT-Vorstand hatte, war sie in den Gewerkschaften/Syndikate nicht organisiert. Sie blieb außerhalb der UP und kritisierte diese manchmal offen, konnte aber keine alternative Politik anbieten.

Die MIR reagierte pragmatisch auf die Realität der Veränderungen im Klassenkampf und räumte ihrem eigenen Kampf um die politische Führung Vorrang ein. Dies zeigte sich am deutlichsten in der Debatte um die Cordonos.

In einigen Fällen, in denen mehrere Organisationen an den Cordones beteiligt waren, bildeten sie gemeinsame Organisationskomitees (comandos comunales). Die MIR legte großen Wert auf diese Komitees als führende Organe im Kampf, verurteilte aber gleichzeitig die Cordones und wiederholte die Behauptungen der CUT, dass es sich um „Parallelorganisationen“ handele. Das war natürlich absurd.

Die Cordones hatten eine anerkannte Führungsrolle. Paradoxerweise schien die MIR trotz ihres Bekenntnisses zur „Hegemonie der Arbeiterklasse“ besorgt über die Führungsrolle dieser Arbeiterorganisationen zu sein, in denen sie keine Führungspositionen innehatten. Ihre Forderungen, die Cordones in breit aufgestellte Organisationen umzuwandeln, die Obdachlose, Verteilungsorganisationen, Studenten und andere Sektoren gleichermaßen vertreten, zeigten, dass sie den Marxismus falsch verteidigten. In der Praxis negierte ihre Infragestellung der Cordones insbesondere die zentrale Rolle der Arbeiterklasse im Kampf um die Staatsmacht.

In jedem Fall waren die bombastischen Aufrufe der MIR kaum mehr als Slogans, da sie nicht zu konkreteren organisatorischen Schlussfolgerungen führten. Derweil wartete der Klassenkampf nicht. Er setzte sich nach den Parlamentswahlen mit zunehmender Intensität fort, als der rechte Flügel seine Angriffe startete und die Regierung keine Antwort darauf hatte. Die Arbeiterbewegung hatte unterdessen ihre eigene Antwort zu bieten.

Die Herausforderung der Bergarbeiter

Die Kupferbergarbeiter haben in der Geschichte der chilenischen Arbeiterbewegung eine zentrale Rolle gespielt. Es war daher von erheblicher Bedeutung, als die Bergarbeiter der größten Kupfermine der Welt, El Teniente, am 19. April in den Streik traten.

Der Streik begann ruhig. Die physische Isolation der Bergleute in einer Bergregion des Landes bedeutete, dass sich der Streik nicht unmittelbar auf den Rest der Bewegung auswirken würde. Und die Linke war nicht besonders erpicht darauf, die öffentliche Debatte über den Streik zu verstärken, da das Thema, das den Streik ausgelöst hatte, ein peinliches war.

Anfang 1973 garantierte die UP eine allgemeine Lohnerhöhung als Ausgleich für die Inflation. Die Bergarbeiter hatten jedoch eine separate Vereinbarung, die ihnen eine jährliche Lohnerhöhung sowie weitere Erhöhungen garantierte. Die Regierung weigerte sich, diese Erhöhungen zu zahlen. Daraufhin traten die Bergarbeiter in den Streik und warfen der Regierung vor, die gemeinsam unterzeichnete Vereinbarung nicht einzuhalten, was zweifellos stimmte.

Der Streik dauerte den ganzen Mai und Juni an, es kehrten jedoch einige Bergleute an ihren Arbeitsplatz zurück, da der Druck von Seiten der gesamten linken Organisationen, einschließlich der MIR, die behaupteten, dass die Bourgeoisie und der Imperialismus die ganze Sache provoziert hätten, sehr stark war.68

Die Fragen und Anschuldigungen waren nur allzu bekannt. Die Bergleute wurden wegen ihres „Ökonomismus“ angeprangert, wegen der Verteidigung ihrer engen sektoralen Interessen über die Interessen der Klasse als Ganzes. Tatsächlich forderte die Linke sie auf, ihre Errungenschaften im Namen des „Allgemeinwohls“ zu opfern. Die Realität war natürlich, dass die einzigen Nutznießer von solchen Zugeständnissen die Mitglieder der herrschenden Klasse waren, und die Regierung war sich dessen voll bewusst. Die Bergarbeiter setzten weiter zu, aber der Preis für Kupfer auf dem Weltmarkt sank. Sollten die Bergarbeiter die Folgen dieses Sinkens akzeptieren oder sollten sie sich wie jede andere Gruppe organisierter Arbeiter verhalten und ihre Lebensbedingungen verteidigen?

Auf jeden Fall war das Argument, dass die Bergleute im Namen des „Allgemeinwohls“ zu Opfern aufgefordert wurden und dass das Ergebnis Sozialismus bedeutete, nicht stichhaltig. Die Erhöhungen im ersten Jahr der UP-Regierung waren bereits durch Inflation und Preissteigerungen aufgezehrt worden. Daher war die Kaufkraft der Löhne 1973 niedriger als 1971. Die Bourgeoisie profitierte in der Tat von der Situation; zumindest war sie vor den schlimmsten Auswirkungen geschützt, gerade weil die Politik der UP die Arbeiter dazu aufforderte, die Hauptlast der Krise zu tragen.

Die chilenische Regierung war keine Regierung, die die Arbeiter verteidigte. Sie versuchte, den Preis der Arbeit mit dem Kapital auszuhandeln und den Staat als Vermittlungsinstrument zu nutzen, basierend auf Garantien, die zuvor mit der Kapitalistenklasse vereinbart worden waren. In einer solchen Situation sollte die Rolle einer Arbeiterorganisation ganz klar sein: die Interessen und Lebensbedingungen der Arbeiter zu verteidigen. Allerdings betrachtete keine Organisation die Dinge aus dieser Perspektive.

Die feste Orientierung der gesamten Linken auf den internen Kampf der UP bedeutete, dass sich alle darauf konzentrierten, die Bergleute anzugreifen, weil sie eine Bedrohung für die Regierung darstellten.69 Hätten diese Organisationen eine Perspektive gehabt, die mit der Entwicklung des Klassenkampfes übereinstimmte, wäre die Reaktion anders ausgefallen. Stattdessen zogen sie es vor, den Bergarbeiterführer Medina als „Nazis“ zu beschimpfen und die Bergarbeiter selbst als Teil der „Arbeiteraristokratie“ zu bezeichnen. Als die Bergarbeiter im Juni nach Santiago marschierten und die Aufnahme von Verhandlungen mit der Regierung forderten, wurden sie von der Mobilen Gruppe der Bereitschaftspolizei, deren Auflösung Allende nach seinem Amtsantritt als Präsident im Jahr 1970 versprochen hatte, blockiert und niedergeschlagen.

Der Bergarbeiterstreik offenbarte die Schwächen nicht nur der chilenischen Linken, sondern auch, und das wiegt noch schwerer, der eigenen Cordones. Die traditionell gut organisierten Sektoren der Arbeiterklasse fehlten im nationalen Netzwerk der Cordones. Ihre Gewerkschaften/Syndikate waren der Kern der UP, und ihre Disziplin das Ergebnis jahrelanger Kämpfe. Nachdem ihre politischen Anführer die Streikpostenketten verurteilt hatten, konnten viele dieser Bereiche davon überzeugt werden, sich nicht daran zu beteiligen. Und die CUT bemühte sich nach Kräften, jeden direkten Kontakt zwischen diesen Arbeitern, die hauptsächlich aus dem öffentlichen Sektor der Ökonomie kamen, und den in den Streikpostenketten organisierten Bereiche zu verhindern.

Die geografische und politische Isolation der Bergleute führte dazu, dass viele Arbeiter durch die rechten Medien von dem Streik erfuhren. Rechte Organisationen nutzten die Widersprüche in der Position der UP schnell aus und begannen, Spendenaktionen zur Unterstützung der Bergarbeiter zu organisieren (ein seltsames und bizarres Ereignis).

Dies machte die Situation noch verwirrender, aber es gab den Anführern der CUT und der UP-Parteien den „Beweis“, dass der Bergarbeiterstreik ein Komplott der Rechten war, um die Regierung Allende zu untergraben. Dies war eine Beleidigung für den kämpferischsten Teil der chilenischen Arbeiterklasse und ein Beispiel für den abscheulichen Opportunismus der Rechten und der Regierung. Wenn die Rechte den Streik ausnutzte, dann nur, weil die gesamte Linke es versäumt hatte, die berechtigte Unzufriedenheit der Bergleute von El Teniente zu verstehen und darauf zu reagieren.

Überall überschlugen sich die Ereignisse. Ende April brachte eine CUT-Demonstration Tausende auf die Straßen der Hauptstadt. Als die Demonstranten am Hauptsitz der Christlich-Demokratischen Partei vorbeikamen, fiel ein Schuss und ein Arbeiter wurde tödlich getroffen. Eine Reihe kleiner lokaler Kämpfe ging weiter. Anfang Mai besetzten fünfzig Arbeiter eines Sägewerks in Entre Lagos ihren Arbeitsplatz, als der Chef die Schließung ankündigte. Als die CUT eintraf, schlug sie eine gemeinsame Geschäftsführung durch den alten Chef und die Arbeiter vor, was diese jedoch ablehnten: „Wir glauben, dass wir mit der Unterstützung der gesamten Bevölkerung von Entre Lagos diejenigen besiegen können, die glauben, sie könnten mit Regierungsgeldern Fabriken für die Bosse bauen und die Arbeiter einfach außen vor lassen.“70

Als Regierungsvertreter versuchten, dasselbe Ziel mit einer List zu erreichen, wurden sie gewarnt, die Arbeiter nicht zu unterschätzen. Eine ähnliche Erfahrung wiederholte sich in der Jemo-Fabrik und bei Inaris Pistons, beide in Santiago. Als die Arbeiter die Fabrik für elektronische Bauteile Salfa in Arica übernahmen, strich die Regierung die staatlichen Subventionen, die die Fabrik erhalten hatte, als sie noch in Privatbesitz war.

Der vielleicht dramatischste Kampf fand am 10. und 11. Mai in der Küstenstadt Constitución statt, als die Stadt zwei Tage lang unter der unbestreitbaren Kontrolle der Massenorganisationen stand. Die Konfrontation begann Ende 1972 mit der Ansiedlung der Obdachlosen der Stadt.

Im Januar 1973 erlebte Constitución dieselben Konflikte wie andere chilenische Städte in Bezug auf Versorgung, die Rückgabe von Fabriken und den Mangel an angemessenem Wohnraum. Die Reaktion der Stadt war jedoch untypisch. Am 21. Februar versammelten sich die Einwohner der Stadt zu einer „Volksvollversammlung“, um die Probleme zu ermitteln, die Obdachlose, Bauern und Arbeiter gemeinsam hatten. Zwei Monate später trafen sie sich erneut und beschlossen, den Rücktritt des Gouverneurs der Region zu fordern, der sich allen Versuchen, Lösungen für die Probleme zu finden, widersetzt und alle ihre Forderungen ignoriert hatte.71

Was dann geschah, war jedoch erstaunlich. Die gesamte Bevölkerung der Stadt, fast 25.000 Menschen, übernahm einfach die Kontrolle. Auf den Hauptstraßen wurden Barrikaden errichtet und Gesundheits- und Überwachungskomitees eingerichtet, um die medizinische Versorgung zu organisieren und die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Forderung war einfach: Der Gouverneur sollte abgesetzt und durch ein gewähltes Führungsgremium ersetzt werden, das aus einer gemeinsamen Kommission der Arbeiter besteht, die bei der ersten Vollversammlung gebildet wurde. Während der zwei Tage der Besetzung blieb die Massenversammlung in ständiger Sitzung. Die Geschäfte blieben geöffnet und die Bars geschlossen. Am Ende des elften Tages gab die Regierung der Hauptforderung nach.

Die Kampagne in Constitución hatte ein begrenztes Ziel, das an sich relativ harmlos war. Bezeichnend war die radikale Form, die die Bewegung annahm, das Vertrauen und die Organisation, die dies anzeigte.

Dieser Kampf fand in einer Provinzstadt statt, in der es keine Tradition des Kampfes gab. Dies zeigt, wie bewusst die chilenischen Arbeiter zu dieser Zeit waren. Es zeigte auch, dass der Kampf selbst die Arbeiter an die Spitze einer breiten Massenbewegung gebracht hatte. Die sektoralen Spaltungen und das Sektierertum, die an der Spitze der UP und der CUT existierten, wurden auf der Ebene der Basis überwunden, als die Arbeiter sich gemeinsam organisierten, um spezifische Probleme anzugehen.

Diese Probleme, wie auch andere, waren zunehmend Fragen der Kontrolle. Wie es ein Anführer der Cordones ausdrückte, handelte es sich um „Aufgaben der Massen, Aufgaben der Regierung“72, die neue Organisationsformen erforderten. Die CUT hatte zunehmend Schwierigkeiten, ihre Autorität an der Basis aufrechtzuerhalten, und obwohl die UP (noch) allgemein als Führung der Arbeiterklasse anerkannt wurde, wurden ihre taktischen Entscheidungen und Orientierungen zunehmend ignoriert.

Als der letzte Akt näher rückte, schien das chilenische Drama in eine Art Sackgasse geraten zu sein. An der Basis herrschte rege Aktivität, es kam ständig zu Kämpfen, einige davon lang und hart, viele davon betrafen mehrere SektoBereiche ren der Arbeiter. Vielleicht gab es noch keinen nationalen Rahmen für die Kämpfe. Doch während die lokalen und Basisorganisationen ihre ersten zaghaften Schritte in Richtung Vereinigung der Aktion machten, hatten die rechtsgerichteten Organisationen bereits eine nationale Perspektive: Allende zu stürzen und zu ersetzen, und sie handelten offen in Übereinstimmung damit. Die linken Organisationen waren offenbar in endlose Debatten über die Vereinigung verwickelt, aber ihr Fokus lag immer auf der UP selbst und nicht auf unabhängigen Initiativen der Arbeiter.

Allende wiederum schien eine Koalition anzuführen, die für niemanden als politische Führung fungierte, und er schien diese Situation zu ignorieren und sich in aufeinanderfolgende Auseinandersetzungen mit den rechten Parteien zu verstricken. Überall drehte sich die Diskussion darum, wie eine politische Krise verhindert werden könnte. Aber niemand schien sich sicher zu sein, wie die Krise aussehen könnte.

Die Kluft zwischen der UP und der Bevölkerung wurde Anfang Juni deutlich, als die UP zum ersten Mal als eine einzige Organisation zusammentrat und ihren ersten Kongress im Stadttheater von Santiago abhielt. Keiner der Parteiführer war anwesend und die Diskussionen und verabschiedeten Resolutionen zeigten ein sehr hohes Maß an Abstraktion.73 Die im Saal abgegebenen Einheitserklärungen spiegelten kaum mehr wider als den Beschluss der Delegierten der Sozialistischen Partei, keine Spaltung zu riskieren. Die Einheit der UP war mit anderen Worten negativ und falsch, ein Eingeständnis der Ohnmacht angesichts des Sturms, der sich draußen zusammenbraute.

Der UP-Kongress wurde von den Ereignissen überholt. Viel wichtiger waren die Arbeiterkongresse in jedem Industriesektor, die Ende Mai begannen, um die Möglichkeit der Bildung gemeinsamer Organisationen von Arbeitern aus verschiedenen Sektoren zu diskutieren. Die ersten drei Kongresse deckten die Textil-, Fischerei- und Holzindustrie ab.

Am 19. Mai riefen Bauern in Maipú, die seit langem um Land kämpften, das der ermordeten rechtsgerichteten Politikerfamilie Perz-Zujovic gehörte, Arbeiter aus Cerrillos zur Unterstützung auf. Die Polizei wurde geschickt, um die gemeinsame Demonstration aufzulösen. Ein ähnlicher Kampf fand Ende des Monats in Ñuble statt, und die Regierung machte größere Zugeständnisse.

Am 21. Mai hielt Allende eine sehr seltsame Rede, in der er seine Zustimmung zu den Kommunalen Kommandos zum Ausdruck brachte. Sofort erteilte die Kommunistische Partei ihren Mitgliedern die Erlaubnis, sich an den Kommandos zu beteiligen. Das Seltsame an der Rede war, dass Allende diese Organisationen zuvor scharf angegriffen und sie in die gleiche Kategorie wie die Cordonos eingeordnet hatte. Nun schien er zu versuchen, eine Unterscheidung zwischen den beiden zu treffen und der UP in den neuen Massenorganisationen etwas Einfluss zu verschaffen.

Was die Situation doppelt merkwürdig machte, war, dass die MIR eine Vereinbarung mit Allende traf und darauf bestand, dass der Vorschlag der Sozialisten für einen Koordinierungskongress der Cordones74 verschoben werden sollte, bis ein nationales Treffen der Kommandos stattgefunden hatte.

Der vorgeschlagene Kongress fand nie statt. Dennoch war dies der Punkt, an dem die Linke der Gründung einer unabhängigen Organisation von Revolutionären, einer alternativen Führung zur UP, am nächsten kam.

Vielleicht eröffnete Allendes Rede erneut die Diskussion darüber, ob der linke Flügel die Führung der UP übernehmen könnte. Vielleicht konnten die internen Differenzen nicht beigelegt werden. Aus welchen Gründen auch immer, dieser Schritt wurde nicht getan. Als die Arbeiter also zum zweiten Mal vor die Verantwortung gestellt wurden, sich gegen die Bourgeoisie zu verteidigen, gab es keine Organisation, die ihre Führung und ihre Aktionen im Kampf für eine revolutionäre Transformation zentralisieren konnte.

Doppelherrschaft und der Anfang vom Ende

Am 29. Juni 1973 begab sich das Panzerregiment von Santiago unter dem Kommando von Oberst Roberto Souper auf die Straßen der Stadt und verkündete die Machtergreifung. Die Nachricht erreichte die Fabrik Esatón, die Teil des Cordón Vicuña Mackenna war, um 9:00 Uhr morgens.

„Um 9:15 Uhr bliesen wir in die Werkspfeife und hielten eine Generalversammlung ab. Es wurde vereinbart, dass wir alle bleiben und uns um die Industrie kümmern würden und nur die Stoßtrupps hinausgehen würden, um sich den Stoßtrupps anderer Unternehmen anzuschließen.“75

Im Bezirk Cerrillos wurde ein „gemeinsames Kommando“ gebildet und im Laufe des Tages wurden im Abstand von zwei Stunden vier Kommuniqués veröffentlicht. Im ersten Kommuniqué wurden die unmittelbaren Aufgaben dargelegt:

1. Übernehmt alle Industrien.

2. Organisiert in Brigaden von elf Genossen, mit einer als Anführer. Die Anführer dieser Brigaden werden zusammen mit den Mitgliedern des gewerkschaftlichen/syndikalistischen Exekutivkomitees diejenigen sein, die die Industrie leiten.

3. Die Fahrzeuge und Materialien, die zur Verteidigung der Industrie, der Arbeiterklasse und der Regierung eingesetzt werden können, müssen innerhalb der Industrie zentralisiert werden.

4. Die Industrien werden stündlich die Sirenen ertönen lassen, um zu signalisieren, dass ihre Situation normal ist. Sollte die Situation nicht normal sein, wird die Sirene ununterbrochen ertönen, um zu signalisieren, dass Hilfe benötigt wird, und sie werden Hilfe erhalten.

5. …

6. Schaltet ständig Radio Corporación ein, auch wenn Cadena Nacional verfügbar ist.

7. Stellt einen Späher an der sichtbarsten Stelle in der Industrie auf.

8. Stellt eine ständige Verbindung zu den Fabriken auf beiden Seiten durch Genossinnen und Genossen her, die als Boten fungieren.

9. Das Kommando wird in … operieren. Wenn ihr … nicht erreichen könnt, werden sich Genossen im Hauptsitz der Cordones in … befinden.

10. Organisiert Volversammlungen und informiert alle Genossen in jeder Branche über diese Anweisungen.“76 77

Diese Erfahrung wiederholte sich im ganzen Land, wo innerhalb weniger Stunden nach dem sogenannten „Putschversuch von Souper“ neue Cordones und Kommandos gebildet wurden. Souper war in der Realität ein Dissident, der offen mit Patria y Libertad in Verbindung stand und vom Oberkommando der Streitkräfte mit erheblichem Misstrauen betrachtet wurde (dies war nicht sein erster Putschversuch).

Soupers Versuch war nichts weiter als das, was Prieto als „ein Stück bewaffnete Propaganda“ bezeichnet.78 Damit war er erfolgreich. Die Militärführer waren sich nur über den Zeitpunkt des Putsches uneinig.

Rechte Kreise diskutierten schon seit einiger Zeit über die Möglichkeit eines Militärputsches. Die Reaktion der Arbeiterklasse auf den Putschversuch von Souper gab den Ausschlag für eine militärische und gegen eine politische Lösung. In den Streitkräften löste die Reaktion der Massen eine dringende Diskussion über die Notwendigkeit einer militärischen Intervention aus.

In gewisser Weise war Allende selbst für das Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl des Militärs verantwortlich. Hatte er nicht wiederholt das Militär aufgefordert, soziale Konflikte zu lösen? Hatte er nicht massiven Lohnerhöhungen für das Militär zugestimmt, während die Arbeiterklasse Opfer bringen sollte?79

Am 29. Juni bewies Allende einmal mehr seinen Glauben in die Streitkräfte und seine Abhängigkeit von ihnen. Während die Cordones den Widerstand der Arbeiterklasse organisierten, diskutierte ihr Präsident mit dem Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Die UP war der Mobilisierung der Bourgeoisie schutz- und machtlos ausgeliefert.

In den darauffolgenden Tagen riefen die MIR, die MAPU und die Sozialistische Partei die Arbeiter leidenschaftlich dazu auf, die Regierung mit Waffen in der Hand zu verteidigen. Die Kommunistische Partei selbst ermutigte die Arbeiter, ihre Drehbänke zur Herstellung von Waffen zu verwenden, und Allendes Reden waren voller versteckter Drohungen. Aus dieser Zeit stammt das berühmte Foto von Allende, der Schiesübengen macht, das die Rechte so erzürnte.

Aber weder dass, noch die Aufrufe zum Aufbau der Volksmacht hatten irgendeine Bedeutung, umso weniger, als sie von der alten Politik und den alten Loyalitätsbekundungen gegenüber der UP begleitet wurden. Selbst zu dieser Zeit, als die Arbeiterklasse besser organisiert und selbstbewusster war, als es überall im Land gemeinsame Arbeiterorganisationen gab und die besten Revolutionäre eindeutig in einer Führungsposition waren, ging die Linke nicht den Weg des Kampfes um die Macht, weil dies zu einer Konfrontation mit der UP selbst geführt hätte. Wie im Fall des Kommuniqués von Cerrillos enthielten Aufrufe auf höchster Ebene zu unabhängigen Aktionen der Arbeiterklasse auch Loyalitätsbekundungen gegenüber Allende.

Für einige Analysten waren diese Erklärungen eine treibende Kraft, ein wichtiger Faktor, um den ideologischen Kampf innerhalb der Streitkräfte zu gewinnen. Für die Reformisten war dies der Weg, um den Kampf zu gewinnen und eine neue und fortschrittliche Führung in den Streitkräften zu etablieren.80 In der Realität hätte es nur dann zu einer Spaltung in der Armee kommen können, wenn die einfachen Soldaten sich in Solidarität mit ihren Klassenbrüdern und -schwestern erhoben und sich offen der Macht widersetzt hätten.

Die Generäle verstanden das, Allende nicht. Die Generäle wussten, dass die Berufsarmee als letzte Verteidigungslinie des bourgeoisen Staates existiert. Allende nicht. Die Illusion, dass die Armee im Klassenkampf zur Verteidigung der Arbeiter handeln könnte, war nicht nur den Reformisten vorbehalten; die MIR-Zeitung Punto Final forderte in ihrer Ausgabe vom 30. Juli die Bildung einer „gemeinsamen Diktatur des Volkes und der Streitkräfte“.81

Dennoch fand auf den Straßen und in den Fabriken ein qualitativer Wandel statt. Das Tempo der Ereignisse beschleunigte sich und jeden Tag entstanden neue Arbeiterorganisationen. Ein neuer „Cordón“ in Santiago Central brachte Beschäftigte des öffentlichen Sektors und Bewohner von Wohnblöcken zusammen. In Barrancas verwandelte sich eine Reihe von Fabrikbesetzungen sofort in einen „Cordón“, als die Komitees der einzelnen Fabriken ein gemeinsames Koordinierungskomitee bildeten. Als Ladenbesitzer versuchten, ihre Geschäfte zu schließen, wurden diese von der örtlichen Bevölkerung wiedereröffnet, die anschließend die direkte Verteilung von Waren organisierte. Als die Eigentümer der LKW-Flotte erneut streikten, um gegen einen Plan für das staatliche Verkehrssystem zu protestieren, beschlagnahmten die Arbeiter die Fahrzeuge direkt. Krankenhäuser wurden von Arbeiterkomitees übernommen.

In gewisser Weise war die Reaktion auf den Putschversuch von Souper eine Wiederholung der Ereignisse vom Oktober 1972. Es gab jedoch wichtige Unterschiede. Erstens hatte die Arbeiterklasse nun die Erfahrung vieler Monate der Selbstorganisation, auf die sie ihre Reaktion stützen konnte. Zweitens war der militärische Faktor nun von zentraler Bedeutung. Drittens konnte die Regierung Allende viel weniger bieten als im Jahr zuvor. Kurz gesagt, es stand mehr auf dem Spiel und die Zeit war knapper. Das Potenzial war auch größer.

In der Bekleidungsfabrik El As besetzte eine Gruppe von Arbeitern, die keinerlei politische Vergangenheit hatten, die Fabrik. Sie waren überrascht, als ein örtlicher Gewerkschaftsführer, der Christdemokrat war, sich dem Kampf anschloss, und sie waren erfreut, als sie eingeladen wurden, sich dem Cordón O’Higgins anzuschließen. Wie eine von ihnen sagt:

„Die Lösung der CUT bestand darin, mit den Bossen zu reden und eine Einigung mit ihnen zu erzielen, ihnen die Fabriken zurückzugeben (es herrscht Stille). Ich habe mich nie in die Politik eingemischt, wir haben nie viel über den (politischen) Prozess gesprochen, aber jetzt sind wir daran beteiligt und wir wissen, was das bedeutet. Wir sagen, dass dies ein Verrat an der Arbeiterklasse ist. Vielleicht ist dies eine kleine Fabrik, aber was hier wirklich zählt, ist das Politische und nicht das Ökonomische. Wenn wir Arbeiter die Macht wollen, werden wir sie nie erreichen, indem wir die Fabriken zurückgeben, egal wie klein sie auch sein mögen.82

Die Bedingungen für eine revolutionäre Krise waren gegeben. Die Funktionen der Produktion, der Verteilung, der Verteidigung der Arbeiter und der sozialen Dienste lagen in den Händen der Arbeiterorganisationen. Die Bourgeoisie mobilisierte sich für die Konfrontation. Der bestehende Staat war machtlos, entschlossen zu handeln, da er nicht mehr regieren konnte.

Drei Tage nach dem Staatsstreich von Souper rief Allende erneut den Notstand aus. Seine Erklärung war nichts anderes als eine Einladung an die Armee, die Situation auf die ihr geeignet erscheinende Weise zu lösen. Das am 4. Juli verkündete neue Kabinett umfasste keine Vertreter des Militärs. Allendes Behauptung, dies geschehe, um „die Neutralität der Streitkräfte nicht zu gefährden“, klang nicht sehr überzeugend. Im Gegenteil, es schien, als würde er ihnen maximale Bewegungsfreiheit einräumen und sie von jeglicher politischer Kontrolle ausnehmen.

Die erste Amtshandlung des Militärs bestand wie zuvor darin, Zeitungen und Fernsehsender ins Visier zu nehmen, die mit den Arbeitern sympathisierten. Eine Ausgabe von Punto Final wurden aus den Zeitungskiosken beschlagnahmt und das staatliche Fernsehen wurde zensiert. Der Sender Canal 13, der vom rechtsgerichteten Demagogen Padre Hasbun geleitet wird, durfte seine Aufrufe zu einem Militärputsch ununterbrochen fortsetzen.83 Es wurde eine Ausgangssperre verhängt, die die Arbeiter effektiv daran hinderte, ihre Aktivitäten während der Nacht zu koordinieren. Und außerhalb von Santiago deuteten Berichte darauf hin, dass das Militär bereits seine Kontrolle aufbaute.

Die Streitkräfte wurden massiv verstärkt, als Sympathisanten der UP in der Marine und der Luftwaffe die Putschvorbereitungen öffentlich anprangerten, die bereits in einigen wichtigen militärischen Einrichtungen stattfanden. Ihre Bitten an Allende, zu handeln, wurden mit einem Dank des Präsidenten für ihre Loyalität beantwortet, aber mit der Erklärung, dass er in Bezug auf den Ausnahmezustand das Problem dem Oberkommando überlassen solle: Er sei sicher, dass sie es lösen würden. Das Militär löste die Situation, aber auf seine eigene Weise. Sie stellten diese Matrosen und Piloten vor ein Kriegsgericht, verurteilten sie zu langen Gefängnisstrafen und folterten sie.

Der letzte Akt

Der letzte Akt des chilenischen Dramas fand im Juli und August 1973 statt. Der Militärputsch im September, der die Regierung der UP stürzte und Chile in einem Blutbad ertränkte, war ein Gnadenstoß.

Im Laufe des Winters wurden die zweitrangigen Probleme gelöst. Nun musste nur noch der Kampf um die Macht zum Abschluss gebracht werden. Die Fabriken wurden erneut besetzt: Viele waren seit Oktober 1972 nicht mehr zurückgegeben worden, die Versorgungszentren standen unter der direkten Kontrolle der Arbeiter, die Selbstverteidigungsorganisationen waren neu aufgestellt worden. Die Arbeiterklasse war auf diese letzte Phase des Klassenkampfes vorbereitet, ihre Anführer jedoch nicht.

Nach seinem Zögern und seiner unerwarteten Unterstützung für die Kommandos in seinen vorherigen Erklärungen schien Allende am 25. Juli entschlossener gegen sie zu sein. Er richtete seinen Angriff erneut gegen die Cordones und die Linke im Allgemeinen, weil sie das Land an den Rand eines Bürgerkriegs gebracht hatten. Der politische Charakter seiner Rede wurde deutlicher und sie wurde durch den Kontext, in dem sie gehalten wurde, noch verabscheuungswürdiger. Rechte Unternehmenssektoren befürworteten nun offen den militärischen Sturz der UP. Der zweite Streik der Bosse, angeführt von den Transportarbeitern, sollte am nächsten Tag beginnen. Der Kongress war praktisch gelähmt, blockiert durch einen Berg von Vorschlägen, die Allende beschuldigten, und Anträge auf seine Absetzung vom Präsidentenamt. Die Ökonomie war gelähmt, der Wert der Kupferexporte sank, die Bourgeoisie stellte ihre Investitionen ein, Teile und Rohstoffe waren immer schwieriger zu beschaffen und es kam zu einer zunehmenden Verknappung von Produkten. Die Bourgeoisie setzte alle ihre ökonomischen Waffen ein. Und die Ermordung von Hauptmann Araya, dem persönlichen Berater Allendes, war eine klare Warnung, dass sie wirklich bereit waren, ihre Waffen einzusetzen.

Als das Waffenkontrollgesetz schließlich Anfang August verabschiedet wurde, diente es nicht dazu, ein Rechtsinstrument gegen diejenigen zu schaffen, die den Putsch vorbereiteten, oder gegen die rechtsextremen Banden. Im Gegenteil, es war das Mittel, das es der Armee und der Polizei unter Allendes Notstandsgesetz ermöglichte, präventive Angriffe gegen Massenorganisationen durchzuführen.

Diese Operation wurde koordiniert, systematisch und landesweit durchgeführt. Am 7. August wurde berichtet, dass Punta Arenas, eine Stadt im äußersten Süden Chiles, unter militärischer Besatzung stand und ein Arbeiter getötet worden war. In Cautin und Temuco wurden die Besitztümer von Bauernorganisationen beschlagnahmt und viele ihrer Anführer verhaftet und gefoltert. Die Zeitung Chile Hoy veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 30. August sogar Fotos von den Folterspuren. In jedem Fall waren die Operationen möglich, weil das Waffenkontrollgesetz die Verhängung des Kriegsrechts erlaubte, auch wenn dafür die ausdrückliche Zustimmung des Präsidenten erforderlich war. Diese wurde immer erteilt.

In der Stadt San Antonio brachte der Ausnahmezustand einen Mann ans Licht, der nach dem Putsch als Chef des Staatssicherheitsdienstes berüchtigt werden sollte: Manuel Contreras. In San Antonio stieß er jedoch auf entschlossenen Widerstand durch koordinierte Massenaktionen. Im Teatro del Pueblo in Osorno schlossen sich lokale Organisationen unter der Führung des örtlichen Cordón zusammen und veröffentlichten ein Programm zur sofortigen Wiederherstellung der Arbeiterkontrolle über die Stadt. Dieses Programm beinhaltete weitere Fabrikeinverleibungen, Unterstützung für den Kampf der Mapuche-Indianer um Land, eine Verpflichtung zur Reorganisation des Gesundheitswesens unter Arbeiterkontrolle und eine Einladung an einfache Soldaten, zu desertieren und sich den Arbeitern anzuschließen. Hier wurde die Frage ausdrücklich gestellt: Es war eine Herausforderung an den bourgeoisen Staat.

Am 3. August verkündete Allende ein neues Kabinett, das sich aus Ministern der UP und Generälen zusammensetzte. Dies stand in völligem Einklang mit seinen jüngsten Handlungen und Äußerungen. Allende hatte sich völlig der Vorstellung ergeben, dass die Verteidigung und Aufrechterhaltung des bourgeoisen Staates das zentrale Anliegen sei. In dieser Hinsicht waren er und die Bourgeoisie einer Meinung.

Wer war dann der Feind? Der Vorsitzende der Kommunistischen Partei, Luis Corvalán, machte in einer tragisch berühmten Rede am 8. August in Santiago84 die Angelegenheit klar und ließ keinen Zweifel offen. Er lobte den unerschütterlichen Patriotismus und die Loyalität der Streitkräfte und prangerte in derselben Rede die Ultralinken an, die er mit den faschistischen Gruppen von Patria y Libertad gleichsetzte, und machte sie für die Gewalt verantwortlich. In den drei Tagen zuvor hatte die Armee einige Fabriken im Cordón de Cerrillos besetzt und die Marine war gewaltsam in das Van-Buren-Krankenhaus in Valparaíso eingedrungen.

Als Corvalán und Allende die Ultralinken angriffen, richteten sie ihr Gift gegen die einzige sichtbare Kraft, die den Staat aktiv herausforderte: die Arbeiterklasse selbst. Es gibt nur wenige Gelegenheiten, bei denen linke Organisationen mit so dramatischen und kreativen Möglichkeiten konfrontiert sind, wie sie ihnen von den Arbeiterorganisationen, den Kommandos und den Cordones im Chile im Juli und August 1973 geboten wurden. Die lange und geduldige Vorbereitungsarbeit jeder revolutionären Organisation ist zu Recht auf einen bestimmten Zeitpunkt ausgerichtet, aber sobald dieser Punkt erreicht ist, gibt es wenig Raum für Zögern oder Debatten. Es ist ein Moment, den man ergreifen oder verpassen kann. Die chilenische Linke war der Aufgabe nicht gewachsen.

Das Problem war nicht nur eine Frage der Waffen. In diesem kritischen Moment konnte die unbewaffnete Arbeiterklasse die Soldaten nicht dazu bringen, ihre militärische Disziplin zu brechen oder einem militärischen Angriff zu widerstehen. Es ist klar, dass die Arbeiter bewaffnet sein mussten, aber das zentrale Problem war ein anderes. Waffen können nur dann den Ausschlag geben, wenn sie zur Verfolgung eines klaren politischen Ziels eingesetzt werden: die Eroberung der Macht und der Zusammenbruch des Staates. Wenn sie von einer organisierten Bewegung eingesetzt werden, die von Revolutionären angeführt wird, die die Natur des Augenblicks verstehen.

Das bedeutet nicht, dass eine entschlossene revolutionäre Gruppe nur in den Startlöchern zu warten braucht, bis der richtige Moment gekommen ist. Eine Revolution erfordert die Entwicklung einer Organisation, die die Arbeiterklasse anführen kann, eine Organisation, die in ihren täglichen Kämpfen verwurzelt ist und auf einem Verständnis des Klassenkampfes und seines möglichen Ausgangs aufbaut.

Ohne eine solche politische Führung ist eine siegreiche soziale Revolution unmöglich. Tatsächlich waren Aufrufe zum bewaffneten Kampf, wie sie von der MIR und von Altamirano, dem Sekretär der Sozialistischen Partei, in den ersten Augusttagen 1973 gemacht wurden, äußerst unverantwortlich. Unter diesen Umständen rief sogar die Kommunistische Partei in einer vollständigen Zurschaustellung von Opportunismus die Arbeiter dazu auf, sich zu bewaffnen. Altamiranos Aufruf an die Soldaten, ihre Waffen niederzulegen, übertrug die Verantwortung für eine revolutionäre Entscheidung auf den einzelnen Soldaten, obwohl diese Verantwortung eindeutig bei revolutionären Organisationen oder solchen, die sich als solche definierten, lag.

Ende August hatte sich in der chilenischen Arbeiterklasse eine Stimmung der Demoralisierung ausgebreitet. Die Gedenkfeiern am 4. September zum Jahrestag von Allendes Wahlsieg im Jahr 1970 waren apathisch und deprimierend. Der Militärputsch eine Woche später war daher eine ausgemachte Sache.

In der Zwischenzeit hätte alles auch anders verlaufen können. Die Arbeiter waren bereit zu kämpfen und auf die Konsequenzen vorbereitet. Die Organisationen, auf denen eine neue Arbeitermacht hätte aufbauen können, existierten bereits. Aber am Ende richteten alle Organisationen der chilenischen Linken ihre Politik auf die UP aus, sie interpretierten das hohe Maß an Kampfbereitschaft der Massen als Druck auf die UP und boten der Arbeiterklasse daher keine alternative und revolutionäre Führung.85 Diese Unfähigkeit, eine Führung zu bieten, kam einem Aufgeben der Arbeiter gegenüber den brutalen Angriffen der Bourgeoisie gleich, und jede Organisation der chilenischen Linken trägt diese Verantwortung mit .

In diesem Zusammenhang war Allendes viel zitierte letzte Rede, die kurz vor seiner Ermordung im Radio ausgestrahlt wurde, falsch. Seine moralische Entrüstung, seine Erklärung, dass die Geschichte die Generäle verurteilen würde, war eine unverzeihliche Abdankung von seiner eigenen Verantwortung und eine Lüge, die an die Nachwelt gerichtet war. Die Ereignisse von 1973 in Chile zeigten einen flüchtigen Eindruck von der Macht der Arbeiter, von ihrer Fähigkeit, sich den Herausforderungen des Klassenkampfes zu stellen. Tragischerweise zeigten sie auch, dass die Feinde der Revolution der Reformismus und die Politik derer sind, die sich mehr für die Verteidigung des bourgeoisen Staates als für die Veränderung der Welt einsetzen.

Nach der Tragödie musste in Chile die wahre Geschichte neu geschrieben werden, um Reformisten auf der ganzen Welt vor den wahren Folgen einer Politik der Klassenversöhnung zu schützen.86 Der Putsch, der die Kämpfe von 1972-1973 in Chile beendete, war eine schreckliche und brutale Niederlage für die Arbeiterklasse, aber er war nicht das Ergebnis einer weltweiten Verschwörung und nicht unvermeidlich. Es gab eine andere Möglichkeit auf der historischen Tagesordnung, eine, die wir nicht begraben lassen dürfen. Die Bedeutung Chiles zwischen 1972 und 1973 und sein Vermächtnis für zukünftige Kämpfe müssen betont werden.

Der Putsch

Am 11. September 1973 stürzte eine kombinierte Militäroperation, die früh am Morgen begann, die Regierung von Salvador Allende. Der Putsch wurde von Augusto Pinochet angeführt, der im August noch als Militär Mitglied des Kabinetts von Allende gewesen war. Gegen neun Uhr morgens umzingelten Panzer den Präsidentenpalast. Dies war der letzte Akt des Putsches, nachdem die kämpferischsten Arbeiter-, Bauern-, Studenten- und Nachbarschaftsorganisationen bereits während des in den vorangegangenen Wochen geltenden Ausnahmezustands entwaffnet und zerschlagen worden waren.

In der Realität kam der Putsch für niemanden überraschend. Die Kommunistische Partei beispielsweise brachte zwei Tage vor dem Putsch ein Plakat mit der Aufschrift „Nein zur Gewalt von links oder rechts“ an. Als das Militär die Macht übernahm, warteten Militante verschiedener Organisationen vergeblich auf Anweisungen ihrer Anführer. Mit Ausnahme sporadischer und vereinzelter Widerstandsaktionen gab es keinen organisierten Widerstand gegen den Putsch. Der Kampf war verloren und die Bewegung wurde von ihren reformistischen Anführern in die Niederlage geführt.

Innerhalb weniger Tage wurden Tausende Menschen zusammengetrieben und in Militäranlagen, Gefängnisse und improvisierte Konzentrationslager gebracht. Tausende wurden auch in das Nationalstadion von Santiago gebracht und dort festgehalten, bis sie zur Folterung oder Ermordung abtransportiert wurden. Einige, wie Víctor Jara, der bekannteste Folksänger Chiles, mussten nicht einmal so lange warten. Man brach ihm die Hände, als er versuchte, ein Widerstandslied zu singen, und richtete ihn dann auf der Stelle hin.

Der Putsch wurde mit außerordentlicher Grausamkeit durchgeführt. Tausende wurden unzähligen Gewalttaten ausgesetzt, wurden auf abartige Weise gefoltert, misshandelt und ermordet. In den folgenden zwölf Tagen wurden Tausende von Menschen ermordet. Es waren die besten und mutigsten Anführer der Arbeiterklasse, die systematisch mit der raffinierten Hilfe ausländischer Dienste ermordet wurden. Und sie wurden nicht nur ermordet: Sie wurden in Stücke gerissen, um die zukünftige Generation zu warnen und zu terrorisieren. Der Rest wurde willkürlich behandelt, um die Bevölkerung zu terrorisieren und eine klare Warnung auszusprechen, dass das neue Regime keine Gnade zeigen würde. Das war die Bedeutung der verstümmelten Leichen, die jeden Morgen auf dem Mapocho-Fluss in Santiago trieben.

Für diejenigen, die wie Allende selbst immer auf der tiefen und soliden demokratischen Tradition Chiles und auf der Professionalität seiner Streitkräfte bestanden, waren die Brutalität und der Sadismus des Putsches unerklärlich. Reformisten aus aller Welt, die versuchten, diese offensichtliche Verirrung zu erklären, verschleierten ihre Analyse der Armee und versuchten, die Unidad Popular vor den neugierigen Augen der Zukunft zu schützen. Sie versuchten, die Schuld auf eine CIA-Verschwörung zu schieben.87

Die Realität sah anders aus. Der Putsch fand statt, weil der wachsende Klassenkampf in Chile die bourgeoise Gesellschaft in ihrer Existenz bedrohte. In diesem entscheidenden Moment des Klassenkampfes bietet die herrschende Klasse keinen Waffenstillstand an, wie eigenartig das auch sein mag. Letzten Endes verteidigen die westlichen „Demokratien“ ihre „demokratischen“ Traditionen bis zum bitteren Ende, und wenn nötig auch mit Massenvernichtungswaffen. So war es auch in Chile.

Die Gewalt des chilenischen Militärs war nicht von Rachegefühlen motiviert, aber sie beinhaltete die systematische Zerstörung der Erinnerung an die Arbeiterklasse und an ihre besten und mutigsten Organisatoren und Anführer. Nachdem sie dies getan hatten, konnten sie Chile in die Experimentierarena einer monetaristischen Ökonomie ziehen, ungehindert von einer organisierten Arbeiterklasse. Ihre Logik war die Logik des Kapitalismus mit allen Konsequenzen, die wir bereits kennen: ein Mindestlebensstandard für Arbeiter, permanente und strukturierte Arbeitslosigkeit, das Fehlen sozialer Dienste, ein Klima des permanenten Terrors, Schulen, die Resignation und Patriotismus lehren.88

Mit allem, was sie taten, verhinderten die Reformisten die Organisierung der Machteroberung der Arbeiter, weil dies ihrer Meinung nach negative Folgen haben würde. In ihrem Bestreben, die Arbeiter vor sich selbst zu retten, ließ die Unidad Popular die Arbeiterklasse dem Putsch schutzlos ausgeliefert. Heute haben die Kämpfe der chilenischen Arbeiter wieder begonnen, und es wäre eine schreckliche Ironie des Schicksals, wenn sie nicht die Lehren aus ihrer eigenen Geschichte ziehen dürften.

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Brief der Koordinierung der Cordones an Salvador Allende89

An Seine Exzellenz, den Präsidenten der Republik 5. September 1973

Genosse Salvador Allende:

Die Zeit ist gekommen, in der die Arbeiterklasse, die in der Coordinadora Provincial de Cordones Industriales, dem Comando Provincial de Abastecimiento Directo und der Frente Único de Trabajadores organisiert ist, es für dringend erforderlich hält, sich an dich zu wenden, alarmiert durch die Entfesselung einer Reihe von Ereignissen, von denen wir glauben, dass sie nicht nur zur Liquidierung des chilenischen revolutionären Prozesses führen werden, sondern kurzfristig auch zu einem faschistischen Regime der unerbittlichsten und kriminellsten Art.

Früher hatten wir Angst, dass der Prozess in Richtung Sozialismus aufgegeben werden würde, um eine reformistische bourgeois-demokratische Regierung der Mitte zu erreichen, die dazu neigt, die Massen zu demobilisieren oder sie aus Selbsterhaltungstrieb zu anarchischen Aufständen zu führen.

Aber jetzt, da wir die jüngsten Ereignisse analysieren, haben wir nicht mehr diese Angst, sondern sind uns sicher, dass wir uns auf einem Weg befinden, der uns unweigerlich zum Faschismus führen wird.

Deshalb werden wir die Maßnahmen auflisten, die wir als Vertreter der Arbeiterklasse für unerlässlich halten.

Erstens, Genosse, fordern wir, dass das Programm der Unidad Popular erfüllt wird. 1970 haben wir nicht für einen Mann gestimmt, sondern für ein Programm.

Das erste Kapitel des Programms der Unidad Popular trägt interessanterweise den Titel „Volksmacht“. Zitat: Seite 14 des Programms:

„… Die Volks- und Revolutionskräfte haben sich nicht zusammengeschlossen, um für den einfachen Austausch eines Präsidenten der Republik gegen einen anderen zu kämpfen oder um eine Regierungspartei durch eine andere zu ersetzen, sondern um die grundlegenden Veränderungen herbeizuführen, die die nationale Situation erfordert, und zwar auf der Grundlage der Machtübertragung von den alten herrschenden Gruppen auf die Arbeiter, die Bauern und die fortschrittlichen Sektoren der Mittelschicht…“ „Die derzeitigen staatlichen Institutionen müssen so umgestaltet werden, dass die Arbeiter und das Volk die tatsächliche Macht haben …“

„… Die Volksregierung wird ihre Stärke und Autorität im Wesentlichen auf die Unterstützung des organisierten Volkes stützen …“

Seite 15:

„… Durch Massenmobilisierung wird die neue Machtstruktur von der Basis aus aufgebaut …“

Es ist die Rede von einem Programm für eine neue politische Verfassung, einer einzigen Kammer, der Volksvollversammlung, einem Obersten Gerichtshof, dessen Mitglieder von der Volksvollversammlung ernannt werden. Das Programm besagt, dass der Einsatz der Streitkräfte zur Unterdrückung des Volkes abgelehnt wird … (Seite 24).

Genosse Allende, wenn wir nicht darauf hinweisen würden, dass diese Sätze Zitate aus dem Programm der Unidad Popular sind, das ein Minimalprogramm für die Arbeiterklasse war, würde man uns sagen, dass dies die „ultralinke“ Sprache der Cordones Industriales ist.

Aber wir fragen: Wo ist der neue Staat? Die neue politische Verfassung, die Einkammer-Versammlung, die Volksvollversammlung, die Obersten Gerichte?

Drei Jahre sind vergangen, Genosse Allende, und du hast dich nicht auf die Massen verlassen, und jetzt haben wir, die Arbeiter, das Vertrauen verloren.

Wir, die Arbeiter, sind zutiefst frustriert und entmutigt, wenn unser Präsident, unsere Regierung, unsere Parteien und Organisationen uns immer wieder zum Rückzug auffordern, anstatt uns den Weg nach vorne zu weisen. Wir fordern nicht nur, informiert zu werden, sondern auch bei Entscheidungen, die schließlich unser Schicksal bestimmen, konsultiert zu werden.

Wir wissen, dass es in der Geschichte der Revolutionen immer Momente des Rückzugs und Momente des Vorstoßes gab, aber wir wissen, wir sind uns absolut sicher, dass wir in den letzten drei Jahren nicht nur Teilkämpfe, sondern den ganzen Kampf hätten gewinnen können.

Wären bei diesen Gelegenheiten Maßnahmen ergriffen worden, die den Prozess unumkehrbar gemacht hätten, so hätte das Volk nach dem Sieg der Wahl der Ratsmitglieder im Jahr 1971 lautstark eine Volksabstimmung und die Auflösung eines antagonistischen Kongresses gefordert.

Im Oktober 1972, als es der Wille und die Organisation der Arbeiterklasse waren, die das Land angesichts des Streiks der Bosse am Laufen hielten, als in der Hitze dieses Kampfes die ersten Cordones Industriales entstanden und Produktion, Versorgung und Transport dank der Opfer der Arbeiter aufrechterhalten wurden und der Bourgeoisie ein tödlicher Schlag versetzt wurde, habt ihr uns nicht vertraut, obwohl niemand das enorme revolutionäre Potenzial leugnen kann, das das Proletariat unter Beweis gestellt hat und ihm eine Lösung aufgezwungen habt, die ein Schlag ins Gesicht der Arbeiterklasse war, indem ihr ein zivil-militärisches Kabinett eingesetzt habt, mit dem erschwerenden Faktor, dass ihr zwei Führer der Central Única de Trabajadores in dieses Kabinett aufgenommen habt, die durch ihre Zustimmung, diesen Ministerien beizutreten, dazu geführt haben, dass die Arbeiterklasse das Vertrauen in ihr höchstes Organ verloren hat.

Ein Organ, das unabhängig von der Art der Regierung im Hintergrund bleiben musste, um etwaige Schwächen gegenüber den Problemen der Arbeiter zu verteidigen.

Trotz der daraus resultierenden Enttäuschung und Demobilisierung, der Inflation, der Warteschlangen und der tausend Schwierigkeiten, mit denen die Männer und Frauen des Proletariats täglich konfrontiert waren, bewiesen sie bei den Wahlen im März 1973 erneut ihre Klarheit und ihr Gewissen, indem sie 43 % der Stimmen der Militanten an die Kandidaten der Unidad Popular gaben.

Auch dort, Genosse, hätten die Maßnahmen ergriffen werden müssen, die das Volk verdient und gefordert hat, um es vor der Katastrophe zu bewahren, die wir jetzt vorhersehen.

Und bereits am 29. Juni, als die sich auflehnenden Generäle und Offiziere, die mit der Nationalen Partei, Frei und Patria y Libertad verbündet waren, sich offen in eine Position der Illegalität begaben, hätten die sich auflehnenden Anführer enthauptet werden können, und mit dem Volk im Rücken und den loyalen Generälen und den Kräften, die ihnen damals gehorchten, die Verantwortung übertragen, hätte der Prozess zum Sieg geführt werden können, sie hätten in die Offensive gehen können.

Was bei all diesen Gelegenheiten fehlte, war Entschlossenheit, revolutionäre Entschlossenheit; was fehlte, war Vertrauen in die Massen; was fehlte, war das Wissen um ihre Organisation und Stärke; was fehlte, war eine entschlossene und hegemoniale Avantgarde.

Jetzt sind wir Arbeiter nicht nur misstrauisch, wir sind alarmiert.

Der rechte Flügel hat einen so mächtigen und gut organisierten Terrorapparat aufgebaut, dass es keinen Zweifel daran gibt, dass er von der CIA finanziert und (ausgebildet) wird. Sie töten Arbeiter, sie sprengen Ölpipelines, Busse und Eisenbahnen in die Luft.

Sie verursachen Stromausfälle in zwei Provinzen, sie greifen unsere Anführer und die Sitze unserer Parteien und Gewerkschaftften/Syndikate an.

Werden sie bestraft oder verhaftet?

Nein, Genosse!

Die linken Anführer werden bestraft und verhaftet.

Die Pablos Rodríguez, die Benjamin Matte, bekennen sich offen dazu, am „Tanquetazo“ (dem Panzerprotest) teilgenommen zu haben.

Werden sie überfallen und gedemütigt?

Nein, Genosse!

Lanera Austral in Magallanes wird überfallen, wo ein Arbeiter ermordet wird und die Arbeiter stundenlang im Dunkeln gelassen werden.

Die Spediteure legen das Land lahm und lassen bescheidene Häuser ohne Paraffin, ohne Lebensmittel, ohne Medikamente zurück.

Werden sie gedemütigt, unterdrückt?

Nein, Genosse!

Die Arbeiter von Cobre Cerrillos, Indugas, Cemento Melón und Cervecerías Unidas werden gedemütigt. Frei, Jarpa und ihre Kohorten, finanziert von ITT, rufen offen zum Aufruhr auf.

Werde sie ihrer Rechte beraubt, werde sie verfolgt?

Nein, Genosse!

Palestro, Altamirano, Garretón werden verfolgt, diejenigen die die Rechte der Arbeiterklasse verteidigen werden ihrere Rehte beraubt.

Am 29. Juni erhoben sich Generäle und Offiziere gegen die Regierung, beschossen den Palacio de la Moneda stundenlang mit Maschinengewehren und hinterließen 22 Tote.

Wurden sie erschossen, wurden sie gefoltert?

Nein, Genosse!

Die Matrosen und Unteroffiziere, die die Verfassung, den Willen des Volkes und dich, Genosse Allende, verteidigten, wurden auf unmenschliche Weise gefoltert.

Patria y Libertad stachelte den Putsch an.

Wurden sie verhaftet, wurden sie bestraft?

Nein, Genosse! Sie halten weiterhin Pressekonferenzen ab, sie erhalten sicheres Geleit, um im Ausland Verschwörungen zu schmieden.

Während Sumar dem Erdboden gleichgemacht wird, wo Arbeiter und Pobladores sterben, und die Bauern von Cautín, die die Regierung verteidigen, den unerbittlichsten Strafen ausgesetzt sind, werden sie an den Füßen aufgehängt in Hubschraubern über den Köpfen ihrer Familien vorgeführt, bis sie getötet werden.

Sie greifen euch an, Genossen, unsere Anführer, und durch sie die Arbeiterklasse als Ganzes, auf die unverschämteste und zügelloseste Weise durch die rechten Medien, die über Millionen verfügen.

Werden sie vernichtet, zum Schweigen gebracht?

Nein, Genosse!

Die linken Medien, Canal 9 de TV, die letzte Chance der Arbeiter, sich Gehör zu verschaffen, werden zum Schweigen gebracht und zerstört.

Und am 4. September, dem dritten Jahrestag der Arbeiterregierung, als eine Million vierhunderttausend Menschen auf die Straße gingen, um sie zu begrüßen und unsere revolutionäre Entscheidung und unser revolutionäres Bewusstsein zu zeigen, führte die Fach eine Razzia bei Mademsa, Madeco und Rittig durch, eine der dreistesten und inakzeptabelsten Provokationen, ohne dass es eine sichtbare Reaktion gab.

Aus all diesen Gründen, Genosse, sind wir Arbeiter in einem Punkt mit Herrn Frei einverstanden, dass es hier nur zwei Alternativen gibt: die Diktatur des Proletariats oder die Militärdiktatur.

Natürlich ist Herr Frei auch naiv, weil er glaubt, dass eine solche Militärdiktatur nur vorübergehend wäre und ihn letztlich zum Präsidentenamt führen würde.

Wir sind fest davon überzeugt, dass der Reformismus, der durch den Dialog mit denen angestrebt wird, die immer wieder Verrat begangen haben, historisch gesehen der schnellste Weg zum Faschismus ist.

Und wir Arbeiter wissen bereits, was Faschismus ist. Bis vor kurzem war es nur ein Wort, das nicht alle von uns verstanden haben. Wir mussten auf Beispiele aus nah und fern zurückgreifen: Brasilien, Spanien, Uruguay usw.

Aber wir haben ihn bereits am eigenen Leib erfahren, bei den Razzien, bei dem, was mit Matrosen und Unteroffizieren geschieht, bei dem, was unsere Gefährten bei Asmar und Famae erleiden, die Bauern von Cautín.

Wir wissen bereits, dass Faschismus bedeutet, alle Errungenschaften der Arbeiterklasse, der Arbeiterorganisationen, der Gewerkschaften/Syndikate, das Streikrecht, die Forderungskataloge zu beenden.

Arbeiter, die die grundlegendsten Menschenrechte fordern, werden entlassen, inhaftiert, gefoltert oder ermordet.

Wir glauben, dass wir nicht nur auf einen Weg geführt werden, der uns mit schwindelerregender Geschwindigkeit in den Faschismus führt, sondern dass uns auch die Mittel genommen wurden, uns zu verteidigen.

Deshalb fordern wir, dass Sie, Genosse Präsident, sich an die Spitze dieser wahren Armee ohne Waffen stellen, die jedoch in Bezug auf Gewissen und Entscheidungen mächtig ist, dass die proletarischen Parteien ihre Differenzen beilegen und zur wahren Avantgarde dieser organisierten, aber führerlosen Masse werden.

Wir fordern:

1/ Als Reaktion auf den Streik der Transportarbeiter die sofortige Beschlagnahmung von Lastwagen ohne Rückgabe durch die Massenorganisationen und die Gründung einer staatlichen Transportgesellschaft, damit die Möglichkeit, das Land lahmzulegen, nie wieder in den Händen dieser Banditen liegt.

2/ Angesichts des kriminellen Streiks der Medizinischen Vereinigung fordern wir, dass das Gesetz über die innere Sicherheit des Staates auf sie angewendet wird, damit das Leben unserer Frauen und Kinder nie wieder in den Händen dieser Söldner der Gesundheit liegt. Alle Unterstützung für die patriotischen Ärzte.

3/ Angesichts des Streiks der Händler dürfen wir nicht den Fehler vom Oktober wiederholen, als wir deutlich machten, dass wir sie als Gewerkschaft/Syndikat nicht brauchen. Es muss verhindert werden, dass diese Schmuggler in Zusammenarbeit mit den Transportunternehmen versuchen, die Bevölkerung durch Aushungern gefügig zu machen. Die direkte Verteilung, Volksläden und der Grundnahrungsmittelkorb müssen ein für alle Mal eingeführt werden.

Die Lebensmittelindustrie, die sich noch in den Händen der Bevölkerung befindet, muss in den sozialen Sektor überführt werden.

4/ Zum sozialen Sektor: Nicht nur sollte kein Unternehmen wiederhergestellt werden, wenn die Mehrheit der Arbeiter seine Verstaatlichung wünscht, sondern dies sollte zum vorherrschenden Wirtschaftssektor werden.

Es sollte eine neue Preispolitik eingeführt werden.

Die Produktion und der Vertrieb der Industrien im sozialen Sektor sollten diskriminiert werden. Keine Luxusproduktion mehr für die Bourgeoisie. In ihnen sollte eine echte Arbeiterkontrolle ausgeübt werden.

5/ Wir fordern die Aufhebung der Waffenkontrollgesetze. Dieses neue „verdammte Gesetz“ hat nur dazu gedient, die Arbeiter zu demütigen, mit Razzien in Industrien und Poblaciones, und wird als Generalprobe für die (reaktionären) Sektoren der Arbeiterklasse benutzt, um sie einzuschüchtern und ihre Anführer zu identifizieren.

6/ Angesichts der unmenschlichen Repression gegen die Matrosen von Valparaíso und Talcahuano fordern wir die sofortige Freilassung dieser heldenhaften Klassenbrüder, deren Namen bereits in die Geschichte Chiles eingegangen sind. Wir fordern, dass die Schuldigen identifiziert und bestraft werden.

7/ Die Folter und der Tod unserer Bauernbrüder von Cautín müssen thematisiert werden. Wir fordern ein öffentliches Verfahren und die entsprechende Bestrafung der Verantwortlichen.

8/ Höchststrafe für alle, die an Versuchen beteiligt sind, die rechtmäßige Regierung zu stürzen.

9/ Was den Konflikt beim Fernsehsender Canal 9 de TV betrifft, so darf dieses Medium der Arbeiter unter keinen Umständen übergeben oder verkauft werden.

10/ Wir protestieren gegen die Entlassung unseres Kollegen Jaime Faivovic, Unterstaatssekretär für Verkehr.

11/ Wir bitten euch, dem kubanischen Botschafter, Genosse Mario García Incháustegui, und allen kubanischen Genossen, die von der Elite der Reaktion verfolgt werden, unsere Unterstützung zu zeigen und ihm unsere proletarischen Viertel anzubieten, damit er dort seine Botschaft und seine Residenz errichten kann, als Dank an diese Menschen, die sogar so weit gegangen sind, sich selbst ihrer eigenen Brotration zu berauben, um uns in unserem Kampf.

Wir fordern die Ausweisung des US-Botschafters, der durch seine Vertreter, das Pentagon, die CIA und ITT, nachweislich Ausbilder und Geldmittel für die Rebellen bereitstellt.

12/ Wir fordern die Verteidigung und den Schutz von Carlos Altamirano, Mario Palestro, Miguel Henríquez und Oscar Garretón, die vom rechten Flügel und der Staatsanwaltschaft der Marine verfolgt werden, weil sie mutig die Rechte des Volkes verteidigen, mit oder ohne Uniform.

Wir warnen dich, Genosse, dass du mit dem Respekt und Vertrauen, das wir noch in dich haben, die einzige wirkliche Unterstützung verlieren wirst, die du als Person und als Anführer hast, wenn du das Programm der Unidad Popular nicht erfüllst und den Massen nicht vertraust. Du wirst dafür verantwortlich sein, das Land nicht in einen Bürgerkrieg zu führen, der bereits in vollem Gange ist, sondern in das geplante, kaltblütige Massaker an der bewusstesten und organisiertesten Arbeiterklasse Lateinamerikas. Und dass es die historische Verantwortung dieser Regierung sein wird, die mit so viel Opferbereitschaft von Arbeitern, Pobladores, Bauern, Studenten, Intellektuellen und Fachleuten an die Macht gebracht und dort gehalten wurde, zu zerstören und zu enthaupten, vielleicht in welchem Zeitrahmen und zu welchem blutigen Preis, nicht nur den chilenischen revolutionären Prozess, sondern auch den aller lateinamerikanischen Völker, die für den Sozialismus kämpfen.

Wir richten diesen dringenden Appell an Sie, Genosse Präsident, weil wir glauben, dass dies die letzte Chance ist, den Verlust des Lebens von Tausenden und Abertausenden der Besten der chilenischen und lateinamerikanischen Arbeiterklasse zu vermeiden.

Coordinadora Provincial de Cordones Industriales / Comando Provincial de Abastecimiento Directo / Frente Único de Trabajadores en Conflicto.


1Ein Drittel des nationalen Frachtverkehrs wurde auf der Schiene und die restlichen zwei Drittel auf der Straße abgewickelt.

2In Wahrheit war er Mitglied einer kleinen rechtsextremen Organisation namens Patria y Libertad (Vaterland und Freiheit), die starke Sympathien für faschistische Theoretiker hegte. Diese Organisation war Ende der 1970er Jahre an der Ermordung von General Schneider beteiligt. Der General war ein Anhänger von Allende und in eine Reihe von gewalttätigen Zwischenfällen verwickelt. Ab Oktober 1972 war sie aktiv an der Vorbereitung des Militärputsches beteiligt, und ihre Anführer Pablo Gonzáles und Roberto Thieme wurden zu Verteidigern des Militärregimes. Ironischerweise wandten sich beide später gegen Pinochet.

3Die Politik der UP wird ausführlich beschrieben in Ian Roxborough, Phil O’Brien, Jackie Roddick: State and Revolution in Chile (Macmillan, London, 1977). Im Folgenden beziehen wir uns auf Roxborough, 1977. Siehe auch Ann Zammit (Hrsg.): The Chilean Road to Socialism (Brighton, 1973).

4Die grundlegenden Indikatoren finden sich in Roxborough, 1977, S. 131-132. Für eine ausführlichere Behandlung siehe S. Ramos, Chile, ¿una economía en transición? (Chile, 1972).

5Die Debatte über Chile wurde von diesem Autor in „The Left and the Coup in Chile“ in International Socialism, Nr. 22, Winter 1984, S. 45–86, ausführlich analysiert.

6Siehe F. Casanueva in M. Fernández, El Partido Socialista y la lucha de clases en Chile (Santiago 1973). Siehe auch C. Altamirano, Dialéctica de una derrota.

7Die Argumente basierten auf der Tatsache, dass die Rechte sich nicht auf einen einzigen Kandidaten für die Wahlen von 1970 einigen konnte und zwei Kandidaten aufstellte. Alessandri, der die Nationale Partei vertrat, vertrat die Interessen der Landbesitzer und der großen Finanzunternehmen. Nach heftigen internen Auseinandersetzungen stellten die Christdemokraten Radomiro Tomic auf, der als Vertreter des linken Parteiflügels galt. Die Stimmen verteilten sich sehr gleichmäßig auf die drei Kandidaten: Allende erhielt 36 % der Stimmen, Alessandri 34,9 % und Tommic 27,8 %.

88Siehe Mónica Threlfall, „Shantytown dwellers and people’s power“, in P. O’Brien (Hrsg.), Allende’s Chile (Paeger, New York, 1976), S. 167–191. Siehe auch J. Giusti, Organización y participación popular en Chile (FLASCO, Santiago, 1973).

9Die MAPU wurde 1968 gegründet und war Teil der UP-Koalition. Die Christliche Linke wurde 1971 um Jacques Chonchol, Freis ehemaligen Wirtschaftsminister, gegründet.

10Siehe González, S. 65–68. Siehe auch eine gute Analyse von Tom Bossert, „Political Argument and policy issues in Allende’s Chile“ (University of Wisconsin Press, 1976).

11Tatsächlich befanden sich die Kupferunternehmen während der Regierung von Frei in einer äußerst günstigen Lage. Die Politik der „Chilenisierung“ der Minen bedeutete, dass der Staat die Anteile aller Minen zu überhöhten Preisen aufkaufen und für alle zukünftigen Investitionen verantwortlich sein würde. Diese Investitionen wurden durch externe Darlehen finanziert, obwohl die großen multinationalen Kupferunternehmen den Markt und den Weltmarktpreis kontrollierten.

12Die vollständige Liste der verstaatlichten Unternehmen findet sich in Roxborough, 1977, S. 90–93.

13Der vollständige Text der Statuten findet sich in Roxborough, 1977, S. 104. Allendes eigene Erklärung findet sich in Debray, Conversaciones con Allende (Mexiko, 1971), S. 116-17.

14Siehe Allende, Chile’s Road to Socialism (Harmondsworth Penguin, 1973), Kap. 9, S. 90-100. Joan Garcés, ein wichtiger Berater Allendes, legte seinen Standpunkt in Chile Hoy dar, mit seinem Argument der „Doppelherrschaft im Staat“, siehe Garcés, El Estado y los problemas tácticos del gobierno de Allende (Siglo XXI, México, 1973). (Die Rede ist zu finden unter http://www.marxists.org/espanol/allende/ 05-09-70.htm).

15Zur Wirtschaftsleistung der Regierung im ersten Jahr siehe Roxborough, 1977, Kap. 4. Siehe auch Paul Sweezy in Monthly Review, Dezember 1973, S. 1-11.

16Die USA erfüllten ihren Teil, indem sie alle Hilfe bis auf die Militärhilfe (die an Umfang zunahm) einstellten und die Auslandsschulden Chiles eintrieben. Zur Rolle der USA siehe The ITT Memos: Subversion in Chile (Spokesman Books, Nottingham, 1972), P. Agee, Inside the company: A CIA Diary (Penguin, Harmondsworth, 1975) und den Bericht des Sonderausschusses des US-Senats von 1975, Covert Action in Chile: 1963-1973. 973.

17Zur Landfrage siehe I. Roxborough, Agrarian policy in popular unity government (University of Glasgow Occasional Paper, 1974) und D. Lehmann (Hrsg.), Agrarian reform and agrarian reformism (Faber, London, 1974). Zu den Streiks und dem politischen Gleichgewicht der Arbeiterbewegung siehe Correo Proletario, Nummer 2, London, 1975, S. 4-5.

18Diese Kommentare stammen von Radomiro Tommic und wurden vom Morning Star am 7. August 1972 zitiert.

19Siehe Bosset, insbesondere die Debatte. Die Antworten der MIR und der MAPU sind in den Dokumentensammlungen enthalten, die 1974 von Politique Hebdo (Paris) und 1977 von Roxborough, Kap. 4, veröffentlicht wurden.

20Siehe MAPU (Politique Hebdo), Kap. 2. Die Verwirrung der MAPU war groß, da sie sich selbst als revolutionäre Partei auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus bezeichnete (siehe die Umrisse ihrer 5. Plenarsitzung im zweiten Jahr der Volksregierung (Santiago, November 1972). Die MIR reagierte äußerst zögerlich (siehe Punto Final).

21Siehe Chile Hoy Nr. 30, Juni/Juli 1972, S. 6. Vergara würde wieder auftauchen und fast identische Kommentare abgeben, nachdem Lo Hermida (siehe Anmerkung 26) in seiner Eigenschaft als Unterstaatssekretär des Innern.

22Die gesamte Diskussion wurde in der Zeitschrift Chile Hoy Nr. 1 vom 16. bis 22. Juni 1972 auf den Seiten 4 bis 6 wiedergegeben. Ich werde Zitate aus dieser sehr guten Wochenzeitschrift (herausgegeben von Mitgliedern der Sozialistischen Partei, aber mit ausführlichen und kontinuierlichen Debatten) von der ersten bis zur letzten Ausgabe vom 30. August 1973 verwenden. Chile Hoy und die Zeitschrift Punto Final der MIR bieten die detaillierteste und sorgfältigste Darstellung des chilenischen Prozesses. Für allgemeine Informationen zu diesem Zeitraum siehe Altamirano, insbesondere Kapitel 4.

23Siehe Chile Hoy, Nr. 6, S. 10-11.

24Das bedeutete nicht, dass sie ignoriert wurden. Chile Hoy und Punto Final diskutierten über die Cordones fast ununterbrochen. Siehe Chile Hoy Nr. 8, S. 4-5. Das erste Programm findet sich in Roxborough, 1977, S. 170-71, und in Allende.

25Siehe O’Brien, S. 31. Siehe auch Hurtado Beca, „Chile 1973-81“ in Gallitelli und Thompson (Hrsg.), Sindicalismo y regímenes militares en Chile y Argentina (CEDLA, Amsterdam 1982).

26Siehe Chile Hoy Nr. 9, S. 6-7 und Nr. 10, S. 6-7.

27Siehe beispielsweise die interessante Analyse von E. González in International Socialism Review (New York), Oktober 1973.

28Siehe P. Santa Lucía, „Industrial workers and struggle for power“ in O’Brien, S. 140-41. Siehe auch Chile Hoy Nr. 8, S. 6-7 und 11, wo Miguel Enriquez, Generalsekretär der MIR, auf den Seiten 29 und 32 seine Meinung äußert. Siehe auch MAPU (Paris 1974) Kap. 2.

29Siehe Chile Hoy, Nr. 8, S. 6.

30„In Wahrheit waren um 1973 die einzigen bourgeoisen Demokraten, an die man sich in Chile erinnerte, Allende, die Kommunistische Partei und ein Teil der Sozialistischen Partei“, schreibt C. Kay in „The Chilean road to socialism: post mortem“ in Science and Society, Sommer 1976, S. 224.

31Chile Hoy und Punto Final.

32Die Informationsquellen für diesen Zeitraum sind wie immer Chile Hoy und Punto Final, auf denen die meisten Bücher ihre Analysen basieren. Siehe z. B. M. Raptis, Revolution and Counter-Revolution in Chile (Allison and Busby, London 1974).

33Zitiert in Punto Final, Nr. 170, S. 6.

34Chile Hoy, Nr. 19, S. 5.

35Zu den in den Medien ausgetragenen Kämpfen siehe die wichtige Arbeit von Armand Mattelart und seiner Gruppe CEREN, die in der Zeitschrift Realidad Nacional veröffentlicht wurde. Siehe auch M. González, Ideologie und Kultur unter Popular Unity in O’Brien, S. 106-127.

36Chile Hoy, Nr. 19, S. 5.

37Zur Strategie der Rechten siehe Ian Roxborough, „Reversing the revolution: the Chilean opposition to Allende“ in O’Brien, S. 192–216. Siehe auch J. Petras und M. Morley, How Allende fell (Spokesman, Nottingham, 1974).

38Punto Final, Nr. 170, S. 6.

39Ebenda.

40Ebenda.

41Chile Hoy, Nr. 20, S. 30.

42Roxborough 1977, S. 167-8 und 172-4. Siehe auch Raptis, S. 103-4.

43Siehe beispielsweise Bossert und Correo Proletario.

44Siehe z. B. Allende, S. 192-3.

45Ein Argument, das z. B. in der Broschüre Chile: trade unions and the resistance (London: Chile Solidarity Campaign, 1975), S. 11, wiedergegeben wird: „Die Cordones können als eine Erweiterung der CUT auf lokaler Ebene angesehen werden“.

46El segundo año, S. 383.

47Bossert, S. 221.

48Ver New Chile, London, Nr. 2, S. 2-3. Siehe auch MAPU.

49Siehe Garcés, S. 214-217, der ein Interview mit General Prats, dem Befehlshaber der Armee, in Ercilla und Chile Hoy hervorhebt. Grace erklärt beispielsweise, dass „die Männer in der Armee, die verstanden, dass sie mit der Regierung Allende zusammenarbeiten sollten, nicht die Art waren, die sich die reaktionäre Rechte vorstellte“.

50Chile Hoy, Nr. 22, S. 32.

51Ebenda.

52Siehe das in Chile 1973 zitierte Dokument.

53Chile Hoy, Nr. 22, zitiert in Garces.

54Punto Final, Nr. 170, S. 3.

55Chile Hoy, Nr. 58, S. 5.

56Dies waren die Meinungen von Bosco Parra, dem Anführer der Christlichen Linken, in einem Interview in Punto Final, Nr. 171, S. 6-7.

57Der Sprecher ist Gabriel Aburto in Punto Final, Nr. 172, S. 4-5.

58Die Dringlichkeit der Diskussionen war in den Dokumenten der verschiedenen Parteien der damaligen Zeit zu spüren: in Zeitschriften wie Chile Hoy, Punto Final und Puro Chile sowie in den Publikationen verschiedener Organisationen wie El Siglo (PC), La Aurora (PS), El Rebelde (MIR) und in den intensiven Debatten, die in jeder von ihnen geführt wurden.

59Lenin legte zu einem ähnlichen Zeitpunkt im Verlauf der Russischen Revolution in seinen Aprilthesen eine Analyse der besonderen Aufgaben vor, die Partei auf der Stärke der Kampfbereitschaft der Massenorganisationen aufzubauen, aber vor allem den Kampf um die politische Führung der Bewegung zu gewinnen. „Solange diese Regierung dem Einfluss der Bourgeoisie unterliegt, kann unsere Aufgabe nur darin bestehen, geduldig, systematisch, beharrlich und gezielt die Erklärung der Fehler ihrer Taktik an die praktischen Bedürfnisse der Massen anzupassen“ (Aprilthesen).

60Eine vollständige Wiedergabe der Debatte findet sich in Punto Final, Nr. 173, Dokumententeil, S. 1–22.

61Siehe E. González.

62In einem Interview in Punto Final Nr. 183, S. 4

63P. St Lucia, S. 147.

64P. Santa Lucía, S. 148.

65Siehe Roxborough in O’Brien, S. 205-7.

66Siehe Roxborough, 1977.

67Die Beispiele sind unzählig. Am 12. Februar 1973 beispielsweise argumentierte die politische Kommission der MAPU, dass es notwendig sei, „eine revolutionäre Antwort von der Regierung zu fordern“ und „einen revolutionären Pol innerhalb der UP aufzubauen“ (in Chile 1973, S. 54-55). In der Mai-Debatte bestand der Leiter der MIR-Arbeiterorganisationen darauf, dass die CUT die Cordones anführen sollte usw.

68Siehe als besonders krudes Beispiel für dieses Argument C. Kay, „The Making of a Coup“ in Science and Society, 1974, abgedruckt im Edinburgh Solidarity Campaign Bulletin, Chile Hoy, Nr. 2, S. 9. Für das gegenteilige Argument siehe H. Prieto, „The gorillas are amongst us“ (Pluto Press, London 1974), S. 34–36.

69Siehe Prieto.

70Punto Final, 3/07/73, S. 13.

71Siehe Punto Final, Nr. 182, S. 4.

72Beschrieben in Punto Final als „Un congreso fuera de onda“, Nr. 187, S. 9.

73Siehe Punto Final, Nr. 185, S. 16-18.

74Siehe Punto Final, Nr. 185, S. 16-18.

75P. García, zitiert aus Chile Hoy, Nr. 55

76Von P. García, siehe auch St. Lucia.

77A.d.Ü., von uns überprüft, zu sehen auf Chile Hoy, N° 56, Santiago, Semana del 6 al 12 de julio de 1973, der Link dazu hier: https://www.socialismo-chileno.org/PS/ChileHoy/chile_hoy/56/index.html

78Prieto, S. 37.

79Prieto, S. 39.

80Siehe Punto Final und Chile Hoy. Die Führung der Sozialistischen Partei prahlte damit, dass die Arbeiterklasse keine Waffen habe. Siehe Chile Hoy, Nr. 58 und 59.

81Altamirano sagte nach dem Putschversuch vom 29. Juni: „Noch nie war die Einheit des Volkes, der Streitkräfte und der Polizei so stark wie jetzt, und diese Einheit wird mit jedem neuen Kampf in dem historischen Krieg, den wir führen, wachsen“ (grausam zitiert in Le Monde, 16.-17. September 1973). Er wiederholte die Worte des Generalsekretärs der Kommunistischen Partei, Luis Corvalán, Anfang August während einer großen Kundgebung in Santiago. Zu seinem Unglück wurde seine Rede in der Septemberausgabe 1973 von Marxism Today, der Zeitschrift der britischen Kommunistischen Partei, veröffentlicht.

82Punto Final, Nr. 189

83Roxborough, 1977, S. 176.

84Siehe González in O’Brien, S. 118-21.

85Mit tragischer Ironie in der Zeitschrift Marxism Today im September 1973 wiedergegeben.

86Siehe das Interview mit dem Generalsekretär der MIR, Miguel Enríquez, in Punto Final, Nr. 189, S. 4-7.

87Siehe González, 1984.

88Siehe die Broschüre der British Communist Party, Chile: Solidarity with Popular Unity, London.

89Es ist eines der Paradoxe der chilenischen Erfahrung, dass die enorme Menge an Schriften und Analysen des Prozesses von 1970 bis 1973 nach dem Putsch verfasst wurde, in den meisten Fällen mit dem Ziel, die eine oder andere Perspektive während der UP-Zeit zu rechtfertigen oder zu legitimieren. Unmittelbar nach dem Putsch wurde die Brutalität des Putsches hervorgehoben. Von den vielen Berichten können die folgenden erwähnt werden: Chilli: le dossier noir (Gallimard, Paris, 1974); R. Silva, Evidence on the terror in Chile (Merlín, London, 1975); die Zeitschrift, die von der Campaign of Solidarity with Chile (GB) herausgegeben wurde; Chile Fights, ab Ende 1973; Chile: The story hinter dem Putsch (ANCLA, N. York, 1973) und die Rede von E. Berlinguer, Sekretär der Kommunistischen Partei Italiens, in Marxism Today, Februar 1974.

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Italien-Chile, 2005: Wer ist Toni Negri und warum ist er hier? https://panopticon.blackblogs.org/2024/11/26/italien-chile-2005-wer-ist-toni-negri-und-warum-ist-er-hier/ Tue, 26 Nov 2024 18:16:31 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6086 Continue reading ]]>

Gefunden auf la jauria de la memoria, die Übersetzung ist von uns. Eine weitere Kritik an der miserablen Figur von Toni Negri. Der Artikel weißt Fehler auf die in der Einleitung korrigiert werden. Wollten auch nur darauf hinweisen.


Italien-Chile, 2005: Wer ist Toni Negri und warum ist er hier?

Toni Negri während des Prozesses am 7. April. Hinter ihm stehen einige seiner Mitangeklagten. Einige Zeit später wurde Negri nicht mehr vom Staat angeklagt, sondern nahm im Parlament an dem Prozess teil.

Anmerkung der Redaktion: Hier ist ein alter kritischer Text über den angesehenen Professor Negri, einen gatopardo1 mit einer raffinierten Fähigkeit, dorthin zu gehen, wo die Sonne aufwärmt. Es ist kein Zufall, dass seine beiden Besuche in Chile in die Zeit nach akuten sozialen Konflikten fielen, 2005 mit den Erfahrungen der Proteste beim APEC-Gipfel und 2011, als die Studentenbewegung alle Prognosen über den Haufen geworfen hatte.

Professor Negri ist eine jener Kuriositäten, die sich im revolutionären Milieu tummeln: Obwohl er nie ein Kämpfer war, erlangte er in der Welt der revolutionären sozialen Kämpfe der 1960er und 1970er Jahre enormen Ruhm. Er gründete Potere Operaio und stellte Theorien auf, eine Menge Theorien. So ähnlich wie Alberto Mayol in Chile, der auf der Grundlage einer gelegentlich konfliktreichen Bewegung lebte. So lebte er zwischen seinen Professuren für Staatstheorie an der Universität Padua und seinen Beiträgen zu verschiedenen marxistischen Zeitschriften, als er im Prozess vom 7. April 1979 verhaftet und (zusammen mit anderen Forschern an der Universität Padua, Journalisten und militanten Gründern von Potere Operaio wie Emilio Vesce, Oreste Scalzone, Franco Piperno, Luciano Ferrari Bravo, Alessandro Serafini und Alisa Del Re) verschiedener Anschuldigungen beschuldigt wurde. Der Professor wurde als Drahtzieher des Todes von Aldo Moro angeklagt (könnte man ihn vielleicht wegen irgendeiner nicht-intellektuellen Tat anklagen?), was dazu führte, dass er einige Jahre im Gefängnis verbrachte. An sich bedeutete der ganze Prozess vom 7. April die umfassende Umsetzung des Calogero-Theorems (auch Umwelttheorie genannt), das der Richter und Militante der Kommunistischen Partei Italiens (PCI) Pietro Calogero vorgeschlagen hatte und das durch Amalgamierungen und Syllogismen all diejenigen auf der Linken der PCI, von der autonomen Bewegung bis zu den Roten Brigaden, in den großen Sack einer „bewaffneten Partei“ warf, die von cleveren und perfiden „schlechten Meistern“ geführt wurde. Der Glaube an diese Hypothesen über die intellektuelle Urheberschaft war so groß, dass Pietro Calogero, mittlerweile im Ruhestand und in den 70ern, 2010 seine Erinnerungen in seinem Buch Terror Rojo veröffentlichte . De la autonomía al partido armado, zusammen mit Michele Sartori, Journalist bei L’Unità (einer Mitgliedsorganisation der PCI), und Carlo Fiuman, Professor an der Universität Padua. Darin schwärmt er weiterhin unbeirrt von Verschwörungen und Geheimnissen, trotz gegenteiliger Zeugenaussagen und Gerichtsurteile.

Im September 1982 erschien Professor Negris Unterschrift neben der von Paolo Virno und anderen Gefangenen im Rebibbia-Gefängnis, Mitgliedern von Potere Operario, Guerriglia Comunista, Unità Comuniste Combattenti und vielen anderen aus dem Bereich der Arbeiterautonomie, auf dem Text Una Generazione Politica Detenuta, bekannt als „das Manifest der 51“, einem Dokument der Distanzierung (Ablehnung des bewaffneten Kampfes, aber auch der Denunziation). Die „Strategie der Distanzierung“ war ein Versuch des Staates, den revolutionären bewaffneten Kampf in Italien zu entzweien und tiefe Gräben in der autonomen Bewegung aufzureißen. Mit den Worten von Rolando d’Alessandro: „Dank der akribischen Arbeit aller konterrevolutionären Kräfte wurde das, was nie den Bereich einer Debatte über politische Zweckmäßigkeit hätte verlassen dürfen, zu Sätzen mit moralischen Konnotationen und es wurden neue Wahrheiten aufgedrängt, wie “in der Demokratie kann alles ohne Gewalt erreicht werden„ oder dass “Gewalt zu Unvernunft führt“, Wahrheiten, die in zahlreichen Pseudo-Analysen, die innerhalb der verfeindeten Gebiete selbst geschmiedet werden sollten, nachhallen sollten, wie „die Waffen brachten die Stimmen der Bewegung zum Schweigen“, die viel propagandistische Wirkung, aber keinen politischen Tiefgang hatten. Dieses Phänomen wurde seinerzeit in der Schrift El fin de la clase política de la Autonomía Obrera Organizada (Das Ende der politischen Klasse der organisierten Arbeiterautonomie ) und später und kurz von Salvatore Verde in seinem Buch Máxima Seguridad behandelt. De las cárceles especiales al Estado penal (insbesondere in den Kapiteln Las cárceles especiales y el „pentitismo “ und El fin de la emergencia).

Im darauffolgenden Jahr, 1983, wurde Professor Negri während der Verbüßung seiner Untersuchungshaft als Abgeordneter für die sozialdemokratische Radikale Partei nominiert und gewählt, erhielt Immunität und konnte wieder auf die Straße gehen, bis seine Immunität aufgehoben wurde. Doch da befand er sich bereits im Exil in Mitterrands sozialdemokratischem Frankreich und nutzte das politische Asyl, das ihm angeboten worden war, während dieselbe Regierung Türen eintrat und Wohnungen und Soziale Zentren auf der Suche nach Gefährten der Action Directe und der außerparlamentarischen Linken durchsuchte. Von dort kehrte er 1997 zurück, um seine auf 12 Jahre reduzierte Strafe zu verbüßen. Seit 2003 kann er in regelmäßigen Abständen freigelassen werden.

Der Prozess vom 7. April endete mit 80 Angeklagten, 70 Freisprüchen, 60.000 verhörten Personen und 25.000 Verhaftungen. Scalzone wurde zu 8 Jahren verurteilt, Piperno zu 2 Jahren, aber er ging ins französische Exil, bis die Verjährungsfrist abgelaufen war. Vesce wurde freigesprochen.

Sicherlich hat Professor Negri immer versucht, die italienische autonome Bewegung der 1970er Jahre anzuführen („autonom“, verstanden als staatsfeindlich, kommunistisch und anarchistisch), und als sie sich abnutzte, entwickelte er seine Figur als falscher Kritiker weiter, indem er ohne Ekel von der Straße ins Parlament ging, wo geredet wird und ein Dialog mit den anderen Mächten des Staates stattfindet. Man darf nicht vergessen, dass ein Parlamentarier eine Macht des Staates ist, also ist er Teil des Staates und trägt dazu bei, ihn aufrechtzuerhalten; auch wenn er davon träumt, dass er ihn verändern kann: Nur Albträume können das Individuum aufwecken. Nur Aktionen sind in der Lage, die Realität, die objektiven materiellen Bedingungen, zu verändern. Professor Negri weiß eine Menge darüber. Und wir bestehen darauf, ihn Professor zu nennen, denn das ist es, was er ist: niemals ein Revolutionär.

Ungeachtet der Unterschiede, die es zum Kommunismus, zum Marxismus geben mag, kann man die revolutionäre Bedeutung, die diese Bewegung in der Geschichte der ausgebeuteten Gruppen hatte, nicht ignorieren. Es reicht schon, sich daran zu erinnern, unter welchen Ideen der bewaffnete Widerstand gegen die Diktatur in Ländern wie Argentinien, Chile oder Brasilien artikuliert wurde.

Ebenso ist es notwendig, die Verärgerung zu verdeutlichen, die wir empfinden, wenn wir auf dieser Seite eine Notiz der Leute von Comunizacion.org hinterlassen, die Gefährtenwie Gabriel Pombo da Silva mit Adjektiven behandelt haben, die wir nicht wieder aufgreifen wollen. Aber ein Text wird nicht dadurch unbrauchbar, wer ihn schreibt, und die Notiz von Comunizacion.org dient in diesem Fall dazu, einen Kontext zu dem zu schaffen, was hier erzählt wird. Nur in diesem Fall.

Obwohl dieses Pamphlet Toni Negri gut entlarvt, gibt es ein kleines anonymes Buch mit dem Titel Bárbaros, la insurgencia desordenada (Englisch | Italienisch)2, das 2002 von Edizioni NN veröffentlicht wurde und als anarchische Antwort auf das Buch Empire entstand. Es endet mit einer heftigen Kritik an Negri, einer viel affineren und gefährtschaftlichen Kritik, ohne die typischen Anspielungen und Hochrufe auf das Proletariat, die eher wie religiöse Beschwörungen einer toten sozialen Klasse als revolutionäres Projekt wirken. Wir behaupten nicht, dass das Proletariat nicht existiert oder ähnliches, aber es muss klar sein, dass die Arbeiterklasse nicht revolutionär ist, weder von sich aus, noch weil irgendeine Ideologie das behauptet.

Wenn es im folgenden Text heißt, dass der Tod von Aldo Moro verübt wurde, als „die Roten Brigaden (…) bereits infiltriert waren und unter der Kontrolle der Geheimpolizei standen“, ist das ein typischer Verteidigungsmechanismus der Situationisten, Snobs und so vieler anderer Zuschauer der Revolution, die davon schwärmten, dass die Roten Brigaden, die Bewaffneten Proletarischen Kerne und andere bewaffnete Gruppen infiltriert waren. Dieselbe Kritik wurde zum Beispiel in Chile von der Kommunistischen Partei (die historisch gesehen eine Tendenz zur Legalität hat) gegenüber einigen Aktionen der Revolutionären Linken in den 70er und 80er Jahren geäußert und dann auf die MAPU-Lautaro (90er Jahre) oder in den letzten Jahren auf die Bombenanschläge von Anarchisten bezogen.

Der Tod von Aldo Moro ereignete sich 1978 inmitten der Kampagne „Angriff auf das Herz des Staates“, mit der der historische Kompromiss zwischen der PCI (Kommunistische Partei Italiens) und der Christdemokratie bekämpft werden sollte und bei der Moro einer der überzeugten Anführer war. Später spalteten sich die Roten Brigaden ab und setzten den bewaffneten Kampf bis weit in die 1980er Jahre hinein fort, als sie zusammen mit den Gefährten der Action Directe (Frankreich) und der Roten Armee Fraktion (Bundesrepublik Deutschland) die Antiimperialistische Front förderten. Natürlich wurden die Gefährten von der Polizei und den Sicherheitsbehörden unterwandert, wie es leider bei vielen Guerillas der Fall war, aber zu behaupten, dass sie vom Staat oder der PCI selbst angeführt wurden, wie es Herr Debord– „ein Intellektueller des Hofes des Proletarierprinzen“, wie er von einigen Gefährten in Italien so treffend bezeichnet wurde – mehr als einmal andeutete, ist einfach eine dumme Behauptung, die durch nichts gestützt wird, außer durch den schlechten Glauben derjenigen, die sie ausspucken.

Um es mit den Worten von Alessandro Stella zu sagen: „Mehr als dreißig Jahre später und obwohl alle Polizeiberichte und Gerichtsurteile belegen, dass die bewaffneten Gruppen jener Jahre aus Arbeitern, Studenten, Proletariern und Intellektuellen bestanden, dass ihre Beweggründe sozialer Natur waren, dass sie eine kommunistische Ideologie hatten und einen radikalen politischen Wandel wollten, halten die Meinungsmacher weiterhin an einer mysteriösen Interpretation oder Vision der Geschichte fest. Hinter den Roten Brigaden und anderen bewaffneten Gruppen muss zwangsläufig jemand anderes gestanden haben – auch wenn er nie genannt und nie entdeckt wurde -, der im Schatten agierte und ganz andere Ziele verfolgte als diese Brigadisten, die so naiv waren, dass sie nicht merkten, dass sie manipuliert wurden. Neben anderen Journalisten, Politikern und Professoren veranschaulicht auch der Politikwissenschaftler Giorgio Galli dieses magische Denken. In seinem 2004 erschienenen Buch Plomo Rojo. Die komplette Geschichte des bewaffneten Kampfes in Italien von 1970 bis heute – mit einem Titel aus dem alten Westen und dem Untertitel einer Universitätsarbeit – stellt er auf mehr als fünfhundert Seiten erneut die These von der Manipulation der bewaffneten linken Gruppen durch eine verborgene Macht auf.

Die Verschwörungstheorie, die Verbindungen zu ausländischen Geheimdiensten, die ganze Diärologie (das Studium dessen, was dahinter liegt, der verborgenen Ursachen von Ereignissen) hat ihren Ursprung in einem tief im Unterbewusstsein des bourgeoisen – nicht nur italienischen – elitären Denkens verankerten Klassennegationismus. Sie können nicht zugeben, dass Menschen, die als Arbeiter angesehen werden, die Intelligenz haben könnten, Aktionen durchzuführen, die nicht nur die großen Industrieunternehmen, sondern auch die höchsten Stellen des Staates in Verlegenheit bringen würden. Sie müssen Manipulateure sehen, Marionetten, die die Fäden der Brigadisten für ihre eigenen geheimnisvollen Ziele ziehen. So beschuldigten Richter Calogero und andere wahnhafte Gestalten unter anderem Intellektuelle, Universitätsprofessoren, Journalisten, Dichter und Schriftsteller, die Roten Brigaden und eine imaginäre bewaffnete Partei anzuführen. All das, weil sie nicht in der Lage waren, zuzugeben, dass Arbeiter wie Mario Moretti oder Rocco Micaletto weder gute noch schlechte Lehrer brauchten, um zu denken“.

Die Unterwanderung ist etwas, das ausschließlich von Gefährten untersucht werden sollte, die der Guerilla verpflichtet sind, und ihre Version wird immer die genaueste sein, wenn auch niemals exakt. Alle anderen Verschwörungsanalysen kommen entweder vom Staat oder von denen, die sie postulieren, und in beiden Fällen sind sie Unsinn.

Diese Theorie, diese großstädtische Legende über die Möglichkeit einer geheimdienstlichen Unterwanderung, gibt es schon seit Jahren.Sie ist auch heute noch in aller Munde.In Wirklichkeit hat sie niemand wirklich bewiesen.
Ich war fast als letzte verhaftet worden, am 19. Juni 1985, und ich kenne alle Genossen der Roten Brigaden.Wenn mir jemand sagen könnte, wer ein Infiltrator ist, wäre ich sehr dankbar, denn ich kenne ihn nicht.Wenn ihn jemand kennt, stelle ihn mir bitte vor.
Barbara Balzerani,
3. März 2016

* * *

Hommodolars Anmerkung: Die folgende Einleitung erklärt den Kontext des letzten Besuchs von Toni Negri, einem sehr modischen Theoretiker, der als „linker Intellektueller“ seine Funktion des „Sprechens“ und „Studierens“ von Marx mit dem Anschein einer „Tiefe“ voll erfüllt, die nichts anderes als reine Phraseologie ist, um das Wesentliche seines praktischen revolutionären Denkens zu liquidieren und das Lob der „Linken“ und natürlich des Kapitals zu erhalten. Bei seinem ersten Besuch Ende Oktober 2005 wurde ein anonymer Text verteilt, in dem die Funktion dieser Figur deutlich gemacht wurde und den wir dank einer solidarischen Zusammenarbeit wiedergeben. Ah! Wenn du den Ausdruck „falscher Kritiker“ noch nie verstanden hast, könnte dir das vielleicht helfen… (die Figur wird an der Diego Portales Universität sein, mit der Konferenz „Das Gemeinsame und die politische Aktion heute ‚ und dem Kolloquium ‘Biopolitik des Gemeinsamen“).

Anmerkung: Vor genau sechs Jahren besuchte der angesehene Professor Negri Chile, wo er von der in einem bestimmten Hörsaal der Arcis Universität versammelten Universitätsgemeinschaft beklatscht und bewundert wurde. Trotz der ekstatischen Begeisterung des Publikums verlief die Veranstaltung nicht ohne Schattenseiten. Während des Vortrags gelang es einigen Leuten, die mit der Anwesenheit von Professor Negri überhaupt nicht einverstanden waren, die Stromversorgung zu unterbrechen, so dass das Geplapper des Dozenten zeitweise völlig unhörbar war. Von Zeit zu Zeit kamen auch beleidigende Rufe gegen den Maestro aus dem lustlosen Publikum, und in einem Moment relativer Ruhe hatte einer der Unzufriedenen die Geistesgegenwart, ihn für seine leere pseudointellektuelle Aufgeblasenheit zu tadeln. Negri spielte natürlich den Narren.

Es ist erwähnenswert, dass die erwartungsvollen Zuschauer beim Betreten des Konferenzsaals zur Begrüßung einen interessanten anonymen Text in die Hand gedrückt bekamen, der auf einem Blatt Papier gedruckt war und den Titel „Wer ist Toni Negri und warum ist er hier? Während der Rede und in den darauffolgenden Tagen verteilte eine unbestimmte Anzahl nutzloser Subversiver weiterhin einige tausend Exemplare dieses Pamphlets in verschiedenen Teilen Santiagos. Sicherlich wäre das alles unwiederbringlich in Vergessenheit geraten, wenn nicht heute andere Akademiker beschlossen hätten, den einzigartigen venezianischen Professor zu einem besonders günstigen Zeitpunkt nach Chile zurückzubringen.

Auch mehrere Jahre nach dieser denkwürdigen Episode ist der Text immer noch eine sehr unterhaltsame Lektüre. Vor allem aber ist er prophetisch: Negris erneuter Besuch in diesen unruhigen Ländern in den kommenden Tagen sollte im Lichte der Aussagen in den letzten Absätzen der folgenden Broschüre gesehen werden.

* * *

Wer ist Toni Negri und warum ist er hier?

„Die Welt dreht sich um die Erfinder neuer Werte, sie dreht sich unsichtbar. Aber um die Komödianten drehen und winden sich das Volk und der Ruhm; und so geht die Welt weiter“.
Nietzsche

Schon in jungen Jahren träumte Toni Negri davon, ein intellektueller Anführer der Arbeiterklasse zu werden. Die Geschichte gab ihm seine Chance: Kurz nach seinem Abschluss als Philosoph erlebte der Klassenkampf auf der ganzen Welt einen bemerkenswerten Aufschwung. Damals (in den 1960er Jahren) waren die Proletarier von ihrer eigenen Kampffähigkeit überzeugt, so dass es ihnen egal war, ob ein überheblicher kleiner Intellektueller in die Fabriken kam und ihnen sagte, was sie tun sollten. Diese unbekümmerte Haltung der Arbeiter gab Toni einen Einblick in die Realität der Industriezentren Italiens, wo die Arbeiter wilde Streiks führten, die Autos ihrer Chefs abfackelten, Spitzel verprügelten und so weiter.

Aus diesen Kämpfen zog Toni eine banale Schlussfolgerung, die er jedoch als seine große theoretische Entdeckung verkündete: In den Betrieben liegt das Epizentrum der Kämpfe gegen das Lohnsystem und den kapitalistischen Profit. Natürlich haben die Ausgebeuteten das schon immer gewusst, aber Toni verdrehte gerne die Worte, um öffentliches Aufsehen zu erregen. So verstand er es, die Autonomia Operaia-Bewegung (A.d.Ü., auf spanisch Movimiento Autonomía Obrera) (eine halbanarchistische, amorphe und heterogene Strömung) zu nutzen, um sich als „engagierter Intellektueller“ zu profilieren.

Mitte der 1970er Jahre erreichte der Klassenkampf in Italien extrem hohe Temperaturen und brachte verschiedene militante Gruppierungen des Proletariats hervor. Gruppen wie Insurrection, die italienische Sektion der Situationistischen Internationale und die Roten Brigaden, versuchten, den Kampf durch theoretische Klarstellungen und bewaffnete Propagandaaktionen zu beleben. Toni hatte schon seit einigen Jahren die Fäden der Gruppe Potere Operaio in der Hand, aber in den extremsten Kreisen des italienischen Proletariats war er fast unbekannt. Um dieses Problem zu lösen, ließ er sich von jedem Journalisten, der ihm über den Weg lief, fotografieren und interviewen, bis sein Name in der Presse auftauchte.

Das Ergebnis dieser Berühmtheit war grotesk: Als sich die repressiven Kräfte Ende der 70er Jahre auf die Bewegung stürzten, um sie zu vernichten, wählten sie den armen Toni als Sündenbock, um dem Proletariat eine Lektion zu erteilen. In einer Atmosphäre von Paranoia, Denunziationen, Reue und Inszenierungen wurde Toni Negri beschuldigt, der Ideologe der Roten Brigaden zu sein und an der Entführung und Ermordung des christdemokratischen Anführers Aldo Moro beteiligt gewesen zu sein (ein Anschlag, den die Roten Brigaden verübten, als sie bereits unterwandert waren und unter der Kontrolle der Geheimpolizei standen). In Wirklichkeit kannte niemand in den Roten Brigaden Negri, und Moros Ermordung war von den Regierungsparteien organisiert worden, um die Krise einzudämmen. Aber Toni „der Schlaue“ nutzte die Gelegenheit: Er organisierte eine Unterstützungskampagne, die sich auf ihn selbst konzentrierte (als in Italien Tausende von sozialen Kämpfern im Gefängnis saßen); und er verteidigte sich halbherzig, indem er andeutete, dass er kein Terrorist, aber auch nicht ganz unschuldig war. Dann wurde er berühmt.

Toni verbrachte vier Jahre im Verborgenen. 1983 nutzten seine Anhänger ein juristisches Schlupfloch, um ihn aus dem Gefängnis zu holen: Sie stellten ihn bei den Parlamentswahlen als Kandidaten der Radikalen Partei auf, er wurde zum Abgeordneten gewählt und das Parlamentsprivileg erlaubte es ihm, ohne Weiteres frei zu kommen. Danach ging er nach Frankreich ins Exil, wo er mit der postmodernen intellektuellen Elite in Verbindung gebracht wurde. In diesem Umfeld schrieb er seinen ersten Bestseller: Marx beyond Marx, in dem er behauptete, dass Marx‘ bekanntes Werk Das Kapital das Proletariat in die Niederlage geführt habe. Diese Dummheit brachte ihm großen Beifall von der Linken ein, die sein Buch als „eines der wichtigsten Dokumente des europäischen Marxismus “ bezeichnete (etwa zur gleichen Zeit bezeichnete die Linke Foucault als den kritischsten Denker der Welt, weil er gesagt hatte, dass der Kapitalismus niemals abgeschafft werden könne). In Wirklichkeit kümmerte sich die fortschrittliche Bourgeoisie Europas wenig um Negris theoretische Qualität, sondern sah in ihm einen Scharlatan, der ihnen in ihrem ideologischen Krieg gegen die Proletarier von großem Nutzen sein konnte. Und genau das ist passiert.

Sehen wir mal: Als Negri zum ersten Mal mit den proletarischen Kämpfen in Berührung kam, waren diese so kämpferisch, dass man nur sagen konnte: „Marx hatte recht: In der Fabrik ist der Kampf gegen Lohnarbeit und Eigentum“. Toni wiederholte nur, was alle marxistischen Theoretiker schon immer gewusst hatten: dass die Kämpfe der Arbeiterklasse in den Betrieben die Achse des sozialen Kampfes waren und sein sollten. Was geschah dann? Die Reaktion startete eine gewalttätige Kampagne des verdeckten Terrorismus, schleuste Spitzel und Provokateure in die aufständischen Milieus ein, schmuggelte Drogen in die Slums und organisierte eine Entlassungswelle in den am stärksten betroffenen Fabriken. Dann wurde klar, dass der „Operaismus“ italienischer Marxisten wie Tronti und Panzieri – ein Ansatz, den Negri nachplapperte – nicht ausreichte, um den Charakter des Kampfes und seine Niederlage zu erklären. Einige versuchten, die Niederlage abzutun, indem sie den Historischen Kompromiss zwischen Stalinisten und Christdemokraten guthießen. Andere lebten und kämpften weiter im Dunkeln unter den Ausgebeuteten, weil sie verstanden, dass Erklärungen von der Arbeiterbewegung selbst kommen mussten, die gezwungen war, die Katastrophe zu verarbeiten, um die Offensive wieder aufzunehmen. Was tat Negri, abgesehen davon, dass er die Niederlage ausnutzte, um berühmt zu werden? Er hat geschwiegen.

Obwohl es richtiger wäre zu sagen, dass er nicht nur schwieg, um nicht über sein schändliches Verhalten sprechen zu müssen, sondern auch die Proletarier zum Schweigen aufforderte: „Das proletarische Gedächtnis ist nur die Erinnerung an die vergangene Entfremdung: Der kommunistische Übergang ist die Abwesenheit von Erinnerung“. In dem Moment, als er das schrieb, wurde Negri zum Kollaborateur der Polizei. Aber das war noch nicht alles. Während er die Ausgebeuteten dazu aufrief, ihren eigenen Kampf zu vergessen, nutzte Toni der Gedächtnishafte die Ruhe des Gefängnisses, um die Geschichte des modernen politischen Denkens zu studieren. Er machte keinen Versuch, eine Bilanz des verzweifelten Kampfes in den Straßen und Fabriken zu ziehen, keine Erklärung für die Niederlage, keine Vorschläge für den Wiederaufbau der Arbeiterbewegung. Aber was konnte man schon anderes erwarten? Toni Negri ist weder ein revolutionärer Militanter noch ein Stratege des kommunistischen Kampfes; er ist ein bezahlter Denker, ein Metaphysiker und ein Opportunist: eine Marionette. Deshalb hat er auch keine konkrete Analyse zur Entwicklung des Klassenkampfes oder zu einer internationalen Kampfstrategie der Ausgebeuteten beigesteuert: Stattdessen hat Negri die 1980er Jahre damit verbracht, über „konstituierende Macht“, „Multitude“ und „radikale Subjektivität“ zu spekulieren; er hat versucht, revolutionäre Theorie mit konterrevolutionärer Theorie, Kommunismus mit Postmodernismus, Feuer mit Wasser zu verbinden… Wie konnte unser Professor nur auf so ein dummes Amalgam kommen?

Als der proletarische Kampf aufkam, beschrieb Negri den Kapitalismus als politische Herrschaft über den Produktionsprozess am Arbeitsplatz und Besetzungen und Streiks als direkte Kämpfe gegen das Lohnsystem und das Eigentum (all das war Marxismus für Schulkinder). Später erkannte Toni, dass sich die kapitalistische Herrschaft über den Arbeitsplatz hinaus auf alle Aspekte des täglichen Lebens erstreckte – etwas, das die Situationisten früher und besser verstanden hatten als er. Dann kam die Niederlage, und Negri, der keinen wirklichen Beitrag zur Bewegung geleistet hatte, entschied, dass die Schuld für das Scheitern bei den Arbeitern selbst lag, die sich durch ihren Kampf für höhere Löhne und die Kontrolle der Produktion „mitschuldig am kapitalistischen Betrug“ gemacht hatten. Marx hat die Lohnabhängigen nie idealisiert; er sagte nur, dass sie die wichtigste revolutionäre Kraft seien, weil sie an der Basis der kapitalistischen Produktion sitzen und diese in die Luft sprengen könnten, wenn sie ihren ökonomischen Kampf in einen politischen Kampf um die Macht verwandeln würden. Das war der Sprung, den die Arbeiter in Italien und dem Rest der Welt in der Krise der 1970er Jahre nicht geschafft haben, und diese Schwäche musste erklärt werden, um sie in den kommenden Kämpfen zu überwinden.

Aber das war zu viel für Professor Negri. Seine Lösung war viel einfacher: Er verachtete die lohnabhängigen Proletarier, die er einst liebte (er nannte sie „Massenarbeiter“), und verliebte sich in die nicht lohnabhängigen Proletarier: Studenten, Arbeitslose, Prekäre (die „Sozialarbeiter“), die er nun als das „neue autonome Subjekt“, die treibende Kraft der Revolution, die „Multitude“ bezeichnete. Das Problem mit seiner „Theorie“ ist, dass sie keine Hinweise darauf gibt, wie der Kampf dieses diffusen Proletariats zu organisieren ist, wogegen er sich richten soll und welches Ziel er genau verfolgt. Während der Kampf der Arbeiter die Produktionsbasis des Kapitals direkt bedroht, reduziert sich der Kampf der „Multitude“ auf die Wahl zwischen verschiedenen Lebensstilen innerhalb der heutigen Gesellschaft und löst sich in eine Vielzahl von oberflächlichen, ästhetischen und symbolischen Widerständen auf, die kein gemeinsames Ziel und keine gemeinsame Strategie haben und daher für die kapitalistische Ordnung harmlos sind. Diese von Negri theoretisierten „autonomen Widerstände“ entsprechen der „Mikrophysik der Macht“ von Foucault, allerdings in marxistischer Sprache.

Die Bewunderung der Bourgeoisie für beide Figuren ist kein Zufall: Foucault kritisierte den Marxismus, indem er behauptete, dass der Klassenkampf der Vergangenheit angehöre und dass es nur lokal begrenzte und verstreute Mikro-Machtverhältnisse gebe, die nur durch Mikro-Praktiken des lokalen Widerstands angefochten werden können usw. Negri hingegen behauptete, dass Marx selbst den Klassenkampf als eine Angelegenheit kleiner, verstreuter, dezentraler und lokaler Widerstände definiert habe und dass die großen Ideen über den Klassenkampf nichts weiter als ein Missverständnis gewesen seien. So schwachsinnig diese Behauptungen auch sein mögen, Tatsache ist, dass die Millionäre auf der ganzen Welt Mitte der 1980er Jahre Dinge wie diese hören mussten: sanft, klein und beruhigend, denn sie zitterten immer noch vor Angst wegen der jüngsten Klassenauseinandersetzungen. Deshalb zögerten sie nicht, die Bücher, Zeitschriften, Lehrstühle und Reisen zu finanzieren, die der angesehene Professor Negri machen wollte, solange er weiterhin seinen ideologischen Schrott produzierte. Diese Interessenübereinstimmung zwischen dem Philosophen und den Investoren gab Negris Autonomismus Gestalt: eine vulgäre Mischung aus marxistischer Rhetorik, postmodernem Geschwätz und billigem Mystizismus.

Mit anderen Worten: Negris radikale Phraseologie verbirgt seine Unterwürfigkeit gegenüber den Interessen des Kapitals. Schon in den frühen 1980er Jahren kam seine Affinität zu Foucault zu einer Zeit, als dieser den Gebrauch von Drogen als eine Form des „Widerstands gegen die Macht“ verteidigte, während alle Staaten den Einsatz von Rauschgift zur Liquidierung des aufständischen Proletariats förderten. Später, in seinem Buch Empire, sagte Negri, dass die Isolation zwischen den verschiedenen Kämpfen und das Fehlen von Organisationsstrukturen die größte Stärke der Arbeiter sei, während diese Einschränkungen sie in Wirklichkeit immer wieder zu den blutigsten Niederlagen geführt haben. Indem er sagt, dass der Klassenkampf durch eine „hybride, pluralistische, flexible, multikulturelle“ Realität ersetzt wurde, deutet Negri an, dass die Gesellschaft den Kapitalismus hinter sich gelassen hat, dass die streitenden Klassen zu einer „begehrenden Multitude“ verschmolzen sind und dass der Feind „überall und nirgends“ ist, was nichts bedeutet. Wenn er das „Imperium“ und die „Multitude“ beschreibt, feiert Professor Negri die Schwächen des Proletariats und die Stärken des Kapitals, und selbst darin ist er nicht originell, denn er wiederholt nur die alten Themen des bourgeoisen Liberalismus: Er lässt die Arbeiterklasse in einer amorphen Masse singulärer Subjekte mit autonomen Interessen verschwinden; er reduziert den sozialen Kampf auf eine chaotische Ansammlung lokalisierter Widerstände; er leugnet die Möglichkeit, kapitalistische Strukturen gewaltsam zu zerstören; er ersetzt alle strategischen Überlegungen zur sozialen Auseinandersetzung durch metaphysische Vorstellungen über die Singularität des Individuums, die unendliche Macht des Willens, die Allgegenwart der Macht usw. Negri ist ein demokratischer Idealist.

Warum wird Negri ständig eingeladen, auf „alternativen“ Sozialforen und an fortschrittlichen Universitäten zu sprechen? Weil sein wirres und leeres Gerede dem bourgeoisen Linkstum in seinem ideologischen Kampf gegen die Massen dient. So sagte Negri zum Beispiel, als 2002 inmitten einer heftigen Krise das zentrale Problem des argentinischen Proletariats darin bestand, seinen Kampf in einem eindeutig antikapitalistischen Sinne zu vereinheitlichen : „Das Wichtigste ist, die Formen der kollektiven Verwaltung zu diskutieren, die ganze Aufmerksamkeit gilt den Formen der Verwaltung“. Im Einklang mit dieser schwachsinnigen Ansicht behauptet Negri in seinem Buch Empire, dass das Ziel der Unterdrückten nicht darin besteht, sich den Prozessen der Warenglobalisierung zu widersetzen, sondern sie „zu reorganisieren und auf neue Ziele umzulenken“. Aber solche Prozesse, die sich aus der kapitalistischen Produktionsweise ergeben, stärken unweigerlich die herrschenden Klassen und schwächen das Proletariat, und es ist unmöglich, sie durch „neue Formen der Verwaltung“ zu „reorganisieren“.

Indem Negri den Kampf auf ein Problem der „Formen der Verwaltung“ reduziert, behauptet er, dass der proletarische Kampf nicht über die ökonomische Ebene hinausgehen darf und dass er sich die Überwindung des Kapitalismus nicht als allgemeines politisches Ziel setzen darf. Diese Betonung der unmittelbaren Formen zum Nachteil des historischen Inhalts des Kampfes ist die absolute Negation dessen, was revolutionäre Kommunisten immer behauptet haben. Negri fordert die Arbeiter auf, zu resignieren. Und damit wir seinen reformistischen Schwachsinn schlucken, will er uns davon überzeugen, dass wir nicht durch Lohnsklaverei und Warenproduktion bestimmt werden, sondern durch die „Produktion von Sprachen und Subjektivität“ in einer Welt der „immateriellen Arbeit“. Lohnsklaven? Keineswegs. Laut Professor Negri müssen wir uns als eine „Multitude“ begreifen, die nicht für die Zerstörung der gegenwärtigen Produktionsweise kämpft, sondern für den Ausdruck ihrer Subjektivität und die Selbstverwaltung der kapitalistischen Verhältnisse. Streikposten, Besetzungen und Vollversammlungen sind für ihn in Ordnung, solange sie nicht über die Selbstverwaltung des Bestehenden hinausgehen, solange sie nicht über die Grenzen der guten demokratischen und zivilisierten Verständigung hinausgehen, bei der die Kapitalisten immer gewinnen.

Armer Toni, er erträgt den Anblick der schrecklichen Kämpfe nicht, die noch kommen werden! Um diesen Albtraum zu vertreiben, besuchte er die argentinischen Piqueteros und ein paar Stunden später die Politiker, die die brutale Repression gegen sie angeordnet hatten, und beglückwünschte sie alle zu ihrer Leistung! Negri, armer Wicht! Mit seinem eisigen Lächeln rief er die argentinischen Proletarier auf, friedlich zu kämpfen, während er mit den Bürokraten anstieß, die gerade die Erschießung gegen sie angeordnet hatten. Das ist Toni Negri, dieser Abschaum, der angeheuert wurde, um die Ausgebeuteten zu verwirren und zu entwaffnen: ein Freund von Streikposten, Unterstützer von Vollverammlungen, Geschäftsleuten und Bullen. Deshalb bezeichnete die New York Times, die Weltbastion der bourgeoisen Propaganda, sein Buch Empire als „the next Big Idea“; deshalb wurde der Bestseller von der Harvard University, der Brutstätte liberaler Ideologen, herausgegeben, und deshalb nannte das reaktionäre Time Magazine es „das kluge Buch des Augenblicks“. Als Negri in der besetzten Grissinopolis-Fabrik in Argentinien einen Vortrag hielt, wollte ihm deshalb kein Arbeiter zuhören und er musste vor einem kleinmütigen Publikum aus Reportern, Akademikern und bezahlten Aktivisten weiterplappern. Deshalb bringt ihn der Tod von Vergewaltigern und Mördern in europäischer Uniform im Irak zum Weinen. Und deshalb, weil er ein Feuerlöscher des Klassenkampfes ist, ist er heute in Chile.

In Chile fürchten die Bosse der Linken und der Rechten, dass sich die Ausgebeuteten wieder erheben werden. Sie wissen, dass wir, wenn unsere Zeit gekommen ist, viel mehr tun werden, als nur „Gut, dass wir ihn los sind“ zu schreien. Deshalb bringt die bourgeoise Linke Negri ins Spiel, um uns mit ihren Lügen zu verdummen. Genau wie 1973 haben sie Angst vor uns und wollen uns in der Unterwerfung halten. Heute setzen sie Toni Negris ideologischen Müll gegen uns ein, aber wenn das nicht mehr hilft, werden sie Bleikugeln einsetzen… Für all das, Männer und Frauen des Proletariats: Genug des Wiederkäuens von betäubenden Ideologien, bereitet euch auf den Kampf vor!


1A.d.Ü., gatopardo bedeutet auf Spanisch Leopard, ist auch der Name eines Romans und seiner Gleichnamigen Verfilmung, aber auch um eine Person oder eine Sache zu beizeichnen die alles ändert, damit nichts sich verändert.

2A.d.Ü., hier die deutschsprachige Version: Crisso und Odoteo – Barbaren – Unordentlicher Aufruhr

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Alfredo Cospito – Zu den Ursprüngen der Opferrolle (2015) https://panopticon.blackblogs.org/2024/11/08/alfredo-cospito-zu-den-urspruengen-der-opferrolle-2015/ Fri, 08 Nov 2024 11:33:00 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6072 Continue reading ]]>

Gefunden auf luchar contra el 41bis, die Übersetzung ist von uns. Alfredo Cospito´s Text beschäftigt sich mit der Frage warum die anarchistische Bewegung in den 1960ern in Italien aufgrund der Geschehnisse der Piazza Fontana zusammenbrach. Wir finden den Text auch aus seiner historischen Sicht interessant weil er auf Gruppen aufmerksam macht, von denen wir in kürze längere Textreihen veröffentlichen werden, nämlich Defensa Interior, Grupo Primero de Mayo – Movimiento de solidaridad Internacional, MIL-GAC und zuletzt mit den GARI und was all dies mit der anarchistischen Bewegung – bzw. Geschichte (Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft) – überhaupt und der aufständischen Strömung zu tun hat.


Alfredo Cospito – Zu den Ursprüngen der Opferrolle (2015) [Überarbeitet].

Weil wir Alfredos Worte und Überlegungen wertvoll finden und auf unserer Entschlossenheit bestehen, dem Gefährten eine Stimme zu geben, übersetzen wir einen Text, der in Nr. 2 der italienischen anarchistischen Zeitung Croce Nera veröffentlicht wurde.

Wir haben das Datum aus symbolischen Gründen ausgelassen, um ihn zwischen dem Jahrestag des Massakers auf der Piazza Fontana und der Ermordung von Pinelli zu veröffentlichen.

Sehr lesenswert.

Zu den Ursprüngen der Opferrolle

Unsere Aktion zielt darauf ab, dass sich die Kirche in diesem für das spanische Volk kritischen Moment ihrem Gewissen und ihrer Verantwortung stellt, denn nach 27 Jahren faschistischer Diktatur sind spanische Demokraten, die ein in der Menschenrechtscharta anerkanntes Mindestmaß an Meinungs- und Vereinigungsfreiheit fordern, immer noch im Gefängnis…“.

Entführung von Marco Ussia, Rom, April 1967 – Grupo Primero de Mayo – Sacco und Vanzetti

„… US-Wissenschaft im Dienste des Verbrechens… wir haben einen der Verantwortlichen für den Völkermord in Vietnam getroffen! Johnson schert sich nicht um Friedensmärsche, lasst uns die gleichen Waffen benutzen: Dynamit und Sabotage!“

Anschlag auf das amerikanische Unternehmen Dow Chemical, Mailand 30. März 1968 – Grupo Anarchico… (der Rest des Kommuniqués ist unleserlich, weil es verbrannt ist)

Wir verurteilen die Kirche für ihre Aktivitäten gegen die Revolution… die kriminelle Arbeit der Unterstützung des spanischen Faschismus…“.

Angriff auf die Kirche von San Babila, Mailand, 10. Juni 1968 -Anarchisten- .

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Gefährte, zerstöre die Banken…zerstöre die Kirchen…zerstöre die Universitäten…überfalle die Kaufhäuser…“.

Anschlag auf La Rinascente, 30. August 1968, Mailand -Anarchisten- .

Letzte Stunde: Die Polizei tötet wieder, zwei Tagelöhner in Sizilien! Es ist eure heilige Mission, aufständisches Volk! Gegen den Autoritarismus, gegen die Gesetze, den Staat und die Kirche, die alles heiligt. Es lebe die Anarchie!“

Dynamitanschlag auf das Rathaus von Genua, 3. Dezember 1968 (in Solidarität mit den Toten von Avola) -Gruppo Rivoluzionario Carlo Cafiero-.

Gefährte Arbeiter, in den Banken ist der Reichtum…zerstöre die Banken…In den Universitäten ist die wissenschaftliche Kultur zerstöre die Universitäten, in den Kirchen ist die Unterdrückung der Vernunft…zerstöre die Kirchen. In den Lagerhäusern sind die überflüssigen Produkte, zerstöre sie“.

Zweiter Bombenanschlag in La Rinascente, Mailand 15. Dezember 1968 -Brigata Anarchica Ravachol-.

Die amerikanische Wissenschaft ist ein Instrument zur Unterwerfung der Völker… die prächtigen Luft- und Raumfahrtunternehmen ernähren nicht die Ausgebeuteten“.

Anschlag mit Dynamit auf das NATO-Stützpunkt Darby, Pisa, -Gruppo Anarchico J. Most- .

Angeklagte! Verbrennt die Roben der Richter! Macht das Gericht zum Schlachtfeld … der Kampf geht weiter mit allen Mitteln, die euch zur Verfügung stehen, gegen die Autorität des Staates und der Kirche. Seid gegrüßt!“

Angriffe mit Dynamit auf den Justizpalast und das Ministerium für öffentliche Bildung Rom 27. und 31. März 1969 -Associazione Rivolucionaria Anarchica per la Rivoluzione Sociale- .

Die historische Lesart eines bestimmten Anarchismus war schon immer unvollständig, instrumentell und oft der der offiziellen Historiker nicht zu beneiden. In diesem Beitrag geht es darum, den Ursprüngen des Opferdenkens auf den Grund zu gehen, das die italienische anarchistische Bewegung seit dem Massaker auf der Piazza Fontana vor mehr als vierzig Jahren korrumpiert hat und weiterhin korrumpiert. Auch auf die Gefahr hin, als „revisionistisch“ zu erscheinen, muss ich vor der Entwicklung meiner These einige Punkte klarstellen. Selbst wenn es stimmt, dass die Bombe auf der Piazza Fontana vom Staat platziert wurde, wovon ich überzeugt bin, habe ich „andere“ Überzeugungen:

– Die Überzeugung, dass viele der Anschläge der außerparlamentarischen Linken in jenen Jahren, die als faschistisch ausgegeben wurden, anarchistische Anschläge mit sehr glaubwürdigen Behauptungen waren.

– Die Überzeugung, dass Giuseppe Pinelli kein Pazifist, kein Gewaltloser, kein Märtyrer der Linken, kein Heiliger der Demokratie war, sondern ein revolutionärer Anarchist, der kurz vor seiner Ermordung durch Calabresi und Co. aktiv mit einer anarchistischen Organisation zusammengearbeitet hatte, die in halb Europa den bewaffneten Kampf mit Bombenanschlägen und Entführungen praktizierte, der Internationalen Anarchistischen Primero de Mayo1, die direkt aus der FIJL2 hervorging, und die folglich, wie alle Anarchisten, die mit dem, was sie taten, übereinstimmten, an revolutionäre Gewalt glaubte.

– Überzeugung, dass Gianfranco Bertoli ein individualistischer Anarchist war – kein Faschist, keine Marionette oder ein nützlicher Idiot in den Händen der „abweichenden“ Dienste, wie viele schamlose Anarchisten weiterhin behaupten – und dass seine Aktion perfekt in die Tradition der Propaganda der Tat, des individualistischen anarchistischen Terrorismus passt. Nachdem wir diese Punkte geklärt haben, beginnen wir unsere Reise in die Vergangenheit mit der Entlarvung einiger Mythen. Das Massaker an der Plaza Fontana war für die Anarchisten nicht, wie viele Historiker behaupten, „der Verlust der Unschuld“, sondern die Geburt einer neuen Figur, einer neuen Rolle, die aus Angst vor Repression angenommen wurde. Eine Rolle, die mit frommer und instrumenteller Unschuld durchtränkt ist. Das anarchistische Opfer des Systems, der naive anarchistische Junge, der die Revolution nur oberflächlich spielt, der Gefahr läuft, von Infiltratoren angesprochen zu werden, der leicht von den Machthabern instrumentalisiert werden kann. Fast alle Anarchisten trugen in jenen Jahren bewusst oder unbewusst diese Jacke, von wenigen Ausnahmen abgesehen. Nach der Plaza Fontana gab es eine Flut von legalistischen und entlastenden Gegenermittlungen, in denen die Karikatur des sprengenden und blutrünstigen Anarchisten durch die noch wahnsinnigere Karikatur des Anarchisten als hilfloses und prädestiniertes Opfer der staatlichen Gewalt ersetzt wurde. Viele spielten mit, um in Ruhe leben zu können oder um ihre eigenen Gefährten aus dem Gefängnis zu holen, einige gingen sogar noch weiter, indem sie sich durch etwas legalistische, karikierte und weinerliche Gegenermittlungen an diesem neuen „Ermittlungs“-Trend beteiligten.

Man kann die tragischen Ereignisse von Mailand und die darauf folgende Panik und Aufregung in den Reihen der Anarchisten nicht vollständig verstehen, ohne eine kurze Skizze der langsamen, aber allmählichen Entwicklung zu geben, die einen Teil der Bewegung in den Jahren zwischen 1962 und 1969 gefährdete. In jenen Jahren erlebte die anarchistische Aktion in ganz Italien einen Moment großer Vitalität, ich würde fast sagen eine Renaissance. Verschiedene Kerne und Affinitätsgruppen mit viel Mobilität, junge und nicht mehr ganz so junge, glaubten an die Kraft ihrer Aktionen, von Angriffen mit geringer Intensität mit Nitrat bis hin zu stärkeren mit Dynamit. Dieses Wachstum wurde durch den Einfluss der FIJL und ihres direkten Ablegers, der Grupo Primero de Mayo, beschleunigt. Diese Entwicklung fand zur gleichen Zeit in anderen europäischen Ländern statt, mit besseren Ergebnissen: die Angry Brigade in England, die „Haschrebellen“ in Deutschland, die GARI in Frankreich. In Italien wurde diese Entwicklung durch den kollektiven Schock des Staatsmassakers abrupt unterbrochen und blockiert. Dieses Massaker und der anschließende Mord an Pinelli waren die „Erbsünde“ für die anarchistische Bewegung, nach der nichts mehr so war wie zuvor. Von diesem Moment an hörten die „Spiele“ auf und der positive Trend, der die Bewegung in den letzten Jahren durchdrungen hatte, erlitt einen starken, wenn auch nicht endgültigen Rückschlag.

Über diese berühmten Jahre sind viele Legenden und Unwahrheiten entstanden. Eine der hartnäckigsten ist die, die den Anarchismus in den späten 1960er Jahren als schwächstes Glied der revolutionären Bewegung ansieht. Eine anarchistische Bewegung die von der Repression und (polizeiliche) Inszinierungen geschlagen war, genau wegen dieser hypothetischen intrinsischen Schwäche und der Leichtigkeit der Infiltrierung. Eine weitere Unwahrheit (um es gelinde auszudrücken) hat mit der schlammigen und albernen Rolle zu tun, die unsere Opferrolle und die der linken Intelligenz den Akteuren in dieser Tragödie zugewiesen hat. Pinelli, der unschuldige Märtyrer, der Pazifist „Anarchie bedeutet keine Bomben, sondern Gerechtigkeit in Freiheit“, Valpreda, der naive und manipulierbare individualistische Anarchist, der „hoch erhobenen Hauptes“ seine Unschuld beteuert und mit den Worten „Bombe, Blut, Anarchie“ und ohne konkrete Fakten ein Scharlatan ist. Wir Anarchisten waren die ersten, die für eine solche Verzerrung der Realität verantwortlich waren. Eine Verzerrung, die aus dem Bedürfnis heraus geboren wurde, sich gegen eine als diffamierend empfundene Anschuldigung zu verteidigen, ein Massaker, das ganz normale Menschen traf, zufällige Kunden einer Landwirtschaftsbank, meist Kleinbauern. Diese alternative Realität wurde von den Anarchisten und auch von den Akteuren dieser Tragödie selbst so sehr in den Vordergrund gerückt, dass all das Gute, das in den vorangegangenen Jahren getan worden war, ausgeblendet und ausgelöscht wurde. Die „Panik der Verteidigung“ führte zu einer allgemeinen Flucht und einem fast vollständigen Rückzug. Nur wenige Gegenbeispiele, aber bezeichnend: die Ermordung von Kommissar Calabresi und das Massaker auf dem Mailänder Polizeirevier3 des Anarchisten Bertoli, der für die Folgen seiner Aktion nicht nur für die über 20 Jahre im Gefängnis, sondern auch für die ständige Diffamierung und fast vollständige Isolierung seitens einer verängstigten und durchgedrehten anarchistischen Bewegung schwer bezahlen wird.

Die These, die ich mit diesem Argument untermauern möchte, ist, dass die so genannte „Strategie der Spannung“ gegen die anarchistische Bewegung geplant war, und zwar nicht als schwaches Glied, sondern im Gegenteil, weil sie das einzige Segment der revolutionären „Linken“ jener Zeit war, auf das man glaubwürdig ein solches Attentat ausbrüten konnte. Hauptsächlich aus zwei Gründen, weil sie zu diesem historischen Zeitpunkt am aktivsten war, was bewaffnete Aktionen, Bomben und sogar die Vorgeschichte zweier Entführungen4 anging, und zweitens wegen ihrer internationalen Kontakte zu Gruppen wie Grupo Primero de Mayo oder der FIJL, die seit Jahren in halb Europa bewaffnete Aktionen durchgeführt hatten. Es wäre schwieriger gewesen, die Inszinierung mit den Kommunisten vorzubereiten, die damals im bewaffneten Kampf viel weniger aktiv waren. Es ist kein Zufall, dass der einzige Kommunist, den sie in die Ereignisse auf der Piazza Fontana verwickeln wollten, Feltinelli war, weil er Kontakte zu einigen dieser Anarchisten hatte, insbesondere zu Corradini und Vincileone5. Ein konkretes Beispiel für die „operativen“ Kontakte des revolutionären Redakteurs zu diesen Anarchisten war, als Feltrinelli Wochen vor Guevaras Tod in Bolivien dank der Vermittlung dieser beiden Gefährten die Unterstützung der Grupo Primero de Mayo suchte, um gemeinsam Aktionen in Solidarität mit den bolivianischen Guerillas zu organisieren. Nach Guevaras Tod verübte Grupo Primero de Mayo eine beispiellose Serie von koordinierten Anschlägen in ganz Europa: Am 12. November 1967 explodierten drei Bomben in Bonn auf die griechische, bolivianische und spanische Botschaft, in Rom auf die venezolanische Botschaft, in Mailand auf das spanische Tourismusbüro, in Den Haag auf die US-amerikanische, griechische und spanische Botschaft, in Madrid auf die US-Botschaft und in Genf auf das spanische Tourismusbüro.

Zehn koordinierte Anschläge an einem einzigen Tag, die organisatorischen Fähigkeiten der Anarchisten in Europa waren beispiellos, was der FIJL und ihrer Bereitschaft zu handeln und zu koordinieren zu verdanken ist: Dieser Einsatz der Kräfte fand statt, während in Italien Feltrinellis GAP [Gruppi d’Azione Partigiana] kaum mehr als eine Idee war und die BR noch weit davon entfernt waren, geboren zu werden, ihr erster Anschlag fand 1971 statt. Wir können mit Sicherheit sagen, dass das Krebsgeschwür der anarchistischen Opferrolle am 12. Dezember 1969 nach dem Massaker in der Banca d’Agricoltura geboren wurde. Einen Vorgeschmack darauf gab es bereits am 25. April desselben Jahres, ebenfalls in Mailand am Tag des Widerstands, als kleine Brandsätze aus Nitrat und Benzin in der Wechselstube des Hauptbahnhofs und auf der Messe explodierten, die damals von der Studentenbewegung umkämpft war. Der Rauch des Feuers im Bahnhof brachte ein Dutzend Passagiere in die Notaufnahme, die sofort entlassen wurden; der andere Sprengsatz auf der Messe zerstörte ein paar Schaufenster: so harmlos, dass selbst die „Rivista Anarchica“ vom März 1971 sie als Briefbomben bezeichnete. Die Zündung der Sprengsätze war genau die gleiche wie bei den Anarchisten von La Rinascente (aus dem ein Auszug am Anfang des Artikels zitiert wurde): Der übliche elektrische Widerstand, die übliche Benzinflasche und die übliche Uhr als Zeitzünder. Die Absicht der Angreifer war nicht, Opfer zu verursachen. Bei der Polizei gingen Anrufe ein, die die „Explosion“ am Bahnhof ankündigten, einige Zeitungen sprachen von einer Behauptung, von Flugblättern, die vor Ort gefunden wurden, wie bei den früheren anarchistischen Anschlägen in Mailand. Die Zeitungen machten ein großes Theater um diese „schrecklichen“ Anschläge. Die anarchistische Bewegung in Mailand bezog sofort Stellung, sprach von Provokation und setzte diese als faschistisch eingestuften Anschläge mit den anarchistischen Angriffen auf das Ministerium für öffentliche Bildung und den Justizpalast in Rom gleich, zu denen sich die „Internazionale Anarchica Marious Jabob“ bekannte. Die Theorie des Komplotts, die eigenen Taten in den Dreck zu ziehen, um damit durchzukommen, hatte ihre Vorboten vor der Piazza Fontana. Giovanni Corradini und Eliane Vincileone wurden für die mysteriösen Explosionen verantwortlich gemacht. Neben ihnen wurde auch der Jüngste, Paolo Braschi, verhaftet, während Ivo Della Savia mehr Glück hatte und sich der Verhaftung entziehen konnte, indem er in die Berge flüchtete. Die vier Gefährten bezogen sich auf die Zeitung „Materialismo e Libertà“.

Bevor wir unsere Geschichte fortsetzen, lohnt es sich, einen kurzen Blick auf das anarchistische Mailand in den 1960er Jahren zu werfen. In Mailand machten in dieser Zeit der Auseinandersetzungen und der großen libertären Gärungen unter so vielen Kampferfahrungen zwei kleine Affinitätsgruppen der Anarchisten ihre ersten Schritte. Die „ältere“ Gruppe bezog sich auf Ivo Della Savia und Braschi, die mehr Erfahrung mit Sprengstoff hatten, in Kontakt mit Corrandi und Vincileone standen und in engem Kontakt mit den anarchistischen Jugendverbänden anderer Länder mit der FIJL und der Grupo Primero de Mayo. Zu der jüngeren, „unruhestiftenden“ Gruppe gehörten Valpreda, Claps und Derrico, die in Mailänder Kreisen als „unkontrollierbar“ galten, weniger praktische Erfahrung hatten, aber einen sehr starken individualistischen anarchistischen Geist besaßen. Sie nannten sich selbst „Ikonoklasten“ und druckten ein Flugblatt „Terra e Libertà“, in dem sie ihre „gewalttätigen“ Ideen klar zum Ausdruck brachten. Sie wurden in die Inszinierung der Geschehnisse auf der Piazza Fontana verwickelt und erklärten sich am Ende damit einverstanden, bei den verschiedenen Gegenermittlungen abgeschlachtet zu werden, denen sie in jedem Fall ihre Freiheit verdanken würden. Die Mailänder politische Polizei machte sich mehr Sorgen um die Gruppe, die sich angeblich um die Corradini drehte. Diese Besorgnis war vor allem auf ihre internationalen Kontakte zurückzuführen. In einem Bericht über das Ehepaar hieß es: „Mindestens seit 1962 bilden sie ein Zentrum des anarchistischen Aktivismus, das immer eine gewisse Anzahl junger Leute angezogen hat. In einer solchen Atmosphäre, auch wenn sich nicht sagen lässt, ob das Ehepaar Corradini eine Rolle spielte und welche, reifte die Entführung des Vizekonsuls Isu Elias heran“. Die anarchistische Bewegung vergaß diese beiden militanten Figuren bald, vielleicht zu unbequem für einen Anarchismus, der von innen heraus geläutert worden war.

Die spezifischen anarchistischen Organisationen FAI-GIA-GAF versuchten nach der Repressionswelle im Anschluss an die Plaza Fontana, den Konflikt zu deeskalieren, und zumindest in einem Punkt waren sie sich einig: Sie betrachteten alle Aktionen von gewisser Bedeutung, die in den vorangegangenen Monaten von Anarchisten verübt wurden, als Provokation. Ein wichtiges Zeugnis über diese Jahre lieferte Ivo Della Savia selbst, der dem „Corriere della Sera“ ein unglaubliches Interview aus der Klandestinität gab, in dem er einem Journalisten unverblümt von der Entstehung anarchistischer Aktionen in Italien erzählte: „1963 wurden wir Zeuge der Bildung der ersten anarchistischen Gruppen, die begannen, direkte Aktionen durchzuführen. Mit direkten Aktionen meinen wir Angriffe. Ich gehörte zu diesen sehr streng gegliederten Gruppen. Es gab kein Problem mit der Anzahl, das heißt, wir machten uns keine Sorgen darüber, zu viele zu sein… die Aktion selbst hätte eine klare Auswahl getroffen… Von 1963 bis 1967 erlebte Italien die materielle Formierung, die Artikulation, die Voraussetzungen, um eine bestimmte Situation zu erreichen, um eine größere Effizienz, eine größere Verbindung zu gewährleisten… Die Polizei sah sich mit einer neuen, beunruhigenden Tatsache konfrontiert: Anarchisten schlagen mit periodischer Regelmäßigkeit zu, und alle zwei oder drei Monate passiert etwas in der ruhigen italienischen Gesellschaft. Siehe zum Beispiel die Anschläge auf das spanische Konsulat in Neapel und den gescheiterten Anschlag auf dasselbe Konsulat in Genua […]“.

Diese Entwicklung wurde durch die weit verbreiteten Verschwörungsvorwürfe, die auf das Massaker folgten, jäh unterbrochen. Der Höhepunkt des Selbstmitleids wurde nach Pinellis Ermordung mit der Verzerrung der Figur dieses Gefährten durch die große Mehrheit der Bewegung in eine pazifistische und demokratische Opferrolle erreicht: Dutzende von Vermutungen, Millionen von Dokumenten als Beweise, die die abstrusesten Theorien über internationale Verschwörungen, schwarze Komplotte, rote Komplotte, gegensätzliche Extremismen, CIA, KGB, „abweichende“ Geheimdienste stützen. Aus all dem gerichtlichen Papierkram und den darauf folgenden parallelen Gegenermittlungen wurde eine neue „Wissenschaft“ geboren, die im Anarchismus der Tat eines ihrer berühmtesten Opfer haben wird. Im Namen dieser „Wissenschaft“, der sogenannten „Strategie der Spannung“, kam in den folgenden Jahren für jeden Böller oder jede Bombe der Vorwurf der Provokation. Jedes Mal, wenn eine anarchistische Gruppe zuschlägt, kommt es auch heute noch vor, dass die Mumien des „revolutionären“ Immobilismus diese viel benutzte und so nützliche Theorie gegen diejenigen hervorholen, die sich erlauben, das, was sie zu Tausenden nachplappern, in Fakten zu verwandeln. Der italienische Anarchismus in den frühen siebziger Jahren war zu einem großen Teil durch die Kampagne zur Befreiung von Valpreda geprägt. Eine Kampagne, die ganz im Zeichen des Legalismus stand und sich fast ausschließlich der juristischen Verteidigung und der Suche nach dem frommen Konsens der demokratischen öffentlichen Meinung widmete.

Das i-Tüpfelchen dieser Kampagne war die Kandidatur des „Illegalisten“ Valpreda auf den Listen des „Manifesto“, ein erfolgloser Versuch, da er nicht gewählt werden würde. Jeder, der von diesen legalistischen Pfaden abwich, wurde automatisch der Provokation bezichtigt und ideologisch gelyncht.

Außerhalb des „bel paese“ waren die Gefährten, die mit Pinelli und der „Croce Nera“6, den Jugendverbänden, der FIJL, der Grupo Primero de Mayo und dem englischen Black Cross zusammengearbeitet hatten, verwirrt und fassungslos. Die Nachrichten, die sie aus Italien erhielten, waren widersprüchlich, die italienische Bewegung war der Jagd nach EIngeschleusten (Infiltrierte) völlig ausgeliefert, es schien, dass man niemandem trauen konnte, panische, italienische Anarchisten sahen an jeder Ecke Geheimagenten und Provokationen. Ein deutliches Beispiel für diese verallgemeinerte und ansteckende Paranoia liefert Octavio Alberola, einer der Gründer der Gruppe Primero de Mayo, der in dem 1975 zusammen mit Ariane Gransac geschriebenen Buch „El anarquismo español y la acción revolucionaria, 1961-1974“, als er beginnt, die Aktionen jener Jahre aufzuzählen, damit aufhört, zu gestehen, dass er ab einem bestimmten Zeitpunkt wegen der Provokationen und abgekarteten Spielchen, die im Lande stattfanden, nicht mehr auspacken wird, was die Aktionen jener Zeit nicht sehr glaubwürdig machte. Alberolas Zweifel sind bezeichnend für die Verwirrung und Panik, die in den italienischen anarchistischen Kreisen herrschte, die größtenteils unvorbereitet auf diese tragischen Ereignisse waren und es nicht schafften, eine kollektive Antwort zu finden, die so aggressiv war wie die Gewalt und Repression, die sie getroffen hatte. Zu diesem Zeitpunkt übertrug die italienische Bewegung nur Entmutigung, Opferhaltung und Zweifel auf die anderen europäischen Länder, obwohl solide Kontakte zwischen französischen, spanischen, schweizerischen, englischen und italienischen Jugendföderationen geknüpft worden waren, die bereits erste konkrete Früchte trugen, unter anderem indem sie die alten Immobilisten des europäischen Anarchismus in Bedrängnis brachten, die FAIsta Montseny7 zum Beispiel unternahm große Anstrengungen, diese neuen Gärungen einzudämmen.

Am 9. September 1970 zündeten die Jugendföderationen und der Grupo Primero de Mayo im Gedenken an ihren Gefährten Pinelli gleichzeitig in Paris, London, Manchester und Birmingham Sprengsätze gegen italienische Repräsentationsgebäude. Es war die einzige Aktion von Bedeutung, die in Europa für Pinelli durchgeführt wurde. Die Verantwortung für diese spärliche revolutionäre Solidarität lag in der legalistischen Verteidigungslinie, die die Gefährten in Italien verfolgten.

Wer sich außerhalb Italiens an Valpreda erinnern wollte, musste bis Februar 1972 warten, als aus Solidarität mit ihm eine Bombe in der italienischen Botschaft in Brüssel explodierte. In Italien war es nicht viel anders; es gab nur wenige relevante Aktionen als Reaktion auf die Ereignisse auf der Piazza Fontana, die über die Wege des symbolischen zivilen Protests hinausgingen.

Wenige, aber bedeutsame Aktionen: Am 17. Mai 1972 wurde Kommissar Calabresi, der Hauptverantwortliche für den Tod Pinellis, von Unbekannten neben seinem Haus ermordet. Auch dieser Fall löste die Empörung eines Teils der Bewegung aus: Unglaublicherweise schrien auch viele Anarchisten, darunter Valpreda, empört auf. In Ermangelung einer verantwortlichen Person, die sie verleumden konnten, richteten sie sich gegen die Aktion und schimpften über „Verschwörungen“ und ein Phantomnutzen seitens der Machthaber, um einen unbequemen Zeugen zu beseitigen. Rückhaltlose Versuche wurden unternommen, um eine vorbildliche, klare, chirurgische Aktion zu verunglimpfen.

Die Verunglimpfungsaktion schlug fehl, die ganze Bewegung wurde wachgerüttelt, Lotta Continua verherrlichte die rächende Geste, und Jahrzehnte später sollten einige ihrer ehemaligen Militanten für ihren alten Enthusiasmus mit Gefängnis bezahlen. Von diesem Datum an begannen für die Historiker die sogenannten „bleiernen Jahre“. Genau ein Jahr später, am 17. Mai 1973, kurz nach der Enthüllung einer Gedenktafel für Calabresi vor dem Mailänder Polizeipräsidium, warf der individualistische Anarchist Gianfranco Bertoli eine Handgranate und hinterließ mehrere Tote und Verletzte.

Der gefangen genommene Gefährte behauptete stolz, ein individualistischer Anarchist zu sein und erklärte seine Geste als Rache für den Mord an Pinelli: Von der gesamten anarchistischen Bewegung öffentlich gelyncht, wurde er von den guten Seelen der „Revolution“ sofort als Faschist im Sold der „abtrünnigen“ Geheimdienste abgetan.

Zu den wenigen Ausnahmen gehörte der anarchistische Kreis Ponte della Ghisolfa in Mailand, der sich zwar von der „verrückten“ (sic.) Geste distanzierte, ihn aber als einen Gefährten anerkannte, der zwar im Unrecht war, aber immer noch ein Gefährte. Viele Jahre später änderten sie ihre Meinung, nachdem sie von einem demokratischen Richter überzeugt worden waren, aber das ist eine andere Geschichte, eine sehr unangenehme, die ich nicht erzählen möchte, eine hässliche Geschichte, die aus Instrumentalisierung und politischer Zweckmäßigkeit besteht8.

Zum Schluss möchte ich eine Überlegung anstellen: Meiner Meinung nach wird die tiefe Bedeutung jener Jahre für die Anarchisten sehr gut durch die gegensätzlichen und verzerrten Lesarten erfasst, die die Bewegung selbst von den beiden, meiner Meinung nach, emblematischsten Figuren jener Zeit, Pinelli und Bertoli, Opfer und Henker, gemacht hat:

Pinelli: Märtyrer der Anarchie, guter Familienvater, Arbeiter, bewusster Proletarier, überzeugter Gewaltloser.

Bertoli: Faschist, Verrückter, Provokateur, Geheimdienstler, zugedröhnter Unterproletarier, gewalttätig, Dieb.

Es war nicht die bourgeoise Presse, die sie auf diese Weise darstellte, sondern unsere eigenen Zeitungen, in erster Linie „Umanità Nova“. Diese beiden Masken erzählen uns viel darüber, was aus der italienischen anarchistischen Bewegung nach der Panik, die auf den Bombenanschlag auf der Piazza Fontana folgte, geworden war. Sie erzählen uns vom Niedergang, vom Rückzug angesichts der Repression. Wir werden für diese Ängste, diesen Mangel an Mut, mit einer Stagnation bezahlen, die lange anhalten wird. Du fragst dich vielleicht, warum diese alten Geschichten wieder aufkochen? Ich bin davon überzeugt, dass wir, wenn wir bestimmte Knoten der Vergangenheit nicht lösen, Gefahr laufen, immer wieder in dieselben Fehler zu verfallen.

Ich bin sogar noch mehr davon überzeugt, dass die Reaktion auf Repression das wichtigste Feld ist, auf dem jede revolutionäre Bewegung ihr wichtigstes Spiel spielt, nämlich das ihrer eigenen Glaubwürdigkeit. Allzu oft wurde auf repressive Maßnahmen ausschließlich mit dem Gang vor die Gerichte reagiert, indem man nur Erfindungen rief, die eigene Unschuld beteuerte und die Gerichte um Gerechtigkeit bat, indem man sich nur auf Anwälte verließ. Deshalb glaube ich, dass ein kritischer Rückblick auf unsere Geschichte uns helfen kann, diese Knoten zu entwirren und schneller voranzukommen. „Auf alten und schmutzigen Seiten kann nichts Neues und Schönes geschrieben werden“. CFF

Alfredo Cospito

Chronologie:

– 29. September 1962: Entführung des spanischen Vizekonsuls Isu Elias in Mailand. Anarchisten.

– 6. März 1963: Bombenanschläge auf das Büro der Fluggesellschaft Iberia und den spanischen Hochschulrat für wissenschaftliche Forschung in Rom sowie auf das Technologieministerium in Madrid, die CIL (Consejo Ibérico de Liberación) übernahm die Verantwortung. Anarchisten…

– 27. November 1964: Zwei Molotow-Cocktails zerstören das Priesterseminar von Opus Dei in Rom. Anarchisten.

– 17. Dezember 1964: Brandbomben im Vatikan und in der Päpstlichen Universität. Anarchisten.

– 2. Januar 1965: Bombenanschlag auf das spanische Konsulat in Neapel. Anarchisten.

– 25. April 1965: Bombenanschlag in den Büros der spanischen Fluggesellschaft Iberia in Mailand. Anarchisten.

– 31. April 1966: Entführung von Monsignore Ussia. Grupo Primero de Mayo, Sacco y Vanzetti.

– 26. Mai 1968: Brandbombenanschlag auf ein Citroen-Autohaus in Mailand. Gruppo Anarchico Internazionale.

– 16. Juni 1968: Brandbombenanschlag auf die Bank von Italien in Mailand, unterzeichnet mit „Anarchisten“.

– 23. Juli 1968: Brandanschlag auf die Ambrosianische Bibliothek in Mailand. Anarchisten.

– 20. August 1968: Bombenanschlag auf den Palazzo del Cinema in Venedig, die Gruppo Anarchico M. Nettlau übernahm die Verantwortung.

– 23. August 1968: Nicht explodierte Bomben in den Kirchen Duomo, San Babila und Sant’Ambrogio, von „Anarchisten“.

– 25. August 1968: Bombe in einem Geschäftssitz in Mailand. Anarchisten.

-31. August 1968: Gescheiterter Brandanschlag in La Rinascente, die Gruppo Anarchico Ravachol übernahm die Verantwortung.

– 4. September 1968: Während der internationalen anarchistischen Konferenz in Carrara wird das Internationale Schwarze Kreuz (Anarchist Black Cross) gegründet, Giuseppe Pinelli übernimmt die Verantwortung für die italienische Sektion.

– 3. Dezember 1968: Bombenanschlag auf das Gemeindebüro in Genua, die Gruppo Anarchico Carlo Cafiero übernahm die Verantwortung.

– 23. und 24. Dezember 1968: Zweiter Bombenanschlag in Mailand auf La Rinascente, die Gruppo Anarchico Ravachol übernahm die Verantwortung.

– 25. Dezember 1968: Bombenanschlag mit Dynamit auf den Gerichtshof von Livorno, die Gruppo Anarchico Giustizia del Popolo übernahm die Verantwortung.

– 3. Januar 1969: Bombenanschlag auf den NATO-Stützpunkt Camp Darby in Pisa, die Gruppo Anarchico J. Most übernahm die Verantwortung.

– 12. November 1967: Rom, Bombenanschlag auf die venezolanische Botschaft in Mailand, Bombenanschlag auf das spanische Tourismusbüro zur gleichen Zeit wie weitere Anschläge in Genf und Bonn, zu denen Grupo Primero de Mayo und die Movimiento de Solidaridad Revolucionaria Internacional (Internationale Revolutionäre Solidaritätsbewegung) die Verantwortung übernehmen.

– 3. März 1968: Turin, Bombenanschlag auf das amerikanische Konsulat, gleichzeitig weitere Anschläge in Den Haag und London, zu denen Grupo Primero de Mayo und die Movimiento de Solidaridad Revolucionaria Internacional die Verantwortung übernehmen.

– 19. Januar 1969: Bombenanschlag auf die Mailänder Polizeiwache. Anarchisten.

– 26. Januar 1969: Bombenanschlag in Mailand auf das Spanische Tourismusbüro, die Gruppo Anarchico Barcellona 39 übernahm die Verantwortung.

– Januar 1969: Bombenanschlag in Turin vor der Kirche S. Cristina, die Gruppo Azione Diretta übernahm die Verantwortung.

– 8. März 1969: Bombenanschlag in Vercelli auf eine Polizeistation, Anarchisten werden verhaftet.

– 27. März 1969: Rom, Sprengstoffanschlag auf das Ministero Pubblica Istruzione, die Internazionale Anarchica Gruppo Marius Jacob übernahm die Verantwortung.

– 31. März 1969: Rom, Dynamitanschlag im Palazzo di Giustizia, die Internazionale Anarchica Gruppo Marius Jacob übernahm die Verantwortung.

– 3. April 1969: Turin, Bombenanschlag auf Denkmal für den Carabiniere, unterzeichnet Anarchisten.

– 25. April 1969: Mailand, Bombenanschläge auf den Fiat-Stand und die Fiera delle Esposizioni sowie auf die Wechselstube des Hauptbahnhofs.

– 1,2,3. Mai 1969: Mailänd, Verhaftung der Anarchisten Paolo Faccioli, Paolo Braschi, Ivo Della Savia (untergetaucht), Eliane Vincileone, Giovanni Corradini: alle werden der Bombenanschläge vom 25. April beschuldigt.

– 7. Dezember 1969: Corradini und Vincileone werden freigelassen.

– 12. Dezember 1969: Massaker auf der Plaza Fontana.

– 15. Dezember 1969: Ermordung von Pinelli.


1Das Geburtsdatum der Grupo Primero de Mayo geht auf den 1. Mai 1966 zurück, als Monsignore Marcos Ussia in Rom entführt wurde. Es waren die Journalisten, die die Gruppe auf diese Weise „tauften“. Diejenigen, die die Entführung mit Unterstützung einiger italienischer Anarchisten organisierten, waren Militante der FIJL und der CNT, unter ihnen Octavio Alberola, einer der besten Köpfe der DI (Defensa Interior), einem Organ, das die iberische Freiheitsbewegung (die FAI, CNT und FIJL vereinte) gegründet hatte, um den Franquismus mit der Waffe zu bekämpfen. Nach der Auflösung der DI aufgrund der internen Sabotage durch die Strömung der „Immobilisten“ der FAI und der CNT blieb nur noch die FIJL übrig, um den Franquismus mit der Waffe zu bekämpfen. Die Grupo Primero de Mayo war eines der Instrumente des Anarchismus, um den Kampf fortzusetzen.

2Die FIJL (Iberische Föderation der Libertären Jugend) wurde 1932 als anarchistische Jugendorganisation gegründet, und Tausende ihrer Militanten nahmen am spanischen Bürgerkrieg von 1936 teil. Im anschließenden antifranquistischen Widerstand wurde sie zum wichtigsten Zweig des Anarchismus.

3Der Anarchist Gianfranco Bertoli warf am 17. Mai (dem Tag des Gedenkens an die Ermordung von Kommissar Calabresi mit der Enthüllung einer Gedenktafel im Hof der Mailänder Polizeiwache in der Via Fatebene fratelli) eine Handbombe gegen die Tür der Polizeiwache, die nach Bertolis Aussage durch den Tritt eines Polizisten abgelenkt wurde und vier Menschen das Leben kostete. Seine Absicht war es, die anwesenden Behörden zu treffen, um Pinellis Tod zu rächen.

Er wurde zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt und nach 21 Jahren in halber Freiheit freigelassen. Zeit seines Lebens hat er seinen anarchistischen Individualismus und die Beweggründe für seine Geste bekräftigt und die von der Justiz, den Medien und der anarchistischen Bewegung selbst erhobenen Vorwürfe, ein von den Geheimdiensten gesteuerter Faschist zu sein, zurückgewiesen.

4In Italien waren es vor der BR die Anarchisten, die die Entführung von Menschen als politisches Druckmittel einsetzten. Am 29. September 1962 entführten einige junge Anarchisten auf eher improvisierte Weise den spanischen Vizekonsul Isu Elias in Mailand, um die Umwandlung des Todesurteils gegen einen ihrer Gefährten von der FIJL zu fordern, der zur Garrotte verurteilt worden war. Das Ziel wurde erreicht: Das Leben des jungen Anarchisten wurde gerettet. Am 1. Mai 1966 wurde der spanische Botschaftsberater in Rom, monseñor Marcos Ussia, gekidnappt (siehe Anmerkung 1).

5Eliane Vincileone und Giovanni Corradini, die Herausgeber von „Materialismo e Libertà“, einer „Zeitschrift für libertäre Aktionen und Studien“, die 1963 erschien und von der nur drei Ausgaben veröffentlicht wurden. Beide hatten internationale Kontakte zur FIJL und anderen anarchistischen Militanten. Sie wurden wegen der Bombenanschläge auf der Feria de Muestras am 25. April verhaftet und am 7. Dezember aus Mangel an Beweisen wieder freigelassen.

Das Paar war mit dem Verleger Giangiacomo Feltrinelli befreundet, und ihr Name taucht immer häufiger in den Ermittlungs- und Informationsakten jener Jahre auf. Vincileone wurde mit anderen Anarchisten in der Mailänder Polizeiwache festgehalten, als Pinelli ermordet wurde.

6Das Croce Nera Anarchica [Schwarzes Kreuz der Anarchisten – Anarchist Black Cross] wurde in Italien, in Mailand, in den ersten Monaten des Jahres 1969 geboren, auch dank der föderierten anarchistischen Gruppen. Es hatte das Ziel, anarchistische Gefangene zu unterstützen. Einer der wichtigsten Förderer der Initiative war Giuseppe Pinelli. Die italienische Sektion gab ein Bulletin heraus, von dem zwischen Juni 1969 und April 1971 neun Ausgaben erschienen.

7 Federica Montseny (1905, Madrid -1994 Toulouse) begann ihre Militanz in der CNT mit ihren Eltern, katalanischen Anarchisten, die 1898 die Zeitschrift „La Revista Blanca“ gegründet hatten.

1936 war sie im comité regional de la CNT (Regionalkomitee der CNT) und im comité peninsular de la Federación Anarquista Ibérica (Halbinselkomitee der Iberischen Anarchistischen Föderation) tätig und arbeitete an der Ausarbeitung eines anarchistisch-kommunistischen Programms mit. Nach dem Ausbruch der Revolution im Juli 1936 beteiligte er sich an den Kämpfen gegen die Putschisten von Francisco Franco. Am 4. November 1936 wurde sie für die CNT eine der vier Minister in der neuen Regierung unter Largo Caballero: Juan García Oliver für Justiz, Juan Peiró für Industrie, Juan López Sánchez für Handel und Montseny Minister für Gesundheit.

Am Ende der Revolution wurde sie zusammen mit ihrem Gefährten Germinal Esgleas ins französische Exil gezwungen. Von der Vichy-Regierung verhaftet und wieder freigelassen, gelang es ihr, der Auslieferung nach Spanien zu entgehen, und sie wurde zu einer der wichtigsten Vertreterinnen der CNT im Exil und der „immobilistischen“ Strömung der iberischen Anarchisten.

8Zu diesem Thema siehe CARTEGGIO 1998-2000 di Gianfranco Bertoli Alfredo M. Bonanno, 2003, Edizioni Anarchismo.

<https://www.edizionianarchismo.net/library/alfredo-m-bonanno-gianfranco-bertoli-carteggio-1998-2000>

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(Helios Prieto) Chile: Die Gorillas sind unter uns https://panopticon.blackblogs.org/2024/09/18/helios-prieto-chile-die-gorillas-sind-unter-uns/ Wed, 18 Sep 2024 16:20:48 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6007 Continue reading ]]>

(Helios Prieto) Chile: Die Gorillas sind unter uns

Chile: Los Gorilas estaban entre nosotros

Zuerst veröffentlicht von Editorial Tiempo Contemporaneo, Buenos Aires, Argentina 1973


Ein paar Worte von der Soligruppe für Gefangene

Die Linke des Kapitals erschafft nicht nur ihre eigene Mythen, aber Mythen sind nur dass was sie sind. Die Regierung der Unidad Popular unter Allende in Chile von 1970 bis 1973 ist einer dieser. Es gibt viele andere, aber dieser hat einen besonderen Platz, weil diese Regierung ein gewaltsames Ende erfuhr die in einer Diktatur des Militärs, mit Hilfe der CIA, mündete wo tausende ermordet wurden.

Der Mythos um Allendes Regierung hat zwei besondere Merkmale, nämlich die angebliche Möglichkeit den Sozialismus innerhalb des Kapitalismus aufzubauen – was die Debatte zu Reformismus wieder aufmacht, Chile wurde ja auch damals als die Sowjetunion Lateinamerikas genannt und wie diese zu Ende ging. Das man Hand in Hand mit der Bourgeoisie deren Ende beiführen könnte, zutreffend sagt Prieto dazu: 56 Jahre nach der russischen Revolution verfolgen die Reformisten immer noch das unerreichbare Zieldie Bourgeoisie für ein „fortschrittliches demokratisches“ Programm zu gewinnen. Die Intention besteht darin, die Bourgeosie zu verleiten, „Seite an Seite mit dem Proletariat“ die erste Etappe des Prozesses zu durchschreiten, um damit die Bedingungen für ein späteres Verschwinden der Bourgeoisie als Klasse zu schaffen.“

Das Buch von Helios Prieto setzt sich mit beiden Fragen auseinander, und dies wenige Monate nach dem Putsch. Definitiv ein lese-würdiger und ein diskussionswürdiger Text, der eine scharfe Kritik übt, aber auch Positionen vertritt, die wir selber auch nicht teilen.

Mehr Artikel und Texte zum Thema hier: Kritik (und Auseinandersetzung) an Allende, Unidad Popular „chilenischer Weg“ für den Sozialismus


Vorwort von Ediciones Viejo Topo

Wenn ein so wenig bekannter Autor nach fast einem halben Jahrhundert neu aufgelegt wird, muss eine Erklärung abgegeben werden. Und da es sich um ein Buch handelt, das der Kritik eines gesellschaftlichen Prozesses der Vergangenheit gewidmet ist, kann es nicht neu aufgelegt werden, ohne zu versuchen, seinen Inhalt zu aktualisieren.

Dieses Buch wirft einen genauen Blick auf den „chilenischen Weg zum Sozialismus“, der 1970-73 erprobt wurde. Es wurde nur einmal auf Spanisch und einmal auf Englisch im Jahr 1974 veröffentlicht und scheint nicht von vielen Menschen gelesen worden zu sein. Wenn Militante im Chile jener Jahre wichtige Ereignisse verstehen wollten, zogen sie es vor, renommierte Autoren wie die Parteianführer oder die Presse der verschiedenen revolutionären Organisationen zu lesen.

Diese Texte waren nicht immer sehr aufschlussreich, aber sie drückten den gesunden Menschenverstand der damaligen Zeit aus – und prägten ihn gleichzeitig. Sie wurden in der Regel nicht gelesen, um neue Perspektiven zu entdecken, sondern um bestehende Perspektiven zu bestätigen (oft die von den Parteibossen diktierte Linie). Theorien dienten weniger dazu, neue Erkundungen anzustellen, sondern eher dazu, sie zu verhindern.

Die Dinge haben sich geändert. Jetzt wird die richtige Denkweise nicht mehr von einer Parteiführung vorgegeben, sondern von einem allgegenwärtigen gesunden Menschenverstand. Die starken theoretischen und politischen Diskrepanzen von damals werden heute als Meinungsverschiedenheiten ausgedrückt, was bedeutet, dass sich das soziale Gewissen von damals nicht weiterentwickelt, sondern nur abgeschwächt hat. Anders ausgedrückt: Seit den Tagen von Allende und den Cordones Industriales wurde das theoretische Bewusstsein über Kapital und Arbeit, über Klassen und sozialen Wandel nicht mit der Radikalität und dem Elan revolutioniert, mit der die kapitalistische Gesellschaft selbst in jener Zeit umgestaltet wurde. Das Ergebnis ist, dass heute in der sozialen Bewegung immer noch dieselben Ansichten – und damit dieselben praktischen Optionen – vorherrschen, die 1970-73 zu einer historischen Sackgasse geführt haben. Dieses Einfrieren des sozialen Bewusstseins bedeutet, dass jede Diskussion über diese Zeit früher oder später in dieselbe Sackgasse gerät, in der die Revolutionäre von damals feststeckten. Die heutige soziale Praxis, mit allem, was in ihr lebendig und subversiv ist, erkennt sich in dieser Geschichte kaum wieder und sucht ihren eigenen theoretischen Ausdruck ohne Bezug zu Begriffen wie „Revolution“ oder „Klassenkampf“.

Das ist durchaus verständlich, denn die einzigen, die diese Begriffe weiterhin verwenden, scheinen nichts mit ihnen zu tun zu haben, außer ihnen dieselbe Bedeutung zu geben, die sie 1973 hatten, fast so, als wollten sie denselben Weg gehen, um zum selben Ergebnis zu gelangen.

In jedem Fall ist jeder Versuch, die Erfahrungen der UP und der Poder Popular (Volksmacht) zu verstehen, Teil eines Schlachtfelds, auf dem noch nichts entschieden ist. Wenn jahrzehntelang Verwirrung und Amnesie im Zusammenhang mit dieser Erfahrung geherrscht haben, liegt das daran, dass bestimmte soziale Dynamiken über einen langen Zeitraum relativ stabil geblieben sind, was aber nicht bedeutet, dass sie für immer so bleiben werden. Alle Krisen bringen neben dem Neuen auch die alten, verdrängten Tendenzen an die Oberfläche, die im Schatten der Geschichte verborgen waren: Morgen werden die UP und die Volksmacht nicht mehr das Gleiche bedeuten wie heute.

Obwohl seit dem „chilenischen Weg zum Sozialismus“ und seinem katastrophalen Scheitern fast ein halbes Jahrhundert vergangen ist, sind diese Ereignisse für den gesunden Menschenverstand noch immer weitgehend unentzifferbar. Was in Wirklichkeit ein dramatisches Kapitel des sozialen Kampfes war, in dem die verschiedenen Klassen und Klassenfraktionen, die sozialistische und revolutionäre Ideologie, der nationalistische Reformismus und die Bürokratie eine klar definierte Rolle spielten, wird uns heute als einfacher Kampf zwischen dem guten Volk und der perversen Oligarchie, zwischen Rechtsstaatlichkeit und Autoritarismus, zwischen Demokratie und Diktatur präsentiert. Obwohl dieses vereinfachte Bild nichts von dem erklärt, was damals geschah, obwohl es einige der wichtigsten Fragen über unsere heutige Welt unbeantwortet lässt – oder besser gesagt, gerade deshalb -hat sich diese Fabel erfolgreich als Die offizielle Geschichte durchgesetzt. Eine Geschichte, die von einer Klasse geschrieben wurde, die von der Macht verdrängt wurde, um sie später wiederzuerlangen, eine Geschichte, die von den Siegern geschrieben wurde. Eine Geschichte, die nicht nur nichts erklärt, sondern es auch geschafft hat, sich vor jeder ernsthaften Kritik zu schützen, und so zu einer absurden und irrealen Geschichte wurde.

In den letzten vierzig Jahren ist ein klares Verständnis dieser Zeit auf dasselbe Hindernis gestoßen, das sich auf unterschiedliche Weise manifestiert hat: zuerst die unerbittliche Zensur durch die Militärjunta, dann die ideologische Rahmung durch die demokratische Bourgeoisie, später die Sensationslust der Medien, mit der die Parteien des Übergangs die Auswirkungen des Putsches verharmlosten, um die Ursachen besser zu verbergen, und schließlich das leichtfertige Unverständnis, das die heutigen Bildungs- und Kulturverantwortlichen zu denselben Zwecken einflößen. Diese Arten, mit der Geschichte der UP umzugehen, sind keine bloßen „Fehler“ einer unwissenden oder oberflächlichen Interpretation, sondern stellen aufeinanderfolgende Momente derselben ideologischen Konstruktion dar, die die Interessen der herrschenden Gesellschaftsschichten getreu widerspiegelt.

Andererseits ist eine solche fabelhafte Vision heute aus demselben Grund glaubwürdig, aus dem die Illusionen, die zur Katastrophe von 1973 führten, glaubwürdig waren. Als die UP-Parteien sich auf einen kruden produktivistischen Chauvinismus beriefen, um die Arbeiter dazu zu bringen, ihre Reformpolitik von unten zu unterstützen, sagten sie einfach das, was viele Arbeiter hören wollten. Als dieselben Parteien Jahre später den sozialen Protest in Richtung einer bourgeois-demokratischen Lösung kanalisierten, hatten die Oppositionspresse und die populär-liberale Geschichtsschreibung wenig Mühe, die Menschen vergessen zu machen, dass es sich bei den Ereignissen in Chile um einen Zusammenstoß zwischen Klassen mit gegensätzlichen Interessen gehandelt hatte, vor allem, weil es so viele Menschen gab, die das vergessen wollten. Später, als diese Parteien sich als herrschende Macht legitimieren mussten, setzten sie alle Mittel ein, um das gesellschaftliche Gedächtnis für ihre eigenen Interessen zu mobilisieren, und reduzierten die Geschichte der Jahre 1970-73 auf eine Ansammlung schockierender, bedeutungsloser Bilder, die geeignet waren, eine Masse von Menschen vor ihren Fernsehgeräten zu fesseln. In den letzten Jahren hat das fortschrittliche Management die Zeit von 1970-73 in den Lehrplan aufgenommen, nur um etwas zu haben, mit dem man eine Entschuldigung für die Demokratie lehren kann, und es als Fortschritt ausgegeben, obwohl es nur eine pädagogisch korrekte Art war, die Unwissenheit der neuen Generationen zu organisieren.

Der Diskurs über die Menschenrechte, der ein Vierteljahrhundert lang von allen Medien wie besessen propagiert wurde, vollendete dieses Werk der Zerstörung des historischen Sinns und bot ein frommes Leitmotiv, das in der Lage war, das gute Gewissen jedes Christen zu mobilisieren, ohne dass diese „Rechte“ mit irgendetwas verknüpft werden mussten, was in der realen Welt passiert. Diese umhüllende humanitäre Kampagne hat es geschafft, nicht nur den alltäglichen Terror des demokratischen Staates systematisch zu verschleiern, sondern auch etwas anderes, das ebenso schwerwiegend ist: dass der Staat seit Jahrzehnten alle ihm zur Verfügung stehenden Mittel einsetzt, um die Geschichte der UP und des Putsches unlesbar zu machen und die ganze Komplexität dieses Prozesses auf seinen rein repressiven Aspekt zu reduzieren. Die Folge dieser Politik ist, dass alle Lehren aus der Zeit von 1970-73 bis auf eine zum Schweigen gebracht wurden: der Terror.

In diesem Licht muss der alte Slogan „Nie wieder“ gelesen werden. Anfangs zu Recht von Proletariern geäußert, die Pinochets Repression am eigenen Leib erfahren hatten, bekam dieser Satz, als er später zur Staatspolitik wurde, eine ganz andere Bedeutung. Wenn die Machthaber das soziale Gedächtnis auf ihre Weise mobilisieren und auf ihren Bildschirmen verkünden, dass sich die Vergangenheit „nie wieder“ wiederholen darf, kann dies nicht als Warnung an die Handlanger der kapitalistischen Ordnung verstanden werden, die sonst schon längst hinter Gittern wären. In Wirklichkeit geht es den Machthabern darum, alle daran zu erinnern, dass die Ordnung der Ausbeutung nicht in Frage gestellt werden kann, ohne Staatsterrorismus zu provozieren. Das von staatlichen und halbstaatlichen Stellen ausgesprochene „Nie wieder“ ist weniger Ausdruck einer bürgerlichen Sehnsucht als eine strafende Warnung: Es erinnert die Öffentlichkeit daran, welche Illusionen sie sich machen und welche Grenzen sie akzeptieren muss, um nicht zur Zielscheibe staatlicher Repression zu werden.

Angesichts der Skepsis, die diese Überlegungen hervorrufen mögen, werden wir – um einige Gefährtinnen zu paraphrasieren – sagen, dass wir nichts für die Verblendeten und die Besiegten der Geschichte tun können. Wenn sie nicht von den empirischen Beweisen für die reaktionäre Rolle, die progressive Parteien damals und heute spielen, überzeugt sind, werden sie von diesem Buch noch weniger überzeugt sein (es sei denn, sie lesen es mit offenen Augen). Wenn wir Helios Prietos Schriften vor dem Vergessen retten, dann nur, um den Lesern eine revolutionäre Perspektive zu eröffnen, die es schon immer gab, die aber nur von Männern und Frauen aufgenommen werden kann, die nicht aufgegeben haben. Wer sich nicht damit begnügt, seine eigene Vergangenheit als absurde Anhäufung bedeutungsloser Fakten zu betrachten, stößt früher oder später auf andere, die die gleiche Unruhe erlebt haben und die in dieser Geschichte eine Wahrheit zu entdecken wussten, die es auszudrücken gilt. Wir glauben, dass die Lektüre dieses Buches zumindest für diejenigen, die gewissenhaft lesen, eine dieser entscheidenden Begegnungen sein wird.

Wir haben oben festgestellt, dass die offizielle Geschichte fast ohne Gegenwehr durchgesetzt wurde. Das „fast“ in diesem Satz muss hervorgehoben werden. Während der Regierung von Salvador Allende und nach dem Putsch von 1973 wurden von der revolutionären Linken verschiedene Kritiken am UP-Projekt geäußert. So zum Beispiel die Analysen von Alain Labrousse1, Ruy Mauro Marini2, Gabriel Smirnow3 und Mike Gonzalez4, um nur die am wenigsten bekannten zu nennen. Mit unterschiedlicher Nuancierung und Betonung betonten diese Theoretiker den Klasseninhalt des „chilenischen Weges zum Sozialismus“, indem sie die Untauglichkeit des von der UP vertretenen technokratischen Reformismus anprangerten oder auf die Notwendigkeit hinwiesen, die Interessen der Kleinbourgeoisie mit denen des Proletariats in Einklang zu bringen. In Helios Prietos Buch finden sich mehrere Analyseelemente – vor allem in Bezug auf die ökonomischen Maßnahmen der UP -, die auch in diesen Texten zu finden sind.

Was Prietos Text von den anderen unterscheidet, ist die Art und Weise, wie er die Kritik einsetzt: Er nutzt sie nicht, um einen Kurswechsel vorzuschlagen, den die herrschenden Sektoren ohnehin nicht einschlagen könnten, ohne ihre eigenen Klasseninteressen zu verraten. Er will auch keine „objektive“ Sichtweise anbieten, die außerhalb der Spannungen, die das Zusammenleben zwischen den verfeindeten Gruppen zerrissen, erarbeitet wurde.

Was Helios Prieto von den anderen Kommentatoren dieser Zeit unterscheidet, ist, dass sowohl die Form als auch der Inhalt seines Textes eine kämpferische Leidenschaft widerspiegeln, die in den eher „kalten“ Analysen von Allendes politischer Ökonomie nicht vorhanden ist. Von der ersten bis zur letzten Zeile untersucht Prieto die UP-Periode mit einer pointierten und gut argumentierten Ironie und liefert nicht nur eine kraftvolle Klarstellung dessen, was dieser Prozess bedeutete, sondern auch die Textur und den Geschmack einer kritischen Erfahrung, die er in der ersten Person erlebt hat. Nicht in dem Sinne, dass er hier seine persönlichen Erfahrungen schildert: Das wäre nicht nötig gewesen. Wir wissen, was dieses Buch widerspiegelt, weil wir wissen, dass der Autor sich während des Schreibens einer radikalisierten Tendenz in der Arbeiterbewegung widmete, die sich aus nonkonformistischen Kämpfern zusammensetzte, die versuchten, einen revolutionären Pol gegen die UP zu bilden und sich von der MIR und anderen linken Organisationen zu lösen. Diese Aktivitäten, die im Jahr vor dem Putsch 1973 stattfanden, brachten diese Revolutionäre ins Kreuzfeuer der staatlichen Repression auf der einen Seite und der Schockkräfte der Bosse auf der anderen Seite. Dieses Buch ist also nicht nur eine Kritik an den reformistischen Illusionen jener Zeit, sondern fasst auch die tragischen Erfahrungen einer Arbeiterklasse zusammen, die, in die Enge getrieben von verschiedenen konkurrierenden bourgeoisen Fraktionen, einem Kräftespiel hilflos ausgeliefert war, in dem sie drei Jahre lang fast nichts anderes war als das Zugpferd fremder Klasseninteressen.

Aber es gibt noch einen weiteren Grund, dieses Buch nachzudrucken: Mit dieser Kritik hat Helios Prieto nicht nur versucht, eine obskure historische Sackgasse zu beleuchten; er hat auch eine Art radikale Auseinandersetzung vorweggenommen, die in Lateinamerika noch mehrere Jahrzehnte dauern sollte, bis sie sich Gehör verschaffte, und die heute von einer Generation von Kämpfern zum Ausdruck gebracht wird, die damals noch nicht einmal geboren war.

Der Autor dieses Buches und seine Freunde werden nicht als revolutionäre Helden verehrt, und zwar aus dem einfachen Grund, dass sie nie versucht haben, Siege zu erringen, die das Proletariat nicht selbst erringen konnte.

Stattdessen widmeten sie sich der diskreten Aufgabe, das, was für die Kämpfe der Zukunft am wichtigsten war, vor dem Untergang zu bewahren: die praktische und intellektuelle Ehrlichkeit, die Männer und Frauen zur Emanzipation befähigt.

Die Herausgeber (Topo Viejo)


WIDMUNG

Meinem Freund Alejandro Alarcón, von einem Militärtribunal für das Verbrechen verurteilt, ein politisch bewusster Arbeiter zu sein.


EINLEITUNG

Eine Welle des Entsetzens ist durch die etablierte Linke gegangen. Wie konnten die chilenischen Streitkräfte eine „wunderschöne Tradition“ (nach den Worten des Innenministers General Bonilla) missachten und den blutigsten Staatsstreich in der Geschichte Lateinamerikas durchführen?

Daß die Frage immer noch in dieser Form gestellt Werden kann, ist Ausdruck der Durchschlagskraft der weltweiten Kampagne, die jahrelang von der Unidad Popular (UP) und den „kommunistischen“ und sozialdemokratischen Parteien geführt worden war, eine Kampagne, deren Zweck es war einen undurchsichtigen Schleier über die blutige und repressive Vergangenheit der chilenischen Streitkräfte zu legen, um deren Gunst zu erlangen.

In den Jahren vor dem Putsch hatten sich die Meinungen des chilenischen Volkes über die Rolle der Streitkräfte in wachsendem Maße geteilt. Auf der einen Seite erinnerte es sich an das Massaker von „Santa Maria de Iquique”5 wo das Militär 3000 Arbeiter tötete, an Valparaiso und Santiago im Jahre 1957, als Dutzende von Arbeitern umgebracht wurden und ebenso an die brutale Unterdrückung von Bergarbeiter-Streiks während des Regimes Eduardo Freis (1964-70).

Auf der anderen Seite hörten die Massenmedien und offiziellen Sprecher niemals auf die „Verfassungstreue“ der Armee (dabei übergingen sie natürlich, daß Chile eine bürgerliche Verfassung hat) zu beteuern.

In der Universität von Concepción, wo Allende Mitte 1971 eine Rede hielt, antwortete er dem MIR mit der Versicherung, daß er nur „Dank der Streitkräfte“ Präsident geworden sei.

Es hatte demnach den Anschein, als gäbe es in Chile zwei Armeen, eine, die bis 1970 operiert hatte und eine andere, die danach aufgebaut worden war. Zudem hielt sich die Allende Regierung strikt an die Garantien, die sie mit ihren christdemokratischen Bündnispartnern im Oktober 70 unterzeichnet hatte.6

Allende machte keinen Versuch die Generäle sowohl der Armee als auch der Carabinieros (bewaffnete Polizei) auszutauschen. Obwohl er sich verpflichtet hatte, die „Mobile Polizeieinheit“ (die auf den Straßenkampf trainiert war) aufzulösen, änderte er bloß ihren Namen in „Spezialtruppe“.

Das Resultat: der Unterdrückungsapparat des bürgerlichen Staates blieb völlig intakt und heute sind es die „Pro-Allende“ Generäle, die das Massaker am chilenischen Volk vollstrecken.

Wir können hier nicht eine detaillierte Studie über die drei Jahre Unidad Popular vorlegen; das kann erst geschehen, wenn es möglich ist, die Akten und Dokumente zu rekonstruieren, die den Flammen der Junta in den Tagen ihrer Machtübernahme zum Opfer fielen.

Was folgt ist eine Chronik der wichtigsten Ereignisse der Klassenauseinandersetzungen während der Monate, die dem Putsch gegen Allende vorhergingen; es ist auch der Versuch die unmittelbaren Ursachen seines Sturzes und die Grausamkeit, mit der die Junta wütete, zu erklären.

Die wichtigsten Gründe liegen dem „Modell des friedlichen Überganges zum Sozialismus“ zu Grunde, das die chilenischen Reformisten gewählt hatten und in der daraus resultierenden ökonomischen Politik, die sie während der ersten beiden Jahre der Regierung der UP (Unidad Popular) durchführten. Diese Politik, die wir in einer zukünftigen längeren und grundsätzlicheren Studie analysieren werden, provozierte eine tiefe gesellschaftliche Krise; sie führte zu bedeutenden Änderungen in den Beziehungen der Klassen zueinander, trug direkt zur Isolation des Proletariats bei und stärkte die industrielle und Handels-Bourgeoisie.

Diese Analyse jedoch muß aufgeschoben werden. Die dringende Aufgabe, die auch der Grund für diesen Bericht ist, besteht jetzt und heute darin, auf die Debatte einzuwirken, die bereits innerhalb der Revolutionären Linken eingesetzt hat und deren Gegenstand es ist, die Gründe für das Versagen der Volksfront zu verstehen.

Chile ist ein weiteres Beispiel dafür, was das Proletariat unter einer reformistischen Führung erwartet. Dennoch gibt es immer noch Leute, die es am liebsten sähen, dass daraus überhaupt keine Lehren gezogen würden; diese Kräfte, die unter der Fahne des „Kommunismus“ für den Kapitalismus arbeiten, sind tief in der Arbeiterklasse verankert und immer noch sehr mächtig.

Heute bringen die reformistischen kommunistischen Parteien in der ganzen Welt große Energien auf die Massen davon zu überzeugen, dass sie dieselben Fehler begehen sollen, die in Chile begangen wurde.

In einigen Jahren werden wir vielleicht erleben, wie „Kommunisten“ und „Sozialisten“ in Chile wieder vom friedlichen Wege zum Sozialismus und der Verfassungstreue der Streitkräfte reden werden, die durch die konspirativen Machenschaften einer kleinen Gruppe von Generälen vom rechten Weg abgebracht worden seien.

Natürlich kann es sein, daß die Reformisten daran scheitern werden, irgendjemanden zu überzeugen. Rosa Luxemburg sagte einmal, daß es nur ein Heilmittel für die reformistischen Illusionen des Proletariats gibt; unglücklicherweise ist es ein Heilmittel, das einen hohen Blutzoll fordert.

Das Militär, wie wir wissen, ist nicht knausrig mit diesem Heilmittel umgegangen. Die tausende reformistische Reden und Pamphlete in der ganzen Welt werden nicht in der Lage sein das Blut und das Leiden zu verbergen, den Preis, den das chilenische Volk für den Versuch zu bezahlen hatten, den Sozialismus ohne soziale Konten aufzubauen.

1972: DER KLASSENKAMPF VERSCHÄRFT SICH

In der zweiten Hälfte des Jahres 72 begann sich der Klassenkampf in Chiles größeren Städten zu intensivieren. Die Bourgeoisie hatte 1971 stillgehalten, sodaß es ein relativ ruhiges Jahr war, was die Regierung betraf; teilweise, weil sie ihre Kräfte nach der Wahlniederlage von 1970 von Neuem sammeln mußte; aber hauptsächlich deswegen, weil die Partei der industriellen und der Handels- Bourgeoisie – die christdemokratische Partei (PDC) – die nationalistischen und die Landwirtschaft betreffenden Programmpunkte der UP unterstützte. Diese beinhalteten eine Agrarreform gemäß dem Agrarreformgesetz, das von den Christdemokraten während der Regierung Freis erlassen worden war; die Verstaatlichung der Grundstoffindustrie des Landes – besonders der Kupferindustrie – und die Entwicklung eines Staatskapitalismus, die schon während der bürgerlichen Regime der dreißiger Jahre eingesetzt hatte.

Das Hauptziel der UP während ihres ersten Regierungsjahres war die Wiederankurbelung der Wirtschaft7. Dies erfolgte durch massive Lohnerhöhungen, um die Nachfrage zu erhöhen und die „Bourgeoisie zu zwingen ihre brachliegenden Kapazitäten nutzbringend einzusetzen.“ Einige Monate lang war diese Politik erfolgreich, aber sie erzeugte einen solchen Nachfrageboom nach Kapital- und Konsumgütern und eine Aufblähung des Geldvolumens, daß eine ernsthafte Inflation die Folge war. Gegen Ende 71 wurde die wirtschaftliche Situation ernst. Die UP konnte keinen Schritt mehr voran tun, wenn sie nicht bereit war gegen die industrielle Bourgeoisie vorzugehen, die die grundlegende soziale Basis ihres Hauptverbündeten im Kongress, der PDC, war.

Im Dezember 71, während eines Besuchs von F. Castro gingen die Frauen der Mittelschichten auf die Straße und protestierten gegen die angebliche Lebensmittelknappheit, indem sie mit ihren Kochtöpfen einen Höllenlärm veranstalteten.

So begann die Gegenoffensive der Bourgeoisie; sie dauerte von jenem Zeitpunkt mit unterschiedlicher Intensität bis zum Sturz Allendes an. Während der ersten Hälfte des Jahres 72 ging der Anteil der UP in einigen Nachwahlen zurück; ihre Verbündeten kehrten in den Schoß der christdemokratischen Partei zurück und die Durchführung ihres Programms kam ins Stocken. Von jenem Zeitpunkt an waren die einzigen Fabriken, die in den öffentlichen Sektor übernommen werden sollten diejenigen, die von der Arbeiterklasse in eigener Initiative und häufig gegen den Widerstand ihrer eigenen Führung übernommen wurden. Im Juli 72 wurde der Wirtschaftsminister Pedro Vuskovis von seinem Posten entfernt und durch Orlando Millas von der Kommunistischen Partei ersetzt; der neue Minister verkündete dann prompt, daß der Prozeß der Verstaatlichung „gestoppt würde.“ Während des vergangenen Jahres waren wichtige Güter in wachsendem Maße in die Kanäle des Schwarzmarktes gewandert und die Knappheit an Waren wurde ernst; das war ein direktes Resultat des unkontrollierten Anwachsens des Geldvolumens, der allgemeinen Wirtschaftspolitik der UP und der bewußten Sabotage der Bourgeoisie. Während des ersten Jahres der Allende-Regierung fügte sich die Bourgeoisie im allgemeinen den staatlichen Preisfestsetzungen; während der ersten Hälfte des Jahres 1972 jedoch begannen die Preise aus der Kontrolle der Regierung zu geraten; und der Staat konnte nur sehr wenig dagegen tun, da er nur 500 Inspektoren zur Verfügung hatte, die 125000 Betriebe zu überwachen hatten.

Genau zu diesem Zeitpunkt schuf die Regierung die JAPs (Volksversorgungskomitees) die aus Repräsentanten lokaler Organisationen zusammengesetzt waren. Ende 71 gab es 880 dieser Komitees; Ende 72 2080. Sie hatten jedoch keine Macht die Preisfestsetzungen selbst einer Unterprüfung zu unterziehen.

Während der ersten Hälfte des Jahres 72 schossen die Preise um 36,6 % in die Höhe (um fast das doppelte als 1971). Orlando Millas erste Maßnahme war eine „realistische Preispolitik“ einzuschlagen; während der Monate August und September verfügte er entsprechende Preissteigerungen von jeweils 38,1 und 30,4 %.

Bis zu jenem Zeitpunkt hatte die UP großen Wert auf die Tatsache gelegt, daß sie eine bedeutsame Umverteilung des Volkseinkommens zugunsten der Arbeiter herbeigeführt hatte. Von da ab jedoch wurden die Lohnforderungen der Arbeiter als „ökonomistisch“ abgetan und den dafür kämpfenden Arbeiter „mangelndes Klassenbewusstsein“ vor geworfen.

Als Resultat des Schwarzmarktes und der Inflation fanden die Arbeiter ihren Lebensstandard auf den des Jahres 1970 zurückschrumpfen.

Deshalb war jetzt die erste unabhängige Reaktion der Arbeiterklasse unvermeidlich geworden.

Trotz des Widerstandes der Kommunistischen Partei gründeten die Arbeiter von Cerillos, einer der größten Industriebezirke von Santiago den ersten „Cordon“8 übernahmen die Fabriken, verbarrikadierten die Straßen und verlangten, daß die lokalen Industriebetriebe in den „öffentlichen Sektor“ übernommen werden sollten.

Diese Forderung spiegelt den hohen Grad des antikapitalistischen Bewußtseins innerhalb der Arbeiterklasse wider – aber sie hatte auch eine ökonomische Grundlage, da die Arbeiter in den verstaatlichten Industrien mehr verdienten. Von Anfang an handelten die „Cordones Industriales“, die auch die Arbeiter miteinbezogen, die Mitglieder der UP-Parteien waren, mit beträchtlicher Unabhängigkeit von ihrer politischen Führung.

Im Oktober ging die Bourgeoisie au ihrem ersten massiven Generalangriff über. Sie führte den Angriff auf dem Feld, wo sie sich am stärksten wusste, dem Verteilungsnetz; denn das war ein Sektor, in dem es wenige und dazu noch schlecht organisierte Arbeiter gab.9

Die Kontrolle über diesen Sektor versetzte die Bourgeoisie in die Lage das gesamte Transportsystem und den Handel lahmzulegen.

Eine der Mythen der UP war und ist es noch, daß die Arbeiterklasse im Oktober 72 einen wichtigen Sieg über die Bourgeoisie errang. Dieser Mythos war einfach aufrechtzuerhalten; das einzige, was die UP zu tun brauchte, war, der Bourgeoisie Vorhaben anzudichten, die sie nicht verfolgte, und dann zu versichern, daß jene gescheitert waren.

Gemäß der Legende der UP war der Zweck der Mobilisierung im Oktober 72 der Sturz Allendes. Es ist jedoch offensichtlich, daß die Anführer der UP ebenso wenig in der Lage waren einen Staatsstreich im Oktober 72 wie dann im Herbst 73 abzuwehren; wie der Schafhirte in der Fabel riefen sie „Staatsstreich“ so oft, so daß keiner ihnen glaubte, als er wirklich da war.

Abgesehen von der geisteskranken Gruppe Patria y Libertad (Vaterland und Freiheit) – einer faschistischen Sekte von nur geringer sozialer oder politischer Bedeutung – wollte keine der bürgerlichen Parteien im Oktober 72 einen Staatsstreiche Nirgendwo in irgendeiner Erklärung der Nationalen Partei oder der Christdemokraten kann man in diesem Zeitraum den Ruf nach dem Sturz Allendes finden (im Gegensatz dazu standen die Dinge ganz unmittelbar vor dem Putsch, als selbst der Kongress erklärte, daß die Regierung den Boden der Verfassung und des Rechtsstaates verlassen habe.)

In diesem dramatischen Oktober brachte die Bourgeoisie Gonzalez Videla10 an die Oberfläche, den antikommunistischen aller bürgerlichen Politiker und brachte ihn nach zwanzigjähriger Abwesenheit vom öffentlichen Leben ins Fernsehen, so daß er Allende dringend ans Herz legen konnte, dasselbe zu tun, was er während seiner Präsidentschaftszeit getan hatte – die KP zu verbieten und alle ihre Militanten in Konzentrationslager zu stecken. Zum Erstaunen aller, die angenommen hatten, daß die Bourgeoisie die Regierung Allende stürzen wolle, beendete Gonzalez Videla seine Rede mit einer energischen Zurückweisung jeglicher militärischer Lösung. Tatsächlich aber erreichten die bürgerlichen Parteien genau das, was sie wollten: das Militär wurde ins Kabinett aufgenommen; das war nichts anderes als die Regierung in einen Belagerungszustand zu versetzen und sie letztendlich unter die Kontrolle der Bourgeoisie zu stellen.

Ihrerseits tat die Regierung alles in ihrer Kraft stehende der Bourgeoisie zu helfen dieses Ziel zu erreichen.

Nur wenige Tage nach dem Beginn des Streiks der Lastwagenbesitzer wurden die 13 wichtigsten Provinzen unter Ausnahmezustand gestellt; auf diese Weise gelangten sie unter die direkte militärische Kontrolle genau jener Männer, die heute für die systematische Ermordung von chilenischen Arbeitern verantwortlich zeichnen.

Zur selben Zeit hinderte die Regierung die Arbeiter daran in diese politische Auseinandersetzung einzugreifen, indem sie sie davon überzeugte, daß ihr Anteil an der Beendigung des Streiks in der „Produktionsschlacht“ liege.

Die Regierung weigerte sich (oder unterdrückte direkt) jene wenigen Sektoren mit Machtbefugnissen auszustatten, die sie nicht mehr effektiv kontrollieren konnte. Dabei handelte es sich um jene Sektoren, in denen die Leute darauf bestanden, daß die Läden wieder geöffnet und die Lastwagen, die von den Besitzern aus dem Verkehr gezogen worden waren, requiriert werden sollten. Die Arbeiterklasse war so auf die Betriebe beschränkt, wo sie in einer kämpferischen, aber fatal defensiven Position verharrte. Bis zum 11. September 73 blieb die Kontrolle über die Straße in den Händen der Bourgeoisie. Sie war der Armee überlassen worden, die jetzt dank der UP nach Jahren wieder in die Regierung kam, um die Krise zu einer Lösung zu bringen. Das Endresultat war ein vereinigtes Kabinett der UP und der Generäle. Dies stellte einen bedeutenden Sieg der Bourgeoisie dar, obwohl gerade die UP die Aufnahme der Generäle ins Kabinett den Massen als ein Zeichen darstellte, daß die Armee für die Volksfront gewonnen worden sei.

Das einzige positive Resultat der Oktoberereignisse war die Entstehung der „Kommunalen Kommandos“ (comandos comunales)11 und der „Cordones Industriales“, die sich schon einige Monate vorher gebildet hatten. Sie waren geschaffen worden, um ein wichtiges organisatorisches Vakuum zu füllen, das der höchst bürokratisierte CUT (das chilenische Gegenstück zum DGB) ungefüllt ließ, eine Organisation, die nur etwa 30 % der gesamten Arbeiterklasse umfaßte und keine Form der regionalen Organisation in den wichtigsten Arbeiterzentren hatte.

Aber dieser organisatorische Fortschritt – von den sozialistischen Linken und dem MIR übertrieben eingeschätzt, die in den Cordones entstehende Sowjets sahen – wog nicht die politische Niederlage auf, die der Eintritt der Militärs in das Kabinett bedeutete. Wenige Monate später sollte dieser Gewinn vollständig unter den Stiefelnder militärischen Unterdrückung verbluten, denn es fand keine entsprechende Entwicklung des Klassenbewußtseins statt, die den Arbeitern erlaubt hätte, die wahre Natur der Streitkräfte zu verstehen.

DER WAHLKAMPF MÄRZ 73

Das neue Kabinett hatte nur Übergangscharakter. Die UP fühlte sich verpflichtet der Opposition ohne Rücksicht auf die Massen Konzessionen zu machen, in der Hoffnung verlorenen Boden in den kommenden Wahlen im März 73 wiedergutzumachen. Die Opposition ihrerseits glaubte, daß die Wahlen ihr die 2/3 Mehrheit bringen würden, um Allende in den Griff zu bekommen und ihn entweder in die Rolle eines Dieners des Kongresses zu zwingen oder ihn ganz einfach über ein Mißtrauensvotum loszuwerden. Die Strategie der Christdemokraten bestand offensichtlich darin Allende zu einer fügsamen Marionette zu machen, so daß er sich bis zu den Wahlen 1976 völlig deskreditiert hätte und so die Opposition wieder die Regierungsmacht übernehmen könnte.

Die Nationale Partei auf der anderen Seite wollte die notwendigen Bedingungen schaffen, um ihn aus seinem Amt entfernen zu können oder alternativ dazu Bedingungen für einen Staatsstreich zu einem späteren Zeitpunkt vorbereiten. Obwohl die Erwartungen der Opposition übertrieben waren, so schienen sie doch während dieser Monate erfüllbar.

Die ökonomische Krise hatte ernsthafte Ausmaße erreicht, die Warenknappheit wurde immer verzweifelter und im Oktober war das Kleinbürgertum in der Lage gewesen in die Offensive überzugehen, während das Proletariat in der Defensivposition von der UP festgehalten wurde. Viereinhalb Monate absorbierte der Wahlkampf die Energie der Arbeiterklasse. Die Cordones Industriales, die als Organe des Klassenkampfes entstanden waren, wurden in die Wahlkampagne als lokale UP-Komitees eingegliedert. Die Sozialistische Partei enthüllte wiedereinmal ihre traditionelle Fähigkeit die revolutionären Hoffnungen der Massen in eine sozialdemokratische Richtung zu kanalisieren. Altamiranos Kandidatur wurde als „linke Alternative“ präsentiert. Der MIR war davon hinreichend überzeugt, so daß er seine ehemalige Entscheidung eigene Kandidaten aufzustellen, aufhob und aus Angst vor einer Wahlniederlage sich damit begnügte die Sozialistische Partei zu unterstützen.

Die Klassenauseinandersetzungen von August bis Oktober 72 fanden keinen Ausdruck in den Reden des sozialistischen Kandidaten: „Fortschritt ohne Kompromisse“ „Die Volksmacht aufbauen“ „Jetzt ist die Zeit reif, vorwärts an allen Fronten“ waren die leeren, aber verführerischen Parolen des Tages. Die kommunistische Partei führte eine kluge Kampagne gegen den Schwarzmarkt und brachte es fertig einige Teile der Bevölkerung zu überzeugen, daß die Warenknappheit ausschließlich der Sabotage und dem Horten der Opposition zuzuschreiben sei. Dies war in zweierlei Hinsicht ein Witz auf Kosten der Massen: erstens weil die Wirtschaftspolitik der UP – der direkte Ausfluss ihres „Modells des friedlichen Übergangs zum Sozialismus“ – der hauptsächliche Grund des ökonomischen Wirrwars war; zweitens, weil am Tag nach der Wahl die KP den Kampf gegen den Schwarzmarkt aufgab und sich aufatmend anderen Dingen zuwendete. Eines ist gewiss: Im März 73 stellte die chilenische Arbeiterklasse ihre Geduld und Selbstverleugnung unter Beweis, in dem sie wiederum die Kandidaten der UP wählte, die sie Schritt für Schritt in die Niederlage führte. Das Resultat war, daß die UP 43% der Stimmen gewann. Die verfassungsgemäße Lösung der Krise war jetzt definitiv nicht mehr möglich. In einem Bericht, der kürzlich von dem chilenischen General Gustavo Leigh, einem Mitglied der Junta, veröffentlicht wurde, wird festgestellt, daß das militärische Oberkommando den Putsch im März vorzubereiten begann. Nur diejenigen, die entschlossen waren, taub und blind gegenüber den Realitäten zu bleiben, um sich weiterhin des „via Chilena“ (der chilenische Weg) erfreuen zu können, konnten diese Entwicklung ignorieren.

Und dennoch, trotz all der Offenkundigkeit, fuhr die UP in selbstmörderischem Wahnsinn fort, sich an dem Mythos des unpolitisch professionellen, demokratischen und verfassungstreuen Charakter der Streitkräfte festzuklammern.

MAI BIS JUNI 1973: DIE UP BEGINNT IHRE SOZIALE BÄSIS ZU VERLIEREN

Der Wahlkampf hatte die Aufmerksamkeit der Arbeiter vom Klassenkampf abgelenkt. Als die Wahlen vorüber waren traten die Probleme der Massen erneut hervor und wurden zunehmend dringender. Während des Wahlkampfes waren die gewerkschaftlichen Kämpfe fast völlig verschwunden. Fünfzehn Tage nach den Wahlen begannen die Streiks und Besetzungen erneut und breiteten sich mit einer außergewöhnlichen Schnelligkeit bis Ende April aus, als der Kongress das Gesetz über die Anpassung der Lebenshaltungskosten verabschiedete und die Anzahl der Konflikte wieder dramatisch abnahm.

Die UP nahm eine repressive und feindselige Haltung gegenüber den Aprilstreiks ein. Die Pressekampagne gegen den „Ökonomismus“ wurde verdoppelt und war zu bestimmten Zeiten begleitet von direkten Formen der Unterdrückung. Als Antwort auf die wachsenden Forderungen der Massen schlug die Exekutive dem von der Opposition dominierten Kongress ein Gesetz vor, das eine automatische Anpassung der Lebenshaltungskosten an die Löhne absicherte. Es war ein politisches Manöver, das den bürgerlichen Parlamentariern die Verantwortung für ein Eingehen auf die Forderungen der Massen zu übertragen suchte. Der formale Vorwand für diesen Schritt war, daß der Vorschlag zusätzlich Reformen einschloss, was bedeutete, daß die Lohnerhöhungen von neuen der Bourgeoisie auferlegten Steuern finanziert werden sollten. Das vorgeschlagene Gesetz wurde Monate später ohne jegliche Erwähnung dieser neuen Finanzquellen gebilligt.

Gestützt auf seine wachsende parlamentarische Mehrheit war der Reformismus jetzt darauf vorbereitet bis 1976 zu regieren. Er begann mit der Repression der Linken. Der erste Schritt war die Organisierung eines Rutsches innerhalb der MAPU, eine der Parteien der UP, deren linker Flügel, der oft MIR-nahe Positionen vertrat, siegreich auf dem letzten Parteitag hervorgegangen war. Von der kommunistischen Partei bewaffnete Schläger besetzten die Parteibüros und die Druckerei, warfen die rechtmäßige Führung hinaus und ersetzten sie durch Anführer der rechten Minderheit.

Diese Aktion war als erste von mehreren ähnlichen Maßnahmen gedacht. Als nächste war ein Angriff auf den linken Flügel der sozialistischen Partei geplant. Jedoch war die Gegenreaktion der in der MAPU organisierten Arbeiter dermaßen heftig – sie gaben den linken Anführern massive Unterstützung und isolierten die rechte Fraktion – daß die Kampagne gegen den linken Flügel der Sozialisten verschoben wurde. Am Ende wurde sie niemals durchgeführt, da das Wiederaufleben des Klassenkampfes die Reformisten aus ihrem parlamentarischem Dornröschenschlaf unsanft aufweckte und sie zwang ihre Kräfte zu vereinen, um in der ihr eigenen Weise einem neuen Angriff der Bourgeoisie entgegenzutreten und gleichzeitig jeden Versuch einer selbständigen Organisation der Arbeiterklasse zu ersticken.

Die sozialistisch-kommunistische Führung des CUT, die sich in der bisherigen zweieinhalbjährigen Regierungszeit als unfähig erwiesen hatte die Arbeiter gewerkschaftlich zu organisieren oder auch nur regionale Gewerkschaftskoordinationskomitees zu schaffen, machte sich daran die Cordones Industriales, die von dem am weitest fortgeschrittenen Teile der Arbeiterklasse ins Leben gerufen worden waren, unter Kontrolle zu bringen und sie daran zu hindern der Durchführung der ökonomischen Pläne der UP Schwierigkeiten zu bereiten; die hauptsächlichen Konfliktpunkte waren die Lohnpolitik und das Vorhaben der UP den öffentlichen Sektor der Wirtschaft zu begrenzen, im Hinblick auf eine damit von ihnen erwartete dauerhafte Verständigung mit den Christdemokraten. Diese arbeiterfeindliche Politik fand auf drei Ebenen statt. Wo es ihr ohne Widerstand gelang, gab das Kabinett der UP und der Generäle die Fabriken, die die Arbeiter während der Oktoberkrise in eigener Regie übernommen hatten, an ihre ursprünglichen Besitzer zurück (z.B. die dreizehn Arica Elektronikbetriebe). Damit wurde die Macht der Cordones untergraben und der Bourgeoisie neue Garantien angeboten. Zur gleichen Zeit setzte die Regierung eine Kampagne gegen die „Parallelgewerkschaften“ (gemeint sind die Cordones) in Gang, mit der Forderung, daß die Führung der selbständigen Organisationen der Arbeiter sich dem CUT unterzuordnen hätten.

Der CUT seinerseits begann dort, wo noch keine Cordones existierten, seine eigenen zu organisieren, indem er undemokratisch vorging, die Führung von oben einsetzte und den Massen sehr wenig Teilnahme und Kontrolle zugestand. Das Ziel war einen „Kongress der Cordones“ abzuhalten, auf dem, dank dieser bürokratischen Manöver, die Führungsspitze des CUT die notwendige Mehrheit haben würde, um ihre Politik durchzusetzen.

Dieser Zermürbungskrieg gegen die fortgeschrittensten Teile der Arbeiterklasse war die erste Phase einer Offensive, die das Militär bis zu ihrer blutigen Konsequenz durchführen sollte. Ursprünglich beteiligte sich der MIR an den Cordones und den „Kommunalen Kommandos“ aber er mißverstand ihre Natur und Aufgaben, die ihnen spontan von der Arbeiterklasse übertragen worden waren. Die Arbeiter sahen sie als proletarische Organisationen an, um die herum sich der Kampf um den Aufbau von Klassengewerkschaften konzentrieren sollte und mit denen sie ihre unmittelbaren Interessen verteidigen und der Staats- und Gewerkschafts-Bürokratie entgegentreten konnten. Demgegenüber ging die Führung des MIR davon aus, daß sich die Bedingungen des Rußland von 1917 in Chile wiederholen und ordnete den Cordones die Rolle der Räte zu und dies führte bewußte Teile des Proletariats dazu, sich vom MIR abzuwenden, als sich das Problem der Versorgung zu- der Verteilung von Lebensmitteln zuspitzte. Später, als der CUT seine bürokratische Offensive in Gang setzte, wußte der MIR nicht wie er dieser begegenen sollte und endete damit sich der Kampagne des CUT gegen „paralelle Gewerkschaften“ anzuschließen. Bei einer Podiumsdiskussion, die von der Zeitung „Chile HOY“ (Chile heute) veranstaltet wurde (eine den Sozialisten und dem MER nahestehende Zeitung) verwies der Vertreter des MIR auf die Cordones als Beispiele von Parallelgewerkschaften. Dies überraschte den Diskussionsleiter so, daß er fragte, wie es komme, daß der MIR eine abweisendere Position als die Sozialisten gegenüber den Cordones beziehe. Die Erklärung ist es wert wiedergegeben zu werden: wenn die Cordones alle Teile des Volkes zusammengefaßt hätten (d.h. wenn sie Räte gewesen wären) hätten sie keine parallelen Gewerkschaften sein können – aber da sie dies nicht taten, waren sie doch Parallelgewerkschaften geworden. Einer der zentralen Konflikte dieser Periode war der Streik der Bergarbeiter des Kupferbergwerkes El Teniente. Die Kupferbergarbeiter waren die unbestrittene Avantgarde der Arbeiterklasse in der Zeit vor 1970. Zusammen mit den ‚Bergarbeitern der Kohleindustrie sind sie der am höchsten konzentrierte und ausgebeuteteste Teil der Arbeiterklasse und ihre Lebens- und Arbeitsbedingungen sind ohne Zweifel die schlechtesten im ganzen Land. In gesundheitsschädlichen Lagern in der Mitte der Wüste isoliert, der direkten Ausbeutung der großen imperialistischen Konzerne, die die Kupferindustrie besitzen, unterworfen, hatten die Kupfer-Bergleute mit der höchsten Anzahl von Streiks im Vergleich zu anderen Teilen der Arbeiterklasse reagierte

Das Ergebnis war natürlich, daß sie unter fortgesetzter und brutalster Unterdrückung litten, besonders während des Frei-Regimes.

Im September 1970 erhielt Allende den höchsten Stimmanteil gerade von jenen (verglichen mit dem nationalen Durchschnitt von 33%) Gebieten: er errang zwischen 60 und 80 % in den drei wichtigsten Bergbau-Zentren – unter ihnen EL TENIENTE.

Die Löhne der Kupferbergleute waren natürlich höher als im nationalen Durchschnitt, aber das war in keinem Falle der Großzügigkeit der US-Konzerne zuzuschreiben. Die simple Wahrheit ist, daß der Kupferbergmann seine Arbeitskraft innerhalb fünfzehn bis zwanzig Jahre erschöpft hat; als Arbeitergruppe haben die Bergleute die geringste Lebenserwartung und im Durchschnitt 300 tödliche Unfälle pro Jahr.

Eine Führung die wirklich die Intension gehabt hätte einen nach und nach ansteigenden Anteil des Mehrwertes den Kapitalisten wegzunehmen und das nationale Einkommen zugunsten der Arbeiterklasse in Form von höheren Löhnen umzuverteilen – was die Volksfront proklamierte, als sie dem Parlament ein Gesetz über Lohnanpassung vorlegte, gerade zu der Zeit als der EL TENIENTE Streik begann – hätte die Bergleute unterstützen müssen.

Denn die Volksfront hatte nur eine Möglichkeit die Arbeiterklasse zu mobilisieren und zwar die Unterstützung der Forderungen der traditionell am meisten kampferfahrenen Teile und die Ausdehnung ihrer Erfolge auf den Rest der Arbeiterklasse. Die Volksfront tat jedoch genau das Gegenteil. Der Streik begann mit der Unterstützung aller Arbeiter des Bergwerks, einschließlich Sozialisten und Kommunisten. Jedoch fünf Tage nach Beginn des Streiks befahlen diese Parteien ihren Mitgliedern an ihre Arbeitsplätze zurückzugehen. Dies passierte überall dort, wo die Gewerkschaften unter sozialistischer oder kommunistischer Kontrolle waren. Die Volksfront brachte dann eine abscheuliche Kampagne in Bewegung, mit dem Ziel, die Kupferbergarbeiter vom Rest der Arbeiterklasse zu isolieren, in dem sie sie als „die Arbeiteraristokratie“ schlecht machte.

(es ist daran zu erinnern, daß jeder dieser „Arbeiteraristokraten“ eine Lebenserwartung von 40 bis 50 Jahre hatte). Sie mobilisierte die tiefsten Ängste der am meisten ausgebeutesten Teile der Arbeiterklasse, wie die Kohlebergleute, die zwischen 2000 und 3000 Escudos im Monat verdienen und ermutigte sie ihre Klassenbrüder als privilegierte Gruppe anzuprangern.)

Der proletarische Charakter des Konfliktes wurde vertuscht, in dem man, die Streikenden eher als Angestellte und nicht als Lohnarbeiter bezeichnete. In Wirklichkeit machte sie sich in wohlüberlegter und zugleich widerlicher Weise ein unter den Christdemokraten verabschiedetes Gesetz zunutze, den Drehern, Elektrikern, Monteuren, das Kraftfahrern und Baggerfahrern und anderen den Status von „empleados“ gegeben hatte. Wenn man den hohen Grad der Spezialisierung in den Bergwerken berücksichtigt, dann nahmen diese Berufe fast die Hälfte der Belegschaft ein.

Nicht einmal der christdemokratische Gesetzgeber hätte sich verstellen können, daß dieses Gesetz sich so nützlich zur Spaltung der Arbeiterklasse erweisen würde. Den Hauptanführer des Streiks, Guillermo Medina, der ein Jahr vorher die Kampagne für den örtlichen Kandidaten der Sozialisten geführt hatte, begann die Volksfront Presse als „Medina der Nazi“ zu bezeichnen. Die gleichen Zeitungen veröffentlichten Stellungnahmen seines Sohnes, einem Mitglied der kommunistischen Partei, in denen er‘ seinen Vater denunzierte.

Die heroischen Kupferbergleute gaben dennoch nicht auf. Dreißig Tage nach Beginn des Streiks begann die Bourgeoisie, nachdem ihr deutlich geworden war, daß die UP-Regierung sorgfältig ihre Interessen wahrnahm, demagogischen Nutzen aus dem Konflikt zu ziehen.

Der Bauernverband Triunfo Campesino (Sieg den Bauern), der von den Christdemokraten kontrolliert wurde, unterstützte die Streikenden öffentlich; ihm folgten Mitglieder der bürgerlichen „gremios“ (berufsständische Vereinigungen oder Innungen) sowie die oppositionellen Studentenorganisationen. Die Volksfront hatte die besten Elemente ihrer sozialen Basis in die Arme des Feindes getrieben.

Die Anführer der Gewerkschaften des Chuquicamata Bergwerkes, der größten Tagebau-Kupfermine der Welt, führten eine Abstimmung durch, ob man die Bergleute in El Teniente unterstützen solle oder nicht. Die Volksfrontlinie, die eine Unterstützung des Streiks ablehnte, gewann die Abstimmung mit weniger als l00 Stimmen bei einer Gesamtsumme von 5000 Stimmen. Dennoch begrüßte der Kommunistenbürokrat, Luis Figueroa vom CUT, diese nahezu gleichstarke Spaltung innerhalb der Arbeiterschaft von Chuquicamata als einen Triumph der Arbeiterklasse gegenüber dem Faschismus. Als im Juli Arbeiter von El Teniente nach Santiago marschierten, um ein Interview mit Allende zu fordern, stellte sich ihnen an einer Brücke das „mobile Überfallkommando“ (von dem man angenommen hatte, dass es 1970 von der Volksfront aufgelöst worden war) entgegen und trieb sie mit Gewalt auseinander. In Racangua, in der dem Bergwerk am nächsten gelegenen Stadt, zerstreuten die Carabineros im Auftrag der Regierung mit ihren Methoden, bis hin zum Einsatz von Panzerwagen, Demonstrationen. Um die sozialistischen und kommunistischen Streikbrecher vor den Streikposten zu schützen, töteten sie einen Streikenden.

In diesem Klima einer tiefen Spaltung innerhalb der Arbeiterklasse, fand der Versuch eines Staatsstreiches, angeführt vom Oberst Souper, am 29. Juni 1973 statt.

VOM PUTSCHVERSUCH (JUNI) ZUM ERFOLGREICHEN PUTSCH (SEPTEMBER)

Am 29. Juni erwachten die UP Militanten unvorbereitet durch das Getöse der Artillerie, die ihre Geschütze auf den Palacio de la Moneda, gerichtet hatte. Die Regierung hatte wohl etwa 20 Mal vor einem drohenden Putsch gewarnt, aber dieses Mal hatte sie wedel‘ Vorbereitungen getroffen, noch die Bevölkerung alarmiert. Dennoch waren dem versuchten Putsch von Souper eine Reihe von Ereignissen vorangegangen, die eigentlich charakteristisch für den „Chilenischen Weg“ waren. Souper war eines der wenigen Mitglieder der Armee, die direkt mit der Patria y Libertad konspirierten. Seine Aktivitäten aber wurden vom militärischen Oberkommando missbilligt, da ihm daran gelegen war, die Einheit des Militärs zu erhalten, um den Erfolg des eigenen Putsches zu sichern. Souper wurde am 27. Juni davon unterrichtet, daß er in Anbetracht seiner konspirativen Tätigkeiten am 29. Juni seines Kommandos enthoben werde – allerdings mit einer militärischen Zeremonie um 11 Uhr des gleichen Tages. Um 9 Uhr desselben Tages, noch vor der Ankunft Allendes, war der Palacio de la Moneda unter Soupers Oberbefehl mit Panzern und Soldaten umstellt und umzingelt worden. Das Oberkommando benötigte nur wenige Stunden, um den Putschversuch niederzuschlagen; Souper hatte niemals ernsthafte Anstrengungen gemacht, die Macht zu erringen. Seine Aktionen müssen eher als ein typisches Beispiel „bewaffneter Propaganda“ gesehen werden; doch sie dienten als Katalysator innerhalb der Armee, eine offene Debatte auszulösen, die einerseits die Generäle in ihren Putschabsichten bestärkte und andererseits die UP politisch noch abhängiger von den Christdemokraten machte.

Die Mehrheit der Armeeoffiziere hatte enge Verbindungen zur amerikanischen Armee und war im höchsten Maße antikommunistisch. Da dieser Teil der Armee weniger politisch bewußt war als das Oberkommando, tolerierte er nur widerstrebend die subtile Politik der Generäle, Allende zu unterstützen, um ihn damit um so besser einkreisen und ihrem Willen unterwerfen zu können. Seit einigen Monaten hatte sich die Meinung innerhalb dieses Teils der Armee mehr und mehr in Richtung auf eine militärische Lösung hinbewegt. Zu jener Zeit war die Stimmung innerhalb der Armee nahe dem Siedepunkt, und es wurde für das Oberkommando zunehmend schwieriger, die Situation unter Kontrolle zu halten.

Heute kann niemand, der die Brutalitäten gesehen hat, die von einem Großteil der Offiziere und Unteroffiziere nach dem 11. September begangen wurden, daran zweifeln, in welchem Geisteszustand sich diese Leute vor diesem Datum befanden. Aber die gesamte chilenische Linke, einschließlich der MIR, zog es vor, die Augen vor dieser Realität zu verschließen und sich etwas vorzumachen, indem sie ein Schema des „Klassenkampfes“, das nur eine Illusion war, auf das Innere der Streitkräfte übertrug.

Die UP hatte versucht, die Streitkräfte mit einer ökonomischen Politik zu umwerben, die das Gegenteil von dem war, was für das Proletariat galt. Nie zuvor hatte das chilenische Militär so viele Vergünstigungen genossen wie in den drei Jahren der Allende-Regierung, und gerade als die Bergarbeiter von El Teniente mit Blut und Feuer unterdrückt wurden, schickte die Präsident dringend einen Gesetzentwurf in den Kongress, der dem Militär fabelhafte Gehaltserhöhungen gewährte (deren Höhe als Staatsgeheimnis verschwiegen wurde).

Mit dieser naiven Politik glaubte man, sie für sich gewinnen zu können, und man hoffte (wie wir später sehen werden, hoffte man bis zum letzten Moment), dass die Unteroffiziere und Soldaten gegen den Putsch reagieren würden. Doch die Realität war das Gegenteil von dem, was sich die UP erträumt hatte, und Soupers vorzeitiger Abgang löste eine Basisbewegung unter den Offizieren und Unteroffizieren in allen Kasernen aus, die eine schnelle Klärung vom Oberkommando zu fordern begann.

Auf einer anderen Seite hatte der 29. Juni bewiesen, wie total wehrlos die UP gegenüber einer Revolte des Militärs war. Als Allende um 9 Uhr in seinem Haus im Vorort Tomas Moro davon unterrichtet wurde, daß Panzer den Präsidentenpalast umzingelt hätten, rief er die Arbeiterklasse dazu auf, sich im Stadtzentrum zu versammeln und den Aufstand zu zerschlagen. 15 Minuten später, nachdem Allende mit den Oberbefehlshabern gesprochen hatte, widerrief er seinen vorhergehenden Befehl und riet den Arbeitern, ihre Fabriken zu besetzen und Instruktionen von der CUT abzuwarten. Sie sollten, so fügte er hinzu, „der patriotischen Armee“ vertrauen. Die Verantwortung für die Entwaffnung des 2. Panzerregiments, das Souper kommandiert hatte, entfiel somit auf das militärische Oberkommando; die Massen betraten an jenem Abend nur einmal die politische Arena, als sie nämlich bei einer Kundgebung vor dem Palacio de la Moneda von Allende gezwungen wurden, den Trägern eines wirklichen Staatsstreiches – den Befehlshabern der Armee und der Flotte – zu applaudieren.

Am selben Abend beging der MIR einen politischen Fehler, der seine Schwäche demonstrierte. Nach der Massenkundgebung vor dem Palacio de la Moneda hielt ein Lautsprecherwagen vor der Nationalbibliothek, die etwa 5 Straßenzüge vom Palacio de la Moneda entfernt ist, und ein Sprecher fing an „die Menschen von Santiago“ aufzurufen, „sich zu versammeln, um den Generalsekretär des MIR} Miquel Enriquez, zuzuhören“. Etwa 200 behelmte Jugendliche, mit langen Stöcken bewaffnet, standen in militärischer Formation am Fuße der Treppe zur Nationalbibliothek. Fünf Minuten später hielt ein Bus und vier bewaffnete Polizisten stiegen aus. Die Menge auf der Treppe zerstreute sich sofort. Die Aktion von vier bewaffneten Polizisten hatte somit den Anführer der meistgefürchteten paramilitärischen Organisation der Linken an diesem historischen Tag daran gehindert, zu sprechen. Vom 29. an meinte die UP, daß die einzige Hoffnung in Bezug auf Stabilität in einer Übereinkunft mit den Christdemokraten liege. Aber die Reformisten haben inzwischen ein Jahrhundert lang Erfahrungen im Verhandeln gesammelt und sie wissen, daß man eine Position der Stärke erreicht haben muß, bevor man sich an einen Verhandlungstisch setzt.

Die ersten 15 Tage im Juli waren außerordentlich euphorische Die UP versuchte, die Leute davon zu überzeugen, daß die Armee loyal sei und der versuchte Putsch „niedergeschlagen“ worden sei. In der Zeitung des MIR Punto Final vom 30. Juli (die von der Armee beschlagnahmt wurde) wurde die Parole vertreten:“Vorwärts zur Diktatur des Volkes und der Armee. „ In einer Sonderbeilage erklärten die Herausgeber, daß zur Beendigung von Putsche versuchen eine „Volksdiktatur“ der UP und der Armee etabliert werden sollte und der Kongreß, die Justizorgane und der Controlaria12 aufgelöst werden müßten. Diese Position war sogar noch rechter als die der Kommunistischen Partei.

In allen verstaatlichten Fabriken stoppten die interventores13 die Produktion und die Arbeiter begannen damit, Waffen herzustellen – als Vorbereitung „einer Antwort auf den endgültigen Militärputsch“. Die Anführer des UP-Aufstandes ließen die Arbeiter, Säbel(!), „miguelitos“14, selbstgebastelte Bomben und Granaten in der Erwartung einer kommenden Konfrontation herstellen. Diese hysterische Haltung wurde von der gesamten UP, einschließlich der Kommunistischen Partei, eingenommen; das Ziel war dabei, den Christdemokraten das Fürchten beizubringen und sie dadurch zur Vereinbarung mit der UP zu veranlassen. Natürlich wurde dadurch praktisch erreicht, daß die Armee sich zu Reaktionen gezwungen sah und von der Notwendigkeit überzeugt wurde, einen Vernichtungsplan vorzubereiten. Die christdemokratischen Arbeiter informierten ihre Anführer oder berichteten der Armee direkt von den Vorbereitungen der Arbeiter in den Fabriken. Die Armee sammelte ihrerseits diese Informationen und gelangte zu dem Entschluss, daß eine schnelle und extrem gewalttätige Aktion notwendig sei, um die Arbeiterklasse daran zu hindern, sich selbst zu bewaffnen.

Der MIR und der linke Flügel der Sozialistischen Partei waren zu der Annahme gelangt, daß die Reformisten bereit seien, einen Bürgerkrieg zu entfesseln, um die sozialistische Revolution durchzuführen. Ihre Erklärung dafür war, daß die KP jetzt „zwischen Skylla und Carybdis“ stünde; um ihren Untergang zu vermeiden, so meinten sie, wäre die KP bereit, eine Revolution zu beginnen. Sie verstärkten diese Phantasien durch historische Paralellen, z.B. die der vietnamesischen KP in den 30ger Jahren (obwohl sie es vorzogen, die Differenzen zwischen Chile und Vietnam, zwischen den 30ger Jahren und 1973, zwischen Ho Chi Minh und Luis Corvalan, dem Generalsekretär der chilenischen KP, zu ignorieren). In diesem politischen Klima hielt Miquel Enriquez vom MIR eine leidenschaftliche Rede in Caupolican Mitte Juli, in der er behauptete, daß die chilenische Arbeiterklasse niemals so nahe der Eroberung der Macht gewesen sei und daß die Reformisten nur einen kleinen Stoß benötigten, um einen proletarischen Aufstand durchzuführen. Tatsächlich geschah natürlich genau das Gegenteil: geleitet von einer unverantwortlichen und manchmal abenteuerlichen, manchmal defätistischen Politik marschierte die Arbeiterklasse unausweichlich ihrer Niederlage entgegen. Denn Reformisten haben jedenfalls noch nie die Revolution gemacht.

Es sollte betont werden, daß die Brutalität der militärischen Repression nach dem Putsch in direkter Verbindung mit dem unverantwortlichen Abenteuertum der UP steht. Die chilenischen Reformisten stießen auf ein unüberwindliches Hindernis in Bezug auf die weitere Entfaltung ihrer Pläne: Chile ist ein zurückgebliebenes Land mit ernsten inneren Wider Sprüchen und dem schwerwiegendem Problem der Armut. Für Reformisten oder sozialdemokratische Regierungen (was die UP in jeder Beziehung war) basiert das Erreichen von Stabilität in der ökonomischen Entwicklung und wachsendem Reichtum. Dies ist durch die Erfahrung der europäischen Sozialdemokratie sehr deutlich gezeigt worden. Solche Bedingungen existierten in Chile nicht; außerdem befand sich die UP unter dem Druck der Kubaner die sie unterstützten, aber zur selben Zeit verlangten, daß die UP eine Strategie des bewaffneten Kampfes in der Reserve halten sollte, „falls der chilenische Weg fehlschlagen sollte“. Aus den angeführten Gründen war die UP nicht in der Lage eine in sich schlüssige Reformpolitik zu entwickeln und liebäugelte weiterhin mit dem „bewaffneten Kampf“.

Allende wurde seinerseits in seinem Haus fotografiert, während er Schießübungen machte; die Fotografen waren Agenten des militärischen Abschirmdienstes, die Allendes Privatleben überwachten. Auf der anderen Seite war Allendes tatsächliche Politik reformistisch und in keinster Weise dazu geeignet, die Arbeiterklasse auf eine Konfrontation mit der Armee vorzubereiten. Das Oberkommando der Armee nahm diese merkwürdigen Aktivitäten des Präsidenten wahr und kam zu dem Ergebnis, daß Allende ein gefährlicher Feind sei, der unbarmherzig zerschlagen werden müsse. Auf dieser Ebene gelang es der UP, den Eindruck zu erwecken als bewaffne sie das Proletariat und als bereite sie es auf eine entscheidende Konfrontation vor; tatsächlich hatte die UP keine ernsthaften Schritte in dieser Richtung unternommen.

Zu diesem Zeitpunkt rief Cardinal Silva Henriquez (der heute die Rolle des Garanten der Menschlichkeit des neuen Regimes spielt) zu einem Dialog auf, um den Bürgerkrieg zu vermeiden. Einige Monate lang hatte die KP eine Kampagne „Gegen den Bürgerkrieg“ geführt mit dem zweifachen Ziel, einerseits die Christdemokraten dazu zu bringen, mit der UP zu einer Übereinkunft zu gelangen und andererseits die Massen von der Notwendigkeit einer solchen Übereinkunft zu überzeugen. In Wirklichkeit bestand nie die geringste Gefahr eines Bürgerkrieges. In Chile hätte eine solche Situation nur auf zweierlei Weise entstehen können, nämlich entweder als Ergebnis einer Spaltung der Armee, was unmöglich war, wie spätere Ereignisse zeigten – abgesehen von der Tatsache, daß keine Linke Partei versuchte, eine solche Spaltung zu provozieren; oder durch die Bewaffnung der Arbeiterklasse, was nicht ohne eine qualitative Veränderung der Politik der UP möglich gewesen wäre. Der Aufruf des Kardinals kam der KP und Allende zeitlich günstig gelegen, weil er ihnen die Möglichkeit gab, eine plötzliche Kursänderung einzuschlagen. Allende deutete dies in einer Rede am 25. Juli vor einem Delegiertenkongress des CUT an (Allende wählte immer Arbeiterpublikum, wenn er einen Schlag gegen die Arbeiterklasse verkündet). Er kündigte an, daß bald Diskussionen mit „der größten demokratischen Partei Chiles“ (damit meinte er die Christdemokratische Partei) mit dem Ziel begännen, den „Marsch in Richtung auf Bürgerkrieg“ einzudämmen. Nur 45 Tage vor dem Putsch sah Allende immer noch die größten Probleme für Chile in den übermäßigen Lohnforderungen der Arbeiter, in ihrem „Ökonomismus“ und den Parallelgewerkschaften, den Cordones Industriales. Er hielt den Arbeitern eine ernste Moralpredigt, in der er sie davon unterrichtete, daß „dieses Land einen kapitalistischen Prozess durchmache“: er kündigte eine strenge Lohnpolitik an und sprach die Warnung aus, daß im kommenden Jahr die Lohnerhöhungen hinter die Lebenshaltungskosten zurückfallen könnten; er machte klar, daß die Armee weiterhin ein Gesetz zur Kontrolle des Waffenbesitzes fordern würde und stellte fest, ängstlich auf Beifall seiner kommunistischen Gäste bedacht, daß der MIR möglicherweise in Komplizenschaft mit dem CIA handeln könnte. Kurz, dies war eine ausgezeichnete Art, die Arbeiterklasse auf die kommenden Konfrontationen vorzubereiten.

PROLOG ZUM PUTSCH

Den ganzen August hindurch hielten Allende und Aylwin (der Präsident der Christdemokraten) Besprechungen ab und säten so Verwirrung in der Arbeiterklasse, die, nach zwei Wochen „Vorbereitung auf einen Aufstand“ nun in Untätigkeit verharrte. Währenddessen führten die Streitkräfte unter dem Schutze des Waffenkontrollgesetzes Strafexpeditionen gegen Bauern und Arbeiter durch. Die erste fand in Lanera Austral statt, einer Textilfabrik in Punta Arenas, wo die Soldaten Arbeiter zusammenschlugen, ihren privaten Besitz stahlen, einen Arbeiter töteten, einen anderen mit einem Bajonett verwundeten und die Maschinen bei der erfolglosen Suche nach Waffen zerstörten. Die Volksfront verurteilte diesen Einsatz nicht. Während die Armee damit die Arbeiter einschüchterte, konnte sie gleichzeitig das Ausmaß einschätzen, wieweit die Leute bewaffnet waren und die politische Entschlossenheit der Regierung testen.

Die einzigen, die ihre Stimme zum Protest erhoben, waren der MIR und der sozialistische Abgeordnete Mario Palestro. Am 8. August erhob General Carlos Prats im Auftrag der Armee Anklage gegen sie vor Gericht. Am 7. August verhaftete die Marine eine Gruppe Matrosen und Unteroffiziere unter dem Vorwand, daß sie einen Umsturz planten. Tatsächlich war es eine kleine Gruppe von UP-Sympatisanten, die die UP-Propaganda ernst genommen und eine Anzahl von Treffen abgehalten hatten, um zu beschließen, was man gegen die offene Vorbereitung eines Staatsstreiches der Offiziere tun könne. Die verhafteten Männer wurden geschlagen und gefoltert. Als ihre Behandlung von ihren Verwandten und Rechtsanwälten öffentlich angeprangert wurde, antwortete Allende, indem er die Marine gegen die Anklage verteidigte. In Bezug auf die Anklage, dass gefoltert wurde, sagte er: „Es ist unverantwortlich, daß man Aktionen macht oder Erklärungen herausgibt, die in einer kritischen Zeit wie dieser, eine schon schwierige Situation noch schwieriger machen. Die Regierung hat darauf bestanden, daß die Situation nicht falsch dar gestellt werden darf, indem man suggeriert, daß eine Feindschaft zwischen dem Volk und der Armee besteht….. Was die Behauptungen angeht, daß Marinepersonal, das gerade vor Gericht steht, gefoltert wurde, bin ich informiert, daß die betroffenen Leute ihre eigenen Darstellungen vor den zuständigen Marinegerichten gemacht haben. Wenn es Marinepersonal gibt, das gefoltert hat, werden Sanktionen gegen sie eingeleitet werden. (Von wem? Von den gleichen Tribunalen, die die Folter angeordnet hatten?) Wenn das nicht der Fall ist, werden diejenigen, die falsche Anschuldigungen gemacht haben, ihrerseits bestraft werden.“

Nach dieser Abfuhr mussten sich alle Gruppen innerhalb der Streitkräfte, die sich darauf vorbereiteten, die Regierung zu verteidigen, mit der Tatsache abfinden, daß Allende ihnen in den Rücken gefallen war. Am 30. August durchsuchten die Streitkräfte ein landwirtschaftliches Reformzentrum im Distrikt Cautin. Im Bauernhaus selbst wurden 27 Bauern gefoltert, um aus ihnen Geständnisse herauszupressen, daß sie am Aufbau von Guerillatruppen beteiligt gewesen waren. Die Regierung hüllte sich wiederum in Schweigen.

In der ersten Septemberwoche unternahmen die Streikräfte eine Reihe von Durchsuchungen in den wichtigsten Fabriken von Santiago. Am 7. griffen sie die Sumar-Nylon Fabrik mit Maschinenpistolen an und ließen eine Anzahl Toter und Verletzter zurück. Alle Durchsuchungen waren von ähnlicher Brutalität begleitet; dennoch blieb die Regierung immer noch stumm. Das MIR-Journal Punto Final, das nur wenige Tage vorher die Diktatur des Volkes und des Militärs herbeigewünscht hatte, lamentierte nun laut, daß „niemand die Putschisten entwaffnet“. Das Militär seinerseits konnte sich versichern, daß die Arbeiterklasse durch die Volksfront praktisch entwaffnet war und mit gebundenen Händen dastand.

Am 26. Juli antwortete die Opposition auf Allendes versöhnlerische Rede vom Vortag, indem sie ihre entscheidende Massenoffensive gegen die Regierung einleitete. Den ganzen August hindurch paralysierten die Lastwagenbesitzer das Transportsystem, während die Ladenbesitzer wiederholt in den Streik traten. Die Warenknappheit wurde immer verzweifelter; das Land war praktisch gelähmt und die Terroristen der Patria y Libertad konnten mit Hilfe von Armee-Offizieren so ungestraft handeln, daß es ihnen am 13. August gelang, während einer nationalen Rundfunk- und Fernsehübertragung von Allende eine Stromsperre über fast das ganze Land zu verhängen. Die Volksfront reagierte in der Weise, daß sie den Wolf aufforderte die Schafe zu hüten. Ihre Methode zur Lösung der Transportkrise war, General Herman Brady als „Interventor“ zu benennen, den Mann, der heute den Ausnahmezustand in der Provinz Santiago im Auftrag der Junta überwacht. Es ist nicht schwierig sich vorzustellen, wieviel Energie dieser berüchtigte Putschist in seine Aufgabe, den Transportstreik zu einem Ende zu bringen, investierte.

Am 22. August zeichnete sich zum ersten Mal seit drei Jahren ein Riss in dem Block ab, der in jedem kritischen Moment zwischen der Partei der industriellen Bourgeoisie (die PDC), den Parteien der Bürokratie des bürgerlichen Staates und des Kleinbürgertums (jene der Unidad Populär mit eingeschlossen) geformt worden war. Die Christdemokraten stimmten mit der Nationalpartei für eine parlamentarische Erklärung, daß „die Exekutive eine schwerwiegende Übertretung der politischen Verfassung des Staates begangen hat“ und forderten die Verteidigungsminister auf, die Aktivitäten der Regierung auf einen legalen Weg zurückzuführen. Es lief immer noch nicht auf den Ruf nach einem Staatsstreich hinaus. Die PDC behielt sich weiterhin einen Manöverspielraum bei, der es ihr immer noch ermöglichte, Allende zu unterstützen, wenn der Präsident – nun hart am Rande des Abgrunds – sich für eine Änderung der Politik entscheiden und der industriellen Bourgeoisie feste Garantien zusagen würde. Die erste dieser Garantien würde natürlich die Zusage, die fortgeschrittensten Teile der Arbeiterklasse zu zerschlagen, sein müssen. Während der letzten Augusttage machte Genaral Cesar Ruiz Danyau, ein wohlbekannter Unterstützer des Staatsstreichs, den Allende am Abend des 29. Juni den versammelten Massen als einen der Helden des Tages vorgestellt hatte, einen Schritt, der die Situation innerhalb der Streitkräfte noch weiter zuspitzte. Ruiz Danyau legte seinen Ministerposten und seinen Posten als Armeebefehlshaber nieder, erklärte aber später, daß soweit es ihn beträfe, er nur das Ministeramt niedergelegt habe und daß es der Präsident war, der seinen Rücktritt als Armeebefehlshaber gefordert habe. Die Rechte protestierte, indem sie Allende beschuldigte, dem militärischen Generalstab politische Motive anzulasten. Frei seinerseits beeilte sich den Präsidenten daran zu erinnern, daß das Garantie Statut, das jener 1970 unterzeichnet hatte, ihn verpflichtete den „professionellen Status der Streitkräfte“ anzuerkennen. Allende ernannte Gustavo Leigh, das am weitesten rechts stehende Mitglied der gegenwärtigen Junta zum Nachfolger Ruiz Danyau.

Mitte August initiierte die Opposition eine Kampagne von öffentlichen Demonstrationen und eine Petition, die Allendes Rücktritt forderte, „um die Errichtung einer verfassungsmäßigen neuen Ordnung zu ermöglichen“. Unter der Führung der Studentenvereinigung der Katholischen Universität gaben weite Teile des Kleinbürgertums Parolen nach einem Staatsstreich aus und brachen endgültig mit dem Mythos der republikanischen Demokratie. Die PDC unterstützte die Kampagne, obwohl sie Allende immer noch die Möglichkeit eines „Kurswechsels“ anbot. Diese Kampagne erreichte am 6. September ihren Höhepunkt in einer riesigen Demonstration von Frauen der Opposition, auf der die Hauptsprecher forderten, daß der Präsident „entweder seine Politik ändern oder zurücktreten solle“. Zur gleichen Zeit fanden einige Demonstrationen von Frauen hochrangiger Offiziere vor dem Verteidigungsministerium und dem Haus des Oberbefehlshabers der Armee, General Prats, statt, die seinen Rücktritt forderten, „weil er das einzige verbleibende Hindernis war“. In welchem Sinn? Es war ganz deutlich, daß er das einzige hoch verbleibende Hindernis auf dem Weg eines Staatsstreiches war, der sonst die uneingeschränkte Unterstützung der Streitkräfte hatte. Frats beschloß sofort das Feld für die Offiziere, die den Staatsstreich vorbereiteten, zu räumen und erklärte seinen Rücktritt, mit der Begründung, „er wolle die Armee nicht spalten“. Dies Verhalten, das nahe an eine Komplizenschaft mit den Putschisten grenzte, wurde von Allende als eine „heldenhafte und patriotische Geste“ dargestellt. Die UP Presse machte Schlagzeilen aus einem Brief an Prats, in welchem Radommiro Tomic den Ex-Oberbefehlshaber mit Bernando O´Higgins – dem Befreier Chiles – verglich. Am 25. August ernannte Allende Augusto Pinochet zum Oberbefehlshaber der Armee: der Generalstab des Staatstreichs war nun vollständig.

Die UP organisierte eine Massendemonstration zu Ehren des Generals, der seinen Posten aufgegeben hatte, um die Einigkeit der Streitkräfte zu erhalten. Die ganze Arbeiterklasse war zu dieser Farce zusammengerufen worden; tatsächlich nahmen nur die Sektoren teil, die von den sozialistischen und kommunistischen Parteien kontrolliert wurden. Am nächsten Tag zeigten die Oppositionszeitungen mit Freude das Foto des für General Prats reservierten Stuhls, der leer blieb, weil der „Patriot“ nicht an der Ehrung teilnahm. Am 4. September trat der Oberbefehlshaber der Marine, Flottenadmiral Montero zurück. Das Marinekommando hatte Toribo Merino nominiert, dessen Platz in der Militärjunta einzunehmen. Allende versuchte nun ein letztes Manöver, um die Bildung des Generalstabes für den Putsch zu verhindern – er nahm Monteros Rücktritt nicht an. Am selben Abend besuchte er eine Massendemonstration, die organisiert worden war, um dem dritten Jahrestag seines Wahlsieges zu feiern. Lange Kolonnen von stummen Menschen marschierten an diesem Tag an seinem Podium vorbei. Es gab keine Reden – die Führung hatte den Massen nichts mehr zu sagen. Arbeiter und Arbeiterinnen weinten, andere marschierten mit niedergeschlagenen Augen vorbei. Es gab wenige Parolen – sieben Tage vor dem Putsch spürte die Arbeiterklasse ihre Niederlage. Oben auf dem Podium, auf dem die vier Militärs, die Ministerposten bekleideten, verdächtigerweise fehlten, standen jene, die sie zu dieser Niederlage geführt hatten, gefühllos und mit starrem Blick, wohl wissend, daß das Ende greifbar nahe war. Am nächsten Tag gab General Torres de la Cruz der die Suchaktion in Lenara Austral geleitet hatte, eine Erklärung ab, dessen Stil der Junta einige Tage später als Modell für ihre eigenen Erklärungen dienen sollte. Der General warnte die Linke, daß „die Streitkräfte unermüdlich an ihrer Entschlossenheit festhalten werde, unwürdige Chilenen und unerwünschte Ausländer aufzufinden und zu bestrafen.“ Am Sonntag, dem 9. machten die Christdemokraten einen letzten Versuch, die chilenische Bürokratie zu retten, eine Kaste, die 160 Jahre seit der Gründung des Nationalen Kongresses überlebt hatte, und die der Zement war, der den PDC-UP-Block bis vor wenigen Tagen zusammengehalten hatte.

Eine Plenartagung der nationalen und örtlichen Anführer der PDC bot Allende den gleichzeitigen Rücktritt aller ihrer Abgeordneten und Senatoren an, wenn er seinen Rücktritt zur gleichen Zeit erklären würde, um den Weg für Neuwahlen freizumachen. Die UP antwortete sprichwörtlich: „Zurücktreten? Niemals!“

DER 11. SEPTEMBER

Nur dreimal fand die Operation Unitas15 statt, ohne massive Protestdemonstrationen zu provozieren; es gab praktisch nur eine Zeitperiode, in der sie von der Bevölkerung unbemerkt durchgeführt wurde – nämlich in den drei Jahren der „anti-imperialistischen“ Regierungszeit der Unidad Populär. Denn die UP bemühte sich auch um die Gunst der Armee, indem sie deren Beziehungen zum Pentagon so weit wie möglich erleichterte. Wenige Tage nach dem Putschversuch im Juni erschien zum Beispiel ein unvorhergesehener Artikel in der regierungstreuen Zeitung La Nación Eine Schlagzeile verkündete Eine wichtige Veränderung in der US-Wirtschaftspolitik gegenüber Chile“; der Bericht wies auf ein höchst ermutigendes Symptom von Veränderungen hin, daß nämlich der amerikanische Außenminister die Bewilligung eines wichtigen Kredites für Chile zum Kauf von Waffen bekannt gegeben hatte, wobei die Betonung auf 30 Anti-Guerilla Flugzeugen lag. Der Journalist schilderte mit Begeisterung ausführlich die Charakteristika dieser Flugzeuge und ihre Nützlichkeit für die UP. Anfang September liefen amerikanische Kriegsschiffe der Operation Unitas chilenische Häfen an, liefen wieder aus und kreuzten entlang der Küste. Das einzige Zeichen einer versteckten Kritik war der Abdruck eines Artikels aus Nuestra Palabra (Unser Wort), dem Organ der Argentinischen Kommunistischen Partei, in dem die Beteiligung der Argentinischen Flotte an dem Manöver kritisiert wurde. Von den drei Abteilungen der Armee war die Marine die „Vorhut“ des Putsches. Admiral Huerta kritisierte öffentlich den Plan einer Schulreform16 – eine weitere Schlacht, die die UP verlor und es damit der Opposition möglich machte, große Teile der Kleinbourgeoisie für sich zu gewinnen – als er im November 1972 von Allendes Kabinett zurücktrat. Von diesem Tag an hatte er ganz offen gegen Allende die Verschwörung begonnen. Toribo Merino, den Allende 1972 zum Intendente (Provinzgouverneur) von Valparaiso ernannte hatte und der sich 6 Monate lang mit der Unterstützung der UP der Verfolgung der Ultra-Linken in der Stadt gewidmet hatte, tauchte nun wieder als Fürsprecher der Marine auf. Er leitete eine Kampagne gegen die Subversion innerhalb der Marine und forderte die Absetzung des Abgeordneten Garreton, Anführer der MAPU und des Senators Altamirano, Mitglied der Sozialistischen Partei. Wenige Tage vor dem Putsch berief dieser Mann ein Treffen der Flottenkomandeure ein und setzte durch, daß sie eine Resolution zur Unterstützung des Putsches billigten. Und gleichzeitig den Rücktritt von Admiral Montero forderten, der, nachdem er mehrere Monate Mitglied des Kabinetts von Allende gewesen war, nun bei dem Gedanken, als Anführer des Putsches hervorzugehen, Gewissensbisse bekommen hatte. Bei einem Treffen im Palacio de la Moneda hatte Merino sich Allende gegenüber folgendermaßen geäußert: „Die Flotte“, so sagte gr, „ist wesentlich anti-marxistisch eingestellt.“ Der MIR denunzierte öffentlich die konspirativen Treffen von chilenischem und amerikanischem Militärs an Bord der Nordamerikanischen Schiffe der Operation Unitas und veröffentlichte die Tatsache, daß auf jedem chilenischen Flottenschiff je ein amerikanischer Geheimoffizier postiert worden war. Die Flottenleitung machte sich nicht einmal die Mühe, diese Anklage zu widerlegen. Die UP ließ alle diese Vorbereitungen ohne jeglichen Protest geschehen. Der Putsch war nun ernsthaft im Anmarsch und die Militärs konnten nicht länger die Gefahr der Denunzie- rung ihrer Pläne riskieren – einfach um ideologische Diskussionen in der UP zu verhindern.

Am 10. täuschte das chilenische Geschwader ein Auslaufen aus dem Hafen von Valparaiso vor, um an der Operation Unitas teilzunehmen; aber in der Nacht kehrte es zurück und blockierte die Einfahrt zum Hafen. Allende wurde sofort von der Rückkehr der Flotte unterrichtet.

In der gleichen Nacht blieben die Militärchefs bis spät in die Nacht im Verteidigungsministerium, das sich gegenüber vom Palacio de la Moneda befand. Ihre Autos waren für alle sichtbar vor dem Gebäude geparkt.

In den Morgenstunden des 11. führte die Armee eine Operation in Concepcion, dem traditionellen Stützpunkt des MIR durch und nahm 600 politische Militante fest, die dann auf die Insel Quiriquina gebracht wurden.

Am morgen des 11. Septembers um 7.30 Uhr ging Allendes Verteidigungsminister Orlando Letelier zu seinem Ministerium und wurde dort festgenommen. Journalisten fotografierten, wie er mit militärischer Eskorte das Gebäude (gegenüber vom Palacio de la Moneda) verließ.

Kaum je zuvor ist ein militärischer Putsch so offen vorbereitet und durchgeführt worden. Und dennoch verbreitete Allende am Morgen des 11. um 9.30 Uhr, als der Putsch im Gange war. über Rundfunk, daß es „Probleme in Valparaiso gäbe“; er forderte die Leute auf, ruhig zu bleiben und „die Reaktion der patriotischen Soldaten abzuwarten. „Dieses Mal rief er die Arbeiter nicht dazu auf, ihre Fabriken zu besetzen; im Gegenteil: er rief die Arbeiter dazu auf, „sich nicht massakrieren zu lassen“, wobei er sich zweifellos darüber bewußt war, daß der Putsch unvermeidlich war. Von jenem Moment an versuchte er bezeichnenderweise, die Krise durch Verhandlungen zu lösen. Er rief die Oberkommandeure zu einem Treffen im Palacio de la Moneda zusammen; es ist klar, daß sie nicht kamen. Unbestätigte Berichte behaupten, daß Allende die Warnung, der Palacio de la Moneda werde bombardiert, bespöttelte, indem er gesagt haben soll, „daß dies ein Putsch nach chilenischem Muster“ sei, daß der Palast nicht bombardiert werde und er Informationen hätte, nach denen General Pinochet den Flughafen von El Bosque mit seinen Truppen umstellt hätte, damit keine Flugzeuge starten könnten. Doch hatten die oppositionellen Radiostationen bereits seit zwei Stunden die ersten Erlasse der Militärjunta gesendet, die von General Pinochet, dem Anführer, unterzeichnet waren.

Nach inoffiziellen Informationen wurde die Bombardierung des Palacio de la Moneda von General Magliochetti geleitet, der, da er das Vertrauen von Allende genoß, bis zu jenem Zeitpunkt Verkehrsminister gewesen war. Magliochetti hatte in einer Fernsehsendung ein paar Tage zuvor erklärt, daß Fidel Castro den er auf seiner Rundreise durch Chile begleitet hatte, ein „ernsthafter Revolutionär“ sei.

Allendes heroischer Tod im Palacio de la Moneda ist in der weltweiten kommunistischen Presse zu einem unanfechtbaren und heiligen Mythos geworden; auf diese Art und Weise hoffen sie wahrscheinlich, jedem Gedanken über die Irrtümer und Fehler jener drei Jahre, die die chilenische Arbeiterklasse in die Niederlage führten, zuvorzukommen. Leider gibt es auf dem linken Flügel des Reformismus Leute, die glauben, daß man etwas gewinnen könne, wenn man das Image des Reformisten Allende ausbeutet, von einem Mann, der heroisch mit dem Maschinengewehr in der Hand im Kampf gegen den Faschismus starb.

Allende war ein bürgerlicher Reformist bis zum Ende. Seine letzten Worte, die er an das Volk richtete, wurden mit einem Seitenblick auf zukünftige Historiker abgefasst; seine Worte enthielten keine einzige Direktive an die Massen, die ihm vertraut hatten und die sich selbst überlassen waren, als innerhalb weniger Tage die meisten Anführer der UP in die Sicherheit der Botschaft flohen. Der „Genosse Präsident“ starb, während er das wertvollste chilenische Symbol bürgerlicher Demokratie verteidigte – den Palacio de la Moneda; er warnte in seiner Abschiedsrede davor, daß die Vernichtungswelle, in der er sterben werde, die bürgerlichen Politiker, die ihre Pflicht nicht erfüllt und die Demokratie nicht verteidigt hätten, mit Schande bedecken würde. Dies war eine vergebliche Mahnung; jeder weiß, daß die bürgerlichen Politiker kein Schamgefühl haben und noch weniger sich berufen fühlen, die Demokratie zu verteidigen. Allende starb nicht, als er Seite an Seite mit den Arbeitern der Cordones Industriales kämpfte: diese attackierte er bis zuletzt damit, daß sie „ökonomistisch“ „ultra-links“ und „spalterisch“ seien.

Sein Verhalten wird fruchtbaren Boden auf einem Kontinent finden, wo in den letzten 13 Jahren junge kleinbürgerliche Revolutionäre viel Aufhebens um ihre Differenzen mit dem Reformismus gemacht haben, aber tatsächlich nichts anderes als ihre bewaffneten Flügel darstellten.

Schließlich war es eine demobilisierende Rede; auf der einen Seite kämpfte dort oben am Himmel, wo die Helden sind, der bürgerliche Titan allein gegen Flugzeuge und Maschinengewehre, während andererseits die Massen zu passiven Beobachtern verdammt waren. Erst als die Schlacht zwischen den Helden auf dem Olymp wirklich entschieden war, wurden die Massen eingeladen, an ihrer eigenen Vernichtung teilzunehmen. Als der Palacio de la Moneda verloren und Allende ermordet war, rief der CUT die Arbeiter dazu auf ihre Fabriken zu besetzen und sie zu verteidigen. Der Reformismus erfüllte also bis zuletzt seine historische Rolle, die besten Teile der Arbeiterklasse zu zerstören. Während der 30 Tage, die dem Putsch vorangingen, lähmte er die Arbeiterklasse, versteckte ihre Waffen in Kellern, aus der Furcht, die Kontrolle über die Situation zu verlieren. Und als die Würfel gefallen waren, rief er ein unbewaffnetes Proletariat dazu auf, einen Krieg gegen eine modern ausgerüstete Armee zu führen, die Artillerie, Panzer, Flugzeuge und Kampfhubschrauber zur Verfügung hatte. Die Militärjunta war ihm für diesen Dienst sehr dankbar. Dem Kommunisten Jorge Godoy Präsident des CUT und Allendes Arbeitsminister wurde das Leben zugesichert, mit der Auflage, eine feige von der wirklichen Situation ablenkende Erklärung abzugeben. So sprach der Mann, der von jeder Rednertribüne den Faschismus bekämpft hatte, um 17. Uhr am 11. September im Fernsehen und im Rundfunksender der chilenischen Armee und der Polizei, während in Santiago noch um jeden Straßenzug gekämpft wurde. Er verurteilte die Extremisten von Rechts und Links, indem er erklärte, daß sie (wer ? die kommunistische Partei?) dazu bereit seien, am Kampf um höhere Produktionsraten teilzunehmen, würden sie dazu aufgefordert. Heute genießt dieser Verräter besondere Behandlung im Estadio Nacional und sein Leben wird fast sicher verschont bleiben wie das all seinen Kameraden der Führungsspitze der Kommunistischen Partei. Ihr Schicksal ist entwürdigender als das derjenigen, die eines heroischen Todes gestorben sind. Die Männer, die geputscht haben, planten die physische Ausrottung der fortgeschrittensten Teile der Arbeiterklasse entweder durch Mord oder durch Gefängnis. Dazu war es notwendig, sie von der Masse der Arbeiter zu trennen, deren Schicksal es sein würde, auch weiterhin während der „Wiederaufbauphase“ ihre Arbeitskraft zu verkaufen. Die UP hatte bereits die politischen Bedingungen für eine solche Trennung geschaffen, indem sie den Kampf gegen den „Ökonomismus“ aufgenommen hatte. Diese Kampagne isolierte die Avantgarde von der Masse der Arbeiter dermaßen, daß viele von ihnen zu Streikbrechern bei gerechten Forderungen von streikenden Arbeitern wurden. So waren die politisiertesten Sektionen von jenen Gruppen von Arbeitern getrennt, die einen scharfen Klasseninstinkt trotz ihrer politischen Rückständigkeit besaßen. Die politische Intelligenz der Avantgarde jedoch verwirrte die Masse der Arbeiter, denen man weisgemacht hatte, sich als Soldaten in der „Produktionsschlacht“ zu sehen, im Krieg gegen „Ökonomismus“ und „Ultralinke“, zu einer Zeit, als sie eigentlich die Soldaten des Sozialismus hätten sein müssen. Der Graben zwischen den Arbeitern und denen, die die Führung der Klasse beanspruchten, wuchs. Denn diese besagte Führung (die Arbeiterparteien innerhalb der UP- Koalition) verfolgte jetzt Ziele, die von ihrer historischen Mission abwichen und kämpfte unentwegt gegen die unmittelbaren Interessen der Arbeiter, wobei sie Rechtmäßigkeit ihres Handelns aus der Hypothese vom „Chilenischen Weg zum Sozialismus“ ableiteten. Der hohe Wahlsieg in den Märzwahlen verbarg diesen Prozeß der Desillusionierung der Massen in die Führungsspitze der UP, die zutiefst an die bürgerliche Demokratie mit ihren Wahlen und ihrem Parlament gebunden war. Sie dachte, daß jede Stimme für sie die aktive Unterstützung ihrer Politik bedeutete; sie sah nicht, daß die Massen ihre Kandidaten unterstützt hatten, weil sie keine andere Wahl hatten. Dennoch war bereits die tiefe Spaltung innerhalb der Arbeiterklasse vorhanden, die noch durch die Auseinandersetzung in den Kupferbergwerken vertieft wurde.

Und während die Kleinbourgeoisie fortfuhr in Illusionen zu schwelgen, erkannten die Bourgeoisie und die Armee diesen Prozeß, da sie eher in der Lage sind, Dinge klar zu sehen, wo die Verteidigung ihrer Interessen auf dem Spiel steht. Die Rechte fühlte den Impuls dieses langsamen und graduellen Entfremdungsprozess zwischen der UP und den Massen. Sie förderte ihn mit allen Mitteln;doch diejenigen, die in den Widersprüchen des „Chilenischen Weges zum Sozialismus“ verstrickt waren, taten nichts, um diesen Prozeß zu stoppen. Jeder Hauptdarsteller in diesem Drama spielte wie die Charaktere in einer griechischen Tragödie die Rolle, die ihm vom Schicksal zugeschrieben war und spielte sie bis zum bitteren Ende.

Im Programm der UP war erklärt worden, daß die Intention des Programms die sei, Bauernschaft und „Nationalbourgeoisie“ zu gewinnen, um eine überwältigende nationale Mehrheit zu erreichen, die es erlauben würde, den Sozialismus friedlich durchzuführen.

56 Jahre nach der russischen Revolution verfolgen die Reformisten immer noch das unerreichbare Ziel die Bourgeoisie für ein „fortschrittliches demokratisches“ Programm zu gewinnen. Die Intention besteht darin, die Bourgeosie zu verleiten, „Seite an Seite mit dem Proletariat“ die erste Etappe des Prozesses zu durchschreiten, um damit die Bedingungen für ein späteres Verschwinden der Bourgeoisie als Klasse zu schaffen. Drei Jahre lang entlarvte die bürgerliche Presse täglich diese leicht durchschaubare Taktik, indem sie darstellte, was mit einem Kleineigentümer passiert, wenn die sozialistische Revolution im Anmarsch ist; dabei bezog sie sich auf zahlreiche historische Beispiele des 20. Jahrhunderts. Der UP gelang deshalb lediglich, sich selbst zu täuschen und die Arbeiterklasse zu demoralisieren.

Während der Regierungszeit der UP wurden dank Protektionsgesetzen und der Entwicklung von Spekulationen und Schwarzmarkt die professionellen Schwarzhändler, die kleinen Kaufleute, die Industriellen und die Landbourgeoisie reicher denn je. Sie akkumulierten unermeßliche Geldmengen die sie nicht wieder investierten, weil ihnen die politischen Bedingungen für Kapitalinvestitionen zu unsicher waren. Die Taschen voller Dollars wurde die Kleinbourgeoisie ärgerlich und auch ungeduldig, denn sie wollte Bedingungen, die ihr die Umwandlung ihres Geldes in Kapital ermöglichte. Die Bedingungen die sie forderte, bedeutete den Sturz der Regierung und die Zerschlagung der Arbeiterklasse. Während die UP ihre Bündnispolitik mit den Mittelklassen predigte, stellten genau diese Mittelklassen der Bourgeoisie Stoßtruppen zur Verfügung, die hunderttausende von Leuten auf die Straßen brachten, den Verkehr, Handel und medizinische Versorgung lahmlegten und die landwirtschaftliche Produktion ernsthaft unterminierten. Dieses sogenannte Bündnis sollte bald die vollständige Isolierung der Arbeiterklasse zur Folge haben.

Diese Isolation erreichte ihren totalen Höhepunkt, als die UP einen Keil zwischen die Arbeiter und ihre traditionellen Bündnisgenossen, die Bauern, trieb. Gemäß dem „chilenischen Weg“ schlug die Regierung vor, das Agrarreformgesetz, das von den Christdemokraten verabschiedet worden war,17 auszunutzen und somit die Latifundien zu zerschlagen.

Wieder einmal versuchte die UP die Bourgeoisie durch Anwendung ihrer eigenen Gesetze auszuschalten. Das Gesetz zur Agrarreform beinhaltete, daß jeder Landbesitz mit mehr als 80 Hektar (200 Morgen) bewässerten Landes unter das Enteignungsgesetz fallen sollte (Die Maßeinheit bezog sich auf bewässerte Hektar Land, da die chilenische Landwirtschaft auf Bewässerungssystem basiert, eine Tatsache, die die Regierung befähigte, Grade der Bewässerung und einzelne Charakteristika des jeweiligen Gebietes zu berücksichtigen). Es beinhaltete aber auch auf der anderen Seite ausgesprochen entgegenkommende Bestimmungen bezüglich der Entschädigung; so war der Staat verpflichtet, den jeweiligen Landbesitzern für Maschir nen und jeglichen Besitz, der enteignet wurde, finanziell zu entschädigen.

Die Bauernbewegung, die während der Freiregierung an Stärke gewann, nahm sprunghaft in den ersten 2 Jahren der UP Regierung zu. Die UP hoffte ihr Enteignungsprogramm innerhalb von vier Jahren abzuschließen, wurde aber durch die Landbesetzungen und -enteignungen, die die Bauern selber durchführten, gezwungen, den Prozess innerhalb von zwei Jahren zu vollziehen. Ende 1972 gab es keinen Landbesitz von über 80 Hektar bewässerten Landes mehr. Die Enteignungen beließen jedoch die ehemaligen Landbesitzer mit 80 Hektar und ihren Maschinen, Vieh und Einrichtungen, die zum Hof gehörten – der Staat konnte ihnen dies nicht abkaufen, obwohl 1.300.000 Millionen Escudos für das Landreformprogramm bewilligt waren. Auf diesem Weg waren die alten feudalistischen Landbesitzer gezwungen landwirtschaftliche Kapitalisten zu werden. Das Pachtsystem wurde abgeschafft; aber die neuen Agrarkapitalisten konnten immer noch das Entschädigungsgeld zum Kauf von neuen Maschinen und zur Einstellung von Landarbeitern verwenden.

Die Resultate wurden bald offensichtlich; die Produktivität dieses Privatsektors war um ein vieles größer als in dem durch die Reform neu geschaffenen Sektoren, wo es an Maschinen und Geld mangelte. Die UP nährte zwar die Hoffnungen der landlosen Massen, Kleinbauern werden zu können, aber erfüllte sie nicht. Eine ungelöst gebliebene Auseinandersetzung fand dann innerhalb der UP statt; auf der einen Seite sprach sich ein Teil der Sozialistischen Partei zusammen mit der MAPU und dem MIR für die Schaffung von staatlichen Farmen und Kooperativen aus; auf der anderen Seite insistierte die Kommunistische Partei auf Kooperativen und auf der Notwendigkeit, den Bauern privaten Landbesitz zu geben – eine Position die mit der restlichen UP-Politik übereinstimmte. Die Position der „Linken“ verhinderte jegliche Entscheidung während dieser drei Jahre. Als unmittelbare Maßnahme wurden die Zentren der Agrarreform (CORAS) gegründet, in denen die Bauern das Recht hatten, ein kleines Stück Land individuell zu bewirtschaften. Aber die Besitzfrage des restlichen Landes blieb ungeklärt bis der Kongreß in dieser Angelegenheit zu einer Übereinkunft kommen sollte.

Als der Enteignungsprozess beendet war, wurde auch die Mobilisierung der Bauernschaft nicht fortgeführt, was bewirkte, daß sich die Widersprüche des landwirtschaftlichen Kapitalismus verschärften. Die Bauern lieferten ihre meisten Produkte an den Schwarzmarkt oder an Schmuggler (Schmuggelgeschäfte waren höchst profitabel, da der Dollar gegenüber dem Escudo unterbewertet war).

Dabei wurden sie vom Privathandel unterstützt, der 80 % des Handels von Agrarprodukten kontrollierte. Die UP jammerte über das „mangelnde Bewußtsein der Bauern“. In den von der Reform neu geschaffenen Sektoren beuteten die neuen Besitzer und die Delegierten der CORAS die Landarbeiter schamlos aus. Diese Arbeiter wiederum fanden keine Unterstützung innerhalb der linken Parteien bei ihren Versuchen, Landarbeitergewerkschaften zu organisieren. Die Linke zog es vor, ihr Hauptgewicht auf die Bildung von Bauernräten zu legen, in denen meist reiche oder mittlere Bauern den Vorsitz führten.

Das erste politische Ergebnis dieses Prozesses war der Niedergang der revolutionären Bauernbewegung (MCR – Movimiento Campesino Revolucionario), die von dem MIR angeführt wurde und die während der Periode der Enteignungen eine wichtige Rolle gewonnen hatte. Die Christdemokraten nutzten die Situation aus, indem sie darauf bestanden, daß das Land in Privatbesitz überführt werden sollte; wenige Tage vor dem Putsch brachten sie eine Gesetzesvorlage im Kongress ein, die die Regierung dazu verpflichtet hätte, Eigentumsurkunden zu verteilen. Wenige Tage später behandelte Marta Harnecker in Chile Hoy (eine Zeitung der Linken in der SP und des MIR) die Frage der Bauernmobilisierung und die entscheidende Opposition der Bauernmassen gegenüber einem Putsch. Eines ist sicher: zu jenem Zeitpunkt wollten die Bauern nur eines, nämlich eine Garantie für ihren Besitz an Land, und deshalb waren sie gegenüber der UP misstrauisch. Natürlich gab es „Kerne“ von klassenbewussten Bauern, die die UP unterstützten, aber die Masse der Bauernschaft war nicht bereit, das Risiko mit einer Regierung einzugehen, die zögerte, ihnen Landbesitzurkunden zu übergeben. Wie im Napoleonischen Frankreich war es das Militär, das intervenierte und sich als der Garant für die Respektierung der Rechte der Bauern präsentierte: Wenige Tage nach dem Putsch versprach die Junta, daß alle Bauern Besitzurkunden für ihr Land bekämen.

Am 11. September war die Stunde für den endgültigen Schlag gegen das klassenbewusste Proletariat gekommen. Es stand allein, getrennt von den Bauern, konfrontiert mit den „Mittelschichten“ und von den weniger bewussten Arbeitern abgewiesen. Es gab hunderttausende von klassenbewussten Arbeitern – aber die Revolutionen werden von Millionen gemacht.

Am 11. September um 14 Uhr erließ die Militärjunta zwei Dekrete; das erste befahl den Arbeitern, ihre Fabriken zu verlassen, das zweite war ein Ausgehverbot für die nächsten 45 Stunden, d.h. vom 11. September 15 Uhr bis 13. September 12 Uhr. Die Armee wollte mit den UP Arbeitern allein konfrontiert sein und gab daher der restlichen Bevölkerung eine Stunde Zeit, um sich vom Schlachtfeld zu entfernen. Zwischen 14 Uhr und 15 Uhr konnte man lange Kolonnen von Arbeitern beobachten, die nach Hause zurückmarschierten. Die Militanten der UP blieben in den Fabriken. Die Parole des CUT war, die Fabriken wie mittelalterliche Festungen zu verteidigen und auf der moralischen Ebene war die Parole, so heroisch zu sterben wie der Genosse Allende.

WIDERSTAND UND UNTERDRÜCKUNG

Nach zwei Tagen heroischen Widerstandes lag das Haupt der chilenischen Arbeiterklasse im Staub„ Führerlos, in einen Stellungskrieg gegen eine moderne Armee verwickelt, ohne Waffen, weil der Reformismus das Schlagwort „Waffen für das Volk“ nur benutzt hatte, um die Bourgeoisie zu erschrecken; geschockt durch den Hagel von Feuer und Metall, der auf sie durch die „pro-Allende“- Generäle gerichtet wurde, deren Eintritt in das Kabinett als ein Sieg gefeiert worden war; isoliert sowohl von den Massen der weniger politisierten Arbeiter wie von der Bauernschaft und gegen sich die Mehrheit des „Mittelstandes“, der die Unterdrückung aktiv unterstützte, indem er jeden denunzierte, der der Sympathien für die UP verdächtig war, leisteten die politisch bewusstesten Teile der Arbeiterklasse von Santiago drei oder vier Tage lang in völlig unkoordinierter, isolierter und heroischer Weise Widerstand.

Am 11. September erließ die Militärjunta eine weitere Verfügung, die die hauptsächlichen UP-Anführer und die Regierungsfunktionäre zur Übergabe aufforderte: Die Mehrzahl der Männer, die noch wenige Stunden vorher geschworen hatte, daß „der Faschismus nicht siegen würde“, gab sich haltlos auf. Andere wieder die weniger geneigt waren, sich einem Schicksal anzuvertrauen, das das Militär für sie bereit hielt, suchten in den Botschaften Zuflucht.

Zwischen dem 3o. Juni und dem 11. September war nicht ein einziger Tag ohne einen Artikel in der UP Presse vergangen, indem die „faschistischen Ratten von Vaterland und Freiheit“ lächerlich gemacht wurden, die nach dem Fehlschlagen von Souper’s Coup in den Botschaften Zuflucht gesucht hatten. Es kann keine Entschuldigung für jene Leute geben, die die Arbeiterklasse bis zum letzten Moment in eine selbstmörderische Konfrontation getrieben hatten und die, als dann die Konfrontation tatsächlich kam, nur daran dachten, ihre eigene Haut zu retten (und in einigen Fällen auch ihre Dollar). Die Führung des MIR war die einzige, die in die Illegalität untertauchte und von dort den Widerstand fortsetzte. Darüber hinaus war der MIR die einzige Gruppe, die auch die Organisation besaß, die für ein solches Vorhaben notwendig war; die übrige Linke hatte so fest an ihre eigenen Lügen geglaubt, daß sie überhaupt keine Vorbereitungen für eine solche Ausnahmesituation traf. Hier ein Beispiel, das die Naivität dieser Leute veranschaulicht: Der Verteidigungsplan für Allendes Wohnsitz in Tomas Moro ging von vorneherein von der Voraussetzung aus, daß im Falle eines nationalen Notstandes jeder Feind, mit dem man es zu tun haben würde, aus „irregulären Kräften“ bestehen würde. Die Möglichkeit einer Konfrontation mit den regulären Truppen der Armee wurde niemals in Rechnung gestellt; man ging von der Loyalität der Streitkräfte aus. Es ist deshalb nicht überraschend, daß eine Handvoll von Flugzeugen und Hubschraubern abgeschossene Raketen innerhalb weniger Minuten einen Plan zunichte machten, an dem die Fachleute über Jahre hinweg gearbeitet hatten, und ebenso die Verteidigungsmittel, die sie vorbereitet und zu ihrer Verfügung hatten.

Die Kommunistische Partei erwies sich als nicht fähig, ihren Generalsekretär Luis Corvolan länger als fünfzehn Tage vor dem Zugriff der Junta zu schützen. Luis Figuero, Mitglied der politischen Kommission der KP und Präsident des CUT, suchte seinerseits Zuflucht in einer Botschaft.

Die Parteien der Linken verhielten sich angesichts der am 11. September eröffneten brutalen Unterdrückung in verschiedener Weise. Die Mehrzahl der Anführer der Sozialistischen Partei stellten sich entweder freiwillig dem Militär oder flüchteten in die Botschaften. Der militärische Führungskader der Sozialistischen Partei zeigte einen großen Heroismus und trug denn auch die Hauptlast der Strafmaßnahmen; er war es auch, der den Versuch machte, dem Widerstand in den Fabriken und Elendsvierteln eine Führung zu geben.

Die Kommunistische Partei bot keinen ernsthaften Widerstand. In den meisten Fabriken, wo sie über eine Mehrheit verfügte, gab es keinen Widerstand, und das Militär konnte widerstandslos die Besetzung vornehmen. Eine bezeichnende Einzelheit gibt einen Einblick in die verdrehte Einstellung ihrer Funktionäre: Sie ordneten an, daß ihre Mitglieder ihre Mitgliedskarten nicht vernichten, sondern bei sich tragen sollten. Tausende von ihnen wurden an ihrem Arbeitsplatz festgenommen, leisteten keinen Widerstand, trugen aber brav ihre Mitgliedskarte und auch ein Armband in der Tasche (mit letzterem hatten sie sich als „Ordner“ bei Demonstrationen ausgewiesen und konnten so die Ultra-Linke“ fernhalten). Man zwang sie, beides aufzuessen, und brachte sie anschließend in die Konzentrationslager. Der MIR gab Anweisung aus, sich kämpfend und geordnet zurückzuziehen. Ihre Anhänger kämpften Seite an Seite mit den Arbeitern; aber in der Erkenntnis, daß die Niederlage des Reformismus unvermeidlich war, zogen sie sich auf disziplinierte Weise zurück, als der Widerstand unmöglich wurde. Als Resultat davon hatten sie wenig Verluste und konnten ihre Untergrundorganisation intakt erhalten.

Die Armee hatte verkündet, daß sie keine Gefangenen machen würde. Jeder, der beim Widerstand angetroffen würde, sollte auf der Stelle erschossen werden, ob er sich ergab oder nicht. Und die chilenischen Generäle standen diesmal zu ihrem Wort. Mehr als 200 Angehörige der GAP, der persönlichen Leibgarde von Allende, die an seiner Seite in der Moneda gekämpft hatten, wurden später zu den Vernichtungslagern transferiert und erschossen. Wenn jemand im Besitz von Waffen angetroffen wurde, erschoss man ihn sofort, falls aus seinem Gewehr geschossen worden war; war dies nicht der Fall, dann feuerte der kommandierende Offizier eine Kugel daraus ab, und anschließend wurde der Besitzer der Waffe erschossen. Jeder, der beim Anmalen von Parolen an Mauern erwischt wurde, wurde an die gleiche Mauer gestellt und erschossen.

Während der ersten vier Tage spielten sich in allen Straßen und Bezirken Santiagos Kämpfe ab. Tag und Nacht war das Donnern der Artillerie zu hören, dem das Feuer aus den leichten Waffen

80 in den Händen der Arbeiter folgte. Und in jedem Morgengrauen tönten die Salven der Erschießungskommandos durch die Stadt; man erkannte sie daran, daß ihrem Echo keine Antwort folgte.

In den Betrieben war die Lage der Kämpfenden verzweifelt. Wie um das Maß seiner verbrecherischen Tätigkeit voll zu machen und darum den Todeskampf der Arbeiter zu verlängern, verbreitete Radio Moskau am 12. September das falsche Gerücht, wonach General Prats an der Spitze seiner Truppen vom Süden her auf Santiago zumarschiere. Der Widerstand müsse weiter fortgesetzt werden, um die „patriotischen Soldaten“ zu unterstützen. Die chilenische Militärjunta, die sich in diesem Falle – aus durchsichtigen Gründen – „humanitärer“ als die Bürokraten des Kreml erwies, stellte am 13. September einen zitternden, schluchzenden General Prats vor die Fernsehkameras, dessen Hände wahrscheinlich unter dem Tisch gefesselt waren. Prats versicherte, daß er nicht die leiseste Absicht hätte, irgendeine Bewegung gegen die Junta zu führen, und daß er schon am l0. September (wußte er also etwas von dem Losschlagen?) ein Visum zum Verlassen des Landes beantragt hatte – ein Ersuchen, das er jetzt in aller Öffentlichkeit wiederholte. Zwei Tage später überquerte ein schneller Wagen die Grenze und lud den General in den Baracken der argentinischen Gendarmerie ab„

Während dieser Tage verwandelte sich der traditionelle Chauvinismus der Chilenen in einen offenen Fremdenhass, General Bonilla sagte im Fernsehen, daß „er solange nicht ruhen würde, bis der letzte Ausländer chilenischen Boden verlassen hätte“, Flugzeuge der chilenischen Luftwaffe warfen Flugblätter über Santiago ab, in denen die Bevölkerung aufgerufen wurde, „Extremisten zu denunzieren“, und in denen gedroht wurde, daß es „kein Pardon für die ausländischen Söldner geben wird, die hierher gekommen sind, um Chilenen zu ermorden.“ Ausländer wurden von ihren Nachbarn denunziert und in Konzentrationslager gebracht, während man ihre Häuser aufbrach und plünderte.

Das Barackenviertel von La Legua, nahe der Textilfabrik von Sumar, war eines der wichtigsten Zentren des Widerstandes . Vier Tage lang konnten die Soldaten hier nicht eindringen, weil jedem Versuch dazu erbitterter Widerstand entgegengesetzt wurde. Die Verteidiger zerstörten einen Bus der Carabineros sowie zwei Panzerwagen, während Frauen und Kinder kochendes Wasser auf die bewaffnete Polizei schütteten. Am vierten Tage beschlossen die Arbeiter dort den Rückzug, aber sie begingen den Fehler, einige Frauen und Kinder zurückzulassen. Die Soldaten drangen in das Elendsviertel ein, ließen Dutzende von Frauen und Kinder in Reihen antreten und erschossen sie dann. Zwei Tage später, als einige der Bewohner zurückkehrten, umzingelte die Armee das ganze Gebiet erneut mit ihren Panzern; aber dieses Mal kam General Bonilla zusammen mit einer Gruppe ausländischer Korrespondenten, um ihnen zu zeigen, daß Berichte, wonach das Barackenviertel mit Bomben belegt worden sei, nicht der Wahrheit entsprächen. Nach ihren schlimmen Erfahrungen wagte keiner der Einwohner dieses Elendsviertels, in Gegenwart der Soldaten die stattgefundenen Massaker offen zu denunzieren. Dieses elende Schauspiel, das nur diejenigen täuschen konnte, die getäuscht werden wollten, wurde danach in jedem der heimgesuchten Barackenviertel wiederholt.

Wenn die Arbeiter in den Betrieben die weiße Flagge zeigten, rückte die Armee ein und ließ sie alle im Hof Aufstellung nehmen; ein Offizier suchte dann diejenigen heraus, „die Widerstand geleistet hätten“ und ließ sie vor ihren Kameraden erschießen. Das Chile-Stadion, das für Box- und Basketballkämpfe errichtet war, wurde das erste Konzentrationslager der Junta; viertausend Gefangene wurden auf den Tribünen untergebracht„ Diejenigen, die man als „gefährlich“ ansah – auch alle Ausländer, ohne jede Ausnahme -, mussten 48 Stunden lang auf dem Boden liegen, das Gesicht nach unten gewendet, die Hände hinter dem Kopf, ohne Erlaubnis sich zu bewegen, ihre Notdurft verrichtend, wo sie lagen, ohne jede Nahrung oder Getränk. Die Soldaten gingen mit ihren Stiefeln über sie hinweg und rollten Schubkarren, die mit Ziegelsteinen angefüllt waren, über ihren Köpfen hin und her. Die Scheinwerfer im Stadion wurden zusätzlich mit Reflektoren der Luftabwehr bestückt und strahlten ihre blendendes Licht Tag und Nacht in die Au – gen der Gefangenen. Am ersten Tage wurde ein zehnjähriger Junge als eine Warnung vor den 4ooo Gefangenen erschossen. Der Volksliedsänger Victor Jara rief laut: „Patria o Muerte, Venceremos!“ (der Schlachtruf der kubanischen Revolution); daraufhin nahmen ihn sich die Soldaten vor und schlugen in Gegenwart der anderen Gefangenen unbarmherzig auf ihn ein. Sein schrecklich verstümmelter Körper, der aber keine einzige Schusswunde zeigte, kam am nächsten Tage während der Grabungsarbeiten am neuen Untergrundbahnsystem zum Vorschein. Die Zeitungen erwähnten diskret seinen Tod, machten aber keine Andeutungen über dessen Ursache.

Beamte des Verteidigungsministeriums nennen Zahlen von 12.000 Toten während der ersten Woche. In den eilig vorbereiteten Konzentrationslagern wurden etwa 20.000 Häftlinge zusammengepfercht. Man sollte dabei daran denken, daß Chile 9 Millionen Einwohner zählt; die Armee brachte also proportional jenes „Djakarta“ zustande, das sie einige Monate zuvor über ihre „Freunde in der Nationalen Partei“ verkündet hatte.18 Der Umfang dieses Massakers stand in direktem Verhältnis zu jener Spannung, die sich zwischen den Klassen während der letzten Monate der UP- Begierung aufgestaut hatte. Die Arbeiterklasse hatte die „linken“ Phrasen ihrer Anführer ernst genommen und war über die Grenzen hinausgegangen, die diese Anführer ihnen zu setzen versucht hatten. Ds UP-Programm versprach die Verstaatlichung von 15o Betrieben während der gesamten Dauer der Präsidentschaft Allendes. Als der Staatsstreich stattfand, gab es 310 Betriebe im verstaatlichten Sektor die von der Arbeiterklasse im Wider Spruch zu ihren Anführern übernommen worden waren. Die Regierung hatte weitere Hunderte an ihre ursprünglichen Eigentümer zurückgegeben, jedoch nahmen die Arbeiter diese erneut in Besitz und schufen dadurch eine unvorhergesehene Situation, die die UP nicht anders zu lösen wußte, als dabei zu Methoden zu greifen, wie sie später von der Junta angewendet wurden.

Die bürgerlichen Parteien, die bis zum 11. September unermüdlich gegen die demokratischste Regierung in der Geschichte Chiles und ganz Lateinamerikas ankämpften, beeilten sich, die Junta zu unterstützen – im Namen von Freiheit und Demokratie. Die Nationale Partei löste sich selbst auf und wies ihre Mitglieder an, mit der neuen Regierung zusammenzuarbeiten. Auf diese Weise gab sie dem Militär zu verstehen, daß eigentlich alle politischen Parteien aufgelöst werden sollten und die Junta für immer die Macht ergreifen solle. Diese Partei der großen Landbesitzer, Finanzleute und jenen Industriellen, die alle eng mit dem Imperialismus verbunden sind, verspricht sich nichts von politischen Auseinandersetzungen und tritt aktiv für eine militärische Diktatur ein.

Die Christlicher Demokratische Partei, die für die Interessen der Industrie- Bourgeoisie eintritt, stand bis zum 22. August hinter der Regierung. Sie leistete ihr insoweit ihre Unterstützung, als die UP Regierung die grundlegenden Reichtümer des Landes (die sich bis dahin in ausländischen Händen befanden) für die chilenische Bourgeoisie zurückgewann, eine kapitalistische Agrarreform durchführte und damit gegen die Interessen des internationalen Finanzkapitals anging; sie bekämpfte aber auf der anderen Seite die Regierung der Volksfront in der Verteidigung der Interessen der industriellen Bourgeoisie, und um jeden Eingriff der Arbeiterklasse in Unternehmen zurückzuhalten, die in den Händen des nationalen Kapitals lagen. Damit nahm ihre Taktik eine Art „zentristischen“ Charakter an; denn um den Bestrebungen der Bürokratie des bürgerlichen Staates Schranken zu setzen und den direkten Angriffen der Arbeiterklasse zuvorzukommen, mußte sie sich häufig mit der Nationalen Partei verbünden. Andererseits jedoch, und zwar um zu gewährleisten, daß die „Agrar- und antiimperialistische Revolution“ bis zu dem Punkte voran^etrieben wurde, wo sie noch mit den Interessen der „nationalen“ Bourgeoisie übereinstimmte, hatte sie weiterhin die Regierung in jedem kritischen Moment zu unterstützen.

Nach dem Staatsstreich musste sich die PDC an den neuen Status quo anpassen, das heißt die Niederlage ihres Verbündeten UP zu akzeptieren und zu versuchen, sich selbst eine Position zu verschaffen, von wo aus sie Einfluss auf das Militär nehmen konnten, um es daran zu hindern, zu Lasten der chilenischen Bourgeoisie ausschließlich die Interessen der großen Landbesitzer und des internationalen Kapitals zu begünstigen. Insofern unterstütze die Partei den Staatsstreich, war aber zur gleichen Zeit willens, sich mit der Junta über deren Wirtschaftspolitik in Debatten einzulassen. Nur eine kleine und unbedeutende Gruppe innerhalb der PDC reagierte mit einer milden Verteidigung der Menschenrechte. Bernado Leighton, ein Begründer der Partei und ein alter Bundesgenosse der UP, brachte eine Petition im Sinne der Habeas-Corpus-Akte (zum Schutze der persönlichen Freiheit) vor, die zugunsten verschiedener Funktionäre der früheren Regierung abgefasst war; diese wurden an unbekannten Plätzen in Haft gehalten. Der Oberste Gerichtshof, der während der Zeit Allendes als „der Verfechter von Gerechtigkeit und der Verteidigung der Menschenrechte auftrat“ – und zwar bis zu dem Grade, daß ein Richter in der Zentralen Strafkammer den faschistisch-terroristischen Anführer Thieme wenige Stunden nach seiner Verhaftung auf freien Fuß setzte, „damit er nicht ungesetzlichen Druckmaßnahmen unterworfen wäre“ -, antwortete auf die Habeas-Corpus-Petition mit einer Entgegnung von vier Zeilen, die beinhalteten, daß die Notstandsgesetze, die den Streitkräften in Kriegszeiten gewährt würden, es ihnen erlaubten, mit Gefangenen so zu verfahren, wie sie es für richtig hielten. Und damit endete der Kampf der Christlichen Demokraten für die Verteidigung der Freiheit.

Zwei Tage, nachdem der Generalsekretär der Militär-Junta erklärt hatte, daß es 500 Tote und 6000 Verhaftete gäbe (eine grobe Unterschätzung), schwang sich der Ex-Minister für die Verteidigung in der Regierung Frei, Sergio Ossa, in Kolumbien zu einer Verteidigung der Streitkräfte auf und behauptete, es hätte nur 95 Tote in Chile gegeben und keine Massenverhaftungen. Diese Erklärungen wurden in Chile von der Zeitung La Prensa veröffentlicht, dem offiziellen Organ der PDC.

Die Mitglieder der KP jedoch, die jahrelang in dem Mythos des demokratischen Charakters der Christdemokraten erzogen worden waren, wollten die Realität nicht anerkennen, die nicht in den Rahmen ihrer offiziellen Ideologie paßte.

Am 29. September kommentierte eine Gruppe von KP-Anhängern^ die im Nationalstadion inhaftiert waren, begeistert die Nachricht über die Schaffung einer neuen „Christlich Sozialistischen Partei“ unter der Führung von Tomic. Tomic war dafür bekannt geworden, daß er mit Allende im Jahre 1970 ein Geheimabkommen getroffen hatte, in dem sich beide zusicherten, den Weg eines Präsidentschaftskandidaten der Nationalpartei zu blockieren, sollte jener im ersten Wahlgang die Mehrheit erhalten. Derselbe Politiker war 1972 nach China gereist und kehrte, mit Lobhudelei durch die UP Presse überschüttet, als ein Verbündeter zurück, der -gemäß den Analysen der UP- die Christdemokratische Partei spalten würde, falls diese jemals „den Weg des Militärputsches“ beschreiten sollte.

Die Einschätzung dieser naiven KP- Anhänger war, daß diese neue „Christlich-Sozialistische Partei“ die Basis der PDC mit sich reißen würde, die über Freis Kollaboration mit der Militärjunta unzufrieden geworden sei. Am selben Tag noch wurde Tomic in Italien von den Zeitungen „La stampa“, „II Messagero“, und „Cirriere della Sera“ interviewt, wobei er erklärte, „daß die Bewegung die am 11. September begann, nicht vollständig negativ zu bewerten ist, wie schmerzvoll auch immer einige ihrer Auswirkungen für einige Chilenen gewesen sein mögen. Wegen einer Reihe von Gründen war die damalige Situation unerträglich geworden. .. das Experiment der UP war gescheitert. Es war die unvermeidbare Konsequenz der hauptsächliche Irrtümer ihres ursprünglichen politischen Programms und seiner sozialen, politischen und ökonomischen Verwirklichung“.

Später verteidigte Tomic Frei und bestritt entschieden jegliches Gerücht, daß eine „Christlich sozialistische Partei“ gegründet würde. Die Kommunisten mussten also weiter nach ihren bürgerlichen Demokraten suchen.

Kardinal Silva Henriquez, der wenige Tage zuvor noch ein Verbündeter der KP gewesen war, reagierte auf einmal ganz anders auf die Stellungnahme des Papstes, der bedauerte, was in Chile geschehen war. Der Kardinal schrieb der Stellungnahme des Papstes falsche Informationen zu und bekräftigte den demokratischen und humanen Charakter der chilenischen Streitkräfte.

Der Kongress akzeptierte ohne Zögern seine eigene Auflösung. Und dennoch, wie wir sehen werden, hinderte dies die Kommunistischen Parteien in der ganzen Welt nicht daran, sich an die „demokratischen Teile der Bourgeoisie und der Kirche“ zu wenden. Zwei Wochen nach dem Staatsstreich verkündete der Kommandeur der Carabineros, General Mendoza, selbst Mitglied der Junta, daß die erste Phase der Repression vorüber sei und die wirkliche „Ausradierung der Extremisten“ jetzt beginnen könne.

In dieser „ersten Phase“ versprach die Junta weder Massenentlassungen von Arbeitern wegen ihrer politischen Einstellung durchzuführen noch ihre sozialen und ökonomischen Errungenschaften anzugreifen. Diese falschen Versprechungen hatten die Isolierung der kampfbereiten Teile von ihrer sozialen Basis zum Ziel; nachdem jedoch einmal die kämpferischten Teile liquidiert waren, begann die gesamte Arbeiterklasse das ganze Gewicht der Repression zu spüren.

Gegen Ende September wurde der Präsident der Universität von Chile, ein Christdemokrat, der den Putsch befürwortet und sorgfältig sein Image „als möglicher Präsident“ gepflegt hatte und sich deshalb durch eine Säuberungsaktion an der Universität nicht seine weiße Weste beschmutzen wollte, von Militärs ersetzt, die weniger Skrupel hatten. Militärpatrouillen begannen an jedem Arbeitsplatz mit Listen von UP-Sympathisanten zu erscheinen, die verhaftet und in Konzentrationslagern abtransportiert wurden.

In den Konzentrationslagern selbst verfolgen die Militärs eine wohlüberlegte Politik: die Gefängnisoffiziere behandeln ihre „wichtigen“ Gefangenen korrekt und erlauben ausländischen Korrespondenten und Parlamentariern Besuch, die in zynischer Weise Zeugnis über die gute Behandlung der Gefangenen ablegen. Währenddessen foltert das Personal der Geheimpolizei mit grausamen Methoden Militanten der Basis – besonders Frauen und Jugendliche – um aus ihnen falsche Geständnisse herauszupressen, mit denen die mittleren und führenden Kader belastet werden sollen. Dahinter stecken zwei Ziele: einmal sollen damit die Militanten der Basis demoralisiert werden, anderseits will man damit dicke Akten für Beschuldigungen gegen die Anführer anhäufen, so daß die Kriegsgerichte sie zum Tode oder zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilen können. Letztere werden nur in außergewöhnlichen Fällen gefoltert, denn die Militärs wissen, daß Journalisten und Persönlichkeiten, die die Gefängnisse besuchen, sich eher über das Schicksal der Anführer als das der anonymen Militanten der Basis beunruhigen. Aus diesem Grunde kommen die Anführer in den Vorzug „all der Garantien, die von Militärgerichten in Kriegszeiten gewährt werden“ (?!). In Gebieten, wo die internationale Überwachung geringer ist wird das „Fluchtgesetz „ auf dutzende von Leuten angewandt, wobei einem Mann gesagt wird, er solle laufen und dann erschossen wird, während „er versucht zu fliehen“; die offizielle Presse erwähnt diese Morde nur in winzigen Fußnoten, die alle aus der gleichen Quelle zu stammen scheinen.

In dieser zweiten Phase der Repression (tatsächlich ist es die dritte Phase, da wie wir gesehen haben, die Repression schon während der letzten Tage der Allende-Regierung begann) begann der Angriff auf die Lebensbedingungen der Massen.

Der Präsident der Junta, General Pinochet, verkündete, daß bis Ende des Jahres die Lebenshaltungskosten um 1600 % steigen würden. Das durchschnittliche Einkommen eines Industriearbeiters war 8 Dollar im Monat (dies war übrigens die materielle Basis des „Ökonomismus“, den die UP der Arbeiterklasse vorwarf). Die Junta fror die Löhne ein und kündigte Strafen von 3 bis 20 Jahre für diejenigen an, die zu Streiks aufrufen oder an solchen teilnehmen.

Der brutale Angriff auf den Lebensstandard der Massen ist die ^Antwort der Junta auf die Notwendigkeit die Verzerrung, die die reformistische Politik der UP den kapitalistischen Marktmechanismen zugefügt hatte, zu korrigieren. Der Dollar war in einem solchen Maße unterbewertet, daß der Import von Nahrungsmitteln und Industriegütern auf der Basis eines Austauschverhältnisses von 7o Escudos zu einem Dollar getätigt wurde, während das wirkliche Austauschverhältnis 1300 Escudos pro Dollar betrug. Auf diese Weise wurde die Konsumtion subventioniert, was den Kapitalisten erlaubte, außerordentlich niedrige Löhne zu zahlen.

Während Arbeiterfrauen nur einige Nahrungsmittel zu offiziellen Preisen bekamen, was mehrere Stunden Schlange stehen bedeutete, akzeptierten ihre Männer die niedrigen Löhne, besonders nachdem die UP klargemacht hatte, daß sie Lohnstreiks als „aufrührerisch“ ansah. Dies war eine Quelle ungeheuren Profits für die Kapitalisten, die die offizielle Preisfestsetzung nicht akzeptierten und die meisten ihrer Produkte auf den Schwarzmarkt dirigierten. Und die UP hatte keine Alternative, denn ein Fortschreiten auf dem „chilenischen Weg zum Sozialismus“ hing ja vom Erreichen der Mehrheit der Wählerstimmen ab.

Auf diese Weise aber auch erhöhten die UP-Bürokraten ihr Potential an Luxusgütern; ein Citroen, oder sein Äquivalent, ein Fiat 600, kostete ungefähr zu offiziellen Preisen 5oo Dollar. Das ist der Grund, warum die gesamte Autoproduktion bis

96 1975 bereits verkauft war. Eine der ersten Maßnahmen der Junta war die Abwertung des Escudos und die Einführung von zwei Formen von Austauschverhältnissen; eine für den Nahrungsmittelimport und Maschinen zu 800 Escudos pro Dollar und die andere Art für den Tourismus von 13oo Escudos pro Dollar. Diese Entwertung brachte eine sofortige Erschütterung der inländischen Preise mit sich, da Chile den größten Teil der Güter, den es konsumiert, importiert.

Jetzt erfuhren auch gerade diejenigen Christdemokratischen Arbeiter, die sich so bitter über die Warenknappheit und das Schlangestehen unter der UP beschwert hatten, das ganze Ausmaß wirklichen Hungers und Elends.

EINE NIEDERLAGE HISTORISCHEN AUSMASSES

Der Putsch vom 11. September war eine Niederlage für die chilenische Arbeiterklasse, obgleich die Propagandisten der „Internationale der Narren“ versuchen werden, diese Wahrheit für den Rest der Welt zu verbergen, um ihre eigene Verantwortung herabzumindern.

Es ist eine Niederlage historischen Ausmaßes in zweifacher Bedeutung. Erstens, weil die chilenische Arbeiterklasse glaubte, daß sie ihr historisches Ziel – die Errichtung des Sozialismus – über den friedlichen parlamentarischen Weg erreichen könnte. Jahre werden vergehen, bevor die chilenischen Arbeiter, die in diesem Jahrhundert nicht einen Versuch des Aufstandes unternahmen, ein neues Bewusstsein erlangen und verstehen werden, daß solche Ziele nur durch die Revolution erreicht werden können – besonders seitdem die „Internationale der Narren“ und ihre sozialdemokratischen Freunde vom Schlage Garaudys die Massenmedien dazu benutzen, um zu zeigen, daß das, was in Chile geschah, nicht das Ende des friedlichen Weges zum Sozialismus bedeutet.

Zweitens, weil die besten Kämpfer der chilenischen Arbeiterklasse entweder ermordet wurden oder im Gefängnis sitzen. Sie waren eine „Avantgarde“ eigenartigen Charakters, da sie Interessen vertrat, die denen der Arbeiter fremd waren, und sich somit von den weniger politisierten Massen isolierte. Dennoch war sie die wirkliche Avantgarde der reifsten Arbeiterklasse Lateinamerikas. Jahre werden vergehen, bevor die chilenische Arbeiterklasse eine neue Avantgarde hervorbringen wird, die nicht mehr unter diesen reformistischen Illusionen leiden wird, die noch jene beeinflusste, die unter den Stiefeln des Militärs verbluteten. Die Massen haben keine Möglichkeit, eine schlagkräftige unmittelbare Antwort zu geben. Die traditionellen Arbeiterparteien sind entweder zerschlagen oder im Stadium der Auflösung. Die CUT wurde aufgelöst und es wird lange dauern, bis sich irgendeine andere Organisation herausbilden kann, die fähig sein wird, den Kampf der Massen zu koordinieren. Die chilenischen Reformisten waren unfähig, mehr als ein Drittel der Arbeiter in den Gewerkschaften zu organisieren als sie an der Regierung waren – man kann deshalb von ihnen nicht erwarten, daß sie gerade dazu fähig sind, wo die Junta an der Macht ist.

Die Massen wurden verraten; sie haben das sehr gut verstanden; trotz all der mystischen Verschleierung, mit der ihre Verräter nun versuchen, die Vernichtung der Linken zu vertuschen. Der Bewußtseins stand, der unter den Arbeitern vorherrscht, die in den Konzentrationslagern gehalten werden, ist zu tiefst selbstkritisch, da sie wissen, daß die Reformpolitik der UP versagte und viele ihrer Anführer sie verraten haben. Trotz Allendes heroischem Tod, kritisierten sie seine Entscheidung, in der Moneda, dem Symbol bourgeoiser Macht, Widerstand zu leisten,, anstatt in den Cordones Industriales, Seite an Seite mit den chilenischen Arbeitern. Genau in dieser kritischen Haltung des chilenischen Arbeiters, seine Fähigkeit historische Erfahrungen mit seinem Misstrauen gegenüber Caudillos, Mythen und Dogmen zu verbinden, liegt die größte Chance für eine Regeneration. Es ist eine Regeneration, die lange Zeit dauern wird, aber sie wird durch nichts aufgehalten werden können.

Die größte Tragödie Chiles ist, daß eine kampfbereite sozialistische Arbeiterklasse voll von reformistischen Illusionen, keine marxistische revolutionäre Führung fand, die fähig gewesen wäre, eine proletarische revolutionäre Perspektive anzubieten. Während des ganzen Jahrhunderts lebten die Intellektuellen der chilenischen Linken von öffentlichen Ämtern und parlamentarischen Pfründen. Sie hatten sich angepasst politisch zu manövrieren, Kompromisse in den Korridoren der Macht auszuhandeln, demagogische Reden zu halten und politische Slogans zu formulieren; aber sie haben sich als unfähig erwiesen, das theoretische Fundament einer Bewegung zu schaffen, die die Arbeiterklasse um sich sammeln und zum Aufbau einer revolutionären Partei hätte führen können. Dieses Fehlen marxistischer Theoretiker wurde von der KP-Führung als positiver Verdienst hervorgehoben. Wir wissen, daß Bürokraten graue Männer sind, die einer Unwissenheit gedeihen, die ihnen erlaubt, den Namen des Marxismus für ihre eigenen opportunistischen Ziele zu benutzen. Aber die historische Erfahrung hat wenigstens bis heute eines deutlich gemacht, daß die Arbeiterklasse ohne revolutionäre Intellektuelle ihre revolutionäre Partei nicht aufbauen wird.

Das einzige neue Phänomen war die Entwicklung des MIR, der als eine typisch castroistische Gruppe entstand und sich auf den „bewaffneten Kampf“ auf der Grundlage von Guerillagruppen vorbereitete. Der Wahlsieg Allendes zwang ihn nach einer „Politik für die Massen“ zu suchen und seine Positionen zu überdenken (er leistete mehr als einmal unnötige Selbstkritik); aber es ist ihm noch nicht gelungen die Begrenztheit der Guerillapolitik zu überwinden. Seine jugendliche, unerfahrene Führung, kleinbürgerlichen Ursprungs (es gibt keinen einzigen Arbeiter in seinem Zentralkomitee) arm an Intellektuellen auf einem äußerst niedrigen theoretischen Niveau, konnte sie in diesen 3 Jahren weder ein anderes Programm noch eine andere Taktik als ein mit linker Kritik getöntes reformistisches Programm vorstellen. Die MIR- Führung folgte vertrauensvoll der UP-Politik – und auch ihren Wahlkandidaten, sogar noch dann als der MIR durch nichts daran gehindert wurde seine eigenen aufzustellen, wie im Jahre 1973, Gleichzeitig aber versuchte er sich“abzugrenzen“ und seine Existenz als eigenständige und unabhängige Organisation durch eine verbal-linke Kritik an der UP zu rechtfertigen.

Seine hierarchische Struktur, typisch für guerilla-ähnliche Organisationen, wurde nicht verändert und trug dazu bei, jene revolutionären Arbeiter abzuschrecken, für die innerorganisatorische Demokratie und Diskussion, um die Koordinierung wirksamer Aktionen zustande zu bringen, die Vorbedingungen politischen Lebens sind. Monate vor dem Putsch brachen einige der wichtigsten Arbeiter des MIR mit der Führung, da sie sie für bürokratisch und opportunistisch hielten. In der Tat wollte die Führung die Revolution „für“ die Arbeiter machen, aber sie verstand nie, daß die Arbeiterklasse „sich nur selbst befreien kann. „ Die barbarische Unterdrückung, die Chile jetzt erlebt, scheint jedem terroristischen Akt moralisch zu rechtfertigen. Es ist unvermeidlich, daß eine Organisation mit geringem Einfluß in der Arbeiterklasse und den Eigenheiten des MIR, unter den Druck von Elementen aus den eigenen Reihen kommen wird, die Guerilla-Aktionen zurücknehmen wollen. Solche Aktionen würden natürlich von kleinen Kommandos durchgeführt – isoliert von der Arbeiterklasse. Bis jetzt widerstand die Führung diesem Druck, aber es ist wahrscheinlich, daß sie dazu nicht mehr lange in der Lage sein wird, ohne einen ernsthaften Bruch innerhalb der Gruppen zu riskieren. Notwendig ist eine revolutionäre Geduld, ähnlich wie sie Ho Chi Minh und seine Genossen in einer Situation, die kleinbürgerlichen Terrorismus nahelegte, bewiesen, als sie in den dreißiger Jahren die Massen organisierten.

Wenn der MIR den Rat der Kubaner befolgt, 12 Jahre nutzlose Opfer in ganz Lateinamerika ignoriert und in die Politik des Guerillakrieges zurückfällt, wird es nur zur Desorganisation der Massen beitragen und wertvolle Kader vom Aufbau einer Klassenpartei abhalten. Und indem er in den Kampf der Arbeiterklasse fremde Elemente hineinträgt, wird er dazu beitragen, Bedingungen für eine noch stärkere Repression der Massenbewegung zu schaffen.

Der MIR ist die einzige Organisation, die in der Lage war ihre früheren Kader zu retten und sie im Untergrund zu verbergen ; ob seine Rolle bei der Neuorganisierung der chilenischen Arbeiterbewegung, die jetzt beginnt, positiv oder negativ sein wird, wird vom politischen Kurs , den er in den nächsten Monaten einschlägig, abhängen.

Die Junta hat damit begonnen, ihr Regime um einen zentralen Slogan herum aufzubauen – „Nationaler Wiederaufbau“. Was offensichtlich auf der Hand liegt, ist die Festigung des chilenischen Kapitalismus und seiner zukünftige ökonomische Weiterentwicklung. 3 Jahre reformistischer Experimente schufen eine Währungs- und Finanzkrise, entfachten eine galoppierende Inflation, dehnten den riesigen bürokratischen Staatsapparat sogar noch weiter aus und hemmten den kapitalistischen Produktions- und Reproduktionsprozess; doch ließen sie den Produktionsapparat intakt. Auf der anderen Seite mangelte es an neuen Maschinen und Betriebseinrichtungen, da diese während der 3 Jahre nicht importiert wurden, teilweise wegen der imperialistischen Blockade, teilweise weil die ausländischen Devisen auf den Import von Nahrungsmitteln – die die Bauern vorzugsweise aus Chile schmuggelten oder auf dem schwarzen Markt verkauften – und Luxusgüter verschwendet wurden. Die UP (wie wir in einer weiteren Studie, die auf allen Dokumenten der UP fußt, zeigen werden) beabsichtigte nur die Modernisierung des chilenischen Kapitalismus. 1970 war Chile eines der wenigen verbliebenen halbkolonialen Länder; die Kontrolle des natürlichen Reichtum des Landes lag in den Händen der Imperialisten. Die Lösung der Aufgabe, diesen Reichtum zurückzugewinnen, die andere Bourgeoisien in Lateinamerika unter Führung von Peron Vargas, Cardenas, Estensoro usw.19 auf sich genommen hatten, wurden von der chilenischen Bourgeoisie während des Frei-Regimes unternommen. (1964-1970)

Aber die Christdemokraten, die durch viele Fäden mit der Großbourgeoisie verbunden waren, die ihrerseits eng mit dem Imperialismus verknüpft war, konnten ihre Aufgabe nicht erfüllen; ihre teuflische Schlauheit kann man daran erkennen, dass sie diese Aufgabe den proletarischen Parteien überließen, die sie als der Prozess beendet war, wie eine ausgepresste Zitrone wegwarfen. Die Verstaatlichung der Kupferindustrie und anderer Wirtschaftszweige wurde einstimmig vom Kongress gebilligt und sogar ein Reaktionär wir der Contralor General de la República befürwortete den Abzug „außergewöhnlicher Profite“ von den Entschädigungszahlungen, die den amerikanischen Kupfer-Bossen angeboten wurden.

Nach Allende steht Chile als relativ unabhängiges kapitalistisches Land da, Kupfer, Salpeter, Eisen, Kohle, Elektrizität, Öl, die Banken und einige wichtige Fabriken, die vorübergehend in fremder Hand waren, sind nun Eigentum des chilenischen bürgerlichen Staates. Eine enorme Menge Mehrwert, die vor 1970 einfach das Land verließ, wird nun in den Reproduktionskreislauf des chilenischen Kapitals zurückkehren. Natürlich werden die Arbeiter für die kommenden Jahre die Entschädigungssummen, die inzwischen UP und den ausländischen Konzernen vereinbart wurden, zahlen müssen, aber das berührt die Kapitalisten kaum.

Heute hat der chilenische Kapitalismus der UP dafür zu danken, daß sie ihn von der Fessel des Großgrundbesitzes befreit und die alten feudalen Großgrundbesitzer in moderne landwirtschaftliche und industrielle Kapitalisten verwandelt hat (insofern als sie das Geld, das sie von der UP als Entschädigung für ihr altes Land bekamen, investierten). Weiter vollendete die UP dies ohne die enormen Aufstände, die diesen Vorgang anderswo in Lateinamerika begleitet hatten, wie z.B., in México. Nun bestehen auf dem chilenischen Land die „strukturellen“ Bedingungen für eine beschleunigte Entwicklung der Produktion, was bedeutet, daß fremde Devisen nicht länger für Nahrungsmittelimporte verschwendet werden müssen, Millionen Bauern, die bis jetzt nur am Rande des kapitalistischen Marktes teilgenommen haben, bilden jetzt einen potentiellen inneren Markt für eine sich entwickelnde Industrie. Es ist sogar der Fall, daß während dieser 3 Jahre Vereinbarungen mit internationalen Konzernen, speziell mit Peugeot, Fiat, Pegaso und Citroen getroffen wurden, die nun die Entwicklung bestimmter Industriezweige erlauben, die vorher in Chile nie existiert hatten. Die chilenische Bourgeoisie, vertreten durch die Junta, ist jetzt in einer Position, neue und viel vorteilhaftere Bedingungen der Abhängigkeit mit dem Imperialismus als früher auszuhandeln. Einige Fabriken werden an ihre alten Eigentümer zurückgegeben werden. Schließlich führte ja die Macht der chilenischen Arbeiterklasse, mit ihrem Glauben an den chilenischen Sozialismus, einige verzerrende Elemente in den Modernisierungsplan der UP ein und erzwang die Einverleibung von verschiedenen Industrien in den öffentlichen Sektor, deren Verstaatlichung nicht vorgesehen war. Um so besser für die Junta; denn diese Fabriken können nun im Austausch für neue Kredite zurückgegeben werden. Aber niemand sollte sich einbilden, daß die chilenische Bourgeoisie, die grundlegenden Industrien des Landes und die Ländereien zurückgeben wird. In dieser Hinsicht werden wohl einige der Analytiker der Linken lange warten müssen, bevor ihre Weissagungen Wirklichkeit werden.

Es gibt nichts selbstmörderisches an der Kampagne der Junta für den „Nationalen Aufbau“, wie komisch auch einige damit verbundenen Maßnahmen sein mögen, wie der öffentliche Apell nach Geld und Juwelen. Die „demokratische, agrarische und antiimperialistische Revolution“ der „Kommunisten“ hat die Grundlage für eine erneute kapitalistische Entwicklung geschaffen. In den Worten von Rodrigo Ambrosio, Gründer der MAPU und einer der Theoretiker der UP:“Der Kapitalismus kann eine Zukunft in Chile haben, wenn die chilenische Rechte seine Pläne erfolgreich verwirklichen kann. Aber die Formen, mit der der amerikanische Imperialismus dieses Kapital beherrscht, werden vollständig verschieden von jenen Formen sein, die bis zum Regierungsantritt Allendes vorherrschend waren. Die Kupferbergwerke werden unter der anzunehmenden Situation der fortschreitenden kapitalistischen Entwicklung in Chile endgültig in den Händen des Staatskapitalismus bleiben, mit all seinen politischen, ideologischen und theoretischen (und ökonomischen – H. P.) Implikationen. „ (R. Ambrosio, Sobre el problema del poder; Santiago, 1973; p. 78-79) So etwas passiert, wenn „Revolutionäre“ vergessen, daß das Problem der Macht nämlich die Zerstörung des bürgerlichen Staates und seiner Machtorgane, dem Problem einer Politik ökonomischer Reformen vorhergehen muß.

EINE TRAGÖDIE ENDET IN EINER FARCE

Marx sagte, daß große weltgeschichtliche Tatsachen sich wiederholen, das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce.

Chiles Tragödie ist die jüngste von vielen, die eine Arbeiterklasse unter der Führung von Bürokraten und Kleinbürgern hinnehmen mußte. Sie konnte nur als Farce enden.

Diese possenhaft e Episode geht auf´s Konto der„ Internationalen der Narren/ Die Zeitung der argentinischen KP, „Nuestra Palabra“ enthält in der Nummer vom 24. Oktober 1973 zwei Artikel, die eines’Molidre“ würdig wären, gäbe es nicht stilistische Differenzen: der Leitartikel „Linksradikalismus und Revolution“ und die Erklärung „An das chilenische Volk“ der KP Chiles.

In „An das chilenische Volk“ umgeht es die chilenische KP sorgfältig, die Verantwortung für ihre Rolle bei der Niederlage der chilenischen Arbeiterbewegung zu übernehmen. Sie nimmt einen Ton selbstkritischer Demut an, in der wie gewöhnlich, kein einziger konkreter Fehler beim Namen genannt wird, – obwohl sie verspricht, diese irgendwann einmal zu behandeln.

Die KP Chiles fühlt sich verpflichtet, einen behutsamen Ton anzuschlagen, da die chilenischen Massen gerade eine vollständige Rechenschaft zu verlangen beginnen. In dem Artikel der argentinischen KP wird der Ton jedoch unverschämt, – und das von einer Partei, die nur wenig mehr darstellt als eine größere von der Arbeiterbewegung isolierte Sekte und die deshalb niemandem Rechenschaft schuldet, aber die chilenische Katastrophe dafür benutzt, ihre eigene Politik zu rechtfertigen, die, sollte sie einmal Einfluß gewinnen, letztlich zu mindestens ebenso schweren Niederlagen führen müßte wie in Chile.

Die chilenische KP behauptet:“ Der Plan für den Putsch, seine Ausführung und seine brutalen Methoden sind ausländischen Ursprungs.

Er wurde in den Büros des CIA entwickelt, in direkter Zusammenarbeit mit ITT und Kennecott. Eine Spezialtruppe wurde im Pentagon und im Weißen Haus gebildet, die ihn auszuführen hatte. Diese mythische Interpretation des chilenischen Putsches paßt der Bourgeoisie und ihren Lakaien in der ganzen Welt nur zu gut. Es gibt keinen Zweifel, daß der CIA und der Imperialismus seine Hand im Putsch hatte – aber das ist nicht die grundlegende Frage. Es gibt kein einziges Wort darüber in der Erklärung, daß der Putsch das („unvermeidlich“ wie Tomic sagen würde) Ergebnis einer 3-jährigen Entwicklung des Kampfes der chilenischen Bourgeoisie gegen die Arbeiterklasse und die Regierung war, eines Kampfes, an dem alle Parteien und Organisationen der Bourgeoisie mit verschiedenen Taktiken teilnahmen und indem sie mit der Unterstützung der übergroßen Mehrheit des Kleinbürgertums und ihrer berufsständischen Organisation rechnen konnten. Die KP versucht, das was ein Kampf zwischen den Klassen war, zu dem Kampf zwischen Nationen umzumünzen. Nirgendwo sagt die Erklärung, daß das Militär geschlossen handelte und daß keine Sektion der Offiziere – mit Ausnahme isolierter Individuen – sich dem Putsch widersetzte. Es war also die chilenische Armee, die den Putsch durchführte, jene „demokratische“ und „verfassungsmäßige“ Armee kommunistischer Erfindung, die von Generälen geführt wurde, die Allendes Minister waren.

Es war nicht nötig, daß ausländische Offiziere das Kommando über die chilenischen Truppen übernahmen. Diese Interpretationsweise erlaubt es den chilenischen „Kommunisten“ den bürgerlichen Militärs auch weiterhin die Stiefel zu lecken, wie sie es während der dreijährigen Amtszeit von Allende taten. Wenn wir aus der chilenischen Erfahrung etwas lernen können, dann ist es die Tatsache, daß die Politik der „Nationalen Befreiungsfront“ wie sie von den KP’s in ganz Lateinamerika propagiert wird, zum Scheitern verurteilt ist. Nach dem 4. November 1970, als Allende die Macht ergriff, hielten die Kommunisten Ausschau nach solchen Teilen der chilenischen Bourgeoisie, die man für den Kampf gegen den Imperialismus gewinnen könnte. Aber alle ihre Appelle stießen auf taube Ohren. Trotz des Anspruchs der UP, eine „antiimperialistische Revolution“ mit der Unterstützung der „nationalen Bourgeoisie“ durchzuführen, kämpften alle bürgerlichen Parteien gegen sie – die einen, um sie zu stürzen, die anderen, um ihr Programm einzuschränken. Was haben wir denn denen noch zu sagen, die vor ihren Henkern niederknien? Die Stellungnahme der chilenischen KP fährt fort: „Am Tag des Putsches fand die „Operation Unitas“ vor der chilenischen Küste statt, an der nordamerikanische Flugzeuge und Schiffe beteiligt waren. „

Das ist richtig, aber es ist nur ein Teil der Wahrheit. Die Zeitung El Siglo (Das Jahrhundert), das offizielle Organ der chilenischen KP, erschien legal bis zum 11. September, Die „Operation Unitas“ war schon mehrere Tage im Gange und die Kommunisten hatten keinerlei Kampagne dagegen eingeleitet. Sie fand schon zum dritten Mal unter Allende statt und in der ganzen Zeit hatten nur unbedeutende kleine Gruppen (der MIR war nur im ersten Jahr in dieser Angelegenheit aktiv) gegen diese beschämende, von der UP gebilligte Kollaboration zwischen der chilenischen und der nordamerikanischen Marine, protestiert. Es ist jetzt etwas zu spät für die KP, Vorkommnisse anzuprangern, die damals gedeckt wurden, insbesondere auch, weil sie selbst die Polizei einsetzte, um kleine Demonstranten-Gruppen zu unterdrücken, die dagegen demonstriert hatten. Jetzt klagt die chilenische KP: „Was hat die PDC zu sagen? Was geschah mit ihrem Widerstand gegen jede antidemokratische Bewegung? Was geschah mit ihrer ehemaligen Unterstützung des politischen und ideologischen Pluralismus?“ Wieder einmal erleben wir wie Kommunisten versuchen, der Bourgeoisie Verhaltensregeln aufzudiktieren, anstatt ihrer leninistischen Rolle gerecht zu werden und den Massen geduldig zu erklären sich keine Illusionen über die Unterstützung der Demokratie durch die Bourgeoisie zu machen. Wieder einmal sind es die Kommunisten, die das liberale Gift versprühen und Illusionen in die bürgerlichen Parteien nähren – in einem Moment, wo dieselbe Bourgeoisie sich der Komplizenschaft am Mord von Tausenden ihrer Mitglieder schuldig macht.

Die Erklärung fährt fort: „Kalt und gelassen wurde der Beschluß darüber gefaßt, was zu tun sei.“ Wer beschloß aber, und wer ließ jenen die nötige Zeit? Waren es nicht die von Allende eingesetzten Kommandeure Pinochet und Leigh, die beschlossen, den Putsch durchzuführen? War es nicht Admiral Foribo Medina, von Allende ernannter Provinzialgouverneur von Valparaiso? War es nicht General Hermann Brady, Regionalchef während des Ausnahmezustandes und später von Allende berufener’Schlichte?‘ während des Transportstreiks? War es nicht Huerte, Allendes Minister ? War es nicht General Bravo, der heute damit beschäftigt ist, die Arbeiter und Bauern von Valdivia hinzuschlachten und der im Oktober 1972 während des Ausnahmezustandes von Allende zum Militärchef der Provinz Santiago ernannt wurde ? Ja, es waren diese Generäle. Für die gleichen Generäle hatte die KP eine geradezu hysterische Kampagne entfacht, mit der sie die Massen von der Treue dieser Männer zum Programm der Unidad Populär überzeugen wollte. Auf dem Höhepunkt dieser Kampagne hatte Allende sie in die Regierung aufgenommen. Von diesen Machtpositionen aus, die sie der Politik der KP verdankten, hatten sie Zeit und Möglichkeiten genug zur Vorbereitung des Massakers. Von diesen Positionen aus konnten sie vor dem Sturm auf die Moneda die Putschpläne bereits einfädeln – alles mit der stillschweigenden Komplizenschaft der Kommunistischen Partei.

Davon abgesehen: welche Politik schlägt die KP heute gegenüber den Streitkräften vor? Die KP fordert: „Nach alledem was geschah, hat das Volk das Recht, die Notwendigkeit für sich zu beanspruchen, eine neue Art der Streitkräfte und Polizei zu bilden, und wenigstens aus den militärischen Institutionen, den Carabineros und dem Geheimdienst alle faschistischen Elemente zu entfernen, so daß das, was in Chile geschah, niemals wieder geschehen kann.“

Nach alledem was geschah? Bedurfte es erst der verheerenden Niederlage der chilenischen Arbeiterbewegung, damit eine Partei, die sich selbst als Teil der internationalen kommunistischen Bewegung und als rechtmäßige Erbin der internationalen Arbeiterbewegung preist, zu dem Schluß kommen konnte, daß „ein neuer Typ von Streitkräften“ notwendig sei?

Um den chilenischen Arbeitern so viel Leiden zu ersparen, hätte es genügt, die Charakterisierung der Rolle der Armee im bürged ichen Staat zu beherzigen, wie sie wiederholt von der revolutionären Bewegung der Welt, Marxisten und Nicht- Marxisten, geleistet wurde. Dennoch zog es die chilenische KP vor, die Warnungen vereinzelter Rufer über die wahre Rolle der Streitkräfte in den Wind zu schlagen und als „ultralinks“ zu brandmarken; bis vor ein paar Tagen war es unmöglich, die Mitglieder der UP, die den Gebetsmühlen der KP geglaubt hatten, davon zu überzeugen, daß der Klassencharakter der Armee sich nicht geändert hatte, und daß die Soldaten keine „Freunde des Volkes“ sind. Am 11. September um 9 Uhr wies Allende noch die Massen an, die „Reaktion der patriotischen Soldaten abzuwarten.“

Aber es oll sich niemand der Täuschung hingeben, daß diese Erfahrung die Politik der „Kommunisten“ gegenüber dem Militär verändern wird. Was sie in der Tat wollen, ist, „wenigstens“ die „faschistischen Elemente“ aus der Armee zu entfernen. Als ob irgendjemand einen einfachen Offizier oder Unteroffizier heute nennen könnte, der kein Arbeiterblut an seinen Händen hat! Neue Kompromisse und neuer Verrat werden fortwährend vorbereitet. In ihrem letzten Abschnitt bekräftigte die Erklärung, daß „die politischen Linien und Aktivitäten der Ultralinken verheerenden Schaden verursachten“, obwohl sie nicht näher ausführen, welcher Art der Schaden war; wir werden weiter unten zeigen, wie ihre argentinischen Genossen die Unverschämtheit haben, die Bourgeoisie und das Militär als Unschuldslämmer hinzustellen, die von den „Ultralinken „ in das Lager der Konterrevolution getrieben wurden. Die Erklärung fährt fort:“Ebenso schadeten auch reformistische Tendenzen, die von Zeit zu Zeit in den Aktionen der UP selbst auftraten.“

Das klingt wirklich wie der Ruf nach der Feuerwehr nachdem das Haus abgebrannt ist.

Im weiteren fahren die „Kommunisten“ fort, alle wesentlichen Bestandteile ihrer reformistischen Politik zu verteidigen, nicht ohne zuvor beteuert zu haben,’‘Schwächen und Irrtümer nicht verbergen zu wollen*(die sie freilich wie gewöhnlich nicht näher bezeichnen): eine Versöhnung mit den Christdemokraten, Kampf für Produktionssteigerung und Arbeitsdisziplin usw., eine Politik, die die Arbeiterklasse vom Klassenkampf weggeführt und sie widerstandslos den Fängen des Feindes ausgeliefert hatte.

Die chilenischen Kommunisten kommen einmal mehr zu dem Schluß, „daß jetzt nicht der richtige Moment ist, die begangenen Fehler der Regierung und der UP als Ganzer und ihrer einzelnen politischen Strömungen zu diskutieren.“ Aber wann wird die „richtige“ Zeit sein? Wenn nach einer Niederlage dieses Ausmaßes die Arbeiterklasse nicht die Gründe, die sie herbeigeführt haben, diskutieren soll, so daß sie ihre Lehren daraus ziehen kann, um einem neuen Fiasko aus dem Wege zu gehen – ja, wann wird dann die Zeit kommen, um sie zu diskutieren ?

Die Wahrheit ist, daß die „Kommunisten“ niemals an einer ideologischen Auseinandersetzung interessiert sind, weil ihre Politik nur auf der Grundlage von Lügen und Entstellungen der geschieht – liehen Wahrheit aufrecht erhalten werden kann. Es gibt immer Vorwände, theoretische Auseinandersetzungen zu vermeiden. Zur Zeit des Kampfes ist die Entschuldigung immer die Notwendigkeit zur Einheit, in Augenblicken des Triumphes das Prestige, das der Erfolg mit sich bringt, zu Zeiten der Niederlage die Notwendigkeit zu gemeinsamem Widerstand usw. So kommt es, daß Leute, die keine feste theoretische Position haben, hinter der opportunistischen Politik hergeschleift wurden wie es dem MIR passierte, der im Juli 1972, als er die ideologische Auseinandersetzung mit der Politik der KP begann, insbesondere die Aktionen von Orlando Millas im Wirtschaftsministerium kritisierte, aber dann beschloß, die Debatte während der Oktoberkrise 1972 im Interesse der Einheit zu stoppen und nicht bemerkte, daß er auf diese Weise die opportunistische Politik erleichterte, die die bürgerliche Offensive begünstigte. Wir sagten, daß die argentinische KP, die sich nicht verpflichtet fühlt , den Massen eine Antwort für das chilenische Debakel zu geben, die Fehler ihrer Genossen jenseits der Anden auf die Spitze treibt. Der Chefredakteur von „Nuestra Palabra“, dessen Ton höchst unangemessen für eine Partei ist, die das „Banner des Kommunismus“ mehr als 50 Jahre trug, ohne auch nur einen Minimalen Einfluß in der Arbeiterklasse zu gewinnen, beginnt mit der Ankündigung, daß sie beabsichtige, eine Polemik gegen „Grüppchen“ zu führen; als ob die argentinischen „Kommunisten“ selbst irgend etwas anderes als eine kleine und unbedeutende Tendenz darstellten. Der Text geht unmittelbar dazu über, den chilenischen Fall als ein Beispiel dafür darzustellen, daß die Fehler der „Ultralinken“ die Konterrevolution begünstigten.

„Die Ultralinke erhebt, individuell oder als Gruppe, den Terror einzelner oder von Gruppen zur Kategorie einer zentralen oder grundlegenden Methode, in Situationen, die so verschieden sind, wie die Diktatur von Lanusse in Argentinien, die der Regierung *Torres in Bolivien, die der UP oder die von Peron; in dem sie das tun, distanzieren sie sich selbst vom Leninismus und entfremden damit die wirklichen und möglichen Verbündeten der Arbeiterklasse, wie sie es in Chile taten. „

„Sich vom Leninismus zu entfremden“ ist ein schwerer Vorwurf; aber das erste Kennzeichen eines Leninisten ist, daß er sich zur Geschichte wahrheitsgetreu verhält. Nach ihrer Darstellung wurden „die tatsächlichen oder möglichen Verbündeten der Arbeiterklasse“ durch den „Terrorismus“ abgeschreckt. Aber diese „Bündnispartner“ hatten eine andere Meinung. Man braucht nur die unzähligen Dokumente zu lesen, wie sie während ihrer Streiks gegen die Allende- Regierung von den kleinbürgerlichen gremios (Selbständige, Lastwagenbesitzer usw.) ausgegeben wurden, um zu sehen, daß sie die Politik der UP angriffen – wenngleich die UP alle erdenklichen Anstrengungen unternahm, diese Schichten für sich zu gewinnen – und nicht den Terrorismus der Ultralinken, der nur in den Vorstellungen des chilenischen Militärs und des Chefredakteurs von „Nuestra Palabra“ existiert.

Statt zu betonen, daß in den drei Jahren der Allende-Regierung als einzige die bürgerlich-faschistischen Gruppen zum Mittel des Terrorismus gegriffen hatten, – dafür trainiert, bewaffnet und geschützt von den Streitkräften – und daß gleichzeitig alle Revolutionäre ohne Ausnahme eine an den Massen orientierte Politik betrieben hatten – klagen diese als „Kommunisten“ verkleideten Agenten der Junta die „Ultralinke“ eines Terrorismus an, den diese zu keinem Zeitpunkt angewandt hat. Wenn diese Leute von der „Ultralinken reden, dann meinen sie in Wirklichkeit den MIR. Die Argentinische KP wagt es nicht, eine Aussage zu treffen, die die chilenische KP nicht machen würde, weil sie auf keinen einzigen Fall des individuellen oder Gruppenterrors des MIR in den letzten drei Jahren verweisen kann.

Nur die argentinische KP und die chilenische Junta besitzen die Frechheit, solche Verleumdungen zu verbreiten. „Nuestra Palabra“ schreibt: „Sie verstehen nicht, daß die gegenwärtige Etappe der Revolution in unserem Land keine sozialistische, sondern eine demokratische, agrarische und antiimperialistische ist, die letztendlich den Weg zum Sozialismus eröffnen wird. „ Wir möchten dem hinzufügen – ja, genau so war es in Chile! „Sie betrachten die Nationalbourgeoisie und das Kleinbürgertum als ihre Hauptfeinde und treiben sie, indem sie diese bekämpfen, in die Arme des Yankee-Imperialismus, der Großgrundbesitzer und des Militärs, – genau so wie in Chile geschehen.“ Die arme Lateinamerikanische Bourgeoisie, die von den bösen Ultralinken in die Arme des Imperialismus getrieben wird! Wenn die chilenische Erfahrung uns irgend etwas gelehrt hat, dann, daß alle Schichten der Bourgeoisie, ob Groß- oder Klein-, sich im Kampf gegen die Allende-Regierung ohne Zögern auf die Seite des Imperialismus stellten.

Während die Kommunisten in all ihren Artikeln und Reden wiederholten, daß die nationale Bourgeoisie ihr Verbündeter sei, mobilisierte dieselbe Bourgeoisie die Massen in den Straßen, spekulierte auf dem schwarzen Markt, bewaffnete terroristische Banden, ermordete militante Kommunisten, sabotierte die Revolution, paralysierte das Land, klopfte an die Türen der Kasernen an, blockierte gesetzgeberische Initiativen im Parlament und schuf die sozialen und politischen Bedingungen für den Putsch. Jeder, dessen Wahrnehmungsfähigkeit nicht durch Klasseninteresse getrübt ist, kann aus diesen Tatsachen die entsprechenden Schlüsse ziehen. Das Verhalten der chilenischen Bourgeoisie ist einmal mehr ein Beweis dafür, daß unsere Länder reif für die sozialistische Revolution sind und daß dies der einzige Weg ist, der uns die Zukunft weisen kann; jedermann kann sehen, wo der andere Weg, der „chilenische Weg zum Sozialismus“, endet. Nur Agenten einer der beiden Großmächte, die heute die Welt unter sich aufgeteilt haben und einander gegenseitig die einmal gewonnen Einflußzonen garantieren, sind dazu in der Lage, gegen die sozialistische Revolution unter dem Vorwand einer nicht imaginären „Zwischenetappe“ zu kämpfen. Die Kommunisten sprechen eine deutliche Sprache; es wäre gut, wenn alle Revolutionäre sie ein für alle Mal verstehen und mit dem naiven Glauben Schluß machten, die „Kommunisten“ seien „Verbündete“ in der sozialistischen Revolution. Es gilt, sie so zu sehen, wie sie wirklich sind – Feinde der Revolution, die immer und überall alles daran setzen werden, daß sich Katastrophen wie die chilenische wiederholen werden.

Der Chefredakteur von „Nuestra Palabra“ fährt fort: „Sie (die Ultralinke) nehmen gegenüber den Streitkräften wie den katholischen Massen die gleiche verhängnisvolle Hang ein und treiben diese so m einen einheitlichen Block mit den rechten Putschisten und den Pro-Imperialisten, genau so wie in Chile geschehen. „ Einmal mehr tritt ein kruder Psychologismus an die Stelle der Klassenanalyse: das Militär bildet mit dem Imperialismus einen gemeinsamen Block, weil es von der Ultralinken angegriffen wird. Derartige Behauptungen dienen lediglich den Interessen des Militärs und der Kirche. Im letzten Teil des Artikels macht „Nuestra Palabra“ soziologische Exkurse: „Der in jüngster Zeit eingetretene Verzweiflungszustand der Ultralinken hat zwei grundlegende Ursachen: die erste liegt darin, daß die Mittelschichten in den antiimperialistischen Kampf einbezogen wurden. „ Es lohnt sich daran zu erinnern, daß der Autor eine kleine Partei vertritt, die selber in keiner einzigen der bedeutsamen Gewerkschaften über nennenswerten Einfluß verfügt, die selber in keinem Teil der Arbeiterklasse verankert ist, und deren Mitglieder zu 80% den kleinbürgerlichen Kreditgenossenschaften angehören oder mit diesen indirekt verbunden sind und die das Haupteinflußgebiet der Partei darstellen. Einige Schichten des Kleinbürgertums haben sich ohne Zweifel über die Guerillas den antiimperialistischen Kämpfen angeschlossen, aber die Zahl derer, die das über die KP getan hat, ist wesentlich größer. Die KP bietet ihnen ein reformistisches und nationales Programm sowie Aktionsformen an, die in ihren Klasseninteressen durchaus entsprechen.

Der zweite Grund für den „Verzweiflungszustand der Ultralinken“ ist der „Auftrieb, den sie durch den Imperialismus erfährt, der in dieser Tendenz – ungeachtet ihres militanten Wortradikalismus – einen objektiven Verbündeten im Kampf um die Niederlage der Revolution sieht, „ Mit dieser Verleumdung beendet unser Redakteur seine tiefgründige Analyse und lehnt sich zurück, zufrieden über sein unerschütterliches „proletarisches und revolutionäres Bewußtsein“. Wir wollen damit schließen, ihm und seinesgleichen eine Frage zu stellen. Sind die schlimmsten Konterrevolutionäre nicht eben jene, die in einer für den Sozialismus überreifen Gesellschaft sich mit Pinochet und Konsorten im Namen einer eingebildeten „demokratischen, agrarischen und antiimperialistischen Revolution“ verbünden?


Abkürzungen

PDC: Partido Democráta Cristiano, Christlich-demokratische Partei; angeführt von Eduardo Frei, der von 1964-7o chilenischer Präsident war. Die Partei repräsentiert die städtische und industrielle Bourgeoisie. Ihr Kandidat in den Wahlen 1970, Radomiro Tomic, war ein Repräsentant ihres „linken“ Flügels.

PNI: Partido Nacional, Nationale Partei; sie repräsentiert die Gutsbesitzer und Handelskapitalisten und jene Industriellem die eng mit ausländischem Kapital verbunden sind. Sie bildete sich 1966 durch die Verschmelzung von liberalen und konservativen Parteien. Ihr Wahlkandidat 197o war Jorge Allesandri, Ex-Präsident und auf der extremen Rechten.

UP: Unidad Popular (Volksfront). Ein Wahlbündnis, das alle linken Parteien, außer dem MIR, zusammenfaßte. Ihr Wahlkandidat war Allende. Ähnliche Volksfronten waren zu den Wahlen 1954 und 64 angetreten.

PC: Partido Comunista, Kommunistische Partei Chiles (KP)

PS: Partido Socialista, Sozialistische Partei (PS); die andere neben der Kommunistischen Partei in der Arbeiterklasse verankerte Massenpartei. Allende war der Repräsentant ihres rechten Flügels. Die Partei hatten einen bedeutsamen linken Flügel, der oft in seinen Positionen dem MIR sehr nahe kam.

PR : Partido Radical, Radikale Partei. Eine Volkspartei der Mittelklasse mit einigem bedeutenden Einfluß in der Arbeiterklasse während der dreißiger Jahre. In der Volksfront der dreißiger und frühen vierziger Jahre bildete sie die Regierung, aber verlor danach an Einfluß. 1970 war sie eine kleine und einflußlose Partei.

MIR: Movimiento de Izquierda Revolucionaria, Bewegung der Revolutionären Linken; wurde 1965 gebildet, nachdem sich eine kleine Gruppe, hauptsächlich Studenten, von der SP im Jahre 1963 abgespalten hatte. Er war hauptsächlich in Concepcion verankert und dort besonders an der Universität; bis 197o verfolgt sie eine Politik nach dem Vorbild Che Guevara und arbeitete halblegal.

MAPU: Movimiento de Acción Popular Unitaria, Bewegung für einheitliche Volksaktion; Abspaltung von Christ- demokratis eher Partei 1969, weil Teile der Partei mit dem Ausverkauf des Agrarreformprogramms nicht mitmachen wollten; sie spaltete sich 1973 in einen rechten und einen linken Flügel.

OIC: Izquierda Cristiana de Chile, Organisation der christlichen Linken. Sie spaltete sich 1971 von der Christdemokratie ab. Eine kleine Gruppe, die linker ist als ihr Name klingt.

CUT: Central Única de Trabajadores. Die einzige Arbeitervertretung. Ungefähr mit der britischen TUC zu vergleichen.

SNA: Sociedad Nacional Agraria, Nationale agraische Gesellschaft. Eine Interessengruppe, die die großen Landbe- sitzerund agraischen Interessen umfaßt. Sie nahm eine kompromißlose Anti-Allende Position ein.


1AlainLabrousse, El experimento chileno. ¿Reforma o revolución? Editions du Seuil, Paris, 1972.

2RuyMauro Marini, El reformismo y la contrarrevolución. Estudios sobre Chile. Ediciones Era, Mexiko, 1976.

3GabrielSmirnow, La revolución desarmada. Chile 1970-1973. Ediciones Era, Mexiko, 1977.

4Mike Gonzalez übersetzte dieses Buch von Helios Prieto im Jahr 1974. Dieser Ausgabe (Chile: the gorillas were among us, Pluto Press, UK, 1974) fügte er einen einleitenden Essay von großem analytischen und dokumentarischen Wert hinzu. Es gibt eine spanische Version dieses Textes, Chile 1972-73. Revolución y contrarrevolución, die im Internet verfügbar ist.

5Iqulque war das Zentrum der Nitrat-Industrie in Chile, das die gesamte Industrie dominierte, bis die Entwicklung künstlicher Nitrate die Kupferindustrie zur mächtigsten Industrie werden ließ. Im Jahre 1907 gab es einen massiven Streik von Nitrat-Arbeitern, deren Löhne und Arbeitsbedingungen in dieser ausländischen hauptsächlich britischen) Enklave unerträglich waren. Sie marschierten nach Iquique und versammelten sich dort an der Schule „Santa Maria“. Dort eröffnete die Armee mit Maschinengewehren das Feuer und tötete fast 3000 Männer, Frauen und Kinder. Das Massaker von „Santa Maria de Iquique“ ist eines er brutalsten und unvergeßlichsten Ereignisse der Geschichte der Arbeiterbewegung in Chile.

(Diese und die folgenden Anmerkungen wurden von dem englischen Übersetzer, Mike Gonzales, beigefügt.)

6Allende gewann die Präsidentschaftswahlen im Jahre 1970 mit nur 36 % der Stimmen. Der Kongreß war immer noch von den Parteien der Rechten beherrscht, obwohl sie nicht die notwendige Zweidrittelmehrheit hatte, um Allende abzusetzen.

In dieser Situation kamen die PDC und Allende zu einem Abkommen, in dem die PDC Allende ihre Unterstützung zusagte, wenn er als Gegenleistung eine Reihe von Garantien unterschrieb, diese wurden in einem Garantiestatut niedergelegt und von Allende unterzeichnet; in diesen garantierte er die Freiheit der Presse, der Erziehungsinstitutionen, Nichteinmischung in die Angelegenheiten der Armee und der Kirche etc. Auf dieser Basis wurde er vom Kongreß zum Präsidenten gewählt.

7Der Wirtschaftsplan der UP hatte eine Wirtschaft zum Ziel, die aus drei Teilen bestehen sollte: der Bereich des gesellschaftlichen, des gemischten und des privaten Eigentums, Das gesellschaftliche Eigentum ( oder staatlich kontrolliertes) bestand aus den „Schlüsselindustrien der Wirtschaft“, die entweder enteignet (wie die Kupferindustrie) oder vom Staat aufgekauft (wie die Banken) werden sollten. Die UP ordnete diesem Bereich die dynamischste Rolle in der Wirtschaft zu, der sie mit dem notwendigen Kapital zur Finanzierung anderer Vorhaben versorgen sollte . Während dieser Bereich ursprünglich auf 15o Betriebe im Programm begrenzt war, führten aber dann die unabhängigen Aktionen der Arbeiter zu seiner beträchtlichen Ausweitung.

8Die Cordones waren Basisorganisationen von Arbeitern in Industriebezirken, die die Arbeiter aller Betriebe dieses Bezirks zusammenbrachten – mit dem Ziel der Organisierung der Produktion. Der erste Cordon wurde im Juli 72 gebildet, er bestand aber nur kurze Zeit. Diese Form der Basisorganisierung tauchte während des Oktoberstreiks wieder auf und dann wieder im Mai/Juni 73, als sie begannen ihre Funktionen auf Fragen der Verteidigung, Verteilung und auf einer sehr niedrigen Ebene auf die politische Organisierung auszudehnen.

9Das Transportwesen in Chile ist von entscheidender Bedeutung, in einem Land, das nur begrenzt Eisenbahnstrecken zur Verfügung hat und enorm große Entfernungen zwischen industriellen und landwirtschaftlichen Gebieten aufweist. Der LKW-Transport wird hauptsächlich von kleinen Betrieben abgewickelt, von denen jeder ein oder zwei Lastwagen besitzt. Im Oktober 72 und Juli 73 führten die Lastwagenbesitzer eine rechtsorientierte Offensive gegen die UP. Auf den Oktoberstreik reagierte die UP mit begrenzten Schritten der Verstaatlichung des LKW-Transportwesens.

10Gonzalez Videla war der Präsident der Volksfrontperiode von 1938-52, er war Mitglieder der Radikalen Partei,, Die Regierungskoalition, die er anführte schlos Mitglieder der KP ein. Mitte der vierziger 1 Jahre begann jedoch diese Koalition unter dem Druck der ökonomischen Schwierigkeiten und dem Beginn der imperialistischen Infiltration auseinanderzubrechen. Die gegensätzlichen Klasseninteressen kamen offen zum Ausdruck als Gonzalez Videla im Jahre 1947 das „Ley Maldita“ durchsetzte, das die KP verbot und ihre Militanten und viele prominente Gewerkschaftsananführer ins Gefängnis brachte.

11Comandos comunales versuchten die Produktion, Verteilung und die Verteidigung in den Arbeiterdistrikten unter einem einzigen vereinigten Kommando zu organisieren. Sie faßten die Organisationen Arbeiter, Mütter und Konsumenten etc. in jedem Distrikt zusammen.

12Der Controlaria General hat zwei Funktionen: einmal wacht er über die Regierungsausgaben, zum anderen ist er Gehilfe der Exekutive, mit der Aufgabe, sicherzustellen, daß Entscheidungen der Verfassung nicht widersprechen, m diesem Sinne handelt es sich hier eindeutig um eine konservative Bastion. Sein Vorsitzender ist der C o n t r o lor General.

13Der Interventor ist der von der Regierung ernannte Verwalter jener Betriebe, die von der Regierung kontrolliert wurden.

14„Miguelitos“ ist die ironische Bezeichnung von ‚Waffen“, die massenweise während der Bauernkriege verwandt wurden. Zwei Hufeisen werden rechtwinklig zusammengeschweißt und mit den Spitzen nach oben hingelegt, sodaß jeder, der darauf tritt, verletzt wird.

15Operation Unitas ist die Bezeichnung für ein alljährlich stattfindendes gemeinsames Manöver der amerikanischen und der chilenischen Flotte.

16Der Plan der Schulreform war bekannt geworden unter dem Namen ENU (die nationale Einheitsschule). Es war der Versuch, das chilenische Ausbildungssystem zu rationalisieren, zu vereinheitlichen und ihm eine berufsorientierte Richtung zu geben. Man kann dabei kaum von revolutionärer Umformung reden, aber die Kirche, die Armee und der rechte Flügel reagierte hysterisch. Der Plan wurde von der UP-Regierung auch wieder ohne viel Aufsehen fallengelassen und dem Parlament niemals nicht einmal als formalen Antrag, vorgelegt.

17Das Gesetz der Christdemokraten zur Landreform, das dem Kongreß zum ersten Mal 1967 vorgelegt, aber erst Ende 1969 verabschiedet worden war, sah eine Veränderung der Besitzstruktur auf dem Lande vor. Zu jener Zeit war das Land in große, nicht ausgelastete; Ländereien, die einer kleinen Minderheit gehörten, aufgeteilt. Der PDC-Plan sah vor, eine neue Klasse kleiner und mittlerer Bauern auf der Basis von Produktionskooperativen zu schaffen. Der Plan traf auf die entschlossene Feindschaft der alten Agrarinteressen, die in der Nationalpartei verkörpert waren. Tatsächlich wurde während der Regierungszeit von Frei wenig Land umverteilt. Das Gesetz bildete die Basis für Allendes Agrarprogramm.

18Einige Monate vor dem Staatsstreich fing das Wort „Djakarta“ an, auf Mauern und auf schwarzgeränderten Karten zu erscheinen, die mit der Post zugestellt wurden. Die Idee dazu ging von Elementen der äußersten Rechten aus. Es war eine Kampagne, die eine „Endlösung“ in der Art propagiert, wie sie 1965 in Indonesien nach dem Sturz Sukarnos stattfand und zur Niedermetzelung einer halben Million Kommunisten und dem linken Flügel angehörender Leute führte.

19Die Männer waren alle Anführer antiimperialistischer Volksbewegungen in Lateinamerika in den dreißiger Jahren. Zu dieser Zeit kündigte die Entstehung solcher Bewegungen in ganz Lateinamerika die Wiederherstellung der Abhängigkeitsverhältnisse nach der ökonomischen Krise in den zwanziger Jahren an, die katastrophale Auswirkungen auf den ganzen Kontinent hatte. Diese Volksbewegungen errichteten stärkere Nationalstaaten, suchten einen größeren Anteil des Profits ihrer eigenen nationalen Bourgeoisie zukommen zu lassen und durch ihre Demagogie gewannen sie die Arbeiterklasse und die Bauern zur Unterstützung der Mittelklassen und ihrer Politik.

]]> [AW2024] Bericht aus Prag https://panopticon.blackblogs.org/2024/08/19/aw2024-bericht-aus-prag/ Mon, 19 Aug 2024 09:39:05 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5983 Continue reading ]]>

Gefunden auf der Seite von Tridni Valka, die Übersetzung ist von uns.


[AW2024] Bericht aus Prag

Über die Aktionswoche und den Antikriegskongress / Prag / 20. bis 26. Mai 2024 /.
„Gemeinsam gegen die kapitalistischen Kriege und den kapitalistischen Frieden“.

Erster kurzer Versuch, eine Bilanz eines Experiments zu ziehen, das voller Versprechungen war … sich aber als organisatorisches Fiasko herausstellte.

ALS EINE ART „PRÄAMBEL“.

Versetzen wir uns zunächst in den Kontext. Es war ein Herbstabend, wir waren ein paar Gefährtinnen und Gefährten, die sich um einen Tisch versammelt hatten, um ein paar Gerichte zu essen, die stundenlang gekocht hatten, ein paar lokale Biere oder andere alkoholfreie Getränke zu genießen (je nach Geschmack und Wahl), und wir diskutierten wild über die neuesten Entwicklungen des Krieges in der Ukraine, die Ereignisse in Israel und Gaza, und ganz prosaisch über den zunehmenden Kurs in Richtung eines allgemeinen Krieges. Abgesehen von und gegen alle geostrategischen Analysen der Bourgeoisie und der extremen Linken des Kapitalismus betonten wir unsererseits vor allem die Notwendigkeit, sich zu organisieren und zu koordinieren, kurz gesagt, eine echte revolutionäre und defätistische Aktivität gegen den kapitalistischen Krieg und den kapitalistischen Frieden auf internationaler Ebene zu zentralisieren!

Wir planten daher ein internationales Treffen zwischen verschiedenen Gruppen und Gefährtinnen und Gefährten, die wir bereits kannten und mit denen wir schon eine Reihe von Aufgaben praktisch übernommen hatten: internationale Diskussionen, Übersetzung verschiedener programmatischer, aber auch Agitations- und Propagandamaterialien, Herausgabe und Verbreitung zahlreicher Beiträge usw. ohne jeglichen sektiererischen und parteipolitischen Geist. Ein maximal zweitägiges Treffen an einem Wochenende erschien uns nicht nur angemessen für diese Art von Treffen, sondern auch für die geringen militanten Kräfte, die wir und, wie wir annehmen, auch andere Gefährtinnen und Gefährten in dieser Periode haben, in der das Proletariat noch nicht die Initiative ergriffen hat und in der es nur wenige konsequente revolutionäre Minderheiten gibt, die vom Rest unserer Klasse sehr isoliert sind.

Aber schon bald begannen die Gefährtinnen und Gefährten, die diese Veranstaltung in Prag organisieren wollten, „größer“ zu denken (zu groß, wie wir später herausfinden werden)… Zu dem ursprünglichen internationalen Treffen kamen nun eine („kleine“) anarchistische Buchmesse und ein ‚Willkommenskonzert‘ hinzu. Wir sind also bereits bei drei Veranstaltungen angelangt, d. h. einem Abend und zwei vollen Tagen.

Wir versuchen auch sehr schnell zu reagieren und das hervorzuheben, was wir für uns und die Bedürfnisse der Militanten, die wir treffen wollen, als wesentlich erachten. Wir schrieben den Gefährtinnen und Gefährten, die die Initiative für die Organisation ergriffen hatten, Folgendes:

Was für uns am wichtigsten an eurem Vorschlag ist, ist die „nicht-öffentliche Konferenz“, d.h. eine praktische Diskussion darüber, wie man defätistische revolutionäre Aktivitäten organisieren kann.

Von dieser Diskussion erhoffen wir uns Folgendes:

  • dass sie zur Festigung und Organisierung der revolutionären und Klassenkräfte beiträgt und die Möglichkeiten für Aktionen im Kampf gegen den Krieg und im Klassenkampf allgemein erhöht ;
  • dass sie uns hilft, unsere Antwort auf den Krieg als Angriff des Kapitals auf das Proletariat zu koordinieren – gemeinsame Flugblätter und gleichzeitige Agitationskampagnen, Austausch von Informationen und Vorschlägen, Beziehungen und praktische Aktionen ;
  • dass sie uns hilft, unser Klassenprogramm weiter zu verdeutlichen, nicht nur im Hinblick auf den Kampf gegen den kapitalistischen Krieg, sondern auch im Hinblick auf den Kampf für die Verwirklichung des kommunistischen Projekts der menschlichen Gemeinschaft, von dem er ein integraler Bestandteil ist.

Wir halten es für notwendig, dass nur Individuen und Gruppen an dieser „Konferenz“ teilnehmen, die die vorgeschlagenen Programmpunkte nicht nur unterstützen, sondern sie vor allem auch in ihrer Praxis umsetzen. Uns geht es nicht um eine theoretische Einigung über bestimmte Punkte, sondern um die praktische Tätigkeit der individuellen Teilnehmer.

Was klar ist, und heute kritisieren wir uns dafür mehr denn je, ist, dass wir nicht entschlossen genug waren, um das Notwendige durchzusetzen und das Überflüssige, das Nebensächliche abzulehnen, wir haben zu viel zugelassen und die Struktur der Gefährtinnen und Gefährten ihren Weg „im Leerlauf“ fortsetzen lassen. Und dann kam der Plan einer „Aktionswoche“ mit verschiedenen Aktivitäten über mehrere Tage verteilt und immer eine „nicht-öffentliche Konferenz“ als Abschluss. Als Bonus wollten die Organisatoren sogar zu einer Demonstration auf der Straße aufrufen. Wir dachten uns, wenn wir (unsere kleine militante Struktur) nicht in der Lage sind, solche Veranstaltungen zu organisieren, dann sind es wahrscheinlich (mehr als wahrscheinlich, dachten wir) die Gefährtinnen und Gefährten, denen wir vertrauten… Die Entwicklung, die die Ereignisse nahmen, bewies uns das genaue Gegenteil…

Wir wollen hier nicht auf die Zweifel eingehen, die in uns aufkeimten, als wir uns dem schicksalhaften Datum des Beginns der „Aktionswoche“ näherten. Wir bekamen alarmierende Berichte von Organisatorentreffen, und Gefährtinnen und Gefährten, die glaubten, dass wir das Event organisierten (da wir die verschiedenen Einladungen, Aufrufe und Klarstellungstexte auf unserem Blog veröffentlicht und über unsere Mailinglisten weitergeleitet hatten), kontaktierten uns und baten uns um eine Antwort auf ihre Fragen, z. B. über den Empfang vor Ort, die Sicherheit und die versprochenen Unterkünfte, die diese Gefährtinnen und Gefährten erhalten hatten. Wir konnten ihnen nur antworten, dass wir die Organisatoren ansprechen würden, damit sie mit ihnen in Kontakt treten und den Organisationsprozess etwas beschleunigen würden. All das, auch wenn es nicht so aussieht, hat auch uns viel Zeit und Energie gekostet, die wir für andere zentrale Aktivitäten hätten aufwenden können.

Um diese „Präambel“ abzuschließen, möchten wir auch mit den unzähligen Gerüchten aufräumen, die sowohl vor als auch während der „Aktionswoche“ über uns in Umlauf gebracht wurden, vor allem aus Kreisen der sogenannten „kommunistischen Linken“ (aber nicht nur, auch einige „Anarchistinnen und Anarchisten“ waren Teil dieses Tratsches!), in denen behauptet wurde, dass unsere Gruppe (Tridni valka) die Organisatoren der Ereignisse in Prag seien. Einige behaupteten sogar, sie hätten die „manipulative unsichtbare Hand“ unserer Struktur hinter den „Organisatoren“ gesehen… All dies ist völlig und zweifellos FALSCH und gehört zur reinsten Phantasmagorie, die dazu zwingt, die praktische Bewegung zur Abschaffung der alten Welt zu betrachten und sie zu spalten, indem man die Kategorien unserer Feinde benutzt: auf der einen Seite die Manipulierten und auf der anderen die Manipulierenden, oder auch auf der einen Seite die Massen und auf der anderen die Anführer, etc. ad nauseam.

Der Gipfel der Dummheit in diesem Bereich ist wahrscheinlich die GIGC (die selbsternannte „Groupe International de la Gauche Communiste – Internationale Gruppe der Kommunistischen Linken“), die in ihrer Zeitschrift über den „Antikriegskongress“ großspurig erklärt: „ Die treibende Kraft scheint die revolutionäre Gruppe Klassenkrieg zu sein – auch bekannt unter ihrem tschechischen Namen Tridni Valka -, die mehr oder weniger aus der Internationalistischen Kommunistischen Gruppe (IKG) hervorgegangen ist oder von ihr beeinflusst wurde “. Danke für all diese Informationen, die die Geschichte sicherlich als sehr „wichtig“ bewerten wird, die aber die praktische Organisation revolutionärer Aktivitäten nicht ein Jota voranbringen; wir sehen aufrichtig und wirklich keinen Sinn darin, diese einseitigen Behauptungen und Fabulierungen zu verbreiten, außer die polizeiliche Version der Geschichte zu nähren und diejenigen zu denunzieren, die wir uns vorstellen, hinter jeder Aktion unserer Klasse im gigantischen Kampf für ihre Selbstemanzipation zu stehen.

WAS IST MIT DER „AKTIONSWOCHE“ ?

Kommen wir nun zur „Aktionswoche“ selbst und zum „Antikriegskongress“ zurück. Wenn wir uns von Anfang an zu keinem Zeitpunkt als Organisatoren dieser Veranstaltungen gesehen haben (aus den bereits oben genannten Gründen), so müssen wir uns über unsere Rolle bei der Organisation klar sein: Was haben wir getan? Nicht mehr (oder weniger), aber auch nicht weniger als das, was unsere täglichen Aufgaben und militanten Aktivitäten ausmacht: Lektüre und Kritik der verschiedenen Beiträge, Diskussionen auf internationaler Ebene, Übersetzung und/oder Verbreitung der betreffenden Dokumente, Hilfe bei ihrer Online-Stellung, Hilfe bei der Einrichtung von Mailinglisten zur Vorbereitung der Diskussionen auf dem Kongress usw. Kurz gesagt, nichts Außergewöhnliches, wenn man bedenkt, was wir normalerweise tun und was unserer Meinung nach das Minimum dessen darstellt, was heute zu tun ist.

Von Anfang an hatten wir die Organisatoren angesichts unserer geringen Kräfte gewarnt, dass sie nicht mit uns rechnen sollten für mehr als das, was wir hier in aller Kürze wiedergegeben haben, dass unsere Anwesenheit während der „Woche“ auf das Wochenende beschränkt sein würde, hauptsächlich für die nicht-öffentliche Versammlung des „Antikriegskongresses“ am Sonntag. Als wir ankamen, waren die Würfel bereits gefallen, als bekannt wurde, dass die Organisatoren die für die Wochenendaktivitäten gemieteten Räumlichkeiten nicht mehr zur Verfügung hatten… Und was wir dann sahen, d. h. ein solches Maß an Desorganisation, hat uns gelähmt oder zumindest erschreckt.

Wir wollen hier entschieden sagen, dass die „Aktionswoche“ aus unserer Sicht, aber auch aus der Sicht vieler anderer Gefährtinnen und Gefährten, eine totale Katastrophe, ein Fiasko, war, was die Organisation der Ereignisse betrifft. Die Organisatoren, oder besser gesagt das falsch benannte „Organisationskomitee“, waren unter aller Kanone und nicht in der Lage, wirklich Verantwortung zu übernehmen. Im Moment konzentrieren wir uns auf eine wahrscheinliche Überschätzung der tatsächlichen Fähigkeiten der Gefährtinnen und Gefährten, die sich selbst eine Perspektive gaben, die sie nachweislich nicht erfüllen konnten.

Darüber hinaus haben verschiedene Strukturen der sogenannten „kommunistischen Linken“, die übrigens nicht eingeladen waren, sondern sich selbst eingeladen haben (was wir uns hier zu kritisieren ersparen werden!), offensichtlich nichts unternommen, um „mit einem blauen Auge davonzukommen“, so sehr sie auch daran interessiert waren, einerseits ein „anarchistisches“ Experiment des Internationalismus in die Brüche gehen zu sehen und andererseits zu versuchen, Militante auf der Suche nach Zusammenhalt zu rekrutieren. Ganz zu schweigen von den schmutzigen Denunziationen, die der Okhrana und der Tscheka zusammen würdig sind (siehe unser Postskriptum weiter unten)!

Eine Gruppe von internationalistischen Gefährtinnen und Gefährten, die nicht an den „Vergnügungen“ der letzten Tage teilgenommen hatten, die bereits einen Teil des „Organisationskomitees“ kannten und deren Vertrauen genossen, machten sich daran, das Ruder herumzureißen – „als unsichtbare Lotsen im Volkssturm“, wie Bakunin es ausdrückte. All dies geschah inmitten des Getöses und der Beschimpfungen, die von allen Seiten während der von einigen hochtrabend als „selbstorganisierte Vollversammlung“ bezeichneten Veranstaltung kamen, die uns in der Tat wie eine Art Vogelscheuche erschien, die unter der Hauptleitung einiger Gruppen, die sich als „kommunistische Linke“ bezeichneten, einer Gruppe von Leninisten und anderen Bolschewiki, sowie einigen ihrer mehr oder weniger anarchistischen Anhänger, die vorgaben, einen Parallelkongress zu organisieren, welches aus dem Hut gezaubert wurde. Nach den Ereignissen wurde zeitweise sogar von „zwei Kongressen“ gesprochen!

Kurzum, diese internationalistischen Gefährtinnen und Gefährten, von denen wir anfangs sprachen, ermöglichten trotz der Beleidigungen und Beschimpfungen, trotz der herrschenden Lynchatmosphäre, dass am nächsten Tag, am Samstag, ein Teil des Programms der öffentlichen Sitzung des Antikriegskongresses“ an einem zwar kleinen, aber dennoch sicheren Ort stattfinden konnte, zumindest glaubten wir das. Zwei Vorträge von Gefährtinnen und Gefährten vom Balkan (Antipolitika) und aus Deutschland (AST) führten zu interessanten Diskussionen gegen den Krieg und den kapitalistischen Frieden; Begegnungen von Gefährtinnen und Gefährten, die sich nicht immer persönlich kannten, waren sehr herzlich und begeisternd; Perspektiven für zukünftige Aktivitäten konnten aufgezeigt werden…

Wir müssen nun auch einen Moment auf die „Entschuldigungen“ und „Vorwände“ zurückkommen, die von den „Organisatoren“ in Bezug auf die „Sabotage“ durch pro-ukrainische tschechische Regierungs-„Anarchistinnen und Anarchisten“ vorgebracht wurden; „Vorwände“, die uns absolut nicht zufrieden gestellt haben. Zunächst einmal ist das Wort „Sabotage“ semantisch gesehen vom „Sabot“ abgeleitet, d. h. von den Holzschuhen, die die Arbeiter trugen und die sie in die Maschinen warfen, um sie zu zerstören. Somit sind die „Saboteure“ aus programmatischer Sicht auf der höchsten Abstraktionsebene nicht sie, sondern wir! Es ist das revolutionäre Proletariat, das durch seine kompromisslosen Kämpfe die Ökonomie sabotiert, wir sind es, die den kapitalistischen Krieg (und seinen Frieden!) sabotieren werden, wenn sich das Kräfteverhältnis infolge der subversiven Aktion unserer Klasse zu unseren Gunsten verändert. Natürlich haben diese sogenannten Anarchistinnen und Anarchisten schon oft ihr wahres Wesen bewiesen: Sie sind Reformer des Kapitals, „alternative“ Sozialdemokraten, die „radikaler“ sind als die offiziellen, sie sind die extremen linken und sogar ultralinken Fraktionen des Kapitalismus und seiner Demokratie – ad nauseam! Und sie hatten bereits mehrfach Gelegenheit, in der Vergangenheit und sogar in der jüngsten Vergangenheit ihre wahren Fähigkeiten zur Schädlichkeit gegenüber jeglicher Äußerung, Manifestation des wahren Internationalismus zu beweisen, der allen Verteidigern dieser alten, verrotteten, sterbenden Welt ins Gesicht explodiert (nicht so sehr, wie wir im Moment hoffen, leider!). Aber es hieße wieder einmal, in die Falle des Mythos der Demokratie zu tappen, wenn man sich vorstellte, dass man auf internationaler Ebene eine echte revolutionäre und defätistische Aktivität gegen den kapitalistischen Krieg und Frieden organisieren, koordinieren und zentralisieren könnte, ohne dass die kapitalistischen Kräfte (sein Staat, seine Polizei, seine Gewerkschaften/Syndikate, seine Sozialdemokratie, ad nauseam…) reagieren, uns unterdrücken, uns unsere Versammlungsorte verbieten usw. Die Organisatoren sind also nicht die einzigen, die sich in der Lage sehen, eine solche Aktivität zu organisieren und zu koordinieren. Die „Organisatoren“ waren darauf nicht vorbereitet, und schließlich waren wir es in gewisser Weise auch nicht, trotz all der starken Vorbehalte, die wir im Vorfeld geäußert hatten. An dieser Stelle ist ein Wort zum Thema Demokratie notwendig…

MYTHOS UND FETISCHISMUS DER DEMOKRATIE

Wir möchten an dieser Stelle einen grundlegenden Punkt ansprechen, der die Demokratie und ihre Diktatur über unser Leben und unsere Aktivitäten betrifft, oder vielmehr die permanente Bruchlosigkeit gegenüber der Demokratie. Demokratie kann keineswegs auf jene Formen und Kategorien reduziert werden, die vulgär von allen akzeptiert werden: Wahlrecht, Versammlungsrecht, Pressefreiheit, Legalisierung von Parteien und Gewerkschaften/Syndikate, ad nauseam. Aus der Sicht der historischen Kritik der Kommunistinnen und Kommunisten ist die Demokratie vor allem die soziale Diktatur des Kapitals, der Ware, des Weltmarkts, des sich verwertenden Werts… Sie ist die praktische Negation des unversöhnlichen Antagonismus zwischen zwei sozialen Klassen, den Besitzern der Produktionsmittel und den Enteigneten der Existenzmittel… Die Demokratie ist auch das giftige Gift, das in jeden unserer Kämpfe, unsere Aktivitäten und sogar in unsere militanten Strukturen eindringt. Die Demokratie steht schließlich für die Bildung falscher Gemeinschaften: die der Nation, des „souveränen Volkes“, des Geldes… gegen die einzige befreiende Gemeinschaft: die Gemeinschaft des proletarischen Kampfes, die die wahre menschliche Gemeinschaft, das Gemeinwesen, ankündigt! Das bedeutet, dass der Kampf gegen die Demokratie „permanent“ sein wird, d.h. solange die kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse existieren, und erst mit der endgültigen Zerstörung dessen, was uns täglich zerstört, enden wird.

Um auf Prag zurückzukommen, haben einige von uns nach unserer Ankunft und angesichts des Chaos„, das sowohl von den „Organisatoren“ als auch von der so genannten „selbstorganisierten Vollversammlung“ entwickelt wurde, direkt auf diese entscheidende Frage hingewiesen: die Fetischisierung der Demokratie. Wir organisieren uns gegen das Kapital und seine Kriege und können uns daher nicht darauf verlassen, dass das Kapital und seine Demokratie uns in Ruhe unsere Aktivitäten strukturieren lassen, uns die „Meinungsfreiheit“ oder das „Versammlungsrecht“ garantieren, die „unterzeichneten Verträge“ einhalten etc. Zum einen sind dies Konzepte, die der kommunistischen Bewegung fremd sind, und zum anderen wendet das Kapital sie nur dann à la carte an, wenn es ihm passt, um seine Herrschaft zu bestätigen, aber niemals, wenn es bedroht ist (oder sich bedroht fühlt). Die „Organisatoren“ haben sich zu sehr auf die Demokratie (und ihre einschläfernde Atmosphäre) verlassen, um die Aktion so ablaufen zu lassen, wie sie war, sie haben sich zu sehr darauf verlassen, dass die demokratischen Kräfte nicht gegen uns vorgehen würden, was sie im Übrigen auch sind: die verschiedenen repressiven Kräfte, die Polizei, die Geheimdienste, die ukrainische (oder auch russische) Botschaft und ihre Avatare, die NATO, die defensiven und bellizistischen „Anarchistinnen und Anarchisten“, ad nauseam. Kurz gesagt, die „Organisatoren“ waren zu offen, zu demokratisch, zu konziliant, zu naiv, was unfreundlichen Kräften die Möglichkeit gab, sich einzumischen. Für die Zukunft und die Entwicklung zukünftiger subversiver Aktivitäten müssen wir uns mehr denn je bewusst sein, dass es sich tatsächlich um einen sozialen Krieg, eine Klassenkonfrontation handelt, und die Mittel, Formen und Maßnahmen dementsprechend wählen…

Ein Beispiel unter vielen für diese (zumindest) Naivität der „Organisatoren“, das wir hier mit dem Finger aufzeigen und kritisieren müssen, ist die Sicherheit der Veranstaltungen. Abgesehen von der Unfähigkeit der „Organisatoren“, etwas wirklich Praktisches zu organisieren, wie z. B. einfach nur den Empfang und die Unterbringung der Teilnehmer (obwohl sie sich vorgenommen hatten, die logistischen Probleme zu lösen), gab es während der gesamten „Aktionswoche“ ein großes Problem mit der Sicherheit der Teilnehmenden. Wir werden nicht über die Identitätskontrollen durch die tschechische Polizei bei der Montagsdemonstration sprechen, da wir nicht dabei waren. Aber es reicht natürlich nicht aus, Slogans wie „No photography“, „No video recording“ an die Wände und in den Blog zu schreiben, damit dies auch tatsächlich so geschieht. Die „Eskapaden“ eines pro-ukrainischen tschechischen Think Tanks auf dem Gelände des „Antikriegskongresses“ sind das beste Beispiel und der Beweis dafür, wie wirkungslos es ist, große Proklamationen über „Sicherheit“ zu machen, ohne die realen und praktischen Mittel zu haben, sie zu gewährleisten, und wie unfähig wir derzeit sind (angesichts unserer schwachen Kräfte und der Situation des Klassenkampfes in Tschechien und sogar in Europa), eine solche öffentliche Veranstaltung zu organisieren oder daran teilzunehmen, die für alle offen ist, mehr oder weniger.

WEN EINLADEN UND WEN NICHT EINLADEN?

Wir möchten hier eine Frage von relativer Wichtigkeit ansprechen. Bei der Vorbereitung der gesamten „Aktionswoche“ und unsererseits vor allem der nicht-öffentlichen Sitzung des „Antikriegskongresses“ stellte sich natürlich die Frage, wen man einladen sollte und wen nicht. Oft haben sich die Organisatoren an uns gewandt und uns gefragt, was wir von einer bestimmten Gruppe oder Organisation halten und ob es sich lohnt, sie für diese oder jene Ebene der Veranstaltungen einzuladen. Es gibt eine Sache, die uns von einigen sehr kritisiert wurde: Warum waren die „großen“ Strukturen und Organisationen der so genannten „kommunistischen Linken“ nicht zur „Aktionswoche“ willkommen, ja, warum wurden sie überhaupt nicht eingeladen? Wir möchten zunächst klarstellen, dass wir uns generell gegen ALLE ideologischen Familien („Anarchismus“, „Marxismus“, „Kommunismus“, „Rätekommunismus“ usw.) wenden, aber in diesem Fall und in diesem Kapitel richten wir unsere Kritik insbesondere an die selbsternannte „kommunistische Linke“.

Zunächst einmal stimmen wir nicht mit der Terminologie „Linkskommunismus“ überein, die zur Bezeichnung der revolutionären Kräfte verwendet wird, die aus der Periode 1917-21 hervorgegangen sind, obwohl es sich dabei um eine historische Bezeichnung handelt, die die historische Materialisierung der Brüche mit der Sozialdemokratie einschließt. Diejenigen, die von der Konterrevolution als „Linkskommunisten“ bezeichnet werden, sind größtenteils die wahren und einzigen authentischen Kommunisten aus dieser Periode. Sie haben programmatisch (trotz der gängigen, von der revisionistischen Geschichtsschreibung aufgezwungenen Terminologie) nichts mit denen gemeinsam, gegen die sie sich in Wirklichkeit während ihres gesamten Kampfes ständig gewehrt haben.

Die Tatsache, dass Lenin (und hinter ihm andere rot angemalte Sozialdemokraten, die „kommunistische“ Rhetorik verwendeten) darauf beharrte, die Praxis der Kommunistinnen und Kommunisten als „Kinderkrankheit“ und die Kommunistinnen und Kommunisten selbst als „Anarchistinnen und Anarchisten“, „Linke“, „Anti-Parteien“ usw. zu denunzieren, ist nur ein Beweis für die zunehmende und klarere Unterscheidung zwischen der konterrevolutionären Politik der Bolschewiki und den revolutionären Ausdrucksformen, die weiterhin gegen die Strömung des Zentrismus kämpften.

Die Definition des Begriffs „Kommunist“ wird, wie Marx sagte, nicht durch das bestimmt, was ein Militanter über sich selbst sagt, sondern durch das, was er tut, d. h. also durch seine tatsächliche kommunistische Aktion in Bezug auf historische Perspektiven.

Es gibt keinen Kommunismus der „Linken“, genauso wenig wie es einen Kommunismus der „Rechten“ oder der „Mitte“ gibt. Der Kommunismus definiert sich in und durch die revolutionäre Praxis von Männern und Frauen, die für die Zerstörung des Staates kämpfen und sich somit auf den Standpunkt der Zerstörung der Armee, der Nationen, der kapitalistischen Verwaltungsorgane, des Kapitals und der Arbeit usw. stellen.

Es ist nicht ohne Grund, dass die Linke der Sozialdemokratie so hartnäckig diejenigen als „infantil“ und „krank“ denunziert hat, die sich ihrer Politik des Wiederaufbaus und der Verwaltung des Staates widersetzten, die den revolutionären Krieg gegen Friedensabkommen mit der Bourgeoisie befürworteten, die gegen Entrismus in den Gewerkschaften/Syndikate und gegen revolutionären Parlamentarismus kämpften. Die Sozialdemokraten – und wir sprechen hier in historischen und nicht formalen Begriffen, in Begriffen von Kräften, die über ihre Bezeichnung hinaus praktisch die Reform der Welt übernehmen! – beabsichtigten sich den Titel „Kommunist“ (ohne weitere Bezeichnung) anzueignen, weil dies zu einem Zeitpunkt, als die Revolution auf der Tagesordnung stand, der beste Weg war, sich vor all jenen zu schützen, die ihre Praxis des Staatsumbaus als konterrevolutionäre Praxis anprangern würden.

Und da sie den revolutionären Charakter der Aktionen derjenigen, die sich ihnen widersetzten, nicht leugnen konnten, schrieben sie kommunistischen Militanten das Adjektiv „links“ zu, um sie als „krank“ und „infantil“ zu bezeichnen sowie um auf einer politischen Linie zu bleiben, auf der kein qualitativer Bruch zu erkennen ist, nicht einmal in der Terminologie.

Wenn wir manchmal Pleonasmen wie „revolutionäre Kommunisten“, „internationalistische Kommunisten“ oder sogar die Verzerrung „Linkskommunismus“ verwenden, obwohl wir die Terminologie unserer Feinde nicht akzeptieren, dann nur deshalb, weil das Gewicht der von Stalinisten und anderen rechten oder linken Bourgeois umgeschriebenen Geschichte wie alle Ideologien eine Kraft ist, die sich im Laufe der Jahrzehnte der Konterrevolution materialisiert hat. Wir müssen zu solchen sprachlichen Tricks greifen, um uns von all jenen zu unterscheiden – und das sind viele! – die in der Tat unsere Flaggen, Banner und Mottos gewaltsam geplündert haben.

Um es klar zu sagen: Es versteht sich von selbst, dass unsere programmatischen historischen Referenzen bei allen Militanten, Gruppen, Organisationen und Strukturen zu finden sind, die mit größter Entschlossenheit die Brüche mit der gesamten Ideologie und Praxis der Sozialdemokratie, einschließlich ihrer „Extreme“, vorangetrieben haben. Ob diese Brüche nun „kommunistische Linke“ oder „revolutionärer Anarchismus“ oder was auch immer heißen mögen … Aber wir lieben den Kommunismus als Projekt, als Bewegung, als Dynamik, als totale Subversion dieser Welt und des Bestehenden, als menschliche Gemeinschaft … zu sehr, um uns auf irgendeine „Linke“ zu berufen, die nur ein trauriges und trostloses Spiegelbild davon ist.

Um auf die „konkreteren“ Aspekte der Frage zurückzukommen, sagen wir klar und deutlich, dass keine Organisation, die offen zu einer der ideologischen Familien gehört, die zwar keine echten Internationalisten (in dem Sinne, wie wir es verstehen!) sind, sich aber dennoch auf internationaler Ebene organisieren und de facto „Internationalisten“ darstellen, den Kampf des Proletariats einrahmen wollen (sei es die besagte „kommunistische“ oder „marxistische“ Familie oder auch die „anarchistische“), nicht eingeladen wurden: Weder die CCI1 (Courant Communiste International), noch die TCI2 (Tendance Communiste Internationaliste), noch all ihre Ableger, noch die verschiedenen PCInt3 (Parti Communiste International), noch die IAA4 (Association Internationale des Travailleurs), noch die IFA5 (Internationale des Fédérations anarchistes), ad nauseam….

Für uns ging es nicht um Sektierertum, sondern darum, Kriterien festzulegen, um eine konstruktive Diskussion zu ermöglichen und Fortschritte bei der Aufgabe zu machen, den revolutionären Defätismus zu fördern und seine Entwicklung als Teil der proletarischen Bewegung zu unterstützen. Wir möchten betonen, dass wir eine echte Diskussion brauchen und nicht nur die Beiträge der anderen anhören, ohne zu einem gemeinsamen Punkt gelangen zu können.

Wir betrachteten die „Aktionswoche„ (bzw. die nichtöffentliche Sitzung des „Antikriegskongresses“ und ursprünglich sogar das internationale Treffen, wie wir es uns vorstellten) nicht als den Tag X, sondern als einen Moment im Prozess der Stärkung, Entwicklung und Konsolidierung der defätistischen revolutionären Gemeinschaft, wobei diese Gemeinschaft nicht erst aufgebaut werden muss, sondern bereits historisch präexistent ist und aus dem fruchtbaren Boden der Klassengesellschaften und der Notwendigkeit, sie abzuschaffen, hervorgeht. Ein Prozess, der den Austausch von Texten und Kritik, Diskussionen, die Organisation konkreter Aktionen, die Kontinuität der Gemeinschaft usw. umfasst, kurzum das genaue Gegenteil von dem, was uns die Linke und extreme Linke des Kapitals auf ihren Konferenzen und Kongressen gewohnt hat… Eine schonungslose Kritik des „Konferenzismus“ ‚ und des „Kongresstums“ ist mehr denn je notwendig und grundlegend…

Was wir uns erhofften (und weiterhin fördern), ist der Aufbau stärkerer Beziehungen im Lager des revolutionären Defätismus und, wenn möglich, das Erreichen eines gewissen Grades an programmatischer Zentralisierung bei gleichzeitiger Beibehaltung einer gewissen Dezentralisierung der Aktionen.

Leider (oder prosaischer hic et nunc!) können wir die „defätistischen“ Praktiken von Gruppen der so genannten „Kommunistischen Linken“ nicht so interpretieren, dass sie dieses Ziel verfolgen.

Basierend auf den Aktivitäten einiger Gruppen haben wir eher den Eindruck, dass ihr Ziel nicht der Aufbau einer echten Kampfgemeinschaft (die programmatisch zentralisiert, aber nicht unbedingt praktisch ist) ist, sondern der Aufbau einer „Partei“, noch dazu einer Massenpartei. Beispielsweise können wir in den Aktivitäten der Kollektive und der Plattform No War but the Class War den Versuch sehen, eine Art „Mindestprogramm“ zu schaffen, dem sich möglichst viele anschließen können, ohne dass es die Partikularismen der verschiedenen Elemente verschärft; insofern können wir darin nichts anderes als Rekrutierungsbüros erkennen. Wir können in diesen Praktiken gewisse Zugeständnisse an diejenigen sehen, die programmatisch nicht klar sind, damit sie ihren Aktivitäten eine Massendimension verleihen können. Wir für unseren Teil wollen genau das Gegenteil tun.

Natürlich haben wir nicht erwartet, dass alle zur „Aktionswoche“ eingeladenen Gruppen auf dem gleichen programmatischen Niveau sind, wir sind uns durchaus bewusst, dass die Kapitalismuskritik einiger Organisationen nicht in gleicher Weise entwickelt und vertieft wird. Aber unsere Hoffnung war, dass sie durch Diskussionen und gemeinsame Praxis ein höheres, dialektischeres und damit radikaleres Niveau des Verständnisses der Realität der auf Ausbeutung basierenden Welt erreichen und damit die Möglichkeit eines gemeinsamen Kampfes eröffnen.

Eine weitere Sache, die wir nicht gutheißen können, ist das Bemühen von Gruppen der so genannten „kommunistischen Linken“, so genannte „theoretische“ Diskussionen den Diskussionen über den tatsächlichen und praktischen Kampf der defätistischen revolutionären Bewegung vorzuziehen. Ihr methodischer Ansatz basiert zweifellos auf der Annahme, dass wir uns zuerst über den Ursprung des Krieges einigen sollten – der für die meisten von ihnen die Dekadenz des Kapitalismus zu sein scheint -, bevor wir irgendetwas anderes diskutieren.

Für uns sollte es keine Trennung zwischen einer sogenannten „theoretischen“ und einer „praktischen“ Diskussion geben. Was uns interessiert, ist in der Tat eine Diskussion darüber, wie man konkret gegen den kapitalistischen Krieg und den kapitalistischen Frieden kämpfen kann, was wir praktisch dagegen tun können. Und im Rahmen einer solchen Diskussion werden notwendigerweise auch theoretische und programmatische Fragen auftauchen und behandelt werden. Kurz gesagt, wir ziehen es vor, von der Praxis zur Theorie zu gehen, während es für alle diese Gruppen genau umgekehrt zu sein scheint.

Das hat die meisten dieser „großen“ Organisationen der sogenannten „kommunistischen Linken“ nicht daran gehindert, sich selbst einzuladen und noch mehr Chaos in das von den „Organisatoren“ hinterlassene Chaos zu bringen, kurz gesagt, der den „Organisatoren“ selbst innewohnenden Desorganisation noch eine ernsthafte Schicht der Desorganisation hinzuzufügen. Wie ein Gefährte, der vor Ort sehr aktiv war, sagte: Ihre Aktivitäten, die Kontrolle zu übernehmen oder zumindest ihre Agenda festzulegen, wurden durch das Chaos, das durch die Desorganisation verursacht wurde, erheblich verstärkt“.

Kurz vor der Aktionswoche, genauer gesagt am 1. Mai, veröffentlichte die TCI einen Blogeintrag, in dem sie ankündigte, dass sie entweder direkt oder über ihre Satellitenstrukturen wie die No War but the Class War-Kollektive nach Prag kommen würde. Darin hieß es unter anderem: „der Aufruf der Prager Aktionswoche im Wesentlichen nicht von den fünf grundlegenden Punkten, die wir von der Initiative „No War but the Class War“ (NWBCW) vertreten. […] Keiner der im Aufruf zur Aktionswoche in Prag benannten Punkte widerspricht den grundlegenden Zielen der NWBCW. In der Tat könnten wir diese fünf Punkte durchaus erweitern, um die acht Punkte von Prag (siehe unten) einzubeziehen“6.7

Einige, die sich selbst als „kommunistische Linke“ bezeichneten, wiesen darauf hin, dass keine der eingeladenen „anarchistischen“ Gruppen den Kriterien entsprach, die in den „acht Punkten“ entwickelt worden waren, während die Gruppen der „kommunistischen Linken“ dies taten. „Die ursprüngliche Einladungsliste enthielt etwa 60 Namen, die meisten von ihnen Anarchisten, Anarchokommunisten, Kommunisten und Schwarze Blöcke, die einem oder mehreren der Kriterien entsprechen konnten. Es fehlten die Namen von linken, italienischen oder deutsch-niederländischen, leninistischen Kommunisten mit internationalistischen Positionen, die alle Kriterien erfüllten.“ Auf diese Art von Argumenten antworten wir, wie wir bereits zuvor per Brief geantwortet hatten, dass zwar „theoretische Positionen“ diesen Kriterien entsprechen können, dass es aber eher die tatsächliche Praxis der Organisationen ist, die sich auf eine ideologische politische Familie berufen (hier im vorliegenden Fall und zur Erinnerung: die besagte „kommunistische Linke“), die sich nicht mit den in dem fraglichen Dokument vorgebrachten Punkten deckt.

Zum Beispiel: Es ist vor allem ihre „Position“ (und ihre tatsächliche Praxis) zu Lenin und den Bolschewiki und ihre gesamte Politik des Wiederaufbaus des Staates und der nationalen Ökonomie in Russland, der Repression von Streiks und proletarischen Kämpfen, die weniger mit dem vierten als vielmehr mit dem siebten Punkt übereinstimmt, nämlich:

  • Diejenigen Individuen und Gruppen, die gegen die Politik der „Verteidigung der nationalen Ökonomie“ und der „Aufopferung für die Kriegsökonomie“ kämpfen, diejenigen, die die Expansionstaktik der eigenen Bourgeoisie nicht akzeptieren, selbst wenn sie einem ökonomischen, politischen oder militärischen Angriff ausgesetzt sind.
  • An alle, die in ihrer Praxis erkennen, dass das Proletariat kein Vaterland zu verteidigen hat. Unser Feind sind nicht die in die Schützengräben getriebenen Proletarier auf der anderen Seite der Front, sondern die Bourgeoisie – in der Praxis vor allem die Bourgeoisie „im eigenen Land“, „unsere eigene“ Bourgeoisie, die unsere Ausbeutung direkt organisiert.

Insgesamt fordern oder befürworten alle Gruppen der so genannten „kommunistischen Linken“ den Vertrag von Brest-Litowsk (der ein echter Dolchstoß in den Rücken der Proletarier sowohl in Russland als auch in Deutschland und Österreich-Ungarn war – ein „Verrat“, wie manche sagen!), was im krassen Gegensatz zu dem steht, was wir unter revolutionärem Defätismus verstehen (in Punkt 6):

  • An alle, die den bourgeoisen Krieg in einen revolutionären Krieg verwandeln wollen, einen Krieg zwischen Staaten in einen Kampf um die Zerstörung aller Staaten.

Um die Frage von Brest-Litowsk und der Abkommen/Beziehungen, die das Proletariat mit seinem Klassenfeind entwickeln/unterhalten könnte, etwas zu vertiefen, sei nur gesagt: Nie und nimmer könnte irgendeine „proletarische Macht“, wie die Bolschewiki sich fälschlicherweise seit Oktober in Russland rühmten, eine solche bleiben, wenn sie Abkommen verhandelt, diskutiert, unterzeichnet, die gegen unsere Klasseninteressen gerichtet sind. Wenn eine „proletarische Macht“ sich mit dem bourgeoisen Staat an den Verhandlungstisch setzt (egal, welche formellen Vertreter ihm gegenüberstehen), dann hat der bourgeoise Staat bereits gewonnen und die „proletarische Macht“ verliert ihre subversive Substanz, wenn sie überhaupt eine solche hat. Wenn der Staat der Kapitalisten mit dem Proletariat „verhandelt“, dann bedeutet das, dass unser Kampf, unsere Offensive bereits sehr stark im Niedergang begriffen ist, dass wir in der Defensive sind, in der Klemme, dass wir bereits verloren haben… Der bourgeoise Staat „verhandelt“ mit uns nur, um uns besser und endgültig zerschlagen zu können…

Und wir wollen hier nicht über andere Meinungsverschiedenheiten sprechen, die wir mit den Gruppen der so genannten „kommunistischen Linken“ haben, wie ihre Beanspruchung (revendication) der Zimmerwald-Konferenz von 1915. Insgesamt ging es bei diesem Treffen von Pazifisten hauptsächlich darum, sich außerhalb der offiziellen Sozialdemokratie zu organisieren, aber nicht gegen sie; dieses Treffen führte zu spektakulären Reden und aufsehenerregenden Erklärungen, aber nicht zu einem wirklichen Bruch mit den Methoden, Praktiken und Programmen der Sozialdemokratie.

Und was die so genannte „Zimmerwalder Linke“ betrifft, so diente die Anwesenheit kommunistischer Militanter in diesem Chaos letztlich nur als radikale Bürgschaft, als Rekrutierungsbüro, um wirklich proletarische Äußerungen wieder in die Spur einer Sozialdemokratie zu bringen, deren Fassade man nur abgewetzt hatte. Kein Wunder also, dass praktisch alle Organisationen der so genannten „kommunistischen Linken“ heute ein „neues Zimmerwald“ machen wollen, das passt perfekt zu ihnen. Schließlich können wir, um Rosa Luxemburg (!!!) zu paraphrasieren, die Aktivitäten dieser „Zimmerwalder Linken“ grundsätzlich so zusammenfassen: „besser ein schlechter Zimmerwald als gar kein Zimmerwald“!

Die bolschewistische Partei und Lenin selbst haben das konterrevolutionäre und pazifistische Programm der Internationale und ihrer verschiedenen Mitgliedsparteien aktiv gefördert. Dies steht im Gegensatz zum fünften Punkt:

  • An alle, die sich nicht als Pazifisten, sondern als Revolutionäre verstehen. An alle, die keinen bourgeoisen Frieden anstreben, in dem die Ausbeutung unserer Arbeitskräfte unter etwas anderen Bedingungen weitergehen kann.

Darüber hinaus verteidigt die besagte „kommunistische Linke“ (mehr oder weniger, je nach den von jeder dieser Organisationen bevorzugten Nuancen) die Position der III. Internationale in der Kolonialfrage. Dies steht auch nicht im Einklang mit dem dritten Punkt:

  • Diejenigen, die nicht eine Fraktion der Bourgeoisie gegen die andere unterstützen, sondern gegen jede von ihnen kämpfen. Diejenigen, die die klassenübergreifenden Fronten nicht verteidigen oder an ihnen teilnehmen.

FASSEN WIR DIE EREIGNISSE IN PRAG KURZ ZUSAMMEN.

Es gab zwei verschiedene Ebenen mit ebenso verschiedenen Inhalten.

Auf der einen Seite gab es die „Aktionswoche“ mit Demonstrationen, Happenings und anderen „Feierlichkeiten“, die im Bereich des Spektakels blieben. Die Grundidee der Organisatoren war es, den revolutionären Defätismus sichtbarer zu machen, mit den kriegsbefürwortenden Anarchistinnen und Anarchisten zu konkurrieren und sich als „Anziehungspunkt für Unentschlossene“ anzubieten. Aber all das erwies sich als Illusion und vor allem als kontraproduktiv angesichts unserer schwachen Kräfte. Wir kritisierten die Organisatoren in diesem Sinne und machten deutlich, dass eine solche Veranstaltung keine Demonstration der Existenz der Antikriegsbewegung, der Bewegung gegen die kapitalistische Ausbeutung im Allgemeinen, sein kann, da diese Bewegung nur in Ansätzen existiert und sich derzeit auf einige verstreute Minderheiten in der ganzen Welt beschränkt. Wir haben auch betont, dass Revolutionäre diese Bewegung auf keinen Fall schaffen können. Sie können (und wollen) dem Proletariat keinerlei Bewusstseinsbildung bringen, denn diese kann nur aus den materiellen Bedingungen, in denen sich das Proletariat befindet, und aus dem Kampf unserer Klasse gegen diese Bedingungen entstehen. Die Aufgabe der Kommunistinnen und Kommunisten ist es, den unveränderlichen Inhalt, den wirklichen unmittelbaren Kampf der Arbeiterklasse gegen die Ausbeutung, der sich hinter den mehr oder weniger klaren Manifestationen des Proletariats verbirgt, zu entdecken, ihn mit anderen Kämpfen in der Gegenwart und in der Vergangenheit zu verbinden und ihn zu verallgemeinern. Wir erinnerten sie auch daran, dass unsere Aufgabe und unser einziges Interesse die potenzielle Stärkung der bereits existierenden defätistischen revolutionären Kräfte ist, die willens und in der Lage sind, sich sowohl programmatisch als auch praktisch dem Krieg zu widersetzen.

Wir haben nicht an diesen Veranstaltungen teilgenommen und haben zu keinem Zeitpunkt (auf unserem Blog, unseren Mailinglisten usw.) dieses Aktivitätsniveau gefördert, im Gegenteil, wir haben es kritisiert (leider allzu oft „privat“!). Gleichzeitig waren wir nicht stark genug, um den Organisatoren unsere Meinung aufzuzwingen und sie davon zu überzeugen, diese mehr als anekdotischen Veranstaltungen nicht zu veranstalten.

Andererseits gab es den „Antikriegskongress“ (oder die Konferenz oder das internationale Treffen), eine Veranstaltung, die wir für äußerst wichtig hielten und die wir öffentlich als Versuch propagierten, unsere defätistischen revolutionären Aktivitäten zu organisieren und zu zentralisieren, unsere bereits und vorab bestehende Kampfgemeinschaft zu stärken, die unter anderem (und soweit es die wenigen Minderheiten betrifft, die sich bereits kennen) auf der Praxis verschiedener Gruppen, auf gemeinsamen Diskussionen und praktischen Aktivitäten beruht. Für uns bestand der Zweck dieses internationalen Treffens wirklich darin, zu versuchen, ein gewisses Maß an Zentralisierung und Formalisierung der bestehenden Praktiken zu erreichen und zu versuchen, sie auf eine bestimmte Materialisierung auszurichten: eine gemeinsame Kampagne gegen den Krieg, wie wir in unserem Beitrag zur Mailingliste spezifiziert haben. Dies ist auch das, was wir in Prag zu entwickeln und zu fördern versucht haben. Die Zukunft wird zeigen, ob unsere Versuche vergeblich waren oder ob sie etwas Nützliches für den proletarischen Widerstand gegen den Krieg und für den sozialen Frieden hervorbringen werden.

In einer sehr brüderlichen Kritik, die wir einige Tage vor der „Aktionswoche“ erhielten, sagten uns Gefährtinnen und Gefährten über unsere Hoffnung, durch diese Aktion „unsere Isolation überwinden“ zu können, folgendes: „Es gibt keine Abkürzungen, es gibt keine magischen Formeln, es ist der unmittelbare Kampf des Proletariats gegen die Ausbeutung, für die Verteidigung seiner materiellen Bedürfnisse und die Entwicklung dieses Kampfes, der die Substanz liefert, die den Organisationsprozess des Proletariats ausmacht und die Aktionen der revolutionären Minderheiten bestimmt. Das Durchbrechen der Isolation – auf allen Ebenen – entwickelt sich nur in diesem Prozess, als Entwicklung des proletarischen Assoziationismus, alles andere gehört in die Welt des Spektakels und dient nur dazu, die verschiedenen Versuche unserer Klasse, sich zu organisieren, abzulenken und zu neutralisieren. Es ist wie der Mythos einiger Strömungen der Vergangenheit, die glaubten, dass der Aufruf zum Generalstreik die Grundlage sei, um die Revolution einzuleiten.

Das ist absolut richtig und wir stimmen dieser Ansicht voll und ganz zu. Wir sind uns der Tatsache bewusst, dass wir weder eine Anti-Kriegs-Bewegung schaffen noch den Krieg stoppen können. Aber das bedeutet nicht, dass wir tatenlos auf die Entwicklung des Klassenkampfes warten sollten. In dem Maße, wie der Bruch mit den gesellschaftlichen Verhältnissen des Kapitals nur auf Minderheiten beschränkt ist, müssen wir die Elemente organisieren, die durch ihre Praxis den Bruch mit dem Kapital zum Ausdruck bringen, wir müssen unsere Positionen klären, die Lehren aus den gegenwärtigen und vergangenen Kämpfen des Proletariats, wir müssen die Erfahrungen zusammenfassen, die in der Entwicklung der Revolution und der Konterrevolution gesammelt wurden. Wir sind als kämpfende Klasse und Ausdruck dieses Prozesses ein integraler Bestandteil des Proletariats und müssen die realen und praktischen Aufgaben der subversiven Bewegung übernehmen, auch wenn wir wissen, dass die materiellen Folgen unserer Aktivität im Moment vernachlässigbar sind.

Schlussendlich zeigen uns die Ereignisse in Prag (um den Renegaten Lenin umgekehrt zu paraphrasieren), „was (nicht) tun“! Von Anfang an wollten wir kein öffentliches Treffen organisieren, geschweige denn eine Demonstration (um wem was zu beweisen!?), eine Buchmesse und verschiedene damit verbundene Aktivitäten, die unter dem Label „Aktionswoche“ zusammengefasst werden. Was uns wichtig war (und ist), ist die Notwendigkeit, uns zu koordinieren, unsere Aktivitäten mit anderen militanten Strukturen zu zentralisieren, nicht „nur“ gegen den Krieg und den sozialen Frieden, sondern um wirklich am vitalen Prozess, an der elementaren Dynamik der Umwandlung des kapitalistischen Krieges und Friedens in eine weltweite soziale Revolution, in eine Revolution für die Abschaffung der kapitalistischen Gesellschaftsverhältnisse, in eine Revolution für den Kommunismus teilzunehmen!!!

Und um dies zu erreichen, bleibt ein nicht-öffentliches internationales Treffen von Gruppen und Strukturen, die sich bereits kennen und gemeinsam handeln, heute eine Notwendigkeit, die wir weiterhin mehr denn je betonen. Ohne Schminke und ohne Werbung, ohne vorherige donnernde Erklärung!!!

ALS POSTSKRIPTUM

Nach diesem riesigen organisatorischen Fiasko war es zu erwarten, und wir haben es erwartet: Die Neo-Torquemadisten haben wieder zugeschlagen, oder besser gesagt geifern, wie man es besser ausdrücken sollte, in diesem Fall durch diese Eiterbeule der Arbeiterklasse, die die unbedeutende kleine paranoide Sekte namens CCI darstellt. Wir können in der Tat den faulen Atem der Lehrmeister riechen, all diese Aasgeier, die nach den Ereignissen in Prag gelacht haben und zum vorletzten Mal kommen, um uns ihre düsteren Ratschläge zuzuflüstern, gemischt mit einigen Phrasen demagogischer Bewunderung, als gute „Bankräuber der Revolution“ (so Bordiga), die sie sind. Und es sind immer noch dieselben Geier, die seit Jahrzehnten über den Leichen der von der Repression massakrierten Proletarier kreisen und kichern: „Sie hätten nicht zu den Waffen greifen sollen“ (Plechanow).

Wenn es sich dabei nur um schäbige, verbitterte Kommentare von als Revolutionäre verkleideten sozialdemokratischen Hyänen handeln würde, könnte man sie ignorieren und mit einer festen Handbewegung an ihren Bestimmungsort zurückschicken: die Mülltonnen der Geschichte. Aber noch einmal, und das seit mehr als vierzig Jahren, wenn der CCI es sich erlaubt, von seinen ideologischen Kanzeln und den Balkonen des politischen Spektakels sein sententiöses Geplapper zu verbreiten, sind es immer die bösartigen Intrigen, die Verleumdungen, die Denunziationen und letztendlich die polizeiliche Version der Geschichte, die triumphieren. Zitieren wir also ein letztes Mal die giftige Galle dieser todbringenden Kapos aus ihren jüngsten Erklärungen zu den Ereignissen in Prag: „Was die Position des offiziellen Komitees zur Sicherheit betrifft, sollten wir auch darauf hinweisen, dass Tridni Valka eine gewisse Kontinuität mit dem Groupe Communiste Internationaliste behauptet, obwohl es in der Vergangenheit einige unausgesprochene Meinungsverschiedenheiten zwischen ihnen gab und die GCI als solche nicht mehr existiert. Aber die GCI war eine Gruppe, die einen sehr gefährlichen und destruktiven Kurs verfolgte – vor allem ein Flirt mit dem Terrorismus [Hervorhebung durch die Redaktion], der eine ernste Gefahr für die gesamte revolutionäre Bewegung darstellte.[8] Dazu gehörte eine Art Tarnkappenstrategie, die Tridni Valka anscheinend übernommen hat und die sicherlich zur Desorganisation der Woche und dem Misstrauen beigetragen hat, das viele der Teilnehmenden ihnen gegenüber entwickelten.“ Amen!

Die CCI kann, wie andere ähnliche Sekten, die Aktivitäten von Revolutionären nur als „Verschwörungen“ verstehen und anprangern. Aber verschwören heißt atmen, wie das Sprichwort sagt, und wir für unseren Teil behaupten laut und deutlich, gegen alle Versuche, unsere Klasse zu fesseln, die internationale Verschwörung des Proletariats! Ja, wir verschwören uns, wie „Dampf und Elektrizität sich gegen den Status quo verschwören“ (wie Marx sagte), wir verschwören uns „wie die Sonne gegen die Dunkelheit“ (idem)… Auf jeden Fall ist es sehr wahrscheinlich, dass die tschechischen (und anderen) Staatssicherheitsdienste sich über diese Art von „Enthüllungen“ und „Informationen“ über die angeblichen Verbindungen unserer Gruppe „zum Terrorismus“ freuen werden. Vielen Dank an die Spitzel des CCI, der sich besser in CCI-B umbenennen sollte, mit einem B für „Bolschewik“, aber vor allem für „Verräterinnen und Verräter“!8 Verdammte VERRÄTERINNEN UND VERRÄTER!!!


1A.d.Ü., Internationale Kommunistische Strömung.

2A.d.Ü., Internationalistische Kommunistische Tendenz.

3A.d.Ü., Internationale Kommunistische Partei.

4A.d.Ü., Internationale ArbeiterInnen-Assoziation.

5A.d.Ü., Internationale der Anarchistischen Föderationen.

6Zur Erinnerung: Die „Acht Punkte“, die erklären, an wen der Prager Appell gerichtet war, können auf dem Blog von Action Week gelesen werden: https: //actionweek.noblogs.org/francais/, sowie auf unserem eigenen Blog: https: //www.autistici.org/tridnivalka/semaine-daction-prague-20-26-mai-2024/.

7A.d.Ü., zitiert von An die InternationalistInnen die an der Prager Aktionswoche teilnehmen.

8A.d.Ü., in der englischen und in der französischen Version werden die Begriffe Betrayer (Verräterin und Verräter) und Balance (Rate) verwendet. Wie entschieden uns für erstere Möglichkeit.

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