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Gefunden auf woke anarchists, die Übersetzung ist von uns.


Gegen Anarcho-Liberalismus und den Fluch der Identitätspolitik

25. November 2018

Der Anarchismus in Großbritannien ist ein Witz. Einst ein Symbol für hart erkämpfte Freiheit, wurde das Wort entblößt, um Platz für engstirnige, separatistische und hasserfüllte Identitätspolitik von Aktivisten der Mittelklasse zu machen, die ihre eigenen Privilegien schützen wollen. Wir schreiben dieses Flugblatt, um den Anarchismus von diesen Identitätspolitikern zurückzufordern.

Wir schreiben als selbsternannte Anarchistinnen und Anarchisten, die unsere Wurzeln in den politischen Kämpfen der Vergangenheit sehen. Wir sind Antifaschist*innen, Antirassist*innen, Feminist*innen. Wir wollen ein Ende aller Unterdrückungen und wir beteiligen uns aktiv an diesen Kämpfen. Unser Ausgangspunkt ist jedoch nicht die dichte Sprache linksliberaler Akademiker, sondern der Anarchismus und seine Prinzipien: Freiheit, Zusammenarbeit, gegenseitige Hilfe, Solidarität und Gleichheit für alle. Machthierarchien, wie auch immer sie sich manifestieren, sind unsere Feinde.

Identitätspolitik ist Teil der Gesellschaft, die wir zerstören wollen.

Identitätspolitik ist nicht befreiend, sondern reformistisch. Sie ist nichts anderes als ein Nährboden für aufstrebende Identitätspolitiker aus der Mittelklasse. Ihre langfristige Vision ist die vollständige Eingliederung traditionell unterdrückter Gruppen in das hierarchische, wettbewerbsorientierte Gesellschaftssystem, das der Kapitalismus ist, und nicht die Zerstörung dieses Systems. Das Endergebnis ist der Regenbogenkapitalismus – eine effizientere und ausgefeiltere Form der sozialen Kontrolle, bei der jeder die Chance bekommt, eine Rolle zu spielen! Eingeschlossen in den „sicheren Raum“ von Gleichgesinnten, entfernen sich Identitätspolitiker zunehmend von der realen Welt.

Ein gutes Beispiel ist die „Queer-Theorie“ und wie sie sich an die Herren der Gesellschaft verkauft hat. Vor nicht allzu langer Zeit war der Begriff „queer“ etwas Subversives, das auf eine undefinierbare Sexualität hindeutete, auf den Wunsch, den Versuchen der Gesellschaft zu entkommen, alles zu definieren, zu untersuchen und zu diagnostizieren, von unserer geistigen Gesundheit bis hin zu unserer Sexualität. Da der Begriff jedoch wenig klassenkritisch ist, wurde er von Identitätspolitikern und Akademikern leicht übernommen, um ein weiteres exklusives Etikett für eine coole Clique zu schaffen, das ironischerweise alles andere als befreiend ist. In zunehmendem Maße ist „queer“ ein nettes Abzeichen, das sich einige aneignen, um so zu tun, als seien auch sie unterdrückt, und um zu vermeiden, dass ihre beschissene, bourgeoise Politik angeprangert wird.

Wir wollen nichts über das nächste DIY-Event, die nächste queere Nacht oder das nächste Fest im besetzten Haus hören, das alle ausschließt, außer denen, die die richtige Sprache, Kleiderordnung oder soziale Kreise haben. Kommt wieder, wenn ihr etwas wirklich Sinnvolles, Subversives und Gefährliches für den Status quo habt.

Identitätspolitik ist engstirnig/beschränkt, exklusiv und spaltend. In einer Zeit, in der wir mehr denn je über unsere eigenen kleinen Kreise hinausgehen müssen, geht es bei der Identitätspolitik nur darum, nach innen zu schauen. Das ist wahrscheinlich kein Zufall. Sie behauptet zwar, es ginge um Inklusion, ist aber höchst ausgrenzend und teilt die Welt in zwei große Gruppen ein: die unbestreitbar Unterdrückten und die von Natur aus Privilegierten. In der Praxis gibt es kaum Grauzonen, und der Konflikt zwischen diesen beiden Gruppen wird ständig geschürt.

Wir haben verstanden, dass es nicht nur um die Klasse geht, aber wenn wir uns nicht zusammentun können, um zu erkennen, wer wirklich die Macht innehat, dann haben wir nicht die geringste Chance, etwas zu erreichen. Wenn ihre Vision wirklich die der Befreiung aller wäre, dann wäre ihre Politik nicht eine Politik der Spaltung, die ständig eine Gruppe gegen eine andere ausspielt, ähnlich wie im Kapitalismus und Nationalismus. Dinge, die die einfache Unterscheidung zwischen Unterdrückten und Privilegierten verwässern, wie persönliche Lebenserfahrungen oder Traumata (die sich nicht einfach mit der Identität als Mitglied einer unterdrückten Gruppe zusammenfassen lassen), oder Dinge, über die zu sprechen den Menschen unangenehm ist, wie psychische Gesundheit oder Klasse, werden von Identitätspolitikern oft geflissentlich ignoriert.

Das gilt natürlich auch für den offensichtlichsten Punkt: dass die Probleme, mit denen wir konfrontiert sind, weit über Queerphobie oder Transphobie hinausgehen, sondern das ganze verdammte System der planetarischen Versklavung, Zerstörung, Ausbeutung und Gefangenschaft betreffen. Wir wollen niemanden im Gefängnissystem sehen, egal ob es sich um schwarze Transfrauen oder weiße Cis-Männer handelt (die übrigens die überwiegende Mehrheit der Gefangenen in Großbritannien ausmachen). Es ist nicht verwunderlich, dass eine Politik, die auf einer solchen Ausschließlichkeit beruht, zu ständigen internen Auseinandersetzungen und gegenseitigen Feindbildern führt, insbesondere wenn man bedenkt, wie anfällig sie für die Ausbeutung durch identitätspolitische Manager der Mittelschicht ist.

Die Identitätspolitik ist ein Instrument der Mittelklasse. Sie wird von wortgewandten, gut ausgebildeten Gruppenvertretern schamlos eingesetzt und missbraucht, um ihre eigene Macht durch Politik, Dogmen und Mobbing zu festigen und zu erhalten. Der bequeme Hintergrund dieser Aktivisten wird nicht nur durch ihre akademische Sprache verraten, sondern auch durch ihr Anspruchsdenken und ihre Zuversicht, die Zeit und Energie anderer Aktivisten zu nutzen, um den Fokus auf sie und ihre Gefühle zu lenken. Ein Mangel an Arbeitsethik, eine gewisse Zerbrechlichkeit und die Beschäftigung mit Sicherheit und Sprache anstelle von materiellen Bedingungen und sinnvollen Veränderungen sind weitere Aspekte, die den Klassenhintergrund vieler Identitätspolitiker offenbaren.

Dies zeigt sich darin, wie leicht es diesen Individuen fällt, andere Menschen bei der geringsten Abweichung von dem von ihnen einseitig auferlegten Verhaltenskodex „zurechtzuweisen“, wobei sie davon ausgehen, dass jeder so denken sollte wie sie oder die Zeit haben sollte, dies zu lernen. Damit ignorieren sie die Realität des täglichen Klassenkampfes.

Es besteht eine falsche Gleichsetzung zwischen der Mitgliedschaft bei den zweifellos Unterdrückten und der Zugehörigkeit zur Arbeiterklasse. Im Gegenteil, viele der fraglos Unterdrückten vertreten eher liberale Werte, die in der kapitalistischen Ideologie verwurzelt sind, als dass sie wirklich befreiend wären.

Eine Politik, die auf der richtigen Sprache und dem Zugang zum richtigen Ton und den richtigen Codes beruht, ist von Natur aus ein Instrument der Unterdrückung. Sie ist mit Sicherheit nicht repräsentativ für diejenigen, für die sie zu sprechen vorgibt, die am unteren Ende der Gesellschaft stehen. Eine anarchistische Analyse erkennt an, dass jemand zwar einer unterdrückten Gruppe angehören mag, seine Politik oder die Forderungen, die im Namen der fraglos Unterdrückten erhoben werden, aber dennoch rein liberal, bourgeois und prokapitalistisch sein können.

Identitätspolitik ist hierarchisch, weil sie die Macht und den Status von kleinen Politikern der Mittelklasse festigt. Abgesehen von den Schikanen ermöglicht die Auferlegung bestimmter Dogmen auch, dass diese Macht unhinterfragt bleibt. Dazu gehören: implizite Hierarchien der Unterdrückung; die Schaffung und Verwendung von belasteten Begriffen, die eine emotionale Reaktion hervorrufen sollen („triggering“, „sich unsicher fühlen“, „Terf“, „faschistisch“); denjenigen, die nicht Mitglieder bestimmter Gruppen sind, wird eine Meinung über die allgemeine Politik dieser Gruppen verwehrt; die Vorstellung, dass Mitglieder der Gruppe unter keinen Umständen irgendeine „Arbeit“ machen sollten, um ihre Politik gegenüber Nichtmitgliedern der Gruppe zu erklären; die Darstellung alternativer Diskurse als „Gewalt“; und die Vorstellung, dass man einen Vertreter oder ein Mitglied dieser Gruppen (egal wie schlecht ihre Politik ist) nicht in Frage stellen kann, weil sie unbestreitbar unterdrückt sind.

Diese Dogmen werden verwendet, um Normen aufrechtzuerhalten, sei es in Subkulturen oder in der breiteren Gesellschaft. Anarchistinnen und Anarchisten sollten allen Tendenzen gegenüber misstrauisch sein, die auf unhinterfragbaren Prinzipien beruhen, insbesondere solchen, die so offensichtlich Hierarchien schaffen.

Identitätspolitik nutzt oft Angst, Unsicherheiten und Schuldgefühle aus. Es ist wichtig, dass wir dies an zwei Fronten erkennen. Erstens wird sie eingesetzt, um Menschen zu entmündigen, anstatt sie zu stärken, wie behauptet wird. Sie verstärkt die Vorstellung, dass Menschen eher schwache Opfer als Akteure des Wandels sind und daher Anführer akzeptieren müssen. Obwohl sichere Räume und eine sichere Sprache wichtig sind, ist das Ausmaß der Besessenheit von diesen Dingen kein Zeichen von Stärke, sondern von sich selbst verstärkender Opferrolle.

Durch soziale Ängste wird allen anderen die Schuld auferlegt, irgendwie privilegiert zu sein und für die gigantischen Unterdrückungssysteme, von denen in Wirklichkeit nur einige wenige profitieren, voll und ganz verantwortlich zu sein. Es erlaubt auch denjenigen, die innerhalb von Minderheitengruppen von staatlichen und kapitalistischen Strukturen profitieren, sich von jeglicher Verantwortung für ihre unterdrückerischen Aktionen oder ihr vorurteilsbehaftetes Verhalten freizusprechen.

Eine anarchistische Analyse bedeutet, dass wir anerkennen sollten, dass auch Angehörige unterdrückter Gruppen elitäre und repressive Positionen innehaben können, und dass sie gleichermaßen herausgefordert werden sollten, anstatt sie einfach feige durchgehen zu lassen.

Die Identitätspolitik hat anarchistische Räume infiziert.

Traurigerweise wird der Anarchismus ausgehöhlt in dem Bemühen, Tugenden zu zeigen und „gute Verbündete“ zu sein. Verbündetsein wird allzu oft als blinde Akzeptanz der Politik derjenigen praktiziert, die unbestreitbar unterdrückt sind oder dies behaupten, ganz gleich wie beschissen ihre Politik oder ihr persönliches Verhalten ist. Es ist eine willige Unterwerfung unter die Politik der anderen, die am wenigsten anarchistische Position, die man einnehmen kann, und pure Rückgratlosigkeit.

Selbsternannte Anführer, die nicht mit unserer Politik übereinstimmen, sollten von uns keine Plattform erhalten. Es ist also eine Ironie, dass wir es Gruppen mit wenig oder gar keiner radikalen Politik erlaubt haben, in unsere Räume einzudringen und Debatten zu unterbinden, und zu behaupten, dass alles, was nicht mit ihrem Standpunkt übereinstimmt, faschistisch sein muss. Es sollte sich von selbst verstehen, dass Faschismus nicht auf diese Weise bagatellisiert werden sollte.

Es erstaunt uns auch, dass offensichtliche Parallelen zu rechter Politik nicht gesehen werden, nicht zuletzt in der Art und Weise, wie Feministinnen als „Feminazis“ abgetan werden, was sich in der aktuellen Verwendung des Wortes „faschistisch“ gegen radikale Feministinnen durch Trans-Rechts-Aktivistinnen widerspiegelt, sowie in Parolen, die zum Töten von „Terfs“ aufrufen, die regelmäßig in anarchistischen Räumen sowohl online als auch in der realen Welt auftauchen. Es ist schockierend, dass die Gewalt dieser Frauenfeindlichkeit gefeiert wird, anstatt sie zu verurteilen.

Anarchismus ist gegen Götter. Gibt es einen Satz, der den Anarchismus besser zusammenfasst als „keine Götter, keine Herren“? Eine solche Hierarchie und Exklusivität sind dem Anarchismus zuwider. Früher haben wir Politiker ermordet, und unzählige Gefährten und Gefährtinnen haben ihr Leben für den Kampf gegen die Macht gegeben. Wir lehnen nach wie vor Politiker jeglicher Couleur ab, ob Tories, Labour oder diejenigen, die sich als Anführer von Bewegungen verstehen, die auf Identität basieren. Es verstößt gegen die grundlegendsten Prinzipien des Anarchismus, die Führung durch andere zu akzeptieren, denn wir glauben, dass alle gleich sind. Ebenso wenig akzeptieren wir die Vorstellung, dass wir die Positionen anderer Aktivistinnen und Aktivisten oder derjenigen, die sich selbst als Anarchistinnen und Anarchisten bezeichnen, nicht in Frage stellen oder in Frage stellen dürfen – worauf die Identitätspolitik leider nur allzu oft beharrt.

Der Anarchismus unterstützt keine patriarchalischen Religionen und AnarchistInnen haben eine lange Geschichte des Konflikts mit ihnen. Es ist beschämend, dass ein Großteil dessen, was heute im Vereinigten Königreich als Anarchismus bezeichnet wird, als Apologeten für diejenigen auftritt, die jede Infragestellung ihres eigenen Sexismus und Patriarchats vermeiden oder sogar ihre unterdrückerischen Religionen weiterführen wollen, nur weil reaktionäre Konservative sie als Sündenböcke behandeln.

Die Zerstörung anarchistischer Projekte wird im Namen der Identitätspolitik betrieben und gefeiert, nur um diejenigen zu beschwichtigen, die kein Interesse am Anarchismus selbst haben. Und wenn jemand aufsteht und dies in Frage stellt, wird er beschimpft oder sogar körperlich angegriffen – ein Verhalten, das früher in Frage gestellt wurde, heute aber geduldet wird, weil es von denen kommt, die als unterdrückt gelten. Hier wird das völlige Versagen anarchistischer Politik durch diejenigen, die sie angeblich vertreten, am deutlichsten. Beginnen wir damit, Freedom News zu nennen, deren unkritische Unterstützung von Gruppen, die wenig mit dem Anarchismus gemeinsam haben, beschämend ist.

Anarchismus ist keine Identitätspolitik. Anarchismus ist nicht nur eine weitere Identität, wie einige gerne behaupten. Dies ist eine übliche grobe und faule reflexartige Reaktion der Identitätspolitiker und ein Weg, um Antworten auf tatsächliche politische Fragen zu vermeiden. Sie zeigt auch kein Verständnis dafür, wie Identitätspolitik dazu benutzt wird, anarchistische Räume für persönliche Zwecke zu manipulieren und zu unterwandern. Sicher, „Anarchist“ kann auch als Identität beansprucht werden, und Anarchisten neigen zu (oft zu Recht kritisiertem) Cliquenverhalten. Aber damit enden die Ähnlichkeiten.

Im Gegensatz zu Identitätspolitikern oder der SWP versuchen die meisten Anarchistinnen und Anarchisten nicht, Anhänger zu rekrutieren, sondern Ideen zu verbreiten, die Gemeinschaften dabei unterstützen, für sich selbst zu kämpfen, und zwar auf eine Art und Weise, die nicht mehr rückholbar ist. Unsere Agenda ist radikal anders und selten, da es bei unserer zentralen Politik nicht darum geht, unsere eigene persönliche Macht und unseren Status zu fördern. Der Anarchismus ermutigt die Menschen, alles in Frage zu stellen, sogar das, was wir selbst zu sagen haben, im Geiste der Freiheit.

Im Gegensatz zu den inhärenten, exklusiven Merkmalen der Identitätspolitik mit ihren In-Groups und Out-Groups ist der Anarchismus für uns eine Reihe von ethischen Grundsätzen, die uns leiten, wie wir die Welt verstehen und auf sie reagieren. Er ist offen für jeden, der hinschaut oder zuhört, etwas, das jeder fühlen kann, unabhängig von seiner Herkunft. Die Ergebnisse sind oft sehr unterschiedlich, da die Menschen sie mit ihren individuellen Persönlichkeiten, Lebenserfahrungen und anderen Aspekten ihrer Identität kombinieren.

Man braucht das Wort Anarchie nicht zu kennen, um es zu spüren. Es handelt sich um eine einfache und konsistente Reihe von Ideen, die von der Orientierung in einem bestimmten Konflikt bis hin zur Grundlage künftiger Gesellschaften reichen können. Sich auf anarchistische Prinzipien zu berufen, wenn es um identitätspolitische Konflikte geht, macht Sinn, wenn wir angeblich durch diese Prinzipien geeint sind.

Homosexuell zu sein oder eine braune Hautfarbe zu haben, führt zu ähnlichen Erfahrungen wie diejenigen, die diese Merkmale teilen, und bedeutet natürlich, dass man wahrscheinlich soziale Bindungen, Empathie oder ein Gefühl der Zugehörigkeit zu dieser Gruppe hat. Das gelebte Leben ist jedoch viel komplexer, und du hast vielleicht genauso viel oder mehr mit einer zufälligen weißen queeren Frau gemeinsam als mit einem braunen Cis-Mann.

Die Identitätspolitik spiegelt zuweilen den Chauvinismus des Nationalismus wider, bei dem verschiedene Gruppen versuchen, ihre eigenen Machtbereiche nach Kategorien abzugrenzen, die sich aus der kapitalistischen Ordnung ergeben. Wir hingegen sind Internationalisten, die an Gerechtigkeit für alle glauben. Der Anarchismus versucht, alle Stimmen zu erheben, nicht nur die von Minderheitengruppen. Die Vorstellung, die Unterdrückung betreffe nur Minderheiten und nicht die Massen, ist das Produkt einer bourgeoisen Politik, die nie ein Interesse an revolutionären Veränderungen hatte.

Die Identitätspolitik ist der Nährboden für die extreme Rechte. Abschließend ist zu betonen, wie sehr die Identitätspolitik der extremen Rechten in die Hände spielt. Im besten Fall sieht „radikale“ Politik für viele immer mehr nach irrelevanter Nabelschau aus. Schlimmstenfalls leisten identitätspolitische Politiker aus der Mittelschicht hervorragende Arbeit bei der Entfremdung von bereits entrechteten weißen Menschen, die zufällig die große Mehrheit der Menschen im Vereinigten Königreich ausmachen und sich zunehmend der Rechten zuwenden.

Es wäre der Gipfel der Arroganz, diese Tatsache zu ignorieren und sich weiterhin an identitätspolitischen Auseinandersetzungen zu beteiligen. Doch in einer Zeit, in der faschistische Bewegungen zunehmen, lassen sich Anarchistinnen und Anarchisten immer noch von der Politik der Spaltung ablenken. Für zu viele ist Identitätspolitik einfach ein Spiel, dessen Duldung zu einer ständigen Störung der Aktivistenkreise führt.

Letzte Anmerkung. Für uns bedeutet Anarchismus Zusammenarbeit, gegenseitige Hilfe, Solidarität und der Kampf gegen die wahren Machtzentren. Anarchistische Räume sollten nicht für diejenigen sein, die nur ihre Umgebung bekämpfen wollen. Wir haben eine stolze Geschichte des Internationalismus und der Vielfalt, also lasst uns unsere Politik für eine wirklich inklusive Zukunft zurückfordern.

]]> (Frankreich) Verschiedene Überlegungen zu einem Bruch der unmöglich zu verhandeln ist* https://panopticon.blackblogs.org/2024/05/13/frankreich-verschiedene-ueberlegungen-zu-einem-bruch-der-unmoeglich-zu-verhandeln-ist/ Mon, 13 May 2024 10:25:55 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5819 Continue reading ]]>

(Frankreich) Verschiedene Überlegungen zu einem Bruch der unmöglich zu verhandeln ist*

Manchmal gibt es Analysen, die aus dem Hut gezaubert werden. Es sind fertige. Praktische, die sich für wirksam halten, weil sie mit dem Wort Klasse enden. Die Grenze zwischen einem miserabilistischen Soziologismus, der eine Erklärung für jeden Mist liefert, den wir unter dem Vorwand, aus einer proletarischen Familie zu stammen, von uns geben könnten, und einem mechanistischen Determinismus, der allzu oft neben einer apologetischen Weltanschauung steht, ist dünn.

Die Dummheit geht durch die Klassen. Man vergisst sie allzu oft, um sie zu verbergen und nicht zu viel nachdenken zu müssen. Manchmal kann man sich damit entschuldigen, aber wenn man zu sehr darauf beharrt, wird es verdächtig und sogar gefährlich für die eigene geistige Gesundheit.

Daher ist ein Klassenstandpunkt kein moralischer Standpunkt. Klassenbewusstsein ist auch kein empörtes Bewusstsein, wenn man abends zu Hause den neuesten Film von Ken Loach sieht (wir werden in einer der nächsten Sendungen darauf zurückkommen), der einem politischen Juckreiz ähnelt, der in den letzten Jahren immer mit den gleichen Tränken auf der Basis von stationärer Rebellion in .fr behandelt wurde.

*

Der Aufkleber auf dem Strommast mit dem auf den ersten Blick sympathischen Wortspiel „La lutte c’est classe“ (Der Kampf ist Klasse) scheint durch seine eigene Ästhetik entvitalisiert zu sein. Das Wort Klasse wird durch das Wort Kampf, das selbst keine Bedeutung mehr hat, unsichtbar gemacht….alles scheint durch die Anordnung der Formen und Farben wie leergefegt zu sein. Diese „Angelegenheit“ mit den Aufklebern ist einfach klassenbewusst.

Es gibt immer einen Weg, nicht mehr über die Klasse zu sprechen, insbesondere nicht über die Proletarier: Man kann viel über die Klasse schreiben, ohne grundsätzlich zu sagen, um welche Klasse es sich handelt, was auf dem Spiel steht, oder überhaupt nicht darüber sprechen.

Es ist auch möglich, die Dinge unter einer gewissen phänomenologischen Wissenschaftlichkeit als Form der Unsichtbarmachung zu ertränken, d.h. durch axiologische Neutralität. Dabei sollte man immer so wenig wie möglich über den Ort, von dem aus man spricht (seine soziale Position), preisgeben und manchmal zu viel sagen oder tun, um zu vermeiden, dass man sich mit den Themen beschäftigt, die einen aufregen.

Es gibt in letzter Zeit eindeutig zu viele Themen, die ärgerlich sind, und im Laufe der Jahre häufen sich die politischen Unebenheiten und werden zu rau, um von den berühmten Kämpfen, die nie enden, sich zu konvergieren, geglättet zu werden.

Es scheint nichts wirklich Neues zu geben, und das ist auch möglich, aber der Eindruck der Übersättigung ist in den letzten Jahren (was uns betrifft) auf dem Höhepunkt angelangt. Die neuen Probleme der stalinisierten, drittweltlichen Linken kreuzen sich für unseren Geschmack viel zu sehr mit bestimmten Themen der Konvivalisten und Straight Edge.

Unserer Interpretation nach handelt es sich um eine x-te Verteidigung des „Seins“, das gegen das „Haben“, den Utilitarismus, den „Materialismus“ und das Unauthentische kämpfen soll, und darum, das Paradigma des frontalen Klassenkampfes gegen das Kapital in eine moralische Praxis zu verlagern; die des tugendhaften Individuums, das an der Gestaltung bestimmter vom Geld „befreiter“ Räume mitwirkt. Dabei kultiviert er natürlich seinen Spezialismus in Bezug auf das, was ihn speziell unterdrückt, oder was er für den ersten Agenten oder den mèchanè1 der Welt hält, die für ihn viel zu „modern“ ist.

Diese Ablehnung der „Moderne“ ist viel zu oft eine einfache Negativkarikatur einer „Postmoderne“. Sie bringt dennoch, und das lässt sich auch soziologisch feststellen, eine integrative soziale Antwort für diese „Akteure“.

Aber das Boot der Mono-Maniacs und Politikneurotiker scheint voll zu sein, und das auffälligste Symptom ist die monokausale Erklärung einer Welt im Wandel, die allzu oft unverständlich (?) ist.

Es geht nicht darum, sich in Bezug auf einzelne Positionen zu positionieren, denn erst durch das Zusammenspiel, meist durch Anhäufung oder Offenlegung, entsteht eine echte, ziemlich unglaubliche Weltanschauung.

Wenn man nicht berücksichtigen kann, was die Aufkleber über sich selbst aussagen, dann gilt das auch für die Etiketten von Libertären, Anarchisten oder allen Arten von fleischkritischen2 Marxisten, die sich so leicht an den letzten Laternenpfahl kleben lassen, der von altem spiritualistischem Urin gezeichnet ist.3 Ein Sieg des „Scheins“?

Was sie sagen, was sich bis in die Kämpfe und die politische Reflexion verbreitet, ist die faule Frucht der Zersetzung des Stalinismus und der „moralischen“ Linken oder ihrer Nachfolger. Deren schändlich schuldig gewordene Kinder wurden stark von den Märchen des Demokratismus und dem säkularisierten religiösen Geist geprägt.

Die Aufgabe der Problematik der kämpfenden Klasse (und nicht als soziologisches Konzept) ist nicht fremd, ebenso wie ein bestimmtes Konzept der politischen Politik, das durch Kompromisse und ihre Lügen, Misserfolge, Enttäuschungen kollektiver Kämpfe, Müdigkeit und Repression strukturiert ist, aber natürlich auch durch die Logik der Macht… selbst der symbolischen. Die man durch die weit geöffnete Tür der Heuchelei vertreibt, damit sie schließlich durch das Fenster zurückkehrt.

Man macht nichts anderes mehr, als seine Teilnahme zu pragmatisieren und die Probleme zu intersektionalisieren, um nichts Unmögliches oder Unwahrscheinliches mehr zu wünschen.

Die Überwindung ist nicht mehr die Horizontlinie. Die oftmals hasserfüllten Projekte bestehen darin, die Probleme zu überpersonifizieren oder das Unbehagen zu politisieren.

Und wenn einige anscheinend nach einer Verbindung mit Bestimmungen aller Art suchen (und seltsamerweise nicht nach anderen…), indem sie eine Totalität (falsche Totalität) vortäuschen, führen sie schließlich zu einer Desartikulation4.

Die Intersektionalität zum Beispiel hat bis jetzt keine „intersektionale politische“ Linie oder ein „Herz“ der Begegnung von „Unterdrückungen“ hervorgebracht, außer flacher Gewichtung und konkurrierender Fragmentierung. Man muss nur die Anzahl der Kapellen und die Art der ethologischen Metaphysik feststellen, in der man sich im buscar la quinta pata al gato auszeichnet.5

Wir sind immer zu spät dran, um eine „Unterdrückung“ zu artikulieren oder zu stapeln. Die „Kämpfe“ werden nicht die Orte der Überwindung sein, solange eine globale revolutionäre Perspektive nicht von den alten konzeptuellen Schubladen befreit wird, oder solange die Akteure der sozialen Kämpfe nicht ihre wahren Bedürfnisse durchsetzen; d.h. die, die von den Notwendigkeiten diktiert werden.

Das Herz der Warenwelt: die Ware und ihre Reproduktion, scheint die Possibilisten des politischen Benchmarking nie wirklich zu interessieren.

Wenn diese Frage wirklich ernst genommen wird – das geht nie über ein paar Augenblicke hinaus -, dann geschieht das immer auf Kosten der Klassenfrage, die bei dieser Suche nach entkräftenden radikalen Maßstäben letztlich immer gegenüber anderen relativiert zu werden scheint.

Warum ist das so?

Weil die Klassenfrage natürlich eine wesentliche Rolle in der Debatte spielt und weil sie diejenigen betrifft, die die Debatte durch ihre Position in einer Klassengesellschaft produzieren und monopolisieren.

Denn das Wesen einer aufsteigenden (und aufstrebenden) Klasse, die sich ihrer Interessen und der Reproduktion/Förderung ihrer selbst bewusst ist und deren Optik nur darin besteht, die bestehende Realität zu reproduzieren, neigt immer dazu, ihre eigene Problematik zu metonymisieren6; d.h. ihre Interessen. Strategisch oder unbewusst.

Im Grunde besteht die eigentliche Herausforderung darin, die soziale Frage so weit wie möglich zu lobbyisieren, um die Herausforderungen auf ethnisch-kulturelle7 und ästhetische Themen zu lenken, die für den Wert und umgekehrt am leichtesten verdaulich sind und bleiben. Deren Einsätze bleiben symbolisch sehr stark.

Das spezialisierte militante „Unternehmen“ als Mittel und Zweck ist die Folge der vom Kapital auferlegten Trennung, die auch den Praktiken ihre Ordnung in einem vorgegebenen Rahmen zuweist. Dies geht über die beschleunigte Zersplitterung der Wissensfelder hinaus8.

Wie Paul Mattick schrieb, „wird es eine Antithese zwischen Organisation und Spontaneität geben, solange sowohl die Klassengesellschaft als auch die Versuche, sie zu zerschlagen, fortbestehen“.

Dies stellt zweifellos eine Erkenntnistheorie innerhalb einer revolutionären Perspektive in Frage, insbesondere in Bezug auf die Beziehung zum Objekt (als Verständnis der Realität und der Möglichkeit, sie zu verändern) und natürlich zum Subjekt bzw. zu den Subjekten, d. h. den Akteuren, die in einer Welt der Determinationen handeln.

Es scheint uns, dass das Wesen von Parteistrukturen darin besteht, Formen des Vergessens durch Ritualisierung, Zusammenhalt und in gewisser Weise durch ihre eigene Integration in das soziale Ganze zu organisieren. Daraus ziehen sie ihren Zusammenhalt und ihre Daseinsberechtigung.

Besetzen, die Arme aktivieren und die Wut verwalten. Die Frustrationen des Augenblicks oder die des ewigen Wartens bis zur Betäubung politisch zu dealen, ist zweifellos ihre Hauptfunktion.

Aber können wir nicht nicht gegen die Schläge, die uns täglich zugefügt werden, reagieren?

Um dies zu tun, verlassen wir uns auf die Arbeit des Negativen; das heißt, auf die Überwindung. Nicht nur im hegelianischen Sinne, sondern auch auf der Ebene dessen, was wir nicht und nicht mehr wollen. Aber all das ist nicht möglich ohne eine möglichst klare Perspektive.

Das Problem ist, dass das, was wir nicht und nicht mehr wollen, durch Kapillarität, Mitläufertum, Dummheit, Kumpanei, Twittern, Ad-hominen-Attacken, politische Unkultur, Zwölf-Band-Strategie und verschiedene Ängste wie die, sein Geschäft als anerkannter oder nicht anerkannter spezialisierter Militanter in libertären und antiautoritären Sphären im weitesten Sinne zu verlieren, eingedrungen ist.

So : Der weinerliche Anarcho-Bourdieusianer-Pädagoge, der schuldbewusste Degrowth-Fetischist und freiwillige Moralprediger, der über A. de Benoist und M. Onfray referiert, der Anti-Tech-Bobo, der die Bio-Familie und die Position des fairen Missionars verteidigt, der sich als Rassist entdeckt (es stimmt, dass es „Rassen“ gibt, aber auch „soziale Rassen“….. ) und theo-kompatibel (der nicht mehr Bakunin liest), radikal anti-fa für die NPA im ersten Wahlgang und Juppé im zweiten, anti-islamophob, besessen vom „Zionismus“, ohne Meister (außer den Spezialisten auf diesem Gebiet) oder Gott, über den man trotzdem mit der PIR diskutieren muss. Anti-Sexist, aber befreundet mit Houria B. Kommunistisch-libertärer, selbstgefälliger Leser (auch trice) des Nationalisten Michéa. Ultralinker Antiimperialist, Verteidiger des CNR und ewiger Verfechter des „libertären Liberalismus“, libertärer Queerfeminist, Friotist im CNRS für den gewerkschaftlichen/syndikalistischen Schleier und die Öffnung der virilistischen und geschlossenen Häuser mit dem Geld, das man auf das eine Prozent der Oligarchie besteuern wird, Unterstützer….. von Varoufakis #Nachtschwärmer Autonome für die 32-Stunden-Woche, Appellist, der sich als dekadenter westlicher Vorherrscher mit vielen Ego-Tweets und Like-Freunden die Hörner abstößt, Verteidiger der zapatistischen „Mutter Erde“ und des Rechts der Völker, sich von ihrer eigenen „ethnisch dominanten“ Bourgeoisie ausbeuten zu lassen, in den von „privilegierten Weißen“ selbstverwalteten und von der Bookchin-Doxa der PKK und Drogen sind nicht gut inspirierten Krämergemeinden… außer Chemtrails, die wegen der Verschwörung des Wertes und der Schläger aus den Banlieues, die die Sprache der Revolution nicht im Text lesen (Deutsch!), verschwinden auf den Podien der Hörsäle, die von Doktoren in Luxemburgismus bevölkert sind, die von narzisstischer revolutionärer Erotik für die dekolonialistischen Widerstandskämpfer der Hamas überlaufen sind, und die Fakirs- studies mit einer roten Mütze der IRA wahrer Freund des Aufstands, der die Förderung der Gewerkschaften/Syndikate der Polizei der Verhaltensweisen der Arbeitskräfte der von der Fabrik der Dummheit ausgewählten Stücke vortäuscht Ausbruch aus einem Lieu Dit Lordon, der dem CCIF während des Notstands gehorcht etc. …

Typisches Porträt oder übertriebene Karikatur? Wir haben noch nie so viel Kartoffelbrei in den kalten Töpfen des sogenannten „radikalen -GO“-Milieus gesehen!

Sind wir etwa sektiererisch? Man erspare uns die Rede über : Wahrheit, Reinheit, Revolutionarismus oder Radikalität. Stattdessen sind wir bereit, über Kohärenz zu sprechen.

Während wir einigen wenigen raten, Kartoffeln pflanzen zu gehen, erscheint uns diese Bruchlinie für andere tief genug, um mit denen, die sich betroffen fühlen, einen Bruch zu vollziehen.

Für eine kommunistisch-revolutionäre Perspektive.

* Wir verstecken uns nicht hinter verschiedenen Pseudonymen, falschen Accounts/Profilen und veröffentlichen nichts anonym, sondern stehen öffentlich zu unseren politischen Positionen. Wir haben nichts zu verlieren, weder Ansehen noch einen Laden zu führen.


1Der Mèchanè war ein Kran, der im antiken griechischen Theater, insbesondere im 5. und 4. Jahrhundert v. Chr., verwendet wurde.

2A.d.Ü., wir wissen uns an dieser Stelle auch nicht zu helfen, dass einzige was wir dazu gefunden haben, ist ein Buch von Barbara Stiegler unter den Namen Nietzsche et la critique de la chair: Dionysos, Ariane, le Christ welches sich anscheinend mit Genealogie beschäftigt.

3Was uns nicht daran hindert, geistreich zu sein oder eine gewisse Spiritualität zu verteidigen, die als Suche nach dem guten Leben verstanden wird.

4A.d.Ü., Zerlegung, Kaputtmachen, Ausrenken, Verrenken, usw.

5Der Katze die fünfte Pfote suchen.

6Neologismus: Eine Partei für das Ganze ergreifen.

7Die Frage des Rassismus ist zu ernst, als dass man sie nur unter dem so genannten ethnisch-kulturellen Begriffsfeld belassen könnte. Sie würde an sich eine Entwicklung verdienen, die nicht Gegenstand des Textes ist. Sie scheint immer wieder von denselben Dritte-Welt-Strömungen und der linksnationalistischen Bourgeoisie instrumentalisiert zu werden. Eine interessante Analyse https://botapol.blogspot.fr/2016/07/racisme-et-alienation-joseph-gabel.html

8Ausgehend von der Renaissance.

]]> (Grupo Barbaria) DEN KAPITALISMUS INTERSEKTIONIEREN? https://panopticon.blackblogs.org/2024/04/28/grupo-barbaria-den-kapitalismus-intersektionieren/ Sun, 28 Apr 2024 15:01:07 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5671 Continue reading ]]>

Text von Grupo Barbaria, die Übersetzung ist von uns.


DEN KAPITALISMUS INTERSEKTIONIEREN?

Einleitung

Dies ist nicht das erste Mal, dass wir über die Postmoderne1 schreiben, und doch kommen wir immer wieder darauf zurück. Warum? Zum einen wollen wir einige theoretische und methodische Überlegungen zur Kritik der Postmoderne verfeinern und zum anderen scheint sie uns auch heute noch eine der einflussreichsten Ideologien für diejenigen zu sein, die sich angesichts des Elends dieser Welt aufklären und radikalisieren wollen. Für uns ist es auch eine Frage der Methode. Es ist nicht nur wichtig, was wir über die soziale Realität denken, sondern auch, mit welcher Methode wir uns ihr nähern. Die postmoderne Methode reproduziert, wie wir später erklären werden, unweigerlich die Kategorien des Kapitals und hindert uns daran, eine Kritik zu üben, die dieses System an der Wurzel packt, was für diejenigen von uns, die sich für eine andere Welt einsetzen, unerlässlich ist. Zu verstehen, worin diese postmoderne Methode besteht und welche Konsequenzen sie hat, ist in diesem Sinne nützlich, um eine Methode zu übernehmen, die auf dem Kommunismus und einem festen Bekenntnis zur Revolution basiert. Aus all diesen Gründen erscheint es uns wichtig, auf diese Themen zurückzukommen, und zwar auf eine Art und Weise, die sich unserer Meinung nach nicht wiederholt, sondern die Gründe für die Kritik vertieft, die falschen Dichotomien, die die Verteidiger der Postmoderne oft mit ihren fiktiven Kritikern konfrontieren. Um zu verstehen, woher die Postmoderne kommt, was die Gründe für ihre Stärke und Hegemonie sind, müssen wir wissen, dass das Falsche immer ein Moment des Wahren ist, oder, anders gesagt, dass jede Ideologie ein Ausdruck ist, der aus dem Boden dieser Gesellschaft geboren wird. Es reicht nicht aus, sie einfach als falsch oder negativ anzuprangern, sondern sie als einen verzerrten, fetischistischen Ausdruck der materiellen Produktion und Reproduktion der Welt, in diesem Fall des Kapitalismus, zu verstehen. Wir wissen mit Marx und anderen Gefährten unserer historischen Partei, dass die Ideologie nichts anderes ist als ein weiteres Zeichen für die Metamorphosen des Werts als gesellschaftliches Verhältnis. Ein Ausdruck seiner objektiven gesellschaftlichen Form auf der Ebene des Denkens, des Geistes. Eine geteilte und gespaltene Welt, wie der Kapitalismus, in dem wir leben, reproduziert Ideologien und Theorien, die Spaltung und Trennung zur Grundlage ihres Weltbildes machen. In der gegenwärtigen Phase der kapitalistischen Entwicklung, in der sich die Krise immer mehr zuspitzt, werden die Trennungen zudem immer schärfer. Geld erscheint in seiner Virtualität als authentischer Reichtum, der durch sich selbst bestätigt wird. Wir leben in Zeiten, in denen sich das fiktive Kapital geometrisch vervielfacht und kaum noch etwas mit der realen Wertproduktion zu tun hat. Wenn Trennungen akzentuiert werden, wird eine Theorie möglich, die in die reine Simulation der Sprache verliebt ist, unabhängig von ihrem Bezug zur Realität. All das wollen wir auf den folgenden Seiten näher erörtern und untersuchen.

1. Die Niederlage der revolutionären Welle in den 70er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts

Die 60er und 70er Jahre des 20. Jahrhunderts markierten das teilweise Ende der konterrevolutionären Periode, die die Niederlage der wichtigen revolutionären Welle einleitete, die das Weltproletariat von 1917 bis 1927 angeführt hatte. In diesen Jahren der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts führte das Proletariat von Frankreich bis Spanien, von Portugal bis Mexiko, von Argentinien bis Italien, von Polen bis zum Iran … erneut eine Welle von Kämpfen an, die in Bezug auf die revolutionäre Kraft und Intensität nicht mit der vorangegangenen Welle vergleichbar war, die aber einen Ausweg aus der konterrevolutionären Langeweile der vorangegangenen Jahrzehnte bedeutete. Eine neue Generation von Proletariern taucht im Klassenkampf auf und versucht, sich in Positionen zu klären: ein teilweiser Ausdruck davon, wie der Klassenkampf aus dem Boden dieser Gesellschaft hervorgeht und mit ihm Minderheiten entstehen, die den historischen Ausdruck der Partei des Proletariats bilden. Diese partielle Kampfwelle scheiterte im Laufe der 1980er Jahre nicht nur an ihren eigenen Grenzen, an einer gesellschaftlichen Kraft (der des kämpfenden Proletariats), die noch weitgehend von den Verwirrungen der siegreichen Konterrevolution lebte (dem Stalinismus, der schließlich ab 1989 in eine endgültige Krise geriet), aber auch, weil der Kapitalismus und seine Bourgeoisien noch viel mehr Handlungsspielraum hatten als jetzt (die Krise begann sich 1973/75 zu manifestieren), als die inneren Grenzen des Kapitals deutlich wurden. Die Revolution wurde als subjektive Dringlichkeit empfunden, aber nicht als materielle Notwendigkeit. Heute leben wir in einem umgekehrten Paradoxon: Der Kapitalismus offenbart deutlich die Unmöglichkeit seiner Existenz in der Zeit (mit der Vertreibung der Arbeitskraft, der geometrischen Zunahme der überflüssigen Menschheit, dem beschleunigten Verbrauch des Planeten…) sowie die tatsächliche Potenzialität des Kommunismus als eine Lebens- und Produktionsweise, die bereits durch die gegenwärtige materielle Entwicklung möglich ist (die Möglichkeit, einen Plan für die Produktion und Reproduktion der Spezies ohne Waren und Geld zu verwirklichen, ist bereits völlig aktuell und möglich), und gleichzeitig wird seine subjektive Möglichkeit nicht gesehen. Wir leben in einer ewigen Gegenwart, in der der Horizont der Zukunft im Bewusstsein des Proletariats gebrochen zu sein scheint.

Als revolutionäre Kommunisten und historische Materialisten sind wir davon überzeugt, dass die Widersprüche des Kapitalismus und die Bedrohung, die er für das Überleben der Spezies und des Planeten selbst darstellt, mit Sicherheit zu einer Verschärfung des Klassenkampfes und der Prozesse der sozialen Polarisierung, von Klasse gegen Klasse, führen werden. Ein Antagonismus, der den Zusammenprall zwischen zwei Welten – Kapitalismus oder Kommunismus, Katastrophe oder Spezies – zutiefst offenbart. Aber in diesem Prozess des Antagonismus und der sozialen Polarisierung, der sich immer weiter ausbreiten wird, ist es sehr wichtig, wie wir Kommunisten die allgemeine Dynamik des Prozesses und die Reichweite der Ziele unseres Kampfes (Gemeinschaft ohne Klassen und ohne Staat) aufzeigen. Und dazu ist es auch unerlässlich, die ideologischen Strömungen, die eine Emanation der alten Welt sind und die in diesem Sinne bewusst oder unbewusst für das Überleben der alten Welt und ihre Katastrophe kämpfen, entschieden zu kritisieren. Unsere Kritik an der Postmoderne muss auf diesem Terrain angesiedelt sein, nämlich auf der Suche nach Klarheit angesichts eines Konzepts, das uns in dieser Welt verwurzelt.

Und tatsächlich geht der Begriff Postmoderne auf ein Buch von Lyotard aus dem Jahr 1979 mit dem Titel Das postmoderne Wissen zurück. Wie wir bereits bei anderen Gelegenheiten angedeutet haben, ist Lyotard ein ehemaliges Mitglied der ultralinken Gruppe Socialisme ou Barbarie (andere prominente Mitglieder waren Castoriadis oder Lefort), einer Gruppe, die ausgehend von internationalistischen Perspektiven und der Suche nach Klassenautonomie, mit dem Trotskismus ab dem Zweiten Weltkrieg gebrochen hatte, allerdings hatten sie dabei eine Reihe von Verwirrungen mitgenommen, wie zum Beispiel den Anspruch, Marx‘ Überlegungen zum Kapitalismus zu aktualisieren, oder die Charakterisierung der UdSSR als bürokratische und nicht-kapitalistische Gesellschaft. Diese Schwächen waren ausschlaggebend für den späteren Niedergang der Gruppe. In jedem Fall scheint es uns wichtig zu betonen, dass Lyotards Buch von 1979 der Moment ist, in dem er sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzt. Und dieser Moment war bereits der Moment der Ebbe und der Niederlage, die sich seit den 1980er Jahren angekündigt hatten. Die Hoffnungen von ’68 waren zur Ernüchterung der Ebbe geworden. Das ist der Moment, in dem die Individuen und ihre Versuche, sich mit der Normalität zu versöhnen, in Erscheinung treten. Die Revolution ist nicht mehr eine materielle Realität, die aus dem Klassenkampf und den Widersprüchen dieser Welt entsteht, sondern wird zu einer Idee. Und für Lyotard ist es eine schlechte Idee. Eine Idee, die zu den schlimmsten Katastrophen, zum Totalitarismus, führt, weil sie die schlimmsten Wurzeln hat: Meta-Narrative, die eine religiöse und teleologische Erlösung suchen, eine unmögliche, kurz gesagt. Wir halten es für sehr wichtig, diesen Ursprung hervorzuheben, weil er die politische und ideologische Matrix der Postmoderne enthält, einer Theorie, die versucht, eine historische Epoche, die Postmoderne, und eine relativistische Sichtweise der Welt zu erklären, die aber im Wesentlichen eine Theorie ist, die aus der Niederlage des Klassenkampfes und des Zyklus der proletarischen Kämpfe, der in den 1960er Jahren entstanden war, geboren wurde. Es ist eine Theorie, die die Konterrevolution aus den Kategorien der Konterrevolution heraus denkt, also das Gegenteil von dem, was wir vorgeben zu tun, die aber als falscher Radikalismus erscheint, weil sie die Kategorien dieser Welt dekonstruieren will und deshalb eine ideologische Faszination unter radikalen Aktivisten ausübt. Aber die verbale Dekonstruktion löscht diese Welt nicht aus, sie untermauert sie.

Postmoderne Autoren, angefangen bei Lyotard selbst, sehen die Postmoderne als eine neue historische Epoche. Diese These wird nicht nur von ihnen, sondern auch von einigen ihrer akademischen Kritiker (Jameson) vertreten, die hier eine neue objektive Epoche (Jameson spricht vom Spätkapitalismus) sehen, die auch einen neuen subjektiven Zugang zu Kultur, Kunst und Denken impliziert. In der Architektur zum Beispiel wird der künstlerische Funktionalismus des Bauhauses oder Le Corbusiers und ihrer Bienenstöcke für Proletarier durch die Gebäude von Robert Venturi, Moneo oder Calatrava ersetzt… die die Heterogenität der Stile, eine Rückkehr zur Vergangenheit und zu den spezifischen Stilen jedes Landes fördern. Wenn wir an ein Gebäude wie das Centre Pompidou in Paris denken, ist es nicht gerade ein Gebäude, bei dem Harmonie oder Funktionalität im Vordergrund stehen, und das ist es, was auffällt und überrascht. Auch im Denken hat die Suche nach dem Begehren Vorrang vor der aufgeklärten Vernunft, der Zweifel vor dem Absoluten. Und die Klassenperspektive wird durch neue soziale Bewegungen identitärer Natur ersetzt. Es ist eine neue Ära, die von einem anderen Weltbild geprägt ist. Und so stellen es uns die Autoren vor.

Wir leugnen nicht, dass es im Kapitalismus Veränderungen und Umwälzungen gibt, aber wir behaupten immer, dass seine kategorischen Grundlagen immer dieselben sind. In Realität erleben wir eine Verschärfung der Krise des Kapitalismus, eine Welt, der die Luft ausgeht, inmitten einer Krise, die ihre Grundlagen leugnet und durch die Erosion der klassischen Institutionen, die das Leben der Menschen getragen haben, ein sinnloses Leben erzeugt. Damit meinen wir die tiefgreifende Krise der traditionellen Organisationen der Arbeiterbewegung, der Parteien und Syndikate auf der linken Seite des Kapitals, der Familie, der Nachbarschaft … Dieser Erosionsprozess und das, was er hervorbringt, in Form eines allgemeinen Unbehagens, der Schwierigkeit, Gewissheiten und feste Sicherheiten zu finden, ist der Nährboden für viele der postmodernen Perspektiven. Auf diese Weise ist die Postmoderne ein Ausdruck dieser Welt in der Krise, die jedoch an ihre Kategorien, an die Kategorien des Kapitals, gebunden bleibt. Eine Welt in der Krise, in der ihre eigenen Kategorien ein zunehmend dysfunktionales und getrenntes Verhältnis zueinander haben: zwischen produktiver Ökonomie und fiktivem Kapital, zwischen Ökonomie und Staaten, zwischen ihrer nationalen und transnationalen Realität. Es handelt sich um eine zunehmend erschöpfte bourgeoise Welt, die sich in der Krise befindet, und in diesem Sinne sagen wir, dass es sich um eine objektive soziale Form des bourgeoisen Geistes handelt: eine Art, über diese Welt zu denken, die die ihr zugrunde liegenden sozialen Kategorien zum Ausdruck bringt.

Die Postmoderne wurde an französischen und amerikanischen Universitäten geboren, d.h. sie ist ein akademisches Produkt. In Wirklichkeit ist das, was wir normalerweise als Postmoderne bezeichnen, zu einem großen Teil eine bestimmte Strömung der bourgeoisen Philosophie aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der Poststrukturalismus, eine Strömung, die von Foucault, Derrida, Deleuze, Guattari und einer langen Reihe von Autoren verkörpert wird, die, vom philosophischen Strukturalismus kommend, eine Theorie konstruieren, die die Subjektivität und den Willen in den Mittelpunkt des Denkens über Philosophie stellt. Diese und andere Autoren unterschiedlicher Herkunft haben ihre mehr oder weniger scharfe Kritik an Marx‘ Werk gemeinsam. Insbesondere die kommunistische Perspektive des Proletariats als universelle Klasse und die materialistische Auffassung von Geschichte als Grundlage für die Analyse der Realität. Gleichzeitig sind der Stalinismus und die Postmoderne die beiden entgegengesetzten Pole derselben Einheit, da sie aus gemeinsamen Ursprüngen schöpfen und in ständigem Dialog mit ihr stehen. Man denke nur an die Beziehung von Foucault und Althusser, die von einem gemeinsamen Strukturalismus ausgehen. Wie wir bereits gesagt haben, ist die Postmoderne als theoretische Strömung aus einer Verherrlichung der Subjektivität entstanden, einem Subjekt, das in seiner eigenen gnoseologischen Soße gekocht wird. Es gibt keine Kausalität zwischen dem wissenden Subjekt und der bekannten Realität, also gibt es auch kein objektives Wahrheitskriterium. Andererseits führt dieser Subjektivismus auch zu politischem Voluntarismus, denn es gibt auch keine Beziehung zwischen dem Willen des Individuums und einer Perspektive, die es übersteigt und umschließt. Das Subjekt strebt nicht nach menschlicher Emanzipation und Befreiung, was in Realität eine religiöse Metaerzählung wäre, die zum Totalitarismus führt. Im Gegenteil, das Subjekt strebt danach, sein eigenes rhizomatisches Begehren zu verwirklichen und brütet somit auch über das Begehren seines eigenen Willens. Alles, was gewollt wird, ist gut.

Wir können also damit beginnen, einige der Merkmale zu definieren, die die sehr unterschiedlichen Autoren, die wir dieser Strömung zuordnen, vereinen.

– Diese Kritik an der Idee der Wahrheit impliziert die Anfechtung aller revolutionären Theorien als teleologischer und religiöser Ausdruck, als eine Geschichte, hinter der sich ein gnostischer Traum von religiöser Erlösung verbirgt, der der irdischen Welt eine religiöse Prüfung auferlegt. Natürlich ist die revolutionäre Theorie für postmoderne Ansichten eine unter anderen, aber als gute bourgeoise Theoretiker ist sie auch eine gefährliche und schlechte. Daher ist die Postmoderne eine Theorie gegen die Revolution und reduziert die Revolution auf eine Idee unter anderen und nicht auf die reale Bewegung, die diese Welt leugnet, d.h. eine Perspektive, die tief in dieser Welt verankert ist.

– Es wird argumentiert, dass die globale Kritik dieser Welt unmöglich ist, unmöglich zu denken und unmöglich zu praktizieren. Es bleiben uns nur die Ränder. Die Postmoderne flieht vor den Zentren, preist und verherrlicht Unterschiede und Heterogenität. Sie wendet sich gegen die Totalität, die sie als Totalitarismus bezeichnet, und nimmt die Fragmente als einen Ausdruck an, der in der Reichweite des menschlichen Willens liegt. In Realität bekräftigt sie damit die Unmöglichkeit, das Fundament zu hinterfragen, das die unterdrückende Einheit dieser Welt untermauert.

– Dieser extreme Relativismus geht Hand in Hand mit der Reduktion der Realität dieser Welt auf theoretische Repräsentationen. Was wichtig ist, ist das Subjekt, das weiß, und nicht das Objekt, das gewusst wird. Die Konzepte und Kategorien des Subjekts, seine begrifflichen Repräsentationen, seine Diskurse und seine Texte. Alles ist Sprache, die Realität wird ausschließlich durch Worte und Sprache gefiltert, Worte, die, wie wir bereits wissen, keinen Grund haben, uns etwas Wahres über die Realität zu sagen. Für prominente postmoderne Autoren wie Derrida wäre diese Beziehung zwischen Denken und Realität eine Form der Metaphysik der Gegenwart. Der Gegenstand ist unserem Wissen nie unmittelbar gegeben, was zwar wahr ist, aber nicht aufgrund einer bloßen ontologischen und ahistorischen Frage, sondern aufgrund der Art und Weise, wie wir in einer undurchsichtigen, vom Kapital beherrschten Welt leben. Nur wenn wir diesen Warenfetischismus aufdecken, können wir die Realität begreifen, die uns beherrscht.

– Wenn die Realität eine (performative) Konstruktion des Subjekts, seiner Sprache und seiner Repräsentationen ist, dann ist es offensichtlich, dass die Postmoderne dem Determinismus des historischen Materialismus radikal entgegensteht, einem Determinismus, der keine Form des Fatalismus ist. Alles ist ein Produkt des menschlichen Willens, Kontingenz und Zufall dominieren in postmodernen Diskursen über Kausalität und Determinismus. Diese Überhöhung der Freiheit steht im Einklang mit früheren Lehren: Die Realität ist nichts anderes als ein Ausdruck der Vorstellungen der Subjekte, die menschliche Emanzipation kann keine reale Grundlage haben, weil sie sonst totalisierend und totalitär wäre, die Handlungen der Subjekte sind ein reiner Ausdruck ihrer Identität und ihres Willens und daher niemals materieller Interessen und Dynamiken.

Eine Identitätsphilosophie, die sich den materiellen Prozessen der sozialen Polarisierung und der Bildung sozialer Klassen entgegenstellt. Für postmoderne Theoretiker ist alles das Ergebnis von Subjekten, die in ihrer Identität selbstbestimmt sind oder die im Gegenteil ihre Identität durch den Blick der anderen geformt sehen. Es gibt keine materiellen Prozesse, die die Subjekte dieser Gesellschaft formen, d.h. es gibt keine sozialen Klassen. Im Gegenteil, für uns sind Klassen kein Ausdruck sozialer und subjektiver Identitäten, sondern der materiellen Spaltungen dieser vom Kapital beherrschten Welt und der Bewegungen des Kampfes, die auf der Grundlage materieller Widersprüche und Antagonismen das Proletariat als soziale Klasse abspalten, die sich als Partei konstituiert, wie Marx sagte, d. h. als eine gegen die Grundlagen dieser Welt organisierte Subjektivität. Aber dieser ganze Prozess wird vom Determinismus der materiellen Prozesse beherrscht. Identität und soziale Klasse sind nicht gleichzusetzen und passen nicht zusammen. Das Proletariat ist keine Identität unter anderen, die den postmodernen Dreiklang aus Klasse, Rasse und Geschlecht begleiten kann. Und auch die patriarchalische oder rassistische Unterdrückung des Kapitalismus lässt sich nicht aus einer identitären Perspektive heraus verstehen. Die Identitätsbesessenheit der Postmoderne steht im Einklang mit dem Voluntarismus und Antideterminismus, der alle ihre theoretischen Begriffe umgibt.

– Identitarismus, Relativismus, Kritik an Teleologie und Meta-Narrativen, Unmöglichkeit einer emanzipatorischen Perspektive… All dies impliziert eine Kritik des Essentialismus und Dogmatismus, von der wir Kommunisten, die diese Welt negieren wollen, Gebrauch machen werden. Und in der Tat verstehen wir, dass der Kapitalismus durch Kategorien konstituiert wird, die seit seinem Aufkommen als herrschende Produktionsweise im Wesentlichen gleich sind, dass es einen Widerspruch zwischen den menschlichen Bedürfnissen und der Dynamik des Kapitals gibt und dass wir daher von einer menschlichen Natur sprechen können, die, wie alle Formen der Invarianz, dynamisch und nicht statisch ist, aber wesentliche Aspekte enthält: Jeder Mensch muss sich biologisch fortpflanzen, ist ein Gemeinschaftswesen und hat rationale und sentimentale Fähigkeiten. Wir sind natürliche Wesen, die mit Fähigkeiten ausgestattet sind, die, wenn sie nicht entwickelt und eingesetzt werden, eine Entfremdung unseres Seins in der Welt bedeuten, wie Marx und die kommunistische Bewegung von Anfang an erklärt haben. Dies sind die materiellen Grundlagen des Antagonismus und der Gegenposition des Proletariats gegenüber dem Kapitalismus. Die Negation dieses postmodernen Anti-Essentialismus, seine Leugnung der Existenz materieller Grundlagen, impliziert wiederum die Negation sozialer Interessen, die aus der Existenz entstehen und ihr zugrunde liegen. Es bedeutet, wie wir bereits gesehen haben, dass alles auf eine Frage der Identität und nicht der materiellen Existenz reduziert wird. Der Dualismus zwischen Subjekt und Objekt, der der postmodernen Theorie zugrunde liegt, und ihr vorherrschender Subjektivismus implizieren die Reduzierung sozialer Konflikte auf Fragen der Identität und der Anerkennung von Subjekten.

Die Unmöglichkeit, eine Wahrheit über diese Welt und eine befreiende Praxis zu erreichen. Es sind also Theorien der sozialen Ohnmacht, denn wenn nichts authentischer ist als alles andere, gibt es weder eine Grundlage für den Kampf gegen diese Welt noch eine bessere Perspektive, mit der die bestehende Ordnung überwunden werden kann. Es handelt sich also um eine relativistische Sicht der Welt.

2. Der methodologische Individualismus der Postmoderne

Wir finden es interessant, zu Beginn dieses Teils eine Anekdote zu erzählen, die wir in ähnlicher Form tatsächlich schon bei zahlreichen anderen Gelegenheiten erlebt haben. In einer Diskussion über 1968 und die radikale Kritik der Umweltschützer an dieser Welt wurde uns gesagt, dass unsere Perspektive zwar interessant sei, aber nur von der Ökonomie spreche, dass der Fokus der Analyse auf alle Formen der Unterdrückung ausgeweitet werden müsse. Und die antiindustrielle Reflexion nach 1968 hat dabei geholfen. Dieses kleine Beispiel enthält eine Weltsicht, die typisch für die bourgeoise Soziologie ist und implizit von allen postmodernen Theoretikern aufgegriffen wird. Für sie leben wir in einer Welt, die unterdrückerisch ist, aber aus einer Vielzahl von Quellen besteht, die soziale Macht erklären. Die Analyse des Kapitalismus bedeutet, nur eine der Grundlagen der Herrschaft zu verstehen, in diesem Fall die ökonomische. Es ist jedoch notwendig, die Analyse durch eine Betrachtung der Unterdrückung der Geschlechter, des Kolonialismus, der die Beziehungen zwischen Rassen und Ländern bestimmt, der Umwelt und eines konsumistischen und produktivistischen Konzepts, das den Planeten ausbeutet, zu ergänzen… Nur mit diesem pluralen Ansatz können wir eine aktualisierte Sicht auf die Herrschaft des Systems über unser Leben gewinnen. Das wäre, nicht ganz so schematisch, die Art von Ansatz, mit der wir konfrontiert sind. Und es ist einfach nicht wahr. Es gibt keine Vielzahl von Unterdrückungen, die die Menschen dann durch unsere intersektionalen Kämpfe zusammenführen können. Wenn wir dabei bleiben, bleiben wir in der Art und Weise, wie der Kapitalismus den Menschen in ihrem täglichen Leben, in ihrer Existenz erscheint. Der Kapitalismus trennt uns in eine Vielfalt von Sphären, die voneinander getrennt sind, und lässt jede von ihnen als mit Autonomie ausgestattet erscheinen, mit einer eigenen Macht, hypostasiert, fetischisiert. Es handelt sich um eine Teilwahrheit (so erscheint die Realität den Subjekten), die die konstitutive Unwahrheit des Kapitalismus als globale soziale Beziehung verschleiert. Die Politik erscheint als das privilegierte Terrain kollektiver Entscheidungsfindung, das Recht als die Sphäre staatsbürgerlicher Verhaltensnormen, die Familie als Ort des persönlichen und privaten Zusammenlebens und der Zuneigung, der Markt als die Instanz, in der ökonomische Akteure Waren, Dienstleistungen und Produktionsfaktoren austauschen… Das ist die gewöhnliche Art und Weise, in der der Kapitalismus den Menschen erscheint. Es ist kein Zufall, dass das bisher Gesagte die Grundlage der Theorien des politischen und ökonomischen Liberalismus ist, zum Beispiel der neoklassischen Theorie. Postmoderne Autoren sind in ihren Analysen kritischer, mehr an Max Weber angelehnt als an die Vulgärökonomie. Und deshalb sind sie kritisch. Aber kritische Kritik reicht nicht aus, wie Marx und Engels schon wussten, um diese Welt zu leugnen. Postmoderne Autoren entlarven die Falle, in die wir geraten sind. Nicht alles ist rosig. Es ist notwendig, zu dekonstruieren. Das Recht ist ein biopolitisches Instrument, das die Identität der Menschen unter dem Gesichtspunkt der sozialen Kontrolle formt, die Familie ist ein Terrain der patriarchalen Unterdrückung, oder die Staatsbürgerschaft verbirgt ein weißes, cis- und patriarchales männliches Subjekt, das die Welt beherrscht… Dieser Versuch ist sicherlich kritisch gegenüber der Art und Weise, wie diese Welt erscheint, aber er enthüllt nicht ihre Daseinsberechtigung, ihr Fundament. Es ist kein Zufall, dass die Postmodernen die Frage nach dem Ursprung scheuen. Trotz ihrer genealogischen und archäologischen Bemühungen gibt es keinen Ursprung, der es uns ermöglicht, die Entstehung der Kategorien, die uns beherrschen, konkret und praktisch zu verstehen. Letztlich ist alles das Ergebnis des Willens zur Macht und der Vorherrschaft einiger Subjekte über andere. Männer gegen Frauen, Weiße gegen rassifizierte Menschen, Heterosexuelle gegen Homosexuelle, Behinderte gegen Nichtbehinderte … Und das alles in einer Vielzahl von Kombinationen, die ein komplexes Geflecht aus Privilegien und Gegenprivilegien bilden.

All diese Argumente erklären jedoch nur sehr wenig und verfälschen in der Realität das Wesentliche. Es handelt sich um eine Art Idealtypus (wie in Webers Soziologie), in dem die Dynamik des pluralen Verhaltens von Subjekten verallgemeinert wird. Wie in jeder Verhaltenssoziologie geht es darum, diese Verhaltensweisen zu analysieren und daraus allgemeine Modelle zu konstruieren, die es uns ermöglichen, diese menschlichen Verhaltensweisen zu universalisieren und zu verallgemeinern. Diese Sichtweise setzt das Individuum als treibende Kraft hinter seinem eigenen Verhalten voraus (daher der Begriff methodologischer Individualismus), und das Ziel ist es, es zu beobachten und theoretisch über es nachzudenken. Sie geht vom Konkreten zum Abstrakten. Und das Konkrete wäre das soziale Verhalten von Individuen. In diesem Fall mehr oder weniger privilegierte Individuen, mit mehr oder weniger sozialer Anerkennung, mit mehr oder weniger Machtwillen. Aber der Ausgangspunkt ist immer das Individuum und seine soziale Selbstdarstellung.

Was wäre, wenn das Konkrete in Realität ein historisches Produkt wäre, was wäre, wenn das Konkrete wiederum eine Synthese aus mehreren abstrakten Bestimmungen wäre? Das ist der Ausgangspunkt von Marx und von uns. Das von der Gemeinschaft getrennte Individuum ist ein historisches Produkt des Kapitalismus, ebenso wie die Existenz selbst in den einzelnen Instanzen der Ökonomie, der Politik, des Öffentlich-Privaten, des Rechts, der Nationen… Von diesen Quellen sozialer Macht als natürlicher Sphäre auszugehen, in der die Subjekte handeln, bedeutet einfach, auf dem Terrain der kapitalistischen Welt zu bleiben, aber zu glauben, dass sie natürlich und nicht historisch, neutral und nicht eine Instanz der sozialen Reproduktion und Herrschaft ist. Das Paradoxe an der Postmoderne ist, dass sie in ihrem Versuch, alles in Frage zu stellen, die konstitutiven und historischen Grundlagen des Kapitalismus einfach naturalisiert. In diesem Sinne sagen wir, dass das Konkrete eine Synthese des Abstrakten ist, d. h. der abstrakten Kategorien des Kapitalismus, die die vom Kapital beherrschte Welt der menschlichen Praxis durchdringen und konstituieren. Die Postmoderne naturalisiert die Verhaltensweisen der Subjekte oder erklärt sie allenfalls als Ergebnis unterschiedlicher Vorstellungen oder Machtwillen im Kampf, während sie in Realität Ausdruck der Art und Weise sind, in der der Kapitalismus einen bestimmten Typus von Subjekt und menschlicher Anthropologie hervorbringt.

Der Kapitalismus ist eine Produktionsweise, die einen sehr genauen Ursprung hat. Er entsteht historisch aus den Brüchen der bäuerlichen Gemeinschaften in Europa, die diese Bauern dazu zwingen, Proletarier zu werden, indem sie ihre Arbeitskraft verkaufen, und auf einem Weltmarkt, der mit der kastilischen und portugiesischen Eroberung Amerikas entscheidend erweitert wurde. Indem das Proletariat seine Arbeitskraft an das Kapital verkauft, wird das Kapital produktiv verwertet. Das Kapital schwillt im Wert an, es wird dadurch vermehrt. Das Kapital ist in Realität nichts anderes als Mehrwert, d. h. Wert, der sich mit Wert aufbläht und diesen ständig erhöht. Das macht den Kapitalismus zu einer Produktionsweise, die vom Kapital beherrscht wird, von jener Gesellschaftsform, die vom unerbittlichen Streben nach Wertsteigerung angetrieben wird. Es ist ein System, in dem die Beziehungen zwischen den Menschen den sozialen Dingen untergeordnet sind, das seine eigene Bewegung hat und eine Art zweite Natur darstellt. Was ursprünglich eindeutig eine gewalttätige soziale Beziehung ist, erscheint den Subjekten als etwas Natürliches. Die Geschichte, die aus den Eingeweiden der kapitalistischen Gesellschaft geboren wird, erzählt uns, dass es normal ist, jeden Morgen aufzustehen und zur Arbeit zu gehen, weil wir von irgendetwas leben müssen. Es ist normal, unsere Arbeitskraft zu verkaufen und dafür einen Lohn zu bekommen. Es ist normal, dass der Eigentümer des Produktionsfaktors (der Maschinen), der unsere Arbeitskraft mietet, sich die Früchte unserer zunehmend kollektiven Arbeit aneignet. Das alles ist völlig normal, weil es sich um einen Vertrag handelt, der zwischen Subjekten geschlossen wurde, die frei und gleich in ihrem abstrakten Willen sind. All das findet auf einem bestimmten Markt statt, z. B. auf dem Arbeitsmarkt. Das heißt, was ein gesellschaftliches Ausbeutungsverhältnis ist, erscheint den beteiligten Subjekten als etwas Natürliches, das von gesellschaftlichen Kräften bewegt wird, die nicht von ihnen kontrolliert werden und sich verselbständigen. Deshalb spricht Marx vom Kapital als einer unpersönlichen Kraft (die nicht von uns kontrolliert wird), die sich durch eine automatische Dynamik bewegt und uns zu Anhängseln (Dingen) macht, die ihrer Kraft unterliegen.

Dies ist das soziale Verhältnis, das die Postmoderne zu naturalisieren versucht. Darüber hinaus drückt sich dieses vom Kapital vermittelte soziale Verhältnis nicht nur in einer ökonomischen Sphäre aus, sondern verdichtet und kristallisiert sich in vielfältigen Bestimmungen und Terrains, durch die Aktivitäten, Überlegungen, Umstände, Denkweisen und menschlicher Austausch in Bezug auf die Menschen, die sie aufrechterhalten, objektiviert und autonomisiert werden. Auf diese Weise können wir von verschiedenen Metamorphosen der Wert-Form in den verschiedenen Instanzen des gesellschaftlichen Lebens sprechen, die die für den Kapitalismus typische fetischistische und verdinglichende Logik übertragen. Der Kapitalismus verdinglicht nicht nur die ökonomischen Beziehungen, sondern seine Metamorphosen berühren alles. Der Kapitalismus erklärt nicht alles, aber nichts kann verstanden werden, wenn wir den Kapitalismus nicht verstehen. Die Logik der Wert-Form reproduziert sich auf der Grundlage einer Vielzahl von Trennungen und Spaltungen, die für sie eigen sind: zwischen der Produktion und der Zirkulation von Waren, zwischen der Sphäre der Produktion (Lohnarbeit) und der Sphäre der Reproduktion (der privaten Sphäre von Familien und Elternschaft, dem privilegierten Ort der patriarchalischen Struktur des Kapitalismus), zwischen der privaten Sphäre der Zivilgesellschaft und der des Staates, zwischen Handelsrecht und öffentlichem Recht, zwischen Staatsbürgern und Arbeitern, zwischen Mensch und Natur, zwischen Körper und Geist… All diese Formen sind der Logik des Werts in ihrer fortwährenden und unpersönlichen Reproduktion immanent. Sie sind nicht Ausdruck eines freien individuellen Verhaltens oder eines persönlichen Machtwillens, sondern Formen, in denen die Logik des Werts in einem permanenten Prozess gerinnt. Das verstehen nicht alle bourgeoisen Theoretiker, die in ihren Analysen von der gesellschaftlichen Natürlichkeit des Kapitals ausgehen. Sie können allenfalls die schädlichsten Auswirkungen in Frage stellen, für eine gerechtere Verteilung des Werts oder für die Anerkennung der Opfer der Kapitaldynamik kämpfen. Aber immer ohne die Dynamik selbst in Frage zu stellen. Ohne zu verstehen, dass der Schatten des Kapitals hinter all diesen Bewegungen steht. Denn das kapitalistische Gesellschaftsverhältnis ist nicht nur ein Ausdruck der Produktionsverhältnisse zwischen Kapital und Arbeit. Wenn wir von Kapitalismus sprechen, reden wir nicht nur über Ökonomie, sondern über die gesellschaftliche Gesamtheit, die Ausdruck der Dynamik des Kapitals in Bewegung ist, in der Metamorphose, in der es neue Gesichter in Form von Recht, Demokratie, Staatsbürgerschaft … annimmt. Unsere Kritik am Kapital ist auch untrennbar eine Kritik an der Politik, am Patriarchat, am Recht.

Wir sprechen also nicht über ein soziales Verhältnis, das eine summative Kombination von Netzwerken, Interaktionen und Institutionen ist, sondern im Gegenteil über dieselbe soziale Logik, die das soziale Verhalten in die Metamorphosen der Wert-Form des Kapitals einschreibt. Deshalb kann soziales Verhalten nicht (wie die Postmoderne und die bourgeoise Soziologie meinen) außerhalb dieser Analyse der Bewegungen des sozialen Kapitals verstanden werden, und schon gar nicht als Ausgangspunkt für Gesellschaftskritik.

Das ist der große Unterschied in der theoretischen Methode zwischen unserer Partei und anderen kapitalismuskritischen Strömungen, die jedoch im langen Schatten des Kapitals stehen. Die Postmodernen, als typischer Ausdruck der bourgeoisen Soziologie, gehen von einer analytischen Sichtweise aus, die auf der Art und Weise basiert, wie die Realität den Subjekten erscheint, und von dort aus verallgemeinern sie, wobei sie Gefangene der unpersönlichen Dynamik des Kapitals selbst bleiben. Das soziale Verhältnis, das sich durch mehrere Masken entfaltet, ist für die Menschen in ihrer sozialen Isolation nicht direkt sichtbar und wahrnehmbar. Masken wie Technologie, Warenästhetik, der Überfluss an Objekten, Konsum, Demokratie und Allgemeinwohl, Menschenrechte… Sie alle sind Ausdruck desselben sozialen Wesens, des Kapitals und seiner abstrakten Logik. Es ist nicht sichtbar, aber es wirkt als das wahre Prinzip der Realität. Das Kapital ist eine Reihe von Abstraktionen, die seine soziale Dynamik formen und die, wie wir sagen, untrennbar mit seiner Bewegung selbst verbunden sind. Ihren gemeinsamen Ursprung und ihre Verknüpfung zu ignorieren und sie als autonome und unabhängige Einheiten zu verstehen, entwaffnet uns und macht unsere Kritik ohnmächtig. Lohnarbeit und patriarchalische Familie, Staatsbürgerschaft und Recht, Demokratie und Nation … sind Ausdruck ein und derselben sozialen Welt, nämlich der des abstrakten Individuums, das seine Verbindung zu vorkapitalistischen Gemeinschaften gelöst hat. Das Kapital ist der wahre Geist der Welt, auch wenn es in seiner Unmittelbarkeit nie als solcher erscheint, auch wenn es die Beziehungen zwischen sozialen Dingen oder zwischen verdinglichten und gesellschaftlich produzierten Denkformen vermittelt. Gegen diese materielle Grundlage müssen wir uns wenden. Das Patriarchat oder der herrschende Ökozid sind nicht einfach das Produkt von Weltanschauungen, sondern Ausdrucksformen, die in der Materialität einer sozialen Dynamik verwurzelt sind. Deshalb können wir das Patriarchat nicht dekonstruieren, um es zu beenden, oder weniger konsumorientiert sein, um den Ökozid zu stoppen. Nur eine stärkere Materialität ist in der Lage, dem verborgenen Monster, das sich in seiner automatischen Verwandlung für allwissend hält, ein Ende zu setzen. Der Kommunismus ist die reale Bewegung, die all diese Formen negiert, um sich selbst zu bestätigen und das Kapital zu negieren.

3. Der Wille zur Macht als Ursprung?

Nach dem, was wir bisher gesehen haben, können wir verstehen, dass es eine Logik der Identität gibt, die dieser Gesellschaft innewohnt und die aus ihren Grundlagen und Parametern erwächst. Identität als Selbstbewusstsein in einer klassenbasierten und daher unterdrückerischen Gesellschaft kann nicht anders, als die Grundlagen der Gesellschaft zu reproduzieren, die sie ständig hervorbringt. Deshalb bewegt sich die Identitätspolitik, die der unmittelbarste ideologische Ausdruck der Postmoderne ist, immer innerhalb der Kategorien dieser Welt. Sie verstehen weder ihren Ursprung noch, warum sie sich selbst reproduziert, noch ihre Kategorien oder wie man sie abschafft.

Für die Postmoderne ist alles eine Frage der Macht. Allerdings ist der Ursprung der Herrschaft nicht ganz klar. Es läuft alles auf den Machtwillen einiger Subjekte gegenüber anderen, einiger Weltanschauungen gegenüber anderen hinaus. Wir sind zu einem ewigen Konflikt verdammt, aus dem es keinen Ausweg gibt. Es ist ein Krieg aller gegen alle, der nur in der rechtlichen Anerkennung der subalternen Identität durch den Staat eine Lösung finden kann. Es ist kein Zufall, dass man am Ende zum selben Schluss kommt wie Hobbes, wenn auch auf eine andere Art und Weise. Der Staat als Repräsentant multipler Identitäten dient als Vermittler. Nur er kann diesen ständigen Konflikt durch die Anerkennung subalterner Identitäten vermitteln: durch Gesetze zugunsten von Trans-Personen, durch eine Politik zugunsten rassifizierter Menschen in Schulen, durch eine Politik des Gedenkens an die koloniale Vergangenheit, durch das Abreißen von Statuen ehemaliger Sklavenhalter… Das Problem bei dieser Politik ist, wie bei allem, was der Staat tut, dass er Unterdrückungen nicht auflöst und abmildert, sondern sie auf eine höhere Ebene hebt. Und Tatsache ist, dass der Ursprung dieser realen Unterdrückungen (Rassismus, Patriarchat, der Mangel an Lebenssinn, den viele Menschen heute erleben…) eine gemeinsame Wurzel in der Art und Weise hat, wie der Kapitalismus seine Ausbeutung organisiert, sowie in all den Unterdrückungen, die wir weltweit erleben. Kein Gesetz wird den Rassismus beseitigen. Tatsache ist, dass der kapitalistische Wettbewerb ein Treibstoff ist, der den Funken des rassistischen Motors permanent entzündet. Es ist die kapitalistische Welt, ihre eigene Anthropologie, der permanente Wettbewerb, der in nationalen kollektiven Identitäten organisiert ist, der den Rassismus zu etwas macht, das dem Kapitalismus selbst immanent ist. So ist die Geschichte des Kapitalismus untrennbar mit der Geschichte dieser Unterdrückungen verbunden.

Aber wenn man von einer identitären Sichtweise ausgeht, die alles auf konfliktträchtige Subjekte reduziert, die von einem Willen zur Macht angetrieben werden, bedeutet das logischerweise, dass die Trennung ad infinitum reproduziert wird. Es gibt immer einen anderen, der unterdrückt wird und der anerkannt werden muss. Die postmoderne Logik der Herrschaft und die Logik der Ausbeutung, die unsere historische Partei verteidigt, sind antagonistisch. Die kapitalistische Ausbeutung geht davon aus, dass es eine abstrakte Totalität gibt, den Wert, der seine Herrschaft in allen Lebensbereichen reproduziert und vereinheitlicht. Wie die Subjekte diese Ausbeutung und Beherrschung erleben, kann nur auf der Grundlage dieser konkreten Totalität verstanden werden. Die Aufteilung der Herrschaft in verschiedene Bereiche dient lediglich dazu, nichts zu verstehen und sich innerhalb einer Totalität, die der Kapitalismus ist, in seinen eigenen Kategorien zu bewegen. Das ist es, was mit der postmodernen Identitätspolitik geschieht. Und so können sie sich beim Handeln nur auf die entsprechenden Kanäle beziehen, die ihnen der Kapitalismus selbst in seiner unpersönlichen Reproduktion vorgibt. Wenn es eine subalterne Identität gibt, muss man dafür kämpfen, dass der Staat sie anerkennt und ihr Rechte zugesteht. Die Grundlage der Identitätspolitik sind die Demokratie und der Staat, die Nation und das Gesetz als soziale Bindemittel für die Identität der Subjekte. Identitätspolitik geht von den Trennungen und Fragmentierungen dieser Welt aus und kann nur durch die Kategorien, die diese Welt ihr bietet, eine gescheiterte Einheit und Stabilität versuchen. Wie wir im Abschnitt über Intersektionalität sehen werden, ist die Bedeutung von Rechtsstudien und Praktiken zur Anerkennung von Rechten für Identitätsaktivisten nicht zufällig. Sie ist die logische Konsequenz ihrer eigenen theoretischen Positionen.

Unsere Perspektive besteht nicht darin, die Anerkennung dieser Welt zu erreichen, sondern sie zum Explodieren zu bringen. Es ist die Logik der Negation, um das wahre menschliche Gemeinschaft (Gemeinwesen) zu bejahen, eine Gemeinschaft, die nur durch die Negation der materiellen Grundlagen dieser Welt entstehen kann: Waren, soziale Klassen, Staaten und Nationen. Mit anderen Worten: Es geht weder um Anerkennung noch um die Verteilung von Macht oder Ressourcen, sondern um die radikale Verneinung der Kategorien des Kapitalismus. Unsere Bewegung hat diese negative Bewegung, die die menschliche Gemeinschaft bejaht, historisch als Kommunismus bezeichnet: diese reale Bewegung, die den gegenwärtigen Zustand verneint und überwindet. Das Proletariat ist die revolutionäre Klasse (und nicht nur ausgebeutet), insofern die Proletarier „(…) keine Ideale zu verwirklichen; sie hat nur die Elemente der neuen Gesellschaft in Freiheit zu setzen, die sich bereits im Schoß der zusammenbrechenden Bourgeoisgesellschaft entwickelt haben“ (Marx, Der Bürgerkrieg in Frankreich, Kapitel III). Und dies ist insofern möglich, als das Proletariat die Bildung einer Klasse mit radikalen Ketten voraussetzt, einer Klasse der bourgeoisen Gesellschaft, die keine Klasse der bourgeoisen Gesellschaft ist, einer Gesellschaftsschicht, die das Verschwinden aller Gesellschaftsschichten ist; eines Sektors, der einen universellen Charakter aus seinen universellen Leiden ableitet und keine Sonderrechte beansprucht, weil sie nicht unter einer sozialen Ungerechtigkeit leidet, sondern unter der Ungerechtigkeit selbst, der sich nicht mehr auf einen historischen Vorwand berufen kann, sondern auf einen menschlichen Vorwand, der nicht in einem besonderen Widerspruch zu den Folgen, sondern in einem universellen Widerspruch zu den Prämissen der deutschen öffentlichen Ordnung steht; eines Sektors schließlich, der nicht emanzipiert werden kann, ohne sich von allen anderen Sektoren der Gesellschaft zu emanzipieren und ohne diese ihrerseits zu emanzipieren; mit einem Wort, es bedeutet, dass der totale Verlust des Menschen nur durch die vollständige Wiedergewinnung des Menschen wettgemacht werden kann. Diese Auflösung der Gesellschaft, in Form einer besonderen Klasse, ist das Proletariat.

Wie wir sehen, ist das Proletariat für uns und unsere historische Partei gleichzeitig eine ausgebeutete und revolutionäre Klasse. Es ist revolutionär, weil es in der materiellen und realen Bewegung der Verteidigung seiner menschlichen Bedürfnisse die Notwendigkeit bekräftigt, die gesamte alte Welt, die wir kapitalistisch nennen, aufzulösen und eine neue Welt zu bejahen, die bereits potenziell in den Eingeweiden der alten Welt am Werk ist. Das Proletariat macht kein Sonderrecht geltend, sondern kämpft für die Abschaffung aller Formen des Rechts und damit des Staates. Das Proletariat ist, wie Marx behauptet, die entscheidende Ursache für die Auflösung der kapitalistischen Gesellschaft. Zu diesem Zweck muss es alle dieser Welt innewohnenden Trennungen und Zersplitterungen auflösen, um die kommunistische materielle Gemeinschaft zu bekräftigen. Das Proletariat setzt seine Interessen und Rechte nicht innerhalb dieser Welt durch, sondern kämpft darum, sich selbst zu negieren, indem es die gesamte Welt des Kapitals negiert: nicht nur die Ökonomie als Terrain der Produktion und der Realisierung des Werts, sondern auch die Politik als soziale Vermittlung des menschlichen Willens, das Patriarchat als Kristallisation der Geschlechterverhältnisse, den Rassismus als gewalttätige und unterdrückerische Beziehung zum Anderen… Aus der Perspektive von Marx muss der Kampf zwischen den Klassen, der soziale Krieg, der dem Kapitalismus eigen ist, innerhalb des globaleren Zusammenstoßes zwischen Kapitalismus und Kommunismus verstanden werden. Das Proletariat ist lediglich das handelnde Subjekt dieser Bewegung hin zum Kommunismus, denn um seine menschlichen Bedürfnisse zu verteidigen, muss es sich als Klasse behaupten, indem es sich als Partei konstituiert und durch die Weltrevolution die Bedingungen der Möglichkeit schafft, sich selbst und den Kapitalismus zu negieren. Es ist der einzige Sektor dieser Welt, der darum kämpft, sich selbst auf allen Ebenen seiner Existenz zu negieren.

Weder Anerkennung noch Verteilung: kommunistische Negation.

4. Modernität oder Postmoderne?

Allein die Tatsache, dass wir von Moderne oder Postmoderne sprechen, impliziert bereits eine theoretische Konzeption, die unserer Perspektive und Methode fremd ist. Es ist kein Zufall, dass wir von Produktionsweisen und nicht von Zivilisationen sprechen. Von der Moderne zu sprechen, bedeutet, von einer Zivilisation zu sprechen, die durch ein Weltbild (die Aufklärung) und säkularisierte soziale Praktiken in der Politik geprägt ist. Der vorherrschende Ansatz ist wieder einmal der von Max Weber. In diesen Ansätzen dominieren Perspektiven, in denen die Analyse durch die Zentralität von Ideen, Kultur, Herrschaftswillen und sozialem Verhalten vermittelt wird… Die Prozesse sind unausweichlich, aber nicht aus der Logik unseres historischen Determinismus. Sein Determinismus ist fatalistisch und geht immer von einer Sackgasse aus, aus der es keinen emanzipatorischen Ausweg gibt. Die Moderne birgt in sich den eisernen Käfig, der unser Leben in einer instrumentellen Rationalität gefangen hält. Wir werden zu Anhängseln einer bürokratischen Maschine, die die qualitativen Aspekte unseres Lebens in sich einschließt. Oberflächlich betrachtet unterscheidet sich die Perspektive nicht so sehr von Marx‘ Warenfetischismus, und doch sind der Ausgangspunkt und das Ergebnis völlig anders. Unsere Methode ist diametral entgegengesetzt.

Wenn wir von einem materialistischen und historischen Ansatz ausgehen, der den Kapitalismus als Widerspruch im Prozess begreift, können wir verstehen, dass die kapitalistische Welt in ihrer Materialität viel widersprüchlicher ist, als die Soziologie und die bourgeoise Philosophie zugeben wollen, weil sie letztlich von ihren eigenen Kategorien her denken. Der berühmte Webersche eiserne Käfig ist nicht das Ergebnis bloßer und unvermeidlicher sozialer Komplexität, sondern einer auf alle Aspekte des Lebens verallgemeinerten Logik, der Logik der Ware, die uns zu Dingen und Instrumenten für andere macht und den Waren und Dingen automatisch Persönlichkeit verleiht. Daraus erwächst die instrumentelle Rationalität. Einmal mehr wird deutlich, dass die modernen Sozialwissenschaften nichts anderes sind als objektive Denkformen der Kategorien des Kapitals. Die Moderne als Konzept ist nichts anderes als das Ergebnis der Verallgemeinerung verschiedener Idealtypen, die aus den Erfahrungen und Identitäten des sozialen Verhaltens in dieser Welt hervorgehen. Und natürlich werden soziale Verhaltensweisen von den Menschen auf eine Knast-Weise empfunden. Wir leben ein eingeschlossenes, erstickendes, zunehmend sinnloses Leben. Die Moderne ist all das, und sie wird immer tiefgreifender, denn sie ist keine einfache Logik, sondern die konkrete Materialität, die entsteht und alles in dieser Welt umschließt.

Und gleichzeitig ist sie eine dynamische, widersprüchliche, dialektische Totalität. Dieses letzte Wort, das für manche so magisch ist, als wäre es ein Fetisch, ist dennoch grundlegend für Marx und seinen Ansatz. Marx analysiert stets die widersprüchlichen Pole jeder sozialen Realität, jeder Produktionsweise. Der Kapitalismus ist gleichzeitig eine Katastrophe, aber in seiner eigenen Entwicklung bereitet er seine Negation vor. Deshalb ist die Perspektive von Marx nicht die einer Rückkehr in eine idyllische und ferne Vergangenheit, sondern die der universellen Gemeinschaft, eines Kommunismus als Plan für die Spezies. Der Kapitalismus stirbt an der sozialen Komplexität. Die Entwicklung der Produktivkräfte passt nicht mehr in den engen Rahmen der kapitalistischen Gesellschaftsbeziehungen. Wir können nicht mehr unter der Ägide von Wert, Geld, Ware und abstrakter Arbeit leben. Wie Marx in seinen vorbereitenden Notizen zum Kapital, den Grundrissen, deutlich erklärt:

„Das Kapital fügt hinzu, daß es die Surplusarbeitszeit der Masse durch alle Mittel der Kunst und Wissenschaft vermehrt, weil sein Reichtum direkt in der Aneignung von Surplusarbeitszeit besteht; da sein Zweck direkt der Wert, nicht der Gebrauchswert. Es ist so, malgré lui, instrumental in creating the means of social disposable time, um die Arbeitszeit für die ganze Gesellschaft auf ein fallendes Minimum zu reduzieren und so die Zeit aller frei für ihre eigne Entwicklung zu machen. Seine Tendenz aber immer, einerseits disposable time zu schaffen, andrerseits to convert it into surplus labour. Gelingt ihm das erstre zu gut, so leidet es an Surplusproduktion, und dann wird die notwendige Arbeit unterbrochen, weil keine surplus labour vom Kapital verwertet werden kann. Je mehr dieser Widerspruch sich entwickelt, um so mehr stellt sich heraus, daß das Wachstum der Produktivkräfte nicht mehr gebannt sein kann an die Aneignung fremder surplus labour, sondern die Arbeitermasse selbst ihre Surplusarbeit sich aneignen muß. Hat sie das getan – und hört damit die disposable time auf, gegensätzliche Existenz zu haben –, so wird einerseits die notwendige Arbeitszeit ihr Maß an den Bedürfnissen des gesellschaftlichen Individuums haben, andrerseits die Entwicklung der gesellschaftlichen Produktivkraft so rasch wachsen, daß, obgleich nun auf den Reichtum aller die Produktion berechnet ist, die disposable time aller wächst.“ Karl Marx, Grundrisse, MEW Band 42

Das Problem liegt nicht in der sozialen Komplexität, sondern darin, dass der Grad der materiellen Entwicklung, den die Menschheit erreicht hat, eine unumkehrbare Gabelung impliziert: kapitalistische Katastrophe oder Kommunismus. Tertium non datur. Es gibt kein kleineres Übel und keine Alternative. Unser historischer und dialektischer Determinismus hat nichts mit dem Fatalismus der modernen oder postmodernen Interpretationen des Kapitalismus zu tun. Der Kommunismus ist die Produktions- und Lebensweise, die für unsere Spezies auf der gegenwärtigen Stufe der historischen Entwicklung möglich ist. Tatsächlich ist sie die einzig mögliche, wenn wir nicht in eine immer größere Katastrophe stürzen wollen.

Moderne und Postmoderne ist das Binom, um das sich die Soziologie und die bourgeoise Philosophie heute größtenteils streiten: auf der einen Seite die Verfechter der Moderne und der Aufklärung, wie Habermas; auf der anderen Seite ihre Kritiker, die postmodernen Autoren in ihren verschiedenen Versionen. Für uns ist das eine falsche Dichotomie.

Auf der einen Seite verteidigen Philosophen wie Habermas die europäische Aufklärung als Sinnbild der Vernunft und des menschlichen Fortschritts. Die Moderne mit ihrem Einsatz der Vernunft im öffentlichen Raum ermöglicht eine kommunikative Rationalität, die ihre Grundlage in einer „Lebenswelt“ findet, die nicht von den Strukturen des sozialen Systems kolonisiert werden kann und soll. Die Aufklärung und die Moderne leben in diesem Konflikt zwischen dem Weber’schen eisernen Käfig und der Möglichkeit einer kommunikativen Rationalität, die die Lebenswelt der Menschen, ihre tiefste Verankerung, entwickelt. Die Aufklärung und die philosophische Moderne ermöglichen diese positive Öffnung zum Leben durch die Politik, die verhindert, dass sich ökonomische und politische Systeme von ihren tiefsten anthropologischen Grundlagen ablösen. Habermas und seine postmodernen Gegner haben viel mehr gemeinsam, als sie sich selbst einzugestehen wagen. Wie wir bereits gegenüber den Postmodernen gesehen haben, geht auch Habermas vom Verhalten der symbolisch und kommunikativ strukturierten Subjekte aus, um über die Gesellschaft nachzudenken. Mit anderen Worten: Es sind die Identität der Subjekte und ihre Aktionen, die uns helfen, über das Funktionieren von sozialen Systemen nachzudenken. Daher kann Habermas nicht verstehen, warum die Prozesse der Autonomisierung sozialer, politischer, kultureller und ökonomischer Systeme stattfinden… Dazu muss man die Grundlagen der gesellschaftlichen Produktion und Reproduktion verstehen, und die sind nicht in erster Linie im sozialen Verhalten zu finden. Im Gegenteil, es ist ein Produkt davon.

Dennoch präsentiert sich Habermas auf voluntaristische und idealistische Weise als Verteidiger der modernen Rationalität, als ein unvollendetes Projekt. Die Aufklärung macht es möglich, den Defiziten ihrer Grenzen mit dem Einsatz von authentischer Vernunft und einer deliberativen Demokratie, die kommunikative Aktion einsetzt, zu begegnen. Im Gegensatz dazu sehen postmoderne Autoren den Ursprung des Bösen eindeutig in der Moderne selbst und allem, was sie mit sich bringt, verwurzelt. Eine teleologische Perspektive der menschlichen Entwicklung hin zur Emanzipation, hinter der sich in Realität eine Säkularisierung des religiösen Narrativs verbirgt, eine Form des Gnostizismus, diesmal im Gewand radikaler Ideologien (anarchistisch und/oder kommunistisch), ein Projekt des Social Engineering, hinter dem sich die Totalitarismen des 20. Jahrhunderts verbergen, ein Gebrauch der Vernunft, der die Welt mit monströsen Träumen überzogen hat…. Es gibt kein universelles Projekt, wie die Moderne dachte, denn hinter jedem Universalismus steht immer ein bestimmtes Individuum, das sich unrechtmäßig als das Universelle ausgibt. Und das tut es auf der Grundlage seines Willens zu herrschen.

Alles, wofür wir Platz haben, sind Fluchtlinien in Bezug auf das Bestehende, Subtraktion als Strategie, um totalitäre Meta-Narrative wie die Weltrevolution zu vermeiden, das Molekulare immer besser als das Molare, das Alltägliche im Gegensatz zu den Formen des Social Engineering revolutionärer Programme, die konkreten Identitäten der Individuen im Gegensatz zur Tyrannei der Abstraktionen?

Natürlich hat die postmoderne Vision der Moderne theoretisch viel mit der modernen Philosophie gemeinsam, die sie kritisiert. Sie ist einfach eine Radikalisierung davon, wie wir bereits an anderer Stelle ausgeführt haben.2

Von der Postmoderne aus wird das Universelle als etwas Vorkonstituiertes kritisiert, das Vielfalt und Partikularismen nicht berücksichtigt. Das wird zum Beispiel sehr deutlich, wenn man sieht, wie die Rassifizierung die Vorstellung von der Arbeiterklasse als einer universellen Klasse kritisiert, wenn sie in sich überschneidende und hierarchische Rassen unterteilt ist. Wir wissen bereits, dass damit jede Vorstellung von Universalität beseitigt wird und es dann keinen Ausweg mehr gibt. Im Grunde genommen greift diese Perspektive die ewige Debatte in der Philosophie zwischen dem Universellen und dem Partikularen auf. Postmoderne Autoren sagen uns, dass jedes Universelle nichts anderes als eine eindeutige Reduktion ist, die das Besondere, das Konkrete, auslöscht. Es wäre also eine totalitäre Operation. Und doch ist dies nicht die einzige mögliche Beziehung, die zwischen dem Universellen und dem Partikulären konstituiert werden kann.

Denken wir an unseren kommunistischen Klassenbegriff, der nicht der der soziologischen Arbeiterklasse ist, sondern ein universelles Werden: Wenn das Proletariat kämpft, muss es sich mit den Formen der Trennung auseinandersetzen, die das Kapital ihm auferlegt, um zu siegen, und dabei wird es universell und nimmt die universelle Gemeinschaft des Kommunismus vorweg. Doch das ist unverständlich, wenn wir nicht verstehen, wie der Kapitalismus zuvor die Grundlagen dafür gelegt hat: Er hat den gesamten Planeten unterworfen und proletarisiert, er hat mit seinem individualisierenden Impuls die patriarchalischen und traditionellen Strukturen vorkapitalistischer Gemeinschaften ausgehöhlt, er hat die Religion als Paradigma für das Verständnis der Welt in Frage gestellt und so weiter. Die Beziehung zwischen dem Universellen und dem Partikularen ist von einer ständigen Analogie durchzogen. Einerseits wird das Proletariat zu einer universellen Klasse, indem es sich mit den verschiedenen Formen der Trennung vom Kapital auseinandersetzt, andererseits ist es die Universalität (Totalität) des Kapitals, die die verschiedenen partikularen Instanzen konstituiert, die seinen Bereich ausmachen. Das Universelle und das Partikuläre stehen in der Realität des Kapitalismus und seiner globalen historischen Bewegung in einer ständigen wechselseitigen und dialektischen Beziehung. Das ist etwas ganz anderes als der Reduktionismus, den die postmoderne Auffassung von Kapitalismus darstellt.

5. Unser historischer Faden

Die Postmodernen lesen alles durch ihre Scheuklappen. Alles ist eine subjektive Identität, so dass das Proletariat und seine Geschichte, seine Parteien und formalen Organisationen, sein historisches Programm … auf eine Weltanschauung unter anderen der Moderne reduziert werden. Eine Vision, die in diesem Fall darauf abzielt, die Vorherrschaft des cis-männlichen Arbeiters gegen den Rest der subalternen Minderheiten durchzusetzen. Für sie ist alles eine Geschichte, aber das wirkliche Leben und die Geschichte lassen sich nur auf trickreiche Weise auf bloße Ideenkonflikte reduzieren. Das kommunistische Programm des Proletariats, das genau durch die Negation der Klassengesellschaft und des Proletariats geht, verschwindet daher einfach aus der postmodernen Gleichung. Sie wissen es einfach nicht. Sie trinken so sehr von der Moderne, dass sie nur ein weiterer Ausdruck der Konterrevolution sind, die schon seit 100 Jahren im Gange ist. Für sie ist der Marxismus der Stalinismus, die Proletarier sind die an die kapitalistische Konkurrenz geketteten und in national-kommunistischen Parteien organisierten Arbeiter… Unsere Gegenposition zu dieser Perspektive kann nur frontal sein. Es ist die Frontalität, die wir mit jeder bourgeoisen Fraktion auf der politischen und ideologischen Ebene haben.

Und natürlich unterscheidet sich unsere Geschichte, die unserer Klasse und unserer Minderheiten, sehr von den ignoranten Erzählungen, die in einem Text eingeschlossen sind, um die logozentrische Kontamination3 zu vermeiden, wie Derrida sagen würde, also die Kontamination des realen Lebens. Unsere Klasse und unsere Partei werden dauerhaft aus dem Boden dieser Gesellschaft geboren, deshalb ist sie historisch. Und sie ist ihrem Wesen nach global, wie der Kapitalismus. Es handelt sich um eine materielle, konstitutive und primäre Realität der sozialen Welt, in der wir leben, und nicht um einen bloßen sprachlichen Wunsch. Ein Proletariat, das als Klasse überall für die Verteidigung unserer historischen Interessen gekämpft hat, von der Pariser Kommune 1871 bis nach Russland 1917, von Deutschland 1919 bis nach Ecuador 1922, vom Italien des Bienio Rosso bis zu den chinesischen Proletariern von 1927 und zu den Kämpfen, die in den 1960er und 1970er Jahren mit der Wiederaufnahme des unabhängigen Klassenkampfes die Welt eroberten, von Paris bis zum Vitoria des wilden Streiks, vom Italien des heißen Herbstes bis zu den proletarischen Slums von São Paolo, von den chilenischen cordones industriales bis zu den schwarzen Bergarbeitern Südafrikas, vom Iran 1979 und seinen Shoras oder Arbeiterräten bis zu Polen 1980 oder der koreanischen Kommune Gwangjiu, um nur einige Beispiele unter Zehntausenden zu nennen. Unsere Klasse ist eine materielle Realität, die gegen diese Welt kämpft, wie ein alter Maulwurf, der auftaucht und verschwindet, aber immer wieder auftaucht. Von Niederlage zu Niederlage lernen wir bis zum endgültigen Sieg über diese elende Welt, die die Katastrophe auf allen Ebenen des Lebens reproduziert.

Historische Kontinuität und unser Gedächtnis sind grundlegend für die Zukunft. Nur durch Kontinuität und Lernen aus unserer Vergangenheit ist ein Lebensplan für die Spezies möglich. Und das erfordert Kontinuität mit den historischen Gefährtinnen und Gefährten unserer Partei, die kompromisslos gegen Kapitalismus und Konterrevolution in all ihren Formen gekämpft haben. Das schulden wir den pétroleuses der Pariser Kommune und Chen Du Xiu und den Zehntausenden von chinesischen Kommunisten, die von der Kuomintang und der späteren stalinistischen (maoistischen) Konterrevolution ermordet wurden, an die tausenden vietnamesischen internationalistischen Kommunisten, die durch die Konterrevolution von Ho Chi Minh das gleiche Schicksal erlitten, an die iranischen Proletarier, die auf den Plätzen der Konterrevolution gehängt wurden, während Foucault Khomeinis Ayatollahs bejubelte.…

Für sie alle, bekannte und unbekannte, ist der proletarische Internationalismus eine konstitutive materielle Realität unseres historischen Programms. Das ist weit entfernt von dem postmodernen Baudrillardschen Spiel der reinen Simulation, in dem die Realität nur als leere intellektuelle Projektion existiert.

6. Den Kapitalismus intersektionieren?

Die Intersektionalität wird aus den Grenzen der postmodernen Theorie geboren, wenn sie versucht, sich selbst politisch zu übersetzen. Sie ist ein Versuch, gemeinsame Aktionen zu verwirklichen, wenn die Realität auf ein unendliches Netz von Unterdrückungen reduziert wird, in dem jedes Opfer wiederum ein Unterdrücker sein kann. Das Proletariat als Klasse ist weiß und daher kolonialistisch. Der Feminismus als Reaktion auf den patriarchalen Machismo ist ebenfalls ein weißer Feminismus und folglich rassistisch und kolonialistisch. Der Chauvinist deiner eigenen Rasse ist weniger chauvinistisch, weil er innerhalb seiner kulturellen Parameter verstanden werden muss. Das Gegenteil kann ein Zeichen von Privilegien sein, die sich aus dem Weißsein ergeben.

Die Überlegungen der Philosophin Judith Butler über die Burka4 können als symptomatisches Beispiel für diese Art von postmoderner Ohnmacht dienen. Für sie sollte die Burka als kulturelles Merkmal der Zugehörigkeit zu einer Gemeinschaft, einer gemeinsamen Geschichte, einer Religion und einer Familie verstanden werden. Die Burka dient auch als Schutzmaßnahme für afghanische Frauen Die Burka ist auch ein Instrument zum Schutz der Frauen vor Scham und dient als Abgrenzung des Raums, in dem weibliche Aktivitäten möglich sind. In diesem Zusammenhang erscheint die Burka als ein Instrument zum Schutz vor der Verletzlichkeit und Unsicherheit von Frauen, zumindest in den Ländern, in denen sie verwendet wird. Dies würde für Butler eine gewisse positive Bewertung der Burka bedeuten, da sie mit einem spezifischen Ethos (Brauch, Kultur) der afghanischen Frauen verbunden ist, den sie nicht von heute auf morgen ablegen können. Die Burka abzunehmen bedeutet, diese Frauen nackt zu machen und sie aus ihrer Kultur und Gemeinschaft auszulöschen. Der Feminismus, der dies vorschlägt, verbirgt in Wirklichkeit den Wunsch des westlichen Kolonisators, seine Kultur aufzuzwingen.

Dieses Beispiel ist sehr hilfreich, um das Nullsummenspiel zu verstehen, zu dem die Postmoderne politisch verurteilt ist. Aus dieser Perspektive ist es unmöglich, diese Welt zu überwinden, weil sie immer von ihren Kategorien ausgeht. Wir wollen das, was Butler sagt, nicht bagatellisieren. Natürlich dient die Denunziation der Burka durch westliche Staaten als ideologische Rechtfertigung für ihre imperialistischen Ziele. Aber die berühmte amerikanische Philosophin entwaffnet uns mit ihren Kategorien ganz einfach für jedes Projekt der Befreiung, das im Grunde nur universell sein kann. Die Burka ist eindeutig ein patriarchalisches Instrument der Unsichtbarmachung von Frauen im öffentlichen Raum, ein Zeichen für den patriarchalischen Charakter aller Klassengesellschaften, den wir als Kommunistinnen und Kommunisten bekämpfen müssen. Nur in einem Prozess der antikapitalistischen Klassenrevolution des Weltproletariats wird es möglich sein, die Sackgassen zu überwinden, die von der postmodernen Theorie angeprangert werden, für die Butler eine illustre Vertreterin ist. Nur der Kampf der afghanischen proletarischen Frauen kann ein Mittel zur Befreiung von dieser und anderen Formen der Unterdrückung sein, denn nur das Proletariat hat die Kraft, die totale Negation dieser Welt zu verkörpern.

Postmoderne Autoren entdecken echte Widersprüche innerhalb dieser Welt. Natürlich wird die Aufklärung als Waffe benutzt, um Formen der Unterdrückung ideologisch zu rechtfertigen, die für dieses System und seine soziale und politische Dynamik typisch sind. Das ist es, was sie nicht verstehen. Sie selbst bewegen sich in einer Welt, die von Unterdrückungen und Formen sozialer Herrschaft zersplittert ist, die sie letztlich verinnerlichen, weil sie nicht in der Lage sind, deren Ursachen und Ursprünge zu verstehen. So wird die Burka einfach zu einem Instrument des Ethos der afghanischen Frauen, das auch einen Raum der weiblichen Freiheit abdeckt. Und jeder kritische Anspruch in diesem Zusammenhang würde den westlichen Wunsch nach Vorherrschaft verdecken. Die Postmoderne zeigt sich deutlich als das, was sie ist: die theoretische Strömung der Ohnmacht. Die Identitäten, die der Kapitalismus und andere Klassengesellschaften schaffen, werden in einem unkritisierbaren Jenseits unüberwindbar, dem lokalen Ethos eigen und heilig. Indem man ihren Ursprung nicht als Produkt der Klassengesellschaften versteht und alles auf einen Machtkampf (in diesem Fall West gegen Ost) reduziert, wird das, was das Ergebnis der materiellen Entwicklung der Geschichte und der Klassengesellschaften ist, einfach als natürlich aufgefasst (und ontologisiert).

Die postmoderne Theorie arbeitet mit den eigenen Kategorien des Kapitals. Die Intersektionalität ist nur eine zusätzliche Wendung im Umgang mit diesen Instrumenten. Der Kapitalismus vereinheitlicht sein soziales Wesen, das durch die kapitalistische Konkurrenz zersplittert ist, dank des Rechts. Und es ist kein Zufall, dass Intersektionalität als Theorie geboren und als Begriff in einem Artikel von Kimbelé Cremshow mit dem Titel Mapping the Margins für die Stanford Law Review geprägt wurde. Hier wird deutlich, wie wichtig das Recht für die intersektionale Perspektive ist. Hill Collins und Sirma Bilge, zwei intersektionale Wissenschaftlerinnen, sind der Meinung, dass ihre Perspektive sowohl die Sprache der Aktivistinnen und Aktivisten als auch der Institutionen spricht. Es geht darum, sie zusammenzubringen, und dafür ist die Praxis von Aktivistinnen und Aktivisten sowie Praktikerinnen und Praktikern unerlässlich: Akademikerinnen und Akademiker, Anwältinnen und Anwälte, Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter… Intellektuelle und Praktikerinnen und Praktiker wenden sich an staatliche Stellen, um die Regierungspolitik zu verändern. Als positive Beispiele nennen diese beiden Akademikerinnen und Aktivistinnen die UN-Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban (2001), Yunus‘ Mikrokredite (Nobelpreis für Wirtschaft) usw. Kurz gesagt, Intersektionalität würde dazu dienen, von den Basisorganisationen der Aktivistinnen und Aktivisten und den Fähigkeiten der Fachleute aus in die öffentliche Agenda der Staaten einzugreifen, um eine günstige öffentliche Politik für verschiedene Minderheiten der Klasse, der Rasse, des Geschlechts usw. umzusetzen. Mögliche Beispiele sind Kampagnen, um Druck auf die Obama-Regierung auszuüben (Why we can’t wait), die bereits erwähnte Kampagne zu Mikrokrediten oder wie Intersektionalität für internationale Organisationen nützlich sein könnte, um die soziale Ungleichheit in der Welt besser zu verstehen, wofür als Beispiel eine Konferenz über inklusiven Kapitalismus in London im Jahr 2014 genannt wird.

Diese Art der Interpretation von Intersektionalität ist besonders pragmatisch. Sie stellt eine Art sehr gemäßigten Verteilungsliberalismus dar. Wir erkennen an, dass andere intersektionale Perspektiven zwar in der Form radikaler sein können, aber niemals im Inhalt. Die Inhalte sind immer die Instrumente, die der Kapitalismus dir anbietet, wenn du dich innerhalb seiner Kategorien und Unterteilungen bewegst, wie es unsere Postmodernisten tun. Wie Elizabeth Duval in ihrem Buch After Trans sagt, wenn sie mit Paul Preciado polemisiert, ist an der queeren Perspektive nichts Revolutionäres. Sie ist lediglich ein Versuch, die staatliche Anerkennung bestimmter Rechte zu erreichen (was Duval als gute Linke positiv sieht).

Intersektionalität spricht einfach von verschiedenen Achsen der Ungleichheit, die autonom und unabhängig voneinander sind (Klasse, Rasse, Geschlecht, Gender, Fähigkeiten, Sexualität… und so weiter und so fort). Es gibt keine Hierarchie der Unterdrückung über andere und Pluralismus ist dieser Idee von verschiedenen Herrschaftssystemen immanent. Seine Logik ist typisch für verschiedene persönliche Diskriminierungen, die auf Kategorien beruhen, die für Menschen spezifisch sind (z. B. Weißsein bei Weißen) und die als Wille zur Macht und nicht als Realität einer kapitalistischen Herrschaft zum Ausdruck kommen, die vor allem durch eine unpersönliche und automatische Dynamik realisiert wird. Für intersektionale Autorinnen wäre unser Ansatz ein Ausdruck von monistischem und theologischem Reduktionismus. Aber es ist auf jeden Fall die Realität des Kapitalismus und seiner versteckten Masken, die auf diese Weise funktioniert.

Wie wir gesehen haben, neigt die Postmoderne mit ihrer empirischen Methode dazu, Identitäten auf der Grundlage des unmittelbaren Verhaltens von Individuen zu verdinglichen, die in Wirklichkeit ein konkreter Ausdruck der kapitalistischen Welt sind. Die Klassenidentität, an die Postmodernisten denken, hat viel mit den soziologischen Erfahrungen von Arbeiterinnen und Arbeitern zu tun, und dasselbe könnte man auch von Geschlecht oder Rasse sagen. Was sie nicht analysieren, ist, warum soziales Verhalten und Identitäten auf diese Weise organisiert sind. Dafür reichen ihre Idealtypen nicht mehr aus, sondern sie müssen verstehen, wie die Abstraktion des Kapitals sie konstruiert.

Für die Theoretikerinnen der Intersektionalität sind diese Achsen der Ungleichheit in jedem Fall Ausdruck unterschiedlicher Diskriminierungserfahrungen, die die Menschen auf besondere Weise machen: unterschiedliche Hierarchien des Schmerzes, die eine Vielfalt von Geopolitiken der Angst und intersektionalen Beschwerden ausdrücken. Da die Achsen der Ungleichheit vielfältig sind und immer unterschiedlich in jeder Person verkörpert werden, können wir verstehen, dass intersektionale Einheit ein frommer und unmöglicher voluntaristischer Wunsch nach einem Treffen zwischen schwarzen und weißen Feminismen, Epistemologien des Südens und Gender-Dekolonialität, zwischen schwulen und rassifizierten iranischen Bewegungen bleibt, zu deren Ethos die Verfolgung von Homosexuellen gehört…

An diesem Punkt und als Zusammenfassung können wir mit sieben Ideen abschließen:

1. All dies ist der Preis dafür, dass man von verdinglichten Kategorien ausgeht, die aus dem unmittelbaren Verhalten von Individuen gewonnen werden, und zu diesem Zweck eine empirische Methode anwendet, die für die Schaffung von Idealtypen typisch ist.

2. Die Postmoderne ist das Ergebnis einer statischen und kristallisierten Vorstellung von den Trennungen des Kapitals, die nicht in der Lage ist, die Dynamik der historischen Perspektive zu erkennen, in der sich die Klassengesellschaften und insbesondere der Kapitalismus bewegen.

3. Indem es das Proletariat als Klasse auf eine Identität unter anderen reduziert, versäumt es, seine potenzielle Realität als globale Negation dieser Welt zu begreifen, und erklärt damit letztlich die Unmöglichkeit einer solchen Negation.

4. Die Postmoderne umgeht Geschichte und Herkunft bei der Analyse von Ausbeutung und den verschiedenen Formen der Unterdrückung, die in ihrer Besonderheit aufgegriffen und tendenziell essentialisiert werden, als wäre alles das Ergebnis eines ewigen Machtkampfes, eines Krieges aller gegen alle.

5. Es ist eine idealistische Perspektive, die alles auf ein sprachliches Spiel von Signifikanten reduziert, die sich ins Unendliche ausbreiten, und in der die Realität eine bloße Projektion ohne materielle Grundlage ist.

6. Die gesellschaftliche Totalität des Kapitalismus lässt sich nicht auf die Summe seiner Teile reduzieren, wie es die Theoretiker der intersektionalen Postmoderne tun, die von ihrem Wunsch nach Pluralismus um jeden Preis getrieben werden, sondern ist im Gegenteil Ausdruck eines sozialen Verhältnisses, des Wertes, der in seiner automatischen Bewegung verschiedene Metamorphosen durchläuft. Die Summe der Teile ist nicht das Endergebnis, denn um die Teile zu verstehen, muss man von der konkreten Abstraktion ausgehen, die der Wert im Prozess ist.

7. Kurz gesagt, die Postmoderne ist im Wesentlichen eine Perspektive, die im bourgeoisen und legalistischen Terrain von Recht und Demokratie angesiedelt ist, also in dem Terrain, das das Kapital für die Koexistenz seiner Konflikte und Trennungen bietet.

7. Ein paar letzte Anmerkungen… zum Rojipardismus (A.d.Ü., Roten Faschismus)

In der spanischen Region erleben wir eine hitzige Debatte zwischen Postmodernen und Anti-Postmodernen. Es ist unsere ausdrückliche Absicht, uns von dieser Debatte zu distanzieren. Natürlich haben wir nichts mit der Postmoderne zu tun, wie auf diesen Seiten deutlich gemacht wurde, aber wir haben auch nichts mit ihren falschen Kritikern zu tun, die ihre angeblichen Gegner reproduzieren und verschlimmern. Wer sind diese Kritiker der Postmoderne und woher nehmen sie ihre Kritik? Schriftsteller und Journalisten wie Daniel Bernabé mit seinem La trampa de la diversidad oder Ana Iris Simón mit ihrem Buch Feria lehnen die Postmoderne einfach deshalb ab, weil sie über die Auflösungsdynamik, die der Kapitalismus mit sich bringt, entsetzt sind. Mit Marx wissen wir, dass der Kapitalismus die materiellen Bedingungen für seine eigene Überwindung vorbereitet. Und aus dieser Erkenntnis heraus kann der Wille die Praxis der katastrophalen Dynamik, die der Kapitalismus ebenfalls mit sich bringt, umkehren: „Alles Ständische und Stehende verdampft, alles Heilige wird entweiht, und die Menschen sind endlich gezwungen, ihre Lebensstellung, ihre gegenseitigen Beziehungen mit nüchternen Augen anzusehen.“ (Marx-Engels, Manifest der Kommunistischen Partei).

Die genannten Autoren stellen den postmodernen Strömungen die Rechtfertigung und Idealisierung einer Vergangenheit entgegen, die bereits gewesen ist, eine Vergangenheit, die sie ebenfalls idealisieren und aus der sie ihre kapitalistische und ausbeuterische Realität willkürlich entfernen. Der Nachkriegskapitalismus war das Ergebnis des imperialistischen Gemetzels des Zweiten Weltkriegs, des Todes von Millionen von Proletariern an allen Fronten, der herrschenden Konterrevolution der 1930er Jahre, des Faschismus, des New Deal und des Stalinismus. Unsere Intellektuellen beschönigen all dies, weil ihr Diskurs in Wirklichkeit ein Produkt des lebenslangen Stalinismus ist. Sie sind das Ergebnis der Konterrevolution mit diesem Maß an Oberflächlichkeit.

Die Postmoderne wird kritisiert, um das Vaterland zu verteidigen (was nicht nur Ana Iris Simón, sondern auch Podemos und Errejón tun), der Queer-Feminismus wird im Namen der Familie kritisiert und der Liberalismus des selbstbestimmten Willens wird im Namen des Staates kritisiert. Tut uns leid: All diese falschen Festigkeiten haben sich bereits aufgelöst und werden nicht wiederkehren, trotz der „frommen“ Wünsche von Bernabé, der beim jüngsten proletarischen Streik in Cádiz die Gewerkschaften/Syndikte verteidigt hat, die ihre Rolle als Streikbrecher erfüllt haben. Die Alternative ist nicht zwischen dem korporativen Staat oder der postmodernen Selbstbestimmung, sondern zwischen der kapitalistischen Katastrophe oder dem Kommunismus.

Zu dieser Heiligen Familie von Verteidigern der kapitalistischen Vergangenheit gesellen sich auch andere, die explizit konterrevolutionär sind, wie der Youtuber Roberto Vaquero. Vaquero ist der Anführer der stalinistischen Gruppe (des pro-albanischen Zweigs) Frente Obrero. Indem er in seinen Videos die Postmoderne im Namen des stalinistischen Kapitalismus5 und der Konterrevolution kritisiert, die das Proletariat und seine revolutionären Minderheiten in der Vergangenheit massakriert hat, hilft er uns, die Trugschlüsse der Dichotomie Postmoderne-Antipostmoderne noch besser zu verstehen.

Wenn all diese Autoren die Arbeiterklasse für sich beanspruchen, dann beanspruchen sie in Wirklichkeit nicht das Proletariat als revolutionäre Klasse im Sinne von Marx und unserer Tradition, sondern die soziologische Arbeiterklasse, ausgebeutet, reduziert auf die Rädchen der kapitalistischen Gesellschaft mit ihren Heimatländern, ihrer produktiven und arbeiteristischen Logik. Ihre Tradition ist die des Nationalkommunismus, der eine lange Geschichte hinter sich hat. Es ist die Geschichte der Konterrevolution.

In diesem Text haben wir versucht, der Postmoderne als Ideologie unserer Zeit zu begegnen. In diesem kurzen Abschnitt stellen wir fest, dass es derzeit eine Dichotomie gibt, die dazu neigt, die Milieus und Sektoren, die dieser Welt radikal entgegentreten wollen, in zwei Alternativen zu polarisieren: postmodern oder anti-postmodern. Das scheint uns, wie so oft, eine falsche Alternative zu sein. Unsere Zeit ist von viel wichtigeren und entscheidenderen Konflikten geprägt.

Wenn sich das Feste in Luft auflöst, wenn der Kapitalismus an seine inneren Grenzen stößt, wenn das Leben keinen Sinn mehr zu haben scheint, wenn die Verteidigung unserer menschlichen Bedürfnisse uns zur Rebellion treibt, wenn das soziale Umfeld dazu neigt, von Polen mit gegensätzlichen Interessen elektrisiert zu werden, wenn der Kapitalismus alles Feste auflöst, weil es nicht mehr möglich ist, unter der Herrschaft der Ware zu leben, wenn wir unser Leben als Spezies organisieren könnten, ohne den Staat oder die Lohnarbeit… In diesem historischen Moment ist es weder die Zeit der Moderne noch der Postmoderne, es ist die Zeit des Kommunismus.


1Siehe unsere Broschüre Contra la postmodernidad – Gegen die Postmoderne, die in Papierform und auch digital erhältlich ist. http://barbaria.net/2018/11/20/posmodernidad-o-la-impostura-de-una-falsa-radicalidad/ Und die Mitschrift eines unserer Vorträge in der chilenischen Region: http://barbaria.net/2020/09/11/titulo-el-espiritu-posmoderno-del-capitalismo/, oder von uns hier übersetzt: (Grupo Barbaria) Postmoderne oder der Schwindel einer falschen Radikalität

2http://barbaria.net/2020/09/11/titulo-el-espiritu-posmoderno-del-capitalismo/, oder hier von uns übersetzt: (Spanien) Der postmoderne Geist des Kapitalismus

3A.d.Ü., Kontamination bedeutet ‚Verschmutzung‘.

4Siehe dazu sein Buch Vida precaria. El poder del duelo y la violencia. Und den online verfügbaren Artikel von Gabriel Bello: Hacia una hermenéutica de la extraña. El burka y las mujeres-bomba musulmanas.

5Siehe unsere Broschüre Stalins Kapitalismus: http://barbaria.net/2020/12/15/el-capitalismo-de-stalin/, oder hier von uns übersetzt: (Grupo Barbaria) Stalins Kapitalismus – der Kapitalismus von Stalin

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Crisso und Odoteo – Barbaren – Unordentlicher Aufruhr https://panopticon.blackblogs.org/2024/02/24/crisso-und-odoteo-barbaren-unordentlicher-aufruhr/ Sat, 24 Feb 2024 08:16:32 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5588 Continue reading ]]>

Passend zum Text über Toni Negri, hier ein weiterer herausragender Text der sich kritisch mit dem Hauptwerk von Toni Negri beschäftigt. Dieses Buch erschien vor über zwanzig Jahren in Italien und wurde unser Wissen nach auch auf mehrere Sprachen übersetzt.


Crisso und Odoteo

Barbaren
Unordentlicher Aufruhr

Datum: 2003

Quelle: Crisso / Odoteo: „Barbaren – Unordentlicher Aufruhr“, Amplexus Publikationen, ohne Ort, April 2010.

Bemerkungen: Original auf Italienisch, Originaltitel: „Barbari“. Übersetzung des italienischen Originals mithilfe der englischsprachigen Augabe.

Das zweite und dritte Vorwort sowie die biographische Notiz Negris sind der 2004 bei Elephant Editions erschienenen Ausgabe entnommen und aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt.

Vorwörter

Vorwort zur deutschsprachigen Ausgabe

Die Linke hat eine wichtige Rolle zur Entwicklung und Verteidigung der Technologie, des Fortschritts, des Kapitals und des Staates. Um einen Bruch mit der Macht vorzunehmen, ist es somit nicht genug über das Kapital zu schimpfen, es gilt die Verknüpfungen zwischen den unterschiedlichen Aspekten des Fortschritts zu erkennen. Die linke Kirche mit ihrem marxistisch-hegelianischen Hintergrund liefert wichtige Teile der Philosophie der post-industriellen Erscheinungsformen der Macht. Es gilt uns die Rolle der Linken vor Augen zu halten und diese anzugreifen. Dieses Büchlein ist Teil dieses Angriffs. Um sinnhaft gegen die Macht zu arbeiten, benötigen wir aber selbstständige Projekte. die sich der Logik der reinen Kritik entziehen.

Über das Empire zu sprechen, heisst über den Zustand des Kapitalismus zu sprechen. Es heisst die Postmoderne auszuleuchten. Es heisst die Tatsache zu beleuchten. dass die Bedeutung der Worte, der Begriffe, die wir in unserem Wortschatz verwenden, vom Kapital und seinen linken Helferlein zerstört oder verzerrt wurden.

Über einen Angriff auf das Kapital zu sprechen, heisst Projekte zu entwickeln, die unvereinnahmbar sind, weil sie mit einer zerstörerischen und angreifenden Logik funktionieren. Denn die Zerstörung ist der Bereich der Revolte. derer das Kapital und seine linken Helferlein nicht habhaft geworden sind. Diesen Bereich zu vereinnahmen, würde für sie bedeuten, ein Messer in die eigene Ideologie zu rammen. Wir schenken diesem Bereich unsere Aufmerksamkeit, verlassen die postmoderne Unbegrifflichkeit und begeben uns in die Welt des sozialen Krieges.

Passagenweise erweckt dieser Text Ideen und zaubert der Leserin ein Lächeln des Hohns ins Gesicht. Der Hohn der verständnislosen Wilden. Der Zerstörer in einem jeden von uns, der es vorzieht, sich den zivilisierten Gesetzen und Etiketten der heutigen Gesellschaft zu entziehen, denen die Linke soviel beizutragen hat. Einer Gesellschaft, in der, wann immer sie in eine Sackgasse mündet, die Linke die Rolle übernimmt, einen Ausweg zu Enden. Damit das Rad des Fortschritts am Rollen bleibt. Damit die Macht Wege findet, sich an die unterschiedlichen Situationen des sozialen Konflikts anzupassen.

Negri und Hardt sind, wie es Crisso und Odoteo schon ausdrücken, Abgesandte einer Ideologie. Barbaren zeigt ihre Denk und Handlungsstruktur auf, ihre und die anderer ähnlich argumentierender Ideologen. Dazu gibt das Buch ein wenig Aufschluss und von da ist es leichter, den Formen der Politik und des Aktivismus bzw. des politischen Aktivismus zu entgehen und diese anzugreifen. Ein Wert dieses Buches ist es, jenen Ansporn und Anstoß zu Ideen zu geben, die es satt haben, sich an Prozessionen neuer, post-industrieller Kirchen zu beteiligen, die nichts anderes tun. als den demokratisch-fortschrittlichen Prozess zu untermauern, und die es weiters satt haben, Manieren und Sittlichkeit zu beweisen. Im speziellen, wenn die dafür notwendige Moral, von den eigenen Genossen geliefert wird. Eine Moral, die ständig von sozialer Kontrolle begleitet wird. Um eine Ethik für uns zu finden, müssen wir uns jenseits der linken Moral begeben.

Dies im Auge behaltend, machen wir uns also auf: zur Erschaffung von Projekten im Dienste des Angriffs und der Zerstörung.

Amplexus Publikationen


Erstes Vorwort der englischsprachigen Ausgabe

Warum sich die Mühe machen, die Thesen von Empire zu kritisieren, wenn die Realität diese Kritik selbst so großzügig klargemacht hat? Sicherlich nicht, weil es ein erfolgreiches Buch ist, über das in Universitäten und im Fernsehen gesprochen wird. Wir kritisieren die Ideen von Negri (und Hardt), weil sie eine praktische Kraft sind, weil sie die leuchtendste Version des Programms des heutigen linken Flügels des Kapitals repräsentieren und eine Bewegung beeinflussen, die “Disobbedienti” mit der Fähigkeit ein solches Programm zu unterstützen. Tatsächlich repräsentiert “ungehorsame” Politik ein hervorragendes Terrain zum Experimentieren für die Demokratie der Zukunft. Sehen wir in einem Überblick warum.

– Angesichts der Krise der militanten Politik alten Stils, stellt die „disobbediente“ Galaxie (im speziellen, die ehemaligen Tute Bianche und die Rifondazione Communista Partei) eine Mobilisierungskraft, mit all ihren so gut für die Mittelklasse adaptierten Slogans, dar. Die Parteien und Gewerkschaften werden durch deren Initiativen oft mitgerissen. Es ist zum Beispiel dank ihrer Demonstrationen, dass die CGIL (Italienische Handelsgewerkschaft Organisation) eine „oppositionelle Jungfräulichkeit“ erlangte. Gezwungen, während des letzten großen, selbst-organisierten Generalstreiks von den Arbeitern davonzulaufen, kehrten die Gewerkschafts-Direktoren, mit dem Vorwand, die Herrschenden zu bekämpfen zurück. Dasselbe gilt für die Stalinisten der früheren PCI (Italienische Kommunistische Partei), deren konstante Arbeit als Informanten, den rebellischen Arbeitern der 1970er Jahre in Erinnerung blieb. Beispielsweise wäre es keiner Partei oder Gewerkschaft gelungen, eine solche Teilnehmerzahl für das Soziale Forum in Florenz zusammenzubringen.

– Die „disobbediente“ Praxis der spektakulären Aktionen und der Verbindungen mit den Medien ermöglicht, was den alten Partei-Sekretären nie möglich war: innerhalb weniger Wochen zum Führer zu werden.

– Dank den „ungehorsamen“ Führern hat der Staat sein Ultimatum erteilt: Entweder du trittst in Dialog mit den Institutionen (tatsächlich ist es dies, was als „gewaltlos“ gilt) oder du bist ein Terrorist und wirst unterdrückt. Die verschiedenen internationalen Abkommen, die in Folge des 11. September unterzeichnet wurden, sind auf diese Weise zu verstehen. Auch zur Verwaltung der Straßen, ist die pazifistische Ideologie ein gewaltiges Einsatzgebiet der Macht.

– Wenn dem die internationalen Vorschläge der „Disohbedienti“ (zum Beispiel, diejenigen in Political Europe: Reasons for a Necessity, das letztes Jahr durch Manifestolibri veröffentlicht und von Negri in Zusammenarbeit mit Anderen herausgegeben wurde) hinzugefügt werden, wird man realisieren, wie all dies für den ökonomischen und politischen Konflikt zwischen Europa und den Vereinigten Staaten zweckdienlich ist. Für den Professor stellt Europa eine „Gegenmacht bezüglich der kapitalistischen Vorherrschaft des Empires“ dar, eine „Kriegsmaschine für die Ausweitung der neuen Basisrechte für die Bürger des Empire“. Dabei wird das militärische und finanziell vereinigte Europa als der Ort für eine neue, demokratische Politik von unten verteidigt… das ist selbst für die Negri’sche Dialektik zuviel! Wenn dies die „andere“ Welt ist, dann bezweifeln wir nicht im geringsten, dass sie möglich ist.

– Letztlich ist das Basissystem jenes, des äußerst vulgaren und triumphalistischen Marxismus: die Entwicklung der Produktivkräfte ist für ihn der Faktor des Fortschritts, den die unerleuchtete Kapitalisten, d.h., die schlechte Globalisierung behindern. Doch die Bewegung hat den kooperativen und sozialen Charakter der aktuellen Ökonomie auf ihrer Seite. Falls du’s noch nicht bemerkt hast, Kommunismus ist am gewinnen.

Aber all dies zu kritisieren, ist nur sinnvoll, wenn man sein eigenes, subversives Projekt vertieft. Über die Pazifizierer zu sprechen, bedeutet, über Gewalt und Nicht-Gewalt zu sprechen, über Revolte und Kollaboration, über Solidarität und Distanzierung, über Anti-Kapitalismus und sein Stunt-Double, über Direkte Aktion und Massen-Medien. Während die Angriffe der Herrschenden täglich härter werden. mit Lebensbedingungen, die der Staat (extern und intern) nur mittels Terror aufzwingen kann, während die Faschisten nur einen Schritt hinter den Bullen stehen, wird es immer dringender, jegliche legalistische und institutionelle Hypothese zu beseitigen. Wie dem auch sei, sogar nach Genua verblieben zu viele, im Namen der taktischen Notwendigkeit, diktiert durch ständig erneuerbare „Notfälle“, in opportunistischer Beziehungen mit den Informanten und Feuerwehrleuten der Tute Bianche. Wie der richterliche und polizeiliche Druck erst kürzlich wieder gezeigt hat, schützt es einen nicht vor den repressiven Angriffen von morgen, wenn man sich von der revolutionären Unnachgiebigkeit lossagt. Es steht viel auf dem Spiel und die Herrschenden wissen das. Staat und Kapital wollen immer mehr und sind gesinnt, immer weniger zuzugestehen. Aber wie das jemand in anderen und glücklicheren Zeiten schrieb: „Die Herrschenden können vielleicht nicht mehr bezahlen, aber sie können verschwinden.“

Während kapitalistisches Barbarentum voranschreitet, hat sich ein anderes Barbarentum mit einer oft unverständlichen Sprache auf den Weg gemacht, eines das in die Teller der Demokratie spuckt und dem Staat, dem Geld, den Gefängnissen und allen Hierarchien einen Fußtritt verpassen will.

Wir denken, dass es wichtig ist sich mit diesen Themen zu konfrontieren, wenn auch mit dem Risiko, den Schlaf der Zivilisierten zu stören.


Zweites Vorwort der englischsprachigen Ausgabe

Barbaren von Crisso und Odoteo ist ein Text von einiger Wichtigkeit für Anarchisten und jeden, der das aufrichtige Verlangen nach der Zerstörung dieser sozialen Welt der Ausbeutung und Herrschaft verspürt. Es weist eine verheerende Kritik eines Buches vor, das zum bedeutsamsten theoretischen Einfluss für den Grossteil der sogenannten Anti- Globalisierungsbewegung wurde; Empire von Michael Hardt und Antonio Negri. Wenn man diese beiden Texte zusammen liest, werden sich zwei entgegengesetzte Wege. Sprache zu verwenden zeigen. Hardt und Negri verwenden eine Sprache, die offenbar dafür bestimmt ist, mindestens ebensoviel zu verbergen, wie sie aufdeckt, und dies sollte einem sofort einen Wink bezüglich der rekuperativen Natur ihres Textes geben. Im Gegensatz dazu verwenden Crisso und Odoteo eine direkte Sprache, scharf wie das Schwert eines Barbaren, um durch das trübe Netz von Hardt und Negri’s postmodemer Doppelsprache zu schneiden, mit dem Ziel, den essentiell anti-revolutionären Kern von ihrer Sichtweise aufzudecken.

Hardt und Negri behaupten beispielsweise, postdialektisch und post-marxistisch zu sein. Es braucht nur einen leichten Riss im Schleier, um den historischen Determinismus und die starre Dialektik des Klassenkampfes aufzudecken, die eine der rohesten Formen des Marxismus widerspiegelt. Tatsächlich rechtfertigen Negri und Hardt den Horror der Gegenwart nicht nur als historisch notwenig für die Entwicklung des Kommunismus, sondern als gegenwärtige Widerspiegelung der Macht der „Multitude“, als ihr historisches Subjekt.

Es ist besonders wertvoll, dass Crisso und Odoteo als Italiener mit den verschiedenen Bewegungen vertraut sind, die durch Negri beeinflusst wurden, wie auch mit seinen neuen Arbeiten, die nicht auf Englisch (oder Deutsch) erhältlich sind. Dies erlaubt ihnen, Empire in einen Kontext zu stellen, der seine rekuperative Bedeutung weiter entblößt.

Crisso und Odoteo decken die Liebe klar auf, die Hardt und Negri in Wirklichkeit für das Empire und dessen Methoden, die Welt zu homogenisieren verspüren. Tatsächlich reicht diese Liebe bis zur Unterstützung der Europäischen Union. Kürzlich gab Negri eine Sammlung von Texten von Linken mit heraus, die die politische Vereinigung von Europa preist (er zieht es jedoch vor, die Tatsache zu ignorieren, dass diese Vereinigung hauptsächlich eine Realität ist, die sich auf die Bedürfnisse der herrschenden Klasse bezieht: der freie Fluss von Kapital, die Vereinigung von Kontrollnetzwerken, usw.).

Erschreckender ist deren unhinterfragte Unterstützung der Gesamtheit der technologischen Entwicklungen – verlautbart, als seien es Ausdrücke der Begierden „der Multitude“. Sie gehen so weit, zur „Erkenntnis […] aufzurufen, dass es keine festen und zwingenden Grenzen zwischen […] Mensch und Maschine gibt“ und somit zur Akzeptanz von uns als Cyborgs. Für sie ist das Projekt, das Leben zu technologisieren, d.h. Biotechnologie verschmolzen mit Kybernetik, wünschenswert und notwendig, schlicht weil es existiert.

Crisso und Odoteo enthüllen auch deutlich die Natur der „Subjektivität,“ von der Hardt und Negri wiederholt sprechen. So wie die Professoren diesen Ausdruck verwenden, hat er überhaupt nichts mit individueller Wahl, Willen, Verlangen oder Selbst-Aktivität zu tun. Stattdessen bezieht sie sich auf die Produktion von Beziehungen, welche uns den Bedürfnissen der sozialen Institutionen unterwerfen. Dies ist weshalb, „die Produktion von Subjektivität“ „auf der Funktionsweise wichtiger Gesellschaftsinstitutionen, wie etwa Gefängnis, Familie, Fabrik und Schule“ gründen muss.

Tatsächlich lehnen Hardt und Negri das Individuum vollkommen ab, sehen sie das Konzept der Individualität doch gerade als Widerspruch zu ihrem Projekt. Sie sagen uns, dass „Keine Ontologie (außer eine transzendente) die Menschheit auf Individualität reduzieren kann“, und weiters sagen sie: „An erster Stelle steht dabei Korruption als individuelle Wahl, welche der grundlegenden, durch die biopolitische Produktion definierten Gemeinschaft und Solidarität entgegensteht und sie verletzt“. Somit ist Singularität nicht ein Merkmal von Individuen, sondern von „Gruppen und Personenkreisen der Menschheit“1 biopolitisch vereinzelt durch „die Multitude“. Und „die Multitude“, auf die sie sich wiederholt beziehen, wird in ihrem Buch schliesslich als „die Universalität der freien und produktiven Praktiken“ definiert. Um es deutlicher auszudrücken: die sozialen Produktivkräfte. Die marxistisch-leninistischen Wurzeln ihrer Perspektive zeigen sich deutlich. Für sie ist das Subjekt der Befreiung genau dieser produktive Apparat, für den wir nichts als Rädchen im Getriebe sind.

Mit einer Befreiungsvorstellung, die in Wirklichkeit die absolute Abhängigkeit der Individuen vom Produktionsapparat bedeutet, liegen Hardt und Negri richtig, wenn sie ihren Pfad „durch das Empire“ gehend sehen, denn ihr Projekt ist das Empire. Aber wenn das barbarische Schwert von Crisso und Odoteo erst einmal durch die sich windende Sprache der Professoren geschnitten hat, wird klar, dass diejenigen von uns, die sich unsere eigene Befreiung als Individuen wünschen, und die die Freiheit wollen, das eigene Leben in unserer eigenen Zeit zu erschaffen, ein „völlig anderes“ Projekt haben: die vollständige Zerstörung des Empires, hier und jetzt.

Die Zeit der Barbaren steht bevor.


Einleitung

Jemand hat einmal bemerkt, dass einer von Marx’ größten Tricks war, den Marxismus als lingua franca2 erfunden zu haben. Seit der Antike ist bekannt, dass die Überredungskunst in der Fähigkeit besteht, beim Sprechen und Schreiben in dem, der zuhört oder liest, einen präzisen, psychologischen Effekt hervorzurufen, der weit über die in dem Argument ausgearbeiteten Inhalte hinausgeht. Die Griechen sagten, dass Überredung bedeute, „den Verstand zu sich selbst zu führen“. Viele Marx’sche Ausdrücke und man könnte sagen, der „subtile Lärm“ seiner Prosa haben tausende Leser fasziniert, terrorisiert und zu Nacheiferern gemacht. Ausdrücke in der Art wie “historisch determinierte, soziale Bedingungen, Mehrwertgewinnung, objektiv konterrevolutionäre Elemente”, bestimmte journalistische Techniken und schließlich die berühmten genitiven Umkehrungen (“Philosophie des Elends, Elend der Philosophie”): Dieser Jargon hat viele hochstrebende Bürokraten und leibhaftige Diktatoren mit einem Arsenal an vorgefertigten Ausdrücken ausgestattet, um ihre Macht zu rechtfertigen. Und es hat ebensoviele Sozialdemokraten mit einem Rauchvorhang versorgt, womit ein jeder ruhig gestellt wird der sich damit zufrieden gibt, dass die Kapitulation in der Praxis von einer Radikalität des Stils begleitet wird. Das Wichtigste war und ist, die Haltung von jemandem einzunehmen, der mit wissenschaftlicher Präzision weiß, wovon er spricht.

Wenn man so will, dann spielen Antonio Negris Texte heute dieselbe Rolle. Tatsächlich gibt es zwei „theoretische Zentralen“ von dem, was die journalistische Neusprache als Anti-Globalisierungs Bewegung bezeichnet: das Le Monde Diplomatique Kollektiv und unseren Paduaner Professor, um genau zu sein. Die nach dem Kollektiv benannte, monatliche Publikation, die Organisation von Konferenzen und Seminaren, die Publikation von Büchern und die Kreation der sogenannten Bewegung für die Tobin- Steuer3 (Attac); verschiedene heute bestehende italienische Sektionen verdanken ihre Existenz des Ersten. Vom Zweiten, der einer der Begründer der Arbeitermacht (Potere Operaia) und dann Arbeiterautonomie (Operaia Autonomia) ist, kam viel von der italienischen Arbeiterideologie und nun die Theorie, für welche die Tute bianche (Weisse Overalls), die Disobbedienti (die Ungehorsamen) und so viele andere Weltbürger kleine Soldaten darstellen. Liest man irgendein Flugblatt irgendeines Sozialforums, wird man zweifellos die folgenden Ausdrücke darin finden: Zivilgesellschaft, Multitude, Bewegung der Bewegungen, Einkommen der Bürgerschaft, Diktatur des Marktes, Exodus, Ungehorsam (zivil oder bürgerlich), Globalisierung von unten und so weiter. Mit einer mehr oder weniger umfassenden Geschichte bilden diese Konzepte auf unterschiedliche Weise zusammengestellt, die gegenwärtigen Nachschlagewerke für den alternativen Rekuperateur und die idealen Reformisten. Einer der Manager dieser “ontologischen Fabrik”, einer der Techniker dieser “linguistischen Maschine”, ist einmal mehr Toni Negri.

Wir werden nicht dem banalen Fehler verfallen, zu glauben, dass bestimmte Theorien die Bewegung einseitig beeinflussen. Die Theorien verbreiten sich insofern, als dass sie bestimmten Interessen dienen und auf bestimmte Bedürfnisse antworten. Empire von Negri und Hardt ist, in diesem Sinne, ein beispielhaftes Buch. Zusammen mit den (Weiter-) Entwicklungen ihrer “diplomatischen”, französischen Cousins, bieten dessen Seiten die intelligenteste Version des linken Flügels des Kapitals. Die Gruppen, die sich darauf beziehen, sind die globalisierte Version der alten Sozialdemokratie und die gasförmigen Varianten der stalinistischen Bürokratie, die die starre Hierarchie der Funktionäre mit den Modellen des Netzwerks (oder des Rhizoms) ersetzt haben, in denen die Macht des Führers flüssiger erscheint. Kurz gesagt, die kommunistische Partei des dritten Jahrtausends, die Befriedung der Gegenwart, die Konterrevolution der Zukunft. Aufbauend auf dem Verfall der Arbeiterbewegung und ihren Repräsentationsformen, hat diese neue Methode Politik zu machen keine privilegierten Interventionsfelder mehr (wie die Fabrik oder das Viertel) und bietet den Begierden von ehrgeizigen Managern ein unmittelbareres Terrain, als das der alten Partei-Sekretäre: die Beziehung zu den Massenmedien. Das ist der Grund, weshalb die Parteien und Gewerkschaften der Linken als Verbündete dieser “neuen” Bewegung posieren und im Schlepptau ihrer Initiativen gehen, wohl wissend, dass jenseits der Durchbrüche, von egal wie kleinen Führern, und bestimmter Slogans von rhetorischen Guerillas, die ungehorsame Politik die Basis (auch für Wahlen) der künftigen demokratischen Macht repräsentiert. Sie erhält die stalinistische Rolle aufrecht, wobei ihre Zukunft jedoch vor allem in ihrer Kapazität liegt, sich selbst als eine Mediationskraft zwischen den subversiven Spannungen und den Erfordernissen der sozialen Ordnung aufzustellen, sowie die Bewegung in das institutionelle Flussbett zu führen und die Funktion zu erfüllen, Elemente, die sich ihrer Kontrolle entziehen, zu denunzieren.4

Auf der anderen Seite gelang es dem Staat, jegliche Kreativität unter der institutionellen Last zu ersticken, nachdem er das Soziale zunehmends absorbiert hatte; als er gezwungen war, es wieder auszustoßen, nannte er diesen Ausschuss Zivilgesellschaft und verzierte ihn mit all den Ideologien der Mittelklasse: Humanismus, Freiwilligendienst, Umweltschutz, Pazifismus, demokratischer Antirassismus. In überlaufender Passivität braucht der Konsens kontinuierliche Injektionen von Politik. Dazu dienen die ungehorsamen Politiker mit ihren Bürgern. Tatsächlich ist es die abstrakte Figur des Bürgers, die für die Waisenkinder der Arbeiterklasse nun alle Tugend besitzt. Geschickt mit den Bedeutungen des Wortes spielend (der Bürger ist zugleich Subjekt des Staates, Bourgeois, citoyen der französischen Revolution. Subjekt der polis, sowie Unterstützer der direkten Demokratie), richten sich diese Demokraten an alle Klassen. Die Bürger der Zivilgesellschaft widersetzen sich der Passivität der Konsumenten, ebenso, wie der offenen Revolte der Ausgebeuteten gegen die Verfassungsordnung. Sie sind das gute Gewissen der staatlichen (oder öffentlichen, wie sie es zu sagen vorziehen) Institutionen und diejenigen, die in jedem Genua aus bürgerlicher Pflicht stets die Polizei einladen werden, um die “Gewalttätigen” zu isolieren. Mittels der Komplizenschaft der demokratischen Mobilisierungen der “Ungehorsamen”, kann der Staat seinem Ultimatum größere Kraft und Glaubwürdigkeit verleihen: entweder man tritt in Dialog mit den Institutionen oder man ist ein “Terrorist”, der zur Strecke gebracht werden muss (die verschiedenen Vereinbarungen, die seit dem 11. September unterzeichnet wurden, sind so zu interpretieren). Die “Bewegung der Bewegungen” ist eine verfassunggebende Macht, d.h., ein sozialer Mehrwert in Befolgung der verfassungsgebenden Macht, eine institutionalisierende, politische Kraft, die auf etablierte Politik trifft und dort interveniert, in Negris Idee, die militante Version von Spinozas Konzept der Macht5. Seine Strategie ist die progressive Eroberung der institutioneilen Räume, eines zunehmends breiteren, politischen und gewerkschaftlichen Konsens, einer Legitimität, die erlangt wird, indem er seine Fähigkeit zur Mediation und seine moralischere Garantie von Macht anbietet.

In der Negri’schen Darstellung ist das wahre Subjekt der Geschichte ein seltsames Wesen von tausend Metamorphosen (zuerst Massen-Arbeitskraft, dann sozial-Arbeiter, jetzt Multilude-Menge) und tausend Tricks. Genaugenommen ist dieses Wesen an der Macht, auch wenn alles das Gegenteil zu bezeugen scheint. In Wirklichkeit ist all das, was die Herrschaft aufbürdet, wonach es ihm verlangt und was es erreicht hat. Der technologische Apparat verkörpert sein kollektives Wissen (nicht seine Entfremdung). Die politische Macht begünstigt seine Vorstöße von unten (nicht seine Rekuperation). Das legale Recht formalisiert seine Machtbeziehung mit den Institutionen (nicht seine repressive Integration). In dieser erbaulichen, historischen Vision findet alles gemäß den Schemata eines zutiefst orthodoxen Marxismus statt. Die Entwicklung der Produktivkräfte, ein wirklicher Faktor des Fortschritts, gelangt immer wieder mit den sozialen Beziehungen in Wiederspruch und modifiziert dabei die Gesellschaftsordnung im emanzipatorischen Sinne. Die Anordnung ist dabei dieselbe, wie in der klassischen, deutschen Sozialdemokratie, der wir das unanfechtbare Privileg verdanken, einen revolutionären Angriff in Blut ertränkt und dann das Proletariat in die Hände der Nazis geworfen zu haben. Und es ist eine sozialdemokratische Illusion, der Macht der Multinationalen jene der politischen Institutionen gegenüberzustellen, eine Illusion, die Negri mit den linken Statistikern der Le Monde Diplomatique teilt. Wenn beide den “wilden Kapitalismus”, die “Steuerparadiese”, die “Diktatur der Marktes” so oft verurteilen, dann ist das, weil sie eine neue politische Ordnung wollen, eine neue Regierung der Globalisierung, einen weiteren New Deal. In diesem Sinne ist der Vorschlag für ein universales Bürgerschaftseinkommen zu lesen. Somit haben die weniger “dialektischen” Negrianer keine Skrupel, diese Forderung offen, als ein Wiederbeleben des Kapitalismus zu präsentieren.

Trotz zwei Jahrzehnten schwerer sozialer Konflikte gelang es dem Kapitalismus mit der Zerlegung der Produktionszentren und deren Verteilung über das Territorium und mit der völligen Unterwerfung der Wissenschaft durch die Macht, die revolutionäre Bedrohung durch einen Prozess zu überlisten, der Ende der 1970er Jahre seine Vollendung erreichte. Diese Eroberung des gesamten sozialen Raumes entspricht, als die letzte zu überschreitende Grenze, dem Eintritt des Kapitals in den menschlichen Körper durch die Beherrschung des Lebensprozesses der Spezies selbst: Die Nekrotechnologie ist das jüngste Beispiel seines Wunschtraumes von einer vollständig künstlichen Welt. Doch für Negri aber ist all dies der Ausdruck der Kreativität der Multitude. Die totale Unterwerfung der Wissenschaft durch das Kapital, das Investieren in Dienstleistungen, das Wissen und die Kommunikation (die Geburt der “menschlichen Ressourcen” laut Managersprache) drücken für ihn das “Frau-Werden” der Arbeit aus, d.h., die Produkivkraft der Körper und der Sensibilität. In der Epoche der “immateriellen Arbeit” sind die Produktionsmittel, die die Multitude für sich als allgemeines Eigentum sichern muss, die Gehirne. In diesem Sinne demokratisiert die Technologie die Gesellschaft zunehmends, da das Wissen, das sich der Kapitalismus auf sein eigenes Konto leitet, jeglichen Lohnbereich übersteigt. Tatsächlich entspricht das der eigentlichen Seinsbedingung des Menschen. Die Forderung nach einem garantierten Mindesteinkommen bedeutet also folgendes: wenn uns das Kapital jeden Moment produzieren lässt, dann sollte es uns auch bezahlen, wenn wir nicht als Lohnarbeiter angestellt sind, und wir werden ihm durch unseren Konsum Geld einbringen.

Die Schlussfolgerungen von Negri und seinen Kollegen sind die genaue Umkehrung der Vorstellung von jenen, die bereits in den Siebzigern verfochten, dass die Revolution durch den Körper geht, dass die proletarischen Lebensbedingungen immer universaler sind, und dass das tägliche Leben der wahre Ort des Klassenkrieges sind. Das Ziel der Rekuperateure ist immer dasselbe. In den 70ern sprachen sie von Sabotage und Klassenkrieg, um ihren Platz an der Sonne zu erobern; heute schlagen sie die Errichtung von Bürgerlisten vor, die Übereinkunft mit den Parteien, den Eintritt in die Institutionen. Ihr Jargon und ihre linguistische Akrobatik zeigen, dass die marxistische Dialektik jeglicher Heldentat fähig ist; indem sie von Che Guevara zu Massimo Cacciari6, von den Bauern in Chiapas bis zu den kleinen venetischen Betrieben springt, rechtfertigt sie heute Verrat, genauso wie sie gestern Dissoziation theoretisierte. Im Übrigen sind, wie sie selbst erkennen, weder die Ideen, noch die Methoden, wichtig, sondern „das endgültige Machtwort“.

Für die “ungehorsamen” Theoretiker sind die politischen Institutionen Geiseln des multinationalen Kapitals, bloße Registrierungskammern für globale, wirtschaftliche Prozesse. Von der Atomkraft bis zur Kybernetik, von der Untersuchung neuer Materialien zum genetischem Ingenieurswesen, von der Elektronik zur Telekommunikation ist in Wahrheit die Entwicklung der technologischen Macht – die materielle Basis für die Sache, die als Globalisierung definiert wird – in Wirklichkeit mit der Fusion des industriellen und wissenschaftlichen Apparates mit dem Militärapparat verknüpft. Wie könnte ein globaler Markt ohne den Luftraumsektor, ohne die Hochgeschwindigkeitszüge, ohne die Verbindungen durch Glasfaserkabel, ohne die Häfen und Flugplätze existieren? Fügen wir dem die fundamentale Rolle der Kriegsoperationen, den stetigen Datenaustausch zwischen Banken, Versicherungen, Medizin-, und Polizeisystemen, die staatliche Verwaltung der Umweltverschmutzung und die immer dichtere Überwachung hinzu, und man wird begreifen, dass es eine Mystifizierung ist, vom Verfall des Staates zu sprechen. Was sich verändert hat, ist schlichtwegs eine bestimme Form des Staates.

Im Unterschied zu anderen Sozialdemokraten ist für Negri die Verteidigung des “sozialen” Nationalstaates nicht mehr möglich, da es sich um eine politische Verfassung handelt, die nunmehr veraltet ist. Das aber eröffnet eine noch ehrgeizigere Perspektive: die europäische Demokratie. Auf der einen Seite, stellt sich die Macht tatsächlich dem Problem, wie sie die sozialen Spannungen befrieden kann, die durch die Krise der repräsentativen Politik verursacht wurden. Auf der anderen Seite suchen die “Disobbedienti” nach neuen Wegen, um die Institutionen demokratischer zu machen, womit die Bewegungen zunehmends institutionalisiert werden. Hier die mögliche Entgegnung: „Wer hat also Interesse an einem politisch vereinten Europa? Wer ist das europäische Subjekt? Es sind jene Bevölkerungen und jene sozialen Schichten, die eine absolute Demokratie auf dem Niveau des Empires errichten wollen. Was sie vorschlagen ist ein Gegen-Empire. […] Das neue europäische Subjekt verweigert demnach nicht die Globalisierung, sondern errichtet vielmehr das politische Europa, als einen Ort, von wo in der Globalisierung gegen die Globalisierung gesprochen werden kann, sich selbst (ausgehend vom europäischen Raum) als Gegenmacht bezüglich der kapitalistischen Hegemonie des Empires bezeichnend.“ (von Politisches Europa: Gründe für eine Notwendigkeit, herausgegeben von H. Friese, A. Negri, P. Wagner, 2002).

Wir sind am Ende angelangt. Unter einem dichten Rauchvorhang von Slogans und beeindruckenden Phrasen, unter einem Jargon, der flirtet und auch terrorisiert, wird hier ein Programm definiert, das schlicht für das Kapital und großartig für die Menge ist. Versuchen wir zusammenzufassen. Dank eines garantierten Grundeinkommens könnten die Armen in der Produktion von Reichtum und in der Reproduktion des Alltagslebens flexibel sein und so die Wirtschaft ankurbeln; Dank des Allgemeineigentums der neuen Produktionsmittel (des Verstandes), kann das “immaterielle Proletariat mit einem zapatistischen Marsch der intellektuellen Arbeitskraft durch Europa beginnen”. Dank neuer, universaler Bürgerrechte kann die herrschende Macht die Krise des Nationalstaates überwinden und die Ausgebeuteten sozial einbeziehen. Die Bosse wissen es nicht, aber, endlich freigestellt sich selbst zu entwickeln, werden die neuen Produktionsmittel tatsächlich das verwirklichen, was sie schon jetzt potentiell beinhalten: den Kommunismus. Man muss bloss mit bornierten Kapitalisten rechnen, Reaktionären und Neoliberalen (kurzum mit der “schlechten” Globalisierung). All dies scheint eigens entworfen zu sein, um das zu bestätigen, was Walter Benjamin vor mehr als siebzig Jahren, einige Wochen nach dem Nicht-Angriffspakt zwischen Stalin und Hitler, festgestellt hat: „Es gibt nichts, was die deutsche Arbeiterschaft in dem Grade korrumpiert hat, wie die Meinung sie schwimme mit dem Strom. Die technische Entwicklung galt ihr als das Gefälle des Stromes, mit dem sie zu schwimmen meinte.“

Aber die durch die Strömung aufgewühlten Gewässer verbergen gefährliche Fallen, worauf selbst Negri hinweist: „Jetzt befinden wir uns in einer imperialen Verfassung. worin sich Monarchie und Aristokratie gegenseitig kämpfen, aber die plebejischen Versammlungen fehlen. Das führt zu einer Situation der Ungleichheit, da die imperiale Form nur auf friedliche Weise existieren kann, wenn diese drei Elemente untereinander ausgeglichen sind“ (aus MicroMega, Mai 2001). In einem Wort: Liebe Senatoren, Rom ist in Gefahr. Ohne “Dialektik” und sozialen Bewegungen und Institutionen, sind die Regierungen “nicht legitim” und somit unsicher. Wie schon erst Titus Livius und dann Machiavelli wunderbar aufgezeigt haben, diente die Institution des plebejischen Tribunals dazu, die fortwährende Ausdehnung des römischen Imperiums mit der Illusion auszugleichen, das Volk nehme an der Politik teil. Aber die berühmte Legende von Menenius Agrippa der sich an die meuternden Plebejer wandte und mit ihnen sagt, dass Rom nur dank ihrer am Leben sei, sowie auch ein Körper nur dank seiner Gliedmaßen lebe, droht tatsächlich ein Ende zu nehmen. Das Empire scheint diese Armen, die es produziert, anscheinend immer weniger zu gebrauchen und lässt sie in den Reservaten des Warenparadieses zu Millionen verfaulen. Andererseits könnten die Plebejer so gefährlich wie eine Horde Barbaren werden und von den Hügeln in die Stadt herunterkommen, aber mit den schlimmsten Absichten. Für die unruhigen und unvernünftigen Ausgebeuteten könnte die Mediation der neuen Manager so hassenswert sein, wie die Macht im Amt. und so wirkungslos wie eine Lehrstunde in Bürgerlichkeit für jemanden, der bereits seine Füße auf den Tisch legte. Eine Polizei, wenn auch in weißen Overalls könnte nicht ausreichend sein.


Warten auf die Barbaren

Worauf warten wir. versammelt auf dem Marktplatz?

Auf die Barbaren, die heute kommen.

Warum solche Untätigkeit im Senat?

Warum sitzen die Senatoren da,

ohne Gesetze zu machen?

Weil die Barbaren heute kommen.

Welche Gesetze sollten

die Senatoren jetzt machen?

Wenn die Barbaren kommen,

werden diese Gesetze machen.

Warum ist unser Kaiser

so früh auf gestanden?

Warum sitzt er mit der Krone,

am größten Tor der Stadt

hoch auf seinem Thron?

Weil die Barbaren heute kommen,

und der Kaiser wartet,

um ihren Anführer zu empfangen.

Er will ihm sogar eine Urkunde überreichen,

worauf viele Titel,

und Namen geschrieben sind.

Warum tragen unsere zwei Konsuln und die Prätoren

heute ihre roten, bestickten Togen?

Warum tragen sie Armbänder

mit so vielen Amethysten

und Ringe mit funkelnden Smaragden?

Warum tragen sie heute die wertvollen Amtsstube,

fein gemeißelt, mit Silber und Gold?

Weil die Barbaren heute erscheinen, und solche Dinge blenden die Barbaren.

Warum kommen die besten Redner nicht,

um wie üblich ihre Reden zu halten?

Weil heute die Barbaren erscheinen,

und vor solcher Beredtheit langweilen sie sich.

Warum jetzt plötzlich diese Unruhe und Verwirrung?

(Oh, wie ernst die Gesichter geworden sind.)

Warum leeren sich

die Straßen und Plätze so schnell,

und warum gehen alle so nachdenklich nach Hause?

Weil die Nacht gekommen ist

und die Barbaren doch nicht erschienen sind.

Einige Leute sind von der Grenze gekommen

und haben berichtet,

es gäbe sie nicht mehr, die Barbaren.

Und nun, was sollen wir ohne Barbaren tun?

Diese Menschen waren immerhin eine Lösung.

Constantino Kavafis


Der Traum von der Erschaffung eines Weltimperiums findet sich nicht nur in der antiken Geschichte wieder: er ist das logische Resultat aller Aktivitäten der Macht, und er ist nicht auf einen bestimmten Zeitraum beschränkt. Obwohl sie viele Veränderungen durchmachte, verknüpft sich die Vision der Weltherrschaft mit dem Aufkommen neuer sozialer Bedingungen und ist nie vom politischen Horizont verschwunden…“ Rudolf Rocker

Es dauerte nicht lange und die Knechtschaft, der die Untertanen Roms unterworfen waren, weitete sich auf die Römer selbst aus […]. Es gab keinen Weg der Knechtschaft zu entkommen, und diejenigen, die Bürger genannt wurden, waren bereit, auf die Knie zu fallen, noch ehe sie einen Meister hatten. […] In Rom war es nicht der Imperator als Mann, vor dem sich jeder beugte, sondern das Imperium selbst; und die Stärke des Imperiums bestand aus dem Mechanismus einer sehr zentralisierten, perfekt organisierten Administration, aus einem großen, äusserst disziplinierten, stehendem Heer, aus einem Kontrollsystem, das sich in alle Richtungen ausweitete. Mit anderen Worten, der Staat, nicht der Herrscher, war die Quelle der Macht.“ Simone Weil

Ein einziges Gesetz, das von Rom diktiert wurde, herrschte im Reich. Und dieses Reich war keineswegs ein Verband von Bürgern; er war nichts als eine Herde Untertanen. Bis auf unsere Zeit bewundern Juristen und Autoritätsschwärmer die Einheit dieses Reiches, den einheitlichen Geist seiner Gesetze, die Schönheit (so sagen sie) und die Harmonie dieser Organisation.“ Pjotr Kropotkin

Empire

Ein Albtraum plagt die Diener des Empires – der Albtraum dessen möglichen Zusammenbruchs. All die auf der Welt verstreuten Höflinge, politischen Berühmtheiten und Generäle, administrativen Delegierten und Werbefachleute, Journalisten und Intellektuelle fragen sich, wie diese fürchterliche Bedrohung abgewendet werden kann.

Das Empire ist überall präsent, aber es regiert nirgends. Seine militärische Unbesiegbarkeit schimmert in der Sonne und blendet die unterwürfigen Bewunderer. Aber seine Fundamente sind verfault. Die soziale Ordnung innerhalb dessen Grenzen wird kontinuierlich in Frage gestellt. 1989 wurde der Fall der Berliner Mauer als symbolischer Akt präsentiert, der das Ende des “Kalten Krieges” zwischen den beiden entgegengesetzten Supermächten bestätigte, die Morgendämmerung einer neuen Ära des Friedens und der Stabilität. Die Vereinheitlichung des Planeten in einem einzigen Lebensmodell, dem privaten, kapitalistischen Modell sollte die definitive Verbannung jeglicher Konflikte mit sich bringen. Man könnte sagen, dass gewissermaßen genau das Gegenteil passiert ist. Noch nie hat man in der modernen Geschichte so viele gewalttätige Konflikte gesehen, die die Welt in Blut tränkten, wie nach 1989. Wenn die verschiedenen Armeen bis dahin in einem Zustand ständiger Alarmbereitschaft waren, so sind sie heute in ständiger Mobilisierung. Die militärischen Kräfte verbringen ihre Zeit nicht mehr mit Übungen, sondern damit, im Feld zu kämpfen. Der kalte Krieg ist zum heißen, an manchen Orten kochenden Krieg geworden und generalisiert sich. Nur dass das Massaker, das der Staat diktiert, heute nicht mehr länger Krieg genannt wird, sondern Polizeioperation. Indem sich das Empire nach allen Seiten ausgeweitet hat, hat es keine äußeren Feinde mehr, gegen die es sich verteidigen muss, sondern nur noch innere Feinde, die es zu kontrollieren und zu unterdrücken gilt. Es existiert kein Draußen mehr, wie uns die Diener des Empires gerne in Erinnerung rufen, es existiert nur noch ein Drinnen. Aber dieses Drinnen ist buchstäblich am explodieren.

Um Platz zu schaffen, hat das Empire das alte Modell des Nationalstaates hinweggefegt. Aber wie kann man ganze Bevölkerungen, die bisher mit dem Klebstoff der Volksidentität zusammengehalten und gezähmt wurden, welche aber, wie etwa bei den Serben und Kosovaren oder den Israelis und Palästinensern, nicht mehr existiert, davon überzeugen, dass es stattdessen nur noch Subjekte gibt, die über den Gehorsam einem einzigen sozialen System gegenüber ähnlich gemacht werden? Auf diese Weise entzündet und erneuert das Empire grausame Bürgerkriege im Moment seines Triumphes.

Um sich zu konsolidieren, hat das Empire die politische und wirtschaftliche Macht, die Macht der Wissenschaft und die des Militärs, in einem einzigen Apparat fusioniert. Aber wie kann es ohne spezifische politische Aktivität handeln, die unentbehrlich ist, um das eigene Gleichgewicht zu halten, – die Mediation, die vor allem Mäßigung ist ohne auf die zügellose Suche nach dem maximalen Profit zu gehen. Darum entfesselt das Empire im Moment seines Triumphes starke soziale Spannungen.

Um sich zu verwurzeln hat das Empire überall die Religion des Geldes aufgezwungen. Aber wie ist es denkbar, dass die Transzendenz der Traditionen und Riten von Jahrtausenden, nachdem sie jeden Bereich des sozialen Lebens von Grund auf durchtränkt und der Existenz von Milionen von Ergebenen Bedeutung gegeben haben, ihren Platz für die Immanenz der Waren verlassen könnte, ohne Rebellionen zu entfesseln. Das heilige Buch des Christentums, die Bibel selbst, erinnert an die Wut von Christus über die Anwesenheit der Kaufleute im Tempel und an deren gewaltsame Entfernung: „In der Schrift steht: Mein Haus soll ein Haus des Gebetes sein, Ihr aber macht daraus eine Räuberhöhle“ (Mt 21,13) Im Augenblick seines Triumphes, also ruft das Imperium religiösen Fundamentalismus hervor.

Wir sehen uns einer paradoxen Situation gegenübergestellt. Auf der einen Seite ist es dem Reich des Kapitals wohl gelungen, die absolute Herrschaft zu erobern, Okzident und Orient unter einer gemeinsamen Flagge zu vereinen, und jede Vision der menschlichen Existenz, die nicht auf den Gesetzen der Wirtschaft aufbaut zu annullieren; auf der anderen Seite aber, mit all seiner erlangten Macht, mit seinen überall zum Schutz der Profite verstreuten Prätorianern, demonstriert der Kapitalismus, dass er die Dinge nicht im Geringsten unter Kontrolle hat. Das Empire wird gefürchtet, aber nicht geliebt. Es wird ertragen, nicht gewählt. Es besitzt Stärke, nicht Konsens. Wenn es die mögliche Bedrohung seines Kollapses abwenden will, kann es nur einen Weg gehen: den, dass die Menschen es nicht aufgezwungen, sondern mit ihrer Zustimmung akzeptieren, dass es als richtig, als notwendig, als unvermeidbar erkannt wird.

Aber wie könnte es dem Empire – synonym mit Gesellschaftsordnung auf Gewaltakte und der Arroganz basierend, Ursache für die Grausamkeit und das Leiden – gelingen seine Subjekte7 dazu zu bewegen, es zu lieben? Es erzwingt Kontrolle mit Waffengewalt. Es erreicht Konsens mit schmeichelnden Worten. Wenn das Empire den Subjekten seine Argumente einflößen will, damit sie diese akzeptieren und würdigen, so muss es den Trick ausspielen, nach der Hilfe von Abgesandten zu greifen. Diejenigen, die in der Kunst der Schmeichelei glanzen, sind bestimmt nicht unter den Schlaueren, da sie schnell als das demaskiert würden, was sie wirklich sind – Diener unter Dienenden. Nein, eine derart komplexe und delikate Aufgabe kann nur von denjenigen ausgeführt werden, die es verstehen, die Grenzen der imperialen Ordnung aufzuzeigen. Bissige Beobachtungen auf Kosten des Imperiums faszinierten die widerspenstigen Subjekte schon immer, die von den Abgesandten in eine fiktive Komplizenschaft verwickelt werden und dabei nicht erkennen, dass die Kritik der Unvollkommenheit für die Erreichung der Vollkommenheit arbeitet, indem sie das Empire transformiert – von etwas, das wir los werden müssen, zu etwas, das wir korrigieren müssen, ohne welches wir aber nicht leben können.

Um die Dringlichkeit der Restrukturierungsarbeiten aufzuzeigen und die nötigen Vergrößerungen des imperialen Bauwerks, werden die Abgesandten immer zahlreicher. Zwei von ihnen. Michael Hardt und Antonio Negri, haben kürzlich ein Buch veröffentlicht, das zunehmend an Erfolg gewinnt. Indem sie sich mit ihrem Universitätsjargon in Szene setzen, um die Subjekte ihrer eigenen Ignoranz zu unterwerfen, die übliche abgestandene und stumpfe, einschüchternde Waffe des intellektuellen Terrorismus, legen diese beiden Professoren auf der Suche nach Anerkennung den Finger auf die vielen wunden Punkte des Empires, mit dem Versuch ihrem Leser gleichzeitig zu erklären, warum sie wirklich nicht umhin können es zu akzeptieren. Der Titel dieses Meisterwerks des Dissents ist eine Hommage an den eigenen geliebten Elternteil: das Empire.

SCHWEREN HERZENS

Wie kann man eine Bedingung von Enteignung, von Entfremdung und von Ausbeutung akzeptabel machen, ohne ein Gefühl von Wut und Rebellion hervorzurufen? Die Antwort ist nur scheinbar unmöglich. Es genügt den Glauben einzuflößen, dass das, was sie durchmachen unvermeidbar ist, diktiert von einer tragischen, sowie fatalen Notwendigkeit. Das Einflüßen der herrschenden Werte bildet genaugenommen die Basis der sozialen Reproduktion. Étienne De La Boétie, mit seinem unsterblichen Diskurs der freiwilligen Knechtschaft weist darauf hin, wie der Umstand, dass die Macht weniger, die von vielen blind akzeptiert wird, zurückverfolgt werden kann zu coutume, dessen Bedeutung zwischen geschichtlich-traditionellem Brauch und psychologischer Angewohnheit schwankt: Es verweist auf einen Prozess der Anpassung an die Gesellschaftsform, in der sich das menschliche Wesen eingefügt wiederfindet, ein Prozess der darin endet, einen großen Teil seines Verhaltens zu bestimmen. Der Hauptgrund warum Menschen ihre Unterwerfung unter die Macht akzeptieren, ist, weil sie als Diener geboren und aufgezogen werden. “Es ist trotzdem wahr – argumentiert La Boétie -, dass der Mensch am Anfang schweren Herzens dient, von einer höheren Macht dazu gezwungen; aber diejenigen, die später kommen, diejenigen, die die Freiheit niemals gesehen haben und nicht einmal etwas derartiges kennen, dienen ohne jegliches Bedauern und machen das freiwillig, was ihre Eltern unter Zwang gemacht haben. Und so sind die Menschen, die mit dem Joch um ihren Hals geboren werden, in Knechtschaft ernährt und erzogen, ohne ihre Augen auch nur ein wenig vor sich selbst zu heben, zufrieden, so zu leben wie sie geboren wurden, ohne sich gute und richtige Dinge vorstellen zu können, außer denen, die direkt vor ihnen liegen, und sie halten die Bedingungen, in die sie hinein geboren werden für natürlich.“ Das bedeutet, wir können uns des Fehlens unserer Freiheit nur bewusst werden, wenn wir die Möglichkeit hatten, sie zu erfahren oder von ihrer Existenz zu wissen. Die Erfahrung des Gefängnisses ist nur dann ein Drama, wenn wir sie mit einer Erfahrung von Freiheit vergleichen können, der wir im Augenblick unserer Gefangennahme entrissen wurden, wie sehr diese auch überwacht und konditioniert gewesen sein mag. Aus dem profunden Unterschied der zwischen diesen beiden gelebten Erfahrungen liegt, entspringt unser Verlangen nach Flucht und Revolte. Aber wenn wir in einem Gefängnis geboren und aufgewachsen sind, wenn die Mauern eines Gefängnisses unseren gesamten Horizont bildeten, all unsere Traume ausfüllten, all unsere Handlungen bestimmten, wie könnten wir eine Freiheit verlangen, von der wir niemals wussten? Weil die Gefangenschaft unsere einzige und gewohnte Lebensbedingung war, würden wir sie vielleicht als natürlich bezeichnen und sie schlussendlich guten Willens akzeptieren. Oder sogar denken, wie Orwell gewarnt hat, dass Sklaverei Freiheit ist.

Das Empire gründet, wie jede andere Form der Herrschaft, seine eigene Kontinuität darauf, dass es die Macht, die es ausübt, als natürlich annimmt. Die Kritik am Empire als solche, in ihrer Totalität und nicht in ihren einzelnen Aspekten, wird als Form von Wahnsinn oder Abweichung dargestellt. Aber diese Objektivierung der Herrschaft erfordert weitere Unterstützung, solider und überzeugender, und über die gewohnte hinausgehend. Wie La Boétie erinnert: „Es gibt keinen noch so sorgenfreien und unbekümmerten Erben, dass er nicht doch manchmal einen Blick ins Familienregister wirft, um zu sehen, ob er sich aller Rechte der Nachfolgerschaft erfreuen kann, oder ob es stattdessen einige Machenschaften gegen ihn oder seine Vorfahren gibt.“ Gewohnheit alleine genügt nicht. Einige könnten sich schlussendlich langweilen und diesen individuellen, psychologischen Mechanismus aufgeben. Deswegen ist es notwendig die “Familienregister” zu frisieren, mittels eines kollektiven historischen Mechanismus, in einer Form, dass ihre Lektüre ein eindeutiges und definitives Ergebnis für alle verordnet. Aber wie?

Es ist leicht zu verstehen, dass eine totale Zensur unserer Rechte, oder der Ausschluss auch nur irgendeiner Person von den Registern zum exklusiven Nutzen dessen, der die Macht innehat, zumindest verdächtig erscheinen würde und eine rasende Reaktion provozieren könnte: und wir, wer sind wir? Wenn uns nichts gegeben wird, nehmen wir uns alles! Es ist intelligenter, anstatt uns in das Vermächtnis einzubeziehen, uns zu integrieren und uns die Verantwortung dafür, was mit uns geschieht, zuzuschreiben, uns mit dem Ersuchen um Partizipation an den Familienereignissen in solch einer Form in die Irre zu führen, die uns die uns umgebende Realität, nicht als etwas wahrnehmen lässt, das uns beherrscht, dem wir uns unterwerfen müssen, sondern als ein Produkt, nach dem wir resolut verlangen und zu dem wir mit unserer Aktivität einen direkten Beitrag leisten und das demnach uns gehört. Wenn „der Staat sich darauf vorbereitet zu töten, nennt er sich Vaterland“, wie Dürrenmatt sagte, „dann ist das, weil er will, dass seine “Bürger” kämpfen und dabei denken, dass sie das für sich selbst tun, ohne zu bemerken, dass sie „für die Tresorräume der Banken“ sterben[“] (Anatole France). In gleicher Weise ist das der Grund, warum die Bosse es einen Betrieb nennen, wenn sie sich anschicken, Profit zu machen, denn sie wollen, dass ihre “Angestellten” in dem Glauben arbeiten, sie täten es für sich selbst, ohne zu bemerken, dass sie ausschließlich zum Nutzen des Bosses ausgebeutet werden. Der Gehorsam wird absolut vor jedem Zweifel bewahrt, wenn er nicht mehr länger als Zwang oder als vererbter Fehler gesehen wird, sondern als Ausdruck eines sozialen Willens.

In dieser Hinsicht schämen sich die beiden Abgesandten des Empires nicht, zu bestätigen, dass wenn „man mit Hegel kokettieren wollte, man sagen könnte, dass das Empire an sich, aber nicht für sich gut ist“. In Wahrheit ist ihre Beziehung zum Vater der Dialektik nicht nur schlichtes Kokketieren; es ist eine echte Liebesgeschichte. Ihre Analyse des Empires wird konform zur hegelianischen Dialektik ausgeführt. Das ist kein Zufall. Hegel war überzeugt davon, dass seine eigene Philosophie den Zeitgeist repräsentierte, in dem sie entstanden war. Durch und dank der Überlegenheit seiner Philosophie gegenüber den Philosophien der Vergangenheit, war er der Überzeugung und hatte den Antrieb und die Pflicht, zu beweisen, dass die Gesellschaft, der sie entsprang (d.h. die historische Realität des Preußischen Staates) den Gipfel aller vorhergehenden Zivilisationen darstellte. Vorsichtig betrachtet ist es derselbe Ehrgeiz, der die beiden Abgesandten in Bezug auf das Empire bewegt.

Eine Eigenheit von Hegel, weswegen sich die scharfsinnigsten Funktionäre der Herrschaft mit Anerkennung an ihn erinnern sollten, die aus seinem Verständnis besteht, dass Einheit – zu der jede Form von Macht strebt – unverwundbar erscheinen würde, wenn sie, anstatt sich auf dem Ausschluss der Vielfalt aufzubauen – d.h., der Opposition – ihre Verwirklichung in der Assimilierung derselben fände. Mit anderen Worten, konkrete Einigkeit könnte für Hegel durch die Versöhnung von Unterschieden erreicht werden und nicht durch deren Vernichtung. Nur durch die Unterschiede zwischen der Vielfalt der Dinge und durch deren Konflikte können konkrete, dauerhafte Dinge erreicht werden. Daher entspringt für Hegel die Einheit in Wahrheit dem fortdauernden Kampf zwischen der Vielfalt der Dinge, die sie ausmachen. Seine Lüge hat sich manifestiert: wenn diese Einheit nicht die Vielfalt unterdrückt, dann begreift sie das auch nicht, da sie darauf beschränkt ist, sie zu domestizieren, um sie in den Dienst der ursprünglichen These zu stellen. Das ist die Bedeutung der Dialektik, der Hegel die Aufgabe anvertraut, die intimsten Vorgänge der Wirklichkeit zu enthüllen. In der dialektischen Entwicklung bildet die Bestätigung eines Konzeptes die These; deren Negation bildet die Antithese. Durch den Konflikt zwischen These und Antithese wird die Synthese geboren, welche These und Antithese in eine höhere Einheit aufnimmt, in der beide wie unterschiedliche Momente wahrgenommen werden. Aber auf bestimmte Weise repräsentiert die Synthese eine Wiederkehr zur These und ist tatsächlich eine Sache der Wiederkehr, angereichert durch all die Dinge, die durch die Antithese beigesteuert wurden. Es erscheint klar, dass die pure Existenz von zwei Gegenteilen nicht genug ist, um eine dialektische Beziehung zu erzeugen. Um etwas solches zu erreichen, wird etwas mehr benötigt: Es bedarf der Mediation zwischen den beiden Gegenteilen. Um zwischen zwei Gegenteilen zu einer Mediation zu kommen, muss man deren Irreduzibilität wegnehmen, man muss sie verbinden und eine Kommunikationsbrücke zwischen ihnen aufbauen. Es bedeutet, diese durch Versöhnung zu befrieden, aber zum Vorteil einer bestimmten Seite – derjenigen die von Anfang an die Stärkere war.

Nach Hegel war die Dialektik nicht nur „die Natur des Gedankens selbst“. Die Identität des Rationalen und des Wirklichen verfechtend, interpretierte er die Dialektik auch als das Gesetz der Wirklichkeit. Jegliche Realität bewege sich dialektisch, nach einem objektiven Mechanismus. Auf derartige Weise, dass das, was ist zur selben Zeit das, was sein muss darstellt, d.h. es ist eine Selbst-Rechtfertigung in all ihren Erscheinungsformen, die daher “notwendig” sind, in dem Sinn, dass sie nichts anderes sein können, als das, was sie sind. Für Hegel heißt, sich etwas zu widersetzen, das etwas anderes zur Realität darstellt, die Vernunft zu Gunsten des Selbst-Interesses oder individueller Willkür aufzugeben, etwas, das grenzenlos wahnsinnig ist, da seiner Meinung nach nur das Rationale real ist. In den Getrieben dieses deterministischen Mechanismus, wird die Geschichte zur Verwirklichung einer vorherbestimmten Ebene, und der Staat wird nichts weniger als die Inkarnation des Weltgeistes – eine Art Offenbarung Gottes auf Erden.

Das was Hegel, ein braver Untergebener des preußischen Staates, niemals in Betracht zieht, ist die konkrete Möglichkeit einer völlig autonomen Opposition, souverän, unkompromittierbar – eine Vielfalt, die sich in keinerlei Synthese hineinziehen lässt.

Man muss sehen, dass Hegel ein sehr guter Abgesandter des Empires war. Seine Anerkennung der Rolle, die für die Opposition in der Produktion der Realität entwickelt wurde, machte ihn der Linken sympathisch. Seine Synthese, die Gegensätze zum Nutzen der ursprünglichen These, d.h., der bestehenden vermittelte, machte ihn der Rechten sympathisch. Dieser fröhliche, bourgeoise Mann unterrichtete an der Universität Berlin mit der gnädigen Erlaubnis des Königs, ohne es je zu versäumen, den Geburtstag des Falles der Bastille mit einer Flasche Wein zu feiern. Übrig bleibt die Tatsache, dass die interne Dynamik der Dialektik, wie er sie sich ausdachte, untrennbar vom ideologischen Vorsatz der Rechtfertigung des Status Quo ist – es genügt an die ironische Beobachtung von Bataille zu denken, nach der „es nicht die romantische Poesie, sondern der “obligatorische Militärdienst” ist, der die Wiederkehr zum gewöhnlichen Leben zu garantieren schien, ohne den seiner Meinung nach kein Wissen möglich war.“ Die hegelianische Überwindung ist nichts anderes als eine Bewegung der Konservierung, der Bestätigung und Ratifizierung der Vergangenheit. Kurz gesagt, Hegel war ein wichtiger Philosoph der Rekuperation: Die Macht wird stärker wenn sie, anstatt sich im eigenen Schloss einzusperren und Dissidenten umzubringen – nur dazu fähig mit blinder Intoleranz den sozialen Hass zu schüren -, die innovativen Ideen aufnimmt und diese teilweise, nach angemessener Sterilisierung, auch in die Tat umsetzt, mit dem Ziel, die eigene Legitimation zu verstärken.

Wie wir sehen werden, sind Hardt und Negri skrupellose Jünger von Hegel. Aber ihre Analyse holt sich auch von anderen Denkern Inspiration, von einigen derer, die als Subversive in die Geschichte eingegangen sind, obwohl die Anstrengung, die Notwendigkeit von Autorität und die Ordnung, die sie aufzwingt, zu rechtfertigen, in ihrer Arbeit offensichtlich ist. Hegels berühmtester Schüler, dieser Marx, der so überzeugt war, dass „die Bourgeoisie eine ungemein revolutionäre Funktion in der Geschichte hatte,“ ist ein weiterer konstanter Referenzpunkt für die beiden Abgesandten des Empires, besonders in der Ausarbeitung von politischen Perspektiven. Tatsächlich verficht Marx, der die gesamte Menschheitsgeschichte im Licht des philosophischen Mechanismus der hegelianischen Determination interpretiert, das fortschrittliche Wachstum des Kapitalismus offen als den einzigen Weg um den Kommunismus zu erreichen: „die Entwicklung der Großindustrie entzieht unter den Füßen der Bourgeoisie also genau das Terrain, auf dem es die Produkte produziert und sich diese selbst aneignet. Vor allem produziert es die Totengräber. Sein Verfall und der Sieg des Proletariats sind gleichermaßen unvermeidbar.“

Für Marx und für seinen Spezi Engels stellte die Revolution nicht die Negation der Zivilisation des Kapitals dar, eine Bruchstelle ihres tödlichen Fortschritts, sondern vielmehr ihr glückliches Endergebnis. Mit der Gewissheit, dass der Triumph der Bourgeoisie, den Triumph des Proletariats automatisch provozieren würde, endete er damit, die Entwicklung des Kapitalismus zu stützen und gegen diejenigen zu kämpfen, die sich ihm widersetzten. Diese Form des getarnten Fatalismus brachte ihn dazu, einige reaktionäre Positionen zu übernehmen, zum Beispiel, sich den Sieg Preußens im Krieg gegen Frankreich, aus der Überzeugung heraus zu wünschen, dass das Fundament des deutschen Reiches unter Bismarck die politische und ökonomische Zentralisierung von Deutschland bewirken würde, ein Faktor, der aus seiner Sicht das Anbrechen des sozialistischen Advents gebracht hätte. Weiters drängte ihn seine Idee der sozialen Transformation als Erfüllung, anstatt als Bruch, dazu, die Notwendigkeit zu befürworten, Mittel und Wege des proletarischen Kampfes nach dem Vorbild der Gegner zu formen, dabei philosophierend, dass die Arbeiter sich mithilfe einer politischen Partei organisieren müssten, um die Staatsmacht zu erobern.

Von diesem Gesichtspunkt aus ist die Analyse der beiden Abgesandten strikt marxistisch. Und angesichts der Natur ihrer Mission, könnten sie sicherlich nicht ohne die kostbaren Vorschläge des Beraters des Prinzen auskommen, des “demokratischen Machiavell”, der als Vater der modernen Politik, nämlich der Staatsräson bezeichnet wird, ein Experte darin, das Volk zu täuschen und in Ketten zu halten. Sie singen seine Lobgesänge, wobei sie es unterlassen, an seine Maxime zu erinnern, nach der da „nichts eitler und unverschämter ist, als die Menge“, sogar ein Theologe, wie Spinoza, der nach Häresie riecht, erweist sich als nützlich für sie, sowohl wegen seiner philosophischen Überlegungen über den Begriff der Macht, als auch wegen seiner theologisch-politischen Überlegungen über die Beziehung zwischen Demokratie und Menge. Das Familienportrait wird durch die Philosophen vervollständigt, die als Post-Strukturalisten bekannt wurden, jene französischen Denker, die, um die Gesellschaft gegen die Subversion zu verteidigen, die durch den Tod Gottes verursacht wurde – eine Subversion, die im Mai ’68, in deren Land eine Form annahm, indem sie sich als größter Wildcat-Streik der Geschichte konkretisiert – in allen Bereichen den Tod des Menschen ankündigten, mit dem Ziel, Resignation zu verbreiten und aus dem Individuum einen schlichten Klumpen aus sozialen, politischen, technischen und sprachlichen Vorrichtungen und Praktiken zu machen. Der Einfluss Deleuze’s und Guatarri’s, “Wunsch- Maschinen”, ist besonders stark. Überraschend ist eine gewisse unfreiwillige Aufrichtigkeit der beiden Abgesandten, was die wahre Natur ihrer eigenen Mission betrifft, wenn sie uns einladen, in Auseinandersetzung mit einer möglichen sozialen Transformation, die alte Metapher des revolutionären Maulwurfs zu Gunsten von jener der Schlange aufzugeben. In der Tat erhärten sie den Verdacht, indem sie erklären: „Nun, wir furchten, dass Marx’ alter Maulwurf gestorben ist. Uns scheint, als ob im gegenwärtigen Übergang zum Empire die unendlichen Windungen der Schlange das Gängesystem des Maulwurfs ersetzt haben“. Der Maulwurf hat seine Schuldigkeit getan. Seine Ausrottung in der Sphäre der politischen Zoologie wird durch seine Erblindung verursacht werden, die ihn immun für Kalkulation macht. Und dennoch, wenn dieses Tier Sympathie erweckt, dann ist das genau deshalb, weil es der Intrigen unfähig ist. Ausschließlich mit Sturheit bewaffnet und von Intuition geleitet, fahrt der Maulwurf fort zu graben, ohne jemals seinen Mut zu verlieren, in der Hoffnung am rechten Ort aufzutauchen. Die Schlange ist ein völlig anderes Tier. Sie gräbt nicht, sie kriecht. Sie bewegt sich “wellenartig” fort, von rechts nach links, von links nach rechts (das Bild des Opportunismus). Überdies ist sie seit der Zeit von Adam und Eva für ihre gespaltene Zunge (Symbol der Lüge) bekannt. Sie repräsentiert somit bestenfalls die gespaltene Natur der beiden Abgesandten und deren vermutlichen Väter, Verlorene mit Ränzchen auf der Schulter und mit breitem Lächeln für die Subjekte, insofern Letztere vorhaben, solche zu bleiben.

GEHT AN DIE ARBEIT!

Ziel der beiden Abgesandten ist es, die Subjekte, die sie als “Menge” definieren – ein neutraler Ausdruck quantitativer Art, geprägt von einigen Gelehrten in der Vergangenheit, nützlich um der Verlegenheit zu entgehen, eine qualitative Definition der Seiten zu gebrauchen -, davon zu überzeugen, dass, obwohl es wahr ist, dass das Empire viele Fehler aufweist, es ebenso wahr ist, dass dessen Existenz die Frucht einer rechten und unvermeidbaren Notwendigkeit ist. Dass, wenn das Empire das Eine ist, das die Vielen repräsentiert, dies nur ist, weil es sie in einer exakten arithmetischen Summe ausdrückt, nicht weil es sie in seinem Inneren vernichtet. Dass dessen Funktionieren nichts ist, worunter die Menge jetzt leidet, sondern etwas, was diese selbst bestimmt hat, absichtlich oder nicht. Mit einem Wort, dass der Wille des Empires in der Tat den Begierden der Menge durchaus nicht entgegengesetzt ist, sondern, dass er im Gegenteil deren Ausdruck und Verwirklichung ist, wenn auch mangelhaft. Es gibt also keinerlei Grund, dessen Zerstörung zu wollen. Genau das!

Aber betrachten wir, wie die beiden Abgesandten die Kritik von Etienne De La Boétie liquidieren. Sie sind sich bewusst, dass „wenn der Chef Sie auf dem Gang grüßt, eine Subjektivität entsteht. Die materiellen Praktiken, mit denen das Subjekt im Kontext einer Institution zu tun hat (sei es, sich zum Gebet hinzuknien oder Hunderte von Windeln zu wechseln), sind die Produktionsprozesse von Subjektivität“ und, dass „man deshalb die verschiedenen Institutionen der modernen Gesellschaft als Archipel von Subjektivitätsfabriken betrachten sollte“. Aber in deren alltäglichen Handlungen, deren seriellen Wiederholungen, deren tödlichen Angewohnheiten, die sie von der Geburt bis zum Tod begleiten, Tag für Tag, ohne uns einen Augenblick von Autonomie zu geben, denunzieren die beiden Abgesandten genaugenommen den Reproduktionsprozess des Existierenden in seiner sozialen Teilung nicht gänzlich, das heißt, das was die Einzigartigkeit des Individuums zerstört, sondern sie begrüßen das, was seine Subjektivität erschafft. Welch außergewöhnliche, mystifizierende Kraft des Wortes! Die Doppeldeutigkeit wird durch die Verwendung des Konzeptes der “Subjektivität“ erschaffen, was sie offensichtlich dem der “Individualität” vorziehen. In sich gesehen, sind die Beobachtungen der beiden Abgesandten richtig, aber die Bedeutung, die sie daraus ableiten ist völlig verzerrt, da die Subjekte dazu gebracht werden, diese “Fabriken der Subjektivität” mit wohlwollenden Augen zu betrachten. Aber was ist im Grunde schlecht daran? Ist nicht die Subjektivität „die Qualität von demjenigen der subjektiv ist?“ Und ist Subjektivität vielleicht nicht “das, was relativ zum Subjekt ist, das, was aus einem Weg des Fühlens, Denkens und Entscheidens selbst zu dem Individuum als solchem kommt”? Jedes beliebige Wörterbuch ist in der Lage, das ohne Unsicherheit zu bezeugen, aber lasst uns mit unserer Untersuchung bis zum Ende tortfahren. Was ist das Subjekt? Das Subjekt ist „die Person oder Sache, die in Betracht gezogen wird,“ aber es ist auch „jemand der an einem unterhalb liegenden Platz ist, untenstehend, unterwürfig, unterstellt.“ Diese Begriffe haben tatsächlich eine einzige Wurzel, sie stammen alle vom lateinischen subjectus, Partizip Perfekt von subicere, unterwerfen. Zu bestätigen, dass Subjektivität relativ zum Individuum ist, bedeutet, Unterwerfung an sich als natürlich darzustellen, somit ein historisches Ereignis in eine biologische Tatsache zu verwandeln. Die Subjektivität drückt demnach jemandes Qualität aus, der unten, untenstehend, unterworfen, unterstellt ist. Und was ist die Qualität von jemandem der unterworfen ist, wenn nicht die zu gehorchen, etwas das man viel eher machen wird, wenn man denkt, dass das in der Natur des Individuums als solches liegt? Genau wie im umgekehrten Sinne die Überredungskunst der Rhetorik es möglich macht, die Subjekte in diesen “Fabriken der Subjektivität” zur Arbeit, d.h. zur Dienerschaft zu drängen, statt dass sie diese in die Luft jagen.

Eine Fabrik ist natürlich produktiver, wenn bei den Arbeiter-Subjekten Disziplin herrscht: aber da gibt es ein Problem. Die Subjekte haben viel zu oft den hässlichen Fehler, die Disziplin als eine Form der Domestizierung zu betrachten. Das ist der Grund warum sie im Verlauf der Geschichte versuchten ihr auf allen Wegen auszuweichen oder sie zu durchbrechen. „Warum also dann?“ fragen die beiden Abgesandten und sind überzeugt: „Disziplin ist nicht eine äußere Stimme, die über uns stehend uns unser Handeln diktiert, uns überwölbt, wie Hobbes sagen würde, sondern Disziplin ist eher eine Art innerer Antrieb, der von unserem Willen ununterscheidbar, unserer Subjektivität immanent und ihr also untrennbar verbunden ist.“ Es ist unleugbar, dass Disziplin von unserer eigenen Subjektivität nicht zu trennen ist, wie wir gerade gesehen haben, Subjektivität unbestreitbar Unterwerfung aufzeigt. Aber es ist die Behauptung, dass des Sklaven strenggläubige Befolgung der Regeln des Meisters nicht so sehr aus Angst vor der Peitsche verursacht wird, als „durch einen inneren Zwang der ununterscheidbar von unserem Willen ist“, die die Herren Hardt und Negri nicht unterstützen können, ohne zuzugeben, auf welcher Seite der Barrikaden sie gefunden werden können: auf der Seite der Sklaventreiber. Ihre ganze historische Rekonstruktion der Geburt und der Entwicklung des Empires geht in dieselbe Richtung. Der Sklave verlangt nach seinen eigenen Ketten und erschafft sie selbst. Die Subjekte verlangen nach dem Empire und sie erschaffen es. Dessen Bildung ist unvermeidbar, weil sie das biologische Ergebnis der menschlichen Natur und zeitgleich das dialektische Ergebnis der Menschheitsgeschichte ausdrückt.

Die Beschäftigung damit, den imperialen Determinismus zu legitimieren, manifestiert sich auch in der nervtötenden mechanischen Sprache, die die beiden Abgesandten verwenden. Sie sind letzten Endes davon überzeugt, dass der Mensch hinter dem Getriebe verschwindet, dass die Autonomie dem Automatismus nachgeben muss und die Fantasie vor dem Funktionieren kapitulieren muss. Was ist das Empire? „Das Empire erscheint in Gestalt einer High-Tech-Maschine“, oder um es klarer auszudrücken, „das Empire bildet das ontologische Gewebe“. Was sind die Subjekte, die “Menge”? „Die Menge benutzt nicht nur Maschinen zur Produktion, sondern wird auch selbst zunehmend zu einer Art Maschine, da die Produktionsmittel immer stärker in die Köpfe und Körper der Menge integriert sind“. Was ist das Begehren? Das Begehren wird als ein “ontologischer Motor” definiert. Was ist die Sprache? Unweigerlich kommt die Antwort: „…wobei wir mit Sprache

Intelligenzmaschinen meinen, die ständig durch die Affekte und die subjektiven Leidenschaften erneuert werden“. Das sind nur einige Beispiele der technischen – und, als solche, vor allem – Sprache, die diesen Text ausfüllt.

Aber die Evolution der Zivilisation wie einen Mechanismus einer Megamaschine zu präsentieren ist nicht ausreichend. So ausgedrückt, rechtfertigt man die Resignation im Angesicht der sozialen Verschmutzung die sie produziert, aber die Wut, schlicht und einfach zum Getriebe zu werden, neutralisiert es nicht. Die beiden Abgesandten müssen sich daher etwas mehr Mühe geben. Sie müssen dem Subjekt verständlich machen, dass „in Wahrheit nämlich wir die Herren dieser Welt sind, weil unser Begehren und unsere Arbeit sie fortwährend neu erschaffen“, und dass wir folglich wenig haben, worüber wir uns beschweren müssen. Wir, die Herren der Welt?

DIE KEHRSEITE DER MEDAILLE

In unserer unaussprechbaren Ignoranz dachten wir, dass es das Bestreben einer jeden Macht war, sich bis zu dem Punkt hin zu verdichten und auszudehnen, an dem sie wahre und leibhaftige imperiale Bedeutung annimmt. Die letzte Realisierung hängt jedoch von den Beziehungen der existierenden Kräfte ab. Und natürlich kann ein solches Ziel nur über das Wissen darüber erreicht werden, wie eine notwendige Druckwelle erzeugt werden kann, um die eigenen Gegner zu zerschlagen. Im Gegenteil erklären die beiden Abgesandten dazu: „Die Menge rief das Empire ins Leben“, denn „der Klassenkampf treibt den Nationalstaat in Richtung seiner Abschaffung, überschreitet so die von ihm aufgerichteten Grenzen und zwingt dergestalt Analyse und Konflikt gleichermaßen auf das Niveau der Konstitution des Empire“.

Wir dachten Arbeit wäre nur innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft gleichbedeutend mit menschlicher Aktivität, ein bisschen so wie Tiere in Gefangenschaft gleichbedeutend sind mit Natur, nur eben in einem Zoo. Eine entschiedenermaßen abstoßende Gleichung, ausgenommen für jene, die denken, „Arbeit macht frei,“ wie es die Nazis an den Eingängen der Konzentrationslager verkündeten, oder für die, die meinen, dass die Gitterstäbe eines Käfigs dazu dienen, die Tiere vor den Gefahren von draußen zu schützen. Im Gegensatz dazu zögern die beiden Abgesandten nicht dahingehend zu argumentieren: „Die lebendige Arbeit […] ist das Vehikel der Möglichkeit, Arbeit […] erscheint nun als allgemeine gesellschaftliche Tätigkeit. Arbeit ist, verglichen mit der bestehenden Ordnung und ihren Reproduklionsregeln, produktiver Exzess. Dieser Exzess ist […] Folge eines kollektiven Emanzipationsprozesses […]“. Grund für ihre Behauptung: „Die neue Phänomenologie der Arbeit der Menge erweist diese Arbeit als schöpferische Tätigkeit, die mit Hilfe von Kooperation jedes Hindernis überwindet und die Welt ständig neu erschafft“.

Wir dachten, die Identifizierung des menschlichen Lebens mit der Produktion von Waren wäre eine der geschmacklosesten Lügen der Propaganda, die unfähig anderes zu ersinnen als ihre Wirtschaftsbilanzen. Das ist ein ähnlicher Betrug, wie derjenige der Poesie zu einer Inspirationsquelle für die Werbung reduziert hat. Im Gegensatz dazu informieren uns die beiden Abgesandten, dass „das Begehren zu existieren und das Begehren zu produzieren ein und dieselbe Sache sind“.

Wir dachten, dass die durch die großen Multinationalen eroberte Hegemonie über internationales ökonomisches und politisches Leben, mit der konsequenten Umwandlung der Welt in ein riesiges Einkaufszentrum, die Homogenisierung aller Lebensweisen sowie das Verschwinden aller Einzigartigkeit gebracht hat. Wie ein bekannter amerikanischer Journalist aufzeigte, die heutige Wahl liegt zwischen Coca Cola und Pepsi. Gegenteilig dazu machen uns die beiden Abgesandten darauf aufmerksam, dass „Statt eindimensional zu sein, war der Restrukturierungs- und Konzentrationsprozess des Kommandos über die Produktion ein Explodieren unzähliger verschiedener produktiver Systeme. Der Prozess, die Einheit des Weltmarkts herzustellen, vollzog sich durch Vielfalt und Streuung“.

Wir dachten dass die Erpressung, der sich die Subjekte unterziehen müssen – arbeiten um zu überleben oder vor Hunger zu verrecken -, das Element war, das Millionen von Menschen dazu gezwungen hat, den Ort ihrer Geburt auf der Suche nach einem Happen Brot aufzugeben. Niemand ist so schwachsinnig, durch die Not verursachte Auswanderung mit dem Abenteuergeist zu verwechseln, der aus dem Überfluss geboren wurde. Im Gegenteil, die beiden Abgesandten halten fest, dass Entwurzelung und Mobilität „eine machtvolle Form des Klassenkampfes in der imperialen Postmoderne“ darstellen, denn „mittels Zirkulation macht sich die Menge den Raum wieder zu eigen und konstituiert sich als handelndes Subjekt“.

Wir dachten, dass für mehr als ein halbes Jahrhundert der technologische Fortschritt durch die Forschung in militärischen Versuchslaboratorien aufrechterhalten und nur in zweiter Linie auch für zivile Zwecke ausgewertet wurde. Dadurch ist das Empire in der Lage seinen eigenen Kriegsapparat zu verstärken, die soziale Kontrolle zu perfektionieren und die wirtschaftlichen Profite zu maximieren. Im Gegenteil, die beiden Abgesandten sind davon überzeugt, dass nur Kämpfe „das Kapital dazu zwingen, das technologische Niveau ständig zu erhöhen und damit die Arbeitsprozesse zu verändern. Die Kämpfe nötigen das Kapital ununterbrochen, die Produktionsverhältnisse zu reformieren und die Herrschaftsverhältnisse zu transformieren“.

Wir dachten das Internet verkörpert eine Art neue Welt für das Empire, auf der einen Seite die Erfindung eines noch zu kolonisierenden Universums und auf der anderen Seite einen Weg um den internen sozialen Druck zu mildern. Im elektronischen Limbo navigierend, können die Subjekte im Austausch mit einem realen Gehorsam, eine virtuelle Freiheit genießen. Im Gegensatz dazu sind die beiden Abgesandten dazu bewegt zu bemerken, dass „indem sie ihre eigenen schöpferischen Energien ausdrückt, die immaterielle Arbeit das Potenzial für eine Art von spontanem und elementarem Kommunismus bereitstellt“.

Wir dachten, dass es dem Empire durch die Informatik gelungen war, eine reduzierte Sprache aufzuzwingen, die auf einer technologischen Notwendigkeit und nicht auf dem Reichtum ihrer Bedeutung basiert. Zum Verzicht gezwungen, sich an einem realen Ort, in direkter Kommunikation zu treffen, ersetzt durch einen virtuellen Ort, mit vermittelter Kommunikation, sind die Subjekte nicht mehr langer in der Lage, zu diskutieren und Ideen oder Emotionen auszudrücken, mit all ihren unberechenbaren Nuancen, sondern nur kalte Daten und Ziffern auszutauschen. Im Gegensatz dazu sind die beiden Abgesandten glücklich darüber, dass „wir heute Teil einer radikaleren und grundsätzlicheren Gemeinschaftlichkeit sind, als sie jemals in der Geschichte des Kapitalismus zu erfahren war. Tatsache ist, dass wir an einer produktiven Well teilhaben, die sich aus Kommunikation und gesellschaftlichen Netzwerken, aus zwischenmenschlichen Dienstleistungen und gemeinsamen Sprachen zusammensetzt. Unsere ökonomische und soziale Wirklichkeit ist weniger durch materielle Gegenstände, die hergestellt und konsumiert werden, als durch gemeinsam produzierte Dienstleistungen und Beziehungen geprägt. Produzieren bedeutet zunehmend, Kooperation, Kommunikation und Gemeinsamkeiten herzustellen“.

Wir dachten, dass die Biotechnologie den Gipfel des Triumphes des Kapitals über die Natur repräsentiert, das Eindringen der ökonomischen Motive in das Innere des organischen Körpers. Hinter den Versprechen der Gesundheit und des ewigen Glücks durchdrang (aber in anmaßender Weise schon am Eingang) der Vorschlag, das menschliche Dasein genetisch umzuprogrammieren, um die Unterschiede zu Gunsten der herrschenden Normalität zu unterdrücken. Im Gegensatz dazu tun die beiden Abgesandten nichts als zu dieser neuen Eroberung zu applaudieren, denn „Biomacht – ein Horizont der Hybridisierung des Natürlichen und des Künstlichen, von Bedürfnissen und Maschinen, von Begehren und der kollektiven Organisation des Ökonomischen und des Gesellschaftlichen – muss sich, um bestehen zu können, fortwährend re-generieren“.

Wie viele andere unpassende Gedanken können noch ausgedrückt werden? Wenn von mehr als von einer Seite bemerkt wurde, wie Marx, trotz seiner Kritik, eine gewisse Bewunderung für das Wirken der Bourgeoisie nicht verbergen konnte, zeigen die beiden Abgesandten ihrerseits all ihren frenetischen Enthusiasmus für die Welt, die durch den planetaren Triumph der Herrschaft des Kapitals geboren wurde, den sie uns als den planetaren Triumph der Kraft der Subjekte verkaufen wollen: „Kann man sich die Landwirtschaft und das Dienstleistungsgewerbe in den USA ohne Arbeitsmigranten aus Mexiko vorstellen? Oder die arabische Ölförderung ohne Palästinenser und Pakistanis? Mehr noch: Wo wären die großen innovativen Bereiche immaterieller Produktion, vom Design bis zur Mode, von der Elektronik bis zur Naturwissenschaft, in Europa, in den USA und in Asien, ohne die “Illegale Arbeit” der großen Massen, die vom strahlenden Horizont des kapitalistischen Wohlstands und der Freiheit angezogen werden? Nicht einmal die Größe der ägyptischen Pyramiden konnte eine stichhaltige Rechtfertigung für die entsetzlichen Leiden liefern, die Sklaven bei deren Errichtung ertragen mussten, die diese bauen mussten, malen wir uns das Szenario aus, in dem transgener Mais, Ölfelder, Modeschauen, oder der Mikrochip diese Rechtfertigung sein könnten!

Aber eine letzte Zuckung wird uns zugestanden. Wir dachten dass im Laufe der Geschichte die Subjekte, im Angesicht großer imperialer Macht und der prätorianischen Arroganz, ständig nur wenige Alternativen hatten: zu gehorchen oder zu rebellieren. In den Momenten in denen sie gehorchen, machen die Subjekte nichts anderes, als das Empire zu reproduzieren und dessen Stabilität zu garantieren. Denn es ist nur in den Momenten der Revolte gegen die Ordnung des Empires, dass wir aufhören, Subjekte zu sein und uns als freie Individuen bestimmen, und in denen wir den Himmel unserer Sehnsüchte erstürmen. Das wissen die beiden Abgesandten gut, aber sie wissen auch, dass ihre Aufgabe es in Wahrheit ist, Revolte in den Dienst des Empires zu stellen. Es geht darum, Hegels unvergessene Lektion in die Praxis umzusetzen. Es sind dieselben Abgesandten die einräumen, dass „das Empire seine Grenzen nicht befestigt, um andere fern zu halten, sondern dass es die anderen wie ein riesiger Schlund in seine friedfertige Ordnung zieht”. Demnach lehrt uns die Dialektik, dass das Empire und seine verfaulte8 Ordnung die These ist; die Antithese sind die Subjekte, die “Multitude”, und ihr Kampf; die Synthese ist die Vermittlung, die Überwindung der Widersprüche, die in Wahrheit die Rückkehr zur These verbirgt: die Ordnung des Empires angereichert durch die vom Kampf der Subjekte ausgedrückte Kreativität. Ein Schema, das nicht sehr weit entfernt liegt von Marx’ Interpretation der Diener-Meister Dialektik, die man im Ursprung seines Konzeptes für den Klassenkampf finden kann.

So interpretiert, ist es möglich, dass der lange Weg zur Formierung des Existierenden von den Subjekten nicht mehr länger als Domestizierung wahrgenommen wird, sondern vielmehr als Befreiung. Das, was ist – das zur selben Zeit auch das, was sein muss, ist – darf nicht mehr als Misere gesehen werden, sondern als Reichtum. In Anbetracht dessen, dass „die Menge die wahre Produktivkraft der sozialen Welt ist, während das Empire ein Beuteapparat ist, der von der Lebenskraft der Menge lebt“, muss man daraus folgern, dass „die Weigerung, sich ausbeuten zu lassen – oder genauer: Widerstand, Sabotage, Ungehorsam, Aufruhr und Revolution – die treibende Kraft der Wirklichkeit bilden, in der wir leben, und zugleich deren lebendige Opposition sind“. Die letzte Schlussfolgerung einer solchen Begründung ergibt sich von selbst: „Tatsächlich erfindet das Proletariat die gesellschaftlichen Formen und die Formen der Produktion, die das Kapital für die Zukunft zu übernehmen gezwungen ist.“ Kurz gesagt, es ist nicht das Empire durch die Ausübung der Macht, sondern es sind die Subjekte mit ihrem Kampf gegen die Macht des Empires, welche die sie umgebende Welt erschaffen. Dank ihres dialektischen Vorgehens stürzen die beiden Abgesandten die Realität und versuchen die Niederlagen der Subjekte als Siege zu betrachten. So gesehen ist das Paradies nahe.

DIE KÖPFE DES ADLERS

Wie dem auch sei, es ist wahr, dass Hardt und Negri, auf diese Weise manchmal in einige bedeutende Widersprüche stolpern. Es ist nicht immer einfach, die Subjekte davon zu überzeugen, dass die „Organisation der Massengewerkschaften, die Einrichtung des Wohlfahrtstaats und der sozialdemokratische Reformismus allesamt Folge der Kräfteverhältnisse waren, die der Massenarbeiter bestimmte, und der Überdeterminierung, die diese Alternative der kapitalistischen Entwicklung aufzwang“, wobei sie früher behaupten, dass „gegen die verbreitete Ansicht, wonach das Proletariat in den USA schwach ist, weil es im Vergleich zu Europa und anderswo weniger in Partei und Gewerkschaft organisiert ist, wir es vielleicht gerade aus diesen Gründen als stark ansehen sollten“.

Warum hatte das Proletariat jemals seine Formen der Repräsentation dem Kapital aufzwingen müssen, wenn es davon ausgeht, dass seine Stärke ohne diese größer ist? Beginnend mit der Überlegung, dass Gewerkschaften und Parteien von der Macht aufgrund der Kämpfe, die von den Subjekten geführt wurden, zugestanden werden, versuchen die beiden Abgesandten dies so zu interpretieren, als hätten dieselben Kämpfe diese absichtlich aufgezwungen. Des Scheins zum Trotz, handelt es sich durchaus nicht um dieselbe Sache. Im ersten Fall ist die Repräsentation der Institutionen ein Sieg der Macht, ein Weg, um die Kampfkraft der Rebellen zu bezwingen; Im zweiten Fall handelt es sich um eine Eroberung der Rebellen, die ihre Ziele durch Kämpfe erreicht haben. Aber wenn das Proletariat ohne Gewerkschaften und Parteien stärker ist, wie das Hardt und Negri anerkennen, wem nützt es dann, sie zu institutionalisieren? Offensichtlich dem, der sie zugestanden hat, das heißt der Macht, die auf diese Weise die wahre, mediationslose, durch Rebellion gebildete Bedrohung aufhält.

Die erste Gewerkschaft tauchte erst in der zweiten Hälfte des 19ten Jahrhunderts auf. Jegliche Idee des Klassenkampfes, der Subversion der kapitalistischen Ordnung, war ihr völlig fremd, da es ihr einziger Zweck war, die Interessen der Arbeiter mit denen der Bosse zu vereinbaren. Indem sie Arbeiter auf der Ebene der Kämpfe für spezifische Forderungen organisiert und versucht die Ausbeutung zu limitieren, um eine Verteilung der Produktion, die weniger nachteilig für die Arbeiter ist, zu erreichen, kämpft die Gewerkschaft um Durchsetzung von Lohnerhöhungen, Reduzierung von Arbeitsstunden, Garantien gegen die Willkür, und so weiter. Mit anderen Worten, die Gewerkschaft zielt im besten Fall darauf ab, die Güter neu zu verteilen, ohne aber die Natur der sozialen Ordnung selbst direkt in Frage zu stellen. Ihre Funktion besteht darin, Korrektiven für die Entwicklung des Kapitalismus vorzunehmen. Sein grenzenloser Durst nach Profit macht ihn kurzsichtig bei der Beurteilung möglicher sozialer Auswirkungen, die sie durch ihre Wahl provoziert. Genau darum ist die Natur der Gewerkschaft immanent reformistisch. Jeglicher ökonomische Kampf der innerhalb der Linien der kapitalistischen Gesellschaft geführt wird, erlaubt den Arbeitern nichts weiter, als solche zu bleiben und ihre Sklaverei beizubehalten.

Die Tonlage ändert sich nicht wenn man die Funktion der Partei untersucht, deren Ursprung, der dem der Gewerkschaft ein paar Jahre vorausgeht. Beide gehen aus der Periode der Bestätigung der bürgerlichen Klasse hervor. In England, dem Land der ältesten parlamentarischen Tradition, erschienen die Parteien mit dem Reform Act von 1832, der das Stimmrecht erweiterte. Er erlaubte dem Berufsstand der Industriellen und Wirtschaftsleute des Landes zusammen mit der Aristokratie an den Fragen der öffentlichen Angelegenheiten teilzunehmen; zu wessen Nachteil, braucht nicht erwähnt zu werden. Die wahre Funktion der Partei erschien in sogar noch makroskopischerer Form in Deutschland, wo diese nach den sozialen Unruhen von 1848 das erste Mal aufkam. Das bedeutet, dass die Parteien aus der Niederlage der Revolution geboren worden waren, nicht aus deren Sieg. Es war die Angst vor einer neuen Erhebung der Massen, die den Staat dazu veranlasste, die Kette seiner eigenen Subjekte zu lockern, indem er die repräsentative Institution “bewilligte”.

Aber unabhängig davon, wie viel sie verlängert sein mag, unabhängig davon, wie viel ,,mehr an Bewegung“ sie erlaubt, eine Kette bleibt eine Kette. Die deutsche Geschichte zeigt noch immer, wie der sozialdemokratische Reformismus selbst eigentlich dazu verbreitet wurde, um einer revolutionären Lösung der sozialen Frage zuvorzukommen: Die Ermordung Rosa Luxemburgs wurde von den Schergen des Sozialdemokraten Noske durchgeführt, der durch die Unterdrückung der Räterevolution den Weg für Hitlers Eroberung der Macht ebnete.

Die beiden Abgesandten beginnen mit einer Feststellung, die als richtig bezeichnet werden kann, aber einmal mehr stellen sie deren Bedeutung auf den Kopf. Mit der Behauptung, dass die Wirklichkeit, die uns umgibt, die ganze Welt, in der wir leben, eingehüllt in den Mantel des grauen Konformismus, das unauslöschliche Zeichen der sozialen Kämpfe trägt, stellen sie ein perfektes Argument auf. Aber was sie nicht erwähnen ist, dass dieses Zeichen nur im Negativen existiert. Wir sind umgeben von den Ruinen unserer Niederlagen, nicht von den Monumenten unserer Siege.

Ein Beispiel für alle. Zweifellos waren es die revolutionären Bewegungen von 1848, die die französische Regierung dazu drängten, den Architekten Hausmann mit der Neugestaltung der Stadtplanung von Paris zu beauftragen, aber es ist ebenso wahr, dass der große Boulevard der heute von hingerissenen Touristen bereist wird, nicht für das “Nomadentum der Menge” geplant wurde, sondern vielmehr für die Bewegung der Truppen und deren Kanonen, um die eventuellen neuen Krawalle unterdrücken zu können!

Es stimmt, dass die illegalen Aktivitäten der Subjekte die Anwendung der Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung stimulieren, aber unsere Strassen sind übersät mit Videokameras um uns weiter sozial zu kontrollieren, und sicherlich nicht um die „maschinelle Gemeinschaft“ auszudrücken, die vom Menschen mit der Technik erreicht wurde. Rebellion treibt die Herrschaft dazu, die Welt ständig umzuformen, aber das Endergebnis dieser Restrukturierung korrespondiert immer mit den Interessen derer, die regieren, nie derer die rebellieren.

Wenn die beiden Abgesandten auf der einen Seite die Kämpfe der Subjekte verherrlichen, während sie auf der anderen Seite dabei bleiben, dass deren Ziele durch das Empire selbstverwirklicht werden, so wollen sie auf diese Weise eine notwendige Abhängigkeit erschaffen, eine unauflösbare Bindung zwischen den Subjekten und dem Empire. Sogar die organischen Metaphern, die sie verwenden, sind bezeichnend für diesen Zweck: „Das Wappentier des österreichisch – ungarischen Reichs, ein Adler mit zwei Köpfen, wäre für die gegenwärtige Form des Empires auf den ersten Blick eine angemessene Darstellung. Doch während im älteren Wappen beide Köpfe nach außen schauten, als Symbol der relativen Selbstständigkeit und des friedlichen Miteinanders der verschiedenen Territorien, müssten in diesem Fall die beiden Köpfe sich nach innen wenden und einer den anderen angreifen“. So als ob man sagen würde, die Wünsche sind unterschiedlich, der Körper ist ein und derselbe. Die imperiale, soziale Struktur antwortet somit nicht nur auf die Existenz der herrschenden Klasse, sondern auch auf die Beherrschten. Das Empire – mit seiner Armee, seiner Polizei, seinen Gerichten, seinen Gefängnissen, seinen Fabriken, seinen Einkaufszentren, seinem Fernsehen, seinen Autobahnen,…- ist sowohl vom Imperator erwünscht als auch von den Subjekten. Es handelt sich nur um ein Problem des Kopfes. Einmal in dieses Konzept eingeführt, lernen die Subjekte, dass es der Zweck ihrer Kämpfe ist, dem Empire das Beste zu bringen, indem sie sich entscheiden dem richtigen Kopf zu folgen und so den Rest des Körpers unverändert zu lassen.

Die interne Analyse von Hardt und Negri zielt darauf ab, jeglichen Raum für autonome Revolte auszuschließen, die darauf gerichtet ist, auch den Körper des Empires zu zerstören. Es ist möglich, dass die beiden Abgesandten es nicht einmal in Erwägung ziehen, um nur keine gefährlichen Geister zu erwecken. Wenn sie das Territorium des Empires als “glatte Welt” beschreiben, dann machen sie nichts anderes, als das Gegenteil zu bestätigen, wie Benjamin das in seiner Zeit angemerkt hat: „Zelebrierung oder Verteidigung streben nach Verschleierung des revolutionären Moments des Geschichtsverlaufs. In ihrem Herzen steht die Fabrikation einer Kontinuität. Sie verleiht nur denjenigen Elementen der Arbeit einen Wert, die bereits eingetreten sind, um an deren posthumen Einfluss Teil zu haben. Ihnen entflüchten die Punkte, an denen die Tradition unterbrochen wird, und somit die Unebenheiten und Spitzen, die jenen einen Halt bieten, die sich jenseits dieser Punkte begeben wollen.“

DIE KORREKTUREN DER FREIHEIT

Das Empire hat recht. Das Empire ist notwendig. Aber leider ist das Empire nicht perfekt. Dessen gewaltiges Potential wird sowohl durch das Überleben von Dogmas aus der Vergangenheit gezügelt, von denen sich loszulösen es einige imperiale Funktionäre nicht geschafft haben, als auch durch die Opposition, die kompromisslos von jenen Subjekten weitergetragen wird, die mit größter Bestimmtheit verweigern, so etwas zu sein.

Der Exzess oder die Abwesenheit des Willens der Macht sind die beiden Hürden, die für denjenigen entfernt werden müssen, der ausschließlich Augen für ein gerechtes Gleichgewicht der Macht hat: „Die erste liegt in der überragenden Macht der bürgerlichen Metaphysik und hier besonders der weit verbreiteten Illusion, der kapitalistische Markt und das kapitalistische Produktionsregime seien ewig und unüberwindlich. […] Das zweite Hindernis sind die zahllosen theoretischen Positionen, die außer blinder Anarchie keine Alternative zur gegenwärtigen Herrschaftsform sehen und deshalb an einem Mystizismus der Beschränkung teilhaben. Aus dieser ideologischen Perspektive lässt sich das Leiden am Dasein nicht artikulieren, es kann nicht bewusst werden und nicht zu einem revolutionären Standpunkt führen. Diese theoretische Position hat nichts anderes als eine zynische Haltung und quietistische Praktiken zur Folge. Die Illusion von der Natürlichkeit des Kapitalismus und die Radikalität der Beschränkung stehen in der Tat in einer komplementären Beziehung zueinander. Ihre Komplizenschaft zeigt sich in einer erschöpfenden Machtlosigkeit“.

Es ist der Kampf gegen diese angeblich nebeneinander bestehenden Formen der Ohnmacht, bezichtigt von nichts weniger als einer mysteriös befreienden Erfahrung durch Arbeit zu verhindern, welchen die beiden Abgesandten den Subjekten vorschlagen, die zwar sicherlich gegen das Empire kämpfen sollen (d.h. gegen die Funktionäre die es per se lieben), dafür aber auch für die Gunst des Empires (d.h. gegen die Subjekte die es per se hassen).

Zur Lösung dieses Problems wird Marx’ Beitrag fundamental. So wie Marx behauptet, dass die von der Bourgeoisie gewünschte Entwicklung der Industrie das Proletariat zum Sieg führen würde, so behaupten Hardt und Negri auf gleiche Weise, dass die Entwicklung des Empires zum Sieg der “Menge” fuhren wird: „Die Teleologie der Menge ist theurgisch: Sie besteht in der Möglichkeit, die Technologien und die Produktion so auszurichten, dass die Menge darin Glück erfährt und ihre eigene Macht verstärkt. Es gibt für die Menge keinen Grund, ausserhalb ihrer eigenen Geschichte und ausserhalb ihrer gegenwärtigen Produktionsmacht nach den Mitteln zu suchen, mit deren Hilfe sie sich als politisches Subjekt konstituiert“. Das ist der Grund, warum der beste Weg das Empire zu bekämpfen, paradoxerweise darin liegt, dessen Wachstum zu begünstigen. Genaugenommen behaupten die beiden Abgesandten, sich der Tatsache sicher zu sein, dass: „der Übergang zum Empire und die damit verbundenen Globalisierungsprozesse neue Möglichkeiten der Befreiung bieten. Globalisierung ist selbstverständlich nicht ein Ding für sich, und die vielgestaltigen Prozesse, die wir als Globalisierung identifizieren, sind weder einheitlich noch eindeutig. Die politische Herausforderung, so unsere Behauptung, besteht nicht einfach darin, gegen diese Prozesse Widerstand zu leisten, sondern sie umzugestalten und in Richtung auf andere Ziele zu lenken. Im schöpferischen Vermögen der Multitude, der Menge, die das Empire trägt, liegt gleichermaßen die Fähigkeit, ein Gegen-Empire aufzubauen, den weltweiten Strömen und Austauschverhältnissen eine andere politische Gestalt zu geben. Die Kämpfe gegen das Empire, Angriff und Subversion ebenso wie der Aufbau einer wirklichen Alternative werden sich auf dem imperialen Terrain selbst abspielen – tatsächlich haben diese neuen Kämpfe bereits begonnen. In diesen und zahlreichen weiteren Kämpfen wird die Menge neue Formen der Demokratie und eine neue konstituierende Macht entwickeln, die uns eines Tages durch und über das Empire hinaus bringen wird“.

Um das Empire zu überwinden, müssen wir daher durch es hindurchgehen. Mehr als dessen Entwicklungen zu widerstehen, geht es um dessen Reorganisierung, möglicherweise indem eine solche Aufgabe den richtigen Personen anvertraut wird! Dessen Gestaltung ist ein positives Ereignis, weil es allen unendliche Möglichkeiten bietet. Der Gedanke anders zu handeln, einen totalen Bruch mit dem imperialen Universum zu erreichen, ist eine Illusion, die aus der Ohnmacht geboren ist. „die einzige den Kämpfen offen stehende Strategie ist die einer konstituierenden Gegenmacht, die aus dem Innern des Empire kommt“, knallen es die beiden Abgesandten ohne allzu große Fantasie auf den Tisch. Wer erkennt die Noten dieses Liedes nicht wieder? Es plagiiert letzten Endes den düsteren Refrain des Marxismus-Leninismus: Die Gegenmacht der Multitude in Opposition zur imperialen Macht, Gegen-Empire in Opposition zum Empire. Gegen-Globalisierung der Globalisierung entgegengesetzt. Und doch, wer kann ignorieren, wie die wahnsinnige Überzeugung, wonach der bourgeoise Staat bekämpft und durch einen proletarischen Staat ersetzt werden muss, zu nichts anderem führte, als zur Bildung von besonders abstoßenden totalitären Regimes, in denen Gerichte Farce- Prozesse vollzogen, Soldaten an Erschießungskommandos teilnahmen, die Polizisten die Gulags mit Dissidenten füllten, die führende Klasse eine groteske Bürokratie erschuf und die Bevölkerung unter furchtbarer Unterdrückung und Elend litt?

Aber die beiden Abgesandten halten sich nicht mit solchen Bagatellen auf, mit Vertrauen in die Fähigkeiten des imperialen Modells, die durch die “Menge” ausgedrückten Unterschiede in seinem Inneren zu vereinen, ohne diese zu vereinheitlichen. Es genügt die richtige verfassungsmäßige Form zu haben. Es ist kein Zufall, wenn die hauptsächliche Wut die ihnen zu schaffen macht, ist: „Was heißt es heute, republikanisch zu sein?“ Der unfassbare Umstand ist, dass sie jeden, der es beabsichtigt das Empire zu bekämpfen, auf diese Frage als fundamental und dringend hinweisen. Die Antwort, die sie darauf geben, erlaubt keine Widerrede: „Heutzutage ein Republikaner zu sein, bedeutet zuallererst, innerhalb zu kämpfen und gegen das Empire auf dessen hybriden und modularen Terrains aufzubauen. Und hierbei sollten wir entgegen allen Moralismen und allen Positionen der Ressentiments und der Nostalgie hinzufügen, dass dieses imperiale Terrain größere Möglichkeiten für Kreation und Befreiung bietet. In ihrem Willen, dagegen zu sein, und ihrem Verlangen nach Befreiung, muss sich die Menge durch das Empire durchschieben, um an der anderen Seite herauszukommen“. Beachte, dass der einzige Weg, um an der anderen Seite des Empires herauszukommen, der ist, es zu durchqueren!

Sonst greifen die beiden Abgesandten diskreterweise regelmäßig zu den Texten von Deleuze und Guatarri, die da behaupten, dass, anstatt der kapitalistischen Globalisierung Widerstand zu leisten, man ihren Gang beschleunigen muss. „Aber was ist der revolutionäre Weg?“ – fragen sie – „Gibt es denn einen?“, „sich vom Weltmarkt zurückziehen?“, „Oder vielleicht in die andere Richtung gehen?“. Hardt und Negri steigern die Dosis: „Das Empire lässt sich nur dann wirksam bekämpfen, wenn man ihm auf gleicher Ebene begegnet und die Prozesse, die es charakterisieren, über deren augenblickliche Grenzen hinaustreibt. Wir müssen diese Herausforderung annehmen und lernen, global zu denken und zu handeln“.

Aus der Nähe betrachtet ähnelt diese ihre weitsichtige Erwartung sehr derer der Leninisten, die einen Schwur darauf ablegen, dass die von der Partei ausgeübte Diktatur provisorischer Natur wäre, sowie darauf dass der Untergang des Staates unmittelbar bevor steht (selbstverständlich nicht, bevor dieser in ihrem Besitz ist). Es genügte, das richtige kommunistische Programm zu haben. In Wahrheit wird, einmal auf den Geschmack gekommen, keine herrschende Klasse jemals freiwillig auf die Macht und all die enormen Privilegien, die damit verbunden sind, verzichten. Kein Staat wird sich jemals selbst in Eigeninitiative auslöschen, gleichermaßen wird kein Imperium jemals die multiplen Unterschiede, die innerhalb seiner eigenen Grenzen präsent sind, zum Ausdruck bringen und respektieren. Es wird sie höchstens aufsaugen und zermahlen können wie ein Moloch, nur um sie später in Form eines Ersatzes wieder auszuspucken (wie das Wirtschaftsimperium von McDonalds es bis zu einem gewissen Grad tut, mit seinen verschieden Franchiseunternehmen rund um die Welt, wo es zusammen mit dem Hamburger, für den es traurigerweise berühmt ist, typische Gerichte präsentiert, die mit den einheimischen Gerichten nichts als den Namen mit denen sie angeboten werden, gemein haben).

Das Empire ist nicht inklusiv, es ist exklusiv. Auch die Geschichte des Imperiums par excellence, die des römischen Imperiums, ist diesbezüglich bedeutend. Den eroberten Territorien wurde keine Autonomie zugestanden. Der Fremde, auch wenn sein Dorf unter römischer Herrschaft war, wurde eines jeden Rechts in Rom beraubt. Es genügt daran zu denken, dass in der antiken römischen Sprache die beiden Konzepte von Fremder und Feind mit nur einem Wort bezeichnet wurden: hostis. Die Überzeugung, das römische Reich hätte sich nur für die ökonomische Ausbeutung seiner unterworfenen Völker interessiert und sei bei deren Behandlung von einer kosmopolitischen Idee geleitet gewesen, ist völlig falsch. Nach und nach, sobald die prätorianischen Divisionen militärische und politische Unterwerfung ausweiteten, wurde auch die Romanisierung der besetzten Gebiete mit unerbittlicher Energie durchgeführt. Das römische Reich war nichts als ein Staat, ein Staat mit der Intention eine gigantische Zentralisierung jedweder sozialer Energie zu bilden. Und die Unterschiede durch Repression oder Homogenisierung aufzuheben, ist Teil der Logik eines jeden Staates, einer jeden Macht, die notwendigerweise nach allgemeiner Vereinheitlichung streben muss, um zu überleben. Was die repräsentierte Idee auch sein mag, was die soziale Struktur in der sie sich manifestiert, welche Individuen oder Gruppen sie auch in jeder Epoche und in jedem sozialen Kontext ausführen mögen, Macht ist immer synonym mit Ausbeutung und Unterdrückung. Sie kann nicht zeitgleich von allen Individuen und ohne Unterschiede ausgeübt werden, gleich und unter Bedingungen von völliger Gegenseitigkeit. Macht ist also die entscheidende Kraft, konzentriert in den Händen einiger Weniger, ausgeführt und geschützt durch bewaffnete Kräfte. Ob diese nun wenige sind oder viele, fähig oder unfähig, letzten Endes werden sie ihren eigenen Willen anderen aufzwingen und ihre Interessen überall durchsetzen; sie werden schließlich zu Unterdrückern werden.

Dieser Aspekt ist dermaßen sichtbar in jeglicher Epoche und in jeglicher menschlichen Zusammenkunft, dass die beiden Abgesandten sich wohlweislich hüten, ihn nicht zu ignorieren. Im Gegenteil, sie ziehen es vor dem Problem direkt entgegenzutreten, aber auf ihre eigene Weise: „Im Verlauf der Souveränitätskonstituierung auf der Ebene der Immanenz kommt es zu einer Endlichkeitserfahrung, die sich aus der konfliktualen und pluralen Natur der Menge als solcher ergibt. Das neue Prinzip der Souveränität scheint somit seine eigene interne Grenze zu erzeugen. Um zu verhindern, dass diese Hindernisse die Ordnung zerstören und das Projekt völlig aushöhlen, muss die souveräne Macht auf die Ausübung von Kontrolle vertrauen. Mit anderen Worten: Auf den ersten Moment der Bestätigung folgt eine dialektische Negation der konstituierenden Macht der Menge, welche die teleologische Ausrichtung des Souveränitätsprojekts bewahrt. Sind wir damit an einen kritischen Punkt bei der Ausarbeitung des neuen Begriffs gekommen? Kehrt die Transzendenz, die man zunächst bei der Bestimmung des Machtursprungs verweigert hat, bei der Machtausübung durchs Hintertürchen wieder zurück, wenn die Menge als endlich gedacht wird und somit spezielle Korrektur- und Kontrollinstrumente erforderlich werden?“

Für die verliebten Augen der beiden Abgesandten “scheint” die virtuose Ausübung von Macht auf ein unüberwindbares Hindernis zu stoßen: die „konfliktuelle und plurale Natur“ der Menge. Unfähig mit dieser Freiheit zusammenzuleben, die in jedem Moment ihre Arbeit zu zerstören droht, “muss” die Macht sie korrigieren und kontrollieren. Eine unvermeidbare Notwendigkeit, aber eine, die “vielleicht” ihrer jungfräulichen Aufrichtigkeit widerspricht. Da sie aus diesem Teufelskreis nicht durch einen Kraftakt aussteigen wollen, werden die beiden Abgesandten dazu gezwungen, sich an einen Glaubensakt zu halten. Mit großem Paukenschlag konvertieren sie, nachdem sie ein bisschen darauf herumgekaut haben, zur alten Illusion einer amerikanischen Konstitution ohne Autorität, eine technisch-juridische Lösung für die “inneren Grenzen” der Macht. „Dass es dazu kommt, ist eine ständige Gefahr, doch nachdem man diese internen Grenzen erkannt hat, öffnet sich der neue amerikanische Souveränitätsbegriff außerordentlich kraftvoll nach außen hin, gerade so, als wolle er den Gedanken an Kontrolle und das Reflexionsmoment aus der eigenen Verfassung verbannen“. Eine fürwahr erstaunliche Schlussfolgerung wenn man an das Schicksal der Native Americans denkt, die Indianerstämme, die ausgelöscht wurden, weil ihre Lebensweise mit der der jungen Vereinigten Staaten inkompatibel war. Deren Genozid, der von den beiden Abgesandten als “eine düstere Affäre” abgetan wird, stellt das beste Beispiel der Fähigkeit eines willkürlichen Stücks Papier dar, die Begierden der “Menge” willkommen zu heißen, auszudrücken und zu garantieren.

Es ist klar, dass die im menschlichen Geist vorhandene, unendliche Vielfalt durch keinerlei Ausformung der Macht jemals angetrieben. entwickelt und geschützt werden kann. Der Zufall liebt es nicht, sich auf eine Uniform genäht zu sehen. Die Fantasie stirbt, sobald ein rechtlicher Kodex auf sie angewandt wird. Auch all die Besorgtheit, die Vorsicht, die Nachsicht die durch einen hypothetischen Gegenmacht-Meister der Toleranz verfügbar werden, sind nur Fernsehgeschwätz oder akademische Spekulationen. Niemand kann noch länger vorgeben zu ignorieren, dass trotz all ihrer vermeintlichen besten Intentionen, die Gegenmacht weiterhin darin endet, ihre Rebellen zu liquidieren – sie auf dem Platz in Paris zu guillotinieren, sie wie Rebhühner von den Bastionen von Kronstadt abzuschneiden, sie in den Straßen von Barcelona zu erschießen (oder sie in den Gassen von Genua an die Polizei zu verraten). Maßlosigkeit kann in keinerlei Messeinheit enthalten sein9, unabhängig davon wie großzügig sie auch erscheinen mag. Aus diesem Grund wird das Empire zerstört werden. Nicht reorganisiert, reorientiert, redefiniert, umgewandelt, sondern bis in sein Fundament vernichtet. Auf ihre Weise müssen sich auch die beiden Abgesandten mit dem Moment des imperialen Verfalls und dessen Kollaps konfrontieren. An diesem Punkt angekommen, zwingt uns die Verwendung des imperialen Konzepts selbst, uns mit denen zu einigen, die für das Ende des berühmtesten Imperiums der Geschichte verantwortlich sind: das römische Reich.

Es wird Zeit, über die Barbaren zu sprechen.

Den jungen Leuten wird die Anwendung von Gewalt vorgeworfen. Aber befinden wir uns vielleicht nicht selbst in einem endlosen Zustand der Gewalt? Angesichts der Tatsache, dass wir in einem Gefängnis geboren und aufgezogen werden, bemerken wir nicht länger, dass wir uns im Gefängnis befinden, mit den Händen und den Füßen gefesselt und einem Knebel im Mund. Was ist das, das du als legalen Status bezeichnest? Ein Gesetz, das aus der großen Masse der Bürger eine versklavte Herde macht, um die unnatürlichen Bedürfnisse einer unwichtigen und verdorbenen Minderheit zu befriedigen?“ Georg Büchner

In der Zivilisation vegetiere ich; Ich bin weder glücklich, noch frei; warum sollte ich also wünschen, dass diese tödliche Ordnung konserviert wird? Es gibt nichts mehr länger zu konservieren was die Erde erdulden muss“ Ernst Coeurderoy

Wir haben nicht alles zerstört, wenn wir nicht auch die Ruinen zerstören“ Alfred Jarry

BARBAREN

Die Stunden des Empires sind gezählt. Hardt und Negri hegen an diesem Punkt keinen Zweifel, sie halten die Gewissheit hoch, dass „eine neue Horde von Nomaden, eine neue Rasse von Barbaren kommen, ins Empire einfallen und es evakuieren wird“. Ist die frohe Botschaft einmal verkündet, bleibt nur noch, die eine Sache wieder vorzuschlagen, die Nietzsche schon formuliert hatte; wo sind die Barbaren? Eine fundamentale Frage, auf die es unmöglich ist, eine Antwort zu geben, wenn man nicht zuerst eine andere Frage in den Raum stellt; wer sind die Barbaren?

An dieser Stelle wird es notwendig das Konzept des Barbaren zu vertiefen, dessen Definition mehr als nur eine Bedeutung enthält. Etymologisch bezeichnet dieser Ausdruck den Fremden der aus einem anderen Land kam und der sich, da er der Sprache der polis nicht mächtig war, nur stammelnd ausdrücken konnte. Historisch gesehen, bezeichnet es ein Individuum, das durch seine blinde, zerstörerische Gewalt, durch seine wilde Rohheit charakterisiert wird. Der Barbar ist derjenige, der die Sprache des Stadt-Staates nicht spricht und derjenige der in Raserei tobt. Auf den ersten Blick ist es nicht leicht zu verstehen, wie diese Doppelinterpretation, die unlogisch erscheint, in einem Wort vereint existieren kann. Warum sollte einer, der unsere Sprache nicht spricht, jemals ein brutaler Wilder sein? Warum würde einer, der zu grausamster Gewalt greift, nicht fähig sein sich mit denselben Worten wie wir auszudrücken?

In Wahrheit existiert ein profunder Zusammenhang zwischen dem Fehlen einer gemeinsamen Sprache und der Manifestation eines unerklärlichen gewalttätigen Benehmens, innerhalb einer Gesellschaft erlaubt eine gemeinsame Sprache den Beteiligten, sich zu kennen, die Unterschiede zu schlichten, einen Einklang miteinander zu finden. Im Konfliktfall ermöglicht sie allen Gegnern zwischen Freund und Feind zu unterscheiden und schränkt die Anwendung von Gewalt ein. Ohne diese Möglichkeit sich zu verständigen, gibt es keinen Platz für die Mediation, sondern nur für unkontrollierte Gewalt. Die entgegengesetzten Kräfte können nur heruntersteigen, um Abmachungen zu treffen, wenn sie miteinander kommunizieren können. In einer Situation, in der sie sich bekämpfen, erzeugt die Möglichkeit zum Dialog eine Grenze für ihre Gewalt, sie bestimmt eine Schwelle, die nicht überschritten wird, um zukünftige Verhandlungen nicht zunichte zu machen. Aber ohne diese gemeinsame Sprache, ohne die konkrete Möglichkeit, etwas von der anderen Seite zu kennen, was eine wesentliche Prämisse darstellt, um herauszufinden, was die Interessen der Widersacher harmonisieren könnte, bleibt nichts anderes übrig als bis zum letzten Tropfen Blut zu kämpfen.

Im Erkennen der barbarischen Charakterzüge, die die jüngsten sozialen Kämpfe ausmachen, durchdringt die Analyse der beiden Abgesandten des Empire eine bestimmte Sorge über ihre mögliche Entwicklung. Hinter den formalen Schmeicheleien wird der Versuch offensichtlich, die Barbaren zu zivilisieren, ihnen die Sprache der polis – des Empires beizubringen; mit dem Ziel die alles verwüstende und vor allem unkontrollierte Gewalt abzuwenden. Hardt und Negri sind sich dessen bewusst, dass „Kämpfe in anderen Teilen der Welt, selbst unsere eigenen Kämpfe eine unverständliche fremde Sprache zu sprechen scheinen“, und dass diese daher barbarisch sind. Und darin sehen sie alles andere als Positives.

Da sie unfähig sind, das subversive Potential einer solchen Fremdartigkeit anzuerkennen, ziehen sie es vor, zu denunzieren, dass „diese Kämpfe darüber hinaus nicht nur daran scheitern, mit anderen Zusammenhängen zu kommunizieren, sondern es ihnen sogar an lokaler Kommunikation mangelt. Dort wo sie entstehen, sind sie oft nur von kurzer Dauer, und sie vergehen mit einem Schlag“. Die Unfähigkeit zur Kommunikation der Barbaren, der berüchtigte “Autismus” der modernen Aufständischen, der solch einen Tintenfluss verursacht hat, ausgehend von der journalistischen und soziologischen Meute, wird letzten Endes zu einem gefährlichen Phänomen, nicht so sehr für das Empire, als für die Barbaren selbst, insofern als es ihren Aktionen nicht erlaubt, sich in Zeit und Raum weiter auszubreiten. Aber wäre dies der Grund, der die beiden Abgesandten dazu drängen könnte, die Notwendigkeit zu stützen, „eine neue gemeinsame Sprache zu finden“, deren Verwirklichung als „eine wichtige politische Aufgabe“ definiert wird? Oder ist der eigentliche Grund nicht, dass es „vielleicht gerade daran liegt, dass all diese Kämpfe keine Kommunikation finden können und deshalb eine horizontale Weitergabe in Form eines Zyklus blockiert ist, dass sie gezwungen sind, in einer vertikalen Bewegung sofort die globale Ebene zu berühren“, eine gefährliche Sache, denn: „Je weiter das Kapital seine globalen Produktions- und Kontrollnetzwerke ausdehnt, desto mächtiger kann jeder einzelne Punkt der Revolte werden“.

Auf den Boden der Tatsachen gebracht, würden die Kämpfe sich nicht auf solch unkontrollierte Weise manifestieren, das heißt, wären sie nicht so irrekuperierbar, wie sie unkommunizierbar sind, dann könnten sie sich auf quantitativer Ebene ausbreiten, obwohl sie dann qualitativ weniger bedeutend wären. Hier werden die wirklichen Interessen der beiden Abgesandten greifbar: besser Kämpfe mit niedriger Konfliktualität verbreiten, das endlose Elend Forderungen zu stellen, als Kämpfe mit radikalen Eigenschaften und hoher Konfliktualität zu unterstützen. Indem sie den Barbaren die Sprache des Empires beibringen (das nur imstande ist, sich durch Konzepte wie Staat, Partei, Verfassung, Politik, Produktivität, Arbeit, Demokratie, und Verfall auszudrücken) laden die beiden Abgesandten diese tatsächlich dazu ein, die Kämpfe horizontal zu multiplizieren, aber nur weil sie wissen, dass einmal zivilisiert, diese Kämpfe auf vertikaler Ebene verarmen würden. Sie wollen die Quantität der Kämpfe erhöhen, im Bewusstsein darüber, dass dies zum Schaden ihrer Qualität geschehen wird, in treuer Beobachtung eines inflexiblen Gesetzes des Kapitalismus.

Nehmen wir die konkreten Beispiele, die von Hardt und Negri vorgelegt werden. Wenn die Vereinheitlichung der Märkte zugunsten einer freien Zirkulation der Waren jede Barriere überwunden hat, dann muss sie auch alle Grenzen zugunsten einer freien Zirkulation der Arbeiter zerschlagen. Nichts desto trotz kennt der “Nomadismus der Menge” eine Hürde sehr genau: das Überqueren der Grenzen kann auf alle Fälle einfacher werden, aber was soll man der Polizei antworten, die einen nach den Dokumenten fragt, wenn man einmal am Ziel angekommen ist? So wird „Weltbürgerschaft“ definiert als „ein erster Baustein zu einem politischen Programm der globalen Menge“. Sobald einmal jeder von uns Aufenthaltspapiere hat, das heißt, sobald wir als Bürger- Subjekte des Empires anerkannt sind, „sollen alle in dem Land, in dem sie leben und arbeiten, die vollen staatsbürgerlichen Rechte genießen (können)“. Wir dürfen genaugenommen nicht vergessen, dass auch für die beiden Abgesandten, wie auch für die Nazis, es die Arbeit ist, die frei macht, und es guter Zugang zur Arbeit ist, der nach Anerkennung von universalen Statuten verlangt: „Denn diese Forderung besteht in der Postmoderne auf dem grundlegenden modernen Verfassungsprinzip, das Recht und Arbeit miteinander verknüpft und damit dem Arbeiter, der Kapital erschafft, die Staatsbürgerschaft zuerkennt“. In den Kämpfen der irregulären Arbeiter und der Sans-Papiers, die arbeiten und fordern legalisiert zu werden, sehen Hardt und Negri die gerechte Forderung nach Kompensation, die dem Sklaven zusteht, der den Befehlen seines Meisters gehorsam folgt. Wenn Unterwerfung von Zustimmung begleitet wird, verdient sie die Staatsbürgerschaft. Das was ihrer Anschauung gänzlich fremd ist, ist die Möglichkeit, dass der Sklave gegen die Befehle rebelliert und versucht die Ketten, die ihn fesseln, zu sprengen. Ausweispapiere fallen ohne weiteres in die Kategorie von Ketten. Die beiden Abgesandten hüten sich davor, zu erwähnen, dass die Bewegungsfreiheit auf zwei völlig entgegengesetzte Weisen erreicht werden kann. Die erste ist die, nach der sie streben, nämlich diejenigen, die Dokumente für alle vorsieht (sogar voll versehen mit Fingerabdrücken!). Die zweite ist diejenige, die die beiden nicht in Erwägung ziehen und die überhaupt keine Dokumente vorsieht. Die erste Hypothese erfordert die Modernisierung der Bürokratie des Empires, die zweite verlangt nach seiner Zerstörung. Entweder wir regeln alles vor der Polizei, oder wir machen allen Regeln und aller Polizei ein Ende.

Dieser Diskurs lässt sich auf andere Schlachtrosse der beiden Abgesandten anwenden, das des Sozialeinkommens und des garantierten Grundeinkommens für alle. „Und da die staatsbürgerlichen Rechte allen zustehen, können wir dieses garantierte Einkommen als Bürgereinkommen bezeichnen, das jedem als Mitglied der Gesellschaft zusteht“, schlagen Hardt und Negri vor, in der armselig versteckten Hoffnung, dass das Subjekt durch eine soziale Belohnung zufriedengestellt wird, die es sich durch seinen bloßen Konsens verdient, unabhängig von der ausgeführten Tätigkeit – dass die Subjekte somit aufhören, als diejenigen, die vom Empire unterdrückt sind, zu revoltieren und als Mitglieder der Gesellschaft an die Arbeit gehen. Im Gegensatz zu denen, die hartnäckig darauf bestehen, zu denken, dass der Kommunismus eine Welt ohne Geld sein könnte, halten die beiden Abgesandten entgegen, dass sie unvermeidbar die Form einer Welt von Lohnempfängern annehmen muss, soll heißen, die Form einer kapitalistischen Welt. Diese ihre absolute Unfähigkeit, sich die menschliche Existenz außerhalb des Orbits der imperialen Institutionen vorzustellen, ist nicht unbedeutend: wer mit dem Empire kommunizieren will, muss lernen wie das Empire zu sprechen, wer wie das Empire spricht, endet darin w ie das Empire zu denken.

DIE UNZULÄNGLICHKEIT DES NEIN

Die Bekehrung der Barbaren spielt sich auf allen Ebenen ab. Nicht nur, dass sie die Sprache des Empires lernen müssen, sie müssen auch auf ihre Gewalt verzichten. Aber wenn es relativ leicht ist, sie davon zu überzeugen, in die Schule zu gehen – es reicht, ihnen einen quantitativen Sprung zu versprechen: mit welcher Begründung könnte man diejenigen dazu auffordern, ihre Schwerter niederzulegen, die die Anwendung von Gewalt als Tugend bezeichnen? Durch das Spielchen eines rhetorischen Tricks, der den rostfreien Mythos des Widerstandes umdreht. Indem sie einen antifaschistischen Partisanen zitieren, erinnern die beiden Abgesandten daran, dass „Widerstand aus Desertion entsteht“. Gestärkt durch diese historische Wahrheit, behaupten Hardt und Negri, dass „während im Zeitalter der Disziplin Sabotage als die Grundform von Widerstand galt, es im Zeitalter imperialer Kontrolle die Desertion ist. Während Dagegen-Sein in der Moderne oftmals bedeutete, dass sich die Kräfte unmittelbar und/oder dialektisch gegenüberstanden, dürfte Dagegen-Sein in der Postmoderne am wirkungsvollsten sein, wenn man diagonal oder quer steht. Die Schlachten gegen das Empire lassen sich vielleicht durch Sich-Entziehen und Abfallen gewinnen. Diese Desertion verfugt über keinen Ort; sie ist die Evakuierung der Orte der Macht“.

So oft sie auch all ihr Repertoire als Wortmanipulatoren zur Schau stellen, der Trick, den sie diesmal benutzen, ist viel zu schäbig. Der Widerstand wird in der Desertion geboren, aber er ist nicht die Desertion. Desertion bringt nur eine Nicht-Partizipation mit sich, eine Nicht-Kollaboration mit den Projekten des Feindes. Widerstand hingegen ist direkte Intervention, ein Frontalzusammenstoß mit dem Feind. Man könnte höchstens sagen, dass die Desertion eine Form von passivem Widerstand, während der Partisanenkampf eine Form von aktivem Widerstand darstellt. Wer sich bewusst wird, dass er in einer nicht tolerierbaren sozialen Situation lebt, in einer Welt, die auf den Reichtum von wenigen und auf dem Elend von vielen aufbaut, wer sich nicht mehr für die Gräuel verantwortlich fühlen will, die jeden Tag begangen werden, kann aufhören, seinen eigenen Beitrag zur Fortführung des Bestehenden zu liefern. Beispielsweise können sie nicht mehr zur Wahl gehen oder die Waren der großen Multinationalen nicht mehr kaufen. Aber diese Wahl, wie sehr man die dahinterliegenden Intentionen auch wertschätzen mag, ist völlig unzulänglich, weil sie für sich gesehen nicht fähig ist, konkret die soziale Ordnung in Frage zu stellen, und sie endet in einer ziemlich eingeschränkten Verweigerungshaltung. Sie beruhigt die Schuldgefühle des eigenen Gewissens, aber sie verändert die umliegende Wirklichkeit nicht. Um den Feind zu stoppen, reicht es nicht aus, den Dienst zu verweigern, oder sich der Zusammenarbeit zu enthalten. Es ist notwendig mehr zu tun, es ist notwendig, den Feind anzugreifen und mit der Absicht ihn zu zerstören, zuzuschlagen.

Indem sie die Desertion auf Kosten der Sabotage unterstützen, tun die beiden Abgesandten nichts anderes, als das Empire zu unterstützen. Genauso wie der Nationalsozialismus trotz seiner Deserteure weiterhin Italien besetzte und unterdrückte, fährt das Empire fort, den gesamten Planeten trotz seiner Deserteure zu besetzen und zu unterdrücken. All diese Rhetorik über den Widerstand durch Desertion verfolgt auf ungeschickte Weise ein einziges Ziel, nämlich die Wut der Subjekte zu befrieden, indem sie ihnen das Sicherheitsventil anbietet, auf die Notwendigkeit und Dringlichkeit des direkten Angriffs auf das Empire zu verzichten. Durch diese Scharlatanslist werden die Barbaren dazu eingeladen, sich nicht die Entschlossenheit der Deserteure als Beispiel zu nehmen, welche sie zu aktivem Widerstand geführt hätte, sondern deren anfängliches Verhalten, was heißen soll, die Geste, für die die Deserteure berühmt geworden sind, nachzuahmen: die Waffen niederzuwerfen und den Kampf zu verweigern.

Es ist offensichtlich, dass, nachdem Hardt und Negri einmal die imperiale Metapher verwendet hatten, sie nichts anderes tun konnten, als das Herannahen der “neuen Barbaren” zu erwarten. Schlimm genug, dass diese Barbaren einfach aufhören solche zu sein: Ja zu einer verständlichen Sprache, Nein zur Gewalt. Letzteres ist nicht länger zweckdienlich: auf der einen Seite wird „imperiale Korruption […] bereits durch die Produktivität von Körpern, durch Kooperation und dadurch, dass die Menge die Produktivität nach ihren Vorstellungen gestaltet, unterhöhlt. Das einzige Ereignis, auf das wir noch immer warten, ist dasjenige der Errichtung oder genauer: der revolutionären Erhebung einer mächtigen Organisation“; während auf der anderen Seite, „Militante kreativen Widerstand leisten gegen die imperiale Befehlsgewalt. Anders ausgedrückt: Widerstand ist unmittelbar mit einer konstitutiven Investition im biopolitischen Bereich und zur Formierung eines kooperativen Apparates in Produktion und Gemeinschaft verbunden“. Aus Angst missverstanden zu werden, sind die beiden Abgesandten dazu gezwungen, sich mit einer bestimmten Klarheit zu erläutern: Genaugenommen hoffen sie nicht auf das Herannahen der barbarischen Horde, sondern auf das einer starken Organisation von Militanten! Sie mögen diejenigen nicht, die wie wild kämpfen, sondern lieber die, die produktiv arbeiten! Sie verlangen nicht danach, dass man seinen Leidenschaften folgt, sondern dass man seine Pflichten erfüllt! Sie wollen nicht, dass man an seinen Feinden ein Gemetzel anrichtet, sondern dass man kreativen Widerstand leistet!

Hardt und Negri wissen das Empire in einem solchen Maß zu schätzen, sie sind so sehr geformt von dessen Werten, in solcher Verehrung für dessen Organisation, gehorsam gegenüber dessen Normen, so assimiliert an dessen Technologie, so gewöhnt an dessen Sprache, dass sie den Schluss ziehen, dass Militanz „nur noch ein Innen kennt, eine lebendige und unvermeidliche Beteiligung an den gesellschaftlichen Strukturen, die sich nicht mehr transzendieren lassen“. Hier stehen wir nun zum x-ten Mal vor einer dialektischen Akrobatik. Während sie den Subjekten schallende Aufrufe zuwerfen, damit sich diese auf die Straße des Exodus begeben, bestätigen sie oft, dass innerhalb des Empire kein anderswo existiert, kein Außen in Bezug auf ein Innen.

Aber wenn das Empire überall ist, wenn die Grenzen, die sein Territorium definieren, nicht mehr existieren, wo könnte dieses Gelobte Land, zu dem der Exodus der “Menge” geführt werden sollte, jemals gefunden werden? Gibt es auf diesem Planeten eine Freizone, einen Ort der unbedeckt bleibt von der Logik des Profits und der Macht? Unglücklicherweise besteht die Welt aus einem Stück, und sie steht gänzlich unter der Herrschaft des Empires. In dessen Innerem wird keine grundlegende Alternative geduldet. Es ist unserem Dasein allerhöchstens gewahrt, es uns nicht nehmen zu lassen, uns an dessen Ordnung anzupassen, etwas das unserer Auslöschung gleichkommt – das ruhige Leben in Resignation. Es ist allerhöchstens möglich auf eine Weise zu leben, die weniger schlecht ist, indem man sich in einen seiner Risse einfügt. Das ist der Grund, warum jeder, der zu leben wünscht, d.h. für sich selbst Inhalt und Form seiner Tage auf dieser Erde zu bestimmen, nur eine Karte auszuspielen hat. Noch vor der unentbehrlichen und grundlegenden Bedingung für jedes Experimentieren mit wirklicher Freiheit, ist der Aufstand gegen das Empire eine Frage der Würde.

VÖLLIG GRUNDLOS

Heute kampieren die Barbaren nicht mehr vor den Toren der Stadt. Sie befinden sich bereits in ihrem Inneren, weil sie darin geboren wurden. Die kalte Erde des Nordens oder die kahle Steppe des Ostens, die den Ursprung ihrer Invasionen darstellten, existieren nicht mehr. Wir müssen erkennen, dass die Barbaren nun aus den Rängen der imperialen Subjekte selbst kommen. Mit anderen Worten, die Barbaren sind überall. Für Ohren, die an die Sprache der polis gewöhnt sind, ist es leicht, sie zu erkennen, weil sie sich stammelnd ausdrücken. Aber man darf sich vom unverständlichem Gebrabbel ihrer Stimmen nicht täuschen lassen, wir brauchen diejenigen ohne Sprache nicht zu verwechseln mit jenen, die eine andere Sprache sprechen.

Genaugenommen wurden viele Barbaren einer erkennbaren Sprache beraubt, durch die Unterdrückung des eigenen individuellen Bewußtseins zu Analphabeten gemacht, eine Konsequenz des Auslöschens der Bedeutung die vom Empire verursacht wird. Wenn man nicht weiß, wie man sprechen soll, dann weil man nicht weiß, was man sagen soll, und umgekehrt. Und man weiß nicht, was und wie man sprechen soll, weil alles banalisiert wurde, reduziert zu einem bloßen Symbol, zu einem Schein. Als eine der größten Resourcen der Revolte, als strahlende Energiequelle geschätzt, ist Bedeutung im Verlauf der letzten Jahrzehnte in einem Prozess der Erosion, in jedem Bereich des Wissens zertrümmert, pulverisiert und zerkrümelt worden, ausgelöst von einer Schar Funktionäre des Empires (zum Beispiel jenen der Schule der französischen Strukturalisten, die den beiden Abgesandten so lieb sind). Ideen, die zur Umsetzung in Taten anspornten und auf solche hindeuteten, wurden ausradiert und durch Meinungen ersetzt, die konservative Betrachtungsweisen kommentieren und diese noch festnageln. Dort wo zuvor ein Dschungel voller Gefahren war, weil wild und üppig, wurde nun eine Wüste erschaffen. Was sagen und was tun inmitten einer Wüste? Der Worte beraubt mit denen man seiner Wut über das erfahrene Leiden Ausdruck verleihen kann, der Hoffnung beraubt, mit der man die emotionale Beklemmung, die das alltägliche Leben verwüstet, überwinden kann, der Träume beraubt, zu denen man greifen kann, um die Wiederholung des Bestehenden wegzuwischen, werden viele Subjekte barbarisch in ihren Gesten. Wenn die Zunge einmal paralysiert ist, sind es die Hände, die zittern, um sich der Frustration zu entledigen. Seiner Ausdrucksform verwehrt, stellt sich der innere Trieb zur Lebensfreude auf den Kopf und wird zu dessen Gegenteil, zum Todestrieb. Die Gewalt explodiert und da sie bedeutungslos ist, äußert sie sich in blinder und wütender Form gegen alles und jeden und kehrt jede soziale Beziehung um. Dort wo kein Bürgerkrieg stattfindet, werden Steine von Straßenüberführungen geworfen, oder Morde an Eltern, Freunden oder Nachbarn begangen. Es ist keine Revolution, nicht einmal Revolte; es ist generalisiertes Schlachten, das von den Subjekten begangen wird, die barbarisch gemacht worden sind, durch die Wunden, die ihrer Haut von einer bedeutungslosen Welt täglich zugefügt werden, weil diese dazu gezwungen ist, nur eine einzige Bedeutung zu haben. Diese trostlose und verzweifelte Gewalt ist dem Empire lästig, wird es doch in dessen Anmaßung gestört, totale Ruhe zu gewährleisten, aber darüber macht es sich keine Sorgen. An sich führt das zu nichts anderem, als dazu, die Forderung nach mehr öffentlicher Ordnung zu nähren und zu rechtfertigen. Und doch, wie leicht sie auch vereinnahmbar sein mag, ist sie einmal an der Oberfläche aufgetaucht, zeigt sie all die Unruhe, die sich in der Tiefe dieser Gesellschaft regt, all die Prekarität des imperialen Einflusses auf die Umstände der modernen Welt.

Und trotzdem gibt es Barbaren anderer Art. Sie sind Barbaren insofern sie sich den Befehlen widersetzen, sicher nicht insofern es ihnen an Bewusstsein fehlt. Wenn sich ihre Sprache als düster, lästig und stammelnd erweist, ist das weil sie das imperiale Verb nicht bis ins Unendliche konjugieren. Das sind all diejenigen Barbaren, die sich bewusst weigern, den institutioneilen Weg zu gehen. Sie haben andere Pfade zu beschreiten, andere Welten zu entdecken und andere Existenzen zu leben. Der Virtualität – die als Vorspiegelung beabsichtigt ist – der Technologie, die in sterilen Laboratorien geboren wird, setzen sie eine Virtualität entgegen – die als Möglichkeit verstanden wird – als Sehnsucht, die durch Herzschläge geboren wird. Um dieser Sehnsucht Form und Substanz zu geben, um die Virtualität in eine Wirklichkeit zu verwandeln, müssen sie dem Empire die Zeit und den Raum zu deren Verwirklichung mit Gewalt entreißen. Das heißt, es muss ihnen gelingen zu einem vollständigen Bruch mit dem Empire zu kommen.

Auch diese Barbaren sind gewalttätig. Aber ihre Gewalt ist in Bezug auf die, die sie trifft, nicht blind, sondern sie richtet sich gegen die imperiale Ursache. Diese Barbaren sprechen und verstehen die Sprache der polis nicht, sie wollen sie auch nicht lernen. Sie brauchen die sozialen Strukturen des Empires nicht, die amerikanische Verfassung, die bestehenden Produktionsmittel, Ausweispapiere oder die Sozialhilfe von denen die beiden Abgesandten so viel halten. Sie haben nichts, worum sie die imperialen Funktionäre bitten und sie haben ihnen nichts anzubieten. Die kompromit[t]ierende Politik ist im Bezug auf sie von Beginn an ein Fehlschlag, und das nicht wegen eines lächerlichen ideologischen Prozesses, sondern wegen einer völligen Unzulänglichkeit für diese Welt. Diese Barbaren wissen nur, dass sie, um ihre eigenen Sehnsüchte, was diese auch sein mögen, zu verwirklichen, zuerst die Hindernisse, auf die sie auf ihrem Weg stoßen, beseitigen müssen. Sie haben keine Zeit, sich zu fragen, wie „der Kapitalismus auf wundersame Weise gesund und die Akkumulation kräftig wie nie ist“, womit sich die beiden Abgesandten lustigerweise aufhalten, verwirrt darüber, dass die Geschichte es verweigert, von den geölten Mechanismen einer Maschine unterstützt, zu funktionieren. Das „Rätsel der anhaltenden Gesundheit des Kapitals“ schafft es nicht, diese Barbaren so sehr zu begeistern wie die Dringlichkeit von dessen Tod. Deswegen sind sie bereit dafür, die Metropolen mit ihren Banken, ihren Einkaufszentren, ihren polizeilich orientierten Stadtplanungen jeden Moment in Schutt und Asche zu legen, individuell oder kollektiv, bei hellem Tageslicht oder im Dunkel der Nacht. Wenn sie keinen einzigen Grund haben, das zu tun, dann ist das, weil sie alle Gründe der Welt haben.

Im Gegensatz zu den unglücklichen Subjekten, die zu glücklichen Subjekten werden wollen, hat die Möglichkeit einer anderen Welt für diese Barbaren keine Bedeutung. Sie ziehen es vor zu kämpfen, weil sie denken, dass eine völlig andere Welt möglich ist. Sie wissen, dass „eine andere Welt“ so sein wird wie „ein anderer Tag“ die leere und langweilige Wiederholung dessen, was ihm vorausging. Aber eine völlig andere Welt ist eine gänzlich unbekannte Welt, um zu träumen, zu erschaffen und zu entdecken. Geboren und unter dem imperialen Joch aufgezogen, ohne jemals die Möglichkeit gehabt zu haben, mit radikal anderen Formen des Lebens zu experimentieren, ist es nicht möglich, sich diese Welt anders vorzustellen, als in negativen Begriffen, wie eine Welt ohne Geld, ohne Arbeit, ohne Technologie, und ohne die unzähligen Gräuel, die von der kapitalistischen Zivilisation produziert werden.

Unfähig eine Welt zu entwerfen, die ohne Meister funktioniert, denen zu dienen wäre, interpretieren die beiden Abgesandten das Fehlen von solchen als Mangel. Es ist ihre lächerliche Überzeugung, das Empire wäre das Schicksal der Menschheit, das sie sagen lässt: „Diese Verweigerung ist ohne Zweifel der Beginn einer Befreiungspolitik aber sie ist eben nur der Anfang.“ […] Auch politisch gesehen führt die Verweigerung als solche (von Arbeit, Autorität und freiwilliger Knechtschaft) lediglich in eine Art gesellschaftlichen Selbstmord. Wie Spinoza sagte: Wenn man lediglich den tyrannischen Kopf vom Gesellschaftskörper abtrennt, hat man nichts als die verstümmelte Leiche der Gesellschaft“.

Der Tyrann ist der Kopf, die Ursache die anführt; die Subjekte sind die Muskeln, die arbeitende Kraft. Statt Spinoza hätten die beiden Abgesandten die Patrizier des alten Rom zitieren sollen, die die Plebejer, die im Begriff standen, zu rebellieren, darüber informierten, dass wenn die Subjekte aufbegehren und den Tyrannen töten, sie damit Selbstmord begehen, weil es ohne jemanden der Befehle erteilt, kein Leben geben kann.

Die ewige Lüge, die jede Ausübung der Macht aufrecht erhält, findet in Hardt und Negri zwei glühende Anhänger, die für die Behauptung zur Verfügung stehen, dass die Verweigerung der Autorität Selbstmord sei und Anarchismus eine Form von Ohnmacht. In Wirklichkeit ist es, wie es viele Male und von vielen Seiten skizziert worden ist, die Zerstörung, die die Tür zur Erschaffung öffnet; bloßes Verweigern tut nichts anderes als den Boden fruchtbar zu machen für erneute Bestätigung. Im Gegensatz zur Denkweise der beiden Abgesandten ist der Tyrann – und jede Machtstruktur ist tyrannisch – nicht der Kopf des sozialen Körpers, sondern der Parasit, der den Organismus vergiftet. Ihn zu töten ist ein Akt der Befreiung. Die revolutionären Pariser Klubs litten nicht unter der Enthauptung von König Louis XVI, wie auch die russischen Arbeiter-Räte nicht unter dem Fall von Zar Nicholas II litten. Im Gegenteil, es ist die Liquidierung der Macht, d.h. der aufständische Kontext, der alte Gewohnheiten niedergeworfen und neue Energien freigesetzt hat, die deren Geburt und Verbreitung erlaubt hat. Und die Wiedereinführung der Macht, in Jakobinischer und Bolschewistischer Form, ist es, was wirklich in die Sackgasse und die soziale Regeneration ins Verderben geführt und das, was unbekannt ist, in das, was Staat ist, zurückgeholt hat.

Wer nicht mit mir und wie ich spricht, hat nichts zu sagen. Wer nicht mit mir und wie ich handelt, ist krank vor Ohnmacht. Wer auch immer nicht mit mir und wie ich lebt, hat das Verlangen, Selbstmord zu begehen. Das ist die Lehre, die das Empire unter seinen Feinden unter Zuhilfenahme der Münder der beiden Abgesandten aussät. Aber die Barbaren sind taub für derartige, alberne Warnungen, ihre Ohren sind nur sensibel für Stimmen die sie zum Angriff auf das Empire aufrufen, zum Tabula Rasa des Existierenden. Deren Wut flößt sogar vielen Feinden des Empires Terror ein, die es in der Tat zu besiegen wünschen, aber mit guten Manieren. Wie brave Zivilisierte teilen sie den Dissent, aber nicht den Hass; verstehen sie die Entrüstung, aber nicht den Zorn; sie stossen Protest-Slogans aus, aber kein Kriegsgeschrei; sie sind bereit Speichel zu vergießen, aber kein Blut. Auch sie, soviel ist klar, wollen das Ende des Empires, aber sie warten darauf, dass das spontan passiert, wie ein Naturphänomen. Angestoßen durch die Gewissheit, dass das Empire ernsthaft krank ist, hoffen seine am besten (aus)gebildeten Feinde, dass ein Kollaps die Menschheit so bald wie möglich von dessen sperriger Präsenz befreit. Außerdem kann niemand leugnen, dass es viel weniger gefährlich ist, die Freiheit infolge der ruhigen Abreise des Meisters zu erlangen, wie ein glückliches Erbe, statt sie im Kampf zu erobern. Diese unbestreitbare Wahrnehmung trägt sie ans Flussbett, um dort in der Erwartung zu sitzen, die von der Strömung getragenen Kadaver ihrer Feinde vorbei treiben zu sehen.

Die barbarische Natur, die diese sanfte Geduld nicht kennt, ist sehr verschieden davon. Genaugenommen sind die Barbaren davon überzeugt, dass es vergeblich ist, auf den Tod des Empires zu warten, der vor allem vielleicht gar nicht so nahe bevorsteht, wie das dessen zivile Feinde wünschen. Außerdem lasst uns das davon ausgehen, dass im Moment seines Kollapses alles, aber auch wirklich alles, unter seinen Trümmern begraben wird. Worauf also warten? Ist es nicht besser sich auf die Suche zu begeben, auf die Suche nach dem Feind, und alles zu tun, um sich seiner zu entledigen? Diese barbarische Bestimmtheit erweckt Gräuel. Die beiden Abgesandten sind entsetzt, die Identifizierung des Feindes ist ihnen gemäss „die erste Frage der politischen Philosophie“, und als solche kann sie sich nicht mit Barbaren auseinandersetzen, die mit ihrer Rohheit höchstens dazu fähig sind, sich „in solch paradoxen Zirkelbewegungen“ zu bewegen.

Aber die anständig erzogenen Feinde des Empires sind ebenso entsetzt. Daran gewöhnt, den ganzen Tag in Erwartung damit zu verbringen, mit dem Leben anzufangen, verwechseln sie die barbarische Unmittelbarkeit mit Blutrünstigkeit. Und wie könnte es anders sein? Sie sind völlig unfähig zu verstehen, wofür die Barbaren kämpfen, schließlich ist für ihre Ohren deren Sprache nicht verständlich. Zu kindlich ist deren Geschrei, deren Dreistigkeit zu unbegründet. Vor den Barbaren fühlen sie sich so ohnmächtig, wie ein Erwachsener in der Hand von tobenden Kindern. In der Tat war für die alten Griechen der Barbar einem Kind ziemlich ähnlich, während im Russischen die beiden Konzepte mit dem selben Vokabel ausgedrückt werden (und denken wir ans Lateinische infans, infantis, das buchstäblich nicht sprechend bedeutet). Nun, das, was denjenigen, die nicht sprechen – den Stammelnden – am meisten vorgeworfen wird, ist das Fehlen von Seriosität, von Sinnhaftigkeit und von Reife. Für Barbaren, wie für Kinder, deren Natur noch nicht völlig domestiziert ist, beginnt Freiheit nicht mit der Ausarbeitung eines idealen Programms, sondern mit dem unverwechselbaren Geräusch von zerbrechenden Scherben. Das ist es, wogegen sich diejenigen protestierend erheben, die wie Lenin denken, dass der Extremismus nichts als eine “Kinderkrankheit” ist. Gegen die senile Krankheit der Politik bestätigen die Barbaren, dass die Freiheit das dringendste und Schrecken erregendste Bedürfnis der menschlichen Natur ist. Und die zügellose Freiheit verfügt über all die Produkte dieser Welt, über all die Objekte – um diese wie Spielsachen zu behandeln.

Aber die Kinder der Göttin der Begründung erlauben keine soziale Transformation von etwas, das nicht auf der Erbauung des Wohls der Allgemeinheit basiert. Es handelt sich entweder um die Frage der Rückkehr zu einer mystischen Vergangenheit (die primitivistische Illusion) oder um die Erfüllung einer leuchtenden Zukunft (die messianische Illusion). Sofern es die Barbaren betrifft, lieben diese weder nostalgische Seufzer, noch Architekturdiplome. Das, was ist wird nicht zerstört im Namen von dem, was war, oder von dem, was sein wird, sondern um endlich all dem Leben zu geben, was sein könnte, in seinen unermesslichen Möglichkeiten, hier und jetzt. Sofort.

UM DEM EIN ENDE ZU BEREITEN

Es ist vergeblich, zu versuchen derjenigen das Sprechen beizubringen, die keine Zunge hat. Es ist vergeblich vor gutturalen Lauten und gedankenlosen Gesten zu erschrecken. Es ist vergeblich jemandem Mediation vorzuschlagen, der das Unmögliche will. Es ist vergeblich jemanden um Freiheit anzuflehen, der Sklaverei aufzwingt. Überlassen wir die Pädagogik den beiden Abgesandten, zusammen mit ihrem polizeilichen und missionarischen Geist. Auf dass sich die Barbaren entfesseln. Auf dass sie ihre Schwerter schleifen, auf dass sie ihre Äxte schwingen, auf dass sie auf ihre Feinde ohne Barmherzigkeit einschlagen. Auf dass Hass an die Stelle von Toleranz tritt, auf dass Raserei an die Stelle von Resignation tritt, auf dass Beleidigungen an die Stelle von Respekt treten. Auf dass die barbarischen Horden in Angriff gehen, autonom, auf eine Art und Weise, über die sie selbst entscheiden, und auf dass nach ihrer Durchreise kein Parlament, kein Kreditinstitut, kein Supermarkt, keine Kaserne, keine Fabrik mehr entsteht. Im Angesicht des Betons, der emporsteigt, um den Himmel anzugreifen, und der Verschmutzung, die ihn zum Verfaulen bringt, kann man mit Déjaque wohl sagen, dass es „nicht die Finsternis ist, die die Barbaren dieses Mal der Menschheit bringen, sondern das Licht“.

Die Zerstörung des Empires könnte nur schwerlich die üblichen Formen der sozialen Revolution annehmen, so wie wir sie aus den Geschichtsbüchern kennen (die Eroberung des Winterpalasts. die populäre Reaktion auf einen Putsch, der generalisierte wilde Streik).

Es gibt keine noblen Ideen mehr, die fähig wären, die groben proletarischen Massen zu bewegen, es gibt keine süßen Utopien mehr, bereit, von ihren Geliebten befruchtet zu werden, es gibt keine radikalen Theorien mehr, die nur darauf warten in die Praxis umgesetzt zu werden. All das ist versunken, weggeschwemmt vom imperialen Schlamm. Es gibt nur den Ekel, die Verzweiflung, den Widerwillen, unsere eigene Existenz durch das Blut, das von der Macht vergossen wird, und den Schlamm, der von der Macht ausgeschüttet wird, fort zu schleppen. Und was doch inmitten dieses selben Blutes und Schlammes geboren werden kann, ist der Wille, verwirrt in manchen, und klarer in anderen, dem Empire und seiner tödlichen Ordnung ein und für alle Mal ein Ende zu bereiten.

Dann geschah es, dass ich alles Leiden, alle Vergangenheit, alle Schrecken und Qualen, die sich in meinem Körper eingegraben hatten, in den Wind schleuderte, als ob sie anderen Epochen angehört hätten, ich überliess mich unbeschwert den geträumten Abenteuern und sah schon im Fieber der Vorstellung eine andere Welt, verschieden von der, in der ich lebte, eine die ich wünschte, eine Welt, verschieden von der, in der die Menschen gelebt haben, und wir waren viele, die sie erträumten. Und die Zeit verging wie im Flug und die Ermüdungen ergriffen meinen Körper nicht, meine Begeisterung verdoppelte sich und liess mich tollkühn werden und liess mich bei Tagesanbruch zur Erkundung aufbrechen um den Feind zu entdecken und . . . alles, um das Leben zu verändern; um diesem Leben, welches uns gehört, einen anderen Rhythmus zu geben; damit die Menschen, und ich mit ihnen, Brüder sein könnten; damit die Freude aus unserer Brust keimt und zumindest einmal auf der Erde wächst…“ Ein Unkontrollierter der Eisenkolonne, März 1937. Spanien

ANHANG – Eine biogarphische Notiz zu Antonio Negri

(bereitgestellt von den Autoren von Barbari für diejenigen die nicht mit ihm vertraut sind)

Antonio Negri wurde am I. August 1933 in Padua, Italien geboren, der Kulturhauptstadt der traditionell bigotten, kleinbürgerlichen Region von Veneto. Als inbrünstig Glaubender entdeckte der junge Toni Negri Militanz als er Teil der religiösen Jugendorganisation “Katholische Aktion” wurde. Die 50er in Italien waren die Jahre der Wiedereinführung der Wirtschaft des Landes, ein gewaltiges kapitalistisches Phänomen, das für immer in den Augen und im Herzen Negris verblieb; jenes Negri, der, nachdem er Gott durch Marx ersetzt hatte, das Umfeld der neuen Linken zu frequentieren begann. In den 60ern nahm Toni Negri aktiv Teil an der Ausarbeitung des Operaismo, als Herausgeber von zuerst “Quaderni rossi” (“Rote Studienbücher”) und später “Classe Operaia” (“Arbeiterklasse”). Was ist Operaismo? Es ist die Ideologie, derzufolge die Fabrik das Zentrum des Klassenkampfes ist und die Arbeiter die einzigen Erschaffer der Revolution sind, weil sie mit deren Kampf das Kapital dazu drängen sich in eine befreiende Richtung zu entwickeln. Die Operaisten zielen auf Parteien und Gewerkschaften ab, aber letztere werden nicht so sehr kritisiert als getadelt dafür, dass sie nicht effektiv ausführen, was eigentlich ihre Pflicht wäre. Wie für alle Formen des Kampfes, die sich ausserhalb der Fabriksumgebung abspielen, werden diese entweder verdammt oder brüskiert. Es braucht nicht gesagt zu werden, dass keiner der vielen Intellektuellen, die dem Operaismus Leben einhauchten, üblicherweise aus der Sozialistischen und Kommunistischen Partei Flüchtende, je einen einzigen Tag in der Fabrik gearbeitet haben. Negri, zum Beispiel, zog es bei weitem vor die “Doktrin des Staates” an der Universität von Padua zu unterrichten und das fragwürdige Vergnügen des Fließbandes den Proletariern zu überlassen. Die operaistische Strategie, jenseits der Phraseologie, die zeitweise extremistisch ist, bestand aus dem Verlangen „einen positiven Mechanismus der kapitalistischen Entwicklung wieder in Bewegung zu setzen“ innerhalb dessen „die Forderungen einer stärkeren Arbeitermacht ins Spiel zu bringen“ durch „den revolutionären Gebrauch des Reformismus“.

1969 war Negri einer der Mitbegründer der “Arbeitermacht”, eine Organisation, die die übliche Rechtfertigung für das Bestehende mit einem ausgesprochen hegemonialen Ziel über den Rest der Bewegung kombinierte, was sich in der Verdammung des Spontanismus im Namen einer effizienteren Zentralisierung der Kämpfe kristallisierte („um in Handlungen die Hegemonie der Arbeiterkämpfe über die studentischen und proletarischen Kämpfe sicherzustellen […], um die Massenarbeiterkämpfe zu planen, zu führen und zu leiten“). “Arbeitermacht“ löste sich 1973 auf, ohne es zustandegebracht zu haben irgendetwas zu leiten und aus ihrer Asche wurde der politische Raum, bekannt als “Arbeiterautonomie” (“Autonomia Operaia”) geboren, die auch von den leninistischen Geistern, der Eroberung der Macht gehetzt wurde. Wir sind am Anfang der 1970er, als die revolutionäre Bewegung als Ganzes ein Problem der Gewalt darzustellen beginnt. Toni Negri verherrlicht in seinen Büchern die Figur des “kriminellen Arbeiters”, rechtfertigt den Rückgriff auf Sabotage und den bewaffneten Kampf, aber immer innerhalb einer marxistisch-leninistischen Vision des sozialen Konfliktes. In Negri ist eine bedingungslose Akzeptanz und Rechtfertigung des Kapitalismus immer präsent, denn wie er in seinem, 1977 erschienen Buch schrieb, „wird Kommunismus zu allererst vom Kapital als Produktionsbedingung aufgezwungen […] nur der Aufbau des Kapitalismus kann uns wahrhafte revolutionäre Bedingungen geben“, eine Identifizierung, die seiner Meinung nach zu extremen Konsequenzen gebracht werden muss: „die fortgeschrittenste kapitalistische Form, die Form der Fabrik, wird zur Arbeiterorganisation selbst gebracht.“ Aber obwohl seine theoretische Produktion ziemlich profitabel ist, kann nicht gesagt werden, dass diese einem gleich großen, praktischen Einfluss entspricht. Die tausenden Revolutionäre die an dem bewaffneten Angriff gegen den Staat teilnahmen, ein Angriff, der seinen Höhepunkt um 1977-78 erreichte, wussten nicht, was sie mit den philosophischen Analysen des Paduaner Professors anfangen sollten.

Der Amtsrichter seiner Stadt jedoch, Guido Calogero nahm sie sehr wohl ernst, nach welchem Negri der wahre Führer der Roten Brigaden gewesen wäre. Eine schlicht und einfach absurde Hypothese, aber eine die nichts desto trotz gut zu den Bedürfnissen des Staates passte: um einen Teil der Bewegung – den offensichtlichsten – ins Rampenlicht zu bringen, mit dem Ziel die Bewegung in ihrer Ganzheit zum Schweigen zu bringen. Im Bereich der Aktionen der Roten Brigaden, die bereits geschehen waren, deren Taten einen solchen Medienaufschrei auslösten, als ob es darum ginge, die tausenden kleinen Aktionen des Angriffs, die in jenen Jahren ausgeführt wurden, zu verbergen. Warum nicht dieselbe Operation im Bereich der Ideen wiederholen, unter Verwendung des hochklingenden Namens des Paduaner Professors? Und vor allem, warum nicht die beiden Aspekte verbinden? Demnach beginnt die juridische Odyssee von Toni Negri am 7. April 1979, als er gemeinsam mit Dutzenden anderen Militanten im Zuge einer Polizeirazzia gegen das Umfeld der Arbeiterautonomie verhaftet wird. Die Anklage lautet auf subversive Assoziation und bewaffnete Bande, aber im Laufe weniger Monate, multipliziert sich die Anklage gegen Negri zu dem Punkt hin, dass sie bewaffneten Aufstand gegen die Mächte des Staates, Geiselnahme und Mord am Christlich Demokratischen Führer, Aldo Moro, und 17 andere Morde (Anklagen, von welchen er im Laufe der folgenden Jahre entlastet wurde) einschließt. Das ist die Zeit, in der die “Geständnisse” von Reuigen und die speziellen Gesetze, die vom Innenminister Cossiga gewünscht waren, die Gefängnisse mit tausenden Militanten füllen, und starke soziale Spannungen entzünden.

Im Dezember 1980 bricht eine Revolte im Gefängnis von Trani aus, wo Negri gefangengehalten wird. Als Opfer der Mediendarstellung, als der “raffinierte Lehrer”, wird Negri mit der Anklage belastet, einer der Anstifter gewesen zu sein (fünf Jahre später – am Ende der Verhandlung wird er entlastet). In Wahrheit, nebst dem Vorsatz, weiter Bücher zu schreiben, ist Negri viel interessierter daran, den Staat zu verfestigen, als an Subversion. In seinen Schriften beginnt er die verwirrende Hypothese der Dissoziation auszuarbeiten. Jeglicher Würde beraubt, an den schlimmsten Opportunismus angepasst, schlagt Negri dem Staat vor, dass er denjenigen politischen Gefangenen juridische Vorteile zugestehen soll, die die Anwendung von Gewalt öffentlich verwerfen und erklären, dass der Krieg gegen den Staat objektiv beendet ist. Es braucht nicht betont zu werden, dass in Bezug auf jene Gefangenen, die ihre Entscheidungen nicht verstoßen, der Staat gerechtfertigt wäre, die eiserne Faust anzuwenden.

Negris Ideen beginnen in den Gefängnissen um sich zu greifen, die ferne Illusion einer Freiheit, die durch die Aufgabe erreicht werden könnte, findet seine Anhänger. 1982 wird ein Dokument verbreitet, das von 51 politischen Gefangenen unterzeichnet ist, in dem die Epoche der bewaffneten Revolte gegen den Staat für beendet erklärt wird, das erste einer langen Reihe. Im Februar 1983, beginnt die Verhandlung gegen Negri und die anderen Angeklagten, die während der Razzia am 7. April 1979 verhaftet worden waren. Die Radikale Partei, die vom Gezeter der Verhandlung profitiert – die die “aufrichtigen demokratischen” bourgeoisen Schönredner der Nicht-Gewalttätigen und des Pazifismus repräsentiert – macht Negri den Vorschlag, er solle für ein Amt auf ihrer Liste bei den kommenden Wahlen kandidieren. Würde er gewählt, ergäbe das seine Freiheit wegen der parlamentarischen Immunität. Negri erklärt, die Kandidatur zu akzeptieren, und verspricht den Radikalen, auf keinen Fall ins Ausland zu flüchten. Am 26. Juni in die Kammer der Abgeordneten gewählt, wird Negri am 8. Juli aus dem Gefängnis entlassen. Seine Entlassung provoziert die Reaktion der konservativen politischen Kräfte, die den Sommer hindurch daran arbeiten, die Abstimmung über die Abschaffung von Toni Negris parlamentarischer Immunität am 20. September zu erwirken. Am 19. September, dem Vorabend der Abstimmung, flüchtet Negri nach Frankreich. Am nächsten Tag nimmt ihm das Parlament seine Immunität, durch eine Wahl 300 zu 293. Am 26. September endet die “April-7” Verhandlung mit der Verurteilung Negris.

Man kann nicht behaupten, dass Negri das harte Leben des Exils in Frankreich lange Zeit durchmachen musste. Als Universitätsprofessor von internationaler Bekanntheit, wurde er bereits im November 1983 als ausländisches Mitglied des Rates des internationalen College der Philosophie ernannt. Von 1983 bis 1997 unterrichtete Toni Negri an der Universität von Paris-VIII und an der Höheren Schule in der rue d’Ulm. In der Zwischenzeit akzeptierte der italienische Staat seinen Vorschlag und verabschiedete ein Gesetz, das die Dissoziation belohnen sollte. Darüber hinaus führte er im Auftrag einiger Ministerien und anderer französischer Regierungsinstitutionen Forschungen durch. In dieser Zeit veröffentlichte Negri verschiedene Bücher und entdeckte seine Bezüge zu den französischen post-strukturalistischen Intellektuellen, mit welchen er zum Beispiel die Leugnung der individuellen Autonomie teilt. Zu den Interventionen dieser Jahre gehört sein Festhalten an der Forderung nach Amnestie, was das Ende der Kämpfe der 70er beschließt; seine Sympathie für die neue Partei der Liga (rassistische Partei, Verteidiger der Interessen von kleinen und mittleren Wirtschaftstreibenden, nicht zufällig in Veneto gegründet) und seine öffentliche Versöhnung mit dem früheren Innenminister Cossiga, dem Hauptverantwortlichen für die Repression der Bewegung der 1970er.

Am 1. Juli 1997 kehrt Toni Negri freiwillig nach Italien zurück und wird im römischen Gefängnis in Rebibbia eingesperrt, wo er seine Strafe absitzen muss, zu der er verurteilt worden war (merklich reduziert durch zwei Generalamnestien, die 1986 und 1988 zugestanden wurden). Im Juli 1998, bekam Negri Außenarbeit bei einer Genossenschaft für Freiwilligenarbeit, in Verbindung mit der Wohlfahrt; Im August 1999 wird er teil-entlassen (er geht am Morgen aus dem Gefängnis und kehrt am Abend zurück).

2000 kehrt Negri zurück ins Rampenlicht mit der Veröffentlichung des Buches Empire, geschrieben in Zusammenarbeit mit Michael Hardt, das enormen Erfolg verbuchen konnte. In Italien, wo sein Name hässliche Erinnerungen erweckt und deshalb einer redaktionellen Industrie zum Opfer fiel, die der konservativsten politischen Macht unterworfen ist, wird sein Buch erst 2002 veröffentlicht. Toni Negri ist heute der politische Bezugspunkt der Disobbedienti (vormalige Tute Bianche – Weiße Overalls), deren Sprache, obwohl manchmal extrem, sie nichts desto trotz nicht daran gehindert hatte, sich vollständig an der institutionalisierten Linken zu beteiligen.


1das ist eine Parallele zu den Ansichten vieler Neo- Rassisten, die ihre Ideologie auf „Kultur“ und „Ethnizität“ aufbauen, statt auf „Hautfarbe“ und „Blut“. – Anm. engl. Übersetzer

2Eine lingua franca ist eine hybride Sprache, wie sie sich oft an Plätzen des internationalen Handels, wie etwa Hafenstädte entwickelt, um Kommunikation zu ermöglichen.Anm. engl. Übersetzer

3eine internationale Steuer auf Währungspekulation.Anm. engl. Übersetzer

4Ya Basta!, die Tute Bianche und die Disobbedientialle Negri’schen „Radikale“ – haben diese Funktion in einer Vielzahl von Demonstrationen in Italien erfüllt, indem sie diejenigen, die Banken, multinationale Unternehmen, etc. angriffen, bei den Bullen denunzierten. – Anm. engl. Übersetzer

5das italienische Wort potenza kann als Macht, Gewalt, Kraft, Herrschaft oder ImperiumEmpire übersetzt werden.Anm. engl. Übersetzer

6ein linker Politiker, früher in der kommunistischen Partei Italiens, jetzt Teil der Linken Demokratischen Partei, die von den Tute Bianche bis zu den Faschisten mit allen spricht. – Amn. engl. Übersetzer

Massimo Cacciari war einer der Mitglieder von Potere operaio, die nach der Auflösung der linken Organisation in die KP zurückgekehrt waren. Als Philosoph, der das „Denken in der Krise“ (linker Heideggerismus) zum Ausdruck brachte, verfolgte er alle Entwicklungen in der Partei während der großen Repression in den 1980er Jahren. Mitte der 1990er Jahre, während er eine Debatte mit der Neuen Rechten eröffnete, wurde er in der reformistischen Strömung der ehemaligen KP zum Bürgermeister von Venedig gewählt. In dieser Zeit schlug er Wahlabkommen mit den „Autonomen“ im Nordosten Italiens vor. (A.d.Ü., aus der italienischen Ausgabe)

7das italienische Wort sudditi hat gleichzeitig die Bedeutung Subjekte, sowie Untertanen. In diesem Text findet sich einige Male das Wortspiel zwischen den beiden Bedeutungen wieder.Amn. deut. Übersetzer

8im Italienischen gibt es hier ein Wortspiel, „immondo“ ist das italienische Wort für „verfault“, „mondo“ ist das italienische Wort für „Welt“.Anm. engl. Übersetzer

9im Italienischen gibt es hier ein Wortspiel; „Masslosigkeit“ bedeutet auf italienisch „dismisura“ und „messen“ bedeutet „misura“, dass laut Wörterbuch auch „Grenze“ oder „Standard/Norm“ bedeuten kann. Anm. engl. Übersetzer

]]> Über Toni Negri (1933 – 2023) – Empire und seine Fallen – Toni Negri und der verwirrende Weg des italienischen Operaismus. https://panopticon.blackblogs.org/2024/02/24/ueber-toni-negri-1933-2023-empire-und-seine-fallen-toni-negri-und-der-verwirrende-weg-des-italienischen-operaismus/ Sat, 24 Feb 2024 08:02:14 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5586 Continue reading ]]>

Gefunden auf dndf, die es selbst von info kiosques übernommen haben, Original auf spanisch hier, die Übersetzung ist von uns, wir haben uns an der französischen Version orientiert. Toni Negri starb am 16. Dezember 2023. Da man nicht schlecht über Tote redet, haben wir diesen Text übersetzt der sein Werk kritisiert und zur Schau stellt. Zum Schluss verteidigt der Text Positionen die wir nicht teilen, aber dass ist nicht der Grund warum wir ihn übersetzt haben, sondern weil er Negris Denken als ein falschen darstellt und angreift.

Kampf diesen und jeden Propheten.


Über Toni Negri (1933 – 2023)

Hier ist ein Artikel, der eine Kritik an Negris Denken in einer relativ ruhigen und dokumentierten Art und Weise vorbringt, für diejenigen, die nicht von der neuen italienischen Linken begeistert sind, noch vom garantierten Lohn und anderen Ablenkungen des Kampfes. Hier bekommt ihr auch eine gute Einführung in den historischen Kontext des Italiens der 1970er Jahre, die vor spannenden Debatten und Engagements sprudelten, von denen wir noch viel zu entdecken haben.“


Empire und seine Fallen – Toni Negri und der verwirrende Weg des italienischen Operaismus.

Aus: A contretemps Nr. 13, September 2003

Man hat bisher geglaubt, die christliche Mythenbildung unter den römischen Kaiserreich sei nur möglich gewesen, weil man den Buchdruck noch nicht erfunden hatte. Grade umgekehrt. Die Tagespresse und der Telegraph, der ihre Erfindungen im Nu über den ganzen Erdboden ausstreut, fabrizieren mehr Mythen (und das Bourgoisrind glaubt und verbreitet sie) in einem Tag, als früher in einem Jahrhundert fertiggebracht werden konnten.“ Marx an Kugelmann, 27. Juli 1871. Band 33 MEW.

BAUDELAIRE bezeichnete die Autoren von Abhandlungen, die im Handumdrehen die Kunst darlegen, wie man reich, gelehrt und glücklich wird, als „Unternehmer des öffentlichen Glücks“. Mir scheint, dass diese Definition perfekt auf die Autoren des Empire zutreffen könnte, die uns versichern, dass sie befriedigende Antworten auf die großen Fragen unserer Zeit haben1. Das Buch, das als Bibel der Anti-Globalisierungsbewegung angepriesen wurde, war Gegenstand einer groß angelegten Werbekampagne, zuerst in den USA (2000), dann in Frankreich und schließlich in Italien und dem Rest der Welt. Empire war ein echter internationaler Erfolg (bis heute wurden eine halbe Million Exemplare verkauft) und wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt, darunter Chinesisch und Arabisch, und wurde von der amerikanischen und europäischen Presse als ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der neuen Weltordnung aufgenommen. Die neokonservative Tageszeitung The New York Times zögerte nicht, das Buch als „das wichtigste Werk des letzten Jahrzehnts“ zu bezeichnen, was nicht ohne Witz ist, wenn man bedenkt, dass die Autoren sich selbst als Radikale bezeichnen und nichts weniger als eine Aktualisierung des Kommunistischen Manifests anstrebten. In Lateinamerika hingegen waren die Reaktionen eher lauwarm und manchmal sogar offen feindselig, wenn auch, wie wir später sehen werden, aus den falschen Gründen.

EIN NEUER ANSTRICH FÜR EINE ALTE IDEOLOGIE

Um es gleich vorweg zu sagen: Empire ist kein Manifest und noch weniger ein Handbuch für Aktivisten.

Es ist ein langes Buch (über 500 Seiten), vollgepackt mit obskuren Begriffen wie Biomacht, globalen Kommandos, imperialer Souveränität, Selbstverwertung, Deterritorialisierung, immaterieller Produktion, Hybridisierung, Multitude und vielen anderen, die für ungeübte Leser schwer zugänglich sind. Ein perfektes Verständnis des Buches erfordert zweifellos eine gewisse Vertrautheit mit verschiedenen Denkschulen: dem französischen Poststrukturalismus, soziologischen Theorien aus Nordamerika und, wie wir sehen werden, dem italienischen Operaismus. Zu all dem sollte man neben dem besten Willen der Welt auch eine gewisse Kenntnis der politischen Philosophie von Aristoteles über Polybios, Machiavelli und Carl Schmitt bis hin zu John Rawls hinzufügen.

Ich muss zugeben, dass es mich in meinem Fall einige Monate Anstrengung gekostet hat, das gesamte Werk zu lesen, einschließlich der notwendigen langen Unterbrechungen. Laut seinen eigenen Autoren eignet sich Empire für mehrere Lesarten: Die Leser können von Anfang bis Ende, von Ende bis Anfang oder auch nach Teilthemen vorgehen und das Werk nach ihren Interessensgebieten unterteilen. Man wird mir erlauben, einen weiteren Vorschlag hinzuzufügen: das Lesen nach Slogans oder Schlüsselwörtern – Schlüsselwörter, deren elegante Handhabung heute das Zeichen der Zugehörigkeit zur neuen Linken ist oder, prosaischer, das Zeichen eines intellektuellen Aggiornamento, das für jeden, der in den angesagten literarischen Salons eine gute Figur machen will, unerlässlich ist. Das Buch will die neue Konfiguration des kapitalistischen Systems, die durch die neoliberale Globalisierung hervorgerufen wird, erforschen und die grundlegenden Kategorien der Politik, die von der Moderne geerbt wurden, in Frage stellen. Die Autoren stehen in der marxistischen Tradition, obwohl sie zugeben, ohne es explizit zu sagen, dass der orthodoxe Marxismus-Leninismus nicht mehr relevant ist. Wenn man diese Abkehr von einer Ideologie, die den Interessen des Totalitarismus so gut gedient hat, begrüßen muss, wie kann man sich jedoch nicht wundern, wenn man feststellt, dass diesem Buch nicht nur eine ernsthafte ökonomische Analyse fehlt, sondern auch und vor allem der Standpunkt der Kritik der politischen Ökonomie, die in meinen Augen das einzige lebendige Erbe eben dieser marxistischen Tradition bleibt. Darüber hinaus ist es bemerkenswert, dass Empire zwar Dutzende von Seiten der Untersuchung der Verfassung der Vereinigten Staaten widmet, aber keine ernsthafte Reflexion über die Russische Revolution und den Leninismus enthält. Dennoch ist es heute klar, dass das sowjetische Modell den Raum für die Revolutionen des 20. Jahrhunderts gleichzeitig öffnet und schließt. Sein Scheitern ist nicht ohne Zusammenhang mit dem Entstehen der neuen Weltordnung, die das Thema des Buches ist.

Die Debatte über die Tragödie von Revolutionen, die sich selbst auffressen, wird nicht erwähnt, und es gibt keinen Versuch, den Beitrag der kritischen Strömungen des Sozialismus, sowohl der marxistischen als auch der libertären, die bislang unter dem Scheffel standen, angemessen zu bewerten. Auf den wenigen Seiten, die dem Zusammenbruch des Ostblocks gewidmet sind, beschränken sich die Autoren auf die Feststellung, dass die Disziplin in der Sowjetunion „absterben“ würde, und behaupten, dass es sich nicht um totalitäre Gesellschaften, sondern um eine bürokratische Diktatur handle2.

Gehen wir der Reihe nach vor. Empire wurde zwischen 1994 und 1997 geschrieben, d.h. nach dem Beginn der zapatistischen Revolte und vor der Schlacht von Seattle. Nach Fertigstellung des Buches stellte sich Negri, ein politischer Anführer der italienischen außerparlamentarischen Linken der 1970er Jahre, Universitätsprofessor und Autor umfangreicher Abhandlungen über Marx und Spinoza, nach 14 Jahren Exil in Frankreich der italienischen Justiz, um sich vor dieser wegen Straftaten im Zusammenhang mit dem bewaffneten Kampf zu verantworten. Seit einigen Monaten lebt er unter Hausarrest in seiner römischen Wohnung, wo er an Band II von Empire arbeitet. Hardt ist Professor für Literatur an der Duke University in North Carolina. Ich kenne seinen Werdegang nicht und möchte daher hier auch nicht seinen Beitrag analysieren.

Da es sich hier um ein sehr ehrgeiziges Buch handelt, sollten wir uns zunächst fragen, inwiefern es zu einem besseren Verständnis der heutigen Welt beitragen kann. Meine Antwort ist, dass es in Wahrheit sehr wenig dazu beiträgt. Die Hauptthese, die in den ersten Zeilen formuliert und später fast zwanghaft wiederholt wird, lautet: Mit dem Aufkommen der Globalisierung und der Krise des Staates-Nation entstehen neue Formen der Souveränität und ein neuartiges soziales System, das „Imperium“, dessen Attribute hervorgehoben werden müssen. Unsere Autoren erklären, dass die USA darin einen wichtigen, aber nicht zentralen Platz einnehmen, aus dem einfachen Grund, dass das Empire kein Zentrum hat. Es handele sich gewissermaßen um ein Imperium ohne Imperialismus, eine Illusion, die mit dem neokonservativen Denken geteilt wird. Das Imperium, so sagen sie uns, ist in der Tat ein grenzenloser, dezentralisierter und „deterritorialisierter“ Nicht-Ort, der sich die Gesamtheit des sozialen Lebens aneignet. Keine Grenze kann seine Macht einschränken, da es „eine Ordnung, die Geschichte vollständig suspendiert und dadurch die bestehende Lage der Dinge für die Ewigkeit festschreibt“3. Aus solchen Behauptungen geht hervor, dass das Imperium nicht mit dem imperialistischen System souveräner Staaten, die miteinander konkurrieren, übereinstimmt. Im Gegensatz zu diesen hat es weder ein Zentrum noch eine Peripherie und weder ein „Innen“ noch ein „Außen“, was bedeutet, dass man nicht mehr von den alten Unterteilungen in Erste und Dritte Welt oder gar von imperialistischen Kriegen sprechen kann. Wenn Negri und Hardt die Existenz innerimperialistischer Widersprüche anerkennen, argumentieren sie, dass diese nicht auf klassische Mechanismen reduziert werden können. Wie steht es im Übrigen um die sozialen Klassen im Imperium? Es gibt kein Proletariat mehr, geschweige denn eine Bauernschaft4. Was es jedoch gibt, ist ein neues – und mysteriöses – revolutionäres Subjekt, die Multitude (in der Einzahl, wie der Heilige Geist), deren Existenz die Autoren bereits in der Einleitung feiern, ohne sich darum zu kümmern, die Konturen des Konzepts zu präzisieren.

Nach der Lektüre dieser Vorbemerkungen hat der kritische Leser mehrere Möglichkeiten. Er kann natürlich darauf verzichten, sich mit einem so abstrusen Text zu befassen, aber er kann sich auch mit Geduld wappnen und den Inhalt der 470 Seiten (ohne die etwa 40 Seiten Anmerkungen), die auf die Einleitung folgen, durchgehen. Dies hat Atilio Boron getan, der, entsetzt über die Extravaganzen von Negri und Hardt, ihnen ein ganzes Buch widmet5. Diese Entscheidung hat zwar den Vorteil, dass der Leser eine umfangreiche, wenn auch nicht erschöpfende Bestandsaufnahme des Unsinns in dem Buch erhält, aber Boron ist auf dem Holzweg, wenn er die Autoren als postmodern bezeichnet, obwohl sie in Wahrheit Konzepte von Foucault (Biomacht, Biopolitik) oder Deleuze (Deterritorialisierung, Nomadismus), doch ihre Argumentation ist direkt auf den so genannten italienischen Operaismus zurückzuführen, eine Strömung, der Negri in den 1960er Jahren angehörte und die er nie verleugnet hat.

Die Überlegungen der Autoren des Buches entspringen weder dem Wunsch, die „großen Erzählungen“ in Frage zu stellen, noch einer postmodernen Sensibilität, die „auf die Singularität der Ereignisse achtet“6, sondern vor allem einem gefräßigen und totalisierenden hegelianischen Willen: Da die Autoren ebenfalls gegen die Moderne und die Postmoderne sind, befinden sie sich tatsächlich in einer Art „post-marxistischem“ Äther7.

Daher kann die Kritik, anstatt die – manchmal offen gesagt wahnwitzigen – Thesen des Buches Punkt für Punkt zu wiederholen, einen anderen Weg einschlagen und sich für die Erforschung der Ursprünge des Feldes entscheiden, in das sie sich einfügen. Dieser Versuch ist umso weniger müßig, als das ideologische Arsenal von Negri und Hardt nach den USA und Europa nun auch Lateinamerika erobert. Unserer Meinung nach kann man Empire nicht verstehen, wenn man nicht zumindest in seinen bedeutendsten Zügen die Stärken und Schwächen des italienischen Operaismus kennt. In längst vergangenen Zeiten leistete diese Strömung einen unbestreitbaren Beitrag zum Wiederaufbau der revolutionären Praxis und des kritischen Denkens. Ihre Interpretation des Marxismus prägte eine Epoche des sozialen Konflikts in Italien, aber es herrscht ziemlich große Verwirrung über ihre tiefere Natur. In der spanischsprachigen Literatur wird beispielsweise vom „marxismo autonomista“ und in der englischsprachigen vom „autonomist marxism“8 gesprochen, Begriffe, die die Idee einer Forderung nach „Autonomie“ der sozialen Bewegungen gegenüber politischen Organisationen und Parteien hervorrufen, was, wenn es nur um Toni Negri und Mario Tronti – die beiden bekanntesten Vertreter dieser Strömung außerhalb Italiens – geht, bei weitem nicht der Wahrheit entspricht.

ES WAR EINMAL DIE ARBEITERKLASSE

Die marxistische Strömung, die in Italien unter dem Namen Operaismus bekannt ist, entstand in den 1960er Jahren rund um die Zeitschriften Quaderni Rossi und Classe Operaia. Zu ihren wichtigsten Mitarbeitern gehörten Raniero Panzieri, Romano Alquati, Mario Tronti, Sergio Bologna, Alberto Asor Rosa, Gianfranco Faina und Antonio Negri selbst9. Zu dieser Zeit erlebte Italien das Ende des Agrarkapitalismus und des ökonomischen Wunders. Es waren die dunklen Jahre des Kalten Krieges und das Land litt unter der doppelten Einmischung der USA und der UdSSR. Hinter einer bedrohlichen Fassade akzeptierte die Kommunistische Partei Italiens bereitwillig die Spielregeln, die ihre ständige Entfernung von der Zentralmacht mit sich brachte, im Austausch für einen (geringen) Anteil an lokaler Macht.

Die dominierende Figur in den sozialen Kämpfen war der Berufsarbeiter, d.h. der Arbeiter, der noch eine gewisse Kontrolle über den Produktionsprozess hat, der über ein großes technisches Wissen verfügt und der sich bewusst ist, dass er den Betrieb besser verwalten kann als der Chef. In diesem Fall handelte es sich um Arbeiter mit einem starken Gedächtnis und einem ausgeprägten antifaschistischen Bewusstsein, die mit Stolz erklärten, „zur Arbeiternation zu gehören“10.

Die Dinge änderten sich bald. Die Landflucht, der industrielle Aufschwung, das Wachstum des Dienstleistungssektors und die Verbreitung des Massenkonsums – all das veränderte die soziale Struktur des Landes grundlegend. Die Existenz von Sektoren mit ungelernten Arbeitern war zwar nichts Neues, aber zu dieser Zeit hatten die Industrien im Norden einen wachsenden Bedarf an billigen Arbeitskräften, um die Entwicklung der Automobil- und Petrochemiebranche voranzutreiben. Die Produktion wurde fragmentiert und mit der Verbreitung des Fließbands entstand eine neue Generation junger Emigranten aus dem Süden, die weder über die politische Kultur noch über die Werte des Widerstands verfügten. Sie befanden sich in einer besonders schwierigen Situation, da die lokale Gesellschaft sie nicht akzeptierte und die Gewerkschaft/Syndikate ihnen misstraute. Dennoch sollten sie bald zu Akteuren wichtiger sozialer Protestbewegungen werden.

Die Reflexion von Quaderni Rossi, deren erste Ausgabe 1961 erschien, war der Analyse dieser neuen und komplexen Realität gewidmet. Die Zeitschrift wurde in Turin herausgegeben, dem Nervenzentrum von Fiat und den neuartigen Formen der Arbeitsorganisation. Ihr Herausgeber, Raniero Panzieri, war ein ehemaliger Führer der Sozialistischen Partei mit luxemburgischen Tendenzen, der Beziehungen zur internationalen nicht-stalinistischen Linken unterhielt. Einige Jahre zuvor hatte er in polemischen Thesen über die Arbeiterkontrolle die Idee einer Arbeiterbasisdemokratie verteidigt und die Auffassung vertreten, dass die Partei, die zunächst als Klasseninstrument gedacht war, zum Selbstzweck wird, ein Instrument für die Wahl von Abgeordneten […] und ein Element der Selbsterhaltung“11.

Panzieri versuchte, den Marxismus von der Kontrolle der politischen Parteien zu emanzipieren und einen „Arbeiterstandpunkt“ anzunehmen, indem er Marx vom Klassenkampf her neu las12. Er konzentrierte sich auf die Planung und interpretierte das Kapital als gesellschaftliche Macht und nicht mehr nur als Privateigentum an Produktionsmitteln. Da der Staat direkt in die Produktion eingriff, war er nicht mehr nur der Garant, sondern auch der Organisator der Ausbeutung. Im vierten Abschnitt von Band I des Kapitals fand er die Begriffe „kapitalistischer Befehl“, „gesellschaftlicher Arbeiter“ (in der spanischen Übersetzung, die ich konsultiert habe, „kollektiver Arbeiter“)13 und „Antagonismus“, die seitdem zu den unverzichtbaren theoretischen Referenzen des Operaismus geworden sind. Darüber hinaus war er einer der ersten, der bis dahin praktisch unbekannte Werke von Marx wie die Grundrisse (insbesondere den Abschnitt über die Maschinerie) und das unveröffentlichte VI. Kapitel des Kapitals untersuchte, indem er das grundlegende Konzept der „Kritik der politischen Ökonomie“ und die Kategorien der „formalen“ und realen Unterwerfung“ der Arbeit unter das Kapital wieder aufgriff14. Während die offizielle Linke sich in der Entwicklungsideologie verhedderte, untersuchte Panzieri die Verflechtung von Technik und Macht, was ihn zu der Idee führte, dass die Eingliederung der Wissenschaft in den Produktionsprozess ein Schlüsselmoment des kapitalistischen Despotismus und der Organisation des Staates ist. Auf diese Weise vollzog Panzieri eine Umkehrung des orthodoxen Marxismus – eine echte kopernikanische Revolution – und ebnete den Weg für die Kritik soziologischer Ideologien, insbesondere der Organisationstheorie, die er als Techniken zur Neutralisierung von Arbeiterkämpfen interpretierte (15). Mehr als andere versuchte dieser früh verstorbene Autor (er starb 1964), ein politisches Denken aufzubauen, das sich vom kommunistischen Denken unterschied, indem er sich vom Schema des „organischen Intellektuellen“ emanzipierte, in dem der Intellektuelle viel weniger ein organischer Ausdruck der Arbeiterklasse als der Partei allein ist.

Eine weitere wichtige Person in dieser frühen Phase des Operaismus war Romano Alquati, der empirische Untersuchungen in den Fabriken durchführte und dabei die Methode der „partizipativen Untersuchung“15 (italienisch: conricerca) anwandte, die eine gleichberechtigte Begegnung zwischen dem Subjekt und dem Objekt der Untersuchung – d.h. zwischen Intellektuellen und Arbeitern – mit dem Ziel einer gemeinsamen Befreiung beinhaltete. Alquati nannte das neue politische Subjekt „Massenarbeiter“ (engl. unskilled worker oder mass production worker): den unqualifizierten, von den Produktionsmitteln völlig getrennten Wanderarbeiter, der dabei war, den Berufsarbeiter zu verdrängen. Der Massenarbeiter war die Umsetzung von drei parallelen Phänomenen: 1) Fordismus, d.h. Massenproduktion und Marktrevolution; 2) Taylorismus, d.h. wissenschaftliche Arbeitsorganisation und Fließband; 3) Keynesianismus, d.h. weit reichende kapitalistische Wohlfahrtsstaatspolitik. All diese Maßnahmen waren die Antwort des Kapitals auf die Arbeiter, die in den 1920er und 1930er Jahren „den Himmel stürmten“.

Die Operaisten waren der Meinung, dass die großen fordistischen Veränderungen in Italien und anderswo bereits abgeschlossen waren und dass die Phase der „Arbeitsverweigerung“ begonnen hatte, d.h. die völlige Entfremdung der Arbeiter von den Produktionsmitteln, die zu Absentismus und einer radikaleren Infragestellung des Ausbeutungsmechanismus führte. Aus dieser Perspektive erschien die Geschichte der Arbeiterklasse wie ein gewaltiger epischer Roman, in dem die großen produktiven Veränderungen von der industriellen Revolution bis zur Automatisierung die allmähliche Verwirklichung des ältesten Traums der Menschheit zu versprechen schienen: sich von der Anstrengung bei der Arbeit zu befreien. Ein solcher Ansatz wich radikal von der Arbeitsethik, dem Steckenpferd der KPI, ab. Laut Sergio Bologna „zermalmte Quaderni Rossi die Hegemonie auf den Pressen von Mirafiori“, was eine Art zu sagen war, dass die Zeitschrift sich von den Gedanken des Parteigründers Antonio Gramsci entfernte16. Meiner Meinung nach war die Beziehung der Operaisten zu Gramsci komplexer als es scheint: Während sie Gramscis Historismus kaum billigten (Tronti und Asor Rosa waren z.B. Schüler von Galvano Della Volpe, einem überzeugten Anti-Gramscianer, gewesen), schätzten sie die Notizen über „Amerikanismus und Fordismus“, in denen Gramsci den Übergang zu neuen Formen kapitalistischer Herrschaft vorausahnte. Wie er verfolgten sie aufmerksam die Veränderungen des amerikanischen Kapitalismus: „In Amerika“, schrieb Gramsci, „hat die Rationalisierung die Notwendigkeit bestimmt, einen neuen Menschentypus zu entwickeln, der dem neuen Typus der Arbeit und des Produktionsprozesses entspricht.“17

Bald waren sich die Operaisten sicher, dass das Phänomen der inneren Emigration dazu tendierte, die alten Ungleichgewichte zwischen Nord und Süd, Gramscis Hauptanliegen, aufzuheben. Und das nicht, weil der italienische Kapitalismus sie beseitigt hatte, sondern im Gegenteil, weil die „Südfrage“ sich auf das ganze Land ausdehnte, insbesondere auf die Fabriken im Norden, wo sich die Wut dieses neuen Proletariats staute.

Eine der Errungenschaften dieser Autoren war die Entwicklung des Konzepts der „Klassenzusammensetzung“. So wie bei Marx die organische Zusammensetzung des Kapitals eine Synthese zwischen technischer Zusammensetzung und Wert ausdrückt, so betont bei den Operaisten die Klassenzusammensetzung die Verbindung zwischen „objektiven“ technischen Merkmalen und „subjektiven“ politischen Merkmalen. Die Synthese beider Aspekte bestimmt das subversive Potenzial der Kämpfe, und das ermöglicht es, die Geschichte in Perioden zu unterteilen, von denen jede durch die Präsenz einer „dynamischen“ Figur gekennzeichnet ist. Jedes Mal reagiert das Kapital auf eine bestimmte Klassenzusammensetzung mit einer Umstrukturierung, auf die eine politische Neuzusammensetzung der Klasse folgt, d.h. das Auftauchen einer neuen dynamischen“ Figur18. Ebenso begünstigen die verschiedenen Ausdrucksformen dieser Neuzusammensetzung eine „Zirkulation der Kämpfe“.

Eine erste Manifestation dieser neuen Zusammensetzung war im Sommer 1960 zu beobachten, als anlässlich eines Parteitags der neofaschistischen Partei, die damals an einer Mitte-Rechts-Regierung beteiligt war, in Genua eine Reihe von gewalttätigen Demonstrationen in dieser und einigen anderen Städten stattfand.

Es gab mehrere Tote, fast alle junge Männer, und die Presse sprach abfällig von einer „Rebellion krimineller Rocker“ (von „Teddy Boys“, wie es damals hieß). In einer Kolumne eines Autors, der dem Operaismus nahesteht, heißt es hingegen: „Die Ereignisse im Juli sind die Klassendemonstration dieser neuen Generation, die im Klima der Nachkriegszeit aufgewachsen ist. […] Eine Generation außerhalb der Parteien“19. 1962 brach die Fiat-Affäre aus. Nach dem Auslaufen der Arbeitsverträge in der Automobilbranche geriet der Konzern in einen schweren Arbeitskonflikt, der zu den gewalttätigen Auseinandersetzungen auf der Piazza Statuto (7., 8. und 9. Juli) in Turin führte. Die offiziellen Gewerkschaften/Syndikate wurden beschuldigt, Müllverträge unterzeichnet zu haben, und wurden von Zehntausenden streikenden Arbeitern ignoriert, die eine regelrechte Stadtrevolte auslösten. Die Polizei konnte die Piazza Statuto erst nach dreitägigen Zusammenstößen und nach Verstärkung aus anderen Städten zurückerobern. Die Protagonisten der Ereignisse waren wieder einmal junge Südländer.

Die KPI bezog sofort Stellung und verurteilte die Aufständischen als „faschistische Provokateure“. Dies war der Beginn einer neuen Etappe in der italienischen Geschichte: In dem Maße, in dem neue Praktiken der Klassenkonfrontation auftauchten, wurde die Distanz zwischen der historischen Linken und den Protestbewegungen immer größer. Die Diskussion innerhalb von Quaderni Rossi war sehr lebhaft und führte 1963 zu einem ersten Bruch. Obwohl sich alle Mitglieder über das revolutionäre Potenzial der neuen Situation einig waren, gab es große Unterschiede in der Frage, welche Haltung man einnehmen sollte. Panzieri war für Vorsicht, während Tronti, Alquati, Negri, Bologna, Asor Rosa und Faina zur Tat schreiten wollten. Im Jahr 1964 gründeten sie Classe Operaia, „eine politische Zeitschrift der kämpfenden Arbeiter“. Die Gruppe wollte nicht nur zur theoretischen Forschung beitragen, sondern auch das Netz von Beziehungen und Kontakten festigen, das in den Jahren zuvor entworfen worden war20.

DIE PARADOXIEN VON MARIO TRONTI

Der von ihrem Direktor Mario Tronti unterzeichnete Leitartikel der ersten Ausgabe von Classe Operaia – „Lenin in England“ – wies den Weg: „Wir sehen eine neue Epoche des Klassenkampfes heraufziehen. Die Arbeiter haben sie den Kapitalisten mit der objektiven Kraft der organisierten Kräfte in den Fabriken aufgezwungen. […] Die Arbeiterklasse führt und erzwingt eine bestimmte Art der Kapitalentwicklung. […] Ein neuer Anfang ist notwendig.“21 Als streitbarer und paradoxer Denker war Tronti überzeugt, dass die jüngste Verschärfung der Arbeiterkämpfe den Weg für eine revolutionäre Umgestaltung ebnete. Aber anstatt wie Panzieri auf die Spontaneität der Massen zu vertrauen, glaubte er eher an die Intervention der Partei. Seine Ideen fanden ihre endgültige Formulierung 1966 mit der Veröffentlichung von Operai e Capitale, einem Buch voller brillanter Einsichten und suggestiver Bilder, das den Glanz und das Elend der zweiten Phase des Operaismus zusammenfasste. Während sich Neomarxisten anderswo in endlosen Diskussionen über Krisentheorien und den Zusammenbruch des Kapitalismus aufgrund seiner eigenen Widersprüche verloren, bekräftigte Tronti die politische Zentralität der Arbeiterklasse, betonte den subjektiven Faktor und schlug eine dynamische Analyse der Klassenbeziehungen vor. Die Fabrik war nicht mehr der Ort der kapitalistischen Herrschaft, sondern der Kern des antagonistischen Konflikts. Sein Ansatz widersprach der reformistischen Tradition: Der Kampf um den Lohn wurde als ein unmittelbar revolutionärer Kampf betrachtet, sobald es gelang, die Macht des Kapitals zu beugen. Die Krise wurde nicht mehr als Produkt abstrakter innerer Widersprüche verstanden, sondern als Ergebnis der Fähigkeit der Arbeiter, dem Kapital Einkommen abzutrotzen. Trontis Rede konzentrierte sich auf Trends, was in Zukunft eine Konstante im operaistischen Denken sein sollte: Es ging darum, ein theoretisches Modell zu konstruieren, das es ermöglichen würde, den Lauf der Dinge vorwegzunehmen. Deshalb musste man „Marx in Detroit“ setzen, d.h. die Verhaltensweisen des Proletariats in dem am weitesten fortgeschrittenen Land untersuchen, wo der Konflikt in seiner reinsten Form auftauchte.

Eine solche Herangehensweise mag verlockend erscheinen, aber die praktischen Vorschläge, die man daraus ableitete, waren ehrlich gesagt enttäuschend: „Die Organisationstradition der amerikanischen Arbeiterklasse ist die politischste der Welt, weil die Stärke ihrer Kämpfe die ökonomische Niederlage des Gegners ankündigt und sie nicht der Eroberung der Macht näher bringt, um eine andere Gesellschaft in einem Vakuum aufzubauen, sondern der Explosion der Lohnarbeit, um das Kapital und die Kapitalisten auf eine untergeordnete Position in derselben Gesellschaft zu reduzieren“22. Niederlage des Gegners? In den Vereinigten Staaten? Nein, sagte Tronti: „Der reine gewerkschaftliche/syndikalistische Kampf kann uns nicht aus dem System herausführen […], wir brauchen eine Organisation vom leninistischen Typ“23.

Interessanter war dagegen die Analyse der Beziehung zwischen Fabrik und Gesellschaft: „Auf der höchsten Stufe der kapitalistischen Entwicklung wird die gesamte Gesellschaft zu einem Gelenk der Produktion. Mit anderen Worten: Die ganze Gesellschaft lebt in Abhängigkeit von der Fabrik, und die Fabrik dehnt ihre Herrschaft auf die ganze Gesellschaft aus.“24 Gegen die Interpretation, dass die Ausweitung des tertiären Sektors eine Schwächung der Arbeiterklasse bedeute, argumentierte Tronti, dass mit der Verallgemeinerung der Lohnabhängigen eine immer größere Zahl von Menschen proletarisiert werde, was den Antagonismus nur vergrößere, statt ihn zu verringern. Obwohl Operai e Capitale zu einer Pflichtlektüre für 68er Militante geworden ist, ist es merkwürdig, dass der Autor dieses Buches nie aus der KPI ausgetreten ist und bis heute Mitglied der postkommunistischen PDS ist. Mehr noch: Vor kurzem erklärte Tronti, dass die linke Interpretation seines Buches das Ergebnis eines Irrtums gewesen sei. „Ich war nie ein Spontaneist. Ich war immer der Meinung, dass das politische Bewusstsein von außen kommen muss.“25

Unabhängig von den Ansichten, die Tronti heute vertritt, ist es jedoch offensichtlich, dass er und die Operaisten in den 1960er Jahren eine Front gegen die national-populäre Tradition der italienischen Linken eröffneten, die nicht nur die Politik, sondern auch die Kultur (Philosophie, Literatur, Film und Geisteswissenschaften) umfasste, und dass sie eine erste Antwort auf die Theorien der „totalen Herrschaft“ gaben, die von allen, auch von der kritischen Linken, akzeptiert wurden. Was in Operai e Capitale am aktuellsten erscheint, ist sicherlich die Kritik am technisch-produktivistischen Logos, sowohl am marxistischen als auch am liberalen, und an der – bereits bei Panzieri vorhandenen – Idee, dass das Wissen mit dem Kampf verbunden ist, dass es nicht neutral, sondern parteilich ist.26

Trontis Buch bleibt ein ernsthafter Versuch, den Marxismus zu erneuern, auch wenn er zu nichts geführt hat27. Sein „Subjektivismus“ war Ausdruck einer Rebellion gegen den Objektivismus des Vulgärmarxismus, einschließlich der Frankfurter Schule, wenn man von Marcuse absieht. Tronti erkannte das „Projekt“ des Kapitals, die Gesellschaft in ihrer Gesamtheit zu kontrollieren, aber im Gegensatz zu Adorno interpretierte er es als eine Strategie, um den Arbeiterprotest einzudämmen28. Dieser Subjektivismus war gleichzeitig die Quelle vieler Irrtümer, von denen der schwerwiegendste darin bestand, dass er davon ausging, dass die Logik der kapitalistischen Entwicklung nicht auf der Extraktion von Profit, sondern auf der Kampfkraft der Arbeiter beruhte. Ein solcher Ansatz entfernte ihn von Panzieri und dem frühen Operaismus, der Kapital und Arbeiterklasse als zwei antagonistische, gleichermaßen „objektive“ Realitäten begriff. Panzieri beging zudem nicht den Fehler, zu glauben, dass Lohnerhöhungen einen Systembruch herbeiführen könnten29.

Ohne um jeden Preis einen „wahren“ Marxismus beanspruchen zu wollen, scheint es offensichtlich, dass Trontis Ansatz auf einer partiellen Lektüre von Marx und, mehr noch, auf einer groben Vereinfachung der Realität beruht. Es ist zwar richtig, dass Marx schrieb, dass der Klassenkampf der Motor der Geschichte ist, aber seine Analyse konzentriert sich auf die soziale Beziehung zwischen zwei widersprüchlichen Polen: auf der einen Seite das Kapital als gesellschaftliche Macht, „tote“ Arbeit, reine Objektivität, Weltgeist, und auf der anderen Seite die „lebendige“ Arbeit, die Arbeiterklasse, die Teil und Grundlage der Beziehung ist, aber gleichzeitig ihre Negation begründet. Der Ursprung des Widerspruchs liegt in der Doppelnatur der Arbeiterarbeit, die sowohl abstrakte Arbeit, die Mehrwert produziert, als auch konkrete Arbeit, die Gebrauchswerte produziert, ist. Das Problem – so fügte er hinzu – besteht darin, dass „der Wert nicht auf seiner Stirn eingeschrieben trägt, was er ist“30. Marx zufolge können die Antinomien zwischen „Subjektivismus“ und „Objektivismus“ nicht in der Theorie, sondern in der Praxis gelöst werden31, da nur die Schaffung einer neuen Produktionsweise – die berühmte Negation der Negation oder Enteignung der Expropriateure – dies bewirken kann.

Bei Tronti hingegen gibt es sehr wohl eine Hypostasierung des subjektiven Pols: „das Kapital als Funktion der Arbeiterklasse“32. Dies führte dazu, dass er die Arbeiterklasse zur ontologischen Grundlage der Realität machte. Subjektivität war nicht mehr die konkrete Kraft bewusster Individuen, die sich organisieren, um die Welt zu verändern, sondern – für Tronti – eine einfache hermeneutische Kategorie für das Verständnis des Kapitalismus. Was das Negative betrifft, so hatte es sich in Rauch aufgelöst.

Es sollte erwähnt werden, dass fast vierzig Jahre später das gleiche Schema in Empire ständig am Werk ist. Hier wird der extreme Subjektivismus, das Lesen der Geschichte aus der „Arbeiter-Macht“ heraus, zum reinen Delirium: „Von der Manufaktur bis zur Großindustrie, vom Finanzkapital bis zur transnationalen Umstrukturierung und der Globalisierung des Marktes sind es immer die Initiativen der organisierten Arbeiterschaft, die die Konfigurationen der kapitalistischen Entwicklung bestimmen.“ Oder: „Damit kommen wir zu dem heiklen Übergang, durch den die Subjektivität des Klassenkampfes den Imperialismus in ein Empire verwandelt.“ Deshalb ist es notwendig, „den globalen Charakter des proletarischen Klassenkampfes und seine Fähigkeit zu verstehen, die Entwicklungen des Kapitals hin zur Verwirklichung des Weltmarktes vorwegzunehmen und zu präfigurieren“33. In dieser und vielen ähnlichen Passagen verblasst die Arbeiter-Kapital-Dialektik – diese „Grammatik der Revolution“, wie Alexander Herzen es so schön formulierte – in der Apologie einer widerspruchsfreien Gegenwart.

Wenn die Arbeiter schon jetzt so stark und mächtig sind, warum sollten sie dann die Revolution machen?

BRÜCHE

Die Hauptfunktion von Classe Operaia bestand wahrscheinlich darin, die verschiedenen lokalen Gruppen, die sich an verschiedenen Orten des Landes mit der Arbeiterfrage befassten, zusammenzubringen. Die Gruppe hatte jedoch nur ein kurzes Leben, da sie 1966 sabotiert wurde34. Und warum? Bei einem Treffen in Florenz gegen Ende 1966 stellten Tronti, Asor Rosa und Negri selbst die Frage nach der Dringlichkeit einer politischen Wende. Das zentrale Thema war die Beziehung zwischen Klasse und Partei: Die Klasse verkörperte die Strategie und die Partei die Taktik. Es gab jedoch ein Problem: Während erstere sich der vor ihr liegenden Abrissarbeit sehr bewusst war, war letztere dabei, die Orientierung zu verlieren. Anstatt Öl in das Feuer der Arbeiterproteste zu gießen, musste man unter diesen Umständen in den Gewerkschaften/Syndikate und vor allem in der KPI Entrismus betreiben. Die Idee war, eine Art Arbeiterführung zu bilden, um sie als „Keil“ (so der Ausdruck) in die Partei zu bringen und dadurch das innere Gleichgewicht der Partei zu verändern35.

Es muss erwähnt werden, dass der Operaismus bis dahin ein kollektives Laboratorium gewesen war, eine Art informelles Netzwerk von Intellektuellen, Gewerkschaftern/Syndikalisten, Studenten und Revolutionären verschiedener Richtungen, die alle eine antibürokratische Sensibilität und die Entdeckung einer neuen Welt der kämpfenden Arbeiter gemeinsam hatten. Mit Ausnahme von Tronti hatte sich niemand offen mit der Frage des Leninismus auseinandergesetzt. Man akzeptierte den Lenin, der die Konvergenz von Ökonomie, politischer Krise und der Tendenz der Arbeiter zur Autonomie verstanden hatte, aber die Frage der Partei wurde nicht angegangen.

Eine libertäre Minderheit, die von Gianfranco Faina, Ricardo d’Este und anderen Militanten aus Genua und Turin gebildet wurde, akzeptierte diese Entscheidung für den Entrismus nicht. Der Operaismus, wie sie ihn verstanden, basierte auf der Idee, dass sich subversive Kräfte außerhalb der Logik der offiziellen Parteien und Gewerkschaften/Syndikate zusammenfinden. Sie fanden ihre Inspiration im Rätekommunismus36, bei den spanischen Anarchisten und bei Amadeo Bordiga37. In den folgenden Jahren teilten sie die libertären Positionen der Gruppe Socialisme ou Barbarie und der Situationistischen Internationale und brachen endgültig mit allen Ansprüchen, die Bewegung zu „führen“38. Eine andere Tendenz, die von Sergio Bologna angeführt wurde, versuchte, am ursprünglichen Operaismus festzuhalten, indem sie zu ihrer mühvollen Kleinarbeit bei Fiat und in einigen Fabriken in der Lombardei zurückkehrte39. So kam es nicht zu der angekündigten Wende und Tronti musste zugeben, dass es nicht gelungen war, „den tugendhaften Kreislauf von Kampf, Organisation [nicht Selbstorganisation, Anm. d. Ü.] und Besitz des politischen Terrains zu verwirklichen“40.

Zur gleichen Zeit erschwerten wichtige Ereignisse den Plan, die KPI zum Operaismus zu bekehren41. 1968 begann die soziale Temperatur in Italien auf ein besorgniserregendes Niveau zu steigen. Neue und immer intensivere kulturelle Fermente begannen sich auszubreiten. Die nationalen Probleme vermischten sich mit der internationalen Situation der späten 1960er Jahre (Proteste gegen den Vietnamkrieg, Black Panthers usw.) und leiteten eine Zeit großer Veränderungen ein. Die ersten, die sich in Bewegung setzten, waren die Studenten, die die wichtigsten Universitäten des Landes besetzten: Trient, Mailand, Turin und Rom. Sie begannen damit, den Autoritarismus der Universitäten in Frage zu stellen, und endeten mit Kritik am Kapitalismus, am Staat, am Vaterland, an der Religion, an der Familie etc. Sie zeigten eine besondere Verachtung für die linken Parteien, die sie beschuldigten, zu einem fundamentalen Zahnrad des Regimes geworden zu sein. Ende 1968 und vor allem 1969, als sich die Proteste der Arbeiter verschärften, geriet das System in eine Krise. Der große soziale Bruch, der anderswo in wenigen Monaten verpufft war, erstreckte sich in Italien über fast zehn Jahre, und darin liegt zweifellos die Einzigartigkeit dieser Bewegung. Es versteht sich von selbst, dass diese Explosion der Radikalität die kühnsten operaistischen Hypothesen legitimierte. Die „Strategie der Verweigerung“ war im Begriff, sich zu verwirklichen. Tronti sagte jedoch, dass dies nicht die Geburt einer neuen Epoche sei, sondern vielmehr der letzte und verzweifeltste Ausbruch eines Zyklus von Kämpfen, der sich seinem Ende näherte.

Heute kann man in diesem Pessimismus unbestreitbare Wahrheiten erkennen, aber damals schien alles noch in der Schwebe zu sein. Plötzlich verlieh Tronti dem Staat Attribute, die alles, was er bis dahin geschrieben hatte, negierten. Es gibt keine „Autonomie, keine Selbstversorgung, keine Selbstreproduktion der Krise außerhalb des Systems der politischen Vermittlung der sozialen Widersprüche“ mehr, präzisierte er. In eine klarere Sprache übersetzt bedeutete dies, dass der ökonomische Kampf nicht mehr politisch sein konnte und dass die Arbeiterklasse, die bis dahin als antagonistische Kraft betrachtet worden war, zur einzigen Rationalität des modernen Staates“42 wurde. In Wirklichkeit war die Utopie in Trontis Augen am Ende, und das wollte er mit dem Begriff der „Autonomie der Politik“ ausdrücken, einer Ideologie, die ein kurzes Leben hatte, obwohl sie die Entwicklung eines Teils der Operaisten – des Literaturkritikers Alberto Asor Rosa oder des jungen Germanisten Massimo Cacciari – hin zum Akademismus und zur KPI begleitete, wo sie als reuige Reueempfänger aufgenommen wurden. Der Glaube an die Existenz einer „reinen“ politischen Sphäre innerhalb des Staates diente anderen als Rechtfertigung, um einen langen Marsch durch die Institutionen anzutreten.

Innerhalb der KPI gab es eine (kurze) Debatte darüber, ob man den Tiger der Bewegung reiten sollte, aber am Ende setzten sich die konservativsten Positionen durch, so dass die Manifesto-Gruppe (Rossanda, Pintor, Magri) ausgeschlossen wurde. So endete auf wenig ruhmreiche Weise der Weg eines Sektors der „autonomen Marxisten“. Die Mehrheit der anderen, darunter Antonio Negri, sah in der neuen Situation die Möglichkeit, eine revolutionäre Politik außerhalb und sogar gegen die linken Parteien zu betreiben. 1969 gab es eine Vielzahl von linksextremen Gruppen und Grüppchen, die alle das Ziel verfolgten, die bolschewistische Strategie – in ihren verschiedenen Versionen: leninistisch, trotzkistisch, stalinistisch und maoistisch – in Italien nachzuahmen, indem sie eine reine und harte Partei gründeten, die die Macht übernehmen sollte. Die Operaisten gründeten Potere Operaio und Lotta Continua, die sich ebenfalls im Umfeld des Marxismus-Leninismus bewegten, obwohl sie keine besondere Sympathie für das sowjetische oder – zugegebenermaßen – das chinesische Modell zeigten.

Während das Projekt unwirklich war, waren die Konflikte echt, und als die subversiven Gruppen an Boden gewannen, wurde der Staat immer aggressiver. Das Ende war die „Strategie der Spannung“, eine Reihe von Anschlägen und Morden, die der italienische Geheimdienst zwischen 1969 und 1980 mit der Komplizenschaft der jeweiligen Regierungen verübte. Es besteht in der Tat nicht der geringste Zweifel daran – und es gibt Dutzende von Dokumenten, die dies belegen -, dass der Terrorismus in Italien zunächst eine Domäne des Staates selbst und nicht der linksextremen Bewegungen war43.

Da die Geschichte dieser tragischen Ereignisse außerhalb der Ziele dieser Studie liegt44, möchte ich hier nur auf die folgenden drei Punkte hinweisen: 1) Indem die KPI 1974 die Strategie des historischen Kompromisses annahm – die für die Kommunisten darauf abzielte, durch ein strategisches Bündnis mit den Christdemokraten in die Regierung einzutreten -, rückte sie noch weiter nach rechts und trug damit zur Legitimierung der Kriminalisierung jeglicher abweichender Meinung bei ; 2) diese Entwicklung sowie die staatlichen Massaker überzeugten schließlich eine große Zahl von Militanten davon, dass der einzig gangbare Weg der militärische sei und dass eine vertikal strukturierte, hierarchische und klandestine Partei notwendig sei; 3) der bewaffnete Kampf war ein Fehler mit unkalkulierbaren Folgen, der die Bewegung in eine blutige – und zum Scheitern verurteilte – Konfrontation mit dem Staat führte.

DIE MISSGESCHICKE DES SOZIALEN ARBEITERS

Vor diesem Hintergrund müssen wir das Denken desjenigen analysieren, der die Nachfolge des Operaismus antrat: Antonio Negri. Er hat seinen Werdegang oft selbst erzählt. Er stammte aus einer einfachen Familie und studierte an der Universität Padua, wo er über den deutschen Historismus promovierte, bevor er seine Studien in Deutschland und Frankreich ausdehnte. Er verfolgte eine erfolgreiche akademische Karriere und veröffentlichte etwa 20 Bücher sowie eine beeindruckende Anzahl von Artikeln in Zeitschriften auf der ganzen Welt. Ab Ende der 1950er Jahre und neben seiner Lehrtätigkeit engagierte er sich politisch, zunächst in katholischen Sektoren, dann in der Sozialistischen Partei und schließlich in der Bewegung der Operaisten45.

In der ersten Phase bis hin zu Classe Operaia war Negris Beitrag nicht entscheidend, aber mit der Gründung von Potere Operaio wurde er zum entscheidenden Faktor. Die Gruppe entstand im Sommer 1969 vor dem Hintergrund einer Krise der Studentenbewegung, deren Ursache aus marxistisch-leninistischer Sicht darin bestand, dass die Studentenrevolten nur dann einen Sinn hatten, wenn sie einer „Arbeiterhegemonie“, d.h. der Linie der Organisation, untergeordnet waren. In diesem Sinne war es dringend notwendig, eine politische Führung aufzubauen, die sie in diese Richtung lenken konnte. Negri impulsierte die Idee, eine zentralisierte, „unterteilte“ und vertikale Partei aufzubauen. „Unsere Analyse stützt sich auf die Werke der Klassiker, Marx, Lenin und Mao. In unserer Organisation gibt es keinen Platz für Stimmungen oder Wünschen“, schrieb er in einem Text, der kaum „autonomistische“ Interpretationen zulässt46.

Im Gegensatz zu Lotta Continua (LC), einer eher aktivistischen Gruppe, legte Potere Operaio (PO) Wert auf die theoretische Entwicklung, die sich um eine extremistische Interpretation des ursprünglichen Operaismus drehte. Die Subjektivität lag nicht mehr in der Klasse, sondern in der kommunistischen Avantgarde, d.h. in der PO-Gruppe. Daher war es angebracht, die spontanen Antagonismen zu zentralisieren und zu radikalisieren, um sie in eine aufständische Aktion gegen den Staat umzuwandeln. Wieder einmal scheiterte dieser Versuch. Der Anfang der 1970er Jahre begonnene Zyklus von Kämpfen trat in seine schwächste Phase ein, und einer seiner letzten Ausdrucksformen war die Besetzung des Fiat-Werks Mirafiori (in Turin), die im März 1973 die Zeit der großen Auseinandersetzungen zwischen Arbeitern und Kapital beendete. Eines der Vermächtnisse dieses Kampfes war das Statut der Arbeiter, eine Reihe von günstigen Bestimmungen für die Arbeitswelt, die heute zu einer leeren Hülle geworden sind.

Während des späten Jahrzehnts hielten die sozialen Konflikte an, aber ihr Gravitationszentrum lag nicht mehr in den Fabriken. Während die wichtigsten außerparlamentarischen Gruppierungen in eine Krise gerieten (PO löste sich 1973 auf und LC 1976), entstand eine Konstellation von kleinen Gruppen unter dem Motto „Lasst uns die Stadt erobern“. Einige dieser Gruppen nannten sich „Großstadtindianer“ oder „Jugendproletariat“. Sie besetzten Gebäude, bildeten soziale Zentren, gründeten Zeitschriften, brachten alternative Kommunikationsprojekte auf den Weg und gründeten feministische und ökologische Vereinigungen.

Mit einer militanten Basis sowohl in den Fabriken als auch in den Stadtvierteln begannen diese Gruppen, sich von den alten Vorstellungen einer separaten Partei und des leninistischen Dirigismus zu verabschieden und nach Alternativen in der Organisation von Räumen der Koexistenz und des sozialen Austauschs zu suchen, die von der herrschenden Legalität autonom waren. Um ihre politische Unabhängigkeit hervorzuheben, verwendeten sie Kürzel, in denen das Wort „autonom“ vorkam – z. B. „Autonome Proletarier“ oder „Autonome Vollversammlung“ -, so dass sie allmählich als „Zone der Arbeiterautonomie“47 identifiziert wurden.

Negri interpretierte die neue Phase mit einem militanten Triumphalismus, der das extreme Gegenteil von Trontis Pessimismus (und seiner „Autonomie des Politischen“) war. Für ihn gab es kein Zurück mehr: Die Ablehnung der tayloristischen Arbeit hatte die Mauern, die die Fabrik vom Territorium trennten, niedergerissen. Der gesamte soziale Prozess wurde nun für die kapitalistische Produktion mobilisiert, was die Bedeutung der produktiven Arbeit erhöhte. In dieser neuen Situation verließ der Massenarbeiter die Fabrik, um sich in das Territorium, die diffuse Fabrik, zu bewegen und zum sozialen Arbeiter zu werden, dem neuen Subjekt, dessen Zentralität unser Autor zu verkünden begann. Techniker, Studenten, Lehrer, Arbeiter, Emigranten und Hausbesetzer landeten alle im selben Sack, ohne dass Negri ihren Unterschieden, Besonderheiten und Widersprüchen auch nur die geringste Aufmerksamkeit schenkte.

In seinem Bemühen, die Marxschen Kategorien umzukehren (italienisch: rovesciare), führte er die Kategorie der Selbstverwertung in seine Analyse ein (dieselbe Kategorie, die ein Vierteljahrhundert später ohne weitere Erklärungen in Empire wieder auftauchen sollte)48. Worum handelt es sich dabei? Während die kapitalistische Verwertung auf dem Tauschwert beruht, soll die Selbstverwertung – der Dreh- und Angelpunkt von Negris Theoriegebäude – auf dem Gebrauchswert und den neuen Bedürfnissen der Proletarier beruhen. Durch die Verallgemeinerung der Selbstverwertungspraktiken auf dem gesamten Territorium – der diffusen Fabrik – sollte der soziale Arbeiter von nun an für den „garantierten Lohn“ kämpfen.

Von da an verlagerte sich bei Negri der Kern des Konflikts (und damit auch der Analyse) auf den Staat. Er war der Meinung, dass der keynesianische Staat – den er Planstaat nannte – die Errungenschaften der Oktoberrevolution in das Herz der kapitalistischen Entwicklung eingeschrieben hatte, indem er die „Arbeitermacht“ in eine „unabhängige Variable“ verwandelte. Für ihn fand der Hauptkampf nun auf dem Gebiet der Selbstverwertung statt, und da es keine Reproduktion des Kapitals außerhalb des Staates mehr gab, hörte die „Zivilgesellschaft“ auf zu existieren und ließ zwei große Gegner allein, die sich gegenüberstanden: die Proletarier und den Staat49.

Trotz ihrer scheinbaren Schlüssigkeit ging diese Argumentation von einer falschen Interpretation des marxistischen Wertbegriffs aus. Für Negri drückte der Gebrauchswert die Radikalität der Arbeiter, ihre subjektive Potentialität, als antagonistisch zum Tauschwert aus. Er war gewissermaßen die „gute“ Seite der Beziehung. Doch wenn man den Standpunkt der Kritik der politischen Ökonomie einnimmt, ergibt ein solcher Ansatz keinen Sinn, denn wie Marx im ersten Kapitel von Band I des Kapitals erklärte, ist der Gebrauchswert keineswegs eine moralische Kategorie, sondern die materielle Grundlage des kapitalistischen Reichtums, die Bedingung für seine Akkumulation.

Wenn sich die Gebrauchswerte zu irgendeinem Zeitpunkt des Zirkulationsprozesses nicht in Tauschwerte verwandeln, hören sie auf, Werte zu sein, und in diesem Sinne begrenzen und bedingen sie den Verwertungsprozess.

Eine von Negris Quellen war Agnes Heller, eine der bekanntesten Exponentinnen der Budapester Schule, die das Konzept der radikalen Bedürfnisse in den Mittelpunkt ihrer Auseinandersetzung mit Marx gestellt hatte. Sie hütete sich jedoch davor, in eine Apologie der unmittelbaren Bedürfnisse zu verfallen. „Das ökonomische Bedürfnis“, schrieb sie, „ist ein Ausdruck der kapitalistischen Entfremdung in einer Gesellschaft, in der der Zweck der Produktion nicht die Befriedigung der Bedürfnisse, sondern die Verwertung des Kapitals ist, in der das System der Bedürfnisse auf der Arbeitsteilung und der Nachfrage des Marktes beruht.“50 Negri hingegen vermied die Apologie nicht und entfernte sich damit vom kritischen Marxismus, wobei er vergaß, dass man eine entfremdete Welt nicht auf eine entfremdete Weise bekämpfen kann. Autonomie kann sich zudem nicht unter den unmittelbaren Bedingungen der Klasse ausdrücken. Unter der Herrschaft des Kapitals ist Autonomie ein Projekt, eine Tendenz oder, genauer gesagt, eine Spannung. Sie kann sich nur in Momenten des Bruchs, in entkolonialisierten Räumen, als praktische Realität konstituieren. Wenn diese praktische Realität sozialisiert wird, dann kommen die großen Momente der Krise der Verwaltung, wie in Frankreich 1968 oder in Italien 1977. Im Gegensatz zu Negri ist der Kommunismus nicht das „dynamische konstitutive Element des Kapitalismus“51, sondern eine andere Gesellschaft ohne antagonistische Klassengegensätze, ohne Staatsmacht und ohne merkantilen Fetischismus.

Was ist mit der Partei? „In meinem revolutionären Bewusstsein und meiner revolutionären Praxis kann ich dieses Problem nicht ignorieren“, schrieb der Mann, der sich selbst als der italienische Lenin sah, und erklärte, dass es „dringend notwendig sei, die Debatte über die kommunistische Diktatur zu beginnen“52. Die Partei blieb in der Tat eine ungelöste Aufgabe, obwohl sie bereits in Ansätzen existierte, zusammen mit der Organisierten Autonomie (mit Großbuchstaben, um sie von der anderen Autonomie zu unterscheiden), d.h. der Gesamtheit der halbklandestinen Organisationen und ihrer militarisierten Ordnungsdienste, die, angetrieben durch die staatliche Repression, den Klassenkampf mit der Absicht praktizierten, den Antagonismus der Massen in Erwartung des Endkampfes zu „filtern“ und neu „zusammenzusetzen“.53

Das Ergebnis war katastrophal. Der Traum von der Machtergreifung scheiterte schnell an den Klippen der Realität. Ab 1977, der letzten großen kreativen Saison des „Italien-Labors“, bildete die KP eine Einheitsfront mit den herrschenden Christdemokraten. Die Repression trat in eine neue Phase ein und zerschlug alles, was jenseits der parlamentarischen Linken lag, und hob den Unterschied zwischen Terrorismus und sozialem Protest auf.

Jeder für sich und oft in Konkurrenz zueinander setzten die Organisierte Autonomie – oder vielmehr einige ihrer Organisationen54 – und die neostalinistischen Roten Brigaden ihren absurden Angriff auf das „Herz des Staates“ (als ob der Staat ein Herz hätte!) fort und rissen das reiche und komplexe Gewebe der Autonomie mit einem kleinen „a“55 mit in den Ruin.

Noch 1978, anlässlich der Hinrichtung von Aldo Moro durch die Roten Brigaden (einer der schlimmsten Fehler mit den meisten negativen Folgen, die je von einer revolutionären Gruppe begangen wurden), konnte Negri, obwohl er seine Ablehnung zum Ausdruck brachte, schreiben, dass die positive Seite der Aktion darin bestand, dass sie der Bewegung die „Frage der Partei“ auferlegt hatte56. Am 7. April 1979 endete die Halluzination auf tragische Weise, als Negri und Dutzende von Militanten der Autonomie unter der (falschen) Anschuldigung, Ideologen der Roten Brigaden zu sein, inhaftiert wurden. Sie sollten zwischen zwei und sieben Jahren im Gefängnis verbringen, von der Kleingeistigkeit der Machthaber als würdige Opfer bezeichnet, die auf dem Altar des sozialen Friedens geopfert werden sollten57. 1980 markierte der letzte Versuch, die Mirafiori-Fabrik zu besetzen, das symbolische Ende eines langen Zyklus sozialer Konflikte, in dem – einzigartig in der europäischen Geschichte – die Kämpfe der Arbeiter und Studenten sowie die Bewegungen für die Neuerfindung des Lebens sich gemeinsam in einem gewaltigen Versuch der kollektiven Befreiung entwickelt hatten58.

DIE HELDENTATEN DER MULTITUDE

In den folgenden zwei Jahrzehnten gab Negri die Gewohnheit, soziale Bewegungen als Verifizierung seiner Thesen zu lesen, nicht auf und schrieb zahlreiche (und kryptische) Bücher, ohne jemals auch nur den Hauch einer Selbstkritik zu skizzieren.

Von Foucault, Deleuze und Guattari hat unser Autor eine starke Abneigung gegen die Dialektik geerbt59. Bereits in seiner Studie über die Grundrisse, die das Ergebnis eines Seminars in Paris war, schrieb er, dass „der methodische Horizont von Marx sich niemals auf den Begriff der Totalität konzentriert“. Stattdessen ist er „durch die materialistische Diskontinuität der realen Prozesse gekennzeichnet“, so dass der Materialismus die Dialektik sich selbst unterordnet60.

Negri sieht die kapitalistische Gesellschaft als ein Feld von Kräften, die sich in einem ständigen Kampf befinden. Im Unterschied zu den französischen Poststrukturalisten glaubt er jedoch, dass die treibende Kraft hinter den sozialen Prozessen die Trennung oder, anders ausgedrückt, der soziale Antagonismus ist. Es ist die Aufgabe der Reflexion, den entscheidenden Antagonismus zu identifizieren, seine Tendenzen zu erforschen und ihn zur Explosion zu bringen. Unmittelbar danach bewegt sich die Analyse zu einem neuen Feld, definiert es neu und so weiter61. Das Kapital wird nicht mehr als prozessierender Widerspruch (Marx), sondern als progressive Affirmation eines im Voraus bekannten Subjekts begriffen.

In Spinoza, die wilde Anomalie, das Negri im Gefängnis schrieb, präzisierte er nach und nach sein Projekt: an der materiellen Konstitution der radikalen Subjektivität im Westen zu arbeiten, indem er die Kluft zwischen den Philosophien der Macht und denen der Subversion aufreißt. Um Spinoza herum sah er eine „anomale“ Tradition sich verdichten, die die Produktivität des Subjekts bejaht und von Machiavelli bis Marx reicht, gegen die Achse, die durch die Triade Hobbes-Rousseau-Hegel verkörpert wird62. Negri fand in Spinoza eine vorweggenommene Kritik der Hegelschen Dialektik und die Geburt des revolutionären Materialismus. So dass Negri der stalinistischen Erfindung des Diamat einen neuen ontologischen Horizont entgegenstellt, der sich auf die spinozistische Kategorie der Macht stützt. Dieser Ansatz ignoriert die Kritik am sowjetischen Marxismus, die fünfzig Jahre zuvor von linken Kommunisten geäußert wurde, nämlich dass der Marxsche Materialismus weder eine Philosophie noch eine Ökonomie ist, sondern die revolutionäre Theorie des kämpfenden Proletariats. Die dialektische Bewegung war für die Linksradikalen nie Ausdruck eines universellen Geschichtsgesetzes und schon gar nicht einer Wissenschaft, sondern „der spezifischen Logik eines spezifischen Objekts“, des Kapitalismus, eines undurchsichtigen Gesellschaftssystems, das auf Fetischismus“63 beruht.

In seinem Buch über Spinoza taucht bei Negri zum ersten Mal der Begriff der Multitude auf, mit anderen Worten, das neue globale Subjekt, das nach und nach den sozialen Arbeiter verdrängen und ihn fast zwanzig Jahre später in den unbestreitbaren Helden des Empire verwandeln wird64. Woher kommt diese mit großem Getöse angekündigte Multitude65? An der Schwelle zur Moderne nannten Hobbes und die Philosophen der Souveränität die Gesamtheit der Menschen so, bevor sie zum Volk wurde66. Die Menge war für sie jedoch etwas rein Negatives, das sich auf eine undifferenzierte und wilde menschliche Gesamtheit bezog, die noch nicht in einem Staat organisiert war. Negri kehrt das Konzept um und nimmt es als unverzichtbare Grundlage für eine radikale Demokratie67. Die zeitgenössische Multitude wäre die Form der sozialen und politischen Existenz der „Mehreren“, des „offenen Ensembles“, das sich als Alternative zur Konstellation Volk-Generalwille-Staat aufbaut.

Während das Volk zu Identität und Homogenität tendiert, erklärt Negri, würde die Multitude auf jenes Jenseits der Nation verweisen, das angesichts der Krise des Staates das pluralistische Subjekt einer neuen, offenen, einschließenden und postmodernen verfassungsgebenden Gewalt wäre68.

Hier stellt sich eine Frage: Wie geht unser Autor das Problem des Sprungs vom 17. Jahrhundert in die Gegenwart an? Und, konkreter, wie kommt man vom sozialen Arbeiter zur Multitude? Negri stellt sich diese Frage nicht. Stattdessen versucht er, seinem neuen Werk soziologische Substanz und Tiefe zu verleihen, indem er sich einerseits auf Marx und andererseits auf die umfangreiche Literatur stützt, die mit der Computerrevolution einhergeht.

Mit der Krise des Fordismus, so Negri, verlor die industrielle Arbeiterklasse ihre zentrale Position in der Gesellschaft. Ein beträchtlicher Teil der Arbeitskräfte ist heute mit immaterieller Arbeit beschäftigt, d.h. mit Tätigkeiten, die sich mit der Handhabung von Zeichen, technisch-wissenschaftlichem Wissen, Nachrichten und Kommunikationsflüssen befassen69. Nach und nach, so Negri, tendiert das Element des akkumulierten menschlichen Wissens dazu, die Oberhand zu gewinnen.

Es gibt nichts gegen diese Behauptungen einzuwenden, die sich auf das berühmte Maschinenfragment der Grundrisse stützen, wo Marx feststellt, dass mit der Entwicklung der Großindustrie die Schaffung von Reichtum „selbst wieder in keinem Verhältnis steht zur unmittelbaren Arbeitszeit, die ihre Produktion kostet, sondern vielmehr abhängt vom aügemeinen Stand der Wissenschaft und dem Fortschritt der Technologie, oder der Anwendung dieser Wissenschaft auf die Produktion.“70 Marx fügte hinzu: „Sobald die Arbeit in ihrer unmittelbaren Form aufhört, die Hauptquelle des Reichtums zu sein, hört die Arbeitszeit auf, ihr Maß zu sein, und muss aufhören, es zu sein; folglich hört der Tauschwert auf, das Maß des Gebrauchswerts zu sein. Die Mehrarbeit der Masse hat aufgehört, die Bedingung für die Entwicklung des gesellschaftlichen Reichtums zu sein, so wie die Nicht-Arbeit einiger weniger aufgehört hat, die Bedingung für die Entwicklung der allgemeinen Kräfte des menschlichen Insekts zu sein. Auf diese Weise bricht die auf dem Tauschwert beruhende Produktion zusammen, und der unmittelbare Produktionsprozess verliert seine Form des dringenden Bedarfs und seinen antagonistischen Charakter.“71 Es ist gut, darauf hinzuweisen, dass diese oft zitierten und unbestreitbar visionären Sätze von Marx dennoch etwas unklar sind. Sie sind es deshalb, weil die Bedeutung der Aussage „Produktion auf der Grundlage des Tauschwerts“ nicht ganz klar ist. Bedeutet dies, dass der Kapitalismus von seiner eigenen Entwicklung überholt wurde und sich seinem Ende nähert? Oder dass der Antagonismus zwischen Arbeitern und Kapital endlich gelöst ist? Ich persönlich glaube das nicht, aber die Frage bleibt offen. Was den visionären Aspekt dieser Passage betrifft, so ist er unbestreitbar. Diese Sätze geben uns anregende Schlüssel, um die heutige Zeit und insbesondere die Bedeutung der Computerrevolution zu lesen.

Marx fährt fort: Die Produkte der Industrie werden nun zu „Organen des menschlichen Gehirns, die von menschlicher Hand geschaffen wurden: eine objektivierte Kraft des Wissens“. Die Entwicklung des fixen Kapitals enthüllt, wie weit das allgemeine gesellschaftliche Wissen oder knowledge zu einer unmittelbaren Produktivkraft geworden ist und folglich, wie weit die Widersprüche des gesellschaftlichen Lebensprozesses selbst unter die Kontrolle des general intellect gekommen sind und in Bezug auf diesen umgestaltet (wurden)“72. Aus dieser Passage von Marx lässt sich ableiten, dass die Widersprüche der verarbeitenden Produktion auf die Sphäre der „immateriellen“ Arbeit ausgedehnt werden. Negri hat daher Recht, wenn er behauptet, dass sich in einer solchen Situation das Problem des revolutionären Subjekts anders stellt. Sobald die Zentralität der Fabrik überwunden ist, vervielfältigen sich die möglichen antagonistischen Subjekte, während gleichzeitig jede Idee von Notwendigkeit“ wegfällt. Aber warum dann eine einzige Kategorie vorschlagen, die Multitude, die zwangsläufig jeden Unterschied aufhebt?

Es gibt noch mehr. In einer einseitigen Interpretation der Aussagen von Marx scheint Negri zu argumentieren, dass der Kapitalismus als Produktionsweise bereits ausgestorben ist und nur als reine Herrschaft oder „Kontrollvorrichtung“ überlebt73. Und als ob das nicht genug wäre, schielt er auf alle technologischen Utopien, vom „Ende der Arbeit“ bis hin zu den Mythen der postindustriellen Gesellschaft und den Anthropologien des Cyberspace. „Im Ausdruck ihrer eigenen kreativen Energie scheint die immaterielle Arbeit somit das Potenzial für eine Art spontanen und elementaren Kommunismus bereitzustellen.“74 In Negris Interpretation entspringt der Kommunismus nicht mehr aus dem Antagonismus oder der kollektiven Ablehnung der kapitalistischen Kooperation, sondern im Gegenteil aus ihrer größeren Ausdehnung durch Wissenschaft und Technik. Er unterstützt die ältesten neoliberalen Ursachen: den neuen Föderalismus, die Europäische Union und sogar die „sozialisierten Unternehmer“ (italienisch: imprenditorialità comune) in Venetien, all diejenigen, die ihre Energie, ihre Intellektualität, ihre Arbeitskraft und ihre Erfindungskraft [ist das eine neue „marxistische“ Kategorie? Anm. d. Ü.] in den Dienst der Gemeinschaft gestellt haben“75. So schließt sich der Kreis: Negris Operaismus führt zu einer Apologie der Produktivkräfte, die derjenigen sehr ähnlich ist, die Panzieri rund 40 Jahre zuvor so treffend abgelehnt hatte. Und genau wie bei Tronti verschwindet jede Vorstellung von einer konkreten Autonomie, die auf der unabhängigen Aktion der kämpfenden sozialen Subjekte beruht, so dass die beiden Gegner von vor dreißig Jahren wieder zusammenkommen76.

Schließlich ist es zumindest komisch, dass Negri und Hardt am Ende ihres Buches den Heiligen Franziskus als paradigmatische Figur des neuen Militanten erwähnen77. In den heutigen sozialen Bewegungen wird ihm das Wort „Aktivist“ vorgezogen, das weniger furchterregend ist und mehr auf die direkte Aktion verweist. Die festlichen Aktionen von jungen (und weniger jungen) Menschen, die seit den Tagen von Seattle die Mächtigen der Erde um den Schlaf bringen, haben wenig mit „Militanz „ zu tun78. Was sie stattdessen unterstützt, ist ein spielerischer Wille, „die Perspektive umzukehren“, mit der traditionellen Politik Schluss zu machen und neue Formen der Gemeinschaft zu schaffen79.

Um auf das Thema des Konzepts der Multitude zurückzukommen und seine Wirksamkeit zu messen, ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass die Gesamtheit der Veränderungen, die der Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten erfahren hat, jedes Gravitationszentrum in den Anti-System-Kämpfen vollständig aufgelöst hat. Der Marxismus selbst ist nur noch eine von vielen Theorien, die neue Bewegungen benutzen können, um sich konzeptionell zu wappnen. Es gibt noch andere: Anarchismus, traditionelle Kosmovisionen, Befreiungstheologie, etc. Die Geschichte wird nicht mehr nur im Westen gemacht. Heute sind soziale Bewegungen per Definition pluralistisch.

Was haben die Ureinwohner von Chiapas und die Fiat-Arbeiter, die französischen Öko-Landwirte und die argentinischen Aufständischen, die Bauern von Karnakata und die Cyberpunks der postmodernen Metropolen gemeinsam? Zweifellos eine Menge, wie uns zum Beispiel Kommandant Mister von der Zapatistischen Armee der Nationalen Befreiung (EZLN) erklärt: „Die Regierungen denken, dass wir Indianer die Welt nicht kennen. Nun, sie sollen wissen, dass wir sie kennen und dass wir von den Todesplänen wissen, die gegen die Menschheit geschmiedet werden, und auch von den Kämpfen der Völker für ihre Befreiung. Wir kennen die Welt und sogar Japan. Denn wir kennen all die Männer und Frauen, die in unsere Dörfer gekommen sind und uns von ihren Kämpfen, ihren Welten und all dem, was sie tun, erzählt haben. Durch ihre Worte sind wir gereist, haben mehr Land gesehen und kennengelernt als jeder Intellektuelle.“80 Es ist wichtig, diese Welt, die uns nicht gehört, so schnell wie möglich neu zu gestalten. Jedes Subjekt, jede Bewegung, jede Gemeinschaft im Kampf sucht die Begegnung mit dem Anderen und verlangt gleichzeitig, eine eigene Perspektive und Identität zu bewahren. Und das scheint mir ein großer Schritt nach vorn zu sein. Es ist kein Zufall, dass z. B. in den indigenen Bewegungen Mesoamerikas immer weniger von Interkulturalität und immer mehr von Multikulturalität gesprochen wird. Während das erste Konzept eine zwingende Synthese postuliert, bewahrt das zweite die Spannungen und Besonderheiten.

Es ist unbestritten, dass wir neue Konzepte brauchen, um diese Unterschiede hervorzuheben, und es ist richtig, dass Negri das Konzept des „Volkes“ kritisiert. Aber warum sollte man sie dann zerschlagen, indem man sie innerhalb einer drei Jahrhunderte alten philosophischen Abstraktion aufhebt? Wie ihr Vorgänger, der soziale Arbeiter, ist die Multitude ein erzwungenes Konzept. Am Ende seines Weges kommt Negri auf die Erbsünde des italienischen Operaismus zurück: die unaufhörliche Suche nach einer „Zentralität“, was immer das auch sein mag, der Fetischismus der produktiven Arbeit, die Unfähigkeit, über den Horizont der Fabrik hinauszugehen81. Das Ergebnis ist ein Subjekt ohne Geschichte, eine Form ohne Inhalt, die letzte Anpassung der alten Verdrehung, mit der die Arbeiterklasse nie aufhört, den Kapitalismus zu belästigen.

EPILOGUE. DAS ENDE DES STAATES-NATION?

Trotz seiner erklärten Abneigung gegen dialektisches Denken hat Negris theoretisches Konstrukt nie aufgehört, hegelianisch zu sein82. Sowohl in Empire als auch in seinen früheren Büchern findet man bei Negri immer unterschwellig die Idee einer notwendigen Theologie, einer zirkulären Bewegung und eines glücklichen Endes, die schon in den Anfängen vorhanden war. So wird uns beispielsweise mitgeteilt, dass die Revolutionen des 20. Jahrhunderts nie besiegt wurden, sondern dass sie „alle nach vorne drängten und die Bedingungen der Klassenkonflikte veränderten, indem sie die Voraussetzungen für eine neue politische Subjektivität schufen“83. Mit anderen Worten, sie bereiteten das Ereignis der letzten Realität unserer Zeit, des Empires, und seines notwendigen Feindes, der Multitude, vor. So wie sich der Weltgeist allmählich in der Geschichte manifestiert, indem er von einer Seite der Welt auf die andere springt, verkörpert sich die imperiale Epiphanie in bemerkenswerten Etappen und Figuren, die ihr zu jedem Zeitpunkt unverwechselbare Charaktere verleihen.

Das Epos beginnt in Spinozas Laden und eine seiner zentralen Episoden ist, wie es scheint, die amerikanische Verfassung, weil sie auf „Exodus, auf affirmativen, nicht dialektischen Werten und auf Pluralismus und Freiheit“84 beruht. Wir erleben hier die Rückkehr der alten operaistischen Verbundenheit mit den Vereinigten Staaten, die nun mit einigen (unglücklichen) Behauptungen von Hannah Arendt über die amerikanische Revolution gewürzt wird85.

Noam Chomsky, zweifellos einer der besten Analysten der Vereinigten Staaten, hat uns jedoch gelehrt, dass „die Verfassung dieses Landes nur eine Schöpfung ist, um den Pöbel an seinem Platz zu halten und zu verhindern, dass er, und sei es auch nur aus Versehen, auf die schlechte Idee kommen könnte, sein Schicksal in die eigenen Hände zu nehmen“86. Im gleichen Sinne argumentiert Boron, dass das Dokument entgegen Negris Annahme ein klares Beispiel für das hohe Maß an volksfeindlichem und antidemokratischem Bewusstsein seiner Schöpfer ist. Sollte man also bei Negri und Hardt Einfallsreichtum, Opportunismus oder einen Sinn für Marketing sehen? Und gibt der Anarchist Chomsky dem Bolschewiken Antonio Negri am Ende nicht doch eine Lektion in Sachen Marxismus? Eine weitere neoliberale Fantasie, die von den Autoren von Empire unterstützt wird, ist die Behauptung, dass der Staat-Nation am Aussterben sei. Wir müssen zugeben, dass es zumindest amüsant ist, dass Negri – ein Bewunderer Lenins und außerdem ein alter Stratege der staatlichen Machtübernahme – heute einen solchen Unsinn aus dem Ärmel zieht87. Umso mehr, als unter den wenigen praktischen Vorschlägen des Empire der Soziallohn (eine Wiederbelebung des alten „garantierten Lohns“ von Potere Operaio) und die globale Staatsbürgerschaft zu finden sind. Mit anderen Worten: Bedingungslose Grundeinkommen und Papiere für alle, unabhängig von der Nationalität, der Klasse und der sozialen Stellung eines jeden Einzelnen. Ohne hier in die Diskussion über den politischen Sinn und die Zweckmäßigkeit solcher Forderungen einsteigen zu wollen, können wir dennoch auf ihren paradoxen Aspekt hinweisen: Wenn der Staat bereits nicht mehr existiert, an wen wenden sich dann Negri und Hardt?

Der Prozess der Entwicklung des Staates ist in Wirklichkeit sehr widersprüchlich. Auf der einen Seite hat die Privatisierungswelle seine Umverteilungsfunktionen und seine Glaubwürdigkeit ausgehöhlt, indem sie die öffentlichen Bereiche zugunsten des Privatsektors zerstört hat. Auf der anderen Seite war sie durch die Erhöhung des Konfliktniveaus gezwungen, ihre repressiven Funktionen zu verstärken. Deshalb haben wir es heute nicht mit den abgespeckten Staaten zu tun, von denen die von Negri unterstützten Neoliberalen sprechen, sondern vielmehr mit einer Art Kriegskeynesianismus, der die öffentlichen Ressourcen verschlingt, den Armen nimmt, um den Reichen zu geben, und zwar in einem nie zuvor erreichten Ausmaß88, und zu diesem Zweck wird ewig die Vogelscheuche des Krieges gegen „Schurkenstaaten“ (Irak, Korea, Libyen, Libanon usw.) oder gegen Feinde im Inneren geschwenkt89. Aus all dem lässt sich schließen, dass sowohl in der Ökonomie als auch in der Politik die Funktionen des Staates für den Kapitalismus unverzichtbar bleiben, da er keine Woche überleben könnte, wenn der Staat nicht nur die politischen und militärischen Garantien, die er braucht, sondern auch enorme ökonomische Ressourcen bereitstellen würde. In dieser Hinsicht ist der Fall der USA bezeichnend: Die astronomischen Subventionen für die Landwirtschaft oder die Unterstützungsmaßnahmen für den Lufttransportsektor nach 9/11 sind ein einfacher Beweis dafür, dass der Appetit auf diese Art von Subventionen nicht nachzulassen scheint.

Was die Frage des Imperialismus betrifft, so gehen Negris Überlegungen wie immer von legitimen Bedenken aus. Man kann ihm natürlich nur zustimmen, dass alte Theorien überarbeitet werden müssen, aber um dies zu tun, müsste man zunächst anerkennen, dass – obwohl sich die Dynamik ihrer Beziehungen ständig ändert90 – alle Staaten potenziell imperialistisch sind. Zweitens müsste man zugeben, dass heute kein Staat in der Lage ist, mit den USA militärisch, ökonomisch, politisch oder kulturell zu konkurrieren, wodurch eines der Hauptmerkmale des klassischen Imperialismus, wie ihn Rosa Luxemburg analysierte, hinfällig wird, nämlich die Existenz eines gewissen Niveaus von Wettbewerb zwischen Staaten um Märkte, Territorien oder Rohstoffe91. Seit dem Zusammenbruch des Ostblocks ist kein Staat und keine geopolitische Region mehr in der Lage, der Macht der USA entgegenzuwirken. Wie soll man diese neue Realität bezeichnen? Imperium? Imperialismus? Der Name spielt eigentlich keine Rolle, da klar ist, dass ein einziges Land, die USA, ein globales System von Vasallenstaaten mit begrenzter Souveränität aufzwingt, das – Ironie der Geschichte – dem System sehr ähnlich ist, das die Sowjetunion ihren Satelliten jahrzehntelang aufgezwungen hat92. Dieses System verlangt von den Staaten, die es bilden, dass sie nach außen hin schwach sind, d. h. formbar und empfänglich für die Bedürfnisse der USA, aber nach innen hin stark, d. h. repressiv und in der Lage, diese Bedürfnisse ihren Untergebenen aufzuzwingen.

Diese neue Weltordnung führt jedoch immer wieder zu Reibung und Unbehagen, insbesondere – aber nicht nur – zwischen den „gefährlichen Klassen“ einer Welt, die zunehmend von Armut, Unsicherheit und Umweltproblemen geplagt wird. Die Zapatisten in Chiapas, die argentinischen Piqueteros, die Cocaleros in Bolivien, Lula in Brasilien, Chavez in Venezuela und der Neue Kurs in Ecuador sind allesamt Anzeichen für eine Krise im Hinterhof des Imperiums selbst. In Europa hat der Wind von Genua 2001 nicht aufgehört zu wehen und die Demonstrationen gegen den Krieg haben sich vervielfacht. Die Brüche, wenn es sie gibt, entstehen aus den sozialen Bewegungen, wie ein allgemeines „Ya basta“, und nicht durch die Vermittlung der politischen Parteien, die, mit wenigen Ausnahmen, die etablierte Ordnung akzeptieren, selbst wenn sie links sind. Wir sind also weit entfernt von diesem de-zentrierten und deterritorialisierenden Imperium, das von unseren Autoren theoretisiert wird. Die Ereignisse vom 11. September und die Reaktion, die sie in der Bush-Regierung hervorriefen, beweisen einmal mehr das Scheitern ihres theoretischen Modells: Diese Reaktion ist die eines imperialistischen Staates, der den Anspruch hat, den Planeten seinen Interessen anzupassen93.

Eric Hobsbawm stellt fest: „Heute, wie im gesamten 20. Jahrhundert, gibt es einen völligen Mangel an einer effektiven globalen Autorität, die in der Lage ist, bewaffnete Konflikte zu kontrollieren oder zu lösen. Die Globalisierung ist in fast allen Bereichen – Ökonomie, Technologie, Kultur und sogar Sprache – vorangeschritten, außer in einem, dem militärischen und politischen Bereich. Die Territorialstaaten sind immer noch die einzigen wirksamen Autoritäten“94. Das Ende des Staates zu verkünden, nützt uns daher nichts. Es ist sogar ein schädlicher Gedanke, da er in keiner Weise zur Aktion beiträgt. Und obwohl diese Behauptung wie eine schreckliche Banalität erscheinen mag, ist es nicht unnütz, sie in Erinnerung zu rufen, wenn wir in der Zeitschrift Rebeldía lesen, dass diejenigen, die sie machen, sich als Teil einer „Linken fühlen, die nicht mehr bereit ist, weiterhin ihre Zeit um den Streit um eine nationale Macht, die nicht mehr existiert, zu verlieren“95 (Hervorhebung von mir). Denn nichts ist falscher. Es ist eine Sache, wie John Holloway – und vor ihm die Zapatisten und noch viel früher die Libertären aller Richtungen – zu sagen, dass die Welt nicht verändert werden kann, indem man die Staatsmacht „übernimmt“, und eine andere, ganz andere Sache ist es, zu erklären, dass die nationale Macht nicht mehr existiert96. Wer schickt die Panzer nach Chiapas? Wer bewaffnet die Para-Militärs? Wer steckt hinter dem Plan Puebla Panama? Der berühmte de-zentrierte und deterritorialisierende Apparat? Nicht im geringsten! Es ist sehr wohl eine sehr identifizierbare nationale Macht: der mexikanische Staat. Die Staaten-Nationen existieren weiterhin, und sie sind sowohl unsere Feinde als auch unsere Gesprächspartner. Wenn wir ihnen gegenüberstehen, dürfen wir nicht nachlassen: Wir müssen Druck auf sie ausüben, gegen sie kämpfen und sie belästigen. Wir werden gelegentlich mit ihnen verhandeln müssen, und wir werden dies autonom tun. Die Zapatisten haben gezeigt, dass dies möglich ist, und auch wenn die Ergebnisse nicht ihren Erwartungen entsprachen, so haben sie im Gegensatz zu anderen zumindest ihre Würde bewahrt. Unser Weg, der Weg der Bewegungen für Menschlichkeit und gegen den Neoliberalismus, ist nicht frei von Hindernissen. Wie Michael Albert, Moderator der Zeitschrift Z Magazine (und der Website Znet), vorschlägt, setzt er neben theoretischer und praktischer Radikalität auch Flexibilität, Geduld und eine gewisse Dosis Pragmatismus voraus97. Denn wir müssen es noch einmal wiederholen: Kapitalismus und Staat-Nation, diese beiden vom Westen geschaffenen Monster, sind zusammen gekommen und werden zusammen verschwinden. Und wenn wir es nicht schaffen, sie in einem Meer von Gelächter zu ertränken, werden sie uns noch eine Weile Gesellschaft leisten, wie Tito Monterrosos Dinosaurier98.

Claudio Albertani
Tepoztlán, Morelos, México,
November 2002-Januar 2003.

Text (unveröffentlicht), aus dem Spanischen übersetzt von Miguel Chueca.

* Ich danke Gianni Armaroli, Gianni Carrozza, Clara Ferri, Malena Fierros, John Holloway, Furio Lippi, Raúl Ornelas und Tito Pulsinelli für ihre Kommentare und Vorschläge.


1Michael Hardt und Antonio Negri, Empire, Harvard University Press, 2000.

2Empire, „Die Agonie der sowjetischen Disziplin“, S. 337-341.

3Empire, S. 19.

4M. Hardt, „Il tramonto del mondo contadino nell’Impero“ in der Zeitschrift Posse. Política. Filosofia. Moltitudini, Manifestolibri Edizioni, Mai 2002.

5Atilio A. Boron, Imperio. Imperialismo. Una lectura crítica de Michael Hardt y Antonio Negri, Buenos Aires, CLACSO, 2002.

6Michel Foucault, Microfísica del poder, Ediciones de la Piqueta, 1978, S. 7.

7Negri und Hardt hatten sich bereits von der Postmoderne distanziert in ihrem Buch Il lavoro di Dioniso. Per la critica dello Stato postmoderno, Manifestolibri, 1995, S. 25-28. In Empire führen sie aus: „Die verschiedenen postmodernen Denkrichtungen [sind] Symptome eines Bruchs in der Tradition der modernen Souveränität“, die „den Übergang zur Verfassung des Empire anzeigen“ (S. 186).

8Vor einigen Jahren war Negri der Referenzautor einiger amerikanischer Marxisten. Einer von ihnen, Harry Cleaver, schrieb, dass „wenn Marx nicht gemeint hat, was Negri sagt, nun, dann ist es eben schlecht für Marx“ (sic). (Vgl. George Katsiafikas, The Subversion of Politics. European Autonomous Social Movements and the Decolonization of Everyday Life, Humanities Press International, New Jersey, 1997, S. 226).

9Diese kurze Rekonstruktion stützt sich auf das Buch von Nanni Balestrini und Primo Moroni, L’Orda d’Oro. 1968-1977. La grande ondata rivoluzionaria e creativa, politica ed esistenziale, Feltrinelli, Mailand, 1997, und auf das Buch von Oreste Scalzone und Paolo Persichetti, La Révolution et l’Etat. Insurrections et „contre-insurrection“ dans l’Italie de l’après-68 (Aufstände und Aufstandsbekämpfung im Italien nach 1968), Dagorno, 2000. Man sollte auch Futuro Anteriore lesen. Dai Quaderni Rossi ai movimenti globali: ricchezze e limiti dell’operaismo italiano, Derive/Approdi, Roma, 2002. Ich habe auch die Website http://www.intermarx.com (insbesondere die ausgezeichneten Schriften von Maria Turchetto und Damiano Palano), die Zeitschriften Vis-à-Vis und Primo Maggio sowie einen alten Aufsatz konsultiert, den ich anonym unter dem Titel „Proletari se voi sapeste“ in Al tramonto. Operaismo italiano e dintorni, Beilage der Zeitschrift Insurrezione (Renato Varani editore, Mailand, 1982).

10Franco Alasia, Danilo Montaldi, Mailand, Corea, Feltrinelli, 1978, S. 184.

11R. Panzieri, La crisi del movimento operaio. Scritti, interventi, lettere, 1956-1960, Lampugnani, 1973. Panzieri war Direktor der theoretischen Zeitschrift des PSI, Mondo Operaio.

12Vgl. R. Panzieri, Spontaneità e Organizzazione. Gli anni dei Quaderni Rossi. Scritti Scelti, Biblioteca Franco Serantini, 1994.

13K. Marx, El Capital, Editorial Librerías Allende, 1977, S. 328-330. [Der gleiche Ausdruck „kollektiver Arbeiter“ wird auch in der französischen Fassung verwendet, Anm. d. Ü.).

14Vgl. K. Marx, Das Kapital. Buch I, Kapitel VI (unveröffentlicht), Union générale d’éditions, 1971.

15A.d.Ü., wahrscheinlich ist hier die Rede von Militanten Untersuchungen.

16Sergio Bologna, „Il rapporto fabbrica-società come categoria storica“, Primo Maggio, Nr. 2, Mailand, 1974.

17Antonio Gramsci, Quaderni del Carcere, herausgegeben von Valentino Gerratana, Einaudi, Turin, 1977, Heft 22, „Americanismo e fordismo“, S. 2146.

18R. Alquati, Composizione organica del capitale e forza-lavoro alla Olivetti, Quaderni Rossi, Nr. 2, 1962, S. 63-98. Im Jahr 1975 stellte dieser Autor seine Schriften in Sulla Fiat e altri scritti zusammen, Mailand: Feltrinelli.

19 Danilo Montaldi, „Il significato dei fatti di luglio“, Quaderni di Unità Proletaria, Nr. 1, 1960. Montaldi war ein libertärer Intellektueller, der der Gruppe Socialisme ou Barbarie nahestand. Ohne dem Netzwerk anzugehören, übte er einen starken Einfluss auf die frühen Operaisten aus.

20Neben den bereits erwähnten Protagonisten sind unter den Mitgliedern von Classe Operaia Giairo Daghini, Luciano Ferrari-Bravo, Guido Bianchini, Enzo Grillo (Übersetzer der Grundrisse ins Italienische), Oreste Scalzone, Franco Piperno, Franco Berardi, Gianfranco Della Casa, Gaspare de Caro, Gianni Amaroli und Ricardo d’Este zu erwähnen.

21Classe Operaia, Nr. 1, Januar 1964. Abgedruckt in Mario Tronti, Operai e Capitale, Einaudi, Turin, 1966 (neue Ausgabe, 1971), S. 89-95. (Eine französische Version dieses Textes erschien bei Christian Bourgois).

22Tronti, op. cit., S. 298-299.

23Tronti, op. cit., S. 81 und 84.

24Tronti, op. cit., S. 53.

25Tronti, Interview, erschienen in L’Unità, Rom, 8. Dezember 2001. In einem früheren Interview vom 8. August 2000 sagte Tronti: „Wir waren Opfer einer optischen Täuschung.“

26Tronti, a. a. O., S. 14.

27In seinen Considerations on Western Marxism (New Left Book, London, 1976) widmet Perry Anderson dem italienischen Operaismus nicht eine Zeile.

28 In der Negativen Dialektik bekräftigte Adorno die Vorherrschaft des „Gegenstandes“ (italienische Übersetzung, Einaudi, 1975, S. 156-157).

29Siehe z. B. R. Panzieri, „Plusvalore e capitale“, a.a.O., wo der Autor auf die Einheit des Kapitalismus als soziale Funktion hinweist.

30Marx, El Capital, Band I, S. 88.

31Seiten von Karl Marx. Ausgewählt, übersetzt und eingeleitet von Maximilian Rubel. 1. Kritische Soziologie, Payot, 1970, S. 103.

32Tronti, op. cit., S. 221.

33Empire, S. 261 und 291.

34Die letzte Ausgabe der Zeitschrift erschien im März 1967.

35Gianni Armaroli (genuesischer Mitarbeiter von Classe Operaia), Brief an den Autor, 30. Dezember 2002.

36Die wichtigsten Theoretiker der Arbeiterräte waren die holländischen Tribunalisten (so genannt nach der von ihnen herausgegebenen Zeitschrift De Tribune) Anton Pannekoek und Herman Gorter; neben den Deutschen Karl Korsch, Otto Rühle und Paul Mattick.

37Im Gegensatz zu dem, was oft gesagt wird (siehe z. B. Octavio Rodríguez Araujo, Izquierdas e izquierdismos. De la Primera Internacional a Porto Alegre, Siglo XXI editores, 2002, S. 115), war Bordiga kein Rätekommunist, sondern ein überzeugter Anhänger der bolschewistischen Idee einer Partei. Siehe dazu seine Polemik mit Gramsci in Antonio Gramsci-Amadeo Bordiga. Debate sobre los consejos de fábrica, editorial Anagrama, 1973. Es war jedoch Bordiga – der Gründer und erste Sekretär der KPI – und nicht Gramsci, der sich der Bolschewisierung der westlichen Parteien widersetzte, die ab 1923 von der Kommunistischen Internationale durchgesetzt wurde.

38Um 1967 entstanden in Genua der Circolo Rosa Luxemburg, die Lega Operai-Studenti und Ludd-Consigli Proletari (die auch in Rom und Mailand vertreten waren). In Turin wurde 1970 die Organizzazione Consiliare und 1971 Comontismo gegründet. Als kleine, aber bedeutende Gruppen wurden diese Gruppen aus den Geschichten der 1968er Bewegung praktisch ausgelöscht.

391969 gründeten Sergio Bologna und andere die Zeitschrift La Classe, die als Sprachrohr für die Arbeiterkämpfe bei Fiat diente. Bologna war an der Gründung von Potere Operaio beteiligt, bevor er in den 1970er und 1980er Jahren die Zeitschrift Primo Maggio, eine Bastion des ursprünglichen Operaismus, betreute.

40Tronti, zitiertes Interview, 8. August 2000.

41Zwischen 1968 und 1971 mündete der Versuch in die Gründung der Zeitschrift Contropiano, die von Asor Rosa und Cacciari herausgegeben wurde und an der sowohl Tronti als auch Negri mitarbeiteten.

42M. Tronti, Sull’autonomia del politico, Feltrinelli, 1977, S. 7, 19 und 20.

43Eduardo di Giovanni, Marco Ligini, La strage di Stato, Samonà e Savelli, 1970 (Neuauflage Avvenimenti, 1993).

44Zu Negris kuriosesten Ideen gehört die Lobpreisung der „Abwesenheit von Erinnerung“. Siehe Antonio Negri, Du Retour. Abécédaire biopolitique, Calmann-Lévy, 2002, S. 111.

45Vgl. A. Negri, Du retour.

46Antonio Negri, Crisi dello Stato-piano, comunismo e organizzazione rivoluzionaria, Feltrinelli, 1972, S. 181. Dieser „aufständische Neoleninismus“ wird systematisiert in A. Negri, La fabbrica della strategia. 33 lezioni su Lenin, Libri Rossi, 1977.

47Eine der bekanntesten Gruppen dieser Tendenz war das Collettivo di via dei Volsci in Rom, das bald Radio Onda Rossa, einen noch existierenden Sender der Bewegung, gründen sollte.

48Negri hat das Thema der Selbstverwertung in Il dominio e il sabotaggio. Sul metodo marxista della trasformazione sociale. Feltrinelli, 1978. Vgl. auch Empire, S. 491 und 493.

49A. Negri, Proletari e Stato. Per una discussione su autonomia operaia e compromesso storico, Feltrinelli, 1976, S. 30. Die Frage der Auflösung der Zivilgesellschaft im Staat wird in Empire, S. 51, 398-399 wieder aufgegriffen.

50Agnes Heller, La teoria dei bisogni in Marx, Feltrinelli, 1977, S. 26.

51A. Negri, Marx oltre Marx. Quaderno di lavoro sui Grundrisse, Feltrinelli, 1979, S. 194.

52A. Negri, Il dominio…, S. 61 und 70.

53In den 1970er Jahren gab es in Italien Dutzende, wahrscheinlich sogar Hunderte von Gruppen, die den bewaffneten Kampf praktizierten. Neben den Roten Brigaden sind unter vielen anderen die Nuclei Armati Proletari (NAP), Prima Linea, Mai più senza fucile, Azione Rivoluzionaria und Proletari Armati per il Comunismo zu nennen.

54Im Gegensatz zu dem, was ich in Memoria, Nr. 167 (Januar 2003, S. 5) gelesen habe, gab es in Italien nie eine Gruppe namens „ Autonomia Operaia“ (Arbeiterautonomie). Negri leitete eine der vielen Organisationen, die das Lager der Arbeiterautonomie bildeten.

55Über die tragische Bilanz des bewaffneten Kampfes siehe Cesare Bermani, Il nemico interno. Guerra civile e lotte di classe in Italia (1943-1976), Odradek, 1997.

56Rosso, Mai 1978. Die in Mailand herausgegebene Zeitschrift war das Organ der Gruppo Gramsci, einerOrganisation, die von Negri geleitet wurde.

57 Nach zwei Jahren Haft wurde Negri dank seiner Wahl zum Abgeordneten auf den Listen der Radikalen Partei freigelassen. 1983 ging er ins Exil nach Frankreich.

58In den 1980er und 1990er Jahren blieb das Projekt eines libertären Operaismus in den Überlegungen einiger Kollektive wie Primo Maggio, Collegamenti-Wobbly und Vis-à-Vis lebendig.

59Empire, S. 183 und 187.

60A. Negri, Marx oltre Marx, S. 55.

61A. Negri, Marx oltre Marx, S. 24-25.

62A. Negri, Spinoza, S. 394. Diese Ausgabe enthält: L’anomalia selvaggia (1980), Spinoza sovversivo (1985) und Democracia e eternità in Spinoza (1994), die wichtigsten spinozistischen Texte von Negri.

63Siehe z. B.: Karl Korsch, Karl Marx, Laterza, 1970, S. 101.

64A. Negri, Spinoza, S. 35.

65Ich habe in Negris Werk erfolglos nach einer befriedigenden Erklärung für den Begriff der „Multitude“ gesucht. Einer seiner Schüler, Paolo Virno, hat diese Aufgabe offenbar übernommen in: Grammatica della moltitudine. Per un analisi delle forme di vita contemporanee, Derive/Approdi, 2002.

66Norberto Bobbio-Michelangelo Bovero. Sociedad y Estado en la filosofía moderna. El modelo iusnaturalista y el modelo hegeliano-marxiano, FCE, México, 1994, S. 94.

67A. Negri-M. Hardt, Il lavoro di Dioniso, S. 27.

68Empire, S. 140.

69Empire, S. 354-359.

70K. Marx, Grundrisse, Bd. II, S. 228.

71 Grundrisse, S. 228-229.

72Grundrisse, S. 230.

73Abrufbar unter www.intermarx.com: Maria Turchetto, „Dall operaio massa all’imprenditorialità comune. La sconcertante parabola dell’operaismo italiano“.

74 Empire, S. 359.

75Negris Brief aus dem Gefängnis von Rebibbia (Rom), datiert vom 10. September 1997, laut der im Internet verbreiteten Version.

76In Il lavoro di Dioniso, S. 29-30, gibt Negri zu, Mario Trontis Theorien über die Autonomie der Politik zu akzeptieren. In Empire hingegen informiert er uns über das Verschwinden des „Begriffs der Autonomie der Politik“ (S. 375).

77Empire, S. 496.

78Laut dem Wörterbuch der Real Academia ist ein „Militant“ jemand, der sich der Militanz verschrieben hat… Die erste Kritik an der Figur des Militanten geht auf das Jahr 1966 zurück und wurde von der Situationistischen Internationale geäußert. Siehe De la misère en milieu étudiant (Über das Elend im Studentenmilieu), das in etwa zwanzig Sprachen übersetzt wurde.

79Es ist kein Zufall, dass Negris Hauptjünger, die Disobiedenti (früher bekannt als Tute bianche – Weiße Overalls – oder Association Ya Basta), ein großer Verwirrungsfaktor in der so genannten Antiglobalisierungsbewegung sind. Sie vereinen das Schlimmste der Politik der alten Linken und das Schlimmste des Medienaktivismus. Im Ausland radikal (1998 wurden sie mit großem Getöse aus Mexiko ausgewiesen), sind sie in Italien zu allen Kompromissen bereit; als überzeugte Pazifisten verbreiten sie wahnwitzige Kriegserklärungen an die Adresse der italienischen Regierung (können aber nicht konsequent sein); als erklärte Zapatisten sind sie auf der Suche nach Wahlämtern… Zu den Inkonsequenzen der Tute bianche (heute Disobbidienti) siehe „Paint it Black. Blocchi neri, tute bianche e zapatisti nel movimento contro la globalizzazione“ von Claudio Albertani, der gleichzeitig in Collegamenti-Wobbly, Nr. 1, Januar 2002 und in französischer Sprache in der Nr. 12 von Les Temps maudits (Januar-April 2002) erschien. Eine englische Version erschien in New Political Science, London, Dezember 2002). Für weitere Informationen über die Aktivitäten der Disubbidienti siehe www.ecn.org/movimento.

80„Zapatistische Reden, Demonstration in San Cristóbal de Las Casas, Chiapas, 1. Januar 2003“, abrufbar unter http://chiapas.indymedia.org.

81Zum Arbeitsfetischismus bei Negri siehe G. Katsiafikas, a.a.O., S. 225-232.

82Ich übernehme dieses Argument aus Maria Turchettos Essay „L’impero colpisce ancora“ (http://www.intermarx.com).

83Empire, S. 474.

84Empire, S. 459.

85Hannah Arendt, On Revolution, (Neuauflage: Vicking Press, 1996), insbesondere Kapitel III. Negri machte bereits eine Lanze für die amerikanische Verfassung in Il potere costituente. Saggio sulle alternative del moderno (Saggio sulle alternative del moderno), SugarCo, 1992.

86Zitiert in: Boron, a.a.O., S. 110.

87In einem Versuch, Gott und den Teufel zu schonen, formuliert Negri die folgende Frage: „Was ist mit dem Leninismus unter den neuen Bedingungen der Arbeitskraft zu tun? […] Welche Subjektivität muss für die heutige Machtergreifung des immateriellen Proletariats erzeugt werden? Und er antwortet: „Man muss Lenin über Lenin hinausführen, […] zur absoluten Demokratie der Multitude“ (!) Vgl. Toni Negri, „Che farne del Che fare? Ovvero il corpo del General Intellect“, Posse, Mai 2002, S. 123-133.

88Siehe dazu Bushs jüngste Maßnahmen zugunsten von Finanzspekulanten, die eine Steuersenkung von 300 Milliarden US-Dollar auf die Dividenden der Aktionäre vorsehen.

89Krieg gegen ein Individuum, manchmal, wie man bei Bin Laden gesehen hat. Wenn man den jüngsten Erklärungen des Weißen Hauses Glauben schenken darf, wird dieser Zyklus wahrscheinlich mindestens 30 Jahre dauern.

90Einer von Lenins Fehlern war, dass er glaubte, der Imperialismus sei lediglich eine „Etappe“ des Kapitalismus, während er in Wirklichkeit von Anfang an in dessen Logik eingebettet war.

91Stefano Capello, „L’imperialismo da Disraeli a Bush“, Collegamenti Nr. 2, 2002.

92Tito Pulsinelli, „Sobre el señor y los vasallos. Estados Unidos en el atardecer del neoliberalismo“. Zu finden unter www.lafogata.org/02inter/8internacional/sobre.htm

93Negri fühlte sich angesichts dieser Ereignisse übrigens sehr unsicher. Er interpretierte den Fall der Twin Towers zunächst als eine interne Angelegenheit des Imperiums, etwas, das ihm „gehört“, und korrigierte sich dann, indem er argumentierte, dass wir es mit einer imperialistischen Reaktion gegen das Imperium zu tun haben. Hardt unterstützte diese zweite Version in einem kürzlich erschienenen Artikel, in dem er „die Eliten aufforderte, in ihrem eigenen Interesse als de-zentriertes imperiales Netzwerk zu handeln und so den Prozess der Umwandlung der USA in eine „imperialistische Macht nach altem europäischen Muster“ zu unterbrechen“. Ein merkwürdiger Aufruf von einem Propheten der „Multitude „! Von Rückkehr, S. 185 und S. 209. Interview erschienen in Il Manifesto, 14. September 2002.

94Eric Hobsbawm, „La guerra y la paz en el siglo XX“, La Jornada, México, 24. März 2002.

95Rebeldía, Leitartikel der Nr. 1, México, Nov. 2002.

96ohn Holloway, Change the World without Taking Power, Pluto Press, 2002. Zu Unrecht haben viele Kommentatoren Holloway und Negri in einen Topf geworfen.

97Benedetto Vecchi, „Democrazia in Movimento“, Il Manifesto, 18. Januar 2003.

98Claudio Albertani bezieht sich hier auf eine berühmte Kurzgeschichte des Romanciers Tito Monterroso, die die Besonderheit aufweist, dass sie nur einen einzigen Satz enthält: „Al día siguiente, cuando despertó, el dinosaurio seguía todavía ahí“, was übrigens völlig unübersetzbar ist, da das Subjekt des Nebensatzes nicht erklärt wird und nicht klar ist, ob es sich um „él“, „ella“ oder sogar „Usted“ handelt: „Als er am nächsten Tag erwachte [oder: „als sie erwachte“ oder: „als Sie erwachten“ oder „erwachte“], war der Dinosaurier immer noch da. „ (Anm. d. Ü.).

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Aus dem Buch „Del Tiempo En Que Los Violentos Tenían Razón“ (Aus der Zeit als die Gewalttätigen Recht hatten), welches 2006 erschien, herausgebracht vom leider nicht mehr existierenden Verlagsprojekt „Editorial Klinamen“ und von der anarchistischen Publikation aus Asturien „Llar“. Die Übersetzung ist von uns.


Über die Sabotage als eine der schönsten Künste

Asturisches Institut für vergleichenden Vandalismus

Es ist nie schlecht, bestimmte Texte noch einmal zu lesen. Wir hoffen, dass du nicht nur nach dem „Neuesten“ suchst, sondern auch das aufnimmst, was du sicher auf verschiedenen Websites finden kannst, was wir aber für notwendig halten, von Zeit zu Zeit zu wiederholen. Dieser Text wurde in Llar Nr. 33 veröffentlicht.

1.

Wer wird die heftigen Wirbelstürme des Feuers neu entfachen, wenn nicht wir und diejenigen, die wir für Brüder halten? Kommt! Neue Freunde: Das wird uns gefallen. Wir werden niemals arbeiten, oh feurige Wogen!“ „Lass diese Welt zerplatzen. Es ist der wahre Weg. Vorwärts, vorwärts, vorwärts!“ A. Rimbaud (1854-1891)

Die Ausbreitung von Sabotage, die Zunahme ihrer Praxis, in mehr oder weniger großem Umfang über die gesamte Warenwelt ist eine vollendete Tatsache. Das Verbrennen von Geldautomaten, das Aufbrechen von Schlössern in den Produktions- und Vertriebszentren, das Einschlagen von Fenstern, das Verbrennen von Zeitarbeitsfirmen und Arbeitsämter, die Sabotage der Infrastrukturen des Kapitalismus (Hochgeschwindigkeitszüge, Staudämme, Autobahnen oder Baufirmen) … sind offensive Praktiken gegen die Kolonisierung unseres Lebens durch den Kapitalismus in seiner fortgeschrittensten Form – dem integrierten Spektakel. Sie werden von Menschen durchgeführt, die es satt haben, als Ware zu überleben (ihr Leben wird auf ökonomische Notwendigkeiten reduziert) und die enttäuscht sind von der falschen Opposition (mehr falsche und weniger Opposition jede Sekunde) – Parteien und Gewerkschaften/Syndikate, die unser Elend verwalten und uns in eine Produktionsweise einbinden wollen, die uns jede Beteiligung an den Entscheidungen verweigert, die uns direkt betreffen, und die dazu beiträgt, uns zu versklaven, indem sie jede Geste der Negation des Bestehenden verstümmelt.

Das Spektakel schreibt das Drehbuch und verteilt die Rollen: Arbeiter, Lehrer, Student, Hausfrau, Vater, Mutter, Sohn, Tochter, Arbeitsloser, Polizist, Soldat, Künstler, Menschenfreund, Intellektueller… die meisten Menschen mit verschiedenen Rollen im Laufe von 24 Stunden, was ihre Existenz, wenn möglich, noch schrecklicher macht. Jeder hat sein neurotisch-schizoides Gerüst und wird auf die von der Macht ausgehenden Reize in der erwarteten Weise reagieren. Alle sozialen Aktivitäten sind dafür geplant, das Spektakel zu verstärken, indem sie den unaufhaltsamen Prozess der Zersetzung verlangsamen.

Da wir nicht das Gemurre der leidgeprüften Militanten irgendeiner Organisation hören wollen, sei angemerkt, dass wir nicht gegen die Organisation an sich sind, sondern gegen die Organisation als Selbstzweck, als Kristallisationspunkt irgendeiner Ideologie und als getrenntes Organ, das die Klasse repräsentiert. Wir sind für die autonome Selbstorganisation der Ausgebeuteten. Die Geschichte hat uns – und das ist etwas, das niemandem bewusst oder unbewusst entgeht – mit zwei klaren Beispielen gezeigt, dass die traditionellen Formen der Partei (Russische Revolution) und der Gewerkschaft/Syndikate (Spanische Revolution) nichts anderes waren als zwei Versuche, den Kapitalismus zu verwalten und nicht, ihn zu überwinden. Bei der Übernahme der Macht wurde diese nicht zerstört, sondern ausgeübt; einerseits ersetzt die bürokratische Klasse die Bourgeoisie und andererseits beteiligen sich die anarchosyndikalistischen Anführer an der bourgeoisen Macht, indem sie zur Selbstverwaltung von Ausbeutung und Entfremdung aufrufen, während die Basis in der Praxis versucht, die Produktionsverhältnisse und sozialen Beziehungen durch die direkte Verwaltung aller Aspekte ihres Lebens und nicht nur der Arbeit zu überwinden. Beiden Formen gemeinsam ist die Verherrlichung der Arbeit (die sich mit den Nationalsozialisten und allen politischen Formen des Kapitalismus deckt). Ihre quantitative Vision strebte eine Steigerung der Produktion an und vernachlässigte dabei die qualitative Steigerung des Lebens. Diese (praktische und theoretische) Niederlage der traditionellen Organisationen, die behaupten, uns zu vertreten, wurde von der Arbeiterklasse nicht aufgegriffen (und es scheint, als wüssten wir nur, wie man arbeitet). Wir haben immer noch keine Kontrolle über irgendeinen wesentlichen Aspekt unseres Lebens in einer Welt, die nicht nur ohne unsere Beteiligung (unter Ausschluss von uns), sondern gegen uns gemacht wird. Aber, Gefährt*innen, die Geschichte ist nicht zyklisch, sie ist ein akkumulativer Prozess und sie lastet bereits zu schwer auf unseren müden Körpern.

2.

Nie hatten die, die spotten, eine so trügerische Sprache“. Shakespeare. „Sommernachtstraum“

Der Widerspruch zwischen den Möglichkeiten der Produktionsmittel (die Nutzung einiger zum Vergnügen aller, da die meisten von ihnen nutzlos oder schädlich sind und zerstört werden sollten) und den Produktionsverhältnissen (Lohnsklaverei, Verdinglichung und Ausgrenzung in einer Klassengesellschaft) hat einen unüberwindbaren Wendepunkt erreicht. Für das Spektakel ist es wichtiger, das Wesen dieses Widerspruchs zu verfälschen, als die Produktion von Waren mit abnehmendem Gebrauchswert zu steigern. Diese unbewegliche Trägheit zwingt es, alle Mittel einzusetzen, um jede reale Bewegung der Opposition zu rekuperieren und die spektakuläre Kritik am Spektakel selbst zu dirigieren. Eine heuchlerische Selbstkritik, die von seiner Polizei des zersetzten Denkens (Pro-Situs, Kader, NGOs, Rekuperatoren, Künstler, Journalisten… allesamt politisch korrekt und „alles Locker-Stimmung“) geleitet wird. Diese Klobürsten der Moderne hoffen wie gute Priester, dass sie uns mit ihren Pflastern, dass die eigene Entwicklung des Systems uns händchenhaltend zu einer idealen Welt führen, die von ihrem falschen Gewissen und der Fäulnis ihres quadratischen Gehirns geplant wird; als ob sie uns jemals etwas geschenkt hätten. Ihre seit Jahrzehnten angeprangerte soziale Funktion hat sie mehr als eine Aggression, eine Schlägerei oder einen Mord gekostet, und wir sind sicher, dass dies keine bloßen Anekdoten sein werden. Sie täuschen und manipulieren uns, das dürfen wir nicht noch einen Tag länger zulassen, sie sind die Hüter des Schlüssels zu unseren höllischen Ketten. Sie unterhalten unsere Gedanken mit bedeutungslosen Debatten und zwingen uns ihre Meinung auf, indem sie so einfachen Fragen ausweichen, die sie vor Angst zittern lassen: Wie können wir besser leben, wer und was hindert uns? Fragen, die diese Berufslügner sofort entlarven würden. Die Kohärenz der Kritik und die Kritik der Inkohärenz werden bei dieser Aufgabe helfen.

3.

Ungerechtigkeit ist nicht anonym, sie hat einen Namen und eine Adresse“. Bertolt Brecht

Die situationistische Theorie als umfassende Kritik der Totalität der Überlebensbedingungen und des spektakulär-merkantilen Kapitalismus, der sie notwendig macht, ist durch die Tatsachen der Verfälschung verifiziert worden. Die Entfremdung kann nicht unter entfremdeten Formen bekämpft werden. Die Sabotage dieser Welt beginnt mit dem Bruch mit den Rollen, die uns das System auferlegt, mit der Sabotage unseres Todes im Leben und der Negation der uns zugewiesenen und für uns vorgesehenen Rolle. Wenn wir heute von Revolution sprechen, haben wir eine Leiche im Mund; man muss sich nur umschauen, um ein Dekor zu sehen, das uns ständig an die Niederlage erinnert. Sabotage ist daher eine Aktion, die sich gegen die Irrealität richtet, die uns unterdrückt. Eine Praxis, die der ideologischen Rekuperation nicht entgangen ist, indem sie in „Terrorismus“ (die Professionalisierung der Sabotage) umgewandelt wurde, was das System aufgrund seines zentralistischen, hierarchischen und militaristischen Charakters nur verstärkt hat. Heute geht es nicht mehr um die Gründung einer bewaffneten Organisation dieser Art, sondern um den diffusen Angriff kleiner, von einer höheren Struktur unkontrollierbarer Affinitätsgruppen, die sich vereinen und wieder trennen wie die Mondgezeiten. Gezeiten, die aus dem Bewusstsein heraus entstehen, wie schlimm die Dinge sind und wie viel schlimmer sie noch werden, wenn die Ereignisse sich entfalten.

Im 19. Jahrhundert gab es eine ähnliche Praxis, die den aufkommenden Kapitalismus in Schach hielt. Abgesehen von den Ludditenangriffen, den sogenannten „proletarischen Runden“, deren Mangel an starrer Struktur und maximale Flexibilität bei den Angriffen ihre Zurückdrängung und Rekuperation fast unmöglich machte, spielten dabei die, ebenfalls beginnenden, Gewerkschaften/Syndikate eine große Rolle. Eine Gruppe von Menschen versammelte sich, schlug zu und löste sich in der Masse auf, während sich im Inneren eine neue Gruppe bildete. Diese diffuse Sabotage macht es dem Feind sehr schwer, irgendjemanden aufzuhalten, was diesen Angriff zu einem Universum des Vergnügens für aufgeklärte Rowdys macht, deren Empfindungen unmöglich zu beschreiben oder mit der armen und banalen Sprache der Worte zu vermitteln sind.
Das Spiel der Subversion, dessen Regeln von denen geschrieben werden, die es spielen, wird zu einer wirksamen Waffe gegen den Kapitalismus in all seinen Formen. Es gibt mehr zu zerstören als zu bauen.

4.

Unsere Epoche muss keine poetischen Slogans schreiben, sondern sie ausführen.“ Situationistische Internationale.

Es ist erwiesen, dass kleine angreifende Gruppen mehr Schaden anrichten als große Organisationen, die sich auf den bewaffneten Kampf spezialisiert haben. Die Angry Brigade – die ihre Aktivitäten fortsetzte, als einige Leute verhaftet wurden und der britische Staat die Bewegung als aufgelöst betrachtete – ist ein Beispiel dafür. Für die Behörden ist es schwierig, kleine Gruppen zu festzunehmen oder auszuschalten, die sich mit Sicherheit nicht kennen und nur durch den Wunsch vereint sind, ein System zu zerstören, das sie am Leben hindert und sie zum Überleben und zur Ungewissheit verdammt. Es geht ihnen nicht um exhibitionistische Aktionen, um für irgendein Akronym oder eine Herkunftsmarke zu werben. Im Fall von Asturien, um genau zu sein, war Sabotage eine Klassenwaffe, die unzählige Male eingesetzt wurde, vor allem bei Arbeitskonflikten in Unternehmen. Duro Felguera, Hunosa, Naval, Ciata? Wir erfinden nichts, Sabotage war, ist und wird ein Mittel sein, um jedes Ziel zu erreichen; jede genervte Person, unabhängig von ihrer Ideologie, nutzt sie. Vom Büroangestellten, der Büromaterial stiehlt, über den Arbeiter, der die Maschine zerbricht, an der er angekettet ist, bis hin zum Einsatz von Goma-2 (A.d.Ü., Sprengstoff) wie den Entlassenen von Duro-Felguera. Heute ist das Beispiel das Verbrennen von Zeitarbeitsfirmen. Die Praxis der Sabotage wird auf spezifische und sehr lokal begrenzte Konflikte reduziert, ohne eine globale Perspektive und nur für Teillösungen, mit ökonomischen Forderungen, die innerhalb der von der kapitalistischen Logik vorgegebenen Grenzen bleiben. Das Gleiche gilt für den Fall der Zeitarbeitsfirmen, ein Angriff, der über die Zeitlichkeit eines Konflikts in einem Unternehmen hinausgeht, aber nicht die Lohnsklaverei in Frage stellt, sondern ihre extremste Form, nicht die Ausbeutung einer Klasse, sondern die Zeitarbeitsfirmen; wir befinden uns also in der gleichen Situation. Heute ist der Konflikt global und kann nicht durch Teilkämpfe gelöst werden, sondern durch einen umfassenden Kampf und eine blockweise Ablehnung dieser Gesellschaft. Wir müssen der Reduzierung unseres Lebens auf Waren und der Lohnarbeit, die uns umbringt, ein Ende setzen, und zwar nicht nur mit den Zeitarbeitsfirmen. Wir müssen der Klassengesellschaft ein Ende setzen und nicht nur dem Faschismus. Die Aufmerksamkeit auf Teilprobleme zu lenken, nützt nur den Gewohnten, denen, die unser Elend verwalten, und denen, die es eines Tages verwalten wollen, und beide sind Teil der Ziele, die von Revolutionären sabotiert werden müssen.

Die Praxis der diffusen Sabotage (uneingeschränkte Autonomie, maximale Flexibilität, Selbstorganisation, minimales Risiko) unter Gleichgesinnten eröffnet die Möglichkeit einer echten Kommunikation, die das Spektakuläre zerstört und die Apathie und Ohnmacht des ewigen revolutionären Monologs durchbricht. Beziehungen und die Möglichkeit, mit anderen Menschen in Kontakt zu treten, negieren die Rolle des Spektakulären. Sie sind ephemere Situationen, die durch ihre Vorbereitung und Entwicklung in ihrem Wesen die revolutionäre Situation in sich tragen, die keinen Schritt mehr zurücktreten und die Bedingungen des Überlebens unterdrücken wird. Sie fällt nicht in die unabänderliche entfremdende Hierarchisierung, die mit der Spezialisierung jeder bewaffneten Gruppe autoritären und militaristischen Charakters einhergeht, an die die Massen ihre Teilnahme an den Angriffen delegieren.

Die quantitative Zunahme dieser Praxis erfahren wir nicht von den propagandistischen Sprechern des Spektakels, sondern dadurch, dass wir durch den Schauplatz des Kapitalismus schlendern und uns im Treiben mit verbrannten Geldautomaten, Zeitarbeitsfirmen mit zerbrochenen Scheiben, Schlossern, die das Schloss eines Supermarktes auswechseln, wiederfinden… Anblicke, die uns ein mitschuldiges Lächeln entlocken und uns ermutigen, noch in derselben Nacht hinauszugehen, um mit dem Feuer zu spielen, damit bei anderen unbekannten, aber komplizenhaften Menschen ebenfalls ein Lächeln aus der Verbrüderung mit der Zerstörung entsteht. Es ist nicht die Anzahl, die zählt, sondern die Qualität der Gesten; Sabotage, Enteignungen, Kürzungen… sie geben uns einen Teil des Lebens zurück, das sie uns verweigern, aber wir wollen es ganz. Gefährt*innen, das Spiel gehört euch und wir ermutigen euch, es jeden Tag zu spielen. Spielt es mit euren Kollegen. Gegen die alte Welt in all ihren Gesichtern, um aus der Vorgeschichte herauszukommen, lasst uns die Angriffe verbreiten und vervielfachen.

FÜR DIE ABSCHAFFUNG DER KLASSENGESELLSCHAFT .stop .GEGEN DIE WARE UND DIE LOHNENARBEIT .stop. FÜR DIE ANARCHIE .stop. FÜR DEN KOMMUNISMUS .stop. STEINE UND FEUER!

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(Argentinien, Oveja Negra) DEKONSTRUKTION? https://panopticon.blackblogs.org/2023/02/16/argentinien-oveja-negra-dekonstruktion/ Thu, 16 Feb 2023 11:35:14 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=4805 Continue reading ]]> Gefunden auf oveja negra, einer anarchistischen Publikation aus Rosario, Argentinien, die Übersetzung ist von uns. Hier eine weitere Kritik an der Postmoderne und deren Auswüsche, wie die Intersektionalität und die Dekonstruktion.


DEKONSTRUKTION?

Donnerstag, 25. April 2019

In bestimmten anarchistischen, feministischen, militanten oder allgemein kämpferischen Kreisen findet das Konzept der Dekonstruktion immer mehr Anklang. Für viele scheint es ein unausweichliches und notwendiges Element zu sein, der Weg zu einem größeren Bewusstsein und einer effektiven Umsetzung, die, wenn sie jemals verallgemeinert werden sollte, einen echten sozialen Wandel ermöglichen würde. Sie wird als eine Art Selbstanalyse und ein Bewusstsein für Privilegien vorgeschlagen, das von einer Reihe von „Intersektionalitäten“ (Geschlecht, Gender, Alter, Rasse, Klasse usw.) abhängt und auf diese reagiert, die die Identität jedes Einzelnen definieren, ihn von anderen unterscheiden und dazu führen, dass er Verhaltensweisen und Positionen der Macht oder Unterordnung in Bezug auf andere Individuen reproduziert. Eine Person, die sich im Prozess der Dekonstruktion befindet, stellt also ihre „Privilegien“ in Frage und ändert ihre Verhaltens- und Beziehungsweisen, indem sie versucht, bestimmte Formen, Logiken und Verhaltensweisen nicht zu reproduzieren, um andere Menschen nicht mit ihrer Existenz zu unterdrücken.

Der Gedanke, dass wir alle in gewisser Weise Unterdrücker und Unterdrückte zugleich sind, da es überall Machtverhältnisse gibt und es unmöglich ist, ihnen zu entkommen, muss für diejenigen in hohen Machtpositionen sehr verlockend sein.

Es ist kein Zufall, dass diese Ideen nicht aus den Kämpfen oder Bilanzen ihrer eigenen Protagonisten stammen, sondern von Akademikern, Philosophen, Intellektuellen, genauso wie es kein Zufall ist, dass sie in Universitätskreisen und bei bezahlten Scharlatanen, den Bewahrern der bestehenden Ordnung, so präsent sind. Plötzlich lassen sie uns wissen, dass das Problem in uns selbst liegt. Das Problem ist nicht, dass unser Leben der Arbeit unterworfen ist, den merkantilen Zeiten, der Diktatur der Wirtschaft, des Geldes und der Uhren. Für die Befürworter der Dekonstruktion sind dies allenfalls bedingende Faktoren, aber keine materiellen Bedingungen, die es zu überwinden gilt. Es scheint, als ob das Wichtigste, was es zu lösen gilt, die Machtverhältnisse zwischen Gleichgestellten sind, vielleicht weil dies das Einzige ist, das als möglich dargestellt wird. So können wir alle mit einem einfachen Bewusstsein besser werden. Aber zu glauben, dass es möglich ist, die Gesellschaft durch ein allgemeines Bewusstsein zu verändern, ist genauso naiv, wie zu glauben, dass ein Staatsbeamter, ein Politiker, ein Priester, ein Geschäftsmann oder ein Polizist aufhören würde, von seinen „Privilegien“ zu profitieren, wenn er sich ihrer bewusst würde.

Irgendwie steckt in all dem die postmoderne, subjektivistische Haltung, in der es die Realität nicht mehr gibt und sich alles immer mehr auf individuelle Wahrnehmungen und Empfindungen konzentriert. So wird die Unterdrückung durch den Staat mit der „Mikro-Macht“ jedes Einzelnen gleichgesetzt. Es ist kein Zufall, dass diese Art von Moden in einer Zeit der absoluten Atomisierung, der allgemeinen Empfindlichkeit und der paternalistischen Viktimisierung (A.d.Ü., Opferhaltung) auftreten. Der Kampf gegen diejenigen, die uns unterdrücken, ist aus der Mode gekommen und jetzt unterdrücken wir uns alle gegenseitig, wir sind sogar Feinde von uns selbst.

Zeiten der Selbsthilfe, der Selbstüberwindung, der Beseitigung von schlechten Einflüssen und schädlichen Energien für den persönlichen Fortschritt. Bewusste Ernährung, inklusive Sprache, Umweltbewusstsein, Lebensstile. Es liegt alles an uns als Individuen und hängt von uns als Individuen ab. Und wenn wir versagen, sind wir als Einzelne verurteilt und schuldig. Wieder wird das Alte als das Neue ausgegeben.

Die Theorie der Dekonstruktion geht davon aus, dass es Identitäten oder Festlegungen gibt, von denen wir uns durch einfachen Willen lösen können, so als wären sie eine Wahl und nicht durch einen Prozess von Hunderten von Jahren und Millionen von Menschen definiert. Neben der Frage nach dem Individuum gibt es auch die Vorstellung, dass man so ist, wie man ist, weil man sich dafür entscheidet, mit anderen Worten, weil man so sein will. So kann eine Universitätsstudentin mehr Zeit mit ihrer Dekonstruktion verbringen als eine Mutter von fünf Kindern. In bestimmten Bereichen des Kampfes scheint sich die Perspektive von der Ausrichtung auf echten sozialen Wandel auf die Schaffung sicherer Räume verlagert zu haben, in denen es kein Unbehagen oder Konflikte gibt, in denen sich niemand diskriminiert oder ausgeschlossen fühlt.

Mit all dem negieren wir nicht die Wichtigkeitder subjektiven oder persönlichen Veränderungen oder die Art und Weise, wie wir uns in unserem täglichen Leben verhalten. Denn das scheint uns ein grundlegendes Element für den revolutionären Kampf und sogar eine Frage des Überlebens zu sein. Zu sagen, dass „diejenigen, die von Revolution sprechen, ohne sie in ihrem eigenen täglichen Leben zu verwirklichen, mit einer Leiche im Mund sprechen“, ist etwas ganz anderes, als die Tatsache aus den Augen zu verlieren, dass alles, was wir reproduzieren, Teil einer sozialen (nicht zwischenmenschlichen) Beziehung ist, die an ihren Wurzeln zerstört und überwunden werden muss. Und zwar nicht um der Sache willen, sondern weil es der einzige Weg ist. Denn wenn wir sagen, dass wir eine „Konstruktion“ sind, ist diese Konstruktion sozial und ihre Zerstörung wird sozial sein. Es ist von entscheidender Bedeutung zu verstehen, dass das, was wir sind, viele der beschissenen Einstellungen, die wir reproduzieren und die wir zerstören (nicht dekonstruieren) müssen, das Produkt eines Lebens sind, das den Bedürfnissen anderer unterworfen ist, den Bedürfnissen der menschenfeindlichen Ökonomie, die uns oft unmenschlich macht. Und solange das so ist, können wir uns dessen bewusst werden und die Möglichkeiten, seine Logik nicht zu reproduzieren, so gut wie möglich ausreizen. Das bedeutet nicht, dass wir eine zunehmende Atomisierung und Misstrauen erzeugen, die die Art und Weise, wie der Kapitalismus uns auferlegt, rechtfertigt und weiter reproduziert.

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Notizen über den Wunsch und die Notwendigkeit, die Postmoderne in Brand zu stecken… https://panopticon.blackblogs.org/2022/11/22/notizen-ueber-den-wunsch-und-die-notwendigkeit-die-postmoderne-in-brand-zu-stecken/ Tue, 22 Nov 2022 11:14:06 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=4627 Continue reading ]]> Hier ein weiterer Text der sich in der Kritik mit der Postmoderne ausübt. Die Übersetzung ist von uns. Dieser Text wurde anfangs der 2000er Jahre veröffentlicht. Daher sollte berücksichtigt werden dass er sich vor allem rund um Negris und Hardts Bücher auseinanersetzt.


Notizen über den Wunsch und die Notwendigkeit, die Postmoderne in Brand zu stecken… (oder wie auch immer diese beschissene Welt, in der ich lebe, heißen mag).

Herausgeber: Taller de investigaciones subversivas U.H.P. (UHP − ¡Uníos Hermanxs Psiquiatrizadxs en la guerra contra la mercancía! – Vereinigt euch psychiatrierte Brüder und Schwestern im Krieg gegen die Ware!)

Sie wollten uns verdummen, aber… sie haben versagt! Wir haben etwas anderes gespürt. Es wird Stress geben!“ Die aufgeweckten der Berufschule für Elektronik. Frankreich 1986

Es ist zweifelsohne süßlich1 von Postmoderne zu sprechen, und wir wissen, dass viele Menschen von diesem unwichtigen Wort nicht genug bekommen können: Universitätsprofessoren, Studenten, professionelle Intellektuelle, kleine revolutionäre Gurus… es scheint, dass sich der Terminus gut anfühlt, dass er ein gewisses Maß an Respekt ausstrahlt. Unsererseits, ohne zu glauben, dass die Texte über die Postmoderne von besonderer Bedeutung/Tragweite sind (in der Tat schärfen sie größtenteils Kritiken, die weit in die Vergangenheit zurückreichen, und passen sie an neue Kontexte an), denken wir, dass sie Konzepte und Beschreibungen verwenden, die heute bei der Ausarbeitung einer revolutionären Theorie und Praxis verwendet werden können und sollten. Deshalb haben wir uns entschlossen, ihnen einen Gebrauchswert zu geben, weil wir glauben, dass sie für die Analyse der Transformationen von Kapital und Staat nützlich sind. Aber Vorsicht, wir wollen nicht, dass diese Analyse dazu beiträgt, dass wir mit klareren Vorstellungen ins Bett gehen und unser Ego noch ein bisschen fotorealistischer wird (wie viel wir gelesen haben, wie klug wir sind…), wie es die übliche Praxis all dieser selbsternannten „Köpfe“2 des Protests ist, die sich hier tummeln. Unsere theoretische Analyse impliziert ohne Konzessionen eine Praxis: Wir streben eine intime Kenntnis der Realität an, in der wir leben (sterben), um sie anzugreifen und zu beseitigen, um so zum Aufbau einer Welt überzugehen, in der wir über unsere eigenen Existenzbedingungen entscheiden können.

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Nehmen wir also zunächst einmal an, dass die Achse, um die sich die postmoderne Gesellschaft dreht, nicht mehr wie in der Moderne die Produktion ist, sondern die Kommunikation (im eingeschränkten Sinne der Informationsübertragung) und die Geschwindigkeit, mit der diese stattfinden kann. Der Übergang3 von einem Gesellschaftstyp zu einem anderen findet statt, wenn es nicht mehr möglich ist, von Geschichte als etwas Einheitlichem zu sprechen, wenn die Ereignisse nicht mehr um ein bestimmtes Zentrum herum angeordnet sind. Das Narrativ, das den Raum mit dem Westen (oder sogar einer bestimmten Vorstellung vom Westen, wenn man so will) als einzigem Bezugspunkt organisiert hat, und die Zeit, die auf einer linearen Vorstellung von einheitlicher Geschichte beruht, wird zerrissen… die Totalität weicht der Fragmentierung, der Auflösung der Zentren.

Diese Aufmerksamkeit für das Phänomen der Zerstreuung, für den Abschied von der Hegelschen Geschichte im Hinblick auf ein erkennbares Endziel und die damit einhergehende Auflösung der modernen Legitimitäten sind die Obsessionen der Denker, die von Postmoderne sprechen.

Eine der grundlegenden Transformationen, die sich in diesem Übergang vollziehen, ist die des Wissens: Während in der Moderne das Wissen mit der Bildung des Subjekts verbunden ist, ist es in der Postmoderne nur noch ein weiteres Angebot innerhalb der vom Markt angebotenen konsumfertigen Produkte. Da die postmoderne Gesellschaft, wie gesagt, die Gesellschaft der Kommunikation ist, wird auch das Wissen nach den Parametern dieses Prozesses definiert, in dem der Tauschwert vorherrscht. Außerhalb des vorherigen historischen Stadiums, und mit der absoluten Vorherrschaft der Pragmatik (was bedeutet, dass die Legitimität einer Aktion ausschließlich durch die von ihr hervorgerufenen Wirkungen gegeben ist, d.h. durch das, was in der gekünstelten Sprache 4 der Meister als Performativität bezeichnet wurde), wird das Wissen als die wichtigste Kraft der Macht konstituiert, als ein Instrument der Kontrolle der Umwelt und der Beziehungen zwischen Individuen oder Gruppen innerhalb des Systems. Dies ist die grundlegende Idee, bei der wir beibehalten werden…

Da eine desinteressierte und horizontale Kommunikation (diejenige, für die es zu kämpfen gilt und die eine notwendige Bedingung für die Beendigung der Entfremdung ist) in einer performativen Gesellschaft nicht existieren kann, funktionieren die Beziehungen zwischen den Menschen schließlich so, dass hinter jeder ausgestrahlten Botschaft ein bestimmter Spielzug steht, wobei das bestimmende Verhältnis zwischen den verschiedenen Spielern der Wettbewerb ist. Die Spielzüge sind Strategien, um zu gewinnen, die Spieler sind lediglich Konkurrenten, und die kommunikativen Akte – kurz gesagt – sind lediglich nur pragmatische Akte. Worauf es wirklich ankommt, ist die Wirksamkeit einer jeden Aktion… wenn man etwas ist, dann wegen des Gewinns, den es bringt, und nicht wegen des Vergnügens, es zu sein. In diesem Kontext interessiert uns vor allem die Tatsache, dass sich die Technologie als das Modell der maximalen Effizienz, als funktionales Paradigma der vom System vertretenen Werte erweist; das vorherrschende Wissen ist ein angewandtes und fachliches Wissen, das Waren (im weitesten Sinne des Terminus und nicht nur unter Berücksichtigung von Artefakten) entsprechend ihrer Betriebsfähigkeit konstruiert. Dieses Wissen ist völlig losgelöst vom alltäglichen Leben, es ist uns fremd (A.d.Ü., im Sinne der Entfremdung), und es annulliert jene Fähigkeit, die die Arbeiter der Vergangenheit besaßen, um von ihrem eigenen Handwerk aus die Möglichkeit der Selbstverwaltung des gesamten Lebens zu erahnen; kurz gesagt, das Wissen, mit dem wir konfrontiert sind, ermöglicht die Spaltung der Gesellschaft in jene die entscheiden und jene die ausführen, eine feine Nuance des ewigen Verhältnisses zwischen Ausbeutern und Ausgebeuteten: derjenige, der etwas tut, ist demjenigen unterstellt, der im Besitz des Wissens ist. Das Eisen und das Blut lösten Empörung und Aufstände aus; die Informationsbetäubung, das übermäßig ausgestattete Elend oder die graue Routine des Büroangestellten lassen einen profitablen, von Zombies bewohnten Planeten entstehen.

Das hier beschriebene Verhältnis zwischen den Klassen (denn die Welt hat sich nicht in dem Sinne verändert, dass man glauben könnte, sie seien verschwunden, obwohl es offensichtlich ist, dass sie nicht mehr die gleichen Formen wie gestern verwenden) bricht die Kontingenz der Aktion, gibt vor, dass die Notwendigkeit sie beherrscht, und stellt sie schließlich der Fabrikation gleich. Die Technik setzt sich durch: Die Aktion besteht darin, etwas auf die effizienteste und rentabelste Weise herzustellen. In dem Maße, in dem Wissen und Handeln zunehmend voneinander getrennt werden, dominiert das Wirksame, nicht mehr das „Ich denke“, sondern das „Ich kann“.

In der so genannten Postmoderne ist die Technik als System autonom geworden und folgt in ihrer Entwicklung ihren eigenen Gesetzen. Insofern die Performativität ihr Schlüsselelement ist, handelt es sich um ein System, das von vornherein feststeht und dessen Fortschritte völlig determiniert sind… Immer wieder widerspricht die Geschichte jenen, die den befreienden Charakter der Technologie verkünden wollten und wollen: Weit davon entfernt, eine emanzipatorische Funktion zu erfüllen, war sie dafür verantwortlich, die Menschheit unter ihren Geboten der Effizienz und Rentabilität zu unterwerfen. Die Tatsache, dass die technologische Entwicklung Werkzeuge hervorbringt, die in Befreiungsprozessen eingesetzt werden können, bedeutet noch lange nicht, dass diese Entwicklung auch die Zerstörung des Systems ermöglicht, das sie hervorgebracht hat. Die verschiedenen technologischen Entwicklungen der letzten 70 Jahre haben die Mechanismen der Ausbeutung und der Herrschaft neu definiert und optimiert. Die Analyse dieser Entwicklungen wird innerhalb des sozialen Konflikts unverzichtbar, die Wege der Konfrontation werden – zum Beispiel – berücksichtigen müssen, dass die ständigen technologischen Fortschritte nicht mehr so sehr auf die einfache Verrechnung von Gütern abzielen, sondern auf die Entwicklung von Mitteln zur sozialen Kontrolle und immateriellen Produktion, die die (immer vermutete, aber bisher verheerende) unbegrenzte Expansion des Kapitals ermöglichen. Wir leben in einem ständigen, versüßten Ausnahmezustand.

Auch wenn es sich hier um nichts anderes als den historischen Kampf zwischen den Habenden und den Habenichtsen handelt, müssen wir die heutige Realität berücksichtigen, dass sich die herrschenden Klassen nicht mehr so sehr durch den Besitz von Produktionsmitteln und großen Mengen an Gütern definieren, sondern durch den Besitz von Spezialwissen, das es ihnen ermöglicht, am Funktionieren der Macht teilzuhaben. Dieses technologische Wissen arbeitet an der Reduzierung der realen Verstehenskraft der Ausgebeuteten (die Ausgeschlossenen, die ja von diesem Wissen ausgeschlossen sind), an der Schaffung eines operativen Individuums, das weiß, was es innerhalb des ihm vom Kapital vorgegebenen Rahmens zu tun hat, das aber nicht darüber hinaus versteht, das zu wenig über sich selbst weiß, um sich selbst zu verstehen. … das heißt: es arbeitet für die Perfektion des Spektakels, für eine verfälschte Gesellschaft, die auf Bildern aufgebaut ist und in der die Unterwerfung des Menschen durch Befriedigungen erreicht wird, die nur banale und verzerrte Spiegelungen der wahren Befriedigung eines Lebens sind, das von keiner Autorität beherrscht wird. Andererseits haben die Auswirkungen des ungezügelten Missbrauchs der technologischen Entwicklung durch die Herrschenden offensichtliche und katastrophale Folgen für den menschlichen Habitat. Wir sind daher der Ansicht, dass beide Merkmale dieses Wissens, sowohl sein Beitrag zur Entfremdung als auch seine brutale Ausplünderung des gesamten Planeten, nicht nur Folgen seines „Missbrauchs“ sind, sondern wesentliche Bestandteile der Definition des technologischen Systems. Deshalb glauben wir nicht an seine Wiederverwertung und schon gar nicht an sein Erlösungspotenzial.

Machen wir uns also nichts vor, die Logik des Systems kann nicht durch seine eigenen Produkte bekämpft werden. Technologische Innovationen allein werden nicht die Krise der westlichen Kultur bedeuten, sondern eher ihre Konsolidierung oder sogar die Vernichtung des Planeten. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts scheint der Cyborg nicht das Ticket aus dem postmodernen Alptraum gewesen zu sein – wie einige Denker verteidigt haben -, die Vorhersage hat übersehen, dass die bestehende Technologie ihre eigene Sprache hat, und dass diese – unabhängig davon, ob es revolutionäre Subjekte waren, die sie nutzten – so konfiguriert wurde, dass sie der Macht, von der sie ausging, so viele Vorteile (A.d.Ü., im Sinne eines Gewinnes) wie möglich brachte. Aus diesem Grund: Weil es im Reich der Pragmatik und der Effizienz keine Unschuld gibt, ist die Behauptung, dass das technologische Potenzial der eigentliche Auslöser für den Untergang des Ganzen und seiner Homogenität sein wird, ein Akt enthusiastischer Ignoranz… Diejenigen, die im antikapitalistischen Kampf all ihre Hoffnungen in die Maschinen setzen, ignorieren, dass die postmoderne Welt (weil sie nach den Parametern definiert ist, die wir zu erklären versucht haben) niemals eine Macht entfesseln würde, die an sich ihre eigene Zerstörung bewirken könnte.

Die wahre Subversion besteht in der Suche nach der un-vorhersehbaren Zukunft in einer Zeit, in der versucht wird, alles vorherzusehen, es besteht darin, genau das zu finden, was sich der Programmierung durch ihre Maschinen entzieht. In diesem Krieg gegen die Totalität werden wir all jenen Materialien einen Gebrauchswert geben, die sich für unseren Angriff auf den Himmel eignen… aber wir werden nicht in die Fehler der Vergangenheit verfallen, und deshalb werden wir kein Mittel sakralisieren, das wir uns aneignen (weder Benzin und Feuer, noch freie Radios, noch Besetzungen, noch Informatik…), nur so werden wir kein neues Ghetto errichten, aus dem wir – dank der Blindheit, die wir immer wieder in der Illusion akzeptiert haben – nicht mehr herauskommen. Indem wir strategisch nicht von einem Schlüsselelement abhängig sind, sondern mit allen spielen können, werden wir stärker und unsere Angriffsmöglichkeiten vervielfachen sich. Andererseits werden wir gegen die Spezialisierung innerhalb von uns selbst bekämpfen, da wir unsere offensiven Kapazitäten nicht in die Hände irgendeines Technikers geben werden. Die Notwendigkeit, eine Strategie zu finden, an der es uns offensichtlich seit vielen Jahren mangelt, bedeutet, dass wir unsere eigene Konzeption von Konflikten neu formulieren müssen; es bedeutet, dass wir uns anstrengen, uns mit der Realität auseinandersetzen, über jeden ihrer Zusammenhänge nachdenken und aufhören, uns kopfüber hinter Slogans und Bewegungen zu stürzen, die nur in ein paar Schlagzeilen in den Nachrichten, die wir vor dem Schlafengehen genießen, konsumiert werden. Ohne so weit zu gehen, zu behaupten, dass wir vor dem Niedergang der Revolte stehen – wie es bereits jemand getan hat -, können wir feststellen, dass der Umfang dieser (A.d.Ü., Revolte) wenig mit den Demonstrationen und Ausschreitungen zu tun hat, die in den letzten Jahren in verschiedenen europäischen und nordamerikanischen Städten anlässlich der verschiedenen Gipfeltreffen des IWF, der Weltbank oder der EU stattgefunden haben (obwohl die massive Zerstörung von Waren, die die wilden Demonstranten anrichteten, unser schönstes Lächeln hervorruft); die Leichtigkeit, mit der verschiedene Fraktionen (von der Linken, die immer eine kleine Auferstehung nach jeder kleinsten Infragestellung des Kapitals zu haben scheint, bis hin zu den Medien selbst) die meisten der jüngsten Ereignisse aufgegriffen haben, lässt uns denken, dass es an der Zeit ist, zu klären, was wir Antikapitalisten wollen. Was vorerst keineswegs einen punktuellen Konflikt bedeuten kann – der bei den Gipfeltreffen sowohl zeitlich als auch räumlich stattfindet -, sondern die Entwicklung einer alltäglichen Konfrontation mit der Macht in jeder ihrer Erscheinungsformen. Erscheinungsformen, deren Entlarvung – wenn überhaupt, dann immer komplizierter – eine unserer Hauptaufgaben ist.

Angesichts der Tatsache, dass heute nicht die Argumentation, die überzeugt, sondern die Macht, die funktioniert, legitim ist, irren wir uns nicht, wenn wir behaupten, dass diejenigen, die den Dialog und den Konsens in unserer Zeit verteidigen, sich geirrt haben. Die Gesellschaft, zu der wir gelangt sind, ist nicht das Ergebnis der Dialog- und Argumentationsfähigkeit von Frauen und Männern, und ebenso wenig wird ihr Ende durch diese Fähigkeit herbeigeführt. Der heutige Konsens ergibt sich aus der Funktionsweise des kapitalistischen Rahmens, er wird nicht akzeptiert, weil er überdacht und für „gut“ befunden wurde, sondern weil die Gesetze des Systems, in dem er entstanden ist, ihn funktionieren lassen, ohne dass er in Frage gestellt werden kann. Der Vormarsch und die Konsolidierung des Orwell’schen Alptraums findet seine deutlichste Bestätigung in der Art und Weise, wie die kapitalistischen Medien und ihre Propaganda eingesetzt werden, um zu bekräftigen, dass mit dem Fall der Mauer 1984 (A.d.Ü., gemeint ist eine dystopische Darstellung einer Gesellschaft) niemals sein wird. Als ob es sich um eine Jugendliebe handeln würde, ist es heute schon 1984, und doch ist es weniger als morgen. Die Demokratie, der absolute und unbestreitbare Wert der postindustriellen Gesellschaften, ist nichts anderes als das Ergebnis der Dynamik des Marktes und der Lösungen, die gewählt werden, um seine Bedürfnisse zu befriedigen (die erste davon ist die Stabilität, was die unausweichliche Unterdrückung der proletarischen Bedrohung impliziert). So funktioniert die merkantile Pragmatik: Das Gleichgewicht entsteht durch die Beseitigung von Unterschieden, und je homogener die Elemente sind, aus denen die Gesellschaft besteht, desto besser funktioniert sie.

Eine revolutionäre Theorie und Praxis muss die Welt, mit der sie konfrontiert ist, verstehen, um ihre Widersprüche in die Luft sprengen zu können und Situationen zu schaffen, die ihre Vernichtung ermöglichen. Wir leben inmitten einer krampfhaften Zirkulation an Bildern, in der es nichts zu sehen gibt, wir leben in einem System, das weniger dank des Mehrwerts der Ware als dank des ästhetischen Mehrwerts des Zeichens funktioniert. Die Realität ist ein Hin und Her von Darstellungen, die den Menschen zur reinsten Apathie zu verdammen scheinen, die ihn hypnotisieren und gleichzeitig verstümmeln, die es ihm unmöglich machen, seine eigene Autonomie zu entwickeln. Unsere Absicht kann keine andere sein, um es zu schaffen, Konflikte auszulösen, die die Möglichkeit eröffnen, außerhalb all dieser bereits etablierten Codes zu kommunizieren, innerhalb der bestehenden sozialen Organisation eine Masse von Wünschen zu propagieren, die sie selbst nicht zu befriedigen vermag. Diese Idee ist nicht neu, aber sie wird schon lange nicht mehr praktiziert und scheint sogar in Vergessenheit geraten zu sein… was nicht verwunderlich ist, wenn wir mit dem Rücken zu uns selbst existieren und unser Gedächtnis stagniert.

Daher scheint es uns klar zu sein, dass die Welt, die wir zerstören wollen, nicht mehr unter ihren eigenen Begriffen betrachtet werden darf. Diejenigen, die nach so vielen erlittenen Schlägen immer noch so weitermachen, können dies nur aus zwei Gründen tun: Entweder versuchen sie, in der sozialen Organisation aufzusteigen und dank ihres Status als Protestierende ein gewisses Privileg zu erlangen (und wir alle wissen sehr gut, auf welcher Seite sie stehen und was sie verdienen), oder es handelt sich um einen Ignoranten der die grundlegende Prämisse der Revolution nicht kennt: Die Macht spricht (A.d.Ü., in Form eines Dialoges) nur mit ihren Besitztümern.

Unsere Möglichkeiten zum Sieg liegen darin, unsere eigene Sprache und Logik ins Spiel zu bringen, einen Diskurs zu konstruieren, der sich wirklich als Gegenmacht und absolutes Anderssein zum totalisierenden Diskurs konfiguriert. Es kann keinen Dialog oder eine Transaktion zwischen den beiden geben, denn ohne Homologie gibt es keine Möglichkeit der Übersetzbarkeit. Das Ergebnis – wen auch immer es erschrecken mag – kann nur ein Zusammenstoß zwischen den rebellierenden Subjekten, die sich in dem von ihnen eingeleiteten Prozess der Selbstaufwertung wappnen, und der totalisierenden Arroganz der Realität des Konsenses sein. Dieser Zusammenstoß kann nichts anderes bedeuten als Bruch, Zerteilung ohne die geringste Möglichkeit der Reform und Verbesserung… das heißt: Gewalt, Sabotage, Poesie… Subjektivität, Bewegung, Kampf: die Benutzung der Differenz, der Fluchtweg, der uns erlaubt, diese konsensuelle Realität zu verlassen.

Die Aktivierung des Dissenses bedeutet, mit den Ängsten einer Gesellschaft zu brechen, in der die Selbst-entfremdung zur Regel geworden ist: in dem Bewusstsein zu leben, dass wir in einen Krieg verwickelt sind, wird immer besser sein, als das Handwerk des Existierens auszuüben, als in einer Zeit zu leben, deren Ende man sich nur wünschen kann. Wir wollen mit einem brennenden Ja auf die Frage antworten, die uns nicht mehr aus dem Kopf geht: Wird es wirklich ein Leben vor dem Tod geben? Angesichts der Totalität können wir nur dann Wege der Befreiung und des Vergnügens beschreiten, wenn wir grausam sind. Voran mit der Angeberei!

Wir kennen den modischen Diskurs (made in Italy), der die Notwendigkeit der Insurrektion vorschnell als „Metaphysik der Gewalt“ bezeichnet; gerade diejenigen, die am meisten an die Komplexität der heutigen Gesellschaft appellieren, um die Notwendigkeit einer gewalttätigen Praxis zu negieren, scheinen die Einfältigsten zu sein. … egal, wie viel die Anführer von Sozialforen und kostümierte Witzbolde schwatzen, oder egal, wie viele kluge Artikel intellektuelle Ruhmestaten vergangener Revolutionen schreiben – in einem übermäßigen Eifer, heute einen Protagonisten zu finden -, wir werden nicht in den Verzicht auf unsere eigenen Möglichkeiten und Potenzen fallen. Wir werden keinen radikalen Pazifismus, keine Gewaltlosigkeit der Zivilgesellschaft, keinen legalistischen Widerstand für die totale Demokratie oder ähnlichen Unsinn akzeptieren. Gewalt ist nichts, geschweige denn ein Etikett: sie ist etwas, das uns schon immer begleitet hat. Meistens zu erdulden, und manchmal zu praktizieren, als Verteidigung, als Angriff; sie entgeht von selbst den vorgeblichen moralischen und humanistischen Reden derer, die sich danach sehnen, die Revolte zu kanalisieren, wo immer sie auftritt. Weder Gott, noch das Gesetz, noch die Moral können einer historischen Tatsache widersprechen, die jederzeit nachweisbar ist: das menschliche Leben ist gewalttätig. Und es ist nicht in unseren Köpfen, zu diesem Zeitpunkt das Leben zu leugnen (wer macht dann Metaphysik…?), Gewalt ist etwas, das uns innewohnt (A.d.Ü., inhärent), und deshalb denken wir nicht daran, sie abzulehnen, genauso wenig wie wir den Gebrauch unseres Intellekts oder das Wenige, das von unserer angeschlagenen Kreativität übrig geblieben ist, ablehnen. Das wäre alles, was wir bräuchten… um uns immer mehr zu amputieren, um die kapitalistische Verstümmelung autonom zu reproduzieren (ist das die Autonomie, die so viele Globalisierungsgegner anstreben?). Wir beten die Gewalt nicht an, wir masturbieren nicht vor Gewehren und Bomben, und wir glauben auch nicht, dass irgendeine bewaffnete Bande kommen wird, um uns aus dieser traurigen Gegenwart zu retten.

Wir verstehen nur die Forderung nach maximaler Effizienz beim Einsatz unserer Kräfte, um dieses System zu zerstören. Es scheint uns nicht so schwer zu verstehen zu sein, und deshalb können wir die Diskussion über die Zweckmäßigkeit der einen oder anderen gewalttätigen Handlung in einem bestimmten Kontext akzeptieren, aber wir werden auf keinen Fall über die Notwendigkeit von Gewalt an sich streiten; und noch viel weniger werden wir dies über ethische Annahmen tun: von der Prämisse auszugehen, dass Gewalt nicht ethisch ist, ist in der Tat eine grundlegende Dummheit. … das einzige ethische Projekt, das wir verstehen können, ist das der Beendigung der kapitalistischen Herrschaft; und es ist klar, dass die Herren der Welt mit unseren Ansprüchen nicht einverstanden sein werden, also werden wir sie ihnen nicht vermitteln, indem wir ihnen im Voraus den Kopf hinhalten, damit sie ihn brechen.

Wie immer hat die Linke eine unheimliche Fähigkeit, ihre eigene Polizei zu schaffen.

Es ist wirklich an der Zeit, scharfe Unterschiede zu machen und ein für alle Mal klarzustellen, wer für die Zerstörung des Kapitalismus ist und wer nicht. Alle falschen Verleumder der bourgeoisen Zivilisation müssen entlarvt werden…. Coole (A.d.Ü., gemeint sind jene die allen gefallen wollen und daher unfähig für Konflikte sind), Unterhändler, Politikerlehrlinge, NGOler, Neosozialdemokraten, Feuerwehrleute (A.d.Ü., gemeint sind jene die Kämpfe löschen anstatt sie zu verbreiten) … und wir werden es nicht tun, weil wir die revolutionäre Wahrheit haben und denken, dass ihre „Kämpfe“ ungültig sind, sondern weil wir sie direkt als teilnehmende und bewusste Rädchen des miserablen Systems betrachten, gegen das wir kämpfen, oder was dasselbe ist: wir glauben nicht einmal, dass sie gegen etwas „kämpfen“. Wir sagen es unmissverständlich: sie sind unsere Feinde. Wer immer gesagt hat, dass Passivität immer Anleitungen und Spezialisten braucht, hat Recht: wer ruft, dass es noch nicht Zeit für eine Revolte ist, verrät uns im Voraus die Gesellschaft, für die er wirklich arbeitet. Wir wissen, weil die Geschichte – die zeitlich entferntere und die jüngere – uns klare Anzeichen dafür liefert, auf welcher Seite sie stehen, dass sie uns, wenn die Zeit gekommen ist und die Bedingungen günstig sind (wenn sie klar sehen, womit sie davonkommen können), ohne den geringsten Skrupel uns an Richter, Journalisten und Polizisten verkaufen werden. Übertreiben wir? Machen Sie die Augen auf, sehr geehrte Herren…! und Sie werden all die sozialen Kämpfer sehen können, die von den Dächern herab die Vorzüge und das Gute des gewaltsamen und bewaffneten Kampfes weit weg in Zeit oder Raum (oder in Zeit und Raum gleichzeitig) kritisieren und die revolutionären Praktiken anprangern, die in ihren eigenen Städten, in ihren eigenen Vierteln stattfinden, und so zwischen gewaltsamen und gewaltlosen, unschuldigen und schuldigen, legitimen und illegitimen Protesten unterscheiden. Sie sind die effizientesten Lakaien, sie gehen wirklich über die Spezialisierung hinaus, und sie erfüllen gleichzeitig die Funktion des Bullen, des Fernsehens, des Radios und der Presse… sie sind diejenigen, die den Weg für die Repression ebnen, und sie verdienen nur unsere Verachtung und unsere Wut, alles andere ist überflüssig.

Unsere Kreativität hat die schöne Aufgabe, alte Konflikte auszugraben und gleichzeitig neue aus dem Ärmel zu schütteln, und sie ist sich bewusst, dass sie, indem sie am Rande der postmodernen Pragmatik arbeitet, in der Tonart der Illegalität geschrieben ist: wir akzeptieren bereitwillig die Tatsache, dass wir Kriminelle sind, und wir bereiten uns darauf vor, als solche zu handeln. Wir werden uns in keiner Weise auf die Farce der Selbstrechtfertigung einlassen, wir sind niemandem Rechenschaft über unsere Wünsche schuldig, wir sind uns bewusst, dass unser Kampf, solange er nicht rekuperierbar ist – was das beste Zeichen dafür ist und sein wird, dass wir auf dem richtigen Weg sind -, systematisch von der Justiz in all ihren Formen (Polizei, streng juristisch, Medien usw.) verfolgt werden wird.

Die Rebellion versteht die Aktion von den Antipoden der Postmoderne aus, nicht mehr die Aktion als Fabrikation, sondern die Aktion als die einzige Möglichkeit, die uns bleibt, um unsere Qualität des Andersseins zu offenbaren. Wir fühlen uns von der Idee angezogen, die Welt als ein Spielbrett zu betrachten, auf dem wir die besten Spieler sein wollen, was der Ausdruck unseres Kampfes sein kann. Wir haben damit begonnen, die Regeln zu verstehen, die die Züge der Spieler-Konkurrenten bestimmen, und dann haben wir uns daran gemacht, selbst zu spielen… wir legen unsere eigenen Strategien fest, die unseren eigenen Zielen entsprechen, und wir sehen, wie wir die Regeln umgehen können, auf die wir gestoßen sind, wenn wir das Spiel betreten. Wir sind uns bewusst, dass wir das Spiel gewinnen werden, wenn das Brett zerschlagen ist, und wir beginnen damit, indem wir unsere eigenen Züge/Bewegungen jenseits jedes Modells merkantiler Effizienz bestimmen: wir handeln aus Vergnügen, einem Vergnügen, das auf ein volles Leben voller Möglichkeiten hinweist. Wir wollen nicht mit dieser Gesellschaft kommunizieren, wir haben uns nichts mehr zu sagen, wir wollen sie verrecken sehen. Deshalb sind unsere Aktionen seine eigentliche Negation, sie können nicht innerhalb merkantiler Strukturen reorganisiert werden, sie können nicht vom Kapital als seine eigene Produktivkraft gestaltet werden. Unser Protest lässt sich nicht in eine Ware verwandeln, mit der man handeln oder verhandeln kann, sondern wir suchen lediglich die Befriedigung unserer überzogenen Forderungen. Es handelt sich dabei um implizite menschliche Bedürfnisse, die jedoch in eine falsche Gesellschaft integriert und dadurch verfälscht wurden. Wir haben sie erahnt und werden nicht aufhören, bis wir ein Leben gefunden haben, das ihnen gerecht wird.

In einer Welt, in der sich der Markt als einziger Schauplatz des Lebens behauptet, der Tauschwert der einzig mögliche Wert ist und somit die totale Identifikation zwischen Gesellschaft und Kapital eine vollendete Tatsache ist, kann die Revolution nur die endgültige Demontage des elenden und banalen Alltags, die totale Befreiung der unterdrückten Leidenschaften und Wünsche bedeuten. Sich mit weniger zufrieden zu geben, kommt uns nicht in den Sinn, wir haben schon genug Elend erlebt…

Wir werden nicht versuchen, alle Fragen zu beantworten, wir werden das Spiel spielen, sie alle offen zu lassen… jetzt werden wir es tun: es geht darum, zu handeln, wenn alle warten, zu sagen, was der Feind nicht voraussehen kann, dort zu sein, wo er nicht auf uns wartet. Die revolutionäre Aufgabe besteht heute in nichts mehr und nichts weniger als darin, die Schleier zu zerreißen, die die realen Bedingungen der Ausgebeuteten und der Ausgebeuteten verdecken, kurz gesagt, die Situation zu schaffen, die den dritten proletarischen Angriff auf die Klassengesellschaft möglich macht.


1A.d.Ü., im Originaltext ist die Rede von empalagoso was süßlisch, schmalzig, aufdringlich und auch üppig. Dies kann auch auf Personen, wie auf alle möglichen Ereignissen angewendet werden.

2A.d.Ü., im Originaltext ist die Rede von cerebros, bedeutet wortwörtlich Hirne.

3A.d.Ü., im Originaltext ist die Rede von tránsito was auch Verkehr bedeutet. Inhaltlich soll der Übergang als was verstanden werden, welches wie der Verkehr, Durchfahrt, usw. ohne Halt durchläuft.

4A.d.Ü., im Originaltext ist die Rede von lenguaje rebuscado was für eine Ausdrucksform steht die sehr unüblich ist, für die meisten Menschen nicht verständlich.

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(Grupo Barbaria) Postmoderne oder der Schwindel einer falschen Radikalität https://panopticon.blackblogs.org/2022/11/16/grupo-barbaria-postmoderne-oder-der-schwindel-einer-falschen-radikalitaet/ Wed, 16 Nov 2022 13:25:08 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=4612 Continue reading ]]> (Grupo Barbaria) Postmoderne oder der Schwindel einer falschen Radikalität

Geschrieben am 20 November, 2018 von Grupo Barbaria veröffentlicht, die Übersetzung ist von uns. Hier ein weiterer Text der Reihe Kritik an der Postmoderne/Postmodernismus.


(Grupo Barbaria) Postmoderne oder der Schwindel einer falschen Radikalität

Einleitung

In diesem Text wollen wir eine flüchtige Kritik an einigen ideologischen Gemeinplätzen unserer Zeit üben, Gemeinplätze, die wir der Einfachheit halber postmodern nennen. Ganz allgemein kann man sie daran erkennen, dass jeder Versuch, radikale Emanzipation anzustreben, eine Metaerzählung wäre, dass das Streben nach einem Wahrheits- oder Objektivitätskriterium ein Beweis für Arroganz und Herrschaftswillen wäre. Dass es keine allgemeinen und universellen Kriterien gibt, anhand derer man die Realität der Welt definieren kann, und daher auch keine Suche nach einer allgemeinen Befreiung existiert. Dass alles subjektiv ist, dass der einzig mögliche Kampf derjenige ist, der sich im Alltäglichen, in der Mikrophysik der Mächte abspielt, ohne Gefahr zu laufen, in Essentialismen und immer gefährliche sichere Definitionen zu verfallen, usw.

Dieser Text ist aus einer revolutionären Praxis heraus geschrieben und die Kritik basiert auf dem Einfluss, den diese Art von Ansätzen und Autoren innerhalb der radikalen Aktivisten haben, die versuchen, gegen diese Welt zu kämpfen. Deshalb scheint es uns wichtig zu sein, über den Schwindel zu diskutieren, der von dieser Art von Autoren ausgeht. Die Strömung, die diese Art von Perspektive am meisten in die „sozialen Bewegungen“ eingebracht hat, ist eine leichte (A.d.Ü., light im Originaltext)und reformistische Version der historischen autonomen Bewegung, die Toni Negri als einen ihrer wichtigsten Referenzen hat und die Werke von Deleuze, Foucault, Guattari… zu angeblichen Handbüchern des Radikalismus gemacht hat, die „gebildete“ Aktivisten durcharbeiten sollten. Das jüngste Buch von Marina Garcés, einer Universitätsprofessorin für Philosophie und Vertreterin dieser Art von Strömungen und Ideen, bringt genau das zum Ausdruck, was wir kritisieren wollen. Eine scheinbare Radikalität in Formen und Diskursen, die vorgeben, alles dekonstruieren zu wollen, und eine Ohnmacht, die sich aus den Prämissen ergibt, wie sie selbst zu Beginn des Prologs zu ihrem Buch Ciudad Princesa (S. 11) einräumt:

Ich weiß nicht, bis zu welchem Punkt wir real gekämpft haben. Ich weiß auch nicht, bis zu welchem Punkt wir gänzlich verloren haben. Ich weiß, dass die Ideen und Lebensweisen, an die ich glaube, nicht gesiegt haben, aber sie sind auch nicht verloren. Die Generation der siebziger Jahre wollte den Himmel stürmen und hat sich die Flügel verbrannt. Diejenigen von uns, die nach ihnen kamen, wuchsen inmitten ihrer Asche auf und sahen, wie die Feuer ihrer Sehnsüchte und Ideale erloschen (…). Und nur einige wenige haben die Glut des radikalen Denkens und Engagements weiter genährt.

Diejenigen von uns, die sich Ende der 1990er Jahre politisiert haben, haben nicht in den Himmel geschaut, außer um sich eine Zeit lang auszuruhen.“

Andererseits ist es wichtig zu verstehen, dass wir, wenn wir von Postmoderne sprechen, keinen drastischen Bruch mit der so genannten Moderne vollziehen. In der Realität sprechen beide „Epochen“ von der gleichen Sache, vom Kapitalismus und seiner Tendenz, Form und Inhalt, Subjektivität und Objektivität, Wissen von Moral usw. zu trennen. Der Kapitalismus ist ein System, das auf einer Form beruht (Kapital als Wert, der mit Wert aufgeblasen wird), das dazu neigt, jeden Inhalt unter seiner totalitären Ägide zu subsumieren. Alles kann in Geld als allgemeines Äquivalent des Reichtums umgewandelt werden, jede menschliche Tätigkeit kann unter das Imperium der abstrakten Arbeit subsumiert werden. Bereits mit dem Aufkommen des Kapitalismus im 17. Jahrhundert begannen sich die ersten Formen dieser Trennung auch in den Denkweisen zu entwickeln. Wir beziehen uns zum Beispiel auf Descartes‘ Ich denke, also bin ich oder Thomas Hobbes‘ Mechanismus des politischen Körpers. Das Kapital läutet eine Epoche ein, die das Leben von seiner materiellen Substanz trennt, die die Menschen sowohl voneinander als auch von innen her fragmentiert, die die menschliche Gemeinschaft zerstört… Es ist eine Metaphysik der Trennung, die uns gegeneinander stellt, wie Hobbes selbst in seinem Staat der Natur als Grundlage des staatlichen Leviathans feststellt. Dieser Krieg aller gegen alle, die Reduzierung des sozialen Lebens auf Atome, die sich in einem ständigen merkantilen Konflikt befinden, wird in der Postmoderne auf die Spitze getrieben. In der Tat wird der Krieg aller gegen alle in postmodernen Positionen zu einem permanenten Konflikt zwischen Identitäten. Rassifizierte gegen Weiße, Queer gegen Cisgender, Trans gegen Queer, usw. Je mehr Unterdrückungen, desto besser! Wer legt noch einen drauf in diesem Geschwätz von Privilegien, das festlegt, wer zu sprechen und wer zu schweigen hat! Damit entfällt nicht nur jede einheitliche Kritik an dieser Welt, sondern auch die Möglichkeit, sie zu transzendieren und sich mit den spezifischen Unterdrückungen auseinanderzusetzen, die das Kapital in seiner ganzen Bandbreite reproduziert. Nur ein Projekt der ganzheitlichen Zerstörung dieser Welt durch den Wiederaufbau der menschlichen Gemeinschaft ermöglicht ein solches Ziel.

Wenn wir von Postmoderne sprechen, beziehen wir uns auf eine Ideologie und nicht auf eine Epoche. Die Epoche bleibt dieselbe, auch wenn das für unsere vornehmen Gegner unglücklich ist: die des Kapitals und seiner kategorischen Invarianten, der abstrakten Arbeit und der Ware, des Staates und der Demokratie. Wir sprechen von einer Ideologie, weil es sich um eine verzerrte Sicht der Realität handelt, die es uns nicht erlaubt, ihren wahren Sinn und damit die Möglichkeiten ihrer Revolutionierung in einem emanzipatorischen Sinne zu erfassen. Darüber hinaus führt seine Produktion von der University of California zur Sorbonne, von der Sapienza in Rom zur Complutense in Madrid, von den Universitäten in Buenos Aires zu denen in Kalkutta. Es handelt sich also nicht um eine einfache Ideologie, sondern um eine Ideologie, deren offensichtlicher Vertreter die Mittelklasse ist. „Radikale“ Akademiker auf dem Campus übersetzen reale Unterdrückungen (patriarchalisch, rassisch…) in ihre Fachsprache, um Mittel für ihre Forschungsprojekte zu erhalten. Eine Zombie-Multitude von Universitätsstudenten, die sich von der esoterischen Sprache der Älteren verzaubern und unterhalten lassen, schwingen mit überheblicher/arroganter Sicherheit die Waffen ihrer magischen und unverständlichen Phrasen, und wehe dem, der sich ihnen widersetzt. Die Postmoderne hat etwas von Post-Mostalinismus1 an sich.

Aus all diesen Gründen ist dieser Text ein Text des Kampfes, eine Bestätigung des Kommunistischen und Revolutionären, ein Text der Negation.

1. Eine Ideologie der Niederlage

Zuallererst ist es wichtig, den Ursprung der Postmoderne zu beschreiben. Die postmoderne Ideologie entsteht nach einer Reihe von revolutionären Niederlagen im 20. Jahrhundert (Erster und Zweiter Weltkrieg), gekrönt von der Niederlage der Welle sozialer Revolten, die in den 1960er Jahren ausbrach: Von Frankreich bis Argentinien, von Prag bis Italien, von Uruguay bis Portugal wird das Proletariat versuchen, sich als Partei, als Klasse zu konstituieren2. In manchen Momenten wird unsere Klasse sehr breite insurrektionalistische Prozesse erleben, wie in Italien in den siebziger Jahren, Prozesse der Selbstorganisation, die schließlich untergehen, wie in Portugal, oder kurze insurrektionalistische Umstürze wie in Cordoba (Argentinien) 1969. Die Niederlage dieser Welle von Kämpfen, der zweiten oder dritten Welle des proletarischen Angriffs auf die Klassengesellschaft (wenn wir nicht nur die revolutionäre Welle von 1910 bis 1937, sondern auch die des 19. Jahrhunderts von 1848 bis 1871 betrachten), wird eine Umkehrung des Prozesses der Konstituierung des Proletariats als Klasse und ein Wiederaufleben von Ideologien begünstigen, die von Pessimismus, Individualismus und Nihilismus genährt werden und die Hoffnungen im Proletariat und in einer endlich von der Klassengesellschaft befreiten Menschheit verschlingen. Die postmoderne Ideologie basiert auf der Annahme, dass eine radikale Emanzipation des Proletariats ein böser Alptraum gewesen wäre, der nur totalitäre Ungeheuer hervorbringen konnte. Perfide Ideologen hätten den Logozentrismus der jüdisch-christlichen Religion (in kommunistischen und anarchistischen Versionen) säkularisiert und an arme, unwissende, ungebildete Proletarier weitergegeben. Wie wir sehen können, ist der Idealismus der geistigen Operation vollständig. Für die Postmoderne (wie für das gesamte moderne, bourgeoise Denken) sind Kommunismus oder Anarchismus keine reale Bewegung, die versucht, die menschlichen Bedürfnisse gegen das Kapital und seine Ausbeutung zu bestätigen, sondern eine sehr falsche und fehlerhafte gedankliche Konstruktion. Zum Glück sind unsere illustren Professoren aus Paris und Kalifornien gekommen, um uns aus unserer jugendlichen Unwissenheit zu wecken.

Die Postmoderne ist zugleich eine Ideologie des Verzichtes und des Pessimismus. Hinter ihrer scheinbaren Radikalität (was der Haken ist, mit der sie die Mittelklasse auf der Suche nach neuen Meta-Narrativen verführt) verbirgt sich nichts anderes als der Verzicht auf jeden Versuch, diese Welt real und global zu verändern. Daher der Rückzug in die Mikropolitik und in die Identitätspolitik. Das Kleine ist gut und das Totale (A.d.Ü., oder Ganze) totalitär, sagt man uns. In dem Maße, in dem die konterrevolutionäre Niederlage des Proletariats in den 1970er Jahren den notwendigen revolutionären Wandel aufschiebt, wird die Notwendigkeit zu einer Tugend und die Niederlage zu einem natürlichen Zustand. Deshalb sind Pessimismus und Verzicht untrennbar miteinander verbunden und gleichzeitig mit einer überschwänglichen Auffassung von Unterschieden, von kultureller Parteilichkeit/Voreingenommenheit und individualistischer Wahl, von Verschiedenem und Heterogenem, von Molekularem und Schizoidem, von Unbeständigem und Unbestimmtem, von Skepsis gegenüber jedem Kriterium von Wahrheit und Beziehung mit Objektivität und sozialer Totalität verbunden. Die Welt ist seltsam (A.d.Ü., oder fremd) und grausam. Sie subsumiert und entfremdet uns, aber der Grund für ihre materiellen Fundamente wird nicht verstanden, und es wird nur eine ideologische und theoretische Erklärung gegeben. Typisch für diejenigen, die es sich zum Beruf gemacht haben, isoliert zu denken (A.d.Ü., als eine getrennte Tätigkeit), als ob der Gesamtcharakter des Kapitals nur ein mentales Problem wäre und es ausreichen würde, nicht über seine unpersönliche und totale Dynamik nachzudenken, damit er unser Leben nicht subsumiert. Die Postmodernen haben etwas amüsant Kindisches an sich: Es würde reichen, die Augen zu schließen, damit das Kapital einfach aufhört zu existieren. Schade, dass es um die armen Realitäten geht, die unser Leben beeinflussen (das Kapital in seinen Bewegungen), und nicht um die Höhen der akademischen Diskurse, an die die Protagonisten unseres Feuilletons gewöhnt sind und mit deren Worten sie meinen, die Welt performativ zu konstruieren.

Diese Ideologie der Niederlage und der Differenz knüpft an die pessimistischen Philosophien des Seins an, auf die sich einige der Referenztheoretiker der postmodernen Autoren (Nietzsche, Sartre, Heidegger, Schopenhauer) beziehen. Das Sein ist ein abstraktes Wesen, von dem die Essenz einerseits und die Existenz andererseits getrennt sind. Die postmoderne Ideologie greift den Idealismus und Pessimismus dieser Philosophie auf. Sie geht davon aus, dass man von der Sprache ausgeht, um die materielle Welt zu schaffen (im Gegensatz zu einer materialistischen Sichtweise, bei der man von der realen Welt ausgeht, um die Welt zu erklären; Marx, Engels, Bakunin oder in einem anderen Sinne Aristoteles).

Der Begriff der Postmoderne geht auf ein Buch des französischen Philosophen François Lyotard zurück, der Mitglied der von Cornelius Castoriadis geleiteten französischen linksradikalen (A.d.Ü., ultra-gauche) Gruppe Socialisme ou Barbarie gewesen war. Lyotard hatte sich der Idee von Castoriadis widersetzt, eine revolutionäre Theorie denken zu können, die auf den Marxismus verzichtet, und gründete deshalb mit anderen Genossen (A.d.Ü., Weggefährten) die Organisation Pouvoir Ouvrière. Doch einige Jahre später schwor er dem Marxismus und vor allem der Revolution ab und schrieb ein kleines Buch, in dem er einige Gemeinplätze des postmodernen Denkens synthetisierte.

Frankreich und die Vereinigten Staaten sind zwei wichtige Brennpunkte dieser Überlegungen. Es handelt sich um eine bunte Gruppe von Autoren mit sehr unterschiedlichem theoretischem Niveau und Werdegang, die aber zweifellos etwas gemeinsam haben. Einer der entscheidenden Aspekte ist die Verzicht der Militanz, gegen die Zentralität des Proletariats als die revolutionäre Klasse, die allein die Herrschaft des Kapitals beenden kann (die etwas tieferes ist als ein System von Privilegien, wie unsere „Theoretiker“ es schlecht zu verstehen scheinen), oder der Verzicht auf die Realität der menschlichen Natur als das Übel aller Übel. Im Gegenteil, das Mark der Menschen ist der soziale und historische Kontext, ein kultureller Reduktionismus und die Hypertrophie der Diskurse, die das Leben der Subjekte performativ gestalten.

Wie wir zu Beginn gesagt haben, ist die Postmoderne eine Ideologie, die in der Akademie der französischen poststrukturalistischen Strömungen entstanden ist. Nach der Krise des akademischen und politischen Marxismus3 und der Krise des Strukturalismus (des absoluten Gewichts, das sie den ökonomischen und historischen Strukturen verliehen hatten, nachdem sie den Menschen zu einer bloßen Stütze, zu einem Tischbein gemacht hatten, auf dem die Strukturen aufgerichtet wurden) führen diese zu einer Flucht in das scheinbar Gegenteil: Es ist der Moment des Molekularen, des Kapillaren, des Kleinen, der Wünsche, des Peripheren, des Spezifischen, der Vorrichtungen der Subjektivierung. In Realität handelt es sich um eine Pendelbewegung, deren Hintergrund die politische Niederlage des Proletariats in den 1970er Jahren ist. Der abstrakte Universalismus des Marxismus als Ideologie, durchdrungen von Szientismus und Politismus, von der Reduzierung des Proletariats zur Stütze des Kapitals, geriet mit dem Aufstieg des Proletariats in den 1960er Jahren in eine Krise. Mit der Niederlage des Proletariats wurden seine strukturalistischen Drahtzieher (Althusser, Foucault, Derrida usw.) zu den Förderern des Poststrukturalismus und der Postmoderne. Außerdem ist es sehr wichtig zu verstehen, dass die vom marxistischen Szientismus und Progressivismus sowie vom Strukturalismus postulierte Universalität nicht die Art von Universalität ist, die das Proletariat als Negation des Eigentums und der sozialen Klassen in sich trägt. Aus dieser Wahrheit, der Pestilenz des Marxismus als Ideologie, konstruiert die Postmoderne die große Lüge des Partikularismus, dass wir nichts gemeinsam haben, dass es letztlich immer Herrschaft geben wird. Die Universalien des Marxismus haben nichts mit denen des Proletariats in Aktion zu tun.

Erklären wir es besser: Die Postmoderne stellt angesichts der Ideen der Universalität, angesichts der Geschichte, die Unmöglichkeit der Schaffung einer Geschichte und einer universellen Theorie entgegen. Dieser Aspekt ist sehr interessant, weil die akademische Kritik am Marxismus die Ablehnung jeder starken theoretischen Konzeption beinhaltet, die auf Prinzipien, auf sinnvollen Meta-Narrativen beruht (z. B. den realen materiellen Bedingungen, dass der Kapitalismus weltumfassend ist. Wenn jede Geschichte subjektiv interpretiert wird, wie könnten wir dann dem Kapitalismus die Stirn bieten, wenn wir nicht sehen, dass er eine weltweite Grundlage hat, die historisch ist?). Sie fliehen wie vor der Pest vor jeder allgemeinen Vorstellung, sie sind allergisch gegen menschliche und theoretische Universalien.

2. Eine Ideologie des Individuums

Die Postmoderne geht von der Subjektivität jedes Einzelnen aus, von der individuellen Wahrheit, weshalb es keine absoluten Wahrheiten gibt. Sie wirft den universellen Wahrheiten sogar vor, totalitär zu sein, dass sie erzwingend sind. All dies ist das Ergebnis der Skepsis einer Theorie, die nicht versucht, unsere eigene soziale Existenz in einen breiteren Rahmen zu stellen, denn das hieße, die Besonderheit des Individuums und der verschiedenen Identitätsgruppierungen einzuschließen; für die Postmoderne wird die Tatsache, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, als etwas rein Diskursives und nicht als etwas real Materielles erklärt. Es ist die Welt des Kapitals, die uns einschließt. Vielleicht gibt es an den kalifornischen Universitäten eine größere Auswahl an Möglichkeiten, aber Millionen von uns Proletariern haben nicht das Glück, diese Perspektive wählen zu können. Unser Leben wird von einer verborgenen, aber sehr realen materiellen Form bestimmt (wir sind täglich mit immer schlechteren Überlebensbedingungen konfrontiert: Arbeitsplätze, die uns erdrücken, Wohnungen, die unbezahlbar sind oder uns von anderen isolieren, oberflächliche Beziehungen, die durch Waren vermittelt werden, usw.).

Dieses Weltbild kann nicht die globale Emanzipation der Menschen anstreben, es kann nicht danach streben, als Ganzes, in einer realen Gemeinschaft zu denken, es kann nur identitär gedacht werden, getrennt vom Rest. Dies ist in den sozialen Kämpfen der letzten Jahre spürbar, das Unvermögen, andere Proletarier im Rest der Welt als diejenigen zu verstehen, die dieselben Bedürfnisse haben und Ausdruck desselben Kampfes sind, was zu einem Mangel an Solidarität seitens des restlichen Proletariats führt, im Gegensatz zu dem, was unsere Klasse im Laufe der Geschichte getan hat.

Zu glauben, dass wir alle gleich werden können (wie es die Demokratie vorgibt) oder zu denken, dass wir alle völlig unterschiedlich sind (wie es die Postmodernen tun), ist ein klares Beispiel für eine falsche Dichotomie: Innerhalb unserer Unterschiede gibt es Dinge, die uns vereinen und die wir als Spezies teilen, wir haben die gleichen Bedürfnisse, um zu leben. Die ideale demokratische Gleichheit besteht darin, dass alle gleich sind, der Kommunismus kämpft nicht für die Gleichheit oder die Gleichheit der Rasse oder des Genders, denn diese Konstruktionen sind gesellschaftlich funktional für dasselbe System, das sie braucht; daher sollte die Revolution nicht ihre Bewahrung und „positive Transformation“ ins Auge fassen, denn ihr Kampf gegen die merkantile Zivilisation/Gesellschaft bedeutet die Zerstörung aller ihrer Grundlagen. Der Kommunismus kämpft nicht für die Gleichheit oder die Gleichberechtigung von Gender oder Rasse, denn diese Konstruktionen sind gesellschaftlich funktional für dasselbe System, das sie braucht; daher sollte die Revolution nicht ihre Bewahrung und „positive Umwandlung“ ins Auge fassen, denn ihr Kampf gegen die merkantile Zivilisation/Gesellschaft bedeutet die Zerstörung all ihrer kategorischen, moralischen, wissenschaftlichen, religiösen und juristischen Grundlagen. Der Kommunismus zielt nicht darauf ab, die Unterdrückung in dieser Welt durch die Zutaten des Warenkuchens zu beenden (indem er proportionale Quoten nach Rasse oder Gender verteilt), er will die Zutaten des „Kuchens“ des menschlichen Lebens radikal verändern. Die Ausbeutung besteht überall auf der Welt aus derselben Sache – die Extraktion des Mehrwerts – dies vereint alle Arbeiter, unabhängig von ihrer Sprache, ihrem Geschlecht, ihrem Alter, ihrer Hautfarbe oder ihrer sexuellen Orientierung. Der Kapitalismus ist kein System der „Unterdrückungen“, sondern ein Ausbeutungssystem, das routinemäßig Diskriminierungen und Unterdrückungen schafft, weil es, wie bei jedem Ausbeutungssystem, in seiner Natur liegt, dies zu tun, um seine Herrschaft aufrechtzuerhalten.

Er ist eine liberale Ideologie, weil er das Recht des Einzelnen einfordert, frei zu wählen, was er oder sie sein möchte (natürlich im Rahmen der Optionen des Kapitals). Es ist die Revolution des Individuums, das die Freiheit hat, sich als Frau, als Mann, als genderneutral oder genderuntypisch zu bezeichnen, und das danach strebt, anerkannt und sichtbar gemacht zu werden. Von wem? Durch den Staat, den alten Staat, mit seinen Institutionen und Klasseninteressen, die ein wenig aus der Mode gekommen sind. Von der Mikrophysik der Macht bis zur Rechtfertigung des Rechtsstaates gibt es nicht nur eine logische Beziehung, sondern auch einen Weg, den unsere brillanten Postmodernisten eingeschlagen haben: vom verbalen Radikalismus zur Faktizität der Macht des Kapitals. Zu glauben, dass soziale Probleme individuell gelöst werden können, ergibt keinen Sinn; es reicht nicht aus, eine extremistische Sprache zu verwenden oder individuelle Gewohnheiten zu ändern. Wie Cuadernos de Negación bereits gesagt hat: „Wir würden niemals individuelle „Lösungen“ für soziale Probleme empfehlen. Die individuelle Wahrnehmung eines Problems macht das Problem nicht zu einer individuellen Frage“. (Cuadernos de Negación, Nr. 8). Dies zu tun, würde nur alles Konkrete auf etwas Abstraktes reduzieren: die individuelle Entscheidung, das zu sein, was man will, die Wahl zwischen den angebotenen Waren. Wir verstehen, dass es frustrierend ist, dass wir uns klein fühlen, wenn wir jeden Tag Probleme haben, die wir nicht isoliert und einzeln lösen können. Anders zu denken, würde nur die Illusion hervorrufen, dass unser Leben radikal ist und wir die Macht haben, darüber zu entscheiden, ob die Fleischindustrie den Bach runtergeht oder die globale Erwärmung beendet wird, indem wir z.B. zu Fuß zur Arbeit gehen. Abgesehen von der Tatsache, dass es nicht möglich ist, soziale Probleme individuell zu lösen, ist das auch Scheiße. Selbst wenn wir die Dinge individuell lösen könnten, würden wir es so tun, wie es Individuen tun: isoliert, unsolidarisch, mit wettbewerbsorientierten und meritokratischen (A.d.Ü., leistungsorientierten) Dynamiken (all die verinnerlichten Schuldgefühle, die sich zum Beispiel im ökologischen Bewusstsein ausdrücken: Du tust nicht genug, du musst dich mehr anstrengen, schau, wie ich Erfolg habe…). Das Individuum stinkt, es ist die Grundlage dieser Gesellschaft. Die Tatsache, dass das soziale Problem kollektiv gelöst werden muss, macht es möglich, unser reales menschliches Leben, die globale menschliche Gemeinschaft, wiederherzustellen.

Das Kleine wird gegen das Große verteidigt, das Subjektive gegen das Objektive, das Molekulare gegen das Molare, das Multiple gegen das Eine, und so weiter. Das macht es unmöglich, über etwas so Wichtiges wie die menschliche Spezies und ihre Bedürfnisse zu sprechen. Die Postmoderne ist eine Ideologie der Trennung und Fragmentation, der Uneinigkeit und virulenten Ablehnung unserer Fähigkeit, uns als Klasse zu konstituieren. Es ist eine Ideologie, die von der Vielfalt menschlicher Kulturen besessen ist und nicht von der Einsicht, dass der Mensch von Natur aus kulturell ist, die von der Vielfalt der Sprachen besessen ist und nicht von der Tatsache, dass wir sprachliche Wesen sind, die von den Unterschieden besessen ist und nicht von dem, was uns in unserer Diversität eint. Darüber hinaus reduziert sie uns auf den Lokalismus und verhindert so einen realen Internationalismus, einen Internationalismus, der nichts mit dem postmodernen multikulturellen Spektakel zu tun hat. Diese Beschäftigung mit der Singularität ist letztlich immer die Singularität isolierter und konkurrierender Individuen, da unterschiedliche Subjekte (weiblich, rassifiziert, homosexuell) miteinander konkurrieren.

In Realität wird die Postmoderne eine verständliche Reaktion auf die soziologische Vision des Proletariats der Sozialdemokratie sein. Sie wird jedoch mit neuen Formen der Sozialdemokratie reagieren, denn die alte ist durch die relative Delegitimierung der KPs und des Stalinismus dank 1968 bereits „abgenutzt“. Zu diesem Zweck wird eine Rundreise vom Identitarismus des Blaumanns im Arbeiterdiskurs bis zu den verschiedenen Identitäten unternommen, die in Verbindung mit anderen Subjekten der Unterdrückung entstehen, um sie zu vollenden. Wenn also die Arbeiterbewegung die Frauen ausschließt, alles geregelt! Die Identität der Frauen wird hinzugefügt. Wenn die nicht-Weißen ausgelassen wurden, dann siehe hier, die rassische Identität… Jetzt, wo die Identität der Arbeiterklasse an Gewicht verloren hat, kommen immer mehr Subjekte der Unterdrückung hinzu: die Unterdrückung der Autisten, die Identität der Verrückten, die Identität der Dicken, usw. Es ist interessant, die enge Beziehung zwischen dem Aufkommen dieser Ideologien und den Schwächen und Grenzen der proletarischen Bewegung selbst hervorzuheben, vor allem in Bezug auf das Gewicht des Arbeitertums und des Ökonomismus in früheren Kampfperioden, worauf wir schon weiter oben hingewiesen haben. Wenn man nicht mit der sozialdemokratischen Konzeption des Proletariats bricht, wird die Entstehung all dieser Kategorien ermöglicht, die nach derselben fetischistischen Logik des Arbeitertums funktionieren.

Andererseits sind wir der Meinung, dass auch eine Reflexion gegen die Integration interessant wäre. Wie wir weiter unten in Bezug auf die rassifizierende Ideologie analysieren werden (die eine der vielfältigen Strömungen der Postmoderne ist), ist ihr Endziel die Integration in die Welt des Kapitals. Das Streben nach Anerkennung, um die Lebensbedingungen innerhalb des Kapitals zu verbessern, bedeutet, sich in die Dynamik des individuellen Überlebenswettbewerbs zu begeben, anstatt eine gemeinsame Emanzipation anzustreben. Dies gilt auch für einige der Diskurse, die in Spanien in Bezug auf die Rasse aufkommen, im Gegensatz zur Stärke von Bewegungen wie den Banlieues im Jahr 2005, deren Stärke gerade darin lag, dass sie keine Integration anstrebten. In diesem Sinne wird die Rassifizierung in Realität nichts anderes sein als eine objektive Form der Domestizierung der Kämpfe der „rassifizierten“ Proletarier. Was wir über die Rassifizierung sagen, ist analog zu dem, was wir über den postmodernen Feminismus und seinen Versuch, die „Kategorie“ Frau zu dekonstruieren, sagen können.

Es ist also nicht weit hergeholt, hochzuhalten, dass die postmoderne Ideologie eine liberale Theorie ist, eine Theorie des Individuums, die den Kapitalismus stärkt.

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Theorien eine Möglichkeit sind, die Radikalität zu rekuperieren, die viele der Menschen, die sich in sie vertiefen, suchen. Diese Rekuperation ist nicht ideal, sondern real, wie sie im konterrevolutionären Charakter der Rassifizierung zum Ausdruck kommt, denn sie strebt nicht nach der totalen Befreiung der Klasse und der menschlichen Spezies. Im Gegenteil, sie machen es unmöglich und schwächen den Kampf, indem sie ihn auf eine legalistische und institutionelle Ebene kanalisieren.

3. Frontismus und Intersektionalität

Im aktivistischen Milieu ist die Vorstellung weit verbreitet, dass es eine Reihe von heterogenen Kämpfen gibt, die in „Kampffronten“ zusammengefasst werden, als ob es sich um getrennte und dissoziierte, parallele und autonome Kämpfe handelte, die im Prinzip nichts miteinander zu tun haben (Rasse, Geschlecht, Anti-Speziesismus, Ökologismus usw.). Die Vereinigung dieser Kämpfe in Fronten wird als Intersektionalität bezeichnet (jene Menschen oder Orte, an denen eine Reihe von Unterdrückungen zusammenkommen). Es gibt keine Vorstellung von der Universalität und Einzigartigkeit dieser Kämpfe, denn das wäre essentialistisch.

Dadurch wird der Begriff der Klasse völlig eliminiert, denn von dort aus ist es undenkbar, den gleichen materiellen Kampf zur Befriedigung analoger menschlicher Bedürfnisse zu führen, der die proletarischen Kämpfe in Marokko mit denen im Jemen, die in der spanischen Region mit denen in Argentinien, die des afroamerikanischen Proletariats mit denen der kurdischen Proletarier verbindet. Alles ist partikular und bruchstückhaft. Das ist ein weiterer Grund, warum diese Ideologie defätistisch ist: Ein Denken, das von dem ausgeht, was uns trennt, ist nicht in der Lage, über universelle Emanzipation nachzudenken. Wie wir in Notas sobre el patriarcado en el capitalismo (Anmerkungen zum Patriarchat im Kapitalismus) gesagt haben:

Diese Trennung kann nur im Hinblick auf die menschliche Gemeinschaft und den Kommunismus als historische Bewegung verstanden werden. Gegenwärtig setzt die Sozialdemokratie alles daran, den Klassenkampf und die Spaltung zwischen Männern und Frauen sowie die Trennung der Rassen, der sexuellen Praktiken usw. auf die gleiche Ebene zu stellen. Diese Behauptung ist jedoch die beste Art und Weise, die Möglichkeit menschlicher Gemeinschaft zu leugnen, denn um sie zu erreichen, müssten nicht nur der Kapitalismus und die sozialen Klassen, sondern auch die gesamte Diversität, die in der Spezies existiert (vgl. Queer-Theorie) negiert werden. Im Gegenteil: Der einzige Weg, die Todes- und Elendsmaschine, was das Kapital ist, zu zerstören, ist der Klassenkampf und damit die Negation aller Klassen. Dieser Kampf ist jedoch nicht nur der Kampf des Proletariats gegen das Kapital, sondern auch sein Kampf zur Vereinigung dessen, was innerhalb der Klasse getrennt wurde. Die einzige Möglichkeit für das Proletariat, dies zu tun, besteht darin, die von den Klassengesellschaften auferlegten Spaltungen zu überwinden, einschließlich der Spaltung Mann-Frau.“

Die Postmoderne hat die Idee verbreitet, dass das, was man mit den Unterdrückungen tun muss, ist sich selbst dekonstruieren, was nichts anderes bedeutet, als sich selbst diskursiv und konzeptionell zu analysieren. Was ist die Dekonstruktion? Es ist ein absolut nominalistisches Konzept. Sie verkündet die allmächtige Fähigkeit des (natürlich individuellen) Bewusstseins, mit den sozialen Beziehungen zu brechen, die uns „konstruieren“, die uns konstituieren. Das Problem besteht nicht darin, anzuerkennen, dass das, was wir sind, zu einem großen Teil von den sozialen Beziehungen bestimmt wird, die wir festlegen und die uns sozusagen festlegen, auch wenn dies der Postmoderne erlaubt, jede Idee von Natur oder Biologie zu negieren. Das Problem besteht darin, zu glauben, dass Denk- und Handlungsweisen, die nach einer Lösung suchen, um die gegenwärtigen Beziehungen zu ersetzen, die „nach und nach“ die Totalität der Beziehungen verändern können, die durch den historischen und sozialen Kontext dieser Epoche vermittelt werden und diesem unterliegen, und so weit zu gehen die Absurdität zu behaupten, dass es keines internationalen Klassenkampfes bedarf, um die herrschenden Strukturen und ihre Methoden zu zerstören, die in Mode sind. Dies ist, nebenbei gesagt, die beste Art und Weise, sich in seiner eigenen materiellen Funktion zu rechtfertigen: als Reproduzent*in der herrschenden Ideologie von einem Universitätslehrstuhl aus.

Aber was passiert, wenn ich mein Geschlecht dekonstruiert habe, wird es sich atomar, materiell auf das auswirken, was ich bin, wird es meine Hautfarbe oder meine Gesichtszüge verändern, wenn ich meine „Rasse“ dekonstruiere? Wir werden auf diese Fragen zurückkommen, wenn wir uns mit der postmodernen Heiligen Dreifaltigkeit beschäftigen: Klasse, Rasse und Gender.

4. Was wäre, wenn der Kapitalismus nicht nur eine weitere Unterdrückung wäre?

Die Postmoderne ist allergisch gegen Totalität. Ohne sie gäbe es kein Zentrum, das unsere gesellschaftliche Realität konfiguriert. Ihr Interesse für das Exotische, das Kleine, das Anomale, das Abweichende, das Unvergleichliche, das Groteske usw. führt dazu, dass sie das zentrale konfigurierende Element, das Kapital als strukturierendes soziales Verhältnis dieser Gesellschaft, ohne das man nichts versteht, auch wenn es nicht alles erklärt, aufgibt.

Die Postmoderne gibt als Resultat eine andere Konzeption des Kapitalismus als die, die von Marx und der proletarischen Bewegung konzipiert wurde. Wie wir bereits gesagt haben, ist es für die Postmodernen falsch, totalitär und faschistisch, etwas als eine totale Wahrheit festzumachen. Aber leider ist der Kapitalismus weltweit, so dass er nicht teilweise bekämpft werden kann. Und in der Tat ist es wichtig zu verstehen, dass wir nicht über eine ästhetische Option sprechen, dass es nicht darum geht, zu postulieren, wie schlecht große Erzählungen sind und dass eine Welt, die in mehrere molekulare Dasein fragmentiert ist, die auf föderale und harmonische Weise durch die begehrenden Ströme ihrer Körper konvergieren, vorzuziehen ist, und dass dies nicht aufgrund eines schrecklichen theoretischen Fehlers, der seinen Ursprung in der Dekadenz der griechischen Philosophie oder im jüdisch-christlichen Denken hat, der Fall war. Wir sprechen nicht über Ideen, die von globalen materiellen Prozessen getrennt sind. Das Kapital ist eine Gesamtheit (Totalität) für sich, es ist nicht das Produkt menschlicher Gruppen, die einen Sinn in globalen Metaerzählungen finden müssen.

Und eine der Charakteristiken des postmodernen Denkens ist sein Formalismus. Er trennt das Untrennbare in eine Vielzahl von Fragmenten, und wenn er versucht, sie wieder zusammenzufügen, nennt man das Intersektionalität. In Realität wird eine Leiche seziert und dann künstlich wieder zusammengesetzt, ohne dass sie aufhört, eine Leiche zu sein, so konzeptionell der ganze Vorgang auch sein mag. Wir sollten uns ein wenig besser erklären, denn wir sind mit einem der Gemeinplätze des postmodernen Denkens konfrontiert.

Das Kapital ist ein historisches soziales Verhältnis, das aus zwei kombinierten Prozessen hervorgeht. Einerseits wird die Welt zum Kapital durch die Schaffung kapitalistischer gesellschaftlicher Produktionsverhältnisse, die die Bauern vom Land trennen und sie zwingen werden, ihre Arbeitskraft als neue Proletarier zu verkaufen. Dieser Prozess hat seinen Ursprung (Genesis) im feudalen Europa und vor allem in England. Andererseits wird das Kapital durch seine Ausdehnung auf den gesamten Globus global, was mit der Ankunft der Kastilier und Portugiesen in Amerika und dem damit verbundenen Genozid einen Qualitätssprung erfahren wird. Das Kapital entsteht aus Blut und Plünderung, wie Marx betonte, und es ist wichtig, diese beiden Prozesse nicht voneinander zu trennen, denn ohne die Kombination von beidem wäre das gegenwärtige System der Ausbeutung einfach nicht entstanden.

Der Kapitalismus, der sich dann ab dem 16. Jahrhundert herausbildet, ist eine ganz andere Realität als die antediluvianischen und unvollkommenen Formen des Kapitals, die in früheren vorkapitalistischen Gesellschaften existieren konnten. Die Formen des Wucherkapitals oder des Handelskapitals verfügten nicht über eine gesellschaftliche Substanz, die abstrakte Arbeit, die alle konkreten Arbeiten und Tätigkeiten auf gesellschaftlicher Ebene gleichsetzt, die es dem Wesen des Kapitals (ein durch den Wert aufgeblasener Wert) ermöglicht, sich dank der gesellschaftlichen Substanz, die in dem durch die Lohnarbeit produzierten Mehrwert enthalten ist, zu reproduzieren. Das Kapital ist also ein unpersönliches und scheinbar automatisches gesellschaftliches Verhältnis (das sich aber in Realität aus der abstrakten Arbeit als gesellschaftlicher Substanz speist, was den Antagonismus zwischen Kapital und Proletariat zentral macht), das in seinen verschiedenen gesellschaftlichen Metamorphosen in den gesamten Bereich der alten vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen eindringt und diese rekonstruiert. Dies ist nicht der richtige Ort, um sich mit einer detaillierten und tiefgreifenden Erklärung aufzuhalten. Es ist wichtig zu verstehen, dass das Kapital nicht etwas Ökonomisches ist, sondern das soziale Verhältnis, das in seinen Metamorphosen die soziale Totalität der Moderne konfiguriert, die die soziale Welt trennt und mit den vorkapitalistischen Gemeinschaften, der privaten und der öffentlichen Welt, der Ökonomie und der Politik, die Arbeitswelt des Staatsbürgers bricht, und so weiter. In gleicher Weise formt es nach seinem Bild und Gleichnis, nach der abstrakten Logik des Geldes und des Tausches, das Patriarchat vorkapitalistischer Gesellschaften (dieses kann nicht verstanden werden, außerhalb des Rahmens des Kapitals, wenn man nicht weiß, wie das Kapital es geformt hat, und dieses Unverständnis ist eine der theoretischen Erklärungen für die sozialdemokratischen Grenzen des gesamten Feminismus) oder die rassifizierten Spaltungen der kapitalistischen Moderne. Man kann die Sklavenunterdrückung der kapitalistischen Moderne nicht verstehen, ohne sich mit dem Dreieckshandel zwischen den verschiedenen Regionen des Kapitals seit dem 16. Jahrhundert zu befassen.

Das Kapital erscheint uns dann als ein einziges, aber differenziertes Ganzes. Natürlich negieren wir nicht die Besonderheit der patriarchalischen Herrschaft oder des typisch kapitalistischen Rassismus. Wir weigern (A.d.Ü., im Form einer Negation) uns jedoch zu akzeptieren, dass diese Teile vom Ganzen getrennt werden können. Getrennt sind sie unverständlich. Die Summe der Teile ist nicht gleich dem Produkt. Und das ist es, was allen postmodernen Theoretikern mit ihrer Besessenheit von rassifizierten, neokolonialen und genderspezifischen Studien widerfährt… Sie sind nicht in der Lage, die Realität von Herrschaft und Ausbeutung, die uns ergreift, theoretisch wiederherzustellen. Sie können nur eine leblose Leiche rekonstruieren, die nur in ihren Köpfen existiert.

Die unpersönliche und halbautomatische Brutalität der Herrschaft des Kapitals wird so auf eine bloße Frage des Privilegs reduziert. Ich als weißer cisgender Arbeiter habe mehr Privilegien als die weiße cisgender Arbeiterin, die angesichts einer weißen lesbischen Frau schweigen muss, die aber ihrerseits Privilegien gegenüber einer rassifizierten arabischen Frau aufrechterhält… Und so weiter in einem absurden und ohnmächtigen Spiel mit Matroschkapuppen.

Die zwanghafte Parteilichkeit/Voreingenommenheit dieses mentalen Mechanismus ist nicht in der Lage, die Gesamtheit des Kapitals zu verstehen und zu verändern. Wie wir zu Beginn unseres Textes sagten, handelt es sich dabei um eine im Wesentlichen pessimistische Auffassung, die nicht an die Möglichkeit einer totalen Veränderung glaubt. Sie sind gegen große Erzählungen, Utopien existieren nicht mehr, die Welt kann nicht global verändert werden, also muss man im Kleinen handeln, durch Mikropolitik, kleine Geschichten, kleine Erzählungen, kleine körperliche Erzählungen. Sind sie wirklich davon überzeugt, dass es möglich ist, das kapitalistische System nur in einem Teil der Welt zu verändern? In Realität haben sie diesen Anspruch schon lange aufgegeben. Darüber hinaus wird der Kapitalismus auf ein Privileg unter anderen, den Klassismus, reduziert, wodurch er zu einer weiteren Unterdrückung unter anderen wie Rassismus, Sexismus, Behindertenfeindlichkeit usw. verwandelt wird.

Auf diese Weise ist das Kapital allmächtig. Das Einzige, was man tun kann, ist, sich der Macht zu widersetzen, einer Macht, die durch ihre Normen konfiguriert ist und gegen die man sich wehrt, indem man sie durch Identitätsdiskurse herausfordert: das Geschlecht zu ändern, alles in Worten zu untergraben, damit sich nichts Substantielles und Reales ändert, weil es in Realität, von den Voraussetzungen her, unmöglich ist.

Haben die Postmodernen irgendeine Vorstellung von Emanzipation, einen Ort, an den sie gehen wollen? Sie kritisieren alles, aber was streben sie an? Wahrscheinlich streben sie nicht danach, irgendwo anzukommen, sondern wollen einfach nur die Möglichkeit haben, Situationen zu wählen. Sie scheinen darauf zu warten, dass die neue Unterdrückung entdeckt wird, und das Radikalste ist, die Kritik des letzten Philosophen an der Universität zu kritisieren. Die Postmoderne ist ein Abdriften in fließende Fragen, in denen man sich selbst dekonstruiert und entmaterialisiert erscheint, ohne überhaupt zu wissen, wie man in diese Welt gekommen ist oder ob es überhaupt eine gibt. Es gibt keine Wahrheit, auf die man sich stützen könnte. Wenn es darum geht, gegen den Strom zu schwimmen, nur um gegen den Strom zu schwimmen, ergibt das keinen Sinn, denn es gibt keinen festen Boden, auf dem man stehen kann; Worte und Realität müssen übereinstimmen, sonst ist es ein leerer Diskurs. Sie nennen sich selbst Radikale, aber dadurch, dass sie sich so nennen, sind sie nicht plötzlich radikal.

5. Eine nominalistische Ideologie

Wie wir bereits gesagt haben, ist für die Postmodernen die Realität das, was gesagt wird. Die Postmodernen leben in einer kulturellen und sprachlichen Hypertrophie. Der Mensch ist ein unbeschriebenes Blatt, das von der Kultur des jeweiligen Ortes und von sprachlichen Diskursen geprägt ist. Die idealistische Musik dieses Liedes dürfte uns inzwischen vertraut sein.

Für unsere Postmodernen ist die Realität, die wir bewohnen, im Grunde aus der Welt der Ideen oder dem berühmten „Ich denke, also bin ich“ abgeleitet, sogar aus der Welt, die durch die Idee Gottes geschaffen wurde. Sie sind gar nicht so weit von der Vorstellung entfernt, dass die Natur durch unsere Sprache geschaffen wird. Für die Postmodernen ist alles Sprache, alles ist kulturell. Die Realität wird durch Sprache und Kultur konstruiert, oder vielleicht sollte man sagen, erschaffen: Realität ist das, was gesagt wird. Auf diese Weise werden wir dazu gebracht, an allem Materiellen zu zweifeln, wir werden sogar dazu gebracht, daran zu zweifeln, ob Hormone und Geschlecht etwas mit dem Mann- oder Frausein zu tun haben, wir werden dazu gebracht, so sehr an der Materie zu zweifeln, dass wir uns fragen, ob wir vielleicht morgen als Kängurus aufwachen werden. Es wird uns immer wieder gesagt, dass die Natur durch unsere Sprache geschaffen wird, aber nur weil der Mensch in die entlegensten Winkel der Welt vorgedrungen ist und das Wachstum und die Verbreitung von Pflanzen rund um den Globus beeinflusst hat, bedeutet das nicht, dass wir die Natur erschaffen haben.

Da alles Sprache ist, hängt alles von der Subjektivität des Individuums ab. Die Postmoderne ist der typische Ausdruck der Anthropologie des Kapitals, seines Individualismus und seiner Trennung. Alles ist eine Repräsentation, daher gibt es keine Realität und alles ist subjektiv. Was ist dann die materielle Realität? Was ist es, Hunger zu haben, Schmerz zu empfinden, sind das nicht Dinge, die wir alle fühlen?

Wie man sieht, handelt es sich um eine merkwürdige Ideologie, die sich zwar auf der einen Seite als materialistisch bezeichnet, in Realität aber mit idealistischen Grundlagen gespickt ist. Eine Konzeption, die den Schwerpunkt des Interesses vom Kapital als gesellschaftliches Gesamtverhältnis (das sich daher nicht auf etwas Ökonomisches reduzieren lässt, wie Marxisten und Postmoderne mit dem gleichen Glauben glauben) auf Sexualität und Sprache verlagert. Und zwar nicht, weil Sexualität nicht ein enorm wichtiger Aspekt des Nachdenkens über die menschliche Befreiung unter der Ägide von Klassengesellschaften ist, sondern weil die Vorstellung von Sexualität als einer Substanz, die von einer globaleren Dynamik getrennt ist, sie zu einer toten Substanz macht, die vom Kapital performativ geformt wird. Genau das passiert mit den Protagonisten unseres Feuilletons. Und was ist von einer selbstreferentiellen Konzeption der Sprache zu halten, die, anstatt offen und in ständiger Kommunikation mit der Welt und unserer Praxis in ihr zu sein, uns von ihr distanziert und trennt und sie dann neu erschafft. Am Anfang war das Wort4, heißt es in der biblischen Genesis, und das Gleiche wird von unseren Postmodernen wiederholt. Ihre theoretischen Grundlagen sind, wie die der kapitalistischen Moderne, weitgehend scholastisch, und sie findet ihre Bezüge in Nominalisten wie Ockham und Formalisten wie Scotus, wie einige von ihnen, etwas bewusster, wie Deleuze selbst, erkannt haben.

6. Gender, Rasse… Klasse?

Wir haben bereits über das berühmte Triptychon „Gender, Rasse, Klasse“ als getrennte Elemente gesprochen, die a priori keine Beziehung zueinander haben und erst a posteriori durch weise intersektionalistische Akademiker miteinander verbunden werden. Ein solcher Dreiklang ist für Katholiken so etwas wie die Heilige Dreifaltigkeit, eine Glaubenssache, die nicht in Frage gestellt werden darf, wenn man nicht aus der akademischen und politisch korrekten linken Kirche (in all ihren Versionen, einschließlich der „anarchistischen“) exkommuniziert werden will. In Realität hat die Postmoderne auf der Ebene des politischen Aktivismus viel vom Post-Mostalinismus, wie wir bereits vorausgesehen haben. Aus diesem Dreiklang ergeben sich viele andere Unterdrückungen (Fronten, die sich auftun): Speziesismus, Ableismus, Fettaktivismus usw. Es ist wichtig, in diesem endlosen Spiel von Privilegien und Gegenprivilegien keinen von ihnen zu vergessen.

Gender

Zunächst ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir uns um die Existenz intersexueller Menschen bewusst sind, die über Geschlechtsorgane, die zwischen männlich und weiblich liegen, sowie über Hormone verfügen. Wir sind jedoch nicht der Meinung, dass der kleine Prozentsatz dieser Menschen den Maßstab der Reflexion diktieren sollte, der bereits typisch postmodern ist und die Ränder zum Zentrum der Theorie macht. Die postmodernen Gendertheorien werden vom Feminismus der dritten Welle angeführt.

Es ist eine Tatsache, dass die Gesellschaft uns als Männer und Frauen stereotypisiert – man muss sich nur die Werbung und Filme ansehen, um das zu erkennen. Ändert sich dieses Stereotyp im Laufe der Zeit? Ja. Gibt es unterschiedliche Arten, ein Mann und eine Frau zu sein, gibt es unterschiedliche Sitten? Ja. Kann man aufhören, ein Mann oder eine Frau zu sein, weil man dies anders nennt? Nein, männlich und weiblich zu sein ist keine Identität, es ist ein materieller Faktor, es ist auf untrennbare Weise eine biologische, kulturelle, soziale und historische Realität.

Monique Wittigs Heterosexuelles Denken und andere Schriften ist ein klares Beispiel dafür, was die Postmoderne ist. Ein Text, der davon ausgeht, dass Lesben keine Frauen sind. Lesbische Frauen sind keine Frauen, sie sind Deserteure ihres Genders?, weil sie lesbisch sind. Sie sind keine Dienerinnen der Männer, deshalb sind sie Rebellinnen. Dies ist ein Beispiel für einen falschen revolutionären Diskurs, der von der Benutzung von Identität und Parteilichkeit/Befangenheit ausgeht, um eine Gruppe von Frauen durch ihre Praktiken zu „vereinen“. Erneut führt dies zu einer individuellen Lösung des Problems, das, wie wir bereits sagten, die liberale Ideologie des Kapitalismus reproduziert: „Eine Lesbe zu sein bedeutet, andere Welten zu erschaffen, es bedeutet, neue Realitäten zu gestalten“.

Wie lässt sich der Übergang von der Forderung von universellen Rechten („Wir die Frauen“) zu einer Theorie des Diskurses und der Machtnormen erklären, die so weit geht, dass sie die Begriffe „Frau“ und „menschliche Natur“ selbst in Frage stellt? In ihrem Cyborg-Manifest bietet Donna Haraway in ihrem charakteristischen poetisch-delirischen Stil eine synthetische Darstellung dieser Entwicklung: „Wenn man erst einmal mit großer Anstrengung erkannt hat, dass sie sozial und historisch bedingt sind, können weder Gender, Rasse noch soziale Klasse eine Grundlage für den Glauben an eine „wesentliche“ Einheit bieten. Das „Frausein“ hat nichts mit einer natürlichen Bindung zwischen Frauen zu tun. Denn es gibt nicht einmal so etwas wie ein Frau-„sein“, eine Kategorie, die selbst äußerst komplex ist und in wissenschaftlichen Diskursen konstruiert wurde, die selbst kontrovers sind“ (Donna J. Haraway, The Cyborg Manifesto).

(„La ofensiva de los estudios de género“. „Die Offensive der Genderforschung“, Cul de Sac)

Die Unterdrückung der Frauen ist zweifellos sozialer Natur (das, was die akademischen Modestudien als Gender bezeichnen), aber sie werden als Frauen unterdrückt, was die Art des Körpers impliziert, den sie haben. Und das ist es, was diese postmodernen Vorstellungen von der pathologischen Angst unterscheidet, die sie vor allem haben, was biologisch, natürlich klingt (Trennung zwischen Geschlecht und Gender). Die Kontrolle des Körpers, der Sexualität, der Fähigkeit, Leben zu schenken und Kinder großzuziehen, ist die natürliche Grundlage, auf der das Patriarchat historisch und in allen Formen, die es angenommen hat, konfiguriert worden ist. Um die Entstehung und die Realität der patriarchalischen Unterdrückung der Frau zu verstehen, ist es daher unerlässlich, sich vom postmodernen Dualismus zu lösen, der das Biologische vom Kulturellen trennt und Ersteres faktisch auf Letzteres reduziert und damit die typische idealistische Reduzierung des Körpers auf die Seele betreibt. Um es deutlicher zu sagen: Für die Postmodernen ist die kulturelle Form das Wichtige, der physische und biologische Körper ist nur ein Epiphänomen des Willens. Für uns ist es von fundamentaler Bedeutung, diese Trennung abzulehnen. Körper und Geist, materielles Leben und Kultur können nicht als unabhängige Substanzen verstanden werden. Es ist die biologische und unveränderliche Realität der Frauen über die Jahrtausende und die verschiedenen Kulturen hinweg, die ein gemeinsames Substrat bildet, das in einigen Fällen als positiver sozialer und gemeinschaftlicher Prius wirkt (man denke an die kommunistischen Gesellschaften des Paläolithikums oder Neolithikums) und in anderen Fällen als Motiv für Streit und Unterdrückung, mit der Entwicklung patriarchalischer, klassistischer und etatistischer Gesellschaften. Diese komplexe Verflechtung von natürlichen und sozialen Aspekten hat im Laufe der Menschheitsgeschichte zu einer Vielzahl von unterschiedlichen Formen des Frauseins geführt. Aber die Vielfalt der Formen leugnet nicht die Tatsache eines gemeinsamen Frauseins, so wie auch die Vielfalt der Kulturen, in denen wir Menschen gelebt haben, nicht unser gemeinsames Menschsein leugnet.

In Realität arbeitet das postmoderne Denken mit sehr einfachen und dichotomen Binomien. Da „Gender“ im Laufe der Menschheitsgeschichte auf vielfältige Weise dargestellt und gelebt wird, leiten sie daraus ab, dass Frausein dekonstruiert werden und als Kategorie verschwinden kann. Aber eine Frau zu sein ist viel mehr als eine Kategorie, genauso wie das Menschsein. In Realität ist die gesamte postmoderne „Gender“-Theorie, ausgehend von Butlers „verfeinerter“ Vision, eine Form des „sozialen Konstruktivismus“, der von den Foucaultschen Theorien geerbt wurde und der schwere materielle Realitäten auf bloße diskursive Aussagen reduziert: Der Arzt mit seinem Machtinstrument ist derjenige, der das Gendersystem anordnet, wenn er verkündet, dass du ein Junge bist und du ein Mädchen bist, so Butler.

Rasse

Der Kapitalismus ist rassistisch, weil er eine Identität auf der Grundlage der Nation konstruiert: Die „Rasse“ ist, anders als das, was wir vorhin über das Mann- und Frausein erklärt haben, kein materieller Faktor im biologischen Sinne. Vielmehr handelt es sich um eine Fetischisierung einer Reihe von physiognomischen Merkmalen (Hautfarbe, Gesichts- oder Haarform usw.), um Ähnlichkeitsgruppen zu bilden, auf deren Grundlage eine national-rassische Hierarchie durchgesetzt werden kann. Das Hauptziel dieser Hierarchie ist das aller Nationalismen: die Spaltung des Proletariats, um es besser ausbeuten zu können. Die historische Rolle des Rassismus macht dies deutlich: siehe beispielsweise den Aufstand des schwarzen und weißen Proletariats in den Vereinigten Staaten Ende des 18. Jahrhunderts und die darauf folgende staatliche Politik der Rassentrennung, die mit der Entwicklung der weißen Demokratie einherging.

Diese Rolle wird jedoch allzu leicht vergessen, um zu behaupten, dass die „Rasse“ eine eigenständige und unassimilierbare Achse der Unterdrückung durch die Klasse ist. Auf diese Weise werden Rasse und Klasse als getrennte, sich intersektionalisierende Substanzen verstanden, in derselben forensischen Logik, wie wir bereits oben dargestellt haben. Das Rassifizieren ist also der Teil der Postmoderne, der die national-rassische Gruppe über alle Klassenüberlegungen stellt.

Ein großes Problem mit rassifizierenden Ideen ist, dass sie dazu führen, Kultur und Geschichte über alles andere zu verteidigen, unabhängig davon, ob diese machistisch sind oder die Klassenherrschaft reproduzieren. Auf diese Weise werden auf die Figur des Atahualpa oder die Rolle der Religionen ungeachtet der schrecklichen Ausbeutung, die von ihnen ausgeht, Bezug genommen. Die Rasse impliziert, wie wir sagen, das gleiche Spiel wie das der Nation, sie ist eine Rechtfertigung für die Ausbeutung des Proletariats, solange es „unsere“ Ausbeutung ist und nicht die einer anderen, stärkeren Bourgeoisie.

In diesem Teil erscheint es uns wichtig, kurz auf ein Buch einzugehen, das für seinen reaktionären Charakter symptomatisch ist. Es ist das Buch von Houria Boutedja: Die Weißen, die Juden und wir5. Ein Buch, das auch in „radikalisierten“ Kreisen hohe Wellen schlägt. In Wirklichkeit ist das Buch eine Sammlung stalinistischer Banalitäten, in denen der ranzige Arbeiterismus, die „antiimperialistische“ und „Anti-Yankee“-Logik der kommunistischen Parteien und des Marxismus-Leninismus verschiedener Schattierungen in einem Sinne sozialer Rasse umgewandelt wird. Was immer meine Rasse tut, ist im Kampf gegen andere Rassen in Ordnung. Wenn Ahmadinejad sagt, dass es im Iran in Realität keine Homosexuellen gibt, müssen wir ihn bewundern, denn er dekonstruiert die Logik des Imperiums und der Vereinigten Staaten, wenn er sagt, dass er nicht foltert. Meine Freunde sind meine Freunde, und man muss bis zum Ende zu ihnen halten, und Freundschaft ist eine Frage der Rasse. Die Logik des geringeren Übels ist beständig. Diejenigen, die es wagen, das Venezuela von Chávez und Maduro zu kritisieren, sind nichts anderes als Weiße, die sich als Dekolonialisten verkleiden… In einer „liebenden Logik“ (Zu einer Politik der revolutionären Liebe lautet der Untertitel dieses Textes) schlägt sie auch eine Allianz zwischen Juden und nicht-rassifizierten Weißen vor (vergessen wir nicht, dass die Welt vor allem aus Rassen konstruiert ist), da es zunächst darum geht, autonome rassifizierte Bewegungen aufzubauen, wonach eine Allianz mit der weißen Linken möglich sein wird. In Realität ist die scheinbare Radikalität des Diskurses lediglich eine postmoderne Version des sozialdemokratischen Volksfrontdiskurses alten Stils. Es ist notwendig, die eigene Macht zu akkumulieren, um eine Integration in die kapitalistische Gesellschaft auszuhandeln, eine Gesellschaft, die kaum erwähnt wird, und wenn, dann nur, um sie als ein bloßes Epiphänomen der westlichen Zivilisation zu betrachten. In reinster postmoderner Manier folgt die Materialität auf die Ideen.

Kurzum, das Buch ist, wie gesagt, nichts anderes als eine Ansammlung von Gemeinplätzen, die an das Schlimmste der bourgeoisen nationalen Befreiungsbewegungen, mit stalinistischem Charakter, der sechziger und siebziger Jahre erinnern, gewürzt mit religiösen und homophoben Parolen und einem Verständnis für den eigenen Machismus, weil es der Machismus der Eigenen ist. Natürlich ist es besser, nicht darüber zu sprechen, dass es in den von ihnen geliebten Gemeinschaften Klassengrenzen gibt, die sie spalten. Kurz gesagt, die Rassifizierung ist eine Ideologie, die objektiv im Dienste des Kapitals steht und versucht, uns als Proletariat, als eine einzige, globale Klasse zu spalten und zu fragmentieren.

Klasse?

Die Postmodernen haben nichts als eine naive Vorstellung von Klasse. Von den drei Begriffen ist dies derjenige, in dem die Postmoderne ihre Kontinuität mit der Moderne, mit dem bourgeoisen Fortschrittsdenken, am deutlichsten zeigt, ob es ihnen gefällt oder nicht. Ihr Klassenbegriff ist nichts anderes als der soziologische Begriff der Klasse, derselbe wie der der klassischen Sozialdemokratie und des Leninismus. Eine andere Sache wäre es, zu untersuchen, wie sie letztlich zwischen diesen alten Kleidern und neu abgestimmten Binomien oszilliert, die noch mehr zur Verwirrung beitragen: Eliten/Leute (Podemos), Integrierte/Marginalisierte (Insurrektionalismus), usw.

Darüber hinaus wird in den naivsten Versionen der Postmoderne die Klasse auf eine bloße Frage des Status, des Privilegs reduziert, wobei jegliche strukturelle Realität aus den Augen verloren wird, was an die traditionelleren Ansichten der bourgeoisen Soziologie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, erinnert. Diese Vision ist gleichzeitig mit einer Kritik des Klassismus verbunden, die sich mit einer verächtlichen Sicht auf die armen Proletarier vermischt. Unfähig, die materiellen Grundlagen unserer Gesellschaft auch nur annähernd zu erfassen, reduzieren sie alles auf eine Form der Kultur, der Wahrnehmung der Welt, des In-der-Welt-Seins durch einen Diskurs. Auf diese Weise wird das Proletariersein auf das diskursive Spiel reduziert, mit dem wir Proletarier zu Macarras, Chonis oder Chavs6 gemacht werden. Die Vorstellung, dass wir eine materielle Klasse sind, die darum kämpft, sich zu behaupten und diese Welt zu zerstören, kommt diesen bourgeoisen Akademikern nicht in den Sinn. Dennoch sollten sie sich vorsehen, denn die Metaerzählung lauert immer.

7. Der Kommunismus und die Anarchie als reale Bewegung

Nachdem wir die postmoderne heilige Dreifaltigkeit (Gender, Rasse und Klasse) durchgegangen sind, müssen wir noch weitere Kritikpunkte anbringen. Die Trilogie kann in eine faktorielle Unendlichkeit von Kämpfen und Konflikten umgewandelt werden, von denen jeder seine eigene Parteilichkeit/Voreingenommenheit hat (speziesistisch, vegan, usw.). Für uns sind Kommunismus und Anarchie von Anfang an eine totale Bewegung. Die Tatsache, dass er immer irgendwo und von einem unmittelbaren Konflikt ausgeht, negiert nicht seine globale und historische Verallgemeinerung. Die Postmodernen neigen dazu, diese reale Bewegung zu negieren, indem sie die Einheit zwischen dem Unmittelbaren und dem Globalen, dem Partikularen und dem Universellen aufbrechen, um sie a posteriori auf eine tote Weise zu rekonstruieren. So wird die feministische Rekonstruktion zu einer Verteidigung der Gleichstellung von Rechten im Kapitalismus; die rassifizierende zu einer Verteidigung der Integration und Anerkennung zwischen den verschiedenen „Rassen“; der Kampf der Arbeiter zu einer Forderung an das Kapital, einen Teil der Einkommenspyramide zu verteilen… Insofern jeder unmittelbare Kampf von einer globalen Perspektive der Überwindung dieser Welt getrennt ist, ist jede Parteilichkeit/Befangenheit eine reformistische Parteilichkeit/Befangenheit und so auch ihre Summe. Und damit das klar ist: Wir sprechen nicht von idealen Perspektiven oder bloßen Prinzipien, es sind unsere realen Bedürfnisse als Proletarier, die uns dazu bringen, uns mit dieser Welt global und aus jeder unserer Unmittelbarkeiten heraus zu konfrontieren.

Es liegt auf der Hand, dass der Rassismus, ebenso wie das Patriarchat, unsere Klasse spaltet und fragmentiert und ein eindeutiger Faktor/Agent bei der Reproduktion der Welt des Kapitals ist. Was wir ständig und unabänderlich bekräftigen, ist, dass es nur in einem einheitlichen Prozess der Konstituierung des Proletariats als Klasse, als historische Kraft, möglich sein wird, diese Spaltungen real und materiell zu überwinden, die unsere Klasse frakturieren und unsere Konstituierung als Partei zur Zerstörung des Kapitals und des Staates verhindern. Der Kommunismus ist eine reale und einheitliche Bewegung, die von menschlichen Bedürfnissen ausgeht und von dort aus Spaltungen und Fragmentierungen überwindet. Er ist nicht das Ergebnis von Allianzen und der Summe verschiedener Parteilichkeiten/Voreingenommenheiten, die miteinander verhandeln und eine Intersektion bilden. Nur das Proletariat kann dem Kapital ein Ende setzen, indem es sich selbst als Klasse negiert, denn es ist das verborgene Geheimnis des Kapitals, das offenbart, dass das Kapital keine natürliche Realität, sondern eine gesellschaftliche Substanz ist. Die Klasse ist jedoch kein soziologisches Faktum, sondern eine kollektive, partikuläre Konstitution als historische Kraft, und um eine solche zu sein, muss sie mit allen Spaltungen brechen, die sie binden (nationale, rassisch, patriarchalisch…). Das Proletariat ist eine Klasse, das keine Klasse ist, und in seiner realen Bewegung zum Kommunismus drückt es die Macht aus, nicht nur die Klassengesellschaft zu eliminieren, sondern auch die Vielzahl der Unterdrückungen, die das Kapital mit sich selbst reproduziert.

Rassische Unterdrückung, sexuelle Unterdrückung, Umweltzerstörung,… gab es in allen Klassengesellschaften, aber nie erreichte sie ein so systemisches und gigantisches Ausmaß wie im Kapitalismus und vor allem mit dem Fortschritt der kapitalistischen Zivilisation in ihrer gegenwärtigen Phase. Nur ein globaler Kampf kann die Grundlage zerstören, die sowohl die Entfremdung des Menschen als auch die ganze Palette der unmenschlichen Erscheinungsformen und Grausamkeiten der kapitalistischen Gesellschaftsbeziehungen reduziert. Nur eine soziale Klasse – das Proletariat – enthält in ihrem Wesen ein solches Projekt und seine Verwirklichung – die kommunistische Revolution. Im Gegenteil, die Liquidierung des Kampfes durch seine Parteilichkeit/Voreingenommenheit und die Schaffung spezifischer Bewegungen, die darauf abzielen, eines dieser getrennten Probleme zu verringern oder zu lösen, ohne daher in der Lage zu sein, ihre gemeinsame und tiefgreifende Ursache (Feminismus, Antirassismus, Ökologismus,…) mit unabänderlichen zusätzlichen Versuchen, das System anzupassen, zu verbessern, zu reparieren und somit die Diktatur des Kapitals zu verstärken, anzugreifen. Praktisch dienten und dienen diese Bewegungen nur dazu, die revolutionäre Energie des Proletariats abzulenken, die Mechanismen der Herrschaft und Unterdrückung zu verbessern und die Ausbeutungsrate des Proletariats noch zu erhöhen.“

(Thesen zur programmatischen Orientierung, Internationalistische Kommunistische Gruppe)

Wir hoffen, auf diesen Seiten einen Teil der in vielen Kreisen herrschenden Verwirrung zu diesen Fragen geklärt zu haben, so dass sie vor allem dazu dienen, gegenwärtige und künftige Debatten, Diskussionen und Klarstellungen zu speisen.

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Rülpser der Postmoderne

„Die modernen [ökonomischen] Verträge sind nichts anderes als linguistische Formen; wenn ein Vertrag in irgendeiner Weise manipuliert wird, kann man sagen, dass die Sprache manipuliert wird.“

„Statt von Ideologie spreche ich lieber immer von Subjektivierung, von der Produktion von Subjektivität.“

„Das Subjekt ist nach einer ganzen Tradition der Philosophie und der Humanwissenschaften etwas, das wir als être-là vorfinden, etwas im Besitz einer angenommenen menschlichen Natur. Ich schlage im Gegenteil die Idee einer Subjektivität industrieller, maschineller Natur vor, die im Wesentlichen hergestellt, modelliert, rezipiert und konsumiert wird“.

„Aufgrund ihrer Mehrdeutigkeit verpfändet das Queere permanent das für selbstverständlich Gehaltene und bekräftigt seine Identität auf der Grundlage von Unterschieden und wechselnden Aspekten, die durch die Begriffe Klasse, Gender, Rasse und Geschlecht artikuliert werden. So verstehe ich das Queere als eine anti-assimilatorische, politisch aktive und ständig sich selbst hinterfragende Haltung…“.

„In einem Womanist-Raum kann ich schwarze Frauen und andere Frauen aus anderen Kulturen aufwerten, denn in diesem Paradigma werde ich anerkannt. Ich werde aufgrund meiner dunklen Hautfarbe und meines Frauendaseins als Teil davon anerkannt. Ich als schwarze Frau kann mich in einem Raum entfalten, in dem meine Vitalität nicht übersehen, ignoriert und abgetan wird.
Mit meiner eigenen Selbstbestätigung brauche ich keinen Feminismus (intersektional oder nicht), um meine Beteiligung oder meinen Wert oder den Wert anderer Frauen im Kampf für rassische und genderbezogene Gleichheit zu definieren.

Kurz gesagt: komm mir nicht mit dem Feminismus. Ich muss nicht so sein wie ihr, um mich für die Rechte und Möglichkeiten der Frauen einzusetzen“.

„Diese weiße universalistische Sicht auf die ganze Welt […] ist Teil dieser weißen Vorherrschaft, die alles definiert und alles universalisiert“.

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1A.d.Ü., ein Wortspiel, oder Neologismus zwischen Postmoderne (Post-Mo) und Stalinismus, also Post-Mostalinismus.

2Im letzten Abschnitt des Textes erklären wir, was wir unter Klasse oder Partei verstehen, wir empfehlen auch den Text von Comunismo #65: ¿Proletario yo?

3Der Marxismus ist eine sozialdemokratische Rekuperation von Marx, die versucht, das Proletariat in das Kapital zu integrieren. Sie ist die Partei der Arbeit im Kapital. Im Gegenteil, der Kommunismus ist die reale Bewegung, die für die Durchsetzung der menschlichen Bedürfnisse des Proletariats durch die Abschaffung des Wertes, der Klassen und des Staates kämpft. Marx war ein herausragender Militanter unserer Partei, aber wie er selbst sagte: „Ich bin kein Marxist“.

4A.d.Ü., auf spanisch fängt die Bibel anders an, nämlich „Am Anfang war das Verb“.

5A.d.Ü., unseres Wissen nach gibt es dieses Buch nicht auf Deutsch, hier der Originaltitel: „Les Blancs, les Juifs et nous – Vers une politique de l’amour révolutionnaire“ („Die Weißen, die Juden und wir – Zu einer Politik der revolutionären Liebe“)

6A.d.Ü., Macarras und Chonis sind Bezeichnungen für das, was im Allgemeinen im deutschsprachigen Raum als Prolos und Halbstarke nennt, wobei Choni die weibliche Definition ist,die eine „gewisse“ Affinität und Neigung zum „halbkriminellen“ Leben haben. In der Regel Jugendliche aus proletarischen und marginalisierten Stadtteilen und Vororten. Chavs ist ungefähr dasselbe, nur halt auf Englisch.

der Postmoderne/Postmodernismus.

Einleitung

In diesem Text wollen wir eine flüchtige Kritik an einigen ideologischen Gemeinplätzen unserer Zeit üben, Gemeinplätze, die wir der Einfachheit halber postmodern nennen. Ganz allgemein kann man sie daran erkennen, dass jeder Versuch, radikale Emanzipation anzustreben, eine Metaerzählung wäre, dass das Streben nach einem Wahrheits- oder Objektivitätskriterium ein Beweis für Arroganz und Herrschaftswillen wäre. Dass es keine allgemeinen und universellen Kriterien gibt, anhand derer man die Realität der Welt definieren kann, und daher auch keine Suche nach einer allgemeinen Befreiung existiert. Dass alles subjektiv ist, dass der einzig mögliche Kampf derjenige ist, der sich im Alltäglichen, in der Mikrophysik der Mächte abspielt, ohne Gefahr zu laufen, in Essentialismen und immer gefährliche sichere Definitionen zu verfallen, usw.

Dieser Text ist aus einer revolutionären Praxis heraus geschrieben und die Kritik basiert auf dem Einfluss, den diese Art von Ansätzen und Autoren innerhalb der radikalen Aktivisten haben, die versuchen, gegen diese Welt zu kämpfen. Deshalb scheint es uns wichtig zu sein, über den Schwindel zu diskutieren, der von dieser Art von Autoren ausgeht. Die Strömung, die diese Art von Perspektive am meisten in die „sozialen Bewegungen“ eingebracht hat, ist eine leichte (A.d.Ü., light im Originaltext)und reformistische Version der historischen autonomen Bewegung, die Toni Negri als einen ihrer wichtigsten Referenzen hat und die Werke von Deleuze, Foucault, Guattari… zu angeblichen Handbüchern des Radikalismus gemacht hat, die „gebildete“ Aktivisten durcharbeiten sollten. Das jüngste Buch von Marina Garcés, einer Universitätsprofessorin für Philosophie und Vertreterin dieser Art von Strömungen und Ideen, bringt genau das zum Ausdruck, was wir kritisieren wollen. Eine scheinbare Radikalität in Formen und Diskursen, die vorgeben, alles dekonstruieren zu wollen, und eine Ohnmacht, die sich aus den Prämissen ergibt, wie sie selbst zu Beginn des Prologs zu ihrem Buch Ciudad Princesa (S. 11) einräumt:

Ich weiß nicht, bis zu welchem Punkt wir real gekämpft haben. Ich weiß auch nicht, bis zu welchem Punkt wir gänzlich verloren haben. Ich weiß, dass die Ideen und Lebensweisen, an die ich glaube, nicht gesiegt haben, aber sie sind auch nicht verloren. Die Generation der siebziger Jahre wollte den Himmel stürmen und hat sich die Flügel verbrannt. Diejenigen von uns, die nach ihnen kamen, wuchsen inmitten ihrer Asche auf und sahen, wie die Feuer ihrer Sehnsüchte und Ideale erloschen (…). Und nur einige wenige haben die Glut des radikalen Denkens und Engagements weiter genährt.

Diejenigen von uns, die sich Ende der 1990er Jahre politisiert haben, haben nicht in den Himmel geschaut, außer um sich eine Zeit lang auszuruhen.“

Andererseits ist es wichtig zu verstehen, dass wir, wenn wir von Postmoderne sprechen, keinen drastischen Bruch mit der so genannten Moderne vollziehen. In der Realität sprechen beide „Epochen“ von der gleichen Sache, vom Kapitalismus und seiner Tendenz, Form und Inhalt, Subjektivität und Objektivität, Wissen von Moral usw. zu trennen. Der Kapitalismus ist ein System, das auf einer Form beruht (Kapital als Wert, der mit Wert aufgeblasen wird), das dazu neigt, jeden Inhalt unter seiner totalitären Ägide zu subsumieren. Alles kann in Geld als allgemeines Äquivalent des Reichtums umgewandelt werden, jede menschliche Tätigkeit kann unter das Imperium der abstrakten Arbeit subsumiert werden. Bereits mit dem Aufkommen des Kapitalismus im 17. Jahrhundert begannen sich die ersten Formen dieser Trennung auch in den Denkweisen zu entwickeln. Wir beziehen uns zum Beispiel auf Descartes‘ Ich denke, also bin ich oder Thomas Hobbes‘ Mechanismus des politischen Körpers. Das Kapital läutet eine Epoche ein, die das Leben von seiner materiellen Substanz trennt, die die Menschen sowohl voneinander als auch von innen her fragmentiert, die die menschliche Gemeinschaft zerstört… Es ist eine Metaphysik der Trennung, die uns gegeneinander stellt, wie Hobbes selbst in seinem Staat der Natur als Grundlage des staatlichen Leviathans feststellt. Dieser Krieg aller gegen alle, die Reduzierung des sozialen Lebens auf Atome, die sich in einem ständigen merkantilen Konflikt befinden, wird in der Postmoderne auf die Spitze getrieben. In der Tat wird der Krieg aller gegen alle in postmodernen Positionen zu einem permanenten Konflikt zwischen Identitäten. Rassifizierte gegen Weiße, Queer gegen Cisgender, Trans gegen Queer, usw. Je mehr Unterdrückungen, desto besser! Wer legt noch einen drauf in diesem Geschwätz von Privilegien, das festlegt, wer zu sprechen und wer zu schweigen hat! Damit entfällt nicht nur jede einheitliche Kritik an dieser Welt, sondern auch die Möglichkeit, sie zu transzendieren und sich mit den spezifischen Unterdrückungen auseinanderzusetzen, die das Kapital in seiner ganzen Bandbreite reproduziert. Nur ein Projekt der ganzheitlichen Zerstörung dieser Welt durch den Wiederaufbau der menschlichen Gemeinschaft ermöglicht ein solches Ziel.

Wenn wir von Postmoderne sprechen, beziehen wir uns auf eine Ideologie und nicht auf eine Epoche. Die Epoche bleibt dieselbe, auch wenn das für unsere vornehmen Gegner unglücklich ist: die des Kapitals und seiner kategorischen Invarianten, der abstrakten Arbeit und der Ware, des Staates und der Demokratie. Wir sprechen von einer Ideologie, weil es sich um eine verzerrte Sicht der Realität handelt, die es uns nicht erlaubt, ihren wahren Sinn und damit die Möglichkeiten ihrer Revolutionierung in einem emanzipatorischen Sinne zu erfassen. Darüber hinaus führt seine Produktion von der University of California zur Sorbonne, von der Sapienza in Rom zur Complutense in Madrid, von den Universitäten in Buenos Aires zu denen in Kalkutta. Es handelt sich also nicht um eine einfache Ideologie, sondern um eine Ideologie, deren offensichtlicher Vertreter die Mittelklasse ist. „Radikale“ Akademiker auf dem Campus übersetzen reale Unterdrückungen (patriarchalisch, rassisch…) in ihre Fachsprache, um Mittel für ihre Forschungsprojekte zu erhalten. Eine Zombie-Multitude von Universitätsstudenten, die sich von der esoterischen Sprache der Älteren verzaubern und unterhalten lassen, schwingen mit überheblicher/arroganter Sicherheit die Waffen ihrer magischen und unverständlichen Phrasen, und wehe dem, der sich ihnen widersetzt. Die Postmoderne hat etwas von Post-Mostalinismus1 an sich.

Aus all diesen Gründen ist dieser Text ein Text des Kampfes, eine Bestätigung des Kommunistischen und Revolutionären, ein Text der Negation.

1. Eine Ideologie der Niederlage

Zuallererst ist es wichtig, den Ursprung der Postmoderne zu beschreiben. Die postmoderne Ideologie entsteht nach einer Reihe von revolutionären Niederlagen im 20. Jahrhundert (Erster und Zweiter Weltkrieg), gekrönt von der Niederlage der Welle sozialer Revolten, die in den 1960er Jahren ausbrach: Von Frankreich bis Argentinien, von Prag bis Italien, von Uruguay bis Portugal wird das Proletariat versuchen, sich als Partei, als Klasse zu konstituieren2. In manchen Momenten wird unsere Klasse sehr breite insurrektionalistische Prozesse erleben, wie in Italien in den siebziger Jahren, Prozesse der Selbstorganisation, die schließlich untergehen, wie in Portugal, oder kurze insurrektionalistische Umstürze wie in Cordoba (Argentinien) 1969. Die Niederlage dieser Welle von Kämpfen, der zweiten oder dritten Welle des proletarischen Angriffs auf die Klassengesellschaft (wenn wir nicht nur die revolutionäre Welle von 1910 bis 1937, sondern auch die des 19. Jahrhunderts von 1848 bis 1871 betrachten), wird eine Umkehrung des Prozesses der Konstituierung des Proletariats als Klasse und ein Wiederaufleben von Ideologien begünstigen, die von Pessimismus, Individualismus und Nihilismus genährt werden und die Hoffnungen im Proletariat und in einer endlich von der Klassengesellschaft befreiten Menschheit verschlingen. Die postmoderne Ideologie basiert auf der Annahme, dass eine radikale Emanzipation des Proletariats ein böser Alptraum gewesen wäre, der nur totalitäre Ungeheuer hervorbringen konnte. Perfide Ideologen hätten den Logozentrismus der jüdisch-christlichen Religion (in kommunistischen und anarchistischen Versionen) säkularisiert und an arme, unwissende, ungebildete Proletarier weitergegeben. Wie wir sehen können, ist der Idealismus der geistigen Operation vollständig. Für die Postmoderne (wie für das gesamte moderne, bourgeoise Denken) sind Kommunismus oder Anarchismus keine reale Bewegung, die versucht, die menschlichen Bedürfnisse gegen das Kapital und seine Ausbeutung zu bestätigen, sondern eine sehr falsche und fehlerhafte gedankliche Konstruktion. Zum Glück sind unsere illustren Professoren aus Paris und Kalifornien gekommen, um uns aus unserer jugendlichen Unwissenheit zu wecken.

Die Postmoderne ist zugleich eine Ideologie des Verzichtes und des Pessimismus. Hinter ihrer scheinbaren Radikalität (was der Haken ist, mit der sie die Mittelklasse auf der Suche nach neuen Meta-Narrativen verführt) verbirgt sich nichts anderes als der Verzicht auf jeden Versuch, diese Welt real und global zu verändern. Daher der Rückzug in die Mikropolitik und in die Identitätspolitik. Das Kleine ist gut und das Totale (A.d.Ü., oder Ganze) totalitär, sagt man uns. In dem Maße, in dem die konterrevolutionäre Niederlage des Proletariats in den 1970er Jahren den notwendigen revolutionären Wandel aufschiebt, wird die Notwendigkeit zu einer Tugend und die Niederlage zu einem natürlichen Zustand. Deshalb sind Pessimismus und Verzicht untrennbar miteinander verbunden und gleichzeitig mit einer überschwänglichen Auffassung von Unterschieden, von kultureller Parteilichkeit/Voreingenommenheit und individualistischer Wahl, von Verschiedenem und Heterogenem, von Molekularem und Schizoidem, von Unbeständigem und Unbestimmtem, von Skepsis gegenüber jedem Kriterium von Wahrheit und Beziehung mit Objektivität und sozialer Totalität verbunden. Die Welt ist seltsam (A.d.Ü., oder fremd) und grausam. Sie subsumiert und entfremdet uns, aber der Grund für ihre materiellen Fundamente wird nicht verstanden, und es wird nur eine ideologische und theoretische Erklärung gegeben. Typisch für diejenigen, die es sich zum Beruf gemacht haben, isoliert zu denken (A.d.Ü., als eine getrennte Tätigkeit), als ob der Gesamtcharakter des Kapitals nur ein mentales Problem wäre und es ausreichen würde, nicht über seine unpersönliche und totale Dynamik nachzudenken, damit er unser Leben nicht subsumiert. Die Postmodernen haben etwas amüsant Kindisches an sich: Es würde reichen, die Augen zu schließen, damit das Kapital einfach aufhört zu existieren. Schade, dass es um die armen Realitäten geht, die unser Leben beeinflussen (das Kapital in seinen Bewegungen), und nicht um die Höhen der akademischen Diskurse, an die die Protagonisten unseres Feuilletons gewöhnt sind und mit deren Worten sie meinen, die Welt performativ zu konstruieren.

Diese Ideologie der Niederlage und der Differenz knüpft an die pessimistischen Philosophien des Seins an, auf die sich einige der Referenztheoretiker der postmodernen Autoren (Nietzsche, Sartre, Heidegger, Schopenhauer) beziehen. Das Sein ist ein abstraktes Wesen, von dem die Essenz einerseits und die Existenz andererseits getrennt sind. Die postmoderne Ideologie greift den Idealismus und Pessimismus dieser Philosophie auf. Sie geht davon aus, dass man von der Sprache ausgeht, um die materielle Welt zu schaffen (im Gegensatz zu einer materialistischen Sichtweise, bei der man von der realen Welt ausgeht, um die Welt zu erklären; Marx, Engels, Bakunin oder in einem anderen Sinne Aristoteles).

Der Begriff der Postmoderne geht auf ein Buch des französischen Philosophen François Lyotard zurück, der Mitglied der von Cornelius Castoriadis geleiteten französischen linksradikalen (A.d.Ü., ultra-gauche) Gruppe Socialisme ou Barbarie gewesen war. Lyotard hatte sich der Idee von Castoriadis widersetzt, eine revolutionäre Theorie denken zu können, die auf den Marxismus verzichtet, und gründete deshalb mit anderen Genossen (A.d.Ü., Weggefährten) die Organisation Pouvoir Ouvrière. Doch einige Jahre später schwor er dem Marxismus und vor allem der Revolution ab und schrieb ein kleines Buch, in dem er einige Gemeinplätze des postmodernen Denkens synthetisierte.

Frankreich und die Vereinigten Staaten sind zwei wichtige Brennpunkte dieser Überlegungen. Es handelt sich um eine bunte Gruppe von Autoren mit sehr unterschiedlichem theoretischem Niveau und Werdegang, die aber zweifellos etwas gemeinsam haben. Einer der entscheidenden Aspekte ist die Verzicht der Militanz, gegen die Zentralität des Proletariats als die revolutionäre Klasse, die allein die Herrschaft des Kapitals beenden kann (die etwas tieferes ist als ein System von Privilegien, wie unsere „Theoretiker“ es schlecht zu verstehen scheinen), oder der Verzicht auf die Realität der menschlichen Natur als das Übel aller Übel. Im Gegenteil, das Mark der Menschen ist der soziale und historische Kontext, ein kultureller Reduktionismus und die Hypertrophie der Diskurse, die das Leben der Subjekte performativ gestalten.

Wie wir zu Beginn gesagt haben, ist die Postmoderne eine Ideologie, die in der Akademie der französischen poststrukturalistischen Strömungen entstanden ist. Nach der Krise des akademischen und politischen Marxismus3 und der Krise des Strukturalismus (des absoluten Gewichts, das sie den ökonomischen und historischen Strukturen verliehen hatten, nachdem sie den Menschen zu einer bloßen Stütze, zu einem Tischbein gemacht hatten, auf dem die Strukturen aufgerichtet wurden) führen diese zu einer Flucht in das scheinbar Gegenteil: Es ist der Moment des Molekularen, des Kapillaren, des Kleinen, der Wünsche, des Peripheren, des Spezifischen, der Vorrichtungen der Subjektivierung. In Realität handelt es sich um eine Pendelbewegung, deren Hintergrund die politische Niederlage des Proletariats in den 1970er Jahren ist. Der abstrakte Universalismus des Marxismus als Ideologie, durchdrungen von Szientismus und Politismus, von der Reduzierung des Proletariats zur Stütze des Kapitals, geriet mit dem Aufstieg des Proletariats in den 1960er Jahren in eine Krise. Mit der Niederlage des Proletariats wurden seine strukturalistischen Drahtzieher (Althusser, Foucault, Derrida usw.) zu den Förderern des Poststrukturalismus und der Postmoderne. Außerdem ist es sehr wichtig zu verstehen, dass die vom marxistischen Szientismus und Progressivismus sowie vom Strukturalismus postulierte Universalität nicht die Art von Universalität ist, die das Proletariat als Negation des Eigentums und der sozialen Klassen in sich trägt. Aus dieser Wahrheit, der Pestilenz des Marxismus als Ideologie, konstruiert die Postmoderne die große Lüge des Partikularismus, dass wir nichts gemeinsam haben, dass es letztlich immer Herrschaft geben wird. Die Universalien des Marxismus haben nichts mit denen des Proletariats in Aktion zu tun.

Erklären wir es besser: Die Postmoderne stellt angesichts der Ideen der Universalität, angesichts der Geschichte, die Unmöglichkeit der Schaffung einer Geschichte und einer universellen Theorie entgegen. Dieser Aspekt ist sehr interessant, weil die akademische Kritik am Marxismus die Ablehnung jeder starken theoretischen Konzeption beinhaltet, die auf Prinzipien, auf sinnvollen Meta-Narrativen beruht (z. B. den realen materiellen Bedingungen, dass der Kapitalismus weltumfassend ist. Wenn jede Geschichte subjektiv interpretiert wird, wie könnten wir dann dem Kapitalismus die Stirn bieten, wenn wir nicht sehen, dass er eine weltweite Grundlage hat, die historisch ist?). Sie fliehen wie vor der Pest vor jeder allgemeinen Vorstellung, sie sind allergisch gegen menschliche und theoretische Universalien.

2. Eine Ideologie des Individuums

Die Postmoderne geht von der Subjektivität jedes Einzelnen aus, von der individuellen Wahrheit, weshalb es keine absoluten Wahrheiten gibt. Sie wirft den universellen Wahrheiten sogar vor, totalitär zu sein, dass sie erzwingend sind. All dies ist das Ergebnis der Skepsis einer Theorie, die nicht versucht, unsere eigene soziale Existenz in einen breiteren Rahmen zu stellen, denn das hieße, die Besonderheit des Individuums und der verschiedenen Identitätsgruppierungen einzuschließen; für die Postmoderne wird die Tatsache, dass der Mensch ein soziales Wesen ist, als etwas rein Diskursives und nicht als etwas real Materielles erklärt. Es ist die Welt des Kapitals, die uns einschließt. Vielleicht gibt es an den kalifornischen Universitäten eine größere Auswahl an Möglichkeiten, aber Millionen von uns Proletariern haben nicht das Glück, diese Perspektive wählen zu können. Unser Leben wird von einer verborgenen, aber sehr realen materiellen Form bestimmt (wir sind täglich mit immer schlechteren Überlebensbedingungen konfrontiert: Arbeitsplätze, die uns erdrücken, Wohnungen, die unbezahlbar sind oder uns von anderen isolieren, oberflächliche Beziehungen, die durch Waren vermittelt werden, usw.).

Dieses Weltbild kann nicht die globale Emanzipation der Menschen anstreben, es kann nicht danach streben, als Ganzes, in einer realen Gemeinschaft zu denken, es kann nur identitär gedacht werden, getrennt vom Rest. Dies ist in den sozialen Kämpfen der letzten Jahre spürbar, das Unvermögen, andere Proletarier im Rest der Welt als diejenigen zu verstehen, die dieselben Bedürfnisse haben und Ausdruck desselben Kampfes sind, was zu einem Mangel an Solidarität seitens des restlichen Proletariats führt, im Gegensatz zu dem, was unsere Klasse im Laufe der Geschichte getan hat.

Zu glauben, dass wir alle gleich werden können (wie es die Demokratie vorgibt) oder zu denken, dass wir alle völlig unterschiedlich sind (wie es die Postmodernen tun), ist ein klares Beispiel für eine falsche Dichotomie: Innerhalb unserer Unterschiede gibt es Dinge, die uns vereinen und die wir als Spezies teilen, wir haben die gleichen Bedürfnisse, um zu leben. Die ideale demokratische Gleichheit besteht darin, dass alle gleich sind, der Kommunismus kämpft nicht für die Gleichheit oder die Gleichheit der Rasse oder des Genders, denn diese Konstruktionen sind gesellschaftlich funktional für dasselbe System, das sie braucht; daher sollte die Revolution nicht ihre Bewahrung und „positive Transformation“ ins Auge fassen, denn ihr Kampf gegen die merkantile Zivilisation/Gesellschaft bedeutet die Zerstörung aller ihrer Grundlagen. Der Kommunismus kämpft nicht für die Gleichheit oder die Gleichberechtigung von Gender oder Rasse, denn diese Konstruktionen sind gesellschaftlich funktional für dasselbe System, das sie braucht; daher sollte die Revolution nicht ihre Bewahrung und „positive Umwandlung“ ins Auge fassen, denn ihr Kampf gegen die merkantile Zivilisation/Gesellschaft bedeutet die Zerstörung all ihrer kategorischen, moralischen, wissenschaftlichen, religiösen und juristischen Grundlagen. Der Kommunismus zielt nicht darauf ab, die Unterdrückung in dieser Welt durch die Zutaten des Warenkuchens zu beenden (indem er proportionale Quoten nach Rasse oder Gender verteilt), er will die Zutaten des „Kuchens“ des menschlichen Lebens radikal verändern. Die Ausbeutung besteht überall auf der Welt aus derselben Sache – die Extraktion des Mehrwerts – dies vereint alle Arbeiter, unabhängig von ihrer Sprache, ihrem Geschlecht, ihrem Alter, ihrer Hautfarbe oder ihrer sexuellen Orientierung. Der Kapitalismus ist kein System der „Unterdrückungen“, sondern ein Ausbeutungssystem, das routinemäßig Diskriminierungen und Unterdrückungen schafft, weil es, wie bei jedem Ausbeutungssystem, in seiner Natur liegt, dies zu tun, um seine Herrschaft aufrechtzuerhalten.

Er ist eine liberale Ideologie, weil er das Recht des Einzelnen einfordert, frei zu wählen, was er oder sie sein möchte (natürlich im Rahmen der Optionen des Kapitals). Es ist die Revolution des Individuums, das die Freiheit hat, sich als Frau, als Mann, als genderneutral oder genderuntypisch zu bezeichnen, und das danach strebt, anerkannt und sichtbar gemacht zu werden. Von wem? Durch den Staat, den alten Staat, mit seinen Institutionen und Klasseninteressen, die ein wenig aus der Mode gekommen sind. Von der Mikrophysik der Macht bis zur Rechtfertigung des Rechtsstaates gibt es nicht nur eine logische Beziehung, sondern auch einen Weg, den unsere brillanten Postmodernisten eingeschlagen haben: vom verbalen Radikalismus zur Faktizität der Macht des Kapitals. Zu glauben, dass soziale Probleme individuell gelöst werden können, ergibt keinen Sinn; es reicht nicht aus, eine extremistische Sprache zu verwenden oder individuelle Gewohnheiten zu ändern. Wie Cuadernos de Negación bereits gesagt hat: „Wir würden niemals individuelle „Lösungen“ für soziale Probleme empfehlen. Die individuelle Wahrnehmung eines Problems macht das Problem nicht zu einer individuellen Frage“. (Cuadernos de Negación, Nr. 8). Dies zu tun, würde nur alles Konkrete auf etwas Abstraktes reduzieren: die individuelle Entscheidung, das zu sein, was man will, die Wahl zwischen den angebotenen Waren. Wir verstehen, dass es frustrierend ist, dass wir uns klein fühlen, wenn wir jeden Tag Probleme haben, die wir nicht isoliert und einzeln lösen können. Anders zu denken, würde nur die Illusion hervorrufen, dass unser Leben radikal ist und wir die Macht haben, darüber zu entscheiden, ob die Fleischindustrie den Bach runtergeht oder die globale Erwärmung beendet wird, indem wir z.B. zu Fuß zur Arbeit gehen. Abgesehen von der Tatsache, dass es nicht möglich ist, soziale Probleme individuell zu lösen, ist das auch Scheiße. Selbst wenn wir die Dinge individuell lösen könnten, würden wir es so tun, wie es Individuen tun: isoliert, unsolidarisch, mit wettbewerbsorientierten und meritokratischen (A.d.Ü., leistungsorientierten) Dynamiken (all die verinnerlichten Schuldgefühle, die sich zum Beispiel im ökologischen Bewusstsein ausdrücken: Du tust nicht genug, du musst dich mehr anstrengen, schau, wie ich Erfolg habe…). Das Individuum stinkt, es ist die Grundlage dieser Gesellschaft. Die Tatsache, dass das soziale Problem kollektiv gelöst werden muss, macht es möglich, unser reales menschliches Leben, die globale menschliche Gemeinschaft, wiederherzustellen.

Das Kleine wird gegen das Große verteidigt, das Subjektive gegen das Objektive, das Molekulare gegen das Molare, das Multiple gegen das Eine, und so weiter. Das macht es unmöglich, über etwas so Wichtiges wie die menschliche Spezies und ihre Bedürfnisse zu sprechen. Die Postmoderne ist eine Ideologie der Trennung und Fragmentation, der Uneinigkeit und virulenten Ablehnung unserer Fähigkeit, uns als Klasse zu konstituieren. Es ist eine Ideologie, die von der Vielfalt menschlicher Kulturen besessen ist und nicht von der Einsicht, dass der Mensch von Natur aus kulturell ist, die von der Vielfalt der Sprachen besessen ist und nicht von der Tatsache, dass wir sprachliche Wesen sind, die von den Unterschieden besessen ist und nicht von dem, was uns in unserer Diversität eint. Darüber hinaus reduziert sie uns auf den Lokalismus und verhindert so einen realen Internationalismus, einen Internationalismus, der nichts mit dem postmodernen multikulturellen Spektakel zu tun hat. Diese Beschäftigung mit der Singularität ist letztlich immer die Singularität isolierter und konkurrierender Individuen, da unterschiedliche Subjekte (weiblich, rassifiziert, homosexuell) miteinander konkurrieren.

In Realität wird die Postmoderne eine verständliche Reaktion auf die soziologische Vision des Proletariats der Sozialdemokratie sein. Sie wird jedoch mit neuen Formen der Sozialdemokratie reagieren, denn die alte ist durch die relative Delegitimierung der KPs und des Stalinismus dank 1968 bereits „abgenutzt“. Zu diesem Zweck wird eine Rundreise vom Identitarismus des Blaumanns im Arbeiterdiskurs bis zu den verschiedenen Identitäten unternommen, die in Verbindung mit anderen Subjekten der Unterdrückung entstehen, um sie zu vollenden. Wenn also die Arbeiterbewegung die Frauen ausschließt, alles geregelt! Die Identität der Frauen wird hinzugefügt. Wenn die nicht-Weißen ausgelassen wurden, dann siehe hier, die rassische Identität… Jetzt, wo die Identität der Arbeiterklasse an Gewicht verloren hat, kommen immer mehr Subjekte der Unterdrückung hinzu: die Unterdrückung der Autisten, die Identität der Verrückten, die Identität der Dicken, usw. Es ist interessant, die enge Beziehung zwischen dem Aufkommen dieser Ideologien und den Schwächen und Grenzen der proletarischen Bewegung selbst hervorzuheben, vor allem in Bezug auf das Gewicht des Arbeitertums und des Ökonomismus in früheren Kampfperioden, worauf wir schon weiter oben hingewiesen haben. Wenn man nicht mit der sozialdemokratischen Konzeption des Proletariats bricht, wird die Entstehung all dieser Kategorien ermöglicht, die nach derselben fetischistischen Logik des Arbeitertums funktionieren.

Andererseits sind wir der Meinung, dass auch eine Reflexion gegen die Integration interessant wäre. Wie wir weiter unten in Bezug auf die rassifizierende Ideologie analysieren werden (die eine der vielfältigen Strömungen der Postmoderne ist), ist ihr Endziel die Integration in die Welt des Kapitals. Das Streben nach Anerkennung, um die Lebensbedingungen innerhalb des Kapitals zu verbessern, bedeutet, sich in die Dynamik des individuellen Überlebenswettbewerbs zu begeben, anstatt eine gemeinsame Emanzipation anzustreben. Dies gilt auch für einige der Diskurse, die in Spanien in Bezug auf die Rasse aufkommen, im Gegensatz zur Stärke von Bewegungen wie den Banlieues im Jahr 2005, deren Stärke gerade darin lag, dass sie keine Integration anstrebten. In diesem Sinne wird die Rassifizierung in Realität nichts anderes sein als eine objektive Form der Domestizierung der Kämpfe der „rassifizierten“ Proletarier. Was wir über die Rassifizierung sagen, ist analog zu dem, was wir über den postmodernen Feminismus und seinen Versuch, die „Kategorie“ Frau zu dekonstruieren, sagen können.

Es ist also nicht weit hergeholt, hochzuhalten, dass die postmoderne Ideologie eine liberale Theorie ist, eine Theorie des Individuums, die den Kapitalismus stärkt.

Es ist wichtig, darauf hinzuweisen, dass diese Theorien eine Möglichkeit sind, die Radikalität zu rekuperieren, die viele der Menschen, die sich in sie vertiefen, suchen. Diese Rekuperation ist nicht ideal, sondern real, wie sie im konterrevolutionären Charakter der Rassifizierung zum Ausdruck kommt, denn sie strebt nicht nach der totalen Befreiung der Klasse und der menschlichen Spezies. Im Gegenteil, sie machen es unmöglich und schwächen den Kampf, indem sie ihn auf eine legalistische und institutionelle Ebene kanalisieren.

3. Frontismus und Intersektionalität

Im aktivistischen Milieu ist die Vorstellung weit verbreitet, dass es eine Reihe von heterogenen Kämpfen gibt, die in „Kampffronten“ zusammengefasst werden, als ob es sich um getrennte und dissoziierte, parallele und autonome Kämpfe handelte, die im Prinzip nichts miteinander zu tun haben (Rasse, Geschlecht, Anti-Speziesismus, Ökologismus usw.). Die Vereinigung dieser Kämpfe in Fronten wird als Intersektionalität bezeichnet (jene Menschen oder Orte, an denen eine Reihe von Unterdrückungen zusammenkommen). Es gibt keine Vorstellung von der Universalität und Einzigartigkeit dieser Kämpfe, denn das wäre essentialistisch.

Dadurch wird der Begriff der Klasse völlig eliminiert, denn von dort aus ist es undenkbar, den gleichen materiellen Kampf zur Befriedigung analoger menschlicher Bedürfnisse zu führen, der die proletarischen Kämpfe in Marokko mit denen im Jemen, die in der spanischen Region mit denen in Argentinien, die des afroamerikanischen Proletariats mit denen der kurdischen Proletarier verbindet. Alles ist partikular und bruchstückhaft. Das ist ein weiterer Grund, warum diese Ideologie defätistisch ist: Ein Denken, das von dem ausgeht, was uns trennt, ist nicht in der Lage, über universelle Emanzipation nachzudenken. Wie wir in Notas sobre el patriarcado en el capitalismo (Anmerkungen zum Patriarchat im Kapitalismus) gesagt haben:

Diese Trennung kann nur im Hinblick auf die menschliche Gemeinschaft und den Kommunismus als historische Bewegung verstanden werden. Gegenwärtig setzt die Sozialdemokratie alles daran, den Klassenkampf und die Spaltung zwischen Männern und Frauen sowie die Trennung der Rassen, der sexuellen Praktiken usw. auf die gleiche Ebene zu stellen. Diese Behauptung ist jedoch die beste Art und Weise, die Möglichkeit menschlicher Gemeinschaft zu leugnen, denn um sie zu erreichen, müssten nicht nur der Kapitalismus und die sozialen Klassen, sondern auch die gesamte Diversität, die in der Spezies existiert (vgl. Queer-Theorie) negiert werden. Im Gegenteil: Der einzige Weg, die Todes- und Elendsmaschine, was das Kapital ist, zu zerstören, ist der Klassenkampf und damit die Negation aller Klassen. Dieser Kampf ist jedoch nicht nur der Kampf des Proletariats gegen das Kapital, sondern auch sein Kampf zur Vereinigung dessen, was innerhalb der Klasse getrennt wurde. Die einzige Möglichkeit für das Proletariat, dies zu tun, besteht darin, die von den Klassengesellschaften auferlegten Spaltungen zu überwinden, einschließlich der Spaltung Mann-Frau.“

Die Postmoderne hat die Idee verbreitet, dass das, was man mit den Unterdrückungen tun muss, ist sich selbst dekonstruieren, was nichts anderes bedeutet, als sich selbst diskursiv und konzeptionell zu analysieren. Was ist die Dekonstruktion? Es ist ein absolut nominalistisches Konzept. Sie verkündet die allmächtige Fähigkeit des (natürlich individuellen) Bewusstseins, mit den sozialen Beziehungen zu brechen, die uns „konstruieren“, die uns konstituieren. Das Problem besteht nicht darin, anzuerkennen, dass das, was wir sind, zu einem großen Teil von den sozialen Beziehungen bestimmt wird, die wir festlegen und die uns sozusagen festlegen, auch wenn dies der Postmoderne erlaubt, jede Idee von Natur oder Biologie zu negieren. Das Problem besteht darin, zu glauben, dass Denk- und Handlungsweisen, die nach einer Lösung suchen, um die gegenwärtigen Beziehungen zu ersetzen, die „nach und nach“ die Totalität der Beziehungen verändern können, die durch den historischen und sozialen Kontext dieser Epoche vermittelt werden und diesem unterliegen, und so weit zu gehen die Absurdität zu behaupten, dass es keines internationalen Klassenkampfes bedarf, um die herrschenden Strukturen und ihre Methoden zu zerstören, die in Mode sind. Dies ist, nebenbei gesagt, die beste Art und Weise, sich in seiner eigenen materiellen Funktion zu rechtfertigen: als Reproduzent*in der herrschenden Ideologie von einem Universitätslehrstuhl aus.

Aber was passiert, wenn ich mein Geschlecht dekonstruiert habe, wird es sich atomar, materiell auf das auswirken, was ich bin, wird es meine Hautfarbe oder meine Gesichtszüge verändern, wenn ich meine „Rasse“ dekonstruiere? Wir werden auf diese Fragen zurückkommen, wenn wir uns mit der postmodernen Heiligen Dreifaltigkeit beschäftigen: Klasse, Rasse und Gender.

4. Was wäre, wenn der Kapitalismus nicht nur eine weitere Unterdrückung wäre?

Die Postmoderne ist allergisch gegen Totalität. Ohne sie gäbe es kein Zentrum, das unsere gesellschaftliche Realität konfiguriert. Ihr Interesse für das Exotische, das Kleine, das Anomale, das Abweichende, das Unvergleichliche, das Groteske usw. führt dazu, dass sie das zentrale konfigurierende Element, das Kapital als strukturierendes soziales Verhältnis dieser Gesellschaft, ohne das man nichts versteht, auch wenn es nicht alles erklärt, aufgibt.

Die Postmoderne gibt als Resultat eine andere Konzeption des Kapitalismus als die, die von Marx und der proletarischen Bewegung konzipiert wurde. Wie wir bereits gesagt haben, ist es für die Postmodernen falsch, totalitär und faschistisch, etwas als eine totale Wahrheit festzumachen. Aber leider ist der Kapitalismus weltweit, so dass er nicht teilweise bekämpft werden kann. Und in der Tat ist es wichtig zu verstehen, dass wir nicht über eine ästhetische Option sprechen, dass es nicht darum geht, zu postulieren, wie schlecht große Erzählungen sind und dass eine Welt, die in mehrere molekulare Dasein fragmentiert ist, die auf föderale und harmonische Weise durch die begehrenden Ströme ihrer Körper konvergieren, vorzuziehen ist, und dass dies nicht aufgrund eines schrecklichen theoretischen Fehlers, der seinen Ursprung in der Dekadenz der griechischen Philosophie oder im jüdisch-christlichen Denken hat, der Fall war. Wir sprechen nicht über Ideen, die von globalen materiellen Prozessen getrennt sind. Das Kapital ist eine Gesamtheit (Totalität) für sich, es ist nicht das Produkt menschlicher Gruppen, die einen Sinn in globalen Metaerzählungen finden müssen.

Und eine der Charakteristiken des postmodernen Denkens ist sein Formalismus. Er trennt das Untrennbare in eine Vielzahl von Fragmenten, und wenn er versucht, sie wieder zusammenzufügen, nennt man das Intersektionalität. In Realität wird eine Leiche seziert und dann künstlich wieder zusammengesetzt, ohne dass sie aufhört, eine Leiche zu sein, so konzeptionell der ganze Vorgang auch sein mag. Wir sollten uns ein wenig besser erklären, denn wir sind mit einem der Gemeinplätze des postmodernen Denkens konfrontiert.

Das Kapital ist ein historisches soziales Verhältnis, das aus zwei kombinierten Prozessen hervorgeht. Einerseits wird die Welt zum Kapital durch die Schaffung kapitalistischer gesellschaftlicher Produktionsverhältnisse, die die Bauern vom Land trennen und sie zwingen werden, ihre Arbeitskraft als neue Proletarier zu verkaufen. Dieser Prozess hat seinen Ursprung (Genesis) im feudalen Europa und vor allem in England. Andererseits wird das Kapital durch seine Ausdehnung auf den gesamten Globus global, was mit der Ankunft der Kastilier und Portugiesen in Amerika und dem damit verbundenen Genozid einen Qualitätssprung erfahren wird. Das Kapital entsteht aus Blut und Plünderung, wie Marx betonte, und es ist wichtig, diese beiden Prozesse nicht voneinander zu trennen, denn ohne die Kombination von beidem wäre das gegenwärtige System der Ausbeutung einfach nicht entstanden.

Der Kapitalismus, der sich dann ab dem 16. Jahrhundert herausbildet, ist eine ganz andere Realität als die antediluvianischen und unvollkommenen Formen des Kapitals, die in früheren vorkapitalistischen Gesellschaften existieren konnten. Die Formen des Wucherkapitals oder des Handelskapitals verfügten nicht über eine gesellschaftliche Substanz, die abstrakte Arbeit, die alle konkreten Arbeiten und Tätigkeiten auf gesellschaftlicher Ebene gleichsetzt, die es dem Wesen des Kapitals (ein durch den Wert aufgeblasener Wert) ermöglicht, sich dank der gesellschaftlichen Substanz, die in dem durch die Lohnarbeit produzierten Mehrwert enthalten ist, zu reproduzieren. Das Kapital ist also ein unpersönliches und scheinbar automatisches gesellschaftliches Verhältnis (das sich aber in Realität aus der abstrakten Arbeit als gesellschaftlicher Substanz speist, was den Antagonismus zwischen Kapital und Proletariat zentral macht), das in seinen verschiedenen gesellschaftlichen Metamorphosen in den gesamten Bereich der alten vorkapitalistischen Gesellschaftsformationen eindringt und diese rekonstruiert. Dies ist nicht der richtige Ort, um sich mit einer detaillierten und tiefgreifenden Erklärung aufzuhalten. Es ist wichtig zu verstehen, dass das Kapital nicht etwas Ökonomisches ist, sondern das soziale Verhältnis, das in seinen Metamorphosen die soziale Totalität der Moderne konfiguriert, die die soziale Welt trennt und mit den vorkapitalistischen Gemeinschaften, der privaten und der öffentlichen Welt, der Ökonomie und der Politik, die Arbeitswelt des Staatsbürgers bricht, und so weiter. In gleicher Weise formt es nach seinem Bild und Gleichnis, nach der abstrakten Logik des Geldes und des Tausches, das Patriarchat vorkapitalistischer Gesellschaften (dieses kann nicht verstanden werden, außerhalb des Rahmens des Kapitals, wenn man nicht weiß, wie das Kapital es geformt hat, und dieses Unverständnis ist eine der theoretischen Erklärungen für die sozialdemokratischen Grenzen des gesamten Feminismus) oder die rassifizierten Spaltungen der kapitalistischen Moderne. Man kann die Sklavenunterdrückung der kapitalistischen Moderne nicht verstehen, ohne sich mit dem Dreieckshandel zwischen den verschiedenen Regionen des Kapitals seit dem 16. Jahrhundert zu befassen.

Das Kapital erscheint uns dann als ein einziges, aber differenziertes Ganzes. Natürlich negieren wir nicht die Besonderheit der patriarchalischen Herrschaft oder des typisch kapitalistischen Rassismus. Wir weigern (A.d.Ü., im Form einer Negation) uns jedoch zu akzeptieren, dass diese Teile vom Ganzen getrennt werden können. Getrennt sind sie unverständlich. Die Summe der Teile ist nicht gleich dem Produkt. Und das ist es, was allen postmodernen Theoretikern mit ihrer Besessenheit von rassifizierten, neokolonialen und genderspezifischen Studien widerfährt… Sie sind nicht in der Lage, die Realität von Herrschaft und Ausbeutung, die uns ergreift, theoretisch wiederherzustellen. Sie können nur eine leblose Leiche rekonstruieren, die nur in ihren Köpfen existiert.

Die unpersönliche und halbautomatische Brutalität der Herrschaft des Kapitals wird so auf eine bloße Frage des Privilegs reduziert. Ich als weißer cisgender Arbeiter habe mehr Privilegien als die weiße cisgender Arbeiterin, die angesichts einer weißen lesbischen Frau schweigen muss, die aber ihrerseits Privilegien gegenüber einer rassifizierten arabischen Frau aufrechterhält… Und so weiter in einem absurden und ohnmächtigen Spiel mit Matroschkapuppen.

Die zwanghafte Parteilichkeit/Voreingenommenheit dieses mentalen Mechanismus ist nicht in der Lage, die Gesamtheit des Kapitals zu verstehen und zu verändern. Wie wir zu Beginn unseres Textes sagten, handelt es sich dabei um eine im Wesentlichen pessimistische Auffassung, die nicht an die Möglichkeit einer totalen Veränderung glaubt. Sie sind gegen große Erzählungen, Utopien existieren nicht mehr, die Welt kann nicht global verändert werden, also muss man im Kleinen handeln, durch Mikropolitik, kleine Geschichten, kleine Erzählungen, kleine körperliche Erzählungen. Sind sie wirklich davon überzeugt, dass es möglich ist, das kapitalistische System nur in einem Teil der Welt zu verändern? In Realität haben sie diesen Anspruch schon lange aufgegeben. Darüber hinaus wird der Kapitalismus auf ein Privileg unter anderen, den Klassismus, reduziert, wodurch er zu einer weiteren Unterdrückung unter anderen wie Rassismus, Sexismus, Behindertenfeindlichkeit usw. verwandelt wird.

Auf diese Weise ist das Kapital allmächtig. Das Einzige, was man tun kann, ist, sich der Macht zu widersetzen, einer Macht, die durch ihre Normen konfiguriert ist und gegen die man sich wehrt, indem man sie durch Identitätsdiskurse herausfordert: das Geschlecht zu ändern, alles in Worten zu untergraben, damit sich nichts Substantielles und Reales ändert, weil es in Realität, von den Voraussetzungen her, unmöglich ist.

Haben die Postmodernen irgendeine Vorstellung von Emanzipation, einen Ort, an den sie gehen wollen? Sie kritisieren alles, aber was streben sie an? Wahrscheinlich streben sie nicht danach, irgendwo anzukommen, sondern wollen einfach nur die Möglichkeit haben, Situationen zu wählen. Sie scheinen darauf zu warten, dass die neue Unterdrückung entdeckt wird, und das Radikalste ist, die Kritik des letzten Philosophen an der Universität zu kritisieren. Die Postmoderne ist ein Abdriften in fließende Fragen, in denen man sich selbst dekonstruiert und entmaterialisiert erscheint, ohne überhaupt zu wissen, wie man in diese Welt gekommen ist oder ob es überhaupt eine gibt. Es gibt keine Wahrheit, auf die man sich stützen könnte. Wenn es darum geht, gegen den Strom zu schwimmen, nur um gegen den Strom zu schwimmen, ergibt das keinen Sinn, denn es gibt keinen festen Boden, auf dem man stehen kann; Worte und Realität müssen übereinstimmen, sonst ist es ein leerer Diskurs. Sie nennen sich selbst Radikale, aber dadurch, dass sie sich so nennen, sind sie nicht plötzlich radikal.

5. Eine nominalistische Ideologie

Wie wir bereits gesagt haben, ist für die Postmodernen die Realität das, was gesagt wird. Die Postmodernen leben in einer kulturellen und sprachlichen Hypertrophie. Der Mensch ist ein unbeschriebenes Blatt, das von der Kultur des jeweiligen Ortes und von sprachlichen Diskursen geprägt ist. Die idealistische Musik dieses Liedes dürfte uns inzwischen vertraut sein.

Für unsere Postmodernen ist die Realität, die wir bewohnen, im Grunde aus der Welt der Ideen oder dem berühmten „Ich denke, also bin ich“ abgeleitet, sogar aus der Welt, die durch die Idee Gottes geschaffen wurde. Sie sind gar nicht so weit von der Vorstellung entfernt, dass die Natur durch unsere Sprache geschaffen wird. Für die Postmodernen ist alles Sprache, alles ist kulturell. Die Realität wird durch Sprache und Kultur konstruiert, oder vielleicht sollte man sagen, erschaffen: Realität ist das, was gesagt wird. Auf diese Weise werden wir dazu gebracht, an allem Materiellen zu zweifeln, wir werden sogar dazu gebracht, daran zu zweifeln, ob Hormone und Geschlecht etwas mit dem Mann- oder Frausein zu tun haben, wir werden dazu gebracht, so sehr an der Materie zu zweifeln, dass wir uns fragen, ob wir vielleicht morgen als Kängurus aufwachen werden. Es wird uns immer wieder gesagt, dass die Natur durch unsere Sprache geschaffen wird, aber nur weil der Mensch in die entlegensten Winkel der Welt vorgedrungen ist und das Wachstum und die Verbreitung von Pflanzen rund um den Globus beeinflusst hat, bedeutet das nicht, dass wir die Natur erschaffen haben.

Da alles Sprache ist, hängt alles von der Subjektivität des Individuums ab. Die Postmoderne ist der typische Ausdruck der Anthropologie des Kapitals, seines Individualismus und seiner Trennung. Alles ist eine Repräsentation, daher gibt es keine Realität und alles ist subjektiv. Was ist dann die materielle Realität? Was ist es, Hunger zu haben, Schmerz zu empfinden, sind das nicht Dinge, die wir alle fühlen?

Wie man sieht, handelt es sich um eine merkwürdige Ideologie, die sich zwar auf der einen Seite als materialistisch bezeichnet, in Realität aber mit idealistischen Grundlagen gespickt ist. Eine Konzeption, die den Schwerpunkt des Interesses vom Kapital als gesellschaftliches Gesamtverhältnis (das sich daher nicht auf etwas Ökonomisches reduzieren lässt, wie Marxisten und Postmoderne mit dem gleichen Glauben glauben) auf Sexualität und Sprache verlagert. Und zwar nicht, weil Sexualität nicht ein enorm wichtiger Aspekt des Nachdenkens über die menschliche Befreiung unter der Ägide von Klassengesellschaften ist, sondern weil die Vorstellung von Sexualität als einer Substanz, die von einer globaleren Dynamik getrennt ist, sie zu einer toten Substanz macht, die vom Kapital performativ geformt wird. Genau das passiert mit den Protagonisten unseres Feuilletons. Und was ist von einer selbstreferentiellen Konzeption der Sprache zu halten, die, anstatt offen und in ständiger Kommunikation mit der Welt und unserer Praxis in ihr zu sein, uns von ihr distanziert und trennt und sie dann neu erschafft. Am Anfang war das Wort4, heißt es in der biblischen Genesis, und das Gleiche wird von unseren Postmodernen wiederholt. Ihre theoretischen Grundlagen sind, wie die der kapitalistischen Moderne, weitgehend scholastisch, und sie findet ihre Bezüge in Nominalisten wie Ockham und Formalisten wie Scotus, wie einige von ihnen, etwas bewusster, wie Deleuze selbst, erkannt haben.

6. Gender, Rasse… Klasse?

Wir haben bereits über das berühmte Triptychon „Gender, Rasse, Klasse“ als getrennte Elemente gesprochen, die a priori keine Beziehung zueinander haben und erst a posteriori durch weise intersektionalistische Akademiker miteinander verbunden werden. Ein solcher Dreiklang ist für Katholiken so etwas wie die Heilige Dreifaltigkeit, eine Glaubenssache, die nicht in Frage gestellt werden darf, wenn man nicht aus der akademischen und politisch korrekten linken Kirche (in all ihren Versionen, einschließlich der „anarchistischen“) exkommuniziert werden will. In Realität hat die Postmoderne auf der Ebene des politischen Aktivismus viel vom Post-Mostalinismus, wie wir bereits vorausgesehen haben. Aus diesem Dreiklang ergeben sich viele andere Unterdrückungen (Fronten, die sich auftun): Speziesismus, Ableismus, Fettaktivismus usw. Es ist wichtig, in diesem endlosen Spiel von Privilegien und Gegenprivilegien keinen von ihnen zu vergessen.

Gender

Zunächst ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass wir uns um die Existenz intersexueller Menschen bewusst sind, die über Geschlechtsorgane, die zwischen männlich und weiblich liegen, sowie über Hormone verfügen. Wir sind jedoch nicht der Meinung, dass der kleine Prozentsatz dieser Menschen den Maßstab der Reflexion diktieren sollte, der bereits typisch postmodern ist und die Ränder zum Zentrum der Theorie macht. Die postmodernen Gendertheorien werden vom Feminismus der dritten Welle angeführt.

Es ist eine Tatsache, dass die Gesellschaft uns als Männer und Frauen stereotypisiert – man muss sich nur die Werbung und Filme ansehen, um das zu erkennen. Ändert sich dieses Stereotyp im Laufe der Zeit? Ja. Gibt es unterschiedliche Arten, ein Mann und eine Frau zu sein, gibt es unterschiedliche Sitten? Ja. Kann man aufhören, ein Mann oder eine Frau zu sein, weil man dies anders nennt? Nein, männlich und weiblich zu sein ist keine Identität, es ist ein materieller Faktor, es ist auf untrennbare Weise eine biologische, kulturelle, soziale und historische Realität.

Monique Wittigs Heterosexuelles Denken und andere Schriften ist ein klares Beispiel dafür, was die Postmoderne ist. Ein Text, der davon ausgeht, dass Lesben keine Frauen sind. Lesbische Frauen sind keine Frauen, sie sind Deserteure ihres Genders?, weil sie lesbisch sind. Sie sind keine Dienerinnen der Männer, deshalb sind sie Rebellinnen. Dies ist ein Beispiel für einen falschen revolutionären Diskurs, der von der Benutzung von Identität und Parteilichkeit/Befangenheit ausgeht, um eine Gruppe von Frauen durch ihre Praktiken zu „vereinen“. Erneut führt dies zu einer individuellen Lösung des Problems, das, wie wir bereits sagten, die liberale Ideologie des Kapitalismus reproduziert: „Eine Lesbe zu sein bedeutet, andere Welten zu erschaffen, es bedeutet, neue Realitäten zu gestalten“.

Wie lässt sich der Übergang von der Forderung von universellen Rechten („Wir die Frauen“) zu einer Theorie des Diskurses und der Machtnormen erklären, die so weit geht, dass sie die Begriffe „Frau“ und „menschliche Natur“ selbst in Frage stellt? In ihrem Cyborg-Manifest bietet Donna Haraway in ihrem charakteristischen poetisch-delirischen Stil eine synthetische Darstellung dieser Entwicklung: „Wenn man erst einmal mit großer Anstrengung erkannt hat, dass sie sozial und historisch bedingt sind, können weder Gender, Rasse noch soziale Klasse eine Grundlage für den Glauben an eine „wesentliche“ Einheit bieten. Das „Frausein“ hat nichts mit einer natürlichen Bindung zwischen Frauen zu tun. Denn es gibt nicht einmal so etwas wie ein Frau-„sein“, eine Kategorie, die selbst äußerst komplex ist und in wissenschaftlichen Diskursen konstruiert wurde, die selbst kontrovers sind“ (Donna J. Haraway, The Cyborg Manifesto).

(„La ofensiva de los estudios de género“. „Die Offensive der Genderforschung“, Cul de Sac)

Die Unterdrückung der Frauen ist zweifellos sozialer Natur (das, was die akademischen Modestudien als Gender bezeichnen), aber sie werden als Frauen unterdrückt, was die Art des Körpers impliziert, den sie haben. Und das ist es, was diese postmodernen Vorstellungen von der pathologischen Angst unterscheidet, die sie vor allem haben, was biologisch, natürlich klingt (Trennung zwischen Geschlecht und Gender). Die Kontrolle des Körpers, der Sexualität, der Fähigkeit, Leben zu schenken und Kinder großzuziehen, ist die natürliche Grundlage, auf der das Patriarchat historisch und in allen Formen, die es angenommen hat, konfiguriert worden ist. Um die Entstehung und die Realität der patriarchalischen Unterdrückung der Frau zu verstehen, ist es daher unerlässlich, sich vom postmodernen Dualismus zu lösen, der das Biologische vom Kulturellen trennt und Ersteres faktisch auf Letzteres reduziert und damit die typische idealistische Reduzierung des Körpers auf die Seele betreibt. Um es deutlicher zu sagen: Für die Postmodernen ist die kulturelle Form das Wichtige, der physische und biologische Körper ist nur ein Epiphänomen des Willens. Für uns ist es von fundamentaler Bedeutung, diese Trennung abzulehnen. Körper und Geist, materielles Leben und Kultur können nicht als unabhängige Substanzen verstanden werden. Es ist die biologische und unveränderliche Realität der Frauen über die Jahrtausende und die verschiedenen Kulturen hinweg, die ein gemeinsames Substrat bildet, das in einigen Fällen als positiver sozialer und gemeinschaftlicher Prius wirkt (man denke an die kommunistischen Gesellschaften des Paläolithikums oder Neolithikums) und in anderen Fällen als Motiv für Streit und Unterdrückung, mit der Entwicklung patriarchalischer, klassistischer und etatistischer Gesellschaften. Diese komplexe Verflechtung von natürlichen und sozialen Aspekten hat im Laufe der Menschheitsgeschichte zu einer Vielzahl von unterschiedlichen Formen des Frauseins geführt. Aber die Vielfalt der Formen leugnet nicht die Tatsache eines gemeinsamen Frauseins, so wie auch die Vielfalt der Kulturen, in denen wir Menschen gelebt haben, nicht unser gemeinsames Menschsein leugnet.

In Realität arbeitet das postmoderne Denken mit sehr einfachen und dichotomen Binomien. Da „Gender“ im Laufe der Menschheitsgeschichte auf vielfältige Weise dargestellt und gelebt wird, leiten sie daraus ab, dass Frausein dekonstruiert werden und als Kategorie verschwinden kann. Aber eine Frau zu sein ist viel mehr als eine Kategorie, genauso wie das Menschsein. In Realität ist die gesamte postmoderne „Gender“-Theorie, ausgehend von Butlers „verfeinerter“ Vision, eine Form des „sozialen Konstruktivismus“, der von den Foucaultschen Theorien geerbt wurde und der schwere materielle Realitäten auf bloße diskursive Aussagen reduziert: Der Arzt mit seinem Machtinstrument ist derjenige, der das Gendersystem anordnet, wenn er verkündet, dass du ein Junge bist und du ein Mädchen bist, so Butler.

Rasse

Der Kapitalismus ist rassistisch, weil er eine Identität auf der Grundlage der Nation konstruiert: Die „Rasse“ ist, anders als das, was wir vorhin über das Mann- und Frausein erklärt haben, kein materieller Faktor im biologischen Sinne. Vielmehr handelt es sich um eine Fetischisierung einer Reihe von physiognomischen Merkmalen (Hautfarbe, Gesichts- oder Haarform usw.), um Ähnlichkeitsgruppen zu bilden, auf deren Grundlage eine national-rassische Hierarchie durchgesetzt werden kann. Das Hauptziel dieser Hierarchie ist das aller Nationalismen: die Spaltung des Proletariats, um es besser ausbeuten zu können. Die historische Rolle des Rassismus macht dies deutlich: siehe beispielsweise den Aufstand des schwarzen und weißen Proletariats in den Vereinigten Staaten Ende des 18. Jahrhunderts und die darauf folgende staatliche Politik der Rassentrennung, die mit der Entwicklung der weißen Demokratie einherging.

Diese Rolle wird jedoch allzu leicht vergessen, um zu behaupten, dass die „Rasse“ eine eigenständige und unassimilierbare Achse der Unterdrückung durch die Klasse ist. Auf diese Weise werden Rasse und Klasse als getrennte, sich intersektionalisierende Substanzen verstanden, in derselben forensischen Logik, wie wir bereits oben dargestellt haben. Das Rassifizieren ist also der Teil der Postmoderne, der die national-rassische Gruppe über alle Klassenüberlegungen stellt.

Ein großes Problem mit rassifizierenden Ideen ist, dass sie dazu führen, Kultur und Geschichte über alles andere zu verteidigen, unabhängig davon, ob diese machistisch sind oder die Klassenherrschaft reproduzieren. Auf diese Weise werden auf die Figur des Atahualpa oder die Rolle der Religionen ungeachtet der schrecklichen Ausbeutung, die von ihnen ausgeht, Bezug genommen. Die Rasse impliziert, wie wir sagen, das gleiche Spiel wie das der Nation, sie ist eine Rechtfertigung für die Ausbeutung des Proletariats, solange es „unsere“ Ausbeutung ist und nicht die einer anderen, stärkeren Bourgeoisie.

In diesem Teil erscheint es uns wichtig, kurz auf ein Buch einzugehen, das für seinen reaktionären Charakter symptomatisch ist. Es ist das Buch von Houria Boutedja: Die Weißen, die Juden und wir5. Ein Buch, das auch in „radikalisierten“ Kreisen hohe Wellen schlägt. In Wirklichkeit ist das Buch eine Sammlung stalinistischer Banalitäten, in denen der ranzige Arbeiterismus, die „antiimperialistische“ und „Anti-Yankee“-Logik der kommunistischen Parteien und des Marxismus-Leninismus verschiedener Schattierungen in einem Sinne sozialer Rasse umgewandelt wird. Was immer meine Rasse tut, ist im Kampf gegen andere Rassen in Ordnung. Wenn Ahmadinejad sagt, dass es im Iran in Realität keine Homosexuellen gibt, müssen wir ihn bewundern, denn er dekonstruiert die Logik des Imperiums und der Vereinigten Staaten, wenn er sagt, dass er nicht foltert. Meine Freunde sind meine Freunde, und man muss bis zum Ende zu ihnen halten, und Freundschaft ist eine Frage der Rasse. Die Logik des geringeren Übels ist beständig. Diejenigen, die es wagen, das Venezuela von Chávez und Maduro zu kritisieren, sind nichts anderes als Weiße, die sich als Dekolonialisten verkleiden… In einer „liebenden Logik“ (Zu einer Politik der revolutionären Liebe lautet der Untertitel dieses Textes) schlägt sie auch eine Allianz zwischen Juden und nicht-rassifizierten Weißen vor (vergessen wir nicht, dass die Welt vor allem aus Rassen konstruiert ist), da es zunächst darum geht, autonome rassifizierte Bewegungen aufzubauen, wonach eine Allianz mit der weißen Linken möglich sein wird. In Realität ist die scheinbare Radikalität des Diskurses lediglich eine postmoderne Version des sozialdemokratischen Volksfrontdiskurses alten Stils. Es ist notwendig, die eigene Macht zu akkumulieren, um eine Integration in die kapitalistische Gesellschaft auszuhandeln, eine Gesellschaft, die kaum erwähnt wird, und wenn, dann nur, um sie als ein bloßes Epiphänomen der westlichen Zivilisation zu betrachten. In reinster postmoderner Manier folgt die Materialität auf die Ideen.

Kurzum, das Buch ist, wie gesagt, nichts anderes als eine Ansammlung von Gemeinplätzen, die an das Schlimmste der bourgeoisen nationalen Befreiungsbewegungen, mit stalinistischem Charakter, der sechziger und siebziger Jahre erinnern, gewürzt mit religiösen und homophoben Parolen und einem Verständnis für den eigenen Machismus, weil es der Machismus der Eigenen ist. Natürlich ist es besser, nicht darüber zu sprechen, dass es in den von ihnen geliebten Gemeinschaften Klassengrenzen gibt, die sie spalten. Kurz gesagt, die Rassifizierung ist eine Ideologie, die objektiv im Dienste des Kapitals steht und versucht, uns als Proletariat, als eine einzige, globale Klasse zu spalten und zu fragmentieren.

Klasse?

Die Postmodernen haben nichts als eine naive Vorstellung von Klasse. Von den drei Begriffen ist dies derjenige, in dem die Postmoderne ihre Kontinuität mit der Moderne, mit dem bourgeoisen Fortschrittsdenken, am deutlichsten zeigt, ob es ihnen gefällt oder nicht. Ihr Klassenbegriff ist nichts anderes als der soziologische Begriff der Klasse, derselbe wie der der klassischen Sozialdemokratie und des Leninismus. Eine andere Sache wäre es, zu untersuchen, wie sie letztlich zwischen diesen alten Kleidern und neu abgestimmten Binomien oszilliert, die noch mehr zur Verwirrung beitragen: Eliten/Leute (Podemos), Integrierte/Marginalisierte (Insurrektionalismus), usw.

Darüber hinaus wird in den naivsten Versionen der Postmoderne die Klasse auf eine bloße Frage des Status, des Privilegs reduziert, wobei jegliche strukturelle Realität aus den Augen verloren wird, was an die traditionelleren Ansichten der bourgeoisen Soziologie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, erinnert. Diese Vision ist gleichzeitig mit einer Kritik des Klassismus verbunden, die sich mit einer verächtlichen Sicht auf die armen Proletarier vermischt. Unfähig, die materiellen Grundlagen unserer Gesellschaft auch nur annähernd zu erfassen, reduzieren sie alles auf eine Form der Kultur, der Wahrnehmung der Welt, des In-der-Welt-Seins durch einen Diskurs. Auf diese Weise wird das Proletariersein auf das diskursive Spiel reduziert, mit dem wir Proletarier zu Macarras, Chonis oder Chavs6 gemacht werden. Die Vorstellung, dass wir eine materielle Klasse sind, die darum kämpft, sich zu behaupten und diese Welt zu zerstören, kommt diesen bourgeoisen Akademikern nicht in den Sinn. Dennoch sollten sie sich vorsehen, denn die Metaerzählung lauert immer.

7. Der Kommunismus und die Anarchie als reale Bewegung

Nachdem wir die postmoderne heilige Dreifaltigkeit (Gender, Rasse und Klasse) durchgegangen sind, müssen wir noch weitere Kritikpunkte anbringen. Die Trilogie kann in eine faktorielle Unendlichkeit von Kämpfen und Konflikten umgewandelt werden, von denen jeder seine eigene Parteilichkeit/Voreingenommenheit hat (speziesistisch, vegan, usw.). Für uns sind Kommunismus und Anarchie von Anfang an eine totale Bewegung. Die Tatsache, dass er immer irgendwo und von einem unmittelbaren Konflikt ausgeht, negiert nicht seine globale und historische Verallgemeinerung. Die Postmodernen neigen dazu, diese reale Bewegung zu negieren, indem sie die Einheit zwischen dem Unmittelbaren und dem Globalen, dem Partikularen und dem Universellen aufbrechen, um sie a posteriori auf eine tote Weise zu rekonstruieren. So wird die feministische Rekonstruktion zu einer Verteidigung der Gleichstellung von Rechten im Kapitalismus; die rassifizierende zu einer Verteidigung der Integration und Anerkennung zwischen den verschiedenen „Rassen“; der Kampf der Arbeiter zu einer Forderung an das Kapital, einen Teil der Einkommenspyramide zu verteilen… Insofern jeder unmittelbare Kampf von einer globalen Perspektive der Überwindung dieser Welt getrennt ist, ist jede Parteilichkeit/Befangenheit eine reformistische Parteilichkeit/Befangenheit und so auch ihre Summe. Und damit das klar ist: Wir sprechen nicht von idealen Perspektiven oder bloßen Prinzipien, es sind unsere realen Bedürfnisse als Proletarier, die uns dazu bringen, uns mit dieser Welt global und aus jeder unserer Unmittelbarkeiten heraus zu konfrontieren.

Es liegt auf der Hand, dass der Rassismus, ebenso wie das Patriarchat, unsere Klasse spaltet und fragmentiert und ein eindeutiger Faktor/Agent bei der Reproduktion der Welt des Kapitals ist. Was wir ständig und unabänderlich bekräftigen, ist, dass es nur in einem einheitlichen Prozess der Konstituierung des Proletariats als Klasse, als historische Kraft, möglich sein wird, diese Spaltungen real und materiell zu überwinden, die unsere Klasse frakturieren und unsere Konstituierung als Partei zur Zerstörung des Kapitals und des Staates verhindern. Der Kommunismus ist eine reale und einheitliche Bewegung, die von menschlichen Bedürfnissen ausgeht und von dort aus Spaltungen und Fragmentierungen überwindet. Er ist nicht das Ergebnis von Allianzen und der Summe verschiedener Parteilichkeiten/Voreingenommenheiten, die miteinander verhandeln und eine Intersektion bilden. Nur das Proletariat kann dem Kapital ein Ende setzen, indem es sich selbst als Klasse negiert, denn es ist das verborgene Geheimnis des Kapitals, das offenbart, dass das Kapital keine natürliche Realität, sondern eine gesellschaftliche Substanz ist. Die Klasse ist jedoch kein soziologisches Faktum, sondern eine kollektive, partikuläre Konstitution als historische Kraft, und um eine solche zu sein, muss sie mit allen Spaltungen brechen, die sie binden (nationale, rassisch, patriarchalisch…). Das Proletariat ist eine Klasse, das keine Klasse ist, und in seiner realen Bewegung zum Kommunismus drückt es die Macht aus, nicht nur die Klassengesellschaft zu eliminieren, sondern auch die Vielzahl der Unterdrückungen, die das Kapital mit sich selbst reproduziert.

Rassische Unterdrückung, sexuelle Unterdrückung, Umweltzerstörung,… gab es in allen Klassengesellschaften, aber nie erreichte sie ein so systemisches und gigantisches Ausmaß wie im Kapitalismus und vor allem mit dem Fortschritt der kapitalistischen Zivilisation in ihrer gegenwärtigen Phase. Nur ein globaler Kampf kann die Grundlage zerstören, die sowohl die Entfremdung des Menschen als auch die ganze Palette der unmenschlichen Erscheinungsformen und Grausamkeiten der kapitalistischen Gesellschaftsbeziehungen reduziert. Nur eine soziale Klasse – das Proletariat – enthält in ihrem Wesen ein solches Projekt und seine Verwirklichung – die kommunistische Revolution. Im Gegenteil, die Liquidierung des Kampfes durch seine Parteilichkeit/Voreingenommenheit und die Schaffung spezifischer Bewegungen, die darauf abzielen, eines dieser getrennten Probleme zu verringern oder zu lösen, ohne daher in der Lage zu sein, ihre gemeinsame und tiefgreifende Ursache (Feminismus, Antirassismus, Ökologismus,…) mit unabänderlichen zusätzlichen Versuchen, das System anzupassen, zu verbessern, zu reparieren und somit die Diktatur des Kapitals zu verstärken, anzugreifen. Praktisch dienten und dienen diese Bewegungen nur dazu, die revolutionäre Energie des Proletariats abzulenken, die Mechanismen der Herrschaft und Unterdrückung zu verbessern und die Ausbeutungsrate des Proletariats noch zu erhöhen.“

(Thesen zur programmatischen Orientierung, Internationalistische Kommunistische Gruppe)

Wir hoffen, auf diesen Seiten einen Teil der in vielen Kreisen herrschenden Verwirrung zu diesen Fragen geklärt zu haben, so dass sie vor allem dazu dienen, gegenwärtige und künftige Debatten, Diskussionen und Klarstellungen zu speisen.

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Rülpser der Postmoderne

„Die modernen [ökonomischen] Verträge sind nichts anderes als linguistische Formen; wenn ein Vertrag in irgendeiner Weise manipuliert wird, kann man sagen, dass die Sprache manipuliert wird.“

„Statt von Ideologie spreche ich lieber immer von Subjektivierung, von der Produktion von Subjektivität.“

„Das Subjekt ist nach einer ganzen Tradition der Philosophie und der Humanwissenschaften etwas, das wir als être-là vorfinden, etwas im Besitz einer angenommenen menschlichen Natur. Ich schlage im Gegenteil die Idee einer Subjektivität industrieller, maschineller Natur vor, die im Wesentlichen hergestellt, modelliert, rezipiert und konsumiert wird“.

„Aufgrund ihrer Mehrdeutigkeit verpfändet das Queere permanent das für selbstverständlich Gehaltene und bekräftigt seine Identität auf der Grundlage von Unterschieden und wechselnden Aspekten, die durch die Begriffe Klasse, Gender, Rasse und Geschlecht artikuliert werden. So verstehe ich das Queere als eine anti-assimilatorische, politisch aktive und ständig sich selbst hinterfragende Haltung…“.

„In einem Womanist-Raum kann ich schwarze Frauen und andere Frauen aus anderen Kulturen aufwerten, denn in diesem Paradigma werde ich anerkannt. Ich werde aufgrund meiner dunklen Hautfarbe und meines Frauendaseins als Teil davon anerkannt. Ich als schwarze Frau kann mich in einem Raum entfalten, in dem meine Vitalität nicht übersehen, ignoriert und abgetan wird.
Mit meiner eigenen Selbstbestätigung brauche ich keinen Feminismus (intersektional oder nicht), um meine Beteiligung oder meinen Wert oder den Wert anderer Frauen im Kampf für rassische und genderbezogene Gleichheit zu definieren.

Kurz gesagt: komm mir nicht mit dem Feminismus. Ich muss nicht so sein wie ihr, um mich für die Rechte und Möglichkeiten der Frauen einzusetzen“.

„Diese weiße universalistische Sicht auf die ganze Welt […] ist Teil dieser weißen Vorherrschaft, die alles definiert und alles universalisiert“.

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1A.d.Ü., ein Wortspiel, oder Neologismus zwischen Postmoderne (Post-Mo) und Stalinismus, also Post-Mostalinismus.

2Im letzten Abschnitt des Textes erklären wir, was wir unter Klasse oder Partei verstehen, wir empfehlen auch den Text von Comunismo #65: ¿Proletario yo?

3Der Marxismus ist eine sozialdemokratische Rekuperation von Marx, die versucht, das Proletariat in das Kapital zu integrieren. Sie ist die Partei der Arbeit im Kapital. Im Gegenteil, der Kommunismus ist die reale Bewegung, die für die Durchsetzung der menschlichen Bedürfnisse des Proletariats durch die Abschaffung des Wertes, der Klassen und des Staates kämpft. Marx war ein herausragender Militanter unserer Partei, aber wie er selbst sagte: „Ich bin kein Marxist“.

4A.d.Ü., auf spanisch fängt die Bibel anders an, nämlich „Am Anfang war das Verb“.

5A.d.Ü., unseres Wissen nach gibt es dieses Buch nicht auf Deutsch, hier der Originaltitel: „Les Blancs, les Juifs et nous – Vers une politique de l’amour révolutionnaire“ („Die Weißen, die Juden und wir – Zu einer Politik der revolutionären Liebe“)

6A.d.Ü., Macarras und Chonis sind Bezeichnungen für das, was im Allgemeinen im deutschsprachigen Raum als Prolos und Halbstarke nennt, wobei Choni die weibliche Definition ist,die eine „gewisse“ Affinität und Neigung zum „halbkriminellen“ Leben haben. In der Regel Jugendliche aus proletarischen und marginalisierten Stadtteilen und Vororten. Chavs ist ungefähr dasselbe, nur halt auf Englisch.

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John Zerzan, Die Katastrophe des Postmodernismus https://panopticon.blackblogs.org/2022/11/09/john-zerzan-die-katastrophe-des-postmodernismus/ Wed, 09 Nov 2022 09:22:30 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=4598 Continue reading ]]> Original aus Anarchist Library, die Übersetzung ist von uns.

In einem kurzen Moment der Erleuchtung hatten wir quasi die perfekte Einleitung, doch aufgrund alltäglicher Umstände ging der Faden des Gedankens für die Einleitung dieses Textes verloren. Wir fragten uns selbst und alle die wir kennen, wie und unter welchen Prämissen die Postmoderne definiert werden kann. So viele Ausgangspunkte und doch lassen sie alle was aus. Die Postmoderne erfasst künstlerische, architektonische, ästhetische, philosophische und weitere Fragen auf, die miteinander verknüpft sind, doch es nicht sein müssen. Nicht ohne Grund wird behauptet dass das erste Postmoderne literarische Werk Lewis Carroll´s „Alice im Wunderland“ sei. Oder das erste welches sehr starke Elemente der Postmoderne in sich tragen würde. Der ständige Wandel und Nicht-Sinn der Sprache und des Bildes, der Bruch mit allen Gesetzen der Natur, usw., nicht mehr die Geschehnisse sind von Bedeutung, sondern die Schilderung der Bilder, der Symbole, das Bild erzählt nur noch. Daher, ähnlich wie im Falle des Faschismus, handelt es sich hier um einen Begriff der von sich aus viele Merkmale vorweißt, die sich auch untereinander widersprechen, jedes Mal wenn man es zu festhalten denkt, entgleitet es aus den Händen wie nasse Seife. Dies ist nicht nur ein typischer Merkmal der Postmoderne, sondern sie besteht auf ihr undefinierbares Sein, im ontologischen Sinne sozusagen.

Aber welcher ist ihr Ursprung, welches ist der Grund für diese philosophische Schule die an sich nur Müll ist? Die so viele Diskurse und Debatten vereinnahmt und dominiert, wobei in den meisten Fällen ist dies vielen nicht mal bewusst, dass es so ist. Die Postmoderne ist eine Ideologie der Niederlage. Viele ihrer Apologeten waren ehemalige Marxisten oder Kommunisten, die eines Tages aufgewacht sind, so gegen Ende er 1970er und feststellten dass was sie jahrelang verteidigt hatten, wir reden hier über die UdSSR, auf Terror, Gulags, Massenerschießungen, etc, also eigentlich nichts was mit der Grundidee des Kommunismus was gemein hat, aufgebaut wurde. Nicht wenige von ihnen, allesamt aus Frankreich, kamen aus sogenannten Gruppen der Ultra-Gauche, wie Socialisme o Barbarie, wie Lyotard und Castoriadis, wobei letzter einen anderen ZigZag-Kurs einschlug. Die Überwindung des Kapitalismus würde also eine noch viel grausamere Gesellschaft hervorbringen, jene die sich aber auf die philosophischen Schulen der Vernunft, der Aufklärung, die sogenannten Meta-Erzählungen usw. stützte, die die Welt des Metaphysischen, von Gott und durch Gott, hinter sich lassen würde, die Industrialisierung würde dies sogar noch richtig schnell beschleunigen.

Da der Kapitalismus nicht mehr zu zerstören galt, wendete man sich anderen Fragen die der Herrschaft des Kapitals nicht nur in die Hände spielten, sondern dieser eine neue Legitimation gab. Der Mensch hatte nun endlich, vorausgesetzt man lebt in den entwickeltesten kapitalistischen Staaten auf dieser Welt, alle Möglichkeiten, dank der Technologien, sich komplett neu zu definieren, denn da die Probleme des Menschen, oder Subjektes, nicht mehr die objektive Realität ist, also die Schilderung, sondern nur die Bildes dieser, oder das Subjekt, musste dieser sich wie Haufen von Legosteinen zerlegen – dekonstruieren – und das werden was er wollte, wenn man auch meistens vergisst, dass der Kapitalismus die entfremdeten Voraussetzung dieser neuen Zusammensetzung definiert.

Wenn wir daher an die Ideologie, die in sich durch mehrere Ideologien manifestiert, denn sie vereinnahmt ja viele, der Postmoderne denken, stellen wir uns ein Werkzeug vor, welches keins ist, welches nicht dazu dient, wozu es gedacht worden ist, wie ein Dreikantschlüssel der von sich selbst behauptet, er sei keiner, er liest sich selbst anders, aber der dazu gut ist um Pflanzen mit verdampften Wasser zu begießen, um ihr Dasein als eine Farbe im umgedrehten Regenbogen der Sinne erleuchten wird, der aber in Wirklichkeit für Spielen gedacht war. Alles wird nur noch auf die verinnerlichten Vorstellungen reduziert, da es keine objektiven Wahrheiten mehr gibt, kann jeder für sich seine eigene erschaffen, es gibt kein richtig oder falsch (Kategorien die wir im moralischen Sinne wie sie meistens verwendet werden ablehnen) mehr, sondern nur noch eine unendliche Anzahl an Schilderungen/Erzählungen die alle denselben Wert haben. Also eine Welt der falschen Konfrontation, der falschen Kritiker und Kritikerinnen und des ewigen sozialen Friedens des Kapitals, welches auf Bergen toter Menschen und der Vernichtung des Lebens auf diesem Planeten aufgebaut ist. Wir verwenden hier absichtlich den Begriff des Falschen, weil in diesem Fall wollen wir den Schleier einer Konfrontation, die keine ist, enthüllen. Wenn wir sagen, dass wir gegen Staat, Kapital und Patriarchat sind, machen wir dies nicht weil wir der Meinung sind, sie wären falsch, im Sinne es handelt sich hier um was böses, was in diesem Sinne eine moralische Haltung wäre, sondern wir sind gegen alle drei aufgrund ihrer historischen Entwicklung und der Imperative die sie inne halten müssen.

Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt drauf an, sie zu verändern.“ Marx, Thesen über Feuerbach

Dies sagte Marx sehr treffend in seinen „Thesen über Feuerbach“, die Postmoderne tut gar nichts davon, ihre Interpretation der Welt ist genauso falsch wie ihr angeblicher Versuch sie zu ändern. Sie hat die Aufgabe das Undefinierbare, denn für sie gibt es keine allgemeine Realität mehr, in tausend Puzzleteile auseinanderzunehmen um daraus nichts zu machen. Alles ist nicht mehr, was es scheint und was nicht mehr ist, scheint was zu sein. Wir stehen vor einer Achterbahn die gleichzeitig eine Mischung von geistiger Akrobatik und Jonglieren ist, die aber nicht die Absicht hat irgendwas sein zu wollen bzw. was zu ändern. Die Postmoderne will die Welt nicht verändern und ihre Interpretation, also die der unendlichen vielen Realitäten, ist nur ein Labyrinth aus dem kein Entrinnen ist. Wörter meinen nicht, was sie bedeuten, nichts ist mehr, weil mehr ist nichts, die Waffen der Kritik sind nutzlos und waren es noch nie so sehr. Im Allgemeinen kann mit aller Sicherheit gesagt werden, dass es sich hier um eine Ideologie der Konterrevolution handelt, da sie ihren Ursprung in der Niederlage hat, fast all ihre Apologeten haben der Idee einer klassenlosen Gesellschaft und einer sozialen Revolution den Rücken zu gewandt, die Postmoderne hat für sich erkannt, dass es kein Entrinnen aus dem jetzt gibt, dass jeder Versuch die Welt des Kapitals zu zerstören nur eine noch schlimmere Welt hervorbringen wird. Wo klar ist, dass die Welt des Kapitals nur Tod und Zerstörung hervorbringt. Und doch empfinden viele die Postmoderne als ein Instrument der Befreiung, zumindest der individuellen im Sinne der Bourgeoisie. Als das einzige Instrument/Werkzeug um diese zeitgenössische Epoche zu verstehen. Desto komplexer, undurchsichtiger, atomisierter, als desto mehr sich aus dem Kapitalismus heraus die sozialen Imperative entwickeln, die dieser verschärft, desto freier wird der Mensch sein, so die Postmoderne, erst wenn wir ein Teil der flüssigen Gesellschaft (Zygmunt Baumann) sind, desto freier werden wir sein. Erst der Blick vor dem Abgrund lässt einen weiten Blick ins Nichts zu. Im Sinne der Postmoderne kann die Freiheit nur noch als die Perversion der Freiheit im Sinne der Bourgeoisie im Kapitalismus sein, wir sind nur noch frei, um ausgebeutet zu werden. Aber all dies spielt keine Rolle mehr, weil wir dank des Postmodernismus sein können, wer wir wollen. Mit diesem Text fangen wir mit einer Reihe an Texten an, die sich in Form der Kritik mit dem Postmodernismus auseinandersetzen und logischerweise angreifen. Wir leben in einer Gesellschaft, die in Klassen aufgeteilt ist, sowie die herrschende Klasse alles tun wird um dies zu verewigen, lässt sich leicht erkennen, dass das Verhältnis zwischen diesen nur unversöhnlich ist, die Zerstörung des Kapitals wird von praktischer Natur sein.

Die Frage, ob dem menschlichen Denken gegenständliche Wahrheit zukomme – ist keine Frage der Theorie, sondern eine praktische Frage. In der Praxis muß der Mensch die Wahrheit, i.e. die Wirklichkeit und Macht, Diesseitigkeit seines Denkens beweisen. Der Streit über die Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit des Denkens – das von der Praxis isoliert ist – ist eine rein scholastische Frage.“ Karl Marx, Thesen über Feuerbach

Soligruppe für Gefangene

PS: danke an alle die nur mit so guten Ratschlägen und Tipps für diese Einleitung geholfen haben.


John Zerzan, Die Katastrophe des Postmodernismus

Madonna, „Are We Having Fun Yet?“, Boulevardzeitungen, Milli Vanilli, virtuelle Realität, „shop ‚till you drop“, PeeWee’s Big Adventure, New Age/Computer-“Empowerment“, Mega-Malls, Talking Heads, Comic-Filme, „grüner“ Konsum. Eine Anhäufung des entschieden Oberflächlichen und Zynischen. Toyota-Werbung: „Neue Werte: Sparen, Fürsorge – all das Zeug“; Details-Magazin: „Style Matters“; „Warum warum fragen? Probier’s mal mit Bud Dry“; endloses Fernsehen, das sich darüber lustig macht. Inkohärenz, Fragmentierung, Relativismus – bis hin zur Demontage (A.d.Ü., zerlegen) des Begriffs der Bedeutung selbst (weil die Rationalität so schlecht war?); Umarmung des Marginalen, während man ignoriert, wie leicht Marginales in Mode kommt. „Der Tod des Subjekts1“ und „die Krise der Repräsentation“.

Die Postmoderne. Ursprünglich ein Thema innerhalb der Ästhetik, hat sie laut Ernesto Laclau „immer weitere Bereiche“ kolonisiert, „bis sie zum neuen Horizont unserer kulturellen, philosophischen und politischen Erfahrung geworden ist.“ „Die wachsende Überzeugung“, so Richard Kearney, „dass die menschliche Kultur, wie wir sie kannten… nun ihr Ende erreicht“. Sie ist, vor allem in den USA, der Schnittpunkt zwischen poststrukturalistischer Philosophie und einer weitaus umfassenderen gesellschaftlichen Situation: sowohl ein spezialisiertes Ethos als auch, was noch viel wichtiger ist, die Ankunft dessen, was die moderne Industriegesellschaft angekündigt hat. Postmoderne ist Zeitgenossenschaft, ein Morast aufgeschobener Lösungen auf allen Ebenen, mit Mehrdeutigkeit, der Weigerung, über Ursprung oder Ende nachzudenken, sowie der Verweigerung oppositioneller Ansätze, der „neue Realismus“. Da sie nichts bedeutet und nirgendwohin führt, ist pm [die Postmoderne] ein umgekehrter Millenarismus, eine zusammenlaufende Frucht des technologischen „Lebens“-Systems des universellen Kapitals. Es ist kein Zufall, dass die Carnegie-Mellon-Universität, die in den 80er Jahren als erste vorschrieb, dass alle Studenten mit Computern ausgestattet sein müssen, „den ersten poststrukturalistischen Studienplan der Nation“ einführt.

Konsumnarzissmus und ein kosmisches „Wo ist der Unterschied?“ markieren das Ende der Philosophie als solcher und das Entstehen einer Landschaft, so Kroker und Cook, „des Zerfalls und Verfalls vor dem Hintergrund von Parodie, Kitsch und Burnout“. Henry Kariel kommt zu dem Schluss, dass „es für die Postmodernen einfach zu spät ist, sich der Dynamik der Industriegesellschaft zu widersetzen.“ Oberfläche, Neuheit, Kontingenz – es gibt keine Gründe für die Kritik an unserer Krise. Wenn der repräsentative Postmodernist sich gegen zusammenfassbare Schlussfolgerungen wehrt, zugunsten eines angeblichen Pluralismus und einer Offenheit der Perspektive, dann ist es auch vernünftig (wenn man dieses Wort verwenden darf), vorauszusagen, dass wir nicht mehr wissen, wie wir es sagen sollen, wenn wir in einer völlig neuen Kultur leben.

Das Primat der Sprache & das Ende des Subjekts

Was das systematische Denken betrifft, so ist die zunehmende Beschäftigung mit der Sprache ein Schlüsselfaktor, der das pm-Klima der Verengung und des Rückzugs erklärt. Der so genannte „Abstieg in die Sprache“ oder die „linguistische Wende“ hat die postmoderne und poststrukturalistische Annahme hervorgebracht, dass die Sprache die menschliche Welt konstituiert und die menschliche Welt die ganze Welt konstituiert. Während des größten Teils dieses Jahrhunderts rückte die Sprache in der Philosophie in den Mittelpunkt, und zwar bei so unterschiedlichen Persönlichkeiten wie Wittgenstein, Quine, Heidegger und Gadamer, während die wachsende Aufmerksamkeit für die Kommunikationstheorie, die Linguistik, die Kybernetik und die Computersprachen einen ähnlichen Schwerpunkt über mehrere Jahrzehnte hinweg in Wissenschaft und Technik erkennen lässt. Diese sehr ausgeprägte Hinwendung zur Sprache selbst wurde von Foucault als „entscheidender Sprung zu einer völlig neuen Form des Denkens“ gewürdigt. Weniger positiv lässt sie sich zumindest teilweise mit dem Pessimismus nach dem Abklingen des oppositionellen Moments der 60er Jahre erklären. Die 70er Jahre waren Zeuge eines beunruhigenden Rückzugs in das, was Edward Said das „Labyrinth der Textualität“ nannte, im Gegensatz zu den bisweilen aufrührerischen intellektuellen Aktivitäten der vorangegangenen Periode.

Vielleicht ist es nicht paradox, dass „der Fetisch des Textuellen“, wie Ben Agger urteilte, „in einem Zeitalter lockt, in dem die Intellektuellen ihrer Worte beraubt sind“. Die Sprache wird mehr und mehr entwertet, sie verliert an Bedeutung, vor allem im öffentlichen Gebrauch. Man kann sich nicht einmal mehr auf Worte verlassen, und das ist Teil einer größeren Anti-Theorie-Strömung, hinter der eine viel größere Niederlage steht als in den 60er Jahren: die des gesamten Zuges der aufklärerischen Rationalität. Wir haben uns auf die Sprache als vermeintlich solide und transparente Dienerin der Vernunft verlassen, und wo hat sie uns hingebracht? Auschwitz, Hiroshima, massenhaftes psychisches Elend, drohende Zerstörung des Planeten, um nur einige zu nennen. Das ist die Postmoderne mit ihren scheinbar bizarren und fragmentarischen Wendungen und Verdrehungen. Edith Wyschograds Saints and Postmodernism (1990) bezeugt nicht nur die Allgegenwärtigkeit des pm-“Ansatzes“ – es gibt offenbar keine Bereiche, die sich ihm entziehen -, sondern kommentiert auch die neue Richtung treffend: „Die Postmoderne als ‚philosophischer‘ und ‚literarischer‘ Diskursstil kann sich nicht einfach auf die Techniken der Vernunft berufen, die ihrerseits Instrumente der Theorie sind, sondern muss neue und notwendigerweise geheimnisvolle Mittel erfinden, um die Vernunftheorien zu untergraben.“

Der unmittelbare Vorläufer des Postmodernismus/Poststrukturalismus, der in den 50er Jahren und in weiten Teilen der 60er Jahre herrschte, war um die zentrale Bedeutung herum organisiert, die er dem sprachlichen Modell beimaß. Der Strukturalismus ging von der Prämisse aus, dass die Sprache unser einziges Mittel ist, um Zugang zur Welt der Objekte und Erfahrungen zu erhalten, und dass sich die Bedeutung ausschließlich aus dem Spiel der Unterschiede innerhalb der kulturellen Zeichensysteme ergibt. Levi-Strauss beispielsweise vertrat die Ansicht, dass der Schlüssel zur Anthropologie in der Aufdeckung unbewusster sozialer Gesetze (z. B. derjenigen, die Ehebeziehungen und Verwandtschaft regeln) liegt, die wie die Sprache strukturiert sind. Es war der Schweizer Linguist Saussure, der in einem für die Postmoderne sehr einflussreichen Ansatz betonte, dass die Bedeutung nicht in der Beziehung zwischen einer Äußerung und dem, worauf sie sich bezieht, liegt, sondern in der Beziehung der Zeichen zueinander. Dieser Saussur’sche Glaube an die geschlossene, selbstreferentielle Natur der Sprache impliziert, dass alles in der Sprache determiniert ist, was dazu führt, dass so kuriose Begriffe wie Entfremdung, Ideologie, Unterdrückung usw. über Bord geworfen werden und dass Sprache und Bewusstsein praktisch dasselbe sind.

Auf diesem Weg, der die Sichtweise der Sprache als äußeres Mittel des Bewusstseins ablehnt, erscheint der ebenfalls sehr einflussreiche Neo-Freudianer Jacques Lacan. Für Lacan ist nicht nur das Bewusstsein durch und durch von der Sprache durchdrungen und ohne eigene Existenz außerhalb der Sprache, auch das „Unbewusste ist wie eine Sprache strukturiert“.

Schon frühere Denker, vor allem Nietzsche und Heidegger, hatten angedeutet, dass eine andere Sprache oder ein verändertes Verhältnis zur Sprache neue und wichtige Einsichten bringen könnte. Mit der linguistischen Wende der neueren Zeit gerät sogar das Konzept eines denkenden Individuums als Grundlage der Erkenntnis ins Wanken. Saussure entdeckte, dass „die Sprache nicht eine Funktion des sprechenden Subjekts ist“, wobei das Primat der Sprache denjenigen verdrängt, der ihr eine Stimme verleiht. Roland Barthes, dessen Laufbahn die strukturalistische und die poststrukturalistische Periode verbindet, entschied: „Es ist die Sprache, die spricht, nicht der Autor“, was mit Althussers Feststellung einhergeht, dass die Geschichte „ein Prozess ohne Subjekt“ ist.

Wenn das Subjekt als eine wesentliche Funktion der Sprache betrachtet wird, rückt ihre erstickende Vermittlung und die der symbolischen Ordnung im Allgemeinen ganz oben auf die Tagesordnung. So versucht die Postmoderne, das, was jenseits der Sprache liegt, zu kommunizieren, „das Undarstellbare darzustellen“. Angesichts des radikalen Zweifels an der Verfügbarkeit eines Referenzpunktes in der Welt außerhalb der Sprache verschwindet das Reale aus der Betrachtung. Jacques Derrida, die Schlüsselfigur des postmodernen Ethos, geht davon aus, dass die Verbindung zwischen Worten und der Welt willkürlich ist. Die Objektwelt spielt für ihn keine Rolle. Die Erschöpfung der Moderne und der Aufstieg der Postmoderne bevor ich mich Derrida zuwende, noch ein paar Bemerkungen zu den Vorläufern und dem allgemeinen Kulturwandel. Die Postmoderne wirft Fragen zu Kommunikation und Bedeutung auf, so dass beispielsweise die Kategorie des Ästhetischen problematisch wird. In der Moderne mit ihrem sonnigeren Glauben an die Repräsentation versprachen Kunst und Literatur zumindest eine Vision der Erfüllung oder des Verstehens. Bis zum Ende der Moderne galt die „Hochkultur“ als Hort moralischer und geistiger Weisheit. Jetzt scheint es keinen solchen Glauben mehr zu geben, und die Allgegenwart der Frage nach der Sprache verrät vielleicht die Leere, die durch das Versagen anderer Kandidaten für vielversprechende Ausgangspunkte der menschlichen Vorstellungskraft entstanden ist. In den 60er Jahren scheint die Moderne das Ende ihrer Entwicklung erreicht zu haben, der strenge Kanon ihrer Malerei (z.B. Rothko, Reinhardt) weicht der unkritischen Übernahme der kommerziellen Sprache der Konsumkultur durch die Pop Art. Die Postmoderne, nicht nur in der Kunst, ist die Moderne ohne die Hoffnungen und Träume, die die Moderne erträglich machten.

In der bildenden Kunst ist eine weit verbreitete „Fast Food“-Tendenz zu beobachten, die in Richtung leicht konsumierbarer Unterhaltung geht. Howard Fox stellt fest, dass „Theatralität vielleicht die einzige durchdringende Eigenschaft der postmodernen Kunst ist“. Eine Dekadenz oder Erschöpfung der Entwicklung ist auch in den dunklen Gemälden eines Eric Fischl zu erkennen, in denen oft eine Art von Horror unter der Oberfläche zu lauern scheint. Diese Eigenschaft verbindet Fischl, den amerikanischen pm-Maler schlechthin, mit dem ebenso düsteren Twin Peaks und der pm-Fernsehfigur schlechthin, David Lynch. Seit Warhol ist das Bild selbstbewusst eine mechanisch reproduzierbare Ware, und das ist der eigentliche Grund für die Tiefenlosigkeit und den gemeinsamen Ton der Unheimlichkeit und Vorahnung.

Der oft zitierte Eklektizismus der postmodernen Kunst ist eine willkürliche Wiederverwertung von Fragmenten aus allen Bereichen, insbesondere aus der Vergangenheit, die oft die Form von Parodie und Kitsch annimmt. Demoralisiert, derealisiert, dehistorisiert: Kunst, die sich selbst nicht mehr ernst nehmen kann. Das Bild verweist nicht mehr in erster Linie auf ein „Original“, das irgendwo in der „realen“ Welt angesiedelt ist; es verweist zunehmend nur noch auf andere Bilder. Auf diese Weise spiegelt es wider, wie verloren wir in der immer stärker vermittelten Welt des technologischen Kapitalismus sind, wie weit wir uns von der Natur entfernt haben.

Der Begriff Postmoderne wurde erstmals in den 70er Jahren auf die Architektur angewandt. Christopher Jencks schrieb von einem planungsfeindlichen, pluralistischen Ansatz, von der Aufgabe des Traums der Moderne von der reinen Form zugunsten des Hörens auf „die vielfältigen Sprachen der Menschen“. Ehrlicher sind Robert Venturis Lobgesang auf Las Vegas und Piers Goughs Eingeständnis, dass die pm-Architektur sich nicht mehr um die Menschen kümmert als die modernistische Architektur. Die Bögen und Säulen, die über die modernistischen Kästen gelegt werden, sind eine dünne Fassade der Verspieltheit und Individualität, die die anonymen Konzentrationen von Reichtum und Macht darunter kaum verändert.

Die Autoren der Postmoderne stellen die Grundlagen der Literatur in Frage, anstatt weiterhin die Illusion einer äußeren Welt zu schaffen. Der Roman lenkt seine Aufmerksamkeit auf sich selbst; Donald Barthelme zum Beispiel schreibt Geschichten, die den Leser immer wieder daran zu erinnern scheinen, dass sie Kunstwerke sind. Indem sie gegen die Aussage, den Blickwinkel und andere Darstellungsmuster protestiert, zeigt die pm-Literatur ihr Unbehagen gegenüber den Formen, die kulturelle Produkte zähmen und domestizieren. In dem Maße, in dem die Welt künstlicher wird und die Bedeutung immer weniger unserer Kontrolle unterliegt, möchte der neue Ansatz lieber die Illusion aufdecken, selbst um den Preis, nichts mehr zu sagen. Hier wie anderswo kämpft die Kunst gegen sich selbst, ihr früherer Anspruch, uns zu helfen, die Welt zu verstehen, verflüchtigt sich, während sogar das Konzept der Vorstellungskraft an Kraft verliert.

Für manche ist der Verlust der Erzählstimme oder des Blickwinkels gleichbedeutend mit dem Verlust unserer Fähigkeit, uns historisch zu verorten. Für Postmodernisten ist dieser Verlust eine Art Befreiung. Raymond Federman zum Beispiel schwärmt von der kommenden Fiktion, die „scheinbar bedeutungslos sein wird … absichtlich unlogisch, irrational, unrealistisch, unzusammenhängend und inkohärent“.

Die Phantastik, die seit Jahrzehnten auf dem Vormarsch ist, ist eine gängige Form der Postmoderne und erinnert daran, dass das Phantastische die Zivilisation mit genau den Kräften konfrontiert, die sie für ihr Überleben unterdrücken muss. Aber es ist eine Phantastik, die – parallel zur Dekonstruktion und zum hohen Grad an Zynismus und Resignation in der Gesellschaft – nicht so sehr an sich selbst glaubt, dass sie etwas versteht oder mitteilt. Pm-Autoren scheinen in den Falten der Sprache zu ersticken und vermitteln kaum mehr als ihre ironische Haltung gegenüber den Wahrheits- und Sinnansprüchen der traditionellen Literatur. Typisch ist vielleicht Laurie Moores Roman Like Life von 1990, dessen Titel und Inhalt einen Rückzug aus dem Leben und eine Umkehrung des amerikanischen Traums offenbaren, in dem es nur noch schlimmer werden kann.

Die Feier der Ohnmacht

Die Postmoderne untergräbt zwei der wichtigsten Grundsätze des Humanismus der Aufklärung: die Macht der Sprache, die Welt zu formen, und die Macht des Bewusstseins, ein Selbst zu formen. So entsteht die postmoderne Leere, die allgemeine Vorstellung, dass die Sehnsucht nach Emanzipation und Freiheit, die die humanistischen Prinzipien der Subjektivität versprechen, nicht befriedigt werden kann. Die Postmoderne betrachtet das Selbst als eine sprachliche Konvention; wie William Burroughs es ausdrückte: „Dein ‚Ich‘ ist ein völlig illusorisches Konzept.“

Es ist offensichtlich, dass das gefeierte Ideal der Individualität seit langem unter Druck steht. Der Kapitalismus hat in der Tat Karriere damit gemacht, das Individuum zu feiern und es gleichzeitig zu zerstören. Und die Werke von Marx und Freud haben viel dazu beigetragen, den weitgehend fehlgeleiteten und naiven Glauben an ein souveränes, rationales kantianisches Selbst, das für die Realität zuständig ist, zu entlarven, wobei ihre neueren strukturalistischen Interpreten, Althusser und Lacan, dazu beigetragen und diese Bemühungen aktualisiert haben. Doch diesmal ist der Druck so groß, dass der Begriff „Individuum“ obsolet geworden ist und durch den Begriff „Subjekt“ ersetzt wurde, der immer auch den Aspekt des Unterworfenseins einschließt (wie z. B. in der älteren Formulierung „ein Untertan des Königs“). Selbst einige radikale Libertäre, wie die Gruppe Interrogations in Frankreich, stimmen in den Chor der Postmodernen ein und lehnen das Individuum als Wertkriterium ab, da diese Kategorie durch Ideologie und Geschichte entwertet wurde.

So zeigt die pm, dass die Autonomie weitgehend ein Mythos ist und die hochgehaltenen Ideale der Herrschaft und des Willens ebenfalls fehlgeleitet sind. Doch wenn uns hiermit ein neuer und ernsthafter Versuch der Entmystifizierung von Autorität versprochen wird, der sich hinter dem Deckmantel einer bourgeoisen humanistischen „Freiheit“ verbirgt, erhalten wir in Wirklichkeit eine Auflösung des Subjekts, die so radikal ist, dass es ohnmächtig, ja sogar inexistent wird, als irgendeine Art von Akteur überhaupt. Wer oder was bleibt übrig, um eine Befreiung zu erreichen, oder ist das nur ein weiterer Wunschtraum? Die postmoderne Haltung will beides: den denkenden Menschen „ausradieren“, während die Existenz ihrer eigenen Kritik von diskreditierten Ideen wie der Subjektivität abhängt. Fred Dallmayr, der die weit verbreitete Anziehungskraft des zeitgenössischen Antihumanismus anerkennt, warnt davor, dass die ersten Opfer die Reflexion und der Sinn für Werte sind. Die Behauptung, wir seien in erster Linie Instanzen der Sprache, beraubt uns offensichtlich unserer Fähigkeit, das Ganze zu erfassen, und das in einer Zeit, in der wir genau das dringend brauchen. Kein Wunder, dass die pm für einige in der Praxis lediglich auf einen Liberalismus ohne Subjekt hinausläuft, während Feministinnen, die versuchen, eine authentische und autonome weibliche Identität zu definieren oder zurückzufordern, wahrscheinlich ebenfalls nicht überzeugt wären.

Das postmoderne Subjekt, das, was vermutlich von der Subjekthaftigkeit übrig geblieben ist, scheint vor allem die vom und für das technologische Kapital konstruierte Persönlichkeit zu sein, die der marxistische Literaturtheoretiker Terry Eagleton als „verstreutes, dezentriertes Netzwerk libidinöser Bindungen, entleert von ethischer Substanz und psychischer Innerlichkeit, die ephemere Funktion dieses oder jenes Konsumakts, Medienerlebnisses, sexueller Beziehung, Trends oder Mode“ beschreibt. Wenn Eagletons Definition des heutigen Nicht-Subjekts, wie sie von der pm verkündet wird, ihrem Standpunkt untreu ist, ist es schwer zu erkennen, wo er Gründe für eine Distanzierung von seiner vernichtenden Zusammenfassung findet. Mit der Postmoderne löst sich sogar die Entfremdung auf, denn es gibt kein Subjekt mehr, das entfremdet werden könnte! Die zeitgenössische Zersplitterung und Ohnmacht könnte kaum vollständiger verkündet, die vorhandene Wut und Unzufriedenheit nicht gründlicher ignoriert werden.

Derrida, Dekonstruktion und Différance2

Genug des Hintergrunds und der allgemeinen Charakterzüge für den Moment. Der einflussreichste spezifische postmoderne Ansatz ist der von Jacques Derrida, der seit den 60er Jahren als Dekonstruktion bekannt ist. Mit Postmoderne in der Philosophie sind vor allem die Schriften von Derrida gemeint, und diese früheste und extremste Sichtweise hat weit über die Philosophie hinaus Resonanz in der Populärkultur und ihren Gepflogenheiten gefunden.

Sicherlich hat die „linguistische Wende“ mit der Entstehung von Derrida zu tun, was David Wood dazu veranlasste, die Dekonstruktion als „eine absolut unvermeidliche Bewegung in der heutigen Philosophie“ zu bezeichnen, da das Denken sein unausweichliches Dilemma als geschriebene Sprache verhandelt. Dass Sprache nicht unschuldig oder neutral ist, sondern eine beträchtliche Anzahl von Voraussetzungen mit sich bringt, hat er in seiner Laufbahn herausgearbeitet und dabei die seiner Meinung nach grundlegend widersprüchliche Natur des menschlichen Diskurses offengelegt. Der „Unvollständigkeitssatz“ des Mathematikers Kurt Gödel besagt, dass jedes formale System entweder konsistent oder vollständig sein kann, aber nicht beides. In ähnlicher Weise behauptet Derrida, dass sich die Sprache ständig gegen sich selbst wendet, so dass wir bei genauer Analyse weder sagen können, was wir meinen, noch meinen, was wir sagen. Aber wie die Semiologen vor ihm schlägt Derrida gleichzeitig vor, dass eine dekonstruktive Methode den ideologischen Inhalt aller Texte entmystifizieren und alle menschlichen Aktivitäten als wesentliche Texte interpretieren könnte. Die grundlegende Widersprüchlichkeit und Verschleierungsstrategie, die der Metaphysik der Sprache im weitesten Sinne innewohnt, könnte aufgedeckt werden und eine intimere Art von Wissen hervorbringen.

Was diesem letztgenannten Anspruch mit seinem von Derrida immer wieder angedeuteten politischen Versprechen entgegenwirkt, ist genau der Inhalt der Dekonstruktion: Sie sieht die Sprache als eine sich ständig bewegende, unabhängige Kraft, die eine Stabilisierung des Sinns oder eine eindeutige Kommunikation, wie oben erwähnt, nicht zulässt. Diesen intern erzeugten Fluss nannte er „différance“, und das ist es, was die Idee der Bedeutung selbst zum Einsturz bringt, zusammen mit der selbstreferentiellen Natur der Sprache, die, wie bereits erwähnt, besagt, dass es keinen Raum außerhalb der Sprache gibt, kein „da draußen“, in dem Bedeutung überhaupt existieren könnte. Intention und Subjekt werden überwältigt, und was sich offenbart, sind keine „inneren Wahrheiten“, sondern eine endlose Vermehrung möglicher Bedeutungen, die durch die différance, das Prinzip, das die Sprache charakterisiert, erzeugt werden. Die Bedeutung innerhalb der Sprache wird auch durch Derridas Beharren darauf, dass Sprache metaphorisch ist und daher keine direkte Wahrheit vermitteln kann, schwer fassbar gemacht – ein von Nietzsche übernommener Begriff, der die Unterscheidung zwischen Philosophie und Literatur aufhebt. All diese Einsichten tragen vermutlich zum kühnen und subversiven Charakter der Dekonstruktion bei, aber sie provozieren sicherlich auch einige grundlegende Fragen. Wenn der Sinn unbestimmt ist, warum sind dann Derridas Argumente und Begriffe nicht auch unbestimmt, nicht festlegbar? Er hat seinen Kritikern zum Beispiel geantwortet, dass sie sich über seine Bedeutung im Unklaren sind, während seine „Bedeutung“ darin besteht, dass es keine klare, definierbare Bedeutung geben kann. Und obwohl sein gesamtes Projekt in einem wichtigen Sinne darauf abzielt, die Ansprüche aller Systeme auf irgendeine Art von transzendenter Wahrheit zu untergraben, erhebt er die différance in den transzendenten Status eines jeden philosophischen ersten Prinzips.

Für Derrida war es die Aufwertung der Sprache gegenüber der Schrift, die das gesamte westliche Denken dazu gebracht hat, den Niedergang zu übersehen, den die Sprache selbst der Philosophie bereitet. Durch die Privilegierung des gesprochenen Wortes wird ein falscher Sinn für Unmittelbarkeit erzeugt, die ungültige Vorstellung, dass beim Sprechen die Sache selbst präsent ist und die Repräsentation überwunden wird. Aber das gesprochene Wort ist nicht „authentischer“ als das geschriebene Wort, und es ist keineswegs immun gegen das eingebaute Versagen der Sprache, die (repräsentativen) Güter genau oder definitiv zu liefern. Es ist der unangebrachte Wunsch nach Präsenz, der die westliche Metaphysik charakterisiert, ein unreflektierter Wunsch nach dem Erfolg der Repräsentation. Es ist wichtig festzuhalten, dass Derrida, weil er die Möglichkeit einer unvermittelten Existenz ablehnt, zwar die Wirksamkeit der Repräsentation angreift, nicht aber die Kategorie selbst. Er macht sich über das Spiel lustig, spielt es aber trotzdem. Die différance (später einfach „Differenz“) geht aufgrund der Unverfügbarkeit von Wahrheit oder Bedeutung in Gleichgültigkeit über und schließt sich dem Zynismus im Allgemeinen an.

Schon früh diskutierte Derrida die Fehltritte der Philosophie im Bereich der Präsenz, indem er sich auf Husserls gequälte Suche nach ihr bezog. Als nächstes entwickelte er seine Theorie der „Grammatologie“, in der er der Schrift den ihr gebührenden Vorrang gegenüber der phonozentrischen3 oder sprachbetonten Ausrichtung des Westens zurückgab. Dies geschah vor allem durch die Kritik an wichtigen Persönlichkeiten, die die Sünde des Phonozentrismus begangen hatten, darunter Rousseau, Heidegger, Saussure und Levi-Strauss, wobei nicht zu übersehen ist, dass er den drei Letztgenannten viel zu verdanken hat.

Als ob er sich an die offensichtlichen Implikationen seines dekonstruktiven Ansatzes erinnern würde, weichen Derridas Schriften in den 70er Jahren von den früheren, recht geradlinigen philosophischen Diskussionen ab. Glas (1974) ist ein Mischmasch aus Hegel und Gent, in dem das Argument durch freie Assoziation und schlechte Wortspiele ersetzt wird. Auch wenn Glas selbst seine größten Bewunderer verblüfft, so entspricht es doch dem Grundsatz der unvermeidlichen Mehrdeutigkeit der Sprache und dem Willen, die Anmaßungen eines geordneten Diskurses zu unterlaufen. Spurs (1978) ist eine buchfüllende Studie über Nietzsche, die ihren Schwerpunkt letztlich nicht in Nietzsches Veröffentlichungen, sondern in einer handschriftlichen Notiz am Rande eines seiner Notizbücher findet: „Ich habe meinen Regenschirm vergessen.“ Es gibt unendliche, unentscheidbare Möglichkeiten, was diese gekritzelte Bemerkung bedeutet oder bedeutet – wenn überhaupt. Damit will Derrida natürlich andeuten, dass das Gleiche für alles gilt, was Nietzsche geschrieben hat. Der Platz für das Denken liegt nach der Dekonstruktion eindeutig (äh, sagen wir unklar) beim Relativen, beim Fragmentarischen, beim Marginalen.

Der Sinn ist gewiss nicht etwas, das man festhalten kann, wenn es ihn überhaupt gibt. In seinem Kommentar zu Platons Phaedrus geht der Meister der De-Komposition so weit zu behaupten, dass „wie jeder Text [es] nicht anders sein konnte, als mit allen Wörtern, die das System der griechischen Sprache ausmachten, verbunden zu sein, zumindest auf eine virtuelle, dynamische, laterale Weise“.

Damit verbunden ist Derridas Ablehnung von binären Gegensätzen wie wörtlich/metaphorisch, ernst/spielerisch, tief/oberflächlich, Natur/Kultur, ad infinitum. Er betrachtet diese als grundlegende begriffliche Hierarchien, die hauptsächlich durch die Sprache selbst eingeschmuggelt werden und die die Illusion einer Definition oder Orientierung vermitteln. Er behauptet weiter, dass die dekonstruktive Arbeit der Umkehrung dieser Paarungen, die eine der beiden gegenüber der anderen aufwerten, zu einer politischen und sozialen Umkehrung der tatsächlichen, nicht-begrifflichen Hierarchien führt. Die automatische Ablehnung aller binären Oppositionen ist jedoch selbst eine metaphysische Behauptung; sie umgeht in der Tat Politik und Geschichte, weil sie in den Gegensätzen, wie ungenau sie auch sein mögen, nichts anderes als eine sprachliche Realität sehen will. Indem sie jeden Binarismus auflöst, zielt die Dekonstruktion darauf ab, „die Differenz ohne Opposition zu denken“. Was in geringerer Dosierung als heilsamer Ansatz erscheint, als Skepsis gegenüber sauberen Entweder-Oder-Charakterisierungen, geht über in das sehr fragwürdige Rezept der Ablehnung jeglicher Eindeutigkeit. Zu sagen, dass es keine Ja- oder Nein-Position geben kann, ist gleichbedeutend mit einer Lähmung des Relativismus, in der die „Ohnmacht“ zum aufgewerteten Partner der „Opposition“ wird.

Vielleicht ist der Fall von Paul De Man, der Derridas bahnbrechende dekonstruktive Positionen erweitert und vertieft hat (und ihn nach Meinung vieler sogar übertrifft), aufschlussreich. Kurz nach dem Tod von De Man im Jahr 1985 wurde entdeckt, dass er als junger Mann im besetzten Belgien mehrere antisemitische, pro-nationalsozialistische Zeitungsartikel geschrieben hatte. Der Status dieses brillanten Dekonstrukteurs aus Yale, und für einige sogar der moralische und philosophische Wert der Dekonstruktion selbst, wurden durch diese sensationelle Enthüllung in Frage gestellt. De Man hatte wie Derrida „die Doppelzüngigkeit, die Verwirrung, die Unwahrheit, die wir im Gebrauch der Sprache für selbstverständlich halten“ betont. Passend dazu, wenn auch meiner Meinung nach zu seinem Nachteil, war Derridas gequälter Kommentar zu De Mans kollaborativer Zeit: „Wie können wir urteilen, wer das Recht hat zu sagen?“ Ein schäbiges Zeugnis für die Dekonstruktion, die in irgendeiner Weise als ein Moment des Antiautoritären betrachtet wird.

Derrida verkündete, dass die Dekonstruktion „die Subversion jedes Reiches anstiftet“. In der Tat ist sie im sicheren akademischen Bereich geblieben, indem sie immer raffiniertere textliche Komplikationen erfand, um sich selbst im Geschäft zu halten und eine Reflexion über ihre eigene politische Situation zu vermeiden. Einer von Derridas zentralsten Begriffen, die Verbreitung, beschreibt die Sprache unter dem Prinzip der Differenz nicht so sehr als eine reiche Ernte von Bedeutungen, sondern als eine Art endlosen Verlust und Verschütten, wobei die Bedeutung überall auftaucht und praktisch gleichzeitig verdunstet. Dieser unaufhörliche und unbefriedigende Fluss der Sprache ist eine treffende Parallele zum Herzen des Konsumkapitals und seiner endlosen Zirkulation von Nicht-Bedeutung. Derrida verewigt und universalisiert so unbewusst das beherrschte Leben, indem er die menschliche Kommunikation zu seinem Abbild macht. Das „jedes Reich“, das er durch die Dekonstruktion unterminiert sehen würde, wird stattdessen erweitert und für absolut gehalten.

Derrida repräsentiert sowohl die weitgereiste französische Tradition der explication de texte4 als auch eine Reaktion auf die gallische Verehrung der kartesianisch-klassizistischen Sprache mit ihren Idealen der Klarheit und Ausgewogenheit. Die Dekonstruktion entstand auch gewissermaßen als Teil des ursprünglichen Elements der Beinahe-Revolution von 1968, nämlich der Studentenrevolte gegen das erstarrte französische Hochschulwesen. Einige ihrer Schlüsselbegriffe (z.B. die Verbreitung) sind Blanchots Heidegger-Lektüre entlehnt, was eine bedeutende Originalität des Derride’schen Denkens nicht leugnen soll. Präsenz und Repräsentation stellen sich ständig gegenseitig in Frage und offenbaren das zugrunde liegende System als unendlich zerklüftet, und das ist an sich schon ein wichtiger Beitrag.

Unglücklicherweise scheint die Umwandlung der Metaphysik in eine Frage der Schrift, in der sich die Bedeutungen praktisch selbst wählen und somit ein Diskurs (und somit eine Handlungsweise) nicht als besser als eine andere bewiesen werden kann, nicht sehr radikal. Die Dekonstruktion wird heute von den Leitern englischer Fakultäten, von Berufsverbänden und anderen angesehenen Gremien begrüßt, weil sie die Frage der Repräsentation selbst so wenig aufwirft. Derridas Dekonstruktion der Philosophie räumt ein, dass sie genau das Konzept intakt lassen muss, dessen fehlende Grundlage sie entlarvt. Während er die Vorstellung einer sprachunabhängigen Realität für unhaltbar hält, verspricht die Dekonstruktion auch keine Befreiung aus dem berühmten „Gefängnis der Sprache“. Das Wesen der Sprache, das Primat des Symbolischen, wird nicht wirklich angegangen, sondern als ebenso unausweichlich wie unzureichend zur Erfüllung gezeigt. Kein Ausweg; wie Derrida erklärte: „Es geht nicht darum, sich in eine repressionsfreie neue Ordnung zu entlassen (es gibt keine).“

Die Krise der Repräsentation

Wenn der Beitrag der Dekonstruktion vor allem darin besteht, unsere Gewissheit über die Realität zu untergraben, dann vergisst sie, dass die Realität – Werbung und Massenkultur, um nur zwei oberflächliche Beispiele zu nennen – dies bereits erreicht hat. Diese durch und durch postmoderne Sichtweise ist Ausdruck der Bewegung des Denkens von der Dekadenz zu seiner elegischen oder post-gedanklichen Phase oder, wie John Fekete es zusammenfasste, „eine tiefgreifende Krise des westlichen Geistes, ein tiefgreifender Verlust der Nerven“.

Die heutige Überfrachtung mit Repräsentation dient dazu, die radikale Verarmung des Lebens in der technologischen Klassengesellschaft zu unterstreichen – Technologie ist Entbehrung. Die klassische Theorie der Repräsentation ging davon aus, dass Bedeutung oder Wahrheit den Repräsentationen, die sie vermitteln, vorausgehen und diese vorschreiben. Aber wir leben heute in einer postmodernen Kultur, in der das Bild weniger der Ausdruck eines individuellen Subjekts als vielmehr die Ware einer anonymen Konsumtechnologie geworden ist. Das Leben im Informationszeitalter wird immer mehr durch die Manipulation von Zeichen, Symbolen, Marketing- und Testdaten usw. kontrolliert. Unsere Zeit, sagt Derrida, ist „eine Zeit ohne Natur“.

Alle Formulierungen der Postmoderne stimmen darin überein, eine Krise der Repräsentation zu erkennen. Wie bereits erwähnt, begann Derrida mit einer Infragestellung des Wesens des philosophischen Projekts selbst, das auf Repräsentation beruht, und warf einige unbeantwortbare Fragen über die Beziehung zwischen Repräsentation und Denken auf. Die Dekonstruktion untergräbt die erkenntnistheoretischen Ansprüche der Repräsentation, indem sie zeigt, dass beispielsweise die Sprache für die Aufgabe der Repräsentation unzureichend ist. Aber diese Untergrabung vermeidet es, sich mit der repressiven Natur ihres Gegenstandes auseinanderzusetzen, indem sie wiederum darauf besteht, dass reine Präsenz, ein Raum jenseits der Repräsentation, nur ein utopischer Traum sein kann. Es kann keinen unvermittelten Kontakt oder keine Kommunikation geben, sondern nur Zeichen und Repräsentationen; die Dekonstruktion ist eine Suche nach Präsenz und Erfüllung, die unendlich und notwendigerweise aufgeschoben wird.

Jacques Lacan, der die gleiche Resignation wie Derrida teilt, enthüllt zumindest mehr über das bösartige Wesen der Repräsentation. In Erweiterung von Freud stellte er fest, dass das Subjekt durch den Eintritt in die symbolische Ordnung, nämlich in die Sprache, sowohl konstituiert als auch entfremdet wird. Während er die Möglichkeit einer Rückkehr zu einem vorsprachlichen Zustand, in dem das gebrochene Versprechen der Präsenz eingelöst werden könnte, verneinte, konnte er zumindest den zentralen, lähmenden Schlag erkennen, der in der Unterwerfung des freien Begehrens unter die symbolische Welt besteht, in der Auslieferung der Einzigartigkeit an die Sprache. Lacan bezeichnete die jouissance als unaussprechlich, weil sie sich nur außerhalb der Sprache ereignen kann: jenes Glück, das der Wunsch nach einer Welt ohne den Bruch des Geldes oder der Schrift, einer Gesellschaft ohne Repräsentation ist.

Die Unfähigkeit, symbolischen Sinn zu generieren, ist, etwas ironisch, ein Grundproblem der Postmoderne. Sie spielt ihre Position an der Grenze zwischen dem, was repräsentiert werden kann, und dem, was nicht repräsentiert werden kann, aus, eine (bestenfalls) halbherzige Lösung, die sich weigert, die Repräsentation zu verweigern. (Anstatt die Argumente für die Sichtweise des Symbolischen als repressiv und entfremdend zu liefern, wird der Leser auf die ersten fünf Aufsätze meines Buches Elements of Refusal [Left Bank Books, 1988] verwiesen, die sich mit Zeit, Sprache, Zahl, Kunst und Landwirtschaft als kulturellen Entfremdungen aufgrund von Symbolisierung befassen.) Inzwischen verliert ein entfremdetes und erschöpftes Publikum das Interesse am vermeintlichen Trost der Kultur, und mit der Vertiefung und Verdichtung der Vermittlung kommt die Entdeckung, dass dies vielleicht schon immer der Sinn der Kultur war. Es ist jedoch nicht ungewöhnlich, dass die Postmoderne die Reflexion über die Ursprünge der Repräsentation nicht anerkennt, da sie auf der Unmöglichkeit einer unvermittelten Existenz beharrt.

Als Antwort auf die Sehnsucht nach der verlorenen Ganzheit der Prä-Zivilisation sagt die Postmoderne, dass die Kultur so grundlegend für die menschliche Existenz geworden ist, dass es keine Möglichkeit gibt, unter sie hinabzusteigen. Das erinnert natürlich an Freud, der das Wesen der Zivilisation als Unterdrückung von Freiheit und Ganzheit erkannte, der aber entschied, dass Arbeit und Kultur wichtiger seien. Freud war zumindest ehrlich genug, den Widerspruch oder die Unversöhnlichkeit zuzugeben, die mit der Entscheidung für die lähmende Natur der Zivilisation einhergeht, während die Postmodernisten dies nicht tun.

Floyd Merrell stellte fest, dass „ein Schlüssel, vielleicht der Hauptschlüssel zum Derrida’schen Denken“ Derridas Entscheidung war, die Frage nach den Ursprüngen nicht zu stellen. Während Derrida also in seinem gesamten Werk auf eine Komplizenschaft zwischen den Grundannahmen des westlichen Denkens und den Gewalttaten und Unterdrückungen hinweist, die die westliche Zivilisation geprägt haben, hat er zentral und sehr einflussreich alle Vorstellungen von Ursprüngen abgelehnt. Schließlich ist das kausale Denken eines der Objekte der Verachtung der Postmodernen. „Natur“ ist eine Illusion, was könnte also „unnatürlich“ bedeuten? Anstelle des wunderbaren „Unter dem Pflaster ist der Strand“ der Situationisten haben wir Foucaults berühmte Zurückweisung des gesamten Begriffs der „repressiven Hypothese“ in Die Ordnung der Dinge. Freud gab uns ein Verständnis von Kultur als verkümmernd und Neurosen erzeugend; die pm sagt uns, dass Kultur alles ist, was wir jemals haben können, und dass ihre Grundlagen, wenn es sie gibt, für unser Verständnis nicht zugänglich sind. Die Postmoderne ist offenbar das, was uns bleibt, wenn der Modernisierungsprozess abgeschlossen und die Natur für immer verschwunden ist.

Nicht nur, dass die pm an Becketts Bemerkung in Endgame anknüpft: „Es gibt keine Natur mehr“, sondern sie leugnet auch, dass es jemals einen erkennbaren Raum außerhalb von Sprache und Kultur gegeben hat. Die „Natur“, so Derrida im Gespräch mit Rousseau, „hat nie existiert“. Auch hier wird die Entfremdung ausgeschlossen; dieser Begriff impliziert notwendigerweise eine Idee von Authentizität, die die Postmoderne für unverständlich hält. In diesem Sinne zitiert Derrida „den Verlust dessen, was nie stattgefunden hat, einer Selbstpräsenz, die nie gegeben war, sondern nur erträumt wurde…“. Trotz der Grenzen des Strukturalismus zeugt Levi-Strauss‘ Zugehörigkeitsgefühl zu Rousseau andererseits von seiner Suche nach Ursprüngen. Indem er sich weigerte, die Befreiung auszuschließen, sei es in Bezug auf die Anfänge oder die Ziele, hörte Levi-Strauss nie auf, sich nach einer „intakten“ Gesellschaft zu sehnen, einer nicht zerbrochenen Welt, in der die Unmittelbarkeit noch nicht gebrochen war. Dafür stellt Derrida, freilich pejorativ, Rousseau als Utopisten und Levi-Strauss als Anarchisten dar und warnt vor einem „weiteren Schritt zu einer Art ursprünglicher Anarchie“, der nur eine gefährliche Illusion wäre.

Die wirkliche Gefahr besteht darin, die Entfremdung und Beherrschung, die die Natur vollständig zu überwinden drohen, nicht auf der grundlegendsten Ebene in Frage zu stellen – das, was vom Natürlichen in der Welt und in uns selbst übrig geblieben ist. Marcuse erkannte, dass „die Erinnerung an die Befriedigung am Ursprung allen Denkens steht, und der Impuls, die vergangene Befriedigung zurückzuerobern, ist die verborgene Antriebskraft des Denkprozesses“. Mit der Frage nach den Ursprüngen ist auch die Frage nach der Entstehung der Abstraktion, ja der philosophischen Begrifflichkeit überhaupt verbunden, und Marcuse kam bei seiner Suche nach dem, was einen Seinszustand ohne Unterdrückung ausmachen würde, nahe an eine Auseinandersetzung mit der Kultur selbst. Er konnte sich des Eindrucks nie ganz erwehren, „dass die Menschheit etwas Wesentliches vergessen hat“. Ähnlich ist der kurze Ausspruch von Novalis: „Philosophie ist Heimweh“. Im Vergleich dazu haben Kroker und Cook unbestreitbar recht, wenn sie schlussfolgern, dass „die postmoderne Kultur ein Vergessen ist, ein Vergessen der Ursprünge und Ziele“.

Barthes, Foucault und Lyotard

Wenn wir uns anderen poststrukturalistischen/postmodernen Persönlichkeiten zuwenden, verdient Roland Barthes, der zu Beginn seiner Karriere ein wichtiger strukturalistischer Denker war, Erwähnung. Sein Werk Writing Degree Zero drückte die Hoffnung aus, dass Sprache auf utopische Weise verwendet werden kann und dass es in der Kultur kontrollierende Codes gibt, die gebrochen werden können. Anfang der 70er Jahre schloss er sich jedoch Derrida an, der die Sprache als einen metaphorischen Sumpf ansah, dessen Metaphorizität nicht erkannt wird. Die Philosophie wird von ihrer eigenen Sprache verwirrt, und die Sprache im Allgemeinen kann nicht beanspruchen, das zu beherrschen, was sie bespricht. Mit Das Reich der Zeichen (1970) hatte Barthes bereits auf jede kritische, analytische Absicht verzichtet. Dieses Buch, das angeblich von Japan handelt, wird vorgelegt, „ohne den Anspruch zu erheben, irgendeine Realität abzubilden oder zu analysieren“. Verschiedene Fragmente befassen sich mit so unterschiedlichen kulturellen Formen wie Haiku und Spielautomaten, als Teile einer Art anti-utopischen Landschaft, in der die Formen keine Bedeutung haben und alles nur Oberfläche ist. Das Reich der Zeichen kann als das erste vollständig postmoderne Werk bezeichnet werden, und Mitte der 70er Jahre trug die Vorstellung des Autors vom Vergnügen am Text die gleiche Derride’sche Geringschätzung für den Glauben an die Gültigkeit des öffentlichen Diskurses weiter. Das Schreiben war zum Selbstzweck geworden, eine rein persönliche Ästhetik zur obersten Maxime. Vor seinem Tod im Jahr 1980 hatte Barthes ausdrücklich „jede intellektuelle Art des Schreibens“ angeprangert, insbesondere alles, was den Beigeschmack des Politischen hatte. In seinem letzten Werk, Barthes by Barthes, betrachtete der Hedonismus der Worte, der einem realen Dandytum entsprach, Konzepte nicht nach ihrer Gültigkeit oder Ungültigkeit, sondern nur nach ihrer Wirksamkeit als Taktik des Schreibens.

1985 forderte AIDS den bekanntesten Einfluss auf die Postmoderne, Michel Foucault. Seine weitreichenden historischen Studien (z. B. über Wahnsinn, Strafvollzug und Sexualität) machten ihn sehr bekannt und lassen bereits Unterschiede zwischen Foucault und dem relativ abstrakten und ahistorischen Derrida erkennen. Der Strukturalismus hatte, wie bereits erwähnt, das Individuum aus weitgehend linguistischen Gründen stark abgewertet, während Foucault „den Menschen (als) eine erst kürzlich gemachte Erfindung, eine noch keine zwei Jahrhunderte alte Figur, eine einfache Falte in unserem Wissen, die bald verschwinden wird“, charakterisierte. Sein Schwerpunkt liegt darin, den „Menschen“ als das zu entlarven, was als Objekt dargestellt und hervorgebracht wird, nämlich als eine virtuelle Erfindung der modernen Humanwissenschaften. Trotz seines eigenwilligen Stils waren Foucaults Werke weitaus populärer als die von Horkheimer und Adorno (z. B. Die Dialektik der Aufklärung) und Erving Goffman, die ebenfalls die versteckte Agenda der bourgeoisen Rationalität aufdeckten. Er wies auf die „individualisierende“ Taktik hin, die in den Schlüsselinstitutionen des frühen 19. Jahrhunderts am Werk war (Familie, Arbeit, Medizin, Psychiatrie, Bildung), und machte deren normalisierende, disziplinierende Rolle innerhalb der entstehenden kapitalistischen Moderne deutlich, da das „Individuum“ von und für die herrschende Ordnung geschaffen wird.

Foucault, typisch pm, lehnt das ursprüngliche Denken und die Vorstellung ab, dass es eine „Realität“ hinter oder unter dem vorherrschenden Diskurs einer Epoche gibt. Ebenso ist das Subjekt eine Täuschung, die im Wesentlichen durch den Diskurs geschaffen wird, ein „Ich“, das aus den herrschenden Sprachgebräuchen hervorgeht. Und so werden seine detaillierten historischen Erzählungen, die als „Archäologien“ des Wissens bezeichnet werden, anstelle von theoretischen Übersichten angeboten, als ob sie keine ideologischen oder philosophischen Annahmen enthielten. Für Foucault gibt es keine Grundlagen des Sozialen, die außerhalb der Kontexte verschiedener Epochen, oder Episteme, wie er sie nannte, zu begreifen wären; die Grundlagen ändern sich von einer Episteme zur anderen. Der vorherrschende Diskurs, der seine Subjekte konstituiert, bildet sich scheinbar von selbst. Dies ist ein wenig hilfreicher Ansatz für die Geschichte, der vor allem daraus resultiert, dass Foucault sich nicht auf soziale Gruppen bezieht, sondern sich ganz auf Gedankensysteme konzentriert. Ein weiteres Problem ergibt sich aus seiner Auffassung, dass die Episteme eines Zeitalters nicht von denen erkannt werden kann, die in ihr arbeiten. Wenn das Bewusstsein genau das ist, was sich nach Foucaults eigener Darstellung seines Relativismus nicht bewusst ist oder nicht weiß, wie es in früheren Epistemen ausgesehen hätte, dann ist Foucaults eigenes erhöhtes, umfassendes Bewusstsein unmöglich. Diese Schwierigkeit wird am Ende von Die Archäologie des Wissens (1972) eingeräumt, bleibt aber unbeantwortet, ein ziemlich krasses und offensichtliches Problem.

Das Dilemma der Postmoderne ist folgendes: Wie kann der Status und die Gültigkeit ihrer theoretischen Ansätze festgestellt werden, wenn weder Wahrheit noch Grundlagen des Wissens zugelassen werden? Wenn wir die Möglichkeit rationaler Grundlagen oder Standards ausschließen, auf welcher Grundlage können wir dann operieren? Wie können wir verstehen, was die Gesellschaft ist, die wir bekämpfen, geschweige denn, dass wir ein solches Verständnis teilen? Foucaults Beharren auf einem nietzscheanischen Perspektivismus übersetzt sich in den irreduziblen Pluralismus der Interpretation. Er relativierte Wissen und Wahrheit jedoch nur insoweit, als diese Begriffe an andere Denksysteme als sein eigenes gebunden sind. Auf diesen Punkt angesprochen, gab Foucault zu, dass er nicht in der Lage sei, seine eigenen Meinungen rational zu begründen. So behauptet der liberale Habermas, dass postmoderne Denker wie Foucault, Deleuze und Lyotard „neokonservativ“ seien, weil sie keine konsistente Argumentation für die eine oder andere gesellschaftliche Richtung bieten. Das Bekenntnis zum Relativismus (oder „Pluralismus“) bedeutet auch, dass es nichts gibt, was die Perspektive einer gesellschaftlichen Tendenz daran hindert, das Recht zu beanspruchen, eine andere zu dominieren, da es keine Möglichkeit gibt, Standards festzulegen.

Das Thema Macht war in der Tat ein zentrales Thema für Foucault, und die Art und Weise, wie er es behandelte, ist aufschlussreich. Er schrieb, dass die bedeutenden Institutionen der modernen Gesellschaft durch eine Kontrollintentionalität vereint sind, ein „karzerales Kontinuum“, das das logische Finale des Kapitalismus zum Ausdruck bringt, aus dem es kein Entrinnen gibt. Aber die Macht selbst, so stellte er fest, ist ein Netz oder Feld von Beziehungen, in dem die Subjekte sowohl als Produkte als auch als Akteure der Macht konstituiert sind. Alles ist also Teil der Macht, und deshalb ist es sinnlos, eine „grundlegende“, unterdrückerische Macht zu suchen, die man bekämpfen kann. Die moderne Macht ist heimtückisch und „kommt von überall her“. Wie Gott ist sie überall und nirgends zugleich.

Foucault findet keinen Strand unter den Pflastersteinen, überhaupt keine „natürliche“ Ordnung. Es gibt nur die Gewissheit aufeinanderfolgender Machtregime, denen man irgendwie widerstehen muss. Aber Foucaults charakteristische Abneigung gegen den gesamten Begriff des menschlichen Subjekts macht es ziemlich schwierig zu erkennen, woher ein solcher Widerstand kommen könnte, ungeachtet seiner Ansicht, dass es keinen Widerstand gegen die Macht gibt, der nicht eine Variante der Macht selbst ist. Was den letztgenannten Punkt betrifft, so geriet Foucault bei der Betrachtung des Verhältnisses von Macht und Wissen in eine weitere Sackgasse. Er kam zu dem Schluss, dass sie untrennbar und allgegenwärtig miteinander verbunden sind und sich direkt gegenseitig bedingen. Die Schwierigkeiten, angesichts dieses Zusammenhangs weiterhin etwas Substantielles zu sagen, veranlassten Foucault schließlich, eine Theorie der Macht aufzugeben. Der damit verbundene Determinismus führte zum einen dazu, dass sein politisches Engagement immer geringer wurde. Es ist nicht schwer zu verstehen, warum der Foucaultismus von den Medien stark gefördert wurde, während z.B. die Situationisten verdrängt wurden.

Castoriadis bezeichnete Foucaults Ideen zur Macht und zum Widerstand gegen sie einmal mit den Worten: „Leiste Widerstand, wenn es dir Spaß macht – aber ohne Strategie, denn dann wärst du nicht mehr proletarisch, sondern Macht“. Foucaults eigener Aktivismus hatte versucht, den empirizistischen Traum eines theorie- und ideologiefreien Ansatzes zu verkörpern, den des „spezifischen Intellektuellen“, der an bestimmten, lokalen Kämpfen teilnimmt. Diese Taktik sieht vor, dass die Theorie nur konkret eingesetzt wird, als Ad-hoc-„Werkzeugkasten“-Methoden für spezifische Kampagnen. Trotz der guten Absichten verweigert die Beschränkung der Theorie auf diskrete, verderbliche instrumentelle „Werkzeuge“ nicht nur einen expliziten Überblick über die Gesellschaft, sondern akzeptiert auch die allgemeine Arbeitsteilung, die den Kern von Entfremdung und Herrschaft bildet. Der Wunsch, Unterschiede, lokales Wissen und dergleichen zu respektieren, verweigert eine reduktive, totalitär anmutende Überbewertung der Theorie, sondern akzeptiert nur die Atomisierung des Spätkapitalismus mit seiner Aufsplitterung des Lebens in enge Spezialgebiete, die die Provinz so vieler Experten sind. Wenn „wir zwischen der Arroganz, das Ganze zu überblicken, und der Scheu, die Teile zu inspizieren, gefangen sind“, wie Rebecca Comay es treffend formulierte, wie kann dann die zweite Alternative (die von Foucault) einen Fortschritt gegenüber dem liberalen Reformismus im Allgemeinen darstellen? Diese Frage erscheint besonders relevant, wenn man sich daran erinnert, wie sehr Foucaults ganzes Unternehmen darauf abzielte, uns von den Illusionen der humanistischen Reformer in der Geschichte zu befreien. Der „spezifische Intellektuelle“ entpuppt sich in der Tat als ein weiterer Experte, ein weiterer Liberaler, der eher die Spezifika als die Wurzeln der Probleme angreift. Und wenn man sich den Inhalt seines Aktivismus anschaut, der sich hauptsächlich auf den Bereich der Strafrechtsreform bezog, ist die Ausrichtung fast zu lau, um überhaupt als liberal bezeichnet werden zu können. In den 80er Jahren „versuchte er, unter der Ägide seines Lehrstuhls am College de France Historiker, Juristen, Richter, Psychiater und Ärzte zu versammeln, die sich mit Recht und Strafe befassen“, so Keith Gandal. Alle Polizisten. „Meine Arbeit über die historische Relativität der Gefängnisform“, so Foucault, „war eine Anregung, über andere Formen der Bestrafung nachzudenken“. Offensichtlich akzeptierte er die Legitimität dieser Gesellschaft und der Bestrafung; nicht weniger überraschend war seine daraus resultierende Ablehnung der Anarchisten als infantil in ihren Hoffnungen für die Zukunft und ihrem Glauben an das menschliche Potenzial.

Die Werke von Jean-Francois Lyotard sind in hohem Maße widersprüchlich – was an sich schon ein Merkmal von der pm ist -, bringen aber auch ein zentrales postmodernes Thema zum Ausdruck: dass die Gesellschaft nicht als Ganzes verstanden werden kann und soll. Lyotard ist ein Paradebeispiel für antitotalisierendes Denken, und zwar so sehr, dass er die Postmoderne als „Ungläubigkeit gegenüber Metanarrativen“ oder Übersichten zusammenfasst. Die Idee, dass es sowohl ungesund als auch unmöglich ist, das Ganze zu begreifen, ist Teil einer enormen Reaktion in Frankreich seit den 60er Jahren gegen marxistische und kommunistische Einflüsse. Während Lyotard vor allem die marxistische Tradition ins Visier nimmt, die im politischen und intellektuellen Leben Frankreichs einst so stark war, geht er noch weiter und lehnt die Gesellschaftstheorie in ihrer Gesamtheit ab. So ist er zum Beispiel zu der Überzeugung gelangt, dass jedes Konzept der Entfremdung – die Vorstellung, dass eine ursprüngliche Einheit, Ganzheit oder Unschuld durch die Fragmentierung und Gleichgültigkeit des Kapitalismus zerbrochen wird – letztlich ein totalitärer Versuch ist, die Gesellschaft zwangsweise zu vereinheitlichen. Bezeichnenderweise denunziert seine Libidinöse Ökonomie Mitte der 70er Jahre die Theorie als Terror.

Man könnte sagen, dass diese extreme Reaktion außerhalb einer von der marxistischen Linken dominierten Kultur unwahrscheinlich wäre, aber ein anderer Blick sagt uns, dass sie perfekt zur allgemeinen, desillusionierten postmodernen Situation passt. Lyotards pauschale Ablehnung der postkantianischen Aufklärungswerte verkörpert schließlich die Erkenntnis, dass die rationale Kritik, zumindest in Form der selbstbewussten Werte und Überzeugungen der kantischen, hegelianischen und marxistischen Metanarrative, durch die düstere historische Realität entlarvt wurde. Lyotard zufolge bedeutet die pm-Ära, dass alle tröstlichen Mythen von intellektueller Meisterschaft und Wahrheit am Ende sind und durch eine Pluralität von „Sprachspielen“ ersetzt werden, dem Wittgensteinschen Begriff der „Wahrheit“, die vorläufig geteilt wird und ohne jegliche erkenntnistheoretische Berechtigung oder philosophische Grundlage zirkuliert. Sprachspiele sind eine pragmatische, lokalisierte, vorläufige Grundlage für Wissen; im Gegensatz zu den umfassenden Ansichten der Theorie oder der historischen Interpretation hängt ihr Gebrauchswert von der Zustimmung der Teilnehmer ab. Lyotards Ideal ist also eine Vielzahl von „kleinen Erzählungen/Narrationen“ anstelle des „inhärenten Dogmatismus“ von Metanarrativen oder großen Ideen. Leider muss sich ein solcher pragmatischer Ansatz mit den Dingen, wie sie sind, arrangieren und ist praktisch per definitionem vom vorherrschenden Konsens abhängig. Daher ist Lyotards Ansatz nur von begrenztem Wert, wenn es darum geht, einen Bruch mit den alltäglichen Normen herbeizuführen. Obwohl sein gesunder, antiautoritärer Skeptizismus die Totalisierung als unterdrückend oder zwanghaft ansieht, übersieht er, dass der Foucaultsche Relativismus der Sprachspiele mit ihren frei vereinbarten Bedeutungen dazu neigt, alles für gleich gültig zu halten. Wie Gerard Raulet feststellte, gehorcht die daraus resultierende Verweigerung des Überblicks eher der bestehenden Logik der Homogenität, als dass sie einen Hort der Heterogenität darstellt.

Den Fortschritt verdächtig zu finden, ist natürlich die Voraussetzung für jeden kritischen Ansatz, aber die Suche nach Heterogenität muss das Bewusstsein für ihr Verschwinden und die Suche nach den Gründen für ihr Verschwinden einschließen. Das postmoderne Denken verhält sich im Allgemeinen so, als wüsste es nicht, dass Arbeitsteilung und Kommodifizierung5 die Grundlage für kulturelle oder soziale Heterogenität beseitigen. Die Postmoderne versucht zu bewahren, was es praktisch nicht gibt, und lehnt ein breiteres Denken ab, das notwendig ist, um mit der verarmten Realität umzugehen. In diesem Bereich ist es von Interesse, das Verhältnis zwischen pm und Technologie zu betrachten, das für Lyotard von entscheidender Bedeutung ist.

Adorno fand den Weg des zeitgenössischen Totalitarismus durch das aufklärerische Ideal des Triumphs über die Natur, auch bekannt als instrumentelle Vernunft, vorbereitet. Lyotard sieht die Fragmentierung des Wissens als wesentlich für den Kampf gegen die Herrschaft an, was den notwendigen Überblick verwehrt, um zu sehen, dass die Isolation, die das fragmentierte Wissen darstellt, im Gegenteil die soziale Bestimmung und den Zweck dieser Isolation vergisst. Die gefeierte „Heterogenität“ ist nicht viel mehr als die zersplitternde Wirkung einer übermächtigen Totalität, die er lieber ignorieren würde. Nirgendwo wird die Kritik mehr verworfen als in Lyotards postmodernem Positivismus, der auf der Akzeptanz einer technischen Rationalität beruht, die auf Kritik verzichtet. Es überrascht nicht, dass Lyotard im Zeitalter der Zersetzung von Bedeutung und des Verzichts auf den Blick auf das, was das Ensemble der bloßen „Fakten“ wirklich ausmacht, die Computerisierung der Gesellschaft begrüßt. Ähnlich wie der Nietzscheaner Foucault glaubt Lyotard, dass die Macht mehr und mehr zum Kriterium der Wahrheit wird. Er findet seinen Gefährten in dem postmodernen Pragmatiker Richard Rorty, der ebenfalls die moderne Technologie begrüßt und den hegemonialen Werten der heutigen Industriegesellschaft tief verbunden ist.

1985 organisierte Lyotard eine spektakuläre Hightech-Ausstellung im Pariser Centre Pompidou, in der die künstlichen Realitäten und Mikrocomputerarbeiten von Künstlern wie Myron Krueger gezeigt wurden. Bei der Eröffnung erklärten die Verantwortlichen: „Wir wollten darauf hinweisen, dass sich die Welt nicht in Richtung größerer Klarheit und Einfachheit entwickelt, sondern in Richtung eines neuen Grades an Komplexität, in dem sich der Einzelne zwar sehr verloren fühlen mag, in dem er aber tatsächlich freier werden kann.“ Offensichtlich sind Übersichten erlaubt, wenn sie mit den Plänen unserer Meister für uns und für die Natur übereinstimmen. Aber der spezifischere Punkt liegt in der „Immaterialität“, dem Titel der Ausstellung und einem Begriff von Lyotard, den er mit der Erosion der Identität, dem Zerfall der stabilen Barrieren zwischen dem Selbst und einer Welt, die durch unsere Einbindung in labyrinthische technologische und soziale Systeme entsteht, in Verbindung bringt. Es versteht sich von selbst, dass er diesen Zustand gutheißt und beispielsweise das „pluralisierende“ Potenzial der neuen Kommunikationstechnologien feiert – einer Technologie, die das Leben ent-sinnlicht, die Erfahrung verflacht und die natürliche Welt auslöscht. Lyotard schreibt: „Alle Menschen haben ein Recht auf Wissenschaft“, als hätte er auch nur die geringste Ahnung, was Wissenschaft bedeutet. Er schreibt den „freien Zugang der Öffentlichkeit zu den Speichern und Datenbanken“ vor. Eine entsetzliche Sicht der Befreiung, die ein wenig eingefangen wird durch: „Datenbanken sind die Enzyklopädie von morgen; sie sind die ‚Natur‘ für postmoderne Männer und Frauen.“

Frank Lentricchia bezeichnete Derridas dekonstruktivistisches Projekt als „eine elegante, gebieterische Übersicht, die in der Philosophiegeschichte nur von Hegel übertroffen wird.“ Es ist eine offensichtliche Ironie, dass die Postmodernisten eine allgemeine Theorie benötigen, um ihre Behauptung zu untermauern, warum es keine allgemeinen Theorien oder Metanarrative geben kann und soll. Sartre, die Gestalttheoretiker und der gesunde Menschenverstand sagen uns, dass das, was pm als „totalisierende Vernunft“ abtut, in Wirklichkeit der Wahrnehmung selbst inhärent ist: Man sieht in der Regel ein Ganzes und keine diskreten Fragmente. Eine weitere Ironie liegt in Charles Altieris Beobachtung über Lyotard, „dass dieser Denker, der sich der Gefahren von Meistererzählungen so sehr bewusst ist, dennoch der Autorität der verallgemeinerten Abstraktion völlig verpflichtet bleibt.“ Pm verkündet eine anti-generalistische Tendenz, aber seine Vertreter, Lyotard vielleicht ganz besonders, behalten ein sehr hohes Abstraktionsniveau bei, wenn sie über Kultur, Modernität und andere derartige Themen diskutieren, die natürlich bereits große Verallgemeinerungen sind.

„Eine befreite Menschheit“, schrieb Adorno, „wäre keineswegs eine Totalität“. Nichtsdestotrotz haben wir es gegenwärtig mit einer sozialen Welt zu tun, die eine ist und die sich mit aller Rache totalisiert. Die Postmoderne mit ihrer gefeierten Fragmentierung und Heterogenität mag sich dafür entscheiden, die Totalität zu vergessen, aber die Totalität wird uns nicht vergessen.

Deleuze, Guattari und Baudrillard

Die „Schizo-Politik“ von Gilles Deleuze ergibt sich zumindest teilweise aus der vorherrschenden Verweigerung eines Überblicks, eines Ausgangspunkts. Die auch als „Nomadologie“ bezeichnete Methode von Deleuze, die sich des „rhizomatischen Schreibens“ bedient, setzt sich für die Deterritorialisierung und Entschlüsselung von Herrschaftsstrukturen ein, durch die sich der Kapitalismus durch seine eigene Dynamik selbst ablöst. Mit seinem zeitweiligen Partner Felix Guattari, mit dem er eine Spezialisierung auf die Psychoanalyse teilt, hofft er, die schizophrene Tendenz des Systems bis zur Erschütterung verschärft zu sehen. Deleuze scheint die absurdistische Überzeugung von Yoshimoto Takai, dass der Konsum eine neue Form des Widerstands darstellt, zu teilen oder ihr zumindest sehr nahe zu kommen.

Diese Art der Verleugnung der Totalität durch die radikale Strategie, sie dazu zu bringen, sich ihrer selbst zu entledigen, erinnert auch an den ohnmächtigen pm-Stil der gegensätzlichen Repräsentation: Bedeutungen dringen nicht zu einem Zentrum vor, sie repräsentieren nicht etwas, das außerhalb ihrer Reichweite liegt. „Denken ohne zu repräsentieren“, so beschreibt Charles Scott den Ansatz von Deleuze. Die Schizo-Politik zelebriert Oberflächen und Diskontinuitäten; die Nomadologie ist das Gegenteil von Geschichte.

Deleuze verkörpert auch das postmoderne Thema des „Todes des Subjekts“, in seinem und Guattaris bekanntestem Werk, Anti-Ödipus, und in der Folge. Die „Wunschmaschinen“, die durch die Kopplung menschlicher und nicht-menschlicher Teile ohne Unterscheidung zwischen ihnen entstehen, versuchen, den Menschen als Mittelpunkt seiner Gesellschaftstheorie zu ersetzen. Der Illusion eines individuellen Subjekts in der Gesellschaft stellt Deleuze ein Subjekt entgegen, das nicht einmal mehr als anthropozentrisch erkennbar ist. Man kann sich trotz seiner vermeintlich radikalen Intention des Eindrucks nicht erwehren, dass er sich der Entfremdung hingibt, ja sich in Entfremdung und Dekadenz suhlt.

In den frühen 70er Jahren legte Jean Baudrillard in seinem Le miroir de la production (Spiegel der Produktion) (1972) die bourgeoisen Grundlagen des Marxismus offen, insbesondere seine Verehrung von Produktion und Arbeit. Dieser Beitrag beschleunigte den Niedergang des Marxismus und der Kommunistischen Partei in Frankreich, die nach der reaktionären Rolle, die die Linke bei den Umwälzungen des Mai ’68 gespielt hatte, bereits in Schieflage geraten war. Seitdem ist Baudrillard jedoch zu einem Vertreter der dunkelsten Tendenzen der Postmoderne geworden und hat sich vor allem in Amerika zu einem Popstar für die Ultraverdrossenen entwickelt, der für seine völlig desillusionierten Ansichten über die heutige Welt berühmt ist. Abgesehen von der unglücklichen Resonanz zwischen der fast halluzinatorischen Morbidität Baudrillards und einer in Auflösung begriffenen Kultur ist es auch wahr, dass er (zusammen mit Lyotard) durch den Raum, den er nach dem Ableben relativ tiefgründiger Denker wie Barthes und Foucault in den 80er Jahren ausfüllen sollte, vergrößert worden ist.

Derridas dekonstruktive Beschreibung der Unmöglichkeit eines Referenten außerhalb der Repräsentation wird für Baudrillard zu einer negativen Metaphysik, in der die Realität durch den Kapitalismus in Simulationen verwandelt wird, die keinen Rückhalt haben. Die Kultur des Kapitals wird als über ihre Risse und Widersprüche hinausgehend betrachtet, bis hin zu einem Ort der Selbstgenügsamkeit, der sich wie eine eher science-fictionhafte Darstellung von Adornos total administrierter Gesellschaft liest. Und es kann keinen Widerstand, kein „Zurück“ geben, zum Teil deshalb, weil die Alternative jene Nostalgie nach dem Natürlichen, nach den Ursprüngen wäre, die von der Postmoderne so vehement ausgeschlossen wird.

„Das Reale ist das, wovon man eine gleichwertige Reproduktion geben kann. Die Natur ist so weit hinter sich gelassen worden, dass die Kultur die Materialität bestimmt, genauer gesagt, die mediale Simulation die Realität prägt.“ „Das Simulakrum (A.d.Ü., Scheinbild) ist niemals das, was die Wahrheit verbirgt – es ist die Wahrheit, die verbirgt, dass es keine gibt. Das Simulakrum ist wahr.“ Debords „Gesellschaft des Spektakels“ – aber in einem Stadium der Implosion des Selbst, des Handelns und der Geschichte in die Leere der Simulationen, so dass das Spektakel nur noch sich selbst dient.

Es liegt auf der Hand, dass in unserem „Informationszeitalter“ die elektronischen Medientechnologien immer dominanter geworden sind, aber die Übertreibung von Baudrillards dunkler Vision ist ebenso offensichtlich. Die Betonung der Macht der Bilder darf nicht die zugrundeliegenden materiellen Determinanten und Ziele, nämlich Profit und Expansion, verschleiern. Die Behauptung, dass die Macht der Medien heute bedeutet, dass das Reale nicht mehr existiert, ist mit seiner Behauptung verwandt, dass die Macht „nirgendwo mehr zu finden ist“; und beide Behauptungen sind falsch. Die berauschende Rhetorik kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die wesentlichen Informationen des Informationszeitalters mit den harten Realitäten von Effizienz, Buchhaltung, Produktivität und dergleichen befassen. Die Produktion ist nicht durch die Simulation ersetzt worden, es sei denn, man kann sagen, dass der Planet durch bloße Bilder verwüstet wird, was nicht heißen soll, dass eine fortschreitende Akzeptanz des Künstlichen die Erosion dessen, was vom Natürlichen übrig geblieben ist, nicht erheblich unterstützt.

Baudrillard behauptet, dass der Unterschied zwischen Realität und Repräsentation zusammengebrochen ist und uns in einer „Hyperrealität“ zurücklässt, die immer und nur ein Simulakrum ist. Seltsamerweise scheint er die Unvermeidbarkeit dieser Entwicklung nicht nur anzuerkennen, sondern sie sogar zu feiern. Das Kulturelle im weitesten Sinne hat ein qualitativ neues Stadium erreicht, in dem der eigentliche Bereich der Bedeutung und der Signifikation verschwunden ist. Wir leben im „Zeitalter der folgenlosen Ereignisse“, in dem das „Reale“ nur noch als formale Kategorie überlebt, und das, so meint er, wird begrüßt. „Warum sollten wir denken, dass die Menschen ihr tägliches Leben verleugnen wollen, um nach einer Alternative zu suchen? Im Gegenteil, sie wollen daraus ein Schicksal machen … die Monotonie durch eine noch größere Monotonie ratifizieren.“ Wenn es einen „Widerstand“ geben sollte, dann ist sein Rezept dafür ähnlich wie das von Deleuze, der die Gesellschaft zu mehr Schizophrenie anregen würde. Das heißt, er besteht ganz und gar in dem, was das System gewährt: „Ihr wollt, dass wir konsumieren – o.k., lasst uns immer mehr konsumieren, und zwar alles Mögliche; zu jedem sinnlosen und absurden Zweck.“ Das ist die radikale Strategie, die er „Hyperkonformität“ nennt.

An vielen Stellen lässt sich nur erahnen, auf welche Phänomene sich Baudrillards Übertreibung bezieht, wenn überhaupt. Die Bewegung der Konsumgesellschaft in Richtung Uniformität und Zerstreuung wird vielleicht an einer Stelle angedeutet… aber warum sollte man sich die Mühe machen, wenn die Behauptungen nur allzu oft kosmisch überhöht und lächerlich erscheinen. Dieser extremste Theoretiker der Postmoderne, der inzwischen selbst zu einem der meistverkauften Kulturgüter geworden ist, hat von der „unheilvollen Leere des gesamten Diskurses“ gesprochen, anscheinend ohne zu wissen, dass er damit auf seine eigene Leere verweist.

Japan mag nicht als „Hyperrealität“ gelten, aber es ist erwähnenswert, dass seine Kultur noch entfremdeter und postmoderner zu sein scheint als die der USA. Nach dem Urteil von Masao Miyoshi „sind die Auflösung und der Untergang der modernen Subjektivität, von denen Barthes, Foucault und viele andere sprechen, in Japan schon seit langem zu beobachten, wo die Intellektuellen chronisch über die Abwesenheit des Selbst beklagen“. Eine Flut von weitgehend spezialisierten Informationen, die von Experten aller Art bereitgestellt werden, unterstreicht das japanische High-Tech-Konsumethos, in dem die Unbestimmtheit der Bedeutung und eine hohe Wertschätzung der ständigen Neuheit Hand in Hand gehen. Yoshimoto Takai ist vielleicht der produktivste Kulturkritiker des Landes; irgendwie erscheint es vielen nicht seltsam, dass er auch ein männliches Fotomodell ist, das die Tugenden und Werte des Einkaufens preist.

Yasuo Tanakas äußerst populäres Somehow, Crystal (1980) war wohl das japanische Kulturphänomen der 80er Jahre, denn dieser leere, unverschämt konsumorientierte Roman, der von Markennamen nur so strotzt (ähnlich wie Bret Easton Ellis‘ American Psycho von 1991), dominierte das Jahrzehnt. Doch mehr noch als die Oberflächlichkeit ist es der Zynismus, der den vollen Anbruch der Postmoderne in Japan zu kennzeichnen scheint: Wie sonst ist es zu erklären, dass die prägnantesten Analysen von der pm – Now is the Meta-Mass Age, zum Beispiel – von der Parco Corporation, dem trendigsten Marketing- und Einzelhandelsunternehmen des Landes, veröffentlicht werden. Shigesatu Itoi ist ein Top-Medienstar mit einer eigenen Fernsehsendung, zahlreichen Veröffentlichungen und ständigen Auftritten in Zeitschriften. Die Grundlage für den Ruhm dieses Idols? Ganz einfach, weil er eine Reihe von hochmodernen (auffälligen, fragmentierten usw.) Werbespots für Seibu, Japans größte und innovativste Kaufhauskette, geschrieben hat. Wo der Kapitalismus in seiner fortschrittlichsten, postmodernen Form existiert, wird Wissen genauso konsumiert, wie man Kleidung kauft. „Bedeutung“ ist passé, irrelevant; Stil und Aussehen sind alles.

Wir sind schnell an einem traurigen und leeren Ort angelangt, den der Geist der Postmoderne nur zu gut verkörpert. „Niemals zuvor in einer Zivilisation schienen die großen metaphysischen Fragen, die grundlegenden Fragen nach dem Sein und dem Sinn des Lebens, so weit entfernt und sinnlos“, urteilt Frederic Jameson. Peter Sloterdijk stellt fest, dass „die Unzufriedenheit in der Kultur eine neue Qualität angenommen hat: Sie erscheint als universeller, diffuser Zynismus“. Die Erosion des Sinns, vorangetrieben durch verstärkte Verdinglichung und Fragmentierung, lässt den Zyniker überall auftauchen. Psychologisch „ein Borderline-Melancholiker“, ist er nun „eine Massenfigur“.

Die postmoderne Kapitulation vor Perspektivismus und Dekadenz neigt dazu, die Gegenwart nicht als entfremdet zu betrachten – sicherlich ein altmodisches Konzept -, sondern eher als normal und sogar angenehm. Robert Rauschenberg: „Leute, die Dinge wie Seifenschalen, Spiegel oder Colaflaschen hässlich finden, tun mir wirklich leid, denn sie sind den ganzen Tag von solchen Dingen umgeben, und das muss sie unglücklich machen.“ Nicht nur, dass „alles Kultur ist“, die Kultur der Ware, ist beleidigend; es ist auch die Bestätigung dessen, was ist, durch die Weigerung, qualitative Unterscheidungen und Urteile zu treffen. Wenn die Postmoderne uns zumindest den Gefallen tut, unbewusst die Zersetzung und sogar die Verderbtheit einer kulturellen Welt zu registrieren, die die gegenwärtige erschreckende Verarmung des Lebens begleitet und unterstützt, dann ist das vielleicht ihr einziger „Beitrag“.

Wir sind uns alle der Möglichkeit bewusst, dass wir bis zu ihrer und unserer Selbstzerstörung eine Welt ertragen müssen, die auf fatale Weise unscharf ist. „Offensichtlich löst sich die Kultur nicht auf, nur weil die Menschen entfremdet sind“, schrieb John Murphy und fügte hinzu: „Es muss jedoch eine seltsame Art von Gesellschaft erfunden werden, damit die Entfremdung als normativ angesehen wird.“

Wo bleiben unterdessen Vitalität, Verweigerung, die Möglichkeit, eine nicht verstümmelte Welt zu schaffen? Barthes proklamierte einen nietzscheanischen „Hedonismus des Diskurses“; Lyotard riet: „Lasst uns Heiden sein.“ Welch wilde Barbaren! Natürlich ist ihr wirkliches Material leer und entmutigt, eine durch und durch relativierte akademische Sterilität. Die Postmoderne lässt uns hoffnungslos in einem unendlichen Einkaufszentrum zurück, ohne lebendige Kritik, nirgendwo.


1A.d.Ü., auf Englisch bedeutet subject „Subjekt“ aber auch „Untertan“.

2A.d.Ü., Différance stammt aus dem französischen Verb différer, was gleichzeitig bedeutet was zu zurückstellen/verschrieben und auch anders sein. Es handelt sich hier um einen Neologismus von Derrida. Auf Französisch Unterschied ist différence.

3A.d.Ü., Phonozentrismus ist der Glaube, dass Laute und Sprache der geschriebenen Sprache von Natur aus überlegen oder primärer sind als sie.

4A.d.Ü., Die explication de texte, oft auch als explication française bezeichnet, ist eine Methode zur Analyse literarischer Texte.

5A.d.Ü., zur Ware werdend, Verdinglichung.

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