Kritik (und Auseinandersetzung) an der Selbstverwaltung – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org Für die Anarchie! Knäste, Staat, Patriarchat und Kapital abschaffen! Sat, 13 Jul 2024 10:47:24 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://panopticon.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1233/2020/02/cropped-discharge-degenerik-blog-1-32x32.jpg Kritik (und Auseinandersetzung) an der Selbstverwaltung – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org 32 32 LIP UND DIE SELBSTVERWALTETE KONTERREVOLUTION https://panopticon.blackblogs.org/2024/06/21/lip-und-die-selbstverwaltete-konterrevolution/ Fri, 21 Jun 2024 15:38:55 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5895 Continue reading ]]>

Wir haben für die Übersetzung die englische Version genommen, die hier auf libcom zu finden ist, wir haben aber auch sowohl die spanische Übersetzung und das Original zum Vergleichen verwendet.

Der folgende Text setzt sich mit der Besetzung und in Wiederbetriebsaufnahme des Unternehmens LIP in Form der Selbstverwaltung auseinander und zeigt auf alle Widersprüche und Grenzen solcher Unternehmungen im Kapitalismus. Ein historischer Dokument, weitere Texte die sich mit dieser Thematik beschäftigen werden folgen.


LIP UND DIE SELBSTVERWALTETE KONTERREVOLUTION
aus Negation, Nr. 3 1973

VERÖFFENTLICHUNGSHINWEISE

Dies ist eine Übersetzung von „Lip et la contre-révolution auto-gestionnaire“, die erstmals 1973 in der französischen Zeitschrift Négation und offenbar auch als eigenständiges Pamphlet veröffentlicht wurde. Die Übersetzung (A.d.Ü., auf Englisch) wurde von Peter Rachleff und Alan Wallach angefertigt und 1975 als Broschüre bei Black & Red in Detroit veröffentlicht.

Négation war der Nachfolger einer rätekommunistischen Gruppe namens Archinoir, die 1968 in Grenoble gegründet wurde und 1969/70 drei Ausgaben der gleichnamigen Zeitschrift herausgab. Archinoir hatte mit der Gruppe Informations et Correspondances Ouvrières zusammengearbeitet. Négation verließ die ICO im September 1972. négation einleitung: Sie brachte drei Ausgaben ihrer Zeitschrift heraus, bevor sie verschwand.

EINLEITUNG VON NÉGATION

Es ist eine beeindruckende Anzahl von Broschüren und Texten erschienen, die sich mit dem Lip-Konflikt beschäftigen. Diese theoretischen Aktivitäten folgten in der Regel auf praktische oder agitatorische Aktivitäten der Autoren in Bezug auf diesen seit 1968 einzigartigen Konflikt.

Die Verfasser dieses Pamphlets haben sich nicht an diesen Aktivitäten beteiligt. Sobald der Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter von LIP seine für andere attraktive Form annahm, wurde uns klar, dass dieser Kampf – in seinem Inhalt – nicht der unsere war; daher blieb die Kritik, die wir damals äußerten, auf seine unmittelbaren Aspekte bezogen und wir sahen uns nicht gezwungen, sie zu veröffentlichen.

Mit der Entwicklung des Konflikts zogen einige von uns eine kurze Veröffentlichung in Betracht, die sich auf die inneren Grenzen dieses Kampfes der Arbeiterinnen und Arbeiter konzentrieren und ihn mit den derzeit unter den Arbeiterinnen und Arbeitern vorherrschenden Formen des Widerstands (Absentismus, Sabotage usw.) kontrastieren sollte.

Da sich die Zusammenarbeit, die diese Gefährten und Gefährtinnen zu diesem Zweck mit anderen begannen, als unmöglich erwies, trafen wir uns erneut, um ihren ursprünglichen Text so umzugestalten, dass wir zu einer fortschrittlichen Reflexion gelangten. Tatsächlich wurde uns immer klarer, dass „LIP“ nicht nur einen Kampf darstellte, in dem wir keine unserer Bestrebungen für eine menschliche Gesellschaft erkannten, sondern dass dieser Kampf gleichzeitig ein besonderer Ausdruck der gegenwärtigen kapitalistischen Bewegung und eine Art Vorwegnahme der Entstehung unseres Feindes war: der kapitalistischen Konterrevolution. Es ist daher nicht überraschend, dass dieser Text dicht ist, denn es war notwendig, die Kritik des Lip-Konflikts mit einer langen Analyse der Arbeiterinnen und Arbeiter und der kapitalistischen Bewegung einzuleiten, wenn auch notwendigerweise in gekürzter Form. Es ist auch nicht überraschend, dass er über eine einfache Kritik hinausging, indem er eine Analyse der selbstverwalteten Konterrevolution einleitete.

Dieser letzte Punkt wird später präzisiert und durch verschiedene Texte und vielleicht durch eine Veröffentlichung, die sich speziell mit den revolutionären und konterrevolutionären Bewegungen befasst, weiterentwickelt.

NACHWORT DES ÜBERSETZERS [1975]

Wir haben die Übersetzung dieses Textes in Angriff genommen, weil wir ihn für eine der anregendsten Analysen eines Themas hielten, die uns seit langer Zeit begegnet sind. Obwohl wir nicht mit allen Aspekten der Analyse einverstanden waren, hatten wir das Gefühl, dass wir bei der Auseinandersetzung mit dem Text sehr viel gewonnen haben. Wir haben die Broschüre in der Hoffnung übersetzt, dass auch du von der Auseinandersetzung mit ihr profitieren wirst. Wir ermutigen euch, eure Reaktionen darauf untereinander zu diskutieren und sie sowohl uns (c/o Black & Red) als auch den Originalautoren (Nicolas Will, 151 rue de Belleville, 75019 Paris, Frankreich) mitzuteilen. Wir möchten Ron Rothbart und Fredy Perlman unseren besonderen Dank aussprechen. Wir hoffen, dass dieser Text den ständigen Dialog zwischen uns allen fördert, die wir die Welt, in der wir leben, besser verstehen wollen, um sie gemeinsam vollständig zu verändern.

Für weitere Informationen und alternative Standpunkte zum Kampf um die LIP können wir dir die folgende (keineswegs erschöpfende) Bibliographie empfehlen:

„Lip : une brèche dans le mouvement ouvrier traditionnel“, Mise au point, Nr. 2.
„Lip revu et corrigé“, La lanterne noire.
„Lip: The Organization of Defeat“, Internationalism, Nr. 5.
„Lip: c’est bien fini“, Lutte de classe, März 1974.
Peter Rachleff Alan Wallach

Kapitel I

DIE BEWEGUNG DER ARBEITERINNEN UND ARBEITER UND IHR NIEDERGANG

1. Die Enteignung der Enteigner

Die Bewegung der Arbeiterinnen und Arbeiter entstand mit den ersten Entwicklungen des Kapitals. Sie war die Bewegung der Proletarier im Kampf gegen die formale Herrschaft des Kapitals über die Arbeit, die erste historische Form der Herrschaft des Kapitals.

Kennzeichnend für die Funktionsweise dieses Modus ist die Extraktion des absoluten Mehrwerts. Der Arbeitsprozess besteht in erster Linie aus menschlicher Arbeit. Der Inhalt dieser Arbeit ist handwerklich und qualifiziert. In dieser ersten Periode begnügt sich das Kapital damit, die Trennung zwischen den Produktionsmitteln und dem Produzenten herbeizuführen – die notwendige Bedingung für den Tausch von Arbeitskraft gegen Lohn – und den Arbeitsprozess auf die Ebene der Produktion auszudehnen.

Der Proletarier ist also gleichzeitig ein „Proletarier“ (der gezwungen ist, seine Arbeitskraft gegen Lohn zu tauschen, weil er keine sozialen Reserven hat) und ein „Arbeiter“ (der „arbeitet“ oder dessen Gebrauchswert qualitativ wichtig für den Produktionsprozess ist).

Daraus ergibt sich der ursprüngliche Inhalt der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung: einerseits der Kampf für die Verkürzung der Arbeitszeit, da die Extraktion des absoluten Mehrwerts eine Verlängerung des Arbeitstages impliziert, und die Schaffung von Organen zur Verteidigung des Preises der Arbeitskraft (Handwerks- und später Industriegewerkschaften).

Auf der anderen Seite bestimmt die Bewahrung des vorkapitalistischen Inhalts des Arbeitsprozesses im Proletarier ein Produzentenbewusstsein, das dadurch verstärkt wird, dass der Kapitalist ihm gegenüber als fauler Parasit erscheint. Da er „als Handwerker“ arbeitet, aber für die Kapitalakkumulation und unter der Leitung eines Kapitalisten, zielt der Kampf des proletarischen Produzenten auch auf die Wiederaneignung der Produktionsmittel, „die Enteignung der Enteigner“.

Aber wenn der Angriff der Produzenten auf das Eigentum an den Produktionsmitteln im Mittelpunkt der Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts stand und die Frage des Sozialismus sich in der Frage des Eigentums zusammenzufassen schien, dann auch deshalb, weil dieses Eigentum unter dem Deckmantel des Privateigentums sowohl willkürlich als auch schädlich für die Arbeiterinnen und Arbeiter erschien.

Da der vorkapitalistische Arbeitsprozess fortgesetzt wird, ändert der Eintritt des Kapitalisten in das Eigentum nichts an der Produktion selbst, sondern nur an ihrem Umfang. Es scheint, dass der Kapitalist nichts für die Produktion tut, sondern sich damit zufrieden gibt, davon zu leben, während die Arbeiterinnen und Arbeiter alles tun.

Er erscheint damit umso mehr als bloßer Träger eines Eigentumstitels. Die Funktion, die er dennoch übernommen hat, nämlich die Organisation des Verkaufs von Produkten und des Kaufs von Rohstoffen und Arbeitskraft, bleibt relativ einfach, so dass ihre Übernahme durch die Assoziation der Arbeiterinnen und Arbeiter kein Problem zu sein scheint – weder technisch noch ökonomisch.

In dieser Zeit des allgemeinen Wohlstands des Kapitals und der relativen Unabhängigkeit der Kapitalien voneinander erscheint die Funktion der Verwaltung des Kapitals – die Kontrolle über seine Einfügung in den Zirkulationsprozess (sowohl vor als auch nach der Produktion selbst) und die ebenso notwendige Kontrolle über seine Reproduktion – weniger als eine separate Funktion, die eine Entschädigung verdient, sondern als ein Privileg, das mit dem Eigentum an Kapital und Produkt verbunden ist. Selbst zur Zeit der Charta von Amiens (1906), in der es heißt, dass „die Gewerkschaft, die heute eine Organisation des Widerstands ist, morgen die Organisation der Produktion und des Vertriebs, die Grundlage der gesellschaftlichen Neuordnung sein wird“, war die Frage der Verwaltung des Kapitals noch nicht als solche gestellt worden.

Das persönliche Eigentum an den Produktionsmitteln ist willkürlich und außerdem schädlich für die Produzenten. Denn die schwache Vereinheitlichung des kapitalistischen Prozesses auf gesellschaftlicher Ebene lässt dem Eigentümer einen großen Spielraum für soziale Verantwortungslosigkeit. Das Unternehmen, das er besitzt, ist noch klein und befindet sich auf einem begrenzten Markt. Wenn er es für notwendig oder nützlich hält, kann er es schließen, ohne großes Aufsehen zu erregen. Die anderen Kapitalisten (abgesehen von den Gläubigern) werden sein Verschwinden wohlwollend oder gleichgültig betrachten, je nachdem, wie sich die Märkte aufteilen. Die Arbeiterinnen und Arbeiter, die aus demselben Grund ebenfalls isoliert sind, können durch ihre Reaktion andere Sektoren nicht gefährden. Darüber hinaus ermöglicht das Fortbestehen anderer Produktionsweisen innerhalb der Gesellschaft – und das ist ein wichtiges Merkmal der rein formalen Herrschaft des Kapitals – zumindest einem Teil der entlassenen Arbeiterinnen und Arbeiter, auf andere Weise zu überleben, oft durch die Rückkehr in die handwerkliche Produktion oder die Landwirtschaft. Die anderen verstärken die Reservearmee, die in den Städten wächst.

Diese drei Merkmale (das Bewusstsein der Arbeiterinnen und Arbeiter, ein Produzent zu sein, aufgrund der Aufrechterhaltung des früheren Arbeitsprozesses; die scheinbare Willkür des Eigentums, bei der sich die Frage der Verwaltung nicht stellt; schließlich die soziale Verantwortungslosigkeit, die mit dem persönlichen Eigentum verbunden ist) erklären, warum die praktische Form, die die Arbeiterbewegung des 19. Jahrhunderts annahm, die der Produktionsgenossenschaften war. Jenseits der defensiven Gewerkschaften/Syndikate und nach der Abkehr von der Utopie einer Rückkehr zu kleinteiligem Individuumseigentum bleibt eine Idee bestehen. Es ist die Idee – die später von den Gewerkschaften/Syndikaten (Anarchosyndikalismus) aufgegriffen wurde – dass die Arbeiterinnen und Arbeiter gleichzeitig Assoziation und Eigentümer ihrer gemeinsamen Produktionsmittel sein können. Wie der nicht-produzierende Eigentümer übernehmen sie dadurch die Rolle des Verwalters, oder sie verkaufen und teilen das „ganze Produkt“ ihrer Arbeit unter sich auf (die Parole von Proudhon bis zum Gothaer Sozialdemokratischen Programm), je nach dem Bewusstsein der Epoche.

Im Gegensatz zum kapitalistischen Eigentümer ist der kollektive Produzent-Eigentümer (der sich einem variablen Kapital gegenübersieht, das nur er selbst ist) außerdem sozial verantwortlich für den Fortbestand und das reibungslose Funktionieren des Unternehmens. „. . . [d]er Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit wird in [den genossenschaftlichen Fabriken] überwunden, wenn auch zunächst nur dadurch, dass die assoziierten Arbeiter zu ihrem eigenen Kapitalisten gemacht werden, d.h. dass sie in die Lage versetzt werden, die Produktionsmittel für die Beschäftigung ihrer eigenen Arbeit zu nutzen.“1

2. Tote Arbeit

Die kapitalistische Expansion und Konzentration am Ende des 19. Jahrhunderts, der Krieg von 1914-1918 und die darauf folgende revolutionäre Periode markierten einen wichtigen Wendepunkt in der Geschichte der Arbeiterinnen und Arbeiter. Diese Periode ist der Beginn des schmerzhaften Übergangs zur wirklichen Herrschaft des Kapitals über die Arbeit, der erst nach zwei Weltkriegen und der großen Depression der 30er Jahre abgeschlossen wurde.

In dieser zweiten historischen Phase des Kapitals wird der Produktionsprozess spezifisch kapitalistisch. Er basiert auf der Extraktion des relativen Mehrwerts durch die ständige Steigerung der Produktivität aufgrund der Perfektionierung der Techniken, der Entwicklung der Produktivkräfte und ihrer zunehmenden Vergesellschaftung. Die Gewinnung von Mehrwert hängt vor allem von diesen Prozessen ab, die den Preis der Waren senken, um den in ihnen enthaltenen Mehrwert zu erhöhen, indem die notwendige Arbeitszeit verringert wird. Der Anteil der menschlichen Arbeit am Produktionsprozess sinkt nun im Vergleich zur toten Arbeit; die „Arbeiterinnen und Arbeiter“ verschwinden und nur der „Proletarier“ bleibt übrig. Der Gebrauchswert der Ware Arbeitskraft verliert seine Bestimmtheit und hängt nur noch von der mehr oder weniger großen Menge an Mehrwertarbeit ab, die mit ihr produziert werden kann. Dies ist die Epoche der „wissenschaftlichen Organisation der Arbeit“ und des Auftretens des „Ouvrier specialize‘ ‚ (‘spezialisierter Arbeiter“). Der Begriff „spezialisierter Arbeiter“ ist nur ein Euphemismus, um zu verdeutlichen, dass die „Arbeit“ dieser Arbeiterinnen und Arbeiter von jeglicher Qualität befreit wurde. Ihre Arbeit erfordert keine Ausbildung, keine Lehre. Die Arbeitskraft wird dann logischerweise absolut austauschbar, denn das Einzige, was zählt, ist die Fähigkeit, Arbeitszeit aufzuwenden. Alle Fähigkeiten stecken jetzt in der Maschine, und die „spezialisierten Arbeiterinnen und Arbeiter“ sind gute oder schlechte Arbeiterinnen und Arbeiter, je nachdem, ob sie pünktlich an ihrem Arbeitsplatz erscheinen oder nicht.

Die zunehmend abstrakte Beziehung der Arbeiterinnen und Arbeiter zum Arbeitsprozess lässt das gesamte „Produzentenbewusstsein“ verschwinden. Das zeigt sich deutlich in den aktuellen Ausbrüchen von Absentismus, Sabotage und hoher Fluktuation. Sicherlich sind diese Formen des Kampfes nicht neu und haben auch die sogenannten „traditionellen“ Lohnkämpfe nicht ersetzt. Aber wie viele andere Phänomene erhalten sie in unserer Epoche ihre volle Bedeutung, indem sie sowohl die untergeordnete Rolle des Menschen im eigentlichen Arbeitsprozess als auch seine entscheidende Position für das Kapital reflektieren. Die Zunahme der organischen Zusammensetzung des Kapitals zeigt nicht nur die Dequalifizierung der Arbeit und die Austauschbarkeit der Arbeiterinnen und Arbeiter, sondern auch den Druck, den dies auf die Gewinne ausübt. Dadurch wird eine Beschleunigung erzwungen, die den Menschen auf das Niveau einer zusätzlichen, aber entscheidenden Maschine für die kapitalistische Produktionsweise reduziert. Aus der Sicht der Arbeiterinnen und Arbeiter sind diese Formen des Kampfes also menschliche Reaktionen, elementar angesichts einer Produktionsweise, die nur überleben kann, indem sie diejenigen, von denen sie lebt, ständig verleugnet. Der entscheidende Unterschied zu der Epoche, in der Pouget Sabotage als Druckmittel gegen den Chef befürwortete, ohne durch Streiks Lohneinbußen hinnehmen zu müssen, ist, dass diese Reaktionen nicht mehr durch eine einfache Lohnerhöhung neutralisiert werden können. Es ist sogar notwendig geworden, die „Arbeitsbereicherung“ zu erfinden, um zu versuchen, die unumkehrbare Tatsache wegzuzaubern, dass das Proletariat heute nicht mehr die Klasse der Arbeit ist.

Schon aus diesem Grund kann der Kampf des Proletariats nicht mehr der Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter sein, weder in seinen Zielen noch in seinen Mitteln. Es geht nicht mehr darum, dass die assoziierten Proletarier ihr eigener Kapitalist werden, sondern darum, die kapitalistische Form selbst, das Unternehmen, zusammen mit der Lohnarbeit und dem Markt zu zerstören.

3. Das variable Kapital und die Gewerkschaften/Syndikate

a) Die CGT und die Entwertung

In der Zeit, in der das Kapital die tatsächliche Herrschaft über die Arbeit und die Gesamtheit der sozialen Beziehungen erlangt, wird auch der zutiefst widersprüchliche Charakter des Kapitals deutlich.

Die Zunahme der organischen Zusammensetzung des Kapitals, die eine unmittelbare Steigerung der Unternehmensgewinne ermöglicht, führt schnell zu einem Rückgang der Profitrate im gesellschaftlichen Maßstab: Das Wachstum der Masse des Profits, das durch das Wachstum des investierten Kapitals bewirkt wird, ist mit der relativen Zunahme des konstanten Kapitals verbunden, da es dem Kapital durch seine überlegene Produktivität gelingt, seine Konkurrenten zu absorbieren. Kurz gesagt, der Prozess der Verwertung2 kann heute nur durch den Prozess der Entwertung erfolgen; der Kapitalist, dem nichts anderes als der Tauschwert am Herzen liegt, ist unablässig bestrebt, diesen zu senken.

Dieser Widerspruch beinhaltet einen weiteren: Das Wertgesetz, die Produktionsverhältnisse, stehen der Entwicklung der Produktivkräfte zunehmend entgegen und setzen immer mehr totale Krisen in Gang, wie die, in die wir heute geraten.

Als Folge der zunehmenden Entwertung wird das traditionelle System des Privateigentums an den Produktionsmitteln in Frage gestellt, was sich am deutlichsten in Verstaatlichungen zeigt. Im Grunde genommen besteht die Verstaatlichung darin, dass dem Staat ein Kapital anvertraut wird. Da sich der Staat mit weniger Profit zufrieden gibt, wird der Anteil der anderen Kapitale an der Verteilung des gesamten Mehrwerts erhöht, und so geht alles weiter, „als ob“ das verstaatlichte Kapital weniger wert wäre, da es weniger Mehrwert erwirtschaftet.

Verstaatlichungen sind jedoch nur ein Extremfall der Vergesellschaftung von Kapital, die mit der Entwertung einhergeht. Im Allgemeinen verliert das Unternehmenskapital seine Unabhängigkeit, wenn es, um die Senkung der Profitrate durch die Vergrößerung seiner Masse zu kompensieren, notwendig wird, das Individuum so zu vergrößern, dass immobiles Eigentum, Finanzkapital und das Unternehmenskapital in verschiedene Hände übergehen. Die Gründung von Kapitalgesellschaften durch den Verkauf von Aktien ist der erste Schritt in diesem Prozess. Zu dem vom Unternehmen selbst akkumulierten Kapital kommt ein Kapital externen Ursprungs hinzu, das nur Anspruch auf Zinsen erhebt und somit nicht in den Ausgleich der Profitrate einfließt. Dieses Kapital wird schnell fiktiv, sobald die Einnahmen auf der Grundlage eines Zinssatzes „kapitalisiert“ werden.

Der nächste Akt im Prozess der Vergesellschaftung des Kapitals ist sogar noch direkter mit der Entwertung verbunden. Wenn die Gewinne zu gering geworden sind und der Appell an das Kapital der Aktionäre nicht mehr für die erweiterte Reproduktion des Kapitals ausreicht, wird es notwendig, langfristige Kredite zu suchen. Auf einer allgemeinen Ebene gibt das Kapital selbst vor, seine Widersprüche durch seine „Umwandlung“ in Fiktion zu überwinden.3

Entwertung bedeutet also, dass das Finanzkapital die Kontrolle über die gesamte Ökonomie übernimmt. Das Finanzkapital, das selbst hochkonzentriert ist, spielt die Rolle des „allgemeinen Kapitalisten“ auf dieselbe Weise wie der Staat, wenn es die am stärksten entwerteten Sektoren direkt in die Hand nimmt, aber noch totaler, da der Kredit zum Dreh- und Angelpunkt der Produktion in allen Sektoren wird. Das Bankensystem ist außerdem sehr eng mit dem Staat verbunden, der es entsprechend seiner Natur unterstützt und „kontrolliert“.

Im Rahmen der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung zerfallen die Genossenschaften (Firmen, die von Anfang an schwach an konstantem Kapital sind und deren Expansion sich auf ihre Selbstfinanzierung beschränkt) dann genauso wie alle Firmen mit ähnlicher organischer Zusammensetzung. Eine große Zahl von Genossenschaften für Arbeiterinnen und Arbeiter entsteht in Zeiten, in denen es aufgrund einer strukturellen oder konjunkturellen Desorganisation des Austauschs möglich ist, in halbhandwerklichen Sektoren (z. B. Druckereien) Unternehmen mit einem sehr begrenzten konstanten Kapital und einer anständig bezahlten qualifizierten Arbeitskraft zu gründen. Diese Perioden waren: 1830-1848 und besonders 1848-18504: dann die Jahre 1919, 1936, 1945, soweit es Frankreich betrifft.

Einige Genossenschaften von Arbeiterinnen und Arbeitern aus der Mitte des 19. Jahrhunderts überlebten über einen langen Zeitraum, wenn auch nicht, ohne ihre Prinzipien zu kompromittieren (zum Beispiel durch die Beschäftigung von Lohnarbeitern, die keine Mitglieder waren). Allerdings haben sie heute keine vergleichbar langlebigen Erben, wenn die Lebensdauer von 75 % solcher Unternehmen nicht mehr als zwei Jahre beträgt.5

Für Marx war auch klar, dass ein System der Kreditfinanzierung für die Entwicklung der Genossenschaften unerlässlich war:

„Ohne das aus der kapitalistischen Produktionsweise entspringende Fabriksystem könnte sich nicht die Kooperativfabrik entwickeln und ebensowenig ohne das aus derselben Produktionsweise entspringende Kreditsystem. Letztres, wie es die Hauptbasis bildet zur allmählichen Verwandlung der kapitalistischen Privatunternehmungen in kapitalistische Aktiengesellschaften, bietet ebensosehr die Mittel zur allmählichen Ausdehnung der Kooperativunternehmungen auf mehr oder minder nationaler Stufenleiter.“6 [6] Außerdem war dies nicht nur die Perspektive von Marx, sondern die der gesamten Arbeiterinnen und Arbeiter des 19. Jahrhunderts. (Anders als Marx sah diese Bewegung darin die Errichtung des Sozialismus.)

Tatsächlich erwies sich die Finanzierung der Genossenschaften durch Kredite als unmöglich. Der Kredit, der sich aus der Zusammenlegung ihrer nicht sofort wieder investierten Gewinne ergab, erwies sich als völlig unzureichend, während ihre Eingliederung in das allgemeine Kreditsystem aufgrund mangelnder kapitalistischer Glaubwürdigkeit unmöglich war.

Diese praktische Unmöglichkeit aufgrund der Entwicklung des Kapitalismus im Allgemeinen in Verbindung mit dem Zusammenbruch des „Produzentenbewusstseins“ unter den Arbeiterinnen und Arbeitern in den meisten wichtigen Sektoren führte zu einer Krise in der Arbeiterbewegung. Dennoch kam es zu einem Umschwung, aber dieser wurde von den Gewerkschaften/Syndikate vollzogen, die zu Föderationen wurden, die das variable Kapital im Rahmen des nationalen Systems vertraten und nicht mehr von einem „revolutionären“ Geist oder dem Ziel der Schaffung von Assoziationen von Produzenten und Eigentümern angetrieben wurden. Der Anarchosyndikalismus starb – oder fast – mit der Genossenschaftsbewegung. Die Gewerkschaften/Syndikate, die in der Phase der absoluten Extraktion des Mehrwerts (Verlängerung des Arbeitstages) einen echten Widerstand gegen das Kapital darstellten, wurden mit dem allgemeinen Übergang zum relativen Mehrwert zu rein kapitalistischen Betrieben integriert.

Der Erste Weltkrieg, der eine kapitalistische Krise überdeckte, markiert eine Spaltung zwischen der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung und dem Syndikalismus/der Gewerkschaftsbewegung, aus der eine Zeit lang die Realität und die Idee der „Autonomie der Arbeiterinnen und Arbeiter“ erwuchs. Die Arbeiterinnen- und Arbeiterräte, die am Ende des Krieges in Deutschland entstanden, waren nicht nur Ausdruck dieser Autonomisierung, die sich aus der Notwendigkeit ergab, dem Angriff des Kapitals auf die Lebensbedingungen der Arbeiterinnen und Arbeiter erneut Widerstand zu leisten, sondern sie sind auch Ausdruck der Tendenz des Proletariats, sich in einer Zeit, in der die Reproduktion des Kapitals blockiert war, als eigene Klasse zu konstituieren.

Die besondere Rolle der Gewerkschaften/Syndikate in ihrer Phase, die man als sozialdemokratisch bezeichnen könnte, erklärt sich aus der Tatsache, dass der Widerspruch Verwertung/Entwertung, der allgegenwärtig wurde, in der Arbeitskraft verkörpert wurde, deren Preis die Gewerkschaft/das Syndikat aushandelt und gleichzeitig kontrolliert. So werden sie nicht nur zu Verwaltern der Arbeitskraft7, sondern auch zu Förderern von Reformen, die die Entwertung bestätigen und in Krisenzeiten die Rolle der nationalen Verwalter des gesamten Kapitals anstreben.

In Phasen, in denen die erweiterte Reproduktion des Kapitals ohne Schwierigkeiten abläuft, tritt der Widerspruch nicht als solcher in Erscheinung, sondern scheint inexistent oder aufgelöst. Doch dann übernimmt die Gewerkschaft/das Syndikat virtuell und „theoretisch“ die Verantwortung für diesen Widerspruch und arbeitet Reformprogramme aus, die zum Standpunkt der Entwertung des Kapitals passen: ein Programm der Verstaatlichung von Sektoren mit niedrigen Profitraten und insbesondere des Kreditsektors. Diese Reformprogramme entfalten jedoch erst dann ihre volle Tragweite und erscheinen plausibel, wenn das Kapital in eine Krise gerät und gezwungen ist, seine Widersprüche zu erkennen, die sich dann sichtbar auf die Existenz der lebendigen Arbeit konzentrieren. Dann wird es für die Gewerkschaft/das Syndikat sofort praktisch, sich dieses Widerspruchs anzunehmen.

Die CGT entstand aus diesen „alten“ Gewerkschaften/Syndikaten in den Industrien, die während der Entwicklung und Konzentration des Kapitalismus am Ende des 19. Jahrhunderts entstanden sind, was den Syndikalismus im Allgemeinen und den Anarchosyndikalismus selbst zu begrenzten Organisationsformen machte.

Dennoch gelang es der CGT, die gleich zu Beginn der Übergangsphase in Frankreich zwischen den beiden Formen der Unterwerfung der Arbeit unter das Kapital gegründet wurde, bei ihrer Gründung einige besonders anarchosyndikalistische Züge zu bewahren (vgl. die Charta von Amiens), die sie jedoch schnell wieder aufgab, als ihre Integration durch den Einsatz für die Sache während des Ersten Weltkriegs vollzogen wurde.

In den Jahren nach dem Krieg hat sich die CGT nahtlos in den expandierenden öffentlichen Sektor eingegliedert (dessen Expansion unmittelbar widersprüchlich ist: gleichzeitig ein Entwertungsfaktor, weil er keine Gewinne abwirft, und als Infrastruktur für eine zur Kapitalisierung neigende Gesellschaft absolut unverzichtbar); die CGT hat sich auch in den privaten Sektoren eingegliedert, die mit den ehemaligen Großindustrien (Eisenbahnen, Bergwerke) verbunden waren, deren Verstaatlichung sie seit Anfang der 1920er Jahre gefordert hat.

Die Krise der 30er Jahre und die daraus resultierende Volksfront von 1936 machten diese Forderungen publik und verbreiteten sie, die in den Verstaatlichungswellen nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Erfüllung fanden: Das Kapital begann seine eigentliche Herrschaft über die französische Gesellschaft.

In der unmittelbaren Nachkriegszeit wurde die CGT mit verschiedenen staatlichen Aufgaben betraut, da mehrere gewerkschaftliche/syndikalistische Bürokraten in Regierungspositionen befördert wurden. Als Konföderation (A.d.Ü., gemeint ist die CGT) grub sie sich ein, indem sie die Verantwortung für den kapitalistischen Widerspruch übernahm, der während des Krieges eine Zeit lang gelöst worden war, und dann für die Verstaatlichungen. Aufgrund ihrer neuen Situation war die CGT in Wirklichkeit am stärksten vom Staat abhängig, der immer tiefer in die gesamte Maschinerie der Ökonomie eindrang. Ihre feudale Beziehung zur PCF,8 die während der tiefen Krise begonnen und bis zum Ende des Krieges endgültig vollzogen wurde, ist die Folge und nicht die Ursache, wie manche behaupten, dieser Verwaltung des Widerspruchs, die in der Umsetzung ihres Programms gipfelte.

Die CGT wird immer unfähiger, Reformen für das Kapital im Herzen der sozialen Bewegungen zu manipulieren. Der Abstieg der PCF in eine Oppositionsrolle, sobald ihre Aufgabe erfüllt ist, bringt diese Gewerkschaft/Syndikat zunehmend dazu, die Forderungen der Arbeiterinnen und Arbeiter direkt auf die Wahlebene zu übertragen, mit der Perspektive, dass die KP wieder an der Spitze des Staates steht.

Der 30. Kongress der CGT im Juni 1955 brachte diese Situation offen zum Ausdruck: „Die Mehrheit (mit überwältigender Mehrheit: 5.334 gegen 17 in der Minderheit) folgt M. Benoit Frachon und beschließt, das 1953 verabschiedete ökonomische Programm, das Strukturreformen und vor allem neue Verstaatlichungen vorsah (ein Programm, das sich auch im ‚gemeinsamen Programm‘ der politischen Linken wiederfindet), aufzuheben, um es durch ein Aktionsprogramm zu ersetzen, das ausschließlich aus Forderungen besteht.“9

Die CGT beschränkt sich meist darauf, die sogenannten „Gefahren“ der Reprivatisierung bestimmter Sektoren wie Regie Renault anzuprangern!

In Krisenzeiten muss die CGT sogar die „am härtesten geführten“ Kämpfe der Arbeiterinnen und Arbeiter „liquidieren“, da dies eine Bedingung für die Glaubwürdigkeit der Linken und insbesondere der KP ist (ohne dabei die Frage zu berücksichtigen, ob sich diese Glaubwürdigkeit heute in der Verwaltung des Staates konkretisieren kann; mit anderen Worten, ob die Konterrevolution von nun an diese Art von Linken braucht. Auf jeden Fall wird man später sehen, dass die Volksfront, wie sie in der letzten Krise auftrat, nicht mehr die geeignetste Form der Konterrevolution in Frankreich ist).

Von nun an ist es die konföderale Position der CGT, die ihre spezifischen Positionen in Konflikten bestimmt, und das führt gelegentlich zu Divergenzen zwischen der Konföderation und dieser oder jener Unternehmenssektion, die sich an Kämpfen beteiligt, die „zu weit gehen“.

b) Die CFDT und die Selbstverwaltung

Nachdem das Programm der sozialdemokratischen Gewerkschaften/Syndikate im Zuge der Krise der 30er Jahre, des letzten Weltkriegs und des Wiederaufbaus verwirklicht worden war, geht der widersprüchliche Prozess des Kapitals auf einer höheren Ebene weiter und die wenigen Reformen, die noch möglich waren, reichen nicht mehr aus, um die sich entwickelnde Krise zu lösen. Die eigentliche Bedeutung des Problems der Verwaltung und die damit verbundenen Mythen ergeben sich aus der zunehmenden Entwertung des Kapitals.

Die Verwaltung eines Unternehmens wird zu einem sehr „technischen“ Problem: Der allgemeine Rückgang der Profitrate und die extreme Interdependenz der Märkte verbieten den Erfolg von Dilettantismus (oder der Willkür der Eigentümer).

Vor allem die Kontrolle der Arbeitskraft gewinnt eine entscheidende Bedeutung, und gleichzeitig erhält die Verwaltung eines Unternehmens eine gesellschaftliche Tragweite, die davon abhängt, inwieweit (anders als im 19. Jahrhundert) die Vereinheitlichung des kapitalistischen Prozesses und die zunehmende Interdependenz so eng werden, dass ein Bruch an einem Punkt der Gesellschaft schnell zu Konsequenzen fast überall führt. Der Konkurs von Rolls Royce in England löste zum Beispiel sofort Reaktionen in Seattle aus, wo ein Flugzeug hergestellt wird, das Rolls Royce-Triebwerke benötigt. Ähnlich verhält es sich, wenn ein Unternehmen sein Personal entlässt und damit die Einnahmen einer Stadt oder Region bedroht. Kurz gesagt, die allgemeinen Bedingungen des Kapitals sind heute so, dass jeder Teil des Kapitals von allen anderen verlangt, dass sie sich gegenüber der Gesamtheit des Kapitals verantwortungsvoll verhalten. (Diese ökonomische Verantwortung, sowohl von Seiten des Chefs als auch der Gewerkschaft/des Syndikats, ist der eigentliche Staatsbürgersinn [civisme] der realen Herrschaft: Es gibt keine andere Möglichkeit mehr, an der Gesellschaft teilzuhaben, ein Staatsbürger zu sein, als sich um die Probleme des Kapitals in seiner Gesamtheit zu „kümmern“).

Die Verwaltung des Unternehmens entgeht dem kapitalistischen Unternehmer jedoch ebenso wie das Eigentum am Kapital, sobald sich Aktiengesellschaften und die allgemeine Nutzung von Bankkrediten durchgesetzt haben. Parallel zu dieser Enteignung geht die Leitung des Unternehmens auf einen Vorstand über, der theoretisch die Aktionäre vertritt, und wird von angeheuerten „Managern“ (A.d.Ü., als Synoymn zu Verwalter zu verstehen) oder „Technokraten“ ausgeübt, die von Bankkonzernen abhängig sind, die nicht einmal mehr fiktive Eigentümer sind, sondern lediglich die Gläubiger des Unternehmens, die aber dennoch die tatsächliche Macht über das Produkt und die Reproduktion des Kapitals besitzen. Wie der verstorbene Serge Mallet, Theoretiker der Selbstverwaltung, schrieb: „Die Übernahme der Unternehmensführung durch eine von den Aktionären unabhängige Schicht von Technikern wird nur dadurch möglich, dass die Vorstände nicht in der Lage sind, die Betriebskosten und die für die Expansion erforderlichen neuen Investitionen allein durch den Verkauf von Aktien zu decken.“10

In dieser Bewegung des Kapitals muss „der Kapitalist“ verschwinden und den anonymen Kreditmächten auf der einen Seite und den angestellten Managern auf der anderen Seite Platz machen. „Auf der einen Seite steht der bloße Kapitaleigentümer, der Geldkapitalist, dem funktionierenden Kapitalisten gegenüber, während das Geldkapital selbst mit dem Vormarsch des Kredits einen gesellschaftlichen Charakter annimmt, indem es in den Banken konzentriert und von ihnen statt von seinen ursprünglichen Eigentümern verliehen wird, und da auf der anderen Seite der bloße Manager, der keinerlei Anspruch auf das Kapital hat, sei es durch Kreditaufnahme oder auf andere Weise, alle realen Funktionen des funktionierenden Kapitalisten als solchem ausübt, bleibt nur der Funktionär übrig und der Kapitalist verschwindet als überflüssig aus dem Produktionsprozess.“11 Wenn er dennoch versucht, sich selbst zu erhalten, wird er zunehmend in Sektoren verbannt, die einem langsamen Tod entgegengehen. Die juristische Form des Eigentums wird zu einem Hindernis, das das Kapital durch Reformen umgeht, aber nicht verdrängen kann, weil das Privateigentum seine notwendige Voraussetzung bleibt, genauso wie die Entwicklung des fiktiven Kapitals mit dem Wertgesetz kollidiert und es zu „übertreffen“ sucht, ohne es verdrängen zu können, denn das hieße, sich selbst zu negieren.

Darüber hinaus tendiert nicht nur die Verwaltung des Unternehmens, sondern auch die des Finanzkapitals selbst dazu, als eine einfache technische Funktion sozialer Art zu erscheinen. „Wir bewegen uns auf eine Art Scheidung zwischen Eigentum und Kapital zu; das Kapital wird zunehmend vom Eigentum getrennt, während es verwässert, verdeckt oder sogar als Eigentum kollektiver Organismen in Verstaatlichungen, Vergesellschaftungen und Nationalisierungen dargestellt wird, die vorgeben, keine Formen der kapitalistischen Verwaltung mehr zu sein.12 Durch das Spiel der Fiktionalität gibt das Finanzkapital auch vor, keine Form des Privateigentums mehr zu sein, sondern ein unabhängiger sozialer Regulator der Produktionsverhältnisse, die es zu übertreffen vorgibt.

Diese ganze Struktur beruht jedoch auf dem Realkapital, dem Wertgesetz und der Abschöpfung des Mehrwerts. „Die Dynamik des kapitalistischen Prozesses bleibt intakt und in ihrer rücksichtslosesten Form: aber dieses ökonomische Verhältnis ist alles andere als neu.“13 Dies ist die Beziehung, die das Proletariat hervorbringt. „Die Tatsache, dass der investierende Kapitalist seine Funktion, die Werktätigen für sich arbeiten zu lassen oder Produktionsmittel als Kapital einzusetzen, nur als Verkörperung der Produktionsmittel gegenüber den Werktätigen wahrnehmen kann, wird im Widerspruch zwischen der Funktion des Kapitals im Reproduktionsprozess und dem bloßen Besitz von Kapital außerhalb des Reproduktionsprozesses vergessen.“14

Aber die Gewerkschaftsbewegung/der Syndikalismus – ihrem Wesen als Vertreterin des variablen Kapitals entsprechend – erhebt mit ihrem Anspruch auf die nationale Verwaltung Anspruch auf die Verwaltung jedes einzelnen Unternehmens und entfernt sich zunehmend von der gesamten sich entwickelnden proletarischen Basis. Dabei versucht sie, sich wieder der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung anzuschließen, während sich die Selbstverwaltungsbewegung grundlegend von der Genossenschaftsbewegung unterscheidet; die Gemeinsamkeit besteht jedoch darin, dass, so wie früher die Infragestellung des Kapitaleigentums vom Standpunkt der Arbeiterinnen und Arbeiter aus die proletarische Frage der Kapitalvernichtung (die die der Unternehmensform unabhängig von ihrem Eigentümer einschließt) verdeckte, so verdeckt heute die Infragestellung der Verwaltung des Kapitals die Frage seiner Vernichtung (die die der Unternehmensform einschließt, unabhängig davon, wer ihr Manager ist).

Die Geschichte der CFDT wirft ein Licht auf diese Erneuerung der Gewerkschaftsbewegung/des Syndikalismus. Zu Beginn der 50er Jahre durchlief der französische Kapitalismus eine Transformation, die nur die Fortsetzung und volle Verwirklichung einer Tendenz war, die sich bereits vor dem Krieg abzeichnete: Die Grundstoffindustrien – Öl, Chemie und Petrochemie (unter anderem, aber vor allem diese) – wurden nach und nach zur Grundlage des neuen Akkumulationszyklus. Man kann sagen, dass die CFDT (1964) in erster Linie aus der Einbindung der ehemaligen CFTC in diese neuen „Schlüsselsektoren“ der Industrie entstanden ist.

Um dies zu belegen, reicht es aus, die wachsende Bedeutung der Gewerkschaft/des Syndikats der Chemischen Industrie aufzuzeigen, deren Generalsekretär Edmond Maire Generalsekretär der Konföderation wurde, und die kürzliche Beförderung von J. Moreau, Maires Nachfolger als Generalsekretär der Gewerkschaft/des Syndikats der Chemischen Industrie, auf einen Posten im politischen Bereich des Komitees zu erwähnen.

Neben der Elektronik sind die Grundstoffindustrien die Sektoren, in denen die Automatisierung des Produktionsprozesses naturgemäß am weitesten vorangetrieben wird; ein kleiner Teil der lebendigen Arbeit ist dort integriert, wobei die Techniker und Forscher ein wesentliches Element darstellen.

Außerdem sind dies die Bereiche, die am stärksten von der Trennung zwischen juristischem Eigentum und Kapital betroffen sind, da sie sich nicht selbst finanzieren können.

So sehen sich die Techniker, Ingenieure und Forscher direkt mit der Verwaltung am Arbeitsplatz konfrontiert: Wer ist der beste Verwalter, derjenige, der den Produktionsprozess jeden Tag kontrolliert, oder derjenige, der willkürlich zur Unternehmensleitung befördert wird, weil er direkt oder indirekt der Bankengruppe angehört, die in Wirklichkeit der Eigentümer ist?

Hier finden wir, übertragen auf die endgültigen Grenzen der kapitalistischen Produktion (Quasi-Automatisierung), dieselbe professionelle Empörung gegenüber den „Qualifikationen der Kapitalisten“, die ihre Anfänge kennzeichnete; aber ihr Inhalt ist völlig anders. Um die sich immer weiter ausbreitende Forderung nach (Selbst-) Verwaltung als grundlegende Forderung zunächst des „fortgeschrittenen“ Randes der CFTC und dann der CFDT zu verstehen, lässt man am besten Serge Mallet, einen Pionier in dieser Sache, zu Wort kommen, denn seine Ausführungen sind an sich schon ausreichend

„Die Besonderheit der Arbeitsbedingungen im Unternehmen (soweit es sich um die betreffenden Sektoren handelt), die Verbindung zwischen den Forderungen und der ökonomischen Situation des Unternehmens, die Tatsache, dass das Unternehmen an sich eine mächtige homogene Produktionseinheit sein kann, auch wenn seine verschiedenen Niederlassungen geografisch isoliert sind, zwingen die Gewerkschaft/das Syndikat zunehmend dazu, sich auf der Grundlage des Unternehmens selbst zu organisieren, also nicht der Fabrik oder des Labors, sondern des Unternehmens, der kompletten ökonomischen Einheit. In der Gewerkschaftsbewegung/im Syndikalismus entsteht eine neue Organisationsstruktur, die nach und nach die Handelsstruktur und die territoriale Struktur ersetzen und mit der industriellen Struktur verschmelzen wird, indem sie diese entbürokratisiert.“15

Entbürokratisierung bedeutet nach Mallets Auffassung, dass die Gewerkschaftsbewegung/der Syndikalismus an die neue Realität des Unternehmens angepasst wird, die die traditionelle Struktur (die im besten Fall von der CGT repräsentiert wird) nutzlos macht, weil sie nicht mehr funktioniert. Auf dieser Ebene seiner Analyse stimmt er mit der folgenden journalistischen Äußerung der fortschrittlichen Verwaltung überein: „Genauso wie das Unternehmen, wenn es für seinen Markt produziert, sich über die Absatzmärkte und die Produkte, die es dort verkaufen wird, im Klaren sein muss (das ist die Aufgabe der Werbung), muss es sich auch bei den Verhandlungen mit den Vertretern der Arbeiterinnen und Arbeiter über das Arbeitsangebot im Klaren sein. . . Einer der Gründe, warum die Gewerkschaften/die Syndikate in den letzten Konflikten aus dem Tritt gekommen sind, liegt darin, dass sie auf der Ebene der Branche organisiert sind: Hier verhandeln sie. . . Wir erleben eine „Atomisierung“ der sozialen Konflikte: Jeder wird für sich selbst kämpfen, mit seinen Waffen und Zielen, und es wird notwendig sein, viel mehr auf der Ebene des Unternehmens zu verhandeln; aber die Anführer der Unternehmen haben sich daran gewöhnt, dass die Schlichtung durch Spezialisten und ihre Berufsverbände erfolgt. Da dies nicht mehr möglich sein wird, werden sie selbst zu den Verhandlungen gehen müssen und sich folglich vorbereiten.“16

Mallet fährt fort: „Neben der politischen und traditionellen Front, die von den Parteien aufrechterhalten wird, und der sozialen Front, die von den Gewerkschaften/den Syndikaten aufrechterhalten wird, erleben wir also die Eröffnung einer dritten Front im immerwährenden Kampf zwischen Kapital und Arbeit: Es handelt sich um eine ökonomische Front, mit der die Arbeiterinnen und Arbeiter das kapitalistische System bekämpfen, und zwar nicht aufgrund ideologischer Entscheidungen oder sozialer Forderungen, sondern aufgrund der praktischen Erfahrungen mit der Unfähigkeit dieses Systems, eine harmonische und ununterbrochene Entwicklung der Produktivkräfte zu gewährleisten. Durch den gleichen Prozess wird die traditionelle Rollenverteilung zwischen der Gewerkschaftsbewegung/des Syndikalismus und der politischen Bewegung der Arbeiterklasse in Frage gestellt, und die Gewerkschaften/die Syndikate als ökonomische Organisationen werden dazu gebracht, sich im wahrsten Sinne des Wortes zu politisieren, d.h. nicht stumpf die Wahlslogans dieser oder jener politischen Partei nachzuplappern, sondern mit den ihnen eigenen Mitteln und Aktionsformen aktiv in das politische Leben des Landes einzugreifen. . . Die Entwicklung der modernen Gesellschaft integriert die politischen und ökonomischen Prozesse vollständig. Es ist für eine ernstzunehmende gewerkschaftliche/syndikalistische Organisation unmöglich, nicht direkt als gewerkschaftliche/syndikalistische Kraft in politische Probleme einzugreifen, sofern sie ihre Rolle als gewerkschaftliche/syndikalistische Kraft effektiv spielen will. . . Der Schutz bereits erworbener Vorteile erfordert heute nicht die Regulierung des bestehenden ökonomischen Systems, sondern die Organisation der ökonomischen Totalität, in der die Arbeiterinnen und Arbeiter leben müssen. Und ökonomische Forderungen, die einen totalen Charakter haben, sind natürlich mit politischen Problemen in einem modernen Staat verbunden.“17

Er kommt zu dem Schluss: „Der Absentismus [Fernbleiben vom Arbeitsplatz] des Staatsbürgers, die heute von allen guten demokratischen Gewissen beklagt wird, wird durch die Entwicklung eines Verantwortungsbewusstseins innerhalb der sozioökonomischen Organisationen kompensiert. Dies ist wahrscheinlich die interessanteste und schwerwiegendste Konsequenz der Entwicklung der Gewerkschaftsbewegung/des Syndikalismus in den Unternehmen. In der Tat werden wir dazu gebracht, unsere politischen Gewohnheiten und unsere Vorstellungen von demokratischen Praktiken grundlegend zu überdenken.“18

Mallet drückt damit nur soziologisch die Vereinnahmung von Politik und Demokratie durch das Kapital aus, die sie als besondere Tätigkeitsbereiche zerstört. Diese Bewegung vollzieht sich durch die vollständige Eroberung des Staates durch das Kapital und spiegelt das Ausmaß seiner Widersprüche wider:

Der Kapitalismus hat sich auf der Grundlage des Wertgesetzes in der kleinteiligen Warenproduktion entwickelt und stellt den Wert in Bewegung dar. Solange seine Herrschaft nur formal ist, reaktiviert er die Demokratie, indem er den durch die bourgeoise Revolution „befreiten“ Produzenten in den Vordergrund rückt.19

Sobald es vollständig an den Wert gebunden ist, gerät das Kapital in Widerspruch zu seiner Existenzgrundlage. Es versucht immer wieder, sie zu überwinden, ohne dies erreichen zu können. Es kann auch die Demokratie nicht wirklich unterdrücken, also verschlingt es sie.

Aufgrund der Entwicklung dieses Widerspruchs neigt das Kapital fortan dazu, die Staatsbürgerschaft durch den produktiven Akt und den Akt der Arbeit im Allgemeinen zu verleihen (wer seine Arbeitskraft nicht verkaufen kann, ist nach kapitalistischer Logik kein „Mensch“).

Im Zentrum dieser Bewegung steht, wie Mallet andeutet, dass das Unternehmen seine Allgegenwart dadurch erlangt, dass es sich gleichzeitig von den juristischen Formen des Eigentums und seiner eigenen Finanzierung emanzipiert. Diese „Autonomisierung“ wiederum gibt dem Unternehmen die Fähigkeit, seine eigene Planung und Selbstorganisation im Sinne der grundlegenden und einzigartigen Dynamik des Systems auszuüben: der Verwertung des Kapitals.

Das Eingreifen des Staates wird immer wichtiger, da er zunehmend durch direkte oder indirekte Finanzoperationen tätig wird.

Die berühmte „demokratische Planung“, die von der CFTC seit 1959 entwickelt wurde, ist Ausdruck dieser neuen Phase der zeitgenössischen kapitalistischen Entwicklung. Sie ist insofern demokratisch, als sie diese „autonome“ Planung des Unternehmens berücksichtigt; diese „Autonomie“ verbietet von nun an jede einseitige zentralisierte Planung. Auf der Ebene des Staates würde diese Planung vor allem in der Organisation des Kredits durch dessen vollständige Verstaatlichung bestehen: „Wenn der Staat die wenigen großen privaten Geschäftsbanken mit den vier Kreditbanken, die er besitzt, verbindet, würde er damit die französische Industrie vollständig kontrollieren, ohne die geringste Änderung des theoretischen Eigentums an den industriellen Produktionsmitteln vorzunehmen. Es bleibt abzuwarten, wer den Staat kontrolliert und wem er dient!“20

Diese Art von „Kontrolle“ über die Industrie könnte nur durch die Unterwerfung des Staates unter die einzige kapitalistische Dynamik – das Unternehmen – entstehen, die sich in einem Kontext extremer Entwertung bewegt.

Dies würde zu folgender Absurdität führen: Das „emanzipierte“ Unternehmen, das alle Aktivitäten um sich herum und für sich selbst organisiert, kann nicht auf das Wertgesetz reagieren! Da diese Sektoren mit hoher Entwertung (Schlüsselindustrien) die Schlüsselsektoren für die Akkumulation sind, unterscheiden sie sich von ihren Vorkriegspendants, die die Infrastruktursektoren waren bzw. aus ihnen bestanden. Nur durch die Existenz von Transformationsindustrien mit einer ausreichenden Profitrate konnten diese Schlüsselsektoren durch das System des Profitratenausgleichs und der Abtretung von Überschussgewinnen aufrechterhalten werden.

Auf einer solchen Ebene des Widerspruchs zwischen den Produktionskräften und den Produktionsverhältnissen muss der Ausbruch einer allgemeinen Krise aufgrund der völligen Unmöglichkeit der erweiterten Reproduktion des Kapitals dazu führen, dass die Arbeitskraft den Widerspruch selbst in die Hand nimmt, d. h. sie nimmt sich selbst in die Hand. Diese Selbstverwaltung ist das Ergebnis der Atomisierung des Proletariats, die sich in der „Autonomie“ des Unternehmens niederschlägt, wie wir sie oben definiert haben; sie ist Ausdruck der Notwendigkeit einer Kontrolle über die Proletarier, die nicht mehr von ihrem ersten Chef, sondern nur noch von ihnen selbst ausgeübt werden kann.

Diese Atomisierung macht jedoch nicht an den Türen des Unternehmens halt; die soziale Invasion des Unternehmens geht mit der Atomisierung des Proletariats in der gesamten Gesellschaft einher: Die Krise, in der der Wert verfällt, und mit ihr die politische Demokratie, wird die Beförderung des Produzenten zum einzig erkennbaren Staatsbürger bewirken. Die Selbstverwaltung wird zwangsläufig verallgemeinert werden. (Im letzten Teil dieses Textes werden wir uns mit mehreren konkreten Modalitäten der selbstverwalteten Konterrevolution in den Ländern auseinandersetzen, in denen sie möglich ist).

Wie Mallet gezeigt hat, haben einige von ihnen im Herzen der Konterrevolution eine große Bedeutung erlangt. Diese Bedeutung bedeutet aber auch, dass sich außerhalb der Gewerkschaften/der Syndikate eigene Organisationen von Arbeiterinnen und Arbeitern bilden (von denen einige von den Gewerkschaften/den Syndikaten angetrieben und kontrolliert werden). Schon während der italienischen Minikrise21 von 1968-69 entstanden Komitees und andere Betriebsräte, die Funktionen übernahmen und ausführten, die die gewerkschaftliche/syndikalistische Struktur nicht mehr wahrnehmen konnte.

Diese Art der Existenz des Kapitals ist sicherlich nicht neu, sondern existiert tendenziell schon, seit das Kapital seine reale Herrschaft über den Arbeitsprozess in einem bestimmten Sektor erlangt hat. Sobald diese Sektoren die industrielle Gesamtheit geprägt haben (und sei es nur auf der Ebene der Marktorganisation), wird die Vorbereitung allgemeiner Reformen für das Kapital noch notwendiger, damit diese Sektoren (wie in Frankreich und Italien) mit Sektoren koexistieren können, die sich auf dem Weg zur wirklichen Unterwerfung befinden und denen sie auf dem Weg zur vollständigen Unterwerfung ihre Art der Verwaltung übertragen wollen. Umgekehrt können aber nur diese „archaischen“ Sektoren, in denen der Anteil der Arbeitskräfte noch relativ groß ist und die eine Bewegung der Arbeitskraft implizieren, diese Reformen durchführen.

Dass die Arbeitskraft jetzt in unterschiedlichem Maße die Verantwortung für sich selbst übernimmt, ist eine unmittelbare Notwendigkeit, weil die Reifung bestimmter Sektoren heute gleichbedeutend mit einer Krise ist; die Arbeitskraft kann nur durch die immer widersprüchlichere Bewegung des Werts intervenieren.

Auch wenn die Stärke der CFDT in den Sektoren der Entwertung letztlich nur einen kleinen Teil ihrer Gesamtstärke ausmacht:

a) hat ihre Gründung als Gewerkschaft/Syndikat ihren Ursprung in der widersprüchlichen Dynamik der kapitalistischen sozialen Bewegung, auf der ihre eigene theoretische und praktische Dynamik beruht.

b) Diese Dynamik bedient sich u. a. lokaler und wirklich sektoraler Konflikte kleiner Produktionseinheiten in allgemein „benachteiligten“ Regionen, in denen die CFDT ein schnelles Wachstum erfahren hat. Diese Konflikte sind in der Regel durch direkten Widerstand gegen das Eigentumsrecht gekennzeichnet (Sitzstreiks, Beschlagnahmung von Beamten usw.). Sie sind nicht die Laboratorien der CFDT für Experimente in Sachen Selbstverwaltung, sondern bilden vielmehr die lokalen Ausgangspunkte für den Prozess der Krisenbewältigung, der selbst noch lokal begrenzt ist.

Die Divergenzen zwischen der CFDT und der CGT in Bezug auf das gemeinsame Programm der Linken spiegeln ihre jeweiligen Positionen wider: Die CFDT setzt auf soziale Kämpfe, um die Reformen der Krise durchzusetzen, während die CGT sich der Wahlpolitik unterwirft. Diese Divergenzen kommen in den aktuellen Konflikten [März 1974] voll zum Tragen, insbesondere in Houillères in Lothringen, wo sie sich in spektakuläre Gegensätze verwandeln. Die Verschärfung der Krise könnte dazu führen, dass die konföderalen Vereinbarungen, die in den letzten Jahren schrittweise zwischen diesen beiden Gewerkschaften/Syndikaten getroffen wurden, in Frage gestellt werden. Dies ist der Zeitpunkt für die CFDT, ihre gewerkschaftliche/syndikalistische Führungsrolle inmitten der sich formierenden Konterrevolution zu bekräftigen und zu demonstrieren; außerdem hat die CGT trotz ihrer lautstarken Erklärungen bereits einige wichtige Merkmale der CFDT-Pläne übernommen.22

Kapitel II

DER FALL (von) LIP

„. . . Dieser Sozialismus würde nicht darin bestehen, den Arbeitern zu erlauben, die Fabrik mit einem Paar Schuhen über der Schulter zu verlassen; und zwar nicht, weil sie dem Chef gestohlen worden wären, sondern weil dies eine lächerlich langsame und plumpe Verteilung von Schuhen für alle bedeuten würde.“ Amadeo Bordiga,Eigentum und Kapital

Als entlassene Arbeiterinnen und Arbeiter sich ihren Lohn selbst auszahlten, indem sie in Eigenregie produzierte Waren verkauften, war ihre Geste spektakulär und wurde berühmt. Der Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter von LIP richtete sich gegen das Recht auf Privateigentum an den Produktionsmitteln und zielte auf die Wiederaneignung des Produkts durch die Produzenten ab. Damit schien er sich mit einer Bewegung zu vereinen, die versucht hatte, die Verwaltung des gesellschaftlichen Produktionsapparats in die Hände der Arbeiterklasse zu legen. Diese Perspektive war jedoch die einer Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung, die aus einer Epoche des Klassenkampfes hervorging, in der das Kapital den Arbeitsprozess und die Gesellschaft nur formell beherrschte.

Falls der Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter von LIP zunächst als Ausdruck der Arbeiterbewegung erscheinen konnte, dann deshalb, weil er im Kontext der Firma LIP durch die sozialen Beziehungen zwischen dem Kapital und den Proletariern bestimmt war, die weitgehend mit denen identisch waren, die die Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung hervorgebracht hatten. Aber auch der viel größere Kontext der nationalen und internationalen kapitalistischen Gesellschaft hat die Realität dieses Kampfes geprägt: Das persönliche Eigentum an den Produktionsmitteln ist heute zu einem Hindernis für die kapitalistische Produktion geworden, die keine Eigentümer mehr braucht, sondern nur noch Verwalter. Außerdem entspricht die Realität des Kampfes der Arbeiterinnen und Arbeiter von LIP nicht der Tendenz zur Wiederaneignung, sondern viel mehr der Tendenz zur Verwaltung des Kapitals durch die Arbeiterinnen und Arbeiter selbst: LIP ist zu einem Basar für Selbstverwaltung geworden. Außerdem geschah dies ohne die bewusste Absicht der Arbeiterinnen und Arbeiter von LIP, die lediglich einen Chef forderten, der ihr Überleben garantiert.

1. LIP, eine Fabrik in der Epoche der realen Herrschaft des Kapitals

Der LIP-Konflikt fand in einem Sektor (der Uhrenindustrie) statt, in dem das Kapital noch keine wirkliche Vorherrschaft erlangt hat. Genauer gesagt, hat die reale Herrschaft des Kapitals über die gesamte Gesellschaft den spezifisch kapitalistischen Arbeitsprozess dort noch nicht etabliert.

Die formale Unterwerfung geht der realen Unterwerfung historisch voraus. Aber in bestimmten Produktionszweigen „kann diese letztere Form, die am weitesten entwickelt ist, ihrerseits die Grundlage für die Einführung der ersten bilden.“23

In der Uhrenproduktion übernimmt die kapitalistische Produktionsform, die der realen Unterwerfung der Arbeit unter das Kapital entspricht, zunächst die Kontrolle über die Produktion von Komponenten: Diese Produktion wird von Werkzeugmaschinen durchgeführt, die von den O.S. („spezialisierten Arbeiterinnen und Arbeitern“) bedient werden. Das hohe Produktivitätsniveau bei der Herstellung von Komponenten hat die Einführung der kapitalistischen Form in der Uhrenherstellung durch die formale Herrschaft des Kapitals über den Arbeitsprozess ermöglicht: die Montage von Uhren in einer einzigen Fabrik. (Vor der Zeit der Manufaktur wurde die Montage von Uhren im Rahmen einer handwerklichen Produktionsweise von den Uhrmacherinnen und Uhrmachern des Jura und der Franche-Comte, der „traditionellen Uhrenregion“, durchgeführt.) Als die kapitalistische Produktionsweise die Kontrolle über die Montage von Uhren übernahm, war ihre Vorherrschaft zunächst formal: Die technischen Prozesse unterschieden sich in dieser Phase kaum von denen der handwerklichen Produktionsweise. Die Montage von Uhren konnte auch dann noch fortgesetzt werden, wenn die Arbeiterinnen und Arbeiter aus der Fabrik vertrieben worden waren: Das zeigt, wie wichtig die menschliche Arbeit in dieser Phase der Produktion war. Da LIP die letzte Uhrenfabrik ist, stellt ihre Schließung ein ernsthaftes Beschäftigungsproblem dar: Die Arbeiterinnen und Arbeiter von LIP „konnten keine andere Arbeit finden, die ihren Fähigkeiten entsprach.24

Außerdem basiert die Produktion in der Fabrik auf einer kaum entwickelten Arbeitsteilung: Sie umfasst die Herstellung der Materialien, die für die komplette Fertigung einer Uhr notwendig sind (das ist die berühmte Abteilung der mechanischen Produktion).

Im Grunde genommen hat das LIP-Kapital, das auf einem zu begrenzten Niveau arbeitet, eine Menge Arbeit in sein Produkt eingebaut, die über dem gesellschaftlichen Durchschnitt liegt. Die großen amerikanischen und japanischen Hersteller produzieren im Maßstab der Massenproduktion:

Die Größe ihres Kapitals erlaubt es ihnen, den Rückgang der Profitrate (der durch die Höhe ihrer organischen Zusammensetzung entsteht) durch die Masse des Profits und durch Überprofite zu kompensieren, weil ihre größere Produktivität den Ausgleich der Profitraten zu ihren Gunsten wirken lässt. Von da an, mit der realen Herrschaft des Kapitals über die Gesellschaft auf nationaler und internationaler Ebene, musste eine Reifungskrise das LIP-Kapital treffen, dessen Form der Beherrschung der Arbeit archaisch war und sich im Rahmen der verarbeitenden Produktion manifestierte: LIP musste als unabhängiges Kapital und als Hersteller verschwinden.

Es gab noch ein weiteres archaisches Merkmal: Das LIP-Kapital war das Eigentum einer konkreten Person, Fred Lip. Als Eigentümer seines Kapitals versuchte er, die Reifungungskrise, die seine Enteignung erforderlich machen würde, abzuwenden oder zumindest zu verlangsamen. Er versuchte, seine Produktion zu rationalisieren, indem er bei der Montage von Uhren ein gewisses Maß an Taylorismus einführte und seine Aktivitäten durch die Schaffung eines Werkzeugmaschinensektors und eines Sektors für militärische Ausrüstung diversifizierte. Diese Versuche, seine Produktion wieder rentabel zu machen, waren nur Notlösungen. Es ist nicht so, dass er Fehler in der Unternehmensführung gemacht hat, weil er launisch und ungeschickt war, sondern weil die einzige konsequente Unternehmensführung darin bestanden hätte, die Integration seines Kapitals in eine größere Organisation zu akzeptieren und seine Produktion aufzugeben; er hat sich nur geirrt, weil er die Unabhängigkeit seines Kapitals aufrechterhalten wollte, und um das zu erreichen, musste er sich mit Hilfsmitteln behelfen, die als „Fehler in der Unternehmensführung“ bezeichnet wurden (was sicherlich den ambivalenten Charakter des LIP-Konflikts zeigt, ein Kampf der Nachzügler inmitten einer fortgeschrittenen Situation). Diese berühmten Managementfehler waren nur die Folge der defensiven Aktion eines Eigentümers, der mit der Drohung seiner Enteignung konfrontiert war.

Der Aufstieg des Kapitals zur realen Herrschaft geht mit der Auflösung des persönlichen Eigentums am Kapital einher. Dass der Fall von LIP auf allen Ebenen der Gesellschaft einen solchen Widerhall gefunden hat, liegt vor allem daran, dass die französische kapitalistische Gesellschaft dabei ist, diesen Wandel zu vollziehen. Im Laufe des Konflikts äußerten einige Vertreter des Kapitals und der Gewerkschaften/Syndikate eine Kritik am Privateigentum, hinter dem und zu dessen Verteidigung Managementfehler begangen worden sein könnten, Fehler, deren soziale Folgen diese Vertreter betonten: „Das gegenwärtige Gesetz ist der allmächtige Beschützer des Privateigentums an den Produktionsmitteln. Zwischen den Bossen, denen ihre Gewinne nicht hoch genug sind, und den Arbeiterinnen und Arbeitern, die Gefahr laufen, auf die Straße gesetzt zu werden, wirkt das Gesetz zugunsten der Ersteren.“25

„Die Lohnempfänger dürfen nicht die finanziellen Risiken des Scheiterns eines Managements tragen.“26

„Managementfehler werden später oft von denen bezahlt, die sie nicht begangen haben… Es ist nicht hinnehmbar, ein Unternehmen in die Pleite zu führen, sich rechtzeitig zurückzuziehen und ruhige Tage verstreichen zu lassen, während Hunderte von Arbeiterinnen und Arbeitern von Arbeitslosigkeit bedroht sind.“27

Um diese Unzulänglichkeit zu beheben, erließ die Regierung ein Gesetz, das die Rechte der Lohnempfänger im Falle eines Konkurses garantierte, und die lokalen Behörden waren zur Zeit des Konflikts mit der Situation der Besançoner Kaufleute beschäftigt, die mit dem Verschwinden von 1300 Arbeitsplätzen und zahlreichen Unteraufträgen konfrontiert waren.

Es ist bekannt, dass Fred Lip den schrittweisen Verlust der Kontrolle über sein Kapital nicht vermeiden konnte: 1967 übernahm Ebauches S.A. 33% der Aktien, 1970 43% und 1973 die Mehrheit. Diese schrittweise Durchdringung durch die Ebauches S.A. hätte mit der Umwandlung der Uhrenproduktion von einer einzigen Fabrik, die alle Materialien und Komponenten selbst herstellt, in eine mit Komponenten aus anderen Zweigen der Ebauches S.A. versorgte Anlage zur Montagefabrik einhergehen müssen, wodurch eine größere zwischenbetriebliche Arbeitsteilung entstanden wäre.

Unter diesem Gesichtspunkt wäre es notwendig gewesen, die überschüssige Arbeitskraft zu entlassen: Von 866 Personen hätte die Zahl der Beschäftigten in der Uhrenherstellung auf 620 sinken müssen.28 Girauds Plan sah vor, die Zahl der Beschäftigten in der Uhrenindustrie beizubehalten, aber er sah die Schaffung eines Sektors für die Herstellung von Verpackungen vor, wodurch die Zahl der Entlassungen auf ein für die streikenden Arbeiterinnen und Arbeiter akzeptableres Niveau gesenkt werden konnte. Dass er damit falsch lag, bewies die Ablehnung der Vereinbarung von Dijon.

Aber Giraud wurde auch von den Bossen abgelehnt, und wenn die Arbeiterinnen und Arbeiter seinen Plan akzeptiert hätten, wäre er möglicherweise nicht in der Lage gewesen, die notwendige Finanzierung zu erhalten. Die Bosse warfen ihm vor, zu viele Zugeständnisse an die Belegschaft zu machen:

„M. Giraud ist dabei, ein Monster für uns zu schaffen“, erklärte ein hochrangiger Beamter, der ganz persönlich an der Lösung der LIP-Affäre interessiert war.29

„Nur eine totale Umstrukturierung kann LIP wieder auf ein gleichwertiges Niveau bei den Produktionskosten und damit bei den ökonomischen Chancen bringen. Aber es ist jetzt schon sicher, dass dieser große Hausputz nicht stattfinden wird“, bestätigte ein Uhrmacher aus Besançon.30

Am Vorabend des Abkommens von Dijon war François Ceyrac sehr vorsichtig: „Es ist notwendig, dass der Chef des Unternehmens seine Freiheit im Bereich der Beschäftigung behält.“31

Girauds Plan hatte in den Augen der Bosse noch einen weiteren Mangel: Er sah vor, auf Ebauches S.A. zu verzichten. Da Ebauches S.A. aber der größte europäische Hersteller von Einzelteilen für Uhren ist, ist seine Beteiligung an Palente bei weitem die profitabelste Situation; außerdem war es der Hauptgläubiger von LIP.

Ein Überblick über Lips Schulden: 30 Millionen32 an Ebauches S.A.; 15 Millionen an Lieferanten (Armbänder, Gehäuse); 10 Millionen an Bankkrediten.33 Der Verzicht auf Ebauches S.A. bedeutete also, dass die Schulden zurückgezahlt werden mussten, und der Giraud-Plan benötigte daher eine Finanzierung von mindestens 40 bis 50 Millionen Franken. Mit einem solchen finanziellen Handicap in Verbindung mit einem Produktionssektor, in dem es zu viele Arbeitskräfte gab, war das Projekt zum Scheitern verurteilt.

Der Interfinexa-Plan vom November 1973 litt unter demselben finanziellen Nachteil. Seine Finanzierung belief sich auf 40 Millionen, denn auch er wollte auf Ebauches S.A. verzichten und sich an die französische Uhrenindustrie wenden.34 Die Société Générale weigerte sich, diesen Plan zu finanzieren, und man müsste schon ein Herr Rocard35 sein, um zu denken oder zu sagen, dass diese Ablehnung politisch motiviert war.

Der Plan Interfinexa-Bidegain-Neuchwander, der von den Bossen angenommen worden war und den die Arbeiterinnen und Arbeiter mangels anderer Möglichkeiten schließlich akzeptieren mussten, sieht selbst Kredite in Höhe von 10 Millionen an privatem Kapital und 15 Millionen an staatlicher Beihilfe vor36, zu denen noch ein Restbetrag von 2 Millionen aus den Wildverkäufen hinzukommt!

Dieser Plan markiert die Reintegration von Ebauches S.A. als Protagonist in das Geschäft und verbessert die ökonomische Finanzierung und die Rentabilitätsaussichten: Das neue Kapital wird doppelt so groß sein wie das vorherige; Neuchwander gibt an, dass das Ziel darin besteht, eine Million Uhren pro Jahr herzustellen, während die Produktion bisher nur 500.000 betrug.37 Das ist die Lösung für die Reifungskrise durch den Eintritt der Uhrenproduktion von LIP in die reale Herrschaft.

Aus der Sicht der Interessen des Kapitals ist dies auch die Lösung für den Widerspruch, der den Forderungen der Arbeiterinnen und Arbeiter von LIP zugrunde lag: Sie wollten eine gute Verwaltung des Kapitals, die sie vor Entlassungen schützt, aber eine gute Verwaltung konnte nichts anderes sein als der Übergang des Kapitals von LIP zur realen Herrschaft, und das bedeutete die Entlassung der überzähligen Arbeitskräfte. Der Neuchwander-Bidegain-Plan „versöhnt“ die beiden Pole des Widerspruchs, indem er die mehr oder weniger vollständige Reintegration der Arbeiterinnen und Arbeiter dem erfolgreichen Funktionieren des neuen Unternehmens unterordnet.

Die andere Forderung, die Nichtentlassung, wurde ebenfalls im Sinne der Interessen des Kapitals gelöst. Der Werkzeugmaschinensektor in Ornans ist seit November 1973 unabhängig, und in Palente wurden die Uhrenherstellung und die militärischen Ausrüstungen von einer Holding übernommen, einer juristischen Struktur, die Kapital und Gewinne in eine gemeinsame Hand legt und keine technische Verbindung im Bereich der Produktion zulässt.

Dieser Abschnitt kann nicht enden, ohne darauf hinzuweisen, dass in der „Europäischen Gesellschaft für Uhren und mechanische Entwicklung“ vor allem Vertreter des französischen Kapitals wie B.S.M., Rhône-Poulenc und Sommer im Vorstand sitzen, die alle im chemischen und petrochemischen Sektor tätig sind: Wir haben im vorherigen Kapitel gesehen, welche Stellung und Bedeutung diese Sektoren im Rahmen der realen Herrschaft des Kapitals einnehmen.

2. Die Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung in LIP

„Das klassische sozialistische Ziel ist die Abschaffung der Lohnarbeit. Nur die Abschaffung der Lohnarbeit kann die Abschaffung des Kapitalismus bewirken. Da es aber nicht gelungen ist, die Lohnarbeit in dem Sinne abzuschaffen, dass die Arbeiter die Absurdität und Rückständigkeit des Verkaufs ihrer Arbeitskraft erkennen, hat die sozialistische Bewegung von Anfang an die Abschaffung der Marktwirtschaft angestrebt.“ Amadeo Bordiga, Eigentum und Kapital

Was auch immer sich später entwickelte, die Ursprünge des LIP-Konflikts waren zweifellos proletarisch in dem Sinne, dass die Unfähigkeit des Unternehmens, die kapitalistische Reproduktion fortzuführen, bedeutete, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter entlassen würden. Wie schon oft festgestellt wurde, bedrohten die Schwierigkeiten des Unternehmens in keiner Weise das Überleben des Eigentümers F. Lip. Im Gegensatz dazu war die Existenz der Arbeiterinnen und Arbeiter direkt bedroht, und außerdem konnten sie (wie bereits erwähnt) nirgendwo anders eine ähnliche Arbeit finden, bei der sie auf die gleiche Weise beschäftigt werden. Um zu überleben, waren sie gezwungen, zu reagieren. Aber wie? Wir werden sehen, dass der sich entfaltende Konflikt durch die grundsätzliche Isolierung der Arbeiterinnen und Arbeiter bestimmt wurde, die aus zwei Blickwinkeln betrachtet werden kann, dem kapitalistischen und dem proletarischen.

Aus proletarischer Sicht betraf die Unfähigkeit des Unternehmens, den Kreislauf der kapitalistischen Reproduktion fortzusetzen, „das Proletariat von LIP“, nicht aber den Rest der Gesellschaft. Es ist offensichtlich, dass diese Isolation der eigentliche Grund für die Niederlage der Arbeiterinnen und Arbeiter von LIP in Bezug auf ihre Ziele und für ihre Nicht-Radikalisierung ist. Das ist auch der Grund dafür, dass sie bei dem Versuch, ihr Einkommen zu verteidigen, zu einem Kompromiss mit dem Kapitalismus gezwungen wurden. Aber sie hatten keine Wahl und es wäre falsch anzunehmen, dass sie radikalere Methoden hätten wählen können. Sie handelten in Übereinstimmung mit ihrer realen Isolation von anderen Arbeiterinnen und Arbeitern im Kampf gegen den Verlust ihrer Existenzgrundlage. Dazu waren sie (unter anderem) gezwungen, kleine soziale Rücklagen zu bilden (Beschlagnahmung von Lagerbeständen fertiger Uhren und Teile, Solidaritätsfonds). Die illegalen Mittel, die sie einsetzten, könnten uns zu der Annahme verleiten, dass im Laufe des Konflikts eine gewisse Radikalisierung möglich geworden wäre, zumindest wenn es den Gewerkschaften/den Syndikaten nicht gelänge, die sich entwickelnde Radikalisierung zu verraten. Aber das hieße, den Gewerkschaften/den Syndikaten eine Macht zu geben, die sie nicht besaßen. Da der Inhalt der illegalen Aktionen die Bildung von Vorräten war – die nur in Geld umgewandelt werden konnten -, wurde eine spätere Radikalisierung ausgeschlossen, die zumindest potenziell die Zerstörung von Kapital und Lohnarbeit beinhaltete. Und so fielen die Arbeiterinnen und Arbeiter in ihre Isolation zurück. Nur eine Bewegung, die in den spezifisch kapitalistischen Sektoren Fuß fasst, hätte es ihnen ermöglicht, über die eigentlichen Grenzen ihres Kampfes hinauszugehen und damit seinen rein proletarischen Charakter zu negieren und ihn einen Schritt weiter zu bringen. Diese Art von Solidarität wäre offensichtlich das Gegenteil der politischen Solidarität der Befürworter der Selbstverwaltung jeder Couleur gewesen, die nichts anderes wollten, als die Fixierung der Arbeiterinnen und Arbeiter von LIP auf ihren eigenen isolierten Betrieb zu verstärken.

In Ermangelung einer echten Solidaritätsbewegung setzte sich der arbeiteristische Charakter des Kampfes im Laufe des Konflikts gegenüber seinem proletarischen Ursprung durch. In ihrer Isolation waren die Arbeiterinnen und Arbeiter von LIP nicht in der Lage, über die unmittelbaren Bedingungen, mit denen sie von Anfang an konfrontiert waren, hinauszugehen, und von dieser engen Basis aus stürzten sie sich in den Kampf. In ihrer isolierten Fabrik fest verankert, stärkten sie ihr Bewusstsein, Produzenten zu sein, und versuchten, dieses Bewusstsein praktisch umzusetzen. Sie nahmen die Produktion von Uhren wieder auf. Die „LIP´s“ – und das ist der Ursprung ihres ekelhaften Spitznamens – wurden zu einem kollektiven Kapitalisten.

Was bemerkenswert ist und gleichzeitig die LIP´s auf ihrem Höhepunkt als Arbeiterbewegung am meisten charakterisiert, ist, dass die kämpfenden Arbeiterinnen und Arbeiter versuchten, die Folgen der Schließung ihrer Fabrik (mit anderen Worten die Abschaffung der Lohnarbeit) praktisch zu negieren, indem sie sich ihre Löhne so auszahlten, wie sie es vor dem 12. Juni, dem Tag, an dem das Unternehmen die Aussetzung der Löhne ankündigte, gewohnt waren: „Wir haben unsere üblichen Löhne ausgezahlt bekommen, die uns die alte Konkursverwaltung schuldete.“38

Aber es ging nicht nur darum, den Streik durch die Produktion und den Verkauf von Uhren zu finanzieren, so wie die Arbeiterinnen und Arbeiter in Cerisay die Blusen verkauften, die sie mit ihren eigenen Mitteln hergestellt hatten, oder die Arbeiterinnen und Arbeiter in Bouly (die in einer Fabrik in Fourmies Strümpfe und Kragen herstellten), die beschlossen, ihre Hobbys zu nutzen, um einen Solidaritätsfonds zu bilden: „Einige strickten, häkelten, nähten, während andere Holzarbeiten und Schmiedearbeiten ausführten; die so gewonnenen Produkte wurden zum Verkauf angeboten“39 — sondern es ging vor allem darum, ihre Löhne zu sichern. Nicht nur, dass die Geldsumme – nach dem Verständnis der Arbeiterinnen und Arbeiter von LIP – mit ihrem früheren Lohn identisch war, sondern darüber hinaus „erhielt jede Arbeiterinnen und Arbeiter ihren Lohnbrief, der regelmäßig mit einer Abrechnung über die Abzüge für Versicherung, Sozialversicherung und Rentenfonds gefüllt war. . .“40

Der Garantielohn wurde also buchstabengetreu in Form eines „wilden Lohns“ umgesetzt, und das entsprach ganz dem Willen der Arbeiterinnen und Arbeiter selbst.41

Im Grunde gab es drei Möglichkeiten, wie viel Geld jeder Arbeiter und jede Arbeiterin bekommen würde: 1) ein gleicher Betrag für alle; 2) der übliche Lohn abzüglich eines Prozentsatzes; 3) der übliche Lohn mit einem Solidaritätsfonds, in den jeder geben konnte, was er wollte. Man entschied sich für die letzte dieser Lösungen.42

Sicherlich, wie B. in dem oben zitierten Interview sagt, unterstützte der Delegierte der Gewerkschaft/des Syndikats diese Lösung, aber es wäre falsch zu glauben, dass die Annahme dieser Maßnahme das Ergebnis einer Abstimmung in der Vollversammlung der Arbeiterinnen und Arbeiter gewesen wäre. Dies wurde von den Befragten bestätigt: „Da wir etwas Kohle hatten, warum sollten wir die niedrigste Summe akzeptieren. . .“ — „Wenn der Chef uns 200.000 gegeben hat, warum dann nur 150.000?“

Sicherlich wäre für einige eine höhere Entlohnung denkbar gewesen, aber dann hätte man ihnen Verantwortungslosigkeit vorgeworfen, weil sie das Firmenkapital verprasst hätten, und das hätte dem allgemeinen Sinn des Kampfes widersprochen. „Keine Entlassungen“ bedeutete die Beibehaltung der Gehälter und nichts anderes. „Der übliche Lohn für alle Arbeiterinnen und Arbeiter, das war wirklich etwas, und ich denke, es wäre gut, wenn es so gemacht würde; und das zweite (der übliche Lohn abzüglich eines Prozentsatzes) auch, und…

Ich bin jetzt genauso glücklich, wenn ich das bekomme, was sie mir geben können.“43

Darüber hinaus ist auch der Preis, zu dem die Uhren verkauft werden würden, von Bedeutung; dies aus dem von der Fabrik veröffentlichten LIP-Katalog: „Der Verkaufspreis der Uhren enthält den Preis der Teile, den Mehrwert, die Steuern, die Abschreibung und den Ersatz der Maschinen, den Lohn der Arbeiterinnen und Arbeiter und sogar den Gewinn der Eigentümer.“44 Aber was könnte der objektive Grund für eine solche Entscheidung sein, da die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht die Absicht hatten, Kapital zu akkumulieren; aber auch, wenn sie in der Lage gewesen wären, z. B. alle Uhren zum gleichen Preis zu verkaufen, welches Modell für die Preisgestaltung würden sie dann anwenden? Für ihre Entscheidungen über Löhne und Preise gab es keine anderen Gründe als den Wunsch, dass alles so weitergeht wie bisher: Die Erhaltung ihrer Löhne erforderte die Erhaltung des Firmenkapitals. „Keine Entlassungen, kein Abbau“ bedeutete, „das Unternehmen zu schützen“45, mit anderen Worten das Unternehmenskapital. In dem kapitalistischen Reproduktionszyklus sind die verschiedenen Werte, aus denen sich das Gesamtkapital zusammensetzt, durch die Notwendigkeit miteinander verbunden, dass das Gesamtkapital den Reproduktionszyklus durchläuft.

Von diesem Zeitpunkt an konnten die Arbeiterinnen und Arbeiter von LIP ihren üblichen Lohn nicht mehr durch den Verkauf von Uhren zu jedem beliebigen Preis sichern – nicht, dass es für sie unmöglich gewesen wäre, den Kampf zu finanzieren -, denn das hätte das Verhältnis zwischen dem Preis der Uhren und ihrem normalen Lohn zerstört; und dieses Verhältnis zwischen Preis und Lohn zu zerstören, hätte den Kreislauf der kapitalistischen Reproduktion zerstört und damit zur Liquidation des Unternehmens geführt; genau das Gegenteil von dem, was die Arbeiterinnen und Arbeiter wollten.

So wie der Preis der Uhren nicht außerhalb des kapitalistischen Reproduktionszyklus bestimmt werden konnte, konnten auch die Löhne der Arbeiterinnen und Arbeiter nicht ohne eine wirksame Kontrolle über die Art und Weise, wie sie ihre Zeit verbrachten, gezahlt werden. In der Ornans-Fabrik stempelten die Arbeiterinnen und Arbeiter weiterhin jeden Tag, wenn die Arbeit begann. In Palente war die Kontrolle nicht so eng, aber es gab sie immer noch auf den Vollversammlungen. „Wisst ihr“, sagte eine Arbeiterinnen und Arbeiter in Mutualité (12. Dezember), „es wäre ungerecht, wenn einige zwar Lohn bekämen, aber nur am Zahltag in der Fabrik erscheinen würden.“ Das ist, kurz gesagt, das Bewusstsein des Produzenten, des ehrlichen Arbeiters und der ehrlichen Arbeiterin, das sich hier ausdrückt.

Am Ende trugen die Arbeiterinnen und Arbeiter auch noch lange nach der Schließung der Fabriken ihre Arbeitshemden und stellten sie bei Unterstützungsvollversammlungen in ganz Frankreich aus. Dieses kleine Detail verdeutlicht vielleicht am besten das Produzentenbewusstsein, das den LIP-Konflikt als Kampf der Arbeiterinnen und Arbeiter charakterisierte, und die Rückständigkeit dieser Bewegung im Verhältnis zu den vorherrschenden Formen des aktuellen proletarischen Widerstands wie Absentismus und Sabotage.

Ein kapitalistisches Unternehmen kann jedoch nicht allein durch die Produktion wiederbelebt werden. Das Kapital existiert nur dann weiter, wenn es seinen Reproduktionszyklus auf harmonische Weise durchläuft. Die Rettung des Lohns, also des Unternehmenskapitals, durch die Wiederaufnahme der Produktion ergibt keinen Sinn, wenn der Rest des Reproduktionszyklus nicht funktioniert. Daher die Notwendigkeit, die Uhren zu vermarkten.46

Schnell entstand ein „wilder“ oder „paralleler“ Markt, der gleichzeitig ein Uhrenmarkt, eine formale Solidaritätsmesse und ein bisschen Gaunerei war. Um ihre Uhren zu verkaufen, setzten die „LIP´s“ moderne Marketingtechniken ein,47 mit denen sie den Einzelhandel umgingen (daher die Proteste der Uhrmacher und Juweliere) und ihre Gewinnspanne erhöhen konnten. Die „LIP´s“ verkauften ihre Uhren auf politischen Kundgebungen, bei Freunden und Bekannten, so wie Tupperware bei geselligen Zusammenkünften oder von Tür zu Tür verkauft wird. Außerdem gehörte dieser Uhrenmarkt zu den unproduktiven Ausgaben wie bei jedem anderen kapitalistischen Unternehmen. Vor allem mussten die Reisen der Arbeiterinnen und Arbeiter bezahlt werden, die ebenso oft unternommen wurden, um Uhren zu verkaufen wie um den Kampf zu popularisieren (Popularisierung = öffentliche Meinung = Werbung). Wenn es tatsächlich stimmt, dass die Reisekosten nicht durch den Verkauf, sondern durch solidarische Spenden gedeckt wurden,48 dann hatte die selbstverwaltete LIP noch einen weiteren ökonomischen Trumpf (neben ihren Marketingmethoden), da die Reisekosten nicht mit dem Firmenkapital verrechnet werden konnten.

Doch zum Leidwesen der „LIP’s“ erreichte der linke Gutmenschenmarkt schnell seinen Sättigungspunkt. Die Enge des Gutmenschenmarkt entsprach in der Tat dem unrentablen Charakter des LIP-Unternehmens.

Dieser Parallelmarkt war gleichzeitig ein ideologischer Marktplatz. Im Austausch für die verkauften Uhren erhielten die Arbeiterinnen und Arbeiter allerlei Ermutigungen und Ratschläge, um den Kampf fortzusetzen.49 Die Unterstützungsvollversammlungen und politischen Kundgebungen boten verschiedenen politischen Strömungen die Möglichkeit, ihre Propaganda für die Selbstverwaltung oder die Kontrolle der Arbeiterinnen und Arbeiter auszuprobieren. Dieser ideologische Marktplatz war die unabdingbare Voraussetzung für den Kampf. Die Arbeiterinnen und Arbeiter konnten die Ratschläge nur als bare Münze nehmen und zusehen, wie sich der Geist des Kampfes nach und nach auf das Bild eines Unternehmens konzentrierte, das nun auf einer neuen Grundlage lief: der Selbstverwaltung. Ein befragter Arbeiter sagte:

Es gibt einige Leute, die nach Marseille gegangen sind, einige, die in Lyon waren, überall wurde ihnen das Gefühl gegeben, sie seien große Männer. Sie kamen mit Millionen von Projekten und Ideen im Kopf zurück, die von überall her kamen. Sie dachten, dass ihre Ideen umgesetzt werden sollten und gerieten so mit den Männern hier aneinander, die unter dem Druck der Gewerkschaften7der Syndikate – der CGT oder CFDT – standen und völlig demoralisiert waren.50

Den mangelnden Enthusiasmus der Arbeiterinnen und Arbeiter in Besançon dem Druck der Gewerkschaften/der Syndikate zuschieben zu wollen, würde ihren wahren Charakter verschleiern. Als die Arbeiterinnen und Arbeiter mit dem Geld aus dem Uhrenverkauf nach Besançon zurückkehrten, mussten sie feststellen, dass ihr Geld nicht in zusätzliches Kapital umgewandelt werden konnte. Die zweite Phase des Zyklus (die Umwandlung von Waren in Geld) konnte mehr oder weniger durchgeführt werden, aber sie war nur halb wirksam, da die dritte Phase des Zyklus (die Umwandlung von Geld in produktives Kapital) die Umwandlung von Geld nur in variables Kapital und nicht in konstantes Kapital beinhaltete. Das war die lebendige Realität der „LIP´s“ in Besançon – eine Realität, die die Gewerkschaften/die Syndikate nur reflektierten. Diese Grenzen ergaben sich nicht aus dem Scheitern der Verallgemeinerung der Selbstverwaltung, sondern im Gegenteil aus der „logischen Absurdität“ des Kampfes: der Selbstverwaltung eines bankrotten Unternehmens durch die Arbeiterinnen und Arbeiter. In diesem Zustand des Unternehmens konnten die „LIP´s“ nichts anderes tun, als in denselben Trott zu verfallen wie ihr ehemaliger Chef.51

Den Handelsreisenden blieb nichts anderes übrig, als erneut zu anderen gesättigten Märkten aufzubrechen: „Da gab es zum Beispiel Leute wie P., der an einem Tag mit uns aus Paris zurückkehrte und am nächsten Tag wieder nach Lyon ging. Dann kommt er aus Lyon zurück, bleibt einen Tag hier, wird nervös, angewidert. Er fährt wieder nach Marseille und kommt am nächsten Morgen zurück. Und dann muss er auch noch diesen ganzen Mist planen.“52

Das führt uns zum zweiten Aspekt der Isolation der Arbeiterinnen und Arbeiter von LIP. Aus kapitalistischer Sicht schließt das politische oder ideologische Wohlwollen, das LIP von der Regierung oder dem Eigentümer entgegengebracht wird, nicht aus, dass das Unternehmen ökonomisch aufgegeben wird. Lip hatte mehrere Jahre lang seine Unfähigkeit bewiesen, sich innerhalb der kapitalistischen Gemeinschaft zu behaupten. Und für den Kapitalismus zählt keine Solidarität außer dem Gesetz des Profits. Um wieder profitabel zu werden, musste LIP eine tiefgreifende Umstrukturierung durchlaufen.

Ein Beweis dafür ist die Summe (etwa zwei Millionen Franken), die die „LIP´s“ aus Respekt vor der Kontinuität des Reproduktionskreislaufs zusätzlich zu den verbleibenden Vorräten an die neuen Eigentümer abtreten mussten. Das ist der Betrag, den sie in sieben Monaten Arbeit angesammelt hatten. Wenn wir anerkennen, dass diese Summe nur einen Monatslohn (für 900 Arbeiterinnen und Arbeiter) abdeckt, und wenn wir diesen Betrag mit den 15 Millionen vergleichen, die den Lieferanten geschuldet wurden, dann sehen wir, wie sehr die organische Zusammensetzung des LIP-Kapitals abgenommen hatte und wie unrentabel es war.

Allerdings hielten die „LIP´s“ als kollektive Kapitalisten länger durch als ihr alter Chef. Das lag an den Unterschieden zwischen ihnen und ihrem alten Chef und an der außergewöhnlichen Situation, die sie geschaffen hatten. Sie hatten keinen Grund, den gesamten Kreislauf „ihres“ Kapitals in die Hand zu nehmen. Die „LIP´s“ konnten sich die Tatsache zunutze machen, dass nur ein Bruchteil des Kapitals einen schnellen Kreislauf durchlief (zirkulierendes Kapital, d.h. Löhne, Rohstoffe, Teile). Sie leugneten jedoch das grundlegende Problem: die Rotation des gesamten Kapitals. Sie waren nie gezwungen, das konstante Kapital zu erneuern, und sie tilgten auch keine der Schulden, die das alte Management gemacht hatte. Außerdem erneuerten sie den Teilebestand nur in dem Maße, in dem sie dazu in der Lage waren. All dies trug zu dem Vorteil bei, den sie gegenüber der alten Geschäftsführung hatten – wie wir bereits erwähnt haben. Sie waren kein Beweis für die Überlegenheit der „LIP´s „-Verwaltung, sondern zeigten stattdessen, dass es unmöglich war, das LIP-Kapital auf der alten Grundlage erfolgreich zu verwalten.

3. Die Frage der Gewerkschaften/der Syndikate

Über die Rolle der Gewerkschaften/der Syndikate in den LIP-Betrieben ist schon viel gesagt worden: die Unstimmigkeiten zwischen der CGT und der CFDT, das Verhältnis zwischen der CFDT und den nicht gewerkschaftlich/syndikalistisch organisierten Komitees, die gebildet wurden. Während die CFDT sofort die Führung des Kampfes übernahm, die Aktionskomitees weitgehend förderte und vor illegalen Aktionen warnte, stöhnte die CGT über ihre übliche Forderung nach dem „Recht auf Arbeit“, behauptete, sie sei wie immer realistisch, und wurde schließlich von konvergierenden Kräften von der Bildfläche verdrängt. Die Aktivitäten der Gewerkschaften/Syndikate schienen darauf ausgerichtet zu sein, die Arbeiterinnen und Arbeiter mit der gewerkschaftlichen/syndikalistischen Bewegung zu verheiraten, und hätten dem alten „revolutionären Syndikalismus“ wieder ein wenig Glanz verleihen können.

Unter der Oberfläche ihrer jeweiligen Erklärungen waren die Meinungsverschiedenheiten zwischen der CGT und der CFDT in LIP nicht das Ergebnis einer wirklichen Wahl zwischen den Aktionsformen, die jede von ihnen getroffen hätte, sondern ein Zwang, der aus den herausragenden Differenzen resultierte, die generell zwischen ihnen bestanden und die sich in den Besonderheiten der Situation in LIP getreu widerspiegelten. In LIP kamen die Differenzen zwischen der CGT und der CFDT, die im Mai ’68 ins Licht der Öffentlichkeit gerückt wurden und bei bestimmten Streiks (vor allem bei Joint Français) mehr oder weniger deutlich zum Ausdruck kamen, am deutlichsten zum Ausdruck. Der Führungsanspruch der CFDT wurde bei LIP durch die Ausarbeitung und Veröffentlichung von Plänen deutlich konkretisiert, während die CGT zu diesem Thema bewusst schwieg. Auf die Gefahr hin, bei den Arbeiterinnen und Arbeitern völlig in Misskredit zu geraten, war die CGT gezwungen, den Schwanz einzuziehen, während sie das „Abenteurertum“ der CFDT in diesem Fall mehr oder weniger ständig kritisierte.

Die kurzzeitige Rückkehr der gewerkschaftlichen/syndikalistischen Einheit während der Verhandlungen in Dijon, bei denen die Gewerkschaften/die Syndikate Entlassungen grundsätzlich akzeptierten, fiel mit einer erneuten, ebenfalls völlig vorläufigen Scheidung zwischen der Arbeiterbewegung und den Gewerkschaften/den Syndikaten zusammen, da die Tatsachen für die Arbeiterinnen und Arbeiter (die sie als Proletarier aufgriffen) erneut die grundsätzliche Frage der Entlassung der überzähligen Arbeitskräfte aufwarfen. Für die CFDT war dies nur eine zweitrangige Frage.

Im Bewusstsein der bevorstehenden Ablehnung durch die Basis – und da die CFDT ohne die Unterstützung der Basis nicht existieren konnte – sah sich die CFDT zu einer schnellen Kehrtwende gezwungen und übernahm auf der Sitzung am 12. Oktober erneut die Position des Aktionskomitees gegen alle Entlassungen und stellte den Inhalt des Dijon-Kompromisses (Entlassungen mit Wiedereinstellungsgarantie), den sie noch am Vortag verteidigt hatte, nicht zur Abstimmung. Diese schnelle Kehrtwende wurde natürlich durch die „basisnahe“ Position der CFDT ermöglicht.

Die Gründung eines Aktionskomitees bei LIP mag zunächst überraschen, zum einen, weil in den letzten Jahren in Frankreich bei keinem noch so langen und erbittert geführten Streik eine eigene Arbeiterinnen- und Arbeiterorganisation entstanden war, abgesehen von einigen kurzlebigen Streikkomitees; vor allem aber, weil die CFDT offensichtlich vollständig in den Kampf eingebunden war.

Wir haben gesehen, dass die CFDT aufgrund ihres Charakters dazu veranlasst wurde, die Gründung solcher Komitees zu unterstützen, sobald die Belegschaft sich selbst in die Hand nahm. LIP ist ein konkretes Beispiel für dieses Phänomen in einem isolierten Kontext.53 Indem sie sich selbst übernahm, benötigte das variable Kapital in LIP angesichts der totalen Rückeroberung des Kapitalismus eine Organisation, die gleichzeitig von der CFDT ausging und doch eine gewisse Autonomie von ihr besaß, da der Inhalt dieser Art von Tätigkeit zeitweise jenseits der Aushandlung des Preises für die Arbeitskraft lag – was die grundlegende Aufgabe der Gewerkschaften ist. In bestimmten Momenten kann sich diese relative Autonomie in eine virtuelle Opposition verwandeln; das liegt in der Natur der Sache, wie es in dem kurzen Zeitraum zwischen dem Abkommen von Dijon und der Sitzung der beratenden Vollversammlung der Fall war. Aber die Bewegung in Richtung Autonomie war kein wirklicher Ausdruck dafür, dass das Aktionskomitee über die Gewerkschaft/das Syndikat hinausgegangen war; in Bezug auf den Inhalt der Aktion – die Rettung des Unternehmens – konnte es keinen Bruch geben. Die Gewerkschaft/das Syndikat hatte immer den Schlüssel zum Problem in der Hand. Um dies zu verdeutlichen, genügt es, die endgültige, einstimmige Annahme des Neuchwander-Bidegain-Plans (siehe oben) zu bemerken, der die endgültige, totale Niederlage des proletarischen Ursprungs des Konflikts durch seinen kapitalistischen Inhalt konkretisierte; diese Niederlage war, wie wir gesehen haben, den Anfängen des Konflikts inhärent; und da sie unumkehrbar war, blieb nur die Frage, wann und wie sie eintreten würde. So schien das Problem der Entlassungen, das bei der Ablehnung des Dijon-Abkommens von entscheidender Bedeutung war, bei der Annahme der Dole-Abkommen plötzlich zu verschwinden. Die einzige Einschränkung, die Bidegain und die Gewerkschaften/die Syndikate bei der Ausarbeitung eines neuen Plans auf dieser Ebene machten, erklärt keineswegs die scheinbar plötzliche Kehrtwende. Ihre Einschränkung war im Gegenteil das natürliche Ergebnis des sozialen Kräfteverhältnisses, das zu Beginn der Wiederherstellung des kapitalistischen Kreislaufs entstanden war.

Die Gründung des Komitees der Aktion LIP und die Praxis, auf die es sich stützte, reflektiert zweifellos das Ende der Arbeiterinnen und Arbeiter als fortschrittliche historische Kraft. In der Tat konnten sich die entlassenen Arbeiterinnen und Arbeiter im Kampf nur auf zwei Arten aus dem Griff der Gewerkschaften/der Syndikate befreien: auf reaktionäre Weise (Tendenz zur Rückkehr zur Kleinproduktion und zum Vertrieb über die Märkte) oder auf revolutionär-kommunistischer Grundlage (Zerstörung des Werts, der Lohnarbeit, des Unternehmens selbst und des Marktes). Das waren die Szenarien der rätekommunistischen Ultra-Linken, die nur in die Katastrophe führen konnten.54 „Wir machen, wir verkaufen, wir werden bezahlt – es ist möglich“, sang das Komitee der Aktion LIP zusammen mit den verwirrten Ultra-Linken und maoistischen Hintermännern, die einen großen Teil der Öffentlichkeitsarbeit leisteten. Aber nein, es war nicht möglich. Die Entwicklung und Vergesellschaftung der Produktivkräfte durch den Kapitalismus verbietet jede Rückkehr zu einer solchen niederen Produktionsweise und einem merkantilen Tausch, es sei denn, sie wird in begrenzten oder allgemeinen Krisen (mit anderen Entwicklungen) als Mittel benutzt, um die Unmöglichkeit der Fortsetzung des kapitalistischen Reproduktionszyklus zu verbergen. In diesem Fall hat das Ende der Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung sofort das Erbe dieser Entwicklung zum Inhalt: die Rückverwandlung ihrer Theorie und Praxis in die potenzielle Konterrevolution.

Das sollte nur diejenigen verwundern, die die historische Bewegung oder den direkten Zusammenhang zwischen Revolution und Konterrevolution nicht in Betracht ziehen.

Kapitel III

KRISE UND SELBSTVERWALTUNG

Das ist der Weg, der eingeschlagen werden muss:
Erstens, die Arbeiterinnen und Arbeiter mehr zu motivieren, als sie es jetzt sind.
Das heißt, nicht zuzulassen, dass neun Stunden Arbeit
ohne eine Besprechung vergehen, damit jede Arbeiterinnen und jeder Arbeiter versteht
was im Unternehmen als Ganzes passiert,
wohin es geht, warum wir arbeiten und was das für die Gesellschaft bedeutet.
Dann wird es für die Gesellschaft notwendig sein
auf die Bestrebungen der Arbeiterinnen und Arbeiter reagieren….
Es könnte sein, dass einige Leute Verantwortung übernehmen,
es könnte Verantwortungen geben, die rotiert werden;
Wenn man Verantwortung übernimmt, passiert etwas;
lernt man dann, viele andere Dinge zu akzeptieren;
wenn man versteht, warum,
dann kann man viele andere Dinge sehr gut akzeptieren.

– Charles Piaget, Interview mit Lip

1. Die Gemeinschaft der Arbeiterinnen und Arbeiter und die menschliche Gemeinschaft

Neben der Selbstverwaltung wurde in Bezug auf LIP viel über menschliche Wärme, die Wiederentdeckung der Lebensfreude usw. gesprochen, nicht nur auf den großen Treffen und Solidaritätsmärschen (wir haben bereits gesehen, wofür sie stehen), sondern auch im Unternehmen selbst. Diese Ideen tauchen immer wieder in den Interviews mit den „LIP´s“ auf; endlich können wir uns selbst erkennen; jeder konnte sich ausdrücken. . . Selbst viele von denen, die die Grenzen des Kampfes erkannten, ließen sich von der karnevalistischen Atmosphäre am Anfang mitreißen; sie glaubten, dass etwas von dieser Atmosphäre erhalten bliebe und dass die Form des Kampfes der „LIP´s“ eine ganz eigene „Dynamik“ hätte, unabhängig von ihrem begrenzten Inhalt.

Tatsächlich hielt der archaische Charakter des Produktionsprozesses der LIP Uhrenfabrik die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht nur nicht davon ab, ihr Unternehmen mit allen Mitteln zu schützen, sondern ermöglichte es ihnen auch, eine homogene Gruppe zu bilden, die dem personifizierten Feind gegenüberstand: ihrem Chef. Als der Chef in Konkurs ging und verschwand, weil sein Kapital nicht mehr wettbewerbsfähig war, sahen sich die Arbeiterinnen und Arbeiter mit ihren Werkzeugen und ihrem Produktionsprozess negiert und untätig. Die Forderung, den Produktionsprozess selbst in Gang zu setzen, konnte nur durch die Art von Enthusiasmus aufrechterhalten werden, die ein neu gefundenes Gemeinschaftsgefühl bekräftigte.

Jede Art von Zusammenbruch innerhalb einer Gemeinschaft führt früher oder später zur Bildung einer neuen Gemeinschaft, die anfangs Begeisterung in der neu gebildeten Gemeinschaft hervorruft. Für die Arbeiterinnen und Arbeiter der LIP Uhrenfabrik war der Bruch mit ihrer bisherigen Gemeinschaft jedoch nicht nur deshalb so tiefgreifend, weil sie als Proletarier der Mittel zum Lebensunterhalt beraubt wurden (was der Ursprung ihres neu gefundenen Gemeinschaftsgefühls war), sondern vor allem, weil sie wieder Gebrauch von den Gegenständen und Bewegungen machen konnten, derer sie beraubt worden waren; die Neuformierung der LIP-Gemeinschaft als kollektiver Kapitalist auf der Grundlage des Verschwindens des „äußeren“ Zwangs von Chefs, Direktoren usw. muss ganz plötzlich ein gewaltiges Gefühl der Begeisterung ausgelöst haben.

Zunächst einmal können wir diese Art der Verbrüderung direkt mit der Verbrüderung vergleichen, die die Bildung von Arbeiterinnen und Arbeitern im neunzehnten Jahrhundert kennzeichnete, und in jüngerer Zeit mit den zahlreichen Arbeitsgemeinschaften, die am Ende des letzten Krieges in Frankreich entstanden sind. Tatsächlich gibt es selbst auf dieser einfachen Ebene grundlegende Unterschiede, aber bevor wir sie aufgreifen, müssen wir die Gemeinsamkeiten und ihren Ursprung verstehen.

Die Arbeitsgemeinschaften, die aus dem Krieg hervorgingen, entwickelten sich in Gebieten, in denen die Zerstörung der Produktivkräfte groß gewesen war, und in den Produktionsbereichen, in denen es anfangs wenig konstantes Kapital gab. Generell wurde die Wiedergeburt solcher Gemeinschaften in einer Form, die den Arbeiterinnen und Arbeitern nahe kommt, durch die Verjüngung des Betriebskapitals während des Krieges in Verbindung mit dem allgemein archaischen Charakter des französischen Kapitalismus als Ganzes ermöglicht. Die wenigen Individuen, die an diesen neuen Produktionseinheiten beteiligt waren, verkündeten gleiche Löhne und Gleichheit in der Verwaltung und glaubten offenbar aufrichtig, dass sie sozialistische Unternehmen nach dem Vorbild der Arbeiterinnen und Arbeiter des 19. Jahrhunderts gründen würden! Ein gutes Beispiel dafür ist die Arbeitsgemeinschaft Boimondau (Hersteller von Dauphine-Uhrengehäusen) in Valence in der Drôme.

Diese Gemeinschaft wurde von christlichen Sozialisten, Anarchosyndikalisten und anderen militanten Sozialisten gegründet, die in der Résistance in Vercours bekannt waren (die Region Drome und Ardéche erlebte dank dieser wichtigen Résistance-Zelle eine enorme Vernichtung von Menschen und Material). Es handelte sich um eine Uhrenfabrik, um die herum eine Stadt gebaut wurde, in der dieses Minikapitalistenkollektiv und seine Familie lebten. Das Ensemble aus Fabrikwohnungen erhielt den vielsagenden Namen La Cité Horlogère (Die Uhr-Stadt). Regelmäßig wurden Vollversammlungen abgehalten, um kollektive Entscheidungen zu treffen, die vom Betrieb bis zur Freizeitgestaltung reichten; so wurde zum Beispiel versucht, per Dekret „sexuelle Freiheit“ einzuführen.

In ähnlicher Weise gab es in der neuen LIP die Tendenz, ein Gemeinschaftsleben rund um das Unternehmen zu schaffen: Treffen, Sandwiches und kleine Feste wurden, wie es scheint, fast täglich abgehalten.

Aber hier endet der Vergleich, denn während in Boimondau von Anfang an eine echte Lohngleichheit herrschte, haben wir in LIP gesehen, dass die Aufrechterhaltung einer Lohnhierarchie eine zwingende Notwendigkeit bei der Schaffung des kollektiven Kapitalisten war: In Boimondau ermöglichte der Rahmen der allgemeinen Reakkumulation des französischen Kapitalismus, dass die Gemeinschaft der Arbeiterinnen und Arbeiter in relativer „Reinheit“ Gestalt annahm. Die Unmöglichkeit der kapitalistischen Reproduktion in LIP konnte jedoch dazu führen, dass das Kollektiv in LIP nur als „Bastard“-Arbeiterinnen und Arbeiter existierte.55 Boimondau war ein Produkt der Zerstörung der Produktionskräfte. LIP wurde durch ihre widersprüchliche Entwicklung geschaffen. In LIP wurde kein neues Unternehmen geboren. Vielmehr wurde das alte durch eine Art von Modernisierung gerettet.

Rocard erklärt zur Rechtfertigung dieser Art von Verwaltung vergeblich, dass gleich nach dem Krieg mehrere hundert Arbeitsgemeinschaften gegründet wurden56: Einige Soziologen haben vergeblich das Boimondau-Experiment wiederbelebt.57 Doch heute hat die Idee, dass die Ware Arbeitskraft die Kontrolle über ihre eigene Situation übernimmt, eine ganz andere Bedeutung.

Aus denselben Gründen trat ein weiterer grundlegender Unterschied zutage: Zu den Arbeiterinnen und Arbeitern von LIP gesellten sich neben externen Organisationen und militanten Gruppen zahlreiche Außenseiter aus dem Stadtteil Palente in Besançon und aus anderen Teilen Frankreichs.

Diese Konzentration in Palente hatte zwei komplementäre Gründe: Da die französische Gesellschaft kapitalistisch ist, war das Überleben von LIP, wie wir gesehen haben, für die Stadt und die umliegende Region von entscheidender Bedeutung. Außerdem konnte sich diese materielle Gemeinschaft nur im Widerspruch zu ihren eigenen Grundlagen entwickeln; sie konnte in ihrer üblichen Form nicht mehr die Gesamtheit der Menschen organisieren, die sie vorgab, in sich aufzunehmen (z. B. Hippie-Kommunen usw.). Diejenigen, die nicht zu den „Randgemeinschaften“ gehörten, waren der widersprüchlichen Bewegung ausgesetzt, die mit der Zersetzung der sozialen Beziehungen einherging: daher die Zunahme der „Kriminalität“. Die Instabilität der materiellen Gemeinschaft des Kapitalismus,58 der tiefere Ursprung seines unerträglichen Charakters, macht jede Art der Zersetzung attraktiv, selbst wenn sie auf der reaktionären Grundlage der Lohnarbeit und der Aneignung des Produkts für den Verkauf auf dem Markt durch den Produzenten selbst erfolgt, wie es bei LIP der Fall war.

Die gewalttätigen Auseinandersetzungen nach der Besetzung der Fabrik von der CRS [Nationalgarde] können als eine Art proletarischer Ausbruch betrachtet werden – nicht als Ausdruck der Solidarität zur Verteidigung der Fabrik selbst (die Verhafteten sagten, sie seien gekommen, „um zu sehen“ oder „um sich zu amüsieren“), sondern als gewalttätiger Ausdruck des Wunsches, an einem Zusammenbruch teilzunehmen, wenn sich die Gelegenheit bietet.59 Es war kein Zufall, dass viele der Verurteilten straffällig geworden waren. Außerdem haben sich solche Ereignisse seit mehreren Jahren mehr oder weniger regelmäßig ereignet, wann immer die Bedingungen für eine Ausschreitung oder den kleinsten Aufruhr gegeben waren. Das ist der Ursprung und der scheinbar unerklärliche Inhalt der Gewalt, die sich durch ihren „Hooligan“-Stempel auszeichnet – also ihr Tiefgang und ihre Begrenzung.

Im Gegensatz zu den Arbeiterinnen und Arbeitern von LIP ist die Masse der Proletarierinnen und Proletarier, die ihre Arbeitskraft in den spezifisch kapitalistischen Produktionsprozessen einsetzen, so austauschbar, dass ihnen die Existenz und das Leben dieses oder jenes Unternehmens völlig egal ist. Als anonyme Opfer der steigenden organischen Zusammensetzung des Kapitals sind sie arbeitslos (für die Jungen bedeutet das oft, dass sie keine Möglichkeit haben, in den globalen Produktionsprozess einzusteigen) und fühlen sich nicht gezwungen, sich gegen einen bestimmten Gegner zu organisieren.60 Der Feind, dem sie zum Opfer gefallen sind, ist kein bestimmter Kapitalist, sondern die kapitalistische Gesellschaft als Ganzes, die sie mehr oder weniger verwirrt wahrnehmen.

Ohne eine allgemeine Krise ist die Ablehnung der Arbeitskraft nichts anderes als eine der Reproduktionsnotwendigkeiten des globalen Kapitalismus. Diese Proletarier bilden eine industrielle Reservearmee, die für die allgemeine Expansion des Kapitalismus notwendig ist, da sie einen Druck ausüben, der die Löhne niedrig hält. Der grundlegende Unterschied zwischen der Armee der Arbeitslosen des neunzehnten Jahrhunderts und der heutigen besteht jedoch darin, dass letztere sich in den am weitesten entwickelten kapitalistischen Metropolen als relativ stabile Gemeinschaften von Lebensarbeitslosen sammeln können, deren Größe nur durch das Ausmaß der Entwicklung der Produktivkräfte in Bezug auf die Produktionsverhältnisse begrenzt ist. So haben sich in den letzten zwanzig Jahren in den USA Ghettos von schwarzen Proletariern entwickelt, die durch ihre Aufstände, wie 1965, ihr Bedürfnis nach einer menschlichen Gemeinschaft zum Ausdruck bringen konnten; aber diese Revolten stießen sofort an ihre Grenzen und wurden dadurch gebremst, dass es in dieser Zeit der allgemeinen Expansion unmöglich war, das Herz des Kapitalismus anzugreifen: die Produktionsverhältnisse.

Wenn es jedoch keine allgemeine Krise gibt, wird die Schwäche der vorübergehend Eingeschlossenen und der dauerhaft Ausgeschlossenen zu einer potenziell revolutionären Kraft, wenn die Krise die gesamte Gesellschaft erfasst – das heißt, wenn die Bewegung zur Entwertung am Ende über die Bewegung zur Verwertung siegt und die kapitalistische Produktionsweise gezwungen ist, ihren Ruin zu offenbaren.

Da der allgemeinen Krise das Wesen des Kapitalismus zugrunde liegt, das in der Akkumulation durch autonome Unternehmen besteht, kann sich das Proletariat nur dann als Klasse formieren, wenn es das Unternehmen (und nicht mehr die Gruppen innerhalb des Unternehmens) überwindet, um eine einheitliche Produktionsweise zu schaffen, die von dem durch den Tauschwert geschaffenen Umweg zwischen Produktion und Konsumtion befreit ist und die in einer Krise ihre Absurdität offenbart.

Die durch ihre Arbeit undifferenzierte proletarische Masse, die diese „Klasse innerhalb der bourgeoisen Gesellschaft, die zugleich keine Klasse der bourgeoisen Gesellschaft ist“, in der Krise auf banale Weise verkörpert, sieht sich gezwungen, das letzte Glied zu zerschlagen und kann sich nicht mehr als Kategorie des Kapitals reproduzieren. Diese Klasse an sich neigt dazu, sich als historische Partei zu organisieren, die ihre Zukunft in der menschlichen Gemeinschaft bejaht; diese Klasse hat keine „Zukunft“ außer in ihrer eigenen Unterdrückung. Die Bildung der menschlichen Gemeinschaft ist das Ergebnis der Entwicklung der Produktivkräfte durch die Gemeinschaft des Kapitals und ist die einzige historisch mögliche Ablösung der Gemeinschaft des Kapitals. Durch die Integration dieser Entwicklung, durch die sie die Arbeit radikal umwandelt, zerstört die menschliche Gemeinschaft auf positive Weise die Ideologie der Arbeit, die der Kapitalismus zu etwas Negativem gemacht hatte: Die Arbeitszeit verschwindet schließlich als einziges Maß des gesellschaftlichen Reichtums zugunsten der „freien Zeit“.

Tatsächlich bringt der Kommunismus das Ende der Aufteilung von Arbeitszeit/Freizeit mit sich, indem er alle Tätigkeiten zu Tätigkeiten verschmilzt, die für die Produktion und Reproduktion der Menschheit notwendig sind; die daraus resultierende Verschmelzung würde folglich nicht auf der Grundlage der Arbeit von zu Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern entfremdeten Menschen erfolgen, wie es in der Arbeitergemeinschaft der Fall war. So wird die zeitgesteuerte Produktion der Zeitproduzenten, die die LIP Uhrenfabrik war, in der guten Gesellschaft des Geldes gleich doppelt negiert.

Aber wenn die Organisation des Proletariats als eine Klasse für sich selbst, die sich auf den Aufbau der menschlichen Gemeinschaft ausrichtet, ebenso ein Produkt der globalen Entwicklung des Kapitalismus ist wie die Unfähigkeit des Kapitals, sich selbst zu reproduzieren, dann ist das Ergebnis nicht automatisch oder unvermeidlich.

„Lasst uns die UNTERNEHMEN wieder aufbauen
mit Hilfe der Selbstverwaltung
und sie nicht zerstören. . .“
– Serge Mallet,
La nouvelle classe ouvrière
„Der Sozialismus besteht vollständig
in der revolutionären Verneinung des
des kapitalistischen UNTERNEHMENS,
nicht in der Überlassung des Unternehmens
an die Arbeiterinnen und Arbeiter.“
– Amadeo Bordiga, Eigentum und Kapital

2. Die selbstverwaltete Konterrevolution

In der kapitalistischen Gesellschaft bilden Revolution und Konterrevolution ein verbundenes Paar, obwohl sie einander radikal entgegengesetzt sind. Beide sind in der widersprüchlichen Bewegung verbunden, die für die kapitalistische Reproduktion unverzichtbar ist und gleichzeitig diese Reproduktion fesselt. Die Krise, die gleichzeitig die Explosion des Widerspruchs und der Beginn seiner Auflösung ist, impliziert somit das ständige Auftauchen von Revolution und Konterrevolution.

Beide werden durch die vorherrschende Bewegung der Entwertung vorangetrieben: die Konterrevolution, weil diese wichtige Entwertung für eine spätere Aufwertung notwendig ist; die Revolution, weil eine solche Periode der Entwertung ihre Verkommenheit ausstrahlt.

Während die Revolution also jede spätere Entwertung abkürzen muss, muss die Konterrevolution zunächst die Entwertung übernehmen, in der Hoffnung, die Widersprüche zu rationalisieren. Angesichts der Tiefe der gegenwärtigen Widersprüche kann die Konterrevolution jedoch nur eine Perspektive für eine kapitalistische Lösung entwickeln: die massive Zerstörung der Produktivkräfte.

Diese Entwicklung führt dazu, dass die revolutionäre Bewegung gehemmt wird und sporadische Revolten ihre Ziele nicht erreichen und niedergeschlagen werden (man denke nur an die Repression von Revolten in wenig entwickelten oder unterentwickelten kapitalistischen Ländern, die bereits die ersten heftigen Schläge der Krise erlitten haben: Griechenland, Indien, Äthiopien, Bolivien usw.).

Auf einer unmittelbareren Ebene der proletarischen Aktivität und des Bewusstseins spiegeln Revolution und Konterrevolution die Unmöglichkeit wider, die kapitalistische Gemeinschaft zu reproduzieren, die im globalen Maßstab das Leben der desorientierten Proletarier desorganisiert hat. Die Auflösung der Bewusstseinsform, die den materiellen Bedingungen in einem Zustand der Selbstzerstörung entspricht, setzt die Bildung eines neuen Bewusstseins voraus, das die neuen Bedingungen reflektiert.

Für das Proletariat in einem krisengeschüttelten Kapitalismus wird die Auflösung des Bewusstseins, das durch die Ideologie mit der Selbstverwertung des Kapitals verbunden ist, unmittelbar in das Bewusstsein umgesetzt, eine Klasse ohne Reserven zu sein, die nur ihre Arbeitskraft besitzt.

Das Proletariat, das gezwungen ist, Maßnahmen zu ergreifen, um seine verlorenen Existenzmittel zu reproduzieren – oder einen viel niedrigeren Lebensstandard zu erreichen, weil die Reallöhne brutal gesunken sind -, sieht in der Situation, mit der es konfrontiert ist, die Möglichkeit von zwei Arten von Reaktionen:

1) eine spontane Tendenz, die historische Bewegung der Produktivkräfte zu personifizieren, die das Ende der kapitalistischen Produktionsweise ankündigt und nach einer gemeinschaftlichen Organisation auf menschlicher Basis ruft;

2) eine Tendenz, den Ursprung all dieser Übel in sekundären kapitalistischen Phänomenen zu suchen, die die Wurzeln des Widerspruchs verschleiern und die historische Bewegung behindern.61

Es entsteht ein oberflächlicher Antikapitalismus, der sich aus verschiedenen Ideologien speist und zu dessen Entwicklung die frühere Auflösung des Bewusstseins beiträgt. Diese Ideologien haben den gemeinsamen Wunsch, die Krise für das Proletariat zu lösen, indem sie an der proletarischen Revolution sparen und einen Mischmasch aus reaktionären und reformistischen Maßnahmen vorschlagen. Sie spiegeln eine Tendenz zu kommunitären Reformen auf der dünnen Basis des fortbestehenden Kapitalismus wider.

So bedeuteten die faschistischen und demokratischen Antworten (Volksfront) auf die Krise von 1929/30 ein beispielloses Festhalten am Prinzip der Lohnarbeit genau zu dem Zeitpunkt, als sich die Lohnarbeit im Prozess der Selbstzerstörung befand. Ermöglicht wurde dies durch die Zerstörung der revolutionären Bewegung.

Wenn das Proletariat die Klasse des Bewusstseins ist, wird der Zusammenbruch seiner entfremdeten Gemeinschaft weder aus dem Aufstieg einer neuen Produktionsweise resultieren noch automatisch damit einhergehen. Anders als frühere revolutionäre Klassen wird das Proletariat nicht von der unwiderstehlichen Kraft des Werts getragen, den es zerstören muss. Um seine Arbeit zu verrichten, hat es nichts als seine Menschlichkeit.

Daher die Bedeutung der revolutionären Theorie in der kommunistischen Bewegung. „Klassenbewusstsein“ bedeutet nicht, dass „die Revolution zuerst im Kopf stattfindet“, wie verschiedene Akademiker und andere Modernisten vorgeben. Sie spiegeln lediglich die Tendenz des Kapitalismus wider, jede Form von sozialer Aktivität und sozialer Existenz für einen wachsenden Teil seiner Sklaven zu unterdrücken. Die „Bedeutung der Theorie“ bedeutet nicht, dass das Proletariat gezwungen werden muss, bewusst zu werden, wie es alle möglichen militanten Pädagogen versucht haben (zum Beispiel, den Arbeiterinnen und Arbeitern von LIP zu sagen, dass sie ihre Praxis überwinden können oder müssen).62 Ganz einfach: Die kommunistische Theorie, die der widersprüchlichen Bewegung des Kapitals inhärent ist, wird dazu neigen, auf der Ebene der praktischen revolutionären Maßnahmen spontaner und breiter produziert zu werden als heute.

Heute, da die traditionelle Figur des kapitalistischen Unternehmers tendenziell völlig verschwindet, zeigt sich die Tiefe der Krise daran, dass die Selbstverwaltung in einigen Ländern zu einer plausiblen konterrevolutionären Kraft wird. Zweifellos ist sie nur eine der Komponenten der Konterrevolution und wird wahrscheinlich mit anderen Formen koexistieren oder sich ihnen entgegenstellen, aber es ist möglich, die praktische Funktion der Selbstverwaltung zu skizzieren, die sich bereits aus dem inhärenten Charakter und Inhalt der Krise ergibt. Wenn die Tiefe der Krise das Ausmaß bestimmt, in dem die Arbeitskraft sich selbst in die Hand nimmt, dann kann sich die Selbstverwaltung (d.h. die Reorganisation der Krise der kapitalistischen Gesellschaft) nur in den Industrieländern entwickeln, in denen die organische Zusammensetzung des Kapitals nicht sehr hoch ist, vor allem in Frankreich und Italien. Die Krise ist per Definition ein Mangel an Profit. In diesen Ländern ist der Anteil des variablen Kapitals noch groß genug, so dass es in einer ersten Phase möglich sein könnte, gegen das Verschwinden der Profite anzukämpfen, indem man den Wert der Arbeitskraft radikal senkt. Natürlich würde dies auch in Ländern mit einer sehr hohen organischen Zusammensetzung des Kapitals geschehen, aber mit dem Unterschied, dass die Rolle der lebendigen Arbeit in diesen Ländern relativ gering ist und daher keine speziell auf dieses Ziel ausgerichtete Art der sozialen Organisation erforderlich wäre. Wie wir gesehen haben, ist in diesen Ländern – insbesondere in den USA – die Logik des Überschussprofits bereits im Profit selbst enthalten.

Die Selbstverwaltung ist eine Möglichkeit, den Widerspruch zwischen Verwertung und Entwertung durch die Arbeitskräfte zu kontrollieren, denn dann wäre die gesamte Gesellschaft so organisiert, dass der Wert der lebendigen Ware Arbeit gesenkt wird. Es geht darum, dass die Bevölkerung Tätigkeiten übernimmt, die bisher vom Kapital ausgeführt wurden und die folglich die Kosten für den Unterhalt der Arbeitskräfte erhöhen. Die Inhalte dieser Art von Selbstverwaltung können wir bereits teilweise in verschiedenen parallelen Überlebensnetzwerken sehen, die in den letzten Jahren entstanden sind (Parallelschulen, inoffizielle Kindergärten, Kliniken, Lebensmittelkooperativen usw.). Es ist bezeichnend, dass die Massenmedien mit Beginn der Krise begonnen haben, einige dieser Experimente zu veröffentlichen (z. B. die positive Darstellung der „freien Kliniken“ in der Fernsehsendung vom 31. März 1974).

Auf Unternehmensebene entwickelt sich die Selbstverwaltung zunächst in den Sektoren, in denen die niedrige Profitrate nicht durch eine Steigerung der Produktivität über eine Erhöhung der technischen Zusammensetzung des Kapitals kompensiert werden kann, da die Krise gerade ein Mangel an Kapital ist, das für solche Investitionen notwendig ist. Eine Produktivitätssteigerung kann jedoch durch eine weitere Unterwerfung der Arbeitskräfte unter den Produktionsprozess erreicht werden: Durch die Beseitigung verschiedener Formen des proletarischen Widerstands gegen die reale Herrschaft des Kapitals (Absentismus, Sabotage) ist es möglich, die Intensität und Geschwindigkeit des Arbeitsprozesses zu erhöhen. Verschiedene Versuche zur „Anreicherung der Arbeit“ und insbesondere die Organisation autonomer Arbeitsgruppen (Donelly, General Food, Volvo … ) fallen in diese Richtung, da sie aus den Schwierigkeiten des Kapitalismus mit der Verwertung seit Ende der 1960er Jahre resultieren; sie bleiben jedoch sehr begrenzte Experimente, da der Kapitalismus sie noch nicht im globalen Maßstab reproduzieren konnte.

Die Verschärfung der Krise, die die Frage der Selbstverwaltung aufwirft, wird solche Experimente verallgemeinern und ausweiten, denen ein angemessener Rahmen gegeben werden muss.63 Aus dieser Perspektive werden neue Gewinne aus der Steigerung der Produktivität und der Senkung der unproduktiven Kosten erzielt, da die Selbstverwaltung, wie der Name schon sagt, darin besteht, einen Teil der Aufgaben der Kapitalverwaltung an die Arbeitskräfte selbst zu übertragen.

Die Funktion der Selbstverwaltung im Unternehmen besteht also nicht darin, den Wert der Arbeitskräfte zu senken, sondern darin, den geeigneten Rahmen zu bilden, in dem die Arbeitskräfte militarisiert und an diese Art der Rationalisierung der Produktion angepasst werden.

In dieser hypothetischen Entwicklung, die den – wenn auch nur vorübergehenden – Sieg der Konterrevolution darstellt, bindet die Selbstverwaltung die Arbeiterinnen und Arbeiter an das Unternehmen; sie erhält die für das soziale Gefüge wesentliche Verbindung aufrecht, während sie gleichzeitig eine Bewegung durchführt, die über das Unternehmen hinausgeht – eine Bewegung, die die Gesellschaft in eine Gemeinschaft der Armut verwandelt. Die konzentrierte Selbstverwaltung ist die konterrevolutionäre Antwort auf die potenzielle Überwindung des Unternehmens durch austauschbare Arbeiterinnen und Arbeiter, die die Selbstverwaltung an den populären Nationalstaat bindet und in ihm versammelt. Wenn die Selbstverwaltung in den Industrieländern mit einer geringen organischen Zusammensetzung des Kapitals praktiziert wird, ist dies nicht nur auf die Produktionsstruktur dieser Länder zurückzuführen, sondern auch auf das Niveau der Ökonomie der Welt. Gebiete mit einer viel höheren organischen Zusammensetzung des Kapitals haben immer mehr Schwierigkeiten, die für die Reproduktion des Kapitals notwendigen Gewinne zu erzielen, aber ihre höhere organische Zusammensetzung ermöglicht es ihnen, den Werttransfer im Zuge des Austauschs mit weniger entwickelten Gebieten (ungleicher Austausch) zu ihren Gunsten zu gestalten. Dieser Wertzuwachs bildet die für sie immer notwendigeren Überschussgewinne, die sich daraus ergeben, dass die verkaufte Ware weniger Arbeit enthält als die, gegen die sie getauscht wird. Damit dieser Transfer funktioniert, muss jedes Land mit einer hohen organischen Zusammensetzung seine Fläche ständig vergrößern, was erklärt, warum die am weitesten entwickelten Länder immer zum freien Austausch gezwungen sind (z. B. die USA und der Gemeinsame Agrarmarkt).

Da der Bedarf an Überschussprofiten in einer Krisensituation steigt, werden die Länder mit einer hohen organischen Zusammensetzung des Kapitals versuchen, andere Länder in ihre Tauschzone zu zwingen. In einer weltweiten Krisensituation werden diese anderen Länder jedoch weniger denn je bereit sein, diese Wertflucht zu tolerieren, und werden versuchen, sich dagegen zu wehren, indem sie ihre Autarkie organisieren. Die Selbstverwaltung wird eine Rolle bei der Organisation dieser Autarkie und bei der allgemeinen Militarisierung der Bevölkerung gegen die überentwickelten Länder spielen, die dann als Feind definiert werden. (Dieser Antagonismus zeichnet sich bereits heute zwischen Frankreich und den USA ab.)

Die Selbstverwaltung könnte so zu einem Kriegsmechanismus für die ökonomisch schwachen Länder werden, zu einem Mechanismus des Dritten Weltkriegs, den ein solcher Interessenkonflikt auslösen kann.

Die Militarisierung der Arbeit und der Organisation durch die Nachbarschaft, die der Selbstverwaltung zugrunde liegt, würde sich natürlich auch auf die Militarisierung des Staatsbürgers ausweiten. Selbstverwaltung gibt es nur in Bezug auf die Gesamtheit und die Organisation von oben nach unten aller kapitalistischen Kategorien.

Die Begründung für einen solchen „selbstverwalteten Staat“ wäre der Antiimperialismus, den er noch verschärfen würde. Die kapitalistische extreme Linke wird dazu aufgerufen, eine zentrale Rolle in diesem Kriegsmechanismus zu spielen, wie die patriotische Mobilisierung im LIP-Konflikt und ihre Unterstützung für das eine Lager gegen das andere im letzten arabisch-israelischen Krieg zeigen. Es ist bezeichnend, dass sich in einer Partei wie der Sozialistischen Partei Frankreichs, die sich als Regierungspartei präsentiert, eine Fraktion – die CERES – auf der Grundlage der Selbstverwaltung und des gewalttätigen Anti-US-Imperialismus bilden kann. Nicht weniger bedeutsam ist, dass die Kommunistische Partei Frankreichs selbst der Meinung ist, dass „sich die Art und Weise, wie die Frage der Selbstverwaltung heute gestellt wird, positiv entwickelt hat“ und „Kommunisten auf dem Gebiet der Selbstverwaltung unübertroffen sind.“64 Schließlich müssen wir feststellen, dass die rein gaullistische Fraktion mit dem „US-Imperialismus“ auf Kriegsfuß steht – die „Progressive Front“ stimmt mit den linken Organisationen in der gesamten Bandbreite ihrer Programme überein (ganz zu schweigen von den Royalisten der N.A.F., die sich zu Parteigängern der Selbstverwaltung erklärt haben)

Die Selbstverwaltung scheint auf dem Weg zu sein, die neue Form der Union Sacrée (Heiligen Union) zu werden.

Allerdings droht die Autarkie der selbstverwalteten Länder bestimmte Widersprüche zu verstärken. Es stimmt zwar, dass diese Länder im Durchschnitt eine geringe organische Zusammensetzung des Kapitals haben, aber wir haben gesehen, dass sie auch hoch entwickelte Unternehmen haben, die kein Interesse an Autarkie haben können. Sie stoßen auch auf die Feindseligkeit anderer, weniger entwickelter Unternehmenszweige, die sinkende Gewinne nicht verkraften können und im Zentrum der Krise stehen, die gleichbedeutend mit der Liquidierung der kleineren ökonomischen Sektoren ist. So entsteht ein Interessenkonflikt über die Art und Weise, wie der Mehrwert aufgeteilt wird, wobei die weniger entwickelten Unternehmen und Sektoren versuchen, Mechanismen einzurichten, um den Wertverlust auf Sektoren mit einer höheren organischen Zusammensetzung des Kapitals abzuwälzen.

Dieser ungleiche Austausch spiegelt die ungleiche Entwicklung der verschiedenen Regionen wider, die mit dem Aufkommen der Krise zu einem Aufschwung regionalistischer Gewalt und damit einhergehend zu Thesen über eine „Neokolonisierung des Inneren“ führt.

Auf einer akuteren Ebene könnten diese Antagonismen zu einem kapitalistischen Bürgerkrieg führen, der einen Teil der für das Kapital notwendigen Zerstörung der Produktivkräfte vollzieht.

Die Selbstverwaltung könnte sich auch als politische oder eher administrative Form der Bewältigung der inneren Antagonismen entwickeln. Wenn wir „administrativ“ sagen, dann deshalb, weil diese unlösbaren Interessenkonflikte einer der Gründe für eine autoritäre Organisation der Gesellschaft wären. Wenn die Konterrevolution in diesen Ländern heute eine noch nie dagewesene Beteiligung der Lohnsklaven des Kapitals an der Aufrechterhaltung ihrer Sklaverei bedeutet, erfordert die Integrität aller wesentlichen Kategorien der kapitalistischen Produktionsweise eine übergeordnete Kraft (den metamorphosierten, aber sehr realen Staat), die alle einzelnen Teile miteinander verbindet und den Zusammenhalt einer chaotischen Gesellschaft sicherstellt: Jede andere Idee der Selbstverwaltung (als Teil der bourgeoisen Fiktion von Freiheit und Gleichheit) ist nichts anderes als eine reaktionäre Utopie, ein Traum, den der Kapitalismus, selbst wenn er „selbstverwaltet“ ist, unweigerlich zum Platzen bringen wird. 65

Genauso wie das sozialdemokratische Programm, das während des Festes der kapitalistischen Reproduktion (vor 1914) ausgearbeitet wurde, nur eine reaktionäre Utopie war, die schließlich in der Volksfront und vor allem im Nationalsozialismus verwirklicht wurde, können die Imperative der Krise von ultralinken Schemata nur zu Rezepten zur Rettung des Kapitalismus reduziert werden.

Während die Autonomie des revolutionären Proletariats unbestritten ist, wenn es eine Klasse für sich ist, impliziert die Konterrevolution auch eine gewisse Autonomie des „Proletariats“ als Klasse, die den Kapitalismus aufrechterhält. Darüber hinaus ist es in Bezug auf alle Komitees und anderen Organe der Basis, die in der Hitze der Krise entstehen, absolut notwendig, den Inhalt ihrer Tätigkeit ebenso wie den Inhalt der Bewegung, zu der sie gehören, ständig zu überprüfen, ohne sich von den Formen, die sie möglicherweise übernehmen, ablenken zu lassen.


1Karl Marx, Das Kapital, Band III (Moskau: Progress Publishers, 1966), S. 440.

2Die profitable Expansion des Kapitals.

3Entreprise, Nr. 967, S. 56, gibt ein Beispiel für diese Umwandlung eines Kapitals in eine Fiktion, nämlich die von British Petroleum: Zu einer Zeit (1972), als bei allen großen Ölgesellschaften der Investitionsbedarf stieg, während die Gewinne sanken, griff B.P. zur Finanzierung von Anlagen in der Nordsee auf ein Darlehen eines Bankenkonsortiums zurück, das mit einer Verzögerung von 5 bis 10 Jahren aus Mitteln zurückgezahlt werden sollte, die aus dem Verkauf von Öl aus dieser neuen Quelle stammten. So kann das neue produktive Kapital von B.P. auf einem erweiterten Niveau arbeiten, während das Geldkapital frühestens in fünf Jahren die entsprechende Größe erreicht haben wird.

4Vgl. G. Lefrancais, Mémoires d’un révolutionnaire, Paris : Ed. La Tête de Feuilles.

5Vgl. Problèmes Economiques, Nr. 1.357, 30. Januar 1974.

6A.d.Ü., Karl Marx – Friedrich Engels – Werke, Band 25, „Das Kapital“, Bd. III, Fünfter Abschnitt, S. 451 – 457 Dietz Verlag, Berlin/DDR 1983, SIEBENUNDZWANZIGSTES KAPITEL, Die Rolle des Kredits in der kapitalistischen Produktion

7In den entwickelten Staaten wird ihre Rolle als Verwalter der Arbeitskraft, die ihre Integration als Maschinerie in die kapitalistische Gesellschaft kennzeichnet, besonders deutlich, wenn sie – in Zusammenarbeit mit den Verwaltern des Gesamtkapitals – periodische Verträge über Lohnerhöhungen nach Produktionszweigen abschließen.

8Kommunistische Partei Frankreichs.

9G. LeFranc, Le syndicalisme en France, P.U.F.

10Serge Mallet, La nouvelle classe ouvrière, Paris : Seuil, 1963.

11Kapital, III, S. 388.

12Bordiga, Propriété et Capital, Kap. 4.

13Bordiga, Propriété et Capital, Kap. 4.

14Marx, Das Kapital, III, S. 380-381.

15Serge Mallet, La nouvelle classe ouvrière, S. 86-87.

16Bericht von Jean Boissonat, Chefredakteur von L’Expansion, an die Europäische Kommission, veröffentlicht in Problèmes Economiques, Nr. 1272, 17. Mai 1972.

17Serge Mallet, La nouvelle classe ouvrière, S. 102-103.

18Serge Mallet, La nouvelle classe ouvrière, S. 245.

19Die Demokratie entstand zusammen mit dem Wertgesetz zur Zeit der Auflösung der primitiven Gemeinschaften. Die athenische Demokratie war nur das Los der freien Männer, der anerkannten Staatsbürger; die Sklaven, die nach und nach zu den Hauptproduzenten wurden, waren durch die Definition des sozialen Wesens ausgeschlossen.

20Serge Mallet, La nouvelle classe ouvrière, S. 167.

21„Mini“ im Vergleich zu der allgemeinen Krise, die kommen wird.

22Vgl. insbesondere die „demokratische Verwaltung“ des Unternehmens, die demokratische Planung, in der neuen Perspektive der CGT, die im offiziellen Organ der CGT vorgestellt wurde: Le Peuple, Nr. 927, 16. bis 31. Oktober 1973.

23Marx, Un chapitre inédit du Capital, Paris : Ed. 10/18, 197 1, p. 201.

24Lip, Informationsbulletin, herausgegeben vom Komitee für Öffentlichkeitsarbeit der Arbeiterinnen und Arbeiter von Lip, S. 9.

25Vgl. „Syndicalisme-Hebdo“ (CFDT), zitiert in Le Monde, 9. August 1973.

26Ceyrac, zitiert von Le Monde, 21. September 1973.

27L’Expansion, September 1973, S. 100.

28Vgl. Dokument 3, Plan der Ebauches S.A. vom 8. Juni 1973, in Lip 73, Paris : Seuil.

29Le Monde, 22. September 1973.

30Le Monde, 22. September 1973.

31Le Monde, 7. Oktober 1973.31

32Alle Angaben in Francs, 5 f = 1 $. [1975 Fußnote]

33Le Monde, 14. August 1973.

34Le Monde, 14. August 1973.

35Chef der Sozialistischen Partei.

36Le Monde, 2. Februar 1974.

37Zitiert in Le Figaro, 7. Februar 1974.

38Lip Informationsbulletin, herausgegeben vom Komitee für Öffentlichkeitsarbeit der Arbeiterinnen und Arbeiter von Lip.

39AFP-Aussage, 8. Oktober 1973.

40Le Monde, 4. August 1973.

41Siehe Jean Lopez, Lip Interview, 18 rue Favart, 75002 Paris, November 1973, S. 27-31.

42Jean Lopez, Interview mit Lip, 18 rue Favart, 75002 Paris, November 1973, S. 30.

43Jean Lopez, Interview mit Lip, 18 rue Favart, 75002 Paris, November 1973, S. 31.

44Lip Informationsbulletin, herausgegeben vom Komitee für Öffentlichkeitsarbeit der Arbeiterinnen und Arbeiter von Lip, S. 11.

45Lip Informationsbulletin, herausgegeben vom Komitee für Öffentlichkeitsarbeit der Arbeiterinnen und Arbeiter von Lip, S. 9.

46Das Geld für den „Arbeiterlohn“ stammte nur aus dem Verkauf von Uhren, die die Arbeiterinnen und Arbeiter nach Beginn der Produktion hergestellt hatten. Hier ist also ein Beispiel für die proudhonistische Idee vom Recht des Produzenten auf sein Produkt. Generell lässt sich feststellen, dass die anfängliche Reaktion der Arbeiterinnen und Arbeiter zur Verteidigung ihrer Löhne im Laufe der Entwicklung der Situation zu einer Mischung aus archaischen Arbeiterklassentaktiken und modernen Verwaltungstechniken führte: die Wiederaufnahme der Produktion, um das oberflächliche Ziel (das tiefere Ziel ist die Verteidigung der Löhne) zu erreichen, die Bedeutung der produktiven Tätigkeit der Arbeiterinnen und Arbeiter im Gegensatz zur Überflüssigkeit des Chefs zu demonstrieren, die wirklich ein Merkmal der Arbeiterinnen und Arbeiter ist. Der Verkauf der produzierten Uhren (der ebenfalls durch den Wunsch, den Lohn zu verteidigen, motiviert war) demonstrierte auch die Fähigkeit der Arbeiterinnen und Arbeiter, die Dinge zu verwalten. Durch diese von der CFDT unterstützten Selbstverwaltungstendenzen erhielten Uhren und Löhne einen Preis und eine kapitalistische Form (zum Entsetzen einiger Situationisten).

47Zwischen dem 20. Juni und dem 16. November verkauften die Arbeiterinnen und Arbeiter 82.000 Uhren und erzielten damit einen Gesamterlös von mehr als 10 Millionen Franken (Zahlen von Ch. Piaget, zitiert in Le Figaro, 16. November 1973). Auf der Pressekonferenz der CFDT am 24. August – „Lip ist lebensfähig“ – wurde betont, dass das „Komitee für den Verkauf“ bereit sei, genaue Angaben zu den Modellen „Nachtigall“ und „Schlachtross“ sowie zu verschiedenen ästhetischen Verbesserungen zu machen, die an ihnen vorgenommen werden sollten. Außerdem stellte die CFDT fest, dass „die Erfahrungen mit dem Direktverkauf an Individuen und an Komitees in den Fabriken eine ernsthafte Analyse verdienen.“

48Vgl. Charles Piaget, Le Figaro, 16. November 1973.

49Die Werbung, die die Linke, die Neue Linke, die Gewerkschaften/die Syndikate und andere machten, um die Arbeiterinnen und Arbeiter auf den Besuch der Arbeiterinnen und Arbeiter von LIP vorzubereiten, beinhaltete einen einfachen Slogan, der sich bereits bewährt hatte: „Die Arbeiterinnen und Arbeiter von LIP kämpfen für alle Arbeiterinnen und Arbeiter“ (deshalb musst du sie unterstützen und vor allem finanzieren), gleichbedeutend mit „Ich fahre für dich“, das die LKW-Fahrerinnen und -Fahrer aufstellen, um dich zu überzeugen, ihre schwere Last zu ertragen. So läuft es in einer Gesellschaft, in der alle Tätigkeiten bei der Reproduktion des Kapitals zusammenarbeiten, in der jeder seine Arbeit zu erledigen hat, nicht zum Vergnügen, da kannst du sicher sein, sondern weil jede einzelne Unterbrechung dem allgemeinen Interesse schaden würde: die unerbittliche Logik der Situation, der jeder „Mann“ guten Willens zustimmen muss.

50 Interview mit Lip, 18 rue Favart, 75002 Paris, November 1973

51Es scheint, dass die Umwandlung von Geld in Produktionsmittel (Materialien) vorauszusehen war: siehe Le Monde vom 2. August 1973: „Laut den Verantwortlichen der Produktionsabteilung … wird es möglich sein, Rohstoffe zu kaufen: Wir prüfen verschiedene Vorschläge, die uns unterbreitet wurden.“ Diese Art von Managementlogik steckte auch hinter dem Versuch von „LIP“, den gesamten Reproduktionszyklus in Gang zu setzen: Siehe Le Monde vom 13. Juli 1973: „Die Arbeiterinnen und Arbeiter fügten hinzu: „Wir haben einen Plan für das Jahr erstellt, der eine Erneuerung der Uhrenproduktion und eine Wiederaufnahme der Aktivitäten in anderen Bereichen vorsieht.“ Die Räumung der Fabrik in Palente am 14. August [1973] setzte ihrem Vorhaben ein Ende. Dass die Arbeiterinnen und Arbeiter nicht in der Lage waren, den Kreislauf der kapitalistischen Reproduktion zu übernehmen, lag jedoch nicht in erster Linie am politischen Widerstand der Bourgeoisie, sondern vielmehr an der Unrentabilität des Unternehmens. Außerdem ist bekannt, dass Charbonnel, einer der Regierungsminister, am 12. Juli 1973 vorschlug, LIP in eine Genossenschaft umzuwandeln. Zu den Argumenten, die die CFDT gegen diese Idee vorbrachte, gehörten einige, die die unvermeidliche politische Feindseligkeit der Bosse mit ihrem Widerstand gegen ein von Arbeiterinnen und Arbeitern geführtes Unternehmen verbanden (siehe Le Monde, 21. August 1973). Dass die Genossenschaft nicht funktionieren würde, lag in erster Linie daran, dass sie keinen Gewinn erwirtschaften konnte. Ihr Delegierter Roland Vittot betonte in seiner Antwort an Charbonnel, dass die Gewerkschaften/die Syndikate den Vorschlag des Ministers ablehnten, da er einen „Beschäftigungsrückgang“ nicht aufgrund von Managementfehlern der alten Direktoren voraussah, sondern weil LIP zwangsläufig zu einem Fließband werden müsste, um zu überleben.

52Interview mit Lip, 18 rue Favart, 75002 Paris, November 1973

53Wir sollten, wenn auch nur am Rande, die Rolle der „Cahiers de Mai“ erwähnen, die zum größten Teil das Bulletin Lip Unité (Lip Vereint) übernommen haben. Seit einigen Jahren tritt diese Gruppe immer dann in Erscheinung, wenn die Arbeiterinnen und Arbeiter ein wenig Autonomie gegenüber den Gewerkschaften/den Syndikaten zeigen. Die organisatorische Flexibilität der „Cahiers de Mai“ macht sie zu einer idealen Ergänzung, ja sogar zu einer Beschönigung der gewerkschaftlichen/syndikalistischen Praxis, mit der sie durch ihre ausschließliche Bindung an eine Fabrik unmittelbar verbunden sind (im Gegensatz zu den „klassischen“ politischen Gruppierungen). Bei Pennaroya zum Beispiel organisierten sie 1972 in Abwesenheit der Gewerkschaft/des Syndikats von Anfang bis Ende den Streik der eingewanderten Arbeiterinnen und Arbeiter. Nach Beendigung des Konflikts halfen sie dann bei der Organisation einer lokalen Gewerkschaft/Syndikats in der Fabrik. Die scheinbare Zweideutigkeit der „Cahiers de Mai“ in ihrer Kritik an den Gewerkschaften/Syndikate (die sie für „spaltende“ Hierarchien verantwortlich machen), erinnert gleichzeitig an die Funktion der Gruppe, die Einheit unter einer atomisierten Arbeiterschaft zu fördern, und an ihren Ursprung im Mai 1968. Der Mai ’68 wurde zu oft für seine antibürokratische und antiautoritäre Dimension gelobt. Hin und wieder wurden die Grenzen dieser eindimensionalen Sichtweise aufgezeigt. Es bleibt zu zeigen, dass die Bewegung auf dieser Ebene auch bestimmte konterrevolutionäre Merkmale unserer Epoche vorwegnahm, die der Reifekrise des französischen Kapitalismus entsprechen, die der Mai 1968 bis zu einem gewissen Grad offenbarte.

54Und zwar genau zu dem Zeitpunkt, als es offensichtlich war, dass sie sich einer noch nie dagewesenen Öffentlichkeit erfreuten, indem sie sich der Techniken der herrschenden Moderne bedienten (siehe insbesondere die Wiederveröffentlichung des Gesamtwerks von Chaulieu, alias Cardan, alias Castoriadis usw. im Taschenbuch).

55Die Kapitalanhäufung in Boimondeau bedeutete das Ende des Experiments der Selbstverwaltung. Nach und nach wurde die Lohnhierarchie wiederhergestellt; ein oder besser zwei Eigentümer traten aus der Gemeinschaft hervor. Das Unternehmen legte neue Lohnskalen auf neuer Grundlage fest. Diese niedrigen Löhne waren das Verdienst eines der beiden Unternehmen, die Sträflinge nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis beschäftigten. Die meisten Arbeiterinnen und Arbeiter lebten außerhalb von Uhrenstadt (La Cité Horlogère), die außer ihrem Namen nichts Kommunales an sich hatte (viele Arbeiterinnen und Arbeiter wurden nach dem Mai ’68 entlassen, weil sie gestreikt hatten). Das Unternehmen lebte unter Qualen weiter und wurde nach vielen Höhen und Tiefen 1970 schließlich liquidiert, also verkauft. (Die Informationen über das Unternehmen, die hier nur kurz wiedergegeben werden, stammen von einer ehemaligen Arbeiterinnen und Arbeitern von Boimondeau, die das Ende der kommunalen Selbstverwaltung miterlebt hat, und eines Gefährten, der kurz nach ’68 dort gearbeitet hat).

56Le Monde, 29. Januar 1974. Von den vielen Nachkommen dieser Arbeiterinnen und Arbeiter überlebten nur wenige mehr als ein paar Monate oder Jahre, da die meisten eine unmittelbare, beschönigende Antwort auf die Desorganisation des Nachkriegskapitalismus und die momentane Abwesenheit der kapitalistischen Investoren waren (die in gewisser Weise auch in der „LIP Gemeinschaft“ erschienen).

57G. Friedman in Le Monde, 22. März 1974.

58Die Tendenz des Kapitalismus, nach 1945 materielle Gemeinschaften zu bilden, die sich im Wohlfahrtsstaat in den USA verkörpert, ist nicht dasselbe wie das Verschwinden interner Antagonismen oder die Schaffung einer echten Gemeinschaft von Menschen, auch wenn diese entfremdet sind. Im Gegenteil: Dass der Kapitalismus gezwungen ist, solche Gemeinschaften in seinen Metropolen zu gründen, ist das Ergebnis der unausweichlichen Entwicklung seiner Widersprüche (die zuvor durch die Übernahme keynesianischer Theorien umgangen wurde) und hat die extreme Zersplitterung der Gesellschaft in atomisierte Individuen zum Inhalt. So wie die Verwertung von Waren die Zerstörung des Werts einschließt, so enthält die Wohlfahrt naturgemäß den personifizierten Widerspruch des Kapitals – den lebenden Proletarier. „Die Bourgeoisie lässt das Proletariat so tief fallen, dass sie es ernähren muss, anstatt von ihm ernährt zu werden“ (Kommunistisches Manifest, 1848). In der Tat kollidiert das Kapital als soziales Verhältnis mit dem Proletariat und ist nicht in der Lage, eine harmonische Gemeinschaft zu schaffen. Von einer „materiellen Gemeinschaft“ zu sprechen, bedeutet, die Unmöglichkeit anzuerkennen, dass sich die „kapitalisierten“ Proletarier (während des Nachkriegszyklus der erweiterten Reproduktion) zu einer eigenständigen Klasse formieren können; eine solche Situation macht die „traditionelle“ revolutionäre Militanz zu einem Desaster und verwandelt sie in einfache Erpressung. Aber die Krise der kapitalistischen Reproduktion wird die Zerstörung der materiellen Gemeinschaft herbeiführen und gleichzeitig die Reorganisation der Konterrevolution in einem Maße beschleunigen, das dem Grad der sozialen Desorganisation entspricht: Selbstverwaltung, wo immer sie möglich ist; ein weiterer Grund, die Art der Organisation, die sich jetzt entwickelt, genau festzulegen.

59[Für Révolution Internationale (in Nr. 5, Neue Reihe, B.P. 219 75827 Paris Cedex 17) bedeutete die Konfrontation mit der CRS eine Klassenvereinigung und den Übergang vom ökonomischen zum politischen Kampf, weil die Arbeiterinnen und Arbeiter den Rahmen der Fabrik überschritten hatten. Das Überschreiten des Rahmens der Fabrik an sich reicht jedoch nicht aus, um das Proletariat (oder einen Teil davon) als Klasse für sich zu bestimmen, es sei denn, es geschieht auf einer praktisch revolutionären Grundlage (sollte die Klasse gebildet werden, um den kollektiven Kapitalisten von LIP zu verteidigen?!) Tatsächlich könnte die Existenz des Unternehmens nirgendwo fortbestehen; die Bildung des Proletariats ist nur möglich, wenn die Dynamik des Kapitalismus – die Reproduktion des Kapitals – überschritten wird. Die Arbeiterinnen und Arbeiter von LIP hingegen gingen ständig über die Grenzen ihres Ortes hinaus, indem sie hierhin und dorthin reisten, ohne jemals über ihr Unternehmen hinauszugehen, dessen Erhalt der eigentliche Inhalt ihres Kampfes war. Die Art und Weise, wie R.I. die Dinge sieht, ergibt sich aus ihrer grundlegend politischen Auffassung von der kommunistischen Revolution und der damit verbundenen parteipolitischen Einstellung.

60Siehe z. B. Le Monde, 2. April 1974: „Die Lulus von Abbaye“ und „Beschäftigungsschwierigkeiten für die Jugend im Süden“.

61In Wirklichkeit wird sich diese doppelte Tendenz wahrscheinlich in Form von Antagonismen und proletarischen Fraktionen manifestieren, die erst die eine, dann die andere Seite verkörpern, wie es in Deutschland 1919-21 der Fall war und die durch die Entwicklung des heutigen Kapitalismus nur noch verstärkt wurde. (Siehe Négation Nr. 2, Intervention Communiste Nr. 2, und Bulletin Communiste vom Mai 1973. H. Simon, B.P. 287, 13605 Aix-en-Provence.)

62Der Text „Critique du conflit Lip et tentative de dépassement“ [Kritik des LIP-Konflikts und Versuch, ihn zu überwinden] (P. Laurent, 32, rue Pelleport, 75620 Paris) ist ein Beispiel für die programmatische Konzeption der kommunistischen Theorie: Er erklärt den Arbeiterinnen und Arbeitern zum Teil, was sie tun und was sie nicht tun sollen. Das Ablenkungsmanöver von Lip Unité (unbekannter Herkunft, aber vervielfältigt von Quatre Millions de Jeunes Travailleurs, B.P. 8806, 75261 Paris Cedex 06) setzt sich schlicht und einfach an die Stelle der Arbeiterinnen und Arbeiter von LIP, um sie dazu zu bringen, zu sagen, was sie hätten tun sollen, wenn … wenn was, in Wirklichkeit? Diese Arbeitsweise neigt dazu, die programmatischen Vorstellungen der oben genannten zu verschleiern. Im Allgemeinen drückt die Ablenkungsmethode die Unmöglichkeit jeglicher Art von (auch potenzieller) revolutionärer Bejahung einer Bewegung aus. Es ist kein Zufall, dass diese Methode von den Situationisten als „subversive Praxis“ in einer Zeit eingeführt wurde, als das Proletariat völlig unter der Herrschaft des Kapitals stand.

63In der Krise der 1930er Jahre, als von Selbstverwaltung noch keine Rede sein konnte, wurde in den deutschen Schuhfabriken die gerade erst eingeführte Fließbandarbeit unterdrückt. Diese „Entrationalisierung“ – eine neue, der Krise angepasste Rationalisierung – war damals ein vergeblicher Versuch, die Arbeitslosigkeit auszugleichen. (Siehe Carl Steuerman [Pseudonym für Otto Rühle], La crise mondiale, Paris : Gallimard, 1932, S. 50.)

64 L’Humanité, 15. Februar 1974.

65Es ist klar, dass die Arbeiterschaft auf dieser Ebene nicht gleichzeitig Agent und Objekt des Kapitals sein kann; auch würde die Rolle des Agenten im selbstverwalteten Staat natürlich von einer Koalition übernommen, die aus dem „fortschrittlichsten“ Rand der ökonomischen und politischen Manager kommt (Bidegain, Neuschwander, J. Delors, Edgar Faure, zum Beispiel), Bürokraten der Linken und der Neuen Linken, einschließlich ihrer gewerkschaftlichen/syndikalistischen Pendants, ganz zu schweigen von einem Teil der Arbeiterklasse, der sich über verschiedene Komitees und Räte aus der Basis rekrutiert (Monique Piton und andere Mitglieder des lippischen Aktionskomitees erhielten eine Audienz bei E. Faure – zweifellos, um sich um den kleinen Mann zu kümmern).

]]> (IRK 1937) Revolution und Konterrevolution in Spanien https://panopticon.blackblogs.org/2024/02/11/irk-1937-revolution-und-konterrevolution-in-spanien/ Sun, 11 Feb 2024 15:56:34 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5411 Continue reading ]]> Gefunden auf aaap, ursprünglich erschienen in Internationale Rätekorrespondenz: Theoretisches und Diskussionsorgan für die Rätebewegung. – Ausg[abe]. der Gruppe Int[ernationaler]. Kommunisten, Holland. – 1937, Nr. 22 (Juli).

Genauso wie im vorherigen Text, (Helmut Wagner, 1937) Der Anarcho-Syndikalismus und die spanische Revolution, setzt er sich mit Fragen auseinander, aber schon nach den berühmt berüchtigten Mai-Ereignissen in Barcelona. Genauso wie der Text von Helmut Wagner, setzt sich dieser mit Fragen auseinander die nicht an Relevanz verloren haben. Wir würden uns hier nur mit der Einleitung des Textes von Helmut Wagner wiederholen.


Revolution und Konterrevolution in Spanien

Die allgemeine Bilanz

„Die republikanische Valencia – Regierung hat, nachdem es gelang, den anarchistischen Elementen Herr zu werden oder ihren Einfluss ganz zu brechen und ein verhältnismäßig diszipliniertes Heer aufzubauen, beschlossen, dass dieselbe Politik auch in Katalonien durchgeführt werden soll. Sie hat dem Herrn Companys1 und der Generalidad angeraten, jetzt endlich jenes Dekret, welches bis dahin lediglich auf dem Papier stand und welches die Entwaffnung der Extremisten der libertären Bewegung anordnet, zur Durchführung zu bringen. Die Anarchisten, die in Barcelona, was ihre Stärke und die Stärke ihrer Bewaffnung anbetrifft, die größte Macht darstellen, nahmen daraufhin unverzüglich ihre Maßnahmen [in Angriff] und begannen mit der individuellen Entwaffnung der Guardias de Asalto. So begann der Kampf auf den Straßen; und seine ersten Resultate waren derart, dass die Regierung es für nötig achtete, mit den Libertären zu einer Übereinstimmung zu kommen und von deren Entwaffnung Abstand zu tun. In diesem Moment beschloss die Regierung in Valencia zu intervenieren und die Aufrechterhaltung der Ordnung in Katalonien in ihre Hände zu nehmen. Der General Pozas wurde mit dem Kommando der geregelten Kräfte der Generalidad belastet. Gleichzeitig schickte die zentrale Regierung motorisierte Einheiten und gab drei Kriegsschiffen den Auftrag, sich nach Barcelona zu begeben“.
(Le Temps, 8. Mai)

Die Ereignisse in Barcelona waren der Beginn einer neuen Phase im Kampf zwischen Revolution und Konterrevolution. Die Phrase von der „Antifaschistischen Einheitsfront“ ist für alle, die sehen wollen, eindeutig widerlegt. Von einer Einheitsfront zwischen Bourgeoisie und Proletariat kann auch in Spanien keine Rede sein.

Zum ersten Male in der Ära der Volksfront standen sich die beiden Klassen der kapitalistischen Ordnung wieder offen gegenüber. Die Frage nach der Macht in der Gesellschaft wurde mit aller Deutlichkeit gestellt. Dieser Kampf um die Macht ist allerdings vorläufig beendet, ohne eine definitive Entscheidung gebracht zu haben. Die Arbeiter haben sich durch die Führer ihrer Organisationen zur Beendigung des Kampfes überreden lassen, sie haben sich mit Versprechungen und bedeutungslosen Zugeständnissen begnügt.

Alle wirklichen Vorteile dagegen sind der Bourgeoisie in den Schoss gefallen. Sie, die überhaupt sich auf dem Gebiete des auf geschliffene Weise Unterminierens der Machtpositionen der Arbeiterschaft mehr zu Hause fühlt als auf dem Gebiete des offenen Kampfes, in dem sie ja ihr konterrevolutionäres Gesicht gar zu deutlich zeigen müsste, konnte ihre Politik von vor dem 5. Mai nicht nur fortsetzen, sondern sogar verschärfen. Es gelang ihr, die ganze Regierungsmacht in ihren Händen zu vereinigen und wichtige militärische und ökonomische Positionen neu zu besetzen. Sie begann mit der Entwaffnung der revolutionären Arbeiter und hat die Verfolgung derselben eröffnet. Das Resultat der Ereignisse des 3.-5. Mai ist ein noch weiteres Aufrücken der bourgeoisen Kräfte gegenüber dem Proletariat.

Aber der Kampf ist noch nicht zu Ende, er hat den Proletariern nicht einzig und allein Nachteile gebracht. Allerdings sind die Arbeiter zurückgedrängt, geschlagen jedoch sind sie nicht.

Sie haben zwar viele materielle Positionen verloren, aber der Gegensatz zur Bourgeoisie ist verschärft, und das ist ein Gewinn.

Noch gelingt es der Bourgeoisie mit Hilfe ihrer Handlanger den größten Teil der Proletarier zu missleiten und ihm den Glauben an ein freies und demokratisches Spanien unter kapitalistischer Herrschaft aufzuschwätzen. Dieses aber wird von Tag zu Tag schwieriger, die Revolutionäre in Spanien erhalten damit ein stets dankbareres Arbeitsfeld. Die wachsende Verfolgung der revolutionären Kräfte in Spanien ist der Beweis nicht allein für das Anwachsen der Konterrevolution, sondern auch für einen Aufschwung des revolutionären Bewusstseins.

Es ist schwierig, über den zukünftigen Verlauf des Kampfes zwischen Revolution und Konterrevolution sichere Voraussagen zu machen. Das spanische Proletariat weiß, dass es im Falle der konsequenten Durchsetzung seiner Revolution die Bourgeoisie aller Länder gegen sich vereinigt sehen wird. Dieses Wissen ist eine die revolutionäre Entwicklung stark bremsende Kraft, Stalinisten und Sozialdemokraten machen von ihr weitgehend Gebrauch. Sie sollen auch in Zukunft alles tun, um das Gefühl der Ohnmacht zu verstärken, indem sie immer und immer wieder betonen, dass Franco ohne die Hilfe der Bourgeoisie nicht zu besiegen ist. Es ist von großer Bedeutung festzustellen, dass demgegenüber bereits andere Stimmen hörbar werden, die der Beweis sind für eine tiefere Einsicht in die tatsächliche Lage der Dinge. Die „Bolschewiki-Leninisten“, die Trotzkisten, die der offiziellen p.o.u.m.-Leitung oppositionell gegenüber stehen, die mit der Volksfront-Politik derselben nicht einverstanden sind, schreiben in einem zum ersten Mai ausgegebenen Manifest unter der Überschrift „Gegen Faschismus und bürgerliche Reaktion – die Diktatur des Proletariats!“ das Folgende: „Einem spanischen Proletariat, das die Macht eroberte, wird die Solidarität des Weltproletariats im ungleich höherem Masse als gegenwärtig zuteilwerden. Die demokratischen Imperialisten helfen Spanien nicht, weil sie fürchten, die Arbeiter könnten die Waffen, die sie dann erhalten würden, gegen ihre eigene Bourgeoisie richten. Dagegen steht es fest, dass z. B. das englische Proletariat einem proletarischen Baskenland viel mehr Hilfe zukommen lassen würde, als es heute katholischen Nationalisten gegenüber tut. Ganz abgesehen von der Tatsache, dass die baskische Reaktion den Kampf sabotiert und über die Köpfe der Arbeiter hinweg einen Waffenstillstand vorbereitet.

„Ohne Weltrevolution sind wir verloren“ sagte Lenin. Dies gilt ganz besonders für Spanien; aber um das Weltproletariat zum Aufstand zu bringen, müssen wir mit unserem Vorbild voran gehen.

Um das französische Proletariat zu veranlassen, mit der Volksfront zu brechen, ist es notwendig, die Volksfrontpolitik unserer eigenen Führer zu zerbrechen und ihr die revolutionäre Front der Arbeiter gegenüber zu stellen.

Die Entwicklung des Kampfes in Spanien hängt ab von der Entwicklung in der ganzen Welt, aber auch das Umgekehrte ist wahr. Die proletarische Revolution ist international, die Reaktion ist es ebenfalls. Jede Aktion der spanischen Proletarier findet ihr Echo in der übrigen Welt und jedes Aufflammen des Klassenkampfes hier, ist eine Stütze für die spanischen proletarischen Kämpfer.

Wird auch im Moment das spanische Proletariat zurückgedrängt, sein Kampf ist noch nicht verloren, denn er ist lediglich eine Phase in der internationalen Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit, diese aber wird weitergehen. In ihr gibt es Zeiten des Aufstiegs und des Niedergangs, doch der Sieg der Proletarier ist gewiss. Die Pflicht des revolutionären Arbeiters ist darum, seine Sache unentwegt bis zum Äußersten hoch zu halten und niemals das Ziel, die Befreiung seiner Klasse aus dem Auge zu verlieren. All sein Handeln muss ihm untergeordnet sein.

Eine der ersten Vorbedingungen der Entwicklung des Kampfes im proletarisch-revolutionärem Sinne ist das Wissen der Proletarier von der Notwendigkeit dieses unversöhnlichen Klassenkampfes. Deswegen ist ein Aufräumen mit der Ideologie jener 0rganisationen, die sie an die Volksfront binden, im höchstem Masse notwendig. Trotz alles und allem dürfen die revolutionären Arbeiter niemals vergessen, die Schädlichkeit der Volksfrontpolitik aufzudecken. In diesen Rahmen fällt auch die Entlarvung der c.n.t. und f.a.i., die ebenfalls, und mögen sie es auch ableugnen, die Volksfront und damit die bürgerliche Reaktion unterstützen.

Die Haltung der C.N.T. vor den 3. Mai

Wieder einmal haben die Ereignisse den Bankrott der anarcho-syndikalistischen Grundsätze ans Licht gebracht. Im selben Augenblick, in dem der Kampf zwischen Proletariat und Bourgeoisie offen losbrach, hat die c.n.t., trotz der Tatsache, dass sie selbst in den Zusammenstoß der Kräfte einbezogen war, trotz der Tatsache, dass die Militanten aus ihren Reihen seit Tagen eine deutliche Antwort auf die Frage, ob die Arbeiter sich entwaffnen lassen sollten oder nicht, formuliert hatten, sich zum politischen Schacher verleiten lassen und hat damit geholfen, den Widerstand der Arbeiter zu zerbrechen. Die c.n.t. ist eine der Hauptschuldigen an der Unterdrückung des Aufstands, weil sie das Proletariat in dem Augenblick, in dem es gegen die demokratische Reaktion in Bewegung kam, demoralisierte. Man kann diese Haltung der c.n.t. nicht scharf genug anprangern, denn sie beweist den definitiven Bruch dieser Organisation mit dem revolutionären Klassenkampf und verstärkt ihre Verbindung mit der Volksfront und mit der kapitalistischen Reaktion.

Immerhin jedoch ist es notwendig, sich über die Ursachen klar zu werden, welche die c.n.t. zu dieser Haltung veranlassten. Es wäre nämlich ein Irrtum etwa anzunehmen, dass die c.n.t. einen gemeinen Verrat durchgeführt habe, indem sie sich bewusst gegen die Arbeiterrevolution gewandt hätte. Ein ebenso großer Irrtum wäre auch die Auffassung, dass diese Haltung nicht in Übereinstimmung mit dem Willen des größten Teiles der Arbeiterklasse gewesen sei. Es ist gerade umgekehrt, die c.n.t. brachte nichts anderes zum Ausdruck als das Bestreben der großen Masse der katalonischen Arbeiter, die zwar bis zum Äußersten den Kampf gegen den Faschismus und für ihre Befreiung führen wollen, aber die gesellschaftlichen Probleme nicht klar genug erkennen, um den revolutionären Kampf vom Reformismus, um bürgerliche Demokratie, von proletarischer, um Kapitalismus von Kommunismus zu unterscheiden. Die c.n.t. drückte nichts anderes aus als die Meinung des schwankenden, politisch noch unreifen Teiles des Proletariats. Und ebenso wenig als man die nicht revolutionär – bewussten Arbeiter als Klassenverräter kennzeichnen kann, weil die Angst vor Franco sie in ihrem Kampf gegen die „demokratische“ Reaktion schwächt, ebenso wenig kann man dies gegenüber den Organisationen tun, die ihre Auffassungen verkörpern. Viel besser ist es, die Ursachen und Motive dieser Haltung begrifflich zu erfassen, nicht in seiner Auswirkung, sondern an seiner Wurzel anzugreifen. Die c.n.t., die Millionen Arbeiter umfasst, die die einzige revolutionäre Organisation von Bedeutung in ganz Spanien war, die nach dem 19. Juli praktisch die gesamte katalonische Arbeiterbevölkerung als Anhängerschaft zählen konnte, ist trotzdem nie eine wirkliche Klassenorganisation gewesen. Die c.n.t., die alle Politik stets kategorisch ablehnte, die alle Staats- und Parteidiktatur verurteilte, hat sich nun so verirrt in Parteipolitik und Regierungsschacher, dass sie als revolutionäre Organisation daran zugrunde gehen musste. Der Widerspruch zwischen Theorie und Handeln erscheint riesenhaft, aber ist nur oberflächlich. Der Vorwurf ausländischer Anarchisten, dass die c.n.t. ihre anarchistischen Prinzipien verraten habe, ist keineswegs angebracht. Die c.n.t. konnte gar nicht anders handeln mit ihren absolut wirklichkeitsfremden Grundsätzen, sie musste sich einer der kämpfenden Mächte anschließen.

Gerade ihre anarchistischen Grundsätze‚ ihre Illusion, dass sie die Organisation sei, die den Kampf der Arbeiter verkörpere, hielt sie ab von der Vorbereitung der wirklichen Klassenorganisation und trieb sie in die Arme der Bourgeoisie, wo sie als revolutionäre Klassenkampforganisation ihren Untergang fand.

Der Syndikalist vom 29. August 1931 schrieb:

„Es gibt im nationalen Komitee der c.n.t. eine Anzahl Kämpfer, die nicht glauben, dass die c.n.t. in ihrem augenblicklichen Stadium nicht imstande ist, die Produktionsleitung zu übernehmen, sie möchten Zeit haben, sehr viel Zeit, um die c.n.t. besser zu organisieren.“

Diese Äußerung ist charakteristisch für die gesamte anarcho-syndikalistische Bewegung bis auf den gegenwärtigen Tag. In den Augen der spanischen anarcho-syndikalistischen Bewegung ist der Kommunismus eine Angelegenheit der Übernahme der Produktion durch die c.n.t. und der Leitung derselben durch die Syndikate, also nicht das Werk der Arbeiterklasse insgesamt mittels seiner eigenen Räteorganisationen.

Diese Auffassung, die kennzeichnend ist für eine Gewerkschaft, die infolge besonderer Umstände kampfkräftig blieb und nicht reformistisch entartete, ist darum nicht weniger im Widerspruch zur Wirklichkeit.

Hier liegt der wesentliche Grund, warum die c.n.t. ihrer revolutionären Aufgabe nicht gewachsen ist.

Wie sehr diese Auffassung das ganze Denken und Handeln der c.n.t. beherrscht, so dass sie selbst die leiseste Spur einer wirklichen Klassenpolitik vernichtete, ist deutlich ersichtlich aus den Materialien, die die c.n.t. anlässlich der Ereignisse in Katalonien herausgegeben hat. Wir verweisen auf das in deutscher Sprache erschienene Informationsbulletin der a.i.t. (i.a.a.) vom 11. Mai 1937:

„Wir müssen jedoch auch einsehen, dass eine der beiden Gewerkschaften, c.n.t. oder u.g.t., allein nicht imstande sein wird, um diese Arbeit (nämlich das Vorwärtsschreiten nach konkreten Formen des ‚freien Sozialismus‘) zu erfüllen. Die u.g.t. kann sich der c.n.t. nicht aufdrängen, aber auch das Gegenteil ist unmöglich, das würde Bürgerkrieg bedeuten. Es können auch keine zwei Produktionsformen nebeneinander bestehen. Die Arbeiter in den Betrieben haben die Lösung in dem praktischen Zusammenwirken beider Richtungen gefunden. Dies muss im Landesmaßstabe auch geschehen. Wenn wir für den Ausbau der Industrieföderationen und die Allianz c.n.t.-u.g.t. arbeiten, dann werden wir die Fundamente jener neuen iberischen Wirtschaft legen, die wesentlich verschieden ist von allen bisherigen sozialen Experimenten, die Ausdruck unseres Volkes ist.“

Die c.n.t. sieht also die Lösung der Gegensätze zwischen Sozialdemokratie und Anarchismus in einer Einheitsfront der Organisationen, die jedoch an den Zielstellungen derselben nichts verändern kann. Welche Politik muss diese Einheitsfront nun führen, eine sozialdemokratische oder eine anarchistische? Oder muss sie zwischen beiden Richtungen hindurchlavieren? Die Sozialdemokratie denkt in ihren „revolutionärsten“ Augenblicken vielleicht einmal an eine allgemeine Nationalisierung der Ökonomie, während sie in der Praxis jede Veränderung des ökonomischen Lebens sabotiert. Die Anarchisten stehen prinzipiell jeder Staatsmacht feindlich gegenüber und wollen die Produktion unter die Führung der Gewerkschaften bringen und dies, wie sie meinen, als Ausdruck einer selbständigen Arbeitermacht. Ein Kompromiss zwischen einer solchen Arbeitermacht und der Sozialdemokratie ist jedoch ein unmögliches Ding. Falls ein Kompromiss zwischen Sozialdemokraten und Anarchisten aber doch besteht, muss es notwendig einen anderen Charakter haben als den oben angegebenen. Und in der Tat, es ist so. Es bedeutet nichts anderes als eine Reihe von Konzessionen der c.n.t. an die Sozialdemokratie mit der Hauptverpflichtung, die bestehende bürgerliche „Demokratie“ nicht anzugreifen. Die notwendige Folge hiervon ist, dass die Gewerkschaftsorganisationen als bereits jetzt schon mehr oder minder verbürokratisierte Apparate in kurzer Zeit vollkommen mit dem Staat verwachsen, der Arbeiterschaft total entfremdet werden und dann von selbst als überflüssiger Ballast verschwinden. So erscheint der Kompromiss zwischen Sozialdemokratie und Anarchismus nicht als ein Kompromiss zwischen c.n.t. und u.g.t., sondern als ein vollkommener Sieg der Sozialdemokratie und des Bürgertums.

Aber die c.n.t. kann dies nicht einsehen. Nach ihrer Meinung ist es bereits Sozialismus, wenn die Gewerkschaften die Leitung der Produktion übernehmen.

Warum sich also Sorgen machen über die verschiedenen politischen Richtungen? Die Produktion unter gemeinsamer Leitung der Syndikate, das ist zugleich Beginn und Ende der Revolution. Das ist Kommunismus nach ihrer Auffassung. Der ganze Rest ist eine Angelegenheit technischer Art und weiter nichts. Die fortwährende politische Diskussion jedoch [steht] der Einheit im Wege und darum, fort mit aller Politik! Gemeinschaftliche Leitung durch die Gewerkschaften! Wenn nur die Sozialdemokraten wollen, dann ist alles in Ordnung! Dann sind diese, mögen sie sich noch so sehr gegen die Tatsache sträuben, Anarchisten geworden. Sie haben dann doch immerhin verwirklicht, was die Anarcho-Syndikalisten sich als Ziel gestellt hatten, der freie Kommunismus ist also geboren.

Die Anarchisten begreifen nicht, dass revolutionäre Klassenmacht etwas ganz anderes ist. Gewiss ist die Einheit der Arbeiterklasse notwendig, aber gerade die Scheineinheit des Kompromisses der Organisationen verhindert das Zustandekommen der revolutionären Klasseneinheit. Es ist keine Einheit möglich zwischen der sozialdemokratischen Auffassung, die die Macht in die Hände des bürgerlichen Staates legen will, welche die Arbeiter zu entwaffnen versucht, sobald sich ihr die Möglichkeit bietet, jede Vergesellschaftung rückgängig macht und jenen revolutionären Auffassungen die Parole : „Alle Macht dem Proletariat“ als Ausgangspunkt nehmen. Wenn die Arbeiterklasse sich in einem revolutionären Kampf organisiert, dann geschieht das nicht, um die Macht einer Volksfrontregierung zu übergeben und sich durch diese entwaffnen zu lassen – sondern um alle Macht selbst auszuüben.

Die Organisationen, die Parteien so gut als die Gewerkschaften, verkörpern die verschiedenen politischen Strömungen, welche in der Arbeiterklasse vorhanden sind und die sich beziehen auf die innerhalb des Kapitalismus gegen die Bourgeoisie zu führende Politik. In einem revolutionären Kampfe traten den Arbeitern jedoch neue Probleme entgegen. Die sie nur lösen können auf der Basis der konkreten Forderungen des Augenblicks. Hierzu ist eine völlige Umwälzung in den Köpfen der Arbeiter notwendig.

Die alten Organisationen ließen den Ideenkampf zu einen Kampf um überlieferte Dogmen erstarren; sie stehen der geistigen Erneuerung der Arbeiter im Wege. Auch darum müssen sich die Arbeiter von ihnen lösen, denn sie bedrohen die Revolution ebenso durch ihren geistigen als auch materiellen Einfluss. An Stelle des Kompromisses zwischen c.n.t. und u.g.t. gilt es die Losung: „Alle Macht an die Arbeiterräte“ zu stellen. Die Arbeiter müssen ihre Macht unmittelbar ausüben, und nicht auf dem Umwege über eine Bürokratie, die sich ihnen, je länger je mehr, entfremden muss. Ihre geistige Befreiung aus den Fesseln des Kapitalismus kann ebenfalls nur ihre eigene Aufgabe sein. Sie kann sich keinesfalls durch Kuhhandel und Abkommen der Bürokraten vollziehen.

Aus diesem Grunde sind die revolutionären Oppositionen so bedeutungsvoll, nicht allein, weil sie die Einzigen sind, die mehr oder weniger klar einen revolutionären Standpunkt vertreten, sondern auch weil sie den erstarrenden Einfluss der alten Organisationen brechen. Sie verwandeln den Kampf der Organisationen in einen Kampf der Auffassungen, die nicht länger mehr nach ihrer Herkunft beurteilt werden können, sondern allein nach ihrem Wert für die Revolution. Sie verkörpern selbst dort, wo sie unzulänglich erscheinen, den geistigen Befreiungskampf des Proletariats.

„Mit klarem Blick für die Möglichkeiten des Augenblickes erklärte die c.n.t., dass sie auf eine sofortige Verwirklichung ihres eigentlichen Zieles, des freien Kommunismus verzichte. Doch setzte sie sich ein für die Kollektivierung der Groß- und Mittelbetriebe durch die Arbeitergewerkschaften und für die fortschreitende Zersetzung der alten Staatsinstitutionen durch neue wirtschaftliche und politische und kulturelle Organe unter Kontrolle der Arbeitersyndikate. Da die c.n.t. sich schon vor dem 19. Juli darüber klar war, dass sie allein diese Aufgabe nicht durchführen könnte, erklärte sie als Mittel zur Erreichung dieser Gegenwartsziele die revolutionäre Allianz zwischen den anarchistischen und sozialistischen Gewerkschaften, d.h. zwischen c.n.t. und u.g.t.. Von diesem Gesichtspunkt ausgehend gestand die c.n.t. der u.g.t. selbst in Katalonien in allen Komitees Parität zu, obwohl in Katalonien eine u.g.t. nicht bestanden hatte und erst nach dem 19. Juli geschaffen wurde als Zufluchtsstätte gewisser gehobener Arbeiterschichten und des gesamten Kleinbürgertums.“
(Aus demselben Bulletin).

„Wir sehen die Dinge so wie sie sind, ohne Brille, ohne doktrinäre Voreingenommenheit. Es handelt sich um eine Revolution und nicht um gelehrte Diskussionen über dieses oder jenes Prinzip. Prinzipien dürfen nicht strenge Gebote sein, sondern handliche Formen zur Bewältigung und Gestaltung der Wirklichkeit. Garantiert diese unsere Plattform die Errichtung des reinen freiheitlichen Kommunismus am Tage nach der Revolution? Sicherlich nicht. Aber sie garantiert die Zerschlagung des Kapitalismus und die Vernichtung seiner Stütze, des Faschismus. Sie garantiert die Errichtung eines proletarischen, demokratischen Regimes ohne Ausbeutung und ohne Klassenprivilegien und ein breites Zugangstor zu einer freiheitlichen Gesellschaft im weitesten Sinne.“ (Deutsches Bulletin der a.i.t. vom 11. Mai 1937).

Hier erreicht die anarchistische Verwirrung ihren Höhepunkt. Welches sind nun gemäß der c.n.t. oder i.a.a. die konkreten Aussichten dieses Kampfes? Nicht der freie Kommunismus‚ wohl aber die Vernichtung des Kapitalismus, Errichtung eines proletarisch demokratischen Regimes ohne Ausbeutung und Klassenprivilegien. Aber wenn dies noch kein freier Kommunismus ist, was ist es dann wohl?

Wir waren immer der Meinung, dass nach der Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise und der Aufhebung der Ausbeutung in Verbindung mit der Durchführung der proletarischen Demokratie, der Kommunismus verwirklicht sein würde. Anscheinend haben wir uns geirrt. Oder – sollte die c.n.t. unter proletarischer Demokratie, Aufhebung der Ausbeutung usw. etwas anderes verstehen als wir?

Angesichts der Praxis ist die Antwort nicht schwierig. Die Verwirklichung dessen, was die i.a.a. als ein Minimum-Programm bezeichnet, können wir in der gegenwärtigen Praxis erkennen.

Proletarische Demokratie? Gemeint ist: Gleichmäßige Vertretung der Gewerkschaftsverbände in der Regierung, also Verhinderung der revolutionären Einheit mittels einer Scheineinheit, dargestellt durch den Kompromiss und den Konkurrenzkampf der Meinungsfraktionen.

Aufhebung des Kapitalismus? Gemeint ist: Ausschaltung der Kapitalisten, jedoch ohne dass die ökonomische Macht über die Betriebe in den Besitz der Arbeiter gelangt.

Aufhebung der Klassenprivilegien? Gemeint ist: Die Arbeiterorganisationen dürfen neben den bürgerlichen in der Regierung Platz nehmen, während das Arbeitslose Einkommen der Besitzer [?] bestehen bleibt.

Aufhebung der Ausbeutung? Gemeint ist: Aufhebung der Ausbeutung durch die Privatkapitalisten, die Übergabe der Produktionsleitung an die Syndikate.

Da die Syndikate jedoch bürokratische Organisationen sind, in denen der Einfluss der Arbeiter absolut ausgeschaltet ist – die Praxis hat dies auch in Spanien zur Genüge bewiesen (Siehe auch Rätekorrespondenz, Nr. 21) –, bedeutet dies, dass die Arbeiter das Bestimmungsrecht über Produkt und Produktionsmittel aus den Händen geben und zwar an eine bürokratische Organisation, die ihnen entfremdet ist. Das bedeutet, dass eine über den Arbeitern stehende herrschende Schicht über die durch diese erzeugten Produkte verfügt und dieselben nach eigenem Gutdünken verteilt. Das bedeutet letzten Endes, dass die Arbeiter anstatt durch Privatkapitalisten durch die Gewerkschaftsbürokratie ausgebeutet werden. Hieraus muss sich dann notwendig eine neue Staatsherrschaft bilden, da nun einmal keine Überherrschung ohne Staat existieren kann.

Dies sind also die Programmpunkte, wie sie in konkreten Fällen durch die c.n.t. ausgearbeitet wurden. Wenn dies ihr Minimum-Programm ist, dann hat sie allerdings recht, wenn sie meint, dass dies kein freier Kommunismus ist. Aber sie hat auch doppelt unrecht, wenn sie behauptet, dass es die Eingangspforte zum freien Kommunismus weit öffnet.

Kapitalismus und Kommunismus sind Begriffe, welche die c.n.t. anscheinend nicht gut unterscheiden kann. Ihre ganze Handlungsweise trägt den Stempel dieses Unvermögens. Überall proklamiert sie die „Proletarische Demokratie“. Und darum schließt sie die Einheitsfront mit der u.g.t., von der sie selbst schreibt, dass sie: „in Katalonien nicht bestanden hatte und erst nach dem 19. Juli geschaffen wurde als Zufluchtsstätte gewisser gehobener Arbeiterschichten und des gesamten Kleinbürgertums.“

Und mit Hilfe dieser Organisation will sie die proletarische Demokratie errichten, den Kapitalismus vernichten, die Ausbeutung aufheben, die Sonderstellung der Klassen abschaffen!

„Die im Lande verbliebene kleine und mittlere Bourgeoisie, die Berufspolitiker, Parlamentarier, Angestellten reformistischer Arbeiterorganisationen und vor allem die Kommunisten leiteten jedoch eine immer aktiver werdende Politik zur Wiederherstellung der alten Verhältnisse ein. Der korrupte bürgerliche Parlamentarismus wurde als Ideal des kämpfenden antifaschistischen Volkes hingestellt. Eine große Offensive gegen die revolutionären Komitees setzte ein, die‚ zusammengesetzt aus c.n.t. und u.g.t. oder diesen beiden Gewerkschaften und den antifaschistischen Parteien, alle wesentlichen Funktionen des öffentlichen Lebens übernommen hatten.“

Die Konterrevolution, umfassend die Reste der Bourgeoisie, Berufspolitiker, Parlamentarier, Beamter der reformistischen Organisationen, Kommunisten, also Esquerra, p.s.u.c., u.g.t., griffen also die Revolution an, die in den revolutionären Komitees verkörpert war, welche aus Gewerkschaften und Parteien bestanden, d.h. ebenfalls aus Esquerra, p.s.u.c., u.g.t., und c.n.t.-f.a.i..

Wie steht es denn nun eigentlich mit den Stalinisten, Sozialdemokraten, und Bürgerlichen? Sind sie revolutionär oder konterrevolutionär? Augenscheinlich sind sie revolutionär in den Komitees und konterrevolutionär in der Regierung. Und doch führen sie an beiden Stellen dieselbe Politik…

Es ist übrigens genügend bekannt, dass von den Anarchisten fortwährend Konzessionen den Richtungen und Organisationen gemacht wurden und werden, die sie selbst als konterrevolutionär bezeichnen.

„Die c.n.t. […] opferte der antifaschistischen Einheit manche Forderung, die von den revolutionären Arbeitern als unveräußerlich betrachtet worden war. Die Massen der c.n.t. hielten Disziplin und bissen die Zähne zusammen.“
(Im selben Bulletin).

Hier geht es um die Vernichtung der anarchistischen Machtpositionen an der französischen Grenze, um die direkte Vorbereitung zum konterrevolutionären Angriff. Die Anarchisten geben hier im Interesse der Einheit eine der wichtigsten Positionen preis und schneiden sich selbst die Verbindung zum französischen Proletariat ab. Dies alles zu Gunsten einer „Einheit“, die nur existieren konnte durch die absolute Niederlage des einen Teils, nämlich des kämpfenden Proletariats. Und dies, während die Anarchisten selbst erklären:

„Für die revolutionären Arbeiter Spaniens hatte die Verteidigung gegen den Faschismus nur Sinn als gleichzeitiger Kampf gegen das kapitalistische Regime.“
(selbes Bulletin).

Aber wir müssen wiederholen; die Widersprüche zwischen diesen Äußerungen und den Taten sind nur scheinbar. In Wirklichkeit besteht Übereinstimmung, weil die Anarchisten nun einmal unter Kapitalismus und Kommunismus, Revolution und Reformismus etwas Anderes verstehen als wir. Bei ihnen ist die Revolution nichts weiter als eine einfache Übernahme der Produktion durch die c.n.t. und Kommunismus nichts anderes als die Leitung der Produktion durch die Gewerkschaften. Wird dieser Maßstab angelegt, dann erhält das Zurückweichen der c.n.t. nur den Charakter ziemlich unbedeutender Konzessionen, während es in Wirklichkeit eine vollständige Kapitulation vor der Reaktion darstellt.

Die Haltung der C.N.T. während der Maitage

Nach alledem braucht die Haltung der c.n.t. während der Maitage keine Verwunderung mehr zu erregen. Wir erinnern an das scharfe Manifest der iberischen libertären Jugend2, welches die Anklage der anarcho-syndikalistischen Jugend gegen die Volksfrontpolitik enthielt und zur Kenntnis des spanischen Volkes gekommen ist. Hier handelt es sich um einen Teil der anarchistischen Bewegung, die sich mitten im revolutionären Kampf befindet und darum die Gegensätze zwischen Revolution und Konterrevolution scharf erkennt. Mit der offiziellen c.n.t. steht es dagegen ganz anders, sie hat sich im Laufe der Monate zu einem Teil des Regierungsapparates entwickelt. Ihre Komitees sind ein Teil des Staates. Ihre Leute sitzen in den Ministerien und hohen Armeepositionen. Aber sie sitzen dort nicht (natürlich nicht) als Vollstrecker des Willens der Arbeiter, sondern als Agenten des herrschenden Regimes. Die Regierungskrisis in Katalonien, die Ernennung eines Regierungsgenerals zum Kommandanten der katalanischen Miliztruppen, – der Versuch der Besetzung der Telefonzentrale hatte für sie nur die Bedeutung von Zwischenfällen. Sie widersetzte sich diesen Versuchen und billigte den Widerstand ihrer Anhänger gegen diese Maßregeln; aber sie ging nicht weiter, weil sie nicht begreifen konnte, dass diese Maßnahmen nur Teilaktionen im Rahmen eines großangelegten Versuches der Bourgeoisie, die Arbeiterklasse zu entwaffnen, darstellten. Die Anarchisten erhielten „Genugtuung“, indem einzelne „Provokateure“ ihrer Funktion enthoben und durch andere Offiziere zwecks Aufrechterhaltung der Ordnung ersetzt wurden. Und schon rief die c.n.t. ihre Anhänger zur Einstellung aller Aktionen auf. Der Zwischenfall war für sie erledigt, die Konterrevolution hatte gesiegt. Doch Letzteres scheint die c.n.t. nicht zu wissen.

„Wir sind ermächtigt zu erklären, dass weder die c.n.t. noch die f.a.i. noch irgendwelche andere verantwortliche Organisation, die von diesen abhängt, die antifaschistische Einheitsfront gebrochen oder dazu irgendeinen Versuch unternommen haben.
Die Gewerkschaften und die anarchistischen Organisationen arbeiten weiter mit voller Loyalität, wie bis heute, mit allen anderen gewerkschaftlichen und politischen Sektoren der antifaschistischen Front zusammen. Beweis dafür ist, dass die c.n.t. weiter an der Regierung der Republik, wie an der Generalidad von Katalonien mitarbeitet, wie auch in allen Gemeinden. Als der Konflikt in Barcelona hervorgerufen wurde, haben die c.n.t. im regionalen und Landesmaßstab alles getan, um den Konflikt so rasch wie möglich lösen zu können. Am zweiten Tage des Konfliktes kamen in Barcelona der Sekretär des Nationalkomitees der c.n.t. und der Justizminister, ebenfalls ein bekanntes Mitglied der c.n.t., an und taten alles Menschenmögliche, damit der Bruderkampf aufhörte. Außer den Schritten, die sie bei den Verantwortlichen der anderen politischen Sektoren unternahmen, richteten sie an die Bevölkerung von Barcelona Reden, die die ganze Welt gehört hat; sie muss erkennen, dass aus ihnen nur Ernst und Wille zur Einigkeit in der Aktion gegen den gemeinsamen Feinde, den Faschismus, sprachen.“

Der Sekretär des Nationalkomitees, Mariano Vasques, sagte in seiner Rede vor dem Mikrofon der Generalidad am 4. Mai folgendes:

„Wir müssen aufhören mit dem was hier vorgeht. Wir müssen aufhören, damit unsere Genossen an der Front wissen, dass wir uns die Realitäten des gegenwärtigen Augenblickes vor Augen gehalten haben, und damit sie wissen, dass wir gewillt sind uns miteinander zu verständigen. Keinen Augenblick darf dieses Gefühl der Unsicherheit im Hinterlande bestehen, darf der Faschismus Hoffnung haben. Stellt das Feuer ein, Genossen! Aber niemand soll diesen Waffenstillstand dazu benützen, Positionen zu erobern. Wir sind hier vereinigt und werden solange diskutieren, wie es notwendig ist, aber wir werden die Lösung finden, einen Akkord zwischen allem, weil es unsere Pflicht ist, weil es der Selbsterhaltungstrieb uns befiehlt, dass in diesem Punkte alle antifaschistischen Kräfte der Generalidad in Katalonien unter sich einig werden. Wir hier Versammelten und insbesondere das Exekutiv-Komitee der u.g.t. und das Nationalkomitee der c.n.t., wir sind in größter Eile hierher gekommen, um die schwere Situation, in der sich Barcelona befindet, zu beendigen und wir kommen mit der Absicht, das Gemeinsame zu finden, damit ein Ende gemacht wird mit dem, wir wiederholen es, was nur dem gemeinsamen Feind, dem Faschismus nützen kann.“
(aus Nr. 44 des Bulletin der i.a.a.).

„Stellt das Feuer ein, Kameraden!“ so spricht der anarchistische Vorsitzende aus dem Gebäude der Generalidad, welches durch die revolutionären Anarchisten belagert wird. „Stellt das Feuer ein“! Wir werden solange diskutieren, bis Revolution und Konterrevolution zur Übereinstimmung gekommen sind.

Die konföderale Presse hat verschiedene Aufrufe zur Wiederaufnahme der Arbeit erlassen. Die durch [das] Radio gegebenen Noten an die Syndikalisten, an die Verteidigungskomitees waren nichts anderes als Aufrufe zum Ernst und zur Befriedigung der Geister.

Ein weiterer Beweis dafür, dass die c.n.t. nicht die antifaschistische Einheitsfront brechen wollte, besteht darin, dass sie am 5. Mai die Bildung einer neuen katalonischen Regierung ermöglichte, an welcher der Sekretär des Regionalkomitees der c.n.t. selbst teilnimmt.

Wir sind weiterhin ermächtigt zu erklären, dass die c.n.t. und die f.a.i. in keinem Falle die öffentliche Gewalt, noch die Einrichtungen des Staates oder der Generalidad angegriffen haben. An keinem Orte, für den die Mitglieder der c.n.t. verantwortlich waren, ist ein ‚erster Schuss‘ gefallen.

Die verantwortlichen Männer der Konföderation, die an der Spitze des Kriegsministeriums stehen, haben Befehle an sämtliche Kräfte gegeben, die vom Ministerium abhängen, dass sie in keiner Weise in den Konflikt eingreifen sollen. Sie haben auch darüber gewacht, dass diese Befehle durchgeführt wurden.

Die verantwortlichen Genossen der konföderalen Verteidigungskomitees der c.n.t. und f.a.i. gaben die Parole aus, dass aus den Bezirken niemand sich entfernen und niemand auf Provokationen antworten soll, Befehle, die ebenfalls überall durchgeführt wurden.

Die Regionalkomitees der c.n.t.-f.a.i. haben weiterhin die Parole ausgegeben, dass sich in ganz Katalonien niemand bewegen und die Ordnung nirgends gestört werden solle.

Als es sich darum handelte, das normale Leben der Stadt wiederherzustellen, waren die c.n.t. und die FAI die ersten, die ihre Mitarbeit anboten, die ersten, die die Parole zum Einstellen des Feuers gaben. Als die Zentralregierung beschloss, die öffentliche Ordnung selbst in die Hand zu nehmen, war die c.n.t. die erste, die der öffentlichen Ordnung ihre Kräfte zur Verfügung stellte. Als die Zentralregierung beschloss, Kräfte nach Barcelona zu schicken, um die politischen Elemente, die sich der Kontrolle zu entziehen versuchten, zu überwachen, war die c.n.t. wieder die erste, die in allen katalonischen Bezirken den Durchmarsch dieser Kräfte erleichterte, und ermöglichte so, dass diese nach Barcelona kamen. (Nr. 44 des i.a.a.-Bulletins).

Arbeiterdemokratie! Die Losung der c.n.t. Garantiert durch ihr Programm und durch die Verbündung mit der u.g.t. Was aber ist die Wirklichkeit?

Ministerkonferenzen, Aufrufe, den Kampf zu beenden, Verbote, die die Bewegungsfreiheit der Arbeiter einschränken, Begünstigung der Truppentransporte nach Barcelona, Bewachung jener „Elemente, die sich der Kontrolle entziehen“. Und die Arbeiter – sie müssen den Parolen gehorchen und abwarten, was Mariano Vasques mit Herrn Caballero und seinesgleichen verabredet. Und dann: Gehorsam! Keine Opposition, in jedem Falle keinen Kampf. Diskutieren. – So verteidigt die c.n.t. die Arbeiterdemokratie! So verteidigt sie die Revolution!

Aber nochmals: Es ist dies die logische Konsequenz der ganzen Entwicklung der c.n.t. und ihrer Auffassungen. Bedeutet nämlich Arbeiterdemokratie nichts anderes als paritätische Vertretung der Organisationen, dann muss der Kompromiss mit der u.g.t. um jeden Preis gerettet werden. Ein c.n.t.-General, Mariano Vasques, hat aufgerufen, den Kampf zu beenden. Er ist c.n.t.-Mann, also: Er personifiziert das katalonische Proletariat. Was wollen die Arbeiter noch mehr? Ihr Vertreter diskutiert mit Caballero, ist dies nicht die beste Garantie dafür, dass sie zu ihren Rechten kommen? Arbeiter Kataloniens, geht nur ruhig nach Hause, Mariano Vasques wird sowohl die Demokratie als auch die Revolution retten.

Das einen Tag später erschienene Bulletin vom 11.5., aus dem wir bereits einige Zitate entnahmen, gibt zwar einen einigermaßen anderen Eindruck von den Ereignissen, obwohl die konkreten Tatsachen dieselben sind. Während sich in dem zitierten Manifest der c.n.t.-f.a.i. diese Organisationen jeder Solidarität verschließen, schreibt das Bulletin der i.a.a. vom 11. Mai:

„Der 3. Mai bewies jedoch Barcelona von neuem, was der katalonische Anarcho-Syndikalismus ist. Wie am 19. Juli, so wurde auch an diesen Tagen eine Totalmobilmachung der Arbeiterbevölkerung der Stadt durchgeführt. Diese Bewegung war ein Plebiszit auf den Straßen. Alle Arbeiterviertel der Stadt, alle ohne Ausnahme, waren mit einem Schlage in Festungen der c.n.t. verwandelt. Die Wohnbezirke der proletarischen Massen Barcelonas stehen zur c.n.t. – heute wie immer.“

Inzwischen wurden auch hier dieselben Tatsachen bezüglich der Aufrufe zur Niederlegung der Waffen wiederholt. Noch einmal wird der Beweis geliefert, dass die Anarcho – Syndikalisten außerstande sind, den Klassenkampf als Klassenkampf zu sehen. Ihnen erscheint die ganze Angelegenheit nur als ein Kampf für diese oder jene Organisation. Obgleich sie selbst konstatiert, dass: „ Wo in diesen Stadtteilen, Kasernen und Wachen der Polizei und der republikanischen und marxistischen Milizen vorhanden waren, stellten sich diese entweder, wie die Polizei in Sans und San Gervasio, auf die Seite der Arbeiter oder sie erklärten ihre Neutralität wie die Soldaten der kommunistischen Kaserne in Sarria.

“[…] Die alte Polizei, die Marxisten und die Republikaner hingegen hielten die bürgerlichen Wohngegenden und das Stadtinnere besetzt, wo die durch sie vertretenen Bevölkerungsteile ansässig sind.“
(aus demselben Bulletin).

Die Folgen der Liquidation

Die c.n.t. half den Kampf in den Straßen Barcelonas mit allen Mitteln zu liquidieren. Man lese, wie i.a.a. die Folgen der Liquidation in ihrem, bereits oft zitierten Bulletin beurteilt:

„Am Abend des 5. Mai wurde eine neue katalonische Regierung gebildet. Sie ist zusammengesetzt aus je einem Vertreter der c.n.t., der u.g.t., der bürgerlichen Linken und der Kleinbauern. Nachdem das Feuer überall eingestellt und die Barrikaden auf Anordnung des Komitees der c.n.t. und f.a.i. zum großen Teil wieder abgebaut waren, griff auch die Regierung von Valencia ein. Es kamen in Barcelona 5000 Mann neue Guardia de Asalto an, die – so wird angegeben – die bisherige katalonische Polizei ablösen sollen. Wie es im Autonomiestaat Kataloniens für innere Unruhen vorgesehen ist, übernahm die Zentralregierung außerdem provisorisch die Kontrolle der öffentlichen Ordnung in Katalonien. Der Minister Aiguade und der Polizeichef Rodriguez Salas sind aus ihren Funktionen ausgeschieden. Zwei ausgesprochene Feinde der revolutionären Arbeiter, für die die Aufrechterhaltung der ‚öffentlichen Ordnung‘ gleich bedeutend war mit der Ausrottung der c.n.t. und der f.a.i., sind damit ausgeschaltet worden. Die von Valencia einsetzten neuen Verantwortlichen der öffentlichen Ordnung, denen jetzt die Polizeikräfte und die antifaschistischen Kontrollpatrouillen unterstehen, versichern, ihre Aufgabe unparteiisch erfüllen zu wollen. Die nächsten Wochen werden es zeigen.“

Es will uns scheinen, dass die Arbeitermacht – von der Ernennung einiger Polizeioffiziere abhängig – auf eine sonderbare Weise gesichert ist. Eine anarchistische Forderung heißt, „Die Arbeiter ernennen ihre Kommandanten selbst“. Jetzt aber ernennen die Kommandanten ihre Untergebenen. Lasst uns also hoffen, dass sie ihre Aufgabe unparteiisch erfüllen, sie haben es doch versprochen. (Aiguade und Salas etwa nicht?) „Die kommenden Wochen sollen es zeigen“. Aber bereits der 6. Mai hat es gezeigt. Auf derselben Seite desselben Bulletins lesen wir:

„Noch nachdem c.n.t. und u.g.t. am Morgen des 6. Mai einen gemeinsamen Aufruf zur Wiederaufnahme der Arbeit erlassen hatten, stürmten Kommunisten und Polizei das Ledersyndikat der c.n.t., wo sie die gesamte Einrichtung zertrümmerten, andere Syndikate, wie Sanität und Distribution wurden ebenfalls angegriffen und durch die Beschießung fast zerstört. Massenhaft wurden in der inneren Stadt Genossen der c.n.t.-f.a.i. entwaffnet und verhaftet, trotzdem sie wie alle anderen antifaschistischen Elemente zum Waffentragen autorisiert sind. In den Arbeitervierteln der Stadt jedoch gingen auch die bewaffneten Proletarier energisch vor gegen diejenigen Polizeikräfte, die sich gegen die Arbeiter gestellt hatten. So ergab sich z.B. nach heftigem Kampf eine Kaserne der Zivilgarde und 400 Mann Polizei fielen in die Hände der c.n.t. In ihrer Kaserne fand man faschistische und monarchistische Abzeichen. Trotzdem behandelte man die Gefangenen menschlich und gab sie wie alle anderen von den Arbeitern entwaffneten und festgesetzten Polizisten nach dem Waffenstillstand wieder frei.“

Für dieses Handeln der c.n.t. gibt es nur eine Bezeichnung, nämlich verbrecherisch. Die Arbeiter, die die Kaserne der reaktionären Guardia Civil stürmten, taten dies sicherlich nicht, um ihnen anschließend die Freiheit zu geben. Sie haben die Polizisten im guten Vertrauen der c.n.t. übergeben und diese hat die bewaffneten Faschisten und Monarchisten wieder frei gelassen! War dies vielleicht der Preis, den sie für ihre Ministersessel bezahlte? In derselben Zeit wurden Genossen der c.n.t.-f.a.i. massenweise arrestiert! Und diese Tatsache erscheint der c.n.t. so nebensächlich, dass sie die „kommenden Wochen abwarten will, um die Loyalität des neuen Kommandanten kennen zu lernen“. Ist es nicht dieser Haltung zu danken, wenn die c.n.t. von der Bourgeoisie zum alten Eisen gerechnet wird? Und hat die Arbeiterklasse viel dabei verloren?

Die Erklärung für dieses jämmerliche Verhalten ist in der Angst vor Franco zu suchen. Die Angst vor Franco bringt die c.n.t. dazu, sich und die Arbeiterklasse an jene „Demokratie“ auszuliefern, die nichts lieber will, als den Kampf gegen Franco durch einen Kompromiss mit demselben zu beenden. Es ist dieselbe Demokratie, die der Aragonfront die Waffen vorenthält, die die revolutionären Arbeiter ins Gefängnis wirft und den Verräter von Malaga beschützt. Es ist dieselbe „Demokratie“, die die reaktionäre Guardia Civil neu formiert und faschistische Spione unter ihren Schutz nimmt. Und dieser „Demokratie“, der Bundesgenossin des internationalen Kapitals will man die Macht geben aus Angst vor einem Siege Francos. Sie ist nichts anderes als die Verkörperung der Konterrevolution. Ihr müssen die Arbeiter denselben Widerstand entgegensetzen wie Franco, oder aber sie werden der dunkelsten Reaktion ausgeliefert sein. Es gibt für die Arbeiterschaft nur eine Hoffnung und nur eine Möglichkeit: der unversöhnliche Kampf gegen Faschismus und Reaktion bis zum Äußersten. Dies aber hat die CNT vergessen.

Im Bulletin, Nr. 45 der i.a.a. scheint die c.n.t. eine wichtige Entdeckung über den Charakter der Regierung zu machen: „Bereits seit Monaten war deutlich zu erkennen, dass die großen Arbeiterorganisationen (c.n.t. und u.g.t.) aus der Leitung der öffentlichen Angelegenheiten ausgeschaltet werden mussten. Die verkappte Konterrevolution forderte es und ausländischen Mächte, deren Dienerin die Konterrevolution ist, haben es soweit gebracht.“

Die verkappte Konterrevolution forderte es. Und die c.n.t. diskutierte und gehorchte.

„Der spanische Antifaschismus treibt nun steuer- und richtungslos dahin, es ist traurig, aber es muss laut gesagt werden. Ein Haufen von Nutznießern dieser Situation will das Steuer nach rechts herumreißen und so schnell wie möglich in den Hafen eines sogenannten Friedens einlaufen, der nicht der Sieg über den Faschismus wäre.“
(Bulletin, Nr. 45).

Die c.n.t., die stets von sich behauptete, dass sie das „wirkliche katalonische Volk und damit den wirklichen Antifaschismus repräsentiere“ erkennt also selbst ihre Ohnmacht. Wenn der spanische Antifaschist nun Steuer und Richtung verloren hat, dann heißt das nichts anderes, als dass die c.n.t. nicht mehr im Stande ist, ihm diese zu geben, dass sie außerstande ist, die Aufgabe, die sie auf sich nahm, zu erfüllen.

„Man will die Zukunft Spaniens, die Zukunft des Proletariats, das sein Blut im Kampfe vergießt, man will sie verschachern; verschachern zusammen mit der internationalen Demokratie und dem internationalen Faschismus. Aber das Proletariat ist nicht in den Kampf gezogen für die Verteidigung einer verfälschten demokratischen Republik, sondern für den Sieg der Revolution, für ein neues Leben, für die moralische und ökonomische Umgestaltung des Landes. Die Konterrevolution jedoch wollte den Vormarsch der Massen nicht länger dulden, die sich zum Kampf bereithielten und auf die Straße gingen, nur auf sich, aber nicht auf gewisse Mächte vertrauend, die nichts anderes wollen als eine Rückkehr zur Vergangenheit. Hier liegt der Schlüssel zum Verständnis der Ereignisse in Barcelona, der Hauptstadt des revolutionären spanischen Proletariats.“
(Bulletin, Nr. 45).

Und wer hat mitgeholfen, den Aufmarsch der Massen zurückzudrängen? Die c.n.t.!

Aber auch jetzt, wo das Fiasko der bisherigen Haltung der c.n.t. offensichtlich ist, kann sie vom bisherigen Weg nicht mehr zurückkehren. Ihr ganzer organisatorischer Apparat ist nun einmal eingestellt auf den Versuch, das ökonomische Leben mittels der Gewerkschaften zu verwalten. Hiervon kann sie nicht loslassen. Hierin liegt dann auch die Ursache, dass die c.n.t. auch jetzt noch die Parole der Zusammenarbeit mit der u.g.t. anhebt.

„Jetzt mehr denn je Allianz c.n.t.-u.g.t. Jetzt mehr denn je: Arbeiter Spaniens, vereinigt euch!“
(Bulletin, Nr. 45).

Jawohl, vereinigt Euch, aber nicht in der Allianz c.n.t.-u.g.t.. Das wäre die Allianz mit der Konterrevolution!

Der Anarcho-Syndikalismus hat seine Unfähigkeit bewiesen!


1A.d.R., damalige Präsident von Katalonien.

2A.d.R., gemeint ist die FIJL Federación Ibérica de las Juventudes Libertarias.

]]>
(Helmut Wagner, 1937) Der Anarcho-Syndikalismus und die spanische Revolution https://panopticon.blackblogs.org/2024/02/11/helmut-wagner-1937-der-anarcho-syndikalismus-und-die-spanische-revolution/ Sun, 11 Feb 2024 14:58:02 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5409 Continue reading ]]>

Quelle dieses Textes hier, ursprünglich erschienen in „Der Anarcho-Syndikalismus und die spanische Revolution – In: Internationale Rätekorrespondenz: Theoretisches und Diskussionsorgan für die Rätebewegung. – Ausg[abe]. der Gruppe Int[ernationaler]. Kommunisten, Holland. – 1937, Nr. 21 (April)“

Es gibt auch eine englische Übersetzung die im Juni 1937 in den Nummer 56 in der von Paul Mattick herausgegebenen „International Council Correspondence“ erschien. Da heißt aber der Text „Anarchism and the Spanish Revolution (The Economic Organization of the Revolution)“.

Wie es schon viele Texte danach auch gemacht haben und wie wir kürzlich in den Texten/Diskussion/Schlagabtausch zwischen Finimondo und Agustín Guillamon hinweisen wollten, ist die Auseinandersetzung unter Anarchistinnen und Anarchisten zu der eigenen Geschichte, zu der eigenen Theorie und zu der eigenen Praxis unausweichlich.

Dieser Text von Helmut Wagner ist dafür enorm nützlich, sowie der Text von Paul Mattick, „Die Barrikaden müssen niedergerissen werden“, aber der Hauptpunkt warum wir diesen Text ausgraben liegt der Frage zugrunde ob und wie der Syndikalismus (egal mit welchen Adjektiv, sprich Gewerkschaften gänzlich) ein nützliches Werkzeug für das Proletariat sein kann.

Warum sich viele Fragen immer wieder wiederholen, gerade warum gewisse historische Ereignisse (Pariser Kommune, die revolutionäre Phase von 1917-1921, die spanische Revolution, der proletarische Ansturm der 1960er bis in die 1980er…) immer wieder eine große Rolle spielen und die Auseinandersetzung mit diesen so wichtig überhaupt sein könnte, wollen wir hiermit erneut unterstreichen.

Helmut Wagner erinnert anhand von Ereignissen dass nur durch die Praxis die Theorie überprüft werden kann. Wir sind nicht mit allem was er sagt einverstanden, als ob die Kritik die er damals der anarchistischen Bewegung in Spanien widmete, universell bezüglich des Anarchismus sein könnte. Denn auch damals, wahrscheinlich wusste er es nicht, es auch Gruppen und Stimmen gab die seiner Kritik beigestimmt hätten. So wie die Gruppe Los Amigos de Durruti.

Was Wagner in diesem Text eröffnet, ist auch die Frage/Debatte der Vergesellschaftung, bzw. der Kollektivierung der Produktionsmittel, der Text „Revolution und Konterrevolution in Spanien“, der auf diesem folgt, der in Internationale Rätekorrespondenz, tut es auch, und ob die CNT, bzw., der Anarcho-Syndikalismus, dafür ein geeignetes Werkzeug ist. Daran gebunden wäre die Kritik am Syndikalismus, hier die bisherige Reihe zum Thema, ob dieser eine revolutionäre Funktion überhaupt erfüllen kann oder nicht. Mehrere Kritiken dazu sind in den letzten 150 Jahren geschrieben und deshalb finden wir dass dieser Text an vielen Punkten, genau für diese Kritik, überhaupt nichts an Aktualität verloren hat.

Sowie andere Punkte die Wagner nicht vergisst zu erwähnen, wie die Kritik am Antifaschismus als eine klassenübergreifende Kritik, jene ‚union sacrée‘ die die soziale Revolution immer opfern wird und als dies geschah wurde der Konflikt im spanischen Staat zu einem innerimperialistischen Krieg indem verschiedene kapitalistische Fraktionen (demokratische, stalinistische und faschistische) um den Ausgang wetteiferten. Um so mehr der Krieg international ausgetragen wurde, verstand auch Wagner, sowie viele andere auch, dass die soziale Revolution auch nur international ausgetragen werden muss. Die Kritik am Parlamentarismus und an der Demokratie fehlt im Text auch nicht.

Dieser Text wurde im April 1937, also noch vor den Mai-Ereignissen 1937, geschrieben, dies ist von enormer Wichtigkeit und dennoch sieht es quasi gewisse Ereignisse im Voraus. Daher können wir nur betonen wie bereichernd es gewesen ist, ein weiteren Text zu entdecken der sich mit der Materie auseinandersetzt.

Soligruppe für Gefangene und den sozialen Krieg


Der Anarcho-Syndikalismus und die spanische Revolution

Die Feuerprobe des Anarchismus

Der heldenhafte Kampf der spanischen Arbeiter gegen die Faschisten ist ein Markstein in der Entwicklung der internationalen Klassenbewegung des Proletariats. Die spanischen Arbeiter haben durch ihren Kampf der Reaktion ein kräftiges „Halt!“ zugerufen und durch ihre Aktion die neue Periode des wiedererstarkten Klassenkampfes eingeleitet.

Aber nicht nur in dieser Hinsicht ist der spanische Kampf von großer Wichtigkeit für das Proletariat. Seine Bedeutung besteht andererseits auch darin, dass eine alte, in den Reihen des Proletariats propagierte Taktik und Ideologie, die des Anarchismus und Anarcho-Syndikalismus, auf die Probe gestellt wurde.

Spanien war immer das klassische Land des Anarchismus. Der gewaltige Einfluss, den diese Lehre in Spanien gewann, wird verständlich, wenn man sie in Beziehung setzt zur allgemeinen Klassenlage in diesem Lande. Die Lehre Proudhons vom individuellen, selbständigen Kleinbetrieb und ihre Verlängerung auf dem Gebiet der Großindustrie durch Bakunin stand in vollkommenem Einklang mit dem Freiheitskampf der spanischen Kleinbauern, der auch die proletarische Klassenbewegung ideologisch stark beeinflusste. Die anarchistischen Auffassungen waren tief ins spanische Proletariat eingedrungen, und sie haben ihren Stempel auf die massive Widerstandsbewegung gegen den Faschismus gedrückt.

Natürlich wollen wir nicht sagen, dass der Verlauf des Kampfes von den anarchistischen Auffassungen bestimmt worden ist oder dass er völlig das Streben der Anarchisten zum Ausdruck bringt. Umgekehrt, wir werden sehen, wie im wirklichen Kampfe die Anarchisten sich immer mehr von ihren alten Auffassungen loslösen mussten, und „Konzessionen“ machten, die schließlich auf eine totale Vernachlässigung ihrer alten Ideen hinauskam. Aber gerade darin liegt der Beweis, dass der Anarchismus den Problemen des revolutionären Klassenkampfes nicht gewachsen ist. Die anarchistischen Kampfesmethoden haben sich in Spanien als untauglich erwiesen, nicht in dem Sinne, dass der zu geringe Umfang der proletarischen Widerstandsbewegung ihnen nicht gestattete, sich vollkommen zu entfalten, sondern umgekehrt in dem Sinne, dass die anarchistischen Kampfmethoden zur Organisierung des proletarischen Kampfes nicht geeignet waren. Wie die Bolschewiki in Russland Schritt für Schritt von ihrer alten kommunistischen Theorie abwichen und schließlich mit bürgerlich-kapitalistischen Methoden die Arbeiter- und Bauernmassen unterdrücken und ausbeuten, so werden jetzt auch die Anarchisten in Spanien auf diesen Weg gedrängt. Und ebenso, wie der Verlauf der russischen Revolution die Unzulänglichkeit der bolschewistischen Auffassungen um die Fragen des Klassenkampfes zu lösen bewiesen hat, so beweist jetzt die spanische Revolution die Unzulänglichkeit der anarchistischen Auffassungen zu dieser Aufgabe.

Dies zu konstatieren, ist von außerordentlicher Wichtigkeit. Der für jeden ernsthaft revolutionären Arbeiter greifbare Verrat der II. und III. Internationale gibt den Anarchisten jetzt in der Arbeiterklasse neuen Kredit. Und der heldenhafte Kampf der spanischen Arbeiter hilft nicht wenig, um den revolutionären Glorienschein der Anarchisten zu vergrößern. In dieser Entwicklung liegt eine große Gefahr, weil sie die alten anarchistischen Illusionen mit neuer Kraft belebt, und so eine immer größere Verwirrung in der Arbeiterklasse zu Wege bringt. Gerade jetzt, wo die Anarchisten sich auf den spanischen Kampf berufen, um die Berechtigung ihrer Kritik am „Marxismus“ zu beweisen, müssen wir am konkreten Verlauf dieses Kampfes zeigen, dass es gerade die anarchistischen Auffassungen sind, die dort Schiffbruch erlitten haben, und dass noch immer die marxistische Lehre, wenn auch nicht in ihrer sozialdemokratischen Verfälschung, sondern in ihrer ursprünglichen revolutionären Reinheit, an erster Stelle steht, wo es um das Begreifen der Situation und um das Aufzeigen des Weges und der notwendigen Methoden des revolutionären Kampfes geht.

Die Schwäche der anarchistischen Auffassungen hat sich in erster Linie gezeigt in der Haltung der anarchistischen Organisationen der Frage der Organisierung der politischen Macht gegenüber. Sie haben die Auffassung vertreten, dass es, um den revolutionären Sieg zu sichern genüge, die Leitung der Betriebe in die Hände der Gewerkschaften zu legen. Sie haben nichts getan, um der Volksfrontregierung die Macht zu entreißen, haben nicht gearbeitet an der Organisierung einer politischen Rätemacht. Sie haben nicht die Lehre des Klassenkampfes der Arbeiter gegen die Bourgeoisie, sondern die des Klassenfriedens in der antifaschistischen Einheitsfront gepredigt. Später, als die Arbeitermacht von der Bourgeoisie immer mehr zurückgedrängt wurde, haben sie an der neu gebildeten Regierung teilgenommen, was sie vorher stets mit Entrüstung abgelehnt hatten. Sie versuchten diese Haltung zu rechtfertigen durch die Behauptung, dass nach der Kollektivierung die Volksfrontregierung keine politische Macht mehr sei, sondern nur eine wirtschaftliche, weil nur die Gewerkschaftsorganisationen, wozu sie auch die kleinbürgerliche Esquerra1 zählten‚ in ihr vertreten seien. Die Grundlage der Macht liege ja in den Betrieben, und diese seien in den Händen der Gewerkschaften, also der Arbeiter. Die Anarchisten in der Regierung haben in die Liquidierung der Milizkomitees eingewilligt. Die Aufnahme der Arbeitermilizen in das reguläre Heer, das Verbot der p.o.u.m. – Organisation in Madrid geschah mit ihrer Zustimmung. Sie haben mit derselben Kraft bei dem Zustandekommen der bürgerlichen Macht geholfen, wie sie die Formung einer proletarischen politischen Macht zu verhindern versuchten.

Nicht, dass wir die Anarchisten für den Verlauf des Abwehrkampfes und seine Ablenkung in die bürgerliche Sackgasse verantwortlich machen wollen. An diesem Verlauf sind andere Ursachen schuld, in erster Linie die Passivität der Arbeiter in den anderen Ländern. Aber was man den Anarchisten nachzusagen hat, ist, dass sie die Kritik an dieser Situation nachgelassen haben, dass sie nicht mit aller Kraft in die Richtung einer proletarisch-revolutionären Entwicklung gesteuert haben, dass sie sich im Gegenteil mit dem jetzigen Verlauf identifiziert haben und so die Position der Arbeiter der Bourgeoisie gegenüber außerordentlich erschwerten und Illusionen schufen, die sich im weiteren Verlauf als sehr gefährlich erweisen werden. Dieser Kritiklosigkeit der spanischen Anarchisten gegenüber haben viele „Libertaire“ im Auslande eine abweisende Haltung angenommen und sie sogar des Verrats an den anarchistischen Prinzipen beschuldigt. Doch ihre Kritik ist nur negativ und ihre Haltung den Fragen des Klassenkampfes gegenüber völlig wirklichkeitsfremd. Das kann auch nicht anders sein, weil die anarchistischen Lehren nun einmal keine Antwort auf die von der Praxis gestellten Fragen geben. Keine Anteilnahme an der Regierung, keine politische Machtbildung, das ist die Losung, die von ihnen verkündet wird. Syndikalisierung der Produktion. Es ist aber gerade die Unzulänglichkeit dieser Losungen, die auf die Frage der Organisierung des revolutionären Kampfes keine Antwort geben, wodurch das Wiederaufkommen der bürgerlichen Mächte möglich wurde. Die spanischen Anarchisten sind gerade deshalb ins Fahrwasser dar Bourgeoisie geraten, weil sie gegenüber den in der Praxis unerfüllbaren anarchistischen Losungen keine proletarischen zu setzen wussten. Und dieses Manko in den anarchistischen Auffassungen auszufüllen, dazu sind auch die ausländischen Anarchisten nicht im Stande, weil eine Lösung dieser Probleme nur auf der Basis der marxistischen Lehre möglich ist.

Am extremsten verhalten sich die holländischen Anarchisten (mit Ausnahme der im n.s.v. organisierten Anarcho-Syndikalisten). Die „prinzipiellen“ Anarchisten in Holland lehnen jeden bewaffneten Kampf ab, weil er in Widerspruch zum anarchistischen Endziel stehe. Sie leugnen die Existenz der Klassen. Wenn sie auch nicht umhin können, ihre Sympathie für die an der Seite der Volksfront kämpfenden Massen auszusprechen, so ist ihre Haltung in Wirklichkeit doch nichts anderes als eine Sabotage des Kampfes. Sie wenden sich gegen alle Aktionen, die danach streben, den spanischen Arbeitern durch Beschaffung von Waffen zu Hilfe zu kommen und setzen in den Mittelpunkt ihrer Propaganda die These, dass man alles tun müsse, um eine Ausdehnung des Kampfes auf das übrige Europa zu vermeiden. Sie propagieren den „passiven Widerstand“ nach dem Rezept – Ghandi, der, in die Wirklichkeit umgesetzt, die unbewaffneten Klassen wehrlos den faschistischen Schlächtern ausliefert.

Die oppositionellen Anarchisten sagen, dass jede Zentralisierung der Macht in einer proletarischen Diktatur oder in einer zentralen Heeresleitung eine neue Unterdrückung über die Arbeiter bedeutet. Die spanischen Anarchisten antworten darauf, dass auch sie keine politische Macht anstreben, sondern gerade durch die Syndikalisierung der Produktion jede Unterdrückung der Arbeiter unmöglich machen. Sie sind der Meinung, dass, wenn die Betriebe in den Händen der Arbeiter sind, keine über die Arbeiter herrschende Macht mehr möglich sei. Sie sind dabei dem Irrtum verfallen, dass die Macht der Arbeiter über die Betriebe und die Produktion aufrechterhalten werden kann, ohne dass diese Macht zentral und politisch organisiert ist. Die harte Praxis des Klassenkampfes hält natürlich mit diesem Irrtum keine Rechnung; die zentrale und politische Macht über die Produktion und damit auch über die Arbeiter setzt sich durch, auch wenn die Anarchisten sie nicht wollen. Wenn die Arbeiter in den Betrieben unter dem Einfluss der anarchistischen Lehre diese Macht nicht selbst organisieren, wird die politische Macht von den Vertretern der bürgerlich-kapitalistischen Interessen, den parlamentarischen Parteien, ausgeübt. Und dann bedeutet die Syndikalisierung der Produktion nichts anderes, als dass sich die Syndikate, die angeblich im Namen der Arbeiter die Betriebe verwalten, sich nach den Verordnungen und Gesetzen der bürgerlich kapitalistischen Regierung richten müssen.

Esperantistoj! Legu: „KLASBATALON“, eldonata de la grupo de internacisj komunistoj – Nederlando. Skribu al nia korespondadreso. Enhavo de Noj. 3 k 4 i.a: Rusio hodiaua, Historia materialismo, Letero Germanio

Die Macht in den Betrieben

So gesehen drängt sich die Frage auf: „Ist es wahr, dass die Arbeiter in Katalonien, wo die Anarchisten die Syndikalisierung der Produktion durchgeführt haben, die Macht in den Betrieben hatten?“ Zur Beantwortung dieser Frage genügt es, ein paar Auszüge aus der Broschüre: „Was sind die c.n.t. und f.a.i.?“ (offizielle Ausgabe der c.n.t. und f.a.i.) heranzuziehen.

„Die Leitung der kollektivierten Betriebe liegt in den Händen der Betriebsräte, die in allgemeiner Betriebsversammlung gewählt werden. Diese Räte sollen aus fünf bis fünfzehn Mitgliedern bestehen. Die Dauer der Zugehörigkeit zu den Betriebsräten ist zwei Jahre […]“

„Die Betriebsräte sind verantwortlich vor der Betriebsversammlung und dem Generalrat des Industriezweiges.“

„Zusammen mit dem allgemeinen Rat des Industriezweiges regeln sie die Produktion“.

„Ferner regeln sie die Fragen der Arbeitsentschädigung, Arbeitsbedingungen, sozialen Einrichtungen usw.“

„Jeder Betriebsrat bestimmt einen Direktor. In Betrieben mit über 500 Arbeitern muss diese Ernennung im Einvernehmen mit dem Wirtschaftsrat geschehen. Im Einvernehmen mit den Arbeitern des Betriebes wird ferner in jedem Betrieb ein Betriebsratsmitglied als Vertreter der Generalidad2 bestimmt.“

„Die Betriebsräte erstatten sowohl der Betriebsversammlung wie der Generalidad ihres Industriezweiges laufend Bericht über ihre Arbeiten und Pläne.“

„Im Falle von Unfähigkeit oder Weigerung der Befolgung von Beschlüssen können Mitglieder des Betriebsrates von der Betriebsversammlung oder vom Generalrat der Industrie abgesetzt werden.“

„Wird eine solche Absetzung vom Generalrat der Industrie vorgenommen, dann können die Arbeiter des Betriebes dagegen appellieren, und das Wirtschaftsdepartement der Generalidad entscheidet über den Fall nach Anhörung des antifaschistischen Wirtschaftsrates.“

„Die Generalräte der Industriezweige werden zusammengesetzt aus: vier Vertretern von Betriebsräten, acht Vertretern der Gewerkschaften, je nach der Proportion der einzelnen Gewerkschaftsrichtungen in der Industrie, und vier Technikern, die der antifaschistische Wirtschaftsrat stellt. Dieses Komitee arbeitet unter dem Vorsitz eines Mitgliedes des Wirtschaftsrates.“

„Die Generalräte der Industrien beschäftigen sich mit folgenden Problemen: Regelung der Produktion, Kostenberechnung, Vermeidung von Konkurrenz zwischen den Betrieben, Studium des Bedarfs an Produkten der Industrie, Studium der in- und ausländischen Märkte, Ausarbeitung von Vorschlägen über Schließung und Neuschaffung von Betrieben, Zusammenlegungen usw., Studium und Anregungen auf dem Gebiete der Arbeitsmethoden, Vorschläge für die Zollpolitik, Errichtung von Verkaufszentralen, Erwerb der Arbeitsmittel und Rohmaterialien, Aufnahme von Krediten, Errichtung technischer Versuchsstationen und von Laboratorien, Produktions- und Bedarfsstatistik, Vorarbeiten für die Ersetzung ausländischer Materialien durch inländische usw.“

Nimmt man an, dass diese Wiedergabe der Zustände mit der Wirklichkeit übereinstimmt – und es besteht kein Grund anzunehmen, dass es anders ist – dann sieht man, dass die „Generalräte der Industrie alle wirtschaftlichen Funktionen in den Händen haben. Diese Generalräte sind zusammengesetzt aus 8 Vertretern der Gewerkschaften, 4 vom antifaschistischen Wirtschaftsrat ernannte Techniker und 4 Vertreter der Betriebsräte. Der antifaschistische Wirtschaftsrat ist die bekannte Körperschaft aus dem Beginn der Revolution, der sich aus Vertretern der Gewerkschaften und der Kleinbourgeoisie (Esquerra usw.) zusammensetzt. Als direkte Vertreter der Arbeiter würden also nur die vier Vertreter der Betriebsräte gelten können. Wir sehen aber, dass die Absetzbarkeit der Betriebsratsmitglieder so geregelt ist, dass auch hier die Generalidad und der antifaschistische Wirtschaftsrat entscheidenden Einfluss hat. Denn der allgemeine Industrierat kann ihm nicht angenehme Betriebsräte absetzen, wogegen die Arbeiter Berufung einlegen können bei der – Generalidad, die in Übereinstimmung mit dem antifaschistischen Wirtschaftsrat entscheidet! Die Betriebsräte regeln die Arbeitsbedingungen, aber sind nicht nur den Arbeitern gegenüber verantwortlich, sondern auch dem Industrierat. Ein Direktor wird durch den Betriebsrat angewiesen, aber bei den großen Betrieben ist die Zustimmung des Industrierates erforderlich. Die Betriebsräte haben eine zweijährige Sitzungsperiode.

Kurz gesagt: Die Arbeiter haben in Wirklichkeit über den Verlauf der Dinge nichts zu sagen. Die Entscheidung liegt in den Händen der Gewerkschaften. Was das zu sagen hat, werden wir sehr bald sehen.

Wir können denn auch nicht, wie die c.n.t., so enthusiastisch über den „sozialen Aufbau“ sein. „In den öffentlichen Büros pulst das Leben einer wirklichen, konstruktiven Revolution“, schreibt Rosselli in „Was sind die c.n.t. und f.a.i.“ (S. 38-39). Nach unserer Meinung schlägt der Herzschlag eines „wirklichen Lebens“ der Revolution nicht in den öffentlichen Büros, sondern in den Betrieben. In den Büros schlägt das Herz eines anderen Lebens, und zwar des Bürokratismus.

Nicht an den Tatsachen üben wir Kritik. Die Wirklichkeit ist so, wie sie den Umständen und Machtverhältnissen entsprechend ist, und für die Tatsache, dass die Arbeiter in Katalonien nicht die Herrschaft ausüben, tragen nicht sie die Schuld. Die Ursache dafür ist in erster Linie in der internationalen Situation zu suchen; die die spanischen Arbeiter der Bourgeoisie der ganzen Welt gegenüberstellt. Unter solchen Umständen kann das spanische Proletariat sich nicht von seinen kleinbürgerlichen „Bundesgenossen“ frei machen; wodurch die spanische Revolution schon in ihren ersten Anfängen erstickt wird.

Unsere Kritik richtet sich nur dagegen, dass die Zustände in Katalonien als Sozialismus bezeichnet werden. Denn diejenigen, die dies den Arbeitern als Wahrheit verkünden – teils weil sie selbst dieser Meinung sind, teilweise aber auch, weil sie ihren Einfluss auf den Gang der Dinge nicht verlieren wollen –, verhindern damit, dass Arbeiter sich klar werden über das, was in Spanien stattfindet, und erschweren damit die Entwicklung des revolutionären Kampfes.

Die spanischen Arbeiter können sich nicht gegen die Herrschaft der Gewerkschaften zur Wehr setzen, weil das den Zusammenbruch der militärischen Front zur Folge haben müsste. Und sie können den Kampf nicht aufgeben; sie müssen kämpfen, wenn sie nicht untergehen wollen. Jede Hilfe im Kampfe gegen die Faschisten, gleich von wem, ist ihnen willkommen. Sie fragen nicht, ob das Endziel ihres Kampfes Sozialismus oder Kapitalismus sein wird, denn wie auch die Frage beantwortet wird – an der Notwendigkeit des unmittelbaren direkten Kampfes, unter den Umständen so wie sie eben jetzt sind, wird damit nichts geändert. Nur ein kleiner Teil des Proletariats ist bewusst revolutionär.

Wenn die Gewerkschaften den Kampf organisieren, dann werden sich die Arbeiter dagegen sicher nicht zur Wehr setzen. In ihren Augen ist das absolut notwendig, wenn die Fortführung des Kampfes gesichert und der Zusammenbruch an der Front vermieden werden soll. Dass daran ein Kompromiss mit dem Bürgertum verbunden ist, wird dabei als nicht zu umgehen hingenommen. Die Parole der c.n.t. aus den ersten Wochen: „Zuerst der Sieg über die Faschisten und dann erst steht die soziale Revolution auf der Tagesordnung“, bringt denn auch die allgemeine Auffassung bei den spanischen Arbeitern zum Ausdruck.

Der Grund für eine solche Haltung ist in den zurückgebliebenen spanischen Verhältnissen zu suchen; sie ermöglichen nicht nur, sie zwingen selbst zum Kompromiss mit dem Bürgertum. Doch wird damit auch der Charakter des revolutionären Kampfes selbst verändert; er kann sich nicht gegen die Klassenherrschaft des Bürgertums richten und muss notwendiger Weise zur Festigung einer neuen bürgerlich-kapitalistischen Ordnung führen.

Die ausländische Hilfe erdrosselt die Revolution

Die Arbeiterklasse in Spanien kämpft nicht nur gegen die eigene faschistische Bourgeoisie, sondern gegen die der ganzen Welt. Die „faschistischen“ Länder, Italien, Deutschland, Portugal, Argentinien u.a. unterstützen dabei die spanischen Faschisten mit allen Mitteln, die ihnen zur Verfügung stehen. Diese Tatsache allein schon macht in Spanien den Sieg der Revolution unmöglich. Die gewaltige Macht der feindlichen Staaten ist für das spanische Proletariat zu groß.

Wenn angesichts dieser gewaltigen Macht die spanischen Faschisten bis jetzt nicht gesiegt haben, vielmehr gerade in der letzten Zeit an mehreren Fronten militärische Niederlagen erleiden, ist das vor allem die Folge von der Lieferung von modernen Waffen an die antifaschistische Regierung aus dem Auslande. Während Mexico schon vom Beginn an, sei es dann in beschränktem Masse, Waffen und Munition lieferte, begann Russland erst damit, nachdem der Kampf fünf Monate gedauert hatte. Diese Hilfe kam erst, nachdem die faschistischen Truppen mit modernen Waffen aus Italien und Deutschland ausgerüstet und auch sonst durch die faschistischen Mächte in jeder Weise unterstützt, die antifaschistische Miliz mehr und mehr zurückdrängte. Die Fortführung des Kampfes wurde dadurch möglich. Die weitere Folge davon war, dass Deutschland und Italien noch mehr Waffen und auch Truppen sandten, wodurch diese Länder in steigendem Maße den politischen Zustand in Spanien selbst beherrschten. Eine solche Entwicklung der Dinge konnte Frankreich und England nicht gleichgültig bleiben, die sich ihrerseits um die Verbindung mit ihren Kolonien besorgt machen. Mehr und mehr bekommt dadurch der Kampf in Spanien den Charakter einer Auseinandersetzung zwischen den imperialistischen Großmächten, die offen oder versteckt an diesem Kampfe teilnehmen, die um die Verteidigung alter oder Eroberung neuer Machtpositionen kämpfen. Von beiden Seiten werden jetzt die feindlichen Fronten in Spanien mit Waffen und Hilfskräften versorgt, und es ist noch nicht abzusehen, wo und wann dieser Kampf enden wird.

Inzwischen wurden durch diese Hilfe des Auslandes die spanischen Arbeiter vor der direkten Niederlage gerettet. Zugleich aber wurde damit der Revolution der Gnadenstoß gegeben. Die modernen Waffen aus dem Auslande machen den militärischen Kampf wieder möglich, aber zugleich wurde das spanische Proletariat den imperialistischen Interessen, in erster Linie von Russland, unterworfen. Russland hilft der spanischen Regierung nicht, um die Revolution zu befördern, sondern um die Ausdehnung der Macht von Italien und Deutschland im Mittelmeer zu verhindern. Das Anhalten von russischen Schiffen und die Beschlagnahme von Schiffsladungen lassen deutlich erkennen, was Russland zu erwarten hat, wenn es Deutschland und Italien den Sieg davontragen lässt.

Russland versucht in Spanien festen Fuß zu bekommen. Wir deuten nur eben darauf hin, wie nach und nach unter russischem Druck der Einfluss der spanischen Arbeiter auf den Gang der Dinge abbröckelt; wie das Miliz-Komitee aufgehoben, die Staatsmacht im Wirtschaftsleben vergrößert, die p.o.u.m. von der Regierung ausgeschlossen, die c.n.t. in die Enge getrieben wurde usw. Den Miliztruppen der c.n.t. und p.o.u.m. an der Aragon-Front werden seit Monaten Waffen und Munition verweigert. Das alles beweist, dass die Macht, die die spanischen Antifaschisten materiell von sich abhängig gemacht hat, auch den Kampf der spanischen Arbeiter beherrscht. Sie können sich zur Wehr setzen gegen den russischen Einfluss, die russische Hilfe können sie nicht entbehren. Und darum werden sie schließlich alles hinnehmen müssen, was Russland verlangt. Solange die Arbeiter außerhalb Spaniens nicht zum Aufstand kommen gegen ihre eigene Bourgeoisie und dadurch aktive Hilfe leisten auch für den revolutionären Kampf in Spanien, werden sie darum ihr sozialistisches Ziel opfern müssen.

Die wahre Ursache des inneren Zusammenbruchs der spanischen Revolution liegt darin, dass die spanischen Arbeiter von der materiellen Hilfe der kapitalistischen Länder – (in diesem Falle vom russischen Staatskapitalismus) – abhängig waren. Wenn die Revolution sich auf ein genügend großes Gebiet erstreckt; wenn sie sich z.B. in England, Frankreich, Italien, Deutschland, Belgien durchsetzt, dann stehen die Dinge anders. Dann hätte niemand an die Unterstützung der Faschisten in Spanien gedacht. Wenn die Konterrevolution in den wichtigsten Industriegebieten von Europa niedergeschlagen ist, so wie jetzt in Spanien in Madrid, Katalonien und Asturien, dann ist die Macht der faschistischen Bourgeoisie gebrochen. Weißgardistische Truppen3 in reaktionären Gebieten können dann sicherlich noch die Revolution in Gefahr bringen, aber nicht mehr vernichten. Truppen, die über keine Industrie von einiger Bedeutung verfügen, sind schnell am Ende ihrer Kraft. Darum wird auch die Arbeiterschaft, wenn sich die proletarische Revolution in den wichtigsten Industriegebieten von Europa durchsetzt, nicht mehr von kapitalistischen Mächten des Auslandes abhängig sein. Die ist dann im Stande, alle Macht zu übernehmen.

So kommen wir erneut zu der Schlussfolgerung, dass die proletarische Revolution nur siegen kann, wenn sie international ist. Bleibt sie beschränkt auf ein kleines Gebiet, dann wird sie entweder mit bewaffneter Gewalt niedergeschlagen, oder sie entartet, indem sie für die imperialistischen Interessen der kapitalistischen Mächte gebraucht wird. Ist sie im internationalen Masse genügend stark, dann braucht auch eine Entartung in staats- oder privatkapitalistischem Sinne nicht befürchtet zu werden. Die Probleme, die dann auftauchen, behandeln wir im folgenden Abschnitt.

Der Klassenkampf im „roten“ Spanien

Wenn wir im vorigen Kapitel auseinandergesetzt haben, wie die internationalen Verhältnisse das spanische Proletariat zum Kompromiss mit den bürgerlichen Kräften zwangen, so ist damit nicht gesagt, dass nun im „roten“ Spanien der Klassenkampf aufgehört habe. Im Gegenteil: Auch unter dem Deckmantel der „antifaschistischen Einheitsfront“ wird er fortgesetzt. Die Angriffe der Bourgeoisie auf alle Machtpositionen der Arbeiter beweisen dies: die Liquidierung der Arbeiterkomitees, die schrittweise Verstärkung der Position der Regierung, usw. Die Arbeiter im „roten“ Spanien können sich dieser Entwicklung gegenüber nicht gleichgültig verhalten, ihrerseits müssen sie versuchen, die errungenen Positionen zu behaupten, das weitere Vordringen der Bourgeoisie zu verhindern und der Entwicklung eine neue, revolutionäre Richtung zu geben.

Wenn die Arbeiter in Katalonien versäumen, gegen das erneute Vordringen der Bourgeoisie Front zu machen, ist ihre völlige Niederlage gewiss. Nach einem eventuellen Sieg der Volksfrontregierung über die Faschisten wird diese alle Kräfte einsetzen, um das Proletariat in seine vorherige Lage zurückzudrängen. Der Kampf zwischen der nach Befreiung aus der kapitalistischen Knechtschaft strebenden Arbeiterklasse und der Bourgeoisie wird dann weitergeführt werden, aber in ungleich schwierigeren Verhältnissen für das Proletariat, weil die „demokratische“ Bourgeoisie nach ihrem durch die Arbeiter erkämpften Siege über die Faschisten dann alle Kräfte für den anti-proletarischen Kampf aufbieten kann. Die systematische Abbröckelung der Arbeitermacht dauert schon seit Monaten an, und in den Reden Caballeros4 kann man schon jetzt hören, was die Arbeiter von der heutigen Regierung erwarten können, wenn sie dieser einmal zum Siege verholfen haben.

Wir haben gesagt, die spanische Revolution kann nur siegen, wenn sie sich im internationalen Rahmen ausdehnt. Aber die spanischen Arbeiter können nicht warten, bis die Revolution im übrigen Europa ausbricht, sie können nicht warten auf eine Hilfe, die bis jetzt nur zu den frommen Wünschen gehört. Sie müssen schon jetzt ihre Sache verteidigen, nicht nur gegen die Faschisten, sondern auch gegen ihre bürgerlichen „Bundesgenossen“. Die Organisierung ihrer Macht auch in der heutigen Lage ist für sie eine zwingende Notwendigkeit.

Wie verhält sich nun die spanische Arbeiterbewegung selbst dieser Frage gegenüber?

Die einzige Bewegung, die auf dieser Frage eine konkrete Antwort gibt, ist die p.o.u.m.. Sie propagiert die Einberufung eines allgemeinen Rätekongresses, aus dem eine wirkliche proletarische Regierung hervorgehen soll.

Dazu ist zu sagen, dass die Grundlage für ein derartiges Streben bis jetzt noch nicht vorhanden ist. Die sogenannten „Arbeiterräte“, insoweit sie noch nicht liquidiert sind, stehen zum großen Teil unter dem Einfluss der Generalidad, die auf ihre Zusammensetzung eine scharfe Kontrolle ausübt. Übrigens, auch sonst kann die Zusammenrufung eines Kongresses nicht die Macht der Arbeiter über die Produktion sichern. Die gesellschaftliche Macht umfasst mehr als die Ausübung einer Regierungsfunktion. Nur wenn die proletarische Macht das ganze gesellschaftliche Leben durchdringt, kann sie sich behaupten. Die zentrale politische Macht, wie groß ihre Bedeutung auch sein möge, ist doch nur das Verbindungsglied der überall in allen Teilen des gesellschaftlichen Lebens wurzelnden Machtpositionen.

Wenn die Arbeiter ihre Macht der Bourgeoisie gegenüber organisieren wollen, können sie diese Aufgabe nur von Grund auf anfassen. Als erstes müssen sie ihre Betriebsorganisationen von dem Einfluss der offiziellen Parteien und Gewerkschaften befreien, weil diese sie an die heutige Regierung und dadurch an die kapitalistische Gesellschaft binden. Von den Betriebsorganisationen aus müssen sie ihren Einfluss in allen Teilen des gesellschaftlichen Lebens zur Geltung bringen. Nur auf dieser Grundlage ist die Bildung der proletarischen Macht möglich. Und nur auf dieser Grundlage können sich die Kräfte der Arbeiterklasse zur Zusammenarbeit finden, nur von hier aus kann die Organisation der Arbeitermacht erfolgen.

Die ökonomische Organisierung der Revolution

Die Fragen der politischen und ökonomischen Organisierung der Revolution sind nicht voneinander zu trennen. Die Anarchisten, die die Notwendigkeit der politischen Organisation leugnen, konnten dadurch auch auf die Frage der ökonomischen Organisation keine zutreffende Antwort geben. Die Frage der Verbindung der Arbeit in den verschiedenen Produktionsstätten und der Güterzirkulation steht in enger Beziehung zu der Bildung einer politischen Arbeitermacht. Die Macht der Arbeiter in den Betrieben kann sich nicht behaupten ohne die Bildung einer politischen Arbeitermacht, eben so wenig wie die Letztere eine Arbeitermacht bleiben kann, wenn nicht die Betriebsräteorganisation ihre Grundlage bildet. So erhebt sich, nachdem wir die Notwendigkeit der Bildung einer politischen Macht aufgezeigt haben, die Frage nach der Form der proletarischen Macht, wie sie sich in der Gesellschaft durchsetzt und wie sie in den Betrieben wurzelt.

Angenommen, die militärische Macht der Bourgeoisie sei dadurch, dass die Arbeiter in den hauptsächlichen Industriegebieten, z.B. Europas, die Macht erobert hätten, zum größten Teil gebrochen, dann droht der Revolution von außen keine wesentliche Gefahr mehr. Aber jetzt sind die Arbeiter – die gemeinsamen Besitzer der Betriebe – vor die Aufgabe gestellt, diese für die Bedürfnisse der Gesellschaft umwandeln zu lassen. Hierfür sind Rohstoffe nötig. Woher müssen sie kommen? Oder, das Produkt ist fertig: Wohin muss es gesandt werden, wer hat Bedarf daran?

Alle diese Probleme können nicht gelöst werden, wenn jeder Betrieb nach eigener Weise zu arbeiten begänne. Die Rohstoffe für einen jeden Betrieb kommen aus allen möglichen Teilen der Erde und seine Produkte werden an allen möglichen Ecken und Enden verbraucht. Wie müssen die Arbeiter erfahren, von wo sie ihre Rohstoffe beziehen müssen, wie finden die Verbraucher ihre Produkte? Es kann auch nicht aufs Geratewohl produziert werden und es können keine Produkte oder Rohstoffe abgegeben werden, ohne festzustellen, dass sie in zweckentsprechender Weise verwandt werden. Wenn das Wirtschaftsleben nicht sofort zusammenbrechen soll, dann müssen Regelungen getroffen werden, nach denen eine Organisierung der Güterbewegung möglich ist.

Hierin liegt dann allerdings die Schwierigkeit. Im Kapitalismus wird diese Aufgabe erfüllt durch den „Freien Markt“ und durch das Geld. Auf dem „Markte“ treten sich die Kapitalisten, die Besitzer der Produkte, gegenüber; hier werden die Bedürfnisse der Gesellschaft festgestellt. Das Maß dafür ist das Geld. Die Preise bringen den ungefähren Wert der Produkte zum Ausdruck. Im Kommunismus dagegen fallen diese an den Privatbesitz gebundenen und ihm entspringenden Einrichtungen weg. Es entsteht also die Frage: Wie müssen die Bedürfnisse der Gesellschaft festgestellt und bestimmt werden?

Uns ist bekannt, dass der „freie Markt“ seine Aufgabe nur sehr mangelhaft erfüllt. Die Bedürfnisse, die er misst, sind nicht bestimmt durch die wirklichen Lebensbedürfnisse der Menschen, sondern durch die Kapitalkraft der Besitzenden und durch die Lohnhöhe der einzelnen Arbeiter. Im Kommunismus dagegen geht es darum, die wirklichen Bedürfnisse der Massen zu befriedigen; es muss also das wirkliche Bedürfnis festgestellt werden, und nicht jenes, das abhängt vom Inhalt des Portemonnaies.

Selbstredend können die Bedürfnisse der Massen nicht durch irgendeinen bürokratischen Apparat festgestellt werden, sondern nur durch die Arbeiter selbst. Es kommt hierbei nicht in erster Linie darauf an, ob die Arbeiter fähig sind, dies selbst zu tun, sondern es handelt sich dabei um das Verfügungsrecht über die gesellschaftlichen Produkte. Lässt man einen bürokratischen Apparat darüber verfügen, welche Bedürfnisse die Masse haben darf, so ist hiermit ein neues Machtinstrument über die Arbeiterklasse geschaffen. Für die Arbeiter ist es darum notwendig, sich in Verbraucher-Genossenschaften (Kooperationen) zusammenzuschließen und so selbst den Organismus zu schaffen, der ihre Bedürfnisse zum Ausdruck bringt. Genau dasselbe gilt für die Betriebe. Dort sind es die in den Betriebsorganisationen vereinigten Arbeiter, die feststellen, wieviel Rohstoffe usw. sie für das von ihnen herzustellende Produkt nötig haben. Es gibt also nur ein Mittel, um im Kommunismus die Bedürfnisse, und zwar die wirklichen Bedürfnisse der Massen, festzustellen, nämlich die Organisation der Produzenten-Konsumenten, der Arbeiter in Betriebsorganisationen und Verbrauchergenossenschaften.

Nun genügt es aber noch nicht, wenn die Arbeiter wissen, was zu ihrem Lebensunterhalt nötig ist und dass die Betriebe wissen, wieviel Rohstoffe usw. sie haben müssen. Die Betriebe untereinander beliefern sich gegenseitig, es findet ein Stoffwechsel statt, die Produkte durchlaufen in den verschiedenen Phasen mehrere Betriebe, bevor sie in den Verbrauch eingehen können. Um diesen Prozess aufrecht erhalten zu können, ist es nötig, nicht nur Quanten festzustellen, sondern auch zu administrieren. Wir kommen so auf den zweiten Teil des Mechanismus, der den „Freien Markt“ ablösen muss, nämlich die allgemeine gesellschaftliche Buchhaltung. Diese wird die Angaben, die sie von den verschiedenen Betrieben und Verbrauchergenossenschaften erhält, zu einem übersichtlichen Ganzen verarbeiten müssen, welches einen genauen Einblick in die Bedürfnisse und Möglichkeiten der Gesellschaft gestattet.

Die Errichtung einer solchen zentralen Buchhaltung ist unerlässlich, wenn die Gesamtproduktion nicht im Chaos untergehen soll. Zumindest dann, wenn der Privatbesitz an den Produktionsmitteln und mit ihr der „Freie Markt“ beseitigt ist. Oder besser gesagt, der „Freie Markt“ kann nicht eher verschwinden, ehe nicht eine derartige Organisation des Güterverkehrs mittels der Produzenten- und Konsumenten-Genossenschaften und der zentralen Buchhaltung ins Leben gerufen ist.

Russland zeigte, wie sich der „Freie Markt“ trotz aller durch die Bolschewiki angewandten Unterdrückungsmaßnahmen behauptete, und dies, weil die Organe, die ihn ersetzen sollten, nicht funktionierten. In Spanien ist die Ohnmacht der Organisationen, eine kommunistische Produktion aufzubauen, aus der Tatsache des Fortbestehens des „Freien Marktes“ deutlich zu konstatieren. Sehr wohl hat die alte Form des Eigentums ein anderes Gesicht angenommen. Anstelle des persönlichen Besitzes an den Produktionsmitteln steht heute teilweise ein Zustand, in dem die Gewerkschaftsorganisationen die Rolle des früheren Besitzers in etwas modifizierter Form übernommen haben. Die Form ist geändert, das System ist geblieben. Der Besitz als solcher ist nicht abgeschafft, der Tausch von Waren und Werten ist nicht verschwunden. Dies ist denn auch die große Gefahr, die die spanische Revolution von innen bedroht.

Die Arbeiter haben die Aufgabe, eine prinzipiell neue Form der Güterverteilung zu finden. Bleiben sie an den jetzigen Formen kleben, so haben sie damit für die völlige Restauration des Kapitalismus alle Türen offengelassen. Im anderen Falle, wenn tatsächlich eine zentrale Güterverteilung verwirklicht wurde, haben die Arbeiter die Aufgabe, den zentralen Apparat unter ihrer Kontrolle zu halten. Es besteht sonst die Möglichkeit, dass dieser Apparat, der eingesetzt wurde, zur bloßen Registration und zu statistischen Zwecken, sich Machtfunktionen aneignet und sich ein Machtinstrument schafft, welches gegen die Arbeiter eingesetzt werden kann. Die Entwicklung hätte damit den ersten Schritt in staatskapitalistischer Richtung eingeschlagen.

Die Übernahme der Produktion durch die Gewerkschaften

Diese Tendenz ist in Spanien sehr deutlich wahrnehmbar. In den Händen der Gewerkschaftsleitungen befindet sich ein großer Teil der Verfügungsgewalt über den Produktionsapparat. Ebenfalls üben sie auf die militärischen Formationen einen entscheidenden Einfluss aus. Der Einfluss der Arbeiter auf das ökonomische Leben geht nicht weiter als durch den Einfluss, die sie auf die Gewerkschaften haben. Wie sehr dieser Einfluss ein beschränkter ist, beweisen die Maßnahmen der Gewerkschaften, die wohl nicht zu einem ernsthaften Angriff auf das Privateigentum geführt haben.

Wenn die Arbeiter die Regelung des ökonomischen Lebens selbst in die Hand nehmen, wird eine ihrer ersten Maßnahmen gegen das Parasitentum gerichtet sein. Der Zustand, dass für Geld alles käuflich ist, dass Geld der Zauberer ist, der alle Pforten öffnet, er wird verschwinden. Eine der ersten Maßnahmen der Arbeiter wird ohne Zweifel die Ausgabe einer Art Arbeitsgeld sein. Nur der wird es erhalten, der für die Gesellschaft eine nützliche Arbeit verrichtet (besondere Regelungen für Alte, Kranke, Kinder, usw. werden natürlich notwendig sein).

In Katalonien ist dieses nicht geschehen. Hier blieb das Geld der Vermittler bei den Gütertransaktionen. Wenn auch eine gewisse Kontrolle auf die Güterbewegung eingeführt wurde, so hat dies doch nichts geändert an der Tatsache, dass die Arbeiter ihr bisschen Besitz ins Pfandhaus bringen müssen, während die Hausbesitzer ein arbeitsloses Einkommen in der Höhe von 4% ihres Kapitals bis zu einer gewissen Grenze garantiert bekommen. (L’Espagne Antifasciste – 10. Oktober).

Man kann mit dem Einwand kommen, dass die Gewerkschaften keine anderen Maßnahmen ergreifen konnten, weil sie sonst die antifaschistische Einheitsfront in Gefahr gebracht hätten. Und dass sie nach dem Sieg über die Faschisten sehr sicher das Versäumte nachholen und alle notwendigen Reformen durchführen würden. Die freiheitliche Einstellung der c.n.t. sei eine sichere Garantie dafür.

Wer so argumentiert, verfällt in denselben Fehlern wie die verschiedenen Bolschewiki von links und rechts. Die bisher ergriffenen Maßnahmen beweisen eindeutig, dass die Arbeiter heute die Macht nicht in Händen haben. Mit welchen Argumenten will man den Standpunkt verteidigen, dass dieselben Gewerkschaftsapparate, die heute über die Arbeiter herrschen, nach der Niederlage der Faschisten ihre Macht freiwillig in die Hände der Arbeiter legen werden?

Sicher, die CNT ist freiheitlich. Selbst wenn wir annehmen, dass ihre Spitzen bereit wären, wenn die militärische Lage es erlaubt, von ihrer Verfügungsgewalt Abstand zu nehmen, was wäre damit verändert? Denn nicht der eine oder der andere Führer hat die Macht; die Macht liegt in den Händen des großen Apparates, der sich aus all den unzähligen größeren und kleineren Bonzen, die die Schlüsselpositionen und Positiönchen beherrschen, zusammensetzt. Sie sind im Stande, in dem Moment, wo man sie aus ihrer selbstverständlich bevorrechteten Position vertreiben will, die ganze Produktion auf den Kopf zu stellen. Hier taucht genau dasselbe Problem auf, dass auch in der russischen Revolution eine solche schwerwiegende Rolle gespielt hat. Der bürokratische Apparat sabotierte dort, solange die Arbeiterkontrolle in den Fabriken bestand, das ganze Wirtschaftsleben. Genau so geht es in Spanien. Alle von der c.n.t. für die Idee des Selbstbestimmungsrechtes der Betriebsbelegschaften aufgebrachte Begeisterung ändert nichts an der Tatsache, dass die Gewerkschaftskomitees faktisch die Funktion der „Arbeitgeber“ übernommen haben, und somit den Arbeitern gegenüber als Ausbeuter aufzutreten gezwungen sind. Das System der Lohnarbeit ist in Spanien aufrechterhalten, nur eins ist verändert: War sie früher Lohnarbeit im Dienste des Kapitalisten, so ist sie es heute im Dienste der Gewerkschaften. Um das zu beweisen, seien einige Zitate aus „L‘Espagne Antifasciste“ angeführt. In Nummer 24 vom 28. Nov. 19365 finden wir einen Artikel: Die Revolution organisiert sich. Ihm entlehnen wir das Folgende:

„Das Provinzplenum von Granada, das am 2., 3. und 4. Oktober 1936 in Guadix stattfand, hat folgende Beschlüsse gefasst:6 […]
5. Das Komitee der Gewerkschafts-Einheit soll die Kontrolle über die gesamte Produktion (Es ist hier vom Landbau die Rede) ausüben. Es wird ihm dafür alles zur Aussaat und Ernte nötige Material zur Verfügung gestellt.
6. Als Grundlage der Zusammenarbeit mit anderen Gebieten muss jedes Komitee den Güteraustausch dadurch zustande bringen, indem es die Werte der Produkte nach Maßgabe der gangbaren Preise miteinander vergleicht.
7. Um die Arbeit zweckmäßig zu gestalten wird das Komitee dazu übergehen müssen, alle Bewohner, die nicht arbeitsfähig sind und die, die es wohl sind, statistisch zu erfassen. Damit ihm bekannt wird, mit wieviel Arbeitskräften gerechnet werden kann und wie die Lebensmittel nach der Größe der Familie rationsweise zu verteilen sind.
8. Das beschlagnahmte Land wird als Gemeinschaftseigentum erklärt. Jedoch darf das Land derjenigen, die über genügende physische und Berufskapazität verfügen, nicht enteignet werden. Dieses, um ein Maximum an Rentabilität zu erhalten.“

(Außerdem darf das Land der kleinen Eigentümer nicht beschlagnahmt werden. Die Inbeschlagnahme wird durch dass aus c.n.t. und u.g.t. zusammengesetzte Organe ausgeführt.)

Diese Beschlüsse sind aufzufassen als eine Art Plan, wonach das Gewerkschafts-Einheits-Komitee die Agrarproduktion organisieren will. Hierbei ist festzustellen, dass die Leitung der Kleinbetriebe –  und ebenfalls derjenigen Großbetriebe, bei denen die „Maximum-Rentabilität“ gewährleistet ist, – in den Händen der alten Besitzer verbleiben soll. Der übrige Grundbesitz wird für die „Gemeinschaft“ enteignet, d.h. unter die Leitung des Gewerkschafts-Einheits-Komitee gestellt. Ferner erhält das g.e.k. die Kontrolle über die Gesamtproduktion. Aber mit keiner Silbe wird erwähnt, welche Rolle die Produzenten selbst in dieser neuen Produktionsordnung spielen sollen. Dieses Problem besteht für u.g.t. und c.n.t. anscheinend überhaupt nicht. Sie sehen ihre Aufgabe lediglich darin, eine andere Leitung, und zwar die der g.e.k., für eine Produktion zu errichten, die weiter auf der Basis der Lohnarbeit bestehen bleibt. Und doch entscheidet gerade die Frage der Erhaltung des Lohnsystems über die Entwicklung der proletarischen Revolution. Wenn die Arbeiter nach wie vor Lohnarbeiter bleiben, sei es auch im Dienste eines durch ihre eigene Gewerkschaft errichteten Komitees, dann bleibt ihre Position im Produktionssystem unverändert. Die soziale Revolution wird durch den unvermeidlich einsetzenden Kampf um ökonomischen Einfluss für Gewerkschaft oder Parteien von ihrer Hauptrichtung abgedrängt.

Dann erhebt sich die Frage: Inwieweit kann man die Gewerkschaften als wirkliche Vertretung der Arbeiter betrachten, d.h., wieviel Machteinfluss haben die Arbeiter über die zentralen Gewerkschaftskomitees, die das gesamte ökonomische Leben beherrschen?

Die Wirklichkeit zeigt, dass die Arbeiter jeden Einfluss resp. Macht über diese Organisationen verlieren. Selbst im günstigsten Falle, wenn alle Arbeiter in der c.n.t. und u.g.t. organisiert sind und selbst die Komitees gewählt haben, verwandeln sich diese, einmal in Funktion, nach und nach in selbständige Machtorgane. Diese Komitees stellen alle Normen für die Produktion und Distribution fest, ohne Verantwortung gegenüber der Arbeiterschaft, die sie in ihre Funktion hob – ohne dass sie nach dem Willen der Arbeiter jeden Augenblick abgelöst und ersetzt werden könnten. Sie erhalten die Verfügung über alle für die Arbeit erforderlichen Produktionsmittel sowie über die Produkte, während die Arbeiter lediglich eine bestimmte Lohnsumme für die von ihnen geleistete Arbeit erhalten.

Das Problem für die spanischen Arbeiter besteht also vorläufig darin, die Macht über die Gewerkschaftskomitees, welche die Produktion und Distribution beherrschen, zu erhalten. Und hier zeigt sich deutlich, dass die anarcho-syndikalistische Propaganda die entgegengesetzte Wirkung erzeugt: Die Anarcho-Syndikalisten meinen, dass alle Schwierigkeiten überwunden sind, wenn nur die Gewerkschaften die Leitung der Produktion erhalten. Sie sehen wohl die Gefahr der Bildung einer Bürokratie, aber nur in den Staatsorganen – nicht in den Gewerkschaften. Sie glauben, dass die „freiheitliche Gesinnung“ eine derartige Entwicklung unmöglich mache.

Aber gerade in Spanien dürfte es sich genügend gezeigt haben, dass die „Freiheitliche Gesinnung“ beiseite geschoben wird, wenn die materielle Notwendigkeit ihre Forderungen stellt. Auch von anarchistischer Seite kann man die Entwicklung einer Bürokratie bestätigt finden. Der L’Espagne Antifasciste vom 1. Januar enthält einen Artikel, übernommen aus der Tierra y Libertad (Grund und Freiheit, Organ der f.a.i.), woraus wir Folgendes zitieren:

„Das letzte Plenum der ‚Regionalen Föderation‘ der Anarchistischen Gruppen in Katalonien hat […] den Standpunkt des Anarchismus gegenüber den Forderungen der Gegenwart festgestellt. Wir werden alle diese Beschlüsse bekanntgeben und dieselben mit einem kurzen Kommentar versehen.“

Aus diesen kommentierten Beschlüssen ist der nachstehende Auszug entnommen:

4) Es ist notwendig, die parasitäre Bürokratie, die sich gegenwärtig in starkem Maße in den unteren und oberen Organen des Staates entwickelt hat, zu beseitigen.“

„Der Staat ist der ewige Brutplatz gewesen für eine bestimmte Klasse: die Bürokratie. Gegenwärtig wird der Zustand ernst. Sie schleppt uns mit in eine Strömung, die für die Revolution gefährlich ist. Die betriebliche Kollektivierung, mit der Errichtung von Räten und Komitees, hat den Nährboden geschaffen für eine neue Bürokratie, die dem Schoß der Arbeiterschaft selbst entsprungen ist. Die Ziele des Sozialismus missachtend, geschieden von dem Geist der Revolution, handeln die Elemente, die die Leitung der Produktionsstätten oder der außerhalb der Gewerkschaftskontrolle stehenden Industrien in Händen haben, oft als wirkliche Bürokraten mit absoluten Vollmachten und treten auf als neue Herren.“

„In den Staatsbüros und in den örtlichen Organen kann man sich überzeugen von der Zunahme der ‚Federsnässer‘. Diesen Dingen muss ein Ende gemacht werden, Es ist die Aufgabe der Gewerkschaften und Arbeiter, gegen diesen Strom des Bürokratismus einen Damm zu errichten. Und es ist die Gewerkschaftsorganisation, die diese Aufgabe lösen kann.“

„Das Parasitentum muss aus der neuen Gesellschaft verschwinden. Es ist unsere gebieterische Pflicht, den Kampf dagegen mit den schärfsten Mitteln und ohne Zögern zu beginnen.“

Jedoch die Bürokratie durch die Gewerkschaften vertreiben, hieße den Teufel durch Belzebub austreiben wollen. Denn es sind die Machtverhältnisse und nicht die idealistischen Lehrsätze, die den Lauf der Entwicklung bestimmen. Der spanische Anarcho-Syndikalismus, der mit anarchistischen Lehrsätzen durchtränkt ist, erklärt sich für „Freien Kommunismus“ und gegen jegliche zentrale Gewalt. Jedoch seine eigene Kraft ist konzentriert in der Gewerkschaftsorganisation, und darum ist dieses das Mittel, wodurch die Anarchosyndikalisten den „freien“ Kommunismus verwirklichen wollen.

Der Anarcho-Syndikalismus

So sehen wir, dass bei den spanischen Anarchosyndikalisten Theorie und Praxis verschiedene Wege gehen. Dies konnten wir bereits feststellen, als ersichtlich war, dass CNT und FAI sich nur dadurch halten konnten, indem sie Schritt für Schritt ihren antipolitischen Standpunkt preisgaben. Genau dasselbe müssen wir nun konstatieren bei dem „ökonomischen Aufbau der Revolution“.

Theoretisch sind sie Vorkämpfer des „freien“ Kommunismus, aber um die „freien“ Betriebe in Bewegung zu bringen im Interesse der Revolution, sind sie gezwungen, ihnen die „Freiheit“ zu nehmen und die ganze Produktion einer zentralen Leitung unterzuordnen. Die Praxis zwingt auch hier zum Verlassen der Theorie. Das bedeutet also, dass die Theorie nicht für die Praxis berechnet war.

Eine Erklärung hierfür finden wir, wenn wir die Theorie vom „freien Kommunismus“ etwas näher betrachten. Dann zeigt sich sogleich, dass diese in Wirklichkeit den Auffassungen Proudhons entstammen, die seinerzeit durch Bakunin an die modernen Produktionsverhältnisse angepasst wurden.

Diese Auffassungen, die Proudhon vor etwa 100 Jahren in Bezug auf den Begriff des Sozialismus entwickelte, sind nichts anderes als idealistische Vorstellungen des Kleinbürgers, der die freie Konkurrenz der Kleinbetriebe als den idealen Zustand sah, auf den die Entwicklung gerichtet sein müsse. Die freie Konkurrenz solle automatisch alle Privilegien abschaffen, weil letztere nur dem Monopol, d.h. dem Geldmonopol der Banken und dem Grundmonopol der Großgrundbesitzer ihre Entstehung verdanken. Auf diese Weise solle dann auch aller Zwang von oben herab überflüssig werden. Die Profite sollten verschwinden, jeder solle nur den „vollen Ertrag seiner Arbeit“ erhalten, eben weil nach Proudhon die Profite nur durch das Handelsmonopol entstehen konnten. „Ich will das Eigentum nicht abschaffen, sondern verallgemeinern, d.h. auf den Kleinbesitz zurückführen und der Macht entkleiden; denn Proudhon verurteilt nicht die Tatsache des Besitzes, in der freien Verfügung über die Früchte der Arbeit sieht er ‚das Wesen der Freiheit‘. Er verurteilt das Eigentun als Vorrecht und Macht, das Herrenrecht am Eigentum.“ (Proudhon und der Sozialismus von Gottfried Salomon, S. 31). Das Geldmonopol z.B. wollte Proudhon durch die Errichtung einer zentralen Kreditbank abschaffen, oder auch durch den gegenseitigen Kredit der Produzenten untereinander, in jedem Falle jedoch musste der Kredit kostenlos sein. Werden wir hieran nicht erinnert, wenn wir in der „L’Espagne Antifasciste“ vom 10. Oktober Folgendes lesen:

„Das Syndikat c.n.t. der Beamten der Leihbank in Madrid schlägt die sofortige Umwandlung aller Leihbanken in Institutionen für Gratis-Kredite für die arbeitenden Klassen vor, und zwar gegen eine Vergütung von 2% per Jahr […]“

Aber der Einfluss von Proudhon auf die anarcho-syndikalistische Gesinnung beschränkt sich nicht allein auf diese relativ unwichtigeren Punkte. Der Sozialismus Proudhons stellt in seinen Grundzügen die Basis der gesamten anarcho-syndikalistischen Lehre dar, höchstens dass Annäherungen an die modernen großindustriellen Verhältnisse vollzogen wurden.

In den Auffassungen der c.n.t. sind einfach die Betriebe als selbständige Einheiten in den „Freikonkurrenz-Sozialismus“ aufgenommen. Die Anarcho-Syndikalisten wollen nicht zum Kleinbetrieb zurück, sie wollen diesen auf die Dauer selbst liquidieren, oder, noch besser, seines natürlichen Todes sterben lassen, weil derselbe nicht rationell arbeitet.

Aber ersetzt man in den Schriften Proudhons das Wort „Kleinbetrieb“ durch das Wort „Großbetrieb“ das Wort „Handarbeiter“ durch „Arbeitersyndikat“, dann erhält man den Sozialismus der c.n.t. zurück. Wenn die privatkapitalistischen Tendenzen in den russischen Agrarkollektiven sich weiter durchsetzen und diese sich unabhängig vom Staat machen könnten, dann würde die Organisation der russischen Agrarproduktion ein prachtvolles Beispiel des anarcho-syndikalistischen Sozialismus darstellen.

Die Notwendigkeit einer planmäßigen Produktion

In Wirklichkeit sind jedoch diese Auffassungen utopisch und, wie die Erfahrung zeigte, für Spanien nicht zu verwirklichen. Eine freie Konkurrenz ist gegenwärtig nicht mehr möglich und gewiss nicht in einer Kriegswirtschaft wie in Katalonien. Wo verschiedene Betriebe oder ganze Ortschaften sich frei und selbständig gemacht, aber in Wirklichkeit diese Freiheit benutzt hatten, um die Verbraucher ihrer Produkte auszuplündern, müssen nun c.n.t. und f.a.i. die Folgen ihrer ökonomischen Theorien mit Kraft bekämpfen. Die waren hierzu gezwungen, weil ein Kampf Aller gegen Alle zu entbrennen drohte, gerade in dem Augenblick in der der Bürgerkrieg die einheitliche Zusammenfassung aller Kräfte zwingend erfordert. Sie wissen keinen anderen Weg, als wie die Bolschewisten und Sozialdemokraten auch, nämlich Aufhebung der Selbständigkeit der Betriebe und Unterwerfung derselben an eine zentralökonomische Leitung.

Dass sie diese Leitung mittels ihrer eigenen Gewerkschaftsorganisation errichten, ändert an der wesentliche Bedeutung derselben nichts. Wenn nämlich die Arbeiter als Lohnarbeiter in das zentral geleitete Produktionssystem eingefasst sind, kann auch eine c.n.t.-Leitung nichts anderes daraus machen als ein nach kapitalistischen Prinzipien funktionierendes System. So zeigt sich, dass die theoretischen Auffassungen der Anarcho-Syndikalisten sich durch die Praxis in ihr Gegenteil verwandeln. Das ist auch nicht anders möglich, denn sie können keine Antwort geben auf die wichtigste Frage, vor welche die ökonomische Organisation der proletarischen Revolution zu stehen kommt. Diese Frage ist:

Auf welche Weise wird der Anteil bestimmt, den jeder Teil des Produktionssystems oder jedes Mitglied der Gemeinschaft vom Totalprodukt erhält?“

Gemäß der anarcho-syndikalistischen Theorien sollen die selbständigen Betriebe oder freien Individuen diesen Anteil durch den Gebrauch des „freien Kredits“, durch die Produktion für den Markt und den Rückempfang des vollen Wertes durch den Austausch selbst bestimmen. Dieser Grundgedanke wurde auch aufrechterhalten, als man – bereits vor Jahren – die Notwendigkeit der Planproduktion und darum auch der zentralen Buchführung einsah. Die Anarcho-Syndikalisten wollen wohl das ökonomische Leben planmäßig leiten und sind der Meinung, dass dies ohne zentrale Registrierung, wodurch das Produktionsleben statistisch erfasst und die gesellschaftlichen Bedürfnisse festgestellt werden können, nicht gut möglich ist. Sie versäumen jedoch, eine Basis anzugeben, worauf diese statistischen Feststellungen beruhen. Es ist doch eine feststehende Wahrheit, dass die Produktion nicht statistisch erfasst und planmäßig geregelt werden kann, wenn man nicht einen Maßstab besitzt, mit dem die Produkte gemessen werden können.

Bolschewistische oder kommunistische Produktion

Kommunismus bedeutet Produktion für die Bedürfnisse der breiten Massen. Die Frage, wieviel durch den Einzelnen konsumiert werden kann und schließlich die Frage, wie die Rohstoffe und Halbfabrikate über die verschiedenen Betriebe verteilt werden, kann nicht gelöst werden in der dem Kapitalismus eigenen Weise, nämlich durch den Gebrauch des Geldes als allgemeiner Maßstab. Das Geld ist als solches Ausdruck bestimmter Eigentumsverhältnisse. Wer Geld hat, hat mittels desselben Anspruch auf einen bestimmten Anteil des gesellschaftlichen Produktes.

Dies gilt für jeden Einzelnen ebenso wie für jedes Unternehmen. Im Kommunismus jedoch ist der Privatbesitz an Produktionsmitteln aufgehoben. Und doch muss jeder Einzelne seinen bestimmten Teil zur Konsumtion aus dem gesellschaftlichen Reichtum erhalten, ebenso müssen jedem Betrieb die benötigten Rohstoffe und Hilfsmittel erreichbar sein. Wie dies tun? Darauf kann uns der Syndikalismus keine andere Antwort geben, als dass dieser Teil „statistisch“ festgestellt werden muss.

Wir haben hier mit einem der schwerwiegendsten Probleme jeder proletarischen Revolution zu tun, und der Syndikalismus steht ihm ohnmächtig gegenüber. Würden die Arbeiter die Feststellung der Anteile des einzelnen einfach einem „statistischen Büro“ in die Hände geben, dann hätten sie damit eine Macht geschaffen, die durch sie nicht mehr kontrolliert werden kann. Umgekehrt dagegen, wenn die Arbeiter in den Betrieben einfach das Recht haben, sich einen willkürlichen Teil zu nehmen, ist ebenfalls eine geordnete Produktion ausgeschlossen.

Das Problem steht also im Grunde folgendermaßen: Wie sind die beiden, auf den ersten Blick entgegengesetzten Dinge, alle Macht den Arbeitern, also größtmöglicher Föderalismus, und planmäßige Regelung der Produktion, also äußerster Zentralismus miteinander zu vereinigen?

Die Antwort auf diese Frage ist nur zu geben, wenn man von einer Betrachtung der Grundlagen der gesamten gesellschaftlichen Produktion ausgeht. Die Arbeiter in den Betrieben geben allesamt an die Gesellschaft ein und dasselbe Ding, nämlich ihre Arbeit. Hierdurch erst werden sie zu vollwertigen Mitgliedern der kommunistischen Gesellschaft. In einer Gesellschaft ohne Ausbeutung, wie sie die kommunistische ist, kann es darin gar nicht anders sein, als dass die Arbeit, d.h. das, was der Einzelne der Gesellschaft gibt, der Maßstab ist für das, was er von der Gesellschaft an Konsumtionsmitteln zurückempfängt.

Im Produktionsprozess werden die Rohstoffe zu für die Konsumtion brauchbaren Produkten durch die Hinzufügung von Arbeit. Für ein „statistisches Büro“ würde es heute völlig unmöglich sein, die in den jeweiligen Produkten steckende Arbeit festzustellen. Das Produkt ist durch unendlich viele Hände gegangen, eine unübersichtlich lange Reihe von Maschinen, Hilfsmitteln, Rohstoffen und Halbfertigprodukten wurden zu seiner Fabrikation verwendet. Welches zentrale statistische Büro könnte alle diesen Summen zu einem übersichtlichen und für die Reproduktion brauchbaren Ganzen verarbeiten? Andererseits dagegen ist es für den einzelnen Betrieb sehr gut möglich, wenn ihm mitgeteilt wurde, wieviel Arbeitszeit die von ihm gebrauchten Rohstoffe befassen, festzustellen, wieviel Arbeitszeit er selbst verwandte, und aus diesen beiden Summen durch einfache Addition die Menge der bisher im Produkt kristallisierten Arbeitszeit anzugeben. Weil nun alle Betriebe miteinander im Produktionsprozess verbunden sind, ist es eine Kleinigkeit für den Einzelbetrieb aus allen erhaltenen Angaben die Gesamtmenge der Arbeitszeit, die im fertigen Produkt steckt, zu berechnen. Ebenfalls einfach ist es, durch Division von verwandter Arbeitszeit durch Produktenmenge die gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitszeit für das einzelne Produkt anzugeben. Diese letztere Größe ist nun bestimmend für den Konsumenten: Um ein Produkt zu erhalten, muss er lediglich den Nachweis bringen, dass er die im Produkt steckende Arbeitszeit in anderer Form bereits an die Gesellschaft gegeben hat. Hier ist also jede Ausbeutung ausgeschlossen; jeder empfängt, was er gibt, jeder gibt dem, von dem er empfängt, nämlich die gleiche Summe gesellschaftlich-durchschnittlicher Arbeitszeit. Für ein zentrales statistisches Büro, welches den einzelnen Arbeiterkategorien „ihren“ Teil zuweist, ist im Kommunismus kein Platz.

Die Menge, die der einzelne Arbeiter verzehrt, wird nicht von „oben“ bestimmt, sondern jeder Arbeiter bestimmt durch seine Arbeit selbst, wieviel er von der Gesellschaft zurückfordern kann. Eine andere Möglichkeit zur Festlegung des Verhältnisses zwischen Geben und Nehmen kann es im Kommunismus (zumindest in seiner ersten Phase) nicht geben. Statistische Büros haben lediglich die Aufgabe der Administration, sie können auch aus den erhaltenen Einzeldaten gesellschaftliche Durchschnittswerte berechnen u. dergl. Sie sind ein Betrieb wie alle anderen Betriebe auch, besondere Rechte kommen ihnen nicht zu. Dort wo ein Zentrales Büro andere Funktionen, Machtfunktionen ausübt, ist kein Kommunismus, sondern Ausbeutung, Entrechtung, Kapitalismus.

Für eine mehr ins Einzelne gehende Betrachtung auf diesem Gebiete verweisen wir auf die von der a.a.u.e. ausgegebene Broschüre Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung und ihre Zusammenfassung in Rätekorrespondenz, Nr. 10-11. Hier war nur festzustellen, dass die Frage, ob die eine oder andere Diktatur entstehen muss, nicht gelöst werden kann von der Frage nach der Grundlage der Produktion und Verteilung, die in einer Gesellschaft herrschen. Nochmals, wenn nicht die Arbeitszeit als Maßstab für die gesamte Produktion und Distribution fungiert, wenn ein „statistisches Büro“ den Arbeitern die „Ration“ zuteilt, wenn das Verhältnis von Produktion und Konsumtion nicht unmittelbar durch den Produktionsprozess selbst bestimmt wird, dann folgt notwendig Kapitalismus, sei es auch eine neue Art Kapitalismus.

Die Syndikalisten bleiben auf die Frage, nach welchen Prinzipien die Güterverteilung geregelt werden soll, die Antwort schuldig. In der ganzen Abhandlung welche L‘Espagne Antifasciste an die ökonomische Rekonstruktion widmet, wird lediglich an einer einzigen Stelle die Frage nach der Recheneinheit im Kommunismus angeschnitten, nämlich in der Nummer vom 11. Dezember 1936, wo es heißt:

„In dem (sehr wahrscheinlichen) Falle, dass ein Tauschmittel eingeführt wird, das mit dem heutigen Gelde nichts mehr gemein hat, und nur zum Zwecke der Vereinfachung des Tausches fungiert, wird der ‚Rat für den Kredit‘ diese Tauschmittel administrieren.“

Der Gedanke der Notwendigkeit einer Recheneinheit, um eine Übersicht der gesellschaftlichen Bedürfnisse möglich zu machen und um einen Maßstab für Konsumtion und Produktion zu erhalten, ist hier nicht einmal im Keime anwesend. Das „Tauschmittel“ hat nur die Funktion, den Tausch zu erleichtern. Wie es diese Aufgabe erfüllen soll, darüber kein Wort. Nach welchem Maßstab die Produkte sich in diesem Tauschmittel ausdrücken sollen, – in der ganzen Abhandlung wird darüber nichts gesagt. Wie die Bedürfnisse festgestellt werden, ob durch Betriebsräte oder Verbrauchergenossenschaften oder durch die Techniker der Administrationsbüros, kein Wort, keine Silbe. Worin das neue Tauschmittel prinzipiell vom Gelde sich unterscheiden soll, dies wird nicht auseinandergesetzt. Dagegen wird die technische Ausrüstung des Produktionsapparates in allen Details behandelt. Die ökonomischen Probleme werden von den Syndikalisten zu technischen Problemen gemacht.

In dieser Beziehung sind die Syndikalisten eng verwandt mit den Bolschewisten. Auch bei den Bolschewisten steht die technische Organisation der Produktion im Zentrum des Interesses. Der einzige Unterschied zwischen den beiden Auffassungen ist die größere Naivität der syndikalistischen. Der Frage nach dem Entstehen neuer Bewegungsgesetze in der Ökonomie trachten sie beide zu entweichen. Dagegen geben die Bolschewisten wohl eine Antwort, sogar eine sehr konkrete, auf die Frage der technischen Organisation, sie sind für eine absolute Zentralisation unter Leitung eines diktatorischen Apparates. Die Syndikalisten hingegen, mit ihrem Streben nach „Selbständigkeit der einzelner Betriebe“, wissen noch nicht einmal dieses Problem zu lösen. Soweit sie dagegen in der Praxis Beiträge zu seiner Lösung liefern, tun sie es, indem sie das Selbstbestimmungsrecht der Arbeiter preisgeben. Denn Selbstbestimmungsrecht der Arbeiter über die Betriebe und Zentralisation der Leitung der Produktion sind nun einmal solange nicht zu vereinen, als die Grundlage des Kapitalismus, die Geld- und Warenwirtschaft nicht zerschlagen und eine neue Ordnung auf der Grundlage der gesellschaftlich-durchschnittlichen Arbeitszeit ins Leben gerufen ist. Die Einführung der Letzteren können die Arbeiter nicht von den Parteien erwarten, dazu bedarf es ihrer eigenen Tat.


1A.d.R., gemeint ist die Partei Esquerra Republicana.

2A.d.R., die Generalidad oder Generalitat auf Katalan, ist das institutionelle System der das politische Leben in Katalonien organisiert. Es besteht aus der Regierung in Katalonien, des Parlamentes dort und weiteren Institutionen.

3A.d.R., bezieht sich hier auf monarchistische Kräfte die im Russischen Bürgerkrieg einen Zaren einführen wollten.

4A.d.R., die Rede ist von Largo Caballero, der vom 04. September 1936 bis zum 17. Mai 1937 der Präsident der Spanischen Republik war.

5A.d.R., wir haben diese Stelle korrigiert, in der deutschsprachigen Fassung steht 1938 was nicht stimmen kann wenn der Artikel jeweils auf Deutsch wie auf Englisch 1937 erschien. Wir haben es mit der ICC Ausgabe verglichen und da steht 1936.

6A.d.R., wir haben diese Stelle mit dem Original, hier zu finden, verglichen und korrigiert, klang etwas holprig.

]]> (UK Wildcat), Revolution oder selbstverwalteter Kapitalismus? https://panopticon.blackblogs.org/2023/10/07/uk-wildcat-revolution-oder-selbstverwalteter-kapitalismus/ Sat, 07 Oct 2023 06:57:20 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5216 Continue reading ]]>

Gefunden auf anarchist library, die Übersetzung ist von uns. Weiter geht es mit der Kritik an der Selbstverwaltung des Kapitalismus.


(UK Wildcat), Revolution oder selbstverwalteter Kapitalismus?

In diesem Jahr jährt sich der Spanische Bürgerkrieg zum 50. Mal, der im Juli 1936 begann, als General Franco einen faschistischen Putsch anführte, um die linke republikanische Regierung zu ersetzen.

Es war kein Zufall, dass dies in einer Zeit intensiver Klassenkämpfe in Spanien geschah. Die begrenzten Zugeständnisse, die der linke Flügel der herrschenden Klasse – die im Februar 1936 gewählte Volksfrontregierung – gemacht hatte, hatten nicht ausgereicht, um die vom Kapitalismus benötigte ökonomische und soziale Stabilität wiederherzustellen. Streiks, Demonstrationen und politische Attentate der Arbeiterklasse gingen weiter, ebenso wie Landenteignungen und lokale Aufstände auf dem Land. Der rechte Flügel der herrschenden Klasse erkannte, dass harte Maßnahmen notwendig waren und handelte entsprechend.

Zunächst wurde der Putsch der Rechten in der Hälfte Spaniens durch den bewaffneten Widerstand der Bauern und der Arbeiterklasse gestoppt, und erst nach drei Jahren Bürgerkrieg war der faschistische Sieg gesichert. In gewisser Weise war die faschistische Revolte jedoch ein unmittelbarer Erfolg: Die Arbeiterklasse und die Bauern opferten den Kampf für ihre eigenen Bedürfnisse und Forderungen und schlossen sich mit den liberalen und radikalen Anhängern des Kapitalismus in einem Kampf zusammen, um eine Form der kapitalistischen Herrschaft – die Demokratie – gegen eine andere – den Faschismus – zu verteidigen.

Über diesen Aspekt des Spanischen Krieges haben wir bereits in einer früheren Ausgabe der Wildcat (Nummer 7) geschrieben. In diesem Artikel wollen wir uns auf einen weiteren wichtigen Aspekt konzentrieren: den Einfluss anarchistischer Ideen während der Ereignisse in Spanien.

Anarchismus und die spanische „Revolution“

Zur Zeit des Krieges war unter der spanischen Arbeiterklasse und den Bauern und Bäuerinnen die Idee weit verbreitet, dass jede Fabrik, jedes Stück Land usw. im kollektiven Besitz der Arbeiterinnen und Arbeiter sein sollte und dass diese „Kollektive“ auf „föderaler Basis“ – also ohne eine „übergeordnete zentrale Autorität“ – zusammengeschlossen werden sollten.

Dieser Grundgedanke wurde von Anarchistinnen und Anarchisten in Spanien seit mehr als 50 Jahren propagiert. Als der Krieg begann, ergriffen die Bauern und Bäuerinnen und die Arbeiter und Arbeiterinnen in den Teilen des Landes, die nicht sofort unter faschistische Kontrolle geraten waren, die Gelegenheit, die anarchistische Idee in die Tat umzusetzen.

Und seitdem betrachten Anarchistinnen und Anarchisten die spanische „Revolution“ als die größte Errungenschaft in der Geschichte der revolutionären Bewegung – als das, was dem vollständigen Sturz des Kapitalismus und der Ersetzung durch eine völlig andere Gesellschaftsform am nächsten kam.

Selbstverwalteter Kapitalismus

Die „Revolution“ auf dem Land wurde in der Regel als besser angesehen als die „Revolution“ in den Großstädten und Städten. Der anarchistische Historiker und Augenzeuge der Kollektive, Gaston Leval, beschreibt die industriellen Kollektive als eine andere Form des Kapitalismus, die von den Arbeiterinnen und Arbeitern selbst verwaltet wurde:

„Die Arbeiterinnen und Arbeiter eines jeden Unternehmens übernahmen die Fabrik, das Werk oder die Werkstatt, die Maschinen, die Rohstoffe und organisierten unter Beibehaltung des Geldsystems und der normalen kapitalistischen Handelsbeziehungen die Produktion auf eigene Rechnung, indem sie die Produkte ihrer Arbeit zu ihrem eigenen Nutzen verkauften.“

Wir möchten hinzufügen, dass die Arbeiterinnen und Arbeiter in vielen Fällen die Produktion nicht wirklich übernommen haben, sondern lediglich unter der Leitung ihrer „eigenen“ Gewerkschafts- und Syndikatsbürokraten arbeiteten, wobei die alten Bosse als Berater beibehalten wurden.

Die reaktionären Folgen der Parteinahme der Arbeiterklasse im Kampf zwischen Demokratie und Faschismus, anstatt den Kampf für ihre eigenen Bedürfnisse zu führen, zeigten sich besonders deutlich in der Arbeitsweise der Industriekollektive. Im Interesse der „Kriegsanstrengungen“ entschieden sich Arbeiterinnen und Arbeiter häufig dafür, ihre eigene Ausbeutung zu verschärfen – in der Regel mit der Ermutigung ihrer anarchistischen Anführer.

So beklagte der für die Ökonomie zuständige Minister der anarchistischen Regierung in Katalonien 1937, dass der durch den Ausbruch des Bürgerkriegs verursachte „Zustand der Spannung und Übererregung“ „die Kapazität und Produktivität der Arbeit in einem gefährlichen Maße verringert und die Produktionskosten so stark erhöht hat, dass wir uns in einer Sackgasse befinden, wenn dies nicht schnell und energisch korrigiert wird. Aus diesen Gründen müssen wir die Dauer des Arbeitstages neu festlegen.“

Obwohl einige Anarchistinnen und Anarchisten bereit sind, die „Regierungsanarchistinnen und -anarchisten““ und die Industriekollektive zu kritisieren, sind sich alle Anarchistinnen und Anarchisten einig, dass es den ländlichen Kollektiven gelungen ist, eine „echte Vergesellschaftung“ oder, wie man es nannte, einen „libertären Kommunismus“ zu erreichen.

Die Organisation der bäuerlichen Kollektive

In den bäuerlichen Kollektiven geschah typischerweise Folgendes. Nachdem der faschistische Aufstand auf lokaler Ebene niedergeschlagen worden war, kamen die Bewohner des Dorfes zu einer großen Versammlung zusammen. Militante Anarchistinnen und Anarchisten ergriffen die Initiative und schlugen vor, was zu tun sei. Alle wurden aufgefordert, ihr Land, ihr Vieh und ihre Werkzeuge in einem Kollektiv zusammenzulegen: „Das Konzept „dein und mein“ wird es nicht mehr geben … alles wird allen gehören. Das Eigentum der faschistischen Großgrundbesitzer und der Kirche wurde für die Nutzung durch das Kollektiv enteignet. Es wurde ein Komitee gewählt, das die Arbeit des Kollektivs überwachte. Die Arbeit wurde in Gruppen von 10 bis 15 Personen aufgeteilt und von Delegierten koordiniert, die von jeder Gruppe ernannt wurden.“

Freier Zugang

Einige wenige Kollektive verteilten ihre Erzeugnisse nach dem kommunistischen Prinzip des freien Zugangs – „jeder nach seinem Bedarf“. Ein Bewohner von Magdalena de Pulpis erklärte das System in seinem Dorf:

„Jeder arbeitet und jeder hat das Recht, kostenlos zu bekommen, was er braucht. Er geht einfach in den Laden, wo er mit Lebensmitteln und allen anderen notwendigen Dingen versorgt wird. Alles wird frei verteilt und es wird nur notiert, was man genommen hat.“

Zum ersten Mal in ihrem Leben konnten sich die Menschen selbst mit dem versorgen, was sie brauchten. Und genau das taten sie auch. Der freie Zugang wurde nicht durch „Gier“ oder „Gefräßigkeit“ missbraucht. Ein anderer Zeuge, Augustin Souchy, beschrieb die Situation in Muniesa:

„Die Bäckerei war offen. Jeder konnte kommen und sich jedes Brot holen, das er wollte.“

„Gibt es hier keinen Missbrauch?“

„Nein“, antwortet der alte Mann, der das Brot ausgibt. „Jeder nimmt sich so viel, wie er tatsächlich braucht.“

Auch der Wein wird frei verteilt und nicht rationiert.

„Wird denn niemand betrunken?“

„Bis jetzt gab es noch keinen einzigen Fall von Trunkenheit“, antwortet er.‘

Das war natürlich auch ein Ausdruck des Puritanismus der Anarchisten und Anarchistinnen, der sie andernorts dazu brachte, Tabak und sogar Kaffee zu verbieten.

Das Lohnsystem

Die Verteilung von Waren auf kommunistischer Basis (d. h. freier Zugang) war jedoch nicht die Norm. In den meisten Kollektiven richtete sich der Konsum nicht nach den frei gewählten Bedürfnissen und Wünschen der Menschen, sondern wie im Kapitalismus nach der Menge des Geldes, das die Menschen in ihren Taschen hatten. Nur Waren, die im Überfluss vorhanden waren, konnten frei konsumiert werden. Alles andere musste von den Löhnen gekauft werden, die das Kollektiv an seine Mitglieder zahlte.

Familienwerte

Der „Familienlohn“, der Frauen unterdrückt, indem er sie ökonomisch vom männlichen Haushaltsvorstand abhängig macht, wurde von fast allen Kollektiven übernommen. Jeder männliche Kollektivist erhielt so viel Lohn pro Tag für sich selbst, plus einen kleineren Betrag für seine Frau und jedes Kind. Für Frauen hätte die spanische „Revolution“ kaum weniger revolutionär sein können.

Sie stellte weder die Familie als ökonomische Einheit der Gesellschaft noch die geschlechtliche Arbeitsteilung zwischen Männern und Frauen in Frage. Es ist elf Uhr vormittags. Der Gong ertönt. Messe? Er soll die Frauen daran erinnern, das Mittagsmahl vorzubereiten. Frauen galten auch weiterhin als minderwertige soziale Wesen, die beispielsweise verpönt waren, wenn sie sich nach der Arbeit mit den Männern in das örtliche Café auf einen Drink begaben.

Die Vermehrung des Geldes

Der gleiche Familienlohn wurde in der Regel nicht in der Landeswährung ausgezahlt, die die meisten Kollektive für den internen Gebrauch abschafften. Stattdessen gaben die Kollektive ihre eigene lokale Währung in Form von Gutscheinen, Coupons, Rationierungsheften, Zertifikaten usw. aus. Weit davon entfernt, abgeschafft zu werden, wie es bei einer kommunistischen Revolution der Fall wäre, vermehrte sich das Geld während der spanischen „Revolution“ wie nie zuvor!

Doch die Schaffung von buchstäblich Hunderten von verschiedenen Währungen führte bald zu Problemen. Nur wenige Kollektive waren autark, aber der Handel zwischen den Kollektiven wurde durch das Fehlen einer allgemein akzeptierten Währung behindert. 1937 musste der Verband der bäuerlichen Kollektive in Aragonien eine einheitliche Währung in Form eines einheitlichen Rationsheftes für alle Kollektive in Aragonien wieder einführen. Außerdem richtete er eine eigene Bank ein – natürlich unter der Leitung der Gewerkschaft/Synikats der Arbeiterinnen und Arbeiter!

Der Warenaustausch

Nicht alle Transaktionen zwischen den Kollektiven wurden durch Geld beeinflusst. Es wurden Zentrallager eingerichtet, in denen die Kollektive ihre überschüssigen Produkte untereinander gegen die fehlenden Waren tauschten. In diesem System gab es häufig kein „Bargeld“. Das relative Verhältnis, in dem die Waren getauscht wurden, wurde jedoch immer noch durch den Geldwert bestimmt. Wie viele Säcke Mehl ein Kollektiv zum Beispiel im Tausch gegen eine Tonne Kartoffeln erhalten konnte, wurde ermittelt, indem der Wert beider Güter in Geld ausgedrückt wurde. Wie im Kapitalismus richteten sich die Preise „nach den Kosten der Rohstoffe, dem Arbeitsaufwand, den allgemeinen Kosten und den Ressourcen der Kollektivisten“.

Es handelte sich nicht um ein kommunistisches System der Produktion zur Nutzung und Verteilung nach Bedarf, sondern um ein kapitalistisches System, in dem rivalisierende Unternehmen ihre Produkte nach ihrem Tauschwert handeln. Egal, wie dringend sie sie brauchten, die Kollektive konnten die benötigten Waren erst erhalten, wenn sie genug produziert hatten, um sie einzutauschen, da sie nicht mehr Waren entnehmen durften, als sie eingezahlt hatten. Dies führte bei den weniger wohlhabenden Kollektiven häufig zu großer Not.

Wettbewerb auf dem Markt

Die Kollektive mussten nicht nur untereinander Handel treiben, sondern auch im Wettbewerb mit nicht kollektivierten Unternehmen Märkte für ihre Waren finden. Eine häufige Folge dieses Systems war, dass Waren, die sich nicht gewinnbringend verkaufen lassen, am Ende gelagert oder vernichtet wurden, während anderswo Menschen auf diese Waren verzichten müssen, weil sie nicht die Mittel hatten, sie zu kaufen. Die Folgen der kapitalistischen Arbeitsweise der spanischen Kollektive entsprachen diesem Muster, zum Beispiel:

„Die Lager des SICEP (Syndikat der Schuhindustrie in Elda und Petrel) in Elda, Valencia und Barcelona sowie die Fabriklager waren voll mit unverkauften Waren im Wert von etwa 10 Millionen Peseten.“

Das Ende der Kollektive

Die spanischen Kollektive wurden schließlich durch interne Kämpfe unter den Antifaschisten und durch den Sieg der Faschisten selbst zerstört. Man kann nur spekulieren, wie sie sich entwickelt hätten, wenn sie den Krieg überlebt hätten. Unsere Vermutung ist, dass ihr grundlegend kapitalistischer Charakter noch deutlicher geworden wäre.

In der kapitalistischen Ökonomie zwingt der Wettbewerb auf dem Markt jedes Unternehmen dazu, zu versuchen, seine Waren so billig wie möglich zu produzieren, um seine Konkurrenten zu unterbieten. Die spanischen Kollektive, die miteinander Handel trieben und mit nicht kollektivierten Unternehmen konkurrierten, wären unweigerlich demselben Druck ausgesetzt gewesen.

Kapitalistische Unternehmen versuchen unter anderem, die Kosten zu senken, indem sie die Ausbeutung der Arbeitskräfte erhöhen, indem sie zum Beispiel die Löhne senken, die Arbeitsintensität erhöhen oder die Arbeitszeit verlängern. Wenn dies in einem Unternehmen geschieht, das einem Individuum oder dem Staat gehört und von ihm geführt wird, können Arbeiterinnen und Arbeiter ihren Feind erkennen und gegen dessen Ausbeutung kämpfen. Dies ist weit weniger wahrscheinlich, wenn die gesamte Belegschaft selbst der kollektive Eigentümer und Manager/Verwalter des Unternehmens ist – wie es bei den spanischen Kollektiven der Fall war. Die Belegschaft hat ein ureigenes Interesse an der Rentabilität des Kapitals, das ihr kollektiv gehört; sie identifiziert sich mit ihrer eigenen Ausbeutung und organisiert diese bereitwillig. Das muss sie in der Tat, um sich selbst im Geschäft zu halten.

Das Ende des Anarchismus

Viele heutige Anarchistinnen und Anarchisten – wie die Bewegung Direct Action Movement, Black Flag und Freedom – stehen immer noch für die Art von selbstverwaltetem Kapitalismus, die von den industriellen und landwirtschaftlichen Kollektiven während des spanischen Bürgerkriegs eingeführt wurde. Deshalb stellen wir uns ihnen genauso entschieden entgegen wie den Anhängern jeder anderen kapitalistischen Ideologie – und wir fordern alle unsere Sympathisanten, die sich selbst als Anarchistinnen und Anarchisten verstehen, auf, es ihnen gleichzutun.

Vom Standpunkt der Bedürfnisse der Arbeiterklasse aus gesehen ist der selbstverwaltete Kapitalismus eine Sackgasse, genauso reaktionär wie der Privat- oder Staatskapitalismus. Die kommunistische Gesellschaft, für die wir kämpfen, kann nur durch die vollständige Zerstörung ALLER Eigentumsverhältnisse, des Geldes, der Löhne und der Märkte, egal in welcher Form, erreicht werden.

Die Informationen und Zitate in diesem Artikel stammen aus The Anarchist Collectives von Sam Dolgoff, Collectives in the Spanish Revolution von Gaston Leval, The Spanish Revolution von Stanley Payne und With the Peasants of Aragon von Augustin Souchy.

Zur Zeit des Spanischen Bürgerkriegs kritisierten die Revolutionäre, die die Zeitschriften Bilan und International Council Correspondence herausgaben, den Antifaschismus und Anarchismus von einem ähnlichen Standpunkt aus, wie ihn die Wildcat heute vertritt. Wenn du Interesse daran hast, einige ihrer Artikel zu lesen, können wir dir gegen eine Spende von 1 £ Kopien schicken, um die Kosten für Fotokopien und Porto zu decken.

„Wir fordern das katalanische Volk auf, die Fraktionskämpfe und Intrigen zu beenden … und an nichts anderes als an den Krieg zu denken.“

„Lasst niemanden an Lohnerhöhungen und Arbeitszeitverkürzungen denken.“

„Unsere Miliz wird die Bourgeoisie niemals verteidigen, sie greift sie nur nicht an.“

DER ANARCHISTISCHE ANFÜHRER DURRUTI SAGT DEN KLASSENKRIEG AB

]]> (Terra Cremada) SELBSTVERWALTUNG DES ELENDS ODER DAS ELEND DER SELBSTVERWALTUNG https://panopticon.blackblogs.org/2023/02/20/terra-cremada-selbstverwaltung-des-elends-oder-das-elend-der-selbstverwaltung/ Mon, 20 Feb 2023 10:22:26 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=4815 Continue reading ]]> Hier der letzte Artikel den wir von der anarchistischen Publikation aus Barcelona, Terra Cremada, veröffentlichen. Diese Publikation gibt es zwar seit vielen Jahren nicht mehr, dennoch sind die Themen die sie ansprachen weder veraltet noch zweitrangig geworden. Das Thema was hier angeschnitten wird, ist das der selbstverwaltete Projekte, Kollektive, wie sie in Berlin gerne genannt werden, ob diese wirklich Nischen der Utopie sind, oder ganz einfach kapitalistische Unternehmen die sich war vormachen, sind. Dasselbe gilt alles was den Versuch macht, im Kapitalismus ‚Auswege‘ aus diesem zu finden, ohne diesem einen Ende zu setzen, ein quasi friedliche Koexistenz die in Wirklichkeit unmöglich ist, weil es niemals im Kapitalismus einen ‚außerhalb‘ dieses gibt.

Diese Fragen, die ja sehr gegenwärtig sind, vor allem angesichts der enormen Schlappe der radikalen Linken des Kapitals hinsichtlich sogenannter ‚Enteignungen‘ und ähnlichen Fragen, sind auch Seitens anarchistischer Gruppen und Individuen scharf zu kritisieren denn unser Verhältnis zum Kapitalismus kann nur des eines Totengräbers sein. Mit diesen und anderen Fragen, beschäftigt sich dieser Text. Auch ein weiterer Text für unseren kommenden Text – KEIN ANARCHISTISCHES PROGRAMM, Eine Kritik an „anarchistischem“ Idealismus, Ideologien und Reformismus –


SELBSTVERWALTUNG DES ELENDS
ODER DAS ELEND DER SELBSTVERWALTUNG

In der letzten Ausgabe von Terra Cremada sprachen wir über die Überwindung der Demokratie als Überwindung der gegenwärtigen Regierungsform und der Falle, auf der die Trennung zwischen Politik, Wirtschaft und Leben beruht. Heute wollen wir uns darauf konzentrieren, was es bedeutet, eine Trennung zwischen der Wirtschaft – der Art und Weise, wie wir unsere Bedürfnisse befriedigen – und den übrigen Beziehungen, aus denen sich der Kapitalismus speist, vorzunehmen. Eine Trennung, die es dem kapitalistischen System ermöglicht, sich selbst neu zu erfinden, während sie uns gleichzeitig in unserem Kampf für die Abschaffung von Lohnarbeit und Privateigentum schwächt. Wir schreiben diesen Artikel nicht mit der Absicht, in Faszikel herauszugeben, wie diese Befangenheiten zu überwinden sind – denn damit würden wir in das verfallen, was wir kritisieren -, sondern weil wir in letzter Zeit sehen, wie wir, wie wir bereits in der Kritik der Demokratie aufgezeigt haben, durch das Fehlen von Worten, Diskursen und – vor allem – Praktiken, die die gegenwärtige Art zu leben und miteinander in Beziehung zu treten überwinden, dazu führen können, dass wir uns selbst verankern und das Elend, zu dem der Kapitalismus uns verurteilt, erneut bestätigen. Wenn wir darauf hinweisen, dann deshalb, weil wir besorgt sind, dass viele der Dynamiken oder Projekte, die behaupten, sich vom Kapitalismus zu entfernen, der Illusion verfallen, dass wir ohne den Kapitalismus leben können, ohne ihn zu zerstören: Wir können eine Welt ohne Kapitalismus in Betracht ziehen, aber der Kapitalismus mit seinem expansiven und globalen Wesen lässt keinen Raum für die Existenz eines Außen oder eines am Rande stehenden.

Wir wollen auch von vornherein klarstellen, dass wir nicht die Absicht haben, irgendeine individuelle oder kollektive Initiative derjenigen herabzusetzen, die wie wir ihren Alltag bestreiten müssen, um auf möglichst schmerzfreie und aufregende Weise zu überleben; vielmehr wollen wir darauf hinweisen, dass diese Auswege nicht wirklich solche sind, sondern Möglichkeiten, in unserem Elend zu existieren. Wir haben nicht die Absicht, Lektionen darüber zu erteilen, wohin unsere Energien gehen sollten oder nicht, sondern uns zu fragen, warum wir noch nicht in der Lage waren, kollektive und individuelle Vorstellungen und Praktiken zu entwickeln, die uns dazu bringen, wirklich gemeinschaftliche Projekte zu schaffen, die unsere Bedürfnisse und Wünsche erfüllen, ohne dass dies auf Kosten anderer geht oder dass diese Aktivitäten lediglich beschönigend sind. Wir wenden uns an diejenigen, die wie wir beschlossen haben, sich nicht für einen festen Anlaufpunkt zu entscheiden, sondern für Vorgehensweisen, die uns dazu bringen können, Beziehungsprozesse aufzubauen, die mehr und mehr auf der Gemeinschaft basieren. Wir wenden uns an diejenigen, die sehen, dass wir im Moment bequem sind oder uns an das Elend angepasst haben, arbeiten zu müssen, weil es keinen nahen revolutionären Horizont gibt… oder ist das der Grund, warum es keine Perspektive der revolutionären Überwindung gibt?

Wir haben nichts dagegen, dass einige Gefährten versuchen, ihr Leben so zu gestalten, wie sie es wollen, und die Umstände, in denen sie sich befinden, bestmöglich zu nutzen. Aber wir protestieren, wenn Lebensweisen, die nur Anpassungen an das gegenwärtige System sind und sein können, als anarchistisch dargestellt werden oder, schlimmer noch, als Mittel zur Umgestaltung der Gesellschaft, ohne auf eine Revolution zurückzugreifen.
E. Malatesta

Die Logik des Marktes, die (fast) alles durchdringt

Nein, der Kapitalismus besteht nicht nur, weil ein paar große Magnaten die Welt beherrschen, nein, ganz im Gegenteil. Der Kapitalismus besteht und reproduziert sich, weil unser Verhältnis zur Welt – und damit auch zueinander – fast ausschließlich kapitalistisch ist1. Das bedeutet, dass wir in unseren alltäglichen Gesten Dynamiken reproduzieren, die es uns schwer machen, über die Herrschaftsverhältnisse und die Kommerzialisierung der menschlichen Beziehungen hinaus zu sehen und zu erfahren. Manchmal liegt es nur daran, dass wir nicht genug Geld haben, um in ein Kapital zu investieren, um erfolgreiche Unternehmer zu werden, aber es gibt kleine Gesten in unserem täglichen Leben, die zeigen, wie sehr die Warenlogik unsere Entscheidungen leitet. Den Kapitalismus als etwas Äußerliches zu betrachten, bedeutet, ihn zu unterschätzen und andererseits bei der Bekämpfung desselben klein beizugeben. Die Logik des Kapitalismus – Individualismus, Privateigentum, Spekulation, Herrschaft über den anderen usw. – dringt in uns ein und macht es uns schwer, uns auf der Grundlage dessen, was wir gemeinsam brauchen, zueinander zu verhalten, und provoziert uns so, uns auf der Grundlage dessen, was sie uns bieten können, zu verhalten. Es muss gesagt werden, dass dies nicht bedeutet, dass die Hegemonie des Kapitals total ist – wir werden nicht diejenigen sein, die seine Perfektion als System vorschlagen. Die gemeinschaftliche Tendenz, die dem Menschen innewohnt, taucht immer wieder in den Rissen dieser Gesellschaft auf; wir alle haben Solidarität unter Gleichen erlebt und genossen, die ohne Gesetze funktioniert, die gibt, ohne eine Gegenleistung zu erwarten, usw. Sie ist die reale Bewegung, die die gegenwärtigen Verhältnisse aufhebt und zu überwinden versucht.

Die Fata Morgana der Alternativen

Ethisches Bankwesen, Genossenschaften2, Tauschbörsen, Namen/Begriffe, die in unseren Nachbarschaftsversammlungen (A.d.Ü., Kiezvollversammlungen) durch die Besetzung von Plätzen im ganzen Staat3 – die so genannte 15M-Bewegung – noch mehr klingen und nachhallen, wenn einige von ihnen mögliche Wege aus dem Kapitalismus vorschlagen. Die Fata Morgana der Alternativen kann dazu führen, dass wir von der grundlegenden Frage ablenken und uns in der sumpfigen Welt der Wahl des Produkts, das uns am besten gefällt, der Art und Weise, wie wir ausgebeutet werden wollen, der Ethik, die uns am besten passt, solange wir uns an Spekulation und Wucher beteiligen, der Soße, mit der wir uns kochen lassen, solange wir nicht daran denken, das Privateigentum oder die Privilegien derer, die uns beherrschen, anzugreifen, denn… wo würden wir unser Geld lieber ausgeben, wo würden wir lieber arbeiten…? Wenn wir uns nicht die richtigen Fragen stellen, kann es passieren, dass wir den Köder schlucken und vergessen, dass es hier darum geht, weiter gegen Geld, gegen Lohnarbeit und gegen jegliche Unterdrückung zu kämpfen.

Mit höchstem Konsumverhalten4

Der Kapitalismus bietet in seiner Logik der Warenexpansion Märkte und Produkte für alle an, die bereit sind, sie zu kaufen. Die ethische, ökologische, „Bio“-, umweltfreundliche usw. Industrie ist das Ergebnis der logischen Erweiterung des Kapitals. Wenn dieser Markt entsteht, dann deshalb, weil mehr Kapital generiert werden kann. Wenn dieser Markt erfolgreich ist, dann deshalb, weil es Menschen gibt, die in ihm Geld ausgeben. Nicht, dass wir einen speziellen Boykott solcher Produkte befürworten würden, aber es ist klar, dass die Hinwendung zu einem solchen Konsum dieser Art keine signifikante Veränderung der gegenwärtigen sozialen Beziehungen bewirkt. Und hier liegt das Problem: Wie viele Menschen glauben wirklich, dass der Kauf dieses oder jenes Produkts in diesem oder jenem Geschäft nur eine weitere Front des Antikapitalismus ist? Oder schlimmer noch, dass sie glauben, dies sei der Weg zur sozialen Veränderung… Wir können uns dafür entscheiden, uns gesünder zu ernähren oder die vier üblichen Marken nicht reicher werden zu lassen, aber wir dürfen nicht vergessen, dass im Kapitalismus der Konsum immer die Reproduktion des Kapitals ist.

Ethische oder ästhetische Banken?

Wie könnte eine ethische Bank zu einer ethischen Bank werden, oder besser gesagt, auf welche Ethik, wenn nicht auf die des Bankwesens, reagiert eine ethische Bank? Auf welche Logik, wenn nicht auf die der Spekulation, reagiert eine Bank mit diesen Merkmalen? Die Tatsache, dass unser Geld für Spekulationen mit makrobiotischen Produkten statt mit der Atomindustrie verwendet wird, ist für die Banken von geringer Bedeutung, solange beide Gewinne zu diesen Finanzunternehmen beitragen – man braucht sich nur den Fall der Triodos Bank und O’Belen5 anzusehen. Und können wir uns nun vorstellen, unser Geld irgendwo sicher zu deponieren, ohne eine Bank aufsuchen zu müssen? Ja, wir wissen, dass es am besten wäre, auf Geld und Tauschmittel zu verzichten, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen, aber die meisten Menschen werden weiterhin am Ende des Monats bezahlt, zahlen ihre Rechnungen auf ein Girokonto und erhalten ihr Gehalt, ihre Sozialleistungen oder Subventionen über diese oder jene Bank. Die Vorstellung, dass die meisten von uns ihr Geld unter einem Kopfkissen aufbewahren, wäre sehr illusorisch, obwohl es interessant wäre, wenn wir in unseren Vierteln und Räumen unseren Gefährt*innen klarmachen könnten, dass es zwar nicht sehr sicher ist, unser Geld in bar zu Hause zu lassen, dass aber die Aufbewahrung in einer Bank uns nicht mehr – wenn nicht sogar weniger – Sicherheiten bietet. Wenn wir alle Probleme, Widersprüche und Kopfschmerzen, die mit der Aufbewahrung von Geld auf einer Bank verbunden sind, in Betracht ziehen, können wir leicht zu dem Schluss kommen, dass es besser ist, Geld von der Bankenspekulation fernzuhalten. Banken arbeiten mit mehr oder weniger 10 % des Geldes, das sie angeblich haben, der Rest ist fiktiv. Wir müssen nicht erst auf den Fall des argentinischen Corralito6 zurückgehen, um uns zu zeigen, wie sicher es ist, dass wir das Geld, das wir in aller Ruhe auf einer Bank deponieren, zurückbekommen, wann immer wir es wollen: Die Fälle ereignen sich ganz in unserer Nähe, wie im vergangenen Dezember in der Ortschaft Aldea. Es ist auch wichtig, Verwaltungssanktionen und Geldstrafen (A.d.Ü., auch verstanden als Urteil) zu berücksichtigen, da die Repression mit geringer Intensität zunehmend versucht, uns finanziell zu ersticken, und die Insolvenz ist eines der wirksamsten Instrumente in erster Instanz . Viele von uns haben bereits festgestellt, dass es nicht nur eine Frage der Ethik, sondern auch der Sicherheit ist, sein Geld nicht auf der Bank zu haben7.

Was machen wir also mit unserem Geld? Nun, die meisten von uns haben kein allzu großes Problem damit, ihre vier Ersparnisse unter den Kopfkissen in unserem Haus zu verstecken. Wenn wir uns aber Sorgen machen, woher wir das Geld für größere Projekte nehmen sollen, müssen wir vielleicht darüber nachdenken, ob wir nicht von dem Geld, das wir tatsächlich aufbringen können, anrichten können. Entweder, indem wir es in unseren Kollektiven offenlegen und den Rest des Geldes der Personen um uns herum als finanzielle Hilfe bitten, oder indem wir davon ausgehen, dass wir unser Projekt nicht vorantreiben können, wenn wir den Kredit und das, was er mit sich bringt, nicht durchziehen wollen.

Die falsche Gemeinschaft der Waren

Die Macht des Geldes besteht darin, eine Bindung zu schaffen zwischen denen, die ohne Bindung sind, Fremde als Fremde zu verbinden und dadurch, dass jedes Einzelne als äquivalent gesetzt wird, alles in Zirkulation zu versetzen. Die Fähigkeit des Geldes, alles zu verbinden, wird mit der Oberflächlichkeit dieser Verbindung bezahlt, in der die Lüge zur Regel wird.

Der kommende Aufstand
Unsichtbares Komittee

Viele könnten von anderen Ökonomien sprechen und tun es auch, indem sie von solidarischen Ökonomien oder Tauschbörsen, von Zeitbanken und Gefälligkeitsmärkten sprechen, aber das erweitert nur die Tentakel der Waren- , Marktlogik und ihrer Grundlage: dem Tausch von Privateigentum. Für viele unserer Gefährt*innen ist die Grundlage des Kapitalismus das Geld, aber das ist nicht der Fall. Der Austausch ist die Grundlage, auf der der Markt basiert, und er basiert auf der Schaffung einer Beziehung nicht zwischen Menschen, sondern zwischen Menschen und Dingen: – Was besitzt du, was bietest du mir an, was willst du? Anstelle von „Was brauchen du?“ oder „Was kann ich dir anbieten? Im Gegensatz zum Austausch schlagen wir Gegenseitigkeit vor. Während der Austausch zwischen isolierten Menschen stattfindet, die sich auf der Grundlage dessen, was sie haben, zueinander verhalten – du hast so viel, du bist so viel wert -, findet die Gegenseitigkeit in der Beziehung zwischen denen statt, die etwas gemeinsam haben. Die Gegenseitigkeit ermöglicht es uns, etwas Gemeinsames zu schaffen, denn wenn man gibt, tut man es bedingungslos, ohne eine Gegenleistung zu erwarten und in manchen Fällen, ohne zu wissen, wer es erhält; man weiß nur, dass er oder sie Mitglied einer Gemeinschaft ist, die sich dieser Art von Beziehung verpflichtet fühlt. Was wir damit sagen wollen, ist einfach gesagt, dass es eine Verbindung geben kann, wenn es einen Markt gibt, aber es muss nicht unbedingt eine Gemeinschaft geben, sondern es kann sie behindern.

Selbstverwaltete Ausbeutung; Selbständige Arbeiter*innen und Genossenschaften

(…) je nach der Marktlage, die Arbeitskraft je nach den Anforderungen des Absatzmarktes heranzuziehen oder sie abzustoßen und aufs Pflaster zu setzen, mit einem Worte, all die bekannten Methoden zu praktizieren, die eine kapitalistische Unternehmung konkurrenzfähig machen. In der Produktivgenossenschaft ergibt sich daraus die widerspruchsvolle Notwendigkeit für die Arbeiter, sich selbst mit dem ganzen erforderlichen Absolutismus zu regieren, sich selbst gegenüber die Rolle des kapitalistischen Unternehmers zu spielen. An diesem Widerspruche geht die Produktivgenossenschaft auch zugrunde, indem sie entweder zur kapitalistischen Unternehmung sich rückentwickelt, oder, falls die Interessen der Arbeiter stärker sind, sich auflöst.

Sozialreform oder Revolution?
Rosa Luxemburg

Ein Unternehmen zu gründen und zu erwarten, dass es rentabel ist, ist Teil der Logik der Wettbewerbsfähigkeit. Ob du es allein oder mit vier Freund*innen machst, ob du dich also selbstständig machst oder eine Genossenschaft gründest. Wenn ein Unternehmen nicht wettbewerbsfähig ist, stirbt es. Die Täuschung, die uns in der Ära des kapitalistischen Wiederaufbaus nach dem Zweiten Weltkrieg – in den 1950er Jahren in Europa und in Spanien während des demokratischen Übergangs (A.d.Ü. transacción democrática) – vorgegaukelt wurde, war die, dass wir von heute auf morgen aufhören könnten, Arbeiter*innen zu sein und zu Unternehmer*innen werden könnten, nur weil wir von der Ausbeutung durch eine Chef*in befreit wären, ohne zu erkennen, dass wir auch der Ausbeutung durch den Markt, durch die Konkurrenz unterworfen waren. Der Kapitalismus gab – dank der harten Arbeiter*innenkämpfe der 60er und 70er Jahre – einigen wenigen Arbeiter*innen die Möglichkeit, einen Klassensprung zu wagen, sofern sie bewiesen, dass sie dem Unternehmen Gewinne und dem Markt Wettbewerbsfähigkeit bieten können, indem sie sich selbst, Dritte oder Verbraucher ausbeuten. Im Laufe der Zeit haben viele diese Lüge geglaubt, verstärkt durch einige Beispiele, die dazu beigetragen haben, diese Fiktion zu nähren8. Tatsache ist jedoch, dass die meisten, die sich entschlossen haben, ihr eigenes Unternehmen zu gründen, dies nicht nur gegen den Verkauf ihrer körperlichen Kraft, sondern auch ihrer geistigen Gesundheit sowie der ihrer Arbeitskolleg*innen und der ihnen nahestehenden Personen taten.

Die unternehmerische Logik ist in der Mentalität der selbstständigen Arbeiter*in verankert, die in den meisten Fällen Mitarbeiter*innen einstellen, wenn sie genügend Gewinn erwirtschaften, und sie entlassen, wenn sie nicht mehr gebraucht werden oder wenn ihre Dienstleistung nicht mehr rentabel ist. Dann rechtfertigen sie ihre Misere, indem sie sich daran erinnern, was sie alles tun mussten, um das Unternehmen auf die Beine zu stellen – und wir sagen nicht, dass dies in vielen Fällen nicht stimmt. Was passiert, ist dasselbe wie in jedem anderen Unternehmen: Verluste werden sozialisiert und Gewinne privatisiert. Wenn wir nicht akzeptieren, ausbeuterisch zu sein oder kein Mitgefühl zu haben, dann wird unser Unternehmen einfach nicht vorankommen… unter anderem, weil es nicht wettbewerbsfähig sein wird.

– Das Proletariat ohne Feinde. Wie viele Menschen kennen wir, die in den 1980er Jahren in dem Glauben gelassen wurden, dass sie nicht mehr von einem Chef ausgebeutet werden, wenn sie sich selbständig machen? -Von nun an werde ich der Chef sein, und sie hätten nicht richtiger sein können. Die Tatsache, dass viele von ihnen beschlossen haben, sich selbständig zu machen, führt dazu, dass es scheinbar keine Feinde gibt. Die selbständige Arbeiter*in kann nur ein abstraktes Gebilde wie den Markt für seine Missstände verantwortlich machen, im Gegensatz zum traditionellen Arbeiter*innen, die die Person anklagen kann, die ihn eingestellt und ausgebeutet hat. Da es keine externe Verantwortung gibt, kann der/die Selbstständige nur für sich selbst Verantwortung übernehmen und dafür kämpfen, sich für den Markt begehrenswerter zu machen, d. h. wettbewerbsfähiger zu werden. Voilà… das Wunder des Kapitalismus, das die Subjekte dazu bringt, sich selbst auszubeuten.

Die Selbstständigkeit ist ein unverzichtbares Instrument für die Entwicklung des Kapitalismus in unseren Gesellschaften in jüngster Zeit. Sie hat den Großunternehmen ein breites Spektrum an zu 100 % verfügbaren Arbeitskräften zur Verfügung gestellt, während sie gleichzeitig für alle Kosten der Verwaltung, Organisation und sozialen Sicherheit aufkommen müssen. Die Flexibilität, die eine selbständige Arbeiter*in bietet, ist perfekt an den Bedarf des Marktes an Arbeitskräften angepasst.
Die so genannte Auslagerung von Funktionen großer Unternehmen im Prozess der Produktion, des Vertriebs und/oder des Verkaufs eines Produkts oder einer Dienstleistung ist nichts anderes als eine Kostenreduzierung auf Seiten des großen Arbeitgebers. Der Markt bedeutet, dass diese selbstständigen Arbeiter*innen, die einst Mitarbeiter*innen sein konnten, zu Konkurrenten werden, die um den Vertrag mit dem großen Unternehmen kämpfen; und natürlich bedeutet dieser Wettbewerb, dass die maximale Leistung zu den minimalen Kosten angeboten wird, d. h. die Steigerung des Profits auf Seiten des Kapitalisten.

Bei den Genossenschaften ist es dasselbe in Grün, Jacke wie Hose, gehüpft wie gesprungen, ein uns dasselbe. Die Logik des Marktes durchdringt jedes Unternehmen, das den Anspruch erhebt, auf dem Markt kompetent zu sein – und wenn es nicht den Anspruch erhebt, kompetent zu sein, kann es nicht überleben -, und es muss entscheiden, woher es seine Fähigkeit nimmt, sowohl wettbewerbsfähig als auch profitabel zu sein: von ihren Arbeiter*innen – in diesem Fall wären es die Genossenschaftsmitglieder selbst, die ihre Löhne senken und sich damit selbst ausbeuten -, von ihren Kunden – die sie durch Betrug oder Überbewertung des Produkts ausbeuten -, oder bei der Steigerung der Produktion – die sie noch mehr ausbeuten, indem sie die Aktivität erhöhen, die Umwelt vergiften usw.

Um die wertvolle Arbeit, die viele unserer Gefährt*innen bei der Entwicklung von Genossenschaftsprojekten leisten, nicht zu unterschätzen, möchten wir darauf hinweisen, dass wir wissen, dass viele dieser Projekte funktionieren, und zwar gut funktionieren. Aber sie tun dies dank der kollektiven Bemühungen, sie zum Funktionieren zu bringen, sei es in Form von Bibliotheken, Nachbarschaftszentren, Vertrieben9… Was wir damit sagen wollen – und vielleicht wiederholen wir uns zu sehr – ist, dass diese Projekte, wenn sie nicht nur eine Dienstleistung erbringen, sondern auch dazu dienen, diejenigen zu ernähren, die sie entwickeln, sich früher oder später Sorgen um ihre Rentabilität machen werden, und dann werden sie in ihren eigenen Händen in die Luft gehen10. Bislang konnten viele Genossenschaften dank der bedingungslosen, aus einer ethischen Haltung heraus geborenen Unterstützung der Verbraucher überleben. Viele von ihnen können es sich leisten, ökologische, GVO-freie Produkte zu kaufen oder ihren Arbeiter*innen einen angemesseneren Lohn zu zahlen, natürlich auf Kosten eines höheren Produktpreises. Tatsache ist, dass wir nicht mit einem Unternehmen konkurrieren können, das indonesische Arbeiter*innen ausbeutet, indem es ihnen 20 Mal weniger als die hiesigen Löhne zahlt. Wenn wir wollen, dass unsere Genossenschaft nach unseren Werten funktioniert – und das könnte zum Beispiel darin bestehen, dass wir uns nicht mehr ausbeuten, als wir es in jedem anderen Unternehmen tun würden – müssen wir auf das Wohlwollen der Menschen setzen, die beschließen, das Produkt bei uns zum doppelten Marktpreis zu kaufen… und das ist auf dem Markt langfristig nicht tragbar. Wenn wir z.B. eine Genossenschaftsbuchhandlung mit politischem Lesestoff aufmachen, könnte das funktionieren. Wenn jedoch in jedem Viertel eine solche Buchhandlung auftaucht, werden sich die Kunden entweder aufteilen und die Rentabilität jeder einzelnen Buchhandlung wird zusammenbrechen, oder sie werden einer oder zwei Buchhandlungen treu bleiben, so dass die übrigen Buchhandlungen nicht mehr rentabel sind. In jedem Fall sind die Kriterien des Marktes nicht mit der ethischen Position der Verbraucher dieser Genossenschaften vereinbar. Es sollte klar sein, dass wir die Bemühungen und das Engagement der Menschen schätzen, die sich entschließen, in einer Genossenschaft Opfer zu bringen, damit Bücher – oder Inhalte – oder gute Lebensmittel – ökologische – für die Menschen erreichbar sind. Es mag sein, dass es ohne diese Bemühungen schwieriger wäre, radikale Kritik zu verbreiten oder landwirtschaftliches Wissen zu erhalten, das weniger umweltfeindlich ist; die Frage ist jedoch, wie weit wir bereit sind zu gehen, um die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Projekte zu erhalten.

Die Identifikation mit dem Unternehmen. Die Genossenschaftsbewegung/ das Genossenschaftswesen könnte ein Paradigma sein, auf dem der Toyotismus11 basiert. In vielen genossenschaftlichen Prozessen wird erreicht, dass dank der Solidarität zwischen den Arbeiter*innen die Arbeit, die sonst nicht geleistet werden könnte, schließlich doch ausgeführt wird. In den meisten heutigen Betrieben tendiert die Unternehmensführung dazu, die Verantwortung auf die Arbeiter*innen zu übertragen, was zu einem Gefühl der Beteiligung an dem Projekt des Unternehmens führt. Schließlich handelt es sich um ein paralleles Verfahren zu dem der demokratischen Staatsbürgertum12. Durch die Zusammenarbeit mit dem unternehmerischen Projekt – was auch für das Unternehmen in Barcelona gilt – werden Streiks und Forderungen nach besseren Löhnen vermieden, und die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen wird gerechtfertigt, um das Projekt zu retten. Genossenschaften oder Selbstständigkeit tragen in jedem Fall dazu bei, das expansive Projekt des kapitalistischen Großunternehmens zu entschärfen. Was wir sonst nicht übernehmen würden, weil wir unser eigenes Unternehmen sind, übernehmen wir schließlich doch.

-Die Mythisierung der Rekuperation13 der Fabriken, das Gespenst des „Argentinitis“14. Wie viele von uns haben schon gehört, dass die Selbstverwaltung der Arbeiter*innen auf der Grundlage der Erfahrungen mit der Rekuperation der Fabriken in Argentinien (z.B. Zanón), in den 70er und 80er Jahren in Spanien (Numax15) oder in der Zeit der – relativen – Entkolonialisierung Algeriens verteidigt wurde? Die rekuperierten Fabriken sind Fabriken, die von den Kapitalist*innen aufgegeben wurden, weil sie für sie nicht rentabel waren. Die Erfahrung in Argentinien zeigt uns, dass diese Fabriken in der Lage waren, für den Markt wieder rentabel zu werden, indem sie um den Preis der Selbstausbeutung wettbewerbsfähig wurden und nach der gleichen Geschäftslogik wie zuvor arbeiteten. Die Tatsache, dass wir uns gegen die Mythisierung der Rekuperation von Arbeitsplätzen aussprechen, bedeutet nicht, dass wir deren Bedeutung unterschätzen: Die Menschen können einen Arbeitsplatz behalten, um zu überleben, es gibt einen kollektiven Prozess, der etwas Gemeinsames hervorbringen kann, und wenn es Leistungen gibt, werden diese sozialisiert.

In diesen Fällen können wir sehen, dass trotz eines gewissen Kampfes hinter diesen Rekuperationen, wenn die Leitung des Unternehmens das Unternehmen verlassen hat, dies nicht aufgrund des Drucks der Arbeiter*innen geschah, sondern aus anderen Gründen – wirtschaftliche Rezession, Wirtschaftsverbrechen, usw. Daher bedeutet dass das Unternehmen unter der Kontrolle der Arbeiter*innen in Wirklichkeit, dass die Arbeiter*innen selbst unter der Kontrolle des Unternehmens stehen, d.h. die Logik des Wettbewerbs wird weiterhin die Produktion bestimmen, unabhängig davon, wer sie verwaltet. Wenn die Selbstverwaltung unsere materiellen Bedingungen verbessert, dann setzen wir uns für diesen Prozess ein. Wenn nicht, bleibt es nur eine Kritik an der Art und Weise, wie das Kapital verwaltet werden sollte, und damit ein Argument, dass es einen egalitären Kapitalismus geben könnte, wenn er richtig verwaltet würde. Das heißt, wenn die kapitalistische Enteignung dazu dient, die Produktion auf die Befriedigung von Bedürfnissen auszurichten, dann ist es die Selbstverwaltung, die wir verteidigen. Wenn es hingegen darum geht, zur Arbeit zurückzukehren, dasselbe zu produzieren und die Waren zu verkaufen, aber ohne die Leitung des Chefs, dann handelt es sich um Selbstausbeutung.

Natürlich ist die Realität nicht schwarz-weiß, und da der Klassenkampf sich auf die Widersprüche dieser Realität stützt, kann auch die „Selbstverwaltung“ als Abstraktum nicht widerlegt werden. Obwohl die Selbstverwaltung nicht die Alternative zum Kapitalismus ist, kann sie uns helfen, ihn zu überwinden, da der Kampf für die kollektive Verwaltung der Produzenten uns dazu bringen kann, die Übereinstimmung der Interessen als ausgebeutet zu sehen, sie kann uns helfen, die Isolation und den Individualismus des „jeder für sich“ zu durchbrechen, und, was am wichtigsten ist, die Tatsache, dass wir die Selbstverwaltung unseres Ausbeutungsraums durchlaufen, kann uns erkennen lassen, dass dies die Ausbeutung selbst nicht löst. Es ist nicht notwendig, diese Prozesse individuell zu durchlaufen, um diese konterrevolutionäre Falle zu erkennen, aber auf kollektiver Ebene werden sich sicherlich einige Menschen für die Selbstverwaltungsformel entscheiden, bis sie erkennen, dass die Befriedigung der Bedürfnisse der gesamten Gesellschaft nicht durch eine Änderung der Formen, wer was verwaltet, sondern durch eine tiefgreifende Änderung der gesamten sozialen Beziehungen erreicht wird.

Wem diese Debatte zu abstrakt erscheint, der möge bedenken, was mit uns passieren kann, wenn wir uns von dem Begriff der Selbstverwaltung verführen lassen. Im Sommer 2011 wurden einige von uns von der Ankündigung der Schließung des Krankenhauses Dos de Mayo überrascht. Am ersten Tag der Mobilisierung lief einigen von uns das Wasser im Mund zusammen, als wir hörten, wie einige der Arbeiter*innen über die Selbstverwaltung des Krankenhauses sprachen. Doch was bedeutet die Selbstverwaltung eines Krankenhauses? Es gibt nur drei Möglichkeiten, wie ein Krankenhaus subventioniert werden kann: durch den Staat, privat durch seine Mitglieder oder Kunden oder durch Besteuerung mit Kapitalverwaltung durch eine private Gruppe. Wenn man genau hinsieht – und das scheint der Fall zu sein -, ist das, was passiert, wenn wir über die Selbstverwaltung der Arbeiter*innen sprechen, ein Privatisierungsprozess, bei dem, wie wir bereits im Text erwähnt haben, ein Unternehmen, das in traditioneller Form nicht profitabel ist, unter dem Deckmantel einer Arbeiter*innengenossenschaft profitabel wird. Auf diese Weise schlägt der Staat zwei Fliegen mit einer Klappe: Einerseits vermeidet er Arbeitskonflikte, wenn es um Haushaltskürzungen geht, und verlagert diese auf die Mobilisierung der Arbeiter*innen zum Schutz ihrer Arbeitsplätze, andererseits stellt er sicher, dass die bisher angebotene Dienstleistung fortgesetzt wird, wodurch Unannehmlichkeiten für die Nutzer*innen vermieden werden. Die Zeit wird es zeigen, aber wenn nicht, werden wir es sehen… Die Zuzahlung wird bei dieser Art von Versuch eingeführt werden, und zwar nicht vom Institut Català de la Salut, sondern von den Krankenhausmitarbeiter*innen, die Solidarität mit einem angeblich unverzichtbaren Dienst fordern.

Die verdammte Angewohnheit, die Dinge beim Namen zu nennen16

Wir sind Arbeiter*innen, ob wir es wollen oder nicht. Es geht nicht um Ethik, Moral oder Politik oder darum, dass wir an Worten festhalten wollen, die einige bereits aufgegeben haben. Wir sind aus einem objektiven Grund Arbeiter*innen: In der kapitalistischen Welt sind wir dazu verdammt, den Arbeitskreislauf zu durchlaufen, um zu überleben. Wir werden enterbt, und die Tatsache, dass wir ein Auto – oder in manchen Fällen eine Wohnung – besitzen, befreit uns nicht von dieser Geißel. Ob wir nun Arbeit suchen oder unser Bestes tun, um sie zu vermeiden, ob wir unsere Ökonomie auf Enteignung gründen oder unsere Mütter oder den Staat um Almosen in Form von Zuschüssen oder Stipendien anflehen, unser Zustand ist der der Ausbeutung. Und nur die Zerstörung der Arbeit und der sich daraus ergebenden Beziehungen könnte uns in einen neuen Kontext stellen. Wenn wir das sagen, dann nicht, weil wir gerne Opfer sind oder nicht sehen wollen, dass es noch andere Menschen gibt, die unter den kapitalistischen Produktions- und Reproduktionsverhältnissen viel mehr leiden können als wir. Wenn wir das sagen, dann deshalb, weil wir, wenn wir das vergessen, der weit verbreiteten Illusion verfallen können, dass es möglich ist, einen Sprung in unserem proletarischen Zustand zu machen und sich von den kapitalistischen Verhältnissen zu befreien, ohne einen offenen Krieg gegen das Kapital führen zu müssen, entweder indem wir unser eigenes Unternehmen gründen oder indem wir für uns selbst arbeiten. Und das ist eine Lüge.

Wir versuchen nicht, in die Absurdität der Arbeiter*in-Mythifizierung des Fabriksubjekts zu verfallen, ganz im Gegenteil. Die Tatsache, dass wir Arbeiter*innen sind, bedeutet nicht, dass wir nur Arbeiter*innen sind, und schon gar nicht, dass wir es bleiben wollen. Was wir sagen wollen, ist, dass die Klassengesellschaft, auch wenn wir von verschiedenen Formen der Herrschaft durchzogen sind, so stark wie eh und je ist.

Si vis pacem para bellum

In einer Zeit der Niederlage wie dieser, in der es praktisch keinen umfassenden politischen Bezugspunkt gibt, kann es ernüchternd sein, einen kritischen Text über die Versuche vieler, eine Alternative zu finden, zu schreiben. Es geht nicht darum, auf das zu scheißen, was andere tun, das wissen wir, aber wir sollten auch nicht wegschauen, wenn wir mit emanzipatorischen Absichten Hindernisse für den antikapitalistischen Kampf aufbauen.

Wir kritisieren also nicht diejenigen, die – wie wir – widersprüchliche Aktivitäten haben, sondern die Tatsache, dass sie versuchen zu überzeugen, dass es möglich ist, den Kapitalismus zu überwinden, während sie die Konfrontation mit denjenigen vermeiden, die ihn verteidigen. Jeder und jede soll versuchen, was immer nötig ist, was immer er oder sie für richtig hält, wir sollen nicht aufhören zu schaffen und zu bauen, aber niemand soll versuchen, die anderen davon zu überzeugen, dass der Kampf etwas anderes ist als die Beendigung des Kapitalismus, d.h. die Zerstörung der Verhältnisse, die ihn aufrechterhalten, und derjenigen, die ihn reproduzieren. Und das bedeutet, ob wir es wollen oder nicht, Konflikte, Konfrontation und Gewalt.

Wenn diese Ideen in unseren Kreisen Gehör finden, dann vielleicht deshalb, weil es immer noch Menschen gibt, die glauben, dass der Kapitalismus nur ein ungerechtes Wirtschaftssystem ist, von dem einige wenige zum Nachteil der anderen profitieren. Diese reformistische Version wird sich organisieren, um bestimmte institutionelle und gesetzliche Änderungen zu erreichen, die den Reichtum, den die große Mehrheit von uns produziert, gerecht verteilen. Die „revolutionäre“ Version wird darauf abzielen, die parasitäre Minderheit zu vertreiben und dann die Wirtschaft kollektiv und egalitär zu organisieren. Beide Visionen gehen davon aus, dass es beim Wandel darum geht, wer entscheidet und wie die Ökonomie verwaltet wird. Beide Visionen sind falsch. Der Kapitalismus ist nicht eine kleine Gruppe sehr reicher Menschen, diese Gruppe existiert und sie sind die Privilegiertesten in dieser Art zu funktionieren, aber sie sind nur ein Teil des Problems. Der Kapitalismus ist auch keine Form der Organisation der Ökonomie, obwohl sich seine Säulen daraus ergeben, wer, wie und was in dieser Gesellschaft produziert wird. Aber die Form, die dieses System heute annimmt, hat den engen Rahmen der Arbeitswelt verlassen und sich auf alle anderen Aspekte der Gesellschaft ausgedehnt, die bis dahin ein gewisses Maß an Freiheit besaßen. Nun beschränkt sich die Kapitalbildung nicht auf die Produktion, sondern versucht, ununterbrochen aus der Ware (A.d.Ü., zur Ware werdend) der Grundressourcen – Wasser, fruchtbares Land usw. – zu wachsen, aus der Ausbeutung der Erde, der Pflanzen und anderer Tiere und aus allem, was soziale Bindungen schafft – Kommunikation, Zuneigung, Wissen usw.

Wir sehen also, dass der Kapitalismus ein soziales Verhältnis ist, das sich durch alle Aspekte zieht, die uns als Menschen betreffen und die fälschlicherweise als wasserdichte Abteile dargestellt werden: Wirtschaft, Politik, Kultur, usw. Wenn wir diese nicht in all ihren Formen bekämpfen, wird sich der Kapitalismus wieder entwickeln. Wenn wir nicht erkennen, dass es sich nicht nur um ein Verhältnis zwischen den mächtigen Klassen und dem Rest handelt, sondern dass wir es untereinander, horizontal, reproduzieren, wird der Kapitalismus wieder auftauchen, sobald wir die Kapitalist*innen von der Macht vertrieben haben. Wenn wir also für eine Lebensweise in der Gesellschaft kämpfen, die nicht auf Ausbeutung und Unterdrückung beruht, wird dies unweigerlich bestimmen, was und wie jeder Aspekt dieser Gesellschaft verwaltet wird. Wir bräuchten keine spezialisierten Institutionen oder Fachleute, die sich unter anderem mit der Wirtschaft oder der Politik befassen, denn sie sind Teil eines Ganzen, nämlich des Lebens, und als Ganzes müssen wir es auch behandeln.

Das theoretische Jonglieren, das Projekte wie die Cooperativa Integral Catalana oder die Democracia Inclusiva betreiben, löst nicht den Widerspruch zwischen dem allgemeinen Problem und den Teillösungen auf, den wir hier kritisieren. Obwohl sie in ihren Texten von der Notwendigkeit einer ganzheitlichen Antwort sprechen, materialisieren sie diese nur mit einer Summe von Teilaspekten. Wir werden hier nicht auf diese beiden Projekte eingehen, aber wir möchten den wichtigsten Aspekt hervorheben, der mit dem Thema, mit dem wir uns beschäftigen, zusammenhängt. So sehr wir ihre Schriften auch durchforstet haben, wir haben nichts über den unvermeidlichen Konflikt gegen diejenigen gefunden, die den Kapitalismus verteidigen, und das ist es, was uns Sorgen macht. Vielleicht äußern sie sich nicht, weil sie glauben, dass der Staat uns nicht unterdrücken wird, solange wir uns in einem kreativen Prozess befinden, in dem wir eine Gegenmacht aufbauen. In diesem Fall werden diese Projekte in sich zusammenfallen, sobald sie überrascht und ungläubig von allen Seiten mit legalen oder illegalen Feindseligkeiten17 überschüttet werden. Vielleicht sprechen sie nicht über die mögliche Repression, über die notwendige Vorbereitung auf den Konflikt, weil sie es strategisch nicht sagen wollen. Vielleicht denken sie, dass es nicht darum geht, die Menschen, die sich uns nähern könnten, mit paranoiden Vorstellungen über künftige Repressionen zu verängstigen; vielleicht sehen wir, wenn wir uns umschauen, dass Repressionen immer dort stattfinden, wo gekämpft wird; vielleicht werden wir, wenn wir nicht versuchen, die Menschen zu täuschen, bereit sein, uns ihnen zu stellen, wenn die Probleme zu unserem Projekt kommen.

Wenn wir versuchen, nach Wegen zu suchen, die nicht auf kapitalistischen Voraussetzungen beruhen, oder sogar versuchen, ihnen zu widersprechen, müssen wir uns vor Augen halten, dass der Kapitalismus totalitär ist. Es gibt kein „Außen“, und das bedeutet, dass diejenigen, die es verteidigen, versuchen werden, alles zu verhindern, was es gefährdet. Daher kann die historische Diskussion über die revolutionäre Bewegung zwischen konstruktivem und destruktivem Prozess nicht auf eine dieser beiden gegensätzlichen Voraussetzungen reduziert werden. Jeder Versuch, eine Parallelgesellschaft zur bestehenden Gesellschaft zu schaffen, stößt zunächst auf die Trägheit des Betriebs mit ausbeuterischen und unterdrückerischen Werten, wenn auch unbewusst, und später auf den frontalen Widerstand der Verteidiger des Status quo. Jeder Versuch, das Bestehende zu zerstören, wenn es nicht über die grundlegenden Infrastrukturen für diesen Kampf und das Minimum verfügt, um ihn sozial zu überleben, ist zum Scheitern verurteilt. Die notwendige dialektische Beziehung zwischen Aufbauen und Zerstören muss in unserer revolutionären Praxis verankert sein, wenn wir wirklich aller Herrschaft ein Ende setzen wollen. Wir bauen, um uns auf die Konfrontation vorzubereiten; wir konfrontieren, um Risse für den Bau zu öffnen. Auch wenn es offensichtlich scheint: Wir können nicht ohne den Kapitalismus leben, solange wir ihn nicht abschaffen.


1Patriarchat und Kapitalismus gehen Hand in Hand und deshalb ist ein Antikapitalismus, der eine Überwindung des Patriarchats nur in seinem ökonomischen Aspekt – oder einem anderen Teilaspekt – vorschlägt, kein vollständiger Antikapitalismus. Das Gleiche gilt für Rassismus, Homophobie usw. Der Kapitalismus wurde von all diesen Herrschaftsformen genährt, um sich durchsetzen zu können, und ohne ihre Hilfe wäre er nicht so weit gekommen, wie er jetzt ist.

2A.d.Ü., die Rede ist von cooperativas was Genossenschaften im weitesten Sinne sind, im Szenejargon in Berlin, oder im deutschsprachigen Raum wäre die Rede von Kollektive.

3A.d.Ü., Anarchistinnen und Anarchisten im spanischen Staat, verwenden ungerne den Begriff Spanien reden daher entweder vom spanischen Staat oder schlicht vom Staat.

4A.d.Ü., hier handelt es sich im Original um einen Wortspiel, Con sumo consumo

5Wir verweisen euch auf die Seite einiger Gefährtinnen aus Madrid, die sich gegen die Zentren für Minderjährige, euphemistisch Zentren für den Schutz von Kindern und Jugendlichen genannt, einsetzen. http://www.centrosdemenores.com/?Campana-de-boicot-a-Triodos-Bank. Vielleicht würden wir nicht so viel über diese Art von Banken reden, wenn sie nicht durch das Phänomen der Hausbesetzungen im ganzen Staat ihre Kundschaft exponentiell vergrößert hätten.

6A.d.Ü., ein corralito in diesem Fall, ist das Einfrieren der Bankkonten, um Ansturm ängstlicher Sparer auf Banken zu vermeiden.

7Da wir wissen, dass dies ein heikles Thema ist, bei dem jeder von uns seine eigenen Besonderheiten hat, verweisen wir auf die Zusammenstellung der Daten, die von den Gefährt*innen der ‚Totalverweigerung den Geldstrafen‘ gemacht wurden: http://guinardo.org/documents/manuals-antirepressius/

8Einer der bekanntesten Fälle ist der von Amancio Ortega, dem größten Anteilseigner von Inditex (Zara, Massimo Dutti, Pull & Bear, Bershka, etc.). Er ist das perfekte Beispiel für soziale Mobilität: Er arbeitete bereits mit 14 Jahren in einem Bekleidungsgeschäft und ist laut dem Forbes-Magazin der fünftreichste Mensch der Welt. Was diese Klassenherkunft verbirgt, ist, dass es zwar bestimmte Menschen gibt, die von einer Klasse in eine andere aufsteigen können, aber die Bedingungen, die diese Art von Beziehung garantieren, werden immer bedeuten, dass es zwei verschiedene Klassen gibt.

9A.d.Ü., distri, gemeint ist alles was mit Vertrieb politischer Sachen zu tun hat, vor allem geht es immer um Bücher und Fanzines, im deutschsprachigen Raum wäre die Rede von Mailorder wo bei diesen der Schwerpunkt fast nie bei Büchern oder anderen Lesestoff liegt.

10Booomm!

11Der Toyotismus ist das Fabrikproduktionssystem, das den Taylorismus und den Fordismus in der Kettenproduktion verdrängt hat und unter anderem die Identifikation der Arbeiterinnen mit den Interessen des Unternehmens fördert.

12A.d.Ü., als Staatsbürgertum soll die politische Bewegung verstanden werden die daran glaubt dass man mit den demokratischen Institutionen/Instanzen man eine bessere Welt gestalten kann.

13A.d.Ü., zurückerlangten, wieder angeignete.

14A.d.Ü., kann verstanden werden als Argentiniensyndrom, bezieht sich auf die Fabrikbesetzungen die im Jahr 2001 aufgrund des Zusammenbruchs der argentinischen Ökonomie stattfanden.

15Wir empfehlen die Dokumentarfilme von Joaquím Jordà von der Escola de Barcelona, Numax presenta und 20 años no es nada, über den Prozess der Rekuperation einer Fabrik in den 1980er Jahren durch ihre eigenen Arbeiterinnen.

16Wir empfehlen die Artikel, die sowohl in der Zeitschrift Cuadernos de negación als auch in der Zeitschrift Ruptura zum Thema soziale Klassen erschienen sind. Man kann beide Artikel unter den folgenden Links finden: http://gruporuptura.wordpress.com/2010/04/02/las-clases-en-la-sociedad-capitalista/ und auch unter http://cuadernosdenegacion.blogspot.com/2009/09/nro-2-clases-sociales-o-la-maldita.html.

17A.d.Ü., les llueven hostias por todas partes, von allen Seiten auf die Fresse kriegen.

]]>