Kritik an Militanz-Organisation – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org Für die Anarchie! Knäste, Staat, Patriarchat und Kapital abschaffen! Fri, 27 Dec 2024 12:09:37 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://panopticon.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1233/2020/02/cropped-discharge-degenerik-blog-1-32x32.jpg Kritik an Militanz-Organisation – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org 32 32 Argentinien: Die Geschichte neu erfinden. Die fiktive Vergangenheit von Resistencia Libertaria https://panopticon.blackblogs.org/2024/12/15/argentinien-die-geschichte-neu-erfinden-die-fiktive-vergangenheit-von-resistencia-libertaria/ Sun, 15 Dec 2024 20:05:43 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6117 Continue reading ]]>

Gefunden auf la jauria de la memoria, die Übersetzung ist von uns. Hier eine weitere Kritik von Patrick Rossineri (weitere Texte von ihn hier und hier) am Plattformismus. Dieses Mal an der Gruppe „Resistencia Libertaria“.


Argentinien: Die Geschichte neu erfinden. Die fiktive Vergangenheit von Resistencia Libertaria

Anmerkung der Redaktion: In einem Artikel in der Zeitschrift Sudestada (siehe hier) heißt es : „Resistencia Libertaria war eine Organisation, die die Konstituierung einer Arbeitermacht auf der Grundlage der Klassenfrage verteidigte, die ihre Militanten zur ‚Proletarisierung‘ drängte, die sich als Kaderpartei definierte und die als Strategie das Konzept des ‚Langandauernder Volkskrieg‘ verfolgte.“

Nun, in einer unserer ersten Veröffentlichungen in diesem Blog gibt es einen Überblick über verschiedene anarchistische Guerillaformationen in Europa und Amerika, und aus Argentinien ist die Organisation Resistencia Libertaria dabei. Und obwohl in der einleitenden Notiz zu lesen ist : „Die vorliegende Zusammenstellung, die verschiedenen Texten entnommen wurde, versucht nicht, die hier dargelegten Tatsachen als wahr zu bestätigen, es kann eine Fehlermarge geben, da sich die Ereignisse anders zugetragen haben“, hört es nicht auf, bei einer Gruppe wie RL, die behauptet, anarchistisch zu sein, aber die Strategie des „Langandauernder Volkskrieg“1 behauptet oder die „Proletarisierung der Kader“ fordert, gewisse Ressentiments hervorzurufen. Es ist eine Sache, kein Purist zu sein, und eine andere, so naiv zu sein, dass es an Dummheit grenzt. Und obwohl es hier nicht darum geht, aufzuzeigen, wer ein Anarchist ist oder nicht (dafür gibt es in der anarchistischen Bewegung bereits viele Richter), kann man nicht einfach alles glauben. Wir wissen, dass diese Art der Argumentation und Klärung für einige „sterile Debatten“ sind , aber auf lange Sicht sind diejenigen, die kein Interesse daran haben, ihre eigenen politischen Positionen zu klären, diejenigen, die am Ende die sterilsten Haltungen haben.

In Argentinien gab es zwischen 2005 und 2007 eine erbitterte Debatte über die Entdeckung dieser (libertären?) Guerillagruppe aus den 1970er Jahren, insbesondere zwischen den Publikationen La Protesta und ¡Libertad ! auf der einen Seite und den „Libertären“ des Volksmachtdiskurses auf der anderen Seite. Wir geben im Folgenden einen Text von Patrick Rossineri wieder. Wichtig ist, dass jeder Gefährte und seine eigenen Schlussfolgerungen zieht.


GESCHICHTE NEU ERFINDEN:

DIE FIKTIVE VERGANGENHEIT VON RESISTENCIA LIBERTARIA

Dieser Text erschien in ¡Libertad!, einer Publikation der Grupo Anarquista Libertad

(Ausgabe 42, Mai-Juni 2007, Buenos Aires).

Die üblichen Unbekannten

Zuerst erschien eine englische Übersetzung – verfasst von Frank Mintz – eines Interviews, das Chuck Morse für die Zeitschrift The New Formulation (Februar 2003, Bd. 2, Nr. 1) führte. Die lauwarme Präsentation füllte Fremde und Bekannte mit Fragen: Gab es einen anarchistischen Widerstand gegen die letzte Militärdiktatur? Gab es in Argentinien eine anarchistische subversive Organisation, wie es sie in Uruguay gab? Wie kommt es, dass nichts über sie bekannt war, zumal ihre Militanten durch den Militärprozess verschwunden waren?

Kurz nach der Lawine. Der Bericht wurde im Internet auf allen Seiten verbreitet, die mit der Linken im Allgemeinen und dem Anarchismus in Verbindung stehen. Er wurde unzählige Male gepostet und sogar alle paar Tage auf denselben Sites und Webseiten wiederholt. Dann begannen die Vorträge über die Geschichte der Resistencia Libertaria – so der Name der rätselhaften Organisation – und das öffentliche Auftreten des Interviewten, Fernando López Trujillo, der in der Anonymität versunkenen Überlebenden. Zur gleichen Zeit wurde das Auftauchen von Ediciones Estrategia bekannt, einem seltsamen elektronischen Verlag im Internet, der die Lektüre von anarchistischen Klassikern, Texten über Guerillabewegungen in aller Welt sowie marxistischer und maoistischer Literatur fördert. Resistencia Libertaria spielt eine wichtige Rolle in diesem Mix. Die Berichte und Mitteilungen häuften sich; López Trujillo und ein OSL- Militanter traten sogar in Radiosendungen wie Mejor hablar de ciertas cosas, am 28. März um 21 Uhr auf AM 530, dem Radio de las Madres de Plaza de Mayo, auf, das jetzt regierungsfreundlich ist.

Es machte einen schlechten Eindruck. Zu viele Jahre des Schweigens für so viele massakrierte Militante, so viel Kampf und so viel Kampfeslust. Selbst die kleinsten Gruppen der einheimischen Linken tragen ihre toten und verschwundenen Militanten mit Stolz, als wären sie Medaillen, Streifen oder Wappen, die ihre Vergangenheit des Kampfes und Widerstands markieren. In einer besiegten und nekrophilen Linken wirkt die Zahl der Toten aus der Vergangenheit wie ein Kapital, das Prestige verleiht, um diskreditierte Vorschläge in der Gegenwart zu unterstützen. So erschien uns Resistencia Liberataria als eine bizarre politische Operation bestimmter Gruppen, die sich selbst als Anarchisten bezeichnen – namentlich Red Libertaria, Organización Socialista Libertaria und die verstorbene Auca – obwohl sie in ihrer Ideologie und Praxis mit der Linken verbunden sind. Ziel dieser Operation ist es, bestimmten Ansätzen des plattformistischen Anarchismus, der „anarcho“ Parteientums, der Kollaboration mit der Linken oder der Wahlbeteiligung in bürokratischen Gewerkschaften/Syndikate Legitimität zu verleihen – Ansätze, die der Anarchismus traditionell ablehnt, nicht ohne Grund zu haben um es zu tun.

Diese Organisationen haben sich schon immer von der anarchistischen Tradition abgekoppelt, was an sich keine verwerfliche Haltung ist. Das Problem ist vielmehr, woher sie ihr ideologisches Wasser beziehen, bevor und nachdem sie sich selbst zu Anarchisten erklärt haben. Die Linke, die sie zur Schau stellen, muss sich durch eine Vergangenheit rechtfertigen, und diese Vergangenheit ist Resistencia Libertaria (RL). „Was haben die Anarchisten während der Diktatur getan?“, fragen sie von links. Diese Gruppierungen antworten: „Resistencia Libertaria“. Und seither haben sie Grund, stolz auf ihre Toten zu sein, denn die 30.000 Verschwundenen gehören auch ein bisschen zu ihnen. Eine Vergangenheit des Kampfes und des Widerstands; eine Vergangenheit, die der revolutionären Linken ebenbürtig ist.

Die Märtyrer von Chicago, die Spanische Revolution, Sacco und Vanzetti sind in der Tat zeitlich weit weg, und ihre Ehrungen haben ihre allgemeine Anziehungskraft verloren. Andererseits sind der 24. März (Jahrestag des Staatsstreichs), der Widerstandsmarsch oder die Nacht der Bleistifte die neuen revolutionären Feiertage der Linken, die aus offensichtlichen Gründen im Gedächtnis der Menschen viel präsenter sind. Das ist logisch und wir leugnen es nicht. Die Auswirkungen der Repression in den 1970er Jahren und das Ausmaß des Massakers haben das politische Denken in der gesamten argentinischen Gesellschaft beeinflusst, sei es durch Zugehörigkeit oder Ablehnung: Angesichts des Grauens ist es schwierig, gleichgültig zu bleiben.

Wir Anarchisten müssen uns weder der modischen revolutionären Ritualisierung anschließen, noch müssen wir die alten Gedenkfeiern der Arbeiterklasse vergessen oder wieder aufleben lassen. Diese machen nicht das Wesen des Kampfes aus, sondern vielmehr seine Ästhetik, seine Form und seine Ausdrucksmittel. Die Anarchisten erwarben sich Respekt und Ansehen unter den Arbeitern für ihr Engagement, ihre Ethik, ihre Kampfbereitschaft, für ihre Lebenseinstellung und ihre solidarische und humane Haltung angesichts der alltäglichen sozialen Probleme; sie erwarben sich keinen Respekt, indem sie die in der Tragischen Woche massakrierten oder die in Patagonien erschossenen Menschen auf den Tisch legten. Und ohne uns mit den Ideen oder dem Kampf der großen Mehrheit der Verschwundenen zu identifizieren – obwohl wir uns mit ihren menschlichen Werten identifizieren – unterstützen wir auch das Gefühl der Gerechtigkeit für die Opfer und ihre Familien, und wir fühlen uns mit allen von ihnen als Brüder und Schwestern in Klasse und Kampf solidarisch2.

Ein Vierteljahrhundert nach dem Ende der Diktatur taucht diese Geschichte von RL wieder auf. Analysieren wir also, wie es dazu kommt, dass eine Branche, die sich als anarchistisch bezeichnet, versucht, eine Vergangenheit zu erfinden, einen Mythos, der ihre fragwürdigen Ansätze und Thesen legitimiert.

Die Analyse eines Berichts über RL

Chuck Morse schreibt in seinem Bericht: „Resistencia Libertaria (RL) war in der Studenten-, Arbeiter- und Nachbarschaftsbewegung aktiv und hatte auch einen militärischen Flügel, mit dem sie ihre Aktivitäten verteidigte und finanzierte. Auf ihrem Höhepunkt hatte sie zwischen 100 und 130 Mitglieder [laut María Esther Tello muss diese Zahl mit der geschätzten Zahl aktiver Kämpfer in zwei anderen klandestinen Gruppen verglichen werden – der marxistisch-leninistischen ERP, etwa fünfhundert, und den Montoneros, doppelt so viele] und ein viel größeres Netzwerk von Sympathisanten. Die Organisation wurde 1978 dezimiert und 80 % ihrer Mitglieder kamen in den Konzentrationslagern und Folterkammern der Diktatur um“.

Hier sehen wir einen Teil der absichtlichen Übertreibung, um eine Bedeutung und ein Gewicht zu erfinden, das RL nie wirklich hatte. Sie versuchen, uns glauben zu machen, dass die RL im Vergleich zu den Montoneros und der ERP eine relativ wichtige Größe hatte, indem sie einfach den Bleistift schwingen. Das RL erhöht die Zahl der Militanten, die sie nie hatte, und verkleinert sie in den anderen Gruppen, um den Eindruck einer kleinen, aber wichtigen Organisation zu erwecken. In den 60er und 70er Jahren gab es eine große Anzahl subversiver Gruppen, von denen viele in die Montoneros integriert wurden (z.B. FAR, FAL und FAP). Wenn die Organisation dezimiert wurde und 80% ihrer Mitglieder verschwunden sind, muss man kein Mathematiker sein, um zu verstehen, dass mindestens 80 Mitglieder der RL gefallen sind, eine höhere Opferzahl als viele linke politische Parteien, die sich damit rühmen, ins Visier der mörderischen Milizen geraten zu sein. Es ist zumindest verdächtig, dass dieses Massaker jahrzehntelang verborgen blieb, nicht nur vor den libertären Medien (zu denen die Beziehungen nicht gerade flüssig waren), sondern auch vor den übrigen linken Kräften und vor allem vor den Menschenrechtsorganisationen, die in den 1980er Jahren unermüdlich alle Fälle von Vergewaltigung, Mord und Diebstahl durch die faschistische Militärregierung publik machten. Mit dem Einzug der Demokratie wurden die Lebensgeschichten vieler Militanter und klandestiner Organisationen bekannt, darunter auch das Unglück von Uruguayern, die nach Argentinien ins Exil gegangen waren; aber RL erschien immer noch nicht. Wir mussten bis zum 21. Jahrhundert warten, bis die geheimnisvollen Militanten ihre Geschichte bekannt machten. Weiter mit dem Interview:

-Die Demokratie der Organisation funktionierte offensichtlich nicht durch Vollversammlungen, sondern die Abstimmungen und Wahlen fanden innerhalb einer zellenartigen Organisation statt.Jede Zelle hatte einen Delegierten, und dieser Delegierte war mit den höheren Ebenen der Organisation verbunden, bis hin zu einer nationalen oder regionalen Beziehung.So erreichten Entscheidungen die nationale Ebene auf die gleiche Weise wie die Zelle.Mit anderen Worten: Entscheidungen wurden auf demselben Weg [innerhalb der Organisation] nach oben und unten weitergegeben. Aber das war natürlich komplizierter, weil es nicht möglich war, alle zu einem Gespräch zusammenzubringen (…).

Die RL war als Kaderpartei konzipiert, nicht als Massenpartei, und so konnten Leute, die Beziehungen zur RL hatten, eine niedrigere politische Ausbildung und ein geringeres politisches Engagement haben als ein RL-Kader und in Gruppen mitarbeiten, die die RL in gewisser Weise kontrollierte, wie die Basisgruppen in den Stadtteilen, den Fabriken und den Universitäten.Wenn du also über diese Frage nachdenkst, musst du dir ein viel größeres Einflussvolumen vorstellen als die Gruppe der Kader, die ich erwähnt habe.

-Erkläre mir, was du mit dem Wort „Kader“ meinst?

Ein Kader ist ein Militanter, der aufgrund seiner [politischen] Ausbildung in der Lage ist, an einem bestimmten Ort autonom Strategien zu führen, ohne eine organische, dauerhafte Beziehung zur Organisation zu unterhalten (was aufgrund der Repression nicht möglich ist).Mit anderen Worten: Obwohl sie aufgrund der klandestinen Situation von der Organisation isoliert waren, konnten diese Gefährt/innen Strategien innerhalb des Rahmens und der Bedürfnisse der Organisation entwickeln.Er oder sie war in der Lage, unter allen Umständen eine Arbeitsfront aufzubauen.Ein Kader ist ein politisch-militärischer Kader.Mit anderen Worten, ein Kader ist ein Militanter, der in der Lage ist, politische Rekrutierungs- oder Organisationsarbeit in einem Viertel oder einer Fabrik zu leisten, der weiß, wie man einen Molotowcocktail oder eine Bombe vorbereitet, der weiß, wie man eine Waffe benutzt und so weiter.

Und das ist der Unterschied zu einer Massenpartei: Eine Kaderpartei nimmt nur Militante auf, die die Organisation vollständig akzeptiert haben, bevor sie ihr beitreten.In einer Massenpartei ist Autoritarismus ganz natürlich, weil es innerhalb der Organisation verschiedene Ebenen des Engagements gibt, von den unteren Kämpfern bis zu den Anführern.In der RL war die Ebene der Militanten gleich und jeder Militante konnte zu jeder Zeit jede Funktion ausüben.Damit diese Entwicklung möglich ist, muss der Militante, der der Organisation beitreten will, den gleichen Ausbildungsstand haben wie die anderen, die bereits in der Organisation sind.Ich glaube, dass das Modell in gewisser Weise von Bakunins Allianz der Sozialdemokratie übernommen wurde, der Partei, die er während der Ersten Internationale aufgebaut hat.

Die Erwähnung des Wortes „Partei“ ist nicht zufällig. Umso mehr, als der Interviewte selbst die Schwierigkeiten einräumt, die interne „Demokratie“ in einer klandestinen Zellenorganisation umzusetzen. Das wirft die Frage nach dem Ausbildungsstand auf. Die totale Akzeptanz der Organisation und der geschlossenen, klandestinen, parteiähnlichen Organisation wird als getrennt, abgeschnitten von der Gesellschaft angenommen. Diese Haltung birgt die Gefahr des Sektierertums und der Entfremdung von der Gesellschaft, weil die Organisation versucht, sich von außen in verschiedene Milieus „einzufügen“. In diesem Sinne unterscheidet sie sich nicht von den Aktionen anderer linker Parteien, denn die Militanten maoistischer, stalinistischer oder trotzkistischer Parteien neigen dazu, sich auf dieselbe Weise im Untergrund zu bewegen. Das lässt sich durch die Besonderheiten erklären, die sich unter den Bedingungen im Untergrund ergeben, aber auch durch eine ideologisch-organisatorische und objektive Identität mit den marxistisch-leninistischen Parteien. In der Organisation gibt es hauptamtliche Militante und auch Randständige oder Sympathisanten, die sich nur begrenzt beteiligen. In diesem Zusammenhang fällt der Anspruch auf, Entscheidungen auf nationaler Ebene zu treffen, obwohl der Einfluss auf die Gesellschaft aufgrund der geringen Größe der Organisation und der eingeschränkten Tätigkeitsbereiche äußerst begrenzt ist.

War es bekannt, dass ihr Anarchisten seid?

Nein. Als Kaderpartei hat die RL kaum Partei- oder ideologische Propaganda gemacht.Die politische Propaganda war syndikalistische/gewerkschaftliche oder Klassenpropaganda, die sich auf die Organisationen bezog, die wir an den Arbeitsfronten zu schaffen versuchten.

Der anarchistische Charakter der RL bleibt am Ende von allen unbemerkt, außer von ihren eigenen Militanten. So haben wir eine Organisation, die sich selbst als Kaderpartei bezeichnet, die behauptet, auf „nationaler Ebene“ zu agieren, die klandestin ist, die keine ideologische Propaganda betreibt und die eine Wachstumsmethode vorstellt, die durch ihre Politik der Kaderbildung selbst eingeschränkt ist.

Erzählt mir von euren Aktionen.

-Wie es für solche Gruppen auf der ganzen Welt typisch ist, ging es um die Entführung von Geschäftsleuten zur Erpressung von Lösegeld.Manchmal gab es auch Aktionen, um die Polizei einzuschüchtern, wenn ein Polizeifahrzeug angezündet oder auf eine Polizeistation geschossen wurde.Mit anderen Worten: Aktionen unterschiedlicher Art.

Entweder hatte der Befragte keinen Zugang zu irgendwelchen abgeschotteten Informationen über die Aktionen des Militärapparats, oder wenn er an den Aktionen beteiligt war, waren sie fast harmlos. Es scheint, dass die militärische Front nur nominell existierte und keine medienwirksamen Aktionen durchführte und wahrscheinlich auch als Finanzierungsquelle nicht sehr effektiv war.

-Wie sahendie Beziehungen zwischen der RL und den anderen linken Gruppen aus?

-Wir haben uns besonders gut mit klassenbasierten Gruppen verstanden.Es gab die Organización Comunista Poder Obrero, eine neue linke Organisation und eine klassenorientierte Gruppe.Obwohl sie Leninisten waren, sogar klassische Leninisten, hatten wir ein hohes Maß an Übereinstimmung mit ihnen.

Erzähl mir von diesen Vereinbarungen.

-Die Vereinbarungen waren funktional: die Koordinierung der Bemühungen in der Arbeiterbewegung, die Organisation von einer Koordination (hauptsächlich an der Arbeitsfront).Manchmal wurden auch Beziehungen auf der Ebene der militärischen Verteidigung hergestellt, bei Operationen, die wir mit ihnen durchführten.Sie hatten einen Militärapparat namens Rote Brigaden, der viel weiter entwickelt war als unserer.

Es ist nicht verwunderlich, dass sie Absprachen mit marxistisch-leninistischen „Klassen“-Organisationen trafen und keine Annäherung innerhalb der libertären Milieus suchten, wo man aus Erfahrung genau wusste, dass die linken Parteien sich nicht von den übrigen um die Macht kämpfenden Parteien unterscheiden (die OCPO war eine unbedeutende Organisation innerhalb des Rosenkranzes der marxistischen Parteien jener Zeit, wenn also ihr Militärapparat „viel weiter entwickelt“ war, muss der selbsternannte RL-Apparat in Wahrheit fast null und nichtig gewesen sein.

-Inwiefern unterschieden sich eure Aktivitäten von denen anderer linker revolutionärer Gruppen während der Diktatur?

-Ich weiß nicht, ob sie sich unterschieden.Sie unterschieden sich durch unsere politischen Haltungen.Wir tendierten zur Selbstorganisation der Arbeiter, um autonome Strukturen der Arbeiterbewegung zu fördern, und weniger dazu, die Aktivitäten der Arbeitsfronten auf eine Partei auszurichten.Mit anderen Worten: Wir versuchten, in den Massenfronten Avantgardegruppen zu organisieren, nicht Gruppen unserer Organisation.Natürlich waren unsere Militanten in diesen Gruppen, aber nicht mit Parteicharakter.

In diesem ganzen aufgeblasenen Jargon gibt es kein einziges Beispiel für eine Aktivität, bei der etwas Bemerkenswertes oder zumindest Anekdotisches getan wurde. Und es ist unglaublich, dass es nicht möglich ist, auf der Ebene der Aktionen der Organisationen Ideologien zu unterscheiden, die in vielen Punkten so unterschiedlich und sogar antagonistisch sind wie Marxismus-Leninismus und Anarchismus.

Die Organisation hatte diese bakuninistische Vorstellung von revolutionären Militanten, die Bakunins Allianz der Sozialdemokratie geschmiedet hatte.Mit anderen Worten: Sie waren Militante, die handelten und koordinierten, um die Volksmassen zu organisieren, aber sie hatten keinen Plan, um die Volksmassen zu führen.Mit anderen Worten: Unsere Arbeit ist der Aufbau der Macht, nicht die Machtergreifung.

Der Aufbau der Macht ist nicht gerade ein bakuninistisches Konzept. Kurz gesagt, die Taktik bestand darin, innerhalb der Massen zu agieren, sie zu orientieren und zu organisieren, ohne ihnen eine Führung aufzuzwingen: Das nennt man „Machtaufbau“. Entweder haben wir etwas übersehen, oder das Konzept der Macht, mit dem RL umging, hat nichts mit dem zu tun, was im Anarchismus gedacht wurde, sondern orientiert sich an Vorstellungen von Volksmacht (ein maoistischer Euphemismus für Volksregierung).

Hattet ihr andere Beziehungen zur internationalen anarchistischen Gemeinschaft?

-Nein.

-Was habt ihr gelesen?

-Abgesehen von den Klassikern des Anarchismus, die wir als anarchistische Organisation logischerweise gelesen haben, haben wir auch Bücher von Franz Fanon, wie Die Verdammten der Erde, Die Soziologie der Revolution, Maos Texte über den Langen Marsch, Marcuse und andere gelesen.

Können Anarchistinnen und Anarchisten aus den Texten von Mao, dem vielleicht besten Nachfolger Stalins, zusammen mit dem bitteren albanischen Sozialismus von Hohxa, etwas Bereicherndes ziehen? Fanon war der angesagte Theoretiker der nationalen Befreiungsbewegungen und Marcuse einer der Ideologen des französischen Mai ’68.

Welche Debatten und Konflikte gab es in RL?

-Generell drehten sich die Diskussionen um die konkrete Einsetzungsarbeit, die Strategie der Bündnisse, d.h. mit wem wir uns verbünden konnten und mit welchem Charakter.Es gab zum Beispiel eine interne Diskussion über das Bündnis mit der Organización Comunista Poder Obrero.

Wenn ein Bündnis mit einer „klassisch marxistisch-leninistischen“ Organisation vorgeschlagen wurde, dann deshalb, weil strukturell eine Verschmelzung der beiden möglich war und weil es einen hohen Grad an Ähnlichkeit zwischen dem klassischen leninistischen demokratischen Zentralismus und der „direkten Demokratie“ der RL gab.

Was waren deiner Meinung nach aus der Ferne die größten Fehler und Erfolge der RL?

-Es ist sehr schwer zu sagen.Wir waren nie in der Lage, selbstkritisch zu sein.Wir haben uns nach dem Debakel, nach einem solchen Schlag, einer solchen Katastrophe nicht wiedergefunden.Aber im Nachhinein denke ich, dass das Bemerkenswerte unsere Erfahrung war, dass wir versucht haben, den Aufbau einer effektiven anarchistischen Organisation unter Bedingungen der totalen Klandestinität auszuarbeiten.Ich denke, das sind gültige organisatorische Erfolge, die es verdienen, in Betracht gezogen zu werden.Wie man die interne Demokratie, die interne politische Diskussion, in einer Organisation von gewisser Bedeutung (in Bezug auf die Mitgliederzahl) im Kontext gewaltsamer Repression bewahren kann: Ich denke, dass unsere Kämpfe um diese Fragen als spezifische anarchistische Organisation erfolgreich waren.In Bezug auf theoretische oder politische Erfolge denke ich, dass die Organisation in der Lage war, eine klassenorientierte Tradition des argentinischen Anarchismus wiederzuerlangen, die verloren gegangen war.In unserer Strategie des Langandauernder Volkskrieg sahen wir die Schaffung einer Volksarmee vor, aber wir waren uns darüber im Klaren, dass diese Armee in den Fabriken und Stadtvierteln entstehen würde, die wir natürlich unterstützen würden, aber sie würde kein Parteiorganismus sein.In dieser Hinsicht hatten wir ein anderes Konzept [als die anderen linken Gruppen].

Es ist völlig falsch, dass die anarchistische Bewegung die klassenorientierte Tradition verloren hatte. Es war die Arbeiterbewegung, die ihren Klassencharakter verloren hatte und nicht der Anarchismus. Dass der Anarchismus isoliert wurde, sich zurückzog und fast nicht mehr aktiv war, ist eine ganz andere Sache. Das ist ein typischer Irrtum der Linken, die sich zwar als Bezugspunkt für alle Klassenerscheinungen innerhalb der Arbeiterbewegung sieht, die aber angesichts der Ergebnisse ihrer versöhnlichen Aktionen, die in das Wahlsystem der Gesellschaft und die bürokratisierten Gewerkschaften/Syndikate integriert sind, den bourgeoisen, reformistischen und reaktionären Inhalt des Marxismus und aller Formen des autoritären oder etatistischen Sozialismus voll zur Geltung bringt. RL identifiziert sich mit dieser Tradition, nicht mit dem Anarchismus.

Und wenn wir bedenken, dass das Konzept des Langandauernder Volkskrieg von Mao Tse Tung geschmiedet wurde, werden einige RL-Positionen verständlich, die sich wahrscheinlich von bestimmten linken Gruppen unterscheiden, aber nicht so sehr von maoistischen Gruppen (so dass so etwas wie ein Anarcho-Maoismus übrig bleibt, ein ideologisch inkohärentes und unhaltbares Gebräu).

Was sind deiner Meinung nach die wichtigsten Beiträge der RL für Anarchisten heute?

-Ichdenke, der wichtigste Beitrag ist die Negation der Isolation und des Sektierertums [innerhalb des Anarchismus]. Ich denke, wenn etwas in der RL in all den Jahren ihres Bestehens absolut kohärent war, dann war es das: die Negation des Sektierertums, der Isolation von den Massen, von den Arbeitern, von Diskussionen mit den einfachen Leuten.Ich denke, das ist das Bemerkenswerteste an der RL.Die RL brach damit, wie auch andere anarchistische Gruppen, die der RL nahe standen (es gab in dieser Zeit viele andere anarchistische Gruppen, die schließlich in die RL integriert wurden).All diese Gruppen entstanden als Reaktion auf die Isolation, in der sich der Anarchismus zu Beginn der 1960er Jahre befand.Diese Isolation hatte mit dem Phänomen des Peronismus in Argentinien zu tun.Nach der Repression in den 30er und 40er Jahren zog sich der Anarchismus zurück und blieb in dieser Position, als die 60er Jahre kamen.Und all diese [neuen] Gruppen, die sich hauptsächlich aus jungen Leuten zusammensetzten, waren eine Reaktion auf diesen Rückzug, diesen geschlossenen Anarchismus.Das Bemerkenswerteste an der RL ist also ihre Ablehnung des Sektierertums, ihr Versuch, sich auf die Menschen einzulassen, mit ihnen zu diskutieren und sich an ihren Kämpfen zu beteiligen.Und auch seine Offenheit für die Diskussion mit anderen politischen Strömungen, die uns zweifelsohne bereichert hat.

In erster Linie stimmt es, dass der Anarchismus isoliert war, aber der Vorwurf des Sektierertums bezieht sich auf die berechtigte Abneigung der Anarchisten, mit der Linken zusammenzuarbeiten, sich mit ihren Vorschlägen zu identifizieren, „aktualisierte“ Diskurse wie die Rechtfertigung der nationalen Befreiungsbewegungen zu übernehmen, eine Annäherung in Praxis und Theorie an den Marxismus zu versuchen und revolutionäre Taktiken zu übernehmen, die für die Ultralinke der 1970er Jahre typisch waren. Andererseits gilt der Vorwurf des Sektierertums für die RL, die wie eine Sekte funktionierte, in der die Militanten eine Initiationsphase des Studiums und der gegenseitigen Annäherung hatten, um in den Apparat einzutreten, und sich nach der Aufnahme als Klandestine betrachteten, was unbestreitbar zur Isolation führen kann, wenn die Situation lange Zeit aufrechterhalten wird3. Aber das Sektierertum der RL wird in diesem Satz von López Trujillo deutlich: „Eine Partei der Kader nimmt nur Militante auf, die die Organisation vollständig akzeptiert haben, bevor sie ihr beitreten“ (den notwendigen Grad der Akzeptanz vergaß er zu klären).

RL oder RL?

Die jüngste Lobrede auf die RL wurde vor einigen Wochen vom Presseorgan der Red Libertaria, Hijos del Pueblo (Nr. 6), unter dem Titel El anarquismo proletario (Proletarischer Anarchismus) veröffentlicht. Darin stellen sie Behauptungen auf wie: „Die Präsenz von Anarchisten in dieser Zeit (den 1970er Jahren) ist unsichtbar, vielleicht weil sie in der akademischen Geschichte nach den 1930er Jahren nicht mehr vorkommen oder verschwunden sind und weil marxistische und revolutionäre peronistische Strömungen sehr präsent sind. Mit anderen Worten: Die RL-Anarchisten bleiben unbemerkt, weil die akademischen Historiker es so beschlossen haben und weil die Guerilla-Organisationen ein so großes Gewicht haben oder so exponiert sind. Wenn wir dieser Argumentation folgen, sollten wir noch einmal darüber nachdenken, wie groß das Gewicht der akademischen Historiker ist, die den Tod des Anarchismus dekretiert haben, denn ohne die Guerillaorganisationen der 1970er Jahre ist der Anarchismus bis heute „unsichtbar“ geblieben. Oder ist es so, dass jenseits dieser als Analysen getarnten Vermutungen die anarchistische Präsenz unbemerkt blieb, weil sie zu klein war (d. h. so wie heute, wenn auch vielleicht ein bisschen kämpferischer).

Die Recherchen von Red Libertaria gehen noch weiter in die Tiefe: „Und ein großer Teil der anarchistischen Bewegung wusste nicht, was er tun sollte, verwechselte die faschistische Führung mit dem Arbeiter und entschied sich dafür, sich vom Klassenkampf zu distanzieren, wobei er die Losung der ersten Internationale ignorierte: ‚Die Emanzipation der Arbeiter muss das Werk der Arbeiter selbst sein‘. Die Klasse ging derweil ihre eigenen Wege. Während des peronistischen Widerstands knüpfte sie an ihre Tradition der direkten Aktion an, indem sie „Rohre“ errichtete und Fabriken aus dem Untergrund übernahm. Für Red Libertaria verwechselten die Anarchisten der FORA und anderen verwandten Organisationen die faschistische Führung – also Perón – mit den Arbeitern und verzichteten auf den Klassenkampf. Wo gibt es ein Kommuniqué oder ein Dokument von irgendeiner anarchistischen Organisation, egal welcher Tendenz, in dem eine solche Position vertreten wird? Wenn es ein solches Dokument gibt, würden wir es natürlich gerne wissen, denn es würde viele Dinge klären und wäre eine große Hilfe dabei, unsere eigene Geschichte zu überdenken. Wenn wir andererseits den – manchmal ärgerlichen – Anti-Peronismus vieler Anarchisten hervorheben wollen, die Gefängnis, Exil, Folter und Verfolgung durch die Schergen von El primer trabajador und La abanderada de los humildes erleiden mussten, dann bedeutet die Behauptung, sie hätten den Klassenkampf aufgegeben, dass sie nicht wissen, was in jenen Jahren vor sich ging. Und wenn die Behauptung lautet, dass sich die Anarchisten durch ihre sektiererischen Praktiken vom Klassenkampf distanziert haben, ist auch das eine grundlose Behauptung. Wenn es eine Scheidung zwischen den Anarchisten und der Arbeiterklasse und einen totalen Verlust des Einflusses unserer Ideen in den Gewerkschaften/Syndikate gab, dann war das sehr zu unserem Bedauern. Wir wollten nie den Einfluss und die Agitationsfähigkeit innerhalb der Arbeiterbewegung verlieren, und wenn es dazu kam, dann lag das an anderen Umständen, für die wir als Bewegung verantwortlich sind. Aus der Perspektive des Verfassers der Notiz zeigt sich darin jedenfalls eine religiöse Verehrung für die Klasse, die ihren eigenen Weg geht, nachdem sie von den Anarchisten im Stich gelassen wurde. Eine Klasse, die die Tradition der direkten Aktion nicht vergisst, aber die anarchistische Tradition, die sie hervorgebracht hat, ebenso wie die Unabhängigkeit vom Staat, die revolutionären Prinzipien und den Horizontalismus. In Wirklichkeit war es der sogenannte Peronistische Widerstand, der für die Rückkehr Peróns kämpfte, und nicht die Arbeiterklasse als Bewegung, die die treibende Kraft hinter dem Kampf gegen das Militär der Revolución Libertadora (die sie zu Recht Fusiladora nannten) war.

Die Notiz trieft nur so vor Bösartigkeit gegenüber den Anarchisten, die schon vor der Gründung der RL (in den 1970er Jahren) gekämpft hatten: „Aber zum Glück war (und ist) die anarchistische Bewegung ein dynamisches Kollektiv, das nicht blind auf das vertraute, was Jahre zuvor gesagt wurde, denn sonst hätte sie sich zurücklehnen und darauf warten müssen, dass die Leute aufhören, Peronisten oder Marxisten zu sein und anarchistisch werden. Offensichtlich schwebt das, was Jahre zuvor gesagt wurde, nie offen ausgesprochen, aber immer angedeutet, über dem gesamten Diskurs von RL (beide). Indem man aus dem gefallenen Baum Brennholz macht, will man zeigen, dass es zwei Anarchismen gibt: den einen, der aus den kämpferischen Jahren, aus der Klassentradition, aus den Kämpfen vor 1930 stammt und in den 1970er Jahren von RL und im 21. Jahrhundert von RL fortgeführt wird; der andere Anarchismus ist der der besiegten Post-Peronisten, Gorillas, die den Klassenkampf aufgegeben haben, die die Faschisten an der Macht mit den Arbeitern verwechseln, die herumsitzen und auf die wundersame soziale Revolution warten, während sie die Arbeiter massakrieren und die echten Anarchisten, die kämpfen, wie RL (beide).

Der Artikel listet eine große Anzahl anarchistischer Gruppen auf, die in den 60er und 70er Jahren entstanden sind; vielleicht ist das der einzige interessante Teil des Artikels. Dann kehrt die Verwirrung zurück, die an dieser Stelle etwas aufdringlich ist. „Ebenfalls in der Stadt La Plata entstand 69 die Grupo Revolucionario Anarquista (GRA), die 72 seinen Namen in Resistencia Libertaria (RL) änderte. Sie bestand ebenfalls aus Studenten, aber es waren auch langjährige Militante dabei (z. B. der ehemalige Faquitsa Emilio Uriondo), vielleicht weil ein Teil des Gründungskerns aus einer Familie mit Erfahrung in anarchistischer Militanz stammte. Sie teilten den Klassenstandpunkt mit den anderen Organisationen, schlugen aber eine Strategie des „Langandauernder Volkskriegvor. Die Einbeziehung von Emilio Uriondo, einem Gefährten, der in den 1920er und 1930er Jahren ein bekannter und in jeder Hinsicht untadeliger Enteigner war, klingt für uns sehr merkwürdig. Verdächtigerweise wird Uriondos faquismo erwähnt – also als Mitglied der Federación Anarco Comunista von damals – und nicht sein Engagement in der FORA des V. Kongresses, der militantesten und revolutionärsten anarchistischen Finalistenorganisation in der argentinischen Geschichte. Und in böser Absicht hängen sie ihren Namen an das maoistische Konzept des Langandauernder Volkskrieg an, das, um ein Beispiel zu nennen, in Peru die Kriegsstrategie der stalinistischen Mördergruppe Sendero Luminoso (Leuchtender Pfad) war. Nichts könnte weiter vom Anarchismus entfernt sein.

Schlussfolgerungen

Im Gegensatz zu diesen Gruppen mit zweifelhafter anarchistischer Herkunft, die versuchen, eine prestigeträchtige Vergangenheit zu erfinden, um dem Rest der Bewegung ihr Dilemma aufzuzwingen, glauben wir, dass der Anarchismus während der Diktatur praktisch keinen Einfluss hatte. Das lag aber nicht an dem Sektierertum, auf das RL anspielt, sondern daran, dass der Anarchismus schon seit mindestens zwei Jahrzehnten nicht mehr kämpferisch war. Der Anarchismus war für das Militär nicht gefährlich, das ist die Realität, auch wenn sie uns nicht gefällt. Es ist nicht so, dass anarchistische Ideen von den Mördern von ’76 nicht als subversiv angesehen wurden, sondern dass sie ihren Einfluss auf die Arbeiterklasse verloren hatten.

Wir müssen uns fragen, was Anarchisten nach der Diktatur getan haben, nicht während der Repression. Die Tatsache, dass sie sich nicht am Widerstand gegen die Militärmörder beteiligt haben, hat zwei Ursachen:

1) Der Anarchismus hatte als Bewegung kein Gewicht, d.h. er war isoliert.

2) Unter diesen Bedingungen, gepaart mit heftiger Repression, wurde es unmöglich, irgendeine Art von organisiertem Widerstand zu leisten, so dass nur individuelle Widerstandsaktionen übrig blieben. Viel sinnvoller ist es, sich zu fragen, was in der Bewegung seit der demokratischen Restauration, d.h. in den letzten 25 Jahren ohne illegale Repression und ohne Staatsterrorismus (wie es die Bourgeois und Marxisten nennen), getan wurde. Diese Frage ist besonders ärgerlich, weil sie den aktuellen Stand der Dinge innerhalb der „Bewegung“ offenlegt. Und sie ist sogar für die Linke selbst ärgerlich, die nur über Wahlergebnisse, gewerkschaftliche/syndikalistische Wahlen oder die Teilnahme als politische Streikposten in einigen Armenvierteln sprechen kann.

Ehemalige Montoneros und ERP- Militante waren an Regierungen wie der von Kirchner, Menem oder Alfonsín beteiligt. Andere wie López Trujillo wandelten auf den Fluren der Partido Intransigente. Die kämpferische Rhetorik weicht dem Verrat mit einer Leichtigkeit, die die gesamte Linke erstaunt.

Wir haben Respekt vor den Toten, die ihr Leben für ein revolutionäres Ideal gaben, das wir nicht ganz teilen. Nach den Aussagen von Gefährten, die ihre Mitglieder aus erster Hand kannten, sind die Verschwundenen der RL mehr als ein Dutzend: Wir sehen sie nicht als eine Zahl, sondern als Geschichten von Leben, die in ihrer ganzen menschlichen und tragischen Dimension verkürzt wurden. Das Verschwinden von Marcelo Tello am 9. März 1976 während der verbrecherischen peronistischen Regierung von Isabel Perón, die Folter, die viele Mitglieder der RL erleiden mussten, die Jahre des Leidens und des Exils ihrer Militanten, die Morde und das Verschwindenlassen erzählen uns von Leben, die dem Kampf gewidmet waren. Sie zeigen uns eine Hingabe und ein Engagement, das diejenigen, die heute von ihrem unglücklichen Ende profitieren, nie haben werden. Wir hatten schon immer ideologische Differenzen mit Gruppen wie Resistencia Libertaria und auch mit anderen nicht-anarchistischen militanten Gruppen. Wir stehen ihren Ideen und Projekten, die unserer Meinung nach nicht dem libertären Weg folgen, kritisch gegenüber. Die Dinge in ihrer richtigen Dimension stellen.

Diese Betrüger, die vorgeben, ihnen zu huldigen, verunglimpfen sie jedoch. Die erfundene Geschichte von RL für die Interessen einer politischen Partei ist eine schändliche politische Operation bestimmter Elemente wie Red Libertaria und O.S.L., die den Anarchismus auf diesen Weg führen wollen: den der Lüge, des Verrats und des feigen Kollaborationismus.

ADDENDA

Obwohl ich die Polemik über Resistencia Libertaria zwischen dem Gefährten und Freund Amanecer Fiorito (La Protesta) und Frau M. E. Tello auf Anraten von Frank Mintz kannte, beschloss ich, diesen Artikel zu schreiben, bevor ich die Ausgaben von La Protesta gelesen hatte, in denen die Polemik abgedruckt war. Ich zog es vor, RL anhand seiner eigenen Reden zu analysieren: Sie sprechen für sich selbst. Der Fisch stirbt durch den Mund.

Für ein umfassenderes Bild dieser Diskussionen siehe: La Protesta N° 8226, März-April 2005.

Die Verantwortlichen für dieses bedauerliche Manöver sind:

  • Die plattformistischen und linken Organisationen Organización Socialista Libertaria (OSL) und Red Libertaria, sowie ehemalige Mitglieder der peronistischen „Anarcho“-Gruppe Auca. Der vorgetäuschte anarchistische Charakter dieser Organisationen, die sich für die historische Fortsetzung der RL halten, versteht sich von selbst.
  • Fernando López Trujillo, ehemaliger RL, ehemaliger Partido Intransigente, ehemaliger Leiter eines gegenkulturellen Pasquín namens Anarres, der nur noch kurz existiert. Mitglied von Cedinci, einem Archiv, das Dokumentationen der Linken im Allgemeinen rettet. Er ist Autor von elektronischen Bulletins, die versuchen, die Geschichte des Anarchismus in Argentinien zu erzählen und zu analysieren, sowie von Büchern mit geringem ideologischen und kritischen Wert.
  • Frank Mintz ist ein Forscher des Anarchismus. Er gehört der CNT-F an, dem staatlich-kollaborierenden Gewerkschaftsbund in Frankreich, der Schwester der ebenfalls beklagenswerten spanischen CGT, dem Zweig der Verräter der anarchistischen CNT.
  • M. E. Tello ist eine Mutter der Plaza de Mayo und musste ins Exil nach Frankreich gehen, um die Diktatur zu überleben. Wir verstehen, dass sie oft aus dem Schmerz über die Ermordung ihrer Söhne durch die Schergen der Diktatur spricht, Söhne, die sie ehren und an die sie erinnern will. Wir teilen die Ehrung, aber niemals die politische Operation, die einige Leute uns aufschwatzen wollen.

Patrick Rossineri


1A.d.Ü., im Original guerra popular prolongada.

2Als viele die Mütter von der Plaza de Mayo mit Argwohn betrachteten, kamen viele Kameraden wie Amanecer Fiorito (La Protesta) und begleiteten die Mütter stillschweigend auf ihrer Runde. Nichts Persönliches, nichts Ideologisches oder Interessantes verband sie, nur ein Gefühl der Solidarität und Menschlichkeit.

3Der klandestine Zustand der RL- Militanten scheint mehr deklariert als real. Es bleibt offen, ob der Staat sie als klandestine Organisation betrachtete oder sich ihrer angeblichen Gefährlichkeit überhaupt bewusst war, oder ob die Klandestinität der RL mit der von Guerillaorganisationen vergleichbar war. Der Zustand der freiwilligen Klandestinität beginnt uns undurchsichtig zu erscheinen, wenn niemand die Existenz oder die Kampfbereitschaft der vermeintlichen Klandestinen wahrnimmt.

]]> Canenero – Die Fülle eines Kampfes ohne Adjektive https://panopticon.blackblogs.org/2024/06/26/canenero-die-fuelle-eines-kampfes-ohne-adjektive/ Wed, 26 Jun 2024 10:40:04 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5903 Continue reading ]]>

Aus dem englischen übersetzt, der Artikel erschien in der in Italien veröffentlichten anarchistischen Publikation ‚Canenero‘, wir haben aber die englisch Übersetzung von ‚Killing King Abacus’ verwendet.


Canenero

Die Fülle eines Kampfes ohne Adjektive

Eine Kritik an einem Brief von Stasi und Gregorian, in dem die Gründung einer bewaffneten Organisation vorgeschlagen wird. Der Artikel ist teilweise spezifisch für Italien und die Debatte zwischen Stasi, Gregorian und Canenero. Dennoch ist er für seine Kritik an der bewaffneten Organisation nützlich.

– Killing King Abacus

Kürzlich wurde ein Kommunique aus dem Gefängnis in Umlauf gebracht, das wahrscheinlich nicht nur einige Gefährten und Gefährtinnen beunruhigen wird und das wir deshalb auf diesen Seiten abdrucken wollen. Trotz des proklamatorischen Tons und der Zweideutigkeit bestimmter Behauptungen scheint es uns, dass sie eine Hypothese ausgelassen haben könnten, die uns zu Zeugen dieser Ankündigung der Gründung einer anarchistischen Organisation macht. Das wäre aus verschiedenen Gründen unlogisch. Zum Beispiel haben seit Anbeginn der Welt bewaffnete Gruppen die Höflichkeit, sich zu erklären, nachdem sie agitiert haben, und in unserem Fall stellt sich heraus, dass der Name: „Revolutionäre Kämpferische Aktion“, nie etwas behauptet hat. Außerdem, wenn die unterzeichnenden Gefährten und Gefährtinnen wirklich eine bewaffnete Organisation gegründet hätten, würde sich ihr Dokument als ausdrückliche Selbstverleugnung vor der Magistratur erweisen, noch bevor sie irgendwelche Feindseligkeiten begonnen haben. Wäre dies der Fall, wäre es völlig unsinnig.

Daraus folgern wir, dass dieser Text als bloßer Vorschlag zu verstehen ist. Leider birgt die missgestaltete Sprache, mit der er formuliert wurde, die Gefahr, Missverständnisse und Unverständnis zu provozieren, die es im Interesse aller zu vermeiden gilt. Einfacher ausgedrückt glauben wir, dass Pippo Stasi und Garagin Gregorian die anarchistische Bewegung dazu auffordern wollen, über die in ihren Erklärungen enthaltenen Argumente nachzudenken, wie z.B. die Notwendigkeit für Anarchistinnen und Anarchisten, den Weg des bewaffneten Kampfes einzuschlagen und deshalb eine spezifische bewaffnete Struktur zu schaffen. Und da diese Gefährten und Gefährtinnen nicht gezögert haben, ihre Meinung zu äußern und dabei alle Verantwortung übernommen haben, denken wir, dass niemand es ihnen übel nehmen wird, wenn wir das Gleiche tun.

Wie wir bereits mehrfach in diesem Papier zum Ausdruck gebracht haben, sind wir entschieden gegen jede bewaffnete Organisation, auch gegen die unwahrscheinliche bewaffnete Organisation der Anarchistinnen und Anarchisten. Hier geht es nicht um eine einfache Meinungsverschiedenheit, sondern um einen wesentlichen radikalen Unterschied, der über jede Erwägung von Gelegenheiten oder Umständen hinausgeht. Wir sind heute gegen eine bewaffnete Organisation, so wie wir es gestern waren und auch morgen sein werden. Und das ist unsere Abneigung, das bestätigen wir, sie beschränkt sich nicht auf eine formale Meinungsverschiedenheit. Wir werden eine bewaffnete Organisation nicht nur niemals unterstützen, sondern ihr auch mit scharfer Kritik entgegentreten. Wir sind sowohl gegen ihre Gründung als auch gegen ihre Ausbreitung, weil wir sie als unseren Feind betrachten und daher nicht in der Lage sind, Perspektiven zu schaffen, die für uns wünschenswert sind.

Für uns ist das Individuum, das rebelliert, das Individuum, das sich gegen diese Welt auflehnt, die zu klein ist, um seine Träume zu fassen, nicht daran interessiert, sein eigenes Potenzial zu begrenzen, sondern würde es, wenn möglich, ins Unendliche erweitern. Freiheitsdurstig und erfahrungsgierig ist der Revoluzzer ständig auf der Suche nach neuen Affinitäten, nach neuen Instrumenten, mit denen er experimentieren kann, um das Bestehende anzugreifen und es von Grund auf zu untergraben. Denn der aufständische Kampf sollte Anregung und Energie in unserer Fähigkeit finden, sein Arsenal immer wieder mit neuen Waffen zu füllen, außerhalb und gegen jede reduktive Spezialisierung. Die Waffenexperten sind wie die Bücherexperten oder die Experten für Hausbesetzungen oder andere: Sie sind langweilig, weil sie immer nur über sich selbst und ihre Lieblingsmittel reden. Deshalb bevorzugen wir kein Instrument gegenüber anderen, wir lieben und unterstützen unzählige Aktionen mit den unterschiedlichsten Mitteln, die sich täglich gegen die Herrschaft und ihre Strukturen richten. Denn Revolte ist wie Poesie: Sie sollte von allen gemacht werden, nicht nur von einer Person, die die meiste Erfahrung hat.

Die spezifische bewaffnete Organisation ist die Negation dieses Aufstandes, der Parasit, der das Blut vergiftet. Während der Aufstand Freude und die Erkenntnis hervorruft, wie viel wir in unseren Herzen haben, verspricht die bewaffnete Organisation nur Opfer und Ideologie. Während der Aufstand die Möglichkeiten des Individuums verherrlicht, verherrlicht die bewaffnete Organisation nur die Technik ihrer Soldaten. Während der Aufstand ein Gewehr oder eine Dynamitstange nur als eine der Waffen betrachtet, die ihm zur Verfügung stehen, macht die bewaffnete Organisation sie zum einzigen Instrument, das sie einsetzt („Es lebe der bewaffnete Kampf“). Während der Aufstand danach strebt, sich zu verallgemeinern und alle einzuladen, an seiner Partei teilzunehmen, ist die bewaffnete Organisation notwendigerweise geschlossen – außer den wenigen Militanten bleibt den anderen nichts anderes übrig, als für sie zu singen. Von dem großen Projekt der Subversion des Lebens, das keine Grenzen kennt, weil es die gesamte Gesellschaft erschüttern will, kann die bewaffnete Organisation nur den marginalen Aspekt einer militärischen Auseinandersetzung mit dem Staat sehen – und ihn gegen alles andere eintauschen. Und deshalb verliert diese Auseinandersetzung, auch der bewaffnete Angriff auf den Staat, jede befreiende Bedeutung, jeden Hauch von Leben, wenn ihr ganzes Aufbegehren auf die Förderung eines Programms und eines Akronyms reduziert wird, das auf dem Markt der Politik gekauft wird.

Umgekehrt verschwindet in der Anonymität jegliches politisches Kalkül und hinterlässt an seiner Stelle tausend individuelle Spannungen und Schwingungen und die Möglichkeit, sich zu treffen, zu vereinen und zu zerstreuen. Was nützen dem, der keine Waren zu verkaufen hat, leuchtende Schilder? Was ist mit den Vorwürfen gegen die Aktionen mit dem A im Kreis, die die gesamte anarchistische Bewegung den Provokationen der Polizei aussetzen? Diese Angst wird sicher auch von anderen Anarchistinnen und Anarchisten geteilt, die von der Vorstellung terrorisiert werden, dass jemand an ihre Tür klopfen könnte. Für sie und ihre Gefährtinnen und Gefährten, die dieses Dokument unterschreiben, wird ein mögliches Akronym die Situation also sicher nicht lösen. Anstatt die Anarchistinnen und Anarchisten zu verdächtigen, eine Aktion mit dem A im Kreis unterzeichnet zu haben, würde die Polizei sie verdächtigen, dass sie sich selbst zu dieser speziellen Gruppe gemacht haben.

Dass die anarchistische Bewegung in den 70er Jahren spezifische Erfahrungen mit dem Kämpfermodell gemacht hat, erscheint uns heute als leichtfertige Behauptung, dass der Archipel „Revolutionäre Aktion“ – von dem wir annehmen, dass Stasi und Gregorian ihn meinen – nur um den Preis einer makroskopischen ideologischen Verzerrung als anarchistisch definiert werden kann. In der Tat hat die „RA“, die sich aus verschiedenen Ursprüngen zusammengefunden hat und anfangs von einem libertären und antistalinistischen Geist beseelt war, für eine kurze Zeit ihre eigenen Erfahrungen als anarcho-kommunistisch definiert und als Summe der verschiedenen Positionen der Gefährten und Gefährtinnen betrachtet. Andererseits wurde vielen Anarchistinnen und Anarchisten klar, dass genau diese bewaffneten Organisationen in jenen Jahren zur Stagnation des gesellschaftlichen Umsturzes beitrugen. Und diese kritischen Reflexionen sind nicht von heute, sondern wurden von verschiedenen Anarchistinnen und Anarchisten zu verschiedenen Anlässen geäußert.

Wir wissen nicht, welche Gründe Stasi und Gregorian dazu bewogen haben, diese Schrift in Umlauf zu bringen. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass ihr Vorschlag für uns nicht von dieser Welt zu sein scheint, ein wenig wie eine Rhetorik, die direkt aus den Debatten der 70er Jahre zu stammen scheint und die Luft verpestet. Vor allem gefällt es uns nicht, dass die Gefährten und Gefährtinnen das von der Macht gestellte Ultimatum (Reformismus oder bewaffneter Kampf) annehmen und sich auf ein dummes Fangspiel einlassen: Wenn wir schon beschuldigt werden, einer bewaffneten Bande anzugehören, die es nicht gibt, warum dann nicht eine echte Bande gründen? Diese Versuchung, diese Verlockung zu einer bewaffneten Organisation, die nichts zu bieten hat, hat auch uns erfasst, und wir werden nicht müde, sie zu kritisieren, wo immer sie sich manifestiert. Aufstand hat Wünsche und Gründe, die keine militärische Logik jemals verstehen kann.

]]> Do or Die, Give Up Activism – Aktivismus aufgeben https://panopticon.blackblogs.org/2024/05/19/do-or-die-give-up-activism-aktivismus-aufgeben/ Sun, 19 May 2024 13:48:17 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5828 Continue reading ]]>

Gefunden auf anarchist library, die Übersetzung ist von uns.


Do or Die, Give Up Activism – Aktivismus aufgeben

1999, nach dem weltweiten Aktionstag am 18. Juni, wurde von einigen Leuten in London eine Broschüre mit dem Titel „Reflections on June 18th“ (Reflexionen zum 18. Juni) herausgegeben, eine frei zugängliche Sammlung von „Beiträgen über die Politik hinter den Ereignissen, die sich am 18. Juni 1999 in der Londoner City ereigneten“. In dieser Sammlung war ein Artikel mit dem Titel „Give up Activism“ enthalten, der sowohl in Großbritannien als auch international eine Menge Diskussionen und Debatten ausgelöst hat, in mehrere Sprachen übersetzt und in verschiedenen Publikationen abgedruckt wurde1. Hier veröffentlichen wir den Artikel erneut, zusammen mit einem neuen Postskriptum des Autors, in dem er auf einige Kommentare und Kritikpunkte eingeht, die seit der ursprünglichen Veröffentlichung eingegangen sind.

Aktivismus aufgeben

Ein Problem, das beim Aktionstag am 18. Juni offensichtlich wurde, war die Übernahme einer aktivistischen Mentalität. Dieses Problem wurde beim 18. Juni besonders deutlich, gerade weil die Leute, die an der Organisation beteiligt waren, und die Leute, die an diesem Tag beteiligt waren, versuchten, über diese Beschränkungen hinauszugehen. Dieser Beitrag ist keine Kritik an den Beteiligten, sondern ein Versuch, zum Nachdenken über die Herausforderungen anzuregen, vor denen wir stehen, wenn wir es mit unserer Absicht, die kapitalistische Produktionsweise abzuschaffen, wirklich ernst meinen.

Experten

Mit einer „aktivistischen Mentalität“ meine ich, dass Menschen sich in erster Linie als Aktivisten und als Teil einer größeren Gemeinschaft von Aktivisten sehen. Der Aktivist identifiziert sich mit dem, was er tut, und sieht es als seine Rolle im Leben an, wie einen Job oder eine Karriere. Auf die gleiche Weise werden sich einige Leute mit ihrem Job als Arzt oder Lehrer identifizieren, und anstatt dass es etwas ist, was sie nur zufällig tun, wird es ein wesentlicher Teil ihres Selbstbildes. Der Aktivist ist ein Spezialist oder ein Experte für sozialen Wandel.

Sich selbst als Aktivist zu sehen, bedeutet, sich als irgendwie privilegiert oder fortgeschrittener als andere zu sehen, was die Einschätzung der Notwendigkeit sozialer Veränderung angeht, im Wissen, wie sie zu erreichen ist, und als führend oder in der vordersten Reihe des praktischen Kampfes, um diese Veränderung zu schaffen.

Aktivismus hat, wie alle Expertenrollen, seine Grundlage in der Arbeitsteilung – er ist eine spezialisierte, separate Aufgabe. Die Arbeitsteilung ist die Grundlage der Klassengesellschaft, die grundlegende Teilung ist die zwischen Kopf- und Handarbeit. Die Arbeitsteilung funktioniert zum Beispiel in der Medizin oder in der Erziehung – anstatt dass Heilung und Kindererziehung Allgemeingut und Aufgaben sind, an denen jeder teilnimmt, wird dieses Wissen zum spezialisierten Eigentum von Ärzten und Lehrern – Experten, auf die wir uns verlassen müssen, um diese Dinge für uns zu tun. Experten hüten und mystifizieren eifersüchtig die Fähigkeiten, die sie haben. Das hält die Menschen getrennt und entmachtet und verstärkt die hierarchische Klassengesellschaft.

Eine Arbeitsteilung bedeutet, dass eine Person eine Aufgabe stellvertretend für viele andere übernimmt, die diese Verantwortung abtreten. Eine Aufgabenteilung bedeutet, dass andere Menschen dein Essen anbauen, deine Kleidung nähen und deinen Strom liefern, während du dich darum kümmerst, soziale Veränderungen zu erreichen. Der Aktivist, der ein Experte für sozialen Wandel ist, geht davon aus, dass andere Menschen nichts tun, um ihr Leben zu verändern, und fühlt sich daher verpflichtet oder verantwortlich, es in ihrem Namen zu tun. Aktivisten denken, dass sie den Mangel an Aktivität anderer kompensieren. Sich selbst als Aktivisten zu definieren, bedeutet, dass wir unsere Aktionen als diejenigen definieren, die einen sozialen Wandel herbeiführen werden, und damit die Aktivität von Tausenden und Abertausenden anderer Nicht-Aktivisten außer Acht lassen. Der Aktivismus basiert auf diesem Missverständnis, dass nur Aktivisten soziale Veränderungen bewirken – während natürlich die ganze Zeit Klassenkampf stattfindet.

Form und Inhalt

Die Spannung zwischen der Form des „Aktivismus“, in der unsere politische Aktivität erscheint, und ihrem zunehmend radikalen Inhalt ist erst in den letzten Jahren gewachsen. Der Hintergrund vieler Leute, die am 18. Juni beteiligt waren, ist der, „Aktivisten“ zu sein, die eine „Kampagne“ zu einem „Thema“ führen. Der politische Fortschritt, der in den letzten Jahren in der Aktivistenszene gemacht wurde, hat dazu geführt, dass viele Leute über einzelne Themenkampagnen gegen bestimmte Unternehmen oder Entwicklungen hinausgegangen sind und eine eher unbestimmte, aber dennoch vielversprechende antikapitalistische Perspektive entwickelt haben. Doch obwohl sich der Inhalt der Kampagnenarbeit verändert hat, hat sich die Form des Aktivismus nicht geändert. Anstatt es also mit Monsanto aufzunehmen und zu ihrem Hauptsitz zu gehen und ihn zu besetzen, haben wir nun über die einzelne Facette des Kapitals, die durch Monsanto repräsentiert wird, den Blick geweitet und entwickeln so eine „Kampagne“ gegen den Kapitalismus. Und wo könnte man besser hingehen und das besetzen, was als Hauptsitz des Kapitalismus wahrgenommen wird – die Stadt?

Unsere Arbeitsmethoden sind immer noch dieselben, als würden wir es mit einem bestimmten Unternehmen oder einer Entwicklung aufnehmen, obwohl der Kapitalismus überhaupt nicht dieselbe Art von Sache ist und die Wege, auf denen man ein bestimmtes Unternehmen zu Fall bringen könnte, überhaupt nicht dieselben sind wie die Wege, auf denen man den Kapitalismus zu Fall bringen könnte. Zum Beispiel ist es durch die intensive Kampagne von Tierschützern gelungen, sowohl die Hundezüchter von Consort als auch die Katzenzüchter von Hillgrove Farm zu ruinieren. Die Unternehmen wurden ruiniert und gingen in Konkurs. In ähnlicher Weise gelang es der Kampagne gegen die Erz-Vivisektionisten Huntingdon Life Sciences, deren Aktienkurs um 33% zu senken, aber das Unternehmen schaffte es gerade so, zu überleben, indem es eine verzweifelte PR-Kampagne in der Stadt betrieb, um die Preise anzuheben2. Aktivismus kann sehr erfolgreich ein Unternehmen zu Fall bringen, aber um den Kapitalismus zu Fall zu bringen, wird viel mehr nötig sein, als diese Art von Aktivität einfach auf jedes Unternehmen in jedem Sektor auszuweiten. Ähnlich ist es mit dem Angreifen von Metzgereien durch Tierrechtsaktivisten, das Nettoergebnis ist wahrscheinlich nur, dass sie den Supermärkten helfen, alle kleinen Metzgereien zu schließen und so den Prozess des Wettbewerbs und der „natürlichen Selektion“ des Marktes zu unterstützen. So gelingt es Aktivisten oft, ein kleines Geschäft zu zerstören, während sie das Kapital insgesamt stärken.

Ähnlich verhält es sich mit Anti-Straßen-Aktivismus. Groß angelegte Anti-Straßen-Proteste haben Möglichkeiten für einen ganz neuen Sektor des Kapitalismus geschaffen – Sicherheit, Überwachung, Tunnelbauer, Kletterer, Experten und Berater. Wir sind jetzt ein „Marktrisiko“ unter anderen, das bei der Bewerbung um einen Straßenauftrag berücksichtigt werden muss. Möglicherweise haben wir tatsächlich die Herrschaft der Marktkräfte unterstützt, indem wir die schwächsten und am wenigsten leistungsfähigen Unternehmen verdrängt haben. Die protestierende Beraterin Amanda Webster sagt: „Das Aufkommen der Protestbewegung verschafft denjenigen Bauunternehmern, die damit effektiv umgehen können, tatsächlich Marktvorteile.3“ Auch hier kann Aktivismus ein Unternehmen zu Fall bringen oder eine Straße stoppen, aber der Kapitalismus macht munter weiter, wenn auch stärker als zuvor.

Diese Dinge sind sicherlich ein Hinweis darauf, wenn einer nötig wäre, dass der Kampf gegen den Kapitalismus nicht nur eine quantitative Veränderung (mehr Aktionen, mehr Aktivisten), sondern auch eine qualitative (wir müssen eine effektivere Form des Handelns entdecken) erfordern wird. Es scheint, als hätten wir nur eine sehr geringe Vorstellung davon, was es tatsächlich brauchen könnte, um den Kapitalismus zu Fall zu bringen. Als ob alles, was es bräuchte, wäre, dass eine Art kritische Masse von Aktivisten, die Büros besetzen, erreicht wird, und dann hätten wir eine Revolution…

Die Form des Aktivismus wurde beibehalten, auch wenn der Inhalt dieser Aktivität sich über die Form, die sie beinhaltet, hinaus bewegt hat. Wir denken immer noch in den Begriffen, dass wir „Aktivisten“ sind, die eine „Kampagne“ zu einem „Thema“ machen, und weil wir „direkte Aktion“-Aktivisten sind, werden wir hingehen und „eine Aktion“ gegen unser Ziel machen. Die Methode, Kampagnen gegen bestimmte Entwicklungen oder einzelne Firmen zu führen,wurde auf diese neue Sache übertragen, sich mit dem Kapitalismus anzulegen. Wir versuchen, es mit dem Kapitalismus aufzunehmen und konzeptualisieren das, was wir tun, in völlig unangemessenen Begriffen, indem wir eine Methode anwenden, die dem liberalen Reformismus angemessen ist. So haben wir das bizarre Spektakel, „eine Aktion“ gegen den Kapitalismus zu machen – eine völlig unangemessene Praxis.

Rollen

Die Rolle des „Aktivisten“ ist eine Rolle, die wir annehmen, genau wie die des Polizisten, der Eltern oder des Priesters – eine seltsame psychologische Form, die wir benutzen, um uns selbst und unsere Beziehung zu anderen zu definieren. Der „Aktivist“ ist ein Spezialist oder ein Experte für sozialen Wandel – doch je fester wir uns an diese Rolle und Vorstellung von dem, was wir sind, klammern, desto mehr behindern wir eigentlich den Wandel, den wir uns wünschen. Eine wirkliche Revolution wird das Ausbrechen aus allen vorgefassten Rollen und die Zerstörung allen Spezialistentums beinhalten – die Rückeroberung unseres Lebens. Die Ergreifung der Kontrolle über unser eigenes Schicksal, die der Akt der Revolution ist, wird die Erschaffung eines neuen Selbst und neuer Formen der Interaktion und Gemeinschaft mit sich bringen. „Experten“ für irgendetwas können dies nur behindern.

Die Situationistische Internationale entwickelte eine strikte Kritik an Rollen und insbesondere an der Rolle des „Militanten“.

Ihre Kritik richtete sich vor allem gegen linke und sozialdemokratische Ideologien, denn das war es, was ihnen hauptsächlich begegnete. Obwohl diese Formen der Entfremdung immer noch existieren und deutlich zu sehen sind, ist es in unserem speziellen Milieu eher der liberale Aktivist, dem wir begegnen, als der linke Militante. Dennoch haben sie viele Gemeinsamkeiten (was natürlich nicht überraschend ist).

Der Situationist Raoul Vaneigem definierte Rollen wie folgt: „Stereotypen sind die dominanten Bilder einer Periode… Das Stereotyp ist das Modell der Rolle; die Rolle ist eine modellhafte Form des Verhaltens. Die Wiederholung eines Verhaltens schafft eine Rolle.“ Eine Rolle zu spielen bedeutet, einen Schein zu kultivieren, unter Vernachlässigung alles Authentischen: „Wir erliegen der Verführung geliehener Haltungen“. Als Rollenspieler verweilen wir in der Unauthentizität – wir reduzieren unser Leben auf eine Aneinanderreihung von Klischees – und „zerlegen [unseren] Tag in eine Reihe von Posen, die wir mehr oder weniger unbewusst aus der Palette der vorherrschenden Stereotypen auswählen.“4 Dieser Prozess ist seit den frühen Tagen der Anti-Straßen-Bewegung am Werk. In Twyford Down nach dem Gelben Mittwoch im Dezember 92 konzentrierte sich die Presse- und Medienberichterstattung auf den Dongas-Stamm sowie der gegenkulturelle Aspekt der Proteste mit Dreadlocks. Anfangs war dies keineswegs das vorherrschende Element – es gab zum Beispiel eine große Gruppe von Wanderern bei der Räumung.5 Aber Leute, die durch die Medienberichterstattung nach Twyford gelockt wurden, dachten, dass jede einzelne Person dort Dreadlocks hatte. Die Medienberichterstattung hatte den Effekt, dass „normale“ Leute wegblieben und mehr Typen mit Dreadlocks aus der Gegenkultur auftauchten – was die Vielfalt der Proteste verringerte. In jüngerer Zeit geschah etwas Ähnliches, als Menschen, die durch die Berichterstattung über Swampy, die sie im Fernsehen gesehen hatten, zu den Protestorten gezogen wurden, begannen, in ihrem eigenen Leben die Haltungen zu reproduzieren, die von den Medien als charakteristisch für die Rolle des ‚Öko-Kriegers‘ (Eco-Warrior) dargestellt wurden.6

„So wie die Passivität des Konsumenten eine aktive Passivität ist, so liegt die Passivität des Zuschauers in seiner Fähigkeit, sich Rollen anzueignen und sie gemäß den offiziellen Normen zu spielen. Die Wiederholung von Bildern und Stereotypen bietet eine Reihe von Modellen, aus denen jeder eine Rolle wählen soll.“7 Die Rolle des Militanten oder Aktivisten ist nur eine dieser Rollen, und darin liegt, trotz aller revolutionären Rhetorik, die mit dieser Rolle einhergeht, ihr ultimativer Konservatismus (A.d.Ü., oder konservative Einstellung).

Die vermeintlich revolutionäre Aktivität des Aktivisten ist eine langweilige und sterile Routine – eine ständige Wiederholung einiger weniger Handlungen ohne Potenzial für Veränderung. Aktivisten würden sich wahrscheinlich gegen Veränderungen wehren, wenn sie kämen, weil sie die einfachen Gewissheiten ihrer Rolle und die nette kleine Nische, die sie für sich selbst geschaffen haben, stören würden. Wie Gewerkschaftsbosse sind Aktivisten ewige Vertreter und Vermittler. Genauso wie Gewerkschaftsführer dagegen wären, dass ihre Arbeiter in ihrem Kampf tatsächlich Erfolg haben, weil sie dann ihren Job verlieren würden, ist die Rolle des Aktivisten durch Veränderung bedroht. In der Tat würde eine Revolution, oder auch nur ein wirklicher Schritt in diese Richtung, die Aktivisten zutiefst verärgern, weil sie ihrer Rolle beraubt werden. Wenn jeder revolutionär wird, dann bist du nicht mehr so besonders, oder?

Warum verhalten wir uns also wie Aktivisten? Einfach, weil es die einfache Option für Feiglinge ist? Es ist leicht, in die Aktivistenrolle zu verfallen, weil es in diese Gesellschaft passt und sie nicht in Frage stellt – Aktivismus ist eine akzeptierte Form des Dissenses. Selbst wenn wir als Aktivistinnen Dinge tun, die nicht akzeptiert werden und illegal sind, bedeutet die Form des Aktivismus selbst – die Art, wie er wie ein Job ist -, dass er zu unserer Psychologie und unserer Erziehung passt. Es hat eine gewisse Anziehungskraft, gerade weil es nicht revolutionär ist.

Wir brauchen keine Märtyrer mehr

Der Schlüssel zum Verständnis sowohl der Rolle des Militanten als auch des Aktivisten ist die Selbstaufopferung – die Aufopferung des Selbst für „die Sache“, die als vom Selbst getrennt angesehen wird. Das hat natürlich nichts mit wirklicher revolutionärer Aktivität zu tun, die die Ergreifung des Selbst ist. Revolutionäres Märtyrertum geht mit der Identifizierung einer Sache einher, die vom eigenen Leben getrennt ist – eine Aktion gegen den Kapitalismus, die den Kapitalismus als „da draußen“ in der Stadt identifiziert, ist grundlegend falsch – die wirkliche Macht des Kapitals ist genau hier in unserem alltäglichen Leben – wir erschaffen seine Macht jeden Tag neu, weil das Kapital kein Ding ist, sondern eine soziale Beziehung zwischen Menschen (und damit Klassen), die durch Dinge vermittelt wird.

Natürlich behaupte ich nicht, dass alle, die am 18. Juni beteiligt waren, in gleichem Maße an der Übernahme dieser Rolle und der damit verbundenen Selbstaufopferung beteiligt sind. Wie ich oben sagte, wurde das Problem des Aktivismus durch den 18. Juni besonders deutlich, gerade weil er ein Versuch war, aus diesen Rollen und unseren normalen Arbeitsweisen auszubrechen. Vieles von dem, was hier skizziert wird, ist ein „ schlimmstmögliches Szenario“ dessen, wozu das Spielen der Rolle eines Aktivisten führen kann. Das Ausmaß, in dem wir dies innerhalb unserer eigenen Bewegung erkennen können, wird uns einen Hinweis darauf geben, wie viel Arbeit noch zu tun ist.

Der Aktivist macht Politik langweilig und steril und treibt die Leute von ihr weg, aber das Spielen der Rolle versaut auch den Aktivisten selbst. Die Rolle der Aktivistin schafft eine Trennung zwischen Zweck und Mittel: Selbstaufopferung bedeutet, eine Trennung zwischen der Revolution als Liebe und Freude in der Zukunft, aber Pflicht und Routine jetzt zu schaffen. Die Weltanschauung des Aktivismus wird von Schuld und Pflicht dominiert, weil die Aktivisten nicht für sich selbst, sondern für eine andere Sache kämpfen: „Alle Ursachen sind gleichermaßen unmenschlich.“8

Als Aktivist muss man seine eigenen Wünsche verleugnen, weil die politische Aktivität so definiert ist, dass diese Dinge nicht als ‚Politik‘ zählen. Du legst ‚Politik‘ in eine separate Box zum Rest deines Lebens – es ist wie ein Job… du machst ‚Politik‘ 95 und gehst dann nach Hause und machst etwas anderes. Weil sie sich in dieser separaten Box befindet, existiert „Politik“ ungehindert von jeglichen praktischen Überlegungen zur Effektivität in der realen Welt. Die Aktivisten fühlen sich verpflichtet, unreflektiert an der gleichen alten Routine weiterzuarbeiten, unfähig, innezuhalten oder nachzudenken, Hauptsache, die Aktivisten sind beschäftigt und beschwichtigen ihre Schuldgefühle, indem sie ihren Kopf gegen eine Backsteinmauer schlagen, wenn nötig.

Ein Teil des Revolutionärseins könnte sein, zu wissen, wann man aufhören und warten muss. Es könnte wichtig sein, zu wissen, wie und wann man für maximale Effektivität zuschlägt und auch, wie und wann man NICHT zuschlägt. Aktivisten haben diese „Wir müssen JETZT etwas tun!“-Haltung, die von Schuldgefühlen angetrieben zu sein scheint. Dies ist völlig untaktisch.

Die Selbstaufopferung des Militanten oder des Aktivisten spiegelt sich in seiner Macht über andere als Experte wider – wie in einer Religion gibt es eine Art Hierarchie des Leidens und der Selbstgerechtigkeit. Die Aktivisten übernehmen die Macht über andere aufgrund ihres größeren Leidensgrades („nicht-hierarchische“ Aktivistengruppen bilden in der Tat eine „Diktatur der Engagiertesten“). Die Aktivisten benutzen moralischen Zwang und Schuldgefühle, um Macht über andere auszuüben, die weniger Erfahrung mit der Theologie des Leidens haben. Ihre Unterordnung von sich selbst geht Hand in Hand mit der Unterordnung von anderen – alle versklavt für ‚die Sache‘. Selbstaufopfernde Politik verkümmern ihr eigenes Leben und ihren eigenen Lebenswillen – das erzeugt eine Bitterkeit und eine Antipathie gegenüber dem Leben, die dann nach außen gewendet wird, um alles andere zu verdorren. Sie sind „große Verächter des Lebens … die Partisanen der absoluten Selbstaufopferung … ihr Leben verdreht durch ihre monströse Askese“9 Wir können das in unserer eigenen Bewegung sehen, zum Beispiel auf der Seite, in dem Antagonismus zwischen dem Wunsch, herumzusitzen und eine gute Zeit zu haben, und der schuldbeladenen Bau-/Festigungs-/Barrikaden-Arbeitsethik und in der manchmal übertriebenen Leidenschaft, mit der „Aussetzer“ (lunchouts) angeprangert werden. Der sich selbst aufopfernde Märtyrer ist beleidigt und empört, wenn er andere sieht, die sich nicht aufopfern. Wie wenn der „ehrliche Arbeiter“ den Schnorrer oder den Faulpelz mit so viel Schärfe angreift, wissen wir, dass es in Wirklichkeit daran liegt, dass sie ihren Job und das Martyrium, das er aus seinem Leben gemacht hat, hasst und es deshalb hasst, wenn jemand diesem Schicksal entgeht, hasst, wenn jemand sich vergnügt, während er leidet – er muss alle mit sich in den Dreck ziehen – eine Gleichheit der Selbstaufopferung.

In der alten religiösen Kosmologie kam der erfolgreiche Märtyrer in den Himmel. In der modernen Weltanschauung kann sich der erfolgreiche Märtyrer darauf freuen, in die Geschichte einzugehen. Die größte Selbstaufopferung, der größte Erfolg bei der Schaffung einer Rolle (oder noch besser, bei der Erfindung einer ganz neuen Rolle, der die Menschen nacheifern sollen – z. B. der Öko-Krieger) gewinnt eine Belohnung in der Geschichte – den bourgeoisen Himmel.

Die alte Linke war ganz offen in ihrem Aufruf zum heroischen Opfer: „Opfert euch freudig auf, Brüder und Schwestern! Für die Sache, für die etablierte Ordnung, für die Partei, für die Einheit, für Fleisch und Kartoffeln!“10 Aber heutzutage ist es viel verschleierter: Vaneigem wirft „jungen Linksradikalen“ vor, „in den Dienst einer Sache zu treten – der ‚besten‘ aller Sachen. Die Zeit, die sie für kreative Aktivitäten haben, vergeuden sie mit dem Verteilen von Flugblättern, dem Aufhängen von Plakaten, Demonstrationen oder dem Anpöbeln von Lokalpolitikern. Sie werden zu Militanten, die das Handeln fetischisieren, weil andere das Denken für sie übernehmen.“11

Das klingt bei uns nach – besonders die Sache mit der Fetischisierung der Aktion – in linken Gruppen sind die Militanten frei, sich mit endloser Arbeit zu beschäftigen, weil der Gruppenleiter oder Guru die „Theorie“ im Kopf hat, die einfach akzeptiert und aufgesogen wird – die „Parteilinie“. Mit Aktivisten der direkten Aktion ist es etwas anders – die Aktion wird fetischisiert, aber mehr aus einer Abneigung gegen jegliche Theorie heraus.

Obwohl es vorhanden ist, war dieses Element der Aktivistenrolle, das sich auf Selbstaufopferung und Pflichtgefühl stützt, am 18. Juni nicht so bedeutend. Was für uns eher ein Problem ist, ist das Gefühl der Trennung von den „normalen Leuten“, das der Aktivismus mit sich bringt. Die Leute identifizieren sich mit irgendeiner seltsamen Subkultur oder Clique als „uns“ im Gegensatz zu den „ihnen“ von allen anderen in der Welt.

Isolation

Die Rolle des Aktivisten ist eine selbst auferlegte Isolation von all den Menschen, mit denen wir uns verbinden sollten. Die Rolle eines Aktivisten einzunehmen, trennt dich vom Rest der menschlichen Rasse als jemand Besonderes und Anderes. Die Leute neigen dazu, sich selbst in der ersten Person Plural (auf wen beziehst du dich, wenn du „wir“ sagst?) als eine Gemeinschaft von Aktivistinnen und Aktivisten zu sehen, statt als eine Klasse, zu bezeichnen. Zum Beispiel ist es seit einiger Zeit im aktivistischen Milieu populär, für „keine einzelnen Themen mehr“ zu argumentieren und für die Bedeutung von „Verbindungen schaffen“.

Die Vorstellung vieler Leute von dem, was dies beinhaltet, war jedoch, „Verbindungen“ mit anderen Aktivisten und anderen Kampagnengruppen herzustellen. Der 18. Juni demonstrierte dies recht gut, da die ganze Idee darin bestand, alle Vertreter all der verschiedenen Anliegen oder Themen an einem Ort zu versammeln und sich freiwillig in das Ghetto der guten Sache zu begeben.

In ähnlicher Weise haben die verschiedenen Vernetzungsforen, die in letzter Zeit im ganzen Land entstanden sind – die Rebel Alliance in Brighton, die NASA in Nottingham, die Riotous Assembly in Manchester, die London Underground usw. – ein ähnliches Ziel: alle aktivistischen Gruppen in der Gegend miteinander ins Gespräch zu bringen. Ich will das nicht anprangern – es ist eine wesentliche Voraussetzung für jede weitere Aktion, aber es sollte als die extrem begrenzte Form von „Verbindungen herstellen“ anerkannt werden, die es ist. Interessant ist auch, dass die Gruppen, die an diesen Treffen teilnehmen, gemeinsam haben, dass sie aktivistische Gruppen sind – worum es ihnen eigentlich geht, scheint zweitrangig zu sein.

Es ist nicht genug, nur zu versuchen, alle Aktivisten in der Welt miteinander zu verbinden, und es ist auch nicht genug, zu versuchen, mehr Menschen zu Aktivisten zu machen. Im Gegensatz zu dem, was einige Leute denken mögen, werden wir einer Revolution nicht näher kommen, wenn viele und viele Leute Aktivisten werden. Einige Leute scheinen die seltsame Idee zu haben, dass es notwendig ist, dass alle irgendwie dazu überredet werden, Aktivisten wie wir zu werden, und dann werden wir eine Revolution haben. Vaneigem sagt: „Revolution wird jeden Tag gemacht, trotz und in Opposition zu den Spezialisten der Revolution.“12

Der Militante oder Aktivist ist ein Spezialist für den sozialen Wandel oder der sozialen Revolution. Die Spezialisten rekrutieren andere für ihr eigenes winziges Spezialgebiet, um ihre eigene Macht zu vergrößern und so die Erkenntnis der eigenen Machtlosigkeit zu vertreiben. „Der Spezialist … schreibt sich selbst ein, um andere einzuschreiben.“13 Wie ein pyramidales System ist die Hierarchie selbstreplizierend – man wird rekrutiert, und um nicht am unteren Ende der Pyramide zu stehen, muss man weitere Leute unter sich rekrutieren, die dann genau dasselbe tun. Die Reproduktion der entfremdeten Rollengesellschaft wird durch Spezialisten erreicht.

Jacques Camatte weist in seinem Essay „Über Organisation“14 scharfsinnig darauf hin, dass politische Gruppierungen oft als „Banden“ enden, die sich durch Ausgrenzung definieren – die erste Loyalität des Gruppenmitglieds gilt dann der Gruppe und nicht dem Kampf. Seine Kritik trifft besonders auf die unzähligen linken Sekten und Gruppierungen zu, auf die sie gerichtet war, aber sie trifft auch in geringerem Maße auf die Mentalität der Aktivisten zu.

Die politische Gruppe oder Partei setzt sich selbst an die Stelle des Proletariats und ihr eigenes Überleben und ihre Reproduktion werden vorrangig – revolutionäre Aktivität wird zum Synonym für den „Aufbau der Partei““ und die Rekrutierung von Mitgliedern. Die Gruppe nimmt für sich in Anspruch, ein einzigartiges Verständnis der Wahrheit zu haben, und jeder außerhalb der Gruppe wird von dieser Avantgarde wie ein erziehungsbedürftiger Idiot behandelt. Statt einer gleichberechtigten Debatte zwischen den Gefährten gibt es die Trennung von Theorie und Propaganda, wobei die Gruppe ihre eigene Theorie hat, die fast geheim gehalten wird, in dem Glauben, dass die von Natur aus weniger geistig fähigen Freier/Kunde mit irgendeiner Strategie des Populismus in die Organisation gelockt werden müssen, bevor sie mit der Politik überrumpelt werden. Diese unehrliche Methode, mit denen außerhalb der Gruppe umzugehen, ist ähnlich wie bei einer religiösen Sekte – sie werden dir nie im Voraus sagen, worum es ihnen geht.

Wir können hier einige Ähnlichkeiten mit dem Aktivismus sehen, in der Art, wie das aktivistische Milieu wie eine linke Sekte agiert.

Der Aktivismus als Ganzes hat einige der Charakteristika einer „Gang“. Aktivistische Gangs können oft als klassenübergreifende Bündnisse enden, die alle Arten von liberalen Reformisten einschließen, weil auch sie „Aktivisten“ sind. Die Leute sehen sich in erster Linie als Aktivisten und ihre primäre Loyalität gilt der Gemeinschaft der Aktivisten und nicht dem Kampf als solchem. Die „Gang“ ist eine illusorische Gemeinschaft, die uns davon ablenkt, eine größere Gemeinschaft des Widerstands zu schaffen. Die Essenz von Camattes Kritik ist ein Angriff auf die Schaffung einer inneren/äußeren Trennung zwischen der Gruppe und der Klasse. Wir kommen dazu, von uns selbst zu denken, dass wir Aktivisten sind und daher von der Masse der ArbeiterInnenklasse getrennt sind und andere Interessen haben als diese.

Unsere Aktivität sollte der unmittelbare Ausdruck eines realen Kampfes sein, nicht die Affirmation der Abgegrenztheit und Besonderheit einer bestimmten Gruppe. In marxistischen Gruppen ist der Besitz von „Theorie“ das alles entscheidende Ding, das die Macht bestimmt – im aktivistischen Milieu ist es anders, aber nicht so anders – der Besitz des relevanten „sozialen Kapitals“ – Wissen, Erfahrung, Kontakte, Ausrüstung usw. ist das primäre Ding, das die Macht bestimmt. Der Aktivismus reproduziert in seinen Operationen die Struktur dieser Gesellschaft: „Wenn der Rebell zu glauben beginnt, dass er für ein höheres Wohl kämpft, bekommt das autoritäre Prinzip Auftrieb.“15 Dies ist keine triviale Angelegenheit, sondern liegt den kapitalistischen Gesellschaftsverhältnissen zugrunde. Das Kapital ist eine durch Dinge vermittelte soziale Beziehung zwischen Menschen – das Grundprinzip der Entfremdung besteht darin, dass wir unser Leben im Dienst von etwas leben, das wir selbst geschaffen haben. Wenn wir diese Struktur im Namen einer Politik reproduzieren, die sich als antikapitalistisch deklariert, haben wir verloren, bevor wir angefangen haben. Man kann Entfremdung nicht mit entfremdeten Mitteln bekämpfen.

Ein bescheidener Vorschlag

Dies ist ein bescheidener Vorschlag, dass wir Arbeitsweisen entwickeln sollten, die unseren radikalen Ideen angemessen sind. Diese Aufgabe wird nicht einfach sein, und der Verfasser dieses kurzen Beitrag hat, wie jeder andere, keine klarere Vorstellung davon, wie wir vorgehen sollten. Ich behaupte nicht, dass der 18. Juni hätte aufgegeben oder angegriffen werden sollen, in der Tat war er ein mutiger Versuch, über unsere Grenzen hinauszugehen und etwas Besseres zu schaffen als das, was wir derzeit haben.

Aber in dem Versuch, mit antiken und formelhaften Vorgehensweisen zu brechen, hat er die Bindungen deutlich gemacht, die uns immer noch an die Vergangenheit binden. Die Kritikpunkte am Aktivismus, die ich oben geäußert habe, treffen nicht alle auf den 18. Juni zu. Es gibt jedoch ein bestimmtes Paradigma des Aktivismus, das im schlimmsten Fall all das einschließt, was ich oben skizziert habe, und der 18. Juni gehörte bis zu einem gewissen Grad zu diesem Paradigma. In welchem Ausmaß genau, das muss man selber entscheiden. Aktivismus ist eine Form, die uns teilweise durch Schwäche aufgezwungen wird.

Wie die gemeinsame Aktion von Reclaim the Streets und den Liverpooler Hafenarbeitern – wir befinden uns in Zeiten, in denen radikale Politik oft das Produkt von gegenseitiger Schwäche und Isolation ist. Wenn dies der Fall ist, liegt es vielleicht nicht einmal in unserer Macht, aus der Rolle der Aktivisten auszubrechen. Es mag sein, dass in Zeiten eines Rückgangs der Kämpfe diejenigen, die weiterhin für die soziale Revolution arbeiten, an den Rand gedrängt werden und dazu kommen, als eine besondere, separate Gruppe von Menschen gesehen zu werden (und sich selbst zu sehen). Es kann sein, dass dies nur durch einen allgemeinen Aufschwung des Kampfes korrigiert werden kann, wenn wir keine Spinner und Freaks mehr sind, sondern einfach das auszusprechen scheinen, was allen auf der Seele liegt. Um jedoch an der Eskalation des Kampfes zu arbeiten, wird es notwendig sein, mit der Rolle der Aktivisten zu brechen, in welchem Ausmaß auch immer das möglich ist – um ständig zu versuchen, an die Grenzen unserer Beschränkungen und Zwänge zu stoßen.

Historisch gesehen haben die Bewegungen, die einer De-Stabilisierung oder Beseitigung oder Überwindung des Kapitalismus am nächsten gekommen sind, überhaupt nicht die Form des Aktivismus angenommen. Aktivismus ist im Wesentlichen eine politische Form und eine dem liberalen Reformismus angepasste Arbeitsweise, die über ihre eigenen Grenzen hinausgeschoben und für revolutionäre Zwecke genutzt wird. Die aktivistische Rolle an sich muss für diejenigen, die eine soziale Revolution wünschen, problematisch sein.

(Left Bank Books/Rebel Press, 1994) – zuerst veröffentlicht 1967, S.131-3


Aktivismus aufgeben – Postskriptum

Viele der Artikel, die in der Broschüre Reflexionen über den 18. Juni abgedruckt wurden, wiederholten beinahe bis zum Eintritt der Ermüdung, dass der Kapitalismus ein soziales Verhältnis ist und nicht nur etwas mit großen Banken, Konzernen oder internationalen Finanzinstitutionen zu tun hat. Das ist ein wichtiger Punkt und es lohnt sich, darauf hinzuweisen, aber „Give up Activism“ hatte andere Fische zu braten.

Deshalb war die Schlussfolgerung, zu der diese anderen Artikel kamen, der Ausgangspunkt für diesen – wenn es stimmt, dass der Kapitalismus ein soziales Verhältnis ist, das in der Produktion und in den Beziehungen zwischen den Klassen begründet ist, welche Auswirkungen hat das dann auf unsere Aktivität und auf unsere Methode, diesen anzugreifen? Der grundlegende Kern des Beitrags und die ursprüngliche Idee, die das Schreiben dieses Beitrags inspirierte, ist der Abschnitt „Form und Inhalt“. Es war vielen Leuten aufgefallen, dass ein ‚Aktionstag gegen den Kapitalismus‘ etwas seltsam anmutet. Die ursprüngliche Inspiration für den Artikel war der Versuch, herauszufinden, was es war, das die Idee ein wenig seltsam, unpassend, widersprüchlich erscheinen ließ.

Es schien eine Ähnlichkeit zu geben zwischen der Art und Weise, wie wir uns wie liberale Aktivisten verhielten, die gegen den Kapitalismus kämpften, als ob es sich um ein weiteres einzelnes Thema, eine weitere „Sache“ handelte, und Vaneigem’s Kritik am linken Militanten, dessen Politik aus einer Reihe von Pflichten besteht, die im Namen einer externen „Sache“ ausgeführt werden. Es ist wahr, dass der Aktivist und der Militante diesen gemeinsamen Faktor teilen, aber das ist so ziemlich alles, was sie gemeinsam haben. Ich habe den Fehler gemacht, alle anderen Eigenschaften, die Vaneigem dem ‚Militanten‘ zuschreibt, zu übernehmen und sie auch dem Aktivisten zuzuordnen, obwohl sie größtenteils nicht zutreffend waren. Das Ergebnis ist, dass große Teile von ‚Give up Activism‘ viel zu hart und als ungenaue Darstellung der Direct-Action-Bewegung daherkommen. Die charakteristische Galle der Situationisten war vielleicht angemessener, wenn sie gegen linke Parteischreiber gerichtet war, als als Beschreibung der Art von Politik, die um den 18. Juni herum betrieben wurde. Die Selbstaufopferung, das Märtyrertum und die Schuldgefühle, die Vaneigem als zentral für die Politik der „Militanten“ identifiziert hat, sind viel weniger ein Merkmal der Politik der direkten Aktion, die im Gegenteil eher für das gegenteilige Versagen des Lifestylismus kritisiert wird.

Wie in einer exzellenten Kritik in der amerikanischen Publikation The Bad Days Will End! sehr schön herausgearbeitet wurde,16 sind die ursprüngliche Idee, die das Schreiben des Artikels motivierte, und dieses Aufwärmen von Vaneigem, das die Kritik des linken „Militanten“ in die des liberalen „Aktivisten“ übersetzt, in unpassender Weise miteinander verquickt, um einen Artikel zu produzieren, der ein unhandliches Amalgam aus dem Objektiven (in welcher sozialen Situation befinden wir uns? Welche Aktionsformen sind angemessen?) und dem Subjektiven (warum fühlen wir uns als Aktivisten? Warum haben wir diese Mentalität? Können wir die Art und Weise, wie wir uns selbst fühlen, ändern?). Es ist nicht so sehr, dass der subjektive Aspekt des Aktivismus gegenüber dem objektiven betont wird, sondern eher, dass die sehr realen Probleme, die mit dem Handeln als Aktivisten identifiziert werden, als bloße Produkte des Habens dieser „aktivistischen Mentalität“ gesehen werden. Give up Activism“ kann dann so gelesen werden, dass es Ursache und Wirkung umzukehren scheint und zu implizieren, dass, wenn wir diese mentale Rolle einfach „aufgeben“, sich auch die objektiven Bedingungen ändern werden:

„[Give up Activism’s] größte Schwäche ist diese einseitige Betonung der ’subjektiven‘ Seite des sozialen Phänomens des Aktivismus. Die Betonung weist auf eine offensichtliche Schlussfolgerung hin, die in der gesamten [Argumentation] impliziert ist: Wenn Aktivismus eine mentale Einstellung oder ‚Rolle‘ ist, kann sie verändert werden, so wie man seine Meinung ändert, oder abgeworfen werden, wie eine Maske oder ein Kostüm… Die Implikation ist klar: aufhören, sich zu klammern, die Rolle loslassen, ‚Give up Activism‘, und ein wesentliches Hindernis für die gewünschte Veränderung wird beseitigt.“17

Der Artikel wollte natürlich nie vorschlagen, dass wir uns einfach aus dem Problem herausdenken können. Er sollte lediglich andeuten, dass wir in der Lage sein könnten, ein Hindernis und eine Illusion über unsere Situation zu beseitigen, als einen Schritt, um diese Situation in Frage zu stellen, und dass wir von diesem Punkt aus beginnen könnten, eine effektivere und angemessenere Art des Handelns zu entdecken.

Es ist nun klar, dass das schlampige Anhängen von Vaneigem an eine Untersuchung darüber, was an einer eintägigen Aktion gegen den Kapitalismus unpassend und seltsam war, ein Fehler war, ausgelöst durch eine voreilige Aneignung situationistischer Ideen, ohne zu bedenken, wie viel Verbindung zwischen ihnen und der ursprünglichen Idee hinter dem Beitrag wirklich bestand. Die Rollentheorie ist vielleicht der schwächste Teil von Vaneigem’s Ideen und Gilles Dauvé geht in seiner „Kritik der Situationistischen Internationale“ sogar so weit zu sagen: „Vaneigem war die schwächste Seite der SI, diejenige, die alle ihre Schwächen offenbart.“18 Das ist wahrscheinlich ein wenig hart. Aber nichtsdestotrotz nahm die Art der Degeneration, die die situationistischen Ideen nach dem Zerfall der SI nach 1968 durchmachten, die schlimmsten Elemente von Vaneigems „radikaler Subjektivität“ als Ausgangspunkt und degenerierte in den schlechtesten Beispielen effektiv zu einem bourgeoisen Individualismus.19 Dass es dieses Element des situationistischen Denkens ist, das sich als das am leichtesten wiederherstellbare erwiesen hat, sollte uns zu denken geben, bevor wir es vorschnell übernehmen.

Revolution in deinem Kopf

Die Überbetonung der Rollentheorie und der subjektiven Seite in „Give up Activism“ hat dazu geführt, dass einige Leute den ursprünglichen Impuls hinter dem Beitrag nicht erkannt haben. Dieser Ausgangspunkt und diese Voraussetzung wurden vielleicht nicht deutlich genug gemacht, denn einige Leute scheinen angenommen zu haben, dass der Zweck des Artikels darin bestand, irgendeinen Punkt bezüglich der individuellen psychischen Gesundheit zu machen. „Give up Activism“ war nicht dazu gedacht, ein Artikel über oder eine Übung in radikaler Therapie zu sein. Die Hauptabsicht des Artikels, wie ungeschickt auch immer ausgeführt, war immer, über unsere kollektive Aktivität nachzudenken – was wir tun und wie wir es besser machen könnten.

Trotzdem gab es einen Grund für den „Subjektivismus“ im Hauptteil des Artikels. Der Grund, warum sich „Give up Activism“ so sehr mit unseren Ideen und unserem mentalen Bild von uns selbst beschäftigt, ist nicht, weil ich dachte, dass alles in Ordnung wäre, wenn wir unsere Ideen ändern, sondern weil ich nichts über unsere Aktivitäten zu sagen hatte. Dies war ganz klar eine Kritik, die von innen heraus geschrieben wurde, und somit auch eine Selbstkritik, und ich bin immer noch sehr stark in der „aktivistischen“ Politik engagiert. Wie ich deutlich gemacht habe, habe ich nicht unbedingt eine klarere Vorstellung davon, wie neue Aktionsformen zu entwickeln sind, die einer „antikapitalistischen“ Perspektive angemessener sind als alle anderen. Der 18. Juni war ein mutiger Versuch, genau dies zu tun, und „Give up Activism“ war keine Kritik an der Aktion am 18. Juni als solcher. Ich selbst hätte mir sicherlich nichts Besseres einfallen lassen können.

Obwohl das Papier den Titel „Give up Activism“ trägt, wollte ich keineswegs vorschlagen, dass die Menschen aufhören sollen, gentechnisch veränderte Pflanzen zu zerstören, die Stadt zu demolieren und die Versammlungen der Reichen und Mächtigen zu stören, oder irgendeine andere der unzähligen Widerstandshandlungen, die „Aktivisten“ durchführen. Ich wollte vielmehr die Art und Weise hinterfragen, wie wir diese Dinge tun, und was wir denken, dass wir tun, wenn wir sie tun. Da „Give up Activism“ wenig oder gar nichts in Bezug auf objektive praktische Aktivitäten zu empfehlen hatte, erweckte die Betonung des Subjektiven den Eindruck, dass ich dachte, diese Probleme existierten nur in unseren Köpfen.

Natürlich ist die Vorstellung, dass wir Aktivisten sind und zu einer Gemeinschaft von Aktivisten gehören, nichts anderes als die Anerkennung der Wahrheit, und daran ist nichts Pathologisches. Das Problem, das ich zu verdeutlichen versuchte, war die Identifikation mit der Aktivistenrolle – sich als radikale Minderheit glücklich zu fühlen. Ich wollte die Rolle in Frage stellen, die Leute unzufrieden mit der Rolle machen, auch wenn sie in ihr bleiben. Nur so haben wir eine Chance, ihr zu entkommen.

Natürlich sind wir durch unsere spezifischen Umstände eingeschränkt. Während einer Flaute des Klassenkampfes sind die Revolutionäre noch mehr in der Minderheit als ohnehin schon. Wir haben wahrscheinlich keine Wahl, wenn wir als eine seltsame Subkultur erscheinen wollen. Aber wir haben die Wahl, wie wir mit dieser Situation umgehen, und wenn wir die mentale Identifikation mit der Rolle ablegen, dann entdecken wir vielleicht, dass es tatsächlich einen gewissen Handlungsspielraum innerhalb unserer aktivistischen Rolle gibt, so dass wir versuchen können, uns von der aktivistischen Praxis so weit wie möglich zu lösen. Der Punkt ist, dass das Infragestellen des „subjektiven“ Elements – unseres aktivistischen Selbstbildes – zumindest ein Schritt sein wird, um die Rolle auch in ihrem „objektiven“ Element zu überwinden. Wie ich in „Gib den Aktivismus auf“ sagte, werden Aktivisten nur mit einer allgemeinen Eskalation des Klassenkampfes in der Lage sein, ihre Rolle vollständig aufzugeben, aber in der Zwischenzeit: „Um an der Eskalation des Kampfes zu arbeiten, wird es notwendig sein, mit der Rolle der Aktivisten zu brechen, soweit es möglich ist – um ständig zu versuchen, an die Grenzen unserer Beschränkungen und Zwänge zu stoßen.“ Genau das war der Punkt des Artikels.

Denn wenn wir jetzt nicht einmal über die Rolle hinaus denken können, welche Hoffnung haben wir dann, ihr jemals zu entkommen? Wir sollten zumindest mit unserer Position als radikale Minderheit unzufrieden sein und versuchen, den Kampf zu verallgemeinern und den notwendigen Umschwung herbeizuführen. Die Abschaffung der Aktivistenmentalität ist notwendig, aber nicht ausreichend, um die Rolle in der Praxis abzuschaffen.

Hoch die Arbeiter!

Obwohl „Give up Activism“ es versäumt hat, eine tatsächliche Verhaltensänderung zu empfehlen, außer zu sagen, dass wir eine brauchen, wäre es jetzt vielleicht angebracht, etwas dazu zu sagen. Wie können wir die „Politik“ aus ihrer separaten Kiste herausholen, als eine externe Sache, der wir uns widmen?

Viele der Kritikpunkte an der direkten Aktionsbewegung drehen sich um ähnliche Punkte. Der Kapitalismus basiert auf Arbeit; unsere Kämpfe gegen ihn basieren nicht auf unserer Arbeit, sondern ganz im Gegenteil, sie sind etwas, das wir außerhalb der Arbeit tun, die wir vielleicht tun. Unsere Kämpfe beruhen nicht auf unseren unmittelbaren Bedürfnissen (wie z.B. Streiks für höhere Löhne); sie erscheinen unverbunden, willkürlich. Unsere „Aktionstage“ usw. haben keine Verbindung zu einem umfassenderen, laufenden Kampf in der Gesellschaft. Wir behandeln den Kapitalismus, als wäre er etwas Äußeres, und ignorieren unsere eigene Beziehung zu ihm. Diese Punkte werden in der Kritik an der direkten Aktionsbewegung immer wieder aufgegriffen (u.a. in „Give up Activism“, aber auch an vielen anderen Stellen).

Das Problem ist nicht unbedingt, dass die Leute nicht verstehen, dass das Kapital ein gesellschaftliches Verhältnis ist und dass es mit der Produktion zu tun hat und nicht nur mit Banken und Börsen, hier genauso wie in der Dritten Welt, oder dass das Kapital ein Verhältnis zwischen Klassen ist. Der Punkt ist, dass wir selbst dann, wenn wir all das verstanden haben, immer noch als Außenstehende dastehen und entscheiden, an welchem Punkt wir dieses System angreifen. Unser Kampf gegen den Kapitalismus basiert nicht auf unserem Verhältnis zur Wertschöpfung, zur Arbeit. Im Großen und Ganzen nehmen die Menschen, die die Bewegung der direkten Aktion bilden, eine Randposition in der Gesellschaft ein, als Arbeitslose, als Studenten oder als Beschäftigte in verschiedenen befristeten und vorübergehenden Jobs. Wir leben nicht wirklich in der Welt der Produktion, sondern hauptsächlich in der Welt des Konsums und der Zirkulation. Die Einheit der Bewegung der direkten Aktion besteht nicht darin, dass alle im gleichen Beruf arbeiten oder in der gleichen Gegend leben. Es ist eine Einheit, die auf dem intellektuellen Engagement für eine Reihe von Ideen beruht.

In gewisser Weise war „Give up Activism“ unaufrichtig (wie viele der anderen Kritiken, die ähnliche Punkte ansprechen), da es zwar all diese Hinweise gab, aber nie genau erklärte, wohin sie führten, was die Tür für Missverständnisse offen ließ. Der Autor der Kritik in The Bad Days Will End! hat zu Recht auf das hingewiesen, was der Artikel andeutete, sich aber davor scheute, es tatsächlich zu erwähnen: Das Grundproblem des Aktivismus besteht darin, dass es sich nicht um einen kollektiven Massenkampf der Arbeiterklasse am Ort der Produktion handelt, wie Revolutionen eigentlich ablaufen sollten.

Die Art von Aktivität, die die Kriterien aller Kritiken erfüllt – die auf unmittelbaren Bedürfnissen basiert, in einem fortlaufenden Massenkampf, in direkter Verbindung zu unserem täglichen Leben und die das Kapital nicht als etwas behandelt, das uns äußerlich ist – ist dieser Kampf der Arbeiterklasse. Es scheint ein wenig unfair zu sein, die Bewegung der direkten Aktion dafür zu kritisieren, dass sie nicht etwas ist, was sie nicht sein kann und nie behauptet hat zu sein, aber dennoch, wenn wir vorankommen wollen, müssen wir wissen, was uns fehlt. Der Grund dafür, dass diese Art von Arbeiterkampf die offensichtliche Antwort auf das ist, was uns fehlt, ist, dass dies DAS Modell der Revolution ist, das uns die letzten hundert Jahre überliefert haben und auf das wir zurückgreifen müssen. Doch der Schatten des Scheiterns der Arbeiterbewegung hängt immer noch über uns. Und wenn dies nicht das Modell dafür ist, wie eine Revolution ablaufen könnte, was dann? Und auf diese Frage hat niemand eine wirklich überzeugende Antwort.

Eine lautstarke Minderheit

Wir stehen also vor der Frage: Was tun wir als radikale Minderheit, die eine Revolution in nicht-revolutionären Zeiten schaffen will? So wie ich es im Moment sehe, haben wir im Grunde zwei Möglichkeiten. Die erste ist, zu erkennen, dass wir als kleine Szene von Radikalen relativ wenig Einfluss auf das Gesamtbild haben können und dass, falls und wenn es zu einem Aufschwung des Klassenkampfes kommt, dieser wahrscheinlich nicht viel mit uns zu tun haben wird. Daher ist das Beste, was wir tun können, bis der mythische Tag kommt, weiterhin radikale Aktionen zu machen, eine Politik zu verfolgen, die die Dinge in die richtige Richtung treibt, und zu versuchen, so viele andere Menschen wie möglich mitzureißen, aber uns im Grunde mit der Tatsache abzufinden, dass wir weiterhin eine Minderheit sein werden. Bis zu dem Punkt, an dem es zu einer Art Aufschwung im Klassenkampf kommt, ist es also im Grunde eine Halteoperation. Wir können versuchen, zu verhindern, dass sich die Dinge verschlimmern, wir können den Finger in die Wunde legen, wir können versuchen, strategisch Schwachpunkte im System anzuvisieren, von denen wir glauben, dass wir sie treffen und etwas bewirken können, wir können unsere Theorie entwickeln, wir können unser Leben so radikal wie möglich leben, wir können eine nachhaltige Gegenkultur aufbauen, die diese Dinge auf lange Sicht fortsetzen kann… und hoffentlich werden wir, wenn eines Tages Ereignisse außerhalb unserer Kontrolle zu einer allgemeinen Radikalisierung der Gesellschaft und einem Aufschwung des Klassenkampfes führen, bereit sein, eine Rolle zu spielen und das beizutragen, was wir gelernt und welche Fähigkeiten wir als radikale Subkultur entwickelt haben.

Der Fehler in dieser Art von Ansatz ist, dass er fast wie eine andere Art von „automatischem Marxismus“ erscheint – ein Begriff, der verwendet wurde, um sich über jene Marxisten lustig zu machen, die dachten, dass eine Revolution stattfinden würde, wenn die Widersprüche zwischen den Kräften und den Produktionsverhältnissen ausreichend gereift waren, wenn die objektiven Bedingungen stimmten, so dass die Revolution fast wie ein Prozess erschien, der ohne die Notwendigkeit eines menschlichen Engagements stattfand und man sich einfach zurücklehnen und darauf warten konnte, dass sie stattfand. Diese Art von Vorstellung ist ein Fehler, der sich in das ultralinke Denken eingeschlichen hat. Wie in The Bad Days Will End! erläutert wird, haben viele ultralinke Gruppen erkannt, dass sie in Zeiten des Abschwungs zwangsläufig in der Minderheit sein werden, und haben sich dagegen ausgesprochen, dies durch irgendeine Art von Parteibildung oder durch Versuche, ihre Gruppe an die Stelle des Kampfes des Proletariats als Ganzes zu setzen, zu kompensieren. Einige ultralinke Gruppen haben diese Denkweise zu ihrem logischen Ende geführt und haben das Nichtstun zu einem politischen Prinzip gemacht. Natürlich wäre unsere Antwort nicht, nichts zu tun, aber dennoch bleibt der Punkt bestehen, dass, wenn alle in ähnlicher Weise nur darauf warten würden, dass ein Aufstand stattfindet, dieser sicherlich nie stattfinden würde. Indem wir einfach darauf warten, dass es passiert, gehen wir davon aus, dass jemand anderes es für uns tun wird, und halten eine Trennung zwischen uns und den „normalen“ Arbeitnehmern aufrecht, die es zustande bringen werden.

Die Alternative zu diesem Szenario besteht darin, aufzuhören, die Ebbe und Flut des Klassenkampfes als eine Naturgewalt zu betrachten, die einfach kommt und geht, ohne dass wir in der Lage wären, sie zu beeinflussen, und damit zu beginnen, darüber nachzudenken, wie wir die Klassenmacht aufbauen und wie wir den derzeitigen unorganisierten und atomisierten Zustand der Arbeiter in diesem Land beenden können. Das Problem ist, dass sich die soziale Landschaft des Landes in den letzten etwa zwanzig Jahren so schnell und so rasant verändert hat, dass wir davon überrascht wurden. Umstrukturierungen und Standortverlagerungen haben die Menschen zersplittert und gespalten. Wir könnten versuchen, zu einer neuen Einheit beizutragen, anstatt uns damit zu begnügen, unseren Beitrag zu leisten und auf den Aufschwung zu warten, um zu versuchen, diesen Aufschwung zu bewirken. Wir werden wahrscheinlich immer noch als Aktivisten agieren, aber in einem geringeren Ausmaß, und zumindest werden wir es uns leichter machen, den Aktivismus in Zukunft ganz abzuschaffen.

Eine Möglichkeit, dies zu tun, wird in der Kritik in The Bad Days Will End! vorgeschlagen:

„Vielleicht wären die ersten Schritte zu einem echten Anti-Aktivismus die Hinwendung zu diesen konkreten, alltäglichen, laufenden Kämpfen. Wie leisten die so genannten ‚einfachen‘ Arbeiter derzeit Widerstand gegen den Kapitalismus? Welche Möglichkeiten gibt es bereits in ihren laufenden Kämpfen? Welche Netzwerke werden bereits durch ihre eigenen Bemühungen aufgebaut?“20.

Ein aktuelles Beispiel für genau diese Dinge ist die von der deutschen Gruppe Kolinko initiierte Untersuchung von Call Centern, die in The Bad Days Will End! erwähnt wird und zu der auch in der aktuellen Unterströmung Nr. 8 ein Beitrag geleistet wurde.21 Die Idee dieses Projekts ist, dass Call Center die „neuen Ausbeuterbetriebe“ der Informationswirtschaft darstellen und dass, wenn irgendwo ein neuer Zyklus des Arbeiterwiderstands entstehen soll, dies genau der Ort sein könnte.

Es ist vielleicht auch eine Überlegung wert, dass sich die veränderten Umstände zu unserem Vorteil auswirken könnten – die Umstrukturierung des Wohlfahrtsstaates zwingt immer mehr Aktivisten in die Arbeit. Zum Beispiel könnte das oben erwähnte Call Center-Projekt eine gute Gelegenheit für uns sein, da Call Center genau die Art von Orten sind, an denen Menschen arbeiten, die von der Sozialhilfe leben müssen, und genau die Art von zeitlich begrenzten und vorübergehenden Jobs, in denen auch diejenigen arbeiten, die in der Bewegung für direkte Aktionen tätig sind. Dies könnte sicherlich dazu beitragen, die Verbindung zwischen dem Kapitalismus und unseren eigenen unmittelbaren Bedürfnissen herzustellen, und es könnte uns vielleicht ermöglichen, uns besser an der Entwicklung neuer Fronten im Klassenkampf zu beteiligen. Oder die zunehmende Auferlegung von Arbeit könnte dazu führen, dass wir noch mehr in die Scheiße geritten werden, als wir es jetzt schon sind, worauf die Regierung offensichtlich hofft. Sie versuchen, die Uhr zurückzudrehen und zu den Tagen der Sparmaßnahmen und Entbehrungen zurückzukehren, während sie gleichzeitig darauf setzen, dass die Arbeiterklasse durch zwanzig Jahre Angriffe so atomisiert und gespalten ist, dass dies nicht zu einer Rückkehr des Kampfes führen wird, der ursprünglich die Einführung dieser Verbesserungsmaßnahmen bewirkte. Nur die Zeit wird zeigen, ob sie mit ihren Bemühungen erfolgreich sein werden oder ob wir mit den unseren erfolgreich sein werden.

Abschließend möchte ich sagen, dass es vielleicht am besten wäre, wenn wir versuchen würden, beide der oben genannten Methoden zu übernehmen. Wir müssen unseren Radikalismus und unser Engagement für direkte Aktionen beibehalten und uns nicht scheuen, als Minderheit zu handeln. Aber wir können uns auch nicht einfach damit abfinden, eine kleine radikale Subkultur zu bleiben und auf der Stelle zu treten, während wir darauf warten, dass alle anderen die revolutionäre Welle für uns machen. Wir sollten vielleicht auch die Möglichkeit in Betracht ziehen, mit unserer direkten Aktion den praktischen Beitrag zu den aktuellen Arbeiterkämpfen zu ergänzen, zu dem wir uns in der Lage fühlen. In beiden oben skizzierten möglichen Szenarien handeln wir weiterhin mehr oder weniger in der Rolle des Aktivisten. Aber hoffentlich wären wir in beiden Szenarien in der Lage, die mentale Identifikation mit der Rolle des Aktivismus abzulehnen und aktiv zu versuchen, über unseren Status als Aktivisten hinauszugehen, soweit das möglich ist.


1Soweit ich weiß, wurde der Artikel ins Französische übersetzt und in Je sais tout (Association des 26- Cantons, 8, rue Lissignol CH-1201 Geneve, Schweiz) und in changes No. 93 (BP 241, 75866 Paris Cedex 18, Frankreich) veröffentlicht. Es wurde ins Spanische übersetzt und in Ekintza Zuzena veröffentlicht (Ediciones E.Z., Apdo. 235, 48080 Bilbo (Bizkaia), spanischer Staat). Er wurde in Amerika in Collective Action Notes Nr. 16-17 (CAN, POB 22962, Baltimore, MD 21203, USA) und im Vereinigten Königreich in Organise! Nr. 54 (AF, c/o 84b Whitechapel High Street, London E1 7QX, UK). Er ist auch online verfügbar unter: http://www.infoshop.org/octo/j18_rts1.html#give_up undhttp://tierra.ucsd.edu/~acf/online/j18/reflec1.html# GIVE Wenn jemand weiß, wo er sonst noch vervielfältigt oder kritisiert wurde, wäre ich dankbar, wenn er mir dies über Do or Die mitteilen würde.

2Squaring up to the Square Mile: A Rough Guide to the City of London (J18 Publications (UK), 1999) p.8

3„Direct Action: Six Years Down the Road“ in Do or Die Nr. 7, S. 3

4Raoul Vaneigem – Die Revolution des alltäglichen Lebens

5„ The Day they Drove Twyford Down“ in Do or Die Nr. 1, S. 11

6‘Personality Politics: The Spectacularisation of Fairmile’ in Do or Die No. 7, p.35

7Op. Cit. 4, p.128

8Op. Cit. 4, p.1078

9Op. Cit. 4, p.109

10Op. Cit. 4, p.108

11Op. Cit. 4, p.109

12Op. Cit. 4, p.111

13Op. Cit. 4, p.143

14Jacques Camatte – „On Organization“ (1969) in This World We Must Leave and Other Essays (New York, Autonomedia, 1995), auf Deutsch hier zum lesen: Von der Organisation

15Op. Cit. 4, p.110

16„The Necessity and Impossibility of Anti-Activism“, The Bad Days Will End!, Nr. 3, S. 4. Ich empfehle diesen Artikel sehr, und die Zeitschrift enthält auch einige andere gute Sachen. Schicken Sie $3 an: Merrymount Publications, PO Box 441597, Somerville, MA 02144, USA. E-Mail: [email protected]

17The Bad Days Will End!, p.5

18Gilles Dauvé (Jean Barrot) – „Kritik der Situationistischen Internationale“.

19 Siehe „Was ist aus den Situationisten geworden?“, Aufheben Nr. 6, S. 45

20The Bad Days Will End!, p.6

21Der Vorschlag von Kolinko wurde kürzlich in den Collective Action Notes Nr. 16-17 veröffentlicht.

]]>
(Monsieur Dupont) Revolutionäre Organisationen und individuelles Engagement https://panopticon.blackblogs.org/2024/05/13/monsieur-dupont-revolutionaere-organisationen-und-individuelles-engagement/ Mon, 13 May 2024 10:28:39 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5821 Continue reading ]]>

Monsieur Dupont

Revolutionäre Organisationen und individuelles Engagement

Einige Ratschläge für Revolutionäre von Monsieur Dupont.

1. Du musst dich nicht irgendwo anschließen – lege deine eigenen Bedingungen für das Engagement/Verpfichtungen im Milieu fest.

2. Gib nur das, was du gerne geben willst.

3. Dulde niemals moralischen Druck, an „Aktionen“ teilzunehmen. Als Antwort auf aktivistische Pfaffen sag einfach: „Wir sollten nichts tun“, um andere Grundlagen zu schaffen.

4. Die Revolution beruht nicht darauf, dass du dich einem bestimmten „Bewusstsein“ anpasst, also fühle dich nicht an Orthodoxien gebunden oder verlange/fordere dies nicht von anderen.

5. Alle Gruppen leben wirklich nur von der Arbeit von ein oder zwei Individuen, wenn du also überhaupt einen Beitrag leistest, tust du mehr als die meisten – und sprich immer als du selbst und nicht als die Gruppe.

6. Es ist möglich, pro-revolutionär zu sein und ein normales Leben zu führen; ziehe nicht nach Brighton1; nimm keine extremistische Persönlichkeit an; verwechsle nicht Pop-/Drogen-/Aussteiger-Kultur mit Revolution.

7. Wenn du versuchst, deine (oder die von anderen) Politik zu „leben“, wirst du dich weiter von anderen Menschen abgrenzen und dadurch gemeinsame Erfahrungen und Perspektiven einschränken.

8. Versuche, dich langfristig, aber mit geringer Intensität zu engagieren, und sei dir darüber im Klaren, dass dein anfänglicher Enthusiasmus nachlassen wird, da alles, was du tust, auf taube Ohren stößt und Scheitern wird.

9. Denke daran, dass die Rolle des pro-revolutionären Milieus nicht darin besteht, eine Revolution zu machen, sondern die Versuche zu kritisieren, die den Anspruch erheben, revolutionär zu sein – mit anderen Worten: dränge diejenigen, die politisiert sind, zu einem pro-revolutionären Bewusstsein.

10. Nur weil du in der Zukunft desillusioniert und ausgebrannt sein wirst und Pro-revolutionäre für Wichser hältst, heißt das nicht, dass die Revolution hoffnungslos ist.

11. Denke daran, dass die Revolution die Revolutionäre abschafft, sie spricht sie nicht heilig.

12. Beginne mit der Kritik an allen Cliquen. Wenn du auf einer Demonstration bist und dich umsiehst und alle gleich gekleidet und gleich alt sind, dann stimmt etwas nicht – rechne mit versteckten Absichten und persönlichen Lehnsansprüchen/Interessenvertretungen .

13. Gruppen sollten nur existieren, um einen bestimmten kurzfristigen Zweck zu erreichen. Alle Gruppen, die seit mehr als fünf Jahren bestehen, haben ihren Nutzen überschritten.

14. Lass dich nicht auf Kampagnen zu einzelnen Themen ein, es sei denn, du willst persönlich eine bestimmte Reform; aus Tierrechten, Legalisierung von Cannabis, Frieden usw. lässt sich keine Revolution zaubern.

15. Es gibt eine zyklische Tendenz in Gruppen, sich auf große antikapitalistische Events „aufzubauen“ – wehre dich dagegen, überlege, warum Gruppen so scharf auf Spektakel sind, und denke dann an den Tag nach dem 1. Mai.

16. Wenn jemand eine Erklärung abgibt, denke an dich selbst: wer spricht da, was meint er/sie wirklich – was will er/sie von mir?

17. Viele Pro-Revolutionäre haben anständige Jobs und kommen aus bequemen Verhältnissen und lügen dann darüber / nehmen einen Prolo-Akzent an usw. Sie haben ein Sicherheitsnetz, du auch? Gib nicht zu viel.

18. Suche nicht nach ideologischer Reinheit, so etwas gibt es nicht. Wenn es dir passt, wenn du einen Grund hast, dann nimm als Individuum an jeder reformistischen politischen Gruppe oder Institution teil, so lange du ihr keine „revolutionäre“ Bedeutung beimisst. Dein pro-revolutionäres Bewusstsein muss von allen persönlichen und politischen Aktivitäten getrennt bleiben.

19. Es besteht keine Notwendigkeit, nach „Ereignissen“ zu suchen – sie werden dich finden. Auf diese Weise wird deine Wirksamkeit vergrößert, weil du bereit bist und auf eine bestimmte Art und Weise handelst, von der die Menschen um dich herum lernen können, z.B. Solidarität, „wir und sie“, „alles oder nichts“-Perspektiven usw.

20. Wenn es dir hilft, kannst du es dir so vorstellen: Du bist ein Agent aus der Zukunft; du musst ein normales Leben unter den Umständen führen, in denen du dich befindest. Vielleicht sprichst du nie mit jemandem über all das, was du denkst, aber das macht nichts, denn wenn die Situation eintritt, wirst du vor Ort sein und in der Lage sein, alles zu sagen, was angemessen ist, weil genau das deine (und die Rolle von niemandem sonst) Rolle ist. Die ganze Zeit, in der du dich darauf vorbereitest, deinen Beitrag zu leisten, wirst du eines Tages etwas tun, von dem du keine Ahnung hast, was es ist, aber es wird wichtig sein.


1A.d.Ü., Brighton drückt hier den Euphemismus aus in eine coole Stadt zu ziehen in der was läuft. Für den deutschsprachigen Raum wäre das Äquivalent Berlin (Friedrichshain-Kreuzberg vor allem), oder Leipzig. Solche Ort variieren mit den Jahren. In den 1960ern war es Paris, in den 1970ern war es London, 1980er Berlin, Barcelona in den 90ern usw.

]]> (Jacques Camatte, Gianni Collu) Von der Organisation https://panopticon.blackblogs.org/2024/02/19/jacques-camatte-gianni-collu-von-der-organisation/ Mon, 19 Feb 2024 10:53:39 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5582 Continue reading ]]>

Übersetzt aus dem Englischen ‚De l’organisation‘ unter Zuhilfenahme des französischen Originals, sowie der spanischen Version desselben Textes. In Zusammenarbeit mit Libri Felis Nigrae übersetzt und korrigiert.

In dem hier vorliegende Text von Jacques Camatte kritisiert er alle Organisation (in Form spezifischer Gruppen/Parteien, etc.), weil diese sich nur vom Proletariat trennen können, von diesem getrennt sind und daher nur darauf streben diesen zu lenken/anführen. Camatte nennt dies die Trennung der formellen von der historischen Partei, wobei letzte sich immer nur dann bildet (ganz nach Marx) wenn das Proletariat kämpft und dadurch über sich selbst Bewusstsein erlangt und daher sich zur revolutionären Kraft (sprich Partei) bildet. Dies habe eben nichts mit der früheren sozialdemokratischen Vorstellung der Partei zu tun (Kautsky, Bernstein,…) und seinen späteren bolschewistischen Nachahmern und Schülern zu tun (Lenin, Trotsky, Stalin, Mao, sprich sämtliche leninistische Avantgard-Parteien der Welt).

Aus dem Grund, und weil auch die kapitalistische Gesellschaft auf Konkurrenz und Wettbewerb basiert (Nation-Staat vs. Nation-Staat, Unternehmen vs. Unternehmen, Prolet vs. Prolet) und dadurch ‚Rackets‘ einen System-inhärente Funktion ausüben, teilen wir den Kern der Kritik von Camatte die nach der Autonomie der Praxis, weg vom Fetisch und der Mythologie der Organisation-Partei, des Proletariats setzt. Sprich handelt es sich (auch) um eine Kritik an der Formalität, die aber nicht in in anderen Fetischen und Mythologien zerfallen soll.

Soligruppe für den sozialen Krieg und für Gefangene


Franz. Original: De l’organisation; in „Invariance“, Anne V, serie II, no. 2, 1972

Englisch: On organization; in „This world we must leave, and other essays“, Autonomedia, 1995

Spanisch: Sobre la organización


Einleitende Worte

Jacques Camatte ist ein französischer Theoretiker, der lange Zeit in der (italienischen) bordigistischen Gruppe PCI aktiv war. Nach inhaltlichen Überwerfungen gründete er in Frankreich das Magazin Invariance, dessen langjähriger Herausgeber er ist. Invariance ist auch ein Ausdruck seiner theoretischen Entwicklung, war er eben lange Zeit Teil der bordigistischen Kommunisten in Italien und entwickelte dann über Ideen, die sich eher der Tendenz der Kommunisierung zurechnen lassen zu einem Kritiker der Zivilisation und eines Vordenkers der primitivistischen Kritik.

Die hier vorliegende Kritik an Organisationen nutzt das Konzept des Rackets zu einer Beschreibung des Bandencharakters von Gruppen und besonders politischen Organisationen. Der Begriff stammt ursprünglich aus der juristischen Fachsprache vor allem der USA, wo er benutzt wird um spezifische Formen der (bandenmäßigen) Erpressung zu beschreiben und auch für die Strafverfolgung zu definieren.

Die Verwendung des Begriffs in (marxistischen) Theorien ist nicht neu. Bereits Ende der 30er, Anfang der 40er verwendeten die Vertreter der Kritischen Theorie ausgehend von Felix Weil und besonders Max Horkheimer diesen Begriff um eine Gesellschaftstheorie des Rackets zu entwickeln. Im Gegensatz zu Camatte sollte hierbei der Begriff des Rackets als Ausgangspunkt einer vollumfänglichen Gesellschaftsanalyse dienen, die das Racket/ die Bande als Kernform menschlicher Gesellschaft sieht. Offensichtlich wurden diese Ansätze nie zu Ende entwickelt und die Rackettheorie der Kritischen Theorie blieb immer fragmentarisch auf einzelne kürzere Essays beschränkt, bzw. auf einige randständige Erwähnungen in ihren Arbeiten. In der späteren Schaffensphase der Frankfurter verlor der Begriff dann auch seine Relevanz.

Camattes Versuch einer Verwendung des Rackets als Beschreibung spezifischer Gruppendynamiken und damit als Ausgangspunkt einer konkreten Kritik eben jener, dadurch fällt aber ein wichtiger Aspekt unter den Tisch: der Konflikt der Banden untereinander. Das Racket verlangt absolute Unterordnung seiner Mitglieder und ermöglicht absolute Grausamkeit gegenüber den außerhalb der eigenen Bande stehenden Menschen. Genau dies ist auch eine Rechtfertigung des Staates: der Schutz seiner Bevölkerung gegenüber den anderen Rackets bzw. den Rackets und dem Verbrechen. Für eine diejenigen, die das Projekt der Überwindung des Bestehenden ernsthaft angehen wollen, das heißt das Bestehende zu verstehen um es kritisieren zu können, ist dieses Verhältnis des Staates als Racket, als Schutz vor dem Racket und der Gefahr des Rackets Thematiken, die unumgänglich sind. Dieser Text ist ein Anfang.

Fabian Hayek für Edition Provokation


(Jacques Camatte, Gianni Collu) Von der Organisation

Der folgende Brief den wir veröffentlichen (vom 04.09.69) führte zur Auflösung der Gruppe, die sich auf der Grundlage der in Invariance1 dargelegten Positionen zu bilden begonnen hatte. Dieser eröffnete eine wichtigen Debatte-Reflexion, die seither andauert und dessen Schlussfolgerungen bereits in der Nummer acht der Serie I von „Transition“ diskutiert wurden.

Einige der in den Briefen aufgeworfenen Punkte wurden zwar teilweise angegangen, andere wurden jedoch kaum behandelt. Deshalb ist es notwendig – angesichts der Wichtigkeit eine sauberere Zäsur mit der Vergangenheit zu vollziehen – den Brief jetzt zu veröffentlichen. Die Veröffentlichung soll es den Leser ermöglichen, die bisher geleistete Entwicklung der Arbeit zu würdigen und zu erkennen, was noch zu tun ist.

Da es sich gleichzeitig um eine Zäsur (und damit um eine Schlussfolgerung) und um einen Ausgangspunkt handelt, enthält der Brief eine gewisse Anzahl von Ungenauigkeiten, Keime möglicher Fehler. Wir werden die wichtigsten davon in einer Anmerkung aufführen. Da es uns damals, nachdem wir die Methode/Modus der Gruppe abgelehnt hatten, möglich war, „konkret“ zu skizzieren, wie man Revolutionär sein kann, hätte unsere Ablehnung der Splittergruppen2 als Rückkehr zu einem mehr oder weniger Stirnerschen Individualismus interpretiert werden können. Als ob die einzige Garantie von nun an die von den einzelnen Revolutionär gepflegte Subjektivität sein würde! Weit gefehlt. Es war notwendig, eine bestimmte Wahrnehmung der sozialen Realität und die damit verbundene Praxis öffentlich abzulehnen, da sie ein Ausgangspunkt für den Prozess der Racketisierung3 waren. Wenn wir uns also völlig aus der Bewegung der politischen Splittergruppen zurückzogen, dann nur um gleichzeitig mit jeden anderen Revolutionären, die eine analoge Zäsur vollzogen hatten, in Verbindung treten zu können. Wir wollten ein Konvergenzphänomen hervorheben. Jetzt gibt es eine direkte Produktion von Revolutionären, die den Punkt, an dem wir unsere Zäsur vollziehen mussten, fast direkt übertreffen. Es gibt also eine potenzielle „Vereinigung“, die in Frage käme, wenn wir die Zäsur mit dem politischen Standpunkt nicht bis in die Tiefen unseres individuellen Bewusstseins tragen würden. Da das Wesen der Politik im Wesentlichen Repräsentation ist, versucht jede Gruppe ständig ein eindrucksvolles Bild auf der gesellschaftlichen Leinwand zu projizieren. Die Gruppen erklären immer, wie sie sich selbst darstellen, um von bestimmten Leuten als die Avantgarde für die Vertretung der Anderen, der Klasse, anerkannt zu werden. Dies zeigt sich in dem berühmten „Was uns unterscheidet“ der verschiedenen Splittergruppen auf der Suche nach Anerkennung. Jede Abgrenzung ist eine Begrenzung und führt oft sehr schnell zu einer Reduzierung der Abgrenzung auf einige repräsentative Slogans für das racketeeristische Marketing. Jede politische Repräsentation ist ein Bildschirm und damit ein Hindernis für eine Verschmelzung der Kräfte. Sie kann sowohl auf der individuellen als auch auf der Gruppenebene stattfinden, wäre der Rückgriff auf die erste Ebene für uns eine Wiederholung der Vergangenheit.

Camatte, 1972

„Wir beide geben keinen Pfifferling für Popularität. Beweis z.B., im Widerwillen gegen allen Personenkultus, habe ich während der Zeit der Internationalen die zahlreichen Anerkennungsmanöver, womit ich von verschiednen Ländern aus molestiert ward, nie in den Bereich der Publizität dringen lassen und habe auch nie darauf geantwortet, außer hie und da durch Rüffel. Der erste Eintritt von Engels und mir in die geheime Kommunistengesellschaft geschah nur unter der Bedingung, daß alles aus den Statuten entfernt würde, was dem Autoritätsaberglauben förderlich.“ Marx an Wilhelm Blos – 10.11.1877, MEW 34, S. 308.

„Kann man im bürgerlichen Umgang oder Trade dem Schmutz entgehn? Nur ist er in letztrem an seinem naturwüchsigen Ort. […] Die ehrliche Niederträchtigkeit oder niederträchtige Ehrlichkeit zahlungsfähiger […] Moral steht mir keinen Deut höher als die irrespektable Niedertracht, von der weder die ersten christlichen Gemeinden, noch der Jakobinerklub, noch unser weiland „Bund“ sich ganz rein halten konnten. Nur gewöhnt man sich, im bürgerlichen Verkehr das Gefühl für die respektable Niedertracht oder niederträchtige Respektabilität zu verlieren.“ Marx an Ferdinand Freiligrath – 29.02.1860, MEW 30, S. 492.

Die Bildung des Kapitals in der materiellen Existenz und damit in der sozialen Gemeinschaft, geht einher mit dem Verschwinden des Kapitalisten als traditionelle Figur, der relativen und manchmal absoluten Verkleinerung des Proletariats und dem Wachstum neuer Mittelschichten. Jede menschliche Gemeinschaft, und sei sie noch so klein, ist durch die Existenzweise der materiellen Gemeinschaft bedingt. Die gegenwärtige Existenzweise ergibt sich aus der Tatsache, dass das Kapital nur dann in der Lage ist, sich selbst zu verwerten, also zu existieren und sich zu entwickeln, wenn ein Teilchen von ihm, zur gleichen Zeit, in der es sich veräußert, dem gesellschaftlichen Ganzen entgegentritt und sich in Beziehung zum Gesamten vergesellschafteten Äquivalent, dem Kapital, setzt. Es braucht diese Konfrontation (Konkurrenz, Wetteifer); es existiert nur durch Differenzierung. Von diesem Punkt aus bildet sich ein soziales Gefüge, das auf dem Wettbewerb rivalisierender „Organisationen“ (Rackets) beruht.

„Er reproduziert eine neue Finanzaristokratie, eine neue Sorte Parasiten in Gestalt von Projektenmachern, Gründern und bloß nominellen Direktoren; ein ganzes System des Schwindels und Betrugs mit Bezug auf Gründungen, Aktienausgabe u n d Aktienhandel. Es ist Privatproduktion ohne die Kontrolle des Privateigentums.“ Das Kapital, 3. Band, MEW 25, S. 454.

„Die Expropriation erstreckt sich hier von den unmittelbaren Produzenten auf die kleineren und mittleren Kapitalisten selbst. Diese Expropriation ist der Ausgangspunkt der kapitalistischen Produktionsweise; ihre Durchführung ist ihr Ziel, und zwar in letzter Instanz die Expropriation aller einzelnen von den Produktionsmitteln, die mit der Entwicklung der gesellschaftlichen Produktion aufhören, Mittel der Privatproduktion und Produkte der Privatproduktion zu sein, und die nur noch Produktionsmittel in der Hand der assoziierten Produzenten, daher ihr gesellschaftliches Eigentum, sein können, wie sie ihr gesellschaftliches Produkt sind. Diese Expropriation stellt sich aber innerhalb des kapitalistischen Systems selbst in gegensätzlicher Gestalt dar, als Aneignung des gesellschaftlichen Eigentums durch wenige; u n d der Kredit gibt diesen wenigen immer mehr den Charakter reiner Glücksritter.“ Das Kapital, 3. Band, MEW 25, S.455 f.

Das Unternehmen als Sitz des Produktionsprozesses (Wertschöpfung) ist ein Ort, der die Bewegung des Kapitals bremst, es also fixiert. Es muss also diese Fixierung überwinden, diesen festen Charakter verlieren. So entsteht das eigentumslose Unternehmen, das noch eine mystifizierte Ertragsform des Mehrwerts zulässt. Hier ist das konstante Kapital gleich Null, sodass nur ein kleiner Kapitalvorschuss nötig ist, um das „Geschäft“ ins Rollen zu bringen. Schließlich gibt es sogar fiktive Unternehmen, dank derer sich die unkontrollierteste Spekulation entwickelt.

„Heute tritt das Kapital ständig in Form einer „Organisation“ auf.“ Hinter diesem Wort – in den glorreichen Tagen der Arbeitskämpfe gleichbedeutend mit Brüderlichkeit im offenen Kampf, heute aber nur noch eine heuchlerische Fiktion über das gemeinsame Interesse von Unternehmern, Verwaltern, Technikern, Hilfsarbeitern, Robotern und Aufpassern -, hinter den nichtssagenden und anti-mnemonischen Markenzeichen der Unternehmen, hinter den Begriffen „Elemente der Produktion“ und „Stimulierung des Staatseinkommens“ erfüllt das „Kapital“ noch immer seine alte, abstoßende Funktion; eine Funktion, die weit unwürdiger ist als die des Unternehmers, der zu Beginn der bürgerlichen Gesellschaft seine Intelligenz, seinen Mut und seinen wahren Pioniergeist persönlich eingebracht hat.

Die Organisation ist nicht nur der moderne entpersonalisierte Kapitalist, sondern auch der Kapitalist ohne Kapital, denn sie braucht kein Kapital…

Die Unternehmensorganisation hat ihren eigenen Plan. Es wird kein zuverlässiges Unternehmen mit Vermögenswerten gegründet, sondern eine „Firmenfront“ mit einem fiktiven Kapital4. Wenn etwas im Voraus gezahlt wird, dann nur, um die Sympathie der staatlichen Stellen zu gewinnen, die Angebote, Vorschläge und Verträge prüfen.

Dies offenbart die Falschheit der dummen Doktrin, dass die Staats- oder Parteibürokratie eine neue herrschende Klasse darstellt, die Proletarier und Kapitalisten gleichermaßen ausnimmt – eine lächerliche Hypothese, die aus marxistischer Sicht leicht zu verwerfen ist. Heute ist der „Spezialist“ ein Raubtier, der Bürokrat ein erbärmlicher Speichellecker.

Die Organisation unterscheidet sich von der Kommune der Arbeit (eine libertäre Illusion, die in keinem definierten Rahmen zu finden ist) dadurch, dass es in jeder Form statt Gleichheit der Leistung in einer gemeinsamen Arbeit eine Hierarchie der Funktionen und Leistungen gibt. Es kann nicht anders sein, wenn das Unternehmen auf dem Markt autonom ist und eine profitable Bilanz vorlegen muss.

Jüngste Berichte aus Rußland über die regionale Dezentralisierung und erweiterte Selbständigkeit einzelner Konzerne zeigen, daß die Tendenz zu einer explosionsartigen Ausweitung des Vertragssystems geht, bei dem sich der Staat in allen Wirtschaftsbereichen an Organisationen verdingt, die faktisch Geschäftsbanden sind, mit wechselnder und schwer faßbarer personeller Zusammensetzung. Dies ähnelt den verschiedenen gierigen Formen, die die moderne Bauindustrie in allen zeitgenössischen kapitalistischen Systemen kennzeichnen.“

A. Bordiga, „The Economic and Social Structure in Russia Today“ in Il programma comunista, no. 7, 1957. Edition de L’oubli 1975, pp. 230-31.

Der Staat vermietet sich nicht nur an Gangs, sondern wird selbst zu einer Gang (Racket). Trotzdem spielt er immer noch die Rolle des Vermittlers.

„Die absolute Monarchie, selbst schon Produkt der Entwicklung des bürgerlichen Reichtums zu einer mit den alten Feudalverhältnissen unverträglichen Stufe, bedarf entsprechend der gleichförmigen allgemeinen Macht, die sie fähig sein muß auf allen Punkten der Peripherie auszuüben, als des materiellen Hebels dieser Macht des allgemeinen Äquivalents, des Reichtums in seiner stets schlagfertigen Form, worin er durchaus unabhängig ist von besondren lokalen, natürlichen, individuellen Bezi[ehun]gen.“ Karl Marx, Urtext Fragment des Urtextes von „Zur Kritik der politischen Ökonomie“, II. Kapitel. [2. Das Geld als Zahlungsmittel]

Der Staat erschien in seiner reinen Form, mit der Macht des allgemeinen Äquivalents, in der Zeit des Wachstums des Wertgesetzes in der Periode der einfachen Warenproduktion. In der Phase der formellen Herrschaft des Kapitals, als das Kapital das Wertgesetz noch nicht beherrschte, war Staat ein Vermittler zwischen diesem und den Resten der anderen fortbestehenden Produktionsweisen und dem Proletariat selbst. Außerdem war in dieser Epoche das Kreditsystem noch unentwickelt und hatte noch nicht in großem Umfang fiktives Kapital hervorgebracht. Das Kapital brauchte noch einen starren Goldstandard. Mit dem Übergang zur realen Herrschaft schuf das Kapital sein eigenes allgemeines Äquivalent, das nicht mehr so starr sein konnte wie in der Periode der einfachen Zirkulation. Der Staat selbst musste seine Starrheit verlieren und zu einer Gang werden, die zwischen den verschiedenen Gangs und zwischen dem Gesamtkapital und den Einzelkapitalen vermittelt.

Die gleiche Art von Wandel können wir im politischen Bereich beobachten. Das Zentralkomitee einer Partei oder das Zentrum jeder Art von Gruppierung spielt dieselbe Rolle wie der Staat. Dem demokratischen Zentralismus gelang es nur, die für die formale Herrschaft charakteristische parlamentarische Form nachzuahmen. Und der organische Zentralismus, der lediglich in negativer Weise als Ablehnung der Demokratie und ihrer Form (Unterwerfung der Minderheit unter die Mehrheit, Abstimmungen, Kongresse usw.) bekräftigt wird, bleibt in Wirklichkeit nur in den moderneren Formen gefangen. Dies führt zu einer Mystifizierung der Organisation (wie beim Faschismus). So hat sich die PCI (Internationale Kommunistische Partei) zu einer Gang entwickelt.

Da das Proletariat vernichtet wurde, stößt diese Bewegung des Kapitals auf keinen wirklichen Widerstand in der Gesellschaft und kann sich daher umso effizienter selbst produzieren. Das wirkliche Sein des Proletariats wurde geleugnet, es existiert nur noch als Objekt des Kapitals. In ähnlicher Weise wurde die Theorie des Proletariats, der Marxismus, zerstört, indem sie zunächst durch Kautsky´s revisionistischen Werken und dann von Bernstein liquidiert wurde. Dies geschah auf endgültige Art und Weise, denn seither ist es keinem Angriff des Proletariats gelungen, den Marxismus wieder zu etablieren. Dies ist nur eine andere Art zu sagen, dass es dem Kapital gelungen ist, seine reale Herrschaft zu etablieren. Um dies zu erreichen, musste das Kapital die Bewegung, die es negiert, das Proletariat, absorbieren und eine Einheit herstellen, in der das Proletariat lediglich ein Objekt des Kapitals ist. Diese Einheit kann nur durch die Krise, wie sie von Marx beschrieben wurde, zerstört werden. Daraus folgt, dass alle Formen der politischen Organisation der Arbeiterklasse verschwunden sind. Stattdessen stehen sich Gangs in einem obszönen Wettbewerb gegenüber, regelrechte Rackets, die in dem, was sie anbieten, miteinander rivalisieren, aber in ihrem Wesen identisch sind.

Die Existenz der Gangs ergibt sich also aus der Tendenz des Kapitals, seine Widersprüche zu absorbieren, aus seiner Bewegung der Negation und aus seiner Reproduktion in einer fiktiven Form. Das Kapital negiert die Grundprinzipien, auf denen es sich aufbaut, oder neigt dazu, sie zu leugnen, aber in Wirklichkeit lässt es sie in einer fiktiven Form wieder aufleben. Das Sein der Gang ist ein deutlicher Ausdruck dieser Dualität:

– Der Anführer, der befiehlt (und seiner Clique) = Karikatur des traditionellen Individuums.

– Die kollektive Form = Karikatur der auf gemeinsamen Interessen beruhenden Gemeinschaft.

Eine Wiederaufsaugung der Bewegung der Negation wird in der Gang stattfinden, die die Verwirklichung der Erscheinung ist. Die Gang erfüllt auch eine andere Forderung des Kapitals: Sie ersetzt alle natürlichen oder menschlichen Voraussetzungen durch vom Kapital bestimmte Voraussetzungen.

In ihren Außenbeziehungen neigt die politische Gang dazu, die Existenz der Clique zu verschleiern, da sie verführen muss, um zu rekrutieren. Sie schmückt sich mit einem Schleier der Bescheidenheit, um ihre Macht zu vergrößern. Wenn sich die Clique an Außenstehende wendet (Zeitschriften, Zeitschriften und Flugblättern), meint sie, auf der Ebene der Masse sprechen zu müssen, um verstanden zu werden. Sie will sich daher mit Hilfe von unmittelbaren Daten als Vermittler etablieren. Da sie alle Menschen außerhalb (A.d.Ü., der Gang) für schwachsinnig hält, fühlt sie sich verpflichtet, Banalitäten und Blödsinn zu veröffentlichen, um sie erfolgreich zu verführen. Am Ende verführt sie sich selbst durch ihren eigenen Schwachsinn und wird so vom umgebenden Milieu aufgesogen. Aber eine andere Gang wird ihren Platz einnehmen, und ihr erstes theoretisches Wimmern wird darin bestehen, jede Missetat und jeden Fehler denen zuzuschreiben, die ihr vorausgegangen sind, und auf diese Weise nach einer neuen Sprache zu suchen, um wieder mit der großen Praxis der Verführung zu beginnen; um verführen zu können, muss sie anders als die anderen erscheinen.

Einmal in der Gang (oder irgendeiner Art von Unternehmen) ist das Individuum durch alle psychologischen Abhängigkeiten der kapitalistischen Gesellschaft an sie gebunden. Zeigt er irgendwelche Fähigkeiten, werden diese sofort ausgebeutet, ohne dass das Individuum eine Chance gehabt hätte, die von ihm akzeptierte „Theorie“ zu meistern. Im Gegenzug erhält er eine Position in der Clique, er wird zu einem Anführerchen5 ernannt. Wenn er seine Fähigkeiten nicht unter Beweis stellt, findet trotzdem ein Austausch statt: zwischen seiner Aufnahme in die Gang und seiner Pflicht, deren Position zu verbreiten. Selbst in den Gruppen, die sich den sozialen Gegebenheiten entziehen wollen, setzt sich der Bandenmechanismus aufgrund des unterschiedlichen theoretischen Entwicklungsstandes der Mitglieder der Gruppierung durch. Die Unfähigkeit, sich theoretischen Fragen eigenständig zu stellen, führt dazu, dass sich das Individuum hinter die Autorität eines anderen Mitglieds, das objektiv zum Anführer wird, oder hinter die Gruppeneinheit, die zur Gang wird, zurückzieht. In seinen Beziehungen zu Personen außerhalb der Gruppe nutzt das Individuum seine Zugehörigkeit, um andere auszuschließen und sich von ihnen abzugrenzen, und sei es nur, um sich – in letzter Konsequenz – vor der Feststellung seiner eigenen theoretischen Schwächen zu schützen. Dazugehören, um auszugrenzen, das ist die innere Dynamik der Gang, die auf einem – zugegebenen oder nicht zugegebenen – Gegensatz zwischen dem Äußeren und dem Inneren beruht. Selbst eine informelle Gruppe verkommt zu einem politischen Racket, dem klassischen Fall, dass die Theorie zur Ideologie wird.

Der Wunsch, einer Gang anzugehören, entspringt dem Wunsch, mit einer Gruppe identifiziert zu werden, die ein gewisses Prestige verkörpert, theoretisches Prestige für Intellektuelle und organisatorisches Prestige für sogenannte Praktiker. Auch die kommerzielle Logik fließt in die „theoretische“ Bildung ein. Mit einer wachsenden Masse an ideologischem Warenkapital, das es zu verwerten gilt, wird es notwendig, eine tiefe Motivation zu schaffen, damit die Menschen Waren kaufen. Die beste Motivation dafür ist: mehr lernen, mehr lesen, um oben zu sein, um sich von der Masse abzuheben. Prestige und Ausgrenzung sind die Zeichen des Wettbewerbs in all seinen Formen; so auch bei diesen Gangs, die sich ihrer Originalität, ihres Prestiges rühmen müssen, um aufzufallen. So entstehen der Kult um die Organisation und die Verherrlichung der Eigenheiten der Gang. Von da an geht es nicht mehr um die Verteidigung einer „Theorie“, sondern um die Bewahrung der Kontinuität einer Organisation (vgl. Die PCI und ihre Vergötterung der italienischen Linken).6

Der häufigste Fall hingegen ist, dass der theoretische Aneignung dazu dient, Manöver durchzuführen: zum Beispiel, um den Zugang zur Position des Anführers zu rechtfertigen oder um die Liquidierung des aktuellen Anführers zu ermöglichen.

Die Opposition zwischen Innen und Außen und die Bandenstruktur entwickeln den Geist des Wettbewerbs auf ein Höchstmaß. Angesichts der unterschiedlichen theoretischen Kenntnisse der Mitglieder wird die Aneignung von Theorien faktisch zu einem Element der politischen natürlichen Auslese, einem Euphemismus für Arbeitsteilung. Im zweiten Fall wird über die bestehende Gesellschaft theoretisiert; im ersten, unter dem Vorwand sie zu negieren, wird eine ungezügelte Konkurrenz gefördert, die in einer Hierarchisierung endet, die noch extremer ist als in der Gesellschaft im Allgemeinen; zumal sich die Innen-Außen-Opposition intern in der Spaltung zwischen dem Zentrum der Gang und der Masse der Militanten reproduziert.

Die politische Gang erreicht ihre Vollkommenheit in den Gruppen, die vorgeben, die bestehenden Gesellschaftsformen (wie den Kult des Individuums, des Anführers und der Demokratie) ablösen zu wollen. In der Praxis bedeutet die Anonymität – einfach als Anti-Individualismus verstanden – die hemmungslose Ausbeutung der Bandenmitglieder zum Profit der Führungsclique, die aus allem, was die Gang produziert, Prestige gewinnt. Die Affirmation der organische Zentralismus wird zur Verallgemeinerung der Heuchelei, denn die Gemeinheiten, die man in den Gruppen findet, die den demokratischen Zentralismus für sich beanspruchen, findet trotzdem statt, auch wenn man leugnet, dass sie stattfindet.

Was die scheinbare Einheit im Schoß der Gang aufrechterhält, ist die Erpressung mit Ausschluss. In der Tat, diejenigen, die sich nicht an die Normen halten, werden mit Verleumdungen ausgeschlossen; das Ergebnis ist dasselbe wenn sie es sind die rausgehen. Auf der anderen Seite, wirkt dies als psychologische Erpressung für diejenigen, die bleiben. Derselbe Prozess tritt in den verschiedenen Arten von Gangs auf unterschiedliche Weise auf.

In den Gangs für Geschäfte, der modernen Form des Unternehmens, wird das Individuum einfach entlassen und findet sich auf der Straße wieder.

In der straffälligenGangs (die die Wiedereingliederung der Revolte in die Gesellschaft in ihrer unmittelbaren Form, der Kriminalität, zum Ausdruck bringen, da das isolierte Individuum in die Gang eintritt, weil es nicht stark genug ist und ihm der Schutz fehlt) wird der Einzelne verprügelt oder getötet.

In der politischen Gang wird der Einzelne mit Verleumdungen ausgeschlossen, die nichts anderes als die Sublimierung des Meuchelmords sind. Die Verleumdung rechtfertigt seinen Ausschluss oder dient dazu, ihn zu zwingen, „aus freien Stücken“ auszutreten.

Es ist klar, dass die oben genannten Nuancen in der Realität in der einen oder anderen Art von Gang vorkommen können. So wie es Morde im Zusammenhang mit Geschäften gibt, so gibt es auch Abrechnungen, die zu Mord führen.

Daher ist der Kapitalismus also der Triumph der Organisation, und die Form, die sie annimmt, ist die Gang: dies ist der Triumph des Faschismus. In den Vereinigten Staaten ist das Racket auf allen Ebenen der Gesellschaft zu finden; in der UdSSR ist es dasselbe. Die Theorie des hierarchischen bürokratischen Kapitalismus ist im formalen Sinne eine Absurdität, da die Gang ein informeller Organismus ist.

Es existiert eine Alternative auf der theoretischen Ebene, die Verherrlichung der Disziplin, die Forderung nach der Reinheit des Militanten (vgl. die Gruppe „Rivoluzione comunista“, die 1964 mit der KPI in der Frage der Schaffung einer echten Elite von Militanten brach, die nichts anderes tun würde, als die Positionen des „Ultrabolschewismus“ wiederzubeleben, den Lukács als Alternative zur opportunistischen Massenpartei sah, zu der die KP Deutschlands innerhalb von zwei Jahren geworden war (vgl. „Methodisches zur Organisationsfrage“, in Geschichte und Klassenbewusstsein). Auch auf der Ebene des Sexuallebens ist die Alternative zur Auflösung der Sitten die Askese. Allerdings bewegt sich eine solche Alternative im Rahmen der kapitalistischen Gesellschaft. Sie ist nicht mit dem Wesen der Klasse und damit mit ihrer Zukunft verbunden. Da eine solche Vision von der Realität abstrahiert, entsteht zudem eine Kluft zwischen Theorie und Praxis.

All dies ist Ausdruck der zunehmenden Trennung des Individuums von der menschlichen Gemeinschaft, der Misere im Sinne von Marx. Die Bildung der Gang ist die Konstituierung einer illusorischen Gemeinschaft. Im Falle der deliktiven Bande ist sie das Ergebnis der Fixierung auf den Urinstinkt der Revolte in ihrer unmittelbaren Form. Die politische Gang hingegen will ihre illusorischen Gemeinschaft als Modell für die ganze Gesellschaft hochhalten. Dabei handelt es sich um utopisches Verhalten ohne jede reale Grundlage, denn die Utopisten bildeten Gemeinschaften – die alle mitsamt vom Kapital absorbiert wurden – von denen sie erwarteten, dass diese (A.d.Ü., die Gemeinschaften) die gesamte Menschheit einbeziehen würden und von dieser nachgeeifert werden würden. Daher ist dieser Satz aus der Eröffnungsrede der Ersten Internationale aktueller denn je: „Die Emanzipation der Arbeiter muss die Aufgabe der Arbeiter selbst sein.“

Entweder nimmt das Proletariat heute die kommunistische Gesellschaft vorweg und verwirklicht die Theorie, oder es bleibt, was die Gesellschaft bereits ist. Die Mai-Bewegung 1968 war der Beginn dieser Vorwegnahme: Daraus folgt, dass das Proletariat sich in keiner wie auch immer gearteten Organisation wiedererkennen kann, weil es bereits in anderen Formen unter ihnen leidet. Die Mai-Bewegung hat dies deutlich gezeigt.7

Da das Proletariat zerstört wurde, ist seine Seinsform in der unmittelbaren Wirklichkeit der Prozess des Kapitals selbst. Zu Marx‘ Zeiten bestand das Schicksal der Arbeiterparteien, die die Frucht der unmittelbaren Bewegung des Proletariats in der damaligen Gesellschaft waren, darin, sich in das Spiel der bourgeoisen parlamentarischen Regeln einzufügen. Heute, da die scheinbare Gemeinschaft, die sich im Himmel der Politik durch die Parlamente und ihre Parteien konstituiert, durch die Entwicklung des Kapitals aufgelöst wurde, sind die „Organisationen“, die behaupten, proletarisch zu sein, nicht mehr als bloße Gangs oder Cliquen, die dank der Vermittlung des Staates dieselbe Rolle spielen wie alle anderen Gruppen, die direkt im Dienst des Kapitals stehen. Es handelt sich um die Phase der Splittergruppen, in der diese Parteien und Gruppierungen im Gegensatz zu den Sekten zu Zeiten von Marx, die durch die Einheit der Arbeiterbewegung überwunden werden mussten, die Abwesenheit des Klassenkampfes zum Ausdruck bringen. Sie bestreiten die Überreste des Proletariats; sie theoretisieren die unmittelbare Realität des Proletariats und stellen sich gegen seine Bewegung. In diesem Sinne erfüllen sie die Forderungen der Eindämmung des Kapitals. Das Proletariat muss sie also nicht überwinden, wie im Falle der Sekten, sondern sie vernichten.

Die Kritik des Kapitals sollte daher eine Kritik des Rackets in all seinen Formen sein, des Kapitals als sozialer Organismus; das Kapital wird zum realen Leben des Individuums und seiner Seinsweise mit anderen (vgl. hierzu: Marcuse, Der eindimensionale Mensch und Galbraith, Der neue Industriestaat). Die Theorie, die das Racket kritisiert, kann ihn nicht reproduzieren. Also Ablehnung jeglichen Gruppenlebens (sonst Illusion der Gemeinschaft). Zu diesem Thema können wir die Kritik von Engels auf dem Kongress von Sonvillers wieder aufgreifen. Was er damals über die Internationale sagte, kann heutzutage an die Gruppe angewendet werden. Man kann es wie folgt zusammenfassen: Zu Marx‘ Zeiten konnte das Proletariat nicht so weit gehen, sich selbst zu negieren – in dem Sinne, dass es sich im Laufe der Revolution als die herrschende Klasse etablieren musste: 1848, 1871, 1917. Es gab eine endgültige Trennung zwischen der formalen Partei und der historischen Partei. Heute kann die Partei nur noch die historische Partei sein. Jede formelle Bewegung ist die Reproduktion dieser Gesellschaft, und das Proletariat steht im Wesentlichen außerhalb dieser Gesellschaft. Eine Gruppe kann auf keinen Fall vorgeben, die Gemeinschaft zu verwirklichen, ohne sich an die Stelle des Proletariats zu setzen, das allein dazu in der Lage ist. Daher die Einleitung einer Verzerrung, die theoretische Zweideutigkeit und praktische Heuchelei hervorruft.

Es reicht nicht aus, die Kritik des Kapitals zu entwickeln oder gar zu behaupten, dass es keine organisatorischen Zusammenhänge gibt; es ist notwendig, die Reproduktion der Gangstruktur zu vermeiden, da sie das spontane Produkt der Gesellschaft ist. Dies sollte die Grundlage der Kritik der italienischen Linken und unserer Existenzweise seit dem Zäsur mit der PCI sein.

Der Revolutionär darf sich nicht mit einer Gruppe identifizieren, sondern muss sich in einer Theorie wiedererkennen, die weder von einer Gruppe noch von einer Zeitschrift/Publikation abhängt, weil sie Ausdruck eines bestehenden Klassenkampfes ist. Das ist eigentlich der korrekte Begriff der Anonymität und nicht die Negation des Individuums (die die kapitalistische Gesellschaft selbst hervorbringt). Die Zustimmung ist also die zu einer Arbeit, die bereits im Gange ist und die weiterentwickelt werden muss. Aus diesem Grund sind theoretische Kenntnisse und der Wunsch nach theoretischer Entwicklung absolut notwendig, wenn sich das Professor-Schüler-Verhältnis – eine andere Form des Widerspruchs zwischen Geist und Materie, Anführer und Masse – nicht wiederholen und die Praxis der Gefolgschaft wiederbeleben soll. Außerdem muss sich der Wunsch nach theoretischer Entwicklung auf autonome und persönliche Weise verwirklichen und nicht durch eine Gruppe, die sich als eine Art Diaphragma zwischen dem Individuum und der Theorie aufstellt.

Es ist notwendig, auf Marx‘ Haltung nach 1851 gegenüber allen Gruppen zurückzukommen, um zu verstehen, wie der Bruch mit der Praxis der Gangs erfolgen muss::

– sich weigern, eine Gruppe, und sei es auch nur eine informelle, wiederzugründen (vgl. den Briefwechsel zwischen Marx und Engels, verschiedene Werke über die Revolution von 1848 und Pamphlete wie „Die großen Männer des Exils“, 1852).

– ein Netz von persönlichen Kontakten zu Personen unterhalten, die den höchsten Grad an theoretischem Wissen erreicht haben (oder dabei sind, dies zu tun): Antimitläufertum, Antipädagogik; die Partei in ihrem historischen Sinn ist keine Schule.8

Die Aktivität von Marx bestand immer darin, die wirkliche Bewegung, die zum Kommunismus führt, aufzuzeigen und die Errungenschaften des Proletariats in seinem Kampf gegen das Kapital zu verteidigen. Daher die Position von Marx im Jahr 1871, als er den „unmögliche Kommunismus“ in der Aktion der Pariser Kommune aufdeckte oder erklärte, dass die Erste Internationale weder das Kind einer Theorie noch einer Sekte war. Es ist notwendig, die gleiche Aktivität jetzt anzugehen. Diejenigen, die sich mit dem in dieser Publikation/Zeitschrift dargelegten Werk in Verbindung setzen wollen, um es weiterzuentwickeln und für eine detailliertere, präzisere und klarere Darstellung zu sorgen, sollten ihre Beziehungen in die Richtung lenken, die oben in der Diskussion des marxschen Werkes angegeben wurde. Wenn sie dies nicht tun, werden sie in die Praxis der Gang zurückfallen.

Daraus folgt, dass es auch notwendig ist, eine Kritik an der Konzeption des „Programms“ der italienischen kommunistischen Linken zu entwickeln. Dass dieser Begriff des „kommunistischen Programms“ nie ausreichend geklärt wurde, zeigt die Tatsache, dass an einem bestimmten Punkt die Martov-Lenin-Debatte im Herzen der Linken wieder aufflammte. Die Polemik war bereits das Ergebnis der Tatsache, dass die Marx’sche Konzeption der revolutionären Theorie zerstört worden war, und sie spiegelte eine vollständige Trennung zwischen den Konzepten von Theorie und Praxis wider. Für das Proletariat ist der Klassenkampf im Sinne von Marx gleichzeitig Produktion und Radikalisierung des Bewusstseins. Die Kritik des Kapitals ist Ausdruck eines Bewusstseins, das bereits durch den Klassenkampf hervorgebracht wurde und dessen Zukunft vorwegnimmt. Für Marx und Engels ist die proletarische Bewegung = Theorie = Kommunismus.

„Herr Heinzen bildet sich ein, der Kommunismus sei eine gewisse Doktrin, die von einem bestimmten theoretischen Prinzip als Kern ausgehe und daraus weitere Konsequenzen ziehe. Herr Heinzen irrt sich sehr. Der Kommunismus ist keine Doktrin, sondern eine Bewegung; er geht nicht von Prinzipien, sondern von Tatsachen aus. Die Kommunisten haben nicht diese oder jene hilosophie, sondern die ganze bisherige Geschichte und speziell ihre gegenwärtigen tatsächlichen Resultate in den zivilisierten Ländern zur Voraussetzung […] Der Kommunismus, soweit er theoretisch ist, ist der theoretische Ausdruck der Stellung des Proletariats in diesem Kampfe und die theoretische Zusammenfassung der Bedingungen der Befreiung des Proletariats.“ Die Kommunisten und Karl Heinzen, zweiter Artikel, MEW 4, S. 321 f.

Das Problem des Bewusstseins, das von außen kommt, gab es für Marx eigentlich nicht. Es gab keine Frage der Entwicklung von Militanten, des Aktivismus oder des Akademismus. Auch die Problematik der Selbsterziehung der Massen im Sinne der Rätekommunisten (falsche Jünger von R. Luxemburg und echte Jünger des pädagogischen Reformismus) stellte sich für Marx nicht. Rosas Luxemburgs Theorie der Klassenbewegung, die von Beginn des Kampfes an die Bedingungen für ihre Radikalisierung in sich selbst findet, kommt der Position von Marx am nächsten (vgl. ihre Position zur „Kreativität der Massen“, die zeigt, dass er das Proletariat über seine unmittelbare Existenz hinaus zu begreifen vermochte).

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, die bourgeoise Form der Wahrnehmung und Vorstellung der gesellschaftlichen Wirklichkeit zu überwinden und, wie Marx es tat, Hegels Nachweis des vermittelnden Charakters jeder Form von Unmittelbarkeit wieder aufzugreifen. Denn es ist charakteristisch für das „wissenschaftliche“ Denken, die unmittelbare Tatsache als den eigentlichen Gegenstand der Erkenntnis zu akzeptieren, ohne die ihr zugrunde liegende Vermittlung wahrzunehmen und zu begreifen. Auf der Grundlage einer solchen Gnoseologie wird in der kapitalistischen Gesellschaft der gesellschaftliche Schein zur Wirklichkeit und umgekehrt. Das wirkliche Wesen des Proletariats wird verborgen und die Klasse wird in ihrer scheinbaren Lebensform wahrgenommen. Daraus ergibt sich das Problem des Bewusstseins, das von außen kommt, und die Tatsache, dass, wenn das Proletariat sein wahres Wesen offenbart (1905-1917), alle verblüfft und entgeistert sind.

Die italienische kommunistische Linke hat trotz ihrer besseren theoretischen Fähigkeiten im Bereich des Proletariats 1950 keine endgültige Zäsur mit ihrer Vergangenheit (1919-1926) vollzogen. Ihre Kritik am Trotzkismus, am Rätekommunismus usw. führte nicht zu einer vollständigen Wiederherstellung der Marx’schen Vorstellungen von der Partei und vom Proletariat. Aus diesem Grund schwankten ihre offizielle Position und ihr tatsächliches Wesen zwischen einer programmatischen Auffassung als „marxistische Schule“ und einem kleinlichen Aktivismus trotzkistischer Prägung. Dieser zweite Aspekt wurde nach 1960 dominant, da eine Clique von Gangstern, die der Theorie und dem Proletariat völlig fremd waren, die „Schule“ in Besitz nahm, vor allem dank ihrer anhaltenden Zweideutigkeit bei einigen lebenswichtigen Problemen: der Gewerkschafts- und Syndikatsfrage und dem Begriff der „Avantgarde des Proletariats“, der in den Akten und in der offiziellen Diskussion eigentlich abgelehnt wurde, aber im offiziellen Kanon der Partei fortbestand. Damals wurde die Martow-Lenin-Debatte über die Frage der Organisation wiederbelebt, was zeigte, dass diese Strömung definitiv tot war, und zu ihrem Begräbnis dritter Klasse im Mai ’68 führte.

Es sei darauf hingewiesen, dass wir seit unserem Austritt aus der PCI versucht haben, die diskutierte Zweideutigkeit zu beseitigen, indem wir unser Bestes taten, um die positiven Aspekte der Linken aufzuzeigen. Dies führte nur dazu, dass wir die Linke kultivierten und zu ihrem extremsten Ausdruck wurden (vgl. Die Artikel von Invariance). Und das führte dazu, dass wir in eine Gruppenpraxis zurückfielen. Obwohl wir unsere Gruppe als „informell“ betrachteten, brachte sie die unvermeidliche Tendenz mit sich, sich an die Stelle des Proletariats zu setzen. Es geht nicht mehr darum, über die Anpassung im Herzen der Linken zu streiten, sondern anzuerkennen, dass, wenn es eine Anpassung gegeben hat, dies darauf zurückzuführen ist, dass die Theorie nicht von Anfang an eine integrale Theorie des Proletariats war. Daher reicht es nicht mehr aus, zu sagen, dass die Gründung der Partei 1943 verfrüht war; man muss sagen, dass sie eine Absurdität war. Dementsprechend ist es notwendig, mit unserer Vergangenheit zu brechen und zu der Position von Marx zurückzukehren.

Dieser Brief wurde nicht so sehr als eine endgültige und erschöpfende Behandlung des besprochenen Themas verfasst; er ist als eine Zäsur mit der Vergangenheit der „ganzen“ Gruppe gedacht. Die folgenden Unterschriften sollen diesen Bruch unterstreichen und bedeuten nicht, dass wir unsere frühere Position zum Thema Anonymität aufgegeben haben.

Jacques Camatte – Gianni Collu


1Invariance ist eine Zeitschrift, die 1968 unter anderem auf Initiative von Jacques Camatte gegründet wurde, kurz nachdem dieser 1966 mit der Internationalen Kommunistischen Partei gebrochen hatte. Hier kann man auf Französisch bis 1980, die Zeitschrift gibt es noch, lesen.

2A.d.Ü., im Original groupuscule gemeint sind kleine, radikale Gruppen, und/oder Splittergruppen.

3A.d.Ü., aus dem Englischen racket, siehe Einleitung.

4„Fiktiv“ kommt im italienischen Original von finto, was nicht dem Begriff „fiktiv“ im Kapital entspricht, ihm aber nahe kommt (Anmerkung des Übersetzers der englischen Fassung).

5A.d.Ü., die Körpergröße spielt hier gar keine Rolle, es geht nur darum die Figur des Anführers lächerlich darzustellen, aus dem Französischen cheffaillon.

6A.d.Ü., hierbei handelt es sich um die Internationale Kommunistische Partei (bordigistisch) Partito Comunista Internazionalista.

Amadeo Bordiga und die ihm nahestehenden Theoretiker wurden als die italienische kommunistische Linke bezeichnet. Genauer gesagt, bezieht sich „die italienische Linke“ auf die italienische linkskommunistische Tradition: die linke Opposition in der Sozialistischen Partei Italiens (1910/12, 1921), die Leitung der Kommunistischen Partei Italiens (1921-24), die linke Opposition in der Kommunistischen Partei Italiens (1924-26), die linkskommunistische Fraktion in Belgien und Frankreich (Bilan und Prometeo: 1926-43), den Wiederaufbau des italienischen Linkskommunismus (Battaglia Comunista, Prometeo 1944-52) und die Internationale Kommunistische Partei (il programma comunista: 1952-70; Bordiga starb 1970). (Anm. d. Übersetzers der englischen Fassung)

7A.d.Ü., gemeint ist die aus dem Jahr 1968.

8Von der Wiederaufnahme einer Haltung zu sprechen, die Marx zu einem bestimmten Zeitpunkt seiner revolutionären Tätigkeit eingenommen hatte, entspringt dem tiefgreifenden Missverständnis, dass die Phase der formalen Herrschaft des Kapitals vollständig vorbei sei. Nun musste Marx nur noch in dieser Periode Stellung beziehen. Andererseits war sein theoretisches Verhalten in der Frage der Partei nicht so starr, wie der Brief vermuten lässt. Das inakzeptabelste an den obigen Aussagen ist jedoch, dass sie über den Umweg einer elitären Theorie der Entwicklung der revolutionären Bewegung den Weg für eine neue, von außen kommende Bewusstseinstheorie öffnen könnten.
Die Ablehnung jeglicher Organisation ist nicht einfach eine anti-organisatorische Position. Das Verbleiben in der Organisation wäre nur die Äußerung eines Verlangens nach Originalität, ein Versuch, sich von der Masse abzuheben und so eine gewisse Anzahl von Elementen anzuziehen… Von dort aus würde sich der Prozess der Racketisierung wieder entfalten.
Unsere Position zur Auflösung der Gruppen ergibt sich zum einen aus dem Studium der Entwicklung der kapitalistischen Produktionsweise und zum anderen aus unserer Charakterisierung der Mai-Bewegung. Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass das revolutionäre Phänomen im Gange ist und dass, wie immer – besonders in diesem Bereich – das Bewusstsein der Aktion folgt. Das bedeutet, dass die Revolutionäre in der großen Bewegung der Revolte gegen das Kapital ein bestimmtes Verhalten an den Tag legen werden – das nicht ein für alle Mal garantiert werden kann -, das mit dem entscheidenden und entschlossenen Kampf gegen das Kapital vereinbar ist.
Wir können den Inhalt einer solchen Organisation vorhersehen. Sie wird das Streben nach menschlicher Gemeinschaft mit der Bejahung des Individuums verbinden, was das charakteristische Merkmal der gegenwärtigen revolutionären Phase ist. Sie wird die Versöhnung des Menschen mit der Natur anstreben, denn die kommunistische Revolution ist auch ein Aufstand der letzteren gegen das Kapital; andererseits werden wir nur durch ein neues Verhältnis zur Natur überleben können und damit den zweiten Begriff der Alternative beschwören, vor der wir heute stehen: Kommunismus oder Vernichtung der menschlichen Gattung.
Um diese organisatorische Entwicklung besser zu verstehen, um das, was kommen wird, zu erleichtern und nicht zu behindern, ist es von nun an wichtig, alle alten Formen abzulehnen und ohne Vorurteile an der großen Bewegung unserer Befreiung teilzunehmen. Diese entwickelt sich auf globaler Ebene, und alles, was den revolutionären Wandel behindern könnte, muss beseitigt werden. Die revolutionäre Strömung wird sich unter den gegebenen Umständen und im Zuge konkreter Aktionen nicht nur passiv und spontan strukturieren, sondern die Anstrengung des Nachdenkens immer auf die Frage richten, wie das wahre Gemeinwesen und der soziale Mensch zu verwirklichen sind, was die Versöhnung des Menschen mit der Natur voraussetzt. (Anmerkung von 1972).

]]> (Alfredo Maria Bonanno) Gegen die Amnestie https://panopticon.blackblogs.org/2023/03/22/alfredo-maria-bonanno-gegen-die-amnestie/ Wed, 22 Mar 2023 11:24:40 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=4856 Continue reading ]]>

Gefunden auf der Seite von Edizione Anarchismo, die Übersetzung ist von uns, wir entschuldigen uns für alle Übersetzungsfehler die auf diesen Text erscheinen mögen.


Und wir werden immer bereit sein, den Himmel wieder zu erobern

Gegen die Amnestie

von Alfredo Maria Bonanno


Einleitung der Soligruppe für Gefangene,

der folgende Text erschien in der Nummer 42 der anarchistischen Publikation Anarchismo aus Italien, die im März des Jahres 1984 veröffentlicht wurde. Auch wenn es den Anschein machen sollte, dass wir wieder einen alten staubigen Text ausgraben, wir versichern es jedem, der es wissen will, dem ist nicht so.

Dieser Text hat in allerlei Hinsicht nichts an seiner Aussagekraft verloren und ist gewiss noch sehr aktuell und daher ist es kein Zufall, dass wir diesen seit einiger Zeit im Blick haben. Der Text beschäftigt sich mit vielen Fragen über den Umgang und der Kritik einer möglichen politischen Lösung – mittels einer Amnestie, oder anderen Wegen – die tausende von Gefangenen, die sich damals in den Knästen entlang des italienischen Staates befanden, betraf und bis heute noch betrifft, genauso wie es diejenigen betrifft, die immer noch im Exil und auf der Flucht sind. Sowie über die Fragen des Kampfes, der sozialen Revolution, also eine komplexe, breite und ausgiebige Debatte bei der man viele Faktoren berücksichtigen muss, um die Gleichung zu verstehen. Die Rede ist hier zwar von einer konkreten Zeit, nämlich die, die so viele Namen trägt und sich in Italien von 1969 bis 19811 ausdrückte und als eine der intensivsten Klassenkonfrontation unserer Zeit auch verstanden wird, zumindest im Herzen der Bestie, in der Metropole des Kapitals, aber die seit langem vorbei ist, diese konkrete Erfahrung, nicht der soziale Krieg und der Klassenkampf im Allgemeinen und diese jetzige Zeit, in der wir uns befinden, die davon bestimmt wird.

Zurückblickend wird die Vielfältigkeit dieser realen Bewegung von 1969 bis 1981 auf vielen Ebenen greifbar, seien es die Streiks, die Revolten, die Aufstände, die hochgradige Auseinandersetzung in den Fabriken, in den Universitäten, Schulen, Stadtteilen, im alltäglichen Leben; durch die autonome Organisation des Proletariats, durch die Bewaffnung von diesem und alle Probleme, Widersprüche, Lösungen, Sackgassen und befreiende Momente, die aus dem ganzen herausgingen.

Aus diesem sozialen Krieg und Klassenkrieg ging eine Spezialisierung hervor, die Bildung bewaffneter Gruppen. Aus ihnen die militärische Logik und das militärische Verständnis des Konflikts gegen Staat und Kapital und die daraus folgende Trennung zwischen der realen Bewegung und jene, die früher oder später losgelöst von ihr, nur noch in ihrem und in dessen Namen reden würde und auch nur noch so reden konnte.

Also, sehr viel was zu berücksichtigen ist und für viele heutzutage nicht gerade viel bedeutet.

Im Laufe des Textes ist die Rede von politischen Gefangenen, es werden jene Gefangene gemeint, die aus der Konfrontation gegen Staat und Kapital in der Zeit von 1969 bis 1981 eingesperrt wurden, und Protagonisten späterer Auseinandersetzungen wurden. Nicht alle die bewaffnet agierten waren in bewaffneten Gruppen, der Kampf artikulierte sich nicht ausschließlich mit der Waffe und nicht alle, die in bewaffneten Gruppen waren, kämpften ja auch mit der Waffe in der Hand.

Wir lehnen diesen Begriff zwar im Allgemeinen ab, aber aus logischer Rücksicht auf den Originaltext und hinsichtlich einer spezifischen Gruppe von Gefangenen ergibt dieser Begriff in diesem Kontext einen Sinn.

Es bedeutet, dass in Italien eine Debatte und Diskussion im Gange war, die sich mit dem Werdegang der Kämpfe auseinandersetzte, oder mit den Trümmern, die von diesen hinterlassen wurden. Große dialektische und historische Debatten die damals das Vergangene, das Geschehene und das Kommende diskutierten. Aus Sicht der Gefangenen, aus Sicht der im Exil lebenden und aus Sicht der Personen die noch nicht im Knast waren. Denn jeder Revolutionäre ist immer nur so lange „Frei“ wie er oder sie noch nicht im Knast ist und dies ist eine absolute Garantie für das unausweichliche.

Ein Teil der Bewegung, versuchte für sich die Bedingungen der Niederlage so günstig wie möglich zu verhandeln, denn im Kapitalismus ist die Verhandlung ein wichtiger und essentieller Moment, und dies zieht sich bis in unsere Tage. Dazu werden wir aber in kommender Zeit einen spezifischen Text dazu veröffentlichen, welche diese Fragen um konkrete Fälle, aber auch aus einer historischen Haltung und Perspektive abhandeln wird.

Wir haben einige Begriffe aus dem Italienischen übernommen, weil erstens diese die ursprüngliche Begriffe sind und am besten das beschreiben, was sie meinen und bedeuten.

Es handelt sich um folgende Begriffe, sowie hier eine Erklärung dieser2:

Pentito: Der Reuige, Kronzeuge, Verräter, ehemalige Militante, die mit Polizei und Justiz zusammenarbeiten und aus „Reue“ ihre ehemaligen GenossInnen verraten. Die Pentiti konnten unglaubliche Strafnachlässe erhalten, was oftmals dazu führte, dass sie wilde Geschichte erfanden und unzählige Leute belasten, denn für die Strafnachlässe mussten sie etwas bieten.

Dissociato: Der Losgesagte, „Abschwörer“; jemand, der dem bewaffneten Kampf abschwört, sich als von seiner Geschichte und Praxis im bewaffneten Kampf lossagt und für die Distanzierung Strafnachlässe erhält.

Irriducibili, „Unbeugsame“ werden jene genannt, die weiterhin zur Linie des bewaffneten Kampfes stehen.“

Da einerseits die Linke des Kapitals und anderseits Anarchistinnen und Anarchisten wieder mehr Repression erleben und das Thema der Repression, des Verrates und anderen Dingen wieder zur Debatte stehen, kann dieser Text sicherlich für einige eine inspirierende Hilfe sein.


Vorwort der italienischen Ausgabe von 1984

In den letzten vierzehn Jahren haben die „politischen Flüchtlinge“ eine Gegeninformationsarbeit über die Realität der Klassenkonfrontation in Italien und über spezifische Veröffentlichungsversuche entwickelt; all diese Dokumentationen, die notwendigerweise unzureichend sind, boten uns nur einen teilweisen Ausdruck der revolutionären Bewegung und nur bestimmte Aspekte der bewaffneten Erfahrung in diesem Land.

Der Text, den wir hier veröffentlichen und der in der Ausgabe Nr. 42 der italienischen anarchistischen Zeitschrift Anarchismo erschienen ist, kann sich in diese Dokumentation einfügen. Seine Kritik an bestimmten Modellen und Methoden, die von bewaffneten Organisationen entwickelt wurden, ist keine generelle Ablehnung des bewaffneten Kampfes der letzten Jahre. Sie versucht, den positiven Aspekt dieses Kampfes darzustellen, der in der politischen Lösung verschwunden ist, die ein Teil der Bewegung gegenwärtig zu verwirklichen versucht.

Von den Thesen der Verallgemeinerung der Gewalt der Arbeiterklasse in den 70er Jahren bis hin zur militärischen Hinrichtung von R.L. Hunte (Leiter der „Internationalen Beobachtungstruppe“ im Sinai), der im vergangenen Februar in Rom von den Roten Brigaden getötet wurde, wird ihre Entfernung von den „Massenzielen“, auf die sie hinarbeiteten, immer deutlicher. Die militärischen Ziele der bewaffneten Partei sind die einzige Art und Weise, wie das Problem des Klassenkrieges gestellt wurde. Das vorgebliche Fehlen einer gründlicheren Dialektik zwischen der Organisation und den Massen hätte es dem Proletariat nicht erleichtern können, ein Projekt, das es nicht interessiert – das der eigenen Diktatur – aufzugeben.

Gegenwärtig wird angesichts des Problems der pentiti oder der dissociati und in Anbetracht der tragischen Situation von Tausenden von inhaftierten Gefährten ein Projekt des Kampfes für eine Amnestie vorgeschlagen. Anstatt einen schmerzhaften Kampf fortzusetzen oder die Beweise des Staates umzudrehen, wollen einige eine kollektive Amnestie vom Staat erwirken, um danach neue Zyklen des revolutionären Kampfes zu beginnen.

Innerhalb der französischen libertären Bewegung haben wir über dieses Projekt gesprochen, indem wir es mehr oder weniger mit konkreten Kämpfen gegen Gefängnisse und Repression in Italien in Verbindung gebracht haben. Wir hätten die Verurteilung der Methoden der bewaffneten Formationen durch dieses Projekt begrüßt, aber wir müssen angesichts der offensichtlichen Zweideutigkeit im Engagement für diesen Kampf objektiver denken. Die Wahl des vorliegenden Textes trägt zu diesem Denken bei. Wir stellen unsererseits fest, dass eine Kritik an der Undurchführbarkeit des bewaffneten Modells dieser scheiternden Organisationen, wenn sie sich auf die reine und einfache Kapitulation beschränkt, eine spätere Entwicklung des libertären und aufständischen bewaffneten Kampfes negativ beeinflussen könnte.

Die Gefährten der Publikationen Révolte et Liberté.


Einleitung von Pierleone Porcu

Bevor es den Revolutionären einfiel, sorgte der Staat frühzeitig dafür, das Vakuum, das die zersplitterte Bewegung hinterließ, zu verwalten, indem er das Projekt der Abschwörung in die Tat umsetzte. Wer mit lauter Stimme die Rückgabe3 der Gefährten mit allen Mitteln fordert, darf sich hinterher nicht darüber beklagen, sich an der Seite von fügsamen Kreaturen, von Instrumenten in den Händen der Macht, wiederzufinden.

Noch nie haben sich Wahrheit und Lüge auf der politischen Bühne Italiens so überlagert wie heute, bis hin zu einem Spektakel von Positionen, die von der Regierung und der institutionellen Opposition demokratisch produziert werden, um die Aufmerksamkeit der uninformierten Revolutionäre zu gewinnen.

Ich beziehe mich zum Beispiel auf den Fall Naria4, der von nun an eine „Staatsaffäre“ ist, ein Symbol für die Zeit nach dem Ausnahmezustand, die auf einer Rekuperation5 und allgemeinen Wiederentdeckung der menschlichen Werte beruht. Die gegenwärtigen Probleme des Gefängnisses und des jetzt laufenden Prozesses der Abschwörung scheinen alle in diesem schmerzlichen menschlichen Ereignis zusammenzulaufen, das ganz klar die offensichtliche Barbarei der Justizverwaltung und der Administration verkörpert, Mechanismen, die, indem sie die Befreiung eines Mannes, der langsam stirbt, verhindern, ganz klar die mörderische Absicht derer zeigen, die sie manipulieren. So verkündeten der Minister Martinazzoli, Doktor Amato, Leiter des Gefängnissystems und natürlich der gute Pertini (um nur die bekanntesten zu nennen), dass sie sich offen gegen die negative Stellungnahme der Richter (die souverän in der strikten Anwendung des vom Parlament verabschiedeten Gesetzes sind) zum Befreiungsantrag der Anwälte von Naria aussprechen.

Über die menschliche Bedeutung hinaus sollten wir uns fragen, was sich hinter diesen gefälschten Appellen und den Debatten verbirgt, die von allen Seiten provoziert und organisiert werden.

Wir alle wissen, dass sich der Staat mit der Verabschiedung des neuen Gesetzes über die Präventivhaft, das deren Dauer verkürzt hat, und mit der schrittweisen Aufhebung der restriktiven Normen des traurig berühmten Artikels 90 anschickt, der internen Kontrolle der Gefängnisse eine andere Ordnung zu geben, eine rationalere Ordnung als die, die den Sondergefängnissen und den „Todesflügeln“ auferlegt wurde. So kann die Barbarei besser auf den Schienen einer differenzierten inneren Sozialität fahren. Die Nutzung des Justizapparats für ausschließlich politische Zwecke zeigt sich in der Unterstützung, die jedem zuteil wird, der vom „Terrorismus“ abschwört, einschließlich Strafminderungen und „möglichen/günstigen Gelegenheiten“.

Der Staat verlässt nach und nach den Tunnel des Ausnahmezustands und reguliert seine neue Position der Vorherrschaft in allen Bereichen der Gesellschaft. Die Periode der Eroberung der sozialen Sektoren, die ihm durch den Kampf entrissen wurden und die sich von seiner Einmischung unabhängig gemacht haben, ist vorbei; er bereitet gegenwärtig eine präzise Kontrolle vor. Die Charakteristika dieser Kontrolle werden nicht mehr auf einer militaristischen Strategie beruhen, sondern sich im Wesentlichen um die Ideologisierung des Konsenses drehen, und zwar so, dass „abweichendes“ soziales Verhalten normalisiert wird. Nun will der Staat hinter den neuen Figuren der sozialen Betreiber und Kontrolleure, die in die Mikrostrukturen des Landes eingefügt worden sind, die Dinge fördern und aktivieren. Unter diesen traurigen Gestalten – abgesehen von den Psychologen und Soziologen – ist der Abschwörungsologen6 des Antagonismus auffallend.

Daher das aktuelle Spektakel politischer Positionen, die um das Phänomen der Abschwörung kreisen (vom Dokument der Rebibbia 51, über das der 40 Unterzeichner des Prima Linea-Prozesses in Turin bis hin zu den aktuellen Dokumenten der dreizehn, noch aus Turin, oder denen, die aus dem Prima Linea-Prozess in Mailand hervorgegangen sind). Die „homogene“ Einflusssphäre breitet sich überall aus und wird bis hinauf zu Amato7 gestützt. Es handelt sich nicht mehr um kleine Gruppen, sondern um eine kompakte Masse innerhalb der Gefängnisse, die den Weg der Abschwörung einschlägt, die auch außerhalb der Gefängnisse Fürsprecher findet und einem Labyrinth von Positionen Leben einhaucht, in dem es schwierig ist, die Dinge selbst zu sortieren.

Alle warten auf weitere Informationen des Staates über die Rolle, die er diesen revidierten und korrigierten Subjekten zugedacht hat, und diese Auseinandersetzung ist Gegenstand eines politischen Kampfes im Parlament (es gibt zum Beispiel eine Strömung der Säkularen, die sich distanziert haben, eine der Katholiken, die sich distanziert haben, eine andere der so genannten „Totalen“ und so weiter).

Wenn die Mehrheit der politischen Gefangenen in den Gefängnissen in das Projekt der Abschwörung, das der Staat verwirklichen will, hineingezogen wurde, ist es draußen.k nicht anders. Ein großer Teil des revolutionären Milieus besteht darauf, die Initiativen der Abschwörungen, die aus den Gefängnissen kommen, aufzugreifen. Sogar einige libertäre Milieus, die scheinbar missverstehen und zu gedankenlos behaupten, ein solches Projekt zu unterstützen, indem sie sich mit den abschwörenden Positionen einiger Gefangener solidarisieren, die sich mit dem Begriff „Anarchist“ aufplustern und so die „Staatsbürgerschaft“ in unserer Bewegung genießen, die mehr und mehr mit einer zustimmenden Konformität gesättigt ist, die aus „Toleranz“ heraus verbreitet wird.

Die Angelegenheit wird ernsthaft erwogen und analysiert, vor allem im Hinblick auf die negativen Konsequenzen, die unsere subversive Tätigkeit betreffen. Die Annahme solcher Positionen würde die anarchistische Bewegung auf das Terrain des politischen Opportunismus und der Kompromisse mit der Macht führen, ein Terrain, das den autoritären Elementen lieb und teuer ist, die es nutzen, um ihre eigene Existenz und den Erhalt ihrer Positionen zu rechtfertigen.

Bis jetzt hat ein Teil der anarchistischen Bewegung nichts mit der Frage der Repression und der sozialen Kontrolle zu tun gehabt. Das Interesse, das sie jetzt zeigt, hängt insbesondere mit neuen Positionen bestimmter libertärer Gefangener zusammen, die sich von den Praktiken und Motiven distanzieren, die sie in der Vergangenheit zu Gegnern von Kapital und Staat gemacht haben.

Eine solche plötzliche Interessenkonvergenz zwischen diesen Gefangenen und diesem Teil der anarchistischen Bewegung resultiert aus einer Parallelität der Ansichten bezüglich des Wertes, den beide dem Liberalismus, dem Sozialismus und der Demokratie beimessen.

Um sich dessen bewusst zu werden, reicht es aus, verschiedene Artikel zu lesen, die in verschiedenen anarchistischen Zeitschriften veröffentlicht wurden, die eindeutig den Eindruck erwecken, sich nur in einem Milieu von Studien und kulturellen Interventionen zu bewegen.

Ausgehend von einer Selbstkritik der eigenen Kampferfahrung sind die Abschwörende an dem Punkt angelangt, jede konflikthafte Beziehung zu den Institutionen auf ein Nichts zu reduzieren. Sie stellen sich daher direkt in eine Diskussion und parlamentarische Vermittlung, die alle sozialen Konflikte rekuperierenwill. Und weil diese Selbstkritik in ihrer Subjektivität versucht, den Wert des zuvor so vernachlässigten individuellen Raums wieder zu behaupten, folgt daraus, dass sie sich die Utopie des modernen Liberalismus zu eigen macht, der die staatlichen Strukturen humanisieren und vergesellschaften möchte, indem er sie in einen Handlungsraum einschließt, der weitaus eingeschränkter ist als der aktuelle. Diese Gefangenen konvergieren auf einem anderen Weg mit dem Teil der Bewegung, der hofft, den Staat auf friedliche und utopische Weise seiner Funktionen zu entleeren, indem er schrittweise von innen heraus durch den Einsatz einer libertären Massenkultur handelt, die in der Lage ist, autonome Gegenstrukturen der Gesellschaft vorzuschlagen. Es ist ein Projekt, das die liberale Maxime der „minimalen Intervention des Staates in die Gesellschaft“ verwirklichen möchte. Die „Saat unter dem Schnee“, von der Kropotkin sprach.

Ein anderer Teil der anarchistischen Bewegung, wenn auch auf andere und viel zurückhaltendere Art und Weise, behält eine abwartende Haltung der Verfügbarkeit in Bezug auf die Abschwörung bei, die das Ergebnis eines Mangels an Analyse und der Unfähigkeit ist, autonome Vorschläge zu machen. Das ständige Hinausschieben einer inhaltlichen Diskussion stellt das Problem also nur unverändert wieder auf und bestätigt abschwörende Positionen, ohne dies deutlich zu sagen.

Dies ist der Fall bei Vorschlägen, die ein wenig besser zu sein scheinen als viele andere und die die Gefährten – die übrigens großzügig sind – dazu bringen, sie zu unterstützen, wie zum Beispiel der Amnestievorschlag, der von den Befürwortern von Scalzones8 Positionen lanciert und von den Anarchisten auf den Seiten der Zeitungen der Bewegung aufgegriffen wurde.

Diese Leute spielen mit politischen Lösungen, aber mit einem Minimum an Würde und Feindseligkeit gegenüber dem Staat. Kurz gesagt, sie möchten antagonistisch bleiben, aber gleichzeitig über die Befreiung der Gefährten verhandeln, zu Zeiten und in Modi, die ihnen diktiert werden, obwohl sie nicht die notwendige revolutionäre Kraft besitzen, um sie durchzusetzen. Was kann man über eine solche Position sagen? Sie würden gerne „ein Omelett machen, ohne Eier zu zerschlagen“.

Es sollte verstanden werden, dass sich alle Vorschläge, von denen, die am meisten zu einem Dialog mit dem Staat bereit sind, bis hin zu den würdigsten, tatsächlich nur durch unterschiedliche Grade und eine größere oder geringere moralische Zurückhaltung unterscheiden, wobei alle jedoch gezwungen sind, sich in einem Bereich innerhalb der Institutionen zu messen und die gleichen Probleme zu lösen. Die ersteren schienen sogar einen größeren politischen Realismus, einen größeren praktischen Sinn und einen unbefangeneren Zynismus im rückhaltlosen Tausch dessen, was sie besaßen, zu besitzen, im Bewusstsein des Preises, den der Staat für die Erlangung jeglichen Nutzens festsetzte.

Das Pamphlet, das wir herausgeben, passt in den Kern der Ereignisse, über die bisher berichtet wurde, und wird zum Material für eine Debatte innerhalb und außerhalb der anarchistischen Bewegung und möglicherweise erweitert um den Teil der revolutionären Bewegung, der auf der verzweifelten Suche nach einem anderen Weg als dem von der Macht vorgezeichneten ist.

Seine unbestrittene Aktualität – obwohl es bereits im März dieses Jahres in der Zeitschrift Anarchismo veröffentlicht wurde – zeigt sich in den Urteilen und Elementen der Analyse, die es vorlegt, die nun nicht mehr glückliche Eingebungen von etwas sind, das sich damals in der Debatte über das Problem des Gefängnisses abzeichnete, sondern eine greifbare Realität, die aus Ereignissen und Entscheidungen besteht, die uns aus nächster Nähe angreifen.

Der Gefährte, der dieses Pamphlet geschrieben hat, ist vor allem damit beschäftigt, außerhalb ideologischer Heiligtümer und Gemeinplätze alle Etappen der Wege nachzuvollziehen, die zu den Formen der Assoziation geführt haben, die die revolutionäre Bewegung in den letzten Jahren zum Ausdruck gebracht hat, die theoretische Debatte, die sich darauf bezieht, die Instrumente, die benutzt wurden und die Aktionen, die durchgeführt wurden. Er erfasst ihre Vorzüge und ihre Schwächen, ihre Grenzen und Widersprüche und versucht gleichzeitig, einen logischen Faden zu erneuern, der in der Lage ist, aus der „Laissez-faire“-Haltung herauszukommen, die den repressiven Aktionen und der staatlichen Kontrolle Tür und Tor öffnet.

Probleme genau zu definieren ist heute sehr wichtig, vor allem, um nicht in kurzfristige Perspektiven und Kompromisse zu verfallen, die uns unweigerlich in das Labyrinth der Abschwörung führen und uns jede Möglichkeit des direkten Handelns zur Veränderung der Realität verwehren würden. Viele Gefährten werden Argumente und Konzepte finden, die ihnen ziemlich vertraut sind. Und auch andere, neue, die in einer Sprache ausgedrückt werden, die in Bildern spricht und an Zeiten beschwingter Hoffnungen und Zeiten der Schwierigkeiten und des Unbehagens erinnert. Es ist eine Einladung, all unsere vergangenen Erfahrungen kritisch zu überdenken, mit dem Ziel, die Bedeutungen und das Positive oder Negative in unserer Erfahrung von Kämpfen zu erfassen, die erst kürzlich und doch so weit weg sind. Und zwar nicht, um die Vergangenheit zu erklären, sondern um Instrumente für zukünftiges Handeln bereitzustellen, indem wir über die Ursachen und Auswirkungen der begangenen Fehler hinausgehen, mit dem Ziel, auf einer konkreten Grundlage neu beginnen zu können, die der Realität, in der wir leben, besser entspricht.

Angesichts der Dringlichkeit der Probleme, die auf uns zukommen, und der Pflichten, die wir uns als Anarchisten und Revolutionäre auferlegen wollen, müssen wir die Grenzen der Gemeinplätze und Selbstverständlichkeiten überschreiten, und zwar so, dass die Assoziation nicht mehr ein formales Festhalten an libertären Ideen wäre, sondern eine persönliche Suche nach einer kohärenten Praxis der Selbstverwirklichung hier und jetzt durch soziale Aktion.


Einleitende Anmerkung von Paolo Ruberto (Oktober ’84)

Ich denke, es wäre interessant, eine zusammenfassende Darstellung des Aufkommens und der Entwicklung von Positionen des „Rückzugs“ zu geben, die von den pentiti bis hin zu jenen reichen, die abgeschworen haben, wobei zu berücksichtigen ist, dass eine detaillierte Darstellung praktisch unmöglich ist, da es viele Varianten und Modifikationen sogar innerhalb derselben Position gibt.

Nach dem Auftauchen von „größeren“ und „kleineren“ pentiti, die ihre Desertion des Kampfes auf eine ausschließlich militärische und politische Grundlage stellten, indem sie mit Waffen und Gepäck zum Staat überlaufen und die Aufgabe auf sich nahmen, alle Formen des Widerstands zu brechen (die Verhaftung von Hunderten von Gefährten, die Ermordung von vier Gefährten in Genua durch die von Peci9 geschickten Carabinieri usw.), die Champions der politischen „Desertion“ begannen (schon) in den ersten Monaten des Jahres 1980 zu erscheinen.

Im Mai desselben Jahres wurde in Lotta Continua10 ein kollektives politisches Dokument veröffentlicht, das von den Partisanen der „Desertion“ verfasst wurde, die fast alle aus den Reihen der Prima Linea stammten, darunter Donat-Cattin und Gai. Darin wurde die Notwendigkeit der Selbstkritik erwähnt und die Tatsache, dass man sich auf seine historische Vergangenheit besinnen müsse; es wurde darauf hingewiesen, dass die Denunzianten Söhne der Bewegung seien.

Auf diese Weise entstand das Milieu der Desertion und des Verzichts auf bewaffnete Aktionen, das von Lotta Continua und den üblichen Totengräbern der Bewegung, von der Sorte Boato und Pinoto, flankiert von denen, die als Demokraten bekannt sind, von der Sorte Neppi Modona und Mario Scialoja, bis zum Äußersten unterstützt wurde.

Diese erste Gruppe von Deserteuren war kurzlebig, weil es bei vielen von ihnen nie gelang, sie klar von den pentiti zu unterscheiden, und auch, weil fast alle von ihnen schließlich mit der Magistratur und der Polizei kollaborierten.

Am 30. September 1982 erschien das Dokument, bekannt als das der 51 (von der Anzahl der Unterzeichner), das den Beginn eines regelrechten Wettlaufs um Selbstdistanzierungen, Selbstabschwörungen, Befriedungsvorschläge, Amnestievorschläge usw. signalisierte.

In dem genannten Dokument behaupteten die Unterzeichner, die hauptsächlich aus dem Autonomie-Milieu kamen, dass es notwendig sei, „kämpferische“ und den Terrorismus begünstigende Positionen und Aktivitäten abzulehnen und zu verurteilen, um eine Dialektik der Kontroverse wieder zu eröffnen und zu Verhandlungen mit dem Staat zu gelangen. In der Praxis sagen Negri, Ferrari, Bravo, Vesce und die anderen, dass wir auf dem Weg des vergangenen radikalen Antagonismus voranschreiten müssen, um uns in eine dialektische Beziehung zu begeben, die aktiv und Träger von Vorschlägen zusammen mit den so genannten „gesunden“ sozialen und politischen Kräften ist, die ihren Wunsch, über die Kontingenz der Notstandsgesetze hinauszugehen, verständlich machen werden. Sie behaupten, dass dadurch auch der Staat gezwungen sein wird, seine Selbstkritik in Bezug auf die Schaffung von Sondergesetzen und den Geist der Rache zu üben, wodurch wir eine gegenseitige Versöhnung des einen mit dem anderen und eine neue Art und Weise der Festlegung der Spielregeln sehen würden, gemäß neuen Bedingungen des politischen Kampfes, der auf einem Dissens basiert, der nicht mehr radikal und in einer totalen Opposition ist, sondern einem dialektischen, der auf dem Dialog basiert, mit dem Ziel, den Staat zu ermutigen, sich immer mehr Merkmale von Demokratie und Freiheit zu geben.

So entstand und entwickelte sich ein „Abschwörungs“-Milieu, das im Laufe der Zeit eine beträchtliche Anzahl unterschiedlicher Positionen vereinigen sollte. Dann gab es diejenigen, die sich weigerten, sich mit den Abschwörendenin einen Topf werfen zu lassen und versuchten, die Sache zu beschönigen, indem sie behaupteten, dass man, ohne auf irgendetwas zu verzichten, dennoch zugeben müsse, dass der bewaffnete Kampf nun überholt sei, da er nicht in der Lage gewesen sei, sein Projekt der gesellschaftlichen Transformation zu verwirklichen. Es sei notwendig, andere Projekte in Angriff zu nehmen, die darauf abzielten, ein neues kritisches Bewusstsein aufzubauen, das zu einer Transzendierung der vergangenen Erfahrungen einer Generation und zu einer Überwindung des bewaffneten Kampfes führen würde, indem man sich zu einer Kulturrevolution öffnete.

Eine andere Linie von Leuten, die abgeschworen hatten, die später auftauchte, nahm Scalzone und andere politische Flüchtlinge in Frankreich zum Ausgangspunkt. Diese Leute behaupteten, dass es notwendig sei, sich zu mobilisieren, um eine große Schlacht für eine Amnestie für alle politischen Gefangenen zu organisieren. Da das bewaffnete Projekt besiegt war und eine Wiederaufnahme des Konflikts nicht mehr möglich war, war es notwendig, eine Verhandlungsperspektive zu schaffen und einen Waffenstillstand mit dem Staat zu definieren. Die Bewegung musste einen „Waffenstillstand“ garantieren, d.h. eine Periode des sozialen Friedens.

Der Staat musste eine Amnestie garantieren, um das Ende der Feindseligkeiten ordnungsgemäß zu ratifizieren. Die beiden Parteien würden den Preis für die Niederlage der Bewegung aushandeln, wobei der zu zahlende Preis auf fünf Jahre Haft für jeden geschätzt wurde.

Ein anderes großes Milieu, das sich innerhalb der Gefängnisse bildete, war das sogenannte „Ent-Inhaftierungs“-Milieu. Seine Vertreter räumten zwar die Notwendigkeit einer Kritik an der Vergangenheit ein und erkannten an, dass die Bedingungen, die in den 70er Jahren zu einer Entwicklung des bewaffneten Kampfes in Italien geführt hatten, nicht mehr gegeben waren, weigerten sich jedoch, in irgendeiner Weise abzuschwören, sondern räumten die Notwendigkeit ein, andere Wege zur sozialen Transformation zu finden, Wege, die über pazifistische und ökologische Kämpfe und solche für eine bessere Lebensqualität führten. In ihrem objektiven Zustand als Gefangene wollten sie sich mobilisieren, um einen politisch-kulturellen Kampf zu beginnen, der die negativen Auswirkungen der Segregation verringern und eine normale Entwicklung des Lebens ermöglichen sollte. Dieses Milieu hielt es für notwendig, Versammlungen, Demonstrationen, Konzerte, Ausstellungen und Produktionsgenossenschaften sowie kulturelle Veranstaltungen zu organisieren, mit dem Ziel, soziale Beziehungen und Strukturen zu schaffen, die eine Alternative zum Gefängnis darstellten, und all dies als Teil einer Perspektive, die einen Übergang von der erträumten politischen Revolution zu einer möglichen sozialen Transformation ermöglichen würde. Dieses Gefangenenmilieu, das mit Morucci, Monferdin, Strano, Faranda, Fiora Pirri, Premoli usw. endete, näherte sich immer mehr dem Milieu der eigentlichen Selbstabschwörern an, die mit ihnen zusammen die so genannte „homogene Bewegung“ bildeten und den berühmten Kongress „Alternative Maßnahmen zur Haft und die Rolle der externen Gemeinschaft“ organisierten, der Ende Mai im Gefängnis von Rebibbia unter Teilnahme von 30 Häftlingen stattfand.

Viele Ex-Militante der Prima Linea (darunter Sergio, Ronconi, Rosso, Galmozzi, etc.) begannen ihrerseits einen Weg, der sie immer näher an die Positionen der Selbstabschwörern heranführte. Zunächst entwickelten sie eine Selbstkritik in Bezug auf die Kluft zwischen dem bewaffneten Kampf und den traditionellen Kämpfen des Proletariats; dann kamen sie zu dem Schluss, dass die italienischen Bedingungen heute den bewaffneten Kampf nicht mehr zulassen, und folgerten, dass nur die Voraussetzungen für einen Kampf bestehen, der aus der „Notsituation“ herausführen soll. Sie sprachen daher von „Versöhnung“ und erklärten auch deren angebliche Unterschiede zur Befriedung.

Neben den bisher skizzierten Positionen gibt es eine ganze Reihe von Facetten, die alle zu einer Vorstellung vom Ende einer historischen Periode des totalen Antagonismus, des totalen und permanenten Konflikts führen, sowie zu dem Urteil, dass die revolutionäre Gewalt ein falsches Instrument war und deshalb von der Geschichte überholt wurde, weil sie sich nicht bewährt hat.

„Heute, in einer komplexen Gesellschaft, in einer Phase der Krise und des Auseinanderbrechens der großen Gruppen und des Auftauchens des Individuellen, des Lokalen, des Vielfachen, die der Einheit und dem Ganzen sowie den Unterschieden unerbittlich entgegenstehen, scheint das einzige Modell (postsozialistisch in der Gesellschaftsform, postkommunistisch in der Form der Gesellschaft, postkommunistisch in der historischen Form der Bewegung) der sozialen Transformation ein direkter Übergang zu einem Prozess der Auslöschung des Staates zu sein“, schreibt Scalzone und behauptet, dass in den modernen kapitalistischen Gesellschaften eine radikale Veränderung durch Revolution nicht mehr notwendig ist, weil die Gesellschaft selbst sich bereits in einem postrevolutionären Zustand befindet.

Negri und andere Ex-Autonome sind im Prinzip der gleichen Meinung wie Scalzone, aber mit anderen Motiven. Auch sie leugnen die Nützlichkeit des Konzepts eines revolutionären Bruchs und vertreten die Hypothese einer Bildung kommunistischer Gemeinschaften, die in Symbiose mit der kapitalistischen leben und in der Lage sind, bis zum Punkt der Verschlingung zu wachsen.

So kommen wir an den Punkt, an dem Tränen über die unschuldigen Opfer jener düsteren Jahre vergossen werden, über die unglücklichen Menschen, die von einer Ideologie der Gewalt mitgerissen wurden, die sich für notwendig und sogar für befreiend hielt. Das ist es, was Morucci, Faranda, Guerra, Maino und andere tun. Diese Menschen fühlen ein herzzerreißendes Bewusstsein für den Schmerz und die Opfer, die eine ganze Bewegung hinter sich gelassen hat.

Um wieder zu leben, verspüren sie nun das Bedürfnis, zu vergeben und aufzuhören, diejenigen zu hassen, die in jenen Jahren den Weg der Kollaboration gewählt haben.

Lassen wir den „kontinuistischen“ Kern der Roten Brigaden beiseite, der sich, wie in der von uns herausgegebenen Broschüre klargestellt wird, in eine von der Realität abgeschnittene Unbeweglichkeit verstrickt und beharrlich von der Notwendigkeit der Bildung einer Kämpfenden Kommunistischen Partei11 spricht; verschiedene Gefangene von Palmi, unter ihnen Curcio, traten in einem Bereich der Selbstkritik auf, in dem sie die Grenzen und Fehler des bewaffneten Kampfes und der Organisationen, die ihn praktizierten, aufzeigten. Obwohl es gelungen ist zu zeigen, dass es möglich ist, revolutionäre Gewalt anzuwenden, ist es dem bewaffneten Kampf – so behaupten sie – nicht gelungen, ein konkretes Projekt zu entwickeln, das es geschafft hätte, alle grenzüberschreitenden Sprachen, die das Proletariat in den letzten Jahren zum Ausdruck gebracht hat, miteinander in Verbindung zu bringen. Sie entwickelten auch eine Kritik an den Kämpfen derjenigen, die den Mythos der Roten Brigaden als monolithische und kompakte bewaffnete Avantgarde lebten und immer noch leben, und die das Element repräsentierten und weiterhin repräsentieren, das am unempfindlichsten für die qualitative Erneuerung ist, die durch die Veränderung der Bedingungen des Kampfes auferlegt wurde. In dieser Analyse verschwanden die Konzepte des unersetzlichen Charakters der Partei im Sinne der Komintern und der Form der Kämpfenden Kommunistischen Partei, was die Möglichkeit eines Guerillakampfes nahelegte, der innerhalb der proletarischen Widersprüche und Forderungen angreifen würde. In der Nähe dieser Positionen, die in Palmi entwickelt wurden, findet man Franceschini, Ognibene und andere, die im Dezember ’83 im Gefängnis von Nuoro anlässlich ihres Hungerstreiks gegen die unmenschlichen Haftbedingungen ein Dokument verfasst haben. Während und nach dem Hungerstreik nahmen diese Gefangenen jedoch eine besondere Beziehung zur katholischen Kirche auf und erkannten deren Rolle bei der Verteidigung der Lebensbedingungen der Gefangenen an. Dies war keine zufällige Entscheidung, sondern entsprach ihrer politischen Einschätzung, die jedes Konzept des kollektiven Kampfes ablehnt und sich auf eine „Do-it-yourself“-Linie nach kurzfristigen Bedürfnissen zurückzieht. Es ist kein Zufall, dass sich einige von ihnen genau als Ex-Kommunisten definiert haben.

Eine andere Gruppe von Gefangenen, diejenige, die im März dieses Jahres den Hungerstreik gegen die „Todesflügel“ organisierte und daran teilnahm, führte einen kollektiven Kampf gegen eine der repressivsten Formen der Inhaftierung, obwohl es sich, wie einige von ihnen selbst zugaben, um eine Form des Kampfes handelt, die leicht von der Macht instrumentalisiert werden kann, die aber die einzige war, die sie zu diesem Zeitpunkt nutzen konnten. Das bedeutet nicht – wie sie weiter erklären -, dass sie Pazifisten geworden sind, und sie sind vorsichtig, darauf hinzuweisen, dass sie nichts mit dem „homogenen Gebiet“, den Verfechtern „politischer Lösungen“ oder denen, die von einer „Neugründung des Staates“ sprechen, zu tun haben.

Schließlich gibt es nicht wenige Gefährten, die politische Lösungen kritisieren und die Notwendigkeit einer Erneuerung der Kampfinitiativen der Bewegung innerhalb und außerhalb der Gefängnisse aufrechterhalten, indem sie das Problem der Befreiung aus den Gefängnissen innerhalb desjenigen der Befreiung vom kapitalistischen System stellen. Viele Gefährten haben sich entschieden, zu schweigen, um dem Wortschwall, der sich über dieses Thema ergießt, nichts hinzuzufügen, aber wir wissen, dass sie, obwohl sie schweigen, prinzipiell gegen die machbaren politischen Lösungen sind.

Was die inhaftierten anarchistischen Gefährten betrifft, so haben nur wenige eine klare und korrekte Position in einem revolutionären Sinne eingenommen. Die meisten von ihnen haben sich entschieden, zu schweigen, und aus diesem Schweigen sollte man, bis zum Beweis des Gegenteils, eine Fortsetzung ihrer anfänglichen Position des Antagonismus, gegen jede Form von Pakt oder politischer Lösung, ableiten. Wir betrachten natürlich gesondert die wenigen anarchistischen Gefährten, die die Dokumente der Strömung der Abschwörung unterschrieben haben und die somit offiziell eine Position eingenommen haben, die wie es scheint, vom revolutionären Standpunkt aus nicht geteilt werden kann.


Einleitende Anmerkung zur dritten Auflage

Angesiedelt in einer Zeit, in der der Trubel des Tuns dem einsamen und trostlosen des Sagens wich, setzt diese Schrift, während sie aus ihrer eigenen Natur heraus nichts anderes zu tun vermag, nämlich sich auf das Wort zu verlassen, dem üblichen Verräter so vieler guter Absichten, einer unanständigen Debatte über das Schicksal von viertausend gefangenen Gefährten ein Ende setzt.

Die Zeit, die vergangen ist, fast dreißig Jahre, erlaubt es uns nicht, die brennende Atmosphäre jener Tage zu erfassen, aber die Leser, die sich diesen Zeilen heute nähern, sollten sich bemühen, wichtig für das Verständnis der Gründe, die der Ablehnung jeglicher Anpassung zugrunde lagen – und immer noch liegen -. Im Hintergrund des Possibilismus12 der verschiedenen Scalzone und Negri, so abscheulich wie jede Aufarbeitung, mit der zusätzlichen Schwere, aus der Höhe ihres Szientismus13 ohne Appell das Wissen des Absoluten aufzudrängen.

Es ist noch ein langer Weg, und auch heute gibt es noch keine Klarheit. Nicht nur das, sondern einige dieser widerlichen Figuren, die von einer notwendigen Kapitulation wegen eines verlorenen Krieges schwafeln, kommen manchmal wieder in Umlauf und rauben vielen Gefährten den guten Glauben.

Möge diese Schrift, die nun der Vergangenheit angehört, dazu beitragen, jedem das Seine zu geben.

Triest, 4. November 2011

Alfredo M. Bonanno


Und wir werden immer bereit sein, den Himmel wieder zu erobern.

Gegen die Amnestie

Es ist nicht mehr möglich, weiterhin den Kopf in den Sand zu stecken, wenn es um das Problem des Gefängnisses und des „Was tun?“ geht.

Die Initiativen der Unterstützung und der Gegeninformation sind alle sehr wertvoll, besonders wenn sie beabsichtigen, verschiedene Komponenten der anarchistischen Bewegung einzubeziehen, aber sie können nicht zugeben, dass sie nur den Vorhof des Problems betreffen.

Es scheint mir, dass an dieser Stelle einige Überlegungen erforderlich sind, die – so hoffe ich zumindest – dem anarchistischen und dem libertären Umfeld nahestehende Gefährten und vielleicht sogar die diesem Umfeld weiter entfernten, dennoch sich der Widersprüche und Zweideutigkeiten, die ungehemmt kursieren, durchaus bewusst sind, interessieren können.

Ich wiederhole: Dieser Text hält die Aktion der Gegeninformation zur Repression für gültig, teilt die Ziele und Methoden der Realisierung, fragt sich aber, was wir noch tun müssen. Die Gefährten sind im Gefängnis, die Gefängnisfront ist in „politisch“ und „nicht politisch“ geteilt, unter den sogenannten „politischen“ gibt es die traditionellen Spaltungen, die drohen, nicht mehr Wege des Bewusstseins, sondern blutige Wege des Misstrauens zu werden.

Von außen haben einige Gefährten eine Art moralische Erpressung zurückgewiesen, die aus dem Inneren der Gefängnisse kam, und damit das Kind zusammen mit dem dreckigen Badewasser weggeschüttet. In Worten bekräftigen sie die Globalität ihrer Intervention (Gefängnis eingeschlossen), in Taten betreiben sie immer offensichtlichere und einfachere Sektorisierungen.

Auf der anderen Seite sammeln auch andere Gefährten die Seufzer des Gefängnisses auf und geben den Geistesbewegungen Raum, die als politische Analyse getarnt sind und nicht anders tun können, als zu Verwirrung und Missverständnissen beizutragen.

Man muss – ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen – sagen, was man tun kann, wovon man jetzt nicht zu träumen braucht und was man nicht tun will, weil man es für kontraproduktiv hält.

Es scheint mir, dass die Zeit gekommen ist, dass jemand diesen Stein anhebt, unter dem sich bereits ein gefährliches Wurmloch gebildet haben könnte.

Warum wir gegen einen Kampf für Amnestie sind

Es gibt viele Wege aus dem Gefängnis. Viele weitere Möglichkeiten um dort reinzukommen. In der revolutionären Auseinandersetzung ist das Gefängnis ein wesentlicher Bestandteil, es kann nicht als eine äußere Variable betrachtet werden. Wenn es eintritt und Tausende von Gefährten zur Einsamkeit und Stille zwingt, kann sich der Kreis schließen oder er kann durchbrochen werden. Es ist nichts wert, sich vorzustellen, dass diejenigen, die die Schlüssel im Namen der Macht halten, sie in einen Graben werfen, nachdem sie die Türen geöffnet haben. Keiner von ihnen ist bereit, dies umsonst zu tun. Sie werden uns nicht umsonst amnestieren. Wir werden dafür bezahlen müssen.

Die Rechnung, die die werten Herren vorlegen, ist zu hoch. Im Moment sind wir eine Belastung, keine Bedrohung. Wir haben keine Verhandlungsmacht, die auf Gewalt beruht, wir können uns nur auf Mitleid verlassen, auf ihren Sinn für demokratische Ordnung, der durch eine so hohe Zahl von „politischen Gefangenen“ verletzt wird, auf die Tatsache, dass sie selbst die ersten sind, die das Bedürfnis haben zu sagen, dass „der Krieg vorbei ist“, um das Zeichen des Monsters zu exorzieren, das anders sein wollte, das von einer Welt im „hier und jetzt“ träumte.

Jetzt wollen sie uns auf den Knien sehen. Nach den Tagen von Canossa, in der Kälte und im Schlamm, wollen sie das Vergnügen haben, uns die Freiheit zu „schenken“.

Ihre Gesetze mahlen lebenslängliche Haftstrafen aus und zerbröseln die Freilassung von berüchtigten und zwielichtigen Gestalten im Dienste des Verrats. Die gleichen Gesetze sollten Amnestie sanktionieren. Alle raus. Das Spiel ist vorbei. Setzt den Kampf mit anderen Mitteln fort. Die Mittel, die man bisher verwendet hat, sind zu laut. Bitte seid leise. Setzt den Klassenkampf „in Klammern“. Vergesst die Revolution.

Aber welcher Krieg ist vorbei?

Für diejenigen, die sich einen Frontalkrieg vorgestellt hatten, ein Aufeinandertreffen von Mini-Übungen und mikroskopisch kleinen Herbst- oder Frühlingskampagnen, ist der Krieg vorbei. Doch die Darstellung auf dem kleinen Theater der Politik kommt der Realität nicht einmal nahe. Ein immenses unterirdisches Pulsieren hat gerade seinen Rhythmus leicht verändert. Das große Blutopfer, das von der proletarischen Klasse gefordert wird, dauert ununterbrochen an. Die offiziellen Schlächter töten systematisch. Ihre Henker schießen auf der Straße. Wenn sie die Soutane des Richters anziehen, häufen sie Tausende von Jahrhunderten auf die mickrigen Schultern der Proletarier, die dafür verantwortlich sind, das heilige Recht des Eigentums anzutasten.

Der neoghibellinische14 Wohltäter lächelt skeptisch über diese Überlegungen und lädt uns ein, über die Güte des neuen Fürsten nachzudenken, über seine Wohltaten, über das Ende des Elends.

Aber der soziale Krieg geht weiter, jenseits des ideologischen Ausheckens dieser neuen Brut von Erholungssuchenden, wird es immer möglich sein, morgen zurückzukehren, um den Himmel ein weiteres Mal zu erobern.

Von welcher Niederlage ist die Rede?

Von ihrer Art, den Kampf zu begreifen. Stumpfsinnig wiederholend, unfähig zu einer kritischen Perspektive, mechanisch, deterministisch. Das war kein Traum, das war eine Abrechnung. Die Rechnung ging nicht auf. Die Geschichte wiederholt sich nicht immer auf die gleiche Weise. Die Muster der Vergangenheit – ob alt oder neu – können nicht beliebig überlagert werden. Aber Phantasielosigkeit braucht Muster, schwört auf sie, lebt nur durch sie.

Der Frontalaufprall wurde besiegt. Der Zusammenstoß, der die Stärke zwischen zwei sich bekriegenden Armeen messen sollte. Aber ihr Krieg war nicht der soziale Krieg. Zwei Schläger, die aufeinander schießen, sind nicht unbedingt ein wahrer Querschnitt der gesamten Gesellschaft, sie erfassen nur einen Teil davon, oft den marginalen und verschärften Teil.

In vielen von ihnen war guter Glaube, weshalb wir auf das Wunder der Gänseblümchen warteten. Schließlich findet auch die blinde Henne am Ende das Weizenkorn zum Picken. Aber die Blindheit war zu verallgemeinert. Die ideologische Schwere überzog alles mit einem dichten Nebel. Die Arroganz und die geistige Dummheit waren gepaart mit der lächerlichen Anmaßung, alles zu vertreten.

Auf welchen Sieg hin waren wir unterwegs?

Die Eroberung der Macht. Die Diktatur des Proletariats. Die Bildung des proletarischen Staates. Und darüber hinaus. Andere, nicht minder gefährliche Phantasien waren in ihrem Gepäck.

Wir gaben ihnen Raum und kritische Glaubwürdigkeit, weil wir uns immer sicher waren, dass ein Missgeschick passieren könnte. Selbst Gefährten, die mit einer Perspektive gestartet sind, die so weit von der unseren entfernt ist, wenn sie angreifen, müssen unterstützt werden. Sicherlich können wir sie jetzt nicht unterstützen, da sie sich auf einen Verrat vorbereiten.

Eine korrekte Bewertung dessen, was sie als Niederlage bezeichnen, sollte durch eine Kritik der anfänglichen Einstellungen gehen, dessen, was sie glaubten, dass Klassenkampf sei, dessen, wie sie das Instrument des bewaffneten Kampfes einsetzten, dessen, wie sie ihre Beziehungen zu der Realität einrichteten, die sie zu verändern versuchten.

Stattdessen gibt man lieber einfach zu, dass man besiegt wurde, dass die Dinge richtig vorbereitet wurden, aber das Fortuna nicht auf der richtigen Seite war, sie küsste der Macht lieber die Stirn.

Und wenn sich eine Stimme erhebt und einen kritischen Diskurs eröffnet, trifft sie den Schlüssel der Außergewöhnlichkeit des Augenblicks: viertausend Gefährten als politische Gefangene, und diese Tatsache wird zu einer Priorität. Die Erklärung der Niederlage ist in der Tat das erste, was diejenigen tun müssen, die über die Kapitulation verhandeln wollen.

Wir haben immer gesagt, dass selbst im Falle eines Sieges für uns der Krieg weitergehen würde, deshalb ist uns ihre schamlose Niederlage jetzt egal. Es ist eine Buchführung der Macht.

Erinnern wir uns daran, dass, als Togliatti15 eine Amnestie erließ, um die Faschisten aus den Gefängnissen zu holen, unmittelbar danach begannen unsere Gefährten in diese einzutreten. Die Macht einigt sich immer mit der Gegenmacht, die den Umwälzungsprozess nicht erschaffen hat, aber sie kann nie einen Dialog mit den Revolutionären herstellen. Es gibt keine Möglichkeit, sich gegenseitig zu verstehen.

Kritik wird von denen geäußert, die noch nie etwas damit anfangen konnten.

Dieselben aufgeblasenen und stolzierenden Analytiker der historischen Schicksale des Proletariats befinden sich jetzt inmitten der Ambitionen der Kritik. Diejenigen, die sich so selbstbewusst für die „Kritik der Waffen“ entschieden hatten und die keine Diskussion über den richtigen strategischen Einsatz eines Instruments zuließen, das gültig war und bleibt (der bewaffnete Kampf): diese Leute scheinen jetzt im Delirium der Tränen zu sein.

Im zerstörerischen Eifer dessen, was sie – auch ohne es zu wollen – aufgebaut hatten; in der Eile, sich anders präsentieren zu lassen, als sie es waren; lehnen sie alles ab: sowohl Positive als auch das Negative.

Man spürt, dass sie in ihrem kritischen Gewand unbeholfen sind, und ihr Festhalten an dem, was die jüngere und weniger jüngere Vergangenheit hervorgebracht hat, keinen Sinn ergibt und zeigt die eigentliche Inkonsequenz ihrer theoretischen Anliegen.

Geschickt im Entwickeln von Worten mögen sie in der Lage sein, einige ahnungslose Gefährten zu täuschen, aber ich glaube nicht, dass sie in der Lage sein werden, diejenigen zu überzeugen, die die harlekinartige16 Wendung erkennen, die sich vollzieht. Die gleichen Leute, die noch vor nicht allzu langer Zeit jeden, der eine andere Hypothese als die eigene wagte, provokativ verurteilten, sind jetzt auch bescheiden und vorsichtig, wenn es um die Aufstellung von Hypothesen geht.

Die zentrale Struktur dieser so genannten Kritik zielt darauf ab, zu zeigen, dass ihre Aktion ja gar nicht stattgefunden hat, oder wenn, dann nur sehr wenig, und dass dieses Wenige ein Exzess war, der auch auf die schlechte Lehre, auf die kollektive Lust an der Gewalt, auf die Illusionen, die von den alten 68ern herrühren, usw. zurückzuführen ist.

Hinter all dem verbirgt sich eine gewisse Wahrheit, aber wie üblich neigt sie dazu, das Negative zusammen mit dem Positiven zu verwerfen. Eine solche pauschale Ablehnung ist keine Kritik, sondern die Tirade eines Strafverteidigers, die Tirade eines Menschen, der in Schwierigkeiten steckt und um jeden Preis herauskommen will.

Es ist also besser, das alles klar zu sagen und nicht zu versuchen, die eigene „Distanzierung“ hinter einer komplexen „kritischen Analyse“ zu verstecken.

Während einige Aspekte der Kritik, wie z.B. die eindimensionale Schwere des bewaffneten Modells, unseren Positionen entlehnt sind, sind andere Aspekte nichts anderes als die tragische Umkehrung derjenigen, die am Ende das Gegenteil von dem sagen, was sie vorher gesagt haben, und das ohne ihre Gründe kritisch zu begründen. Wenn diese Leute sich selbst vorwerfen, die soziale Komplexität „zu sehr vereinfacht“ zu haben, sagen sie in der Praxis nichts, sie leugnen es nur. Sie erklären nicht – und können es auch nicht -, was für ein „un-simplifiziertes“ Projekt sie jetzt angesichts der zukünftigen Aktionen vorschlagen.

Wenn sie von einer „Krise“ der marxistischen und dritten-internationalistischen Vulgata sprechen, sagen sie nicht, auf welches andere theoretische Arsenal sie sich morgen beziehen werden, wann diese Klammer der Bleiernen Jahre geschlossen, wann sie auf die eine oder andere Weise das letzten Endes„alle nach Hause“ kommen werden. Sie reden wohl eher von der spießbürgerlichen Ideologie von Popper und Feyerabend? Vielleicht von Husserls Kritik der Existenz?

Schon immer unfähig zu einer Kritik, sind sie jetzt nur noch in der Lage, unter der Dringlichkeit des von der Gegenseite entstandenen Drucks, nach der „Notwendigkeit“ einer Kritik zu schreien, aber was dabei herauskommt, ist eine Block-Ablehnung, irrational und vorhersehbar: ein Erbrechen auf sich selbst, das nichts Gutes ankündigt.

Der intermediäre Kampf der Revolutionäre

Indem wir die Durchführbarkeit der Amnestie verneinen, erkennen wir nicht einen vagen Maximalismus außerhalb der Realität an, sondern wir versuchen im Gegenteil, den gegenwärtigen Kampf in die Bedingungen seiner tatsächlichen Möglichkeiten zurückzubringen.

Es wurde gesagt, dass jeder Moment, den man im Gefängnis verbringt, ein verlorener Moment des Lebens ist. Und das ist wahr, wie leider diejenigen, die unter dem Vorwurf der lebenslangen Freiheitsstrafe im Gefängnis waren, aus eigener Erfahrung wissen. Es muss aber auch gesagt werden, dass man sich nicht zur Überwindung dieser ersten Ebene der Überlegungen nicht zwingen kann. Sonst ist es unverständlich was wir jemals vom Staat erwartet haben, als wir ihm – alle zusammen – ins Gesicht geschrien haben? Vielleicht eine Stelle beim Grundbuchamt?

Angesichts der mehr als leicht vorhersehbaren Verdrängung hat sich also jeder seine Meinung gebildet. Wir waren nie wie jene Abenteurer der Waffe, fasziniert von Gewalt um der Gewalt willen, in einen Prozess hineingezogen, der in der Masse die Stärke und in der Stärke die Unvermeidlichkeit des Sieges sah. In unserer Rebellion hat es immer ein Fundament revolutionärer Reife gegeben. In jedem einzelnen von uns.

Das heißt aber nicht, dass wir nicht Wege finden sollten, die Haftzeit von Gefährten, die im Gefängnis sind, zu verkürzen. Wir müssen verstehen, welche Wege praktikabel sind und welche nicht praktikabel sind, weil sie zu hohe Kosten erfordern, viel höher als der Knast selbst.

Alle wahren Revolutionäre waren nie aus Prinzip gegen intermediäre Kämpfe. Sie wissen, dass diese Kämpfe unabdingbar sind, um das Projekt schrittweise an die gesellschaftlichen Bedingungen heranzuführen, die es nutzen werden. Es ist nicht möglich, eine direkt revolutionäre Entwicklung für eine Situation des sozialen Konflikts vorzuschlagen, die nur einen Blick auf einige Aspekte der Widersprüche erlaubt, die sie charakterisieren, während andere Aspekte, vielleicht die wichtigsten, verborgen bleiben.

Aus diesem Grund beteiligen wir uns an Demonstrationen, Gegeninformationen, Kämpfen in Fabriken, Schulen und Stadtvierteln. Versuchen wir, sie von Zeit zu Zeit zu Zielen zu drängen, die viel breiter sind als die einfache Behauptung, Information und Dissens.

Für uns sind die intermediären Kämpfe kein Ziel, sondern sie sind ein Mittel, das wir (sogar sehr oft) einsetzen, um einen anderen Zweck zu erreichen: die Rebellion voranzutreiben.

Bei all dem geben wir nicht zu, dass man sich mit der Macht arrangieren kann. Um eine Verhandlung zu vereinbaren, um en bloc für die Freiheit der Gefährten im Gefängnis zu verhandeln.

Wir sind nicht einverstanden, denn ein solches Feilschen wäre kein intermediärer Kampf, sondern der Anfang vom Ende, wäre nur auf sich selbst gerichtet: die Freiheit der Gefährten, die mit der Freiheit der Gefährten bezahlt wird. Alle (oder fast alle) aus dem Gefängnis, aber von allem beraubt, vor allem von ihrem Anspruch, Revolutionäre zu sein, von ihrer Würde, von ihrem menschlichen Wert.

Es ist nicht wahr – wie gesagt wurde -, dass die heutigen Verhandlungen der Auftakt für die Fortsetzung der Kämpfe von morgen wären. Wenn wir heute die Verhandlungen akzeptieren, könnten wir höchstens morgen im Ghetto kämpfen, wo die Macht uns unterbringen wird. Das Ghetto der Veteranen eines Scheiterns, einer Niederlage, einer Kapitulation.

Es ist nicht wahr – wie gesagt wurde -, dass, wenn wir nicht sofort über diese Kapitulation verhandeln, die Kämpfe von morgen zur wahnsinnigen Wiederholung des bereits gesehenen Schemas des bewaffneten Kampfes verdammt sein werden. Wer kann sich schon so einen Blödsinn ausdenken?

Die Kämpfe der Zukunft werden ganz anders sein, wenn wir uns die hausgemachten Fehler und die positiven Dinge vor Augen halten. Wenn wir alles auf den Haufen einer bedingungslosen Kapitulation werfen, wird es keine eigene Vergangenheit mehr geben, außer in den Reproduktionen von Ölmalereien für den Gebrauch und den Konsum der Bourgeoisie des nächsten Jahrhunderts.

Die schäbige Aussicht auf Kollaborationismus

Sie rufen uns zur Vernunft und zum Nachdenken auf. Sie laden uns ein, nicht die üblichen bösen Buben zu sein, zu verstehen, wie die Dinge sind. Sie laden uns zur Zusammenarbeit ein.

Auf der einen Seite (der der Macht) sind die Arme offen, auch wenn der anfängliche Preis für das Feilschen noch exorbitant ist. Auf der anderen Seite (der der ehemaligen imaginären Gegenmacht) sind die Arme nicht weniger offen und es wird nicht versucht, einen Rabatt zu bekommen.

Die biologische Dringlichkeit wird in den Vordergrund gestellt. Die physische und moralische Einsamkeit von viertausend Gefährten bedeutet einen Berg auf unserer Brust, aber er kann uns keinen Zentimeter bewegen. Wir sind nicht unbeugsam im Irrtum, wir sind unbeugsam in der kritischen Bewertung.

Wir wollen nicht kollaborieren, weil wir an unsere Ideen und an unsere Fähigkeit glauben, die Realität zu verändern, und nicht, weil wir an das Bisherige glauben und eine Veränderung nicht für möglich halten. Wir sind nicht die schwachsinnigen Verehrer eines Modells, das als Wahrheit gilt. Aber wir sind auch nicht die Kollaborateure, die ihre Überzeugung auf eine Kritik stützen, die in den Büros des Innenministeriums ausgearbeitet wurde.

Indem wir kollaborieren, liefern wir uns en bloc dem Feind aus, wir schlagen keine Alternative vor, um den Kampf woanders hin zu verlagern. Es wird nie ein „Anderswo“ für die Kollaborateure geben. Sie werden ihre Vergangenheit immer mit sich herumtragen, verpackt in der Scheiße ihrer Gegenwart.

Ihre Vernunft ist in die Krise geraten.

Eingefleischte Rationalisten, die nun in eine Krise geraten sind. Die Liste, die der Stalinist Lukács erstellt hatte (Verurteilung von Nietzsche, Verurteilung von Stirner), reichte ihnen nicht, um ihren Frieden mit der Philosophie zu machen. Jetzt sind sie wieder in den Armen von Spinoza und, weiter unten, in den Armen von Husserl.

Praktisch Priester, schon immer. Jetzt haben sie die radikale und possibilistische Haltung derjenigen, die die Krise als das andere (ebenso monolithische) Gesicht des Bewusstseins entdeckt haben. Sie stürzen sich kopfüber in die Ratlosigkeit, wie sie sich einst kopfüber in die Gewissheit stürzten.

Jetzt wollen sie die Politik „benutzen“. Sobald sie sich von ihr benutzen lassen. Die Krise kam für sie nach einer militärischen Niederlage. Wie ein guter Buchhalter, der nicht mehr die Bilanz ausgleichen kann, weil ihm jemand – manu militari – diese unter Gewalt ins Minus gezogen hat.

Auf diese Weise wird die Krise zum Alibi, nicht zum Anlass. Eine Tarnung für die eiternden Geschwüre der eigenen Stumpfheit und der fehlenden Offenheit für das Andere, für das Kreative.

So irren sie wie Katzen auf der Suche nach ihren Schwänzen um das Problem herum, warum die Krise und wie man aus ihr herauskommt. Sie merken nicht, dass sie nie in eine Krise geraten sind, sondern sich nur nach und nach in verschiedenen deformierenden Spiegeln betrachtet haben: gestern haben sie sich schön und stark, heute hässlich und schwach, weinerlich und besiegt vorgestellt.

Es ist sehr schwierig für sie zu verstehen, was sie gewesen sind und was sie wirklich sind.

Was sie nie verstanden haben

Sie hatten nie eine Vorstellung. Das Bild ihrer Existenz war düster und begrenzt. Erinnerungen wiederholten sich endlos. Orte, die durch den Takt von Sieg und Niederlage diskontiert werden. Realer Sozialismus als Kommunismus und Freiheit. Das tiefe Schicksal der Schmach kehrt sich um in das strahlende Zeichen der Herrlichkeit. Nicht Verwirrung, sondern Düsternis und polizeiliche Ordnung.

Sie verstanden nicht, wie befreiend der Angriff sein konnte, und sie spielten ihn wie ein klassisches Stück, unter den Augen strenger Regisseure, die auf Formalitäten achten.

Die Subversion geht scheinbar durch die gleichen Straßen, wählt manchmal die gleichen Ziele, entwickelt sich aber und öffnet sich zu anderen Horizonten.

Sie sucht nicht die Beteiligung durch die Gnade der Medien: sie ist die Beteiligung selbst. Sie wächst mit dem Wachstum der subversiven Tatsache, sonst schrumpft sie, zieht sich in sich selbst zurück, plant andere Interventionen. Sie schreit nicht nach dem Skandal der Geschichte, sie liegt nicht vor den Füßen des Unterdrückers, sie spricht nicht von Krise, sie glotzt nicht auf Kollaboration.

Sie haben nicht verstanden, dass die Kritik im Moment des Fortschritts und des Angriffs, im Moment des Wachstums und der Entwicklung erfolgt. Wenn in dieser Phase nur Illusionen genährt werden, kann man in der nächsten Phase, wenn die begangenen Fehler abgewertet werden, keine „Kritik“ mehr üben, höchstens ein „mea culpa“ aufsagen.

Die wirkliche Bewegung findet nicht in den Gefängnissen statt

Sie haben immer den Fehler gemacht, den privilegierten Gesprächspartner in diesem oder jenem Teil der Realität zu suchen. Heute das Subproletariat, gestern der Fabrikarbeiter, zwischen gestern und heute der Massenarbeiter, morgen der politische Gefangene.

Ihre Kurzsichtigkeit bringt sie wieder einmal aus dem Spiel. Sie schneidet sie ab. Und so ist es nicht wert, noch abscheulicher, noch unbeugsamer, noch mehr Leichenfledderer und Ausrufer zu sein als je zuvor in der Geschichte. Die Urzeitensind voll von diesen Dingen.

Inhaftierte Gefährten können keinen privilegierten Bezugspunkt darstellen. Sie können nicht der fortgeschrittenste Maßstab des Kampfes sein. Sie befinden sich in einem Opferraum, in einem Zustand ständiger physischer und psychischer Folter. Sie sind das Symbol des Klassenkampfes. Sie sind nicht der Klassenkampf.

Wir sind keine Christen. Das Zeugnis einiger von uns, auch der gefallenen Gefährten, führt uns nicht zu anderem als symbolischen Überlegungen. Wir leiden dabei weder an einem Mangel an Zuneigung zu diesen Gefährten noch an einer Krise der Bindung an ein Symbol. All diese Dinge sind Teilprobleme.

Wir haben unsere Flagge, aber wir legen keinen Eid auf sie ab. Wir haben unser Wort, aber wir wickeln es nicht in eine Fahne ein. Wir haben unsere Selbstliebe, aber wir kristallisieren sie nicht zum Nutzen andererheraus. Wir haben unsere Träume, unsere Hoffnungen, unsere Sehnsüchte, unsere Lieben, aber wir konditionieren sie nicht alle zu einer einseitigen Sicht des Lebens. Bei all dem sind wir nicht eklektisch oder possibilistisch (Entscheidungsfreiheit). Unsere Starrheit kommt aus der Vernunft und aus dem Herzen. Manchmal überwiegen die Gründe des Herzens, manchmal die der Vernunft, aber nicht deswegen fühlen wir uns schuldig oder glauben, wir hätten uns und unsere Prinzipien verraten.

Die Zuneigung zu unseren Gefährten im Gefängnis kann uns nicht dazu bringen, die Augen vor der Realität zu verschließen, dass sie in der Tat Gefährten im Gefängnis sind. Gefährten in einem Zustand der Entbehrung und Isolation. Wenn wir sie befreien wollen, müssen wir von dem ausgehen, was anderswo ist, von der wirklichen Bewegung. Wenn wir von ihnen ausgehen, von ihrer Besonderheit, werden wir dazu beitragen, sie – auf die eine oder andere Weise – auf ihre Gefängnissituation festzunageln, was auch immer das Ergebnis unserer Initiative sein mag (sogar das einer möglichen Befreiung).

Was sie befreien wird, ist die wirkliche Bewegung, die draußen ist, die Anstrengung des Kampfes, die wir als spezifische Bewegung entwickeln können, indem wir die tausend (oder die hundert oder sogar die paar Dutzend) Fäden verbinden, die die spezifische Bewegung und die wirkliche Bewegung verbinden.

Sonst werden es tausend Jahre Einsamkeit für alle sein.

Wer nie Vorstellungskraft hatte, kann keine Krise der Vorstellungskraft haben.

Erst jetzt kam ihnen ein grausamer Verdacht: dass es keine Vereinbarkeit zwischen der Kultur, deren Träger sie waren, und der Praxis, die sie ausübten, gab. Auf der einen Seite der Traum von einer Sache, auf der anderen die Sache ohne einen Traum. Der Sprung musste mit der Phantasie gemacht werden, der Sprung in den Himmel des Unmöglichen, des außerordentlich Anderen, der ihnen aber immer verwehrt war.

Aber nicht einmal jetzt erkennen sie, dass die Kompatibilität da war, und sie war einfach grässlich. Jeder wählt seine eigenen Mittel, diese sind ihm wie ein Handschuh angenäht, es liegt an seinem Erfindungsvermögen, Zusammenhänge und Nutzungsmöglichkeiten, Perspektiven und Richtungen im Hinblick auf immer andere Zwecke zu finden. Der Erstickungstod ist einer der grausamsten Tode.

Für den reisenden Verkäufer des Todes ist nur der Urlaub am Jahresende (oder am Ende der Kampagne) erlaubt. In der Regel muss er die Guillotine in Gang halten. Das Geräusch des Fallbeils kennzeichnet schließlich die Momente seines Tages. Nach einer gewissen Zeit kann er darauf nicht mehr verzichten.

Das Projekt ist abgeschlossen. Der Anfang verbindet sich mit dem Ende. Ein neuer Anfang und ein neues Ende liegen vor uns: immer gleich und wiederkehrend. Die dadurch geförderte Kultur wird wiederum zu einer angekündigten Tatsache.

Wo findet man den Körper der Phantasie? Hier gab es nicht einmal den Traum von etwas Phantasievollem.

Das Stereotyp der bewaffneten Partei

Die Seilrolle der Partei dient dazu, die Initiative der organisierten Minderheit auf das unorganisierte Proletariat zu übertragen. In der Perspektive des eschatologischen Ereignisses ahmen die kleinen zerstörerischen Ereignisse von heute die Apokalypse nach.

Die Partei plant, kodifiziert, führt aus, transformiert, wiederholt. Die letzte Phase dieses Prozesses ist immer die gleiche.

Die Partei ist das organischste eindimensionale Projekt, das die Menschheit kennt. Nichts entgeht seinem Organigramm, alles kann nach und nach einbezogen werden. Diese extreme Kompatibilität suggeriert, dass es sich um einen Mini-Staat im Entstehen handelt. Es ist das aktuelle Aufkochen jener großen und weit verbreiteten Krankheit, die die Politik der Staaten ist.

Klassenkampf und leninistischer Zentralismus

Die Richtung der Klassenereignisse (im kodifizierten Imaginären) zwingt dem Zusammenstoß den Aspekt des militärischen Krieges auf. Das unendlich komplexe Geschehen des gesellschaftlichen Konflikts wird reduziert und vereinfacht, es wird alles auf die Fakten der Waffen reduziert.

Dieselbe periphere Spontaneität, die am Anfang in einer Armee notwendig ist, die gut oder schlecht gesammelt ist und keine regelmäßige Versorgung aus irgendeiner Quelle erhält, dasselbe „Behelfsmäßige“, um Waffen zu beschaffen, wird zu einer negativen Grenze, die so bald wie möglich überwunden werden muss. Die Progression ist notwendigerweise schnell. Wer stehen bleibt, ist verloren. Der Gegner rüstet sich für den Guerillakrieg. Der Guerillero muss sich ausrüsten, indem er sich in einen Soldaten verwandelt.

Die Ausrichtung der Interventionen, das politische Urteil, die saisonalen Kampagnen, die Ziele, die möglichen Folgen und vieles mehr: alles wird gefiltert und den verschiedenen Ebenen der zentralisierten Struktur zugeführt. Grundlegende Diskussionen, Debatten, Vorschläge, Analysen werden so lange ausgewählt, bis sie in einer vereinfachten Form an die Spitze gelangen, die geeignet ist, in neue Handlungsvorschläge übernommen zu werden, die immer von der Mitte aus entwickelt werden. Schließlich ist man in einer demokratischen Armee.

Die Reduzierung des Klassenkrieges auf eine einfache militärische Auseinandersetzung führt zu der logischen Schlussfolgerung, dass der Klassenkrieg als solcher aufhört zu existieren, wenn dieser eine Niederlage auf dem Feld erleidet.

Das führt zu der nicht nur theoretischen, sondern auch praktischen Absurdität, dass heute, in Italien, nach der Niederlage der kämpfenden Organisationen, kein Klassenkrieg mehr stattfindet und dass es deshalb im Interesse aller (in erster Linie des Staates) liegt, eine Kapitulation auszuhandeln, um zu vermeiden, dass sich ein konfliktreicher Prozess entwickelt oder weiter entwickelt, der absolut fiktiv und völlig nutzlos, ja schädlich für alle ist.

Die Marginalität der bewaffneten Parteien in Bezug auf den Klassenkampf

Es ist leicht zu erkennen, dass bewaffnete Strukturen, vor allem solche, die die Form einer Partei annehmen, immer eine Randerscheinung des Klassenkampfes sind. Nicht, dass sie irrelevant wären, sie sind einfach nur marginal.

Der Verlauf des Zusammenstoßes hat Auswirkungen auf sie, er drängt sie dazu, sich zu schließen oder zu öffnen, je nach einer geringeren oder größeren sozialen Spannung. Aber all dies hält sich in recht engen Rahmen. Das Verhältnis der Repräsentativität wird nie hergestellt, wenn nicht für sehr kleine marginale Minderheiten oder für Gruppen mit einer hohen politischen Sensibilität.

Es ist klar, dass auch diese Phänomene von großer Bedeutung sind, und es ist auch klar, dass der Staat alles tut, um sie innerhalb einer „terroristischen“ Logik zu vereinnahmen, die sie als außergewöhnliche Tatsachen darstellt, die von Verrückten, exaltierten Kriminellen oder Agenten des Geheimdienstes ausgeführt werden.

Der Weg, den man in diesen Fällen einschlagen muss, ist, sich auf die populäre Sensibilität einzulassen und Aktionen und Klärungen zu konstruieren, die die Menschen einbeziehen und sie nicht stattdessen in einer spektakulären Fixierung immobilisieren.

Nun stellt sich die Partei ihrem Wesen nach als ein Filter dar, der die Menschen abstößt und sie in einer amorphen Kompaktheit sozialer Schichten isoliert: Arbeiter, Hausfrauen, Angestellte, mittleres Management, Studenten usw. Sie stellt sich als ein Filter dar, der einen Teil dieser Menschen erst nach einer einleitenden Akzeptanz ideologischer Art aufnimmt. Politik ist das Instrument der Selektion. Auf diese Weise ist ein Weg des quantitativen Wachstums nur über das Parteiorganigramm machbar. Handlung und Aufklärung treten in den Hintergrund, sie werden pädagogischen Mechanismen anvertraut, die fälschlicherweise für automatisch gehalten werden. Der Staat zerstört dann sorgfältig selbst die kleinen Reflexe eines solchen Mechanismus (wenn er existiert).

Was sie ablehnen können

Ist der konditionierte Reflex beim Menschen. Die induzierte Sympathie. All das ist durch die dicken Maschen der staatlichen Zensur gegangen. Die Unterstützung, die man für diejenigen hat, die einen grundsätzlich gerechten Kampf geführt haben, wenn auch mit Methoden, die nicht jeder teilt.

Sehr wenig, um einen Einfluss auf den laufenden revolutionären Prozess zu haben. Die wirkliche Bewegung – die nie etwas verliert – könnte davon Gebrauch machen, aber diese winzigen Krümel müssen genutzt werden, kritisch gerahmt, gestärkt werden, jenseits des riesigen schwarzen Klumpens, den die Macht vor dem kritischen Blick der Leute zu platzieren vermochte. Beginnend mit dem Wort „Terrorismus“.

Was kann man dagegen tun? Man sieht sich im Zentrum einer Erfahrung, die anders war als das, was in den Zeitungen geschrieben oder in den Gerichtssälen bestätigt wurde. Die Palastwahrheit wird als selbstverständlich vorausgesetzt. Man erklärt, dass der Krieg vorbei ist.

Auf diese Weise wirft man selbst die wenigen Krümel weg, die positiv und revolutionär geblieben sind.

Was sie für die Zukunft vorhersehen können

Überhaupt nichts. Der unumkehrbare Prozess der realen Bewegung wird sie definitiv als Kollaborateure ausschließen. Keine dialektische Erfindung wird in der Lage sein, ihren heutigen Entscheidungen Glaubwürdigkeit zu verleihen, dem Neokontraktualismus17, der in tausend Gestalten hinter den komplizierten Analysen der Wortmacher auftaucht.

Sie können dann auf die gebrauchte Leinwand zurückgreifen. In hoffentlich besseren Zeiten werden sie wieder die alte und schäbige Zweideutigkeit der Hüter des Tempels, der Kalkulatoren des proletarischen Gedächtnisses spielen.

Die Sache wurde in der Vergangenheit bereits durchgeführt. Vielleicht wird es in Zukunft wieder gemacht. Es gibt immer viele gute Menschen, die auf nichts mehr warten, als an etwas zu glauben.

Aber all das hat nur wenig mit Revolution zu tun.

Werkzeuge in den Händen der realen Bewegung

Letzten Endes handelt und lebt jeder von uns auf der Grundlage von Überzeugungen – ob richtig oder falsch -, aber die meiste Zeit sind wir nicht in der Lage, die wirklichen Konsequenzen unseres Handelns und unseres eigenen Lebens zu sehen. In diesem Sinne haben auch die Schleifer von Parteipsalmen ihren Anteil gehabt. Ein Gepäck von Kämpfen und Erfahrungen hat sich angesammelt, das bereit ist, verwendet oder zerstreut zu werden. Es gibt keine Möglichkeit, sie in den Tresoren der Geschichte zu verwahren. Wir müssen es jetzt, sofort, zu den äußersten Konsequenzen bringen. Sonst werden auch die unbewussten Werkzeuge der Revolution rostig.

Dies beweist auf andere Weise die Nutzlosigkeit von Entscheidungen, wie sie heute so selbstbewusst getroffen werden: Zusammenarbeit ist immer eine Frage der Parteizugehörigkeit, ja der Partei. Die Realität der Kämpfe kollaboriert nicht. Sie kann Menschen und Methoden instrumentalisieren, um sie dann am Rande, an der Stelle der Einsamkeit oder des erbarmungslosen Nachdenkens zu verwerfen. Aber all dies lenkt nicht vom Verlauf des sozialen Kampfes ab.

Es sind andere Dinge, die das Ergebnis ins Spiel bringen, andere Bewusstseinsebenen, andere Beteiligungen, andere objektive Veränderungen. Und im Auftreten dieser „anderen Dinge“ werden auch die ersten, die Unbedeutsamkeit der nun verrosteten Instrumente, trotz ihrer selbst aufhören, solche zu sein.

Sehr wenige Gefährten

Es werden nur sehr wenige von ihnen am Scheideweg der Entscheidungen stehen. Nicht wegen ihrer Verweigerung der Zusammenarbeit, sondern wegen ihrer Kritik an den Fehlern und Grenzen des bisherigen Handelns. Die Konstruktion ist eine relationale Tatsache, sie erlaubt keine Summen oder Subtraktionen. Budgets sind eine Angelegenheit für Buchhalter.

Diejenigen, die sich über die Möglichkeit der Unterdrückung der kapitalistischen Ausbeutung durch eine militärische Entscheidung – im Feld – Illusionen gemacht hatten, müssen jetzt erkennen, dass eine solche Mythologie nur dann verwirklicht werden kann, wenn sie die Form einer realen Ausbreitung der Konfrontation annimmt. Die ganze Prärie brennt, wenn der Wind von der niedrigen Seite weht, und der Wind ist nicht immer zu unserer Verfügung. Nun, wer das nicht versteht, kann sehr wohl nicht mitarbeiten, bleibt aber trotzdem von den Kämpfen der Zukunft abgeschnitten: eine Karyatide18, die auf Gedeih und Verderb an ihrem Platz festsitzt.

Jenseits der Partei

Jenseits der Partei, der libertäre, anarchistische, populäre und aufständische bewaffnete Kampf. Im Moment des Abstiegs, wenn sie sich vorbereiten, Waffen und Gepäck an diejenigen zu übergeben, die sie als Sieger anerkennen, genau hier verkünden sie entschieden die Unmöglichkeit dieser Art von Kampf.

Es ist mehr als sicher, dass diejenigen, die die Erfahrung des bewaffneten Kampfes innerhalb einer kämpfenden Partei gemacht haben, diese Möglichkeit nicht erkennen. Sicher ist aber auch, dass die anfänglichen Gründe, die damals eine operative Forschung in diesem Sinne blockierten, ideologischer Natur waren und sicher nicht strategisch oder taktisch. Es war die Seele des altmodischen Bolschewismus, die das Schema der „Iskra“19 und des Winterpalastes durchsetzte. Nicht die bewiesene Gewissheit der Unmöglichkeit einer anderen Methode des libertären Guerillakrieges.

Jetzt, im Moment der Zusammenarbeit und des Ausverkaufs, macht es keinen Sinn, ein kritisches Umdenken zu erwarten. In ihnen ist vielleicht ein Rest von gutem Glauben, die Lösung der Niederlage als einzige Möglichkeit zu sehen. Wie fängt man wieder an? Auf welcher Grundlage? Mit einem unbekannten Programm und Verfahren? Häufiger verabscheut oder verspottet? Um welche Perspektiven zu treffen? Mit welcher Glaubwürdigkeit? Das Eingeständnis der Niederlage nicht eines militärischen Projekts (was nur eine banale Tautologie wäre), sondern eines politischen Projekts? Es ist besser, sich für eine Zusammenarbeit zu entscheiden, um zu retten, was zu retten ist, und morgen wieder anzufangen und vielleicht die gleichen Wege zu wiederholen.

Das anarchistische Projekt

Wir haben schon oft darüber gesprochen, wie die Anarchisten den bewaffneten Kampf betrachten. Wir haben dies in Zeiten getan, die nicht verdächtig waren, als alles auf die heiße Luft der großen spektakulären Aktionen hinauslief, systematisch von den Medien für den Gebrauch und den Konsum des Plebs geschliffen.

Die Ablehnung vertikaler Strukturen, die nicht sektorübergreifende Zusammenarbeit, die Kontrolle innerhalb der Grenzen der Sicherheit, die Autarkie der Gruppen, die Wahl von Minimalzielen, die zugängliche Bedeutung dieser Ziele, die Kontinuität der Intervention, die fortschreitende Radikalisierung in den sozialen Sektoren, die Selbstinformation, die Propagandatätigkeit, die kritische Klärung, die Zirkulation von Ideen innerhalb der Bewegung, die Vorbereitung von Situationen der Propaganda, die Zwischenkämpfe, die Verbindung zwischen dieser Phase und der folgenden aufständischen Phase, die Versuche und die Ergebnisse der einzelnen Aktionen, die durch einen logischen Faden ohne unverständliche Sprünge miteinander verbunden sind, die Gleichheit aller Ebenen des Kampfes, der polyedrische Charakter der streng militärischen Dimension, die bipolaren Aspekte der organisierten Strukturen, die Fähigkeit, sich in jedem Moment leicht zu destrukturieren, die Kritik am Professionalismus, die Kritik an der Oberflächlichkeit, die Kritik am Effizienzismus, die Kritik am technischen Ökonomismus, die Kritik an den Waffen.

Der aufständische Ausgang

Gemeinsam mit den Leuten, mit den Ausgebeuteten im Allgemeinen, an den dazwischen liegenden Kämpfen teilnehmen: für Wohnraum, gegen Krieg, gegen Raketen, gegen Atomkraftwerke, für Arbeitsplätze, für die Verteidigung der Löhne, für das Recht auf Gesundheit, gegen Repression, gegen Gefängnisse usw.

Und dann setzen wir unsere organisatorische Stärke ein, um diese Kämpfe allmählich weiter und weiter voranzutreiben, hin zu einem möglichen aufständischen Ausgang.

Die Entwicklung der realen Bewegung ist in der Praxis ein Prozess der gewaltsamen Transformation der Klassenkonfrontation.

Mit intermediären Kämpfen kann die reale Bewegung sicher nicht unbegrenzt wachsen. Andernfalls wäre der Anarcho-Syndikalismus die beste Lösung, da er auch einen Export der Strukturen des Kampfes in die Gesellschaft von morgen und ihre Umwandlung in konstitutive Strukturen der neuen Gesellschaftsordnung vorsieht.

Tatsache ist, dass die dazwischen liegenden Kämpfe einen gewaltsamen Ausgang finden müssen, eine Sollbruchstelle, eine Linie, jenseits derer eine Erholung nicht mehr möglich ist, außer in minimaler und daher vernachlässigbarer Form. Aber um dies zu erreichen, muss der Prozess der gewaltsamen Transformation so allgemein wie möglich sein. Nicht in dem Sinne, dass sie notwendigerweise von großen Massenbewegungen ausgehen muss, die gewalttätig sind und das unmittelbare und greifbare Ergebnis verweigern, aber sie muss schon in der minimalen Dimension des Ausgangs die Idee und die Absicht haben, sich als Massengewalt zu entwickeln. Andernfalls wird die Rolle der spezifischen Bewegung wieder symbolisch, in sich selbst geschlossen, in der Lage, nur (bis zu einem gewissen Punkt) die Komponenten der Minderheit (oder, wenn sie es vorziehen, des Schlägers) zu befriedigen.

Der ethische Wert von Gewalt

Nur so machen Diskurse über Gewalt haben einen Sinn. Sicherlich nicht in der abstrakten Idiotie derer, die von einem absoluten Wert des Lebens sprechen. Was mich betrifft, ist das Leben der Ausbeuter und ihrer Diener keinen Cent wert. Und Unterschiede – wie sie gemacht wurden – zwischen dem Ende von Moro und dem von Ramelli zu machen, scheint mir ein fadenscheiniges Vorspiel für einen Diskurs der Entleerung.

Eine Anpassung der befreienden Gewalt an die Bedingungen des Konflikts ist nie möglich. Der Prozess der Befreiung ist seiner Natur nach exzessiv. In einem übermäßigen Sinn oder in einem mangelhaften Sinn. Wann hat man je gesehen, dass ein populärer Aufstand ins Schwarze trifft, indem er die Feinde, die gestürzt werden sollen, deutlich auswählt? Es ist eine Tigertatze, die reißt und nicht unterscheidet.

Natürlich ist eine organisierte Minderheit nicht das aufrührerische Volk. Da unterschieden wird, muss unterschieden werden. Aber es ist auch in dieser Verpflichtung zur Vorsicht gebeten, dass sie sowohl ihre eigene Grenze als auch den Sinn einer möglichen Öffnung findet. In diesem Sinne ist es etwas anderes als echte revolutionäre Gewalt, in diesem Sinne ist es ein „in vitro“-Experiment, in diesem Sinne kann es zu einem lächerlichen Sturm im Wasserglas werden.

Die Unterscheidung ist aber nicht in Bezug auf die Entschlüsselbarkeit der Aktion, sondern in Bezug auf ihre Reproduzierbarkeit zu treffen. Die beiden, wenn man so will, sind nicht getrennt, weil sie unterschiedlich sind. Die Dechiffrierbarkeit des Handelns ist eine andere als die, die die Minderheit selbst erreichen kann, da sie an die Intervention der großen Informationen und damit an die Verzerrungen der Macht gebunden bleibt. Die Reproduzierbarkeit ist eine immanente Tatsache der Aktion selbst. Die Macht, um sie zu entstellen, muss sie zum Schweigen bringen, denn selbst in den gewagtesten Kommentaren kann die Tatsache selbst – nackt und roh – nicht in Frage gestellt werden.

Wir haben daher dieses komplizierte Problem, dass ich wie folgt entwirrt:Der Angriff auf den Klassenfeind ist immer gerechtfertigt. Das Leben derer, die uns unterdrücken und uns am Leben hindern, ist keinen Cent wert. Dieser Angriff kann allgemein, also mit einer massiven Intervention der Leute, durchgeführt werden, und dann ist er nicht an den realen Bedingungen des Zusammenstoßes messbar: er fällt immer disharmonisch, übertrieben oder reduzierend aus. Das ist die maximale Dimension der revolutionären Gewalt, kreativ und destruktiv zugleich. Umgekehrt versucht man in einer Minderheitendimension immer, den Schlag zu messen, ihn an die realen Grenzen des Zusammenstoßes anzupassen. Jeder von uns glaubt, genaue Vorstellungen über den Grad des Klassenkonflikts zu haben und schlägt deshalb Rezepte vor und zieht Grenzen. Was uns in der Praxis leitet, ist die Entschlüsselbarkeit. Wir sind Pädagogen auf der Suche nach Jüngern. Stattdessen sollte die Reproduzierbarkeit der Maßstab sein, an dem man die Gewalt von Minderheiten misst, damit sie eben von der Minderheit verallgemeinert wird.

Der Rest ist Gerede von Priestern.

Das Vereinfachungsprojekt der Partei

Unter anderem sind wir der Illusion verfallen, dass die Partei das Modell, um die Aktionen zu erschaffen vereinfacht. Die Dechiffrierbarkeit wird dann den Propagandaorganen anvertraut, die horrende Plattitüden verfassen, die Proklamationen oder Programme oder Kommuniqués genannt werden. Die Sprache ist ebenso standardisiert wie die Aktionen. Alles wiederholt sich. Alles wird jedem familiär (außer den Leuten). Die Vertrautheit erwerben die großen Massen durch die Interpretation von Macht. Das Ergebnis sind vorgefertigte Aktionsmuster. Andere schauen zu und sind zufrieden mit dem Nervenkitzel des bezahlten Risikos. Das Modell findet ein Glücksfall, wie bei einem Krimi-Roman oder Horrorfilm. Aber niemand käme auf die Idee, einen Menschen in seiner eigenen Badewanne zu zerreißen, um zu sehen, wie es gemacht wird. Sowas sieht man lieber im Kino.

Und es ist nicht wahr, dass es um die Angst vor der Beteiligung geht. Viele Menschen gehen weitaus größere Risiken ein, wenn sie ein Lenkrad oder eine Spritze in der Hand halten. Es geht um die Entfernung. Es ist eine romantische Verzerrung der Realität. Es geht um eine Sakralisierung, die auf befreienden Praktiken aufbaut, die nichts Außergewöhnliches an sich haben. Ausgrenzungen, oft religiösen Ursprungs, die wir vielleicht nie ganz überwinden können.

Die Partei gibt vor, dies alles von außen zu klären, ein vorgekochtes Modell der Reproduzierbarkeit zu konstruieren. Sie erkennt auf diese Weise nicht, dass sie die gleiche Arbeit wie der Staat leistet. Vorschlag für eine verzerrte Verwendbarkeit. In der Distanz zum realen Umfang der befreienden Gewalt berühren sich die beiden Pole. Macht und Gegenmacht laufen parallel und unterstützen sich gegenseitig.

Von welcher Kommunikation ist die Rede?

Bei einem Diffusionsphänomen hätte sich die Brandwirkung des Beispiels ausbreiten müssen. Aber die Aktion blieb unentzifferbar. Es gibt wenig Initiative in dieser Richtung. Den Rest sollte das große Mittel der Information erledigen.

Aber was können diese ideologischen Vehikel der Macht vermitteln? Genau das, was die Macht will. Aber ist die Partei nicht selbst eine Mini-Macht, zumindest in der Entstehung? Und in der Tat, zumindest am Anfang, ging die Argumentation weiter. Die Macht selbst pumpt ein vergrößertes (und damit verzerrtes) Bild des realen Angriffs auf den Feind aus. Aber es war genau zu dem Zweck, die Furche zu graben, sie tiefer und tiefer zu machen. Die winzige Realität in der Entstehung in ein allgemeines und illusorisches Theater des Todes zu verwandeln, mit den zahlenden Zuschauern auf ihren Plätzen, mit der entsprechenden Atmosphäre des Schweigens und der Unsicherheit: alle Elemente des bourgeoisen Dramas. Dann, wenn der Abstand zwischenzeitlich zu groß geworden war, kommt der totale Verschluss, die Unterbrechung. In der Vorstellung des Gebrauchers dehnte sich der mysteriöse Sachverhalt ins Unermessliche aus. Irgendwas zwischen der Bonnot-Bande und Jack the Ripper.

Und die zaghaften Versuche der Verallgemeinerung? Der massenhafte Illegalismus, der hier und da stotterte? Die kleinen Praktiken der Sabotage? Die tausend Brände, die Hunderten von anonymen Mückenstiche, die eingeschlagenen Schaufenster, die wahrhaft proletarischen Plünderungen? Alles ausgelöscht. Kleinigkeiten für Wohltätigkeitsdamen. Wiegenlieder für abweichende Kinder. Vorstadt-Szenen. Im Zentrum (aber welches Zentrum?) spielte sich die große Hauptszene ab, in Partnerschaft mit dem Staat und dem Gegen-Staat.

Und doch gab es auch in dieser Hauptszene, mit all ihren Grenzen, die Keime der absurdesten Entartung und die Keime der möglichen Verbreitung im Territorium. Es hätte gereicht um den immer schwerfälliger werdenden Militarismus zum Schweigen zu bringen, die wortreiche Schrecklichkeit der Vergangenheit, die nun in die ebenso illusorische Schrecklichkeit der Streiks übergegangen war.

Aber dazu war echte Kritik nötig, keine Lippenbekenntnisse. Ein Feldtest, nicht auf dem Tisch der Anatomieinstitute. Ein Toter ist ein Toter, egal, wie man es betrachtet. Es ist notwendig, erst einmal anzukommen, parallel zu erschaffen, zu zeigen, nicht nur auf Risse und Brüche hinzuweisen, die niemand wahrhaben wollte.

Die anarchistische Beziehung zwischen der aktiven Minderheit und den realen Bewegung

Weder ein Bezugspunkt noch ein sicherer Tresor, der die Erinnerung bewahrt, welches die Bewegung selbst alleine auf die Reihe kriegen kann. Weder Planer von Strategien und Methoden noch ein Recyclingzentrum. Doch unabdingbare Voraussetzung des revolutionären Projekts. Bei der magischen Intervention von tausend Bedingungen wird das Warten unerträglich, oft sinnlos.

Man muss pushen, die minimalen Bedingungen erschaffen, damit das Ereignis eintritt, damit die Magie eines Geschehens sich verallgemeinert, sich ausbreitet, wie ein Knoten in der Kehle. Aber mit dem Gehirn und den Augen weit offen. Mit einem Projekt. Mit den unverzichtbaren Mitteln.

Aber es ist auch notwendig, dass das Projekt und die Mittel nicht das Wichtigste werden, das Einzige, wofür wir kämpfen. Ihre Wesentlichkeit kann niemals in Exklusivität umschlagen. Man muss auch wissen, wie man alles über den Haufen werfen kann. Nicht vorher, indem man wartet, dass das Ereignis von selbst eintritt, sondern nachher, wenn die notwendigen (sicherlich minimalen) Bedingungen nicht gegeben sind. Nicht die freie Reproduktion, weil man weiterleben muss. Wir sind anders als diese Geschichte hier. Wir gehen viel weiter, deshalb können wir immer wieder neu beginnen.

Sie sind ausschließlich das. Ein Theorem, das an sich selbst wächst. Ein monströses und kompliziertes Wirrwarr von Tautologien.

Die Ideologie der getrennten Kapitulation

Und die anderen? Von denen, die am nächsten dran sind, zu denen, die am weitesten weg sind? Von jenem Sub-proletariat, das so viel Schönfärberei inspiriert hat, nah, im selben Käfig, aber tausend Meilen entfernt aus eigenen, realen, Gründen der Opposition. Dem Proletariat im Allgemeinen, dem mythischen, aber auch dem realen, dem, das morgens früh aufsteht, das produziert, das sich mit der Systematik einer Stoppuhr umbringen lässt, dem, das weniger geschmeichelt wurde, aber das viel mehr Theorie erhalten hat, was beides sicherlich ebenso nutzlos ist. Man kann nichts dagegen tun. Die Kapitulation erfolgt getrennt.

Es macht wenig aus, dass der Kampf insgesamt weitergeführt werden sollte. Die Avantgarde ist nun vom Feind gefangen genommen worden. Man kann sagen, dass der Großteil der proletarischen Armee das Ereignis nicht einmal bemerkt hat. Sie schweigen und lassen sich weiterhin ausbeuten. Zur Hölle damit. Wir schicken auch den Rest zur Hölle, der vorgibt, seine Schlägertrupps aufzubauen, die sich für einen politischen Diskurs zur Verfügung stellen, sich dann aber als inkonstant erweisen, keine Aufträge annehmen, keine Theorien verdauen. Vorübergehende Allianzen, aber im Grunde nicht viel wert. Also machen wir allein weiter, einigen wir uns mit dem Staat und lassen die anderen im Gefängnis (oder in der Fabrik), solange sie wollen. 1.000 Jahre Einsamkeit, aber nur für sie. Schließlich sind sie undankbar.

Die Hölle ist mit solchen Argumenten gepflastert. Jeder Priester ist bereit, sich zu opfern, aber er verlangt eine Vergütung. Beginnend mit Paulus ist die Bedingung klar gestellt: Entlohnung und Knechtschaft. In dieser fadenscheinigen Argumentation verbirgt sich die geistige Reserve, dass das Proletariat (ob unten oder oben) als Manövriermasse, als Stoßtruppe, die von der kämpfenden Partei geführt und aufgeklärt wird, zu dienen habe. Zum Totlachen.

Doch wenn wir diese Geschichten in der Vergangenheit hörten, waren sie sehr ernst, ja sehr traurig.

Für sie wird der Grad der Konfrontation durch die Feuerkraft bestimmt, die sie auf das Schlachtfeld mobilisieren konnten. Sie begreifen nicht, dass, wenn das Proletariat sie in Stich gelassen hat, als sie Moro und seine Eskorte angriffen (und wie könnte es jemals eingreifen), sie ihrerseits das Proletariat in seinen tausend, ganz kleinen alltäglichen Aktionen in Stich ließ. In seiner kontinuierlichen Konfrontation. In seinem Leiden. Im Zusammenbruch seiner Träume, seiner Hoffnungen. In der tragischen Komödie, die es gezwungen ist zu sehen, gespielt von den verschiedenen Gewerkschaftern/Syndikalisten, Parteifunktionäre, Bossen, Dienern der Bosse usw..

Wenn man zu dem Schluss kommt, dass die Schwierigkeit darin liegt sich dem Proletariat durch eine endlose Zahl von bewaffneten Konfrontationen anzuschließen (und warum sollten Waffen nur solche Dinge sein, die von Industrien wie Breda hergestellt werden?), sind wir gezwungen zu schließen, dass die bewaffnete Partei notwendigerweise alleine bei ihren Angriffen gegen einen oder hundert Ausbeuter sein musste. Nicht nur im physischen Sinne, denn das ist sekundär, sondern im politischen Sinne, im revolutionären Sinne, im Sinne des Projekts der Umgestaltung der Welt.

Hier taucht nun die Einsamkeit der Vergangenheit in der Ideologie der Kapitulation wieder auf. Jeder zieht an seinem Ruder im Boot. Das Proletariat hat sich schon vor langer Zeit das Ruder zu eigenen Gunst herangezogen . Warum sollte es sich an einem Projekt beteiligen, das es gar nicht gibt? Sie ziehen jetzt die Ruder. Der Staat ist in der Mitte, ein sehr parteiischer und interessierter Richter.

Das „in Klammern setzen“ als Verrat

Lasst uns für einen Moment innehalten und nachdenken. Jeder mit seinen eigenen Vorstellungen von damals, aber im heutigen Zustand. Um das Problem zu lösen, müssen wir den Klassenkonflikt in Klammern setzen, um einen Moment der idyllischen Aussetzung zu hypothesieren. Wir drinnen, der Rest anderswo, an einem Ort, der nirgendwo ist.

Neue Worte für eine Haltung, die so alt ist wie die Welt: Verrat. Man ist kein Verräter, weil man kritisches Licht, Vertiefung der Fehler, richtige Einstellung des zukünftigen Handelns will. Man ist ein Verräter, weil man sich selbst in ein Gefängnis sperrt, das viel schmutziger und schrecklicher ist als das schlimmste Benthamsche20 Gefängnis. Wir sind Verräter, wenn wir Barrieren zu denen aufbauen, die unsere gleichen Erfahrungen gemacht haben, das gleiche Brot gegessen haben, die gleichen Fehler gemacht haben. Wenn wir uns von dem Ziel, das wir uns gesetzt hatten, entfernen und es still und unverändert lassen, wenn wir ein Waschbecken suchen, um unsere Hände zu waschen.

Der Verräter von einst küsste auf die Wange. Der Verräter von heute hat Lakatos21 gelesen und spielt mit der Mehrdeutigkeit von Worten. Er weiß, dass Husserl von einer „Aussetzung des Urteils“ als methodischem Kanon zur Erkenntnis der Wirklichkeit sprach. Aber dieser schäbige „Realismus“ ist nicht einmal der des Ostens, der seine eigene bäuerliche Schwere hat, sondern der des Westens, der raffiniert ist, weil er in Leuven gelebt hat.

Auf geht’s, im Verrat kommen sich der deutsche Professor und der russische Bauer näher, wenn beide in der Partei Karriere gemacht haben. Jeder verwendet seine eigenen Mittel, das Ergebnis ist das gleiche.

Es gibt diejenigen, die eine Abkürzung nehmen: Sie singen sofort und verhandeln direkt an der Quelle. Es gibt die anderen, die den langen Weg gehen und sich mit komplizierten Konzepten herumplagen, um über einen Vermittler zu einer Einigung zu kommen. Es ist der gleiche Dreck.

Alle Ratten kommen früher oder später zurück ins politische Boot.

Ein Schritt zurück ist immer ein politisches Einverständnis mit der Macht. Ein Schritt nach vorne kann auch falsch sein, aber er hat eine soziale Wirkung. Manchmal nur marginal, in einem minimalen Ausmaß, aber was zählt, ist die Richtung, die Fahrtrichtung. Die Ratte kann sich ins Meer stürzen, um zu ertrinken, aber früher oder später findet sie den Weg zurück zum Boot. Ihr Instinkt rettet sie.

Die Verhandlung ist ein politisches Moment, wie der Krieg im Wasserglas. Wie der Waffenstillstand. Wie der Frontalaufprall und die Verschärfung des Klassenkampfes. Politik ist auch dies. Eine Kunst des Auskommens, während wir darauf warten, dass andere tun, was wir hätten tun sollen. Deshalb sind Ratten auch keine Maulwürfe.

Indem wir die Forderung auf ihr realistisches Minimum reduzieren, schlagen wir uns als Träger einer Alternative vor: viertausend Gefährten aus dem Gefängnis zu holen. Die Wichtigkeit des Ergebnisses drängt uns dann dazu, die Verschlungenheit des Weges zu überbrücken. Der Kampf kann nur politisch sein. Eine Plattform von Forderungen, nichts Unannehmbares, ein umschriebener Befreiungsprozess, der als die einzig mögliche Lösung für das Problem des gesamten Befreiungsprozesses ausgegeben wird. Im Grunde ist es das übliche Spiel der politischen Superrealisten. Reformen sind sofort umsetzbar. Revolution ist es nicht. Die Utopie stört die Träume der Herren, der reformistische Dialog versöhnt ihren Schlaf. Ihre aktuelle Angst ist die Anwesenheit von viertausend politischen Gefangenen in Italien, die mehr oder weniger mit einer Masse von 35.000 sogenannten gewöhnlichen Gefangenen in Kontakt stehen. Wer weiß, wenn erstere erst einmal aus dem Gefängnis entlassen sind, könnte es möglich sein, für letztere hervorragende Schulen zur sozialen Umerziehung zu organisieren, eine Art Halbdienst nach dem Gefängnis. Utopie für Utopie, das eine ist das andere wert. Der Phantasie von „Stück für Stück“ sind keine Grenzen gesetzt.

Als diese Ratten noch wie Adler kreischten, wäre solches Gerede mit Waffen erledigt worden. Aber das waren andere Zeiten. Nun, nachdem die Kerze abgebrannt ist, ist auch der Kerzenständer verloren.

Das unkritische Aufgeben des Militarismus

Nicht einmal ein Nicken. Feuer einstellen und das war’s. Wir müssen alle nach Hause gehen, denn der Krieg ist vorbei.

Aber wer und was wurde besiegt? Sicherlich nicht die echte Bewegung, die ihren Weg im Untergrund fortsetzt. Sicherlich keine Methode, die weder Niederlage noch Sieg erleiden kann. Eine Mentalität ist besiegt worden.

Und das nicht nur auf dem Terrain des bewaffneten Kampfes.

Aber die Kritik an dieser Mentalität ist oberflächlich und isoliert. Gegen monolithischen Militarismus haben sie wenig zu sagen.

Die alten Karyatiden22 und die alten Argumente

Deshalb besteht auch immer die Gefahr, dass alte Argumente neu präsentiert werden. Vielleicht als neu verkleidet.

Heute erleben wir eine andere Aufmachung des alten reformistischen Diskurses, einen Appell an alle, die die Bewegung wieder zum Atmen bringen wollen. Morgen werden wir Zeuge einer Wiederaufführung des alten leninistischen Zentralismus. Unhöflichkeit kennt keine Grenzen.

Theorie der Flucht und Theorie des Widerstands

Auf der Ebene der revolutionären Kritik sind Kapitulation und Ultra-Unbeugsamkeit gleichwertig.

Die Aussage sollte nicht überraschend sein. Wir sind hier, um uns mit schmerzhaften und schwierigen Problemen auseinanderzusetzen, nicht um Klischees nachzuplappern. Was wir brauchen, ist keine Art der Romantik, keine Treue zu den eigenen strategischen Entscheidungen. Wir müssen uns vorwärts bewegen. Deshalb wollen wir auch nicht weglaufen. Nicht, weil wir glauben, dass alles so gemacht wurde, wie es gemacht werden sollte, und dass deshalb in der besten aller möglichen Welten alles in Ordnung ist.

Weglaufen bedeutet, sich in Nachhutgebiete zu flüchten, wo die Revolution nicht nur in Worten geleugnet, sondern in Taten bekämpft wird. Die Alternative des zivilen Ungehorsams, des Reformismus, des Pazifismus, der Demonstrationen um ihrer selbst willen, ist nichts anderes als Ablassen, Dissoziation, Entfremdung, Weigerung, weiter zu kämpfen. Sich auf die Gesetze zu berufen, auf das Parlament, auf die Mittelsmänner des politischen Handels, dessen Bedeutung mittlerweile bekannt ist, bedeutet, das Blatt zu wenden, bedeutet Verrat.

Aber bei den alten Entscheidungen stehen zu bleiben, die unbestrittene Gültigkeit der Methode der bewaffneten Partei, die unvergängliche Zuverlässigkeit des Militarismus der Minderheit zu bekräftigen, ist auch eine Flucht, eben eine Flucht vor der eigenen kritischen Verantwortung. Vielleicht ist dieser letzte Weg angenehmer, er ist weniger abstoßend, er erweckt einen intimen Ausdruck der Solidarität, aber es ist nicht mit den Bewegungen der Seele, dass revolutionäre Bedingungen gebaut werden.

Ändern, um voranzukommen

Wir brauchen daher Kritik. Was wir brauchen, sind Methoden der Beteiligung, bei denen wir unsere Erfahrungen aus vergangenen Kämpfen einbringen können. Auf diese Weise ist es möglich, den bewaffneten Kampf der kommenden Jahre zu verstehen. Als ein in sich abgeschlossenes Projekt einer bestimmten Organisation hat er nicht einmal mehr jene minimalen Antriebsmöglichkeiten, die diese Erfahrung am Anfang – im Zustand des reifen Kapitalismus – hätte erahnen lassen können.

Wir müssen weitermachen. Die spezifische Organisation ist in Ordnung. Es ist kein Instrument, das ersetzt werden kann, denn es ist der direkte Ausdruck der spezifischen Bewegung, was eine unmittelbar operative Objektivierung des revolutionären Bewusstseins geben kann. Aber es muss ausschließlich auf den Dienst der Beteiligung gerichtet sein. Dem Grad der Kampfbereitschaft der Massen genau einen Schritt voraus zu sein, auf den spezifischen Terrains, in denen sich diese Kampfbereitschaft manifestiert, auch in kleinen Dimensionen, und seine Aktionen auf die erwähnten Fähigkeiten der Massen zu beschränken. Nicht mit voller Geschwindigkeit vorwärts zu fahren und für sich selbst Bedeutungen und Rollen anzunehmen, die nicht zu der spezifischen Organisation gehören.

In diesem Sinne gibt es noch eine Menge zu tun. In der Tat ist es notwendig, an zwei Fronten zu kämpfen. Einerseits gegen die militaristische Mentalität, die eine bestimmte Organisation nicht als umschrieben und begrenzt begreift. Andererseits gegen eine reformistische Mentalität, die selbst den kleinen Schritt nach vorn, den die spezifische Organisation zu machen hat, mit Misstrauen betrachtet und ihn als Ausflucht und Avantgardismus interpretiert.

In einem Versuch, diese Probleme zu klären, haben wir von Insurrektion gesprochen.

Im Vorschlag der Amnestie steht die Ablehnung voranzukommen

Es gibt keine Lösbarkeit des Problems innerhalb der kapitalistischen Struktur. Die Gefängnisse müssen vollständig und endgültig abgerissen werden. Wir können nicht um eine Teilbefreiung feilschen.

Natürlich können wir dem Staat unerträgliche Bedingungen aufzwingen, so dass er – von sich aus – zu einer Teillösung des Problems kommt. Aber das ist kein post-revolutionäres Feilschen, sondern ein Moment des Konflikts. Der Verzicht muss vom Staat kommen. Wir machen uns keine Illusionen, dass es sich um eine totale Kapitulation handeln kann, sondern um irgendeine Art der Abmachung. Dies, ist… Dies ist möglich. Und es muss die wirkliche Bewegung sein, die diese Abmachung durchsetzt, der Klassenkampf, nicht eine Minderheitenentscheidung, die sich an jene reformistischen Ränder klammert, die jede Gelegenheit nutzen wollen, um ihre Machtstrategien durchzusetzen.

Wir dürfen nicht diejenigen sein, die eine Amnestie für die viertausend politischen Gefangenen fordern. Wir müssen die Abschaffung des Gefängnisses für alle fordern (oder erzwingen?), die endgültige Aufhebung des Konzepts des „gefangenen Menschen“. Es ist im Prozess des Kampfes, diese Methode des „Alles und Jetzt“ durchzusetzen, dass der Staat beschließen kann, sich zu arrangieren, irgendeine juristische Teufelei zu gewähren, die auch Amnestie genannt werden kann, oder Begnadigung, oder Aussetzung der Strafe, oder Sozialarbeit, oder was auch immer. Es wird an uns liegen – basierend auf einer Einschätzung der Bedingungen der Konfrontation – zuzustimmen oder nicht.

Deshalb steckt in dem nackten und kruden Vorschlag der Amnestie der latente Wunsch, nicht weiterzumachen.

Der enorme moralische Druck von viertausend Körpern, die praktisch in Einsamkeit sterben, kann uns nicht dazu bringen, die Augen vor den Tatsachen zu verschließen. Wenn wir den Weg des Aushandelns von Plädoyers, des Verhandelns mit dem Staat wählen, werden wir sie nie wirklich herausbekommen. Wir werden viertausend Scheinfiguren von Frauen und Männern herausbringen, die in eine Dimension versetzt werden, in der sie immer die Gitterstäbe eines anderen Gefängnisses vorfinden werden: das Gefängnis ihrer eigenen Nutzlosigkeit, ihrer eigenen Entleerung, des Gefühls, ständig „anderswo“ zu sein, an dem Ort, an dem sie ihre Identität als Revolutionäre abgegeben haben.

Es ist notwendig, das schändliche Theorem zu stürzen, das vorgeschlagen wird: um die Befreiung der Gefährten zu feilschen, um den Kampf wieder aufzunehmen, in die logische und konsequentere Behauptung: um den Kampf wieder aufzunehmen, um die Befreiung der Gefährten durchzusetzen.

Aber diese Wiederaufnahme darf nicht die wahnhafte Wiederholung der monolithischen Modelle der bewaffneten Partei sein, sondern eine kritische Entwicklung in andere Richtungen.

Das trügerische Wesen der Reduktion des Staates auf den minimalen Repressionskoeffizienten

Abprallen, um besser springen zu können, ist ein altes französisches Sprichwort, das nicht zur Klassenkonfrontation passt. Wer zurückweicht, ist verloren. Der Staat lässt kein Zögern zu. Die Repression nimmt nicht ab, wenn sich die revolutionäre Aktion verlangsamt, sie verwandelt sich einfach. Sie wird vorsichtiger und durchdringender. Sie infiltriert auf sozialdemokratische Weise, sie lässt die Suche nach Zustimmung über den Knüppel des Polizisten siegen. Es stellt die Formalitäten der Rechtsstaatlichkeit wieder her. Denn diejenigen, die die Gesetze machen, handhaben sie immer so, wie sie wollen.

Mit dem Zögern über das zu befolgende Verhalten tun wir der Repression einen Gefallen. Wir geben ihm eine unerwartete Atempause. Kein Unterdrückungsinstrument kann lange halten. Kein Sonderrecht kann sich auf Dauer institutionalisieren. Früher oder später leidet der Konsens. Es ist dann notwendig, zur Normalität zurückzukehren. Der Staat ist der erste, der sich dieser Notwendigkeit bewusst ist. Und er wendet sich an die Vernünftigsten unter uns. Das ist ein überzeugendes Argument. Es verspricht nicht, aber es rät auch nicht ab. Es erlaubt einen Einblick. In der Zwischenzeit baut er nicht ab, er ändert die Richtung der Repression. Er unterstellt sie den Verlockungen der Wohlfahrt, den Versprechungen von Arbeit, den reformistischen Projekten.

Es ist nicht möglich, den Staat auf seinen minimalen Repressionskoeffizienten zu reduzieren. Wir können den Klassenangriff abbauen und damit dem repressiven Organismus eine sozialdemokratische Fassade erlauben, wir können so viele Schritte rückwärts machen, wie die Macht Pinselstriche für ihre eigene Schönfärberei macht, um ihre Glaubwürdigkeit wiederherzustellen.

Sie [die Abschwörer] wollen sich innerhalb des Staates Freiräume schaffen, mit ihm um ein größeres Ghetto im Gegenzug für das jetzige kleinere Ghetto feilschen. Auf diese Weise geben sie vor, nicht ein Projekt widerzuspiegeln – was für die makroskopische Irrelevanz wirklich unglaublich wäre -, sondern eine Illusion, einen Standpunkt, der nichts mit dem Zustand der realen Bewegung zu tun hat. Sicherlich ist die Behauptung klug, aber sie verbirgt immer noch den Schein des Fortschritts, auch wenn sie das zweideutige und prätentiöse Kleid einer Arbeitshypothese trägt. Die Substanz bleibt dieselbe: Ein Erbe wird versteigert. Wir wollen helfen, die Versteigerung zu verhindern. Nicht, weil wir glauben, dass dieses Erbe für die Entwicklung der wirklichen Bewegung absolut unentbehrlich ist, sondern weil sein Ausverkauf erstens keine „Befreiung“ bringen würde und zweitens, weil dieses Erbe selbst einem kritischen Licht unterzogen werden muss und ein Ausverkauf en bloc keinen Sinn machen würde, er wäre die Exhumierung eines Willens, eines heiligen und lächerlichen Fetischs.

Die Gemeinschaften der Zukunft werden Gemeinschaften des Kampfes sein, deshalb können sie nicht durch politisches Feilschen geboren werden.

Diejenigen, die noch nie aus ihrem politischen Schneckenhaus herausgekommen sind, behaupten nun, sich auf eine lange Reise begeben zu haben. Sie geben eine alte Mentalität auf und eignen sich eine Neue an. Alles soll so verändert werden, dass alles beim Alten bleibt. Wenn der Krieg die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln war (aber mit welchen Mitteln?); nun sollte die Politik die Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln sein. Wie viele Menschen werden auf diesen Trick hereinfallen? Schließlich hat die menschliche Naivität keine Grenzen. Jeder von uns glaubt immer, schlauer zu sein als der andere, und deshalb schlagen wir uns systematisch den Kopf an allen Ecken und Enden an.

Sie waren schon immer Politiker. Sie haben dem „Herzen“ des Staates den Krieg erklärt, jetzt wollen sie um Frieden und Kapitulation feilschen. All dies ist mehr als normal.

Aber die Tausende von Gefährten, die am Kampf teilgenommen haben, diese Tausende, für die es einen Kampf gab, mit all seinen Fehlern und Begrenzungen; dieses enorme Pulsieren der Hoffnungen, der Träume, der Freude, der unerfüllten Wünsche; dieses Ungeheuer mit tausend Köpfen und hunderttausend Armen, das das obszöne Universum der Bosse wirklich zum Zittern bringen konnte; all das wurde in ein Projekt eingekapselt, wenn auch mit einigen Variationen, ein einziges Projekt, das tragisch falsch war.

Nun liegt ein großer Teil dieses wunderbaren Pulsierens in Ketten. Wenn wir gemeinsam die Projektualität von morgen aufbauen wollen, müssen wir die Möglichkeiten einer spezifischen Bewegung erschließen, die in der Lage ist, Treffpunkte mit der realen Bewegung zu etablieren, an den Orten und Gefühlen, wo der Puls der letzteren für den Puls der ersteren spürbar wird.

Haltet ihr es für möglich, dass so etwas jemals aus einer vertraglichen Vereinbarung hervorgehen könnte?

Ein neuer garantistischer Betrug

Vom Staat wird ein Raum gefordert, in dem die Substanz dessen, was bleibt, vermittelt wird. Der Repressions- und Reproduktionsmechanismus sollte eine Aussetzung gewähren, die derjenigen gleichkommt, die sie – durch großzügiges Zugeständnis derer, die auf die Schnauze gefallen sind – dem Staat zu gewähren bereit sind.

In diesem Raum sollte die spezifische Bewegung mit dem grundlegenden Beitrag von Gefährten, die aus dem Gefängnis gekommen sind, wiedergeboren werden.

Der Staat sollte dann eine neue Fürsorgeaufgabe wahrnehmen: der Ex-Häftlingsbewegung eine Halluzination neuer Art zu verschaffen, Konstruierbarkeit im Fiktiven. Für diejenigen, die an die unglaublichsten Mystifizierungen der bewaffneten Partei, der kommenden Diktatur des Proletariats, des zu bewahrenden Gedächtnisses und so weiter gewöhnt sind, ist dieses neueste Märchen aus der Welt der Wunder vielleicht akzeptabel. Hoffen wir, dass Alice schlauer geworden ist.

Verfolgen wir eine mögliche Argumentation. Der Staat ist ein Regulator von Kontroversen. Er beseitigt das Grundlegende des Kapitals: die Konkurrenz, aber er löst sie nicht vollständig auf. Er macht eine ganze Reihe von anderen Kontroversen überflüssig: kulturelle, physikalische, logistische, mystische; aber er löst sie nicht auf. Jetzt sollte er auch den Widerspruch zwischen der spezifischen, gefangenen Bewegung und ihrer Seele auflösen, die – zu Recht – versucht, durch die Risse in den Gängen und den Stacheldraht zu entkommen. Aber der „Sozialstaat“ verlangt seinen Preis vom Kapital und den Individuen, die sich auf die Scheinlösungen einlassen (von der Beschäftigung der Registrierung über die selbstverwalteten Räume bis hin zum Fernsehen), das Gleiche würde mit der spezifischen Bewegung passieren.

Erinnert ihr euch noch an die alte und miserable Aussicht auf kleine selbstverwaltete Aktivitäten: wie handwerkliche Arbeit für Kindersachen, für Leder, für orientalischen Schnickschnack, die kitschige Mystik? Da, so etwas in der Art. Der Staat, der einen beträchtlichen Gewinn (im Sinne der Herstellung des sozialen Friedens) aus der endgültigen Kapitulation der spezifischen Bewegung zieht, warum sollte er es nicht auf sich nehmen, solche Initiativen zu finanzieren? Schließlich kostet es Milliarden, einen Pentito (Reuigen) sicher (oder fast sicher) unterzubringen, ihm ein Gesicht und eine Identität zu geben, ihm eine Rente zu gewähren, warum sollte nicht ein (oder hundert?) Parlamentarier bereit sein, ein solches Gesetz zu unterstützen?

Könnte es sein, dass sich auf dem Grund der Seele vieler Ultra-Fürchterlicher23 das milde Akkumulationsgefühl des Ladenbesitzers verbirgt?

Aber der Staat wird nicht um Geld gebeten, sondern um eine Garantie. Die Abgrenzung eines Raumes (wird gebeten), innerhalb dessen die Bewegung an anderen Projekten wiederbelebt werden kann.

Ist dieser Raum jedoch bei näherer Betrachtung dem Gefängnis nicht sehr ähnlich? Wären sie nicht Geister ohne Namen und ohne Identität, die im Universum der in Gallarate24 gefertigten Schmuckstücke, Ledertaschen und Samoware umherirren und ums Überleben kämpfen würden?

Definitiv nicht. Sie haben eine viel breitere Vorstellung von diesem Ghetto. Es handelt sich nicht um eine neue Art von kommerziellem Unternehmertum, sondern um eine politische Selbstverwaltung von Räumen, in denen das quantitative Wachstum der spezifischen Bewegung oder die Verbindung mit der realen Bewegung möglich ist. Eine infrastrukturelle Verzweigung, die so subtil und ausgeklügelt ist, dass sie jenen Netzwerken ähnelt, in denen die Cotechini25 von Modena gekocht werden.

Offensichtlich würde all dies den Geist der Partei wiederbeleben. Natürlich nichts gefährliches, sonst wäre der Kunde am Ende wirklich sauer. Ein einfaches und faires Spiel, eine neue Art von Oxymoron: Sagen wir eine Vertikalisierung des Horizontalen.

Aber wenn wir diesen Raum des Elends und des Überlebens aushandeln, was ist dann mit den anderen? Mit denen, die nicht einverstanden sind? Und mit den anderen, die noch weiter weg sind, aber trotzdem im gleichen Boot wie die Proletarier sitzen? Und mit den sogenannten gewöhnlichen Gefangenen?

Die klassenübergreifende Seele des Hyperklassismus

Die Zentralität von etwas ist für sie unverzichtbar. Gestern die Arbeiterklasse. Heute sie selbst. Natürlich nicht als Klasse, sondern als privilegierte Gesprächspartner des Staates, um jeden Rest von revolutionärem Widerspruch zum Schweigen zu bringen, für ein Verständnis außerhalb von allem, aufgehoben im Vakuum des Klassenübergreifenden.

Denn selbst wenn sie hyperklassistisch waren, hatten sie eine klassenübergreifende Seele. Das Zentrum war eine Führung, ein Element der Koagulation. Man könnte endlos Hypothesen aufstellen über einen progressiven Übergang von der Klassenassimilation zum unbegrenzten quantitativen Wachstum. Runter, bis ganz runter auf einen begrenzten Kern von Aggregationsverweigerern, die – schon a priori – als Konterrevolutionäre definiert sind. Natürlich war die Gewalt ein diskriminierendes Element, aber ein zufälliges, ein pädagogisches Werkzeug, ein Mittel der Kommunikation. Wenn man es verstanden hat, können sich die Dinge von selbst ergeben. Gut schütteln und loslegen. Der Schlag ins Herz des Staates.

Der Klassenkampf wurde von ihnen immer als ein mittelfristiges Projekt gesehen, etwas, das zwischen einer Herbst- und einer Frühjahrskampagne gelöst werden sollte. Darin lag ihre klassenübergreifende Bedeutung. Ihre Unfähigkeit, die zahllosen und subtilen Widersprüche des realen Klassismus, des sozialen Krieges, gut zu verstehen. die tausend Rinnsale, in die sich die Klassenfront aufteilt. Die Unmöglichkeit, die Guten auf die eine und die Bösen auf die andere Seite zu stellen.

Es war das Erbe des Simplifizierens der dritten Internationalen. Jetzt ist es derselbe Prozess, der angestoßen wird, um den Glauben an die politische Methode intakt zu halten. Die Nuancen werden im Abstrakten entdeckt, in der Welt des Feilschens mit der Macht, im Neo-Reformismus der selbstverwalteten Gemeinschaften, die nicht aus dem Kampf, sondern aus dem Kompromiss entstanden sind. In diesem Sinne sind sie alle hochgradig durchdringend und decken Zusammenhänge auf, die niemand sonst entdecken könnte. Im eigentlichen Sinne, der revolutionären Erkenntnis, sind sie grob und oberflächlich. Sie wiederholen immer das Gleiche: Niederlage und Kapitulation, Flucht und die Unausweichlichkeit, sich für besiegt zu erklären.

Sie sind altmodische Fabianer26, nicht einmal in der Sprache modernisiert. Neo-Sozialisten des Gesellschaftsvertrages, sie sehen nicht einmal wie gefallene Engel vom Himmel aus. In diesem Sinne haben sie nie einen Versuch gemacht, ihr Flug war immer unbeholfen und ohne Horizont. Ein vergebliches Hüpfen zwischen verpassten Gelegenheiten.

Die unbegehbare Straße der Unschuld

Zumindest in einem Punkt sind wir uns einig: Es ist nicht möglich, sich für unschuldig zu erklären. Nicht technisch, nicht von einem revolutionären Standpunkt aus.

Sieht man von den wenigen Fällen ab, in denen eine bestimmte Tatsache bestritten wird, die man zweifelsfrei beweisen kann, so führt die Unschuldstuerei in den meisten Fällen zur Distanzierung von den anderen Gefährten, zum Elend, sich anderweitig zu äußern.

Und es ist offensichtlich, in welche Gemeinheit diejenigen verfallen sind, die zu diesem Versuch der Entfremdung gegriffen haben: die Ablehnung nicht so sehr der eigenen Verantwortung, sondern des eigenen revolutionären Weges, der eigenen Ideen. Arme Hoch als Symbol der befreienden Freude, oder im Zeichen der bedingungslosen Kapitulation?

Das Mitleid mit diesem Elend wächst, wenn man sieht, wie peinlich genau diejenigen, die die völlige Unschuld zum Reisepass gemacht haben, um die Mauern des Gefängnisses zu überwinden, sich bemühen, das Unbeweisbare zu beweisen. Auf welche Begründungen und Floskeln sie sich stützen.

Und dann, selbst aus den Tiefen des Elends einer solchen Position, ist das Ergebnis nicht unbedingt garantiert. Ein Weg der individuellen Verleugnung jeglicher Beziehung überzeugt selbst den oberflächlichsten Inquisitor nicht.

Außerdem sind wir alle für unseren Traum, in den Himmel zu kommen, verantwortlich. Wir können uns jetzt nicht in Zwerge verwandeln, wenn wir, Ellbogen an Ellbogen, jeder den Herzschlag des anderen spürend, davon geträumt haben, die Götter anzugreifen und zu besiegen. Es ist dieser Traum, der die Macht erschreckt. Es zu leugnen, hieße, die Gemeinschaft der süßen Gefühle zu leugnen, die uns zusammenhielt, als wir uns für den Aufstieg entschieden, auch wenn wir weit voneinander entfernt waren, auch wenn wir uns selbst nicht kannten, auch wenn wir – an der Grenze – starke kritische Ausgrenzungen hatten. Es zu leugnen ist einfach feige.

Auf einem anderen Weg ist die Unschuldsvermutung eine Anerkennung des Staates, ein Vertragswesen, so wie diejenigen, die einen Weg zur Amnestie für politische Gefangene suchen. Das unschuldige Selbst ist Schuld des anderen, das Prinzip, dass man anders war, nicht, dass diese oder jene Tatsache nicht so zustande gekommen ist, wie der Untersucher behauptet, sondern einfach Fremdheit und Abschwörung.

Niemand kann neutral sein, wir alle sind schuldig an der Verwaltung und Ausarbeitung jenes Klimas, das uns damals erregte und überwältigte. Selbst die kritischsten unter uns können keine verfassungsrechtliche Unschuld behaupten. Es ist genau dieses Klima, das für den Staat schuldig ist. Und das müssen wir einfordern. Unsere Kämpfe gegen die Repression, gegen die Gefängnisse, gegen die Ausbeutung wurden nicht geträumt. Die Macht weiß das. Ihre Polizisten kennen uns genau. Das ist der große Vorwurf, der uns alle eint.

Und dann bedeutet es die Anerkennung des repressiven Mechanismus: das Gericht an erster Stelle. Es ist in Ordnung, dass der alte Pselbstbezichtigende Prozess beiseite gelegt wurde, der übrigens zum Arsenal der militaristischen Perspektive des bewaffneten Kampfes gehört. Aber von hier bis zur Anerkennung der Legitimität der von den Gerichten ausgeübten Justiz ist der Schritt beträchtlich.

Die gerichtliche Konfrontation

Der Staat hat nie juristische Glaubwürdigkeit gehabt. Die Kanonen seiner Legitimation sind die, die aus der Gewalt abgeleitet werden. In diesem Sinne ist die Realität der Gerichte eine lächerliche Farce, die uns nicht beschäftigen sollte. Das Gleichgewicht der Kräfte – wenn wir dazu in der Lage sind – wird an anderer Stelle wiederhergestellt. In der realen Bewegung. Andernfalls ist jeder Diskurs von vornherein ein Verlierer.

Es gibt natürlich Grenzfälle, in denen es möglich ist, genaue Tatbestände der Fremdnützigkeit nachzuweisen. Diese müssen bis zum Ende ausgenutzt werden, um die Macht zu zwingen, ihre eigenen Regeln zu respektieren und deren Nichtbeachtung anzuprangern. Oft funktioniert das System, genauso oft aber auch nicht. Ein Versuch ist es aber wert.

Dann gibt es die allgemeine Propaganda, die darauf abzielt, den unglaublichen Widerspruch zwischen dem Gesetz und seiner repressiven und inquisitorischen Anwendung zu demonstrieren. Dies ist von Nutzen. Der fortschrittliche Bourgeois spürt, wie die Adern in seinem Hals anschwellen, wenn er so etwas bemerkt. Lärm schadet in dieser Angelegenheit nie.

Aber wir dürfen uns auch untereinander keine Illusionen machen. Wir wissen ganz genau, dass sowohl die Regeln des Rechts als auch die Wut der bourgoisen Fortschrittsfanatiker selbst relative Fakten sind. Die Gerechtigkeit liegt immer in den Händen des Stärkeren.

Die sogenannten Pentiti/Reuigen

Der Staat hat sich mit einer Handvoll armer Maschinengewehrschützen geeinigt, die sich zufällig in einem Erschießungskommando aus Gefährten wiederfanden. Ein Übel der wahllosen Rekrutierung? Defekte des Mythos der Quantität? Verzerrungen der militärischen Logik? Menschliches Elend? Was bedeutet es, zu spezifizieren. Wenn die Zeit kommt, werden wir uns mit diesen Menschen arrangieren.

Für den Moment müssen wir verstehen, dass der Staat keinen Rechtsgrundsatz verletzt hat, indem er mit den Verrätern übereinstimmte und lebenslange Haftstrafen gegen das Leben der Gefährten aushandelte. Es ist mehr als normal. Für diejenigen, die es nicht wissen, alle Staaten haben einen speziellen Organismus, der aus Spionen besteht (der Geheimdienst) und wenn nötig ist jeder gute Polizist ein ausgezeichneter Spion. Dass nun die Zahl dieser guten Leute zugenommen hat, sollte nicht überraschen.

Das Wunder kommt von denen, die sich einbilden, es gäbe einen „Rechtsstaat“, das ideale Gegenstück zu der Ware, die sie verkaufen wollen. Sie sind genau diejenigen, die am lautesten darüber schreien, dass der Staat die pentiti, die Dutzende von Morden gestanden haben, vor die Tür setzt und ihre Gefährten, die nichts gestanden haben, drinnen hält. Aber warum sind sie überrascht? Aus der einfachen Tatsache heraus, dass es zumindest peinlich ist, an eine Einigung mit denen zu denken, die nicht einmal ihre eigenen Regeln respektieren. Was würde passieren, wenn nach den neokontraktualistischen27 Versuchen und mehr oder weniger legalisierten Versprechen die Pakte nicht eingehalten werden?

Das Witzige an jedem Vertrag ist sein synallagmatischer28 Aspekt. Für eine vertragliche Vereinbarung braucht es zwei Personen. Aber es ist auch notwendig, dass keiner von beiden ein professioneller Betrüger ist.

Die Antwort wird sein, dass der Staat seine Pakte mit den pentiti respektiert hat. Ja, aber er hat seine eigenen Gesetze nicht beachtet, nach denen eine Katze eine Katze ist und niemals ein Kaninchen werden kann. Aber Gesetze können geändert werden. Dasselbe gilt für Verträge.

Der Staat wird die Vereinbarungen mit diesen neuen Unternehmern der sozialen Selbstghettoisierung nur dann respektieren, wenn diese Vereinbarungen einer effektiven Senkung des Niveaus der Konfrontation entsprechen. Die neue Infrastruktur, die sich abzeichnet, muss sozialen Frieden schaffen. Denken wir darüber nach, wie diejenigen, die gestern in der ersten Reihe der Demos marschierten und die fortschrittlichsten Aktionen (von einem bestimmten Standpunkt aus gesehen) durchführten, heute eine solche Aufgabe erfüllen. Denkt daran, was einige Leute, die gestern noch die befreiende Gewalt des Proletariats theoretisierten, heute sagen und tun. Sie sitzen auf den obszönsten Bänken, Mumien neben anderen Mumien, und reden über Frieden, während andere über Krieg reden. Sie sind sehr nützlich für den Staat. Aber sind sie nützlich für die Revolution? Sicherlich nicht.

Seid vorsichtig, Gefährten. Die Abschwörung hat viele Wege. Einige eindeutig abstoßend, andere eher erträglich, geschmückt mit dem Anschein eines gesunden Reformismus, voller nichtssagender Worte, die nur dazu geeignet sind, ein Feigenblatt vor die eigene Scham zu legen.

Zumindest die wirklichen pentiti, diejenigen, die Dutzende von Gefährten en bloc verraten haben, wissen, was sie erwartet: heute eine falsche Freiheit, ein ebenso falscher Pass, eine falsche Identität; morgen eine Kugel in die Stirnmitte. Die Neokontraktualisten wissen nicht, was sie erwartet: weder an der Front der Beziehungen zum Staat noch an derjenigen der Beziehungen zu den Gefährten.

Von wem und von was lossagen/abschwören (dissoziieren)

Es macht Sinn, aufzugeben, wenn ein Projekt in der Umsetzungsphase ist. Wir können mehr oder weniger mit dem Projekt einverstanden sein. Man kann im Verlauf der Dinge eine ganz andere Tatsache sehen als die, die uns anfangs zum Handeln gedrängt hat. Und in diesem Zusammenhang unterlässt man es, sich der Kritik zu stellen. Die Gründe für Meinungsverschiedenheiten werden vertieft. Wir messen diese mit unseren Gefährten an der Realität der revolutionären Perspektiven,und wir treffen Entscheidungen.

Aber wenn es der Staat ist, der dich zum Aufgeben auffordert, der dir eine reiche Belohnung für deine Kapitulation anbietet, dann ist die Sache anders. Ihr werdet nicht um Kritik gebeten, sondern um Abschwörung. Es gibt nichts, wovon man sich lossagen könnte, nicht zuletzt, weil es auf der operativen Ebene nichts gibt, was für das Projekt der bewaffneten Partei von Bedeutung wäre. Es kann zukünftige Entwicklungen in einem anderen Sinne geben, in der Konstruierbarkeit des libertären Modells der bewaffneten Konfrontation. Und unter diesem Gesichtspunkt bist du aufgefordert, aufzugeben.

Hier liegt die Gefahr und Schwere der Auforderung. Viele Gefährten halten die modellbezogene Irreduzibilität/Unvershöhnlihckeit für einen Irrsinn eines unkritischen Festhaltens an Positionen , die die Realität als unzeitgemäß erwiesen hat. Und dieser Gedanke von ihnen ist richtig und vernünftig. Aber sie reflektieren nicht, dass die Abschwörung auf der Ebene möglicher zukünftiger Auswege abverlangt wird und nicht auf der Ebene der gegenwärtigen Frage die Art und Weise, den Klassenkampf zu begreifen.

Daher kann man sich zu keinem autonomem Verhalten bei der Abschwörung bekennnen. Die einzige Perspektive ist die Kritik. Es spielt keine Rolle, ob dies seitens des Staatsorgans auf Belohnung oder Gleichgültigkeit stößt, ebenso wie es keine Rolle spielt, wenn es mit einer Unbeugsamkeit/Unversöhnheit in einen Topf geworfen wird, die bei aller moralischen Klarheit keine revolutionäre Grundlage mehr hat.

Ein nicht existentes Projekt lässt also keine Abschwörung oder Lossagung zu. Wir können nur ein anderes Projekt entwickeln, das dem ersten kritisch gegenübersteht und in sich selbst schlüssig ist. Aber diese Entwicklung kann nicht von einer Entfremdung ausgehen, die den Staat als Auftraggeber hat, sie muss von einer Analyse der gegenwärtigen Ebene der Klassenkonfrontation ausgehen. Die revolutionäre Solidarität ist zweifellos eine Tatsache von großer moralischer Bedeutung, aber sie kann keine Planungsgrundlage für die zukünftige Entwicklung der konkreten Bewegung sein. Andererseits aber auch nicht die Entsolidarisierung.

Es ist keine Frage der Entfernung. Es ist eine Frage des Weges. Wir gehen auf die Klassenkonfrontation zu. Im der anderen Richtung gibt es Menschen, die sich davon wegbewegen. Wer den Kampf fortsetzen will, muss erwachsen werden. Zunächst einmal kritisch. Deshalb müssen sie (A.d.Ü., die Leute, die den Kampf fortführen) die Unbeugsamkeit als perversen Mechanismus einer Reproduktion des Nicht-Existierenden isolieren. Aber sie müssen auch den Neokontraktualismus isolieren, als einen ebenso perversen Mechanismus des Ausverkaufs und der Resignation. Beide Wege führen nicht zur Befreiung, beide führen nach Rom.

Wir beanspruchen unsere Kämpfe als Anarchisten

In Zeiten des Ausverkaufs bekräftigen wir erneut unseren Kampf für die totale Befreiung, jetzt und sofort. Deshalb haben wir auch jenes hyperbolische Projekt unterstützt, das a priori erklärte, die Befreiung nicht in unserem Sinne zu verstehen. Denn es war möglicherweise ein Irrweg, ein Versehen im negativen Sinne für sie und im positiven Sinne für uns. Dieses Versäumnis ist nicht eingetreten, aber wir waren nicht die Totengräber, die den Untergang ankündigten. Andere haben im Vorfeld leichte Anathema29 gewebt, leichte Kritik an Blechpistolen. Wir hatten Recht. Der Fehler lag nicht in der Unzulänglichkeit der Mittel, sondern in der Unmöglichkeit der Methode.

Und wir haben die Kritik direkt in das Organisationsprojekt getragen. Die nicht bei Worten stehen bleiben, wie die Schreiberlinge, die Analysen produzieren wie Fiat Autos produziert. Von innen heraus haben die Fehler der anderen auch ein gnadenloses Licht auf unsere eigenen Fehler geworfen, und wir hatten auch Momente des Aussetzens, der Selbstliebe, des Fahnenschwenkens, der Verteidigung des Prinzips. Aber das war wenig im Vergleich zu der Arroganz, die auf der einen Seite grassierte, und der erbärmlichen Duldsamkeit, die in leichte und oberflächliche Kritik auf der anderen Seite umschlug.

Es ist nun an der Zeit, andere Wege zu gehen. Diejenigen, die von sich aus um eine Klammer gebeten haben, ohne den Mut zu haben, sie als eine von vielen geteilte Haltung zu diktieren, bleiben am Feuer hocken. Wir bestehen darauf, nach draußen zu gehen, in den Nebel und die Kälte. Draußen, wo man nie mit Sicherheit sagen kann, was wir zu tun haben und wohin wir zu gehen haben.

…und die Anwendung von organisierter Gewalt gegen Ausbeuter aller Art…

In Zeiten wie diesen, in denen die Vögel tief fliegen, gibt es nur noch wenige, die eine Revolution für möglich halten. Es ist immer leicht, einige auserwählte Seelen zu finden, die über Revolution „reden“, aber nur sehr wenige versuchen, etwas Konkretes im richtigen Sinne zu tun.

Solange es Gespräche gibt, sind sich mehr oder weniger alle einig. Wenn es zur Aktion kommt, selbst minimal, peripher, mikroskopisch, dann beginnen die Unterscheidungen. Man muss warten, bis immer etwas anderes passiert. Dass irgendwo das Zeichen der Reife der Zeit eintrifft. Und ängstlich werden die Himmel befragt und die Bäuche der Vögel geöffnet, aber die guten Wünsche werden nie ausgesprochen.

Wir bekräftigen hier unsere stumpfe Überzeugung, dass die Anwendung von organisierter Gewalt gegen die Ausbeuter, auch wenn sie den Aspekt einer Minderheit und einer begrenzten Aktion annimmt, ein unverzichtbares Instrument des anarchistischen Kampfes gegen die Ausbeutung ist.

Unser Konzept der proletarischen Gerechtigkeit

Auch in diesem Sinne, in der vorherrschenden kritischen oder skeptischen Haltung, die sich in der bitteren Erkenntnis niederschlägt (aber für wen?), dass es keine „Gerechtigkeit“ in den Fängen des Staates gibt, sind wir zu dem Schluss gekommen, dass es keine proletarische Gerechtigkeit gibt und wir kein Interesse daran haben, dass es sie gibt.

Auch hier sind wir nicht einer Meinung. Wir halten es für richtig, an die Ausbeuter und ihre Handlanger zu erinnern. Sich daran zu erinnern, wenn der passende Moment kommt, wenn es möglich sein wird, in Begriffen der Zerstörung der bourgeoisen Gerechtigkeit und des Aufbaus der proletarischen Gerechtigkeit zu diskutieren. Nicht, um modifizierte alte Gerichtssäle wiederzubeleben und neue Richter, neue Gefängnisse und neue Staatsanwälte zu installieren, sondern um die Verantwortlichen einfach hinzurichten. Hinzurichten heißt hier genau genommen, ihnen einfach einen Kugel zwischen die Augen zu schießen.

Sollte eine aufrichtige Seele dieses Programm für übertrieben halten, sollte sie versuchen rechtzeitig, die Pfoten aus dem Wasser zu bekommen, sie könnte sich eine Erkältung einfangen. Wir sagen diese Dinge heute, in Zeiten, die auch – auf andere Weise – nicht verdächtig sind, nicht um in die Reihe derjenigen Extremisten aufgenommen zu werden, die das Fortschrittlichste sagen können, sondern weil wir von der Notwendigkeit eines solchen Vorgehens fest überzeugt sind.

Als die Revolution 1917 in Russland erwachte, organisierten die anarchistischen Gefährten die systematische Erschießung aller Bahnhofsvorsteher auf der Strecke Petersburg-Moskau, weil sie für die Denunziationen von 1905 verantwortlich waren, die Tausende von anarchistischen Eisenbahnern ins Gefängnis gebracht hatten. Diese Gefährten wollten keine pädagogische Theorie anwenden, sie wollten den anderen Bahnhofsvorstehern oder den Leuten im Allgemeinen nichts beibringen, sie wollten nicht einmal die schmutzigen Roben der Richter eines angeblichen Gerichts der proletarischen Gerechtigkeit tragen: Sie hatten nur das bescheidene und begrenzte Ziel, alle Bahnhofsvorsteher, die für die Denunziationen verantwortlich waren, auf der Stelle zu erschießen. Nicht mehr und nicht weniger.

Das ist es, was wir mit proletarischer Gerechtigkeit meinen.

…und das Recht, sich an Verräter zu erinnern…

Das auch. Denn es soll niemand mit irgendeiner verworrenen Geschichte mit Rechtfertigungen für ein bestimmtes Verhalten kommen, das von der Notwendigkeit diktiert wird. Wir wissen nicht wirklich, warum, aber unter uns gibt es immer irgendeinen ethischen Theoretiker, der Zweifel an dem Recht hegt, Verräter zu beseitigen. Und die Diskussion beginnt immer mit dem üblichen Geschwätz über die Todesstrafe.

Es stellt sich nun sehr oft die Frage, ob Staaten das Recht haben, eine Person zum Tode zu verurteilen, von der sie glauben, dass sie für bestimmte Verbrechen verantwortlich sind. Und wir kämpfen gegen die Todesstrafe. Dies ist ein sehr gerechter Kampf, der darauf abzielt, die repressiven Maßnahmen der Staaten zu begrenzen. Das heißt aber nicht, dass ein Staat, der die Todesstrafe abgeschafft hat, ein „Rechtsstaat“ ist. Einen solchen Zustand gibt es nicht. Es ist juristische Phantasie und nichts weiter. Es gibt Staaten, die ein anderes Machtgleichgewicht haben, wie zum Beispiel der sogenannte demokratische Staat, und innerhalb dieses Gleichgewichts ist kein Platz für die Todesstrafe. Manchmal sind wir es selbst, die diesen Raum mit unseren Garantie- und Reformkämpfen verkleinern, und es ist gut, dass dies der Fall ist, weil wir diktatorische und repressive Ambitionen eindämmen. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass der Staat seine Gesetze auf Gewalt und nicht auf Recht gründet.

Zu gegebener Zeit, im Verlauf der Revolution, und selbst bei den ersten Andeutungen davon, haben wir nicht die Absicht, unsere Kraft an die Stelle der staatlichen zu setzen und damit eine Gegenmacht zu errichten, die ihre eigene Rechtsauffassung zur Hinrichtung von Verrätern durchsetzt. Wir wollen nur diesen Prozess der proletarischen Gerechtigkeit durchführen, ohne dass eine Theorie des revolutionären Rechts entwickelt wird, um sie [die proletarische Gerechtigkeit] zu rechtfertigen. Wir werden keine Rechtfertigung brauchen. Es sind die Tatsachen, die diese Leute begangen haben, die für sich selbst sprechen werden, nicht die a priori Gesetze, die wir machen werden, um ähnliche Tatsachen im Allgemeinen zu unterbinden. Diese Gesetze werden nicht von uns gemacht (wir machen nicht einfach Gesetze), diese Gesetze sind seit Jahrtausenden in den Herzen der Menschen, und darin lesen wir, dass Verräter beseitigt werden müssen.

… in unseren Fehlern lag nicht die Erstickung der Gewissheit

Wir haben sie nicht in „gutem Glauben“ begangen. Wir wissen nicht, was guter Glaube ist. Wir haben sie begangen, weil wir wussten, dass wir sie begehen, aber es in einem bestimmten Moment für opportun hielten, einen Irrtum statt einer Wahrheit zu wählen, die nur a priori auf Kritik beruht.

Alle Anarchisten kennen aus alter Erfahrung den tragischen Irrtum der Partei und der leninistischen Konzeption. Aber unsere Kritik, die mit dem konkreten Auftauchen solcher Erfahrungen konfrontiert ist, hat sich nie in der Abstraktheit von Prinzipien bewegt. Wir haben es vorgezogen, sie in der Konkretheit der Handlungen, in der eigentlichen Schwierigkeit der spezifischen Organisation, inmitten der Widersprüche des Tuns zu führen. Und in diesem windgepeitschten Gebiet trafen wir Gefährten mit großem Mut, mit großem Herzen, die fähig waren, dem Kampf mit Gelassenheit entgegenzutreten, auch wenn der Ausgang mehr als ungewiss und die verfügbaren Mittel mehr als zweifelhaft waren. Und das lag daran, dass wir Vertrauen in andere Gefährten hatten, in die Möglichkeit, dass ein Irrtum auf dem Weg plötzlich zu einer sachlichen Kritik werden könnte, die in der Lage ist, Pläne und Doktrinen umzustoßen, Mumien und Programme zu erschüttern. Das war nicht so. Aber wäre es anders gewesen, wenn auch wir das mürrische Gewand des politischen Zensors getragen hätten? Hätten auch wir eine Kritik an Effizienzismus und Doktrinärismus entwickelt?

…unsere Thesen über Kreativität, Subversion, Freude…

Doch selbst beim Aufzeigen der Güte der Richtung haben wir eine Zeit, für eine lange Zeit, ganz unterschiedliche Kritiken und Projekte entwickelt. Wir wiesen darauf hin, dass die Freude nicht an der Basis dessen zu finden war, was sie taten, und auch nicht an der Basis anderer Aktivitäten, die infolgedessen im allgemeinen Klima schließlich stark in die Richtung konditioniert wurden, die sie dem Kampf aufzwangen. Und da -wir- keine Freude finden konnten, fehlte die erste Grundlage des Kampfes selbst, die Kreativität unserer Intervention, die subversive Substanz des Projektes, das wir trugen.

Selbst in makroskopischen Grenzen mussten diese Elemente in unserer revolutionären Arbeit vorhanden sein, sonst waren wir gezwungen, das, was wir taten, nur aus dem guten Grund zu akzeptieren, dass wir es waren, die es taten. Es konnte nicht funktionieren. Und es hat nicht funktioniert.

In diesem Sinne, in der Erfahrung vergangener Beschränkungen, bereiten wir uns auf einen Neuanfang vor.

Die separate Lösung gibt es nicht

Je mehr wir über die vergangenen Bedingungen der Konfrontation nachdenken, je mehr wir sehen, wie die gegenwärtige Situation das Produkt vergangener Fehler ist und sich als eine mögliche Öffnung nur unter der Bedingung darstellt, eine operative Kritik einschließen zu können, desto mehr erkennen wir, dass es keine separate Lösung für das Problem der Gefährten im Gefängnis gibt.

Akzeptiert man eine Verhandlung, wie sie von den Neokontraktualisten vorgeschlagen wird (Amnestie, ein festgelegtes Paket an Haftjahren, das für alle gleich ist, eine Zeit sozialer Arbeit außerhalb des Gefängnissesusw.), müsste man zahlen, indem man seine ganze Vergangenheit in die Waagschale wirft.

Das würde die Ablehnung der Revolution bedeuten, die Ablehnung der Anarchie, die Ablehnung der eigenen Identität als Frau und als Mann, die Ablehnung der eigenen Zukunft.

Die einzige Lösung ist daher die Fortführung des Kampfes. Natürlich auf eine kritische Art und Weise, mit anderen Zielen und Methoden, die der aktuellen Situation angemessen sind, aber der Kampf wird fortgesetzt.

Das Gefängnis in allen Interventionen: ein qualifizierender Moment der Konfrontation

Das Aufbrechen des Sektierertums muss der Aussagekraft der Kampfthemen entsprechen, sonst wird es zu einer banalen methodologischen Formel. Wenn wir uns darauf beschränken, die Leute darüber zu „informieren“, wie schlecht die Macht ist, können wir nicht alles in einen Topf werfen, und so sind wir sofort geneigt, die schlimmsten Verfehlungen zu graduieren, um spezifischer und damit prägnanter zu erscheinen.

Wenn wir mit Menschen über Atomkraft sprechen, können wir sicherlich das Problem unserer Gefährten im Gefängnis einbringen, aber wir tun es nicht immer: Wir sehen Tod und Zerstörung, atomare Verseuchungen, das Ende des Lebens auf der Erde, Krieg und apokalyptische Konflikte voraus. Die Menschen sind beeindruckter, und wir sind fasziniert von der Tatsache, dass wir es schaffen, Menschen zu beeindrucken.

Die Gegeninformation hat als ihr eigenes Schicksal, immer sektorisiert zu sein. Heute dies, morgen das. Am Ende wird man zum Spezialisten für Antimilitarismus, für Arbeitsprobleme, für Gefängnisprobleme, für Feminismus, für die Wohnungskampfbewegung usw.

Wir müssen uns also über zwei Dinge im Klaren sein: a) es ist nicht möglich, allumfassende Gegeninformationen zu haben; b) wir können die verschiedenen Themen nicht in einen Topf werfen, sonst werden wir von den Leuten nicht verstanden.

Aber es gibt auch eine andere Sichtweise. Fokussierung auf ein Problem (sagen wir z.B. das der Nachbarschaft) und Verbindung der Probleme, die um dieses herum angesiedelt sind. Man wird dann bemerken, dass wir, obwohl wir keine Abhandlung über das Thema machen wollen, es schaffen, das Problem unserer Gefährten im Gefängnis einzubeziehen. Aber nur unter der Bedingung, dass wir nicht bei einfachen Gegeninformationen stehen bleiben. Wenn wir uns auf diese erste Stufe der revolutionären Intervention beschränken, wird das Problem des Gefängnisses von außen in die Realität fallen, in der wir uns befinden, um zu intervenieren.

Lasst uns stattdessen den Diskurs mit einem anderen Projekt führen. Wir gehen von der einfachen gegeninformativen Phase in eine zweite Phase über, die wir als eine der Beteiligung definieren können. Wir schlagen Organisationsstrukturen vor, die sich mit einem spezifischen Problem befassen (gehen wir zurück zum Beispiel der Nachbarschaft) und die die Einbeziehung des Problems des Gefängnisses und der Gefährten im Gefängnis ermöglichen.

Wir stellen eine Beziehung zwischen diesen Organisationsstrukturen (außerhalb der spezifischen Bewegung) und der spezifischen Bewegung selbst her. Aus der Antwort in operativer Hinsicht, die uns diese Beziehung geben wird, werden wir ein ziemlich klares Bild über den Zustand der realen Bewegung haben. Auf diesem Bild können wir unsere Interventionen als spezifische Bewegung (außerhalb und sogar unabhängig von den organisatorischen Strukturen der Beteiligung) aufbauen und in diesem Stadium sehr detailliert auf das Problem der Gefährten im Gefängnis eingehen.

Abschaffung der Sondergesetze, des differenzierten Regimes, der Sondergefängnisse, des § 90. Reduktion der präventiven Haftstrafe. Abschaffung der lebenslangen Freiheitsstrafe, der langen Haftstrafen, der Sonderprozesse, der Sonderbehandlungen. Dies natürlich für alle und nicht nur für die Gefährten.

Dieser Kampfbereich muss versuchen, die Leute einzubeziehen und muss auch seine eigene Autonomie der Aktion haben. An der Art und Weise, wie sich Menschen engagieren und wie die Autonomie der Aktion mit dem, was außerhalb der spezifischen Bewegung getan werden kann, in Einklang gebracht wird, werden die Ergebnisse gemessen. Nur auf diese kann eine Lösung des Problems der inhaftierten Gefährten aufgesetzt werden.

Vergessen wir nicht, dass unser Weg sehr weit weg von denen führt, die sich heute auf die Zusammenarbeit vorbereiten. Der Weg zur Macht hingegen verläuft immer in der Nähe.

Wir alle sind im Visier des repressiven Gewehrs. Wir müssen unseren Kampf entwickeln. Wenn wir nicht in der Lage sind, dies zu tun, werden sie uns alle zerstören: im Gefängnis und außerhalb des Gefängnisses.

Wenn die Konfrontation zunimmt, wenn sich die Ziele erweitern, wird die Repression erneut zuschlagen. Niemand garantiert hier einen sicheren Weg aus dem Gefängnis. Als wir alle ins Gefängnis kamen, kamen wir hinein, weil wir von der Richtigkeit unserer revolutionären Aktion überzeugt waren, nicht wegen eines Zufalls des Schicksals. Natürlich war es objektiv immer ein Unfall, die Initiative eines Polizisten, etwas, das nicht gut gelaufen ist, eine repressive Interpretation einer Tatsache, die an sich mehr als legitim ist. Aber der wahre Grund für unsere Inhaftierung war immer, dass wir Anarchisten sind, dass wir von der Revolution überzeugt sind. Das Gefängnis ist für einen Anarchisten ein unauslöschlicher Bestandteil seiner revolutionären Tätigkeit.

Unser Problem heute, ein zentrales Problem, ist es, die Gefährten herauszuholen. Wir können dieses sehr ernste Problem nur lösen, indem wir die Kämpfe intensivieren, in allen verschiedenen Sektoren der Intervention, und indem wir diese Kämpfe mit einer realen Perspektive der aufständischen Entwicklung verbinden und uns nicht auf platonischen Dissens oder auf schöne Erklärungen der Freiheit für alle beschränken, die nur dazu dienen, unser Gewissen zum Schweigen zu bringen, nur um sofort zu sagen, dass wir nicht mit denen übereinstimmen, die etwas Konkretes tun wollen.

Nur auf diese Weise können wir den Staat zwingen, das (sein) Problem (unserer) Gefährten im Gefängnis zu lösen. Solange dies nur unser Problem bleibt, werden wir es auch nicht lösen, indem wir unsere gesamte Zukunft in die Hände der Unterdrückung geben und ausliefern.

Wir sind der Meinung, dass es keinen Zweifel über den zu wählenden Weg geben kann.


1Je nach Quelle oder Ansicht variieren die Zeitangaben. Einige sind der Meinung dass alles, also der Zenit, nur von 1976 bis 1978 stattfand, bei anderen steht die Ermordung von Aldo Moro als ein davor und danach, wiederum ist die massive Repression ab 1978 für viele auch das Ende. Wir waren nur großzügiger bei den Zeitraum und -angaben.

2Entnommen aus Eine italienische Geschichte, Brigate Rosse, Verlag Libertäre Assoziation, Schwarze Risse und Rote Straße. Ein Interview von Rossana Rossanda und Carla Mosca mit Mario Moretti.

3A.d.Ü., gemeint ist ihre Freilassung ist aus dem Knast.

4Giuliano Naria, ein Arbeiter bei der Ansaldo in Genua und ein Militanter der Lotta continua, wurde 1976 angeklagt, an der Ermordung des Richters Francesco Coco beteiligt gewesen zu sein, für dessen Aktion die Roten Brigaden die Verantwortung übernommen hatten. Er saß über 9 Jahre im Gefängnis, in denen er an Magersucht erkrankte, und wurde 1985 auf Druck des Präsidenten der Republik, Sandro Pertini, des Justizministers Mino Martinazzoli und weiterer zweihundert Parlamentarier unter Hausarrest entlassen.
Anfang der neunziger Jahre wurde er schließlich freigesprochen und begann eine Karriere als Schriftsteller und Journalist. Er starb 1997 an Krebs.

5A.d.Ü., im Originaltext ist die Rede von recuperation, wenn Begriffe komplett ihrer Inhalte entleert werden und vom herrschenden Diskurs neutralisiert werden.

6A.d.Ü., im Originaltext ist die Rede von dissociologist, abgeleitet von dissociate, abschwören.

7A.d.Ü., gemeint ist der oben erwähnte Arzt.

8A.d.Ü., wir denken dass hier die Rede von Oreste Scalzone ist, ein ehemaliges Mitglied von Potere Operaio, der seit 1981 im Exil in Frankreich lebt.

9A.d.Ü., die Rede ist hier von Patrizio Peci der erste Pentito aus den Reihen von den Roten Brigaden.

10A.d.Ü., kommunistische Organisation die von 1969 bis 1976 existierte, gilt, trotz ihres Reformismus, als eine der wichtigsten Organisationen der Autonomen Bewegung in Italien.

11A.d.Ü., gemeint ist hier die BR-PCC.

12A.d.Ü., (1882 entstandene) Bewegung innerhalb des französischen Sozialismus, die sich mit erreichbaren sozialistischen Zielen begnügen wollte.

13A.d.Ü., Szientismus (aus dem Latein scientia ‚Wissen‘, ‚Wissenschaft‘), auch Szientizismus, ist ein von dem französischen Biologen Félix le Dantec (1869–1917) ursprünglich zustimmend gemeinter Begriff für die Auffassung, dass sich mit wissenschaftlichen Methoden alle sinnvollen Fragen beantworten lassen.

14A.d.Ü., hier wird eine Anspielung auf die beiden verfeindeten Gruppierungen, die Ghibellinen und Guelfen, gemacht die im mittelalterlichen Reichsitalien existierten. Die Ghibellinen unterstützten den Kaiser und die Guelfen unterstützten die Politik des Papsttums.

15A.d.Ü., Gründungsmitglied der Kommunistischen Partei Italiens, Generalsekretär derselben und später und Justizminister von 1945 bis 1946.

16A.d.Ü., Figur des Narren im Theater und im Zirkus.

17A.d.Ü., Lehre die die Herrschaft des Staates vorsieht über den Menschen, weil ansonsten sich diese sich gegenseitig umbringen würde, sie Thomas Hobbes als Beispiel.

18A.d.Ü., Karyatiden sind Skulpturen, die eine Frau darstellt. Sie wurden anstelle von Säulen verwendet, daher eine tragende und unbewegliche Figur.

19A.d.Ü., die Iskra war die Zeitung der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Russlands (SDAPR) die von 1900 bis 1905 veröffentlicht wurde. Lenin war für die ersten drei Jahre der Redakteur.

20A.d.Ü., bezogen auf Jeremy Bentham der die Knäste nach dem Prinzip des Panoptikum entwarf, wo der Gefangene immer das Gefühl überwacht zu werden, aber selber nicht weiß ob dies de facto passiert.

21A.d.Ü., Imre Lakatos ein ungarischer Philosoph.

22A.d.Ü., siehe Fußnote Nummer 18.

23A.d.Ü., Terribilità (oder terribiltà, wie es die Zeitgenossen Michelangelos im 16. Jahrhundert zu schreiben pflegten) ist eine Eigenschaft, die seiner Kunst zugeschrieben wird und die beim Betrachter Schrecken, Ehrfurcht oder ein Gefühl des Erhabenen hervorruft. Dies gilt vielleicht besonders für seine Skulpturen, wie die Figuren des David oder des Moses.

24A.d.Ü., eine Stadt in Norditalien.

25A.d.Ü., eine Wurstspezialität aus Modena.

26A.d.Ü., gemeint sind wahrscheinlich die Mitglieder der Fabian Society, einer 1884 gegründete sozialistische Denkschule aus Großbritannien.

27A.d.Ü., siehe Fußnote Nummer 17.

28A.d.Ü., aus dem griechischen, bedeutet gegenseitige Abmachung, im juristischen Sinne handelt es sich um Verträge an denen beide Seiten gebunden sind und ihren Teil leisten müssen, damit dieser auch gültig ist.

29A.d.Ü., die Reaktion der Kirche auf Häresie, oder anderen Sünden, meistens folgte als Strafe der Tod.

]]>
Über einige alte, aber aktuelle Fragen unter Anarchisten, und nicht nur… https://panopticon.blackblogs.org/2023/01/28/ueber-einige-alte-aber-aktuelle-fragen-unter-anarchisten-und-nicht-nur/ Sat, 28 Jan 2023 12:31:41 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=4742 Continue reading ]]> Hier ein weiterer wichtiger anarchistischer Text den wir nicht ohne Grund ausgegraben haben. Im Text ist immer wieder die Rede über die ‚Angry Brigade‘, hier eine Broschüre dazu die wir vor längerem übersetzten.


Über einige alte, aber aktuelle Fragen unter Anarchisten, und nicht nur…

Originaltitel:
Su alcune vecchie questioni d‘attualità fra gli anarchici, e non solo
Erschien 2003 in Italien
Der Text wurde im Sommer 2009 aus dem Italienischen ins
Deutsche übersetzt und nun für diese Brochüre überarbeitet.

Die Einleitung und die Anmerkungen wurden der niederländischen Ausgabe dieses Textes beigefügt und hier übersetzt und übernommen.


Einleitung

Es gibt Fragen, die schon seit Jahrhunderten die Geschichte der Revolte begleiten. Es sind Fragen, die stets zurückkommen werden, die in schwierigen Momenten an unserer Tür klopfen und sich gewaltsam Zutritt verschaffen… um plötzlich unsere Absichten völlig in Frage zu stellen. Es sind Fragen, die nur selten in geschriebenen Worten Niederschlag gefunden haben. Wir werden oft mit ihnen konfrontiert, sei es durch Diskussionen mit Kameraden, durch das Wühlen in unseren Köpfen oder durch das Kennenlernen von Erfahrungen aus anderen Gegenden und anderen Zeiten.

Eine dieser Fragen ist das alte Problem der revolutionären Avantgarden, der Selbstrepräsentation von diesen, als wären sie das radikalste Sprachrohr der Ausgebeuteten, und der Spezialisierung, die es unmöglich macht, mit allen Mitteln zu agieren, die uns zur Verfügung stehen. Ausgehend von diesem Problem werden wir auch mit konkreteren und praktischeren Überlegungen konfrontiert. Welche Rolle spielen Bekennerschreiben? Welche Beweggründe verstecken sich hinter bestimmten Methoden zu bestimmten Momenten?

Ausgehend vom Italienischen Kontext versucht dieser Text ein paar dieser Probleme anzugehen. Es geht hierbei nicht um die x-te Kritik an Organisationen und Gruppen, die uns sehr fern sind, sondern um eine Kritik dicht bei uns, um Anarchisten, die offenbar immer öfters die Entscheidung treffen, einige alte Kadaver wieder auszugraben. Diese Kritik richtet sich gewiss an die informelle anarchistische Föderation (FAI), in deren Namen sich verschiedene Gruppen in den vergangenen Jahren zu Anschlägen und Briefbomben bekannten, auch wenn dieser Text noch vor der Reihe von Brandbriefen an Europäische Institutionen geschrieben wurde, die gegen Ende des Jahres 2003 für Aufruhr sorgte. Die Situation der Bewegung in Italien liegt uns nah am Herzen, doch wir denken dennoch, dass es hier bedeutende Unterschiede zu anderen Ländern in Europa (und sonstwo) gibt. Dieser Text kommt daher aus einer spezifischen Situation und einer Kritik hervor, die darin gewachsen ist, wodurch er automatisch auch seine Grenzen kennt. Dennoch greift er Fragen auf, die alle etwas angehen. Und nicht nur diejenigen, die sich mit ein paar sonderbaren Versuchen konfrontiert sahen, die beabsichtigten, zu einer alternativen anarchistischen bewaffneten Organisation zu gelangen, während sie mit Begriffen und Konzepten von dem spielten, was Insurrektionismus genannt wird (ein Wort das wir lieber loswerden, anstatt uns zueignen wollen, denn wir sehen keinen Sinn darin, eine reichhaltige und breite Kampfperspektive auf irgendeine Ideologie und ihre Rethorik zu reduzieren).

Es gibt ein paar grundlegende Ideen, die für eine sinnvolle Diskussion über diese Fragen unentbehrlich sind. Ansonsten verwässert diese unvermeidlich zu einem quantitativen Gebot in scheinbarer Radikalität, die oft mehr aus Worten als aus wirklichem Engagement besteht. Ausserdem ist es schwierig, solche Diskussionen losgelöst von anderen Fragen zu führen, wie beispielsweise die Rolle der Propaganda, die Bedeutung von informeller Organisation, die Frage der Methoden. Auch hier verbergen sich die Grenzen dieses Textes und gleichzeitig die Öffnungen, um an Hand dieses Textes sinnvolle Diskussionen zu führen.

Der Aufstand ist für uns unbestreitbar ein soziales Ereignis. Sowohl der Aufstand wie die aufständische Methode sind ziemlich spezifische Konzepte, denen nicht einfach so irgendeine Auslegungen nach Geschmack und Moment gegeben werden kann. Eine solche linguistische Verwässerung trägt bloss zur Verwirrung bei, welche sehr praktische Folgen nach sich zieht. Der Aufstand ist der Prozess, wobei der Klassenantagonismus immer deutlicher an die Oberfläche tritt, bis zu dem Punkt, wo er seine ersten spezifischen Auslöser oder Ziele zurücklässt, alle sozialen Rollen auf den Kopf stellt und den Weg für etwas völlig anderes öffnet. Die aufständische Methode ist also unter anderem die Entscheidung, sich an Kämpfen mit beschränkten Zielen zu beteiligen, die sich durch ihre Wahl des Angriffs und der Selbstorganisation auszeichnen, wobei der Bruch mit der Normalität, das Anwachsen der Solidarität und der Kampferfahrungen, die die revoltierenden Ausgebeuteten und Unterdrückten anwenden – und nicht die vielleicht auch nicht erreichten quantitativen Resultate – der Einsatz und der „Gewinn“ sind. Es ist ein qualitativer Sprung nach vorne, die resolute Erkennung des Klassenfeindes und der Macht in ihren konkreten Strukturen.

Wie wir weiter oben bereits sagten, halten wir es für wichtig, die wahre Bedeutung der Wörter und Konzepte nicht zu verdrehen oder auszuhöhlen. Die aufständische Methode ist eine Methode neben vielen anderen, und vor allem gibt es die ganze subversive Dynamik, worin sich die verschiedenen Methoden gegenseitig nähren und stimulieren. Mit anderen Worten, indem wir das Wort „Aufstand“ in den Mund nehmen, haben wir nicht alles gesagt. An der Basis des sozialen Krieges, und somit von dessen aufständischen Äusserungen, steht die individuelle Revolte. Diese individuelle Revolte kann nach ihrer sozialen Bedeutung suchen und versuchen auf den Wogen der sozialen Konflikte schwimmen zu lernen. Andererseits kann sie auch selbst weiterwachsen und sich ausbreiten, ihre eigenen Ausdrücke suchen, ohne dass sie deswegen aufhört, Teil des sozialen Krieges auszumachen. Als revoltierendes Individuum neben anderen revoltierenden Individuen, die ihre Wege zur Subversion je nach Geschmack und Möglichkeiten wählen.

Darüber hinaus soll der soziale Aspekt des Aufstandes nicht als quantitative Angelegenheit interpretiert werden. Als Individuum oder als kleine Gruppe von Individuen zu handeln bedeutet nicht, isoliert zu handeln und ebenso wenig bedeutet eine handelnde Masse, dass ein aufständischer Prozess in Gang gesetzt wird. Es ist vielmehr die Dynamik des Konfliktes, die sozial ist und diese Welt der Autorität und Ausbeutung in Frage stellt und angreift.

Subversion ist nicht die quantitative Summe der Anzahl Schläge, die wir dem Feind zusetzen. Sie ist nicht eine Frage des Masses an „ät“ der Mittel, die verwendet wurden. Subversion liegt gerade in dem in Frage Stellen der gesamten Gesellschaft, dem auf den Kopf Stellen ihrer Ordnung und der konsequenten Verweigerung der Rollen, die uns auferlegt werden. Unter den Mitteln, die wir dafür verwenden braucht keine Hierarchie angebracht zu werden. Es geht schlicht darum, alles was uns zur Verfügung steht zu vermischen und im richtigen Moment anzuwenden. Bedeutet dies, dass Worte alleine ausreichen? Nein, ebenso wenig wie es bedeutet, dass Waffen alleine ausreichen. Bedeutet dies, dass wir gewisse Mittel nur gebrauchen können, wenn „die Masse“ sie als positiv anerkennt? Nein, ebensowenig wie es bedeutet, dass wir nicht darüber nachdenken können, welche Mittel in welchem Moment am geschicktesten sind. Um darüber nachzudenken, können wir ein paar Sachen im Hinterkopf behalten. Wie beispielsweise die soziale Verbreitbarkeit von bestimmten Methoden. Technische Spitzenleistungen nehmen nur allzu oft den Platz einer subversiven Intelligenz ein. Auch Kreativität ist sozial und sicher keine rein technische Angelegenheit. Die Wahl unserer Ziele ist ebenso wenig belanglos. Wenn wir die Macht als Winterpalast betrachten, den es einzunehmen gilt, wenn wir die Macht als eine Zentralität betrachten, dann folgt daraus logischerweise, dass wir nur im Parlament einen wirklichen Feind erkennen. Wenn wir die Macht hingegen als etwas sehen, dass überall verstreut in Strukturen und Personen Form annimmt, dann öffnet sich ein ganzes Spektrum von einfachen und breitgefächerten Angriffen. Dann spricht die Aktion von unserer Überzeugung, nämlich, dass die Macht ein soziales Verhältnis ist, das überall in Frage gestellt werden kann.

Diese Fragen sollen immer im Umlauf bleiben. Es ist wichtig, dass wir uns selbst nicht von ihnen abschirmen weil sie zu lästig sind. Diese Diskussionen können unsere Praktik und unsere Ideen nur schärfen, mit dem Schleifstein der Kritik und der Lehren, die wir aus Erfahrungen von anderen Kameraden ziehen.


Anmerkung des Übersetzers (Sommer 2009):

Die Verwendung des Wortes Kameraden als Übersetzung von compagni aus dem Italienischen ist eine (Wieder)Aneignung. Eine Erinnerung daran, dass dieses Wort auch im deutschsprachigen Raum einmal im (nicht-rechten) populären Sinne gebräuchlich war. Im Bezug auf die Freiheit wie sie im anarchistischen Diskurs gebraucht wird. Nicht im Sinne der Ideologien aus der Ecke der Buden, der autonomen Nazis, des braunen Miefs der Kameradschaften, die es erfolgreich schafften, diesen Begriff nach Rechts zu ziehen und zu vereinnahmen (bzw. aus der Ecke der Bundeswehr/Bundesheer und Soldaten sowie anderer staatlicher Institutionen).

Ich machte mir hier Gedanken über verschiedene Ausdrucksweisen die zur Zeit in Gebrauch sind, bisher aber keine zufriedenstellend; Genossen, Gefährten, Kumpanen, Kumpel. Auch diese sind holprig bzw. von der Kommunistischen/Linken Diskussion vereinnahmt oder geprägt. Warum also nicht aufs Ganze gehen und den ursprünglichen Begriff (wieder) in unsere Hände nehmen?!

Es wäre interessant darüber mit anderen Kameraden/ Genossen/ Gefährten/ Kumpanen/ Kumpel zu diskutieren.


Über einige alte, aber aktuelle Fragen unter Anarchisten, und nicht nur…

Ich bin gewiss nicht gewaltlos. Trotzdem kann ich diejenigen verstehen, die Gewalt so sehr verabscheuen, dass sie sie aus ihrem Leben verbannen wollen; diejenigen, die niemals töten würden, niemals Gewalt anwenden würden, um sich Gehör zu verschaffen, diejenigen, die es aufgrund ihres Charakters und ihrer persönlichen Haltung vorziehen, keinen Gebrauch von ihr zu machen. Ich kann all dies jedoch nur verstehen, wenn es sich um eine individuelle und sukzessive Entscheidung handelt. Wenn die Gewaltlosigkeit als Kampfmethode präsentiert wird, wenn sie als zu befolgender Weg vorgeschlagen wird, wenn die individuelle Ethik zu einer Moral und einem kollektiven Projekt wird, dann erscheint mir dies wahrlich als Schwachsinn, der einzig zur Rechtfertigung von Untätigkeit nützt. Dann wird sie zum Hindernis für jene, die rebellieren und zu einem absoluten Wert, der den Schwachen auferlegt wird, um den Mächtigen zu ermöglichen, sich bequemer zurückzulehnen. Am Rande des Abgrunds, mit immer rutschigerem Boden unter den Füssen und unter Feindesbeschuss, kann die Einladung, ausschliesslich gute Manieren zu gebrauchen, nur derart aussehen. Mach doch was du willst, aber spar dir die Predigten.

Dies gesagt, bin ich auch kein Fanatiker der Gewalt. Ich mag diejenigen nicht, die mit ihrer Kühnheit in diesem Bereich prahlen. Ich rechtfertige ihre Verteidigung nicht als Ziel an sich. Ich verachte diejenigen, die sie als alleinige Lösung betrachten. Ich betrachte sie als Notwendigkeit im Kampf gegen die Herrschaft, und nichts weiter. Wie Malatesta glaube auch ich nicht an „stille Untergänge“. Ich glaube nicht, dass sich der Stahlbeton, mit dem die Macht unsere Existenz bedeckt hat, durch das Erblühen der Blumen der Freiheit auflösen wird, die durch Verbreitung unserer Ideen liebevoll gepflanzt wurden.

Eben weil ich nicht gewaltlos bin, kann ich die moralistische Verdammung von Gewaltakten nicht ausstehen. Deren Heuchelei verursacht Übelkeit in mir. Aber eben weil ich kein Fanatiker der Gewalt bin, kann ich die unkritische Verherrlichung solcher Akte ebensowenig ausstehen. Deren Dummheit geht mir wirklich auf die Nerven.

Kürzlich sind einige Angriffe, die von unbekannten Kameraden erst gegen das Polizeipräsidium von Genua und dann gegen das spanische Gefängnisregime begangen wurden <1> in den Vordergrund getreten. Die hysterische Reaktion der Medien war ebenso vorhersehbar wie die Reaktion der Polizei. Aber wie ist die Reaktion der Kameraden? Abgesehen von den üblichen Trotteln, die der Suche nach den verborgenen Beweggründen verfallen, ist Stille die häufigste Reaktion. Eine notwendige Stille, um eine Trennung zwischen Fürsprechern und Gegnern zu vermeiden, welche bloss den polizeilichen Ermittlungen zunutze kommen würde. Doch schon für zu lange Zeit begrenzt sich diese Stille nicht nur auf die Tage nach den Angriffen und erstreckt sich weit darüber hinaus. Es ist nicht mehr Stille im Angesicht des Feindes, der gerne wissen würde, es ist Stille unter Kameraden, die sich gerne verstehen würden. Von der Anwesenheit einer minimalen Form von Solidarität ist man zur Abwesenheit jeglicher kritischen Diskussion gelangt. Aber warum sollten Taten, welcherart auch immer sie sind, keiner kritischen Reflexion unterzogen werden? Warum sollte eine hypothetische Auseinandersetzung über solche Fragen als Hindernis betrachtet werden, als wäre es etwas, das darauf abzielt, ähnliche Aktionen zu verhindern? Warum könnte es stattdessen nicht eine Stütze sein, eine Methode um die Bedeutung dessen, was man tun will, zu klären, um die Taten zu stärken und zu verbessern?

Ich für meinen Teil habe mich entschieden, die kürzlichen Ereignisse als Ausgangspunkt nehmend, diesen Text zu schreiben und zu verbreiten. Seine anonyme Form gründet nicht in der Angst davor, Verantwortung für meine Worte zu übernehmen, sondern ist bloss ein Mittel, um mich in den Augen der Repression nicht von anderen Kameraden zu unterscheiden.

Bekennerschreiben ja, Bekennerschreiben nein

Soweit ich weiss (ich bin kein Experte auf dem Gebiet, daher könnte ich mich auch irren) müssen wir ins Russland des Jahres 1878 zurückgehen, um das erste Bekennerschreiben zum Angriff einer revolutionären Organisation aufzufinden. Es handelt sich um eine Broschüre namens Smert‘ za smert‘ (ein Tod für einen Tod), welche nach dem Mord am General Mezencov, dem Kopf der russischen Geheimpolizei, von der Gruppe Narodnaja Volja <2> (Volkswille) verbreitet wurde. 13 Tage nach dem Mord wurde die Bekennerbroschüre einer Tageszeitung von St. Petersburg zugestellt. An den darauffolgenden Tagen gelangen viele weitere Kopien an zahlreiche Regierungsfunktionäre in anderen Städten. Zu dieser Zeit erregte die Aktion grosses Aufsehen und es mangelte – natürlich – nicht an der Kritik von denjenigen, die dachten, dass die Anwendung solcher Mittel das wichtigere Werkzeug, die Propagierung der Idee einer Massenrevolte, weder ersetzen noch flankieren könne.

Seit damals hat sich diese Szene hunderte Male wiederholt. Selbstverständlich verändern sich die Details von Mal zu Mal, aber die Substanz bleibt dieselbe. Man könnte fast sagen, dass die Erfahrung dieser russischen Revolutionäre zu einer Art Archetyp wurde, zu einem Originalmodell, dessen nachfolgende Erscheinungsformen in Wahrheit nichts anderes als Herleitungen oder Imitationen sind. Die einzige Veränderung innerhalb dieses Schemas haben jene Anarchisten herbeigeführt, die es nie für nötig hielten, sich zu den eigenen Angriffsaktionen gegen die Macht politisch zu bekennen. Tatsächlich trat die russische Gruppe „Volkswille“, obwohl sie „Militante“ mit verschiedensten Ideen versammelte, als zentralisierte Avantgarde hervor. Wie sich eine Militante in ihren Memoiren erinnert, wurde im Innern dieser Organisation diskutiert, ob das zu befolgende Programm sein soll, «die Regierung zu zwingen, dem Volk zu erlauben seinen Willen frei und ohne Hindernisse auszudrücken und das politische und ökonomische Leben wieder aufzubauen… oder ob die Organisation zuerst versuchen sollte, die Macht in ihre eigenen Hände zu nehmen, um dann von oben eine Verfassung zu erlassen, die zum Vorteil des Volkes wäre».

Unter solchen Voraussetzungen kann man ihr Bedürfnis sich zu bekennen und den Massen, die sie emporzuheben gedachten, und dem Feind, als dessen Gegenstück sie sich betrachteten die Gründe für ihre Aktion mitzuteilen gut verstehen. Schliesslich wollte sich diese Gruppe ans Volk wenden (wenn auch beinahe all ihre Mitglieder aus der wohlhabenderen Klasse kamen) und musste in dessen Namen mit der verfassungsgebenden Macht verhandeln, bis dahin, dass sie dem Thronfolger des Zaren einen Brief zuschickten, indem sie ihm Rat erteilten, welcher Politik er folgen sollte.

Aber wenn man weder irgendjemanden repräsentieren, noch sich als jemandes Gegenstück hinstellen will, wieso dann Communiqués verbeiten? Wenn man denkt, dass der Akt des Angriffs gegen die Macht in jedem Fall die soziale Revolution in Aussicht haben muss, und nicht deren Parodie in Form des bewaffneten Kampfes gegen den Staat sein kann, was kann dann das Ziel einer spezifischen bewaffneten Organisation sein?

Es scheint mir nicht, dass sich die Anarchisten in Vergangenheit durch den Gebrauch von Bekennerschreiben unterschieden haben. Diejenigen Anarchisten, die sich durch individuelle Taten aufopferten, wie Bresci <3> und Caserio <4> taten es aus offensichtlichen Gründen nicht. Jene Kameraden, die beabsichtigten eine kontinuierlichere Aktivität zu entwickeln, wie Ravachol <5> oder Henry <6>, taten es genausowenig, wie die Kameraden, die sich mit anderen zur bewaffneten Aktion zusammentaten: Weder Di Giovanni <7> tat es, noch Durruti <8> oder Ascaso <9>. Und die Gründe dafür mussten wohl ziemlich ersichtlich gewesen sein. Mit dem Verlangen nach einer Revolution, die von der Basis ausgeht und dieser weder aufgezwungen wird, noch von oben herab lanciert wird, haben es all diese Anarchisten als zweckmäßig erachtet, im Schatten zu handeln, indem sie versuchten, sich von allem fernzuhalten, was sie ins Rampenlicht bringen könnte. Sie zogen es vor, die Gründe für ihre Aktionen von der Basis auskommen zu lassen, sodass es die Bewegung selbst war, die sie ausdrückte, anstatt einen Vorteil aus dem ausgelösten Wirbel zu ziehen, um sie von oben herab zu verbreiten, als eine offizielle Nachricht derer, die revoltiert hatten, an jene, die es nicht taten. Wenn die Bedeutung einer Aktion durch den sozialen Kontext nicht ersichtlich war, lässt sie sich in Flugblättern, Zeitungen, Revues und innerhalb der theoretischen Debatte, die von der Bewegung als Gesmatheit entwickelt wurde finden, und nicht im Communiqué einer einzelnen Organisation. Ich mache ein Beispiel: Wenn die Bewegung fähig ist, ihre theoretische Kritik am Gefängnis auszudrücken und jemand zur praktischen Kritik übergeht, dann besteht keine Notwendigkeit ein Communiqué zu schreiben, worin die Gründe dafür erklärt werden. Die Gründe seiner Geste sind bereits klar und verständlich. Wenn jemand ein Bekennerschreiben veröffentlichen will, dann nur, weil er sich selbst zur Schau stellen und die eigene Identität durchsetzen will. Der Angriff auf das Polizeipräsidium von Genua zum Beispiel, war so aussagekräftig (was die Wahl des Ziels und des Momentes angeht), dass alle Worte überflüssig wurden. Warum wurde ein Communiqué in Umlauf gebracht, dass nichts als Banalitäten aussagte?

Es stimmt, dass der Fall der Angry Brigade <10> eine Art Ausnahme darstellt, die noch immer ein Thema für Anarchisten ist, die sich für ihre Aktionen bekennen. Nicht durch Zufall scheint eben diese Erfahrung für viele Kameraden, die heute die Macht angreifen, eine Art Vorbild darzustellen. Und dennoch scheint mir das Beispiel nicht wiederholbar zu sein, es sei denn, man wolle sich in ein Nachahmeverhalten stürzen. Einerseits ist es unmöglich, ausser Acht zu lassen, dass die Angry Brigade in einem historischen Kontext eingefügt war, in welchem sie heranreifte (Anfangs der 70er Jahre). Zu einer Zeit, als viele stalinistische Gruppen entsetzliche ideologische Schinken aussäten, um ihr eigenes politisches Projekt zu propagieren und sich anschickten die Dimension des bewaffneten Angriffs zu dominieren, scheint es mir nicht unsinnig, dass sich so mancher Anarchist absondern wollte, um das Risiko nicht einzugehen, ungewollt Wasser auf die Mühlen Anderer zu gießen. Von der Wahl des Namens und jener mancher Ziele, bis hin zum Stil ihrer Communiqués schien sich alles tendenziell vom politischen Zerfall zu unterscheiden, der sie umgab. Aber, die ganze stalinistische Ideologie einmal überholt, welche Bedeutung kommt der Entscheidung zu, sich als Anarchist zu kennzeichnen; welchen Sinn hat es, diese Selbstrepräsentation fortzuführen? In Ländern wie Spanien vielleicht, wo alle Aktionen, einschliesslich der anonymen, regelmässig der ETA <11> zugeschrieben werden, aber sicher nicht hier in Italien. Tatsächlich haben Angriffsaktionen seit Jahren keine Communiqués hervorgebracht, ausser hin und wieder mal etwas kurzes und einfaches, dass die Verwendung jeglicher identitären Kennzeichnung ablehnte. Es sollte überflüssig sein, die Gründe dafür darzulegen: eine Aktion kann nur allen gehören, wenn sie sich niemand selbst zuschreibt. Von dem Moment an, wo man sich mit einer Identität bekennt, entsteht eine Trennung zwischen jenen, die sie ausführten und allen anderen. Darüber hinaus sollte es auch nicht nötig sein, an die Gefahren zu erinnern, die jedem Bekennerschreiben beiwohnen. Es ist gefährlich es zu übergeben, es zu verschicken, und vor allem ist es gefährlich, es zu schreiben, denn je mehr man schreibt, desto mehr Hinweise gibt man der Polizei (eine alles andere als hypothetische Gefahr, angesichts dessen, dass es zumindest ein negativer Präzedenzfall <12> existiert, der anarchistische Kameraden getroffen hat). Ein anonymer Angriff erlaubt niemandem hervorzutreten und vereinfacht nicht die repressive Arbeit der Polizei.

Wenn die Gründe, die zur Anonymität raten, nun mehr als einmal ausformuliert wurden, wurden es jene, die davon abraten hingegen nicht. Seit einigen Jahren haben sich die Dinge verändert, ohne dass es zu einer Diskussion kam, die ermöglicht hätte, die Gründe einer solchen Veränderung zu verstehen (deshalb erscheinen sie verdunkelt und eher an emotionale Reaktionen gebunden, als an bestimmte Ziele). Jedenfalls ist es heute ziemlich schwierig eine Aktion zu finden, die nicht von einem schönen offiziellen Communiqué begleitet wird, mit seinen Slogans und Unterschriften im Anhang. Und weshalb? Stille… Findet man sich auf diese Weise nicht im Avantgardismus wieder? Das Risiko ist so offensichtlich, dass es unter eben diesen Autoren von Bekennerschreiben diejenigen gibt, die selbst proklamieren, gegen jeglichen Avantgardismus zu sein, in der Hoffnung, dass es ausreicht, dies zu sagen, damit es auch so ist. Aber «sich entschuldigen ist, sich anzuschuldigen». Es ist die verwendete Methode selbst, die avantgardistisch ist und manchmal sogar die deutlich verkündeten Inhalte (wie in dem quälenden Communiqué der ARA <13> nach dem Angriff auf dem Palazzo Marino). Es ist von geringer Bedeutung, ob die Slogans nun zum sozialen Krieg, anstatt zur Diktatur des Proletariats aufrufen. Egal, ob die Unterschriften immer wieder wechseln. Das zeigt nur, dass die anarchistischen „Avantgardisten“ im Vergleich zu den stalinistischen flexibler sind, doch nichts desto trotz verspüren sie das Bedürfnis, sich vom Rest der Bewegung zu unterscheiden.

Es reicht nicht den Ausgangspunkt der Angry Brigade anzunehmen, um das Problem zu lösen. Ich weiss sehr wohl, dass die Angry Brigade bekräftigte: «Wir sind nicht in der Position zu sagen, ob eine Person ein Mitglied der Brigade ist oder nicht. Alles was wir sagen ist: Die Brigade ist überall. Ohne irgendein Zentralkommitee und ohne Hierarchie zur Einteilung unsere Mitglieder können wir die Unbekannten nur durch deren Aktionen als Freunde erkennen». Ich weiss auch, dass sich ihre Teilnehmer nicht als Organisation oder als einzelne Gruppe betrachteten, sondern als «ein gegen den Staat und seine Institutionen gerichteter Ausdruck von Wut und Unzufriedenheit vieler Leuten im ganzen Land. In diesem Sinn ist die Angry Brigade stets gegenwärtig (der Mann und die Frau, die neben dir sitzen)». Aber all dies zeugt nur von den guten Absichten dieser Kameraden, von ihrer Sorge darüber, sich nicht als Avantgarde hinzustellen, aber es zeigt nicht, ob sie mit ihrem Vorhaben tatsächlich Erfolg hatten. Eine Signatur, die ein Symbol für die verbreitete Wut sein soll, hat keine Bedeutung. Damit sich jeder darin wiedererkennen kann, müssen die Aktionen und die Worte, die die Aktionen erklären, von jedem verstanden und geteilt werden. Man kann nicht eine allgemeine kollektive Identität anbieten und verlangen, dass jeder seine konkrete Individualität verleugnet. Dies kann man nur tun, wenn die verwirklichten Aktionen und die ausgesprochenen Worte auf einem solch minimalen Niveau bleiben, das es Abweichungen soweit wie möglich begrenzt: Sehr simple und exemplarische Aktionen begleitet von maximalistischen Slogans. All das – vorausgesetzt, dass es die Mühe wert wäre – kann nur über kurze Zeit funktionieren, infolge derer sich andere Faktoren einschalten, die Teil jedes Steigerungsprozesses sind und die Fortführung des Experimentes unmöglich machen: Es gibt jene, die zu mächtigeren Mitteln übergehen wollen, die ausgewähltere Ziele treffen wollen, die präzisiere Konzepte zum Ausdruck bringen wollen… Selbst die ALF, die doch aus einer Motivation heraus kämpft, die im Grunde ziemlich simpel und eindeutig ist (die Tierbefreiung), wies die ersten negativen Abweichungen auf, sobald sie eine gewisse Ausbreitung erlangte. Müde von der Verworrenheit des Projektes, vom Minimalismus der Ziele und der Deklarationen der Wortführer, bildeten sich andere Tierschützergruppen. Nicht der einzige, aber der schlimmste Aspekt ist, dass sich all diese Gruppen gezwungen sahen, sich selbst einen neuen Namen zu geben, um zu vermeiden, in den selben Topf geworfen zu werden. Denn das Mittel des Bekennerschreibens ist, mit aller Schädlichkeit, die dies mit sich bringt, ein streng politisches. Solange alle in der Anonymität verbleiben, kann man tun was man will, ohne sich mit anderen zu verwickeln oder auf deren Rücken zu reiten. Nicht aber, wenn jemand aus dem Wasser steigt; dann zwingt dieser auch die Anderen aufzutauchen, um nicht als schlichte Heereskolonnen wahrgenommen zu werden. Dieser Mechanismus der Identifikation/Assimilation kann nur durch Anonymität, Diversität der Mittel und Fantasie in der Wahl der Ziele vermieden werden, anderfalls (wie viele Vorsichtsmassnahmen man auch treffen mag) können die Medien niemals daran gehindert werden, diesen Mechanismus (noch viel stärker, als durch die Communiqués, die man eben diesen sendet) in Gang zu setzen.

Ich wiederhole, mit dem Gesagten denke ich nicht, dass man die guten Absichten dieser Kameraden bezweifeln kann. Dennoch sind sie meiner Meinung nach Opfer eines Irrtums: Zu denken, dass eine Methode anarchistisch wird, in den Händen desjenigen, der sie anwendet. Dem ist nicht so. Eine spezifische Organisation mit ihrem Kennzeichen und ihren Communiqués ist avantgardistisch – jenseits der einzelnen Personen, die Teil davon sind. Worin liegt der Sinn, den Bullen direkt ein Bekennerschreiben zukommen zu lassen? Worin liegt der Sinn, zu erklären, was nicht erklärt zu werden braucht? Abseits vom revolutionären Mythos hat das alles nur für einen Avantgardisten einen Sinn, der sich selbst im Bezug auf die Gesamtheit der Bewegung als etwas anderes und besseres sieht.

Welche Ziele?

Die avantgardistische Logik ist steif; wenn man sie sich einmal angeeignet hat, wendet man sie überall an. Es genügt an die Wahl der Ziele zu denken, an die deprimierende Entwicklung, die sie im Laufe der Jahre von anonym fallenden Hochspannungsmasten zu einer – mit beigelegtem Brief – ans Fernsehen gesendet Briefbombe gebracht hat. Im ersteren Fall wollen sie den Feind sabotieren und das Funktionieren seines Systems durch das Ausserkraftsetzen einer peripheren Struktur blockieren. Es handelt sich um eine praktische Angriffshandlung, die vielleicht etwas aufwendig zu realisieren ist, aber niemanden in Gefahr bringt. Im zweiten Fall will man bloss zum Gesprächsthema werden, Werbung für das eigene Unternehmen machen, und darum wenden sie sich direkt an die Türen des RAI [Italineischer Nationalfernsehsender]… Es ist eine rein symbolische Aktion, um vieles leichter zu realisieren, und wenn man einen unglücklichen Arbeiter der Post oder des Fernsehens in Gefahr bringt… wen kümmert das schon. Es scheint, dass nicht nur die Jesuiten denken, dass das Ziel die Mittel rechtfertigt, sondern auch gewisse Anarchisten. Und in Bezug auf Briefbomben…

Ich war ungerecht. Ich sagte, dass diejenigen, die sie verschickten nur von sich reden machen wollten. Ich vergass hinzuzufügen, dass sie, neben der Selbstbefriedigung, auch wollten, dass über etwas anderes gesprochen wird. Zum Beispiel über die Haftbedingungen einiger Anarchisten und Rebellen in Spanien. Auch die russischen revolutionären Sozialisten von 1878 teilten eine ähnliche Sorge. In einem ihrer berühmten Dokumente schrieben sie: «Wenn die Presse die Gefangenen nicht verteidigt, dann werden werden wir das tun».Heute sind es die Gruppen der 5C <14>. Anarchisten, nicht revolutionäre Sozialisten. Anarchisten wie May Piqueray, der 1921 eine Paketbombe an den amerikanischen Botschafter in Paris sandte, um gegen die Stille zu protestieren, die um die Inhaftierung von Sacco und Vanzetti vorherrschte. Die Aktion war von grossem Erfolg gekrönt, da die von der amerikanischen Regierung begangene Misshandlung endlich öffentlich bekannt wurde und einen Kampf lancierte, der Mühe hatte, ins Rollen zu kommen.

Aber nachdem man sich dieser Ähnlichkeit zwischen Gegenwart und Vergangenheit Bewusst wurde, muss man Scheuklappen aufhaben, um nicht auch die riesigen Unterschiede zu erkennen. Die russischen Sozialisten töteten den Chef der Geheimpolizei infolge des Todes von einem ihrer Kameraden im Knast: Ein Tod für einen Tod eben. Der französische Anarchist tötete den höchsten Vertreter der amerikanischen Regierung in Frankreich, um die Niederträchtigkeit der amerikanischen Justiz öffentlich zu machen. Die Anarchisten der 5C übergeben ihre Geschenke heute an niemand geringeres, als an die Angestellten von RAI, oder an die Sekretäre der spanischen Reisebüros. Der Unterschied müsste ins Auge springen. Gewiss, diejenigen, die materiell für das Gefängnisregime Verantwortlich sind, welches den Häftlingen aufgezwungen wird, sind weit entfernt und wahrscheinlich zu gut geschützt, um erreichbar zu sein, während die Interessen des spanischen Staates hingegen überall sind und deshalb angegriffen werden können. Aber werden diese Interessen etwa von Angestellten verkörpert, die in Reisebüros arbeiten? Und warum beharrt man darauf, einen medialen Effekt zu suchen, als ob man die Tatsache ignorieren könnte, dass die grossen Kommunikationsmittel die Worte der Rebellen nur dann verstärken, wenn sie deren Bedeutung verzerren können? Und wieso nicht in Betracht ziehen, dass solche Aktionen diese Verzerrungsoperationen nur allzu einfach machen? Durch das Versenden von Briefbomben nach links und rechts bringt man sie zweifellos dazu, über die inhaftierten Kameraden in Spanien zu sprechen, jeder wird über sie sprechen, aber auf welche Weise? Natürlich in der Weise, die von den Medien auferlegt wird, die sich beeilen werden, jene Idee zu bestärken, die in vielen Köpfen verwurzelt ist: dass diese Gefangenen, wenn sie solch skrupellose Verfechter an ihrer Seite haben, letzten Endes das harte Regime auch verdienen.

Das Problem ist, dass jene, die denken, dass sie weiter vorne stehen und radikaler sind als die Anderen, dies aus einem bestimmten Grund tun. In diesen Fällen liegt der Grund im Gebrauch von gewissen Instrumenten: diejenigen, die reden, schwatzen bloß, diejenigen, die bewaffnet angreifen, agieren. All diese perfekten bewaffneten Kämpfer haben sich in ihre Instrumente verliebt. Sie lieben sie so sehr, dass die Waffen aufhören, solche zu sein. Sie werden zum Selbstzweck, sie werden zum Daseinsgrund. Sie wählen nicht die für den Zweck am besten geeigneten Mittel, sie verwandeln das Mittel zum Zweck an sich. Wenn ich eine Fliege an der Mauer totschlagen will, dann verwende ich eine zusammengerollte Zeitung, wenn ich eine Maus töten will, dann verwende ich einen Stock, wenn ich einen Menschen töten will, dann verwende ich einen Revolver, wenn ich ein Gebäude zerstören will, dann verwende ich Dynamit. Je nach dem was ich tun will, wähle ich von all den Mitteln, die mir zur Verfügung stehen jenes, das ich für das passendste erachte. Der bewaffnete Kämpfer nicht. Er überlegt nicht so. Er möchte ausschliesslich sein bevorzugtes Instrument verwenden, jenes, das ihm am meisten Befriedigung verschafft, jenes, das ihn sich radikaler fühlen läßt, jenes, das es ihm erlaubt, sich in seinem Medienruhm zu aalen, und er verwendet es unabhängig vom Ziel, dass er sich vornahm: er schiesst auf Fliegen, rattert mit dem Maschinengewehr auf die Maus, dynamitisiert den Menschen und falls er es könnte, würde er eine Atombombe verwenden, um das Gebäude in die Luft zu jagen. Für den bewaffneten Kämpfer besteht die Radikalität eines Kampfes nicht aus seiner Verbreitung und Tiefe, aus seiner Kapazität den sozialen Frieden in Frage zu stellen. Für den bewaffneten Kämpfer ist Radikalität schlicht eine Frage der Feuerkraft: eine Kaliber 22 Pistole ist nicht so radikal wie eine 38er, welche weniger radikal ist wie eine Kalaschnikov, die wiederum weniger radikal ist wie der Plastiksprengstoff. Und aus diesem Grund, nach Ruhm dürstend und durch seine eigene technizistische Vergötterung stumpfsinnig gemacht, verschickt er Briefbomben an einfache Angestellte, um das FIES Gefängnisregime zu bekämpfen. Er macht das, weil es die einzige Sache ist, die er zu tun weiss; die Technik begleitet die Intelligenz nicht, sondern ersetzt sie, und somit hält er nicht inne, um sich für einen Augenblick zu fragen, ob die Mittel für das Ziel angebracht sind, das er erreichen will. Was die Skrupel betrifft, so hat er aus dem einfachen Grund keine, da in seinem Kopf alles in Schwarz und Weiss aufgeteilt ist, ohne Farbschattierungen. Auf der einen Seite ist der Staat, auf der anderen sind die Anarchisten. Es gibt niemanden in der Mitte. Wenn man nicht Anarchist ist, gehört man zum Staat und ist somit ein Feind. Die Ausgebeuteten sind ebenso verantwortlich für die Bedingungen, welche sie hinnehmen, wie die Ausbeuter, die ihnen diese aufzwingen: Sie sind alle Feinde, darum scheiss auf sie.

Eigenartigerweise gewinnt diese typisch militaristische Logik unter einigen anarchistischen Kameraden an Boden, bei welchen es nicht an jenen mangelt, die sogar die palästinensischen Kamikazeaktionen unterstützen. Unglaublich, wenn man bedenkt, dass solche Stufen der Niederträchtigkeit selbst den russischen Revolutionären am Ende des 19ten Jahrhunderts fern lagen: avantgardistische Autoritäre ja, aber mit einer strikten Ethik, dazu bereit, einen Ausbeuter zu töten, aber ohne ein Haar eines einzigen Ausgebeuteten zu krümmen. Und wenn dem bei den Autoritären eine solche Aufmerksamkeit zukam, dann stell dir erst die Anarchisten vor! Es mangelt nicht an Beispielen was dies betrifft: sogar Schicchi, der für seine harte Sprache bekannt ist, war fähig, dorthin zurückzukehren, wo er eine Bombe hinterliess, um sie zu entschärfen, als er realisierte, dass irgendein unbeteiligter Passant verwundet werden könnte.

Aber das Bild des Anarchisten aus der Vergangenheit, der perfekte Gentleman, ist zu gutmenschlich und wenig befriedigend für gewisse Anarchisten von Heute. Anarchisten, die ihrem Leben nur dann einen Sinn geben können, wenn sie fühlen, dass sie von öffentlicher Missbilligung getroffen werden. Je mehr etwas verurteilt wird, desto mehr fühlen sie sich davon angezogen. Je mehr die Zeitungen und Richter die Anarchisten als skrupellose Leute bezeichnen, desto mehr strengen sie sich an, diese Rolle zu erfüllen. Jeglicher eigenen Perspektive beraubt, lassen sie sich von ihren Feinden sagen, was sie sind und was sie zu tun haben.

Eine weitere Konsequenz dieser Ereignisse ist die völlige Verdunkelung der Bedeutung des Begriffes „aufständisch“, der heute zunehmends als Synonym für „gewalttätig“ verwendet wird, oder für die blosse Tatsache, sich dem Dialog mit den Institutionen zu entziehen. Aufständische sind jene Anarchisten, die Bomben legen, Aufständische sind jene Anarchisten, die Scheiben einschlagen, Aufständische sind jene Anarchisten, die sich mit der Polizei konfrontieren, Aufständische sind jene Anarchisten, die Demonstrationen von politischen Parteien bekämpfen, und so weiter. Nicht ein Wort über die Ideen. In gewisser Weise wiederholt sich genau das, was am Anfang des Jahrhunderts mit dem Adjektiv „individualistisch“ geschah. Zu einem gegebenen Moment gelangte man zur Überzeugung, dass all jene Individualisten seien, die Akte individueller Gewalt unterstützen. Der Begriff wurde mehr oder weniger überall und oft und gerne Unsinnig verwendet. Wer hielt in der Hektik der Ereignisse schon inne, um die Verwirrung, die sich verbreitete klarzustellen? Die Anwendung von individueller Gewalt ist nicht im geringsten eine typische Eigenheit des Individualismus. Es gab auch pazifistische individualistische Anarchisten (sowie Tucker <15>) oder gewaltlose (sowie Mackkay <16>). Und vielleicht war auch Galleani <17> ein Individualist? Und doch unterstützte er individuellen Aktionen… wie es auch Malatesta unter bestimmten Umständen tat. Und auch an Kommunisten, die individuelle Taten befürworten mangelt es nicht. Leider verfestigte sich die Verwirrung so sehr, dass es sogar diejenigen gab, die sich selbst Individualisten nannten, obwohl sie es nicht im Geringsten waren (wie es Schicchi beim Pisa-Prozess tat). Missverständnisse, Unverständnisse… Es geht bestimmt nicht darum, zu einer solchen Verwirrung beizutragen. Dass die Medien das tun, ist ziemlich offensichtlich und nachvollziehbar. Aber warum sollten wir es auch tun?

Der Aufstand ist ein soziales Ereignis. Er ist nicht eine Herausforderung zur einen Schlacht gegen den Staat, von denjenigen in die Wege geleitet, die glauben, dass die Massen nur Schafe sind, die darauf warten, geschoren zu werden. Der Gebrauch von Gewalt ist in einem aufständischen Projekt unvermeidbar und notwendig, während des aufständischen Momentes genauso wie auch davor (denn der soziale Aspekt des Aufstandes kann niemals zur Rechtfertigung einer Wartehaltung dienen). Daher ist es auch jetzt so. Doch diese Gewalt kann sich nicht vom Rest des Projektes loslösen, sie kann nicht dessen Platz einnehmen. Es ist die Gewalt, die dem Projekte als Instrument zur Verfügung steht und nicht das Projekt, das der Gewalt als Vorwand zur Vergfügung steht. Wer denkt, dass ein Aufstand nicht möglich sei, wer das Vertrauen in die Möglichkeit verloren hat (oder niemals hatte), dass die Ausgebeuteten rebellieren werden, der sollte sich über die Distanz bewusst werden, die ihn von jeglicher aufständischen Perspektive trennt. Wenn er seinen privaten Krieg gegen die Macht führen will, denn zu dem ist es geworden, dann soll er dies nur tun, aber ohne es als sozialen Krieg auszugeben. Wenn er mit seinen Aktionen in die Geschichte eingehen will, um der reinen Selbstbeweihräucherung wegen, dann soll er es sich unter den Scheinwerfern der Medien nur bequem machen, aber ohne vorzugeben, den Rest der Bewegung hinter sich zu haben.

Es versteht sich von selbst, dass jeder frei ist, das zu tun, was er will. Für diejenigen, die denken, oberhalb jeglicher Kritik zu stehen und somit nur gelobt, verstanden und nachgeahmt werden zu können, ohne dass sie es jemals für nötig hielten, die Gründe für ihre Methoden darzulegen, gilt das viel weniger.

Der Text erschien am 15. Februer 2003
auf Italienisch auf der Webseite Anarcotico
Originaltitel: Su alcune vecchie questioni d‘attualità fra gli anarchici, e non solo
Autor: anonym


Anmerkungen

1 – Am 12. September 2002 explodieren zwei selbstgebaute Sprengsätze bei einem Polizeikommissariat in Genua. Die Fensterscheiben des Kommissariats zerbersten. Die Aktion wird in einem Communiqué mit Brigade 20. Juli [Der Tag an dem Carlo Guiliani in Genua ermordet wurde] unterzeichnet. Am 13. Dezember 2002 empfängt die Iberia-Geschäftsstelle [Spanische Flugzeuggesellschaft] in Rom eine (als Buch getarnte) Packetbombe. An den folgenden Tagen erhalten auch die Iberai-Geschäftsstellen in Milano und Fiumicino Paketbomben. Auch das RAI [Italienischer Nationalfernsehsender] empfängt ein solches Packet. Die 5C [Cellule contre il capitale, il carcere, i carcerieri e le loro celle] bekennt sich zu den Packetbomben. Am 16. Juni 2003 bekennt sich die 5C zu einem weiteren Bombenanschlag gegen das Spanische Cervantes-Institut in Rom.

2 – Naradnja Vola [Volkswille] – Diese russische Revolutionäre Organisation wurde 1879 gegründet und versammelte Militante mit unterschiedlichen Ideen, die sich den Kampf gegen die Autokratie zum zentralen Ziel machten. Die Organisation war zentralisiert und operierte im Schatten. In mehr als 50 Städten gab es Abteilungen der Naradnja Volja. Obwohl sie effektiv nie mehr als 500 Leute waren, haben sich viele tausend Leute an der Organisation beteiligt. Die Organisation teilte verschiedene Zeitungen aus, während sich die Entscheidung für Anschläge mit der Zeit zu verbreiten begann. Sie planten sieben Anschläge gegen den Zar Alexander II (der siebente glückte). Nach diesem Anschlag macht die Regierung  aus Angst vor einem Aufstand einige demokratische Zugeständnisse. Da dieser jedoch ausblieb, schlug die Repression zu und die Organisation fiel auseinander.

3 – Gaetano Bresci (1869 – 1901) – Schon mit jungen Jahren arbeitet Bresci in der Italienischen Textilindustrie.Von diesem Moment an suchte er Kontakte innerhalb des anarchistischem Milieues von Prato. Er landete zwei mal im Gefängnis. Das zweite mal wird ihm Amnestie gewährt und er beschliesst 1896 in die Vereinigten Staaten auszuwandern. Er lässt sich in New York nieder. 1898 bricht in Milano aufgrund von Preiserhöhungen eine Revolte aus. Der General Bava Beccaris lässt die Soldaten mit Kanonen auf die Massen schiessen und entfesselt nach der Niederschlagung der Revolte eine blutige Repression. Anschliessend an diese Ereignissen wird der General Beccaris vom König Umberto I mit einem Orden ausgezeichnet. In diesem Moment beschliesst Bresci zur Rache überzugehen. Er kehrt nach Italien zurück und tötet den König Umberto I am 29. Juli 1900 mit drei Revolverschüssen. Er wird festgenommen und am 29. August in Milano zu lebenslänglicher Zwangsarbeit in Santo Stefano verurteilt. Am 22. Mai 1901 wird er in seiner Zelle aufgehängt vorgefunden, mit grosser Wahrscheinlichkeit wurde er ermordet.

4 – Sante Geronimo Caserio (1873 – 1894) – Caserio wird in eine Bauernfamilie geboren. Als er zehn jahre alt war, stirbt sein Vater an der zu einseitigen Maisernährung. Er wollte seiner Mutter und seinen Brüdern und Schwestern nicht länger zur Last fallen und zog nach Milano, wo er Bäckerslehrling wird. Sehr schnell geriet er in Kontakt mit den anarchistischen Milieues. Er stellte selbst einen kleinen anarchistischen Kreis auf die Beine, „A Pè“ [frei übersetzt „auf nackten Füssen“, auf die Armut verweisend]. Ab einem gewissen Punkt gerät er in das Visier der Polizei und ist gezwungen zu flüchten, zuerst in die Schweiz und dann nach Frankreich. Während einer öffentlichen Zeremonie in Lyon am 24. Juni 1894 tötete er den Französischen Präsidenten Carnot. Er bohrte seinen Dolch mit rot-schwarzem Griff in das Herz des Präsidenten. Er versuchte nicht zu flüchten, sondern begann um den Zeremoniewagen zu laufen und «lang lebe die Anarchie» zu rufen. Am 2. und 3. August 1894 wird er verurteilt, am 16. August wird er auf der Guillotine umgebracht. Kurz vor seiner Exekution rief er: «Habt Mut Freunde! Es lebe die Anarchie!». Während seines Prozesses zeigte er keine Reue, bat nicht um Gnade und weigerte sich, die Namen seiner Komplizen preiszugeben.

5 – François Claudius Koëningstein alias Ravachol (1859 – 1892) – Ravachol erlebte eine schwere Kindheit. Schon mit acht Jahren irrt er durch die dunklen Gässchen der Gesellschaft. Er arbeitet, um Mutter, Schwester, Bruder und Neffen zu unterhalten, während er Sonntags in Saint-Etienne Akkordeon spielt. Sehr bald eignet sich Ravachol anarchistische Ideen an. Am 1. Mai 1891 findet in Fourmies eine Demonstration für den Achtstundentag statt. Es brechen Ausschreitungen aus und die Polizei schiesst auf die Demonstranten. Neun Demonstranten (Männer, Frauen und Kinder) werden getötet. Am selben Tag findet in Clichy eine Demonstration statt, woran sich auch die Anarchisten beteiligen. Es kommt zu schweren Auseinandersetzungen mit der Polizei. Nach einer kurzen Schiesserei, wobei einige Beamte getroffen wurden, werden drei Anarchisten ins Kommisariat von Clichy abgeführt. Dort wurden sie verhört und geschlagen. Es folgt ein Prozess: Decamps wird zu 5 Jahren und Dardare zu 3 Jahren verurteilt, Léveillé wird freigesprochen. Bulot, der öffentliche Ankläger forderte die Todesstrafe. Ravachol (flüchtig mit einer Anklage für Verleumdung) und einige andere Kameraden entscheiden sich ein paar Anschläge zu organisieren. Am 7. März 1892 misslingt ein Anschlag auf das Komissariat von Clichy. Am 11. März 1892 explodiert das Haus des Rechtsanwaltes Benoit (Vorsitzender des Assisenhofes, der sich um die Sache von Clichy kümmert). Am 27. März ist das Haus des öffentliche Anklägers Bulot an der Reihe. Am 30. März wird Ravachol nach einem Anschlag auf das Bourgeoisierestaurant Véry in Paris verhaftet. Erst wird er zu lebenslanger Haft verurteilt, doch in einem zweiten Prozess bekommt er die Todesstrafe. Am 11. Juli 1892 wird er mit der Guillotine getötet.

6 – Émile Henry (1872 – 1894) – Nach der Kommune von Paris 1871 muss die Familie von Henry nach Spanien flüchten, um der Todesstrafe zu entkommen. Dort werden Émile und sein Brude geborden. Nach dem Waffenstillstand von 1882 kehrten sie nach Frankreich zurück. Henry schloss mit Glanz sein Studium als Buchhalter ab. Erst vom Sozialismus angezogen, kehrt er sich um 1891 von dieser Strömung ab. « Ich hielt zu viel von der Freiheit, hatte zu viel Respekt für individuelle Initiativen, zu viel Abneigung für Konformismus, um mir ein Nümmerchen für die geordnete Armee des vierten Staates zu ziehen. » Henry kam in Kontakt mit den anarchistischen und individualistischen Milieues um die Jahrhundertwende. Am 8. November 1892 platzierte er eine Bombe beim Büro des Minenunternehmens Carmaux. Der Hausmeister des Gebäudes findet sie und bringt sie ins Polizeikommisariat in der Rue des Bons Enfants. Dort explodiert die Bombe. Fünf Polizisten sterben und ein sechster erleidet an einem Herzanfall. Am 12. Februar 1894 betritt er um 9 Uhr Morgens das bourgeoise Café Terminus in Paris. Er wirft einen metallenen Kessel voller Sprengstoff in die Luft und die Bombe explodiert. Zwanzig Menschen werden verwundet und einer stirbt anschliessend aufgrund seiner Verletzungen. Das Café selbst ist eine Ruine. Am 21. Mai 1894 wird Henry (zu dieser Zeit 21 Jahre alt) auf der Guillotine umgebracht.

7 – Severino Di Giovanni (1901 – 1931) – Di Giovanni wird in Italien geboren. Seine Rebellion begann mit sehr jungen Jahren. 1921 schloss er sich der anarchistischen Bewegung an. Als Mussolini 1922 an die Macht kam, entschied er sich nach Argentinien zu ziehen. Dort brachte er ab 1925 die italienischsprachige Zeitschrift Culmine heraus, womit er nicht nur agitierte, sondern auch Verbindungen zwischen verschiedenen anarchistischen Gruppen in der Region und der ganzen Welt schloss. Di Giovanni propagierte die Notwendigkeit vom Gebrauch revolutionärer Gewalt. Er verübt verschiedene Bombenanschläge und plante Überfälle, um das Herausbringen von Büchern und von Culmine zu finanzieren. Er beteiligte sich auch an der Solidaritätsbewegung gegen die Exekution von Sacco und Vanzetti. Bei einige Aktionen fielen Tote, worauf ihn ein Teil der anarchistischen Bewegung abschrieb. Nach einem Schusswechsel mit der Polizei wird Di Giovanni verhaftet. 24 Stunden später, am 1. Februar 1931 wird er hingerichtet.
Siehe Severino Di Giovanni, Elephant Editions, London

8 – Buenaventura Durruti (1896 – 1936) – Durruti wird in Spanien in eine Arbeiterfamilie geboren. Ab 1913 arbeitet er an der Drehbank und schliesst sich der Metallarbeitergewerkschaft an. Ein Jahr später wird er als Eisenbahnarbeiter eingestellt. 1917 ruft die UGT (allgemeine Arbeitergewerkschaft) zu einem Generalstreik auf. Die spanische Regierung setzt die Armee ein, um den Streik zu brechen. 500 Arbeiter werden getötet oder verwundet, 2000 Streikende werden ins Gefängnis gesperrt. Durruti nahm an dem Streik als junger Saboteur und Brandstifter aktiv teil. Die Gewerkschaft brach jegliche Verbindung mit ihm und anderen Kameraden ab, worauf sie herausgeworfen werden. Er wird gesucht und flüchtet nach Frankreich bis er 1920 nach Barcelona zurückkehrt. Zusammen mit García Oliver, Francisco Ascaso und anderen Anarchisten gründen sie die Gruppe Los Solidarios, die unteranderem Vergeltungsmassnahmen gegen Bosse und Angriffe auf Banken organisierten. Erfolgslos versuchen Leute dieser Gruppe den spanischen König Alphonso XIII zu töten. 1923 wird der Kardinal von Saragossa Juan Soldevilla y Romero getötet, als Antwort auf den Mord an dem Kameraden Salvador Seguí.  Los Solidarios waren hierbei beteiligt. Durruti und Oliver tauchen in Argentinien unter, wo er zusammen mit anderen Kameraden unteranderem verschiedene Banken überfällt um die anarchistische Bewegung zu finanzieren. Durruti kehrt nach Barcelona zurück und schliesst sich der CNT (anarcho-syndikalistische Gewerkschaft) und der FAI (Iberische anarchistische Föderation) an. Während der spanischen Revolution spielte er eine wichtige Rolle, was die Koordination des Kampfes gegen General Franco betrifft. Im Novamber 1936 lässt sich Durruti dafür überzeugen, Madrid zu befreien. Durruti stirbt im Verlaufe dieses Gefechts an einer Kugel. Es ist noch immer nicht klar wie er getötet wurde, vielleicht von Stalinisten, durch einen technischen Defekt, durch eine verirrte Kugel…
Für Durrutis Beteiligung an der spanischen Revolution siehe Miguel Amorós, Durruti dans le labyrinthe, Encyclopédie des Nuisances, Paris, 2006.

9- Franciso Ascaso Budría (1901 – 1936) – Als Bäcker und Kelner schloss sich Ascaso der spanischen FAI (Iberische anarchistische Föderation) und einer ihrer bewaffneten Gruppen, Los Justicieros, an. 1922 ging er nach Barcelona und zusammen mit unteranderem Buenaventura Durruti und García Oliver formte er die Gruppe Los Solidarios (siehe Anmerkung 8). 1923 flüchtete er zusammen mit Durruti nach Südamerika, wo sie zusammen in der anarchistischen Bewegung aktiv waren und unter anderem Banküberfälle durchführten. Als er nach Frankreich zurückkehrt, wird er (zusammen mit den anderen) angeschuldigt, einen Mordversuch am  König Alphonso XIII geplant zu haben. Mangels Beweisen wird er freigesprochen und aus dem Land verwiesen. Ascaso bleibt weiterhin klandestin in Frankreich. 1931 kehrt er nach Spanien zurück und organisiert die Gruppe Nosotros (anarchistische Gruppe am Rande der FAI). Die ersten fünf Jahre der Zweiten Spanischen Republik werden von anarchistischen Aufständen gezeichnet, woran er sich aktiv beteiligt. 1932 wird er verhaftet und erst nach Bata, dann auf die kanarischen Inseln deportiert. Kurz darauf taucht er in Sevilla wieder auf, wo er erneut verhaftet wird. Während der ersten Tagen des Kampfes in Barcelona (bei der Atarazanakaserne) nach dem Misslungenen Coup von Franco wird er niedergeschossen.

10 – The Angry Brigade – Zwischen 1970 und 1972 wird eine ganze Reihe von bewaffneten Angriffen in Grossbritanien mit diesem Namen Unterzeichnet. Die Angriffe richteten sich vorallem gegen Banken, Botschaften und die Häuser von konservativen Parlamentsleuten. Nur einmal gerieten Personen durch einen Angriff der Angry Brigade ans Licht. Am 6. Dezember 1972 werden vier Kameraden zu 10 Jahren Haft für ihre Beteiligung an der Angry Brigade verurteilt.

11 – ETA Euskadi Ta Askatasuna [Baskenland und Freiheit] – Eine 1959 gegründete bewaffnete Gruppierung. Mit revolutionär marxistischen Ideen vermischt mit Baskischem Nationalismus gingen sie den Kampf gegen das Franco-Regime an. 1974 teilte sich die ETA entzwei: die militärische ETA und die politisch-militärische ETA. Die Spaltung hat underanderem, aber bestimmt nicht ausschliesslich, mit durch Anschläge getroffenen Zielen und Methoden, die angewendet wurden, um Geld zu beschaffen zu tun. 1982 löst sich die politisch-militärische ETA auf, während sich die militärische ETA immer mehr auf ausschliesslich nationalistisches Terrain begiebt.

12 – Am 25 April 1997 explodiert beim Palazzo Marino in Milano eine Bombe. Der Haupteingang wurde beschädigt und einige Fenster entglast. Die Presse und das Gericht sprechen von Versuchtem Todschlag. Die Azione Revoluzionaria Anarchica [revolutionäre anarchistische Aktion] bekennt sich zur Verantwortung. In den folgenden Tagen zirkuliert ein unscharfes Foto mit einem Bild von einer Überwachungskamera, die die Umgebung um das Lokal der kommunistischen Radiostation Radio Populare filmt. Auf dem Foto ist eine „Postfrau“ zu sehen, die ein Brief deponiert, worin sich zum Anschlag bekannt wird. Es wird eine Belohnung von 10 Millionen Liren für denjenigen ausgeschrieben, der die Frau erkennen kann. Am 29. Juni 1997 wird die Anarchistin Patrizia Cadeddu verhaftet und angeschuldigt diese „Postfrau“ zu sein. Ihr Prozess folgte ein Jahr später.

13 – ARA, siehe Anmerkung 12

14 – 5C – Unter dem Namen Cinque C, „Contro il Capitale, il Carcere, i Carcerieri e le loro Celle“ [Gegen das Kapital, das Gefängnis, die Wärter und ihre Zellen] werden im Dezember 2002 und Juni 2003 in Italien verschiedene Aktionen unteranderem bei Spanischen Zielen gegen das FIES-Isolationsregime durchgeführt (Briefbomben und Sprengstoffanschläge).

15 – Benjamin Tucker (1854 – 1939) – Tucker war durch seine Beiträge als Herausgeber und Schreiber einer der bekanntesten Amerikanischen Träger des individualistischen Anarchismus. Er brachte unter anderem die anarchistische Zeitschrift „Liberty“ heraus, worin verschiedene individualistische Denker zu Wort kamen, des weiteren übersetzte er die englischsprachige Ausgabe von „Was ist Eigentum“ von Proudhon und „Der Einzige und sein Eigentum“ von Max Stirner. Schliesslich kommt es zu einem Bruch zwischen dem von Stirner inspirierten Individualismus und der alten Garde von Jusnaturalisten unter Einfluss von Lysander Spooner. Beide Tendenzen waren sich darüber einig, Autorität, Gesetzgebung und die Vorstellung eines „Gesellschaftsvertrages“ zu verwerfen. Sie unterschieden sich in diesem Sinne, dass die Jusnaturalisten ein Leben ohne zwang als ein natürliches individuelles Recht betrachten, während beim individualistischen Anarchismus von Stirner die Entscheidung für den Individualismus eher pragmatisch ist, als die beste Art und Weise gegenüber sich selbst und der Gesellschaft zu stehen.

16 – John Henry Mackay (1864 – 1933) – als Anhänger von Stirner schrieb dieser individualistische Anarchist den Roman „Die Anarchisten“, welchem Ende des 19. Jahrhunderts ein grosser Einfluss zukam.

17 – Luigi Galleani (1861 – 1931) – Während seines Rechtsstudiums in Turin (das er nicht abschloss) kam Galleani in Kontakt mit anarchistischen Ideen. Er widmete sich der anarchistischen Propaganda und muss nach Frankreich flüchten. Auch dort wird er ausgewiesen. Er landete in der Schweiz wo er erneut für seine Angitation ausgewiesen wird. Zurück in Italien wird er für Verschwörung zu 5 Jahren Haft verurteilt. 1900 brach er aus dem Gefängnis Pantelleria aus und flüchtete nach Egypten, Londen und schliesslich in die Vereinigten Staaten. Etwas später wird er schon wieder für  Aufstand und Anstiftung zur Gewalt nach Kanada ausgewiesen (wo er erneut deportiert wird). Zurück in den Vereinigten Staaten wurde er bekannt als ein Verteidiger der „Propaganda der Tat“. Er gab die italienischsprachige Zeitschrift Cronaca Sovversiva (Subversive Chronik) heraus. 1918, nach 15 Jahren publikation, wird die Zeitschrift durch den Sedition Act verboten. Die Cronaca Sovversiva umfasst neben Darlegungen von anarchistischen Ideen auch oft eine Liste mit Adressen und detaillierten Beziehungen der Kapitalisten, Geschäftsleute, Streikbrecher,… Viele Anarchisten umgaben Galleani, darunter Nicola Sacco und Cartolomeo Vanzetti, die 1927 hingerichtet werden. Die Gruppe machte viel propaganda durch die Cronaca und besonders bekannt wurden sie durch die Herausgabe von La Salute è in voi! [Gesundheit sitzt in dir], eine Anleitung zum Herstellen von Bomben. Ab 1914 folgen die Anschläge in den Vereinigten Staaten in einem rasenden Tempo aufeinander. Duzende Bombenanschläge gegen die Polizei, Richter, Gerichte, Geschäftsleute, Gefängnisse,… 1917 zieht die Gruppe nach Mexiko um sich an der langerwarteten Revolution zu beteiligen. Desillusioniert kehren sie Ende 1917 in die USA zurück, um ihre Agitation fortzusetzen. Es folgen erneut verschiedene Bombenanschläge. Aufgrund des Mangels an konkreten Beweisen greift die amarikanische Regierung zum Anarchist Act, der die Deportation von Anarchisten und Subversiven ermöglicht. Ende April 1919 werden ungefähr 30 Briefbomben an verschiedene Politiker, Richter und Bankiers verschickt. Die Meisten Packete wurden im voraus entdeckt. Ein Dienstmädchen des Senator Hardwick (ein Unterstützer des Anarchist Act) verlor beide Hände als sie das Packet öffnete. Die Bombenanschläge gehen unvermindert weiter, die Antwort waren jene hunderte von Deportationen, die später als Palmer Raids bekannt wurden. 1919 wird auch Galleani nach Italien abgeschoben, wo er auf eine Insel vor der Küste verbannt wird. Als Mussolini an die Macht kam wird Galleani unter permanente Überwachung gestellt. Galleani stirbt 1931 mit 70 Jahren an einem Herzanfall.

]]>
Bewaffneter Kampf in Italien 1976-78. Eine Chronologie https://panopticon.blackblogs.org/2022/05/15/bewaffneter-kampf-in-italien-1976-78-eine-chronologie/ Sun, 15 May 2022 21:50:07 +0000 https://panopticon.noblogs.org/?p=2635 Continue reading ]]> Bratach Dubh, Elephant Editions

Anarchist Pamphlet 4

Bewaffneter Kampf in Italien 1976-78

Eine Chronologie

 

Inhalt:

EINLEITUNG ZUR ÜBERSETZUNG INS DEUTSCHE (Soligruppe für Gefangene)
– EINLEITUNG ZUR ZWEITEN
EDITION
– EINLEITUNG
– VORWORT
– UNSERE ROLLE IM GEGENWÄRTIGEN KONFLIKT
– DIFFUSE STADTGUERILLA
– KNASTREVOLTEN
– KNÄSTE, GERICHTE UND DIE LEGALE HIERARCHIE
– EXPROP
RIATIONEN (ENTEIGNUNGEN)
– OPFER DER REPRESSION
DRECKSARBEIT
– POLITIKER UND PARTEIZENTRALEN
– GEWERKSCHAFTEN/
SYNDIKATE
– FABRIKEN UND DIE INDUSTRIELLE HIERARCHIE
STAATSÄMTER
– HEROIN DEALER
– ANGRIFFE AUF DIE POLIZEI
RESTRUKTURIERUNG DER REPRESSION
– ANTI-INSTITUTIONELLE BEWEGUNG, REVOLUTIONÄRE GEWALT, BEWAFFNETER KAMPF. EINIGE REFLEXIONEN.
– ZUR VERALLGEMEINERUNG DES BEWAFFNETEN KAMPFES
– ZUM PROBLEM DES BEWAFFNETEN KAMPFES
– VORWÄRTS GEFÄHRTEN!

EINLEITUNG ZUR ÜBERSETZUNG INS DEUTSCHE (Soligruppe für Gefangene)

Einige von uns hatten vor vielen Jahren, also auch lang vor Existenz unserer Gruppe, diese Broschüre gelesen und wollten seitdem diese ins Deutsche übersetzen. Diese Tat ist nun vollbracht, was uns natürlich auch mit großer Freude erfasst, auch wenn vieles weitere noch vor uns steht und zu tun ist. Diese Broschüre, die 1979 auf Englisch veröffentlicht wurde, ist weiterhin auf mehreren Ebenen interessant, wichtig und stellt Fragen auf, die seit der Kampfphase von 1969 bis Anfang der achtziger in Italien vor allem, aber genauso im restlichen Westeuropa, nicht beantwortet wurden. Wir meinen die Epoche, die historisch als der zweite Ansturm des Proletariats gegen die Klassengesellschaft benannt wird und die offiziell den Zeitraum von 1969 bis 1977 umfasst.

Diese interessanten Ebenen, die wir wichtig finden, umfassen einen historischen, einen analytischen und einen revolutionären Aspekt. Als diese Broschüre veröffentlicht wurde, waren diese nicht zu trennen und wir wollen nicht suggerieren, es wäre anders zu betrachten, aber vierzig Jahre nach der Veröffentlichung haben sich viele Dinge geändert.

Gegenwärtig daher historisch, weil er durch die chronologische Auflistung den lesenden Personen einen Hauch des Niveaus des Konfliktes von 1976-1978 gibt, man bedenke natürlich, dass diese Auflistung nicht den Anspruch erhebt komplett zu sein, noch alles umfasst zu haben, genauso sich auf die Jahre 1976-1978 konzentriert, die als die intensivsten gelten und den anderen Schriften, die sich mit dieser Zeit befasst haben, einen anderen Blickwinkel verleihen. Angefangen damit, dass die Bewegung in Italien sehr groß war und die Angriffe gegen die herrschende Klasse von vielen ausgetragen wurde.

Gegenwärtig auch analytisch, denn die Auseinandersetzung, die damals die Broschüre führte, historisch war und obwohl vierzig Jahre vergangen sind, bleibt die Auseinandersetzung eine wichtige und daher auch aktuelle. Man darf nicht vergessen, als diese Broschüre veröffentlicht wurde, war diese Kampfphase nicht vorbei und sie konnte den Ausgang, falls Widersprüche nicht gelöst werden würden, nicht voraussehen, aber dennoch erahnen.

Und zuletzt revolutionär, weil die Aufgabe aller Revolutionäre, Anarchisten und Anarchistinnen ganz voran, wie wir schon sagten, innerhalb der Geschichte verstanden werden muss und wenn der äußerliche Kontext sich verändert haben mag, hat er es aber im Kern nicht getan. Der Kampf gegen den kapitalistischen Staat und alle Formen der Herrschaft des Kapitals und der Unterdrückung, verstanden als deren Abschaffung und Zerstörung, ist nicht nur notwendig, sondern nichts geht um diesen herum, da die Herrschaft des Kapitals das Leben aller Spezies auf diesen Planeten zu vernichten bedroht.

Nicht zuletzt sehen wir diesen Text als eine Ergänzung für die kommende Veröffentlichung von der Autobiografie von Claudio Lavazzas Buch und für kommende Auseinandersetzungen, die mit Themen zu tun haben, die diesen Abschnitt der Geschichte betreffen, in Relation stehen, oder aus denen wir einen Bezug für weitere historische Debatten schöpfen werden. Gemeint sind die Fragen um Amnestie, um Repression, um Exil, um Knast, der Umgang mit Niederlagen usw.

Ganz zum Schluss ein Übersetzungshinweis, wir haben die Begriffe auf Italienisch Nucleo/Nuclei nicht als Zelle, im Sinne einer Zelle einer bewaffneten Gruppe oder dergleichen, übersetzt, sondern als ein Kern übersetzt. Im Text, sowohl auf der englischen wie auf der italienischen Version, wird unter beiden Begriffen unterschieden. Uns ist der Begriff und die politische Tragweite der Nucleo/Nuclei bewusst, gehen darauf aber jetzt nicht ein und haben diese sinngemäß übersetzt.

Soligruppe für Gefangene, Berlin, Mai 2022

EINLEITUNG ZUR ZWEITEN EDITION

Die Jahre, auf die sich dieses Pamphlet bezieht, markieren eine wichtige Periode für die gesamte Bewegung gegen das Kapital. Es war die Zeit, in der die antagonistische Bewegung in Italien endlich alle Tabus bezüglich der Zerstörung, der Gewalt und des Einsatzes von Waffen gegen den Klassenfeind ablegte. Es wurde normal, auf die Demütigung und Tyrannei des Kapitalismus mit den Waffen zu antworten, die dafür als am effektivsten angesehen wurden, und auf die Gewalttaten der Bosse, der Polizei und der Faschisten gab es eine unmittelbare Antwort sowohl auf der Straße als auch in konkreten Vergeltungsaktionen gegen sie.

In dieser Zeit entstand eine große Anzahl von Gruppen und Kampforganisationen, die von der Notwendigkeit überzeugt waren, den bewaffneten Kampf gegen das Kapital auszuweiten und zu verschärfen. Viele von ihnen kamen im Einklang mit ihren leninistischen Überzeugungen zu dem Schluss, dass die endgültige Krise des Kapitalismus gekommen war, dass der Sieg nahe war und dass es an der Zeit war, den Staat zu seinen eigenen Bedingungen zu bekämpfen, in geschlossenen militaristischen Organisationen (der bewaffneten Flügel des Proletariats), die darauf abzielten, zuerst den Kampf und dann den Staat zu übernehmen und zu leiten. Ihr Ziel war es, Gefährten in ihre Organisationen zu rekrutieren – die einzigen, die ihrer Meinung nach berechtigt waren, diese historische Aufgabe zu erfüllen – und das Niveau des Kampfes bis zum endgültigen Moment des Sieges zu steigern. Als sich ihre Analyse als falsch erwies (dass das Ende des Kapitalismus nicht unmittelbar bevorstand, sondern er eine schwierige Phase der Restrukturierung durchlief), begannen sie mit dem Feind zu verhandeln, um ihre Gefangenen freizubekommen, selbst um den Preis, sich vom Kampf und von der Revolution selbst zu disassoziieren1.

Aber es gab noch eine andere Dimension im Kampf Ende der 70er Jahre, eine, die aus autonomen Aktionen bestand, die von Affinitätsgruppen durchgeführt wurden, die für die Dauer der Aktion selbst gebildet wurden. Als wir diese Gegeninformation zum ersten Mal veröffentlichten, taten wir das, um die ganze Dimension des bewaffneten Kampfes bekannt zu machen und zu erweitern, und aus diesem Grund beschränkten wir unsere Kritik auf die Formen, die dieser Kampf annahm. Indem wir sie erneut abdrucken, tun wir das mit einem anderen Ziel: um zur qualitativen Entwicklung des Kampfes beizutragen. Jetzt, da die Notwendigkeit eines bewaffneten Angriffs gegen das Kapital und den Staat unter den Gefährten weithin akzeptiert ist, ist es an der Zeit, daran zu arbeiten, den qualitativen Aspekt zu erweitern, der sich heute ausbreitet, indem wir Methoden wie Sabotage gegen die Strukturen des Kapitals anwenden. Diese Sabotage, die in der Regel von kleinen Gruppen von Gefährten durchgeführt wird, die sich auf der Basis von Affinität zusammengefunden haben, basiert auf einfachen Mitteln, die jedem zur Verfügung stehen, und sie enthält ein starkes Element von Kreativität und Freude an dem Wissen, dass es einfach und effektiv ist, das anzugreifen, was uns direkt unterdrückt, und dass es dafür keine endlosen Dokumente ideologischer Rechtfertigung braucht. Das bedeutet nicht, dass Waffen im traditionellen Sinne des Wortes nicht mehr relevant sind oder als etwas betrachtet werden sollten, das irgendwann in ferner Zukunft eingesetzt wird. Es ist wichtig, über all diese Probleme nachzudenken, um eine effektive und intelligente revolutionäre Perspektive zu entwickeln und zu stärken.

EINLEITUNG

Der Schlüssel zur Zukunft ist Rebellion. In dem Maße, in dem die multinationalen Konzerne ihre Macht über die ganze Welt ausbreiten und ihre Gastgeber entsprechend den Anforderungen des (Gesamt-)Profits wechseln, erweisen sich die Gewerkschaften/Syndikate als Kampforganisationen als obsolet und tatsächlich als direkte Teilnehmer am Restrukturierungsplan des Kapitalismus. Der fortschrittliche demokratische Staat ist bereit, in jedem Bereich Untersuchungen zu unterstützen: Gefängnisreform, ökologische Probleme, Debatten über Abtreibung usw., um mit dem Dissens umzugehen und ihn zu einer handhabbaren Dynamik innerhalb des globalen Projekts der sozialen Kontrolle zu machen, und einige der modernen europäischen Staaten haben sich in dieser Voraussicht als schlauer erwiesen als andere.

Wir würden sagen, dass Italien, obwohl es auf ökonomischer Ebene Großbritannien ähnelt, ist sein Platz der des schwächsten der fortgeschrittenen Industrieländer, verfügt über weniger ausgefeilte Mittel, um die wachsenden Schichten derjenigen zu kontrollieren, die an den Rand des Produktionsprozesses gedrängt werden. Mit anderen Worten, es ist nicht so, dass Italien ein Land ist, das sich in einer akuteren ökonomischen Krise befindet als Großbritannien, und auch nicht so, dass, weil wir hier in Großbritannien nicht täglich in unseren Zeitungen Berichte über das Verbrennen von Autos von Fabrikmanagern oder das Verprügeln von Journalisten, die zu Krüppeln gemacht wurden, lesen, dass eine Situation der Revolte auf Massenebene auch nicht existiert.

Es ist nicht die politisierte Minderheit, die die Revolte erzeugt, sondern die Existenz der Ausbeutung. Was wir sagen können, ist, dass es in Großbritannien keine eindeutig politisierte Minderheit gibt, die aus der Masse heraus versucht, ihr eine breitere Perspektive zu geben, nämlich die der verallgemeinerten Rebellion. In dieser Situation spielen unserer Meinung nach viele Faktoren eine Rolle, nicht zuletzt der bereits erwähnte: die Fähigkeit des Staates, marginalisierte Gruppen zu rekuperieren und ihnen eine „sozial erfüllende“ Aufgabe zu geben, wie z.B. die Beteiligung an Erlebnisspielplätzen, am kommunalen Wohnungsbau, an organisierten Hausbesetzungsprojekten usw., was ihnen eine gewisse Autonomie der Bewegung erlaubt und sehr wenig überschüssige Energie für solche Aktivitäten wie die Revolution übrig lässt.

Aber wir können dem Staat nicht für alles die Schuld geben. Wir haben das Gefühl, dass es innerhalb der Bewegung in Großbritannien eine gewisse aristokratische Tendenz gibt, die die Bedeutung von illegalen Aktionen an der Basis leugnet und immer noch darauf beharrt, Rebellion im Sinne der Arbeiterbewegung zu sehen. Insofern empfinden wir die folgenden Informationen, so unvollständig sie auch sein mögen, als einen Beitrag zur Bildung einer realistischeren Vision davon, wo der Kampf heute liegt.

Die folgende Chronologie ist ein wichtiges Element der Gegeninformation über die Situation des Kampfes in Italien. Wir erheben nicht den Anspruch, dass dies ein vollständig repräsentatives Bild ist. Viele Akte der Rebellion gelangen nie in die Presse, entweder weil sie verschwiegen werden oder weil sie für sich genommen zu unbedeutend sind, wie z.B. im Fall von Absentismus2, individueller Sabotage und Selbstaneignung von Waren. Und gerade in diesen Bereichen finden die Gruppen, die in der Minderheit sind, immer mehr die Botschaft, dass eine Intensivierung des Kampfes notwendig ist. Wir hoffen jedoch, dass sich aus dieser umfangreichen Chronologie etwas herauskristallisiert: dass der bewaffnete Kampf in Italien heute nicht in den Händen einiger weniger professioneller Militanter liegt, sondern dass er für Hunderttausende von Menschen eine Art des Seins, eine Art des alltäglichen Lebens ist, und dass dieser Bereich sein Angriffsfeld immer weiter ausdehnt.

Die jungen Leute, die an die Ränder des italienischen Kapitalismus gedrängt wurden, schaffen mit ihren Aktionen ihre eigene Theorie. Sie haben nicht nur erkannt, dass es innerhalb der gegenwärtigen Struktur nichts für sie gibt, sondern auch, dass sie nichts von ihr wollen. Sie wollen sie in jeder Form, in der sie sich präsentiert, zerstören, und das betrifft nicht nur die Institutionen, sondern auch die Menschen, die sie als solche funktionieren lassen. Ähnliche Haltungen tauchen auch unter den angestellten Arbeitern im Kontext der Fabrik wieder auf, nach einer Periode relativer Stagnation seit den Kämpfen von 1973. Dies hat zu einer Situation der ideologischen Krise innerhalb der organisierten Linken geführt. Einerseits hat die massenhafte Verweigerung des Systems die retrograde3 Linke nicht aus ihrer radikalen Kritik herausgelassen; andererseits sehen sich dieselben Gruppen mit einer lebendigen Situation der Rebellion konfrontiert und lassen ihre abstrakten Theorien über ökonomische Kreisläufe im Regen stehen. Sie stehen vor der berechtigten Frage: Was werden wir tun? Leider ist die Antwort in vielen Fällen eine, die in der Vergangenheit von Gruppen mit stalinistischem Charakter gefunden wurde: die polizeiliche Betreuung der spontanen Bewegung.

Aber es ist nicht möglich, eine einfache Demarkationslinie zu ziehen zwischen „autoritären“ Gruppen, die sich so und so entwickeln, und „libertären“ Gruppen, die automatisch die Wahrheit des Augenblicks im Kampf der Massen finden. Jede Gruppe oder Tendenz, die sich als „Träger der Wahrheit“ betrachtet und versucht, der Situation ihre Ideologie aufzuzwingen, stellt sich automatisch auf die Seite der Konterrevolution, egal wie süß der Klang ihres Labels in unseren Ohren ist. Das soll nicht heißen, dass solche Gefährten in böser Absicht handeln. Es gibt einen fast schon traditionellen Mangel an Klarheit über bestimmte Probleme innerhalb der anarchistischen Bewegung, der viele dazu verleitet, sich auf die (ideologische) Verteidigung von Tendenzen zu stürzen, die sie nur aus der historischen Lobrede kennen und in der Realität, in der sie leben, nie in die Praxis umgesetzt haben.

Wenn die Realität des Augenblicks die der Rebellion auf Massenebene ist, wird diese Ignoranz und das Festhalten an alten Modellen besonders gefährlich, da es zu dem Versuch führen kann, die reale Bewegung zu bremsen, und zu einer Verurteilung von Gefährten, die auf dem praktischen Feld der Klarstellung arbeiten.

Klarheit über das Problem der bewaffneten Intervention im Klassenkampf ist daher von größter Bedeutung. Erstens, was genau verstehen wir unter dem Begriff „bewaffneter Kampf“? Zweitens, wann ist diese Form der Intervention gerechtfertigt? Drittens, welche organisatorische Form sollte diese Intervention annehmen?

All dies sind Fragen, denen sich die anarchistische Bewegung in Italien in den letzten Jahren stellen musste, einige Gruppen bereitwilliger als andere. Die theoretischen Artikel, die die folgende Chronologie begleiten, sind daher auch eine Frucht der gegenwärtigen historischen Situation und stellen einen Versuch dar, in eine Richtung zu gehen, von der wir das Gefühl haben, dass sie eine Richtung ist, in der Anarchisten heute im Kampf präsent sein können.

Es ist klar, dass das, was wir in der folgenden Auswahl von Daten darstellen konnten, begrenzt und manchmal auch ungeordnet ist. Aber eines der Hauptelemente der Rebellion ist Unordnung. Lasst uns also beginnen, wachsam gegenüber der Ordnung in unseren Reihen zu sein und auf die Unordnung um uns herum zu schauen.

Jean Weir
1979

VORWORT

1960 geht in Italien die günstige/vorteilhafte ökonomische Periode zu Ende, und es kommt zu Zusammenstößen auf den Straßen. Die Regierung, der der Christdemokrat Tambroni präsidiert, versucht, diese Zusammenstöße zu unterdrücken, wird aber besiegt. Viele Demonstranten werden von der Polizei in Genua, Rom, Modena, Reggio Emilia und Catania getötet.

1963 kommen die Sozialisten an die Regierung. Die Repression wird wieder aufgenommen. Die Gewerkschaften/Syndikate beginnen, mit den Bossen zu verhandeln. Sie hören allmählich auf, die Arbeiter zu vertreten. Im „Heißen Herbst“ 1969 beginnen sich die Arbeiter in den Fabriken autonom zu organisieren, in Form von wilden Streiks, Fabrikbesetzungen usw., und diese Situation hat, mit wechselnden Phasen von Höhen und Tiefen, bis zum heutigen Tag angehalten.

Eine Reihe von marxistisch-leninistischen Organisationen entstehen, zum Beispiel Servire il Popolo (A.d.Ü., dem Volke dienen). Die anarchistische Bewegung versucht, sich durch die FAI (Italienische Anarchistische Föderation) zu re-organisieren.

1968 kommt es zu einer allgemeinen Wiederbelebung der politischen Organisationen nach den Maikämpfen in Frankreich. In Italien sind es die Anarchisten, die die größte Entwicklung zeigen, aber die Bewegung ist voller Widersprüche und desillusioniert die meisten, die sich ihren Organisationen nähern.

1969 wird Lotta Continua geboren, und gleich darauf Potere Operaio. Es ist das Jahr der Massaker auf der Piazza Fontana. Die Bewegung findet ihre Einheit in der Verteidigung der anarchistischen Gefährten, die verleumdet und verhaftet wurden.

1970 gibt es einen Aufstand/Insurrektion der Bevölkerung von Reggio Calabria, aber den Faschisten gelingt es, aufgrund der Ineffizienz der politischen Organisationen der Gefährten, den Kampf zu übernehmen.

1969 beginnen die Revolten in den Gefängnissen, die bis 1972 andauern. Sie tauchen 1973 wieder auf und bringen Leben in die Bewegung der inhaftierten Militanten.

Die ersten Organisationen, die zu einem Bezugspunkt für den klandestinen Kampf werden, entstehen. Um 1970 werden in Genua die Gruppi di Azione Proletaria (GAP) gegründet. Potere Operaio unterstützt sie, aber Lotta Continua verurteilt sie. Hier beginnt die Degeneration der letzteren, die in einem verkommenen Linkstum4 endet, um kurz darauf als Bewegung völlig zu verschwinden und nur eine winzige Gruppe um ihre Tageszeitung zu hinterlassen.

Im gleichen Zeitraum entwickelte sich das Collettivo Metropolitano neben den ursprünglichen Brigate Rosse (Rote Brigaden, mit einer stalinistischen Matrix, gefärbt mit verschiedenen Schattierungen des Leninismus): NAP (Nuclei Armati Proletari) oder Bewaffnete Proletarische Zellen; Prima Linea oder Frontlinie; Azione Rivoluzionaria oder Revolutionäre Aktion; Nuclei Combattenti Comunisti oder Kommunistische Kampfzellen5, usw. Diese Gruppen haben ihrerseits die interne Struktur der Roten Brigaden beeinflusst, die, soweit man ihr letztes strategisches Dokument verstehen kann, nun die des leninistischen demokratischen Zentralismus zu sein scheint, d.h. Gruppen, die getrennt arbeiten, aber im strategischen Sinne in Kontakt stehen. Jede Gruppe arbeitet ihre eigenen Analysen und Aktionspläne aus, legt sie dann dem strategischen Kommando vor, das sie studiert und mit entsprechenden Beobachtungen zurückschickt. Einzelne Gruppen können von dem strategischen Kommando abweichen und Analysen und Aktionen entwickeln, die möglicherweise nicht dessen Zustimmung finden. Es ist denkbar, dass die Intensivierung der Repression die Roten Brigaden zwingen wird, diese Struktur zu überdenken und sich für das geschlossene Modell des stalinistischen Typs (das von der alten Garde unterstützt wird) oder das offenere Modell, das auf territorialen Auswertungen beruht, zu entscheiden.

Es ist das letztere Modell, das jetzt von anderen Gruppen angewandt wird, mit unterschiedlichem Grad an Überzeugung und Erfolg. Dieser Bruch mit dem starren Modell der Roten Brigaden zeigt sich in den Aktionen der NAP (und in ihren Dokumenten zu Theorie und Organisation) und in neueren Analysen der Kampforganisation Prima Linea. Hier ist der Leninismus mehr verwässert und die Autonomie der einzelnen Gruppen (und damit die Sicherheit auf militärischer Ebene) scheint größer zu sein.

Die Kampforganisation Azione Rivoluzionaria hat versucht, Theorie und Organisation in eine libertäre Richtung zu entwickeln, und hat oft explizit Bezug auf den Anarchismus genommen.

Neben dieser Organisation, die auf italienischem Territorium mehr oder weniger effizient und koordiniert arbeitet, gibt es eine Unzahl von kleinen Gruppen und individuellen Militanten, die, ohne sich auf eine spezifische Organisation zu beziehen und oft unter erfundenen Namen, ein Phänomen konstanter Guerillaaktivitäten entwickelt haben, das einen sehr interessanten Bezugspunkt für die Entwicklung der bewaffneten Konfrontation in Italien ausmacht.

Die folgende Chronologie wurde aus der zweimonatlich erscheinenden Zeitschrift Anarchismo übersetzt und deckt den Zeitraum von März 1976 bis November 1978 ab.

UNSERE ROLLE IM GEGENWÄRTIGEN KONFLIKT

Wir sehen die gegenwärtige historische Situation als eine, die durch einen Zustand zunehmender Illegalität charakterisiert ist, in dem sich breite Schichten der Gesellschaft wiederfinden. Millionen von arbeitslosen Jugendlichen und Menschen am Rande der Gesellschaft müssen mit allen greifbaren Mitteln überleben: Tausende von Frauen sind gezwungen, in den Seitenstraßen abzutreiben; Arbeiter praktizieren individuelle Formen der Sabotage, des Absentismus und des Produktionsboykotts; es gibt diejenigen, die in den Konzentrationslagern des Systems (Sondergefängnisse, psychiatrische Kliniken etc. ) rebellieren; proletarische Hausbesetzer zahlen seit Jahren keine Miete; ethnische Gemeinschaften bekräftigen/bestätigen ihre Identität; „Hooligans“ überfüllen Ghettos der Großstädte; und viele andere.

Allein die Tatsache, dass all diese Ausgebeuteten sich als lebendige Widersprüche inmitten des totalitären Transformationsprozesses des Kapitalismus durchsetzen, stellt für den Staat eine unzulässige Form der Illegalität dar. Die Antwort des Staates besteht darin, dies auf jede erdenkliche Weise zu beseitigen, wobei er ein ganzes Arsenal an brutalen Repressionsinstrumenten einsetzt, im Versuch dies zu erreichen.

Wir sehen unsere Aufgabe darin, zu versuchen, diese massenhafte Illegalität in eine Situation allgemeiner Rebellion zu verwandeln, die der Staat nicht mehr in die Dialektik der Forderung nach besseren Bedingungen/Reform/Kontrolle aufnehmen kann. Es gibt nur einen Weg, dies zu tun: mit Aktionen zu demonstrieren, dass jeder von uns einen Feind hat, der in genauen Strukturen und Personen identifizierbar ist, und dass dieser Feind nicht unverwundbar ist. Wir müssen durch Aktionen zeigen, dass die individuelle Revolte sich in einen kollektiven Aufstand/Insurrektion verwandeln kann und muss, der als einziger in der Lage ist, uns wirklich von der Unterdrückung zu befreien. Es scheint uns jetzt klar zu sein, dass dies bedeutet, über die begrenzende Logik der Verteidigung gegen staatliche Gewalt hinauszugehen. Es ist instinktiv für jeden, der einem Ausbeutungssystem unterworfen ist, das versucht, ihn seinem Willen zu beugen, sich zu verteidigen, und in der Tat versucht dies jeder auf die eine oder andere Weise. Es gibt diejenigen, die sich zu wissenden Kollaborateuren der Macht machen, oder die diese Verteidigung an andere, „fähigere“, delegieren.

Wir, die wir uns als bewusste Revolutionäre verstehen, können uns nicht darauf beschränken. Wir müssen und werden den Staat angreifen. Und darüber hinaus greifen wir ihn nicht an, um ihn seinerseits in Besitz zu nehmen, sondern um ihn in all seinen Formen und Realisierungen zu zerstören.

Das schöpferische Wesen des Anarchismus ist in diesem Werk der Zerstörung gegenwärtig: Indem wir die hierarchischen Mechanismen der Gesellschaft direkt angreifen und beseitigen, schaffen wir gleichzeitig die Voraussetzung für die libertäre Verwaltung der Gesellschaft. Wir schlagen kein vorgefertigtes Gesellschaftsmodell vor, von dessen Gerechtigkeit wir andere überzeugen wollen, sondern wir wollen jeden Menschen in die Lage versetzen, seine eigenen Handlungen direkt zu verwalten, frei von den Auferlegungen der Macht und ihrer Diener.

Wir behaupten, dass einige Instrumente des Kampfes nicht nur und nicht so sehr von bestimmten Sektoren der revolutionären Bewegung, sondern von der gesamten proletarischen Bewegung erworben wurden, die in keiner Weise auf eine oder mehrere Organisationen oder eine Reihe von Initialen reduziert werden kann. Wir denken, dass die Instrumente, die uns zur Verfügung stehen, an diese Situation des Kampfes gerichtet werden sollten.

…An diesem Punkt sollte darauf geachtet werden, dass das Instrument nicht mit dem zu erreichenden Ziel vertauscht werden soll. Wir dürfen nicht zulassen, dass die bewaffnete und illegale Praxis im Kampf zum Selbstzweck wird und als solcher gilt, also unveränderlich, unfehlbar, selbstgenügsam und allmächtig ist. …Die Praxis des gewaltsamen Angriffs gegen den Staat, die wir entwickeln wollen, ist nicht nur und nicht so sehr mit dem Schießen in die Beine notorischer Christdemokraten identifizierbar, sondern muss jeden Aspekt unseres Kampfes, jeden Bereich der Intervention durchdringen. Damit unser Angriff wirksam ist, müssen wir in der Lage sein, die Strukturen und Repräsentanten der Macht in jeder Stadt, in jeder Fabrik, in jeder Schule, in jedem Viertel, in jeder Kaserne, in jeder Institution, bis hin zu den Beziehungen, die unter uns bestehen, zu identifizieren und sie mit der ganzen Palette von Instrumenten und Waffen zu treffen, die unsere Phantasie vorschlägt.

Das sollte uns davor bewahren, in eine leninistische Mystifikation zu verfallen, wo sie, indem sie den Angriff auf ein mythisches „Herz des Staates“ richten, in Wirklichkeit die Eroberung dieses Herzens vorbereiten, um es zu übernehmen, wobei sie alle alten Kapillaren intakt und über das ganze Land verstreut lassen. Unsere Aufgabe ist es auch, die absurde (für den Staat so bequeme) Gleichung „bewaffneter Kampf ist gleich Klandestinität“ abzulehnen, die uns dazu verleiten würde, die Rolle von „Profis“ des bewaffneten Kampfes zu akzeptieren und unsere Aktivität und unser Leben auf den rein militärischen Aspekt des Kampfes zu reduzieren.

Als Anarchisten sollten unsere Bemühungen im Gegenteil darin bestehen, zu zeigen, dass es möglich ist, über diese Rolleneinteilung hinauszugehen, gegen die Bildung einer Expertenelite und die falsche (nicht zufällig vom Staat gewünschte und geförderte) Alternative zwischen kreativen Menschen und Pistoleros6.

DIFFUSE STADTGUERILLA

1976

Februar

23. Mailand: Im Dom wird eine „Messe zur Verteidigung des Lebens“ gefeiert, an der Vertreter aller Schichten teilnehmen, die gegen die Abtreibung und die Ausbreitung des Kommunismus sind, von den Nazi-Faschisten bis zur schweigenden Mehrheit. Die Polizei greift eine Gruppe von Gefährten an, die versuchen, die Kathedrale zu erreichen. Während der Auseinandersetzungen werden acht Luxusautos und das Büro einer iranischen Fluggesellschaft in Brand gesetzt.

März

12. Neapel: Der Prozess gegen die NAP-Mitglieder, die am 3. März im Gefängnis rebellierten, soll stattfinden. Hunderte von Proletariern gehen hin, um ihre Solidarität mit den Rebellen zu zeigen. Es kommt zu gewalttätigen Zusammenstößen mit der Polizei. Es kommt zu drei Verhaftungen.

13. Rom: Während die Gefährten von Lotta Continua und Avanguardia Operaia vor einer Schule Flugblätter über die Verwundung eines Gefährten von Lotta Continua durch ein MSI-Mitglied7 verteilen, werden sie von Polizisten in Zivil beschossen. Ein Gefährte wird verwundet, neun werden verhaftet.

13. Rozzano: In der Maschinenfabrik Knipping, die für ihre arbeiterfeindlichen Repressalien und die Durchsetzung einer 60/70-Stunden-Woche bekannt ist, brechen etwa 60 Arbeiter durch die Tore ein, zerstören Rechenmaschinen, Schreibmaschinen, Fensterscheiben und Maschinen. Die Polizei rückt mit einem Großaufgebot an, und 13 Arbeiter werden festgenommen.

14. Rom: Etwa 20 Gefährten gehen auf die Straße, um gegen das Regime in Spanien zu protestieren, das kürzlich sieben Proletarier auf der Straße erschossen hat8. Sie werfen Molotows gegen die spanische Botschaft. Drei Polizisten schießen wahllos in die weglaufende Gruppe junger Leute, wobei einer von ihnen, Luigi De Angelis, getötet wird.

17. Turin: Nach Sabotageakten im FIAT-Werk in Turin wird die Produktion in ganz Italien blockiert. In Pomigliano blockieren die Arbeiter von Alfa Romeo und Aeritalia die Autobahn. In Pozzuoli legen die Arbeiter von Sofer, Olivetti und Icon die Gegend lahm. Ähnliche Aktionen finden in Mailand statt, wo Fabriken menschenleer sind, Straßen blockiert und Rathäuser belagert werden. Auch in Pordenone, Genua, Bologna, Macerata, Bergamo und Ivrea kommt es zu Aktionen. Die Gewerkschaften/Syndikate kündigen die Vorbereitung eines kontrollierten Streiks an, um zu versuchen, die spontane Rebellion zu rekuperieren. Alles hängt nun von der kritischen Fähigkeit der Arbeiter ab. Diejenigen, die die Gewerkschafts- Syndiaktsanführer beleidigt haben, indem sie ihre Vereinbarungen mit den Unternehmern verspotteten, und die sich weigern, sich „zum Wohle der Nation“ zu opfern, müssen entdecken, dass sie im Rahmen der bestehenden Gesellschaft nicht viel erreichen können, aber dass sie sich alles nehmen können, indem sie die Grundlagen selbst umgestalten. Die Bosse können nicht mehr zahlen, aber sie können verschwinden.

18. Padua: Die Polizei geht brutal gegen Studenten in der Mensa der Universität vor, wo sie ein Sit-in veranstalteten. Sie brechen ohne Vorwarnung ein und schießen Tränengas. Später am Tag schießt die Polizei in eine Menschenmenge außerhalb des Universitätsgebäudes und verwundet fünf Menschen.

25. Generalstreik. Turin, Pavia, Varese, Novara, Genua, Padua, Florenz, Neapel und Potenza – Zusammenstöße vor den Rathäusern. Straßen- und Schienenblockaden in Trient, Massa, Bari und Treviso.

26. Mailand: Radikale Kritik wird in die Praxis umgesetzt. Ein von Sozialisten veranstaltetes Popkonzert im Paladino zeigt, dass die Warnungen, solche Veranstaltungen würden nicht geduldet, ernst gemeint waren. Hunderte von Gefährten, die sich bewusst sind, dass der Kapitalismus nicht nur in den Fabriken, Regierungen und Polizeistationen ist, sondern in allen Situationen unseres täglichen Lebens, unserer gesamten sozialen Existenz, verwüsten den Saal und brechen das Konzert ab.

30. Neapel: Arbeitslose Arbeiter, müde von Demonstrationen und gebrochenen Versprechen, beschließen, sich Gehör zu verschaffen. Sie greifen das Arbeitsamt und den Hauptbahnhof an, wo sie Waggons der ersten Klasse beschädigen. Sie errichten Barrikaden im Stadtzentrum, übernehmen Busse und Autos und widerstehen über vier Stunden lang den Angriffen der Polizei. Ämter und Geschäfte werden verwüstet. Es kommt zu 29 Verhaftungen.

Mai

1. Rom: Ein von Autonomia Operaia organisierter Marsch wird von der Polizei angegriffen. Die Gefährten verteidigen sich mit Steinen und Molotowcocktails. Viele werden verwundet. 24 Verhaftungen.

27. Treviso: Bei einer MSI-Versammlung kommt es zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Gegendemonstranten und der Polizei. Sechs Gefährten werden verhaftet.

31. Florenz: Elf Gefährten werden bei Zusammenstößen mit der Polizei bei einem Treffen des MSI-Führers Almirante verhaftet.

Juni

28. Rom: Es kommt zu gewaltsamen Zusammenstößen, als eine riesige Menschenmenge aus dem vom Proletariato Giovanile (proletarische Jugend) organisierte Festival im Parco Lambro ausbricht. Tausende von „Autonomen“ weigern sich, von den Gruppen der Politicos9 kontrolliert zu werden, die den Teilnehmern des Festivals ihre Vorherrschaft aufzwingen wollten, und es kommt zu gewalttätigen Zusammenstößen mit der Polizei. Diejenigen, die an die Idee der Revolution als allgemeiner Diskussionspunkt, der braven Revolution, gewöhnt sind, können nicht verstehen, dass die proletarische Revolution ungeordnet, wild, schändlich ist.

Juli

15. Mailand: Die Richter dulden die Entlassung von vier Arbeitern wegen ihrer politischen Ideen bei ihrem Berufungsprozess. Die Carabinieri antworten auf die öffentliche Wutbekundung mit Angriffen auf sie, wobei viele verwundet werden.

29. Ravenna: Ein von der Federazione Giovanile Comunista Italiana organisiertes Fest wird aufgelöst. Viele Gefährten, irritiert über die hohen Preise, das verkommene Spektakel, den Stacheldraht und die Durchsuchungen durch KP-Aktivisten, beginnen in der Nähe zu protestieren. Die Polizei schießt auf sie, ein Gefährte wird getötet. Gruppen von Gefährten errichten Barrikaden, reißen Straßenschilder um, plündern Geschäfte und greifen das Rathaus und das Polizeipräsidium an.

September

13. Neapel: Eine Gruppe von arbeitslosen Arbeitern wird von der Polizei angegriffen, 30 Menschen werden verwundet und zahlreiche Verhaftungen werden durchgeführt.

Oktober

8. Arese: Wilder Streik im Alfa-Romeo-Werk gegen die von der Regierung vorgeschlagenen Steuererhöhungen und die Verteuerung des Benzins. FIAT-OM-Arbeiter blockieren den Verkehr auf der Hauptstraße. Weitere spontane Aktionen finden in allen größeren Städten statt. Die Gewerkschafts- Syndikatsbürokraten sind gezwungen, einen Generalstreik auszurufen.

November

30. Turin: 23 Gefährten werden nach einem Angriff auf die Räumlichkeiten der rechtsgerichteten katholischen Organisation Comunione e Liberazione verhaftet.

Dezember

7. Mailand: Die Stadt befindet sich seit den frühen Morgenstunden im Belagerungszustand, mit Tausenden von Polizisten und Carabinieri, da die Gefährten planen, die Premiere der Scala zu sabotieren. Im gesamten Stadtzentrum kommt es zu stundenlangen Zusammenstößen. Geschäfte werden verwüstet, Busse und Autos in Brand gesetzt und Barrikaden errichtet. 33 Verhaftungen. Zwei Gefährten werden schwer verwundet.

20. Cagliari: Über tausend Menschen demonstrieren aus Protest gegen die Tötung des 17-jährigen Wilson Spiga. Der Junge war über eine rote Ampel gefahren und wurde von einem Polizisten in Zivil erschossen.

1977

Januar

14. Rom: Die Buchhandlung Maraldi wird während einer Demonstration aus Protest gegen die faschistische Versammlung in der Stadt in Brand gesetzt. Außerdem werden Molotows gegen ein christdemokratisches Lokal geworfen.

30. Neapel: Die Polizei provoziert Gefährten, die ein Konzert verlassen. 37 Personen werden angegriffen, verprügelt und verhaftet, ohne einen anderen Grund als den, dass sie linke Militante sind.

Februar

2. Rom: Ein Protestmarsch gegen die Ermordung des Gefährten Bellachioma durch einen Faschisten wird mit Maschinengewehrfeuer angegriffen. Die ersten, die schossen, waren zwei Polizisten in Zivil; andere folgen ihrem Beispiel und verletzen zwei Menschen.

2. Turin: Die faschistische Buchhandlung Fogola und ein Café, Treffpunkt für Faschisten und Heroindealer, werden in Brand gesetzt.

3. Pisa: Das Geschäft eines berüchtigten Faschisten wird verwüstet. Die Polizei greift ein und macht eine Verhaftung.

16. In ganz Italien: Universitäten werden besetzt. Die Besetzungen, die im Zusammenhang mit der Malfatti-Reform stehen, entwickeln sich zu einer allgemeinen Kritik an allen Formen der Entfremdung. Sie werden zur Ablehnung von Autoritäten, Bürokraten, Parteien und Gewerkschaften/Syndikaten.

18. Rom: Der Gewerkschafts- Syndikatsanführer (CGIL) Lama versucht, eine Versammlung in der besetzten Universität abzuhalten. Er und seine Gorillas werden von Tausenden von Studenten verjagt, die die Plattform, auf der er steht, zerstören. Die KP ruft zum Polizeieinsatz gegen Studenten auf, die die Universität verwüsten, bevor sie sie den Ordnungskräften überlassen.

März

4. Rom: Nach der Verurteilung von Fabrizio Panzieri zu neun Jahren Haft wegen der Ereignisse, die zum Tod des faschistischen Mantakas geführt haben, werden Carabinieri in den Gängen des Obersten Gerichts von der Öffentlichkeit angegriffen. Viele Gefährten werden durch Schlagstöcke und Tränengas verwundet.

5. Rom: Zwanzigtausend versammeln sich aus Protest gegen Panzieris Urteil. Nach einem Moment der Verwirrung verteidigen sie sich und sind stundenlang der Polizei voraus. Autos und Busse werden als Barrikaden benutzt. Sieben Gefährten werden verhaftet.

8. Palermo: Die Polizei greift eine Gruppe von Gefährten an, die beschlossen haben, die Eintrittspreise bei einem Konzert zu senken. Es kommt zu schweren Zusammenstößen, bei denen von der Polizei Schüsse in die Menge abgegeben werden.

11. Bologna: Tausende von Gefährten gehen auf die Straße, nachdem der Gefährten von Lotta Continua, Franco Lo Russo, an der Universität ermordet wurde. Eine christdemokratische Buchhandlung wird in Brand gesetzt, Geschäfte werden geplündert, das Rathaus wird angegriffen und der Bahnhof besetzt. Der Bürgermeister der Kommunistischen Partei ruft die Armee herbei.

12. Rom, Bologna, Turin, Padua, Lecce, Messina usw.: Bewaffnete Gefährten stoßen mit der Polizei zusammen und greifen Parteigebäude und Geschäfte an. Die Wut von Tausenden breitet sich auf den Straßen aus, angefacht durch die Ermordung von Franco Lo Russo und die Verurteilung Panzieris zu einer Gefängnisstrafe, durch die wachsende Emargination10 und die verkommenen Spiele der Macht. Waffenlager werden geplündert und Pistolen und Gewehre unter den Demonstranten in Rom und Bologna verteilt. Faschistische Treffpunkte, Autos, Busse, Geschäfte, Restaurants und Büros gehen in Flammen auf.

18. Mailand: Bewaffnete Gefährten brechen von einem Marsch aus und dringen in die Zentrale der Firma Marelli ein. Sie nehmen den Anwesenden die Brieftaschen mit den Personalausweisen usw. ab und setzen das Gebäude in Brand. Zehn Minuten später werden weitere Büros angegriffen. Um 12 Uhr nimmt ein Kommando Pistolen und Munition aus einem Waffenlager mit. Um 13 Uhr wird das Büro einer Firma, die für ihre Ausbeutung von Jugendlichen bekannt ist, mit Molotows angegriffen.

April

1. Venedig: Gewaltsame Zusammenstöße zwischen der Polizei und Demonstranten, die versuchen, mit selbst ermäßigten Eintrittskarten in das Melibran-Theater zu gelangen.

21. Rom: Schlacht an der Universität zwischen Hunderten von Gefährten und Polizeieinheiten. Die „Autonomen“ antworten mit Waffen. Ein Polizist wird getötet, ein weiterer verwundet.

Mai

14. Mailand: Bei einem Zusammenstoß zwischen „Autonomen“ und Polizei während einer Demonstration wird einem Carabinieri-Sergeant in die Stirn geschossen und er stirbt einige Tage später.

19. Mestre: Eine Gruppe von Gefährten befreit zwei Feministinnen, die von der Polizei verhaftet wurden, nachdem sie die Scheibe eines Kinos eingeschlagen hatten, um ein Plakat für eine Striptease-Show herunterzureißen.

19. Mehrere Orte: Obwohl die Regierung so weit gegangen ist, nicht nur Tausende von Polizisten, Sonderstaffeln und Carabinieri zu mobilisieren, sondern auch Parkwächter und Forstwächter bewaffnet hat, finden in vielen Städten weiterhin Demonstrationen statt. In Rom nehmen Tausende von Studenten an einer Versammlung an der Universität teil, die von der Armee umstellt wird. In Mailand explodieren zwei Bomben in einer U-Bahn-Station und verhindern den Zugverkehr. Die Verantwortung für die Aktion wird von Prima Linea übernommen, die schreiben: „die Sabotage in der U-Bahn an diesem Arbeitstag und somit Tag des Profits für die Bosse, ist mit anderen Formen der Massenillegalität verbunden“. In Padua ist die Universität voll mit Gefährten, die den Ordnungskräften den Kampf ansagen. 15 Autos werden verbrannt, ein weiteres Dutzend wird umgeworfen und als Barrikade benutzt, und Panzer werden mit Molotows angegriffen. In Genua besetzen Hunderte von Jugendlichen die Straßen und Seitenstraßen des Stadtzentrums, liefern sich eine heftige Straßenschlacht mit der Polizei und ziehen sich dann in ihre „Stützpunkte“11 zurück.

Juni

10. Turin: Während die Diskussionen mit den Gewerkschaften/Syndikaten weitergehen, werden die Arbeiter bei FIAT-Mirafiori des Wartens müde und beschädigen ein Bürogebäude, halten eine Demonstration ab und gehen in kurzen, ungeordneten Streiks auf die Straße.

30. Syrakus: 25 Arbeiter werden angeklagt, weil sie im Februar nach der Vergiftung von 18 Männern und Frauen vor den Toren der ISAB-Fabrik die Straße und den Bahnhof blockiert hatten.

Juli

5. Rom: Etwa hundert Barackenbewohner demonstrieren vor einem städtischen Gebäude, in dem gerade eine Stadtratssitzung stattfindet, gegen ihre Lebensbedingungen. Sie werden von der Polizei angegriffen und zwei Demonstranten werden verhaftet.

10. Melilli: Ein paar Dutzend Männer, Frauen und Kinder besetzen das Rathaus. Sie wollen in ein Gebiet verlegt werden, das sicher vor den giftigen Abwässern der Industriebetriebe um Syrakus ist.

15. Rom: Nach einer Denunziation durch Mitglieder der Kommunistischen Partei und der Comunione e Liberazione führen 400 Polizisten eine Razzia in einem Studentenwohnheim durch. Das ganze Haus wird in echter Gestapo-Manier durchsucht. Sieben Studenten landen im Gefängnis.

15. Rom: Proletarier blockieren den Zugang zu ihrem Viertel aus Protest gegen Polizeirazzien, bei denen die Polizei unter dem Vorwand, nach einem Maschinengewehr zu suchen, Frauen und Kinder misshandelt hatte. Diese Art von Erfahrung ist nicht neu in der Gegend. Unnötig zu erwähnen, dass kein Maschinengewehr gefunden wurde.

21. Mailand: Zweitausend von Entlassung bedrohte Arbeiter einer Papierfabrik errichten entschlossen Straßensperren auf dem Weg zum Flughafen. Sie versuchen auch, auf die Landebahnen vorzudringen, werden aber von der Polizei daran gehindert.

23. Cagliari: Der kommunistische Bürgermeister und zwei Funktionäre der Sozialistischen Partei werden von 150 Bergarbeitern und Sympathisanten im Rathaus eingeschlossen, weil sie seit 50 Monaten keine Sozialleistungen erhalten haben und weil sie seit einem Jahr vergeblich für lebenswichtige Reparaturen in der Mine kämpfen, in der sie arbeiten.

24. Ravenna: Arbeiter der Maraldi-Gruppe, die seit Monaten nicht bezahlt werden, blockieren den Hafen mit einem stählernen Schiffsrumpf. In Varese blockieren mehr als 300 Arbeiter der Siai Marchetti den Bahnhof. Zur gleichen Zeit blockieren weitere 400 Arbeiter die Sempione-Straße an zwei Stellen.

29. Neapel: 140 Hafenarbeiter, die seit zwei Monaten entlassen sind, stellen Lastwagen vor die Tore und blockieren so den Hafenbetrieb.

29. Reggio Calabria: Dort besetzen 450 Arbeiter der Firma Andreae Knitwear, die seit Monaten entlassen sind, für einige Stunden den Bahnhof.

September

7. Neapel: Demonstrierende ESSO-Arbeiter klettern auf das Dach eines Lagerhauses und drohen damit, den Tank in Brand zu setzen. In Mailand besetzen etwa hundert Familien, die in einem Hausbesetzerkomitee organisiert sind, seit fünf Tagen die ersten neun Stockwerke des Wohnungsamtes.

23. Neapel: Etwa 80 Arbeiter der Strumpffabrik OMSA besetzen stundenlang die Bahngleise an einer Stelle, an der Schnellzüge passieren müssen. Der Protest richtet sich gegen die geplante Schließung der Fabrik.

29. Bozen: Die Bewohner des Viertels S. Giacomo besetzen eine der Hauptstraßen der Stadt und halten sie 4 Stunden lang besetzt. Der Grund ist, dass die Straße für Kinder gefährlich ist und kürzlich vier verletzt wurden. In Florenz besetzen Studenten, Angestellte und Arbeitslose drei stillgelegte Hotels. Die Aktion richtet sich gegen hohe Mieten und dafür, „ein Haus zu haben, in dem man mit Würde leben kann“.

30. Mailand: In der Nacht erreicht die Nachricht über die Ermordung von Walter Rossi Mailand. Die ganze Nacht hindurch finden große Demonstrationen statt, bei denen eine Reihe von Autos in der Stadt beschädigt werden.

Oktober

1. Rom: Proteste gegen die Ermordung von Rossi. Eine große spontane Demonstration versammelt sich. Drei faschistische Treffpunkte werden niedergebrannt. Autos und Busse werden eingesetzt, um Straßen zu blockieren. Die Polizei geht wiederholt mit Tränengas gegen Demonstranten vor. In Bologna kommt es während einer Demonstration zu Zwischenfällen. Eine Bar wird angezündet und viele Autos werden zerstört. In der Nacht wird ein Autohaus in Brand gesetzt. In Florenz erweitert sich die Hotelbesetzung um den Protest gegen das Rossi-Attentat. Einige Geschäfte werden beschädigt. In Catanzaro kommt es zu Zusammenstößen zwischen Gefährten und Faschisten und mit der Polizei. In Brescia kommt es zu Demonstrationen mit Angriffen auf verschiedene Symbole der Macht. Ein Geschäft von Luisa Spagnola wird niedergebrannt. In Padua werden zwei Bars angezündet und eine Bank angegriffen. In Varese Demonstration mit Molotows gegen ausgewählte Ziele. In Verona Zusammenstöße mit der Polizei, Molotows gegen Geschäfte. In Mailand große Demonstration, Molotows gegen eine Kirche und ein Café, das von Faschisten besucht wird.

3. Rom: Gewaltsame Zusammenstöße mit der Polizei usw. Während der Beerdigung von Walter Rossi rebellieren die Gefährten gegen die Atmosphäre der offiziellen Trauer in Anwesenheit von Vertretern der Stadtverwaltung, und an einem Punkt, an dem sich einer der faschistischen Treffpunkte befindet, wird die Beerdigung zu einer Demonstration. Es kommt sofort zu Zusammenstößen mit den Carabinieri. Ein faschistischer Treffpunkt wird in Brand gesteckt, ebenso ein MSI-Parteilokal, ein Polizeiauto und ein Lastwagen.

7. Mailand: Protest gegen die Erhöhung der Busfahrpreise. Ein Bus wird von Gefährten übernommen und mit Parolen beschmiert. Er wird dann als Spitze der Demo gegen die Fahrpreiserhöhung genutzt.

9. Mailand: Anarchistische Gefährten besetzen einen unterirdischen Bahnhof, verriegeln die Tore und lassen die Fahrgäste frei hinein. Es werden Slogans an die Wände geschrieben und Flugblätter gegen Preiserhöhungen und für einen kostenlosen Service verteilt.

14. Rom: Während einer antifaschistischen Demonstration bricht ein großer Teil des Marsches aus und greift mit Molotowcocktails einige der wichtigsten Punkte der Repression an. Geschäfte werden geplündert und die Räumlichkeiten der Christdemokraten angegriffen. Einige Gefährten, die von der Polizei festgenommen werden, werden von anderen befreit. Die Polizei findet 187 zurückgelassene Molotowcocktails.

17. Mailand: Die Polizei greift eine Demonstration gegen Fahrpreiserhöhungen an. Das Ergebnis: einige Verletzte, Hunderte von Millionen Lire Schaden am Eigentum der Verkehrsbetriebe (ATM), an Autos, Fahrkartenautomaten, Kontrolllinien, Signalen.

18. Rom: Nach den Massakern von Stammheim und Mogadischu zieht eine Demonstration in Richtung der Bonner Botschaft. Die Polizei blockiert die Straße, so dass die Demonstranten stattdessen zur amerikanischen Botschaft gehen. Die Polizei stürmt den Marsch, zwei Gefährten werden verwundet.

20. Rom: Die Proteste gegen Stammheim und Mogadischu gehen weiter. Eine geplante Demonstration zum deutschen Konsulat wird von allen Kräften der Macht in der Stadt abgewehrt. Es kommt zu gewalttätigen Zusammenstößen mit der Polizei. 20 Gefährten werden verhaftet, vier Polizisten werden verwundet.

21. Mailand: In der Stadt werden Barrikaden gegen die Polizei errichtet.

27. Palermo: Gefährten blockieren Straßen im Stadtzentrum. In Oristano wird das ganze Dorf Samugneo von seinen 4.000 Einwohnern blockiert, weil es an Kanalisation, Wasserversorgung, Straßen usw. fehlt.

29. Mailand: Im anhaltenden Kampf gegen Fahrpreiserhöhungen werden in verschiedenen U-Bahn-Stationen Züge (des Unternehmens ATM) und Kioske angegriffen.

November

7. Vercelli: Die Arbeiter von Montefibre besetzen und halten drei Stunden lang den Bahnhof, um gegen Entlassungen und die Schließung zahlreicher Unternehmen in der Gegend zu protestieren.

11. Bologna: Der deutsche Christdemokrat Günther Müller und der englische Labour-Minister Thomas Urwin kommen, um Andreotti die Ehrenfahne des Europarates zu überreichen, als Anerkennung für die Entwicklung der europäischen Beziehungen. Gefährten besetzen die Fakultät für Architektur – sie wollen Müller zu den Morden in Stammheim befragen; sie wollen, dass zwei im März in Bologna verhaftete Gefährten freigelassen werden. Patrouillen von Gefährten durchstreifen die Stadt. Es kommt zu Zusammenstößen mit der Polizei.

11. Mailand: Zusammenstöße zwischen Gefährten und der Polizei im Stadtteil Sempione während eines Protestmarsches gegen den Anschlag mit Molotows auf das Haus eines Gefährten in der Nacht zuvor. Die Polizei feuert Pistolenschüsse und Tränengas. Die Gefährten schlagen mit Molotows, Schraubenschlüsseln, Steinen, Steinschleudern und allem anderen, was sie finden können, zurück.

12. Rom: Trotz des Demonstrationsverbots versammeln sich die Gefährten zum Protestmarsch gegen die Schließung der Räumlichkeiten der autonomen Gruppen. Es kommt zu einer mehr als vierstündigen Schlacht mit der Polizei. Es kommt zu 20 Verhaftungen. In Mailand kommt es aus dem gleichen Grund zu Zusammenstößen und eine große Gruppe bricht in das Polizeibüro eines Bahnhofs ein.

12. Lecce: Zusammenstöße zwischen Gefährten und der Polizei. Ein Gefährten wird schwer an den Beinen verletzt.

15. Nationaler Streik: In Padua, Turin, Trient, Bologna, Bari: Zusammenstöße zwischen der Polizei, die von CGIL-Gorillas unterstützt wird, und Gefährten, die die konservative und repressive Rolle der Gewerkschaften/Syndikate in jeder Hinsicht kritisieren. Die neue und alte Polizei greift die Gefährten an, die mit Steinen und Molotows antworten.

16. Genua: Die Bewohner der im Vorjahr von Überschwemmungen betroffenen Region im Landesinneren sind wütend über die unterlassene Hilfeleistung der Regierung. Sie besetzen und blockieren die Autobahn Genua/Alessandria.

18. Mailand: Die Arbeiter von Unidal blockieren einen Hauptboulevard aus Protest gegen den Plan des Unternehmens, 5.000 Arbeiter zu entlassen.

29. Bari: Demonstrationen und Zusammenstöße mit der Polizei aus Protest gegen die Ermordung des jungen Gefährten Petrone am Vortag. Das Cisnal-Gelände wird gestürmt und zerstört. Ein Fernsehkameramann filmt Polizisten, die wild um sich schießen und einen, der auf den Knien liegt und vorsichtig zielt. Weitere Vorfälle in Bologna, Catania, L’Aquila und Mailand.

Dezember

8. Cagliari: Demonstration gegen die Krisensituation. Zusammenstöße mit der Polizei. Molotows/Tränengas.

8. Alghero: Spontane Demonstration aus Protest gegen die Tötung eines 16-jährigen Jungen durch die Polizei, der beim Stehlen von Schuhen erwischt wurde. Zusammenstöße mit der Polizei. Viele Schaufenster werden eingeworfen.

12. Rom: Trotz Verbots findet eine Demonstration zum Gedenken an das Massaker auf der Piazza Fontana statt (eine von Faschisten und dem italienischen Geheimdienst in der Banca dell’Agricoltura in Mailand platzierte Bombe, die 1969 27 Menschen tötete und als Schlag gegen die anarchistische Bewegung verwendet wurde). Molotows gegen FIAT-Autohaus und die SIP. Viele Autos werden verbrannt, Scheiben und Ampeln eingeschlagen.

16. Genua: Bei Zusammenstößen im Stadtzentrum zwischen Polizei und Demonstranten werden Räumlichkeiten der Associazione Cattolica (A.d.Ü., katholischen Vereinigung) angegriffen.

17. Mailand: Während einer antifaschistischen Demonstration gelingt es vielen Gefährten, in die Zentrale der Italienischen Vereinigung der Monarchisten einzudringen und einen Schaden von mehr als 50 Millionen Lire zu verursachen.

1978

Januar

17. (A.d.Ü., Ort unbekannt): 3.000 Arbeiter, die von einer Vertragsfirma um Lohn und Urlaubsgeld betrogen wurden, organisieren eine Reihe von Straßenblockaden und gehen dann zum Firmengebäude, wo sie einen Schaden von über 200 Millionen Lire verursachen.

30. Rom: Die Polizei verhindert eine Protestdemonstration gegen die Verlegung von Gefährten in Gefängnisse auf Inseln. Trotzdem gehen die Gefährten auf die Straße, und der Morgen wird mit dem Kampf gegen die Polizei verbracht. 79 Personen werden verhaftet und später wieder freigelassen. 7 Polizisten werden verwundet.

Februar

10. Rom: Es kommt zu gewaltsamen Zusammenstößen, als die Polizei versucht, eine Demonstration gegen die Pläne zur Abschiebung von Gefährten aufzulösen. Es kommt zu 14 Verhaftungen.

6. Cagliari: Schwere Zusammenstöße bei der RAI (Fernsehsender) zwischen Polizei und Demonstranten, die gegen die Verhaftung von sechs Gefährten protestieren, die in der Gegend wohnen. Sie werden beschuldigt, einer bewaffneten Organisation anzugehören.

9. Cagliari: Während der Demonstration, zu der die Gewerkschaften/Syndikate gegen Entlassungen bei der Firma Ruminaca aufgerufen haben, zerschlagen Gruppen von Demonstranten Schaufenster und den RAI-Fernsehwagen, von dem aus die Vorfälle gefilmt wurden.

18. Turin: Gruppen von „selbst-reduzierenden“ Fahrgästen greifen 25 AMT-Waggons an und zerstören Fahrkartenautomaten.

19. Tivoli: Eine KP-Versammlung wird von Gruppen von Gefährten gestört, die gegen den Beschluss protestieren, revolutionäre Militante abzuschieben.

25. Rom: Während einer Demonstration für die „politische 6“ (Kampf in den Sekundarschulen gegen die Prüfungen, bei denen die Schüler den automatischen Übergang zum Gymnasium fordern, was normalerweise ein Bestehen von mindestens 60 Prozent erfordert) werden ein christdemokratisches und ein MSI-Lokal mit Molotows angegriffen. 32 Gefährten werden verhaftet. In der Nacht finden zahlreiche Angriffe auf christdemokratische Lokale und Polizeistationen statt.

März

7. Neapel: Eine Demonstration arbeitsloser Arbeiter legt den Ostteil der Stadt lahm. Am Abend gehen Verkäufer von Schmuggelware auf die Straße mit der Parole „wenn ihr den Schmuggel stoppen wollt, müsst ihr uns Arbeit geben“.

21. Cagliari: Arbeiter der Firma Selpa, die seit vier Jahren für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze kämpfen, besetzen vier Stunden lang die Villa von zwei SIR-Direktoren.

22. Mailand: Während der Beerdigung von Fausto und Lorenzo (siehe „Opfer der Repression“) versuchen anarchistische Gefährten, die Räumlichkeiten der Gewerkschafts- Syndikatsdelegierten zu stürmen, und es kommt zu Kämpfen mit den dort verbarrikadierten konföderalen Amtsträgern12.

April

18. Cosenza: Am Ende einer Gewerkschafts-Syndikatsversammlung zur Organisation eines Generalstreiks auf Provinzebene stürmt die Polizei Arbeiter, die versuchen, in die Gebäude der Stadt einzubrechen. Die Zusammenstöße breiten sich über den gesamten Hauptplatz aus, wobei viele Menschen verletzt werden.

21. Bologna: Zusammenstöße zwischen Polizei und Demonstranten. Drei Gefährten werden verhaftet.

Juni

5. Rom: Es kommt zu Zusammenstößen zwischen der Polizei und Gruppen von Gefährten, die eine Versammlung der Democrazia Nazionale anfechten wollten. Ein Buchladen der Comunione e Liberazione wird mit Molotows angegriffen.

Juli

11. Rom: Eine Gruppe von Obdachlosen sprengt das Büro des städtischen Assessors/Gutachters in die Luft und widmet die Aktion dem KP-Bürokraten.

August

16. Insel Capo Rizzuto: Eine Anti-Terror-Operation dringt in das Ferienlager La Comune ein und sucht nach gesuchten „Terroristen“. Es kommt zu Zusammenstößen zwischen Hunderten von jungen Campern und der Polizei. Nicht der Schatten eines Terroristen ist zu finden.

Oktober

20. Florenz: Demonstration von 10.000 Krankenhausarbeitern aus der ganzen Toskana, die selbstverwaltete Bewegung breitet sich auf alle anderen italienischen Städte aus. In einigen Städten wird die Armee hinzugezogen.

23. Rom: Die Polizei bricht in ein Krankenhaus ein und löst eine Versammlung von Krankenschwestern auf. Es kommt zu Zusammenstößen mit Verletzten auf beiden Seiten, und es werden sechs Personen verhaftet.

30. Neapel: Zusammenstöße zwischen der Polizei und arbeitslosen Arbeitern der Firma Hidropress, die Straßensperren in der Stadt errichtet hatten.

KNASTREVOLTEN

1976

März

5. Neapel: Gefängnis Poggioreale: 9 Gefangene, die alle der NAP (Nuclei Armati Proletari) angehören, versuchen zu fliehen. Sie werden entdeckt, nachdem sie einen Schließer als Geisel genommen haben, und verbarrikadieren sich im „Transit“-Trakt. Sie kommen erst heraus, nachdem ein Kommuniqué im Radio und Fernsehen verlesen wurde und ihnen Verlegungen in andere Gefängnisse versprochen werden.

Mai

6. Turin: Die Gitterstäbe des neuen Gefängnisses werden durchgesägt und ein Fluchtversuch von drei Mitgliedern der Roten Brigaden und zwei weiteren Gefangenen wird vereitelt.

August

12. Catania: Vorfälle im Jugendgefängnis. Wildes Abfeuern von Maschinengewehren gegen junge Gefangene, die gegen die Haftbedingungen und das Essen protestieren, eine Frau mit Kind auf der Straße draußen wird verwundet.

14. Turin: Im neuen Gefängnis weigern sich Gefangene, nach dem Sport in ihre Zellen zurückzukehren. Die Schließer eröffnen das Feuer, um sie einzuschüchtern. Auch in Poggioreale protestieren Gefangene in Solidarität und fordern die sofortige Umsetzung von Gefängnisreformen.

16. Nuoro: Rebellion im Gefängnis, wo Gefangene die Aussetzung einer an einem ihrer Gefährten verhängten Strafe fordern. Möbel und Einrichtungsgegenstände werden in Brand gesteckt. Das Gefängnis wird verwüstet. Der Aufstand/Insurrektion wird nach stundenlangen Kämpfen niedergeschlagen, bei denen 20 Gefangene verwundet werden.

18. Mailand, Rimini, Augusta, Salerno, Rom: Gefangene demonstrieren gegen das Gefängnisregime. In Perugia weigern sich Gefangene gewaltsam, in andere Gefängnisse verlegt zu werden.

20. Lecce: Massenausbruch aus dem Gefängnis, bei dem elf Gefangene die Schließer bewegungsunfähig machen und sie zwingen, die Gefängnistore zu öffnen. Vier werden wenige Stunden später gefangen genommen. Die anderen bleiben trotz massiver Polizeieinsätze in der Umgebung in Freiheit.

26. Bologna: Fluchtversuch von drei Gefährten wird vereitelt – drei Bügelsägen werden beschlagnahmt.

30. S. Vittore: Ein Gefährten wird in Einzelhaft gesteckt und andere Insassen seines Flügels fordern seine Freilassung. Dies wird abgelehnt und es folgt ein Protest auf dem Dach, der erst endet, als er in seine Zelle zurückgebracht wird.

31. Turin: Alle Gefangenen gehen auf das Dach und fordern die Umsetzung der neuen Gefängnisreformen. Nach 50 Stunden schreitet die Polizei mit Gewalt ein. Die Gefangenen wehren sich mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln/Objekten, und außerhalb des Gefängnisses kommt es zu Auseinandersetzungen zwischen Gruppen von Sympathisanten und der Polizei.

September

15. Reggio Calabria: Die Polizei wird mit Hunden eingesetzt, um eine Revolte im Gefängnis niederzuschlagen. Ein Gefangener, ein NAP-Gefährte, wird von einem der Hunde zerfleischt.

30. Campobasso: Nachdem ihr Fluchtversuch entdeckt wird, verbarrikadieren sich vier Gefangene und zwei Schließer in einer Zelle. Sie kommen erst 24 Stunden später nach einer Pressekonferenz heraus, auf der sie die unmenschlichen Bedingungen im Gefängnis preisgeben.

Oktober

6. Catania: Revolte im Gefängnis, die zur Zerstörung eines Drittels des Gefängnisses führt. Nachdem die Polizei die Kontrolle wiedererlangt hat, werden zwei Gefangene mit Messerstichen tot aufgefunden, zwei weitere werden verwundet.

8. Favignana: Ein Richter wird von einem Gefangenen als Geisel genommen, der erklärt, seine Aktion richte sich gegen die „brutale staatliche Repression, die auf die physische Beseitigung der Kämpfer im Gefängnis abzielt“.

November

25. Mailand, S. Vittore: eine Dachdemonstration von 250 Gefangenen wird im Morgengrauen von der Polizei angegriffen. Ein ganzer Trakt wird verwüstet.

Dezember

10. Palermo: Ucciardone-Gefängnis: Ein Aufstand/Insurrektion bricht aus und dauert 22 Stunden lang an. Die Gefangenen fordern die Entlassung des Gouverneurs. Die Polizei setzt Autogenschneidgeräte ein, um die Absperrungen zu durchschneiden. Es kommt zu heftigen Nahkämpfen mit vielen Verwundeten auf beiden Seiten.

13. Florenz: 15 Gefangene im Murate-Gefängnis nehmen einen Offizier und sechs Schließer als Geiseln. Sie geben erst auf, nachdem sie in Gefängnisse ihrer Wahl verlegt wurden.

1977

Januar

1. Piacenza: Revolte im Gefängnis. Die Polizei schreitet sofort mit Maschinengewehren ein. Ein Gefangener wird getötet, bevor die Revolte niedergeschlagen wird.

2. Treviso: 13 Gefangene entreißen den Schließern Maschinengewehre und fliehen.

3. Venedig: Gefangene in einem Flügel des S. Maggiore-Gefängnisses geraten mit Schließern und Polizei aneinander, was zur Zerstörung des gesamten Flügels führt.

5. Fossombrone: Sechs Gefangene versuchen zu fliehen, vier schaffen es, aber die anderen beiden werden am Tor gefasst. Beide werden von Schließern brutal zusammengeschlagen. Einer erleidet eine Hirnblutung und stirbt.

22. Possuoli: Maria Pia Vianali und Franca Salerno, die beschuldigt werden, Mitglieder der NAP zu sein, werden aus dem Gefängnis befreit. Die in Neapel vor Gericht stehenden NAP-Mitglieder bekennen sich im Gerichtssaal zur Verantwortung der Organisation (A.d.Ü., für diese Aktion).

Februar

21. Saluzzo: Ein Fluchtversuch von drei Gefährten wird von Wachen entdeckt, die das Feuer eröffnen und sie verletzen. Zwei werden sofort wieder gefangen genommen, der andere flüchtet in ein Haus, das dann von der Polizei umstellt wird. Um seine Sicherheit zu gewährleisten, nehmen andere im Gefängnis einen Schließer und drei faschistische Gefangene als Geiseln. Sie werden erst freigelassen, als allen Beteiligten die Verlegung gewährt wird.

23. Cuneo: 6 Gefangene entkommen über Dächer.

April

11. Perugia: Nach einem gescheiterten Fluchtversuch verbarrikadieren sich 14 Gefangene zusammen mit 4 Schließern in einer Zelle. Sie kommen heraus, nachdem ihnen eine sichere Verlegung in andere Knäste zugesichert wird.

17. Catania: 15 Gefangene halten eineinhalb Stunden lang einen Protest auf dem Dach ab. In Brescia veranstalten 200 Gefangene eine 16 Stunden dauernde Demonstration.

18. Viterbo: 4 Stunden Revolte. Gefangene verbarrikadieren sich in den Gefängnisbüros, zerschlagen Fenster, Türen und Schreibtische. Einigen Gefährten gelingt es, eine Wand einzureißen und Verstärkung aus einem anderen Trakt zu holen.

Mai

7. Mailand: 160 Gefangene in S. Vittore weigern sich, nach der Sportstunde in ihre Zellen zurückzukehren. Sie machen sich auf den Weg zum Dach und vier Kompanien der Bereitschaftspolizei werden herbeigeholt. Zwei Stunden lang schießen sie in die Luft und werfen Tränengaskanister.

8. Ravenna: 5 Gefangene entkommen. Pianosa (Inselgefängnis): 3 Gefangene entkommen. Zwei werden von der Küstenwache gefasst, der andere entkommt in einem aufblasbaren Kanu.

Juni

2. Forli: Neun Gefangene feiern den Tag der Republik, indem sie aus dem Gefängnis fliehen.

4. Insel Pianosa: Fünf Gefangene entkommen aus dem Inselgefängnis in einem Schlauchboot.

9. Spoleto: Im Gefängnis bricht eine Revolte aus: Einige Gefährten der Roten Brigaden und der NAP sowie einige andere Gefangene nehmen während der Sportstunde 12 Schließer als Geiseln.

Juli

5. Ort Unbekannt: Fünf Kriegsdienstverweigerer in einem Militärgefängnis, wo sie ihren „Nationaldienst“ ableisten, beginnen einen Hungerstreik, um das Klima der Repression anzuzeigen, das die Militärhierarchie in den letzten Monaten geschaffen hat.

27. Turin: Eine Revolte im Jugendgefängnis Ferranti Aporti dauert drei Stunden lang an.

September

13. Rom: Familien und Freunde von Gefangenen in den Super-Gefängnissen Favignana, Cuneo, Trani, Asinara und Fossombrone reichen eine formelle Beschwerde an den Justizminister sowie an die Gefängnisdirektoren und Schließer wegen der unmenschlichen Behandlung in diesen Konzentrationslagern ein.

November

15. Turin: Eine Gruppe von Gefangenen im Gefängnis Le Nuove weigert sich, nach dem Ende der Sportstunde in ihre Zellen zurückzukehren. Der Protest richtet sich gegen das nicht funktionierende Abwassersystem in den Isolierzellen, in denen etwa 120 Gefangene inmitten von Scheiße leben.

Dezember

12. Turin: Seit drei Tagen befinden sich 300 Gefangene im Nuove-Gefängnis im Hungerstreik, um gegen die Super-Gefängnisse zu protestieren. Sie fordern die Entmilitarisierung der Gefängnisschließer und „humanere Strafen“.

16. Nuoro: Zwei Gefangene fliehen aus der Strafkolonie Mamone.

1978

Januar

20. Florenz: Einer Gruppe von fünf Personen gelingt es, in das Gefängnis Murate einzudringen, mit der Absicht, Gefährten zu befreien, die beschuldigt werden, der Unità Combattente Comuniste anzugehören. Die Aktion scheitert, als ein Passant den vor dem Gefängnis geparkten Lieferwagen als den am Vortag gestohlenen erkennt. Beim Eintreffen eines Sondereinsatzkommandos der Polizei kommt es zu einem Kreuzfeuer, bei dem ein PS-Beamter13 getötet und ein weiterer verletzt wird.

Februar

5. Parma: Drei Gefangene versuchen zu fliehen. Als sie entdeckt werden, nehmen sie den Gefängnisdirektor und einige Schließer als Geiseln und lassen sie erst frei, nachdem ihnen eine sichere Verlegung in andere Gefängnisse zugesichert wird.

27. Arezzo: Gefangene im örtlichen Gefängnis beginnen einen Hungerstreik in Solidarität mit denen, die dasselbe in Padua tun.

März

26. Mailand: Fünf Gefangene fliehen aus dem Jugendgefängnis Beccaria, nachdem sie zwei Schließer als Geiseln genommen haben.

Juli

(Datum unbekannt) Salerno: Vier Gefangene nehmen acht Schließer als Geiseln, um ihre Freiheit wiederzuerlangen. Am Ende müssen sie sich mit der Verlegung in andere Gefängnisse zufrieden stellen.

August

19. Asinara: Revolte im Super-Gefängnis. Fünf Gefangene zerstören den Besuchsraum und verteilen Flugblätter an Gefangene. Gefangene auf ihrem Hofgang, bei dem sie Sport betreiben, werden von Schließern angegriffen, und es kommt zu schweren Zusammenstößen. Viele Gefangene werden schwer verprügelt, und ein anarchistischer Gefährte, Horst Fantazzini14, der sich bei früheren Gelegenheiten auf wundersame Weise von Polizeikugeln erholt hat, wurde in einem halbkomatösen Zustand ins Krankenhaus gebracht.

23. Pavia: Drei Gefangene schlitzen sich die Pulsadern auf und verletzen sich an verschiedenen Körperteilen, um gegen die Weigerung des Richters zu protestieren, ihnen Besuche ihrer Familien zu gestatten.

29. Mailand: Drei achtzehnjährige Gefangene fliehen aus dem Jugendgefängnis und nehmen einen Schließer mit, bis sie die Außentore erreichen. Zwei werden am nächsten Tag verhaftet.

September

9. Cuneo: Der Gefährte Giuliano Isa zerstört fünf Gegensprechanlagen in der Besuchshalle des örtlichen Super-Gefängnisses. Eine ähnliche Aktion wird von fünf Gefährten im KZ von Favignana durchgeführt.

12. Novara: Der Besuchsraum des Super-Gefängnisses wird in der Nacht beschädigt.

15. Messina: Die Gefangenen des weiblichen Hochsicherheitstraktes zerstören die Sprechanlagen im Besuchsraum und übernehmen die Verantwortung für die Aktion in einem Kommuniqué, in dem sie Forderungen nach interner und externer Isolierung stellen.

20. Latina: Der mutmaßliche NAP-Militante Silvano Innocenti flieht mit einem Motorboot von der Insel Ponza, wo er einen erzwungenen Aufenthalt hatte (A.d.Ü., Hausarrest).

23. Asinara: Die Gefangenen des Fornelli-Trakts brechen während einer Revolte, die organisiert wurde, um die Abschaffung der Super-Gefängnisse zu fordern, die Trennwände zwischen den Zellen ein. Der Trakt wird evakuiert und die Gefangenen in andere Teile der Insel verlegt.

24. Genua: Protest im Marassi-Gefängnis, wo sich die Gefangenen weigern, nach dem Hofgang wieder in ihre Zellen zu gehen. Carabinieri und PS-Einheiten15 werden hinzugezogen, um zu intervenieren.

25. Nuoro: Ein Gefangener flieht aus der Strafkolonie Mamone.

Oktober

10. Cagliari: Ein Gefangener, der vier Jahre wegen Raubes verbüßt, bricht aus dem Gefangenenlager aus.

13. Ort unbekannt: Sechs junge Gefangene, die erst 1981 entlassen werden sollten, brechen aus der Erziehungsanstalt aus.

November

17. Favignana: Zwischenfälle im Super-Gefängnis, wo sich sechs Gefangene gegen Wärter auflehnen, die sie zwingen wollen, ihre Zellen wieder zu betreten.

KNÄSTE, GERICHTE UND DIE LEGALE HIERARCHIE

1976

Januar

28. Rom: Sechs Pistolenschüsse werden auf den Berufungsgerichtsberater Pietro Margariti abgefeuert. Die Verantwortung für die Aktion wird von der Kern Sergio Romeo übernommen. Die NAP gibt ein Bulletin heraus: „Der Berater des Berufungsgerichts, Pietro Margariti, ist verantwortlich für die Misshandlungen, Verfolgungen und Verlegungen, denen die gefangenen Gefährten unterworfen sind. Er ist verantwortlich für das Massaker an den proletarischen Gefangenen in Rebibbia während der Revolte im August 1975 und für die Verlegungen in die widerlichsten Gefängnisse Italiens, sowie für Schläge, Provokationen usw.“

April

22. Mailand: Eine Zelle der Roten Brigaden/NAP dringt in die Büros der regionalen Gefängnisinspektion ein und nimmt verschiedene Papiere mit. Ein Flugblatt wird hinterlassen: „Gefängnisse sind das letzte Glied in der Kette der antiproletarischen Repression…“

Mai

5. Rom: Vier Pistolenschüsse werden auf den stellvertretenden Staatsanwalt der Republik, Paolino dell’Anno, abgefeuert. Die Verantwortung für die Aktion wird von der NAP übernommen.

Juni

8. Genua: Der Generalprokurator, Francesco Coco, und seine Eskorte von zwei Carabinieri werden getötet. Die Verantwortung für die Aktion wird von den Roten Brigaden in einem Flugblatt und in einer Erklärung einiger ihrer Mitglieder vor dem Gericht in Turin übernommen.

November

1. Florenz: Das Auto des stellvertretenden Prokurators der Republik und Staatsanwalts wird im Prozess gegen die NAP wird angezündet.

1977

Januar

28. Rom: Das Auto eines Richters des Obersten Gerichtshofs wird angezündet. Die Verantwortung für die Aktion wird von der NAP übernommen.

Februar

13. Bergamo: Fünf Sprengladungen explodieren und zerstören zwei im Bau befindliche Gefängnisgebäude.

März

14. Avellino: Brandvorrichtungen zerstören ein Auto und einen Transporter, die für den Transport von Gefangenen benutzt wurden.

20. Augusta: Brandstiftung in einem Knastlagerhaus verursacht einen Millionenschaden.

30. Pisa: Alberto Mammoli, der Gefängnisarzt, der zusammen mit anderen für den Tod des anarchistischen Gefährten Franco Serantini verantwortlich war, wird durch drei Pistolenschüsse schwer verletzt. Die Verantwortung für die Aktion wird von der Azione Rivoluzionaria übernommen.

April

28. Turin: Eine Zelle der Roten Brigaden tötet den Rechtsanwalt Fulvio Croce, Präsident der Turiner Anwaltskammer. Die Aktion findet am Vorabend des Prozesses gegen die Roten Brigaden statt, mit dem Ziel, diesen zu verschieben.

Mai

4. Brescia: Das Haus des Gefängnisarztes wird mit Brandbomben in Brand gesetzt.

16. Ercolano: Zwei Sprengsätze gehen auf einer Villa hoch, die als Ausbildungsstätte für das Gefängnispersonal genutzt wird.

Mai

19. Bologna: Das Auto des stellvertretenden Prokurators der Republik brennt.

Juni

19. Turin: Bei einer Razzia im Atelier eines Architekten werden Dokumente über den Bau des neuen Gefängnisses Valette entwendet. Der Inhalt der Dokumente soll von den Gefährten veröffentlicht werden.

30. Spoleto: Die Roten Brigaden lassen eine Bombe an den Gefängnismauern explodieren.

Juli

17. Florenz: Eine Reihe von Explosionen verursacht erhebliche Schäden am im Bau befindlichen neuen Gefängnis in Sollicciano. Die Verantwortung für die Aktion wird von einer bewaffneten Kern der Azione Rivoluzionaria übernommen.

17. Leghorn: Der Motor eines Krans und Bauarbeiterhütten auf dem Gelände des im Bau befindlichen Gefängnisses in der Via Padula werden in die Luft gesprengt. Die Verantwortung dafür wird von der Azione Rivoluzionaria übernommen.

Oktober

9. Como: Brandflaschen werden gegen die Gefängnistore geworfen und setzen diese in Brand. Die Verantwortung für die Aktion wird von der Unità Combattenti Comuniste übernommen.

15. L’Aquila: Gerichtsgebäude wird in Brand gesetzt. Großer Schaden. Die Verantwortung für die Aktion wird von der Unità di Lotta Armata per il Comunismo übernommen.

November

19. Turin: Das regionale Aufsichtsbehörde/Kontrollgremium für Gefängnisstrafen wird in die Luft gesprengt.

Dezember:

Datum unbekannt, Turin: Prima Linea übernimmt die Verantwortung für den mit 400 Stangen Sprengstoff ausgeführten Bombenanschlag auf das im Bau befindliche neue Gefängnis. Um die Wachen auszutricksen, kommen die Gefährten als Polizisten verkleidet und setzen sie dann außer Gefecht.

Datum unbekannt, Sassari: Fünf Sprengsätze werden vor dem Haus des stellvertretenden Prokurators der Republik platziert, aber der Zünder erlischt aufgrund eines technischen Fehlers.

Januar

2. Palermo: Auto des örtlichen Richters des Obersten Gerichts verbrannt.

30. Spoleto: Acht TNT-Ladungen verursachen einen Schaden von einer halben Milliarde Lire am Fundament des neuen Gefängnisses Maiano.

Februar

7. Vibo Valentia: Pistolenschüsse werden auf das Haus des Gefängnisdirektors abgefeuert.

14. Rom: Der am Gefängnisbau beteiligte Richter, unter dessen Leitung die Spezialgefängnisse gebaut wurden, wird von den Roten Brigaden hingerichtet.

März

5. Turin: Bombenanschlag, zu dem sich die Roten Brigaden in einem Telefonanruf bekennen, auf das Haus des Anwalts Manni, Präsident der Anwaltskammer. Das Attentat findet drei Tage vor dem Beginn des Superprozesses gegen den „historischen Kern“ der Roten Brigaden statt.

27. Nuoro: Ein zum Transport von Gefangenen benutzter Lieferwagen wird von der Gruppe Barbagia Rossa in Brand gesetzt.

April

Datum unbekannt, Catania: Zwei vermummte Männer verletzen den obersten Gefängniswärter an den Beinen.

11. Turin: Eine Zelle der Roten Brigaden überfällt einen Gefängniswärter vor dessen Haus. Der Wärter schlägt zurück, verwundet einen der Gefährten und wird dann von den anderen Mitgliedern der Zelle getötet.

19. Mailand: Der stellvertretende Gouverneur des Gefängnisses San Vittore wird von der Walter-Alasia-Kolonne der Roten Brigaden getötet.

Mai

6. Novara: Der Gefängnisarzt wird durch zwei Pistolenschüsse einer Gruppe Proletari Armati per il Comunismo verwundet.

24. Rom: Bombenanschlag auf die Büros des Justizministeriums.

24. Cagliari: Das Auto eines Schließers des Gefängnisses Buoncammino wird durch Feuer zerstört.

Juni

3. Nuoro: Bomben gegen Autos von zwei Gefängnisschließer.

6. Udine: Proletari Armati per il Comunismo erschießen den Oberschließer des örtlichen Gefängnisses.

Juli

17. Tivoli: Eine Bombe explodiert an der Tür des Jugendgefängnisses Tommaseo.

August

14. Tropea: Eine Sprengladung wird vor dem örtlichen Gefängnis platziert und sprengt das Auto eines Schließers in die Luft.

19. Bergamo: Pistolenschüsse und Maschinengewehrfeuer aus einem Auto treffen einen Gefängnisschließer und ein vorbeifahrendes Polizeiauto.

24. Bergamo: In der Nacht werden Schüsse auf einen Gefängnisschließer abgegeben.

24. Verona: Ein örtlicher Gefängnisschließer wird von Proletari Armati per il Comunismo zum Krüppel gemacht.

Oktober

10. Rom: Richter Girolamo Tartaglione, der durch seine Stellung im Justizministerium für die Verfolgung vieler Gefährten verantwortlich ist, wird selbst von einer Zelle der Roten Brigaden zur Rechenschaft gezogen.

11. Neapel: Alfredo Paolella, Universitätsdozent und Kollaborateur am Plan zur Umstrukturierung der Gefängnisse sowie Leiter des Zentrums für kriminologische Beobachtung im Gefängnis Poggioreale, wird von Prima Linea zur Rechenschaft gezogen.

November

3. Genua: Rote Brigaden verbrennen die Autos von zwei Gefängnisschließern, die für das Verprügeln von Gefangenen bekannt sind.

8. Patrica: Ein Kommando der Formazione Comuniste Combattenti überfällt den Oberstaatsanwalt von Frosinone, Calvosi, und seine Polizeieskorte. Einer der Gefährten, Roberto Capone, wird bei der Aktion getötet.

13. Mailand: Dem Gesundheitsinspektor des Gefängnisses San Vittore wird von Reparti Comunisti d‘Attacco in die Beine geschossen.

15. Florenz: Der Gefängnisarzt des Murate entkommt unverletzt, als sein Auto beim Drehen des Zündschlüssels explodiert. Die Verantwortung für die Aktion wird von den Roten Brigaden übernommen.

17. Turin: Squadre Armate Proletarie brechen in das Büro des Architekten ein, der für die Umwandlung der Polizeistation La Marmora in einen Bunker für die Inhaftierung von Mitgliedern der Roten Brigaden, die auf ihren Prozess warten, verantwortlich ist. Sie feuern vier Schüsse in seine Arme und Beine.

28. Neapel: Der Direktor des Gefängnisses S. Maria Caputa Vetere wird in die Schulter geschossen.

EXPROPRIATIONEN (ENTEIGNUNGEN)

1976

März

15. Mailand: Ein Milchlaster wird überfallen und Milch umsonst verteilt.

28. Monte Cassino: Proletarisches Einkaufen im FIAT Cassino. Die Kantinenläden werden unter dem Ruf „Arbeiter, helft euch selbst“ geplündert, während Rechenmaschinen und Schreibmaschinen zerstört werden. Die Szenerie bewegt sich zu den Bürogebäuden, wo das Gleiche geschieht. Während Gewerkschafts- Syndikatsfunktionäre und Werksleiter eine Untersuchung vor Ort durchführen, werden die Läden endgültig ausgeräumt, wobei der Schaden auf über 15 Millionen Lire geschätzt wird.

Mai

27. Turin: Rote Brigaden enteignen 60 Millionen Lire aus dem Polytechnikum.

31. Noale (Venedig): Raubüberfall von den Roten Brigaden in einer Filiale einer Sparkasse.

Juni

14. Rom: Ein Fleischgroßhändler wird von der Unità Combattente Comuniste entführt und aufgefordert, große Mengen erstklassigen Fleisches an 71 Metzgereien in 23 Gebieten zu liefern, um es zum politischen Preis von 1.500 Lire (etwa 90 Pence) pro Kilo zu verkaufen. Leider wurde er von der Polizei gefunden, bevor die Forderungen erfüllt waren.

15. Pegli: Die NAP übernimmt in einem Telefonanruf die Verantwortung für einen Raubüberfall: „Heute Morgen haben wir im Namen des Proletariats 5 Millionen Lire von der Banca Popolare di Novara enteignet.“

27. Mailand: Im Parco Lambra plündern die Gefährten während des Festes der Proletariato Giovanile eine Bar. Das Gleiche geschieht mit zwei Lastwagenladungen Lebensmittel. Das junge Proletariat ist nicht mehr bereit, Spekulanten zu mästen, egal wie sie sich tarnen.

Juli

27. Ravenna: Requisition in einem Supermarkt: Obst, Kleidung und Lebensmittel.

September

15. Brescia: Vier Personen rauben aus der Credito Agrario Bank 50 Millionen Lire. Beim Weggehen erklären sie, dass sie zu den Roten Brigaden gehören.

26. Mailand: Enteignung in der eleganten Konditorei Motta. Nahezu alle ausgestellten Waren werden mitgenommen.

Oktober

21. Mailand: Enteignung in einem der bekanntesten Buchläden der Stadt. Die Gefährten leeren die Kasse und nehmen Bücher im Wert von einer halben Million Lire weg.

November

7. Mailand: Dreitausend Gefährten brechen in 5 Luxuskinos der Stadt ein und zwingen die Manager, die Eintrittskarten auf je 500 Lire zu reduzieren.

30. Venedig: Die Roten Brigaden überfallen eine Bank in der Stadt und erbeuten 80 Millionen Lire.

Dezember

3. Mailand: Etwa hundert Personen plündern einen Supermarkt und erbeuten Waren im Wert von mehreren Millionen Lire.

1977

Februar

22. Neapel: Nach einer offenen Gewerkschafts- Syndikatsversammlung werden zahlreiche Luxusgeschäfte geplündert.

März

13. Catanzaro: Proletarische Enteignung in einer örtlichen Bank, die 40 Millionen Lire einbringt.

28. Rom: Ein Brotwagen wird von bewaffneten Jugendlichen gekapert, die das Brot unter den Passanten verteilen.

April

3. Genua: Der 80 Tage zuvor von den Roten Brigaden entführte Rüstungsunternehmer Piero Costa wird gegen Zahlung von eineinhalb Milliarden Lire freigelassen.

Juni

8. Bologna: Prozessbeginn gegen 22 Studenten und eine 66-jährige Frau, die beschuldigt werden, Servietten, Tischtücher, Besteck, Lebensmittel usw. aus einem Restaurant gestohlen zu haben, das von der örtlichen Bourgeoisie frequentiert wurde und ein üblicher Treffpunkt der Kommunistischen Partei der für … für Geschäftsessen war.

September

25. Bologna: Enteignungen in vielen Geschäften während des dreitägigen Treffens zur Repression.

November

15. Mailand: Demonstration mit anschließender proletarischer Enteignung in einem Geschäft im Corso Italia.

1978

Februar

10. Prato: Bei einem Enteignungsversuch müssen drei Gefährten der Lotta Armata per il Comunismo einen Notar töten, dem das Geld offenbar wichtiger war als sein Leben.

19. Mailand: Aus der Garderobe eines Privatclubs werden 12 Pelzmäntel gestohlen. Sie haben einen Gesamtwert von 60 Millionen Lire. An ihrer Stelle wird ein Zettel gefunden, der an die „gnädige Aufmerksamkeit der Bourgeoisie“ adressiert und mit Nucleo Anarchici Proletari unterzeichnet ist.

April

17. Bologna: Gefährten brechen in ein Optikergeschäft und ein Geschäft für Elektrohaushaltsgeräte ein und nehmen einen Großteil der Waren mit.

Mai

27. Bologna: Ronde Proletarie di Combattimento leeren die Kasse eines Schuhladens und setzen ihn dann in Brand, wobei sie an den Wänden die Aufschrift hinterlassen: „Feuer an diejenigen, die die MSI finanzieren“.

Juli

20. Castiglione del Lago: Eine Gruppe junger Leute, die sich zu den Umbria-Jazzkonzerten versammelt hat, plündert einen Coop-Supermarkt.

Oktober

19. Padua: Nachdem die Essenspreise in der Mensa in der Universität immer weiter „selbst“-reduziert wurden, wurde die Mensa in Brand gesteckt.

OPFER DER REPRESSION

1976

März

14. Rom: Nach einem Molotow-Anschlag auf die spanische Botschaft aus Protest gegen die Erschießung von sieben Menschen in den Straßen Spaniens macht die Polizei Jagd auf eine Gruppe von etwa zwanzig Gefährten. An einem Punkt eröffnen drei Polizisten das Feuer auf eine Gruppe junger Leute, die sie in einem Teil der Stadt, weit entfernt von der Botschaft, rennen sehen. Sie sagen, sie hätten in die Luft geschossen, um sie einzuschüchtern, aber die Leiche des Gefährten Luigi De Angelis, der durch einen Schuss in die Wade getötet wurde, erzählt eine andere Geschichte.

April

7. Monticelli: Sechs Molotows werden gegen den Eingang des Justizministeriums geworfen, nachdem die Verurteilung des anarchistischen Gefährten Giovanni Marini zu neun Jahren Haft bestätigt wurde, weil er sich gegen einen Angriff von Faschisten verteidigt und einen von ihnen getötet hatte. Die Polizisten beginnen eine wilde Verfolgungsjagd, und mindestens 180 Meter vom Ministerium entfernt wird ein junger Gefährte in das Genick geschossen. Der übliche Schrei der legitimen Verteidigung wird von den Attentätern dahingerotzt, aber es wurde keine Waffe in der Hand von Mario Salvi gefunden, und sie erschien auch auf keinem der Polizeifotos.

28. Mailand: Gaetano Amoroso, Luigi Spera und Carlo Palma, drei Mitglieder des Antifaschistischen Komitees, werden von einer Gruppe von Faschisten abgestochen. Die drei werden in schwerverletzt ins Krankenhaus gebracht, und Gaetano Amoroso stirbt drei Tage später.

Mai

28. Sezze Romano: Nach einem MSI-Treffen schießt eine faschistische Bande, angeführt von dem ehrenwerten Saccucci und dem SID-Inspektor Troccia, wiederholt auf das ganze Dorf. Ein junges KP-Mitglied wird getötet und ein Militanter der Lotta Continua verletzt. Die Polizei hätte Saccucci zum Zeitpunkt der Schießerei festnehmen können, aber er darf das Land verlassen.

1977

Januar

12. Cagliari: Ein fünfzehnjähriger Junge wird von der Polizei getötet. Er hatte versucht, ein Auto zu stehlen und wurde durch eine Salve von Maschinengewehrfeuer ermordet – wie immer bei proletarischen Opfern geschah dies „aus Versehen“.

März

11. Bologna: Nach Zusammenstößen an der Universität zwischen Gefährten und Mitgliedern der Comunione e Liberazione eröffnen Carabinieri das Feuer und töten Francesco Lo Russo, einen Militanten der Lotta Continua. Die Reaktion von Tausenden von Proletariern erfolgt sofort.

17. Turin: Der Student Bruno Cecchetti wird durch Maschinengewehrfeuer einer Carabinieri-Staffel getötet, als er nach Hause geht. Die Carabinieri behaupten, die Schießerei sei ein Unfall gewesen, nachdem ihre erste Behauptung, Cecchetti habe sie mit einer Pistole bedroht, nicht bewiesen werden konnte.

April

28. Agrigento: Ein 46-jähriger Mann, Vincenzio Ponzio, „im Gefängnis wegen Beleidigung eines Beamtens“, wird erhängt in seiner Zelle aufgefunden.

Mai

12. Rom: Die Regierung verbietet die Demonstration der Radikalen in der Stadt und ruft die Polizei hinzu. Diese schießen in die Menge und töten eine 19-jährige, Giorgiana Masi.

Juni

8. Mailand: Ein 27-jähriger Arbeiter, Orazio Gilardoni, fällt vom Dach eines Bahnhofsgebäudes und stirbt dadurch. Ein weiterer „Arbeitsunfall“.

16. Reggio Emilia: Ein weiterer Todesfall an der Ausbeutungsfront. Ein 68 Jahre alter Arbeiter, Aldo Tonelli, reinigte zusammen mit anderen Arbeitskollegen einen Bewässerungskanal, als er von einem Erdrutsch begraben wurde und starb.

24. Mailand: Eine 39-jährige Frau aus Kalabrien, verheiratet mit einem arbeitslosen Gastarbeiter, stirbt an Unterernährung.

Juli

11. Cassino: Sieben Arbeiter werden bei einer Gasexplosion am Arbeitsplatz verletzt.

15. Latina: Ein Arbeiter stürzt bei der Kabelgesellschaft Fulgor Cavi von einer wackeligen Leiter in den Tod. Er bleibt stundenlang unbemerkt, bevor seine Leiche gefunden wird. Einer der Firmenleiter versucht die Tatsache zu vertuschen, dass die Leiter defekt war.

18. Alessandria: Der 53-jährige Bauer Giuseppe Squarise war dabei, Zementrohre in ein 15 Fuß tiefes Loch zu verlegen, als er von herabfallender Erde niedergeschlagen und getötet wurde.

22. Milan: Die Prima Linea verteilt ein Flugblatt, in dem sie über die Enteignung von Waffen, die von drei ihrer Mitglieder am 19. Mai durchgeführt wurde, bekannt machen, bei der Aktion wurde ein Gefährte, Romano Tognini, „Valerio“, getötet.

22. Milan: Ein 32-jähriger Vater von drei Kindern stirbt nach 9 Stunden Todeskampf infolge einer Explosion in der SECI-Fabrik Quarto Oggiaro.

26. La Spezia: Ein 44-jähriger Arbeiter, Silvano Petacco, stirbt, nachdem er einige Tage zuvor beim Reinigen eines Abflusses von einer Ratte gebissen wurde.

30. Gela: Explosion in der Nacht in der ANIC-Fabrik, bei der ein Arbeiter im Alter von 28 Jahren getötet wird. Zwei weitere, 24 und 39 Jahre alt, sterben einige Tage später.

August

3. Udine: Ennio Mian, 17 Jahre alt, bringt sich um, weil er keine Arbeit findet.

7. Neapel: Luigi Muioi, 25 Jahre alt und dreifacher Familienvater, stirbt an einem Stromschlag bei der Arbeit an einer Maschine in einer Gummifabrik.

8. Triest: Ein 37-jähriger Arbeiter, der bei der Wartung einer Verbrennungsanlage beschäftigt ist, stürzt, schlägt mit dem Kopf auf den Boden der Brennkammer des Ofens auf und ist sofort tot.

8. Terlano: Sergio Petri, 25 Jahre alt, stirbt nach einem Sturz von einem Baugerüst.

8. Spinetta: Ein 15-jähriger Junge arbeitet mit seinem Vater bei Malerarbeiten für Michelin, als er von einem Gerüst fällt und stirbt.

9. Nocera Inferiore: Ein 22-jähriger Arbeiter stirbt und sein Bruder wird schwer verletzt, als der Balkon, auf dem sie arbeiten, einstürzt.

9. Viccini: Ein 21-jähriger Arbeiter stürzt von einem Gerüst im dritten Stock eines Gebäudes, an dem er arbeitet, und ist sofort tot.

12. Ravenna: Edoardo Minguzzi, 54 Jahre alt, stirbt bei Arbeiten in einem Getreidespeicher unter Tonnen von Getreide begraben.

15. Porto Empedocle: Ein Arbeiter stirbt in einem der Montedison-Werke, er wird von einem Förderband zermalmt.

19. Turin: Giuseppe Ferrari, ein 59-jähriger Arbeiter, wird bei Arbeiten an einer elektrischen Verteilerdose durch einen Stromschlag getötet.

19. Moggio Udinese: Ein weiterer Arbeiter wird durch einen Stromschlag getötet, diesmal bei der Arbeit auf einer Baustelle. Er war 23 Jahre alt.

19. Ampezzo: Ein 33-jähriger Arbeiter stirbt nach einem Sturz von einem Baugerüst.

28. Bozen: Ein Koch stirbt, nachdem er in der Küche, in der er beschäftigt war, verbrannt ist.

31. Agrigento: Drei Arbeiter sterben, nachdem sie beim Bau eines Viadukts von einem Kran zermalmt wurden.

September

1. Turin: Ein Arbeiter wird in der Aluminiumfabrik Alcan von einer mechanischen Säge zermalmt und stirbt.

7. Brescia: Luciano Pitossi, 27 Jahre alt, wird durch Maschinengewehrfeuer aus einem Polizeistreifenwagen getötet. In der Vergangenheit hatte er ein Auto gestohlen, nun bezahlt er dafür mit seinem Leben.

13. Neapel: Der 23-jährige Gerardo Fioravanti, der des bewaffneten Raubüberfalls verdächtigt wird, wird von zwei Polizisten erschossen. Wie immer werden die Namen der Polizisten nicht bekannt gegeben.

13. Mailand: ein 46-jähriger Arbeiter gibt seinen Arm an die Bosse von SALCIM ab. Er wurde ihm von einer Lithographie-Maschine abgerissen, während er an ihr arbeitete.

14. Nocera Inferiore: Anna Maria, 29 Jahre alt, kommt ins Krankenhaus, um behandelt zu werden, stirbt aber, und niemand weiß warum.

14. Neapel: Der Kapitän der Küstenwache gibt den Befehl, das Feuer auf ein griechisches Schiff zu eröffnen, weil es nicht am Zoll anhält. Ergebnis: ein Toter, ein 25-jähriger Seemann. Grund für die Schießerei? Verdacht auf Schmuggel.

14. Roviga: Die Lagerhalle einer Feuerwerksfabrik explodiert und tötet einen der Arbeiter.

17. Pescara: William Marinelli, 16 Jahre alt, wird von der Polizei erschossen. Er hatte ein Auto gestohlen.

19. Bergamo: Nachdem sie 15 Jahre lang gefoltert und von einer Anstalt in die andere transportiert wurde, wird Palmira Valle, 29 Jahre alt, tot an ein Bett gefesselt in einer psychiatrischen Klinik aufgefunden. Die Todesursache war Erstickung durch das Laken, mit dem sie gefesselt war.

21. Florenz: Ein weiterer Todesfall bei der Arbeit aufgrund eines Stromschlags. Diesmal war das Opfer 32 Jahre alt und arbeitete bei den Eisenbahnen.

22. Neapel: Sieben Direktoren der Montefibre-Fabrik werden bei einer Untersuchung wegen des Todes von drei Arbeitern angeklagt.

22. Cavarzere: Ein junger Soldat, der Militärdienst leistet, wird beim Betreten der Kaserne von einem diensthabenden Wachmann erschossen, weil er das Passwort nicht angegeben hat.

23. Cagliari: Eine Krankenschwester erhängt sich aus Angst, entlassen zu werden. Sie war seit einigen Monaten krankgeschrieben und hatte einen Brief von der Krankenhausleitung erhalten, in dem ihr die Wahrscheinlichkeit einer Suspendierung von der Arbeit mitgeteilt wurde.

28. Caltanissetta: Die Zahl der Todesfälle durch Typhus unter der armen Bevölkerung des Dorfes erreicht 143.

28. Cuneo: Zwei Arbeiter werden getötet, als der Kessel, an dem sie arbeiten, explodiert.

30. Rom: Walter Rossi, ein Militanter von Lotta Continua, wird von Faschisten getötet, als er Flugblätter verteilte, die die Erschießung von Elena Paccinelli durch vier Faschisten am Donnerstag zuvor verurteilten. Ein Tankwart an einer nahegelegenen Tankstelle wird ebenfalls verwundet.

Oktober

4. Alghero: Ein 88-jähriger Mann stürzt sich von 45 Fuß Höhe von einem Felsen. Er hat sich umgebracht, weil er keine Töchter mehr hatte und seine Söhne ihn in ein staatlich geführtes Altersheim stecken wollten.

4. L’Aquila: Eine weitere Frau, die in der ACE-Fabrik beschäftigt war, stirbt an Krebs. Sie war 42 Jahre alt, Mutter von zwei Kindern. Zwei andere, die kürzlich starben, waren 34 und 42 Jahre alt. Alle drei Arbeiterinnen waren mit giftigen Substanzen in Berührung gekommen, die sich als krebserregend erwiesen hatten.

13. Neapel: Ein 32-jähriger Mann stirbt in der psychiatrischen Klinik Nocera Inferiore an einem gutartigen Gehirntumor. Obwohl er in den letzten zehn Jahren Symptome eines Hirntumors gezeigt hatte, hatten die Ärzte der Anstalt, in der er eingesperrt war, ihn mit Antiepileptika vollgepumpt und ihn erst ins Krankenhaus geschickt, als er bereits im Koma lag.

15. Chieti: Ein weiteres Opfer der Arbeit. Ein 44-jähriger Arbeiter stürzt aus dem siebten Stock eines Gebäudes, das er abreißen wollte. Fünf weitere Kinder finden sich vaterlos wieder.

21. Trient: Ein Holzarbeiter stirbt, er wird von einem Baumstamm zermalmt. Ein weiterer Arbeiter stirbt, nachdem er von einem riesigen Telegrafenkabel aus Stahl getroffen wurde.

November

4. Ort Unbekannt: Drei weitere Arbeiter sterben für die Bosse: In Ascoli Piceno wird ein 27-jähriger Arbeiter bei Elettro-Carbonium von einer riesigen Elektrode aus amorphem Kohlenstoff zermalmt. In Troina werden zwei Arbeiter, einer 32, der andere 14 Jahre alt, bei der Arbeit auf einer Baustelle von einem Aufzug zerfetzt. Der erste stirbt, der zweite wird schwer verletzt.

8. Rom: Ein junger Autodieb wird von der Stadtpolizei zum Tode verurteilt, die ihn verfolgt und daraufhin erschoss.

15. Porto Marghera, Venedig: Drei Arbeiter der Montedison-Fabrik werden Opfer eines Arbeitsunfalls. Sie erleiden schwere Verbrennungen durch Flammen aus einem Gastank.

15. Mailand: Ein mit Benzin gefüllter Tank explodiert, tötet eine Person und hinterlässt zwei Schwerverletzte.

21. November: Ein unbekannter Mann erfriert. Er wurde tot aufgefunden, wegen der Kälte in seinem Haus, in dem er lebte, die Straße.

24. Turin: Todesstrafe für den 22-jährigen Antonio Torchia. Er war wegen Diebstahls und Raubes vorbestraft und wurde schließlich von einer Carabinieri-Patrouille in den Rücken geschossen.

28. Bari: Zwei junge Kommunisten, Benedetto Petrone und Francesco Intrano, werden von Faschisten überfallen. Petrone wird getötet, Intrano schwer verwundet.

Dezember

4. Olgiate: Eine weitere Hinrichtung durch die Hände der Carabinieri. Ein junger Mann, der des Betrugs beschuldigt wurde, hielt nicht bei einem Haltesignal an, woraufhin der Henker ihm in den Rücken und in das Genick schoss und ihn tötete.

8. Alghero: Ein 16-jähriger Junge wird vom Sicherheitsdienst beim Diebstahl eines Paares Schuhe in einer Boutique getötet. Eine sofortige Protestdemonstration wird von Gefährten organisiert, was zu Zusammenstößen mit der Polizei und dem Einschlagen von Schaufenstern führt.

8. Brindisi: Drei bei der Arbeit getötete und 52 verletzte Arbeiter in der Montedison-Fabrik.

8. Mailand: Clarice Anceschi, 93 Jahre alt, begeht Selbstmord, indem sie sich aus einem Fenster im vierten Stock stürzt. Sie war Internierte in einem Hospiz für alte Menschen.

11. Catania: Ein privater Wachmann in einem Orangenhain tötet einen 30-jährigen Mann, weil er eine Kiste Orangen gestohlen hat.

11. Lodi: Noch ein Leben für die Bosse: Ein 20-jähriger Bauarbeiter stürzt durch ein Dach in den Tod.

25. Sassari: Ein 21-jähriger Gefangener stirbt. Die offizielle Version ist, dass er seinen Kopf gegen die Wand geschlagen hat, während er mit seinen Zellengenossen herumspielte.

26. Mailand: Mauro Larghi, ein Gefährte der Autonomia Operaia, der vor 10 Tagen verhaftet wurde, weil er einen Nachtwächter entwaffnet hatte, stirbt an den Folgen der Schläge, die er bei seiner Verhaftung erhalten hatte.

 

1978

Januar

5. Rom: Der 20-jährige drogenabhängige Bruno Santini stirbt im medizinischen Bereich des Gefängnisses, während er auf seinen Prozess wartet.

6. Florenz: Ein 68-jähriger Gefangener bringt sich um, indem er sich aus einem Fenster im dritten Stock stürzt.

15. Ravenna: Ein 73-jähriger Mann, der wegen Diebstahls einer Tafel Schokolade verhaftet wurde, erhängt sich vier Stunden nach seiner Verhaftung in einer Isolationszelle.

17. Afragola: Eine Polizeistreife tötet den 20-jährigen Giovanni D’Ambra mit Maschinengewehrfeuer, als er aus dem Gefängnis fliehen will.

25. Lucca: Zwei Arbeiter werden getötet und fünf verletzt, als die Maschine, die sie testen, explodiert.

Februar

21. Padua: Sergio Secchi, 26 Jahre alt und Gefangener im Castello-Gefängnis, tötet sich mit einer Camping-Gasflasche.

März

7. Venedig: Ein dreiunddreißigjähriger Pförtner, der von der Polizei wegen Trunkenheit aufgegriffen wurde, erhängt sich in einer Polizeizelle.

10. Rom: Ein 38-jähriger Gefangener, der wegen Diebstahls verurteilt wurde, erhängt sich in seiner Zelle. Ein ähnlicher Vorfall ereignet sich im Gefängnis von Vercelli, wo sich ein 56-jähriger Gefangener das Leben nimmt.

17. San Donato Milanese: Ein 17-jähriger Junge wird von der Polizei an einer Straßensperre in den Rücken geschossen.

18. Mailand: Zwei junge anarchistische Gefährten, Lorenzo Ianucci und Fausto Tinelli, werden unter mysteriösen Umständen erschossen. Die Polizei versucht, eine verworrene Drogengeschichte um den Fall herum zu konstruieren, aber die politischen Motive für die Morde sind nur allzu offensichtlich.

April

7. Bozen: Ein Mann wird verhaftet, weil er beim Hören von Moros Tod gejubelt hat.

9. Imperia: Ein 17-jähriger Junge stirbt, als er gegen einen Lastwagen gequetscht wird, als er versucht, einer Straßensperre auszuweichen, weil er ein Auto ohne Führerschein fuhr.

11. Neapel: Ein 22-jähriger Gefangener begeht Selbstmord, indem er sich an den Gitterstäben seiner Zelle erhängt.

11. Torreannunziata: Ein 14-jähriger Junge wird an einer Straßensperre durch Maschinengewehrfeuer von Carabinieri tödlich verwundet.

Mai

4. Bologna: Bei einer Schießerei mit der Polizei nach einem Raubüberfall wird der 21-jährige revolutionäre Militante Roberto Rigobello durch Maschinengewehrfeuer getötet. Marco Tirabovi wird verhaftet.

9. Palermo: Der Gefährte der Democrazia Proletaria, Giuseppe Impastato, wird von der örtlichen Mafia ermordet, gegen die er einen mutigen Kampf geführt hatte. Sie sprengten eine Ladung TNT gegen ihn, so dass in Polizeiberichten von Selbstmord oder einem missglückten Bombenanschlag die Rede war.

12. Venedig: Nach einem bewaffneten Raubüberfall tötet die Polizei Silvano Maestrello, der für seine vielen Ausbrüche bekannt war. Er hatte es mindestens sieben Mal geschafft, seine Freiheit wiederzuerlangen.

20. Neapel: Ein 45-jähriger Gefangener, der auf seinen Prozess wartet, begeht im Gefängnis Selbstmord.

Juni

1. Rom: Ein 25-jähriger Gefanger in Untersuchungshaft erhängt sich im Gefängnis von Rebibbia.

3. Grosseto: Ein 33-jähriger Marokkaner wird unter ungeklärten Umständen in der Carabinieri-Kaserne durch eine Salve aus Maschinengewehrfeuer getötet.

7. Cagliari: Ein Gefangener, der auf seine Verlegung aus einer Haftanstalt wartet, erhängt sich in seiner Zelle.

11. Venedig: Ein Polizist tötet einen 19-Jährigen, der in der Nähe eines Autos herumlungerte.

29. Mailand: Ein 33-jähriger Gefangener erhängt sich in seiner Zelle.

Juli

31. Bergamo: Ein 21-jähriger junger Mann erhängt sich in einer Zelle der Carabinieri-Kaserne, nachdem er wegen versuchten Diebstahls festgenommen wurde.

August

(Datum unbekannt) Neapel: Ein 17-jähriger Gefangener, der auf seinen Prozess wegen Diebstahls von 50.000 Lire (ca. 25 Pfund) wartet, erhängt sich im Badezimmer des Jugendgefängnisses, in dem er festgehalten wird.

31. Saluzzo: Ein 45-jähriger Gefangener, der am Vortag wegen Ladendiebstahls verhaftet wurde, erhängt sich.

September

19. Genua: Eine giftige Schwefelwolke tötet in wenigen Sekunden drei Arbeiter in einer Gerberei, vergiftet viele andere und breitet sich über das ganze Gebiet aus. Der Lkw-Fahrer, der beim Abladen seines Tanks einen Fehler gemacht hat, sitzt im Gefängnis; die Fabrikchefs laufen dagegen frei herum.

Oktober

6. Ravenna: Ein 20-jähriger Heroinabhängiger stirbt im Gefängnis.

November

Florenz: Eine 22-jährige Frau stirbt nach einer Abtreibung auf einer Seitenstraße.

DRECKSARBEIT16

1977

März

24. Mailand: Eine „Patrouille gegen Drecksarbeit“ bricht bei der Genossenschaft Dusmet ein. Bevor sie gehen, verwüsten sie die Räumlichkeiten und nehmen Geld und verschiedene Gegenstände mit.

April

2. Ort Unbekannt: Ein bewaffnetes Kommando von fünf Personen dringt in das Büro der Firma Maros ein. Sie verwüsten das Büro und erbeuten zwei Millionen Lire.

29. Mailand: Ein bewaffneter Kern bricht in das Depot einer von Tür zu Tür arbeitenden Kosmetikfirma ein. Sie hinterlassen ein Flugblatt: „…Die Drecksarbeit der Arbeitskraft ist der Hauptweg, den der multinationale Kapitalismus heute wählt, um seine beiden grundlegenden Ziele zu verwirklichen: die Erzielung höherer Profite durch die Umgestaltung der Produktivität und die Wiedererrichtung einer globalen Herrschaft über das Proletariat durch die Einschränkung der Lohnsklaverei“.

Mai

10. Mailand: Eine „bewaffnete Bande junger Proletarier“ bricht in das Büro des Rizzoli-Verlages ein. Die Gesichter mit Sturmhauben vermummt und die Waffen in der Hand, sperren sie die Angestellten und Kunden in einem Raum ein und legen im Büro des Herausgebers Brandsätze, die gleichzeitig explodieren. An den Wänden: „Die Höhlen der Drecksarbeit werden durch Feuer geschlossen“.

Juni

30. Mailand: Zwei Bomben gegen Jugendarbeitsämter. Ein Flugblatt wird von Nuclei Armati Rivoluzionari hinterlassen, das die Ausbeutung der jungen Arbeitskräfte anprangert.

Juli

4. Porto Marghera: In einer Fabrik, die optische Linsen herstellt, bricht ein Feuer aus, das 600 Millionen Lire Schaden verursacht. Für die Aktion machen sich die Roten Brigaden/NAP verantwortlich.

1978

Januar

26. Bologna: Nuclei combattenti comunisti verwüsten den Drecksarbeits-Laden Mary Johns.

Februar

4. La Spezia: Luisa Spagnoli zieht ihre Profite aus der Spekulation auf dem Rücken von proletarischen Gefangenen. Deshalb wurde einer ihrer Schlupfwinkel geschlossen“. Dies ist ein Flugblatt, das von der Azione Rivoluzionaria am Ort des Angriffs auf einen der Kleiderläden der Luisa-Spagnoli-Kette in Cagliari hinterlassen wurde: Lotta Femminista übernimmt die Verantwortung für einen Brand im Rinascente-Supermarkt.

10. Cagliari: Lotta Femminista übernehmen die Verantwortung eines Brandanschlages auf einen Laden von Rinascente.

18. Vicenza: Organizzazione operaia per il comunismo übernimmt die Verantwortung für eine Aktion gegen eine Pförtnergenossenschaft und reiht es in den Kampf gegen die Drecksarbeit ein.

26. Rom: Ronde femministe di quartiere sprengen eine Babysitter-Agentur und bekennen sich in einem Flugblatt zu der Aktion: „Wir werden die Erpressung durch Drecksarbeit nicht länger akzeptieren“.

März

12. Varese: Das neue Lager von Bassani Ticino, einer Firma, die sich durch die Ausbeutung von Gefangenen bereichert hat, wird bei einem Brand, zu dem sich die Unità Combattenti Comuniste bekennt, völlig zerstört.

Mai

12. Zane: Eine Gruppe von Gefährten der Autonomia Operaia verwüstet die Büroräume einer Vertragsfirma, die Drecksarbeit ausbeutet.

November

21. Turin: Squadre Armate Combattente brechen in die Büroräume einer Agentur für Hausarbeit ein, setzen die Angestellten und die verantwortlichen Frauen fest und hinterlassen an den Wänden: „Greift die Höhlen der Drecksarbeit an“.

POLITIKER UND PARTEIZENTRALEN

1976

März

6. Mailand: Zwei bewaffnete Gruppen brechen in den Verlag Jaca Book und die Redaktionsräume von Supermilano ein, beide verbunden mit Comunione e Liberazione. Beide Orte werden verwüstet.

15. Mailand: Während einer Demonstration aus Protest gegen die Inhaftierung von vier Gefährten werden drei faschistische Treffpunkte in Brand gesteckt.

20. Mailand: Molotows werden gegen ein Lokal der christdemokratischen Partei und ein vor einer Kirche geparktes Auto geworfen.

27. Rom: Sieben Personen brechen in das von Christdemokraten und Comunione e Liberazione betriebene Kulturzentrum ein. Das Zentrum wird verwüstet. Die Verantwortung für die Aktion wird von Lotta Armata per il Comunismo übernommen.

31. Mailand: Ein Kern von Gefährten stürmt eine Pizzeria, in der sich Hardcore-Faschisten der Gegend versammeln und wo einige der Aktionen der Schläger koordiniert werden. Die Pizzeria wird völlig zerstört und einige ihrer Stammkunden werden verletzt.

April

4. Turin: Ein faschistischer Treffpunkt, die Bar Sergio, wird verwüstet.

25. Salerno: Gefährten brechen in das Theater Augusto ein, wo die Kommunistische Partei und die Christdemokraten gemeinsam den Jahrestag des Widerstands feiern. Die Christdemokraten werden angegangen und ihre Fahne angezündet.

29. Mailand: Der MSI-Provinzabgeordnete Enrico Pedinovi wird mit fünf Pistolenschüssen zur Strecke gebracht.

30. Rom: Die Bibliothek der antiken spanischen Geschichte wird in Brand gesteckt. Für die Aktion übernimmt ein Kern, der sich als „Internationale Brigade Paeredes Manot“ bezeichnet, die Verantwortung. Auf einem Flugblatt, das in einer nahegelegenen Telefonzelle hinterlassen wurde, steht: „Die franquistische Höhle Villalbani ist zerstört worden. Getarnt als spanische Bibliothek, verbarg dieser Ort viele Verbindungsaktivitäten zwischen den neofaschistischen Organisationen Mitteleuropas, ein Umschlagplatz für die klandestinen Aktivitäten der vielen italienischen Faschisten, die in den Borghese-Putsch17 verwickelt waren, und die Bombenanschläge der Avanguardia Nazionale“.

Juni

6. Rom: Das Kino Barberini wird vor einer faschistischen Versammlung in Brand gesteckt.

9. Padua: Kurz vor einem MSI-Treffen verwüstet eine Gruppe von Gefährten einen faschistischen Treffpunkt und setzt ihn in Brand, um ihn vollständig zu zerstören.

17. Mailand: Gefährten beenden den Wahlkampf. Nach einem MSI-Treffen wird ein Lastwagen der Firma verbrannt, die die Bühne aufgebaut hatte, auf der die Faschisten sprachen. Das Gleiche geschieht mit dem Treffpunkt Alternativa der Nazigruppe und den Räumen der MSI im Corso Genova. Die Feierlichkeiten enden mit der Verbrennung einer Pizzeria, die der Treffpunkt der Faschisten in dieser Gegend war.

26. Ort unbekannt: Das Auto eines christdemokratischen Mitglieds wird verbrannt. Die Verantwortung dafür wird von Lotta armata per il comunismo übernommen.

September

27. Padova: Drei Personen brechen in die Räumlichkeiten von Mondo Libero, einer faschistischen Zeitung, ein. Die Anwesenden werden gefesselt, und die drei nehmen verschiedene Dokumente mit. Das Emblem der Roten Brigaden wird an die Wand gemalt.

Oktober

2. Mailand: Nachdem sie die Wand mit einer Spitzhacke eingeschlagen haben, brechen die Gefährten in das faschistische Gebäude in der Viale Murillo ein. Sie zerstören die Büros vollständig und verbrennen Möbel und Dokumente auf der Straße.

5. Candoglia: Unità Comuniste Combattente macht sich für einen Angriff auf die Räumlichkeiten der Christdemokraten verantwortlich.

13. Varese: Zwei Molotows und ein Kugelhagel gegen die Räume der Christdemokraten.

20. Carrara: Christdemokratische Räume verwüstet und in Brand gesetzt.

30. Florenz: Christdemokratische Räume verbrannt. Weitere Angriffe auf eine Sparkasse und Carabinieri-Kasernen.

November

10. Ort unbekannt: Unità Combattente Comuniste dringen in die Wohnung des PSDI-Abgeordneten ein, fesseln ihn, durchsuchen das Haus und nehmen das gefundene Geld mit.

Dezember

1. Mailand: Eine Zelle der Roten Brigaden bricht in die Büros der Democrazia Nuova ein. Die Anwesenden werden gefesselt und eine Million Lire enteignet.

14. Vicenza: In das Hauptquartier des Centro Cristiano Lavoratori (Zentrum für christliche Arbeiter) wird eingebrochen und Dokumente werden entwendet. Lotta armata per il comunismo.

15. Taranto: Das Hauptquartier der PLI wird verwüstet. In Neapel wird ein Gebäude der Christdemokraten angezündet. In Rom wird das MSI-Hauptquartier durch eine Explosion beschädigt, und die Räumlichkeiten von Comunione e Liberazione werden angegriffen.

1977

Januar

10. Rom: Der EUR-Kongresspalast wird zum Ziel von Explosionen, die in der Eingangshalle hochgehen und die Durchführung einer MSI-Sitzung verhindern. Für die Aktion machen sich die „neuen Partisanen“ verantwortlich.

24. Turin: Drei Autos der Christdemokraten werden angezündet.

Februar

6. Rom: Die Gruppo Guerriglieri Maria Cagol verübt eine Reihe von Anschlägen, darunter die Zerstörung eines Autos, das einem berüchtigten Faschisten gehört.

10. Bologna: Sieben Molotows werden gegen das Lokal von Comunione e Liberazione geworfen, weitere gegen ein christdemokratisches Lokal. Später am Tag werden ein christdemokratischer und ein faschistischer Treffpunkt in Brand gesetzt.

13. Bari: MSI– und christdemokratische Lokale werden angezündet, ebenso das Auto eines faschistischen Gemeinderatsmitglieds.

22. Neapel: Faschistischer Treffpunkt Contro Corrente wird nach einem Gewerkschafts- Syndikatstreffen in Brand gesetzt.

24. Bologna: Zwei Autos von christdemokratischen Stadträten werden angezündet.

März

3. Florenz: Reparti Comunisti di Combattimento machen sich für drei Aktionen gegen örtliche Christdemokraten verantwortlich, alles Bombenanschläge auf Räumlichkeiten.

7. Rom: Im Privatbüro von Innenminister Cossiga explodiert ein Sprengsatz. Lotta Armata per il Comunismo macht sich für die Aktion verantwortlich.

19. Genua: Eine Zelle der Roten Brigaden verbrennt vier Autos: zwei von Industriellen und zwei von christdemokratischen Stadträten.

20. Turin: Zehn Pistolenschüsse werden von einem Kommando auf einen christdemokratischen Stadtrat abgefeuert, aber die Schüsse verfehlen ihr Ziel.

21. Spoleto: MSI-Räume werden durch ein mit Molotows verursachtes Feuer zerstört.

28. Mailand: Das Auto eines Regionalrats wird angezündet – eine Aktion, für die sich die Roten Brigaden verantwortlich machen.

Mai

1. Verona: Molotows werden gegen christdemokratische Räumlichkeiten geworfen.

4. San Benedetto del Trento: Eine Zelle der Roten Brigaden übernimmt die Verantwortung, das Auto eines Regionalabgeordneten angezündet zu haben.

27. Mailand: Drei Autos von Comunione e Liberazione-Mitgliedern werden von „einer Gruppe von Gefährten“ verbrannt.

Juni

20. Cagliari: Eine Gruppe von Gefährten der „Autonomen“ verprügelt einige KP-Reaktionäre vor der Universität.

30. Rom: Die Häuser von zwei Faschisten sind das Ziel von Mollis, die in der Nacht geworfen werden. Auch das Auto des Finanzministers geht in Flammen auf. Ein Flugblatt, das die Verantwortung für diese Aktionen übernimmt, ist von „jungen Proletariern“ unterzeichnet.

Juli

11. Genua: Eine der wichtigsten Figuren der örtlichen Christdemokraten wird von den Roten Brigaden in die Arme und Beine geschossen.

11. Rom: Marlo Perlini von Comunione e Liberazione erhält von den Roten Brigaden drei Pistolenschüsse in die Beine.

13. Turin: Ein christdemokratisches Ratsmitglied wird von den Roten Brigaden in die Beine geschossen.

Oktober

5. Nuoro: In der Nacht wird in das Rathaus eingebrochen und ein Esel, der aus einem benachbarten Hof gestohlen wurde, an den Schreibtisch des Bürgermeisters gebunden.

13. Rom: Eine Gruppe von Gefährten bricht in ein Lokal der christdemokratischen Partei ein und entwendet Akten und andere Papiere.

23. Mailand: Ein christdemokratischer Stadtrat wird von den Roten Brigaden zum Krüppel gemacht. Die Verantwortung für die Aktion wird im Namen der RAF-Gefährten übernommen.

24. Triest: Angriffe auf christdemokratische Räume und auf die Wohnung eines faschistischen Ratsmitglieds, für die Aktion macht sich die Ronda Proletaria verantwortlich.

25. Turin: Ein weiterer christdemokratischer Würdenträger wird von den Roten Brigaden zum Krüppel gemacht.

26. Massa: Das Auto eines christdemokratischen Funktionärs wird verbrannt.

26. Rom: Autos von verschiedenen Christdemokraten in der Stadt verbrannt.

27. Genua: Weitere fünf Autos von Christdemokraten werden verbrannt.

November

2. Rom: Ein christdemokratischer Direktor und Befürworter der „eisernen Faust“ gegen den „Terrorismus“ wird durch dreizehn Schüsse der Roten Brigaden getötet

12. Aquila: Die Unità Comunista schließt einen Treffpunkt der Christdemokraten durch Brand.

14. Rom: Molotow-Anschlag auf eine faschistische Treffpunkt im Appio-Viertel.

Dezember

6. Bergamo: Squadre Operaie Armate bekennen sich zu Anschlägen auf die Euroschool und ein christdemokratisches Lokal.

12. Rom: Eine Bombe verwüstet einen Treffpunkt von Faschisten der Democrazia Nazionale.

12. Trient: Bombenanschlag gegen Tecnofin, Treffpunkt für Mitglieder der Christdemokraten und der Kommunistischen Partei. Für die Aktion macht sich Prima Linea verantwortlich.

17. Reggio Emilia: Bombenanschlag auf Räumlichkeiten der Christdemokraten. Die Polizei verhaftet ein Mitglied des Gymnasio Nihilista.

20. Rom: Nuclei Armate Territoriale zerstören das leistungsstarke Motorrad eines Mitglieds der KP-Schlägertrupps.

21. Rom: Die Autos von drei Mitgliedern der Christdemokraten gehen in Flammen auf, die Verantwortung wird von den Roten Brigaden per Telefonat übernommen.

25. Como: Eine Bombe explodiert in der Nacht vor MSI-Räumlichkeiten.

31. Bozen: Provinzhauptquartiere der Christdemokraten werden in Brand gesetzt.

1978

Januar

1. Trient: Ronde Proletarie machen sich für den Bombenanschlag auf den Provinzverband der Kommunistischen Partei verantwortlich.

1. Lamezia Terme: Das Auto eines MSI-Provinzrats geht in Flammen auf. Mittels eines Flugblatts übernehmen die Roten Brigaden mit einer Unterschrift die Verantwortung für die Aktion.

3. Padova: Organizzazione Operaia per il Comunismo greifen sieben Lokale der Christdemokraten an, um gegen die Verurteilung von zwei Gefährten durch Gerichte in Padova zu protestieren.

5. Cagliari: Ein Molotow wird gegen ein christdemokratisches Lokal geworfen.

7. Rom: Viele Gefährten werden von Faschisten angegriffen und verwundet, die wie immer von der Polizei geschützt werden. An diesem Abend bringt eine Gruppe von Gefährten zwei faschistische Schläger zur Rechenschaft, die mit Waffen in der Hand ihren Treffpunkt verlassen wollten, um neue Angriffe zu starten. Ein dritter Faschist wird von Carabinieri im Kreuzfeuer vor demselben Treffpunkt getötet. Die Verantwortung für die Hinrichtung der beiden Faschisten wird von Nuclei Armati per il Contropotere Territoriale übernommen.

8. Bari: Versuche, zwei MSI-Räumlichkeiten anzuzünden.

10. Luras: Das Auto des christdemokratischen Bürgermeisters explodiert.

10. Trieste: Zwei Molotows fliegen gegen das Hauptquartier der Christdemokraten in der Provinz und zünden. Ein Gefährte wird verhaftet, aber andere schaffen es, ihn zu befreien.

12. Cagliari: Explosion vor dem christdemokratischen Hauptquartier – Ronda Proletaria.

12. Potenza: Das Hauptquartier des christdemokratischen Provinzkomitees wird geplündert und in Brand gesteckt.

12. Neapel: Eine selbstgebastelte Bombe explodiert vor dem MSI-Gebäude.

18. Genua: Eine Zelle der Roten Brigaden verwundet das Mitglied des KP-Provinzkomitees und Direktor einer Wirtschaftsschule, Professor Filippo Peschiera, an den Beinen.

28. Rom: Nuclei Combattenti Territoriali verbrennen das Auto eines KP-Anwalts, der für seine Arbeit am Dossier der Partei gegen politische Gewalt bekannt ist.

30. Neapel: Bombenanschläge auf drei Lokale der Christdemokraten.

Februar

12. Enna: Drei Molotows gehen am Tag nach dem Besuch von Almirante gegen das MSI-Gebäude hoch.

16. Portici: Das Auto des christdemokratischen Polizeichefs wird durch Molotows zerstört.

24. Rom: Räumlichkeiten der Christdemokraten werden niedergebrannt.

26. Brescia: Rivoluzionari Anti-Imperialisti Comunisti greifen das Gebäude an, in dem sich die Büros eines christdemokratischen Senators und des Provinzsekretärs der gleichen Partei befinden.

26. Ostia: Das Auto eines bekannten lokalen Faschisten geht in der Nacht in Flammen auf.

28. Bologna: In der Nacht werden fünf christdemokratische Bezirksbüros und eine Buchhandlung von Comunione e Liberazione angezündet.

März

3. Cerignola: Explosion in einer Villa, die von einem lokalen christdemokratischen Parteifunktionär gebaut wird.

5. Rom: Das Auto eines Magistrats und Präsidenten des Technischen Instituts wird angezündet.

5. Ribera: Bombenanschlag auf ein MSI-Gebäude.

6. Cinciello: Organizzazione Proletaria per il Comunismo greift den Sprecher von Comunione e Liberazione an.

7. Arluno: Haus und Auto eines Kinderarztes, einer der Protagonisten der berüchtigten Anti-Abtreibungsbewegung, werden angezündet.

8. Cavarzere: Brandanschlag gegen das Hauptquartier der Christdemokraten.

10. Rom: Zwei Bomben in der Nacht – die erste in der Sporthalle der Italienischen Vereinigung, die andere in einem Parteibüro der Christdemokraten.

10. Rom: Nucleo Comunista Armato – Francesco Lo Russo sprengt zwei christdemokratische Lokale und zwei Carabinieri-Kasernen in die Luft.

10. Ravenna: Gescheiterter Bombenanschlag auf ein Parteibüro der Christdemokraten.

10. Messina: Ein Molotow wird gegen ein christdemokratisches Lokal geworfen.

14. Mailand: Brandanschlag auf das Kulturzentrum Don Minzoni.

14. San Benedetto del Trento: Eine Bar, die einem christdemokratischen Ratsmitglied gehört, wird in Brand gesetzt.

16. Rom: Um 9.30 Uhr greift eine Kolonne der Roten Brigaden in der Via Fani die Autoeskorte des christdemokratischen Parteichefs Aldo Moro an. Sie eliminieren fünf Polizisten und entführen den christdemokratischen Parteichef. Am selben Morgen bildet das Parlament die erste Regierung mit Stimmen der Kommunistischen Partei.

April

7. Rom: In der Nacht finden TNT-Explosionen vor zwei christdemokratischen Lokalen statt.

7. Turin: Autos von zwei christdemokratischen Politikern werden angezündet – eine Aktion, zu der sich die Roten Brigaden bekennen.

14. Venedig: TNT gegen zwei christdemokratische Parteibüros und Pistolenschüsse gegen die Wohnung eines christdemokratischen Provinzratsmitglied, zu der Aktion bekennen sich die Proletari Comunisti Organizzati.

15. Genua: Rote Brigaden bekennen sich zum Brand von drei Autos, die christdemokratischen Mitgliedern gehören.

22. Orani: Das Auto eines christdemokratischen Ratsmitglieds wird in die Luft gesprengt.

25. Rom: Ein führender christdemokratischer Stadtrat, der in Mafia-Affären verwickelt ist, wird von den Roten Brigaden in die Beine geschossen.

25. Cormano: Parteiräume der Christdemokraten werden durch eine Explosion fast vollständig zerstört.

29. Cagliari: Bombenanschlag in der Nacht auf christdemokratische Räume.

Mai

1. Ostia: Autos von zwei lokalen Faschisten werden verbrannt.

1. Sassari: Bombenanschlag auf die Provinzzentrale der Liberalen Partei Italiens.

4. Rom: Formazioni Proletarie Armate plündern ein von Christdemokraten geführtes „Zentrum für soziale Förderung“.

9. Rom: Um 13.30 Uhr wird wenige Meter von den Büros der Christdemokraten und der Kommunistischen Partei in der Via Caetani die Leiche von Aldo Moro im Kofferraum eines Renault gefunden, nachdem dies über ein Telefon mitgeteilt wurde. Auf ihn war elf Mal geschossen worden. Die Gewerkschaften/Syndikate rufen einen weiteren Generalstreik aus. Die Familie lehnt ein Staatsbegräbnis ab.

10. Santa Sofia: Nach einem Bombenanschlag auf ein Büro der Christdemokraten wird ein Gefährte verhaftet.

10. Trapani: Die Wohnung des christdemokratischen Parteivorsitzenden für öffentliche Arbeiten wird angezündet.

12. Mailand: Die Rote Brigaden – Walter Alasia Kolonne machen einen christdemokratischen Direktor zum Krüppel.

12. Pisa: Eine Brandbombe explodiert unter dem Auto des christdemokratischen Provinzsekretärs.

13. Ravenna: Räumlichkeiten der Christdemokraten und ein katholischer Radiosender werden durch Feuer zerstört.

21. Asti: Formazioni Combattenti Comuniste – Prima Linea übernehmen die Verantwortung für einen Bombenanschlag gegen die Provinzzentrale der Christdemokraten.

21. Ostia: Bombenanschlag auf das örtliche Parteibüro der MSI.

27. Rom: Explosion in einem Zentrum der Christdemokraten, die Verantwortung übernimmt die Formazioni Armate Proletarie.

Juni

2. Rom: Bombenanschlag auf drei christdemokratische Parteibüros.

3. Venedig: Proletari Comunisti Organizzati übernehmen die Verantwortung für die Sprengung der Wohnungen von drei Faschisten, Mitgliedern der Fronte della Gioventu.

8. Turin: Squadre Proletarie di Combattimento verwunden den Arzt Giacomo Ferrero mit Pistolenschüssen. Er ist ein bekannter Faschist, der in der Vergangenheit wegen Wucherei verurteilt worden ist.

16. Palermo: Bombe gegen das ACLI-Hauptquartier.

16. Bologna: Cellule Comuniste Combattenti zünden zwei Autos von Christdemokraten an.

18. Rozzano: Gescheiterter Brandanschlag auf ein Gebäude der Christdemokraten.

19. Aosta: Ein Kern für direkte Angriffe der Azione Rivoluzionaria zündet eine Bombe in den regionalen Büros der Christdemokraten.

25. Tempio Pausania: Anschlag mit Dynamit gegen das Haus des christdemokratischen Bürgermeisters von Aglientu.

25. Triest: Bombenanschlag auf das Haus des christdemokratischen Vizepräsidenten der Regionaljunta. Nuclei Comunisti per Contropotere übernimmt die Verantwortung.

29. Mailand: Das Kino Fontana wird niedergebrannt. Es diente als Versammlungsort für Comunione e Liberazione.

Juli

1. Venedig: Ein Brandanschlag verwüstet das Hauptquartier von Acli di Mirano, einer Organisation, die sich für den Abbau von Arbeitsplätzen in Krankenhäusern einsetzt.

15. Turin: Das Rechenzentrum der Region Piemont wird von Prima Linea in Brand gesetzt, die Computer werden zerstört.

15. Padua: Ronde Armate Proletarie zerstören das Auto des Universitätsdozenten Pietro Dlogu.

15. Treviso: Ronde Armate Proletarie brennen die Tür des Hauses eines Universitätsprofessors nieder.

19. Rom: Auto eines christdemokratischen Ratsmitglieds wird verbrannt.

28. Rom: Anschlag mit Dynamit auf Parteiräume der Christdemokraten.

September

26. Rom: Anschlag auf zwei berüchtigte faschistische Treffpunkte mit Bomben: das Restaurant Il Fungo und das Hotel Satellite in Ostia.

Oktober

7. Trient: Brandanschlag auf das Büro eines christdemokratischen Abgeordneten und Vizepräsidenten einer Parlamentskommission.

12. Rom: Auf drei MSI-Parteiräume werden Bombenanschläge verübt, ebenso auf das Geschäft eines bekannten Faschisten.

14. Lucca: Lotta Armata per il Comunismo übernimmt die Verantwortung für den Anschlag mit Dynamit auf die Villa eines christdemokratischen Abgeordneten.

14. Marano Vicentino: Molotows fliegen gegen die örtliche christdemokratische Zentrale.

20. Padova: Ein Stadtrat der Sozialistischen Partei und Universitätsdirektor wird durch Schüsse von zwei Gefährten der Fronte Combattente Comunista verwundet.

26. Bologna: Nuclei Sconvolti per la Sovversione Urbana zünden zwei Bomben beim Haus des Bürgermeisters Zangheri.

27. Neapel: Eine Gruppe „organisierter Arbeitsloser“ besetzt das Parteibüro der Kommunistischen Partei aus Protest gegen die Politik der linken Junta.

COMUNIONE E LIBERAZIONE ist eine katholisch-faschistische Organisation, die sich vorwiegend aus Studenten und jungen Katholiken zusammensetzt. Obwohl sie keine Partei ist, ist ihre Organisationsform die des straff zentralisierten stalinistischen Typs.

DEMOCRAZIA CRISTIANA (Christdemokraten) ist eine katholisch inspirierte Zentrumspartei. Sie hat bei den letzten Wahlen ihren Platz als größte Partei in Italien bestätigt.

PARTITO COMUNISTA (Kommunistische Partei) ist die größte kommunistische Partei in Westeuropa. Im März 1978 unterstützte sie mit ihren Stimmen im Parlament die Christdemokraten in der Regierung, heute hat die Kommunistische Partei mit ihrer Repressionspolitik die Christdemokraten längst überholt. Diese Partei ist ein wichtiges Instrument für den Übergang des italienischen Kapitalismus zu einem sozialdemokratischen Modell. Allerdings hat sie bei den letzten Wahlen erhebliche Stimmenverluste hinnehmen müssen.

MSI – MOVIMENTO SOCIALE ITALIANO Rechtsgerichtete Partei, die weiterhin an die faschistische Tradition festhält.

PLI – PARTITO LIBERALE ITALIANO Italienische Liberale Partei, gemäßigte Rechtspartei.

ACLI – ASSOCIAZIONE CATTOLICA LAVORATORE ITALIANE Katholische Arbeitervereinigung.

PSDI – PARTITO SOCIALISTA DEMOCRATICA ITALIANO Gemäßigte Linkspartei, eine Abspaltung von der Sozialistischen Partei.

CGIL: CONFEDERAZIONE GENERALE ITALIANA DEL LAVORO (Allgemeine Italienische Konföderation der Arbeit), linke Gewerkschaft/Syndikat, dominiert von der Kommunistischen Partei, mit einer sozialistischen Minderheit.

CISL: CONFEDERAZIONE ITALIANA SINDACATI LAVORATORI (Italienische Konföderation der Arbeitersyndikate, -gewerkschaften), von den Christdemokraten dominiert.

UIL: UNIONE ITALIANA LAVORATORI (Italienische Arbeiterverenigung), kleinster der drei größten Gewerkschaften/Syndikate, dominiert von den Sozialisten.

CISNAL: Vierte Konföderation nach der CGIL, CISL und UIL. Hat eine öffentlich betonte Affinität zur neofaschistischen nationalen Partei, der MSI.

GEWERKSCHAFTEN/SYNDIKATE

1976

März

17. Turin: Bei FIAT werden die Sabotageakte der Arbeiter in der Lackierabteilung (siehe Nr. 1) von den Gewerkschafts-, Syndikatsbürokraten als das Werk von „Provokateuren“ abgetan. Der Gebietssekretär der CGIL muss sich 10.000 Arbeitern stellen, die ihm Beleidigungen zuschreien und zu direkten Aktionen aufrufen.

April

26. Cassino: Die FIAT-Arbeiter weigern sich, bis 1978 zu warten, um eine halbe Stunde Mittagspause zu haben, und nehmen sich diese direkt. Sie verkürzen den Arbeitstag selbst um eine halbe Stunde und „wenn der Busfahrer sich weigert zu fahren, werden wir seinen Platz einnehmen, wenn niemand in der Lage ist, den Bus zu fahren, werden wir ihn auseinandernehmen“.

28. Genua: Rote Brigaden brechen in die Büros von Intersind (Syndikalistische-Gewerkschaftskonföderation) ein, ketten die Mitarbeiter an und nehmen Akten mit.

Mai

3. Turin: Zorn gegen den Vertrag der Gewerkschaften/Syndikate. Arbeiter in der FIAT-Lackiererei Rivalta und Mirafiori verlassen die Arbeit eine halbe Stunde früher.

5. Turin: Der Gewerkschafts-, Syndikatsbürokrat, der gekommen ist, um über den bei Mirafiori und Trentin erzielten Vertrag zu sprechen, wird mit Orangen und Bolzen angegriffen. Nur 500-600 von 20.000 Arbeitern erscheinen zu der Versammlung.

Juni

4. Cassino: Nach der Verwundung eines FIAT-Managers wurde ein nicht unterschriebenes Flugblatt gefunden: „Mit der heutigen Warnung wollen wir diese Persönlichkeiten an einige Tatsachen erinnern, die die Arbeiter alle sorgfältig zur Kenntnis genommen haben: Pettinotti (das Opfer) kontrolliert das Netzwerk der Faschisten der CISNAL, die immer aktiv sind, um die Gefährten auszuspionieren, die in der vordersten Linie des Kampfes stehen…“

November

16. Sassari: Zwei Gefährten werden verhaftet und beschuldigt, Molotows gegen die Büros der CISNAL geworfen zu haben.

1977

Juni

30. Palermo: Intersind-Büros werden von vier Gefährten aufgebrochen. Sie sperren die Angestellten in der Toilette ein und legen eine Bombe, die die Büros zerstört. Für die Aktion machen sich die Unità Combattenti Comunisti verantwortlich.

Dezember

24. Sanremo: Während einer Anti-Weihnachtsdemonstration verwüsten die Gefährten das Hauptquartier der CISNAL und werfen Möbel und Dokumente auf die Straße. 15 Personen werden verhaftet.

17. Oktober: Wilde Streiks in den italienischen Krankenhäusern gegen die Verwaltung der Verträge durch die Gewerkschaften/Syndikate und zur Durchsetzung ihrer eigenen Forderungen. In Neapel, Florenz, Palermo und Mailand kämpfen die Krankenhausarbeiter seit Tagen. Im Polyclinico in Rom wird die Armee eingesetzt, um die Mahlzeiten der Patienten zu servieren.

November

30. Mailand: Eine Gruppe von Arbeitern des Comitato di lotta dell’Unidal (autonome Gruppe in der Kuchenfabrik Motta/Allemagna) platzt in ein Treffen zwischen Gewerkschafts-, Syndikatsanführern und Direktoren hinein, verprügelt einen CGIL-Bürokraten und einen der Fabrikdirektoren. Die Polizei greift ein und die Arbeiter aller Abteilungen treten in den Streik.

FABRIKEN UND DIE INDUSTRIELLE HIERARCHIE

1976

März

11. Turin: Sabotage durch Arbeiter bei FIAT, wo sie die Lackfarben verwechseln und dadurch Schäden und Zeitverluste verursachen. Versuche der Gewerkschafts-, Syndikatsbürokraten, dies als einfachen „Fehler“ abzutun, werden von den Arbeitern öffentlich angeprangert.

26. Bergamo: Drei Personen erschießen den Philco-Bosch-Manager vor der Fabrik und hinterlassen ein Kommuniqué, in dem sie seine Rolle bei der Umstrukturierung der Fabrik anprangern – sowie die Entlassung von Militanten und die Erhöhung der Ausbeutung. Die Verantwortung für die Aktion wird von Lotta Armata per il Comunismo übernommen.

26. Genua: Ein Lager des Supermarktes Standa wird nach telefonischer Warnung durch Feuer zerstört.

26. Rivalat: FIAT-Arbeiter blockieren Tore und verweigern den Zutritt für Waren und Manager. Drei Autos der Vorarbeiter brennen in der Nacht.

27. Turin: Sabotage in der Polsterei bei FIAT Mirafiori. Material, das für die Fließbänder bereitsteht, ist verbrannt.

April

2. Crescenzago: Dem obersten Wachmann von Magneti Marelli wird in die Beine geschossen, weil er Arbeiter bespitzelt und denunziert hat. Ein Kommuniqué wird von einem bewaffneten kommunistischen Kommando hinterlassen.

3. Turin: Eine Werkstatt bei FIAT Mirafiori wird durch ein Feuer völlig zerstört. „Ein bewaffneter Kern hat einen Teil des Profits von Agnellis imperialistischem multinationalen Unternehmen zerstört. Das ist erst der Anfang“, heißt es in einem telefonischen Kommuniqué an die Nachrichtenagentur ANSA.

8. Mailand: Ein Gebäude der Kuchenfabrik Motta wird durch Feuer zerstört.

10. Turin: Zwei Standa-Lagerhäuser und ein großes Lager für Klamotten brennen.

11. Turin: FIAT Mirafiori – ein Auto wird im Tunnel, wo diese geschmiert werden, in Brand gesetzt, wodurch andere Autos und der Tunnel selbst beschädigt werden.

13. Turin: Acht Schüsse auf einen FIAT-Vorarbeiter werden von Roten Brigaden abgegeben, die auch die Autos von zwei anderen zerstören.

14. Rivalta: Feuer im FIAT-Reifendepot. Die Aktion wird von den Roten Brigaden kritisiert, die eine Erklärung herausgeben, dass sie gegen die Zerstörung von Waren sind.

14. Florenz: Zwei Texaco-Büros brennen – die Verantwortung für die Aktion übernehmen die Formazione Comuniste Armate.

16. Porto Marghera: Rote Brigaden übernehmen die Verantwortung für die Zerstörung des Autos eines Montedison-Technikers.

16. Rom: Ein Standa-Depot wird angezündet, für die Aktion übernimmt die Squadra d’Azione Cagol die Verantwortung.

21. Rom: Präsident eines Öltankunternehmens wird von Formazione Comuniste Armate in die Beine geschossen.

21. Brescia: Rote Brigaden stürmen das Hauptquartier des Industrieverbands und nehmen Akten mit.

Mai

7. Turin: Ein FIAT-Warenhaus wird niedergebrannt.

10. Rom: Explosion vor einem deutschen Reisebüro, die Aktion steht mit dem Mord an Ulrike Meinhof in ihrer Gefängniszelle in Verbindung.

Juli

20. Rom: Durch eine Explosion zerstörte Büros einer syrischen Fluggesellschaft: Die Aktion steht in Verbindung zu den Massakern, die von dieser Regierung im Libanon verübt wurden.

September

11. Rom: Bombenanschlag auf brasilianische Fluggesellschaft. Molotows werden auf die amerikanischen Honeywell-Büros und ein israelisches Reisebüro geworfen.

11. Turin: Zwei Filialen der Banca Commerciale werden von Combattenti Armati per il Comunismo aus Protest gegen deren Verwicklung in das Pinochet-Regime angegriffen.

22. Rom: Zwei Explosionen: eine beschädigt das Geschäft eines Iraners mit CIA-Verbindungen, die andere richtet sich gegen den amerikanischen Industriekonzern Westinghouse.

26. Rom: Zionistische und amerikanische Ziele werden vor und nach einer Demonstration in Solidarität mit dem palästinensischen Widerstand im Libanon getroffen. Eine Explosion zerstört das Warendepot des israelischen Ex-Botschafters in Italien; Molotows gegen American Joint; zwei Filialen der Banks of America werden mit Molotows angegriffen und ein Warendepot der ITT-Tochterfirma Avis wird in die Luft gejagt.

Oktober

1. Mailand: Eine große Gruppe von Gefährten dringt in das südafrikanische Konsulat ein und verwüstet es.

6. Turin: Einbruch in Italian International Computers durch drei bewaffnete Männer und eine Frau. Sie setzen die Büros in Brand, nachdem sie die Mitarbeiter dazu gebracht haben, das Gebäude zu verlassen.

15. Mailand: Arbeiter der Motta-Kuchenfabrik, denen 2.800 Entlassungen bevorstehen, jagen den für die Umstrukturierung verantwortlichen Direktor aus der Fabrik.

20. Mailand: Upim-Laden wird geplündert; das pharmazeutische Institut De Angeli wird angegriffen und viele Maschinen zerstört.

22. Turin: Vier Aufseher bei FIAT finden ihre Autos verbrannt auf der Straße.

25. Genua: Rote Brigaden übernehmen die Verantwortung für das Anzünden von Autos der Direktoren von Asgen, Intersider und Ansaldo.

27. Avellino: Zwei bewaffnete Zellen greifen die Zentrale der Unione Industriale Irpini an und zerstören sie.

November

8. Neapel: Das Auto des Vorarbeiters von Italsider wird verbrannt.

12. Mailand: Überfall auf den Firmensitz der Assofarma (Pharmazeutischer Industrieverband) durch die Unità Comuniste Combattente, die den Karteien-Index, Geld und die Brieftasche des Direktors mitnimmt.

16. Sesto San Giovanni: Eine Zelle der Roten Brigaden bricht in den Parkplatz der Direktoren ein, zerstört zwei Autos und beschädigt 15 weitere.

30. Turin: Ein Prima Linea – Kommando bricht in die Büros der Direktoren der FIAT-Gruppe in Turin ein. Geheime Akten und Index von Karteien werden mitgenommen.

Dezember

3. Monzesi: Bei der Eröffnung des Sitzes der Industrievereinigung bricht ein Prima Linea – Kommando ein und legt ein Feuer, das drei Büros zerstört.

15. Florenz: Sechs Hausvermietungsbüros werden durch Explosionen getroffen, zu denen sich die Reparti Comunisti di Combattimento bekennen.

19. Mailand: Formazione Combattente brechen in Montedison-Büros ein, setzen Mitarbeiter außer Gefecht und beschädigen elektronische Geräte.

22. Rom: Elf zentrale Telefonleitungen in Wohngebieten brennen im Zusammenhang mit den jüngsten Gebührenerhöhungen.

1977

Januar

20. Genua: Zwei Autos von örtlichen Industriellen werden durch Feuer zerstört, die Verantwortung für die Aktionen wird von den Roten Brigaden übernommen.

29. Mailand: Einbruch in eine Firma für Elektrohaushaltsgeräte und Verwüstung durch Molotowcocktails. Die Verantwortung für die Aktion wird von einer „Gruppe junger Proletarier“, die gegen die Ausbeutung der jungen Arbeiterschaft für billige Arbeitskräfte protestiert, übernommen.

Februar

1. Turin: Der im Bau befindliche Hauptsitz von Face Standard (ITT-Tochterfirma) wird durch Sprengstoff beschädigt.

4. Turin: Ein Kommando der Prima Linea stürmt die Büros des Verbandes der Leichtindustrie und zündet sie anschließend an.

4. Mailand: Eine „bewaffnete Gruppe von Arbeitern“ bricht in die Büroräume von Pubblilabor (Arbeitsagentur) ein, setzt die Mitarbeiter fest und nimmt Akten und Geld mit.

8. Turin: Autos der Direktoren von Aeritalia (Fluggesellschaft) werden durch Feuer zerstört.

10. Rom: Electrolux und Standa-Lager geplündert.

Februar

18. Turin: Zwei FIAT-Manager werden von einem Kommando der Roten Brigaden in die Beine geschossen.

März

2. Turin: Dutzende Millionen Lire Schaden durch Feuer in der Mirafiori FIAT.

10. Reggio Calabria: Das Kommando der Unità Combattenti Comuniste bricht in die Zentrale des Industrieverbands von Reggio ein und entwendet Dokumente.

11. Bologna: Zelle der Roten Brigaden bricht in das Büro der Agentur Gabetti (Baufirma) ein und entwendet Akten und Dokumente.

18. Mailand: Einbruch in die Marelli-Zentrale durch elf Gefährten, die sich von einem Demonstrationszug abgesetzt haben. Sie nehmen den Anwesenden die Brieftaschen ab und setzen das Gebäude in Brand.

24. Piedimonte S. Gennaro: Stromgenerator für FIAT-Versorgung durch Bombe zerstört.

29. Rom: Generaldirektor des Poligrafico di Stato (Staatsdruckerei, druckt Banknoten) in die Beine geschossen.

April

15. Reggio Calabria: Ein Kommando bricht in eine Flüssigchemiefabrik ein, setzt Wachen außer Gefecht, beschädigt einen Computer und die Abteilung, die Bioproteine herstellt. Flugblatt der Unità Comuniste Combattente wird hinterlassen.

19. Genua: Eine Zelle der Roten Brigaden verbrennt vier Autos, die Industriellen und christdemokratischen Politikern gehören.

21. Mailand: Zerstörung eines Computers durch eine Zelle der Gruppo Combattente Comuniste in der Universität Bocconi. Die Universität ist eines der fortschrittlichsten Zentren in der Vorbereitung von Techniken/Maßnahmen gegen Arbeiter.

22. Turin: FIAT-Vorarbeiter wird von einem Kommando der Roten Brigaden in die Beine geschossen.

30. Turin: Um 2 Uhr explodiert eine Bombe in der Bekleidungsfabrik Facis, um 5 Uhr explodiert eine weitere vor Michelin, dann vor den Arbeitsämtern und der Telefonzentrale, und schließlich wird ein Brandsatz gegen die Heizungsanlage einer Fabrik geworfen, die berüchtigt ist für die Ausbeutung von Frauen und Kindern bei der Produktion von Kugelschreibern.

30. Padua: Die Fernsehgesellschaft RTR und Pinton Industrial Electror werden von Molotows getroffen und Autos in Brand gesetzt.

30. Genua: Die Entführer des Präsidenten von FIAT-France fordern 25 Milliarden Lire und die Freilassung politischer Gefangener.

Mai

16. Palermo: Dynamitanschlag auf die Büros der SIP (Telefongesellschaft).

18. Bologna: Der Vizepräsident des Industrieverbands findet sein Auto niedergebrannt vor.

18. Alcamo: Bei einem FIAT-Autohaus werden zwei Transporter und eine Reihe von Autos beschädigt.

18. Syrakus: Das Auto eines lokalen Industriellen wird verbrannt.

18. Palermo: Die Villa eines Bauunternehmers wird durch Dynamit teilweise zerstört.

18. Mailand: Einbruch in den Firmensitz der ISEO (Gesellschaft für Managerausbildung) durch ein Kommando der Prima Linea.

19. Turin: Explosion im Firmensitz der Pia S. Paolo (Vatikan-Verlag).

19. Florenz: Ein Kern von vier Gefährten verwüstet die Büros der Unternehmensberatung Cicasc.

26. Florenz: Eine „proletarische kämpfende Zelle“ bricht in einen Elektrowarenladen ein und beschädigt ihn.

Juni

8. Mailand: BMW-Autohaus wird mit Molotows angegriffen, die Gruppe Ulrike Meinhof übernimmt die Verantwortung.

9. Mailand: Ein Vorarbeiter der Rüstungsfabrik Breda wird vom Kommando der Roten Brigaden „Walter Alasia“ in die Beine geschossen.

10. Rom: Drei Männer und eine Frau zerstören den Computer der Fakultätskoordinierungsstelle der städtischen Universität vollständig.

13. Mailand: Ein Kommando der Prima Linea bricht in den Verband der Industrieverwaltung ein und entwendet dort Dokumente.

17. Genua: Ein Transporter der IMPA (eine Fabrik, die Verpackungsmaterial herstellt und gerade die Hälfte ihrer Mitarbeiter entlassen hat) wird durch ein Feuer zerstört.

19. Mailand: Eine Zelle der Prima Linea bekennt sich zu Anschlägen gegen die multinationalen Unternehmen SIT Siemens und Magneti Marelli.

20. Prato: Etwa zwanzig zerstörte und ebenso viele beschädigte Autos durch Prima Linea.

21. Rom: Ein Kommando von drei Frauen erschießt den Präsidenten der Fakultät für Betriebswirtschaft. Die Roten Brigaden übernehmen die Verantwortung.

22. Pistoia: Ein Breda-Manager wird von Prima Linea in die Beine geschossen.

27. Pomilliano: „Kämpfende Arbeiter für den Kommunismus“ schießen einem Vorarbeiter von Alfa Romeo in die Beine.

28. Genua: Die Roten Brigaden feuern vier Schüsse in die Beine eines Ansaldo-Ingenieurs.

30. Turin: Ein FIAT-Manager wird in die Beine und in die Brust geschossen – eine Aktion, für die die Roten Brigaden die Verantwortung übernehmen.

30. Mailand: Ein Manager von OM (Transporteure) wird von den Roten Brigaden in die Beine geschossen.

30. Pordenone: Drei Eisenbahnwaggons mit Zanussi-Haushaltsgeräten werden gesprengt. Die Verantwortung für diese Aktion übernimmt Prima Linea. Die Gewerkschaften/Syndikate rufen einen Streik aus Solidarität mit den Bossen auf.

30. Bologna: Eine nicht explodierte Bombe wird am Eingang zu den Büros des Industrieverbands gefunden.

Juli

29. Mailand: Die Büros der Swissair werden durch eine Explosion schwer beschädigt. Es wird ein von Prima Linea unterzeichnetes Flugblatt hinterlassen, in dem die Gastfreundschaft dieses Landes gegenüber den multinationalen Konzernen der Ausbeutung und des Todes sowie die Inhaftierung der Gefährtin Petra Krause angeprangert werden.

August

2. Turin: Die Farbstofffabrik Ipca, berüchtigt für die Anzahl ihrer Arbeiter, die an Blasenkrebs gestorben sind, wird durch zwei Bomben beschädigt, die Verantwortung übernimmt die „Bewaffneter Kern für revolutionäre Aktion“.

6. Mailand: Die Büros der ANIC werden von einer Explosion getroffen, zu der sich „revolutionäre proletarische Banden“ bekennen, nachdem zwei Arbeiter dort gestorben sind.

28. Neapel: Drei Bomben explodieren vor der Firma Roche Pharmaceuticals. Für die Aktion übernehmen die Unità Comunista Territoriale die Verantwortung.

September

14. Novara: Ein 41-jähriger Arbeiter sticht seinem Chef in den Rücken und verschwindet.

19. Taranto: Über 80 Milliarden Lire Schaden an einem Italsider-Ofen wird von Arbeitern verursacht.

19. Mailand: In einer Propagandaaktion gegen die steigenden Lebenshaltungskosten verteilt eine libertäre Gruppe Flugblätter und zerschlägt Fahrkartenautomaten in 77 Bussen. Die Fahrgäste unterstützen die Aktion.

22. Turin: Brand bei FIAT Mirafiori, für den die Arbeiterzelle Tonino Micciche die Verantwortung übernimmt, ein Gefährte von Lotta Continua wurde dort vor einiger Zeit von einem Nachtwächter getötet.

25. Bologna: Am letzten Abend eines massiven „Treffens gegen die Repression“, zu dem sich etwa 50.000 Gefährten aus ganz Italien versammelt haben, beschädigt eine Explosion das Fenster eines Autohauses von Volkswagen. Die Verantwortung für die Aktion wird von der Azione Rivoluzionaria übernommen.

29. Florenz: Super, Galardi und American Agency (alles Immobilienspekulanten) werden überfallen und verbrannt. Die Verantwortung für die Aktion übernimmt Squadre Proletari Combattenti.

Oktober

18. Turin: Prima Linea überfallen den Verband der Industriedirektoren und nehmen Dokumente und Akten mit. Bevor sie gehen, lassen sie zwei Molotows hochgehen.

18. Florenz: Prima Linea bricht in die Büros der Gewerkschaft/Syndikats der Region ein und erbeutet Akten über die Beschäftigten.

20. An mehreren Orten: Aus Protest gegen die Morde in Stammheim und Mogadischu kommt es in vielen Städten zu Bombenanschlägen auf deutsche Autohäuser und TIR-LKWs.

21. Trient: An den Wänden „10, 100, 1.000 Schleyers“; Barrikaden in Mailand gegen die Polizei; Molotowcocktails in Vicenza gegen deutsche Autohändler. Anschläge in verschiedenen anderen Städten.

22. Mailand, Diano Marina, Imperia, Bozen, Cagliari, Sassari, Reggio Emilia, Neapel: das sind einige der Orte, an denen die Aktionen gegen deutsche Autohäuser und andere Einrichtungen weitergehen.

22. Mailand: Molotows gegen den Mercedes des Konsuls und gegen das Konsulat von Ecuador, um auf die Aberdutzenden von Arbeitern aufmerksam zu machen, die von der Armee dieses Landes ermordet wurden. ATM und TWA werden ebenfalls getroffen.

23. Brescia: Ein Polizist wird verwundet, als er versucht, einen Mercedes-Händler vor einem Angriff zu retten. Weitere Aktionen gegen deutsche Interessen gehen in anderen Städten weiter.

24. Palermo: Bei Protestdemonstrationen aufgrund der Morde in Stammheim und Mogadischu werden ein Volkswagen-Autohaus und ein sizilianisches Zementwerk in die Luft gesprengt.

25. An mehreren Orten: Ein weiterer Tag mit Aktionen gegen deutsche Interessen (Unternehmen) in vielen Städten.

26. Rom: Opel-, General Motors– und Siemens-Einrichtungen werden in der Nacht in die Luft gesprengt.

26. Pistoia: Bombenanschlag auf einen BMW-Autohaus.

29. Brescia: Ream und eine Filiale von AEG-Telefunken mit einer Bombe in die Luft gejagt.

30. Turin: „Revolutionäre Gruppe Andreas Baader“ übernimmt die Verantwortung für einen Bombenanschlag auf ein Mercedes-Autohaus.

30. Mailand: Zwei Molotows fliegen gegen ein Mercedes-Autohaus.

November

4. Padua: Die Hausvermietungsagentur Stima wird durch einen Bombenanschlag zerstört.

8. Mailand: Ein Manager in der Montageabteilung von Alfa Romeo wird von den Roten Brigaden zum Krüppel gemacht.

8. Florenz: Bombenanschlag auf das Pharmaunternehmen Hoechst Italia (Tochtergesellschaft eines deutschen Unternehmens).

8. Cagliari: Angriffe auf Volkswagen, Auto Union und Porsche.

10. Turin: Ein Angestellter in einem Büro für Arbeitsstudien wird von den Roten Brigaden zum Krüppel gemacht.

12. Bologna, Cagliari und Turin: Weitere Anschläge gegen deutsche Unternehmen.

14. Genua: Ronda Proletaria übernimmt die Verantwortung für einen Bombenanschlag auf einen Opel-Firmensitz.

16. S. Benedetto del Trento: Lotta Armata per il Comunismo übernimmt die Verantwortung für einen Anschlag auf BMW.

17. Genua: Ein Ansaldo-Manager wird von sieben Kugeln getroffen, die Verantwortung wird von den Roten Brigaden übernommen.

29. Genua: Autos von zwei Direktoren von Italsider werden angezündet, die Verantwortung für die Aktion übernehmen die Roten Brigaden.

Dezember

5. Turin: Eine „bewaffnete kommunistische Zelle“ sprengt die Polsterabteilung von FIAT Mirafiori.

5. Genua: Eine „bewaffnete kommunistische Zelle“ übernimmt die Verantwortung einer Aktion gegen das deutsche Handelszentrum.

6. Bergamo: Squadre Armate Operaie übernehmen die Verantwortung eines Anschlags auf die Euroschool.

12. Mailand: Prima Linea übernimmt die Verantwortung für einen nächtlichen Dynamitanschlag auf die Credito S. Paolo Bank (Bank des Vatikans).

17. Turin: Explosion im Autohaus von Alfa Romeo. Viele Autos werden beschädigt.

1978

Januar

4. Cassino: Der Chef der Privatpolizei bei FIAT wird von Operaie Armate per il Comunismo seiner gerechten Strafe zugeführt: Ein weiterer Polizist von Agnelli wird zur gleichen Zeit verwundet. Die Gewerkschaften/Syndikate rufen den üblichen Streik gegen den Terrorismus aus – 2,35 Prozent gehen hin, d.h. 30 von 1.500 Arbeitern.

9. Taranto: Sabotage bei Italsider. In den Lastwagen, die das Zentrum mit dem Hafen verbinden, werden Spuren von explosivem Material gefunden.

10. Turin: Unità Comuniste Combattenti zündet eine Bombe vor dem Haus des zweiten Verantwortlichen für den Sicherheitsdienst der FIAT-OM. Ein Kommando der Roten Brigaden verwundet einen Vorarbeiter von FIAT-Mirafiori an den Beinen und am Arm.

10. Zingonia: Squadre Operaie Armate zünden das Warenlager von Comet-Haushaltsgeräten „gegen politische Entlassungen und Umstrukturierungen bei Philco Ritalco“ an.

10. Imperia: 12 Molotows werden gegen die luxuriöse Villa eines örtlichen Industriellen geworfen.

13. Rom: Die Roten Brigaden schießen den Gebietsleiter der SIP in die Knie.

24. Mailand: Der Leiter der Gewerkschafts-, Syndikatsbeziehungen des SIT-Siemens wird von den Roten Brigaden verwundet.

24. Lambrate: Der Generaldirektor von Nuova Innocenti richtet eine Waffe auf eine Gruppe von Arbeitern, die in sein Büro einbrechen. Die Männer entwaffnen ihn und erteilen ihm eine Lektion, obwohl Mitglieder des Betriebsrats versuchen, ihn zu schützen.

28. Turin: Die Arbeiter, die die Accarini-Fabrik besetzen und zuvor von der Polizei vertrieben worden waren, gehen zu direkten Aktionen über. In der Nacht ertönen Pistolenschüsse auf das Haus eines Vorarbeiters. Am nächsten Tag wird einer der Vorarbeiter eingekesselt und erst wieder freigelassen, nachdem ihm eine Lektion erteilt worden ist.

30. Turin: Brand in der CEAT (Reifenfabrik), der Millionen Lire Schaden verursacht.

31. Padua: Die Organizzazione Operaia per il Comunismo übernimmt die Verantwortung für zahlreiche Explosionen in der Region gegen Fabriken und Häuser von Industriellen.

31. Mailand: Squadre Armate Operaie schießen dem Besitzer einer Druckerei in die Beine. Er war für die Erschießung eines Gewerkschafters/Syndikalisten 5 Jahre zuvor verantwortlich.

Februar

1. Bologna: Squadre Armate Operaie übernehmen die Verantwortung für einen Angriff auf das Haus eines Kleinindustriellen.

1. Sassari: Millionenschaden an einer FIAT-Tochtergesellschaft durch vier Molotowcocktails.

2. Cosenza: Eine Gruppe von Lotta Armata per il Comunismo bricht in das Computerzentrum der Sparkasse (Cassa di Risparmio) ein und zündet eine Sprengladung, die irreparable Schäden an Maschinen und Bandarchiven verursacht.

16. Mailand: Reparti Operai Combattenti Comunisti verletzen einen Manager von Alfa Romeo an den Beinen. Er war zuständig für die Beschäftigung von Behinderten und Invaliden.

16. Rom: „Staatliche Einrichtungen angreifen heißt den Staat angreifen“ – schreiben Ronde Proletarie in einem Flugblatt, das die Verantwortung für eine Explosion gegen das technische Büro der SIP (Telefon) übernimmt.

19. Turin: Anschlag mit Plastiksprengstoff auf einen FIAT-Vertreter.

21. Turin: Eine Bombe explodiert in der FIAT in Carmagnola.

24. Triest: Eine Gruppe von vier Gefährten überfällt den Sitz des Industrieverbands und ein Immobilienbüro. „Die Häuser denen, die drin wohnen“.

27. Neapel: 10 Molotows werden gegen die Büros der Iran Air geworfen.

März

1. Turin: Ein Stromkabel, das die FIAT Mirafiori versorgt, wird von zwei Sprengladungen getroffen.

1. Mailand: Das elektronische Zentrum von SPED wird von vier Gefährten außer Betrieb gesetzt, die die Maschinen mit Schwefelsäure übergießen.

5. Modena: In den Büros der SPE (Werbeagentur) explodiert eine Bombe.

7. Mailand: Brandbombe gegen die Nuova Innocenti, Nuclei Operai Armati übernimmt die Verantwortung für diese Aktion.

12. Siena: Gruppi Armati per il Comunismo übernehmen die Verantwortung für einen Anschlag auf die Unipol-Versicherung. Organizazzioni Operaie per il Comunismo greifen die Wohnungen des Direktors und einer Führungskraft der Pelzfabrik Eurofur an.

22. Modena, Parma, Reggio Emilia: Verschiedene Bombenanschläge, zu denen sich die Nuclei Armati delle Cellule Combattenti bekennen.

22. Mailand: Brandanschlag auf zwei SIP-Transporter.

22. Turin: Die Nuclei Proletari Comunisti zerstören das Auto des Direktors von Accarini. Das Unternehmen steht im Mittelpunkt eines harten Kampfes gegen Entlassungen.

April

6. Rom: Eine Reihe von Bombenanschlägen auf ein BMW-Autohaus, ein Simca-Autohaus und eine Filiale der Banco di Roma.

7. Genua: Rote Brigaden schießen dem Präsidenten der örtlichen Industrie in die Beine.

11. Siena: Ein Nucleo Armato Comunista verursacht einen Schaden in Höhe von mehreren hundert Millionen Lire, indem er einen UPIM-Supermarkt in Brand setzt.

13. Rom: Neun Molotows werden gegen den Sitz des nationalen Verbandes der Bauunternehmer geworfen.

19. Turin: Brand in der Polsterabteilung von FIAT Mirafiori, der einen Schaden von mehreren Millionen Lire verursacht.

21. Mailand: Prima Linea überfällt die Agentur eines Unternehmensberaters.

22. Padua: Ein Universitätsdozent, der auch Präsident des Verlags Gazzetino und Direktor einer Bank ist, wird von Nucleo Combattenti per il Comunismo in die Beine geschossen.

23. Mailand: Proletari Comunisti per il Contropotere reagieren auf die Einführung der Samstagsarbeit bei Alfa Romeo mit der Sprengung von 5 Autohäusern, es werden zahlreiche Autos beschädigt.

27. Turin: Einer der Manager von FIAT Mirafiori wird von einem Kern der Roten Brigaden zum Krüppel gemacht.

29. Arezzo: In einer Abteilung des Standa-Geschäfts wird ein Feuer gelegt.

29. Rom: Zwei Brandbomben gehen in den Büros der Firma Sarom (Öl-Unternehmen) und in der Kantine des Feder-Konsortiums hoch.

30. An mehreren Orten: Als Antwort auf die Überstunden am Samstag bei Alfa Romeo finden folgende Aktionen statt, Rom: Squadre Armate Operaie sprengen die Fenster (A.d.Ü., wahrscheinlich die Fassade der Gebäude gemeint) von vier Autohäuser in die Luft; Neapel: Unità Comuniste Armate setzen mehrere Autos bei Alfa Romeo in Brand; Turin: Nuclei Operai Comunisti greifen drei Autohäuser an; Padua: Brandschaden in der Ersatzteilabteilung von Alfa Romeo durch Proletari Comunisti Organizzati.

Mai

1. Padova: Gruppo Comunista Organizzato übernimmt die Verantwortung für drei Bombenanschläge in der Provinz, einen auf das Auto eines Industriellen, einen auf ein Warenlager und einen auf die Wohnung eines Faschisten.

3. Padua: Squadre Comuniste per il Contropotere verbrennen das Auto des Präsidenten des ITI Gramsci und eines Funktionärs der Kommunistischen Partei.

3. Florenz: Prima Linea zerstört eine große Anzahl von Computern in der Datenverwaltung.

4. Mailand: Squadre Armate Operaie übernehmen die Verantwortung für eine schwere Explosion, die einen Alfa-Transporter und 35 Autos zerstört. Ein Auto des Managers wird ebenfalls zerstört. Die Roten Brigaden verwunden einen der SIT-Siemens-Manager mit 9 Pistolenschüssen.

4. Genua: Die Roten Brigaden machen einen Personalchef von Italsider zum Krüppel.

6. Varese: Mit Molotows wird das Autohaus von Alfa Romeo in Brand gesetzt.

7. Trient: Ein Hubschrauber, der für die Suche nach Uran eingesetzt wird, wird sabotiert.

8. Mailand: Rote Brigaden zerstören ein Auto der Gewerkschaft/Syndikats und der Kommunistischen Partei bei SIT Siemens.

10. Mailand: Für drei Pistolenschüsse in die Beine eines Montedison-Beamten übernimmt Prima Linea die Verantwortung.

11. Mailand: Ein Direktor der Chemical Bank wird von Prima Linea an den Beinen verwundet.

11. Bologna: Bombenanschlag auf das Autohaus von Alfa Romeo.

12. Segnate: Formazione Comuniste Combattenti und Prima Linea zündet ein Lager für Computerteile des multinationalen Unternehmens Honeywell an – zwei Milliarden Lire Schaden.

13. Mailand: Proletari Comuniste per il Contropotere sprengen ein Stromkabel das Alfa Romeo versorgt.

13. Rho (Lombardei): Bombenanschlag in einem Autohaus von Alfa Romeo.

14. Avellino: Bombenanschlag auf eine Firma, die Ersatzteile für Alfa Romeo liefert.

15. Bologna: Der Leiter der Personalabteilung von Menarini wird an verschiedenen Stellen des Körpers verwundet. Die Verantwortung wird von Prima Linea übernommen.

18. Marghera: Organizzazione Operaia per il Comunismo und Proletari Comunisti Organizzati übernehmen die Verantwortung für den Bombenanschlag auf ein Alfa Romeo Autohaus.

19. Trient: Pistolenschüsse gegen ein Alfa Romeo Autohaus werden abgefeuert.

19. Turin: Anschlag auf ein FIAT-Autohaus.

20. Mailand: Vier Gefährten brechen in ein Autohaus von Alfa Romeo ein, setzen den Wachmann außer Gefecht und lassen eine große Menge an Molotowcocktails hochgehen. Weitere Anschläge auf Alfa-Autohäuser in Rom und Bassano Del Grappa.

22. Florenz: Linea d‘Azione Comuniste brechen in eine Wohnungsvermietungsagentur ein und erbeuten Dokumente.

25. Padua: Ein Molotow wird von einem Motorrad aus gegen eine Regionalbankfiliale geworfen.

30. Mestre: Eine Bombe beschädigt ausgestellte Autos in einem FIAT-Autohaus.

Juni

2. Varese: Das Stromkabel, das Alfa Romeo versorgt, wird gekappt. Die Verantwortung für die Aktion wird von Proletari per il Contropotere übernommen.

3. Rom: Zwei Anschläge in der Nacht: einer zerstört das Auto des Präsidenten von ITI Fremi, der andere beschädigt das Verlagshaus Rizzoli.

10. Bologna: Bombenanschlag in der Nacht auf die Banca del Monte.

13. Carbonia: Ein Molotow wird in einen Standort von ITI Anioy geworfen.

15. Saronno: Das Auto des Direktors von Motori Breda wird von der Squadre Combattenti Comuniste in Brand gesetzt.

22. Pomigliano: Squadre Operaie macht einen Alfa Romeo Vorarbeiter zum Krüppel.

23. Pomigliano: Sabotage in der Lackiererei von Alfa Romeo.

26. Florenz: Squadre Proletarie überfallen und zünden die Geldverleihfirma CEVA an.

27. Cassino: Squadra Armata Operaia sprengen Stromleitungen zur FIAT und blockieren damit die Produktion.

28. Mailand: Molotows werden auf ein Alfa Romeo Autohaus geworfen.

30. Orbassano: Ein Nucleo Operai Comunisti zündet ein Lager von FIAT-Transportern an.

30. Monza: Brandanschlag auf ein Alfa Romeo-Autohaus.

Juli

3. Turin: Prima Linea bricht in die Finanzbüros der Regionalverwaltung ein und setzt sie in Brand.

8. Varese: Kappung der Stromzufuhr.

11. Ort unbekannt: Bombenanschlag auf vier FIAT-Autohäuser: Nulcei Operai Comunisti.

12. Mailand: Proletari Comunisti per il Contropotere sprengen zwei FIAT-Autohäuser.

18. Turin: Nuclei Operai Comunisti setzen einen Zug18 in Brand, der für den Transport von Autos innerhalb des FIAT-Unternehmen per Schiff verwendet wird.

19. Grugliasco: Ein Kern der Prima Linea bricht in ein Versicherungsbüro ein und verwundet eine Führungsperson an den Beinen.

20. Mailand: Ein Jahr nach dem Tod einer ihrer Militanten, Romano Tognini, der bei einer Waffenenteignung getötet wurde, sprengt Prima Linea 8 kg TNT in der Gewerkschaft/Syndikat der Händler.

22. Trient: Die Brigate Comuniste zerstören ein Auto der Gewerkschaft/Syndikat der Händler.

27. Trient: Die Brigade Ulrike Meinhof der Nuclei Comunisti Combattenti zündet ein Holzlager an, das dem Vorsitzenden der Gewerkschaft/Syndikat der Händler gehört.

August

27. Tarent: Die Nuclei Comunisti Combattenti übernehmen die Verantwortung für die Sabotage bei Italsider, wo die Schalttafel eines Hochofens in Brand gesetzt wird, wodurch ein Schaden von 2 Milliarden Lire entsteht. 15 Tage zuvor waren im selben Gebäude drei Arbeiter ums Leben gekommen.

September

8. Rom: Die Ronde Comuniste di Contropotere sprengen den Sitz dreier Wohnungsbaugesellschaften in die Luft, die für die desolate Wohnsituation in der Stadt verantwortlich sind.

28. Turin: Der Produktionsleiter der Lackierabteilung von Lancia wird von einer Kolonne der Roten Brigaden getötet.

28. Mailand: Azione Rivoluzionari sprengen eine Straßenbahnlinie und ein ENEL-Stromkabel, das das Straßenbahnnetz versorgt, in die Luft, um „den Lohnsklaven, die jeden Morgen aufstehen, um zu ihren Ausbeutungsstätten zu gehen“, einen zusätzlichen Urlaubstag zu gewähren.

29. Mailand: Der Direktor von Alfa Romeo wird von einem Kommando der Roten Brigaden überrumpelt. Sie fesseln ihn im Inneren seiner Garage, fotografieren ihn und schießen vier Mal in seine Beine.

Oktober

23. Mailand: Durch Sabotage an den Telefonleitungen mittels ätzender Säure werden mehr als 2.000 Telefonanschlüsse im Wohngebiet Rogoredo stillgelegt.

25. Rom: Auf ein Opel-Autohaus wird ein Bombenanschlag verübt.

26. Rom: Explosionen gegen ein Volkswagen-Autohaus und ein Stromkabel.

27. Padua: Proletari Comunisti Organizzati übernehmen die Verantwortung für acht Explosionen: gegen das staatliche Wohnungsamt, die SIP-Telefonzentrale, den Sitz der Versicherungsgesellschaft Alleanza, das Rathaus, die Wohnung des Universitätspräsidenten, die eines SIP-Direktors und des stellvertretenden christdemokratischen Bürgermeisters. Zugleich werden 2.000 Telefone stilgelegt.

28. Mailand: Nuclei Armati Antisfratto übernehmen die Verantwortung für eine Explosion gegen die Büros der RAS-Versicherung, die Dutzende von Wohnungen besitzt.

November

1. Bergamo: Proletarie Combattenti per il Comunismo übernehmen die Verantwortung für Explosionen gegen zwei Boutiquen in der Stadt.

14. Mailand: Eine nicht explodierte Bombe wird auf dem Parkplatz der SIP gefunden.

16. Genua: Die Roten Brigaden zünden die Autos von drei Managern von Italsider und Ansaldo an.

21. Bologna: Doppelaktion gegen Visplant, einen Hersteller von Insektiziden, der bereits von Anwohnern angefeindet wird. Die Verwaltungsbüros werden gestürmt und das Stromkabel, das die Fabrik versorgt, wird gesprengt. Die Verantwortung für die Aktion wird von der Unità Territoriale Comuniste übernommen.

30. Bologna: Squadre Proletarie Combattenti sprengen mit einem halben Kilo TNT die IBM-Zentrale in die Luft.

STAATSBÜROS

1976

März

25. Mailand: Das Büro des Steuereintreibers wird niedergebrannt.

26. Bergamo: Gewalttätige Zusammenstöße vor dem Rathaus, das anschließend verwüstet und niedergebrannt wird. Dies ist der Tag des von den Gewerkschaften/Syndikaten ausgerufenen Generalstreiks.

Juli

13. Mailand: Eine Gruppe von Gefährten bricht in die Büros der Ärztekammer ein. Angestellte und Ärzte werden gefesselt und verschiedene Dokumente und Goldmünzen entwendet. Die Verantwortung wird von Volante Rossa übernommen.

September

11. Rom: Die Internationalistische Brigade Che Guevera übernimmt die Verantwortung für drei Aktionen in Erinnerung an den chilenischen Staatsstreich: Explosion in der chilenischen Botschaft, in der Amerikanischen Bibliothek und in der brasilianischen Fluggesellschaft Varig.

Oktober

14. Ancona: Die Roten Brigaden erstatten dem Verband der Leichtindustrie einen Besuch ab. Fünf bewaffnete Personen fesseln die Anwesenden und nehmen ihnen Dokumente ab.

November

11. Florenz: Studenten verwüsten das Universitätsbüro, das für die schlechten Bedingungen in der Mensa verantwortlich ist. Vier Gefährten werden verhaftet, nachdem sie von Mitgliedern der „kommunistischen“ Partei festgehalten wurden.

Dezember

6. Mailand: Prima Linea stürmt die Krankenkassenvereinigung und nimmt Geld und Akten mit.

1977

Januar

6. Rom: Um Mitternacht werden zehn Brandbomben auf den Parkplatz des Innenministeriums geworfen.

März

29. Rom: Dem Generaldirektor des Poligrafico di Stato (Staatliches Druckereiamt) wird in die Beine geschossen.

Mai

18. Genua: Ein Sprengsatz wird im Auto des leitenden Gynäkologen des Krankenhauses San Martino gefunden.

19. Seveso: Drei junge Leute brechen in das Büro des Gesundheitsinspektors ein. Sie durchsuchen die Räumlichkeiten und schießen dann dem zuständigen Arzt in die Beine. Ihm wird, sogar von den Gewerkschaften/Syndikaten, vorgeworfen, im Fall der industriellen Vergiftungen in der Region zu nachlässig zu sein.

19. Bologna: Das Arbeitsamt wird von Jugendlichen gestürmt, die die Wände mit Parolen gegen Drecksarbeit beschriften.

Juni

2. Turin: Prima Linea versucht, den Verkehr in der Provinz mit Aktionen gegen einen Busbahnhof und wichtige Punkte des städtischen Netzes lahm zu legen, um die Menschen daran zu hindern, an einem abgeschafften Feiertag zur Arbeit zu fahren.

6. Rom: Rote Brigaden verbrennen Register und Dossiers in der Schule Duca d’Aosta.

24. Mailand: Eine bewaffnete Zelle der Prima Linea erschießt den Arzt Roberto Anzalone, als er seine Praxisräume verlässt. In einem Flugblatt erklären sie, dass er in seiner Funktion als Präsident der Ärztevereinigung des Gesundheitswesens und als Sekretär der Ärztekammer für Angriffe auf die Arbeiter verantwortlich sei.

Juli

13. Rom: Eine Brandbombe zerstört fast die Fakultät für Architektur. Die Verantwortung wird von Studenti Proletari Comunisti übernommen.

13. Triest: Etwa 100 feministische Gefährtinnen besetzen das regionale Gesundheitsamt, um gegen die Art und Weise der Anwendung des Abtreibungsgesetzes zu protestieren.

20. Rom: Zwei Kilo Sprengstoff sprengen die Tür des Rathauses in die Luft.

21. Rom: Eine „kommunistische Studentengruppe zur Begleichung offener Rechnungen“ versucht, den Rektor der Universität zu verletzen, indem sie auf ihn schießt, verfehlt aber ihr Ziel.

22. Turin: Squadre di Donne Comuniste (eine feministische Zelle) zünden das Auto eines Gynäkologen, der sich weigert, Abtreibungen vorzunehmen, an und zerstören es.

27. Montano: Squadre Armate Proletarie brechen in das Rathaus ein. Sie fesseln die Angestellten, erbeuten 300.000 Lire und werfen einen Molotow in die Räumlichkeiten.

August

7. Rimini: Eine Gruppe von „jungen organisierten Proletariern“ wirft zwei Molotows gegen ein Franziskanerkloster.

September

1. Turin: Eine Gruppe „kommunistischer Studenten“ zündet den Eingang der Volta-Schule an, um gegen die Leistungsgruppen zu protestieren.

Oktober

27. Venedig: Bombenanschlag auf die Büros des Wohnungsamtes und vier weitere staatliche Einrichtungen in der Stadt. Proletari Comunisti Organizzati.

27. Rovigo: Pistolenschüsse und Molotows gegen das Haus des Leiters der städtischen Verkehrsgesellschaft und des Direktors des örtlichen Wohnungsamtes.

November

5. Rom: Zwei Frauen werfen Molotows gegen das Arbeitszimmer eines Gynäkologen.

14. Florenz: Mehrere Bombenanschläge in der Nacht – gegen das Finanzamt, das Wohnungsamt, das Stadtplanungsamt, den Studiendirektor und weitere ähnliche Anschläge in Pisa und Prato. Die Verantwortung wird in einem Telefonanruf von den Squadre Proletarie di Combattimento übernommen.

26. Bergamo: Nucleo Armato Proletario per il Comunismo übernimmt die Verantwortung für eine Bombe gegen das Wohnungsamt.

1978

Januar

23. Bologna: Eine Gruppe Gefährten bricht in die Handelskammer, das Büro des Rektors der Universität und den Sitz der RAI (Radio- und Fernsehgesellschaft) ein, als Teil der Kampagne in Bezug auf den Prozess wegen der Ereignisse vom März.

29. Rom: Eine Bombe explodiert am Gebäude der Ärztekammer.

Februar

7. Venedig: Nuclei Armati Comunisti stürmen das Arbeitszimmer des Verwaltungsdirektors der Universität und setzen es in Brand.

Datum unbekannt, Mailand: Die Tore des städtischen Straßenbahndepots werden im Rahmen des Kampfes gegen die Erhöhung der Fahrpreise im vorherigen Monat gesprengt.

März

3. Turin: Brandanschlag auf das Hauptquartier des Geographischen Instituts (ein Büro der Armee, das Karten zusammenstellt).

4. Turin: Bombenanschlag auf das Haus von Manni, Rechtsanwalt und Präsident der Anwaltskammer. Die Verantwortung übernehmen die Roten Brigaden drei Tage vor der Eröffnung des Prozesses gegen ihren „historischen Kern“ (Curcio, Franceschini, etc.)

8. Bologna: Ein bewaffneter feministischer Kern platziert eine Bombe in einem Standesamt.

13. Rom: Lotta Armata per il Potere Proletario verursacht eine Explosion am Sitz der Ärztekammer, die einen Schaden von mehreren Millionen Lire verursacht.

17. Florenz: Vier Gefährten stürmen die Büros des Wohnungsamtes. Die Verantwortung übernimmt Azione Proletaria. Zwei Molotows werden gegen das Gerichtsgebäude geworfen.

April

10. Turin: Squadre Proletarie di Combattimento dringen in das Sprechzimmer eines Gynäkologen ein, der von der Frauenbewegung beschuldigt wird, für den Tod einer seiner Patientinnen verantwortlich zu sein, ketten ihn an den Heizkörper und schießen ihm in die Beine.

19. Florenz: Einbruch in den Hauptsitz der Gewerkschaft/Syndikat der Händler durch Prima Linea, die das Gebäude in Brand setzen.

25. Trient: Volante Rossa zünden das Auto des leitenden Gynäkologen des Krankenhauses Santa Chiara an.

Mai

8. Mailand: Dem ärztlichen Direktor der INAM (Krankenkassenverband) wird von Proletari Armati per il Comunismo in die Beine geschossen.

19. Pavia: Bombenanschlag auf das Rathaus.

19. Bologna: Bombenanschlag auf eine Schule.

23. Rom: Ronde Comuniste per il Contropotere Territoriale beschädigen das italienische Kulturzentrum mit einer Bombe.

Juni

17. Trient: Anschlag auf den Bildungsdirektor mit einer Bombe, die aus einem Campinggasbehälter hergestellt wurde.

Juli

1. Rom: Die Polizei räumt einen Teil eines Krankenhauses, das von einer Gruppe von Gefährten besetzt ist, die legale Abtreibungen durchführen, die in allen anderen römischen Krankenhäusern wegen der „Barone“ unmöglich sind. (In Italien steht jede Krankenhausabteilung unter der Leitung eines Universitätsprofessors auf eben jenem Gebiet. Dies hat zu einer fast feudalen Situation geführt, daher der Begriff baroni).

2. Bologna: „Ökologische Aktion Kern Robin Hood“ befreit die Vögel, die in den Käfigen des Parks Villa Chigi gefangen sind.

3. Imperia: Das Arbeitszimmer des Präsidenten der Ärztekammer wird in Brand gesteckt.

9. Padua: Proletari Comunisti übernehmen die Verantwortung für eine Bombe gegen die Fakultät für Politikwissenschaft, die vom Präsidenten als Antwort auf den Kampf gegen die Selektionsmaßnahmen19 geschlossen wurde.

9. Pisa: Talpe Rosse Organizzate (organisierte rote Maulwürfe) übernehmen die Verantwortung für einen Anschlag auf die staatliche Einrichtung, die für die Studentenwohnheime und Mensen zuständig ist.

HEROIN DEALER

1978

Juni

18. Rom: Ein berüchtigter Faschist, der der berüchtigten Di Luia-Bande angehört und Chef des Heroinhandels ist, wird mit drei Pistolenschüssen getötet. Die Verantwortung für die Aktion wird in einem Telefonanruf an Lotta Continua vom Movimento Proletaria di Resistenza Offensivo Nucleo Antieroina übernommen.

November

1. Mailand: Die Proletari Armati übernehmen die Verantwortung für die Ermordung von Giampiero Grandi, Ladenbesitzer, der einer Organisation angehört, die den Heroinhandel und die Ausbeutung von Prostituierten kontrolliert. Bombenanschlag auf das Zentrum für seelische Hygiene in der Via Pancrazi und auf eine Bar in der Via Degli Apuli.

6. Mailand: Bombe in einer Bar in der Via Arsia, dem Zentrum des Heroinhandels in dieser Gegend.

27. Rom: Guerriglia Comunista überfallen zwei Heroindealer; einer wird getötet, der andere verwundet.

WIR übernehmen die Verantwortung für die Hinrichtung des Heroinhändlers und Mafioso Grandi Giampiero und die Bombenanschläge auf das Zentrum für seelische Hygiene in der Via Pancrazi, den Unterschlupf der Dealer in der Via Degli Apuli am 01.11.78 und die Bar in der Via Arsia, Zentrum des Heroinhandels im Viertel Quarto Oggiaro, am 06.11.78.

Die Kommunisten sind nicht generell gegen die „Drogenabhängigen“ wie die Bourgeoisie und die Repressionskräfte, sondern gegen diejenigen, die mit deren Haut spekulieren. Wir wissen, dass Heroin eine, wenn auch illusorische und ekelhafte, Antwort auf ein reales Bedürfnis nach Veränderung der Lebensqualität ist. Heroin ist das schönste der falschen Konsumprodukte, die das Kapital erfunden hat, um die Realität der proletarischen Bedürfnisse zu verschleiern. Der Kampf gegen die Heroindealer ist für jeden Heroinsüchtigen der Kampf gegen diejenigen, die ihm die einzige Möglichkeit zum Leben und Überleben zu geben scheinen.

Es würde nicht zur Gewohnheit werden, wenn das tägliche Leben nicht beschissen wäre. Staat und Gott, Arbeit und Familie sind abweichende Ideologien, die dazu dienen, eine unnatürliche, lausige, kriminelle Gesellschaftsordnung aufrechtzuerhalten und zu verbergen, die in all ihren Beziehungen die Legitimität der natürlichen Bedürfnisse des Menschen leugnet und sein Verhältnis zur Realität stört. Zerstörung der Natur (Seveso ist nur ein kleines Beispiel für kapitalistische Kriminalität), Zerstörung des Menschen als natürliches Wesen.

Was das Kapital nicht ausbeuten kann, zerstört es.

Mit der Verbreitung von Heroin und anderen Drogen (psychosomatische), welche psychische Prozesse beeinflussen, planen sie die Zerstörung ganzer Generationen. Sie zerstören im Sinne des Profits als einzige Möglichkeit der Einschätzung den Wunsch zu leben, gesund zu sein, die Kreativität auszudrücken, deren Träger die jungen Proletarier sind.

Anstelle der erzwungenen Selbstmorde des chilenischen Typs bringt das Kapital den freiwilligen Selbstmord zum allgemeinen Gebrauch auf den Markt.

Das Heroin an sich ist ein falsches Problem: Es ist ein Konsumprodukt, das erfunden wurde, um das wirkliche Bedürfnis nach einer Veränderung der Lebensqualität zu ersticken; das wirkliche Problem ist die Existenz der kapitalistischen Gesellschaftsorganisation, weil sie sich dem Tod und der Zerstörung alles Menschlichen zuneigt. Der Drogenabhängige wird an der Menge des konsumierten Heroins oder an der Zahl der Diebstähle gemessen, die er begeht, und nicht daran, dass er ein Mensch ist, der wie andere versucht, sein Recht auf Existenz zu behaupten. Es ist sinnlos, von Heroin zu sprechen, wenn man nicht gleichzeitig damit beginnt, die proletarische Kraft zu organisieren, um den gegenwärtigen Zustand zu zerstören. Die proletarische Revolution, die Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung, ist kein abstrakt zu definierendes Projekt, sondern beginnt in der Praxis mit der Zerstörung der kapitalistischen Gesellschaft.

All diejenigen, die die Liberalisierung des Heroinmarktes unterstützen, ohne sich die Frage zu stellen, wie die Realität des proletarischen Lebens in den kapitalistischen Metropolen verändert werden kann, sind dumme Opportunisten.

Die bewaffnete Kraft des Proletariats muss darauf abzielen, sich als konkretes Element durchzusetzen, das in der Lage ist, die gesellschaftliche Realität in ihrer Komplexität selbst zu bestimmen.

Die Einheit des Proletariats im Kampf aufbauen, die politische Legitimität der Revolutionäre im Proletariat herstellen und entwickeln, den Raum für den Aufbau der realen Macht des bewaffneten Proletariats erweitern.

Die bewaffnete Kraft des Proletariats im Kampf ist das einzige praktische Instrument der Befreiung von der kapitalistischen Herrschaft.

Das Dealen mit Heroin, die Ausbeutung der Prostitution, die Hehlerei bei kleinen Diebstählen sind Aktivitäten, die nur dem Gesetz der kapitalistischen Akkumulation entsprechen. Kommunisten sind nicht gegen illegale Aktivitäten, die den bourgeoisen Schichten schaden: Sie sind gegen alle diese abscheulichen Aktivitäten der proletarischen Ausbeutung. Es ist richtig, Banken auszurauben, die bourgeoise Schicht zu erpressen, aber genug Opportunismus! Wer sich durch die Schädigung anderer Proletarier bereichert, gilt als schändlicher Verräter!

Niederträchtig ist der Dealer, der seinen Lebensunterhalt durch den Tod anderer verdient. Niederträchtig ist der Zuhälter, der den Körper der Frauen als Instrument für seinen eigenen Profit benutzt. Niederträchtig ist der Hehler, der die Drecksarbeit junger Proletarier ausnutzt, wenn sie gezwungen sind, eine Stereoanlage oder Ersatzreifen zu stehlen. All diese, vor allem auf großer Ebene, sind Freunde der Polizei und der Carabinieri und Feinde des Proletariats. Sie erkaufen sich die Freiheit, ihre abscheulichen Aktivitäten fortzusetzen, im Austausch gegen Hinweise und Gefängnis für andere Proletarier. Die Carabinieri benutzen sie als Informanten, und sie benutzen die Carabinieri, um diejenigen loszuwerden, die ihnen im Weg stehen. Die Operationen der Drogenfahndung gegen die Dealer sind also letztlich nichts anderes als Operationen zur Kontrolle des Marktes zugunsten derer, die den Heroinhandel wirklich zentralisieren.

Wer die Einheit des Proletariats bricht, wer das Proletariat selbst ausbeutet und beraubt, muss als Feind und Verräter betrachtet werden: keine Solidarität in der Aufteilung der subversiven Arbeit unter allen Proletariern, für die Zerstörung der kapitalistischen Gesellschaft.

Vertreibt die Feinde des Proletariats, die Spione und Verräter, ob sie nun Heroindealer oder Gewerkschafts-, Syndikatsbosse sind, um die Einheit des Proletariats im Kampf aufzubauen.

Heroin ist ein Instrument der sozialen Kontrolle, das der Macht passt. Neben den Dealern und den Repressionskräften gibt es eine weitere Hierarchie der Kontrolle über das Proletariat: die medizinisch-psychiatrische. Die Dezentralisierung des Gesundheitswesens, die Eröffnung von Zentren für die seelische und psychische Gesundheit in allen Bereichen sind die neuen Instrumente, die das Kapital einsetzt, um die Widersprüche der kapitalistischen Metropole unter Kontrolle zu halten, um die Kräfte der proletarischen Revolution zu verdummen und zu betäuben. Wer über die Herrschaft des Staates, der Arbeit, der Familie hinausgeht, ist „verrückt“, kann von Kindesbeinen an als abweichend abgestempelt werden. Als solcher weist ihm das Kapital ein Ghetto zu, gibt ihm mehr Heroin kostenlos, stopft ihn von Anfang an mit Drogen (psychosomatische) voll, damit er das reguläre Funktionieren der Gesellschaftsordnung nicht stört.

Ärzte und Psychiater, die solchen Mist verabreichen, vor allem an Jugendliche und Frauen, sind wahnsinnige Kriminelle, die Antagonismus und proletarische Rebellion als „soziale Abweichung“ abstempeln. Neurotische und psychopathische Subjekte nur deshalb, weil sie die Widerwärtigkeit der kapitalistischen Gesellschaft nicht ertragen können. Was weiß ein Psychiater, der studieren konnte, ohne einen Finger zu rühren, bis er seinen Abschluss hat, vom proletarischen Leben in den Ghettos?

Worum wir kämpfen, ist das grundlegende Selbstbestimmungsrecht des Proletariats. Das Proletariat muss selbst entscheiden, wie, wo und warum es leben will. Die Psychiater, die Kriminologen, die Priester, die Gewerkschafts-, Syndikatsbosse in ihrer Position als soziale Kontrolleure des Proletariats sind Feinde und müssen als solche niedergeschlagen werden.

Greift die Kräfte der Unterdrückung, die Carabinieri und die Polizei an. Vertreibt und schlagt ihre Freunde, die Verräter, die Spitzel, die Spione, aus den Fabriken, aus den proletarischen Gebieten.

Greift die Hierarchie der medizinisch-psychiatrischen Kontrolle an.

Zerschlagt die interne Hierarchie der Kontrolle innerhalb des Proletariats, die Dealer und die Dreckshehler.

Baut die Macht des bewaffneten Proletariats auf.

(Nov. ’78)

ANGRIFFE GEGEN DIE POLIZEI

1976

Februar

9. Rom: Die NAP übernimmt die Verantwortung für eine Aktion, bei der ein Unteroffizier der Anti-Terror-Brigade verletzt wird, der für die Ermordung von Anna Maria Mantini verantwortlich ist.

März

2. Genua, Neapel, Mailand, Rho, Pisa, Florenz: Die NAP und die Roten Brigaden bekennen sich gemeinsam zu sechs Bombenanschlägen auf Carabinieri-Kasernen in der Nacht.

16. Bologna: Zwei Bombenanschläge auf Carabinieri-Kasernen.

Mai

10. Genua: Die Roten Brigaden setzen das Auto eines Carabinieri-Hauptmanns in Brand.

September

1. Biella: Der Polizeichef wird von den Roten Brigaden erschossen.

9. Turin: Molotows und Maschinengewehrfeuer gegen Carabinieri-Kaserne Nucleo Armato Comunista.

Oktober

25. Bologna: Ein Fiat 500 explodiert vor einem Kommandoposten der Carabinieri. Nucleo Armato Bruno Valli.

Dezember

6. Rom: Ein NAP-Kommando versucht, den Chef des italienischen Geheimdienstes SDS, Alfonso Noce, zu töten, der auch für die Koordinierung der Polizeiaktion verantwortlich ist, die zur Ermordung der Gefährtin Anna Maria Mantini führte. Anna Maria, eine Militante der NAP, wird von der Polizei erschossen, als sie die Tür ihrer Wohnung öffnet.

15. Mailand: Um 5.30 Uhr morgens brechen drei Mitglieder des SDS in die Wohnung des 20-jährigen Walter Alasia ein, der verdächtigt wird, den Roten Brigaden anzugehören. Alasia versucht zu fliehen, und bei der anschließenden Schießerei werden ein Polizeikommissar und ein Polizei-Sergeant getötet. Alasia wird verwundet und dann aus nächster Nähe erschossen.

1977

Februar

21. Ort unbekannt: Zwei Gefährten werden von einer Polizeistreife zum Anhalten aufgefordert. Einer von ihnen versucht zu fliehen und erwidert das Feuer, tötet einen Polizisten und verwundet einen weiteren.

März

2. Florenz: Ein Sprengsatz wird gegen die Kaserne der Carabinieri geworfen.

12. Turin: Ein Sergeant der politischen Polizei wird von einem Kommando der Brigate Combattente getötet.

19. Bari, Lucca: In beiden Städten werden Carabinieri-Kasernen mit Bomben angegriffen.

22. Rom: Maria Pia Vianale von der NAP wird von einem Polizisten in einem Bus erkannt. Bei dem Versuch, sie und die begleitende Person festzunehmen, wird er erschossen. Bei der anschließenden Verfolgungsjagd wird ein bewaffneter Parkwächter, der den Helden spielen wollte, von der Polizei mit einem anderen NAP-Mitglied verwechselt und erschossen.

April

1. Turin, Mailand, Florenz: Bombenanschläge auf Kasernen der Carabinieri in diesen Städten, zu denen sich die Prima Linea bekennt.

14. Perugia: Unità Comuniste Combattenti übernimmt die Verantwortung für eine Explosion gegen das Polizeipräsidium der Stadt.

30. Florenz: Starke Explosion in einer PS-Kaserne20. Prima Linea.

30. Genua: Ein mit TNT gefüllter Druckkochtopf wird vor dem Parkplatz für die Streifenwagen der Carabinieri abgestellt, bleibt aber explodiert nicht.

Mai

15. Genua: Brandsätze gegen ein Polizeibüro.

19. Cantu: Bombenanschlag auf Carabinieri-Kaserne.

Juni

30. Catania: Pistolenschüsse auf die Carabinieri-Kaserne, die NAP übernimmt die Verantwortung.

30. Bologna: Eine Bombe explodiert am Eingang eines Polizeibüros.

Juli

6. Leghorn: Bombenanschlag auf die Carabinieri-Kaserne im Zusammenhang mit der Hinrichtung des Gefährten Franco Lo Muscio in Rom. Gruppo Combattenti Comunisti.

8. Rom: Combattenti Comunisti übernehmen die Verantwortung für eine Aktion, die auf die Ermordung eines Polizisten abzielt, der wegen der Ermordung des Gefährten Mario Salvi freigesprochen wurde. Der Versuch, ihn seiner gerechten Strafe zuzuführen, fand in einem Restaurant statt, in dem er den Ausgang seines Prozesses feierte. Die Gefährten verfehlten ihr Ziel und töteten stattdessen einen seiner Gäste.

Dezember

18. Neapel: Eine Bombe explodiert vor der Polizeistation von Monte Calvario. Vier Gefährten der Prima Linea werden kurz darauf verhaftet, weil sie einen ähnlichen Anschlag vorbereitet haben sollen.

20. Turin: Rote Brigaden greifen Kasernen mit Schüssen an und lassen Bomben an den Toren explodieren.

21. Turin: In einer ähnlichen Taktik wie in der Nacht zuvor greifen die Prima Linea eine weitere Carabinieri-Kaserne an.

31. Nuoro: Der stellvertretende Polizeipräsident und ein Inspektor werden beim Verlassen des Gefängnisses angegriffen, nachdem sie den Wärtern ihre Neujahrsgrüße übermittelt haben. Die Gefährten einer Zelle der Nuclei Armati Combattenti per il Comunismo begrüßen sie im Namen der Gefangenen mit einem Kugelhagel.

1978

Januar

3. Padua: 3 Carabinieri-Kasernen werden in der Nacht von der Organizzazione Operaia per il Comunismo gesprengt, um gegen die hohen Strafen zu protestieren, die gegen zwei Gefährten verhängt wurden.

8. Nuoro: Auto eines Inspektors der Spezialeinheit wird angezündet.

18. Novara: Ein Nucleo delle Formazione Combattenti Comuniste schießt in der Nähe eines Spezialgefängnisses auf wachhabende Carabinieri.

26. Mailand: Nuclei Armati Comunisti übernehmen die Verantwortung für eine Explosion, die die Hälfte der Fassade der Polizeikaserne zerstört.

29. Rom: Bombenanschlag auf eine Kaserne der Carabinieri.

Februar

Nuoro: Brandsatz gegen die Carabinieri-Kaserne in Olliena.

17. Florenz: Zwei Autos der Kriminalpolizei brennen. Squadre Proletari di Combattimento.

24. Rom: Lotta Armata per il Comunismo zerstört einen Bus der Carabinieri und ein Polizeifahrzeug.

25. Mailand: Squadre Operaie Armate zerstören ein Polizeiauto und zwei Motorräder.

März

10. Turin: Die Rote Brigade tötet einen Anti-Terror-Inspektor, der an der Verhaftung zahlreicher Gefährten der Roten Brigaden und der NAP beteiligt war.

10. Mailand: Eine Bombe explodiert im Hof einer Polizeistation, zerstört einen Lieferwagen und beschädigt weitere Fahrzeuge.

10. Florenz: Der Haupteingang der städtischen Polizeistation wird angezündet.

13. Rom: Eine Carabinieri-Kaserne wird in der Nacht gesprengt.

13. Nuoro: Eine rudimentäre Bombe explodiert in einer Carabinieri-Kaserne.

15. Florenz: Squadre Proletarie di Combattimento zünden eine Bombe vor einer Polizeistation.

19. Mailand: Ein Polizist wird während einer Demonstration umzingelt und entwaffnet.

April

7. Bologna: Ein Nucleo Comunista Armato überfällt einen Polizeiposten und erbeutet eine Pistole und andere Gegenstände.

7. Rom: TNT gegen Carabinieri-Kaserne. Das Auto eines Polizeisergeanten wird verbrannt. Rote Brigaden.

10. Salerno: Bombe explodiert vor einer Carabinieri-Kaserne.

12. Tarent: Explosion in einer Carabinieri-Kaserne. Die Verantwortung übernehmen die Gruppo Combattente.

14. Padua: Autos von zwei Zeugen der Anklage im Prozess gegen die „Autonomen“ und das des DIGOS-Chefs werden von Comunisti Organizzati und Organizzazione Operaia per il Comunismo verbrannt.

17. Triest: Molotows gegen das Polizeipräsidium, die Verantwortung übernehmen die Nuclei Proletari Organizzati.

19. Rom: Die Roten Brigaden greifen Carabinieri-Kasernen mit Handgranaten und Maschinengewehren an. Die Kaserne beherbergt den berüchtigten General Dalla Chiesa, verantwortlich für die Supergefängnisse und die Blitzaktionen gegen die Gefährten in ganz Italien.

21. Ostia: Das Auto eines Polizeibeamten wird verbrannt.

24. Venedig: In einem Telefonat mit der Nachrichtenagentur ANSA übernehmen Gefährten die Verantwortung dafür, dass ein Carabinieri-Offizier und ein Freund von ihm bei einer Explosion ums Leben gekommen sind.

29. Bologna: Squadre Armate Proletarie verüben einen Anschlag auf ein Polizeibüro.

Mai

1. Rom: „Heute hat eine bewaffnete proletarische Formation die Kaserne der Carabinieri angegriffen. Dies ist zweifellos die beste Art und Weise, den 1. Mai zu feiern. Schafft, organisiert eine bewaffnete Gegenmacht. Freiheit für alle kommunistischen Gefangenen“.

1. Insel Caporizzuto: Explosion unter dem Fenster der örtlichen Carabinieri-Kaserne.

2. Turin: Die im Bau befindliche neue Carabinieri-Kaserne wird gesprengt.

3. Turin: Zwei patrouillierende Carabinieri fordern ein Auto zum Anhalten auf. Zwei junge Männer steigen aus, halten die beiden verunsicherten Polizisten fest, legen ihnen Handschellen an und erleichtern sie um ihre Pistolen.

4. Mailand: Squadre Armate Proletarie entwaffnen zwei Polizisten und setzen den Streifenwagen in Brand.

11. Turin: Pistolenschüsse und Explosion in der Kaserne der Carabinieri.

15. Rom: Das Hauptquartier der Stadtpolizei wird von Formazioni Proletari Armate gesprengt.

22. Mailand: Im Laufe des Nachmittags werden fünf Sicherheitsbeamte vor den Banken, in denen sie Dienst tun, entwaffnet.

23. Rom: Brandanschlag auf die Firma Carabelli, die Ausrüstung für die Carabinieri herstellt.

24. Cagliari: Das Auto eines Gefängniswärters wird durch Flammen zerstört.

27. Mailand: Brandanschlag auf einen Parkplatz der Stadtpolizei, zu dem sich die Guardie Proletarie Territoriali bekennen.

27. Rom: Auto eines Polizeibeamten verbrannt.

28. Quartu S. Elena: Drei Autos von deutschen Soldaten auf dem örtlichen Armeestützpunkt brennen.

Juni

2. Rom: Brandanschlag auf das Auto eines diensthabenden PS-Inspektors des Innenministeriums.

3. Bergamo: Squadre Armate Operaia überfallen eine Polizeistation, setzen die Anwesenden außer Gefecht, entwaffnen sie und zerstören die Räumlichkeiten durch Feuer.

3. Rom: Azione Rivoluzionaria übernehmen die Verantwortung für einen Angriff auf eine Carabinieri-Kaserne.

9. Bologna: Eine Gruppo Comunista del Movimento übernimmt die Verantwortung für eine Explosion in den Büros eines privaten Sicherheitsdienstes namens La Patria.

15. Saronno: Sprengladung beschädigt örtliche Carabinieri-Station.

21. Uzulei: Pistolenschüsse gegen das Haus des örtlichen Carabinieri-Hauptmanns, der mit zwölf Pistolenschüssen zur Rechenschaft gezogen wird, während er in einem Bus auf dem Weg zur „Arbeit“ ist.

21. Turin: Rote Brigaden greifen eine Polizeistation mit Molotowcocktails und Pistolenschüssen an.

22. Laveno: Die Gruppo Contropotere Territoriale zerstört sieben Boote, darunter eine motorisierte Barkasse, die den Carabinieri gehört.

26. Mailand: Zwei Pistolenschüsse verfehlen einen Sicherheitsbeamten, der vor einer Bank Dienst hat.

27. Avellino: Eine Bombe explodiert vor einer Kaserne der Armee.

28. Florenz: Reparti Comunisti Combattenti brechen in eine Polizeistation ein, legen den beiden anwesenden Polizisten Handschellen an und erbeuten Geld und Pistolen.

Juli

1. Rom: Dynamitanschlag auf das Polizeipräsidium.

10. Caglari: Ein in Decimomannu stationierter deutscher Offizier findet sein Auto verbrannt vor.

12. Padua: Organizzazione Operaia per il Comunismo und Proletari Armati per il Comunismo bekennen sich zu den nächtlichen Bombenanschlägen auf Carabinieri und Polizeikasernen sowie auf den Knast und die Schließer.

15. Rom: Prima Linea stürmt eine Polizeistation, fesselt und entwaffnet die anwesenden Polizisten.

26. Mailand: Squadre Armate rufen die Polizei am frühen Morgen mit einer Bombe an.

27. Monza: TNT-Anschlag auf eine im Bau befindliche Kaserne der Carabinieri.

28. Bologna: Anschlag auf das Polizeipräsidium, die Verantwortung übernimmt die Squadro Armate Proleltarie.

August

2. Bologna: Drei Gefährten der Squadre Armate Proletarie brechen in eine Polizeistation ein und entwaffnen drei Polizisten.

9. Bergamo: Squadre Operaia Armate und Proletari Armati per il Comunismo übernehmen gemeinsam die Verantwortung für Angriffe auf drei Carabinieri-Kasernen in der Stadt.

September

7. Turin: Ein Auto eines Carabinieri-Obersts wird angezündet.

26. Saronno: Eine Bombe explodiert vor einer Carabinieri-Kaserne.

26. Venedig: Anschlag auf einen Polizeiposten.

29. Varese: Squadre Armate Combattente Comuniste bekennen sich zu einem Angriff auf eine Carabinieri-Kaserne.

Oktober

4. Bologna: Pistolenschüsse und Molotowcocktails gegen eine Polizeistation.

22. Mailand: Proletari Armati per il Comunismo übernehmen die Verantwortung für eine starke Explosion in einer Polizeistation.

24. Rom: Eine Kolonne der Roten Brigaden überfällt eine Polizeistreife, wirft Molotows auf das Auto und verwundet einen Polizisten mit Maschinengewehrfeuer.

29. Rom: Dynamitanschlag auf eine Kaserne der Carabinieri.

31. Padua: Drei Autos des Leiters der Spezialeinheit der Polizei und zweier weiterer Beamter werden angezündet.

November

2. Turin: Squadre Armate Proletarie überfallen eine Spezialeinheit der Polizei und versuchen, sie in eine Falle zu locken, die mit einem Brandsatz verkabelt ist. Einer der Offiziere bemerkt den Hinterhalt und kann die Explosion abwenden.

3. Oristano: Drei Gefährten der Barbagia Rossa brechen in eine Kaserne der Armee ein, entwaffnen die Wachen und erbeuten vier Garand-Gewehre, Munition und eine Handgranate.

3. Genua: Rote Brigaden zünden die Autos von zwei Schließern an, die für das Verprügeln von Gefangenen bekannt sind, sowie das eines Carabinieri-Sergeants.

5. Rom: Rote Brigaden übernehmen die Verantwortung für das Legen eines Feuers, das das Auto eines Polizisten zerstört hat.

19. Oristano: Das zentrale Funkgerät der USAFE, eines amerikanischen Militärunternehmens, wird nach Protesten der Einwohner gegen seine Installation angegriffen und verwüstet.

22. Rom: Zwei Gefährten der Roten Brigaden überraschen und entwaffnen einen Polizisten und fesseln ihn dann mit Handschellen an das Geländer seines Hauses.

25. Nuoro: Eine Dynamitladung zerstört ein Auto der Carabinieri.

RESTRUKTURIERUNG DER REPRESSION

1) Vigili Urbani (Stadtpolizei), Guardia di Finanza (Zollbeamte), Guardia Forestale (Försterbullen): abgesehen von der Stadtpolizei, die seit den ersten Kämpfen der Bewegung 1977 im Dienst der öffentlichen Ordnung eingesetzt wurde (in Rom schossen mit Maschinengewehren bewaffnete Stadtpolizisten in eine Demonstration), hat diese Einheit mit der Moro-Entführung zunehmend die Merkmale einer Sonderpolizei angenommen und Funktionen öffentlichen Ursprungs entwickelt. Die Zollbeamten waren während der gesamten Moro-Operation an Straßensperren präsent, und in drei italienischen Zentren (Mailand, Rom, Ancona) wurden ebenso viele Anti-Guerilla-Zentren direkt vom Zoll eingerichtet. Die Försterbullen hingegen sind seit dem Fall Moro auf den Plätzen der Städte zu sehen und wurden mit dem Schutz der NATO-Einrichtungen beauftragt. Der Minister Marcora hat eine bewaffnete Eskorte von einem Dutzend Försterbullen, die in Castro Pretoria ausgebildet wurden.

2) Guardie Giurate (Privatpolizei, privater Sicherheitsdienst): sie sind die wahren Wachhunde der Bourgeoisie. Sie haben in letzter Zeit stark zugenommen, sie arbeiten oft in „Service“-Kooperativen für Banken und Handelsunternehmen, aber es scheint, dass sie sich amüsieren, indem sie Gefährten jagen, die Flugblätter verteilen oder auf Demonstrationen schießen. Insgesamt waren nach der letzten Volkszählung 21.675 Personen in 520 Überwachungsinstituten tätig; 3.042 gehörten Eigentümerverbänden an, 56.359 waren in Fabriken oder öffentlichen Einrichtungen beschäftigt, und dazu kamen noch 1.385 Privatdetektive. Insgesamt ergibt dies eine echte Armee mit 82.000 bewaffneten Personen, so groß wie die PS selbst (Quelle: Quale Difesa, Nr. 4, Jahr 1977).

3) Carabinieri (CC) und Pubblica Sicurezza (PS): Die Carabinieri sind seit jeher die Spezialeinheit im Dienste des Kapitals. Durch Dalla Chiesa sind sie in der Praxis vom Präsidenten des Staatsrates, Andreotti, abhängig. Eine ihrer Hauptaufgaben ist, neben der Durchführung von geheimdienstlichen Aktionen, die direkte Überwachung der Sondergefängnisse.

Es ist geplant, in den nächsten drei Jahren weitere 6.000 Personen zu rekrutieren.

Gegenwärtig verfügen die Carabinieri über etwa 90.000 Mann, die über das gesamte Staatsgebiet verteilt sind, mit drei Divisionen, die jeweils nach geografischen Gebieten gegliedert sind, 9 Brigaden, die in den großen Städten stationiert sind, und 24 Legionen in den wichtigsten Provinzen. Die kapillare Kontrolle wird von über 5.000 Carabinieri-Kasernen durchgeführt, selbst in den abgelegensten Städten.

ANTI-INSTITUTIONELLE BEWEGUNG, REVOLUTIONÄRE GEWALT, BEWAFFNETER KAMPF. EINIGE REFLEXIONEN.

Um jegliche Unklarheit zu beseitigen, die entstehen könnte, möchte ich klarstellen, dass ich mich, wenn ich von bewaffnetem Kampf spreche, nicht auf künstliche Unterscheidungen stütze, die von bourgeoisen Gesetzen auferlegt werden, wo das Werfen von Dutzenden von Molotowcocktails das Risiko birgt, von einigen Gefährten nicht als Situation des bewaffneten Kampfes angesehen zu werden.

Es ist nicht das technische Instrument, das wir verwenden, das eine Aktion als gewalttätig oder nicht qualifiziert, sondern vielmehr ihre Perspektive in der Konfrontation mit dem Klassenfeind. Die Anwendung des bewaffneten Kampfes bedeutet im Wesentlichen, bereit zu sein, die staatliche Gewalt und Ausbeutung auf jeder Ebene auf jeder Art zu beantworten. Es bedeutet, von der reinen Verteidigungsphase in eine Angriffsphase überzugehen, um die Zentren der Organisation und der Repression des Feindes zu treffen. Gleichzeitig muss sie in der Lage sein, allen Ausgebeuteten zu zeigen, wo sich der wahre Feind verbirgt, und dass es möglich ist, ihn zu treffen, dass er wahrnehmbar und verwundbar ist. Letzteres ist in einer fortgeschrittenen Phase der Sozialdemokratie um so wichtiger. Hier versucht der Staat, das Proletariat in seine eigene Logik hineinzuziehen, um es durch den Mechanismus des Konsenses und der Mit-Verwaltung der Ausbeutung dazu zu bringen, sich mit dem Gegner zu identifizieren, und gleichzeitig Terror einzusetzen, indem er einen starken Kriminalisierungs- und Repressionsapparat aufbaut. Diese Situation ist heute nicht nur in der Bundesrepublik Deutschland, sondern auch in Italien und allen anderen Gebieten des fortgeschrittenen Kapitalismus zu beobachten.

Innerhalb des revolutionären Kampfes kann es natürlich verschiedene Methoden und Entscheidungen geben, die nicht alle von einem anarchistischen Standpunkt aus geteilt werden können, aber darauf werde ich später eingehen.

Ich hoffe auch, die Zweideutigkeit bestimmter Positionen zu vermeiden, die, nachdem sie behauptet haben, dass sie die Frage des bewaffneten Kampfes an sich nicht ablehnen, die Frage mit Aussagen wie: „Die gegenwärtige Situation (…) erzwingt nicht die Notwendigkeit eines klandestinen bewaffneten Kampfes, der unweigerlich dazu führt, dass alle Energien der beteiligten Militanten beansprucht werden.“ verwirren. (Rivista Anarchica, März, 1977, S. 12)

Ich möchte vor allem noch einmal darauf hinweisen, wie die ganze Frage durch solche Überlegungen abstrakt wird. Der bewaffnete Kampf wird als etwas vom Rest der revolutionären Aktivität Abgeschnittenes gesehen, als eine separate, rein „technische“ und militärische Phase, die Zeit und Energie rauben würde von… man weiß nicht, was der Rest ist. Außerdem scheint mir, dass solche Argumente das Problem verzerren, indem sie den bewaffneten Kampf mit dem Adjektiv „klandestin“ in einer Weise qualifizieren, die unvermeidlich, negativ und degenerierend erscheint. In Anbetracht der Tatsache, dass der bewaffnete Kampf an sich immer illegal ist, scheint es mir nicht so, dass die Klandestinität ausschließlich mit der eigenen Entscheidung übereinstimmen kann, sondern dass sie eine Möglichkeit ist, die man in Betracht ziehen muss und die nicht fatalerweise die Schaffung eines Verhältnisses zwischen Avantgarde und Masse im leninistischen Sinne impliziert. Andererseits, um auf die gegenwärtige Situation zurückzukommen, wer kann sagen, dass die Gefährten, die eine bestimmte Art von Aktion durchführen (z.B. der Hinterhalt in Pisa auf den Arzt, der für die Ermordung des Gefährten Serantini verantwortlich ist), die sicherlich als klandestin definiert werden kann, selbst „klandestin“ sind und im Gegenteil nicht eine normale offene Praxis der Militanz ausüben?

Warum Gewalt?

Die große Mehrheit der Gefährten scheint sich über einige grundlegende Probleme einig zu sein: dass die Gewalt nicht der spontane Ausdruck unseres freien Willens ist, sondern die wissenschaftlich organisierte Gewalt der Unterdrückung und Ausbeutung durch den Staat, die uns als Revolutionäre dazu zwingt, mit einer entgegengesetzten, befreienden Gewalt zu antworten, wenn wir uns nicht den Schlägen unserer Arbeitgeber beugen wollen. Die unsere ist also immer eine defensive Gewalt, was nicht bedeutet, dass sie sich darauf beschränkt, die Schläge des Feindes abzuwehren.

Wenn das, was ich soeben gesagt habe, wahr ist, dann scheint mir klar zu sein, dass das Problem, wann eine bewaffnete Antwort gerechtfertigt oder unvermeidlich ist, in Wirklichkeit nicht existiert. Wir wären kurzsichtig oder opportunistisch, wenn wir nicht hinter die mehr oder weniger demokratische und freizügige Fassade blicken könnten, mit der die Macht ihr mörderisches Wesen verdeckt. Die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, in welcher Form auch immer, verdient immer eine Antwort in der Perspektive ihrer gewaltsamen Zerstörung. Es geht nicht darum, zu entscheiden, wer „zuerst geschossen“ hat, um zu wissen, ob unsere Verteidigung „legitim“ ist oder nicht: Seit Jahrhunderten hat der Staat „zuerst geschossen“, und unser Tod findet nicht nur auf den Straßen unter den Kugeln der Polizei statt, sondern auch in den Fabriken, den Gefängnissen, den Irrenhäusern, den Ghettos, den Elendsvierteln, den klandestinen Abtreibungskliniken und den Bergwerken in aller Welt. Wenn es sich um ein moralisches Problem handeln würde, bräuchte man angesichts der Hunderte von Gefährten, von Ausgebeuteten, die täglich ermordet werden und deren Blut unser Gewissen zur Rache aufruft, nicht einmal eine Minute zu diskutieren.

Aber das Problem ist nicht nur ein moralisches. Unsere Wut, unser revolutionärer Wille muss immer von einer klaren Argumentation begleitet sein, die es uns erlaubt, den Kampf so konsequent und wirksam wie möglich zu führen. Das heißt nicht, dass es der revolutionären Sache dienlich ist, sich auf dem Altar des Märtyrers abschlachten zu lassen. Der revolutionäre Akt ist, wie wir alle wissen, ein kollektiver Akt, der ein hohes Maß an Verallgemeinerung des Bewusstseins und den Willen zur radikalen Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse in eine kommunistische Richtung voraussetzt. Und genau darauf zielen die meisten Kritiken der Gefährten gegen die Praxis des bewaffneten Kampfes heute ab. Sie sagen: wir leben nicht in einer prä-insurrektionellen Situation; die Massen werden von den Reformisten kontrolliert und bestimmte Aktionen werden nicht verstanden.

Auf diesen Einwand könnte man erwidern, dass sich die revolutionäre Bewegung nicht immer darauf beschränken sollte, den „populären Willen“ zu verwirklichen, der oft Gefahr läuft, sich in etwas nicht greifbares oder eine zweifelhafte Interpretation zu verwandeln. Neben der „kulturellen“ Arbeit der Propaganda und der Verbreitung der revolutionären Perspektive sollte die antistaatliche Bewegung auch wissen, wie sie ihre Affirmationen in die Praxis umsetzen kann, insbesondere in einer Situation, in der die ideologische Hegemonie der reformistischen Kräfte das Bewusstsein und den Willen des populären Kampfes eingelullt hat oder in der sie durch staatliche Repression erstickt wurden. Ideologische Dissertationen und theoretische Propaganda reichen nicht aus, um die real existierenden Machtverhältnisse zu verändern. Sie müssen sich in Aktionen ausdrücken, in denen immer breitere Schichten der Klasse der Unterdrückten ihre eigenen realen Bedürfnisse erkennen können.

Diese Perspektive könnte bis an die Grenze mit der so genannten exemplarischen Tat identifiziert werden, die sicherlich ein sorgfältiges Nachdenken über das Verhältnis zwischen aktiver Minderheit und sozialer Situation sowie über die Wahl des Ziels erfordert. Aber dies, so scheint mir, kann nicht darauf reduziert werden, sich auf eine „glorreiche“ historische Vergangenheit zu berufen, zu der wir beitragen wollen.

Angesichts der gegenwärtigen Situation scheint mir das Argument der beispielhaften Tat einschränkend und unzureichend zu sein. Es scheint mir, dass wir vor etwas qualitativ anderem stehen. Bestimmte Aktionen werden heute von mehr oder weniger spezialisierten und entsprechend organisierten Minderheiten durchgeführt, aber sie sind Ausdruck einer Bewegung, die man nicht einfach als minoritär abtun kann, wenn man sie nur mathematisch berechnet. Damit meinen wir nicht nur Situationen wie die vom 11. und 12. März in Bologna und Rom, wo es zu bewaffneten Aktionen kam, gewisse „klandestine“ Aktionen, die von Organisationen durchgeführt wurden und die auch jene Organisationen für sich beansprucht haben, die sich erklärtermaßen für den bewaffneten Kampf entschieden haben, wie z.B. die Roten Brigaden, die NAP oder die vielen neuen Namen, die jeden Tag auftauchen.

Die anti-institutionelle Bewegung und die Gewalt

In der heutigen Situation ist es nicht mehr möglich zu sagen, dass Aktionen wie bewaffnete Zusammenstöße mit der Polizei, Angriffe auf die Zentren der Ausbeutung oder der Angriff auf die physischen Personen einiger der bekanntesten Verfolger der revolutionären Militanten nur der Wille und die Frucht der sorgfältigen Bemühungen einer Handvoll Theoretiker der Profis der Klandestinität, getrennt von der Masse, sind.

Wenn heute die Elektronikfabrik Montedison oder die Geschäfte von Luisa Spagnoli oder der Arzt, der die Ermordung von Serantini gebilligt hat, getroffen werden, dann erhöht dies nur die Forderungen und das Bewusstsein einer Bewegung, die mehr ist als eine einfache Ansammlung von Gruppen, Kollektiven oder kleinen Parteien. Es handelt sich um eine Bewegung, die große Teile der an den Rand der Gesellschaft Marginalisierten einschließt, „nicht abgesicherte“ Studenten, Frauen, Menschen in unsicheren Arbeitsverhältnissen und weniger zahlreich, aber nicht weniger wichtig, Sektoren/Bereiche von Industriearbeitern, Dienstleistungsarbeitern und Technikern, usw. Eine Bewegung, die, vielleicht instinktiv, vielleicht nicht klar in ihrer Komplexität, aber auf jeden Fall präzise, den Feind ausgemacht hat, der nicht nur im Repressionsapparat des Staates und in den Herrschenden/Regierende, die am deutlichsten in Erscheinung treten, sondern auch in den neuen reformistischen Bossen der Gewerkschaften/Syndikate zu finden ist.

Die Linie der Verweigerung und des Widerstands gegen den Kapitalismus und die reformistische Lüge wird durch bestimmte Aktionen, die das Erbe der Bewegung sind, konkret. Sie geht aus Kämpfen hervor, die zwar nicht von der Mehrheit ausgetragen werden, aber sicherlich nicht von der Masse zu trennen sind.

Viele von uns, die seit Jahren daran gewöhnt sind, in einer Bewegung, die versucht, über die Ebene der „Meinung“ hinauszugehen, mit einer Praxis der Ohnmacht rechnen zu müssen, die für eine bewusste Minderheit typisch ist, die mehr oder weniger von der realen Bewegung isoliert ist, fühlen sich in dieser Situation unwohl. Das erklärt die offensichtliche Schwierigkeit, sich auf die wirklichen Probleme zu konzentrieren, und die Tendenz, sich in ziemlich nebensächlichen Forschungen zu verlieren, die bereits von der realen Ebene des Kampfes überholt worden sind.

Zum Beispiel die Schwierigkeit, die durch die Wiederholung der offensichtlichen, aber nutzlosen ideologischen „Unterscheidung“ auftritt, die auf dem klassischen Argument beruht: die Roten Brigaden sind marxistisch-leninistisch und wir sind Anarchisten, deshalb gibt es unüberwindbare Unterschiede zwischen uns. Diese Frage könnte sogar zum Kern des Problems vordringen, wenn sie nicht in der abstrakten Anfechtung der beiden als statisch und dogmatisch angesehenen Tendenzen verharren würde, anstatt das konkrete Problem der Umsetzung dieser theoretischen Entscheidungen in die Praxis zu analysieren.

Und hier könnten wir das Problem betrachten, wie sich die marxistisch-leninistische (aber vielleicht eher castroistische21 als leninistische) Konzeption der bewaffneten Partei in eine Praxis von im Voraus ausgewählten Profis der Klandestinität übersetzt, was die Hauptkritik ist, die ich an den Roten Brigaden üben muss.

Die Entscheidung, dass bestimmte Gefährten den bewaffneten Flügel der Klasse bilden sollen, schafft wieder eine Situation der Trennung, die zur Hauptursache für die Fehleinschätzungen derjenigen Gefährten werden kann, die in der Logik der spezialisierten Minderheit verhaftet sind und denen es oft schwer fällt, ihre eigenen Aktionen mit der politischen Ebene und den Bedürfnissen der Bewegung zu verbinden. Es ist eine Sache, wenn ein Kern von Arbeitern die Bestrafung eines Vorarbeiters, eines Faschisten oder die Sabotage eines Werks beschließt und die Ausführung einer begrenzten Anzahl von Gefährten anvertraut (aus offensichtlichen Gründen der Sicherheit, Effizienz usw.). Etwas völlig anderes ist es, wenn eine begrenzte Anzahl von Gefährten, die nicht in der Situation sind und wenig oder gar keine Verbindung zu ihr haben, beschließt, dieselbe Aktion durchzuführen.

Außerdem bilden sich solche bewaffneten Gruppen in der Logik der letzteren nicht auf der Grundlage eines natürlichen Prozesses der „Destillation“, bei dem die politisch reiferen und aktionsfähigeren Personen in die fortgeschritteneren Kämpfe einbezogen werden. Stattdessen beruht dies auf einer ganz persönlichen idealistischen Wahl, eine Methode, die mir nicht richtig erscheint, selbst innerhalb einer avantgardistischen Logik, die ich im Übrigen nicht teile.

Der richtige Weg ist daher meiner Meinung nach nicht die bewaffnete Partei der Militärspezialisten22, sondern sollte vielmehr der sein, das Gebiet des revolutionären Kampfes gegen den Staat zu erweitern. Dies ist so, nicht weil es von einer Handvoll Intellektueller beschlossen wurde, sondern weil sich die entstandene anti-institutionelle Bewegung nicht zurückziehen oder auf bereits eroberten Positionen ausharren kann, um auf bessere Zeiten zu warten, sondern versuchen muss, voranzugehen. Die Erfahrung zeigt, dass der faschistische sozialdemokratische Staat nicht bereit ist, das Minimum an Raum zuzugestehen, das ihm nicht mit Gewalt entrissen wird.

Warum die Bewegung vorwärts geht

An diesem Punkt besteht das Problem nicht so sehr darin, die Aktionen des bewaffneten Kampfes für die Bewegung „verständlich“ zu machen, sondern vielmehr in der Beziehung zwischen der revolutionären Bewegung, die überall im Lande zu entstehen beginnt (und die, gerade weil sie revolutionär ist, Widersprüche enthält, denen man sich ungehindert stellen muss), und dem Rest der proletarischen Bewegung, in der es den Reformisten noch gelingt, ihre eigene Hegemonie auszuüben. Es geht vor allem um die Arbeiter, denen die Kämpfe von 1968 usw. ein relatives Wohlergehen garantiert haben, das durch ihre Einbindung in die Logik der Arbeit, der Ausbeutung und des Staates bezahlt wurde, und die jetzt eine kritische Zeit durchleben.

Die kapitalistische Krise, auf Weltebene, hat einerseits die Rekuperation des Systems eliminiert und die Gewerkschaften/Syndikate daran gehindert, die Rolle der Eindämmung und des Wiederaufsaugens von Kämpfen zu spielen, wie es ihnen in den Jahren ’68/’69 zugedacht war. Damals manifestierten sich die revolutionären Tendenzen in einer Periode, die noch von Expansion geprägt war und in der das Kapital noch Verhandlungsspielräume hatte. Heute hat das System den Lohnabhängigen im Gegenzug für ihre Beteiligung am Prozess der Faschisierung der Gesellschaft nur noch wenig zuzugestehen.

In der reformistisch kontrollierten Arbeiterbewegung haben sich Risse aufgetan. Eine gewisse Orientierungslosigkeit hat sich breit gemacht, eine allgemeine Unzufriedenheit, der es jedoch schwer fällt, sich in den Willen zum sozialen Wandel zu verwandeln oder den Feind klar zu identifizieren. Es hat sich ein prekäres Gleichgewicht zwischen den Arbeitern und ihren Managern eingestellt, wo der Versuch gemacht werden muss, es zu durchbrechen. Wir wissen, dass die Marginalisierten und die „Garantierten“ in Wirklichkeit einen gemeinsamen Feind haben, aber den Letzteren fehlt es an Bewusstsein um zu wissen, wer dieser Feind ist.

Die Bewegung muss voranschreiten, um das reformistische Gleichgewicht zu zerbrechen. Sie muss mit ihren Kämpfen zeigen, dass es einen Pol der antikapitalistischen und staatsfeindlichen Ansammlung gibt, der zu einem Bezugspunkt werden kann auch für jene, denen nichts garantiert ist, außer der Ausbeutung.

Übersetzt aus „Anarchismo

ZUR VERALLGEMEINERUNG DES BEWAFFNETEN KAMPFES

Die allgemeinen Lebensbedingungen in diesem Land sind besonders verzweifelt. Eine engmaschige Kampagne der Kollaboration mit den Regierungskräften ermöglicht es den Medien, weiterhin ein erträgliches/tolerierbares Bild zu vermitteln. Jedes Anzeichen von Unzufriedenheit/Unduldsamkeit in der Masse wird sofort mit größter Aufmerksamkeit umschrieben. Die Weigerung der Arbeiter in Turin, als Antwort auf die Ermordung eines Journalisten zu streiken, löste eine Flut von Interpretationen und Untersuchungen aus. Berühmte Soziologen kamen zusammen, um die Analysen zu liefern, die der Staat in seinen brutalsten Zwangsformen (Polizei, Justiz, Gefängnisse) braucht. Gleichzeitig fabrizieren sie Beschönigungsmittel wie das Arbeitslosengesetz, die Mietgesetze, die Steuerreformen – alles lächerliche Versuche, eine Lawine mit einem Stück Papier aufzuhalten.

Die Arbeitslosigkeit nimmt zu, die privaten Investitionen gehen zurück (die Kapitalisten ziehen es vor, ihr Geld im Ausland in Sicherheit zu bringen), die Arbeitslage muss mit dem geringsten Schaden für den Staat behoben werden, indem man auf das öffentliche Defizit zurückgreift. Dies beeinträchtigt unsere internationale ökonomische Glaubwürdigkeit, die wir durch politische Glaubwürdigkeit ersetzen müssen. Mit anderen Worten: Wenn wir deutsches und amerikanisches Geld wollen, müssen wir ihnen unsere Bereitschaft zeigen, jede Form von revolutionärem Dissens, der sich in unserem Land entwickeln könnte, zu unterdrücken. Wir müssen zeigen, dass es diese Formen nicht mehr geben wird, sobald die Dinge endgültig organisiert sind, mit dem Groschen der imperialistischen Giganten und dem Einverständnis der Kommunistischen Partei.

Die reaktionäre Garantie dieser Partei ist aus verschiedenen Gründen notwendig. Zunächst einmal sind ihre ideologische Vergangenheit, die Fähigkeit, die Ausgebeuteten zu verwirren, die fortschrittliche Fassade, nichts anderes als der Versuch eines „ruhigen“ Übergangs zu einem sozialdemokratischen Kapitalismus mit breiter staatlicher Beteiligung.

Diese Garantie wäre in einer anderen internationalen Perspektive, in der die UdSSR in einem realeren Kontrast zu den Interessen der Vereinigten Staaten steht, unmöglich gewesen. Ein italienischer oder europäischer Weg zum Sozialismus ist absurd. Die Kommunistische Partei Italiens steht nur deshalb für Gespräche mit allen reaktionären Kräften zur Verfügung, weil die UdSSR seit einiger Zeit so gesonnen war.

All dies sollte uns helfen zu verstehen, dass die Identifizierung der Klassenfront nicht mehr durch ideologische Faktoren erfolgen kann, sondern durch die produktive Situation zustande kommen muss. Die Arbeiter sind bereit, die Kräfte der Ausbeutung am Ort der Ausbeutung selbst anzugreifen, sobald die ideologischen Deckmäntel, die so lange ein Hindernis für ihr Verständnis waren, zerbrochen sind. Diese Bereitschaft wird noch deutlicher und akuter in einer Situation, die durch den Mangel an Arbeit verschärft wird. In der letzten Analyse sind die arbeitslosen Arbeiter noch ausgebeuteter und elender als die beschäftigten Arbeiter.

Die Kampfbereitschaft der Ausgebeuteten ist nicht nur proportional zur Ausbeutung, sondern auch von der Wirksamkeit der ideologischen Instrumente. Je klarer und durchschaubarer diese zu sein scheinen, desto mehr werden sie zu großen Kreuzzügen gegen das Nichts, und die Ausbeutung bleibt intakt. Je schwächer sie sind, desto weniger sind sie in der Lage, die Massen „anzuführen“, die den Weg des Kampfes, des Klassenzusammenhalts und der Ziele des Konflikts selbst finden.

Das Niveau des Konflikts

Dies kann als die Gesamtheit der Bedingungen definiert werden, die den Klassenkonflikt charakterisieren. Diese Bedingungen zu kennen ist sehr wichtig, weil man oft aus verschiedenen Gründen dazu gebracht wird, einige für wichtiger zu halten als andere, mit der offensichtlichen Schlussfolgerung, dass diejenigen, die dieselben Bedingungen nicht akzeptieren, als konterrevolutionär bezeichnet werden.

Es ist nicht möglich, eine Verdienstskala für die Bedingungen festzulegen, die das Niveau des Kampfes bestimmen. Es wäre in der Tat unangebracht, die ökonomischen Bedingungen zu überschätzen und z.B. die ideologischen Bedingungen zu unterschätzen, die, gerade weil sie zusammenbrechen, bestimmte Folgen haben und andere nicht.

Verschärfung des Konfliktniveaus

Jeder historische Moment hat sein eigenes Konfliktniveau. In gewissem Sinne ist die Geschichte Geschichte, weil sie es schafft, diese Niveaus nachzuzeichnen und über die Bedingungen zu berichten, die sie verursacht haben.

Veränderungen des Konfliktniveaus sind normale Ereignisse, die oft in „Wellen“ auftreten, die sich um eine Achse bewegen, die auch bei ständigem Wandel stabil zu bleiben scheint. Dieses Etwas ist die ideologische Struktur der Macht oder, wenn wir es vorziehen, die ideologische Struktur selbst, da die Revolution keine ideologische Struktur hat, bis sie die konkrete Form der Konterrevolution annimmt.

Den Konflikt auf die fiktive Ebene der Ideologie zu verlagern, bedeutet oft, den konkreten Boden des Kampfes zu verlieren, den einzigen Boden, auf dem jede theoretische Überlegung gültig ist.

Es besteht kein Zweifel daran, dass Revolutionäre ein Interesse daran haben, das Bewusstseinsniveau zu heben, aber es besteht auch kein Zweifel daran, dass es kein Interesse daran geben kann, eine ideologische Perfektion zu erreichen, da diese früher oder später nur für die Wieder-Herstellung der Macht funktional werden würde. Im konkreten Fall der Ideologie der Gewalt, die heute in Italien diskutiert wird, wird diese für den Staat funktional, indem sie die Schwankungen zulässt, die es ihm erlauben, in einem Moment paternalistisch offen für Diskussionen zu sein (siehe das Treffen in Bologna, das von sechstausend Polizisten umgeben war), um im nächsten Moment rigide zu starken Mitteln wie Sondergefängnissen, polizeilicher Einschüchterung, Sondergesetzen und Tribunalen zu greifen.

Es sind nicht die Diskussionen über Gewalt, die das Konfliktniveau anheben, noch die Debatte darüber, welche Art von Gewalt akzeptabel ist und welche abgelehnt werden sollte, die die Ausgebeuteten zu ihrer Befreiung drängen. Niemand kann denjenigen, die seit Jahrhunderten unter jeder Art von Unterdrückung leiden, mit diesem Argument etwas beibringen. Der ideologische Vorhang fällt, und die Bühne bleibt in ihrer nackten Realität, der des Klassenkampfes, mit den Ausgebeuteten auf der einen Seite und den Dienern der Ausbeuter auf der anderen Seite, die ihren Chefs auf den Fersen sind.

Wenn wir von der Notwendigkeit von Gewalt sprechen, dann tun wir das sicher nicht, um die Ausgebeuteten zu überzeugen. Sie wissen das selbst sehr gut und setzen es bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit allen ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln in die Tat um. Wir sprechen von der Notwendigkeit der Gewalt, um den Feind deutlicher zu machen, einen Feind, der sich selbst in der Gestalt des Bruders/ der Schwester oder des Gefährten zu verbergen versucht.

Die Diskussion über die Gewalt ist auch ein sehr wichtiges Element, um all jene zu erkennen, die in der Zeit der Worte so geschickt waren, Haare zu spalten und den Massen Modelle der „richtigen Art von Gewalt“ vorzuschlagen, die auf ihren ideologischen Urteilen basieren. Wenn sich das Niveau des Konflikts aus den von uns genannten Gründen verschärft, werden alle diese Diskurse nutzlos und bestimmend. Sie sind nutzlos, weil die reale Konfrontation sie veraltet und sinnlos macht; sie sind bestimmend, weil sie die letzten Illusionen wegfegen und die unfruchtbaren Versuche der Rekuperation anprangern.

Als Anarchisten sind wir für die soziale Revolution, das heißt, wir sind für den sofortigen und endgültigen Sturz des Staates. Wir sind für die revolutionäre Logik, die vor allem eine zerstörerische Logik ist.

Wir sind für die Zerstörung des Staates, das heißt, wir sind für die physische (nicht verbale) Zerstörung der Institutionen und Personen, die den Staat repräsentieren und herbeiführen. Wir sind gegen die Polizei, die Richter, die Bürokraten, die Gewerkschafts-, Syndikatsanführer und die Bosse. Nicht nur gegen die Polizeikontrolle, die bourgeoise Justiz, die Techno-Bürokratie, Syndikalismus (Trade-Unionismus) und den Kapitalismus; wir sind konkret gegen die Menschen, die diese ideologischen Formen im Alltag umsetzen und sie zu Instrumenten der Repression machen. Und dieses Dagegensein muss sich in konkreten Angriffsaktionen niederschlagen. Wenn wir gegen die Polizei sind, dürfen wir nicht in die ideologische Falle derjenigen tappen, die im Namen eines falsch verstandenen Pluralismus oder einer rückwärtsgewandten Aufklärung dem Feind Raum und Machbarkeit geben und behaupten, dass jeder das Recht hat, sich zu äußern, also auch die Polizei – die, wenn sie sich äußert, dies mit Schlagstöcken tut. Wenn wir gegen alle Richter und Bürokraten, alle Bosse und die Gewerkschaften/Syndikate in ihrem Dienst sind, dürfen wir nicht darauf warten, dass uns jemand sagt: „Dieser Chef hat ein bestimmtes Unrecht begangen oder dieser Gewerkschafts-, Syndikatsanführer ist schuldig an diesem und jenem, dieser Richter ist besonders reaktionär“. Nein! Alle, ohne ideologische Unterscheidung, alle Polizisten, alle Richter, alle Bürokraten und alle Gewerkschafts-, Syndikatsanführer, alle Bosse und alle, die in ihren Diensten stehen, sind schuldig und müssen mit allen möglichen Mitteln, zu jedem Zeitpunkt und um jeden Preis angegriffen werden.

Die moralische Rechtfertigung ist in der Tatsache der Ausbeutung selbst zu finden. Wer jahrhundertelang dem monströsen Druck der Arbeit ausgesetzt war, wer am Aufbau der Welt mitgewirkt hat, wohl wissend, dass er oder sie nie etwas davon genießen kann, braucht nicht auf ein besonderes Zeichen der Bosheit der anderen Seite zu warten. Er oder sie ist autorisiert, anzugreifen, zuzuschlagen und zu töten, so wie die Bosse und ihre Diener jederzeit angreifen, zuschlagen und töten können, wenn sie wollen.

Das Problem der Strategie

Die Tatsache, dass es möglich ist, über die Methoden und die besten Formen der Durchführung dieses Angriffs zu diskutieren, ist ein Problem, das nichts mit der moralischen Grundlage zu tun hat, die den Angriff selbst rechtfertigt.

Eine solche Diskussion muss daher eine Diskussion über Strategie, über die Bewertung der Mittel und die Erreichung der Ziele werden. Man kann zum Beispiel nicht sagen: „Anarchisten tun bestimmte Dinge nicht, weil…“. Dieses Argument ergibt keinen Sinn. Was Anarchisten als solche tun, muss in der Realität bewertet werden, nicht in der Abstraktion der Theorie, sonst würde der Anarchismus keinen Sinn ergeben und zu einer mystifizierenden Ideologie wie jede andere werden.

Sicherlich sind die strategischen Entscheidungen nicht von der grundlegenden anarchistischen Analyse zu trennen, die, wenn sie in die Realität umgesetzt wird, zu einem unverzichtbaren Bestandteil der revolutionären Intervention wird. Aber wenn dieselbe Analyse von der Realität des Kampfes abgekoppelt und zum Produkt eines erleuchteten Geistes wird und sich in einen Katechismus der Militanten verwandelt, würde sie einfach in den Bereich der Ideologie übergehen und für die Macht, die sie anzugreifen vorgibt, funktional werden.

Wenn Anarchisten die angebliche revolutionäre Rolle der bewaffneten militärischen Parteien wie der Roten Brigaden, der NAP oder anderer neuerer Formationen kritisieren und angreifen, tun sie dies deshalb ausgehend von einer anarchistischen Analyse, die jedoch die realen Bedingungen des heutigen Klassenkonflikts in Italien berücksichtigt. Es handelt sich nicht um eine anarchistische Analyse, die in den vagen Gefilden der Ideologie angesiedelt ist und sich verpflichtet fühlt, über Dinge zu urteilen, die ihr nicht nur fremd, sondern auch feindlich gesinnt sind. Es reicht nicht aus, Anarchist zu sein, um zu sagen, was in Bezug auf den Kampf, der sich gerade entwickelt, richtig ist. Es ist notwendig, sich in einer konkreten Perspektive zu befinden, um für die revolutionäre Konfrontation zur Verfügung zu stehen, um gut bewertet zu haben, was all das für jeden von uns auf persönlicher Ebene und auf globaler Ebene für die gesamte anarchistische Bewegung bedeutet.

Wir haben oft die Dokumente der Organisationen des bewaffneten Kampfes, die in unserem Land tätig sind, veröffentlicht. Manchmal haben wir auf diesen Seiten auch die wesentlichen Linien einer Kritik an der geschlossenen militärischen Partei nachgezeichnet. Aber wir haben nicht dies beansprucht, als diese Gefährten verfolgt und verjagt wurden, um die Distanz zu messen, die sie von uns trennt. Der Grund dafür ist, dass die Distanz, die zweifellos vorhanden und bedeutsam war, nur auf dem Papier hätte festgehalten werden können und somit zu einer banalen ideologischen Frage geführt hätte. Dies hat zu einem gewissen Missverständnis anderer Gefährten in Bezug auf unsere Position geführt und ein künstliches Argument angeheizt, das keinen Grund gehabt hätte, zu existieren, wenn diese Gefährten es für zweckmäßiger gehalten hätten, sich in der ersten Person zu engagieren, um diese Unterschiede zu unterstreichen, die sie nur auf einer ideologischen Ebene identifiziert haben.

Nun aber haben sich die Dinge geändert, und es ist an der Zeit, unsere Stimmen laut und deutlich zu erheben, damit auch die Gehörlosen/Tauben uns hören können und diejenigen, die vorgeben, taub zu sein, sich vor den ernsthaften Gefährten wiederfinden, die wirklich für die Befreiung aller Ausgebeuteten und für die Anarchie kämpfen wollen.

Der Grund, warum wir dem Phänomen des bewaffneten Kampfes in den letzten Jahren Raum gegeben und die Notwendigkeit unterstützt haben, diese Punkte zu verteidigen, wie widersprüchlich und gefährlich sie auch sein mögen, war, dass wir den eingeschlagenen Weg für wichtig hielten. Wir waren der Meinung, dass dieser Weg in eine andere Richtung führen könnte – was ja auch geschehen ist -, nämlich in den bewaffneten Kampf der Massen, in eine allgemeine Illegalität, die die Bedingungen des ursprünglichen klandestinen Kampfes, der sich auf die geschlossene militärischen Partei stützte, leugnen und schließlich beseitigen könnte. Sich von Anfang an gegen dieses Verhalten zu stellen, wie es so viele getan haben, wäre ein Beitrag zur staatlichen Repression gegen sie gewesen und hätte jede Entwicklung in eine libertäre Richtung verhindert, die wir von Anfang an für möglich hielten. Damit meinen wir nicht eine libertäre Entwicklung in geschlossenen militärischen Parteien, sondern die Entwicklung des bewaffneten Kampfes im Allgemeinen und aller Gefährten, die in dieser Richtung arbeiten.

Die Enttäuschung treibt viele Menschen zu einer Praxis der allgemeinen Illegalität. Dieses Verhalten zeigt sich entweder am Arbeitsplatz oder im Bereich der Arbeitslosigkeit und Kriminalisierung. Dieses Phänomen geht weit über die strategischen Perspektiven einer geschlossenen militärischen Partei hinaus, ganz gleich wie groß und effektiv sie auch sein mag. Die Roten Brigaden, NAP, Prima Linea und viele andere Organisationen haben außer ihrer eigenen Selbstkritik nichts mehr zu sagen. Entweder sie integrieren ihre Aktionen in den Plan des allgemeinen bewaffneten Konflikts, was langsam geschieht, oder sie werden zum Aussterben verurteilt sein.

Das ist auch unsere Aufgabe. So wie wir dazu beigetragen haben, die dummen und böswilligen Kritiken einzudämmen und die vom Staat erhoffte globale Repressionstaktik zu verhindern, müssen wir heute als Anarchisten weiterhin unseren Beitrag zur Klärung dieses Prozesses des allgemeinen bewaffneten Konflikts leisten, indem wir jeden Versuch – egal woher er kommt – herausgreifen, kritisieren und angreifen, strategische und politische Modelle durchzusetzen, die die tägliche Kampfpraxis für überholt erklärt hat.

Insurrektion/Aufstand

In der Perspektive der Verallgemeinerung des bewaffneten Kampfes der Massen erhält der Aufstand/die Insurrektion eine libertäre Bedeutung und stellt die endgültige Kritik an jedem „geschlossenen“ Versuch dar, der Verwaltung des Klassenkonflikts zu organisieren.

Die Verallgemeinerung des bewaffneten Kampfes ist die natürliche Folge einer Situation, die sich von Tag zu Tag verschlimmert. Die Ausgebeuteten beginnen, diese Notwendigkeit in einer Reihe von anti-institutionellen Aktionen, die sich immer weiter ausbreiten, deutlich zu machen. Die vereinzelten Strafmaßnahmen, die von klandestinen Gruppen, die in der Minderheit sind, gegen einige der für die Ausbeutung Verantwortlichen durchgeführt werden, werden von der Masse mit Genugtuung aufgenommen und gebilligt. Die Versuche der Gewerkschaften/Syndikate, Proteststreiks gegen solche Aktionen zu organisieren, hatten, wie z.B. bei der FIAT, eine sehr geringe Teilnehmerzahl.

Es besteht kein Zweifel, dass die Bewegung der Ausgebeuteten in ihren verschiedenen Formen und all ihren Widersprüchen heute in der Lage ist, das Kapital und die staatlichen Strukturen, die es verteidigen, anzugreifen. Es besteht kein Zweifel daran, dass dieser Angriff tatsächlich stattfindet. Das einzige, was uns seltsam erscheint, ist, dass an diesem Punkt des Kampfes Rückschritte gemacht werden, die sich in der Beharrlichkeit zeigen, Instrumente (wie die bewaffnete Partei) zu benutzen, die zwar gestern in gewisser Weise wirksam waren, heute aber anachronistisch sind und drohen, nach innen gerichtet zu werden.

Als anarchistische Revolutionäre wissen wir sehr gut, dass in dieser Phase der Klassenkonfrontation klandestine Formen des Widerstands weiterhin notwendig sind. Wir wissen aber auch, dass dies gleichzeitig negative Aspekte mit sich bringt, d.h. dass sie Gefahr laufen, autoritär zu werden.

Es ist unsere Aufgabe, darauf zu achten, diese Entwicklung zu stoppen, dafür zu kämpfen, dass die Konfrontation in ihrer aufständischen/insurrektionalistischen Form verallgemeinert wird, was sie nicht nur als anarchistische Strategie, sondern auch als libertäre Perspektive garantiert.

Wenn von Aufständen/Insurrektionen in der Vergangenheit die Rede ist, bringen viele Gefährten sofort historische Beispiele: die Matese-Bande, die Pontelungo-Verschwörung und andere derartige Ereignisse und werfen uns „revolutionäre Romantik“ oder „Idealisten“ oder „objektiv gefährlich“ vor. Für uns ist das alles lächerlich.

Aufstand/Insurrektion ist der Versuch, der mit Blick auf die Revolution unternommen wird. Als Anarchisten bleibt der Aufstand/Insurrektion unser privilegiertes Element, aber dieser Aufstand/Insurrektion muss verallgemeinert werden, zumindest auf die Ebene einer möglichst breiten Praxis illegalen Verhaltens. Das ist es, was tatsächlich geschieht. Worüber sollten wir uns schuldig fühlen? Vielleicht sollten wir uns darüber beklagen, dass die Widersprüche des Kapitals und die revolutionären Forderungen der Ausgebeuteten uns daran hindern, unsere süßen Träume zu verwirklichen?

Lasst uns Mut fassen. Wenn uns harte Zeiten bevorstehen, wissen wir, wie wir ihnen begegnen werden. Gerade in diesen Zeiten werfen die Schafe den Wolfspelz ab, und es ist an der Zeit, das Gerede beiseite zu legen und zu kämpfen. Fassen wir Mut und gehen wir voran. Und da die beste Verteidigung immer der Angriff ist, sollten wir zuerst angreifen. An Zielen mangelt es nicht. Mögen die Bosse und ihre Diener spüren, wie schwer es werden kann, ihre Arbeit als Ausbeuter fortzusetzen.

Anarchismo

ZUM PROBLEM DES BEWAFFNETEN KAMPFES

Ein wichtiges Element, das in den Analysen der Anarchisten zum bewaffneten Kampf immer wieder auftaucht, ist das folgende: Da der bewaffnete Kampf der Höhepunkt der Revolution ist, müssen wir, bevor wir ihn führen, sicher sein, dass die Phase, die wir durchlaufen, zumindest eine prä-revolutionäre ist. Im gegenteiligen Fall würden wir von der Repression und allem anderen zerschlagen werden, und die politische Arbeit, die die Bewegung immer geleistet hat, wie Gegeninformation und Propaganda, würde zerstört werden.

Wir halten es für wichtig, diesen Standpunkt zu verdeutlichen und dabei einige Punkte hervorzuheben:

a) Die Analysen beruhen auf den persönlichen Positionen der Gefährten, die sie ausarbeiten, und das könnte auch anders sein;

b) die Positionen der Organisationen, denen diese Gefährten angehören, wirken sich auf die Analysen selbst aus, auch wenn dies nicht offiziell erscheint;

c) es ist ein logischer Fehler, zu behaupten, dass der bewaffnete Kampf die prä-revolutionäre Phase abwarten muss, da er auch eine Rolle bei der Schaffung dieser Phase spielt;

d) es kann keine einheitliche/einzige Definition der prä-revolutionären Phase geben.

…Die ersten beiden Punkte sind zu bedenken, da viele der heute vorgetragenen Analysen von älteren Gefährten stammen, deren politisches Bewusstsein aus einer anderen Phase des Klassenkampfes stammt. Jüngere Gefährten, deren Alltag oft antiautoritärer ist als der derjenigen, die die Analysen verfassen, weigern sich oft, diese Art von Arbeit zu leisten, oder sie finden, dass ihnen aufgrund der Liberalisierung der Schulbildung die Instrumente dazu fehlen. Die Analysen, die diese Gefährten vorlegen, sind also ihr eigenes Handeln, und ihr Verhalten hat viele Organisationsstrukturen in die Krise gebracht.

Es ist nicht mehr in Mode, im Namen einer Organisation zu sprechen, aber das bedeutet nicht, dass Analysen die Ideen des einzelnen Gefährten widerspiegeln, der sie geschrieben hat. Sie können die strategischen Positionen von Organisationen widerspiegeln, auf die sich diese Gefährten in der Theorie oder in der Praxis ständig beziehen. Je länger die Organisation zögert, desto weiter ist die „prä-revolutionäre Phase“ entfernt.

Wir kommen zum dritten Punkt: die Aussage, dass der bewaffnete Kampf eine prä-revolutionäre Phase voraussetzt, enthält einen logischen Widerspruch. Diese Aussage impliziert eine Überbewertung der Organisation des militärischen Typs im Vergleich zu anderen Formen der bewaffneten Intervention gegen die Repression. Angesichts des gegenwärtigen Konfliktniveaus liegt es im Interesse der Repression, die Ausbreitung bewaffneter Aktionen einzuschränken und gleichzeitig auf eine bestimmte Organisation verweisen zu können, die das Phänomen in seiner Gesamtheit repräsentiert. Dies kann dann auf spektakulärer Ebene zur Rechtfertigung von Repressionen herangezogen werden.

Im Grunde genommen gibt es keinen Grund, diese von der politischen Polizei vertretene Interpretation zu akzeptieren. Die Aktionen der so genannten historischen bewaffneten Organisationen sind nur ein minimaler Teil des Phänomens des bewaffneten Kampfes, auch wenn sie es schaffen, die spektakulärste Aktion zu sein. In Wirklichkeit besteht dieses Phänomen aus einem weiten Bogen illegalen und antiautoritären Verhaltens, das sich unkontrolliert auszubreiten droht. Der Staat weiß das sehr gut, ebenso wie die politischen und pseudorevolutionären (aber im Grunde konterrevolutionären) Gruppen, die versuchen, auf den Zug aufzuspringen. Das Problem des bewaffneten Kampfes in Italien heute auf das zu reduzieren, was von Gruppen wie den Roten Brigaden getan wird, wäre absurd. Das hieße, mit dem ganzen Gewicht der revolutionären Analyse die Argumentationsschemata zu wiederholen, die dem Kapitalismus so nützlich sind. Es ist dieses antiautoritäre, illegale Verhalten, das das signalisiert, was die prä-revolutionäre Phase definiert, und nicht, wie manche behaupten, dass es diese Phase ist, die ein solches Verhalten rational macht.

Es sollte auch etwas zu dem Problem gesagt werden, dass eine einzige Definition der prä-revolutionären Phase nicht möglich ist. Einige Gefährten sind der Meinung, dass sie immer den Bedingungen des Sturms auf den Winterpalast ähneln muss, und alles andere kann nur aus einer sich verschärfenden Krise der kapitalistischen Verwaltung der Ökonomie entstehen. Andere meinen, dass sich zuerst ein Ungleichgewicht auf internationaler Ebene entwickeln muss oder dass es eine Veränderung der Interessen in den Gebieten geben muss, in die die Welt aufgeteilt ist. All diese Punkte haben ihre Berechtigung, aber für sich genommen können sie nicht die Tatsache in Frage stellen, dass unsere revolutionäre Aufgabe darin besteht, die Ausgebeuteten zur Rebellion und zum Kampf gegen die Ausbeuter zu drängen, und nicht darin, von der Möglichkeit des Sieges unserer Organisationen im Falle eines Konfliktes zu tagträumen. Möglicherweise hat man noch nicht verstanden, worin die revolutionäre Aufgabe der Anarchisten bestehen soll. Wie kommt es, dass einige immer noch in Begriffen des Namens, der Organisation denken, wobei die Azione Rivoluzionaria, allein durch die Tatsache, dass sie einen schönen Satz von Durruti an den Anfang ihres wichtigsten Dokuments gestellt hat, sich als die einzig mögliche Alternative zu den Roten Brigaden betrachten sollte? Vielleicht hat man nicht verstanden, dass die einzige Alternative der verallgemeinerte bewaffnete Kampf ist, der auf ein aufständisches/insurrektionalistisches Niveau getrieben wird, etwas, das weitaus bedeutungsvoller ist als die größten Taten der historischen Organisationen.

VORWÄRTS, GEFÄHRTEN!

Die Revolte ist eine Tatsache, die Individuen und Organisationen betrifft. Sie ist nicht die Revolution, sondern macht die Revolution erst möglich. Ohne die ständige Revolte bewusster Individuen wird es nichts geben als die verräterische Revolution der Neo-Bosse, die sich der Organe des Klassenkampfes bedienen. Und die Revolte ist das Bewusstsein über sich selbst, die eigene Beteiligung, die Opfer, zu denen man fähig sein muss, die Hoffnungen, die Freuden, die Fortschritte und die möglichen Gefahren. Die Revolte ist das, was das Leben eines jeden von uns kennzeichnet.

In Momenten großer sozialer Spannungen, wenn die Widersprüche der kapitalistischen Struktur explodieren, zeigen sich die Folgen der kleinen Kompromisse und Schwächen, die wir in der Zeit, in der nichts passierte, akzeptiert haben. Es ist der Opportunismus, der sich seinen Weg unter uns gebahnt hat, der Opportunismus, der listige Worte findet, um sich zu tarnen, um sich als raffinierte revolutionäre Taktik einzuschmuggeln.

Vorwärts, Gefährten! Lasst uns beginnen, das aufzurufen, was in uns steckt, in unseren Beziehungen zu den uns nahestehenden Gefährten, in unseren Beziehungen zu den Organisationen, denen wir angehören.

Das ist gar nicht so schwer. Der Feind, der uns gegenübersteht, tut dies mit einer solchen Härte, dass es nicht schwer ist, ihn zu erkennen, und wenn wir ihn erkennen, müssen wir zuschlagen, und wenn wir zuschlagen, müssen wir bereit sein, die Konsequenzen unseres Handelns zu tragen. Das sind die Aufgaben, die auf uns warten.

Mögen unsere Diskurse Aktion sein, und mögen andere Gefährten lernen, uns für das zu schätzen, was wir tun, und nicht für das, was wir als Tradition repräsentieren, und möge der Staat wieder lernen, Anarchisten zu fürchten, nicht als Erben von Ravachol oder Henry, Durruti oder Makhno, sondern weil sie in der Lage sind, Organisationen des Angriffs mit Leben zu erfüllen, und nicht nur Gruppen von Sozialwissenschaftlern sind, die brillante Analysen über die Probleme des Augenblicks produzieren.

Heute haben wir einige Möglichkeiten an der vordersten Front der revolutionären Konflikte. Wir haben in der jüngsten Vergangenheit keine gravierenden Fehler gemacht, die uns in den Augen der Ausgebeuteten in ein schlechtes Licht rücken.

Vielleicht liegt das daran, dass unsere Taten zu unbedeutend waren, um Raum für schwerwiegende Fehler zu lassen, aber wir haben trotzdem keine gemacht. Gegenwärtig können wir immer noch ein Bezugspunkt sein, ein Sammelpunkt sowohl für die Ausgebeuteten als auch für viele militante Revolutionäre, die aus autoritären Organisationen kommen und das große Trauma der Fehler dieser Organisationen durchlebt haben. Wir werden die Fehler, die wir 1968 gemacht haben, nicht wiederholen. Wir akzeptieren keine Konfrontation auf der abstrakten Basis von endlosen theoretischen Diskussionen. Wir messen uns im konkreten Aktionsfeld.

Wir zeigen nicht die Angst, die uns normalerweise dazu bringt, uns zu verschließen, weil mit den Autoritären, den Marxisten, nichts zu machen ist. Die letzten Monate haben gezeigt, dass sich ein starkes antiautoritäres Bewusstsein in vielen Gruppen von Militanten entwickelt hat, ebenso wie in einigen Schichten der Ausgebeuteten, insbesondere bei denjenigen, die von Kriminalisierungsprozessen betroffen sind: Wir tragen nicht dazu bei, dieses Bewusstsein auszulöschen.

Lasst uns auf alle möglichen Beziehungen vorbereitet sein. Wir sind Anarchisten und als solche für die antiautoritäre Aktion. Aber wir glauben an die Notwendigkeit, die Macht sofort anzugreifen, auf allen Ebenen und mit allen möglichen Mitteln. Hier können wir uns messen und einen möglichen Punkt der Zusammenarbeit finden.

Die jüngsten Erfahrungen, die sich aus dem Niveau der sozialen Konflikten in Italien ergeben, zeigen uns, dass die autoritäre Strategie auf verlorenem Posten steht. Diese Erfahrungen waren nicht nur für uns, sondern auch für viele andere Gefährten ein Anhaltspunkt. Jetzt ist nicht die Zeit für theoretische Debatten, sondern es ist an der Zeit, die anzugreifenden Ziele der großen konterrevolutionären Bündnisse zu benennen.

Anarchismo


1A.d.Ü., von Dissociato: Der Losgesagte, „Abschwörer“; jemand, der dem bewaffneten Kampf abschwört, sich als von seiner Geschichte und Praxis im bewaffneten Kampf lossagt und für die Distanzierung Strafnachlässe erhält.

2A.d.Ü., Absentismus, Abwesenheit von der Arbeitsstelle, Blaumachen.

3A.d.Ü., retrograd, rückläufig.

4A.d.Ü., gauchisme, die Linke des Kapitals im Allgemeinen.

5A.d.Ü., nucleu/nucleus

6A.d.Ü., Revolverhelden.

7A.d.Ü., hierbei handelt es sich um eine faschistische Partei.

8A.d.Ü., mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich um den Streik am 03. März 1976 in Vitoria-Gasteiz.

9A.d.Ü., gemeint sind Politiker oder in diesem Falle jene, die Politik machen, um Politiker zu werden und um Macht auszuüben.

10A.d.Ü., Ausgrenzung

11A.d.Ü., gemeint sind die Stadtviertel, die von den Jugendlichen kontrolliert werden.

12A.d.Ü., gemeint sind die von der CGIL, eine Gewerkschaft/Syndikat, die damals der Kommunistischen Partei nahe stand.

13A.d.Ü., Pubblica sicurezza, Öffentliche Sicherheit, gemeint sind die Sicherheitskräfte des kapitalistischen Staates.

14A.dÜ., Horst Fantazzini, geboren am 04. März 1939 in Altenkessel und gestorben am 24. Dezember 2001, war ein aus Deutschland stammender Anarchist, der bekannt für zahlreiche Banküberfalle wurde. Er verfasste das Buch Ormai è fatta! indem er seine Lebensgeschichte schildert.

15A.d.Ü., siehe Fußnote Nr. 13.

16A.d.Ü., sweat labour, ein Begriff aus dem Englischen der für schwere Arbeit steht, die sehr schlecht bezahlt wird.

17Der Borghese-Putsch war ein erfolgloser Staatsstreich in Italien, der für die Nacht vom 07. auf den 08. Dezember 1970 geplant wurde.

18A.d.Ü., ein sogenannter Boat train.

19A.d.Ü., wir gehen davon aus, dass es sich hier um die Aufnahmeprüfungen handeln könnte.

20A.d.Ü., siehe Fußnote Nr. 13.

21A.d.Ü., bezieht sich auf Fidel Castro, damit ist der Guerillakampf nach kubanischen Vorbild gemeint.

22A.d.Ü., oder auch verstanden als der militarisierten Spezialisten.

]]>
Der Militante im 21. Jahrhundert https://panopticon.blackblogs.org/2022/02/01/der-militante-im-21-jahrhundert/ Tue, 01 Feb 2022 16:33:51 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=2481 Continue reading ]]> Auf französisch hier, und von hier entnommen und korrigiert

Der Militante im 21. Jahrhundert

Die Situationisten machten aus der Verweigerung der Militanz eine grundlegende Banalität und diese Kritik wurde 1972 im Text „Die Militanz als höchstes Stadium der Entfremdung“1 zusammengefasst.

Für uns ist Militant keine Beleidigung für Leute, mit welchen wir nichts gemeinsam hätten (wie petit-bourgeois damals für viele Militante). Gewisse Gefährten können der Militanz verfallen: Da wir nicht die Perfektion suchen, sehen wir darin nicht zwingend ein Motiv, mit ihnen zu brechen.

In der situationistischen Kritik war die Militanz gleichbedeutend mit der Aufopferung seines Lebens für eine Sache, der Negation seiner persönlichen Wünsche und der Unterwerfung unter eine Doktrin. Und v.a. mit dem Glauben, die Veränderung der Welt durch immer mehr Interventionen, Sitzungen und Worten für möglich zu halten. Der Militante ist voluntaristisch und produktivistisch.

Wie hat sich der Militante vierzig Jahre später verändert? Mit welchen Konsequenzen für unsere Kritik der Militanz?

Von der Aufopferung zum Hedonismus

(Anm. d. Ü., das französische Wort militant kommt vom Wort militer) Militer, das ursprünglich Krieg führen bedeutet: Der Militante ist ein politischer Soldat, doch das Wort bekommt mit den Syndikaten und den Massenparteien, Zeitgenossen der Demokratie, seinen modernen Sinn.

Man engagiert sich als Militanter also wie man arbeitet, die Arbeit ist ein Kult im 19. und lange während dem 20. Jahrhundert: Die Arbeit hat einen heiligen Wert und die Anhänger der Situationistischen Internationalen waren nicht die ersten, welche die religiösen Aspekte der Militanz bemerkten.

Heutzutage ist die Arbeit in unserem Leben und in unseren Köpfen (auch in jenem des Arbeitslosen) dermassen verankert, dass sie keinen Kult mehr braucht. Im Westen wird die Aufopferung mittlerweile weniger gepriesen als der Hedonismus. Somit verändert sich der Militante. In der Politik ist die demonstrative Strenge nicht mehr in Mode und die Langeweile ist kein Beweis für Ernsthaftigkeit mehr. Kämpfen bedeutet, sich zu amüsieren, Partys zu feiern oder gar nur das zu tun. Für die temporären Kulturarbeiter ist die Organisation eines festlichen Picknicks beispielsweise eine „Aktion“, welche von der „Aktionskommission“ vorbereitet wird genau wie die Besetzung des Lokals der CFDT [gemässigtes christliches Syndikat].

Selbstverständlich lässt der geführte Klassenkampf wenig Raum für die Freude, aufopfernde Verhaltensweisen bleiben eine Möglichkeit für den syndikalistischen Militanten. Es verhält sich anders mit dem politischen Militanten, für welchen Handeln eine Entscheidung oder gar eine Freizeitaktivität ist: In den westlichen Demokratien strebt das zeitgenössische Individuum nach seinem eigenen Vergnügen und verweigert die Selbstnegation. Welcher Militante des NPA [Nouveau parti anticapitaliste – trotzkistisch] oder des PC [KP] opfert heutzutage sein persönliches Leben der Partei?

Missionar

Die religiöse Dimension ist noch lange nicht verschwunden: Es braucht eine Herrschaft des Bösen (König Geld zum Beispiel) damit die Befreiung geschehen kann.

Die Apokalypse (griechisch für Enthüllung oder Offenbarung) bedingt Satan, den „Prinzen der Welt“, d.h. immer mehr Unterdrückung im Kapitalismus.

Um das Monster niederzustrecken, ist es nicht mehr in Mode, Anführer werden zu wollen, wie damals die trotzkistischen Gruppen, welche gegründet wurden, um die zukünftigen Kader der Partei zu formen, obwohl der Militante also nicht mehr Chef werden will, glaubt er weiterhin, dass er mehr Bewusstsein hat als andere, betrachtet sich als unentbehrlich und gibt sich eine Mission. Er rekrutiert nicht mehr: Er informiert (siehe weiter unten zum Aktivismus und Cyberaktivismus).

Horizontalität

Weit jenseits der Kreise jener, welche man „Autonome“ nennt, bekennt sich heutzutage jeder linke oder linksradikale Militante mehr oder weniger zur Autonomie. Die Vorliebe unserer Zeitgenossen für die Freiheit ist daran wahrscheinlich nicht ganz unschuldig, doch der Niedergang der Vermittlungen und der Vermittler widerspiegelt v.a. eine Krise der Verwaltungsapparate der Verteidigung der Lohnarbeit – der sozialistischen Parteien und Syndikate. Die Bürokraten haben viel mehr Mühe als früher, ihre vermittelnde Rolle auszuüben. Diese Schwächung trägt zur Erschütterung des Glaubens an eine um die Arbeit strukturierte und von in Konflikt stehenden Klassen angetriebene Gesellschaft bei und er erlaubt es der Theorie der Herrschaft, sich auf Kosten der Klassenanalyse aufzudrängen: Es gebe keinen gesellschaftlichen Schwerpunkt mehr, nur eine Artikulation von Kräfteverhältnissen in allen Bereichen, die „Arbeitswelt“ ist nur einer davon.

Foucault und Bourdieu schrieben es unermüdlich: Alles sei heutzutage mit Dispositiven der Macht und der Kontrolle zu erklären.

Mit zwei Konsequenzen.

Erstens übt die Macht ihre Herrschaft durch eine Vielzahl an Praktiken aus, denn sie ist omnipräsent, scheinbar auch in uns selbst, die Kritik der Macht findet also an einer Gesamtheit von Orten (oder Identitäten) statt, wovon keiner (oder keine) die anderen bestimmt: Arbeit, Gender, Rasse, Kultur, Gesundheit, Umwelt usw., Schluss mit der vermeintlichen Hegemonie der Arbeiterklasse. Es ist nicht mehr prioritär, die Kämpfe von oben zu zentralisieren, sondern eher, auf ihr Niveau hinabzusteigen, durch einen distanzierten und in aufeinanderfolgende Mobilisierungen fragmentierten Militanz: Man unterstützt die Sans-Papiers, man denunziert das transatlantische Freihandelsabkommen, man demonstriert gegen den FN…

Danach, um „die Kämpfe miteinander zu verbinden“, drängt sich die Demokratie als Mittel zur Wiedervereinigung der getrennten Bereiche an: doch eine Basisdemokratie, direkt, heute lokal, übermorgen universell. Man zieht den Konsens der Abstimmung vor, gemäss der von den demokratischen Gesellschaften proklamierten Verweigerung der Gewalt: Medien, Polizei, Staat, Universität usw. müssen nicht mehr zerstört, sondern in Einklang gebracht werden.

In Tat und Wahrheit beschränkt sich die Horizontalität im allgemeinen auf die Demokratie der Strassenumfrage. Eine früher emblematische Organisation der Erneuerung, ATTAC, funktioniert ausgesprochen anti-demokratisch und die Regel des Konsenses widersteht schlecht einer grundsätzlichen Meinungsverschiedenheit.

Expertise

Der zeitgenössische Protest ist allgemeinen Theorien gegenüber skeptisch, doch er braucht seine Experten: Spezialisten der Wirtschaft, Geographie, Soziologie, Ökologie, Recht usw., und natürlich die unentbehrlichen professionellen Organisatoren (welche im nächsten Absatz diskutiert werden).

Die alte sozialistische Arbeiterbewegung, v.a. die stalinistische, wählte bevorzugt der Arbeiterklasse entstammende Anführer aus, welche den Klassenkampf wie ein intellektueller Arbeiter verkörperten und die Synthese der Vergangenheit und der Gegenwart des Proletariats und der Menschheit darstellten. Maurice Thorez war sowohl bezüglich Kultur als auch politischer Strategie eine Autorität. Heutzutage hat es keinen Platz mehr für ein totales, von der Klassenpartei getragenes Wissen: Der Experte ist nur in seinem Bereich Experte.

Der Verlust der Totalität ermöglicht unvermeidlich neue Spezialisten: Experten der Komplexität, der Pluralität, der Transversalität, der Kontextualisierung, der Verwaltung der Koexistenz konkurrierender Identitäten, sowohl verbündet als auch rivalisierend.

Eine der Hauptaufgaben dieser „guten“ Experten ist es, die „bösen“ zu widerlegen, jene des Staates oder des MEDEF [französischer Zusammenschluss der Bosse], welche als unehrlich, parteiisch oder unfähig beurteilt werden, doch auf beiden Seiten geht es darum, realistisch zu sein, mit Zahlen zu beweisen, dass ein anderes Budget, eine alternative Verwaltung oder ein besseres Abkommen bezüglich der Arbeitslosenversicherung möglich wäre.

Beruf: Radikaler

Als die sozialistische Arbeiterbewegung einer Gegengesellschaft ähnelte, unterhielt sie ihre eigenen Berufsaktivisten: Journalisten, Vorsitzende, Verwalter von Vereinen, Genossenschaften usw. Die parlamentarische Demokratie wird heutzutage durch eine gesellschaftliche Demokratie ergänzt, wo die öffentlichen oder para-öffentlichen Mächte und eine Unzahl von privaten Organismen eine integrative und Arbeitsplätze schaffende Rolle spielen: So verschiedene Länder wie Frankreich und die USA entwickeln Vereine, „das Soziale“, die NGOs und einen Schwarm von Vermittlern. Soziale Arbeit wird zu einer politischen Waffe und die Schule als auch die Unternehmung zu einem Interventionssektor: Referenten gehen dorthin, um den Sexismus, den Rassismus oder die Homophobie zu denunzieren, ohne sich bewusst zu sein, dass sie damit jene Orte stärken, wo sich das reproduziert, was sie als Vorurteile betrachten.

Eine soziale Demokratie will ihre Widersprüche verstehen, eine Armee von Forschern beschäftigt sich also mit Konflikten, Streiks, Ausschreitungen, radikalen Theorien, linken Gruppen…Es werden Diplomarbeiten über die Trotzkisten in der Moselle oder die Ausgeschlossenen der Situationistischen Internationalen geschrieben. Nichts ist neutral: Die Mathematik liefert den mit Algorithmen vertrauten Trader, die Ornithologie beteiligt sich an der Erschaffung zukünftiger Supersoldaten2. Das 19. Jahrhundert hat die Soziologie der Massen eingeführt, heute ist die Polizei Forschungspartner der Wissenschaft der Kontrolle der Massen.

Das Studium wird mit der Praxis kombiniert. Die technisch-soziale Expertise gibt Anlass für eine vielfältige Serie an Jobs, welche in England movement jobs genannt werden: der entlohnte „Organisator“ eines Syndikates, der professionelle Rassismus-Redner, welcher in den Schulen spricht, der von der EU bezahlte Anti-Diskriminierungs-Forscher, der im Unternehmen für die Konfliktlösung verantwortliche Soziologe, ein mit öffentlichen oder privaten Geldern finanziertes radikales Magazin oder Kolloquium, z.B. jenes von der Partei Die Linke abhängige der Rosa-Luxemburg-Stiftung usw. „Wenn das eigene politische Engagement mit dem Geld Verdienen verschwimmt, lässt sich nicht mehr erkennen, was die Leute selber denken – und was sie aus beruflichen Gründen vertreten.“3

Der damalige Berufsrevolutionär wurde von der Partei bezahlt: Heute wird er vom Staat oder einem privaten Organismus entlohnt oder subventioniert, eine inakzeptable Abmachung für den Militanten der 1970er Jahre. Die Ablehnung der Parteien ist grösser, jene des Staates kleiner geworden.

Der neue Geist der Militanz entspricht übrigens einem sehr verbreiteten Bild des zeitgenössischen Kapitalismus, welcher als in Einheiten dezentralisierter Netze funktioniere, wobei jede um ein Projekt organisiert ist und beinahe autonom funktioniert. Dieser Neokapitalismus mache einen neuen Typ der Aktion notwendig, welche gleich funktioniert: Jede Gruppe von Aktivisten handelt mit ihrem Ziel, horizontal, ohne Hierarchie, um sich erst danach mit anderen zu koordinieren. „Der Bürokrat wird durch den Manager ersetzt. Libertärer als ersterer besteht er auf der Autonomie und der individuellen Verantwortung. Doch er zwingt die Normen des Kapitals durch Effizienz, Rentabilität und Leistung auf.“4 Die Abwesenheit von Hierarchie zwischen den Gruppen verunmöglicht nicht eine Hierarchie innerhalb jeder davon, auch wenn sie informell sind.

Aktivität, Aktivismus und Militanz

Die Teilnahme an einer kleinen oder grossen sozialen Bewegung, 15 Stunden täglich während mehrerer Wochen, bedeutet die Erfahrung einer intensiven Aktivität. Der Aktivist glaubt, dass es unvermeidlich und möglich ist, permanent subversiv zu handeln. Die Theorie hat übrigens auch ihre Aktivisten, für welche ihre Schriften eine notwendige Bedingung der Revolution sind.

Obwohl er selten sagt, er sei militant und opfert sein Leben nicht für die Politik, hat der zeitgenössische Aktivist das Ideal, bei allen Handlungen, allen Demos, allen Besetzungen dabei zu sein, um sich jedes Mal an die Permanenz des Klassenkampfes und an das Erfordernis der Revolution zu erinnern. Doch um jeden Preis handeln zu wollen, führt dazu, dass man dort interveniert, wo man überhaupt nichts mit dem angestrebten Ziel gemeinsam hat, und sich somit ausserhalb des Kampfes befindet, an welchem man teilnehmen will. Es müssen also Notlösungen gefunden werden, um trotzdem daran teilzunehmen.

Wenn man unbedingt zu einer tauben Welt sprechen will, schreit man letztendlich, um gehört zu werden, erfindet etwas dazu, setzt auf den Willen und interpretiert jede Situation als Notfall: Die Aktion löst sich von der Realität ab, obwohl sie sich vorstellt, mittendrin zu sein. Es ist diese Trennung, welche die Militanz charakterisiert (und nicht aufopfernde Verhaltensweisen, welche nur Beiwerk sind). Mit folgenden Effekten: Routine, Zwang, Spezialisierung, sogar Hierarchie – die Politik ähnelt immer mehr einer Arbeit.

Natürlich existieren Abstufungen, eine Grauzone, wo die Versessenheit, zu handeln, in den „militanten“ Aktivismus abgleitet, ohne es zu sein.

Die Schwächen der Bewegung werden ihr von der Situation auferlegt. Unsere Absicht ist es nicht, eine klare Grenze zwischen dem beschränkten Militanten und dem authentischen Revolutionär zu ziehen. Ist es Militanz, wenn eine Gruppe von kämpfenden Arbeitslosen einen wöchentlichen Stand vor der Familienkasse hält und zur Lösung von administrativen Problemen beiträgt? Was ist mit den Genossen, welche eine Bibliothek aufbauen, um dem Quartier eine neue Dynamik zu geben und gegenwärtige und künftige Solidarität zu begünstigen? Alles hängt von der Entwicklung dieses Kampfes und des Quartiers ab.

Cyberaktivismus

Eine Gemeinsamkeit des radikalen Milieus ist der Glaube, dass die Proletarier weltweit immer schlechter leben, obwohl sie immer mehr kämpfen: Wenn „die Revolution“ nicht kommt, was fehlt? Für viele sind es die Verbindungen: Es geht also darum, dazu beizutragen. Nicht, indem man den Kern einer künftigen Partei erschafft, sondern schlicht indem man die Organisation begünstigt und allen voran indem man die Informationsquellen und -kanäle unterstützt.

Wir sind die Medien, hört man häufig. Oh, wie sehr! Der Cyberaktivismus funktioniert nach dem gleichen Modell wie die Medien. Vereinfachen, übertreiben, wiederholen: So fasste ein Journalist die sogenannt populäre Presse zusammen. Diverse Homepages mit revolutionärer Ambition funktionieren leider auch nach diesem Motto. Genau wie in den Reportagen, welche man in den omnipräsenten Bildschirmen sieht, wird der Leser-Zuschauer mit einem ununterbrochenen Fluss von Ereignissen konfrontiert, von welchen das eine genauso wesentlich ist wie das andere, obwohl ihre unendliche Aufeinanderfolge ihren vergänglichen Charakter bestätigt und sie aushöhlt.

„Das hat nichts mit dem Fernsehen zu tun!“, wird man uns sagen, „Denn hier ist der Zuschauer auch Akteur: Unsere interaktiven Homepages zeigen Leute, die sich gegenseitig informieren und einen Streik in Turin mit Ausschreitungen in Manila in Verbindung bringen!“

Es ist für die Beteiligten einer Aktion selbstverständlich, die Bilder davon zu verbreiten, v.a. auf den sozialen Netzwerken. Doch die Vermutung, die Streikenden aus Turin würden mit den Aufständischen in Manila kommunizieren – ein Ausnahmefall, der kaum von uns abhängt – würde die Frage aufwerfen, was der mögliche Effekt dieses Austauschs auf ihre jeweiligen Kämpfe wäre.

Der Cyberaktivismus stellt diese Frage nicht, denn er glaubt an die Illusion, Kommunikation sei Handeln.

Noch schlimmer, indem es die Medien auf ihrem Terrain besiegen will, kopiert das radikale Medium sie: systematische Dringlichkeit, Akkumulation, Sensationslust durch die Suche nach der frappierenden Meldung oder dem schockierenden Bild, das normalerweise bedeutungslos ist. Was beweist ein Foto eines blutenden Gesichts?

Die positiven Aspekte (die übermittelte Information, die unterhaltenen Verbindungen) des Cyberaktivismus werden grösstenteils durch seine Funktionsweise sterilisiert: Er zeigt uns die Repräsentation einer Welt, welche stetig revoltiert oder sich gar erhebt, eine Phantasiewelt, ein wahrhaftiges Paralleluniversum wie in einem Roman von Philip K. Dick – doch man sollte die Fiktion und die Revolution nicht miteinander verwechseln.

Selbstbildung und Vulgarisierung

Der Glaube an die zwingend befreiende Bildung ist die Grundlage der Militanz.

Parteischule, Sommeruniversität, Praktikum, Anleitung, Kurzfassung – gestern wie heute, der Militant bleibt ein Lehrer, welcher den pädagogischen Moden seiner Zeit folgt. Schluss mit dem Frontalunterricht, die zeitgenössische Schule platziert den Schüler „im Zentrum des Bildungsprojekts“. Man füllt nicht mehr den Schädel, sondern lehrt Autonomie, man hilft dem Lernenden, „Subjekt zu werden“, indem man ihn eine Fülle von Daten und Meinungen ordnen lässt, auf dem Papier oder dem Bildschirm, besonders dank den etlichen Online-Konferenzen auf Youtube.

Man korrigiert die Verhaltensweisen der Militanten und bringt ihm bei, sich selbst zu korrigieren, z.B. bezüglich der patriarchalischen Wortwahl. Ein Video erklärt, wie eine Debatte zu führen ist, eine Broschüre, wie mit einer Frau gesprochen werden muss, ohne sie zu unterbrechen.

Trotzdem kann der Pädagoge nicht anders, wie modern er auch sein mag, als an Stelle seines Schülers zu denken, für ihn bedeutet Unterricht Vulgarisierung. In Anbetracht einer Idee ist die erste Reaktion des Militanten, sich die Frage zu stellen, wie er sie benützen könnte. Er „instrumentalisiert“ die Theorie.

Als Marx im Frühling 1847 vor Arbeitern präsentierte, was später unter dem Titel Lohn, Preis und Profit veröffentlicht wurde, fasste er nicht einfach die Thesen der damaligen Sozialisten zusammen. Er machte eine Synthese davon, um zu versuchen, sie zu verstehen, damit die Bewegung sie überwinden könnte. Im Gegensatz dazu wiederholen die Homepages, welche sich zur Mission gemacht haben, die Grundlagen des Marxismus (oder des Anarchismus), die grundlegenden kritischen Konzepte, die Krisenanalyse usw. zu präsentieren, was man schon weiss, bestätigen es und reduzieren damit das Verständnis auf den kleinsten gemeinsamen Nenner, auf das, was schon errungen, offensichtlich, weder theoretisch noch praktisch umstritten ist. Der Leser wusste, dass der Lohnarbeiter ausgebeutet ist, und vermutete bereits, dass die Finanz nicht die tiefe Ursache der Krise ist: Man liefert ihm nun die Demonstration davon. Wie an der Uni gibt es einen Bruch zwischen „Unterricht“ (für die Masse) und „Forschung“ (für jene, welche die für schwierig gehaltenen Texte lesen).

„Aus welcher Position sprichst du?“…

…hätte man damals gefragt.

Die Schiessbudenlogik interessiert uns nicht. Wir halten uns nicht für schlauer als der Nachbar und glauben auch nicht, dass wir die Widersprüche der radikalen Kritik durch die Magie einer Dialektik überwinden können, welche überall die positiven Aspekte herausfischt (die Energie des einen, den Informationsdrang des anderen, die Reproduktion von alten Texten beim dritten…), indem sie sich vor den abschreckenden Fehler aller hütet.

Hoffen wir auf jeden Fall nicht, dass wir heute die Organisation aufbauen können, welche morgen, „wenn es knallt“, bereit sein wird. Verfügbar bleiben ist häufig das beste, was man tun kann, indem man sich informiert, ohne alle seine Zeit vor dem Bildschirm zu verbringen, indem man handelt, aber nicht zwingend jeden Tag. In der notwendigen Verbreitung der radikalen Information und Thesen sind diese selbst nicht wichtiger als die durch ihre Zirkulation entstehenden Verbindungen, Verbindungen, welche wohl eines Tages nützlich sein werden, deren Formalisierung heute jedoch überflüssig wäre. Obwohl die kollektive Trägheit ein Hindernis für die Revolution ist, unterhalten gewisse Aktionsformen ebenfalls die Passivität.

Gemäss einem alten proletarischen Sprichwort „sind es nicht die Revolutionäre, welche die Revolution machen werden, sondern die Revolution, welche die Revolutionäre machen wird“.

G.D.

 

1Drei Jahre später veröffentlichte die Organisation des jeunes travailleurs révolutionnaires eine Fortsetzung, welche die Entstehung des Texts und seine Geschichte zusammenfasste, und erklärte, dass sie 1972, als sie sehr vom Rätekommunismus beeinflusst war, „den verhängnisvollen Charakter der demokratischen, rätekommunistischen, selbstverwaltenden Konzeption“ nicht wahrgenommen hatte: „Das konstituierende Prinzip der Demokratie ist die Trennung zwischen der Entscheidung und ihrer Ausführung. Gruppen wie Socialisme ou Barbarie oder danach die Situationistische Internationale beriefen sich sowohl auf die Demokratie als auch auf die Abschaffung dieser Trennung. Das ist gleichbedeutend mit der Versöhnung des Unversöhnlichen.“

2Die Weisskehlammer (Zonotrichia albicollis) ist fähig, zu fliegen, ohne zu schlafen, die amerikanische Armee interessiert sich für sie in der Hoffnung, Soldaten zu erschaffen, die keinen Schlaf mehr brauchen (Le Monde diplomatique, Juni 2014).

3„Beruf und Bewegung“, Wildcat #96, 2014.

]]>
Die Militanz als höchstes Stadium der Entfremdung (1972) https://panopticon.blackblogs.org/2022/02/01/die-militanz-als-hoechstes-stadium-der-entfremdung-1972/ Tue, 01 Feb 2022 16:29:40 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=2479 Continue reading ]]> Auf französisch hier, und von hier entnommen und korrigiert

Die Militanz als höchstes Stadium der Entfremdung (1972)

Einleitung der Soligruppe für Gefangene

Wir haben diesen Text aus der Seite Kommunisierung.net entnommen und überarbeitet. Zusätzlich dazu haben wir auch das Vorwort der spanischen Ausgabe übernommen, weil in dieser interessante Informationen und wichtige Aspekte, die zu berücksichtigen sind, erwähnt werden. Wir hatten uns sehr über die Übersetzung von diesem Text gefreut, die am 06. Mai 2013 veröffentlicht wurde, der Originaltext ist wesentlich älter. Diese überarbeitete Version haben einige von uns zu lange Zeit schon vor uns hergeschoben, daher freuen wir uns umso mehr über die Veröffentlichung.

Nun stellt sich die Frage, warum wir diese Übersetzung überarbeitet haben, als ob was bei der Übersetzung von Kommunisierung.net nicht stimmen würde.

Die Übersetzung ist sehr gut, daran ist nichts zu kritisieren, aber der Kernpunkt dieses Textes schweift vom Originaltext komplett ab. Es dreht oder es handelt sich hier um den Begriff, wie im Originaltext, des Militanten und der Militanz als solche und wir sind überhaupt nicht einverstanden, dass dies mit den Begriffen der Aktivisten und des Aktivismus übersetzt wurde. Vor allem auch weil diese letzteren Begriffe auch im Originaltext erscheinen und dieser differenziert zwischen beiden.

Wir selber kennen die Unterschiede der Begriffe (Militanz im deutschsprachigem Raum und außerhalb von diesem sowie der Unterschied zwischen Militanz und Aktivismus außerhalb des deutschsprachigen Raumes), nicht nur deren Bedeutung im jeweiligen Kontext, sondern auch vor allem ihren spezifischen Charakter.

Gerne und üblicherweise wird im deutschsprachigem Raum der Begriff Militanz nur in einem Kontext von Ausübung oder positiver Einstellung gegenüber Gewalt verwendet, während auf dem Rest der Welt dieser Begriff sehr anders verwendet wird. Wir wissen, dass der Ersatzbegriff der von Kommunisierung.net verwendet wurde, nämlich Aktivist – Aktivismus, an sich was komplett anderes bedeutet, auch wenn gegenwärtig gewisse Parallelismen stattfinden, dennoch beschreiben sie nicht dasselbe.

Militanz und Militante sind außerhalb des deutschsprachigen Raumes, als Kritik, als Negation jeglicher Art von Bewusstsein und Selbstverantwortung, entfremdete politische Subjekte die ihren Organisationen dienen. Dies wäre komplett runtergebrochen, was der folgende Text erklären wird, natürlich viel ausführlicher.

Der Unterschied zwischen Militanz-Militante und Aktivismus-Aktivisten liegt an Veränderung politischer Zusammenhänge in den letzten 40 Jahre. Der Aktivismus und die Aktivisten sind die informelle Erscheinung dieser entfremdeten politischen Subjekte unserer Zeit, die nicht mehr den „großen“1 Organisationen verbunden sind. Deswegen gilt aber dieser entfremdeten Figur keine Kritik, wie die im folgenden Text verfasste, sondern eine der anderen Art, auch wenn vieles sich überschneidet und ähnlich wirkt.


Vorwort zur spanischen Ausgabe

Jede Übersetzung bringt einen gewissen Bedeutungsverlust mit sich. Man hofft immer, dies zu kompensieren und es so weit wie möglich zu minimieren oder zumindest zu verhindern, dass es den zentralen Aspekt des Textes beeinträchtigt. In diesem Fall ist es leider gerade das wichtigste Wort, das dieses Problem unüberwindbar macht. Im Französischen heißt die Militanz militantisme und erhält durch die Endung -isme (-ismus) eine Form, die im Spanischen mit militantismo übersetzt werden könnte. Wollte man diese Form beibehalten und den doktrinären Aspekt der Militanz betonen, würde der ursprüngliche Titel etwa Militantismo, estadio supremo de la alineación2 lauten. Aber im Spanischen sprechen wir jedoch nicht von militantismo, und so steht dieser Begriff für eine verschärfte und fundamentalistische Form militanter Aktivitäten. Ihn so zu übersetzen, würde bedeuten, sich nicht auf die reine Militanz zu beziehen, auf die sich der Originaltitel bezieht, und würde die Kritik nur auf einen Bruchteil ihres eigentlichen Ziels lenken. Das wäre ein schwerwiegender Fehler, denn das Ziel dieses Textes steht der Verurteilung der verschärftesten und doktrinärsten Formen der Militanz diametral entgegen. Das scheint in der Tat ihre große Besonderheit zu sein: Weit davon entfernt, einige spezifische Formen der Militanz anzugreifen, wie Aktivismus, Parteimilitanz usw., versucht sie, die Reproduktion der merkantilen Entfremdung3 in den Grundlagen aller militanten Aktivitäten sichtbar zu machen.

Deshalb ist es wichtig, sich von Anfang an klarzumachen, dass wir es nicht mit der am weitesten verbreiteten Kritik am Aktivismus zu tun haben, die sich darauf beschränkt, leicht amüsante Parallelen zu religiösen Praktiken, Arbeitspraktiken und so weiter zu ziehen. Das Ziel dieser Seiten geht über die Anprangerung bestimmter Verhaltensmuster wie Trennung4, Märtyrertum und Opfer, Hierarchien usw. hinaus. Wenn auf diese Themen Bezug genommen wird, dann nicht, um sie zu psychologisieren, sondern um zu versuchen, eine mehr oder weniger tief gehende Analyse der Beziehung zwischen diesen typischen militanten Verhaltensweisen, der Organisation der Militanten und dem System der merkantilen Produktion5 vorzunehmen. Nur so können wir herausfinden, was die militante Rolle mit ihrer – unumstößlichen – konterrevolutionären Funktion verbindet.

Dass sich dieses Pamphlet im Übrigen nicht auf eine spöttische Anklage beschränkt, wie sie im Pamphletformat üblich ist, sondern eine umfassende Kritik der Militanz zu vermitteln sucht, ist nicht zu verachten, es ist kein Nebenaspekt des Textes. Die Notwendigkeit zu erklären, was Militanz ist, und nicht nur eine Ablehnung ihrer Gestalt zu vermitteln, offenbart die wahre Absicht dieses Textes. Das Flugblatt ist also nicht nur ein Anathema gegen die Militanz, das geschrieben wurde, um einem unbestimmten Leser eine verurteilende Haltung ihr gegenüber zu vermitteln. Dieser Text wurde mit einer performativen Absicht geschrieben, die bei der Lektüre nicht außer Acht gelassen werden sollte. Diejenigen, die ihn geschrieben haben, hatten die Auflösung derselben Gruppierung im Sinn, die ihn unterzeichnet, aber vor allem das Ziel, dass diese Auflösung zu einer Überwindung der Militanz und nicht zu neuen militanten Gruppierungen führen sollte. Ohne einfach eine ästhetische Ablehnung einer bestimmten Form von Militanz zu erzeugen, muss dieser Text erklärend sein und auf die Wurzel der Militanz hinweisen, um sie unabhängig von den möglichen Formen, die sie im Laufe der Geschichte annehmen kann, bekämpfen zu können.

Hier ist eine kurze Abschweifung angebracht. Es gibt einen zweiten Teil dieses Pamphlets, oder besser gesagt, einen Text, der 1975 veröffentlicht wurde und ebenfalls von der Organisation des Jeunes Travailleurs Revolutionnaires (Organisation junger revolutionärer Arbeiter) unterzeichnet ist, mit dem Titel „Die Militanz, höchstes Stadium der Entfremdung: Fortsetzung“. Ich hatte vor, beide Teile zusammen zu veröffentlichen, habe mich aber dagegen entschieden. Der Grund dafür ist, dass dieser zweite Teil, der von denjenigen verfasst wurde, die nach 1972 beschlossen, in der Organisation zu bleiben, nicht nur nicht dasselbe Thema behandelt, sondern auch einen völlig anderen Ansatz verfolgt. Obwohl die Autoren des Textes behaupten, in den allgemeinen Aspekten der Kritik an der Militanz, d.h. ihrer miserablen Form, übereinzustimmen, unterscheiden sie sich darin, dass sie die OJTR als eine Organisation von Militanten betrachten und den Verfassern des Originaltextes vorwerfen, den Feinden ihrer Organisation geholfen zu haben. Dieser vermeintliche zweite Teil ist jedoch das einzige Material, das reich an Erklärungen zum Kontext der fraglichen Veröffentlichung ist, und da es praktisch keine weiteren Informationen über die tatsächlichen Verfasser gibt, ist ein Großteil des Folgenden daraus entnommen.

Kehren wir zum praktischen Ziel dieses Textes zurück, d. h. zu dem konkreten Zweck, den seine Verfasser zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung verfolgten. Als diese Broschüre 1972 zum ersten Mal verteilt wurde, gab es in einigen Straßen von Paris noch Schlaglöcher im Kopfsteinpflaster. Die meisten Graffiti des französischen Mai waren noch nicht entfernt worden, und das gesellschaftliche Klima ließ vermuten, dass sie wahrscheinlich nur durch neue Graffiti überdeckt werden würden. Auch wenn die Ereignisse von 1968 für diejenigen, die daran teilgenommen hatten, noch in frischer Erinnerung waren, so waren die Misserfolge bei den Wahlen desselben Jahres ebenso wie die von 1969 in den Führungsspitzen der Linksparteien präsent. Eine dieser Parteien, die PSU (Sozialistische Einheitspartei), beschloss angesichts dieser Misserfolge, eine Organisation zu gründen, um ihre Jugend, d. h. die wachsende Zahl von Militanten, die sich in diesen Jahren angeschlossen hatten, zu vereinen. So wurde 1970 die OJTR geboren.

Eine Sache ist bemerkenswert, die unbemerkt bleiben könnte, wenn man diesen Schritt aus dem typischen linken Blickwinkel unserer Zeit analysiert. Die Schaffung einer Jugendbewegung war nicht nur ein Marketingmanöver, um mehr Militante anzuziehen. Sie diente nicht ausschließlich dem Zweck, den eine Satellitengruppe von Jugendlichen, Frauen oder Umweltschützern heute in Bezug auf ihre Partei erfüllen könnte. Es ist wichtig zu bedenken, dass in diesen Jahren viele Organisationen verboten waren und ihre Militante begonnen hatten, Vollversammlungen zu instrumentalisieren, indem sie Strategien des Entrismus6, falsche Flaggen usw. verwendeten. Während die Wahlorganisationen versuchten, sich ein Image zu verschaffen, das ihnen mehr Stimmen einbringen würde, brauchten viele linksextreme Organisationen ein solches Image nicht und zogen es vor, innerhalb anderer Organisationen zu operieren und diese als Mittel für ihre eigene revolutionäre Machtergreifung zu nutzen. In diesem Zusammenhang wollte das OJTR eine Vorstufe zur Kooptation sein, aber vor allem eine selbstverwaltete Sicherung, die gleichzeitig von der Partei abhängig war.

Gleichzeitig sahen die anführenden Fraktionen der PSU, die untereinander tief zerstritten waren, das OJTR als neues Feld für interne Streitigkeiten. Während einige Parteien der Gründung einer Jugendorganisation durch die PSU eher zurückhaltend gegenüberstanden, wurden diese Bedenken bald zerstreut:

Es gibt einen berechtigten Verdacht gegenüber der PSU, was den Umgang mit der Frage der jungen Arbeiter angeht: dass die Partei es zulässt, dass eine Organisation gegründet wird, die militante und materielle Kräfte investiert, und dann zusieht, wie sich die Organisation in eine Kleinstpartei von jungen Leuten verwandelt, die die Partei von innen oder außen bekämpfen. Aber heute hat dieser Einwand seinen Wert verloren, weil die PSU mit einer Reihe von kohärenten Positionen zu den Thesen von Dijon ausgestattet ist, die sich auf den wissenschaftlichen Sozialismus als einzigen Weg zur Auseinandersetzung mit linken Ideologien und Utopien stützen.“

Direktiven Nr. 199. 1970 Internes Bulletin der PSU (aus militantisme, stage supreme de la alienation, suite).

Sie irrten sich. Trotz ihrer räteorientierten, selbstverwaltenden und wählerischen Ideologie (die PSU würde sich den Slogan „die PSU zu wählen, bedeutet, sich für die Selbstverwaltung zu entscheiden“ zu eigen machen), oder besser gesagt, dank ihres fehlenden Radikalismus, würde die OJTR stark von dem intellektuellen und politischen Umfeld nach dem französischen Mai beeinflusst werden. Die Arbeiterräte, die kommunistische Linke und ganz allgemein die um die Buchhandlung La Vieille Taupe („Der alte Maulwurf“) entwickelten Ideen sollten diese militante Organisation zunehmend beeinflussen. Die Thesen von Dijon konnten die Radikalisierung der OJTR nicht aufhalten, die sehr schnell autonom wurde und begann, die PSU anzugreifen. Und mit angreifen meine ich nicht verbal kritisieren. Kurz vor der Veröffentlichung dieses Pamphlets entführten Mitglieder des OJTR (siehe Fußnote 15, S.) M.M. Simon und Guéneau, ersterer ein geheimes Mitglied der nationalen politischen Führung, letzterer verantwortlich für den „Ordnungsdienst“. Wie die OJTR in ihrem Flugblatt von 1975 schreibt, richtete sich dieser Staatsstreich, wie auch andere gegen die PSU, gegen das bürokratische Verhalten bestimmter Parteimitglieder (und ganz allgemein gegen die Partei selbst). Aber es scheint, dass der Kern des Ganzen ein Streit über bestimmte finanzielle und infrastrukturelle Ressourcen war.

In diesem Zusammenhang wurde der Beschluss gefasst, eine Broschüre herauszugeben, in der die militanten Organisationen kritisiert werden sollten. Die OJTR musste diese Angriffe ideologisch legitimieren. Offensichtlich glaubten einige Mitglieder des OJTR, dass die PSU „an der Wurzel“, d.h. in ihrer Organisationsform, angegriffen werden könnte, indem man die Dichotomie zwischen der militanten Organisation und den Arbeiterräten aufstellt. Diejenigen, die die Aufgabe übernommen haben, diese Kritik zu verfassen, hatten jedoch keine Skrupel, auch die militanten Praktiken ihrer eigenen Organisation zu kritisieren.

Die Militanz als höchstes Stadium der Entfremdung, ist ein hervorragendes Beispiel dafür, wie die revolutionäre Kritik die Systematisierung der Selbstkritik sein kann (und in der Regel auch ist), die, gerade weil sie richtig systematisiert ist, am Ende ihre Form der internen Kritik verliert und zur Universalisierung wird. Ich denke, es ist äußerst wichtig, Die Militanz… in diesem Licht zu lesen, d.h. mit dem Gedanken, dass man ein Stück praktischer Kritik liest, das das konkrete Ziel hat, die eigene militante Aktivität in einem bestimmten historischen Kontext zu zerstören. Nur so kann man das, was auf diesen Seiten gesagt wird, richtig bewerten und verstehen, dass es nicht darauf ankommt, wo die Wurzel des Problems liegt, und auch nicht darauf, was sie als Lösung vorschlagen, sondern dass sie einen Beitrag zur Kritik der Praktiken leisten, die wir weiterhin angreifen müssen.


Die Militanz als höchstes Stadium der Entfremdung (1972)

Der Text wurde 1972 in Frankreich von der Organisation des jeunes travailleurs révolutionnaires (OJTR) erstmals veröffentlicht.

Die OJTR formierte sich in den frühen 1970er Jahren. Zu Beginn war sie von der Situationistischen Internationalen inspiriert, obwohl sie später ein Pamphlet veröffentlichte, das eine lange Kritik derselben enthielt. (Die Einfluss der SI zeigt sich im Text. In der Entwicklung des Konzepts der Militanz erscheinen Themen, die man in manchen situationistischen Texten findet und der Einfluss der SI zeigt sich auch im Konzept der Räteorganisation in den letzten Absätzen.) Danach war die OJTR vom Linkskommunismus beeinflusst, im speziellen von der Mischung von deutschen und italienischen linkskommunistischen Ideen, die vom Milieu rund um die Buchhandlung La Vieille Taupe entwickelt wurden, auch die Gruppe le mouvement communiste kam aus diesem Milieu.

Die Gruppe produzierte auch Texte unter dem Namen Quatre millions de jeunes travailleurs [Vier Millionen junge Arbeiter], der Name einer 1971 gegründeten Jugendpublikation des PSU (Parti socialiste unifié – eine kleine französische linkssozialistische Partei). Die OJTR organisierte 1974 eine nationale Konferenz (welche in einem Artikel der La Banquise als gescheitert beschrieben wird) und verschwand kurz darauf. (Es ist angemessen, sich zu fragen, wie weit die OJTR die Kritik der Militanz auf sich selber anwendete.) Von den Überresten der Gruppe kam der Text „Un monde sans argent: le communisme“ [Eine Welt ohne Geld: der Kommunismus], der als dreiteiliges Pamphlet zwischen 1975 und 1976 von Les amis de 4 millions de jeunes travailleurs [„Die Freunde von den vier Millionen jungen Arbeitern“] veröffentlicht wurde.


Einführung II

Dieser Text von 1972 wurde viele Male neu veröffentlicht. Die im Internet kursierende Version (der ersten Broschüre), die von Website zu Website kopiert wurde, ist leider mit kleineren Fehlern und, was noch schwerwiegender ist, mit Lücken behaftet. Ich habe mir eine Kopie der Originalversion zum Vorbild genommen (Dank an Frédéric vom Internationalen Zentrum für Anarchismusforschung in Lausanne für seine schnelle und effiziente Hilfe).

Ihre Lektüre ist undenkbar ohne die hier (in der Fortsetzung!) veröffentlichte, fast unbekannte Broschüre, die zwei Jahre später erschien und ihre Entstehung erklärt.

Sie wurde im Februar 2010 neu veröffentlicht (Parrhèsia/Éditions du Sandre). Einer der Anhänge, der den Verfasser eines weiteren kritischen Textes der linken Militanz betrifft, wird hier separat veröffentlicht.


Einleitung (zur französischen Wiederveröffentlichung)

Le Militantisme, stade suprême de l’aliénation (Die Militanz, die höchste Stufe der Entfremdung), 1972 veröffentlicht, ist zweifellos der bekannteste und am häufigsten reproduzierte Text der Kritik an linker Militanz (auch wenn er alle angreift). Zumindest in seiner ersten Fassung. Die Fortsetzung, die zwei Jahre später unter dem gleichen Titel veröffentlicht wurde, ist weit weniger bekannt. Sie hat jedoch den Vorteil, den Ort und die Umstände zu erklären, unter denen die erste geschrieben und verbreitet wurde, und den Erfolg, den sie hatte. Sie ermöglicht es auch, nachträgliche Spekulationen über das Scherzhafte der Unterzeichnung des OJTR (Organisation junger revolutionärer Arbeiter) oder die anschließende Neufassung der Texte zu unterbinden. Der vollständige Text dieser beiden Broschüren ist auf den folgenden Seiten zu finden.

Materiell umfasst die erste Broschüre 24 Seiten, 21 x 14,7 cm. Es enthält viele Illustrationen: eine Zeichnung von Barbe, die eine junge Nonne mit geschlossenen Augen darstellt (S. 4); ein Ganzfigurenporträt des Mao mit folgender Bildunterschrift: „Dieses Gemälde stellt den jungen Mao auf dem Weg nach Anyuan dar. Eine seiner zahllosen Reproduktionen ging im Vatikan verloren und wurde eine Zeit lang von einem gutgläubigen Kleriker, der sie mit einem Missionsstich verwechselt hatte, in einem päpstlichen Wartezimmer aufgehängt“ (Simon Leys, Les Habits neufs du président Mao) (S. 5); ein Werbeplakat für das Buch Militer von Eugène Descamps, Generalsekretär der CFDT, zu dem ein Stier sagt: „…und ein bisschen Selbstverwaltung, um unsere jungen Militanten einen Ständer kriegen zu lassen.“(S. 9); eine Zeichnung von Pichard, die Monster zeigt, die zwei schöne nackte junge Frauen festhalten. „Rekuperation: die Militanten machen ihre Drecksarbeit!“ sagt die Legende (S. 10); eine andere Zeichnung von Pichard, zwei junge Sirenen in Ketten, die von Raoul Vaneigem entlehnte Sätze sagen: „Diejenigen, die von Revolution sprechen, ohne sich ausdrücklich auf das tägliche Leben zu beziehen […] haben eine Leiche im Mund“ (S. 12); ein Gipfeltreffen zwischen Trotzki und Mao (eine entführte Zeichnung von Hugo Pratt?), der erste Ausspruch „Was für ein Idiot ist Krivine!“ (S. 15); eine Zeichnung von Pichard, die einen bärtigen alten Mann darstellt, mit der Bildunterschrift: „Karl Marx sagt uns:“. Die Seifenblase: „Wenn ich daran denke, dass sie versuchen, meinen Namen in alle ihre Salate zu mischen, muss ich kotzen“ (S. 19); Chinesische Werbung für Seifen, vgl. infra (S. 21); eine Zeichnung von Pichard, die einen spöttischen Soldaten mit einer Blume auf dem Helm darstellt: „Ein Militanter vor mir [,] was mache ich da?“ (p. 23).

Die zweite Broschüre ist im Format 15 x 21 cm, 14 schlecht gedruckte Seiten, in sehr kleiner Schrift, auf Streifen von damaligem Computerpapier, mit der Lochreihe oben auf der Seite. Der Einband auf einem anderen Papier, ohne Löcher und lachsfarben, trägt zuerst den Titel, dann den Anfang und das Ende des Textes; auf der Rückseite des Einbandes befindet sich eine Zeichnung von Cardon (dessen Unterschrift nicht erscheint), die einen sitzenden Mann darstellt, der die Kette malt, die seine Knöchel verbindet, mit einem Pinsel in der einen Hand und einem Farbtopf in der anderen. Keine rechtliche Erwähnung. Die erste Broschüre wurde für 2 Francs, die zweite für 3 Francs verkauft.

Der Titel des Textes ist eine Nachahmung Lenins – „Der Imperialismus als höchste Stadium des Kapitalismus“ (1917) -, die das Vorhandensein eines Porträts des großen Mannes erklärt, das in der linken oberen Ecke des Vorderdeckels (1972) schabloniert ist und den damals vom Pekinger Regime in französischer Sprache veröffentlichten Flugschriften entlehnt wurde. Neben dem Titel und der Erwähnung des OJTR steht auf dem Umschlag die folgende Formel: „Der Revolutionär ist für den Militanten, was der Wolf für das Lamm ist“.

In der Präsentationsbroschüre für den Nachdruck von Lordstown 1972, einer weiteren Broschüre, die vom OJTR (wenn auch nach dessen Auflösung) unterzeichnet wurde, erklärt Dominique Blanc, dass einige Mitglieder des OJTR, darunter er selbst, an der Gründung der Gruppe und der Zeitschrift La Guerre sociale7 mitwirken werden.

Von historischem Interesse dokumentiert der Text die polemische, weitgehend vom Situationismus inspirierte Ablehnung einer von den religiösen Werten des Opfers und der Nächstenliebe durchdrungenen Militanz, der man sowohl in marxistisch-leninistischen als auch in libertären Gruppen auf einen traf- und begegnete. Wenn diese Kritik relevant bleibt, zum Beispiel im Hinblick auf den „humanitären“ Aktivismus zur Unterstützung undokumentierter Ausländer, wäre es von Vorteil, mit Formen des kollektiven Handelns konfrontiert zu werden, die das christliche Erbe sowie militärische und hierarchische Organisationsformen ablehnen, sei es das Repertoire der praktizierten Aktionen8 oder die Form der Gruppierung selbst. Ich denke dabei an die „Vollversammlungen“, die sich während der Arbeitslosenbewegung im Winter 1997-1998 an der Universität Jussieu9 oder nach den Unruhen in den Vorstädten 2005 in Montreuil trafen.

Diejenigen, die sich weigern, die kapitalistische Ausbeutung als Todesopfer zu akzeptieren, werden durch die Nutzung ihrer eigenen Erfahrungen in der Lage sein, ein Werk kritischer Ausarbeitung zu verfassen, das über die Ambition dieser kurzen Präsentation hinausgeht. Wenn das nicht gelingt, könnte dieser Text genauso gut dienen – das tut er seit vierzig Jahren! – um eine verbitterte und verächtliche Unbeweglichkeit zu rechtfertigen. Das ist die oberste Stufe der Unterwerfung.

Claude Guillon


Die Militanz als höchstes Stadium der Entfremdung (I)

Der Revolutionär steht zum Militanten wie der Wolf zum Schaf.

Nach den Besetzungen im Mai 68 entwickelte sich links von der Kommunistischen Partei und der CGT10 ein Ensemble von kleinen Organisationen, die sich auf den Trotzkismus, den Maoismus und den Anarchismus beriefen. Trotz der geringen Zahl von Arbeiter, die sich ihnen angeschlossen haben, erheben sie gegen die traditionellen Organisationen den Anspruch der Kontrolle der Arbeiterklasse, als deren Avantgarde sie sich proklamieren.

Die Lächerlichkeit ihrer Vermessenheit kann einem zum Lachen bringen, doch darüber zu lachen, reicht nicht. Man muss weitergehen, verstehen, weshalb die moderne Welt diese extremistischen Bürokratien hervorbringt und den Schleier ihrer Ideologie zerreissen, um ihre wahre historische Rolle zu entdecken. Die Revolutionäre müssen sich so weit möglich von diesen linken Organisationen abgrenzen und zeigen dass, weit davon entfernt, die Ordnung der alten Welt zu bedrohen, die Aktion dieser Gruppen im besten Fall höchstens zu ihrer Wiederaufbereitung führen kann. Mit der Kritik an ihnen zu beginnen, bedeutet der revolutionären Bewegung, die sie, unter der Drohung, von ihnen liquidiert zu werden, liquidieren werden muss, den Boden zu bereiten.

Der erste Ansatz, der einem in den Sinn kommt, ist es, ihre Ideologie anzugreifen, den Archaismus oder den Exotismus derselben aufzuzeigen (von Lenin zu Mao) und die Verachtung der Massen, die sich unter ihrer Demagogie versteckt, ans Licht zu bringen. Doch das wird schnell langweilig, wenn man in Betracht zieht, dass es eine Unzahl von Organisationen und Tendenzen gibt, denen die Behauptung ihrer kleinen ideologischen Originalität am Herzen liegt. Andererseits bedeutet es, sich auf ihr Terrain zu begeben. Eher noch als ihre Ideen, ist es angemessen die Aktivität anzugreifen, die sie im „Dienst ihrer Ideen“ an den Tag legen: der MILITANZ.

Wenn wir die Militanz global angreifen, bedeutet das nicht, dass wir die Aktivität zwischen den verschiedenen Organisationen existierenden Unterschiede verneinen. Doch wir denken, dass trotz und sogar wegen ihrer Wichtigkeit, diese Unterschiede nur klar erklärt werden können, wenn man die Wurzel der Militanz angreift. Die diversen Arten um militant zu sein sind nur voneinander abweichende Antworten zu einem gleichen grundlegenden Widerspruch, für welchen niemand die Lösung hat.

Indem wir uns im Lager jener positionieren, deren Kritik die Aktivität der Militanten zur Grundlage nimmt, unterschätzen wir nicht die Rolle der Ideen in der Militanz. Es geht einfach darum, dass es, vom Moment an, wo diese Ideen vorangestellt werden, ohne mit der Aktivität verbunden zu sein, wichtig ist, zu wissen, was sie verstecken. Wir werden die Kluft zwischen ihnen zeigen, wir werden die Ideen mit der Aktivität verbinden und den Einfluss der Aktivität auf die Ideen ans Licht bringen: Hinter der Lüge die Wirklichkeit des Lügners finden, um die Wirklichkeit der Lüge zu verstehen.

Wenn auch die Kritik und die Verurteilung der Militanz eine notwendige Aufgabe der revolutionären Theorie ist, so kann sie doch nur vom „Standpunkt“ der Revolution erfolgen. Die bürgerlichen Ideologien können die Militanten als gefährliche Gauner, als manipulierte Idealisten behandeln oder ihnen den Rat geben, ihre Zeit mit Arbeiten oder Ferien zu verbringen; sie können jedoch die Militanz nicht in seiner Tiefe angreifen, denn das ist gleichbedeutend mit der Tatsache, das Elend aller Aktivitäten, welche die moderne Gesellschaft erlaubt, ans Licht zu bringen. Wir verstecken unsere Voreingenommenheit nicht, unsere Kritik wird nicht „von allen Standpunkten aus objektiv und gültig“ sein.

Diese Kritik der Militanz ist untrennbar mit dem Aufbau revolutionärer Organisationen verbunden, nicht nur weil die Organisationen der Militanten ununterbrochen bekämpft werden müssen, sondern auch weil der Kampf gegen die Tendenz zur Militanz auch innerhalb revolutionärer Organisationen geführt werden muss. Dies wohl, weil diese Organisationen, zumindest am Anfang, häufig zu einem beträchtlichen Teil aus „reuigen“ ehemaligen Militanten bestehen, doch auch weil die Militanz sich auf die Entfremdung von jedem von uns stützt. Die Entfremdung verschwindet nicht wie von Zauberhand und die Militanz ist die charakteristische Falle, die die alte Welt den Revolutionäre stellt.

Was wir von den Militanten sagen, ist hart und unwiderruflich. Wir sind tatsächlich zu keinem Kompromiss mit ihnen bereit, es sind nicht Revolutionäre oder Halbrevolutionäre, die sich irren, sondern Leute, die unter der Revolution bleiben. Doch das bedeutet überhaupt nicht 1. dass wir uns von dieser Kritik ausschliessen, wenn wir klar und deutlich sein wollen, so ist es zuerst uns selbst gegenüber, und 2. dass wir den Militanten als Individuum verurteilen und aus dieser Verurteilung eine moralische Angelegenheit machen. Es geht nicht darum, in die Trennung zwischen Guten und Bösen zurückzufallen. Wir unterschätzen die Versuchung des „je mehr ich über die Militanten fluche, desto eher beweise ich, dass ich keiner bin und vor der Kritik sicher bin“ nicht.

DER MASOCHISMUS

Strengen wir uns an, die Langeweile zu überwinden, welche die Militanten natürlicherweise verbreiten. Beschränken wir uns nicht darauf, die Phrasendrescherei ihrer Pamphlete und Diskurse zu entschlüsseln. Prüfen wir sie hinsichtlich der Gründe, welche sie zur Militanz gebracht haben. Es gibt keine Frage, die für einen Militanten unangenehmer sein könnte. Im schlimmsten Fall werden sie mit endlosem Geschwätz über das Elend der Kinder in der dritten Welt, die Splitterbomben, die Preiserhöhung, die Repression anfangen. Im besten Fall werden sie erklären, dass, bevor sie sich der wahren Natur des Kapitalismus bewusst geworden sind – sie hängen stark an dieser berühmten „Einsicht“ –, sie sich entschieden haben, für eine bessere Welt zu kämpfen, für den Sozialismus (den richtigen, nicht den anderen). Ganz enthusiastisch von diesen begeisternden Perspektiven konnten sie nicht widerstehen, sich auf die Bedienung des nächsten Kopiergerät zu stürzen. Versuchen wir, die Frage zu ergründen und richten wir unseren Blick nicht mehr auf das, was sie sagen sondern auf das, was sie leben.

Es besteht ein enormer Widerspruch zwischen dem, was sie zu wünschen behaupten, und dem Elend und der Ineffizienz ihres Tuns. Die Mühe, zu welcher sie sich zwingen, und die Dosis von Langeweile, die sie bereit sind auszuhalten, lassen nicht den geringsten Zweifel: Diese Leute sind allen voran Masochisten. Abgesehen davon, dass man in Anbetracht ihrer Aktivität nicht glauben kann, dass sie tatsächlich ein besseres Leben wünschen, ist ihr Masochismus überhaupt nicht originell. Falls einige Perverse eine Fantasie haben, welche die Armut der Regeln der alten Welt ignoriert, so ist das sicher nicht der Fall für die Militanten! Sie akzeptieren in ihren Organisationen die Hierarchie und kleine Chefs, obwohl sie behaupten, die Gesellschaft davon befreien zu wollen, und die Energie, die sie aufwenden, richtet sich spontan nach der Form der Arbeit aus. Denn der Militante ist Teil jener Art von Leuten, für welche acht bis neun Stunden tägliche Verblödung nicht genug sind.

Wenn die Militanten versuchen, sich zu rechtfertigen, bringen sie es höchstens fertig, ihre mangelnde Vorstellungskraft zur Schau zu stellen. Sie können nichts anderes konzipieren, eine andere Form der Aktivität, als das, was aktuell existiert. Für sie sind die Trennung zwischen dem Ernsten und dem Amüsanten, den Mitteln und den Zwecken nicht mit einer gewissen Epoche verbunden. Es sind ewige und unüberwindbare Kategorien: Wir werden später nur glücklich sein können, wenn wir uns jetzt aufopfern. Die Aufopferung ohne Belohnung von Millionen von militanten Arbeiter, Generationen der stalinistischen Epoche ändert in ihren kleinen Köpfen überhaupt nichts. Sie sehen nicht, dass die Mittel die Zwecke bestimmen und dass sie, indem sie heute akzeptieren, sich aufzuopfern, die Aufopferungen von morgen vorbereiten.

Die Ähnlichkeiten zwischen der Militanz und der religiösen Aktivität sind frappant. Man findet die gleichen psychologischen Haltungen: Opferbereitschaft, aber auch Unnachgiebigkeit, Wille zur Bekehrung, Unterwerfungsbereitschaft. Diese Ähnlichkeiten können auf die Domäne der Riten und der Zeremonien ausgedehnt werden: Predigten über die Arbeitslosigkeit, Prozessionen für Vietnam, Referenzen zu den heiligen Texten des Marxismus-Leninismus, Kult der Embleme (rote Fahnen). Schliesslich haben die politischen Kirchen auch ihre Propheten, ihre grossen Priester, ihre Bekehrten, ihre Ketzereien, ihre Glaubensspaltungen, ihre Praktikanten-Militanten und ihre Nicht-Praktikanten-Sympathisanten! Doch die revolutionäre Militanz ist nur eine Parodie der Religion. Der Reichtum, die Demenz, die Masslosigkeit der religiösen Projekte liegt ihm fern; er strebt nach dem seriösen, will vernünftig sein, er glaubt im Gegenzug ein Paradies hier auf Erden zu gewinnen. Sogar das ist ihm verwehrt. Jesus Christus ist wieder auferstanden und zum Himmel aufgefahren, Lenin verrottet auf dem Roten Platz.

Wenn auch der Militante betreffend der Offenherzigkeit seiner Illusionen mit dem Gläubigen verglichen werden kann, so ist es doch angemessen, ihn ganz anders zu betrachten in Bezug auf seine wirkliche Haltung. Die Aufopferung der Karmeliterin, die sich einsperrt, um für das Heil der Seelen zu beten, hat sehr beschränkte Auswirkungen auf die gesellschaftliche Wirklichkeit. Ganz anders verhält es sich mit dem Militanten. Seine Aufopferung hat unter Umständen fatale Konsequenzen für die gesamte Gesellschaft.

DER AUFSTIEGSWUNSCH

Die Militante spricht viel von den Massen. Sein Handeln ist auf sie ausgerichtet. Es geht darum, sie zu überzeugen, sie zur „Einsicht“ zu bringen. Doch der Militante ist von den Massen und ihren Möglichkeiten zur Revolte getrennt. Und dies weil er von SEINEN EIGENEN WÜNSCHEN GETRENNT ist.

Der Militante spürt die Absurdität der Existenz, die man uns auferlegt. Indem er sich für die Militanz „entscheidet“, versucht er, eine Lösung für die Diskrepanz zu finden, die zwischen seinen Wünschen und seinen wirklichen Lebensmöglichkeiten existiert. Es ist eine Reaktion gegen seine Proletarisierung, gegen das Elend seines Lebens. Doch er engagiert sich in einer Sackgasse.

Obwohl er unzufrieden ist, ist der Militante unfähig, sich zu seinen Wünschen zu bekennen und sich mit ihnen zu konfrontieren. ER SCHÄMT SICH IHRER. Das führt dazu, dass er den Aufstieg seiner Wünsche mit dem Aufstiegswunsch ersetzt. Aber seine Schuldgefühle sind derartig, dass er nur einen hierarchischen Aufstieg im Rahmen des Systems ins Auge fassen kann oder eher nur bereit ist, für einen guten Platz zu kämpfen, wenn er gleichzeitig die Garantie hat, dass es nicht für ihn selbst ist. Seine Militanz erlaubt es ihm, sich zu erheben, sich auf einen Sockel zu stellen, ohne dass dieser Aufstieg für ihn selbst und die anderen als das erscheint, was er ist. (Letztendlich ist der Papst auch nur der Diener der Diener Gottes!)

Sich in den Dienst seiner Wünsche zu stellen, bedeutet überhaupt nicht, in sein Schneckenhaus zu flüchten und hat nichts mit kleinbürgerlichem Individualismus zu tun. Das kann im Gegenteil nur durch die Zerstörung des egoistischen Panzers geschehen, in welchem uns die bürgerliche Gesellschaft einschliesst, und durch die Entwicklung einer wahren Klassensolidarität. Der Militante, der von sich behauptet, sich in den Dienst des Proletariats zu stellen („Die Arbeiter sind unsere Meister“, Geismar11), stellt sich einzig und allein in den Dienst der Idee, welche er von den Interessen des Proletariats hat. Durch einen nur anscheinenden Widerspruch hilft man also wirklich den anderen auf einer Klassenbasis, indem man sich wirklich in den Dienst seiner selbst stellt, und indem man sich in den Dienst der anderen stellt, beschützt man eine persönliche hierarchische Position.

Militanz auszuüben bedeutet, nicht die Transformation seines alltäglichen Lebens anzustreben, nicht direkt gegen das, was unterdrückt, zu revoltieren, sondern im Gegenteil dieses Terrain zu meiden. Dieses Terrain ist jedoch das einzig revolutionäre, wenn man weiss, dass unser alltägliches Leben vom Kapital kolonisiert und von den Gesetzen der Warenproduktion bestimmt ist. Indem er sich politisiert, sucht der Militante eine Rolle, die ihn über die Massen erhebt. Ob dieses „Darüber“ die Form von „Avantgardismus“ oder „Pädagogismus“ annimmt, ändert nichts an der Sache. Er ist schon nicht mehr der Proletarier, der nichts anderes als seine Illusionen zu verlieren hat; er hat eine Rolle zu verteidigen. In Zeiten der Revolution, wenn alle Rollen unter dem Druck des Wunsches, hemmungslos zu leben, ins Wanken geraten, ist die Rolle des „bewussten Revolutionärs“ jene, welche am besten überlebt.

Durch die Militanz gibt er seiner Existenz Gewicht und seinem Leben einen Sinn. Doch er findet diesen Sinn nicht in sich selbst, in der Wirklichkeit seiner Subjektivität, sondern in der Unterwerfung unter äussere Notwendigkeiten. Genau wie er bei der Arbeit den Regeln, die er nicht kontrollieren kann, unterworfen ist, gehorcht er als Militanter den „Notwendigkeiten der Geschichte“.

Natürlich kann man nicht alle Militante in den gleichen Korb werfen. Alle sind nicht gleich schwer erkrankt. Man findet unter ihnen einige Naive, die auf Abwege geraten sind, da sie nicht wissen, was mit ihrer Freizeit anstellen, sie sind angetrieben von der Einsamkeit und getäuscht durch die revolutionäre Phrasendrescherei; sie werden den erstbesten Vorwand zum Anlass nehmen, sich auf und davon zu machen. Der Kauf eines Fernsehers, die Begegnung mit der Seelenverwandten oder die nötigen Überstunden, um das Auto zu zahlen, dezimieren die Ränge der Armee der Militanten!

Die Gründe, die einem zur Militanz bewegen, sind alt. Im Grossen und Ganzen sind es die gleichen für syndikalistische, katholische oder revolutionäre Militante. Das Wiederaufkommen eines revolutionären Massenmilitanz hat mit der aktuellen Krise der Warengesellschaften und der Rückkehr des alten revolutionären Maulwurfs zu tun. Die Möglichkeit einer sozialen Revolution scheint gut genug, dass die Militanten auf sie setzen. All das wird durch das Zusammenbrechen der Religionen verstärkt.

Der Kapitalismus braucht keine religiösen Belohnungssysteme mehr. Er hat seine Reife erreicht und braucht nicht mehr zusätzliches Glück im Jenseits zu offerieren, sondern er offeriert alles Glück hier auf Erden, durch den Konsum von materiellen, kulturellen und spirituellen Waren (die metaphysische Furcht verkauft sich gut!) Von der Geschichte überholt können die Religionen und ihre Gläubigen nur noch zur sozialen Aktion übergehen – oder zum Maoismus.

Die linke Militanz betrifft vor allem gesellschaftliche Kategorien auf dem Weg beschleunigter Proletarisierung (Gymnasiasten, Studenten, Lehrer, sozio-erzieherisches Personal…), welche nicht die Möglichkeit haben, konkret für kurzfristige Vorteile zu kämpfen und für welche die Tatsache, wirklich revolutionär zu werden, eine sehr tiefe persönliche Infragestellung voraussetzt. Der Arbeiter ist wesentlich weniger Komplize seiner gesellschaftlichen Rolle als der Student oder der Lehrer. Die Militanz ist für letztere eine Kompromisslösung, die ihnen erlaubt, sich für ihre schwankende gesellschaftliche Rolle einzusetzen. Sie finden in der Militanz eine persönliche Wichtigkeit, welche die Verschlechterung ihrer gesellschaftlichen Position ihnen verwehrte. Sich revolutionär zu nennen, sich mit der Transformation der gesamten Gesellschaft zu beschäftigten, erlaubt es, sich die Transformation seiner eigenen Bedingung und seiner persönlichen Illusionen zu ersparen.

In der Arbeiterklasse hat der Syndikalismus beinahe das Monopol der Militanz, sie erlaubt dem Militanten unmittelbare Befriedigungen und eine Position, deren Vorteile konkret messbar sind. Der Arbeiter, welcher von der Militanz angezogen ist, wird sich sehr wahrscheinlich des Syndikalismus zuwenden. Sogar die antisyndikalitischen Kampfkomitees tendieren dazu, zu einer neuen Art von Syndikalismus zu werden. Die politische Aktivität ist für die militanten Arbeiter nur die Fortsetzung der syndikalistischen Aktion. Die Militanz reizt den Arbeiter kaum, insbesondere die jungen Arbeiter, denn sie sind die hellsichtigsten Proletarier, was das Elend ihrer Arbeit im speziellen und jenes ihres Lebens im allgemeinen betrifft. In ihrer Gesamtheit schon wenig angezogen von den Syndikalismus sind sie es noch weniger von einem Linksradikalismus mit nebulösen Vorteilen.

Wenn im revolutionären Sturm die Herrschaft der Waren und des Konsums zusammenbricht, wird der Syndikalismus, dessen Ernsthaftigkeit auf der Forderung gründete, bereit sein, zur revolutionären Militanz überzugehen, um zu überleben. Er wird die extremistischsten Losungen übernehmen und viel gefährlicher sein als die linken Gruppen. Sieht man nicht jetzt schon nach Mai 68 wie die CFDT12 das Wort Selbstverwaltung mit ihrem neo-bürokratischen Kauderwelsch mischt!

DIE POLITISCHE ARBEIT

Die „freie“ Zeit, welche ihm seine beruflichen oder schulischen Verpflichtungen lassen, wird der Militante jener Aktivität widmen, welche er selbst „politische Arbeit“ nennt. Es müssen Flugblätter gedruckt und verteilt, Plakate erstellt und geklebt, Sitzungen gehalten, Kontakte geknüpft, Treffen vorbereitet werden…Doch es ist nicht diese oder jene Aktion, isoliert betrachtet, welche reicht, um die militante Arbeit zu charakterisieren. Die einfache Tatsache, ein Flugblatt zu schreiben mit dem Ziel, es zu drucken und zu verteilen, kann nicht an sich als militanter Akt betrachtet werden. Er ist ein Militanter, weil er Teil einer Aktivität ist, welche eine besondere Logik hat.

Da die Aktivität des Militanten nicht die Verlängerung seiner Wünsche ist, da sie einer ihm äusseren Logik gehorcht, ist sie mit der Arbeit vergleichbar. Genau wie der Arbeiter nicht für sich selbst arbeitet, kämpft der Militante nicht für sich selbst. Das Resultat seiner Aktion kann also nicht am Vergnügen gemessen werden, welche sie ihm verschafft. Es wird also an der Anzahl aufgewendeter Stunden, der Anzahl verteilter Flugblätter gemessen. Die Wiederholung, die Routine dominieren die Aktivität des Militanten. Die Trennung zwischen Ausführung und Entscheidung stärkt den Beamtenaspekt des Militanten.

Doch obwohl die Militanz mit der Arbeit vergleichbar ist, kann er nicht mit ihr gleichgesetzt werden. Die Arbeit ist jene Aktivität, auf welcher die herrschende Welt gründet, sie produziert und reproduziert das Kapital und die kapitalistischen Produktionsverhältnisse; die Militanz ist nur eine zweitrangige Aktivität. Wenn auch das Resultat und die Effizienz der Arbeit definitionsgemäss nicht anhand der Befriedigung des Arbeiters messbar sind, so haben sie doch den Vorteil, wirtschaftlich messbar zu sein. Die Warenproduktion, durch ihre Währung und den Profit, erschafft Standards und Messinstrumente. Sie hat ihre Logik und ihre Vernunft, welche sie dem Produzenten und dem Konsumenten aufzwingt. Im Gegensatz dazu hat die Effizienz der Militanz, „das Fortschreiten der Revolution“, ihre Messinstrumente noch nicht gefunden. Ihre Kontrolle entwischt den Militanten und ihren Anführern. Natürlich angenommen, dass diese sich immer noch um die Revolution kümmern! Man ist also gezwungen, das produzierte und verteilte Material, die Rekrutierung, die ausgeführten Aktionen zu bilanzieren; was natürlich nie misst, was man behauptet, zu messen. Logischerweise führt das dazu, dass man glaubt, was messbar ist, sei ein Selbstzweck. Stellt euch den Kapitalisten vor, der, da er kein Mittel findet, um den Wert seiner Produktion zu bemessen, sich entscheidet, sich auf die Menge Öl zu stützen, welche seine Maschinen verbrauchen. Sehr schnell, unter dem Druck eifriger Vorarbeiter, würden die Arbeiter Öl in den Abfluss schütten, um die Produktion anzukurbeln. Unfähig, das angestrebte Ziel zu verfolgen, kann die Militanz nur die Arbeit nachäffen.

Indem sie sich bewusst auferlegen, die Arbeit zu imitieren, sind die Militanten nicht in der besten Position, um die einerseits durch die immer mehr verbreitete Verachtung jeglichen Zwangs und andererseits durch den Fortschritt des Wissens und der Technik eröffneten Perspektiven zu verstehen. Die Intelligentesten von ihnen machen gemeinsame Sache mit den Ideologien der modernistischen Bourgeoisie, um zu fordern, dass die Arbeitszeiten reduziert oder die widerliche Aktivität humanisiert wird. Sei es im Namen des Kapitals oder der Revolution, all diese Leute zeigen sich unfähig, eine Perspektive zu haben, die über die Trennung zwischen Arbeits- und Freizeit, zwischen einer der Produktion und einer dem Konsum gewidmeten Aktivitäten hinausgeht.

Wir sind nicht aus natürlichen, sondern aus gesellschaftlichen Gründen zur Arbeit gezwungen. Arbeit und Klassengesellschaft gehen Hand in Hand. Der Meister will, dass der Sklave produziert, weil nur das produzierte aneigenbar ist. Die Freude, das Vergnügen, die einem irgendeine Aktivität bereiten kann, kann vom Kapitalisten nicht kapitalisiert, akkumuliert, in Geld gemessen werden, darum macht er sich nichts daraus. Wenn wir arbeiten, sind wir gänzlich einer Autorität, einem äußeren Gesetz unterworfen, unsere einzige Daseinsberechtigung ist das, was wir produzieren. Jede Fabrik ist eine Schutzgelderpressung, wo unser Schweiß und unser Leben aufgesogen werden, um in Waren verwandelt zu werden.

Die Arbeitszeit ist eine Zeit, während welcher wir nicht direkt unsere Wünsche befriedigen können, sondern sie opfern müssen, um auf die nachträgliche Entschädigung des Lohns zu warten. Es ist das genaue Gegenteil des Spiels, in welchem der Ablauf und der Rhythmus unserer Aktivität einzig und allein durch unser Vergnügen daran bestimmt werden. Wenn sich das Proletariat emanzipiert, wird es die Arbeit aufheben. Die Produktion der zu unserem biologischen Überleben notwendigen Lebensmittel wird nur noch ein Vorwand sein, um unsere Leidenschaften zu befreien.

DER SITZUNGSWAHN

Eine bedeutende Charakteristik der Militanz ist die an Sitzungen verbrachte Zeit. Lassen wir die den grossen Strategien gewidmeten Debatten beiseite: Wie sieht es aus mit unseren Genossen in Bolivien, wann kommt die nächste weltweite Wirtschaftskrise, gibt es Fortschritte im Aufbau der revolutionären Partei…Beschränken wir uns darauf, uns mit den die „alltägliche Arbeit“ betreffenden Sitzungen auseinanderzusetzen. Dort zeigt sich das Elend der Militanz vielleicht am besten. Einige hoffnungslose Fälle ausgenommen, beschweren sich die Militanten selbst, über die etlichen „Sitzungen, während welchen man nicht vorankommt“. Obwohl sich die Militanten gerne gegenseitig aufheizen, schaffen sie es nicht, nicht unter dem offensichtlichen Widerspruch zwischen einerseits ihrem Willen, zu handeln, andererseits der durch nutzlose Diskussionen, ausgangslose Debatten verlorenen Zeit zu leiden. Sie sind dazu verdammt, in einer Sachgasse festzustecken, denn sie hinterfragen den „Sitzungswahn“, ohne einzusehen, dass die ganze Militanz zur Debatte steht. Die einzige Möglichkeit, dem Sitzungswahn zu entfliehen, ist die Flucht in einen Aktivismus, der immer weniger mit der Wirklichkeit zu tun hat.

WAS TUN? WIE SICH ORGANISIEREN? Das sind die Fragen, welche den Sitzungen zu Grunde liegen und sie verursachen. Diese Fragen können allerdings nie geregelt werden, man kommt ihrer Lösung nie näher, denn wenn die Militanten sie sich stellen, stellen sie sie als von ihrem Leben getrennt. Die Antwort lässt auf sich warten, weil die Frage nicht von jenem gestellt wird, welcher die konkrete Lösung besitzt. Man kann sich während Stunden versammeln, sich das Hirn zermartern, der praktische Träger, welcher den Ideen fehlt, wird nicht plötzlich auftauchen. Während diese Fragen für das revolutionäre Proletariat Lappalien sind, weil sich ihm die Fragen der Aktion und der Organisation konkret stellen, werden sie zum PROBLEM für die Militante. Der Sitzungswahn ist die notwendige Ergänzung zum Aktivismus. Eigentlich ist die gestellte Frage immer folgende: Wie kann man mit der Massenbewegung verschmelzen, obwohl man von ihr getrennt bleibt? Die Lösung dieses Dilemmas ist, entweder wirklich mit den Massen zu verschmelzen, indem man die Wirklichkeit seiner Wünsche und die Möglichkeiten ihrer Verwirklichung wiederfindet, oder ihre Macht als Militante zu stärken, indem man sich auf der Seite der alten Welt gegen das Proletariat einreiht. Die wilden Streiks zeigen, dass das Risiko existiert!

In seinem Verhältnis zu den Massen reproduziert die Militanz seine inneren Makel, insbesondere seine Tendenzen zum Sitzungswahn. Man versammelt Leute und man zählt sie. Für einige wie z.B. die AJS13 wird die Tatsache, sich zu zeigen und zu zählen, sogar zum Gipfel der Aktion!

Diese Fragen der Aktion und der Organisation, die bereits von der wirklichen Bewegung getrennt sind, sind auch mechanisch untereinander getrennt. Die diversen Ausrichtungen des Linksradikalismus konkretisieren diese Trennung. Man findet auf der einen Seite mit den Maoisten der ehemaligen GP [Gauche prolétarienne – Proletarische Linke]14 den Pol der Aktion, auf der anderen mit den Trotzkisten der Ligue Communiste [Kommunistische Liga – Vorläufer der Ligue communiste révolutionnaire]15 den Pol der Organisation. Man fetischisiert entweder die Aktion oder die Organisation, um aus der Sackgasse herauszukommen, in welche die Militanz geraten ist, indem er von den Massen getrennt ist. Alle beschützen ihre bevorzugte Dummheit, indem sie sich über die Ausrichtung der konkurrierenden Gruppen lustig machen.

DIE BÜROKRATIE

Die Organisation der Militanten sind alle hierarchisiert. Einige Organisationen kaschieren das nicht, ja sie tendieren gar eher dazu, damit zu prahlen. Andere beschränken sich darauf, so wenig wie möglich davon zu sprechen. Einige kleine Gruppen schliesslich versuchen, es abzustreiten.

Genau wie sie die Arbeit reproduzieren oder eher nachäffen, brauchen die militanten Organisationen „Chefs“. Da sie ihre Einigung nicht auf konkreten Problemen aufbauen können, sind die Militanten natürlicherweise dazu verleitet, zu glauben, dass die Vereinheitlichung der Entscheidungen nur von der Existenz einer Führungsspitze kommen kann. Sie können sich nicht vorstellen, dass die gemeinsame Wahrheit vom spezifischen Willen, aus der Scheisse auszusteigen, hervorquellen kann, sie muss aufgeworfen und von oben auferlegt werden. Sie stellen sich darum notwendigerweise die Revolution als Zusammenstoss zweier hierarchisierter Staatsapparate vor, einer davon bürgerlich, der andere proletarisch.

Sie wissen nichts von der Bürokratie, ihrer Autonomie und der Art und Weise, wie sie innere Widersprüche auflöst. Der durchschnittliche Militante glaubt naiverweise, dass die Konflikte zwischen Anführern auf Ideenkonflikte reduziert werden können und dass, wenn man ihm sagt, dass eine Einheit existiert, sie tatsächlich existiert. Sein grosser Stolz ist es, die Organisation oder Tendenz erkannt zu haben mit DER guten Führungsspitze. Indem er sich dieser oder jener Clique anschliesst, übernimmt er ein System von Ideen wie man ein Kostüm anzieht. Da er davon nicht die geringste Grundlage überprüft hat, wird er bereit sein, alle Konsequenzen davon zu verteidigen und alle Einwände mit einem unglaublichen Dogmatismus zu beantworten. In einer Zeit, wo die Priester wegen der spirituellen Krise ein zerrissenes Herz haben, behält der Militante seinen Glauben.

Da die Militanz gezwungen war, der immer mehr verbreiteten Verachtung jeglicher Form von Autorität Rechnung zu tragen, hat er Sprösslinge einer neuen Art produziert. Einige Organisationen behaupten, sie seien keine, und, vor allem, verbergen ihre Führungsspitze. Die Bürokraten verstecken sich, um besser die Fäden ziehen zu können.

Einige traditionelle Organisationen versuchen, parallele Organisationsformen zu gründen, manchmal permanent, manchmal nicht. Sie hoffen, im Namen der „proletarischen Autonomie“ Leute, welche ihnen sonst entgangen wären, abzuholen oder zumindest zu beeinflussen.

Man kann die Rote Hilfe16, die OJTR17 und die Arbeiter- und Bauernversammlungen des PSU18 nennen…Einige unabhängige oder Satellitenzeitungen behaupten auch, sie drücken nur den Standpunkt der revolutionären Massen oder autonomer Basisgruppen aus. Nennen wir die Cahiers de Mai19, La technique en Lutte, L’outil des travailleurs…Dort, wo man sich weigert, klar die Organisations- und theoretische Fragen zu stellen unter dem Vorwand, die Stunde des Aufbaus der revolutionären Partei sei noch nicht gekommen oder im Namen einer Pseudo-Spontaneität („Wir sind keine Organisation, nur ein Zusammenschluss ehrlicher Typen, eine Gemeinschaft“, usw.), kann man sicher sein, dass man Bürokratie und sogar oft Maoismus antrifft. Der Trotzkismus hat den Vorteil, dass sein Organisationsfetischismus ihn dazu zwingt, Farbe zu bekennen; er vereinnahmt und sagt es auch. Der Vorteil des Maoismus (wir sprechen nicht vom reinen und prähistorisch stalinistischen Maoismus à la Humanité Rouge20) ist es, die Bedingungen zu seiner eigenen Überschwemmung zu erzeugen; indem er den Balancierkünstler der Vereinnahmung spielt, wird er zwangsläufig auf die Schnauze fallen.

OBJEKTIVITÄT UND SUBJEKTIVITÄT

Die Systeme von Ideen, welche die Militanten übernehmen, variieren je nach Organisation, doch sie sind alle aufgerieben von der Notwendigkeit, die Natur der Aktivität, die sie verstecken, und die Trennung von den Massen zu verbergen. Man findet im Zentrum von militanten Ideologien ebenfalls die auf mechanische und ahistorische Art und Weise konzipierte Trennung zwischen Objektivität und Subjektivität.

Der Militante, der sich dem Dienste am Volk verschreibt, obwohl er nicht bestreitet, dass seine Aktivität subjektiv motiviert ist, weigert sich, dieser Tatsache eine Bedeutung zuzugestehen. Was subjektiv ist, muss sowieso für alles, was objektiv ist, eliminiert werden. Da der Militante sich weigert, von seinen Wünschen angetrieben zu werden, muss er sich darauf beschränken, sich auf historische Notwendigkeiten zu berufen, von denen er glaubt, sie seien ausserhalb der Welt der Wünsche. Dank dem „wissenschaftlichen Sozialismus“, eine erstarrte Form eines degenerierten Marxismus, glaubt er, den Sinn der Geschichte entdecken und sich ihm anpassen zu können. Er benebelt seine Sinne mit Konzepten, deren Bedeutung ihm entgeht: Produktionskräfte, Produktionsverhältnisse, Wertgesetz, Diktatur des Proletariats usw. All das erlaubt ihm, sich über die Ernsthaftigkeit seiner Agitation sicher zu sein. Indem er sich ausserhalb „seiner Kritik“ der Welt platziert, ist er dazu verurteilt, nichts von deren Fortgang zu verstehen.

Die Leidenschaft, welche er in seinem alltäglichen Leben nicht finden kann, sucht er in seiner imaginären Teilnahme am „weltweiten revolutionären Spektakel“. Die Welt wird auf ein Marionettentheater reduziert, wo sich die Guten und die Bösen, die Imperialisten und die Anti-Imperialisten gegenüber stehen. Er kompensiert die Armseligkeit seiner Existenz, indem er sich mit den Stars dieses weltweiten Zirkus identifiziert. Der Gipfel der Lächerlichkeit wurde gewiss mit dem Kult des „CHE“ erreicht. Als wahnsinniger Ökonom, jämmerlicher Stratege, doch heisser Typ wird Guevara zumindest den Trost haben, für seine Talente als Hollywoodstar belohnt geworden zu sein. Ein Rekord im Posterverkauf!

Was ist die Subjektivität, wenn nicht das Überbleibsel der Objektivität, das, was eine auf der Reproduktion gegründete Gesellschaft nicht integrieren kann? Die Subjektivität des Künstlers vergegenständlicht sich im Kunstwerk. Für den von den Produktionsmitteln und der Organisation seiner eigenen Produktion getrennten Arbeiter bleibt die Subjektivität im Zustand von Manien, Wahnvorstellungen…Was sich vergegenständlicht, tut dies durch die Gnade des Kapitals und wird selbst zu Kapital. Die revolutionäre Aktivität, genau wie die Welt, die sie andeutet, überwindet die Trennung zwischen Objektivität und Subjektivität. Sie macht die Subjektivität objektiv und nimmt subjektiv die objektive Welt in Beschlag. Die proletarische Revolution ist der Einbruch der Subjektivität!

Es geht nicht darum, in den Mythos der von der Gesellschaft unterdrückten und ihre Rückkehr anstrebende „wahren Menschennatur“, des „ewigen Wesens“ des Menschen zurückzufallen. Aber wenn auch die Form und der Zweck unserer Wünsche unterschiedlich ist, so können sie sicher nicht auf das Bedürfnis reduziert werden, dieses oder jenes Produkt zu konsumieren. Die durch die Entwicklung und die Notwendigkeiten der Warenproduktion historisch bestimmte Subjektivität beugt sich nicht dem Drang nach Konsum und Produktion. Um die Wünsche des Konsumenten zu vereinnahmen, muss sich die Ware ununterbrochen anpassen. Doch sie ist unfähig, den Willen zu leben durch die totale und direkte Verwirklichung unserer Wünsche zu befriedigen. Als Avantgarde der Warenproduktion müssen die Schaufenster immer öfter die Kritik des Pflastersteins erdulden!

Jene, welche sich weigern, der Wirklichkeit IHRER Wünsche im Namen des „materialistischen Denkens“ Rechnung zu tragen, gehen das Risiko ein, vom Gewicht UNSERER Wünsche eingeholt zu werden.

Die Militanten und ihre Ideologen, sogar jene mit Universitätsdiplom, sind immer weniger fähig, ihre Epoche zu verstehen und die Geschichte treffend darzustellen. Unfähig, ein auch nur annähernd modernes Denken zu verbreiten, sind sie gezwungen, im Müllhaufen der Geschichte zu wühlen, um sich Ideologien wiederzuholen, die schon seit einer gewissen Zeit ihr Scheitern bewiesen haben: Anarchismus, Leninismus, Trotzkismus…Um das ganze etwas leichter bekömmlich zu machen, würzen sie es mit etwas missverstandenem Maoismus oder Castrismus. Sie berufen sich auf die Arbeiterbewegung, doch verwechseln ihre Geschichte mit dem Aufbau eines Staatskapitalismus in Russland oder dem bürokratisch-bäuerlichen Epos des „langen Marschs“ in China. Sie behaupten, sie seien Marxisten, doch verstehen nicht, dass das marxistische Projekt der Aufhebung der Lohnarbeit, der Warenproduktion und des Staates untrennbar von der Machtergreifung des Proletariats ist.

Die „marxistischen“ Denker sind zunehmend unfähig, die Analyse der grundsätzlichen Widersprüche des Kapitalismus zu übernehmen, welche Marx eingeführt hat. Sie verlieren sich auf dem Terrain der bürgerlichen politischen Ökonomie, während sie Dummheiten zum Wertgesetz, dem tendenziellen Fall der Profitrate, der Realisierung von Mehrwert endlos wiederholen. Trotz ihrer Vermessenheit verstehen sie nichts vom Gang des modernen Kapitalismus. Indem sie sich verpflichtet glauben, ein marxistisches Vokabular zu benutzen, deren Gebrauchsanweisung sie nicht kennen, verpassen sie die wenigen Möglichkeiten der Analyse, die der politischen Ökonomie verbleiben. Ihre „Forschungen“ sind weniger Wert als jene des erstbesten Schülers von Keynes.

MILITANTE UND ARBEITERRÄTE

Die militanten Organisationen stärken sich gegenüber der Massen, die sie zu repräsentieren glauben. Das führt natürlicherweise dazu, dass sie glauben, es sei nicht die Arbeiterklasse, die die Revolution macht, sondern „die Organisationen der Arbeiterklasse“. Es ist also angebracht, diese zu stärken. Das Proletariat wird zu einem Rohstoff, einem Misthaufen, auf welchem die Revolutionäre Partei als rote Rose wird aufblühen können. Die Notwendigkeiten der Vereinnahmung verlangen, dass man davon extern nicht allzu häufig spricht; dort fängt die Demagogie an.

Die Autonomie der Ziele der militanten Organisationen muss kaschiert werden. Diesen Zweck erfüllt die Ideologie. Man proklamiert lautstark, dass man im Dienste des Volkes stehe, dass man nicht für sein eigenes Wohl handle und dass, falls man für eine kurze Zeit gezwungen sein wird, die Macht zu ergreifen, man sie nicht missbrauche. Sobald die Arbeiterklasse genug gebildet sein werde, werde man sich beeilen, sie ihr zurückzugeben.

Die Geschichte der Arbeiterräte zeigt, dass die sogenannten Arbeiterorganisationen systematisch ihr eigenes Spiel spielten und ihre eigenen Kastanien aus dem Feuer holten; natürlich nur aus den besten Beweggründen. Um sich die Macht zu sichern, versuchten sie, die Organisationsformen, die sich das Proletariat gab, zu beschränken, zu vereinnahmen und zu zerstören: territoriale Sowjets, Fabrikkomitees.

Die russischen Sowjets wurden zuerst von der bolschewistischen Partei und dem bolschewistischen Staat vertuscht, dann liquidiert. Lenin misst ihnen 1905 keine Bedeutung zu. Im Gegensatz dazu proklamiert man 1917: „Alle Macht den Sowjets“. Ab 1921 werden die Sowjets, welche als Trittbrett zur Machtergreifung dienten, zu einem Störfaktor; die Arbeiter und die Matrosen von Kronstadt, die freie Sowjets fordern, werden von der Roten Armee niedergeschlagen.

In Deutschland nimmt die sozialdemokratische Regierung der „Volkskommissare“ die Liquidation der Arbeiterräte im Namen der Revolution in die Hand.

In Spanien kümmern sich einmal mehr die Kommunisten darum, die Formen der Volksmacht zum Verschwinden zu bringen. Das sollte dazu dienen, den Kampf gegen den Faschismus zu fördern!

Es lohnt sich nicht, Beispiele anzuhäufen. Alle historischen Erfahrungen haben den Antagonismus zwischen dem revolutionären Proletariat und der militanten Organisation bestätigt. Die extremistischste Ideologie kann eine konterrevolutionäre Position verstecken. Wenn auch einige Organisationen wie der Spartakusbund und die anarchosyndikalistische CNT-FAI Seite an Seite mit dem Proletariat bis zur gemeinsamen Niederlage kämpften, so beweist das doch nicht, dass diese Organisationen nicht für ihre eigene Macht gekämpft hätten, wenn der Gegner besiegt worden wäre.

China ist nichts weiter als ein vulgärer Staatskapitalismus. Die Warenproduktion und die Lohnsklaverei wurden durch die „kommunistische“ Machtergreifung nicht aufgehoben. Im Gegenteil, indem sie zu einem Bruch mit der Plünderung von China durch die Imperialisten führte, konnte nur diese Machtergreifung es ermöglichen, Kapital vor Ort zu akkumulieren und die Industrialisierung zu lancieren. Der Personenkult und der ideologische Druck, um das Volk zur Teilnahme am „Kampf an der Produktionsfront“ zu drängen, führten nicht zur Eliminierung der klassischen Methoden. Diese Werbung für Seife [Bild in der Originalbroschüre] bezeugt es.

Unsere lokalen Bürokraten, die von Maos „Dialektik“ und der Erneuerung der Theorie durch die sogenannte Bürokratiefeindlichkeit der Kulturrevolution schwärmen, werden vom roten China genauso enttäuscht sein wie sie vom stalinistischen Russland enttäuscht wurden.

Obwohl sie in der Politik eingesperrt sind, bleiben die Militante doch soziale Individuen, welche dem Einfluss ihres Milieus ausgesetzt sind. Wenn es heiss zu- und hergeht, werden potenziell viele ins Lager der Revolution wechseln. Man sah auch schon Syndikatssdelegierte bei Entführungen eine Hauptrolle spielen! Doch die massive Fahnenflucht der Militanten wird aufgrund der Tatsache, dass die Räte und die rätekommunistischen Revolutionäre stärker sein werden, umso wahrscheinlicher sein. Die Bewegung kann in ihren Erfolgen durch den Nachschub an etlichen Militanten unterstützt werden, doch im Falle von Fehlern oder Unschlüssigkeit wird das Pendel in die andere Richtung ausschlagen. Die militanten Organisationen werden gestärkt werden, durch die Zufuhr von Proletariern, die sich beruhigen wollen.

Die Liquidation der Arbeiterräte wurde möglich wegen ihrer Schwäche, ihrer Unfähigkeit, die Regeln der direkten Demokratie anzuwenden und effektiv alle Macht durch die Zerstörung aller äusseren Macht an sich zu reissen. Die militanten Organisationen sind eigentlich nur die eigene veräusserlichte Schwäche des Proletariats, die sich gegen es wendet.

Die Arbeiter werden wieder Fehler machen. Sie werden nicht sofort die adäquate Form ihrer Macht finden. Je weniger die Massen Illusionen bezüglich der Militanz haben, desto eher wird die Macht der Räte Chancen haben, sich zu entwickeln. Die Militanten diskreditieren und lächerlich machen, das ist die gegenwärtige Aufgabe der Revolutionäre. Diese Aufgabe wird vollendet werden, durch die Kritik in Form von Taten, durch die Entstehung rätekommunistischer Organisationen. Diese Organisationen werden ohne Führungsspitze und bürokratischen Apparat auskommen. Als Produkt der Solidarität der kämpferischen Arbeiter werden sie die freie Gemeinschaft autonomer Individuen sein. Nichts wird ihnen fremder sein als die ideologische Indoktrinierung und die organisationelle Einreihung. Sie werden nicht durch ihre Ideen, sondern vor allem durch ihr Verhalten in den Kämpfen zeigen, dass sie nie andere Interessen als jene der Gesamtheit des Proletariats zu verfolgen drohen.

Die Entwicklung des modernen Kapitalismus, die sich in der Besetzung allen gesellschaftlichen Raums durch die Waren, die Verallgemeinerung der Lohnarbeit, aber auch durch den Verfall der moralischen Werte, die Verachtung der Arbeit und der Ideologien äussert, wird die Gewalt des Zusammenstosses verstärken. Die Proletarier werden sehr viel schneller sehr viel weiter gehen als in der Vergangenheit. Die militanten Organisationen konnten zwar früher während einer gewissen Zeit eine revolutionäre Rolle spielen, doch das wird nicht mehr möglich sein. Diese Organisationen werden schnell nur doch die Möglichkeit haben, immer mehr auf der Seite der Konterrevolution zu stehen während den nächsten grossen Schlachten des Klassenkampfes. Eingeklemmt zwischen dem Proletariat und der alten Welt werden sie nur überleben können, indem sie letzterer als Festung dienen.

Wenn die Syndikalisten und andere Militante versuchen, die Versorgung, danach die Organisation der Produktion und die Aufrechterhaltung der Ordnung in die Hand zu nehmen, um auf die „Schwäche“ des Kapitals und des Staates zu reagieren und sich in den „Dienst der Hausfrauen“ stellen, müssen sie als das, was sie sind, behandelt werden: eine sich bildende neue Führungsschicht. Die Rätekommunisten werden dafür kämpfen müssen, dass die für besondere Aufgaben verantwortlichen Kommissionen und Delegierten EINZIG UND ALLEIN der Generalversammlung Rechtfertigung schulden und jeder Zeit widerrufbar sind. Die Mitglieder irgendeiner Organisation, welche in die Räte gewählt werden, dürfen nicht die Repräsentanten ihrer Organisation sein, sie sind die Delegierten der Arbeiter. Die Räte müssen ALLE MACHT UND KEINE SCHEINMACHT sein, die innerlich durch die Spaltung und die Versuche der Vereinnahmung der Organisationen geschwächt sind. Wir werden das Spiel der durch die Parteien in Politikerjahrmärkte transformierten russischen Sowjets oder der kommunistischen, sozialistischen, anarchistischen, trotzkistischen bewaffneten Kolonnen, welche sich während des Spanienkrieges gegenüberstanden und um Waffen und Einfluss bekämpften, nicht mehr spielen. Die Räte werden alle Aufgaben, die zur Zerstörung der bürgerlichen Ordnung nötig sein werden, in die Hand nehmen und verbinden müssen und all jene als Feinde behandeln, die ihnen dieses Recht absprechen!

Organisation des Jeunes Travailleurs Révolutionnaires [Organisation der jungen revolutionären Arbeiter]

 

1A.d.Ü., sowie deren Erhalt, Aufbau usw.

2A.d.Ü., wortwörtlich auf Deutsch: Militantismus als höchstes Stadium der Entfremdung.

3A.d.Ü., Entfremdung durch die Waren, evtl. Verdinglichung

4A.d.Ü., hier ist die Trennung zwischen Kopfarbeit und Handarbeit gemeint, also die Trennung zwischen der Theorie und der Praxis, dem Denken und dem Handeln, usw.

5A.d.Ü., Warenproduktion

6A.d.Ü., als Entrismus gilt die trotzkistische Taktik, um, historisch ging es um die Sozialdemokratie, zu unterwandern, indem sich Mitglieder der trotzkistischen IV. Internationale sozialdemokratischen Parteien anschlossen und diese von innen heraus unterwanderten, indem sie die Mitglieder radikalisierten. Funktioniert hat es noch nie, seitdem wird der Begriff verwendet, um dieses Handeln, das der Unterwanderung, so zu bezeichnen.

7Vgl. Rupture dans la théorie de la révolution (Bruch in der Revolutionstheorie). Texte 1965-1975, Senonevero, 2003, S. 481.

8Hier kann man die Nutzung von Nacktheit bei öffentlichen Demonstrationen erwähnen; siehe Guillon, Je chante le corps critique. Les usages politiques du corps, H&0, 2008.

9Siehe Le Lundi au soleil, Sammlung von Texten und Erzählungen der „Bewegung der Arbeitslosen“, Heft Nr. 1, November 1997-April 1998, La bande à 35 h par jour, L’Insomniaque, Juni 1998.

10CGT – Confédération générale du travail, ein Syndikate, die traditionell eng mit der französischen kommunistischen Partei verbunden ist.

11Alain Geismar – ein Mitglied der Parti socialiste unifié und Präsident des Professorensyndikats der Universität zu Beginn von Mai 1968. Er wurde zu einer der prominentesten Persönlichkeiten der Maibewegung. Nach deren Ende stand er der Bewegung des 22. März nahe und schloss sich Anfang 1969, zusammen mit anderen Mitgliedern, der Gauche prolétarienne (GP) an, die führende Gruppe des aktivistischen Flügels des französischen Maoismus. Er wurde zu einem öffentlichen Sprachrohr der GP und zu einer Berühmtheit als er 1970 wegen Anstiftung zum Landfriedensbruch ins Gefängnis musste. Später machte er als Akademiker Karriere und wurde Berater der sozialistischen Regierung.

12CFDT – Confédération française démocratique du travail – französische Syndikatsföderation. Nach dem Mai 68 (für welchen sie mehr Sympathie hatte als die mit der kommunistischen Partei verbundene CGT) entwickelte sie starke Beziehungen zur Parti socialiste unifié und wurde stark mit der Sache der Selbstverwaltung identifiziert. Später näherte sie sich der sozialistischen Partei an.

13AJS – Alliance des jeunes pour le socialisme. Gegründet 1969 als Jugendorganisation der (lambertistischen) Organisation communiste internationaliste. Die OCI war 1968 die am meisten „altlinke“ der französischen trotzkistischen Gruppen (sie war Mitglied des Internationalen Komitees der Vierten Internationalen mit der Socialist Labour League von Healy, bis sie mit diesem 1971 brach). Sie schaffte das bemerkenswerte Kunststück, junge Leute aufzurufen, 1968 Barrikaden niederzureissen und trotzdem danach kurz von der Regierung verboten zu werden. Ihr junger Flügel, die AJS, erlangte einen wenig beneidenswerten Ruf für ihren manipulativen Frontismus.

14Gauche prolétarienne (GP). Gegründet im September 1968 von ehemaligen Mitgliedern der (marxistisch-leninistischen) Union des jeunesses communistes, eine von Althusser inspirierte maoistische Gruppe, die sich 1966 von der UEC, der offiziellen Studentengruppe der kommunistischen Partei, abgespalten hatte. Anfang 1969 schlossen sich ihr einige Mitglieder der „spontaneistischen“ Bewegung des 22. März an und in den nächsten drei, vier Jahren war die GP jene Gruppe, welche von den „nichtparteilichen“, aktivistischen maoistischen Gruppen am ehesten repräsentativ war. Diese Strömung, welche ausserhalb Frankreichs kaum Pendants hatte, ist im Buch von A. Belden detailliert beschrieben (das betreffende Kapitel kann online gelesen werden). Ein Merkmal der GP war die Anzahl „Persönlichkeiten“, welche sie sowohl als Sympathisanten anzog (u.a. Sartre und der Verleger Maspero) als auch kreierte – in Frankreich war sie exemplarisch für die Praxis des „radical chic“. Ihre organisationelle Praxis war exemplarisch für das, was später in den USA und im Vereinigten Königreich als die Tyrannei der Strukturlosigkeit beschrieben wurde. Von der Regierung 1970 verboten, existierte die GP weiterhin durch etliche Fronten und einem Netzwerk von Gruppen und durch die Versuche, andere Projekte zu kontrollieren.

15Ligue communiste. Die OCI repräsentierte die „alte Linke“ innerhalb des Trotzkismus und die Ligue communiste die „neue Linke“, basierend auf den „neuen Avantgarden“ der Jugend, der Studenten, des schwarzen Nationalismus und der nationalen Befreiungsbewegungen. Der Name Ligue communiste wurde 1968 gewählt, als der (frankistische) Parti communiste internationaliste (PCI) und die Jeunesse communiste révolutionnaire (JCR), die von ihr kontrollierte Studentengruppe, von der Regierung verboten wurden. Als französische Sektion des Vereinigten Sekretariats der Vierten Internationalen hatte der PCI bis 1968 Entrismus innerhalb der französischen Kommunistischen Partei praktiziert. Sein Einfluss auf die offizielle Studentengruppe der Partei führte 1967 zur Gründung der JCR. Die JCR war eine der aktivsten politischen Studentengruppen während dem Mai 68 und ihr erfolgreicher Aufstieg war das Sprungbrett für die Gründung der Liga.

16Der Secours rouge (Rote Hilfe) wurde 1970 von einem Komitee von „Aktivisten und Persönlichkeiten“ (Biard), darunter auch der allgegenwärtige Sartre, gegründet. Sein Zweck war es, ein einheitliches Gremium zur Organisation der praktischen Verteidigung und des praktischen Kampfes zu sein, theoretisch kontrolliert von lokalen Volksversammlungen. Er wurde von mehreren trotzkistischen, maoistischen und anarchistischen Gruppen unterstützt und organisierte Aktivitäten, die von Demonstrationen bis zu Versuchen praktischer Solidarität verschiedener Art reichten. In Wirklichkeit war der Secours rouge allen voran eine Initiative der maoistischen Gauche prolétarienne, die in der Zwischenzeit von der Regierung verboten worden war und in Form von Netzwerken von Gruppen und Organisationen existierte, die sie entweder selber aufgleiste oder einfach daran beteiligt war (siehe Fussnote 5). Von Anfang an bekämpften sich die verschiedenen Gruppierungen und nach und nach spalteten sich die trotzkistischen Gruppen und der linkssozialistische PSU ab und überliessen den Aktivisten der ehemaligen GP die Kontrolle bis sich der Secours rouge komplett auflöste.

17Die OJTR (Organisation des jeunes travailleurs révolutionnaires) war die Gruppe, welche diesen Text verfasste.

18Der Parti socialiste unifié (PSU) war eine kleine, 1960 gegründete linkssozialistische Partei. Sehr gespalten über ihre politische Linie während den Wahlen 1969 und mit starkem Druck von Sektionen ihrer Mitgliedschaft (sie integrierte viele jüngere und militantere Neumitglieder nach dem Mai 68), entschied die nationale Koordination der Partei, im ganzen Land Arbeiter- und Bauernversammlungen einzuberufen. Das neue Element war, dass sie offen für Nichtmitglieder der Partei waren und beauftragt, Strategiedokumente für den Parteikongress in Lille 1971 zu formulieren. Nicht überraschend wurden die Versammlungen sofort zur Bühne für Kämpfe um Einfluss zwischen den diversen Fraktionen der Partei und die Texte, welche schliesslich am Kongress präsentiert wurden, repräsentierten eher die Fraktionen als die „Stimme der kämpfenden Massen“.

19Cahiers de Mai – 1968 von einigen Aktivisten aus Nantes und Umgebung gegründete Zeitschrift, die ursprünglich zum Ziel hatte, den Standpunkt der im Mai geformten Aktionskomitees ausdrücken. Als die während dem Mai 68 entstandene Bewegung verschwand, bekam die Zeitschrift ein Forum zur Diskussion und Bekanntmachung von Arbeiterkämpfen. Im Januar 1969 initiierte sie eine Debatte zum Thema „Wie können wir den Arbeitern helfen, zur revolutionären Aktion überzugehen?“. In dieser Debatte waren Arbeiter sowohl als Aktivisten involviert und etliche Studiengruppen wurden aufgegleist. Es folgte 1972 ein Versuch, das ganze zu formalisieren durch einen Verein der Freunde der Cahiers de Mai, dem Einsatz für neue Organisations- und Aktionsformen und für autonomen Kampf ergeben. Dennoch, wie Biard es formuliert, „…ist die Idee der Autonomie der Arbeiterklasse eng mit der Idee der Organisation der Revolutionäre verbunden. Wie sind die Verhältnisse zwischen den autonomen Bewegungen und den revolutionären Gruppen? Je nach Antwort zu dieser Frage – von der Ablehnung revolutionärer Gruppen bis zur Anerkennung ihrer Rolle als Avantgarde – gibt es unendlich viele mögliche Positionen“. Die Publikation der Zeitschrift wurde 1975 eingestellt.

20Humanité rouge – Zeitschrift der Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei Frankreichs (PCMLF), eine im Dezember 1967 von einigen ehemaligen Mitgliedern der Kommunistischen Partei gegründete zentralistische maoistische Partei. Im Gegensatz zur Althusser anhängenden UJCML, welche sich von der Studentengruppe der KP abspaltete und das Sammelbecken für die „parteilose“ maoistische Strömung wie die Gauche prolétarienne war, bestand die PCMLF v.a. aus Ultra-Stalinisten, die ablehnten, was sie den „Revisionismus“ der KP nannten. Aktiv im Mai 68 wurde sie wie viele andere Organisationen verboten und arbeitete danach klandestin, die Zeitschrift Humanité rouge wurde zu ihrem öffentlichen Gesicht und Namen.

]]>