Non Fides – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org Für die Anarchie! Knäste, Staat, Patriarchat und Kapital abschaffen! Wed, 03 Apr 2024 09:43:25 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://panopticon.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1233/2020/02/cropped-discharge-degenerik-blog-1-32x32.jpg Non Fides – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org 32 32 Anarchismus und Identität(en), ein falsches Verhältnis. https://panopticon.blackblogs.org/2024/03/17/anarchismus-und-identitaeten-ein-falsches-verhaeltnis/ Sun, 17 Mar 2024 18:38:47 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=5600 Continue reading ]]>

Anarchismus und Identität(en), ein falsches Verhältnis.


Eine kurze Textreihe von Texten die aufeinander Bezug nehmen. Angefangen hat es mit einem Artikel der im Sprachorgan der CNT Catalunya Solidaridad Obrera veröffentlicht wurde, danach auch französischer Sprache auf lundi matin. Dazu gab es von Finimondo und Non-fides eine Kritik.

Es gibt nicht wenige die den Anarchismus als eine Theorie des Proletariats um den Staat und das Kapital zu zerschlagen nicht sehen, sondern als eine Identität. Die wie alle Identitäten, alles Ideologien, man nicht nur nach belieben ablegen kann, sondern nicht nur oberflächlich und vor allem etwas sind was fast ästhetisch ist.

Der erste Text dieser Reihe leidet an den oben genannten Krisen der Identität (Wer bin ich? Wohin gehe ich? Warum bin ich? …) und will den Anarchismus wechseln, zu unbequem, zu unattraktiv, sowie man halt die Unterwäsche wechselt. Der Anarchismus wird ganz im Sinne jeder Identität auf rein ästhetische Merkmale reduziert und dies auf einer Zeitung die von sich selbst schimpft selbst anarchistisch (sic!) zu sein. Dies wird natürlich von Finimondo kritisiert.

Der letzte Artikel von Non-Fides ist in einem anderen Rahmen zu lesen. Dies werden alle Freundinnen und Freunde der Kritik am Appellismus/Tiqqunismus/undweiteretheoretischeDeformationen sehr mögen.


Gegen“ den Anarchismus. Ein Beitrag zur Debatte über Identitäten

Neu anfangen heißt: aus dem Schwebezustand herauskommen. Den Kontakt zwischen unserem Werden wiederherstellen“. Tiqqun.

Viele von uns haben sich schon lange über Identitäten Gedanken gemacht: Was ist Identität, wie wird sie artikuliert, ist es interessant oder strategisch ratsam, die Fahnen der Identität im Rahmen revolutionärer Prozesse hochzuhalten? In diesem Text werden wir versuchen, eine andere Perspektive in die Debatte einzubringen.

Wir verstehen Identität als den symbolischen und strukturellen Prozess der Identifikation oder Zugehörigkeit und damit auch der Trennung. Man muss unterscheiden zwischen Identitäten, die von der Biomacht auferlegt werden (Frau, schwarz, fett usw.), und „revolutionären Identitäten“, die sich eine Vielzahl von Organisationen, Kollektiven oder Individuen selbst geben (anarchistisch, kommunistisch, nihilistisch usw.), d. h. Identitäten, die nicht durch diskursive, soziale und sprachliche Symbole auferlegt werden, die historisch von der Macht bestimmt sind, sondern von den Individuen selbst gegeben werden.

In vielen Fällen sind die von der Biomacht auferlegten Identitäten Kategorien der Unterdrückung. Als Frau bezeichnet zu werden, macht dich nicht zur Frau, aber es verleiht dir eine soziale Kategorie mit allem, was dies bedeutet und mit sich bringt. Die Wiederaneignung und Abschaffung der durch die Unterdrückung vorgegebenen Kategorien ist in den meisten Fällen ein notwendiger Schritt, um eine kollektive Ermächtigung aus der Identität heraus zu artikulieren. Wie Nxu Zana, eine indigene Frau und Feministin, sagt:

Das heißt, sie haben mir eine Reihe von Vorschriften auferlegt, an die ich mich halten musste, weil ich eine Frau bin, und wenn ich das nicht tue, werde ich verurteilt, bestraft, ausgegrenzt, stigmatisiert und sogar vergewaltigt, womit ich nicht einverstanden bin, aber ich würde die Realität meines Körpers und das, was er für meine Gruppe, meine Geschichte, mein persönliches und kollektives Leben bedeutet, niemals verleugnen, denn ihn zu verleugnen, bedeutet, eine Realität und meine Erfahrung damit zu verleugnen, indem ich versuche, mich einer Lüge hinzugeben“.

Wir haben nichts über diese aufgezwungenen Identitäten zu sagen, denn sowohl ihre Zwangsfunktion als auch ihre Wiederaneignung sind im Rahmen eines diskursiven, symbolischen und materiellen Kampfes klar, der jeden Tag und überall geführt wird. Andererseits verbergen sich hinter den „revolutionären Identitäten“ eine Reihe von Spitzfindigkeiten, die aus der Nähe betrachtet stinken.

Wir stellen unmissverständlich fest, dass die Erklärung, „antisistema“1, „Anarchist*in“ oder ein anderes ähnliches Etikett zu sein, heute bedeutet (A.d.Ü., in Form von Repräsentation), sich auf die Logik der Macht einzulassen. Diese Erklärung ist keine bloße Provokation; sie ist vor allem eine strategische und konzeptionelle Notwendigkeit. Kurz gesagt: In dem Moment, in dem sich ein Individuum oder ein Kollektiv als „anarchistisch“ (oder ähnlich) bezeichnet, gibt es sich freiwillig ein erkennbares Gesicht in den Augen der Macht und grenzt sich damit vom Rest der Bevölkerung ab. Wir sollten uns daran erinnern, dass die Logik der Abgrenzung immer die Logik der Macht ist. Mit dieser Identitätszuweisung weisen sie auf sich selbst hin, sie machen auf sich aufmerksam, und die Macht macht sich die Tatsache zunutze, dass sie solche identifizierbaren Masken tragen. Auf diese Weise ist es für die Macht viel einfacher, sie zu isolieren, zu unterdrücken und diskursiv ein Monster in den Augen der anderen zu errichten, um die Trennung aufrechtzuerhalten, die die Anarchist*innen selbst geschaffen haben. Das vorhersehbare Ergebnis dieser Strategie ist Isolation, Identifikation und Repression. Und eine Menge Ohnmacht zum Nachtisch.

Die Macht will uns nicht zerstören (wie wir manchmal in Texten lesen, die unter den Hausbesetzer*innen in unseren Kiezen verteilt werden), sie will uns vielmehr „produzieren“. Sie will uns als politische Subjekte produzieren, als Anarchist*innen, Antisistemas, Radikale usw. Sie wollen uns so produzieren, dass sie jeden Versuch der Organisierung leicht neutralisieren können. Es ist an der Zeit, all diesen Ballast hinter sich zu lassen. Angesichts der Trennung, die durch die „revolutionären Identitäten“ erzeugt wird, bleibt uns nichts anderes übrig, als uns aufzulösen. Sich auflösen heißt: unerkennbar werden, unbemerkt bleiben, aus dem Blickfeld verschwinden, während wir an den Orten, an denen wir leben, zusammen mit den Menschen, die uns nahe stehen, handeln, ohne etwas zu verkünden, sondern die Praxis für uns sprechen lassen.

Die Dialektik, die sich daraus ergibt, ist folgende: Man geht von einer bestimmten, vorher festgelegten Ideologie aus (mit der daraus resultierenden verankerten Identität) und gibt in völliger Isolation, von dieser Äußerlichkeit, von dieser Leere, vor, in die Materialität der Welt hinabzusteigen, um „die Massen anzusprechen“ und dieses oder jenes Ziel zu erreichen. Das ist eine außerirdische Politik2 und Teil des andauernden Scheiterns; diese Dialektik muss umgedreht werden. Vielmehr gehen wir von einer bestimmten gemeinsamen Situation aus, von bestimmten Bedürfnissen und begleitet von bestimmten heterogenen Menschen ohne irgendeine Art von „revolutionärer Identität“, und von dort aus, aus unserem Alltag, von den Orten, die wir bewohnen, und zusammen mit den Menschen um uns herum, bauen wir durch kollektive Praxis eine revolutionäre Strategie auf, die auf das libertärste Ideal zielen kann, das wir wollen. Wie einige Freund*innen sagen: Eine Gemeinschaft wird nie als eine Identität erlebt, sondern als eine Praxis, als eine gemeinsame Praxis.

Im Laufe des Konflikts sind wir überrascht, dass eine so wichtige Frage wie „Was genau bringt die Tatsache, dass wir uns als Anarchist*innen bezeichnen, mit sich?, nie gestellt wird. Da wir in alten revolutionären Traditionen verankert sind, verlieren wir die Klarheit darüber, was vor unseren Augen geschieht. Diesen Aspekt auf den Tisch zu bringen, erscheint uns grundlegend. Sich selbst als Anarchist*in (oder eine andere „revolutionäre Identität“) zu bezeichnen, trägt überhaupt nichts bei oder erleichtert nichts, es stärkt weder unsere revolutionäre Kraft noch hilft es uns, uns besser zu organisieren. Stattdessen isoliert sie uns und macht uns zu einem leichten Ziel für Repressionen. Ideologische Identitäten sind ein Pfeiler, auf dem der Feind ruht, also liegt es an uns, ihnen abzuschwören. Foucault schrieb zu Recht, dass „das Hauptziel heute nicht darin besteht, zu entdecken, was wir sind, sondern es zu verwerfen“. Allein diese Prämisse anzunehmen, ist eine Übung in Demut und Aufrichtigkeit. Das bedeutet nicht, dass wir vergessen, schon gar nicht unsere Toten, sondern dass wir anders anfangen.

Wir gehen von folgendem Punkt aus: Der Inhalt eines Kampfes liegt in den Praktiken, die er anwendet, nicht in den Zielen, die er verkündet. Es ergibt keinen Sinn, einen Rucksack voller identitätspolitischer Unnachgiebigkeit, raffiniertem Purismus und moralischem Radikalismus zu tragen, wenn wir in dieser kollektiven Lähmung verankert bleiben. Indem wir von den Orten aus agieren, die wir bewohnen, und Lebensweisen entwickeln, sind wir nicht so sehr durch große ideologische Ansprüche geeint, sondern vielmehr durch kleine gemeinsame Wahrheiten in einem komplexen, dynamischen und manchmal sogar widersprüchlichen Prozess. An diesem Punkt wächst unsere revolutionäre Kraft und kann zu etwas mehr werden.

Abschließend möchten wir auf die Kluft hinweisen, die oft zwischen der militanten Welt des Ghettos (mit all ihren ideologischen Identitäten) und der Zentralität des Alltagslebens besteht. Mit anderen Worten: So grundlegende und notwendige Aspekte des Lebens wie Wohnen, Transport oder Arbeit werden in diesen Räumen nicht angesprochen. Wenn wir reden, debattieren und mobilisieren, es aber vernachlässigen, uns auf der Grundlage unserer Bedürfnisse zu organisieren und uns in einen rein ideologischen und identitätsbasierten Rahmen stellen, ist das Teil des Problems. Wir müssen auf den Boden der Tatsachen zurückkehren. Wir müssen die Mauern einreißen, die wir selbst um uns herum errichtet haben. Diese Spaltung zwischen der militanten/identitären Welt und der Zentralität des Lebens und seiner Bedürfnisse ist ein Hindernis, das es zu überwinden gilt; wir müssen eine notwendige Verschiebung hin zu einer anderen Koordinatenachse vornehmen und unsere Organisation auf das stützen, was wirklich politisch ist, d.h. auf den Aufbau anderer Lebensformen zusammen mit den Menschen um uns herum. Diese Spaltung ist es auch, die es vielen Militanten ermöglicht, beim kleinsten Anzeichen von individuellen Zweifeln den Kampf aufzugeben und sich „zurückzuziehen“, da sich ihre Aktivität nicht um zentrale Aspekte des Lebens dreht. Nur eine solche Äußerlichkeit gegenüber dem Leben kann dies ermöglichen. Andernfalls wäre er nicht in der Lage, sich von dem zurückzuziehen, was er tagtäglich lebt. Es kann keine militante oder identitäre Sphäre und eine separate Sphäre geben, die dem „Leben“ entspricht. Unsere Aufgabe ist es, uns aufzulösen, unbemerkt zu bleiben, uns auf der Grundlage der Bedürfnisse unseres Lebens zu organisieren und unsere Bestrebungen kollektiv in die Tat umzusetzen.

Wir glauben fest daran, dass Kampf etwas anderes ist als das, woran wir gewöhnt sind. Es überrascht uns nicht, dass viele Menschen in bestimmten Bereichen von ihrer militanten Aktivität ausgebrannt sind und von der Ohnmacht, auf die sie reduziert werden, genervt und ausgepowert sind. Wir können den Kampf und das Leben nicht voneinander trennen, genauso wenig wie wir uns von anderen auf der Grundlage einer ideologischen Identität abgrenzen können. Nachbarschaftliche Beziehungen und Freundschaft, ganz einfach, sind der Mörtel, auf dem die Flamme des Aufstands gebaut ist. Diese Verbindungen sind die einzigen, die eine revolutionäre Notsituation aufrechterhalten können, und mit Kampf und Politik meinen wir auch die Verbreitung dieser Verbindungen und ihre Organisation. Das Spiel der ideologischen Identitäten ist eine Belastung für die Konstituierung dieser Verbindungen. Es ist also an der Zeit, diskursiv und konzeptionell auf den Teil von uns zu verzichten, der uns so sehr daran hindert, beim Aufbau einer anderen Art, diese Welt zu bewohnen, voranzukommen.

Herbst 2017


Gefunden auf finimondo, die Übersetzung ist von uns.

Über Anarchismus und (Identitäts-)Krise

Für einen Anarchismus ohne Abhängigkeiten

Montag, 30. Januar 2017

Ein Text mit dem Titel „Gegen“ Anarchismus. Ein Beitrag zur Debatte über Identitäten, der bereits im vergangenen November in Spanien in der Zeitschrift Solidaridad Obrera (offizielles Organ der CNT) erschienen ist, wurde kürzlich ins Französische übersetzt und auf der Website lundi.am (inoffizielles Organ des Unsichtbaren Komitees) veröffentlicht. Diese allzu offenkundige Übereinstimmung der politischen Sinne zwischen spanischen libertären Syndikalisten und französischen blanquistischen Intellektuellen, die beide darauf erpicht sind, andere zu organisieren, erscheint uns zu interessant und zu interessiert, um ignoriert zu werden. Eine heuchlerischere Lektion für diejenigen, die keinen Platz in dieser Welt haben, kann man kaum finden.

Deshalb hielten wir es für das Beste, diesen peinlichen Text auch hier in Italien öffentlich zu machen. Und wir hielten es für unklug, ihm einen eigenen peinlichen Beitrag folgen zu lassen. […] Für einen Anarchismus ohne Abhängigkeiten

Calimero, der kleine libertäre Syndikalist, befindet sich in einer ständigen Identitätskrise. Die anderen Bewohner des Hofes erkennen ihn nicht an, sie brüskieren ihn, sie beschämen ihn. Er wimmert, schreit, stampft mit den Füßen, aber dann macht er schließlich einen Aufstand und schlurft davon. Welche Wut, welche Hilflosigkeit! Er würde gerne erwachsen werden, eine Familie gründen, respektiert werden, sich einen Namen und einen Platz in der Gesellschaft machen, aber stattdessen…. bleibt er klein, allein und wird oft verspottet. Das ist eine Ungerechtigkeit. Und wessen Schuld ist es, weißt du? Die schwarze Farbe, die an seiner Figur klebt. Schwarz, verstehst du? Wie die Dunkelheit, wie das Verbrechen, wie das Böse. Es vertreibt die Menschen! Nach jahrelanger Erfahrung hat Calimero das erkannt und will es ändern. Zu seiner Rettung ist die Tiqqunina mit ihrer Lavaidee gekommen.

Obwohl er ein Syndikalist in den armen Vierteln ist, denkt und spricht Calimero wie ein Makler in den reichen Vierteln. Für ihn heißt es, wenn man Militanz ausgibt, eine Investition in die Bewegung zu tätigen. Es lohnt sich nur, wenn es dann wenigstens einen Machtgewinn gibt. Seine Sorge ist folgende, von Anfang an meisterhaft formulierte: „ist es interessant oder strategisch ratsam, die Fahnen der Identität im Rahmen revolutionärer Prozesse hochzuhalten?“3 Naaaa, ist es nicht. All das Schwarz auf den Marktständen muss entfernt werden, es verheißt nicht Weißheit und Fröhlichkeit, es macht Dreck. Wo Schwarz ist, bekommen die Kunden Angst und kommen nicht heran. Wo Schwarz ist, kommt die Polizei, um Kontrollen durchzuführen. Ein Beweis, den alle sehen können.

Auch Calimero hat seine Gründe. Er berücksichtigt nur eine Sache nicht. Für ihn ist Schwarz die Farbe von einer Ware zum Verkauf, die ein Verfallsdatum hat und früher oder später aus der Mode kommen wird. Für ihn ist Schwarz die Farbe einer Uniform, die früher oder später aus der Mode kommen wird. Für ihn ist Schwarz die Farbe einer ideologischen Identität, die nicht mehr funktioniert. Eine Art Ruß, der weggewaschen werden muss. Aber jeder, der kein syndikalistischer Broker ist, geschweige denn politisch motiviert, weiß, dass „alle wahre Freiheit schwarz ist“.

Im Gegensatz zu dem, was seine vielen Gegner so gerne wiederholen, ist der Anarchismus keine Reihe von charakteristischen und grundlegenden Daten, die eine Identifikation, also eine Identität, ermöglichen. Es handelt sich um eine Reihe von Ideen und Praktiken, die von denjenigen umgesetzt werden, die der Meinung sind, dass Freiheit und Macht unvereinbar sind, und die dafür kämpfen, Ersteres gegen Letzteres zu behaupten. Gegen den Anarchismus zu sein, bedeutet also, in gewisser Weise für die Macht zu sein und zu glauben, dass sie – in einer ihrer vielen Formen – Freiheit zulassen, schützen und fördern kann.

Natürlich ist es keine Pflicht, Anarchist oder Anarchistin zu sein. Es ist nicht bequem, es ist nicht populär, es ist nicht angenehm und es kann gefährlich sein. Und in der Tat, die große Mehrheit der Menschheit, die nicht einmal weiß, was Anarchismus ist, ist es sicher nicht. Aber die wenigen, die es wissen, die denken, dass die verhasste Autorität der Todfeind der geliebten Freiheit ist und umgekehrt, warum sollten sie sich dafür schämen? Warum sollten sie es verbergen? Warum sollten sie die Realität ihrer Ideen leugnen? Vielleicht, weil sie nicht „funktionieren“? Das wäre eine verblüffende Überlegung in ihrer doppelten Dummheit. Zum einen, weil der Anarchismus mehr mit Ethik als mit Politik zu tun hat (was richtig ist, ist wichtiger als das, was funktioniert, so viel zum strategischen Kalkül), und zum anderen, weil wir nicht den Eindruck haben, dass irgendeine Form der Macht jemals „funktioniert“ hat, um den Menschen Glück und dem Leben Schönheit zu verleihen.

Calimero nennt sich selbst einen Libertären, seine Ideen würden ihn in Richtung Anarchismus treiben. Aber er ist auch ein syndikalistischer Broker und seine politischen Angelegenheiten bringen ihn weit weg vom Anarchismus. Dieser Widerspruch – mehr als ein Jahrhundert alt – schließt ihn kurz, wie aus seinen Worten hervorgeht. Erst unterscheidet er zwischen Identitäten, die von der „Biomacht“ auferlegt werden, und Identitäten, die sich das Individuum selbst auferlegt, dann hebt er diese Unterscheidung auf und vermischt beides munter miteinander. Mit einer Verachtung für das Lächerliche informiert er uns offen darüber, „wir stellen unmissverständlich fest, dass die Erklärung, „antisistema“, „Anarchist*in“ oder ein anderes ähnliches Etikett zu sein, heute bedeutet, sich auf die Logik der Macht einzulassen“, weil man sich dadurch vom Rest der Bevölkerung abgrenzt und die Repression erleichtert. Das ist mehr als ein strategisches Konzept, es ist eine kluge Überlegung. Es ist bereits unklar, was der eigentliche Kern des Problems ist, ob der Anarchismus selbst oder seine öffentliche Affirmation. Ob die Isolation von der Bevölkerung oder die Repression, die sie ermöglicht. Auch hier, in völliger Verwirrung, mischt Calimero die Karten neu. Meint er, dass Anarchistinnen und Anarchisten aufhören sollten, welche zu sein, oder dass sie vorgeben sollten, keine Anarchistinnen oder Anarchisten zu sein, um sich besser unter die Menge zu mischen? Doch wer „schnell auf den Boden der Tatsachen zurückkehren“ will, sollte sich darüber im Klaren sein, dass es viele bekennende Anarchistinnen und Anarchisten gibt, die überhaupt nicht im Fadenkreuz der Repression landen (was nicht so dumm ist, jeden zu jagen, der ab und zu eine schwarze Fahne schwenkt). Tatsächlich gibt es unter den erklärten Anarchistinnen und Anarchisten eine Menge guter Menschen, von denen einige sogar öffentliches Ansehen genießen: Universitätsprofessoren, Anwälte, Künstler, Arbeiter in Waffenfabriken, Sozialarbeiter in Gefängnissen… (Zu den Kommunisten gehören sogar Polizisten und Richter). Und wenn man sich selbst zum Feind der Macht erklärt, was soll man dann tun, um aus dieser Logik herauszukommen? Sich zu ihrem Freund erklären? Schweigen und andere, die Eiferer des demokratischen Einheitsdenkens, sprechen lassen? Aber da Sprache Welten schafft, würde man sich damit nur mit der Welt der Macht abfinden oder sie sogar bestätigen.

Fieberhaft verkompliziert Calimero seine Argumentation weiter, indem er behauptet, dass „Die Macht will uns nicht zerstören … , sie will uns vielmehr „produzieren“. Sie will uns als politische Subjekte produzieren, als Anarchist*innen, Antisistemas, Radikale usw.“ Die selbsternannten Anarchistinnen und Anarchisten spielen also nicht nur das Spiel der Macht, sie sind ein Produkt von ihr! Sie spielen ihr Spiel, weil sie ihre Geschöpfe sind! Ja, wir geben es zu: Es ist unbestreitbar, dass die Macht nicht nur unter den Verteidigern der Ordnung politische Subjekte hervorbringt, sondern auch unter den Umstürzlern. Man denke nur an Minister wie Juan Garcia Oliver und Federica Montseny in der Vergangenheit oder an Stadträte wie Benjamin Rosoux und Manon Glibert in der Gegenwart. Politische Subjekte, die die Macht hervorbringt, sind eigentlich alle, die sie erobern, verwalten, beraten, korrigieren oder ersetzen wollen. Allerdings muss man wirklich ein Trottel sein, um zu glauben, dass die Macht diejenigen hervorbringt, die sie zerstören wollen (wenn sie das tut, dann unabsichtlich, so wie der Nationalsozialismus Partisanen hervorgebracht hat; aber niemand käme auf die Idee zu behaupten, dass Partisanen „ideologische Identitäten“ waren, die sich vom Rest der Bevölkerung abgrenzten). Tatsächlich bringt die Macht nur Autoritäre hervor, schafft es aber manchmal, einige Anarchistinnen und Anarchisten zu „korrumpieren“, indem sie sie mit ihren Sirenen betört.

In seinem anti-anarchistischen Eifer kommt Calimero zu einer weiteren bizarren Aussage. Seiner Meinung nach sind nicht der Staat, der Kapitalismus oder was auch immer für die aktuelle Katastrophe verantwortlich; die Ursache für die heute vorherrschende Massenentfremdung hat nichts mit Propaganda oder Technologie zu tun – nein, es ist alles die Schuld der „außerirdischen Politik“, die von „revolutionären Identitäten“ betrieben wird. Kurz gesagt: Wenn sich die Macht auf der Erde unangefochten durchsetzt, ist das den wenigen isolierten selbsternannten Revolutionären zu verdanken, die vom Mond aus zum Umsturz aufrufen, und nicht den vielen einflussreichen selbsternannten Nicht-Revolutionären auf der Erde, die sie unterstützen, rechtfertigen, festigen und beraten. Geheimnisse der Dialektik.

An einem bestimmten Punkt platzt der Broker in Calimero heraus, verblüfft darüber, dass niemand die Schlüsselfrage jeder guten Investition gestellt hat: „Was genau bringt die Tatsache, dass wir uns als Anarchist*innen bezeichnen, mit sich“. Calimero ist nicht daran interessiert, seine eigenen Ideen zu äußern, um die vorherrschende Ideologie herauszufordern und seine eigene Welt zu schaffen, sondern fragt nur, wo der Vorteil, der Gewinn, liegt. Nirgendwo, natürlich! Die Polizei schaut zu und die Kunden kaufen an den anderen Ständen auf dem Marktplatz der Politik ein. Inspiriert von Tiqqunina beruft sich Calimero auf Foucault, um uns zu verdeutlichen, welche Schlussfolgerung wir ziehen müssen: „das Hauptziel heute nicht darin besteht, zu entdecken, was wir sind, sondern es zu verwerfen“. Die Ablehnung dessen, was wir in den Augen des Staates, d.h. seiner Bürger, sind, ist das Mindeste, was man tun kann. Aber abzulehnen, was wir in den Augen von uns selbst sind … und das nicht aus Feigheit oder Heuchelei, sondern aus „einer Übung in Demut und Aufrichtigkeit“?

Peinlich, wirklich. Ich kann sie schon hören, die Tiqqunina, mit ihrer zickigen Stimme: Es ist alles wie immer, Calimero! Du bist nicht schwarz, du bist nur schmutzig! Ein enthusiastischer Sprung in die Situation, ein kräftiges Auswringen der Lavaidee, und schwupps! Nach einem kurzen Moment taucht Calimero unter einem Applausschauer als lächelnder, schneeweißer Staatsbürger wieder auf und singt ein Loblied auf die wundersame, bleichende Wirkung der Politik. Man kann nur zu gut verstehen, warum sich die französische autoritäre Tiqqunina mit dem spanischen Libertären Calimero angefreundet hat, der in einer anarchistischen Wochenzeitung Anarchistinnen und Anarchisten dazu aufrief, das, was sie sind, abzulehnen und sich von ihrem Anarchismus zu reinigen.

Wie viel politische Freundschaft steckt in ihrer gemeinsamen Suche nach einem populären Konsens! Wie viel Gemeinsamkeit in ihrem Bestreben, einen kleinen Teil der Gesellschaft zu organisieren! Wie viel Gemeinsamkeit im Interesse, dass die Menschen so bleiben! Wir waren gerührt, als wir sahen, wie harmonisch sie Initiativen zur Verbreitung von Ideen (wie Konferenzen oder Debatten) ablehnten und Initiativen zur Befriedigung von Bedürfnissen (wie Wohnraum oder Arbeitsplätze) begrüßten. Denn das Füllen der Mägen anderer Menschen verschafft Anerkennung, Arbeitskraft und Ansehen, wie sowohl Priester (die sich in den Kirchengemeinden der Wohltätigkeit widmen) als auch militante Ladenbesitzer (die politische Arbeit vor Ort leisten) nur zu gut wissen. Wozu ist Bewusstsein stattdessen gut? Es wird nicht kontrolliert, es ist nicht organisiert und es ist sogar gefährlich, weil es sich eines Tages als kontraproduktiv erweisen könnte. In der Tat könnte jemand durch Nachdenken zu unbequemen Schlussfolgerungen kommen. Zum Beispiel, dass man nicht durch Autorität zur Freiheit gelangt. Dass es lächerlich ist, mit einer Tasche voller aufständischer Sehnsüchte, subversiver Bestrebungen und rhetorischer Radikalität loszuziehen, wenn dies zu Gemeinschaftssitzen und Medieninterviews führt (aber war es nicht unmöglich, Kampf und Leben zu trennen?). Dass es heuchlerisch ist, zu beschwören, wie „komplex, dynamisch und zuweilen widersprüchlich“ der revolutionäre Prozess ist, um den Opportunismus seiner gerissenen Strategen zu verbergen, die die Mittel eines Kampfes von seinen Zielen trennen (aber war die Trennung nicht die Logik der Macht?).

Die Anarchistinnen und Anarchisten, die in eine abweichende und furchterregende äußere Realität hineingeworfen werden, sind durch das Merkmal der Vielfalt gekennzeichnet. Sie haben einen unbeholfenen Körper, einen großen Kopf, der immer in den Wolken steckt, und eine barbarische Sprache, die sie daran erinnert, dass sie nicht rechtmäßig zu der selbstgefälligen Gemeinschaft von Papa Volk und Mama Politik gehören. In einer Welt, die völlig von Autorität und Waren geprägt ist, werden sie als Verlierer geboren. Leid und Frustration kennzeichnen den Weg des anarchischen hässlichen Entleins, das sich der Schwierigkeiten, der Müdigkeit und sogar der geringen Chance bewusst ist, es eines Tages zu einem Schwan zu schaffen. Aber es hat keine Alternative; es kann und will nicht beseitigen und verleugnen, was es ist. Es lehnt die Illusion einer Welt ab, die durch einen Farbwechsel und ein bisschen Politik zurückgewonnen wird, einer Freiheit, in der es kein Bewusstsein gibt. Es verachtet die Verirrung einer menschlichen Existenz, die an Marktstrategien gemessen wird.

Die einfache Bejahung einer Lebensform, die eher banal als erfreulich ist, ist ein miserables Geschäft, vor allem, wenn man bedenkt, dass der zu zahlende Preis der Verlust jeglicher Individualität und Autonomie ist, verbunden mit der Unmöglichkeit, in einem Wissen voranzukommen, das darauf abzielt, sich selbst und seine Umgebung zu verstehen. Wir sind nicht an einer „anderen Art, die Welt zu bewohnen“ interessiert. Wir träumen, wir wünschen uns, wir wollen eine Welt verwirklichen, die ganz anders ist, in der das Leben ganz anders ist, in der die Beziehungen ganz anders sind. „Rara avis in terris nigroque simillima cycno“ ist der Satz des lateinischen Dichters Juvenal, von dem die Redewendung stammt, die in philosophischen Diskussionen im 16. Jahrhundert verwendet wurde, um eine Tatsache zu bezeichnen, die als unmöglich oder zumindest unwahrscheinlich galt: den schwarzen Schwan.

Das Zusammentreffen von Anarchismus und Aufstand, die einzige Möglichkeit, alle außer der kleinsten Autorität vom Angesicht der Erde zu tilgen.

26.01.18


Gefunden auf non fides, die Übersetzung ist von uns.

Zur Zeit wieder zu lesen :

Offene Antwort an Lundi Matin: Verwöhnte Kinder, gute Manieren und Dekadenz

Mittwoch, 19. Januar 2022

[Am 30. Januar 2018 veröffentlichten wir eine Übersetzung des italienischen Textes À propos d’anarchisme et (de crise) d’identité – Pour un anarchisme sans dépendances, als Antwort auf die Übersetzung auf der Lundi Matin-Website des spanischen Textes „Contre“ l’anarchisme. Ein Beitrag zur Debatte über Identitäten. Nur wenige Stunden nach der Veröffentlichung dieses Textes erhielten wir folgende Nachricht von der Redaktion von Lundi Matin: „Ihr habt heute einen Artikel veröffentlicht, in dessen Überschrift es heißt: „Veröffentlicht auf der Website lundi.am (inoffizielles Organ des Unsichtbaren Komitees)“. Diese falsche Information kann nur aus deiner Lektüre der bourgeoisen Presse, aus Polizeiberichten oder aus Fantasien stammen, die nur euch betreffen. Bitte löscht sie sofort. **“. Wir veröffentlichen im Folgenden eine Antwort auf diese Nachricht in Form eines offenen Briefes an Lundi Matin, ein Propagandaorgan, natürlich, um den autoritären Methoden und Anmaßungen des letzteren den Wind aus den Segeln zu nehmen].

Die Autoren dieses Textes, dessen Übersetzung wir zur Veröffentlichung ausgewählt haben (der wir keinen „Chapeau“, wie ihr es nennt, hinzugefügt habt und deren Inhalt wir teilen), konnten diese „Information“ in der Tat in „ihrer Lektüre der bourgeoisen Presse“ finden, da sie dort inszeniert und von euch weitergegeben wird, in Interviews, die ebenfalls von euch organisiert wurden. Wir möchten darauf hinweisen, dass wir unter dem Begriff, den ihr heute verwendet („bourgeoise Presse“), neben den großen nationalen und lokalen Zeitungen, mit denen ihr regelmäßig zusammenarbeitest, natürlich auch Lundi Matin und seine „Million“ Follower (die noch imaginärer oder unsichtbarer als die Partei sind), die ihr in der bourgeoise Presse neben anderen eminenten Lügengeschichten anzeigt, mit einschließen. Wahrscheinlich gibt es übrigens mehr „bourgeoise Presse“ in Lundi Matin als in Le Parisien und Iskra zusammengenommen.

Es scheint also impulsiv und ein schlechter Stil zu sein, eine solche E-Mail in einer solchen Situation und in einem solchen Zustand der Emotionalität zu steinigen. Wenn ihr euch jedoch gegen den von Finimondo veröffentlichten Text wehren oder auf ihn antworten wollt, könnt ihr das tun, wie jeder andere auch. Ihr könnt schreiben lassen, ihr könnt lesen lassen, ihr werdet diesen Monat sicherlich einen gut positionierten Intellektuellen finden, der eine Tribüne von Katangas aus der Feder realisiert. Vielleicht ein Bauer am Tag und Handlanger einer wilden Demo in der Nacht, mit einem besonders vulgären frauenfeindlichen Vokabular und Praktiken, die das Gegenteil von allem Adel sind?

Die bourgeoise Presse und die Polizei pflegen uns ihre Mahnungen zu schicken, die alten Marxisten-Leninisten Fatwas in Form von Gutscheinen, die am Tag des Großen Abends eingelöst werden können, und ihr, Drohungen? Ihr, deren Freunde empfehlen, „heimlich unerwartete Komplizenschaften bis ins Herz des gegnerischen Apparats zu knüpfen“ (vgl. einen „anonymen“ Bestseller), geht doch mal auf einen Aperitif zu Valls!

Eine „Information“ ist erst dann eine Information, wenn sie informiert. Hier ist schwer zu erkennen, wer von wem über was informiert wurde. Wir erleben hier wahrscheinlich einen Vorgeschmack auf die bevorstehende gerichtliche Verteidigung, und man kann schon bei dem bloßen Gedanken daran, dass sie kommen wird, weinen. Es wird euch aber nicht gelingen, die Leute in eine Reihe zu bringen, weder hinter euch noch gegen eine Wand. Mit der Partei ist es vorbei, schon immer.

Was für eine Idee ist es, diesen Brief zu verschicken, wenn ihr so darauf bedacht seid, dass diese „Information“ als „falsch“ angesehen wird? Kümmert euch um eure eigenen Zungen, die hängen schon genug.

Ihr reagiert nie auf Kritik, die an euch herangetragen wird (wie im Kasino kalkuliert der Bourgeois von Deauville seine Risiken, seine Einsätze und weiß seine Position zu bewahren), und doch wurde viel Kritik an eurer Realpolitik [wir fügen einige Links zur Information im Anschluss an diesen Text hinzu], an unserem Standpunkt und an vielen anderen geschrieben und diskutiert. Diese Art, sich die Möglichkeit offen zu halten, dass man immer bluffen kann, hält euch nicht davon ab, in der Öffentlichkeit zu schimpfen, indem ihr eure kleinen, nicht sehr diskreten Nachforschungen anstellt, wer die kleinste Veröffentlichung, die euch kratzt, ausstrahlt oder schreibt. Auch hier ist euer Interesse an Anonymität variabel. Aber jetzt, über dem außerparlamentarischen Deal, droht ihr mit Erpressern (Racketteurs)? Wo sind eure guten Manieren geblieben? Vielleicht behältet ihr sie nur für eure Richter und Gönner vor, und Unterlassungserklärungen für alle anderen.

Um es klar zu sagen: Diese Website beugt sich nicht den Drohungen oder Anordnungen von irgendjemandem. Das hat sie in zehn Jahren noch nie getan. Wir sind es gewohnt, zu sagen: „Lieber krepieren“. Es kommt also nicht in Frage, dass wir uns den unterschwelligen Aufforderungen von Pseudo-“Gefährten“ beugen, die die rassistische, homophobe, frauenfeindliche und antisemitische Prosa ihrer Verlagsfreunde verbreiten, die die Optionen der Connivence und des Unschuldismus verteidigen (Vgl. Postskriptum über den Unschuldismus in diesem Text) gegenüber der Justiz, trotz des sozialen Krieges und ihrer öffentlichen Verfügungen, die es in der Tradition von Netschajew und Lenin geschafft haben, den Konfusionismus, die Konnivenz und die politische Ambivalenz mit dem Feind wie vulgäre tute bianche zu theoretisieren, die die Kritik an Staat und Religion aufgegeben haben, usw.?

Wir würden uns nicht dazu herablassen, euch zu bitten, auch nur den kleinsten Dreck oder Unsinn zu entfernen, den ihr seit so vielen Jahren über Worte, Dinge und Menschen schreibt und schreiben lasst, das schließt uns als Anarchistinnen und Anarchisten, als justiciables und justiciés, als menschliche Wesen mit ein. Denn ja, es ist in diesen Proportionen, dass ihr auf die menschliche Freiheit spuckt, wie eure verdorbenen Schriften über die Attentate, die die Bewohner von Paris getroffen haben, bezeugen.

Es geht um die Methode, nicht um die Rede. Wir beanspruchen nicht, uns in die redaktionelle Linie oder die Übersetzungen von irgendjemandem einzumischen, schon gar nicht durch kommandierende Dekrete, und zwar ungeachtet der Meinungsverschiedenheiten oder der Feindschaft, die es gibt. Es ist eine alte Manie, die man sich auf den Bänken der ersten Internationalen angeeignet hat, ein anti-politisches Prinzip: Anti-Autoritarismus. Das schützt vor den Haltungen verwöhnter kleiner Tyrannen, die Meta-Barbareien und paradoxe Anordnungen lieben.

Es gibt Methoden, um die Anonymität eines Textes (oder einer Website, wenn man so will) zu gewährleisten, sie sind dokumentiert und werden seit Jahrhunderten verwendet. Ihr kennt sie, aber eure Interessen liegen woanders: Ihr erfahrt nichts davon. Anonymität ist das geringste eurer Probleme, sie ist sogar formal und grundlegend ein Hindernis für euren politischen Aufstieg.

In eurer Selbstdarstellung (von Lundi Matin, verstehen wir uns richtig) sagt ihr über diese Seite, obwohl euch niemand danach gefragt hat: „Considéré par les services de renseignement comme l’émanation culturelle et hebdomadaires [sic] des positions du Comité Invisible“ (Von den Geheimdiensten als kultureller und wöchentlicher [sic] Emanation der Positionen des Unsichtbaren Komitees betrachtet). Das jagt euren Großeltern und Eric Hazan wahrscheinlich einen kalten Schauer über den Rücken, das ist der gewünschte Effekt, aber euch fehlt noch die zweifelhafte Maestria der Situationisten.

Ihr seid es, die sich entschieden haben, die Dummen zu spielen. Wollt ihr aus dem Schwefelgeruch eines „Sommerbuchs“ 2007 der Fnac (und von Alain Bauer) Kapital schlagen? Der Partei sei es gegönnt, ihr Marketing geht uns nichts an. Aber dass euch eure Inszenierung des Schwefeligen ins Gesicht zurückkommt, ist nicht unser Problem und schon gar nicht unser Verdienst. Lass uns das präzisieren.

In einem Artikel auf eurer Website, in dem ihr einen eurer Kollegen verpfeift, der jedoch bis dahin völlig unbemerkt geblieben war (Julien Coupat), heißt es: „Trotz jahrelanger Ermittlungen und der Anhörung des Direktors ihres Verlagshauses ist es der Elite der französischen Polizei nicht gelungen, diese „Schreiber“ [des „Unsichtbaren Komitees“] zu verhaften und musste [sic] einen ihrer eloquentesten Leser, Julien Coupat, freilassen.“ Ihr seid wirklich so ätzend wie ein „Monsieur Propre“.

Dass Lundi Matin das inoffizielle Organ des „Unsichtbaren Komitees“ ist, interessiert uns genau genommen nicht mehr als das, denn wir sind nicht von eurer Marketingoffensive gefangen, die darin besteht, die Neugier des Buchhandelskunden zu wecken, der für einen Moment zum angehenden Ermittler wird (ein bisschen wie in einem Krimi des besten unter euch, Serge Quadruppani, dem großen Stern der Politik), und wir fallen auf kein schaumiges Geheimnis herein, das über euch gepflegt wird, weder von den Bullen noch von euch selbst. Lundi Matin ist genauso sehr das inoffizielle Organ des „Unsichtbaren Komitees“, wie Le Monde das inoffizielle Organ der Regierung Macron wäre, d. h. er ist es nicht (for the record), aber das ändert nichts daran und ist nicht der Rede wert. Es ist ein bisschen so, wie wenn es dem Sprecher von LREM gelingt, eine Tribüne in Le Monde zu ergattern, er braucht nicht zu fragen. Er fühlt sich überall wohl, alles steht ihm zu, er glaubt, sich alles erlauben zu können. Daran erkennt man den Bourgeois: Es geht immer um die Welt oder nichts.

Wenn „das unsichtbare Komitee so freundlich war, uns ein Kapitel aus ihrem neuesten Werk veröffentlichen zu lassen“ (Lundi Matin #103, 9. Mai 2017), warum sollten dann die Journalisten von Le Monde auch nur den geringsten Widerstand leisten? Ihnen und der LREM, die nicht viel weniger als sie in diesem hässlichen Polizeiblatt veröffentlicht, das seit Jahrzehnten die bewaffnete Ideologie der Macht vermittelt.

Was uns betrifft, so haben wir keine unterschiedliche Behandlung für die Medien der „bourgeoisen Presse „, wie ihr es nennt. Es gibt keinen Anlass, der geeignet wäre, gegen die Ablehnung dieser politischen und spektakulären Kommunikationsmodalitäten zu verstoßen, denn „bourgeois“ bedeutet für uns im Fall von Libération wie auch von Lundi Matin immer ein bisschen die gleiche politische Suppe, mit mehr oder weniger Salz. Wenn sich der Text geirrt hat, dann ist es vielleicht so, dass, wenn man dem Interview mit dem „Unsichtbaren Komitee“ glaubt, das Die Zeit exklusiv für die Promotion der Markteinführung ihres neuen antikapitalistischen Bestsellers auf dem deutschen Markt erhalten hat (übersetzt auf Le Nouvel Obs und Lundi Matin), es tatsächlich dieses Medium der „bourgeoisen Presse“ ist, das als offizielles Organ des „Unsichtbaren Komitees“ eingesetzt wurde, und was für eine Ehre!

So viel zu eurem Schleim.

Aber das ist nichts im Vergleich zum Rest, und wenn ihr euch so gerne exponieren wollt, dann setzt euch der Lächerlichkeit als Folge eurer „Anfrage“ aus.

Wenn Mathieu Burnel sich bei einem kleinen Fest von Mediapart („6 Stunden gegen Überwachung: Kampf für unsere Freiheiten“ auf Youtube) zusammen mit Anthony Caillé, dem Generalsekretär der CGT Police (der ihn mit einer kawaiischen, aber verwirrenden Vertrautheit beim Vornamen nennt), als „Aktivist, der dem Unsichtbaren Komitee nahesteht“ vorstellt, dann ist das ein Zeichen dafür, dass er sich nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Politik engagiert;

Wenn ihr in einem Interview unter dem Titel „Der unsichtbare Freund“ die Biografie desselben Burnel in vier Daten wie folgt erscheinen lasst: „22. Oktober 1981: Geburt in Rouen (Seine-Maritime). 2007 Veröffentlichung von L’Insurrection qui vient (Der kommende Aufstand) durch das Unsichtbare Komitee. November 2008 Verhaftung der Gruppe von Tarnac durch die Polizei. 2014 Veröffentlichung von A nos amis par le Comité invisible“ (siehe Rückseite von Libération, 8. Juni 2015) ;

Wenn man dazu noch die öffentliche Information hinzufügt, die euch zum Administrator eurer Website Lundi Matin macht, eine Information, die ihr selbst auch zur Verfügung gestellt habt (und die in der Tat von den Medien mit all eurem komplizenhaften Wohlwollen weiterverbreitet wurde – wie die Kriegsreporter sagen: „don’t shoot the messenger“), dann sind wir ernsthaft gezwungen, über euren Handlauf laut zu lachen. Und wir reden noch nicht einmal von der Zeit, in der ein alter pensionierter Chef beauftragt wurde, auf allen Fernsehbühnen zu schreien, dass sein Sohn der Autor eures ersten (und letzten) Bestsellers sei und dass ein „Autor“ nur „unschuldig“ sein könne (das hält alle außer der Polizei in Schach, sehr zur Freude von Eric Hazan).

Glücklicherweise sind wir nicht der Typ, der Dossiers über Menschen führt und bereithält, und wir belassen es bei diesen wenigen Beispielen, weil uns die Aufgabe zu langweilig ist. Jeder hat die Möglichkeit, zwischen zwei 16-Euro-Zeitschriften am Flughafen mit einem Nespresso (denn was sonst?) „Comité Invisible“ oder „Lundi Matin“ auf seinem Tablet einzugeben, oder beides gleichzeitig, wobei er dreimal in die Hände klatschen muss, um einen Effekt zu erzeugen. Die ursprünglichen Denunzianten seid ihr, und die Verschwörung kommt weder von den Theken noch von den Bänken.

Wir verstehen eure widersprüchlichen Pantomimen und zerbrochenen Stimmgabeln, so gut wir können, und es ist uns völlig egal. Ihr ermüdet uns.

Vielleicht habt ihr euch intern an eine gewisse Form von Gehorsam gewöhnt, aber lagert eure Fähigkeiten nicht zu sehr aus, HEC rät davon ab. Euer kaiserliches „sofort“ (kaiserlich, wie ein Wellensittich nur sein kann) klingt wie das Gurren einer Schulhof- oder Gefängnismechanik – ihr seid nicht die Einzigen, die diese Art von Mechanik kennen. Drohungen sind ein gefährliches Spiel, auch für diejenigen, die sie aussprechen. Ich bin mir nicht sicher, ob ihr euch darüber Gedanken gemacht habt, bevor ihr impulsiv eine Nachricht dieser Art verschickt. Was ist mit der „Signatur“? Sind diese mysteriösen Doppelsternchen ein Zeichen des Teufels? Für einen Voodoo-Zauber? Dann „**“ auf deine Vorfahren!

Ob dir die Übersetzungen, die wir veröffentlichen, gefallen oder nicht, wir urteilen für uns selbst, was auf den Seiten der von uns verwalteten Website „falsch“ ist oder nicht, und keine Autorität – auch keine diskursive – kann über unsere Entscheidungen bestimmen, die, was uns betrifft, nur in unseren Veröffentlichungen erscheinen, denn wir sind Anonyme ohne Glitzer und ohne Geschichten, aber immer bereit, die Party zu feiern, auch wenn sie vorbei ist, um den Titel eines fast anonymen Buches zu zitieren, das er selbst ist.

Anstatt also auf der einen Seite die schüchterne Jungfrau der Sicherheit und Anonymität zu spielen, während ihr auf der anderen Seite versucht, durch das Spiel mit der ständigen Verletzung der Anonymität Schwefel zu riechen, tut die Dinge, die Leute wie ihr von Parteien wie der euren tun: warnt die Nomenklatura vor dem Kataklysmus, stellt ein paar Intellektuelle mit Blick auf das zukünftige (oder gegenwärtige) Regime für die Krisenpropaganda ein und säubert eure Freunde, eure eigene Website, eure Eltern, eure Partei, eure Badezimmer, eure Videos, eure Redner, eure O-Töne, eure Pressekonferenzen, eure Texte, eure Philosophen und eure Interviews, und klärt dann intern (in der offensiven Undurchsichtigkeit eurer Stabs-Brainstormings) euren Kommunikationsplan, bevor ihr die Leute verwirren geht.

Dies ist ein Problem des Sozialismus der Intellektuellen, das von deiner Personalabteilung zu lösen ist, nicht von ein paar Anarchistinnen und Anarchisten.

Es gibt jedoch eine Anmerkung. Jede Lösung wird notwendigerweise stürmisch sein. Der Weg von der Partei zum Leben kann sich wie ein Einbruch anfühlen, wenn man alles zu verlieren hat. Aber angesichts dieser unsäglichen Situation bleibt ein Ausweg offen, wenn auch unbequem: die Autorenfiguren, die gefeierten Identitäten, die großen Namen, die Gesellschaft, die Linke, ihr Geld, ihre Macht, ihre Intellektuelen aufgeben, aufhören, vor jeder Sophisterei dreimal in die Hände zu klatschen, aufhören, um Geld zu betteln (für eine Internetseite! ), von denen man überquillt, sich würdig vor der Justiz verteidigen, um nicht diejenigen, die es tun, in den Dreck zu ziehen, indem man ihnen den Platz des „Bösewichts“ sichert, durch Praxis und/oder eigene Mittel kommunizieren, aufhören, Befehle zu erteilen und die Korridore der Welt zu beschmutzen, dann einen Umschlag aus rotem Wein auf diese geschwollenen Knöchel auftragen und schließlich die imaginäre Partei verlassen und sich dem Kampf für die wirkliche Freiheit aller und jedes Einzelnen anschließen.

Der Weg wird lang sein wie ein Montagmorgen (lundi matin) im Quartier Latin … Aber der Wind wird uns tragen, und alles wird verschwinden.

Einige eloquente Leser aus dem Redaktionskomitee der XII. Abteilung des Regiments „Anarchie verbreiten“ in Cronstadt-les-Bains, Wahlkreis 1892, Panzerdivision.

Postskriptum über den Unschuldismus.

Der Unschuldismus ist nicht, wie ihr versucht glauben zu machen, indem ihr eine verlogene Verwirrung aufrechterhaltet, die Tatsache, dass man sich verteidigt, das begangen zu haben, dessen man beschuldigt wird, was sehr banal ist und eine offensive Verteidigung nicht verhindert. Im Gegenteil, es ist genau diese Art, sich als intrinsisch unschuldig darzustellen, die Unschuld unter den Bedingungen der Gerechtigkeit zu einer Essenz, einer Natur zu machen, im Einverständnis mit der Justiz und ihrer Welt, wie es die besten eurer Freunde tun, indem sie sich als Lebensmittelhändler darstellen, die die sozialen Bindungen auf dem Land aufrechterhalten, und, glaubwürdiger (und aus gutem Grund…), als gute Bourgeois, die die Straße und die damit einhergehenden Repräsentationsgarantien haben. Der Unschuldismus ist absolut antisubversiv, er gehorcht der Welt und ihrer Gerechtigkeit, während er gleichzeitig dazu beiträgt, diejenigen zu belasten, die weder Lebensmittelhändler, noch Studenten, noch Bourgeois sind. Euer donnernder Unschuldismus scheint euren Chefs zu nützen, die tatsächlich nichts anderes sind als das, was sie vor der Justiz vorgeben zu sein, und die genug Luft aufwirbeln, um mit ihren Richtern Schach zu spielen, aber wenn er zu einer Parteianweisung für das Fußvolk wird, das in die Justiz geschickt wird, sind es Monate oder Jahre Gefängnis für sehr wenig, die einige ertragen, ohne Panache oder Empörung… Man kann kein Omelett machen, ohne Eier zu zerbrechen, guten Appetit!


1A.d.Ü., antisistema auf Deutsch, Anti-System, ist die Zuweisung von den Medien an Personen oder Kollektive die gegen das System (gegen Kapitalismus, Patriarchat, Staat,…) kämpfen. Ähnlich wie Chaoten oder Zecken.

2A.d.Ü., wir denken dass hiermit eher sowas wie ‚fremde oder entfremdete‘ Politik gemeint werden sollte, die verfassende Person schrien dennoch allerdings extraterrestreswas außerirdisch bedeutet.

3A.d.Ü., in der italienischen Übersetzung wurde der spanische Begriff marco, was Rahmen bedeutet, als mercato übersetzt, was nicht richtig ist. Deswegen macht der Text eine Analogie auf „Marktständen“, was allzu logisch ist, denn eigentlich liegt es nahe sowas zu sagen, so nach der inhaltlichen Linie welches der Text aufstellt der hier von Finimondo kritisiert wird.

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(Frankreich) Von der Gefangenschaft/Ausgangssperre zur administrativen Abriegelung https://panopticon.blackblogs.org/2020/07/27/frankreich-von-der-gefangenschaftausgangssperre-zur-administrativen-abriegelung/ Mon, 27 Jul 2020 10:02:42 +0000 http://panopticon.blogsport.eu/?p=1333 Continue reading ]]> Gefunden auf Non Fides die Übersetzung ist von uns, die Schwarz-markierten Stellen wurden vom Originaltext übernommen.

Von der Gefangenschaft/Ausgangssperre zur administrativen Abriegelung

Einige Anmerkungen zur Quarantäne als Methode der Pandemiebewältigung

Sonntag, 10. Mai 2020

Hier geht es darum, ein besseres Verständnis für den Status der Quarantäne zu gewinnen, wie sie für die Zeit nach der Gefangenschaft/Ausgangssperre in Frankreich vorgeschlagen wird, im Zusammenhang mit der Politik, die darauf abzielt, einen Teil der Bevölkerung aus dem Weg zu halten, die derzeit in verschiedenen Formen fast überall auf der Welt praktiziert wird. Wenn wir versuchen, einen begründeten Vergleich zwischen der Quarantänezeit und einer Form der administrativen Einsperrung anzustellen, dann nicht, um einen schlammigen Vergleich zwischen dem gegenwärtigen und zukünftigen Schicksal der seit Beginn der aktuellen Krise Infizierten und dem der undokumentierten Migranten, die in „normalen“ Zeiten auf ihre Ausweisung warten, anzustellen, sondern weil uns scheint, dass es sie gibt, in mancher Hinsicht, und nur in dieser Hinsicht (Quarantäneeinschluss findet nicht in einem Gefängnis statt und führt nicht zur Ausweisung, was sich sehr ändert), gemeinsame Formen der administrativen Verwaltung, zusätzlich zu gemeinsamen Formen der Kontrolle und Ausbeutung.

Die allgemeine Logik, die der derzeit in Frankreich angekündigten Entlassung (A.d.Ü., sprich dass Menschen nicht mehr zu Hause eingesperrt sind und die Ausgangssperre aufgehoben wäre) vorzustehen scheint, scheint darin zu bestehen, ein „Leben mit dem Virus“ zu installieren, ein „Leben“, das als eine gewisse Normalität verstanden wird, zumindest eine Rückkehr zur Arbeit und zur wirtschaftlichen Zirkulation, die das Ende der Periode der allgemeinen Gefangenschaft markiert und gleichzeitig Maßnahmen einführt, um zu versuchen, eine neue Welle von Kontaminationen zu vermeiden. Wenn diese Dekonfinierung notwendig ist, dann vor allem aus wirtschaftlichen Gründen: Wir müssen die Maschine wieder auf Hochtouren bringen und das Land und vor allem seine Bewohner so weit wie möglich wieder an die Arbeit bringen. Diese Entflechtung ist riskant, und alle sachkundigen Manager, die darüber entscheiden, was mit uns im Moment geschieht, wissen das. In Ermangelung eines Impfstoffs oder eines Medikaments gegen das Virus müssen wir daher einen Just-in-time-Ansatz zur Bewältigung der Epidemie planen, während das Leben weitergeht. So betreffen einige der angekündigten Maßnahmen die Quarantäne bestimmter Bevölkerungsgruppen, die sich in drei Fällen zusammenfassen lassen, die rechtlich unterschiedlich behandelt werden, auch wenn sie in einigen Punkten Gemeinsamkeiten aufweisen:

– Personen, die auf dem Territorium infiziert sind, müssen eine 15-tägige Quarantäne einhalten, die sie wahlweise zu Hause verbringen können (alle Personen in ihrer Wohnung unterliegen dann demselben Entbindungsregime) oder in einem Zimmer in einem dafür vorgesehenen Hotel.

– Personen, die in das Hoheitsgebiet einreisen, mit Ausnahme derjenigen, die aus der Europäischen Union, dem Schengen-Raum oder dem Vereinigten Königreich kommen, müssen unabhängig von ihrem Gesundheitszustand eine Quarantäne von mindestens 15 Tagen unter den gleichen Bedingungen wie im vorherigen Fall einhalten

– Aus dem Ausland ankommende Personen, die bei Covid positiv getestet wurden, werden für mindestens 15 Tage in Isolation gebracht.

Für alle in Frankreich ankommenden Personen, unabhängig davon, ob sie infiziert sind oder nicht, wird die Nichteinhaltung der Einsperrung oder Isolation mit Sanktionen geahndet, die noch nicht festgelegt sind. Ihre Haft kann über fünfzehn Tage hinaus verlängert werden, aber in diesem Fall wird der Fall an den Richter für Freiheiten und Haft (JLD) verwiesen. Dieses Gericht kann auch von den Personen selbst vom Beginn der Gefangenschaft oder Isolation an angerufen werden. Die Möglichkeit eines Eingreifens der JLD mag in diesem Zusammenhang inkongruent erscheinen, doch ist dies nur ein Zeichen dafür, dass diese Quarantäneverfahren in Wirklichkeit Formen der administrativen Einsperrung sind, auch wenn sie im Gegensatz zur Inhaftierung von Migranten nicht in Haftanstalten durchgeführt werden.

Für die Quarantäne, die den Kranken innerhalb des Territoriums und ihren Angehörigen vorbehalten ist, ist keine Sanktion im Falle der Nichteinhaltung vorgesehen, aber es handelt sich dennoch um die gleiche Art von Vorrichtung, die sich abzeichnet, eingehüllt in einen beruhigenden Diskurs über das Vertrauen der Führer gegenüber den guten Menschen in Frankreich, „Großzügigkeit“, die es erlaubt, die beunruhigenden Aspekte dieser Gefangenschaft dort zu verbergen . Darüber hinaus ist dieses großmütige „Vertrauen“ nicht ohne Folgen, wie: Wenn diese Quarantänen nicht strikt eingehalten werden, wird es zu Sanktionen kommen, und das System wird verhärtet. In dem Antragsentwurf sah die Regierung eine Zwangsquarantäne für mit dem Coronavirus infizierte Personen vor, die „wiederholt“ medizinische Rezepte zur Isolierung verweigern und die „durch ihr Verhalten ein Risiko der Ansteckung anderer Personen erzeugen“ würden. In gewisser Weise ist alles bereit für diese Vorkehrungen, wenn die Patienten nicht „vernünftig“ sind und sich nicht richtig einsperren. Das System Covisan, das aus Brigaden besteht, die zu den Häusern derjenigen gehen, die als Kontaktpersonen einer infizierten Person identifiziert wurden, um sie zu testen und sie dann in Quarantäne zu stecken, während sie auf die Ergebnisse warten, vervollständigt das beunruhigende Bild des Aufspürens der Infizierten, um sie und diejenigen, mit denen sie in Kontakt waren, manu militari, aus dem Verkehr mit der übrigen Bevölkerung herauszuhalten.

Die administrative Gefangenschaft, die heutzutage hauptsächlich dazu dient, zur Abschiebung anstehende Migranten ohne Papiere einzusperren, ist eine ganz besondere Form der Gefangenschaft. Während die Haftanstalten in fast jeder Hinsicht Gefängnisse sind, unterscheidet sich der Status der dort eingesperrten Personen stark vom Status der inhaftierten Häftlinge, da allein die Verwaltung, d.h. die Präfektur, über diese Gefangenschaft entscheidet, die durch den Status der Person und nicht durch eine bestimmte inkriminierte Handlung gerechtfertigt ist. Die Verwaltung ist daher der Ort, an dem sich die Justiz der Demokratie nicht einmal mehr rühmt, einen „fairen Prozess für die Anklage und die Verteidigung“ anzubieten. Die Entscheidungen werden von Polizisten und Staatsanwälten getroffen und von Richtern bestätigt, die Urteile ausmerzen, die Einzelpersonen für immer aus der Fassung bringen, sie einsperren, aus dem Territorium, aus ihren Häusern vertreiben – es ist die effektivste Schlachtgerichtsbarkeit im demokratischen Rahmen. Dort, wo die Justiz mit ihrem Schwert und ihren in Gut und Böse gehüllten Schuppen droht, die Schuldigen von den Unschuldigen zu trennen, ist die Verwaltung das geeignete Instrument für ein groß angelegtes Management.

Diese Art der Beurteilung und Eingrenzung kann ganze Bevölkerungsgruppen nach variablen Kriterien betreffen. Darüber hinaus hat sie eine lange Geschichte, mit unterschiedlichen Modalitäten je nach Zeitabschnitt, und sie erneut zu durchlaufen ist reich an Lehren. Sie ermöglicht es, die unerwünschten Personen des Augenblicks an verschiedenen Orten, mehr oder weniger in Gefängnissen, beiseite zu legen. Die betroffenen Bevölkerungen ändern sich also je nach Zeitraum. So wurden während des Ersten Weltkriegs Zivilisten, die im Krieg Feinde des Landes waren, verwaltungsmäßig in etwa sechzig Lagern eingesperrt, in denen Deutsche, Österreicher, Osmanen, Elsässer-Lorrainer, Polen, Tschechen, aber auch Franzosen, denen es zweifellos an patriotischem Geist mangelte: Landstreicher und Streikende, Sträflinge und Prostituierte. Epochen folgten aufeinander, nicht alle gleich, aber die administrative Enge blieb bestehen, und viele andere wurden eingesperrt: spanische Flüchtlinge nach dem Sieg Francos in Spanien, dann Personen, die 1939 als „gefährlich für die nationale Verteidigung oder die öffentliche Sicherheit“ eingestuft wurden, bevor der Status offensichtlich unter Vichy entwickelt und verhärtet wurde. Die aus dem Widerstand hervorgegangene provisorische Regierung wird sie für diejenigen beibehalten, die zwischen 1944 und 1945 der Kollaboration mit dem Feind beschuldigt wurden, und sie wird dann während des Algerienkrieges 1956 auf algerischem Territorium reaktiviert und 1958 auf ganz Frankreich ausgedehnt. Schließlich war es der Status, der nach dem „Arenc-Skandal“ gewählt wurde, um das Festhalten von Migranten ohne Papiere in Polizeigewahrsam zwischen ihrer Festnahme und ihrer Ausweisung zu legalisieren. 1975 entdeckte die Linke nach dem „Arenc-Skandal“, dem geheimen Gefangenenlager in Marseille, so dass sich die Linke 1981 einfach für die Legalisierung entschied und damit die heutigen Gefangenenlager einrichtete, mit einer Haftzeit, die seitdem immer länger geworden ist, und Zentren, die nun, Gesetz um Gesetz, die Gefängnisse (aufgrund der Managementlogik) wenig zu beneiden haben: was einfacher sein könnte, als die Gefängnisarchitektur abzuschließen…). Aber die administrative Gefangenschaft bleibt flexibel und anpassungsfähig: Jeder Ort kann auf einfache Entscheidung des Präfekten, der in diesem Bereich die Oberhoheit hat, in einen Ort der Gefangenschaft verwandelt werden. So können Polizeizellen oder Hotelzimmer, aber warum nicht auch Turnhallen oder Schulen im Falle eines massiven Bedarfs, in der Zeit, in der die Verwaltung optimal ist, zu Gefängnissen werden.

Heute sind es die mit dem Virus infizierten Menschen und ihre Angehörigen, die beiseite geschoben werden, und wie so oft sind es die Grenzen, die im Mittelpunkt der repressiven Aufmerksamkeit stehen. Unabhängig von der Nationalität der Personen, die sie überqueren, werden die Kontrolle und die Abschiebung zum Zeitpunkt des Grenzübertritts durchgeführt, wobei die Grenze nun den Ort symbolisiert, an dem die Gesundheitssicherheit ausgeübt wird, was das französische Territorium vor dem Unbekannten einer von anderswo kommenden Ansteckung schützen würde.

Neben der Tatsache, dass bei einer Verlängerung der Quarantäne über fünfzehn Tage hinaus ein Richter eingreifen muss, sind weitere gemeinsame Punkte nicht unbedeutend. Ein Detail gibt zu denken: Die Hotels der Accor-Gruppe (Novotel, Mercure, Adagio, Ibis, F1-Hotel, Sofitel, Swissôtel usw.), die seit mindestens zwei Jahrzehnten mit dem Innenministerium zusammenarbeitet, um undokumentierte Migranten einzusperren und abzuschieben – Räume werden im ganzen Land regelmäßig als Haftanstalten genutzt, eine Etage des Ibis-Hotels in Roissy wird sogar seit langem als Wartebereich genutzt… – bieten an, einen Teil ihrer Räumlichkeiten im ganzen Land Menschen zu widmen, die – zweifellos aus Gewohnheit – unter Quarantäne stehen. In Mayotte wird die Haftanstalt, die nicht mehr zur Aufnahme illegaler Migranten genutzt wird, seit dem 22. März genutzt, um Menschen, die „legal oder illegal“ von den Komoren kommen, unter Quarantäne zu stellen. (siehe hier) Die Frage nach der Rechtmäßigkeit des Grenzübertritts stellt sich nicht mehr: Die Inhaftierung wird aus gesundheitlichen Gründen beschlossen, was in der Tat den in Kontinentalfrankreich für die Zeit nach dem 11. Mai angekündigten Bestimmungen vorgreift. Wenn wir über Frankreich hinausblicken, wird deutlich, dass wir eine Entwicklung von administrativen (d.h. außergerichtlichen) Formen der Gefangenschaft beobachten können. Immigrierte Arbeiter aus Indien oder Bangladesch (siehe hier) zum Beispiel werden durch die Schließung der Grenzen in den Golfstaaten in Lagern festgehalten und werden wahrscheinlich zurückgeführt und nach ihrer Rückkehr für mindestens zwei Wochen in Quarantäne gehalten. Unabhängig davon, ob sich die Regierungen dafür entscheiden, die gesamte Bevölkerung einzusperren oder nicht, gemeinsam ist den verschiedenen Politiken zur Bewältigung der Epidemie, dass sie einen Teil der Bevölkerung, z.B. bei infektiösen Ausbrüchen in den Slums Indiens (siehe hier), durch einfache Verwaltungsentscheidung einsperren. Die Stampede, die sich dreht, lebt auf dem Kopf.

In der Tat kann man sagen, dass die Staaten umso mehr Formen der Gefangenschaft eines Teils ihrer Bevölkerung anwenden, je weniger sie die allgemeine Gefangenschaft einführen. Dies ist einer der Gründe, warum die Konzentration auf den Kampf gegen die Eindämmung ihren Zweck verfehlen würde. Die Analyse der verschiedenen Modalitäten einer solchen Gefangenschaft, die von gezielter Gefangenschaft bis hin zu mehr oder weniger geschlossenen Lagern reichen, ist noch nicht abgeschlossen. In jedem Fall ist die Möglichkeit der administrativen Enge, einen Teil der Bevölkerung nach variablen Kriterien und für unterschiedlich lange Zeit je nach Ort und Zeit aus dem Sozialraum zu entfernen, stets offen und kann jederzeit aus dem Hut genommen und genutzt werden. Es gibt keinen Grund, nach der Verweigerung der Demokratie und der Errichtung eines faschistischen Regimes zu schreien: Es ist das demokratische Recht, das all diese Möglichkeiten hat, ohne die es nicht demokratisch wäre. Sie sind bereits demokratisch umgesetzt worden, und sie werden heute erneut umgesetzt. Es ist zu befürchten, dass sich diese Formen der Gefangenschaft, die ihrem Namen nicht ganz gerecht werden und die mit der Pandemie durch den Gesundheitsnotstand einen scheinbar unbestreitbaren Charakter annehmen, entwickeln und zu einem angemessenen Instrument werden, das es den Staaten und Volkswirtschaften ermöglicht, mit dem Virus zu operieren, und zwar zum Nachteil der als „gefährdet“ geltenden Bevölkerungen, d.h. immer der ärmsten und all jener, die von anderswo kommen.

Dem müssen wir mit dem Staat, all seinen Lagern und all seinen Gefängnissen, seien es Justiz- oder Verwaltungseinrichtungen, ein Ende bereiten.

Lang lebe die Freiheit!

Der Text erschien auf dem Blog Aux enfermés du confinement, am 10. Mai 2020.

 

 

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(Frankreich) Diese Gadgets, die zu Kontrollgeräten werden… https://panopticon.blackblogs.org/2020/07/12/frankreich-diese-gadgets-die-zu-kontrollgeraeten-werden/ Sun, 12 Jul 2020 09:33:42 +0000 http://panopticon.blogsport.eu/?p=1290 Continue reading ]]> Gefunden auf Non Fides, die Übersetzung ist von uns

Diese Gadgets1, die zu Kontrollgeräten werden…

Über diese scheinbar harmlosen Gadgets, die in Geräte zur Kontrolle von Menschen und deren Verhalten in Zeiten einer Pandemie recycelt werden.

Dieser Text wurde am Samstag dem 23. Mai 2020 veröffentlich

Von technologischen Produktionsgiganten bis hin zu kleinen Start-ups, die um ihre Entwicklung kämpfen, kommen viele technologische Innovationen im Zusammenhang mit der Pandemie auf den Markt. Es geht immer darum, das Risiko einer Infektion in großem Maßstab durch Geräte zu bewältigen, die direkt oder entfernt in die Privatsphäre jedes Einzelnen eindringen. Bei genauerem Hinsehen, und so funktioniert oft die „technologische Innovation“, handelt es sich um Gadgets, die für einen eher begrenzten Zweck erfunden wurden und scheinbar (mehr oder weniger) „nützlich“ sind, obwohl sie nie notwendig waren, und die sich mit einigen Modifikationen in ein Werkzeug zur Massenkontrolle verwandeln. So sollte das in einem Kindergarten in Italien getestete Armband ursprünglich verhindern, dass Kinder beim Schwimmenlernen im Schwimmbad aneinander stoßen. In ähnlicher Weise wurde das von einer Schweizer Firma entwickelte Armband, das Infektionen in Echtzeit erkennen soll, ursprünglich für Frauen hergestellt werden, um ihre Temperatur und verschiedene andere Daten zu überwachen, um ihre Fruchtbarkeitsperiode zu kennen (kurz: die Ogino-Methode mit Technologie).Diese Gegenstände hätten ihr bescheidenes Leben als Plastikgadgets im Zuge von Modeerscheinungen und Werbeerfolgen ausgelebt, wenn die Pandemie nicht plötzlich die vermeintlichen gesundheitlichen Vorteile ihres Einsatzes verstärkt hätte. Unabhängig davon, ob sie von der Leitung des Staates auferlegt oder einfach nur zum individuellen Kauf angeboten werden, wird ihre Annahme und Verwendung zu einem verantwortungsvollen Akt der Staatsbürgerschaft…

So sehen wir „intelligente“ Kameras, die Menschen ohne Masken, Halsketten, Armbänder oder Dinge, die man in die Tasche steckt, identifizieren, die piepsen, wenn ein anderes Wesen, das seine vom Kapitalismus erlaubte Halbwertzeit lebt und dasselbe Ding trägt, in einer verbotenen Entfernung näher kommt, direktionale Hygiaphone, die es Ladenbesitzern oder Verwaltungen ermöglichen, Personen vom Kundenschalter fernzuhalten, Anti-Touch-Sticks, um die Knöpfe mit aller Sicherheit drücken zu können (in blau oder rosa für 11 Euro 90 bei Jgzui, denn es ist viel besser, die Knöpfe sicher zu drücken, und als Mann oder Frau…).

Diese Geräte werden im Transportwesen und in Unternehmen eingesetzt. In Cannes oder in der Pariser Metro werden Personen ohne Maske identifiziert. Amazon kündigt an, dass es die „Lernmaschine“ einsetzt, damit die Kameras in seinen Lagern und Büros „feststellen können, ob seine Mitarbeiter während ihrer Arbeitszeit in sicherer Entfernung bleiben oder zu sehr in Gruppen zusammengefasst sind“. Der Hafen von Antwerpen testet ein Armband, das klingelt, wenn sich die Beschäftigten einander nähern. Sie gehen auch in Schulen und Kindergärten, wie in Italien. Sie sind auch dazu bestimmt, in die Körper, Taschen und Kleider aller einzudringen.

Die geniale Idee, die dem Unternehmen, das sie entwickelt, zum Glück verhelfen kann, ist also weniger die ursprüngliche Idee, die oft aus der Schrulle des Lépine-Wettbewerbs stammt, als vielmehr die Fähigkeit, sie an die aktuelle Gesundheitskrise anzupassen. Im Allgemeinen erfordert diese Anpassung eine sehr kleine Modifikation, die oft darin besteht, eine Verbindung mit einem Kontrollsystem hinzuzufügen. Dies ist der Fall beim Kinderarmband: Die Kontakte werden nun im Falle einer festgestellten Infektion rückverfolgbar sein, oder beim Armband „Ogino“: Es warnt die zuständigen Behörden, die bei einer Quarantäne sehr schnell eingreifen können.

So verläuft die technologische Entwicklung, die sich den Managementperspektiven anpasst und den Experten neue Management- und Kontrollperspektiven bietet.

[Text aus dem Blog Aux enfermés du confinement].

1Aus dem Englischen, „Apparat“, „technische Spielerei“ oder auch „Schnickschnack“

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Verleugnung und Radikalität: eine Hypothese https://panopticon.blackblogs.org/2020/05/10/verleugnung-und-radikalitaet-eine-hypothese/ Sun, 10 May 2020 18:23:00 +0000 http://panopticon.blogsport.eu/?p=1028 Continue reading ]]> Gefunden auf Non Fides, von uns übersetzt

 

Oder wenn der gestiefelte Kater den Oger auf eine Maus reduziert…

Mittwoch, 29. April 2020

Der Gestiefelte Kater ist wirklich süß, mit seinen großen Stiefeln, seinem Federhut und seinem schelmischen Blick. Er hat sogar einige große Erfolge vorzuweisen. Trotz seiner geringen Größe erinnern wir uns, wie es ihm gelingt, den Unhold mit beunruhigender Leichtigkeit zu besiegen. Durch Schmeichelei bringt er den Oger dazu, sich in eine Maus zu verwandeln, und sobald er auf die Größe eines Gegners reduziert ist, verschlingt er ihn. Gut gemacht. All dies tut er für seinen armen Herrn, dem Unrecht widerfahren ist, weil er das Erbe seines Vaters geteilt hat. Er bemüht sich um die Wiederherstellung einer gewissen sozialen Gerechtigkeit, und vielleicht gefällt ihm auch das Spiel und der Elan. Aber Märchen sind Matrizen mit vielfältigen Bedeutungen, die viele menschliche Unzulänglichkeiten darstellen. Abgesehen von dem Einfallsreichtum, dass nichts aufhören kann, hat er vielleicht auch ein viel menschlicheres als katzenhaftes Talent, Angst zu schüren, ohne wegzulaufen, aber ohne sich den Ursachen der Angst zu stellen. Auch dies ist keine wirkliche Leugnung: Eine Leugnung der Stärke des Unholds hätte die Katze unweigerlich zum Fressen gebracht. Es ist eher eine Art aktive Verleugnung.

Angesichts einer beängstigenden Realität ist manchmal eine Flucht möglich, aber wenn es die Geschichte und die Menschheit sind, die zu Ogern werden, wenn das, was geschieht, unsere Fähigkeit zum Verständnis und zur Akzeptanz übersteigt, scheint die Versuchung zu bestehen, den Oger in eine Maus zu verwandeln und so aus einer Konfrontation, deren Begriffe wir unserer Meinung nach hätten wählen können, innerhalb der limitierten Grenzen unseres, manchmal anfälligen, Verständnisses triumphierend hervorzugehen. Und jedes unverhältnismäßige Ereignis wird sehr früh geboren, weil wir keine Darstellung des Geschehens in seiner ursprünglichen Größe, seinen Verleumdungen oder Verkleinerungen zulassen sollten, als ob die Reduzierung der Darstellung des Geschehens, um es in unsere Reichweite zu bringen, die Mittel zum Triumph über das, was uns erschrecken würde, gäbe, wenn wir es in seinen eigenen Dimensionen betrachten.

Diese „Geschichtsreduzierer“ finden endlich einen Gegner in ihrer eigenen kleinen Statur, und sie können ihn dann buchstäblich auf ihre Gnade reduzieren, ihn auf ihrem Küchentisch in Ehren halten und schließlich auch vom Verschlingen träumen. Aber träumst du davon, eines Morgens, wenn du aufwachst, einen Planeten wie diesen zu verschlingen? Ganz gleich, wie klein und unbedeutend wir mit einer objektiv erdrückenden Tatsache konfrontiert sind, wie die Katze im Märchen, die dem Oger gegenübersteht, können wir sie daher auf eine gefällige Größe reduzieren, sie gefangen halten und in der Hand zähmen, indem wir ihr in die Augen schauen, und sie sogar zerquetschen und ohne allzu große Mühe zu etwas anderem übergehen.

Es gibt also diejenigen, die gerne sagen, dass das Erdbeben im Indischen Ozean vom 26. Dezember 2004 und der riesige Tsunami, der Südostasien und darüber hinaus wütete, schließlich nur eine große Welle war, über die viel geschrieben wurde, diejenigen, die im Vergleich zu dem, was jetzt geschieht, noch eine größere Katastrophe vor sich haben, Diejenigen, die so weit gehen, zu phantasieren, dass sie das Leben anderer verwalten, indem sie die Zahl der Toten auf einer rücksichtslos rationalisierten Vergleichstabelle anordnen, die am Ende immer zu dem Schluss kommt, dass andere Schubladen besser sind als die, die wir hier und jetzt messen (was könnte schließlich tödlicher sein als die erste irdische Vergletscherung?), diejenigen, die den Moment wählen, in dem ein Zyklon das Haus ihres Nachbarn verwüstet, um über den Tod zu philosophieren, der Teil des Lebens (der Nachbarn) ist, und viele andere, die, sobald der Sturm tobt, schwärmen und sagen, dass sie keinen einzigen Tropfen Wasser unter ihren kleinen Schirm bekommen haben. Einige behalten die Wahrheit, von der sie glauben, sie könne durch Relativierung des Ereignisses zu ihrer persönlichen Beruhigung aufbauen. Aber die meisten von ihnen tragen das gute Wort mit allen möglichen Mitteln, schwingen es sogar als Banner und versuchen, es zum Sammelbecken für eine radikale Behandlung der Geschichte zu machen, die es zweifellos verdient hätte.

Aber ihre Leugnungen sind am Ende nur ein Zeichen dafür, dass mit Sicherheit etwas im Gange ist, denn warum sonst würden sie so hart darum kämpfen, zu beweisen, dass nichts passiert? Und an dieser Bizarrerie können wir diese Misshandlung der Geschichte zweifellos am besten erkennen: Sie entwickelt ein Argument, fügt Einschnitte oder fein gewählte Adjektive hinzu, manchmal sogar historische Beispiele, Ingenieursberichte und untertitelte Karten zur Unterstützung, mit dem ausschließlichen Ziel, die Berücksichtigung eines Ereignisses zu verhindern. Es geht nicht darum, das Gesprochene zu studieren, sondern darum, es zu diskreditieren, manchmal sogar ganz oder teilweise zu leugnen und diejenigen, die daran interessiert wären, davon abzubringen. Ob es in einer Vorführung von Historikern, am Stammtisch oder in einem radikalen Blog stattfindet, der Ansatz ist merkwürdig, wenn man ihn als das versteht, was er ist. Der Einsatz muss also sehr hoch sein, wenn so viele Worte um das herum gestickt werden, worüber wir nicht sprechen wollen… Ist die getretene Katze nicht nichts anderes als ein verängstigter Pinguin, der sich weigert, zuzusehen, wie sein Lebensraum dahinschmilzt?

Die Covid-19-Pandemie, die sich auf der ganzen Welt ausbreitet, bildet da keine Ausnahme: Sie hat auch ihre Abschwächer. Doch es gibt vieles zu sagen, zu bestreiten, anzugreifen angesichts dessen, was geschieht, wenn auch nur der Staat und der Kapitalismus, die die Situation so gut wie möglich verwalten, d.h. gegen uns – d.h. für unsere Ausbeutung und gegen unsere Freiheit. Aber unweigerlich ertönt das kleine Liedchen der Skepsis: Dieses Virus ist eine „Grippe“, und jeder, der sie fürchtet, würde mich zwingen, mich der Tatsache zu stellen, dass sie es nicht ist und damit dem Feind in die Hände spielt. Wir möchten hier über das Innen und Außen dieser egozentrischen Versuchung der Verleugnung nachdenken, die sich wieder einmal vor unseren Augen aufbaut, während gleichzeitig die schmutzigen Kommuniqués herausgegeben werden, in denen die Toten gezählt werden, in einer Zeit, in der uns die katastrophalen Bilder von Straßen, auf denen sich die Leichen türmen, verblüffen, in einer Zeit, in der Eislaufbahnen, Parks und Inseln zu Massengräbern werden, in einer Zeit, in der die Mehrheit der Weltbevölkerung sowohl dem Virus als auch dem schrecklichen Management der Pandemie ausgesetzt ist, und in einer Zeit, in der überall Revolten ausbrechen. Ist dies der richtige Zeitpunkt, um zu denken, dass eine Sterblichkeitsrate, die je nach Altersgruppe auf über 7 % ansteigt, eine niedrige Sterblichkeitsrate ist (es bedarf eines wirklich gigantischen Anstiegs, um alle Todesfälle, die sie darstellt, in dieser Größenordnung zu halten), wenn ein besonders ansteckender Virus die gesamte menschliche Bevölkerung bedroht? Dies wäre eine weitere Möglichkeit, den von Albert Libertad1 beschriebenen „Aaskult“, die „Anbetung des Todes“, in Form einer Mischung aus Irrationalität und Rationalisierung einer Religion der Statistik fortzusetzen. Den Tod auf diese Weise zu „verehren“ bedeutet, zu versuchen, nichts von ihm zu verstehen: Anstatt über das Leben und das, was damit geschieht, nachzudenken, beginnt man, phantastisch über Leichenhaufen zu sinnieren, die man wiegt und vergleicht.

Es ist sicherlich nicht vorstellbar, eine abschließende Analyse der heutigen Ereignisse zu erstellen, aber es ist sicher, dass etwas geschieht. Man kann die Hand ins Feuer legen, sogar beide. Warum also dieser Reflex der Selbstverteidigung gegen die Geschichte – und nicht gegen ihre „Sieger“ -, der darin besteht, sofort an der Paradehaltung gegen die Realität zu arbeiten? Wir werden zunächst einige Hypothesen aufstellen, die sich aus der Beobachtung mehrerer dieser Schanden der historischen Verleugnung ergeben, und dann versuchen, ihre Folgen zu messen und sie als subversive Perspektiven zu dekonstruieren, einer Eigenschaft, die sie oft darstellen.

Die allumfassende Relativierung ist das wichtigste Mittel der Verleugnung. Sie drückt sich mit der Autorität eines Menschen aus, der andere gesehen hat, eines Menschen, der nicht mehr überrascht ist, der weiß, wie man addiert und Prozente addiert, der seine Dreisatzregel kennt und nicht von gestern ist. Es ist immer eine Variante des vergleichenden Denkens, die sich letztlich auf sehr ungesunde Weise auf Additionen und Subtraktionen von Zahlen konzentriert, die vorgeben, über das zu sprechen, was mit den Menschen geschieht. Der Vergleich stimmt nicht, wie es oft der Fall ist, und tausend absurde oder unlogische Voraussetzungen werden aus heiterem Himmel bestätigt, sobald die scheinbar einfache und unwiderrufliche Berechnung durchgeführt worden ist.

Wenn wir nämlich die Gesamtzahl der Todesfälle seit Beginn der Menschheit als Bezugspunkt nehmen, ist jedes mörderische Ereignis sehr schnell lächerlich. Ein Stadt dem Erdboden gleichzumachen, zum Beispiel, oder sogar eine Metropole, würde zu weit weniger Todesfällen führen als die saisonale Grippe im globalen Maßstab über 10 Jahre. Ein Gebäude, das voll mit seinen Bewohnern abbrennt, verursacht im Vergleich zu Verkehrsunfällen eine völlig lächerliche Zahl von Todesopfern… Doch können wir wirklich ableiten, dass diese beiden Ereignisse lächerlich wären, und in den Augen welchen verdammten gleichgültigen Gottes würden sie so werden?

Das Schrecklichste an dieser Art von Argumentation ist, dass der Vergleichshorizont im Grunde genommen also die totale Pandemie ist, der überwiegende oder überwältigende Prozentsatz, die Phantasie einer Zerstörung der Menschheit, in Bezug auf die die Gefahr von Hunderttausenden von Toten lächerlich ist. Es ist eine krankhaft nihilistische, fast exterminophile Phantasie. Wenn wir ständig in Prozentzahlen denken, als ob es auf der Skala der einzelnen Leben, von denen wir sprechen, Sinn machen würde, dann sind die Anschläge vom 13. November 2015 in Frankreich zum Beispiel wirklich nicht einmal in Erinnerung zu behalten, weil der Prozentsatz der durch sie verursachten Todesfälle im Verhältnis zur französischen Bevölkerung oder zur Weltbevölkerung so „mikroskopisch“ ist. Und doch war es ein unerträgliches Gemetzel. Diesen Relativierern, mit dem Taschenrechner in der Hand, kommt der Wunsch, zu antworten: Kannst du dir vorstellen, die 200.000 aktuellen Todesfälle der Coronavirus-Epidemie oder die 130 Toten und 413 Verwundeten des Bataclans, auf einem Haufen, vor deinen Augen? Oder die mehreren hundert täglichen Todesfälle von Covid-19 in Frankreich? Solange die Menschheit nicht vernichtet ist, wirst du nicht von deinem Stuhl aufstehen, und du wirst weiterhin deine Rechenschaft ablegen, indem du die Zahlen für die Massaker in aufsteigender Reihenfolge angibst. Denn es geht darum, dass viele Menschen unter bestimmten Bedingungen sterben. Es geht nicht darum, überrascht zu sein, dass es Tod und Tragödie gibt, sondern vielmehr darum, zur Kenntnis zu nehmen, dass in und um diese Todesfälle herum etwas geschieht, das nicht trivial ist und das über die üblichen Fähigkeiten des Verständnisses und der Verwaltung hinausgeht, überall auf der Welt. So kann man sich fragen, warum 450 Todesfälle des Covid-19 an einem Tag in Frankreich nicht einfach doppelt so viele sind wie die monatlichen Verkehrstoten – wie man sich in einem Laboratorium fragen kann, warum diese verdammten Menschen sich weigern, auf einfache Anpassungskurven für verschiedene Theorien reduziert zu werden -, und ob es nicht unfair wäre (lustige Argumentation eines historischen Ordnungshüters…), letzten Endes mit zweierlei Maß zu messen.

Zunächst einmal geht es vielleicht darum zu wissen, wie man stirbt, wie Zola sagen würde, und zwar im konkretesten Sinne: Wenn alle, die normalerweise eines Tages sterben müssen, in der gleichen Sekunde abgeschlachtet werden, ist es immer der Tod, der geschieht, aber nicht ganz so, als hätte jeder sein Leben gelebt… Wie, warum, durch wessen Hand, von wem oder was getötet? Diese Fragen sind nicht überflüssig. Seine Umstände und die Art und Weise, wie der Tod gelebt wird, sind sogar das, was dem Geschehenen einen Sinn gibt, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass immer viel mehr Schaden an anderen Leben zu beklagen sind als der Tod selbst – denn sonst sind wir ja alle sterblich… Das ist auch der Grund, warum der Abzug der Zahl der Menschen, die unter normalen Umständen „hätten sterben müssen“, von der Zahl der durch dieses oder jenes Ereignis verursachten Todesfälle nur in einer Art buchhalterischer Logik gerechtfertigt ist, die letztlich abwegig ist. Nimmt man den Fall der etwa 76.000 Menschen, die unter dem Vichy-Regime des französischen Staates an Hunger, Kälte und der Verlassenheit in psychiatrischen Krankenhäusern gestorben sind (1940-1944), so subtrahieren Historiker die vermutete Zahl derjenigen, die in dieser Zeit „an etwas anderem hätten sterben müssen“2 . Können wir wirklich davon ausgehen, dass Hungertod und „wegen dem Alter zu sterben“ dasselbe sind, auch wenn wir im Alter an Hunger sterben? Aus der Sicht desjenigen, der stirbt, ist es unbestreitbar, dass es nichts damit zu tun hat. Aber wie sieht es aus unserer Sicht draußen aus? Können wir wirklich nicht versuchen, die Tiefe und Materialität dessen, was geschehen ist, in einem solchen Ausmaß zu verstehen, dass wir zu der Einsicht gelangen, dass es nichts zu verstehen gibt, wenn ein alter Mann an Hunger starb, weil er als Verrückter eingesperrt war? Wenn einem alten Mann, der statistisch gesehen alt genug ist, um zu sterben, die Kehle durchgeschnitten wird, gilt er dann als „eines natürlichen Todes“ gestorben? Und all diese „natürlichen Todesfälle“ und Selbstmorde von Gefangenen, die von den Fachleuten der Strafvollzugsverwaltung, die „verdächtige Todesfälle“ leugnen, als opportun qualifiziert werden, wie kann man anständig davon ausgehen, dass das Gefängnis und die physische und psychische Gefangenschaft von Personen nichts damit zu tun haben? Sind wir also wie Dr. Manhattan, der auf den Planeten Mars verbannt wurde, um diese Gleichgültigkeit gegenüber der Realität dessen, was es heißt zu sterben, zu beeinflussen? Der Tod ist ebenso wenig ein objektives und von jedem Kontext trennbares Datum wie die Geburt oder irgendein anderer Moment des Lebens, und für einen Kommunarden zu sterben ist zum Beispiel untrennbar damit verbunden, auf den Barrikaden gekämpft zu haben, aber auch damit, nach der Zerschlagung des revolutionären Moments als Leiche ausgesetzt worden zu sein, wogegen man sich verschwören kann. Der nackte Tod ist bedeutungslos, und wenn man mörderische Ereignisse dem nackten Tod überantwortet, ist es unmöglich zu verstehen, welche Bedeutung sie haben könnten.

Dieser relativistische Vergleichswahn kann auch die Form eines Wettbewerbs annehmen. Immer unter der gleichen Illusion, dass ein Standpunkt in Bezug auf eine Tatsache richtig sein könnte, ist es üblich, auf diese Weise große Waagen zu errichten, in denen historische Ereignisse im Vergleich abgewogen werden, und so zu tun, als ob dies eine Möglichkeit wäre, die Geschichte neu zu bewerten und schließlich auf der richtigen Seite zu wägen, um einige Fakten zu erhalten, um sich an anderen zu rächen. Man wird feststellen, dass es immer darum geht, jede Besonderheit jedes der betrachteten Ereignisse zu leugnen und sie in eine Rangfolge zu bringen, so als gäbe es am Ende einen Preis zu vergeben oder eine ehrenvolle Erwähnung, als gäbe es keinen Platz für alle, auf dem finsteren Bild der Massaker. Diese Rivalität der Katastrophen ist eine weitere Möglichkeit, die Geschichte auf ihre Reichweite zu reduzieren, sie in ein Taschentuch passen zu lassen, mit dem man sich die Augen zudecken kann, wenn man sie nicht sehen will oder wenn es darum geht, mit ihrer Verleugnung Politik zu machen. Es geht darum, die Geschichte in eine Arena zu beschwören, in der man seine kleinen Gladiatorenkämpfe organisieren könnte, und in der man dann als Kaiser durch Heben oder Senken des Daumens über den historischen Verdienst dieses oder jenes Ereignisses entscheiden würde. Der Dritte Punische Krieg zu meiner Rechten würde dem Erdbeben von 1755 in Lissabon, zu meiner Linken, ohne jegliche Spannung gegenüberstehen, da es gewöhnlich darum geht, zu zeigen, dass das eine entschieden viel mehr wiegt als das andere. Zu diesem Zweck wurden sie außerdem in einer allmächtigen Wirkung ausgewählt, um einander gegenüberzutreten… Ist die Perspektive dann wirklich, eine historische Episode zu denken und zu verstehen? Denn es ist immer eine Frage der Perspektive, der Richtung der Argumentation… Nein, die Perspektive scheint hier näher bei den Büchern zu liegen, deren Held du bist. Ich werde stattdessen zu Seite 32 gehen, wo nichts passiert, ich bin heute Morgen nicht in der Stimmung für die Pest.

Um ein Ereignis, so unaussprechlich es auch sein mag, zu verstehen, muss man zweifellos sein Ausmaß mit den Mitteln, die wir finden, darstellen und es daher möglicherweise mit anderen bekannten und jetzt mehr oder weniger „verdauten“ Ereignissen des Bewussten und des kollektiven Unbewussten vergleichen. Die Frage ist dann aber: Versuchen wir, die historischen Ereignisse, die wir auf diese Weise betrachten, zu verstehen, oder versuchen wir, die Bedeutung des einen im Verhältnis zum anderen zu reduzieren (was wirklich lächerlich ist, da der Gewinner des Augenblicks immer durch ein anderes Massaker entthront werden kann, das schwerer wiegt)? Wenn wir sehen, dass die Spanische Grippe in Europa mehr Todesopfer gefordert hat als der Erste Weltkrieg, was nicht zu leugnen ist, wollen wir dann wirklich den Schluss ziehen, dass der Erste Weltkrieg am Ende nur wenige Todesopfer gefordert hat? Oder dass es sich nicht lohnt, dem nachzugehen? Geht es bei diesem Vergleich nicht eher darum zu berücksichtigen, dass die Spanische Grippe noch tödlicher war als der Erste Weltkrieg, von dem wir wissen, dass er als Bezugspunkt extrem tödlich war? Dies gilt umso mehr, als die Massaker, die wir gegeneinander antreten, alle stattgefunden haben, unabhängig davon, welchen Platz sie im Wettstreit um die meisten Toten einnehmen: Die Menschen in Europa haben zum Beispiel den Ersten Weltkrieg, aber auch die Spanische Grippe erlebt. Anstatt Zahlen niederzuschreiben, sollten wir nicht vor allem versuchen zu verstehen, inwieweit die Spanische Grippe, begleitet von Truppenbewegungen, ebenso zum Alltag der Soldaten in den Schützengräben gehört, wie die Bombenangriffe, zumal alles, was zur Eindämmung der Pandemie hätte verwendet werden können, bereits dazu diente, Krieg zu führen (einen totalen Krieg, erinnern wir uns). Sie könnte sogar die Funktion einer strategischen Waffe in einer Zeit übernehmen, in der es darum geht, krank zu machen und/oder zu töten (z.B. durch Senfgas), und wenn es darum geht, die Pandemie zu stoppen, dann soll sie auch die Pandemie im Feind durch eine additive Hinrichtung stoppen. Weil für diejenigen, die sie durchleben, Katastrophen und Massaker nicht „zur Wahl“ oder in Rivalität stehen, gibt es kein Dilemma, aus dem man entkommen kann, indem man das wählt, was die wenigsten Todesopfer verursacht hat, kein historisches Privileg, das eine zu leben und das andere nicht…

Es ist wie ein Spiel der Verwirrung, in der ein noch vorhandener Gegenstand dank einiger einfacher Manipulationen, die die Illusion seines Verschwindens erzeugen, zum Verschwinden gebracht wird. Es ist auch ein Kinderspiel, die Welt zu bewerten und die Möglichkeit zu erleben, zu allem seine eigene Meinung zu haben, sich beim Blättern in einer Zeitschrift zu fragen, was man an jeder einzelnen bevorzugt. Sie auf die Geschichte anzuwenden, ist ein an Dummheit grenzender Wille zur Beherrschung. Sie soll die Geschichte in ihr kleines mentales Universum bringen, indem sie sie nach ihren eigenen vier Willen beugt. Denn die erste Gefahr, wenn wir den Tod durch die Pest mit dem Einsturz eines Gebäudes in Paris vergleichen, besteht darin, überhaupt nichts zu verstehen, weder das Ereignis, das wir misshandeln, noch das Ereignis, von dem wir glauben, dass wir es gut behandeln, noch die Pestepidemie, noch die städtische Unruhe und das Elend. Es ist eine Versuchung, sich als absoluter Meister der Geschichte zu etablieren, indem man die Epochen und ihre verschiedenen Launen beurteilt. Es geht darum, die Geschichte auf die Handfläche zu reduzieren, um einen völlig phantastischen Avatar besser anstarren zu können.

Dieser allmächtige Wille zur Geschichte kann aus allen Schattierungen von Verschwörungen herrühren, denn es geht immer darum, das Verborgene aufzudecken oder zu enthüllen, eine Manipulation zu vereiteln, eine unbequeme Wahrheit zu exhumieren. Die Dispositionen der Verschwörungspathologie sind ziemlich leicht zu identifizieren, aber die Besonderheit dessen, womit wir es zu tun haben, besteht darin, dass es sich um eine Art Verschwörung mit einem reduktiven Zweck handelt. Es geht nicht darum, eine wichtige Wahrheit aufzudecken, die im Verborgenen liegt, sondern es geht darum, jede mögliche Bedeutung dessen, was geschieht, zu leugnen. Oder besser gesagt, die wichtige Wahrheit, die wir aufzudecken haben, ist ein schwarzes Loch: Es ist, dass nichts Wichtiges passiert. Sie versuchen nicht, uns dazu zu zwingen, zu denken, dass Wolken Chemtrails sind, sie versuchen uns dazu zu zwingen, zu denken, dass es keine Wolken gibt. Gesucht wird die Reduktion des Geschehens, die Notation, dass etwas vor sich geht, wie eine Hypnosesitzung, in der wir alle davon überzeugen möchten, dass sie nichts gesehen und nichts gehört haben und dass sie ihren Weg gehen müssen. Sie versuchen, uns Gleichgültigkeit, emotionale Neutralität und Rücksichtslosigkeit beizubringen.

Im Hinblick auf die Covid-19-Epidemie nimmt dieser Weg viele Formen an, von der Exhumierung aller Epidemien seit Beginn der Menschheitsgeschichte bis hin zu Meditationen, die bereit sind, in der schlimmsten Eugenik darüber zu versinken, dass diese Krankheit letztlich Menschen tötet, die dem Tod nicht fern waren. Wenn wir die Frage der Relativierung dieser Epidemie in Bezug auf andere stellen, ist der Ansatz an sich insofern sinnvoll, als ein Vergleich der Reaktionsweisen auf diese Art von Ereignissen, der Formen des Managements, die sie auslösen, und der Spuren, die sie hinterlässt oder nicht hinterlässt, nur für ein besseres Verständnis der aktuellen Situation nützlich sein kann. Zum Beispiel gab es Ende der 1960er Jahre (in den Jahren 68‘ und 69‘) eine Epidemie, die als „Hongkong-Grippe“ bekannt war, die sehr tödlich und völlig unbemerkt verlief3. Darüber hinaus ist sie im Allgemeinen aus den Erinnerungen derer, die diese Zeit durchlebt haben, verschwunden, während die damaligen Pfleger apokalyptische Szenen von Leichenbergen in Krankenhäusern beschreiben. Daher ist die Untersuchung des Verhältnisses zum Massensterben von krisenbewältigenden Staaten, aber auch von allen anderen, ein faszinierendes Thema.

Dennoch gibt es wieder einmal einen großen Unterschied, ob man andere historische Momente heraufbeschwört, um das Ausmaß dessen zu messen, was uns dort widerfährt, oder ob man dies tut, um es seiner Bedeutung zu entleeren. Wie kann zudem die Tatsache, dass andere Epidemien anders oder gar nicht gehandhabt wurden, etwas von der Bedeutung und Realität der gegenwärtigen Epidemie ablenken? Das ist kein Spiel der Reise nach Jerusalem…

Das Problem wird noch akuter, wenn die Leugnung radikale, subversive, ja sogar revolutionäre Ansprüche zu haben beginnt, denn dann begibt man sich in sehr verderbliche Formen der Argumentation, die nicht nur das fragliche Ereignis, sondern auch jede Möglichkeit revolutionärer Perspektiven reduzieren, indem man auf einem Abstellgleis stecken bleibt, ohne mehr Zugang zu dem zu haben, was man bekämpfen will.

In relativ unterschiedlichen, aber weitgehend ähnlichen Formen muss sich die Weltbevölkerung sowohl mit der Ausbreitung des Virus als auch mit seiner staatlichen Bewältigung auseinandersetzen. In diesem Fall ist dieses Management Teil eines Kontinuums, mit oder ohne allgemeine Bevölkerungseindämmung, in dem wir je nach Fall in unterschiedlichem Maße die Kontrolle und Verfolgung von Bevölkerungsgruppen vorfinden, den Begriff der „Person“ oder der „gefährdeten“ Bevölkerung, die noch strenger kontrolliert werden muss, unabhängig davon, ob es sich um diejenigen handelt, die mit dem Virus infiziert sind oder um diejenigen, die sich in einer hinsichtlich ihres Auftretens fragileren Situation befinden, die Einschränkung und Kontrolle der Bewegung (A.d.Ü. von Personen), der Aktivitäten bis hinunter zur intimsten Ebene der zwischenmenschlichen Beziehungen, die Bewältigung von Gesundheits- und Nahrungsmittelknappheit, was immer eine Hierarchie von Leben impliziert, die es mehr oder weniger verdient, dass man sich um sie kümmert, oder die mehr oder weniger notwendig sind, um die wirtschaftliche Aktivität aufrechtzuerhalten. Der Kampf gegen diese Situation, in der die Macht immer dystopischer in das Leben aller Menschen eindringt und die Logik der Ausbeutung voll zum Tragen kommt, ist wichtiger denn je. Für heute, für die Zukunft, auch in Treue zur Vergangenheit der Kämpfe: Es ist dringend geboten, sich der Situation gewachsen zu zeigen, wenn wir die Welt nicht in sich selbst eingeschlossen lassen wollen. Natürlich stellt sich diese Verwaltung als die Lösung des Gesundheitsproblems dar, sie nutzt diesen Status aus, um zu behaupten, dass sie unzweifelhaft ist, es sei denn, sie will, dass sich das Virus verbreitet. Es ist eine abgedroschene Erpressung, die jedes Mal wiederkehrt, wenn wir Formen nationaler oder globaler Vereinigung gegen diese oder jene Geißel fordern, die politische Auseinandersetzungen zum Schweigen bringen sollen, die lächerlich geworden sind. Es ist die Forderung nach Pragmatismus und Management, angeblich neutral, von Experten geleitet, natürlich neutral, und deren Wirksamkeit nur vom Experten beurteilt werden könnte. „Es ist besser, einen Experten hinzuzuziehen“, lautete das Sprichwort.

Angesichts dieser Situation hält es der Verleugner für radikaler, um die Realität der Führungsgewalt in Frage zu stellen, dass sie keinen Grund haben, auf diese Weise eingesetzt zu werden, als ob die Realität der Ausbreitung des Virus und der von ihm verursachten Schäden der Schlussstein wäre, der die Notwendigkeit der zu seiner Bekämpfung durchgeführten Politiken hervorhebt. Die Illusion besteht also darin, das Gras unter den Füßen der Macht zu mähen.

Ohne so weit zu gehen, wie die wahnsinnige Verschwörung der Argumentation, die um die Schädlichkeit von 5G herum aufgebaut ist, die das Virus transportieren oder sogar die Ursache der Gesundheitskrise sein würde, eine wirkliche Ursache, die durch die Fabel von einem nicht existierenden Virus verschleiert würde, besteht die Versuchung, aus der Bedeutung der repressiven Maßnahmen auf die Tatsache zu schließen, dass das Übel, das sie angeblich behandeln wollen, nicht oder weniger existiert, als man sagt. Aber diese Argumentation ist in vielerlei Hinsicht fehlerhaft, und vor allem durch einen Mangel an Logik. Warum sollten wir bedenken, dass das Virus nichts oder nicht viel ist, um gegen die Verwaltung der Gesundheitskrise zu kämpfen? Was nimmt die Realität der Existenz des Virus und seiner virulenten und tödlichen Natur der Notwendigkeit, gegen die von den Staaten zu seiner Eindämmung ergriffenen Maßnahmen zu kämpfen? Es scheint wie eine irrationale Angst davor, sich in der heiligen Vereinigung zu verfangen, als ob wir, sobald wir erkennen, dass etwas geschieht, nicht mehr die Kraft hätten, das anzugreifen, was der Staat in Gang setzt. Es ist eine sehr schwache und gequälte Position des eigenen Reformismus, Schutzmaßnahmen zu brauchen, um nicht Gefahr zu laufen, mit dem Staat übereinzustimmen! Es handelt sich in der Tat um eine Art Validierung der Gültigkeit des staatlichen Fachwissens: Wenn es einen Virus gäbe, wäre die staatliche Verwaltung die einzig mögliche Reaktion, da man den Virus leugnen muss, um sich dem Staat entgegenzustellen. Warum nicht in der Lage sein, sowohl die Existenz und die Gefährlichkeit des Virus anzuerkennen als auch den Staat und die Politik zu bekämpfen, die zur Eindämmung seiner Ausbreitung umgesetzt werden? So verpassen wir eine Phase völlig und somit das, was sich dort dabei abspielt. Wie können wir die Welt verändern, wenn wir uns nicht in die Lage versetzen, sie zu verstehen, oder schlimmer noch, wenn wir der Meinung sind, dass es notwendig ist, sie zu verändern, wenn wir sie nicht verstehen? Warum so viel Angst vor dem haben, wogegen wir kämpfen, so dass wir es phantastisch verstümmeln müssen, anstatt es anzugreifen? Warum sollte man die Hemmung jeglichen Mitgefühls für diejenigen akzeptieren, die darunter leiden, für die Toten, deren Leichen sich auftürmen, für die Gefangenen, die der Verbreitung des Virus ausgesetzt sind, für die Patienten in HPAE oder psychiatrischen Krankenhäusern, die bereits ausgewählt wurden, nicht auf der richtigen Seite der Versorgung zu stehen? Ist es nicht besonders reformistisch zu denken, dass es dringend notwendig ist, gegen die Tatsache der Gefangenschaft an sich zu kämpfen und nicht gegen den Staat und sein Management der Pandemie, der Gefangenschaft, der Entlassung aus der Gefangenschaft? Denn wenn der Staat nur langsam eingreift, damit die Wirtschaft so lange wie möglich voll ausgelastet ist, wenn er sich dann darauf beschränkt, die gesundheitlichen Notfälle zu verbreiten, die das Krankenhaus nicht bewältigen kann, dann löst er die Ausgangssperre, weil sich die Knappheit bemerkbar zu machen beginnt und weil die Wirtschaft wieder in Gang kommen muss, dann geht es immer um den Kampf gegen den Staat und nicht gegen die Idee, dass der Verbleib zu Hause vor der Ansteckung mit dem Virus schützen kann. Warum also so viele reduktionistische und vereinfachende Lesarten und so viel Irrationalität? Warum ist es gerade die Realität, die durch diese vereinfachenden oder ideologischen Lesarten ausgelöscht und damit zur Ohnmacht verurteilt wird?

Diese Wahl der Verleugnung und Reduzierung des Geschehens, sei es radikal oder an der Kaffeetheke eines kommerziellen Cafés, ist wahrscheinlich eine Antwort auf eine tiefe, existentielle Angst, dass nichts heilt, sondern nur die Selbstüberzeugung, dass man am Ende nicht in Gefahr ist. Und um sich selbst wirksam zu beruhigen, muss man alle anderen mitnehmen. Dieses Bedürfnis nach Beruhigung ist sehr menschlich. Jeder hat es für angebracht gehalten, sich angesichts der realen Ansteckungsgefahr zu beruhigen, indem er sich irgendwann einmal sagte, dass dieses Virus für ihn schlimmstenfalls „eine Grippe“ sein wird, und es wurde schnell der Schritt getan, das, was er zur Beruhigung erfindet, in eine Tirade zu verwandeln. Nicht einmal ängstlich, das Virus wird nicht durch mich hindurchgehen, und nicht einmal schlimm, wenn es durch mich hindurchgeht, wird überhaupt nichts passieren. Diese Angst ist auch Feigheit: Es ist die Hoffnung, nicht eins zu sein, konkret in der Gewissheit. Es ist menschlich, wie jeder Aberglaube. Angesichts der Statistik der Virulenz wird diese Feigheit auch in dem Bestreben installiert, dass andere in den Prozentsätzen der Letalität liegen. Für einmal, radikal oder nicht, geht es darum, sich selbst davon zu überzeugen, dass man bereits auf der richtigen Seite der Masse steht, die aus ihr hervorgehen wird.

Und doch, wie ein großmütterliches Sprichwort sagt: „Angst weicht der Gefahr nicht aus“, und für einmal lädt die Volksweisheit, die meist immer kastrierend und normativ ist, zu mehr Mut ein als viele Texte mit subversivem Anspruch… Die Gefahr des Virus ist da, in Massengräbern liegen echte Leichen, den aus Hunger Revoltierenden stehen einer echten Knappheit gegenüber (und nicht nur den Bullen!). )… etwas ist im Gange, und ob es uns gefällt oder nicht, wir sind in diesen Wirren gefangen. Es liegt an uns, einen Ausweg zu finden – und nicht, wie wir unsere eigene Haut retten können, indem wir über eine Realität phantasieren, in der wir allmächtig bleiben -, ohne in lächerlichen und lächerlichen Leugnungen zu versinken, die uns zu der Einsicht veranlassen, dass der Kampf gegen die Tatsachen ein Kampf gegen die Welt ist, die sie hervorbringt. Hören wir auf, anderen die armseligen kleinen Wege aufzuzwingen, auf denen wir versuchen, nicht zu sehr unter der Situation zu leiden, und sie in politische oder historische Theorie zu verwandeln. Leben und denken wir an diese Zeit, die wir uns in unseren schlimmsten Alpträumen nicht hätten vorstellen können, ohne vorherige Sicherheitsvorkehrungen, um sicherzustellen, dass wir auch auf theoretischer Ebene keine Risiken eingehen, stellen wir fest, dass wir zunächst verwirrt sind, wie in einer Dystopie, der wir nur schwer entgegentreten können, und finden wir die Mittel, um gegen diese neue Welt zu kämpfen, die nicht gerade die alte ist, in der aber unsere Feinde der Kapitalismus, der Staat und seine Verwaltung bleiben.

Dieser Text setzt sich mit diesem intellektuellen Prozess der Reduktion auseinander, der hier als Verleugnung bezeichnet wird. Wie wir eingangs sagten, ist diese Verleugnung keine Verweigerung oder ein Tabu, denn sie lässt viel Raum für die Darlegung der Gründe, warum wir nicht mit einem Teil der realen Situation denken sollten, die daher im Diskurs und in der Theorie sogar zentral oder obsessiv wird. Diese Verleugnung hat viel mehr mit Negation zu tun als mit Verweigerung, und deshalb wächst sie auf dem gleichen Boden wie die bekannten Formen der historischen Negation, die auf der gleichen fehlerhaften Argumentation aufbauen, insbesondere die Negation, im eigentliche Sinne negationistische.

Nichtsdestotrotz wird diese Frage hier aus mehreren Gründen nur durch die Berührung der Oberfläche behandelt. Erstens, weil es für den Augenblick wäre, das, was Negationismus gewesen sein mag (und immer noch sein mag), zu reduzieren, diejenigen anzuklagen, die am Scheideweg irren und mehr oder weniger bewusst in seinem Vorzimmer herumtollen, und auch wenn wir wissen, dass die Leugnung der Realität der Taten Kaiser Neros für einige ein erster Schritt zur Negation der Gaskammern war, oder eine „Neubewertung“ der Realität des von den Roten Khmer verübten Völkermords, so war dies doch der Anfang des Weges, die Vernichtung der Nazis anzugreifen (anstatt den Nazismus und seine Welt anzugreifen…): immer diese Manie, ihre Rechnung mit den Fakten zu begleichen, anstatt gegen diese Welt zu kämpfen. Ein Großteil der Logik, die hier versucht wurde, zu dekonstruieren, findet sich dort wieder, insbesondere in der Illusion einer Radikalität, die „beweisen“ würde, dass, nachdem die Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg ihre Legitimität durch den Kampf gegen den Nazi-Horror erlangten, die Herausforderung des Nazi-Horrors das Bauwerk zum Einsturz bringen könnte, indem man seinen Grundstein entfernt: „um die Schleusen der Demokratie zu durchbrechen“, hieß es auf der Seite der Ultralinken, die sich mit Dr. Faurisson anfreundete. Auf diese Weise versuchte der Negationismus auch bei der extremen Linken sowie bei Anarchisten und Kommunisten zu gedeihen, und so begannen „Revolutionäre“ der negationistischen Versuchung der Nazis selbst zu folgen, die dennoch die ersten sind, die in bestimmten Aspekten versucht haben, die Spuren ihres auslöschenden Unternehmens zu minimieren. Darüber hinaus ist die Denunziation eine Dynamik, die ihre eigenen Unzulänglichkeiten hat und bei der wir hier keinen Fehler machen wollen, was auch der Grund dafür ist, dass sich dieser Text nicht auf dieses oder jenes Beispiel aus diesem oder jenem radikalen Blog, wütenden Posts oder Mikro-Trottern stützt. Auf jeden Fall sind diese Standpunkte der Reduktion erschreckend banal, und sie sind überall, es ist nicht sehr schwierig, sie zu identifizieren, und was das mögliche Abgleiten des einen oder anderen in konsequentere Formen der Negation betrifft, so haben wir nicht die Gabe Kassandras, aber wir wissen, dass sie selten Unrecht hat. Schließlich, um es klar und deutlich zu sagen, während wir diese Standpunkte mit relativem Wohlwollen behandelt haben, die uns jedoch in der Folge verderblich und schwerwiegend erscheinen, jedenfalls mit dem minimalen Wohlwollen, das notwendig ist, um zu versuchen, einen Teil ihrer Daseinsberechtigung zu verstehen, werden wir nicht dasselbe mit den Negationisten tun, deren existenzielle Probleme und Kindheitsängste wir nicht zu sezieren versuchen.

Überlassen wir also der wunderbaren Katze in der Fabel ihre Tricks, und versuchen wir, auf die historische Periode, die wir mit Schwierigkeiten durchleben, einen Ansatz anzuwenden, der die Höhe der Situation beibehält, auch wenn es im Moment nicht so einfach ist, sie zu erfassen und herauszufinden, wie man in sie eingreifen kann. Obwohl… die Geschichte die Anhänger der Ratlosigkeit manchmal ins kalte Wasser stößt und Arbeiter, die gezwungen sind, weiter mit dem Virus zu arbeiten, Hungerrevolten oder Gefängnis- und Lagerrevolten müssen die Realität des Virus nicht verleugnen, um sich aufzulehnen und gegen ihn und die Art und Weise, wie er gehandhabt wird, zu kämpfen.

Nieder mit Staat, Kapitalismus und Coronavirus, nicht der Realität!

Es lebe das Leben!

Mai 2020

Maria Desmers

 

Broschüre herausgegeben von Ravage Editions.

1Albert Libertad, „Der Kult des Aas“, in L’anarchie n°134, 31. Oktober 1907.

2Siehe dazu den Text von Armand Ajzenberg mit dem Titel „Drôles d’histoires : l’extermination douce“, der 1996 in Nr. 27 der Zeitschrift Chimères veröffentlicht wurde.

3Siehe Libération vom 07.12.2005 „1968, la planète grippée“

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(Frankreich) Covid-19: Ein Überblick über die raschen Transformationen eines Justizsystems, das von sich behauptet, „in Zeitlupe“ zu arbeiten. https://panopticon.blackblogs.org/2020/05/06/frankreich-covid-19-ein-ueberblick-ueber-die-raschen-transformationen-eines-justizsystems-das-von-sich-behauptet-in-zeitlupe-zu-arbeiten/ Wed, 06 May 2020 09:21:19 +0000 http://panopticon.blogsport.eu/?p=1006 Continue reading ]]> Dieser Artikel erschien auf Non Fides am Dienstag, 21. April 2020 und wurde von uns übersetzt

Die französische Justiz „verlangsamt“ sich seit Beginn der Pandemie und der gegen sie ergriffenen Notstandsmaßnahmen im Gesundheitsbereich, wir wiederholen die nationale Presse… Untersuchen wir also, was diese „Verlangsamung“ für diejenigen bedeutet, an denen wir interessiert sind, d.h. dass die Justiz verhaftet, verurteilt und inhaftiert.

Diese „Verlangsamung“ bezieht sich eigentlich auf den Notstand, in dem sich die Justiz befindet: die Dringlichkeit, in Zeiten der Haft so effektiv wie möglich zu sein, um weiterhin Strafen verteilen zu können. Sie wird entsprechend den Dekreten, die derzeit vom Justizministerium erlassen werden, neu organisiert, indem ihre Prioritäten getrennt werden: Auf der Seite des Richters wird die Arbeit extrem vereinfacht; auf der Seite des Angeklagten… nun, lasst sie abwarten, und dann, lasst sie verstehen, verpflichtet einen gesundheitlichen Notstand dazu, „die Justiz ist in Zeitlupe“.

Diese „Verlangsamung“ der Justiz ist also einerseits die Kombination aus beschleunigten, vereinfachten und fast automatisierten Verfahren für Verurteilungen und die Zuerkennung von Strafen und andererseits die völlige Verlangsamung der Verfahren, selbst bei einem Stillstand der Verfahren für Berufungen, Einsprüche und Anträge seitens der Angeklagten. Kurz gesagt, ein enormer Handlungsspielraum, der den Justizbehörden eingeräumt wird, und eine drastische Reduzierung des minimalen Handlungsspielraums, der der Verteidigung in „normalen“ Zeiten zugestanden wird.

Die Justiz ist also nur für die Verteidigung und die Angeklagten „in Zeitlupe“. Die Massenverurteilungen, die derzeit wegen Nichteinhaltung der Ausgangssperren verhängt werden, sind ein Beweis dafür. Man könnte statt von „Verlangsamung“ eher von „Beschleunigung“ oder „Intensivierung der Belästigungskapazität“ der Justiz und ihrer Bürokratien sprechen, zum großen Unglück der Aufständischen.

In der Tat sagt uns das Notstandsgesetz zur Bekämpfung der COVID-19-Epidemie1 vom 23. März 2020, das rasch in Dekrete und Verordnungen des Justizministeriums und dann in ein Rundschreiben des Justizministers2 umgesetzt wurde, dass von nun an Urteile in Strafvollzugsfällen (gegen Erwachsene und Minderjährige) und im Strafvollzug mit einem einzigen Richter (anstelle der üblichen mehreren) gefällt werden können; dass die Untersuchungshaft automatisch um bis zu sechs weitere Monate verlängert werden kann (das Rundschreiben des Justizministers empfiehlt den verschiedenen Gerichten ebenfalls, dies systematisch zu tun); dass Strafanpassungen ohne das physische Erscheinen des Angeklagten beschlossen werden können; dass der Jugendrichter ohne jede Anhörung oder Konsultation die derzeit auslaufenden Erziehungsmaßnahmen (wie z.B. die Unterbringung) verlängern kann… Und da den Richtern etwas mehr Zeit eingeräumt werden muss, wird die Frist für die DML-Untersuchung (Demande de Mise en Liberté) um einen Monat verlängert, und die Fristen für Anhörungen bei sofortigem Erscheinen werden unbegrenzt verlängert (während die Untersuchungshaft auch verlängert werden kann, ohne dass sie vor dem sofortigen Erscheinen vor einen Richter gebracht werden muss). Der Einsatz von Videokonferenzen wird bevorzugt, und wenn dies nicht möglich ist, was schade ist, kann eine GAV nun ohne einen Anwalt stattfinden, und Treffen zwischen Anwälten und Häftlingen finden nicht statt, selbst wenn ein Verfahren (z.B. DML) im Gange ist.

All diese Maßnahmen, die als Dringlichkeitsmaßnahmen ergriffen und als an den Kontext der gegenwärtigen Krise angepasste Antworten präsentiert wurden, bestätigen nur noch einmal für diejenigen, die noch Zweifel hatten, dass die grundlegende Aufgabe dieser Institution nach wie vor und um jeden Preis die Bestrafung derjenigen ist, die sich weigern, die sozialen Normen einzuhalten, die derzeit so wirksam wie möglich umgestaltet werden. Die gegenwärtige Gefangenenjustiz setzt Reformprojekte in die Praxis um, die weitgehend der Pandemie vorausgingen, um mit „automatisierten“, „vereinfachten“ Verfahren, insbesondere durch den Einsatz neuer Technologien, eine Gerechtigkeit zu erreichen.

Zu diesem Zweck wird inmitten all dieser Veränderungen in der Funktionsweise der Justiz per Dekret für die nächsten zwei Jahre ein neuer Algorithmus entwickelt: „DataJust“. Dieser Algorithmus wird eine Benchmark für die Entschädigung von Personenschäden erstellen, die bei aller angeblichen „Neutralität“ des Algorithmus (als ob diese „neutralen“ Algorithmen aus „neutralen“ Gründen und für „neutrale“ Zwecke entwickelt worden wären) die Höhe der jeweils zu gewährenden Entschädigung angeben soll. Wir können bereits einen Blick auf die Rhetorik und die Anwendungen werfen, die mit diesem Instrument einhergehen werden: Unter dem Deckmantel der „offenen Daten“ und der „Transparenz“ wird es eine zügige Anwendung des Verweises sein, dass wir bedient werden, und dann „legitim“: Hätte man uns nicht von Kindheit an und mit Transparenz davor gewarnt, dass das Zerbrechen der Brille eines Richters gleichbedeutend mit diesem und jenem Preis ist? Ihr wisst es natürlich!3 Die Gerechtigkeit ist also sehr gerecht, denn sie tut, was sie sagt, und jeder weiß es!

Der Gesundheitsnotstand und seine „Ausnahme“ sind eine Gelegenheit, die Justiz schnell und dauerhaft umzugestalten, indem eine Strafmaschine eingerichtet wird, die immer schneller, vorausschauender und so automatisiert wie möglich arbeitet.

Scheiß auf die Gerechtigkeit, immer und immer wieder!

8. April 2020.

 

3Einige Links über die jüngste Einführung von Data Just :
https://donotlink.it/aO43m
https://donotlink.it/66XR4

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Pandemie, Autorität und Freiheit https://panopticon.blackblogs.org/2020/04/10/pandemie-autoritaet-und-freiheit/ Fri, 10 Apr 2020 14:59:30 +0000 http://panopticon.blogsport.eu/?p=884 Continue reading ]]> Gefunden auf Non Fides

„Freiheit kann nur die Gesamtheit der Freiheit sein; ein Stück Freiheit ist keine Freiheit“.
Max Stirner, Der Einzige und sein Eigentum.

Mit der Ausbreitung der Pandemie geht der Flügel des Todes über jeden einzelnen von uns hinweg, während wir uns gleichzeitig alle unter einer ebenso autoritären wie ungeordneten staatlichen Verwaltung befinden. In der verallgemeinerten Entfremdung von allem, worauf wir bisher die Fähigkeit hatten, selbst wenn es illusorisch wäre, zu entscheiden, was mit uns selbst geschieht (aber ist die Fahrt mit der U-Bahn zur Arbeit wirklich eine Entscheidung, die wir selbst treffen?), sind dies nun Funktionen, die uns als offensichtliche Ausübung einer individuellen Grundfreiheit erscheinen, die sich verhindert, kontrolliert, kriminalisiert findet (aus dem Haus gehen, Brot kaufen, zu seinen Verwandten gehen, sich treffen, küssen, lieben usw.), und die „Barrieregesten“ regulieren sogar das tägliche und intime Verhalten der Eingeschlossenen.

Diese häufige Situation verdoppelt sich in gefährlicher Weise für all diejenigen, die in Gefangenschaft gehalten werden, für Gefangene in Gefängnissen oder Haftanstalten, für Obdachlose, die unter verabscheuungswürdigen Bedingungen abgestellt sind, für Patienten in psychiatrischen Krankenhäusern und EPHADs (Heime für abhängige ältere Menschen), eingesperrt von und mit der Autorität des Staates, in seiner totalen Gnade, ohne Besuche, ohne Blick von außen, aber auch diejenigen, die sich in Formen täglicher Autorität der Nähe eingesperrt sehen, in der Gnade eines misshandelnden Ehepartners oder misshandelnder Eltern, die derzeit keinen anderen Ausweg haben als die Familieneinheit.

Es ist noch nicht klar, was von dieser tödlichen Periode des „gesundheitlichen Notstands“ übrig bleiben wird, weder in Bezug auf die gesetzlichen Bestimmungen noch in Bezug auf die sozialen Vorstellungen und Verhaltensweisen.

Angesichts dieser beispiellosen Situation sind einige Menschen bereits in Inversionen verloren, die des schlimmsten Post-Situationismus würdig sind, wobei das Virus zu unserem „Retter“ für die schlauen Kinder von Lundi Matin wird, oder „die Verteidigung eines kranken Körpers, die erzwungene Einstellung einer überhitzten Erde, der Antikörper einer verlorenen Welt“ in einem Artikel mit dem Titel Pandemonium aus der Zeitschrift Véloce. Diese pseudo-nihilistischen und messianischen Behauptungen sind erbärmlich, stecken in dieser Welt an dem Ort fest, wo man am wenigsten denken, nachdenken, handeln und kämpfen kann. Wenn man es sich erspart, sie zu ihrem konsequent faschistischen Schluß („viva la muerte“, „me ne frego“) zu drängen, sind sie nur durch ein persönliches, bürgerliches und kindliches Bedürfnis nach Beruhigung gerechtfertigt, das einen offensichtlich daran hindert, sich der Situation zu stellen, außer zu denken, daß die Bildung von „Gruppen des guten Lebens“ etwas anderes ist als eine Alternative, die den Forderungen der Macht nicht einmal mehr minimal entgegensteht, da sie in jeder Hinsicht übereinstimmt… In diesem verabscheuungswürdigen Monolog des Virus (der an den vielleicht noch verabscheuungswürdigeren Der wahre Krieg erinnert) ist es immer diese religiöse und parafaschistische Rhetorik der Erlösung, des Guten gegen das Böse, die zum Gesunden gegen das Kranke wird, oder das Gegenteil, da man sich, im guten Mandarin, vor jeder Möglichkeit des Widerspruchs sicher glaubt.

Wenn wir diese (nicht) anekdotischen Aussparungen einer paraphysischen Metaphysik verlassen, die Pascal rückwärts (und Heidegger verkehrt herum…) liest, besteht der erste Reflex offensichtlich darin, an die Ausübung dieser „Freiheiten“ zu appellieren, die Tag für Tag zu entgleiten scheinen, sich den drängenden Zwängen des Augenblicks zu verweigern. So sehen wir hier und da Aufrufe zum Picknick, zum Feiern, dazu, den Maßnahmen der Gefangenschaft zu trotzen. Auszugehen, um rauszukommen, und nicht aus einem der Gründe, die auf den Kästchen des Ermächtigungsformulars angegeben sind, um seine legitimen Absichten vor den Bullen auszudrucken, anzukreuzen und zu unterschreiben, um seine legitimen Absichten vor den Bullen zu bestätigen, ist bereits eine Tapferkeit, und ja, wir werden mit beiden Füßen gegen diese Maßnahmen kämpfen müssen, die versuchen, uns einzusperren und uns in unerhörten Ausmaßen zu kontrollieren.

Aber, Freunde und Gefährten, wäre diese unerträgliche Situation nicht genau der Moment, in dem wir am Fuße der Mauer stehen und gezwungen sind (wenn wir uns ihr überhaupt stellen wollen), über „den Sinn nachzudenken, den wir dem Leben und unseren Aktivitäten geben wollen“ (siehe den Text Gibt es Leben vor dem Tod?).

Wenn der Staat (immer demokratisch, daran sollte man denken) so autoritär wird, dass er uns daran hindert, zu joggen oder das, was wir wollen, in den Einkaufskorb zu legen, müssen wir dann wirklich joggen und rennen, um uns dagegen zu wehren? Geht es wirklich darum, „die Kontrolle über unser Leben zu haben und zu behalten“, verstanden als die Tatsache, dass „jeder die Wahl hat, sich zu exponieren oder nicht, Risiken einzugehen, aber vor allem, sich nach eigenem Gutdünken um sich selbst zu kümmern“ [1]?

Liegt unsere Freiheit in diesen kleinen Stücken „Wahlfreiheit“, die uns normalerweise überlassen werden und die uns nun genommen wurden? wählt man bei der Ausübung seiner Freiheit wirklich „frei“, um sich den Virus „nach Belieben“ einzufangen oder zu verbreiten, um sich „nach Belieben“ zu heilen? Ist es nicht ein zutiefst liberaler und offenkundig kapriziöser Divualismus, sich den heute geltenden Kontroll- und Eindämmungsmassnahmen gegen die kleine „Freiheit“ zu widersetzen, mit seinen Haaren zu machen, was man will?

Es könnte heute wieder interessant werden, für jeden, der sich für das anarchistische Projekt und seine Geschichte interessiert, aber auch weit darüber hinaus, sich an seine historisch individualistische anarchistische Strömung zu erinnern, die insbesondere durch den deutschen Philosophen Max Stirner inspiriert wurde, der der Freiheit eine Definition gab, die sich von ihrer heutigen liberalen und demokratischen Bedeutung stark unterscheidet, die in Bausatz und Form zugeschnitten und bis zum Exzess konjugiert wurde, manchmal sogar unter Anarchisten: „Alles, was du willst, ist Freiheit. Warum feilschen Sie um ein bisschen mehr oder ein bisschen weniger Freiheit? Freiheit kann nur eine ganze Freiheit sein; ein Stück Freiheit ist keine Freiheit. Sie bezweifeln, dass die totale Freiheit, die Freiheit aller, etwas ist, das man sich aneignen muss, Sie halten es sogar für Wahnsinn, sie nur zu begehren? Hören Sie also auf, dem Geist hinterherzulaufen, und richten Sie Ihre Bemühungen auf etwas Besseres als das Unerreichbare [2]“.

Diejenigen, die sich mit den schlimmsten Realitäten dieser Maßnahmen auseinandersetzen müssen, zeigen dies eindringlich: Es sind Revolte, Kampf und Solidarität, die diesem weit verbreiteten autoritären Einfluss gleichkommen. Meutereien und Revolten in Gefängnissen und Haftanstalten, Mietstreiks, Streiks derjenigen, die zur Arbeit gezwungen und der Verbreitung des Virus ausgesetzt sind, und hier werden wir Texte und Vorschläge verbreiten, die in diese Richtung gehen.

Freiheit ist viel mehr als das, was der Staat uns wegnehmen, uns geben, wegnehmen und uns wieder zurückgeben kann. Freiheit ist Kampf und Revolte.

Immer im Krieg mit dem Staat und dem Kapitalismus, lang lebe die Freiheit, lang lebe die Revolution.

30. März 2020

Einige Mitwirkende bei Non Fides.

[1] Auszug aus einem Text mit dem Titel Gegen den allgemeinen Hausarrest, dessen Protest gegen Polizeikontrollen natürlich gerechtfertigt ist.

2] Max Stirner, Der Einige und sein Eigentum, Teil zwei, Ich der Einzige.

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