Soligruppe für Gefangene – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org Für die Anarchie! Knäste, Staat, Patriarchat und Kapital abschaffen! Tue, 25 Feb 2025 10:50:07 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://panopticon.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1233/2020/02/cropped-discharge-degenerik-blog-1-32x32.jpg Soligruppe für Gefangene – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org 32 32 Wählt nicht eure Henker! Es geht darum keine mehr zu haben! https://panopticon.blackblogs.org/2025/02/20/waehlt-nicht-eure-henker-es-geht-darum-keine-mehr-zu-haben/ Thu, 20 Feb 2025 07:31:33 +0000 https://panopticon.blackblogs.org/?p=6192 Continue reading ]]>

Wählt nicht eure Henker! Es geht darum keine mehr zu haben!

Die Demokratie ist die effizienteste Herrschaft für die Bourgeoisie, sie soll eine Gesellschaft vereinen die durch Klassen aufgeteilt ist, sie soll mit dem Anschein der friedlichen Koexistenz dass vereinen was unwiderruflich im Konflikt steht, was eine der essentiellen Fundamente des Kapitalismus ist. Sie gibt den Proleten, via Suggestion, das Gefühl dass sie an den Entscheidungen dieser Gesellschaft teilnehmen können und würden. Aber am Tag nach den Wahlen, genauso wie am Tag davor, gibt es für die Proleten nur Ausbeutung, Unterdrückung, Repression, Kriege, Wohnungsnot, Gesundheitsprobleme … . Nichts neues unter der Sonne.

Die Demokratie ist eine der Krönung des Kapitalismus, der Trennung zwischen dem Denken und dem Handeln (auch Aktion), nicht nur die Aufteilung in denen die die Produktionsmittel besitzen (Bourgeoisie) und denen die nur ihre Arbeitskraft zum Verkauf haben (Proletariat), sondern auch in denen die Entscheidungen treffen (herrschende Klasse, Politikerinnen und Politiker, Parteien, Regierungen, Gewerkschaften/Syndikate, usw.) und denen die sie ausführen müssen (immer noch Proletariat). Wie gesagt, die Suggestion der Teilnahme an gesellschaftlich wichtigen Entscheidungen soll den Proleten glauben lassen sie würden mitentscheiden. Doch was dürfen all jene Entscheiden die aufgerufen werden ihre Stimme abzugeben, also bis zur nächsten Wahl ohne Stimme – passiv -, außer ihre nächsten Herrscherinnen und Herrscher?

Wenn Politik die entfremdete und entfremdende Form des Treffens von Entscheidungen über das Leben in dieser Gesellschaft sind, dann ist diese Form der Entfremdung die Weiterführung einer Gesellschaft wo Denken und Handeln strikt voneinander getrennt werden. Die Ausgebeuteten, Marginalisierten, Habenichts wissen genau dass sie einer Gruppen von Parteien und deren Politikerinnen und Politiker ihre eigene Angelegenheiten delegiert haben, wenn überhaupt. Die entfremdende Aufteilung in Denken und Handeln ist kristallisiert sich nicht nur in Wählenden und Gewählten, sondern sie gestaltet diese Gesellschaft der Spezialisation wo das Individuum nicht ohne Grund sich so machtlos, so atomisiert, so alleine fühlt. Dies hat historisch die anarchistische Bewegung immer kritisiert und angegriffen, genauso wie dieses falsche Konzept der Freiheit was am Ende nur der Freiheit der herrschenden Klasse entspricht.

Diese Freiheit – die nichts anderes ist als die Freiheit der herrschenden Klasse – ist nur ein Nebenprodukt der wahren Freiheiten im Kapitalismus, der Freiheit für die Zirkulation von Waren, der Freiheit seine Meinung in politischen Entscheidungen in Wahlen abzugeben (ohne dabei die Gesellschaft zu verändern), aber vor allem Frei von Eigentum an den Produktionsmitteln zu sein.

Jede Stimme in den kommenden Wahlen – sowie in vergangenen und kommenden – ist eine Stimme für den Staat und den Kapitalismus. Damit wird klar und deutlich die herrschende Klasse und der Staat als Garant der Ordnung jede Legitimität zugesprochen, sogar wenn du ungültig wählst.

Jede Stimme ist daher eine Stimme für den Kapitalismus, für seine Ausbeutung, für die Verteidigung Nationaler Territorien und deren Grenzen, für Kriege, für die Zerstörung aller Spezies auf diesen Planeten.

Warum wird die Frage sein, weil durch deine Stimme du dem zustimmst dass eine neue Regierung den Staat verwaltet, das soziale Probleme durch den Staat gelöst werden können und dass können sie nicht.

Gegen den Staat und den Kapitalismus bedeutet auch gegen seine zirkusartige Legitimation durch Wahlen, gegen alle Parteien, alle Gewerkschaften/Syndikate, allen Avantgarden, allen falschen Anarchistinnen und Anarchisten die wählen gehen und das Wählen verteidigen.

Anarchie und unversöhnliche Haltung gegen allen Feinden der Freiheit.

Soligruppe für die soziale Revolution (und Gefangene)


Mehr Texte die die Demokratie kritisieren findest du hier und hier.

]]> Diskussionsveranstaltung zum Krieg in der Ukraine und die Rolle der anarchistischen Bewegung darin https://panopticon.blackblogs.org/2023/04/18/diskussionsveranstaltung-zum-krieg-in-der-ukraine-und-die-rolle-der-anarchistischen-bewegung-darin/ Tue, 18 Apr 2023 13:29:59 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=4917 Continue reading ]]> Am Samstag den 22. April, werden wir im Versammlungsraum im Mehringhof, Gneisenaustr. 2A, Berlin, DE 10961, um 18:00 Uhr eine Diskussionsveranstaltung zum ‚Krieg in der Ukraine und die Rolle der anarchistischen Bewegung darin‘ halten.

Es ist offenkundig dass die anarchistische Bewegung, mal wieder, in eine weitere Krise geraten ist. Zwei, wenn auch kleine, aber laute, Positionen stehen sich im deutschsprachigem gegenüber, man ist sich nicht einig welche die richtige Haltung im Krieg in der Ukraine ist. Es gibt jene die der Meinung sind man muss den demokratischen Staat Ukraine gegen die ‚faschistische‘ Aggression Russlands verteidigen und es gibt jene die der Meinung sind, man muss den demokratischen Staat Russland gegen die Aggression der NATO verteidigen. Dann kommen eine Menge an Leute und Gruppen die lieber, aus Angst, aus Unsicherheit, aus Verwirrung, nichts sagen, und dann kommt eine sehr kleine Minderheit in der anarchistischen Bewegung, also wir unter anderem, die beide oben erwähnten entgegengestellten Positionen für eine falsch Dichotomie halten und als das kritisieren was sie sind. Nämlich nützliche, wenn auch irrelevante, Handlager herrschender Interessen, die durch die Verteidigung der Nation-Staat und des Kapitalismus die Prinzipien und Ideen des Anarchismus verraten und verfälscht haben.

Diese Krise manifestiert sich durch mehrere Anlässe, sei es aus historischen, vom Ersten Weltkrieg bis unsere Zeit, durch, wenn man trotzdem seit 150 Jahre darüber redet, eine Unfähigkeit den kapitalistischen Staat, sowie deren Funktionen und Aufgaben zu verstehen, um diesen kritisieren und anzugreifen.

Dieser Krieg, wie alle anderen, dient allein dazu die Interessen der Fraktionen der herrschenden Klasse, die in Konflikt zueinander stehen, durchzusetzen. Die herrschende Klasse muss die Arbeiterinnen und Arbeiter davon überzeugen, dass diese Interessen sich mit den eigenen decken, dass die Verteidigung der Nation, des Staates, die Verteidigung der Interessen der Arbeiterinnen und Arbeiter ist. Zivilisation gegen Barbarei, Demokratie gegen Faschismus, usw., und am Ende werden eben jene Arbeiterinnen und Arbeiter ins Schlachthaus geschickt, damit sie sich für die Interessen der herrschenden Klasse massakrieren.

Unsere Position als eine anarchistische Gruppe ist klar, es gibt nur eine Möglichkeit die Krieges des Kapitals zu beenden, das heißt soziale Revolution, Zerstörung aller Staaten, Nationen, Grenzen, Armeen, Geld, Akkumulation, Ware, Religion, Patriarchat und einiges mehr.

Samstag 22. April, Mehringhof, Gneisenaustr. 2A, Berlin, DE 10961, um 18:00 Uhr

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(1. April 2023) Diskussionsveranstaltung zum ‚Aufständischen Anarchismus’ https://panopticon.blackblogs.org/2023/03/25/1-april-2023-diskussionsveranstaltung-zum-aufstaendischen-anarchismus/ Sat, 25 Mar 2023 10:57:28 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=4864 Continue reading ]]> Am Samstag den 1. April, werden wir im Versammlungsraum im Mehringhof, Gneisenaustr. 2A, Berlin, DE 10961, um 18:00 Uhr eine Diskussionsveranstaltung zum ‚Aufständischen Anarchismus‘ halten. Eine Strömung in der anarchistischen Bewegung die im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren zu einigen kontroversen geführt hat. Einige verteidigen diese, andere kritisieren sie und machen sie für viele Probleme innerhalb der anarchistischen Bewegung verantwortlich. Wissen in der Regel die Befürwortenden, sowie deren Kritisierenden worüber sie reden, oder bedient man sich Klischees, falschen Annahmen, leere Aussagen und Meinungen?

Was ist und was macht aber diese Strömung denn aus? Handelt es sich hier um die Ideologie des gewalttätigen Anarchismus, oder wird sie als Fetischismus der Gewalt und der Waffen (Insurrektionalismus als Ideologie) verwendet und dabei falsch verstanden. Ist es eine Ideologie, oder ist es ein Werkzeug für die Praxis, welches durch vielen Überlegungen entstanden ist? Ist diese Strömung neu, oder baut sie auf die anarchistische Geschichte auf, sowie deren Niederlagen und Erfolgen und daher an sich ein altes Werkzeug, was seit den 1970ern die anarchistische Praxis aktualisiert und zeitgenössisch macht? Ist die Affinitätsgruppe eine Bezugsgruppe die punktuell hier und da was macht, oder eine Form tiefgreifender, langjähriger Zusammenarbeit die aus einem gegenseitigen Vertrauen, vielen Debatten und einer Praxis sich herausbildet? Ist es ein Vorschlag für die soziale Revolution, oder nur Remmidemmi?

Wir werden daher die Veranstaltung in fünf Teilen aufteilen, einer Einleitung, einem historischen Rückblick bis zu unseren Tagen, um die Vorschläge anarchistischer Projekte aus Italien, (aber nur?) sowie deren Entwicklung verstehen zu können. Und zum Schluss sowohl eine Analyse der vielen Wieso´s und Warum´s im deutschsprachigem Raum und warum wir den ‚Aufständischen Anarchismus‘ verteidigen und als ein sinnvolles Werkzeug für die soziale Revolution halten.

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Vom Kampf gegen Windmühlen oder auch nicht. Zum Artikel „Antwort an die Soligruppe für Gefangene“ in der Publikation In der Tat Nummer 16 https://panopticon.blackblogs.org/2022/09/22/vom-kampf-gegen-windmuhlen-oder-auch-nicht-zum-artikel-antwort-an-die-soligruppe-fur-gefangene-in-der-publikation-in-der-tat-nummer-16/ Thu, 22 Sep 2022 08:58:45 +0000 https://panopticon.noblogs.org/?p=3425 Continue reading ]]> Vom Kampf gegen Windmühlen oder auch nicht. Zum Artikel „Antwort an die Soligruppe für Gefangene“ in der Publikation In der Tat Nummer 16

Nach unserer Kritik an der Ausgabe Nummer 15 der anarchistischen Zeitschrift In der Tat (nachzulesen hier) erschien nun eine Antwort auf diese in der aktuelle Ausgabe Nummer 16. Da uns die Antwort bisher nur in gedruckter Form vorliegt, können wir sie hier, auch wenn wir das gerne tun würden, nicht veröffentlichen und zum besseren Verständnis unserer nun folgenden Kritik nur auf die entsprechende Ausgabe der Zeitschrift verweisen. Vielleicht senden sie uns den Artikel ja auch noch wie versprochen zu, was bisher nicht passierte, dann werden wir ihn selbstverständlich ebenfalls hier auf dem Blog veröffentlichen, so wie es auch ursprünglich vereinbart war.

Unsere Kritik richtete sich vor allem gegen die Positionen, die wie uns scheint, nicht von wenigen Anarchisten und Anarchistinnen, beziehungsweise von Menschen, die sich als solche sehen, in Bezug auf den Krieg in der Ukraine eingenommen werden. Gemeint ist damit die Unterstützung oder zumindest das Begrüßen der Eingliederung von „anarchistischen“ Gruppen und Einzelpersonen in das ukrainische Militär und somit die Verteidigung des ukrainischen Staates auf der Basis, dass dies mit anarchistischen Grundsätzen in Einklang zu bringen sei oder dies das einzig richtige Verhalten von Anarchisten und Anarchistinnen in diesem Konflikt sein könne, wobei wir der Überzeugung sind, dass genau das Gegenteil der Fall ist. Aber all dies kann in unserer ursprünglichen Kritik nachgelesen werden. Von Anfang an, also schon vor der Veröffentlichung unserer Kritik haben wir mit Leuten von IdT darüber diskutiert und unsere geäußerte Kritik wurde belächelt und sich darüber lustig gemacht. Erst daraufhin kam es zu der ausführlichen Kritik in schriftlicher Form unsererseits, auf die sich in der Ausgabe Nummer 16 der IdT bezogen wird.

Nun wird uns in unserer Kritik Recht gegeben, aber irgendwie auch wieder nicht, unsere Kritik sei zwar richtig und gerechtfertigt, aber trotzdem würden wir „halluzinieren“ und in dieser ganzen widersprüchlichen Antwort wird uns unterstellt, dass wir sie absichtlich missverstehen würden. Wobei sich uns auch die Frage stellt, wie es denn sein kann, dass wenn wir alles mögliche nur missverstanden und unterstellt haben, dann doch irgendwie zu einer gerechtfertigten und richtigen Kritik gekommen sind. Und nebenbei wird ein Großteil unserer Kritikpunkte von ihnen ignoriert, wie sie ja auch selbst in ihrer Antwort schreiben. Dabei scheinen sie nicht einsehen zu können oder zu wollen, dass es uns nicht bloß um die von der IdT unterlassene Kritik am Resistance Comittee ging. Kein Wort ist zu den von uns geäußerten Kritikpunkten an der Einleitung zu lesen, zum Thema Faschismus in der Ukraine und in den ukrainischen Kampfverbänden, denen sich die vermeintlichen AnarchistInnen angeschlossen haben, sowie vieles mehr, dass die IdT ein Interview mit Leuten führt und abdruckt, die gemeinsame Sache mit Faschisten und einem Staat machen und zum Thema der Gefühle wird so getan als handele sich nur um eine reine Frage der Wortwahl, also des Stils oder der Ästhetik, und nicht darum, dass die IdT anscheinend ihre Haltung dazu nur auf einer emotionalen Ebene wiedergeben kann und nicht klar und deutlich mit auf Fakten beruhenden Argumenten darlegt. Stattdessen wird uns vorgeworfen, dass wir „halluzinieren“ und polemisieren würden. Hierzu ist von unserer Seite nur erneut zu unterstreichen, dass es sich bei unserem Text nicht um eine Ansammlung von Vorwürfen gehandelt hat und es war und ist auch nicht unser Ziel irgendjemanden zu demütigen oder fertig zu machen, sondern wir haben Kritik geübt, die wir auch begründen, weshalb wir auch den Vorwurf, es handele sich bei unserem Text hauptsächlich um eine Polemik nicht gelten lassen. Dass in der IdT nun behauptet wird, dass wir „wohlweislich“ den in derselben Ausgabe wie das Interview erschienenen Text über Bakunin ignoriert haben, weil dieser ja dazu geführt hätte, dass wir die vermeintlich eigentliche Intention hinter dem abgedruckten Interview erkennen hätten müssen, wirkt wie ein weiterer Versuch unsere Kritik als böse Absicht hinzustellen, die, obwohl sie ja richtig ist, trotzdem nicht berechtigt sei. Wir können dazu nur sagen, dass es sich uns nicht erschließt inwiefern ein Artikel, der eine persönliche Einschätzung zu einem Bakunin-Zitat von vor 150 Jahren wiedergibt, das abgedruckte Interview oder die Entscheidung, dieses in eben dieser Form abzudrucken, in einem besseren Licht erscheinen lässt.

Dadurch dass sich die IdT in ihrer Antwort nun umso vehementer gegen Krieg und Pseudo-AnarchistInnen positioniert und diese angreift, war unsere Kritik offensichtlich nur um so richtiger und anscheinend können oder wollen sie sich das aber einfach nicht eingestehen. Auch dass nun geschrieben wird, dass die Absicht hinter dem Interview gewesen sei, dass sich das Resistance Comittee selbst als das, was es wirklich sei, entlarve und diese Selbstentlarvung zu dokumentieren und dass deren konterrevolutionärer Charakter Ende Mai noch nicht klar erkennbar gewesen sei, lässt entweder auf mangelhafte Recherche zu dieser Gruppe schließen (wir verweisen an dieser Stelle auf unseren Text Gegen die Kriege des Kapitalismus lautet unsere Antwort sozialer Krieg veröffentlicht am 02.03.2022, der ja auch in der Antwort auf unsere Kritik lobende Erwähnung findet oder auf etliche Artikel1 die in der bourgeoisen Presse veröffentlicht wurden – hier nur ein Auszug, es gibt viele mehr – die meisten davon schon Mitte März, ganz abgesehen das etliche Interviews und Artikel an und über Operation Solidarity und an dem Resistance Committee2 schon lange vor dem Druck der Nummer 15 der IdT öffentlich waren.) oder ist einfach nur eine Ex-post-Rechtfertigung, ein getarnter Enthüllungsjournalismus der alle Geheimnisse entlarvt, ganz nach der Art die Ermordung Franz Ferdinands sei zusammen mit der russischen Niederlage bei der Schlacht am Tannenberg im August 1914 ein bolschewistischer Komplott und Hindenburg in Wahrheit ein Bolschewist gewesen, um schließlich die russische Revolution auszulösen und um schlussendlich Lenin und die Bolschewiki auf den Thron der Romanows zu katapultieren. Des Weiteren behauptet IdT in ihrer Antwort, dass schlicht niemand außer uns die letzte Ausgabe so verstanden habe wie wir, woher auch immer sie das wissen wollen, vielleicht hat sich auch einfach niemand die Mühe gemacht sie damit zu konfrontieren. Und selbst wenn wir die einzigen gewesen sein sollten, die die letzte Ausgabe kritisch gesehen haben, was sagt das dann aus? Rein gar nichts, es sei denn man vertritt eine Position, die wir der IdT nicht zutrauen und im Grunde auch nicht unterstellen wollen, in der die Mehrheit Recht hat, weil sie die Mehrheit ist, und die Minderheit immer falsch liegt, weil ihr Standpunkt sonst ja dem der Mehrheit entsprechen würde. Und ohne allzu polemisch rüberkommen zu wollen, dass im gleichen Atemzug geschrieben wird, dass sollten Menschen doch auch unsere Kritik teilen, die IdT hoffe, dass diese Menschen trotzdem weiterhin die Zeitschrift lesen, ist in unseren Augen ganz schön anbiedernd bis erbärmlich.

Zum Abschluss sei vielleicht noch so viel gesagt, nein unsere Kritik kommt nicht in elitärer Pose vom hohen Ross, uns war es nur wichtig ausführlich und unmissverständlich unsere Kritik darzulegen und schlussendlich scheint sie ja auch ein paar Früchte getragen zu haben. Immerhin hat sie dazu geführt, dass sich die IdT genötigt gefühlt hat klar Stellung zu beziehen, auch wenn uns die Fabrikation von Unterstellungen, Missverständnisse, Polemik und Halluzinationen untergeschoben werden, ganz so als wären wir eine Art Don Quijote, der meint gegen Riesen zu kämpfen, während uns In der Tat in der Rolle des Sancho Panza versucht klar zu machen, dass es sich nur um Windmühlen handelt. Wer in der ganzen Handlung Rocinante spielt, wissen wir aber noch nicht. Des Weiteren trägt es auch nicht zum besseren Verständnis bei, dass die IdT über den Onlineversand Black Mosquito vertrieben wurde (ob das immer noch der Fall ist, wissen wir nicht), der Solishirts und Poster für Solidarity Collective ehemals Operation Solidarity herstellt und verkauft. Auch wenn man keinen Einfluss darauf hat, wo die eigene Publikation am Ende ausliegt und neben welchen anderen Zeitschriften, über welchen Onlineversand sie vertrieben wird, kann jedoch durchaus beeinflusst werden. Wir hätten gerne eine wirkliche Diskussion mit In der Tat geführt, aber offensichtlich wollen sie das nicht. Wir hätten hier auch noch durchaus weiter in die Tiefe gehen, einige Punkte weiter ausführen könne, aber ehrlich gesagt, haben wir daran kein Interesse, zumindest nicht als ein angeblicher Schlagabtausch mit IdT.


2(Englisch) Frontline Hooligan: Ukraine’s Anti-Fascist Football Ultras Fighting Russian Invasion, Popular Front, 16.06.2022
(Deutsch) Resistance Committee – Anti-autoritäre Truppen [#Ukraine], enough-is-enough14, 02.03.2022
(Deutsch) Operation Solidarity [Ukraine], enough-is-enough14, 06.03.2022

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Zu der Ausgabe Nummer 15 der anarchistischen Zeitschrift „In der Tat“, eine Kritik und warum Wörter viel bedeuten, über rhetorische Stilmittel und die Praxis daraus https://panopticon.blackblogs.org/2022/08/07/zu-der-ausgabe-nummer-15-der-anarchistischen-zeitschrift-in-der-tat-eine-kritik-und-warum-worter-viel-bedeuten-uber-rhetorische-stilmittel-und-die-praxis-daraus/ Sun, 07 Aug 2022 10:56:23 +0000 https://panopticon.noblogs.org/?p=2874 Continue reading ]]> Zu der Ausgabe Nummer 15 der anarchistischen Zeitschrift „In der Tat“, eine Kritik und warum Wörter viel bedeuten, über rhetorische Stilmittel und die Praxis daraus

Einleitung

Der folgende Text ist von uns als Kritik an der Ausgabe Nummer 15 der Publikation In der Tat verfasst worden. In dieser Ausgabe wurde neben anderen Texten zum Krieg zwischen Russland und der Ukraine ein Interview mit dem Resistance Comittee abgedruckt, das sich als anarchistisch bezeichnet und an der Seite und unter der Kontrolle des ukrainischen Militärs in diesem Konflikt kämpft. Nun mag es ja manchen Menschen egal sein, ob sich andere Menschen und Gruppen als anarchistisch bezeichnen ohne es zu sein und uns ging es in der nachfolgenden Kritik auch nicht darum einen reinen oder wahren Anarchismus, so fern es denn so etwas überhaupt geben sollte, zu predigen, womit wir aber ein Problem haben ist, wenn sich Menschen, in diesem Fall das Resistance Comittee, Anarchistinnen und Anarchisten nennen, während sie gleichzeitig gegen anarchistische Grundprinzipien verstoßen, indem sie anstatt den Staat zu zerstören oder zumindest danach zu streben dies zu tun, Hand in Hand mit der nationalen Armee einen Staat verteidigen, und wenn solchen Gruppen dann auch noch eine Plattform in Form eines Interviews geboten wird, dann erachten wir es als notwendig dies anzusprechen und aufs Schärfste zu kritisieren. Denn dieses Interview ließ jede Schärfe oder kritisches Nachfragen auf kläglichstes vermissen, ganz im Gegenteil der interessierte Leser durfte am Ende noch erfahren wie er diese konterrevolutionären Vaterlandsverteidiger und staatstreuen „Anarchisten“ und „Anarchistinnen“ unterstützen kann, aber dazu mehr im Text.

Dabei betonen wir hier noch einmal, wenn Einzelpersonen oder Gruppen sich dazu entscheiden an einem bewaffneten-militärischer Konflikt zwischen Staaten teilzunehmen, wie der in der Ukraine, aus welchem Grund auch immer, kann man das akzeptieren oder respektieren oder eben auch nicht, aber am Ende bleibt es die Entscheidung der jeweiligen Personen. Wenn dies aber mit der Idee des Anarchismus gerechtfertigt wird, wenn dies aber mit einem idealisierten Anarchismus gerechtfertigt wird, ganz im Wahnsinn der Widersprüche gefangen, wie es auch schon zuvor in der Geschichte passiert ist, sehen wir es als notwendig an, auf diese falsche Argumentation hinzuweisen und dies auch öffentlich kundzutun.

Wir haben In der Tat selbstverständlich angeboten unsere Kritik in der nächsten Ausgabe zu veröffentlichen, womit auch eine öffentliche Diskussion/Debatte unter anarchistischen Gruppen/Projekten/Kollektiven/Individuen angeregt werden sollte, und hätten sie dann im Nachgang auch auf unserem Blog veröffentlicht. Leider wollte In der Tat unsere Kritik in diesem Umfang nicht veröffentlichen und da wir sie weder von uns noch von anderen kürzen lassen wollten, erscheint sie vorläufig nur auf diesem Blog, wer weiß vielleicht erblickt sie irgendwann auch noch in anderer Form das Licht der Welt.


Zu der Ausgabe Nummer 15 der anarchistischen Zeitschrift „In der Tat“, eine Kritik und warum Wörter viel bedeuten, über rhetorische Stilmittel und die Praxis daraus

Verwirrt sind nur die Verwirrten, die Klarheit des Denken kann nur durch Taten folgen und diese werden nie verwirrt sein“ (Spruch aus einem Pissoir)

Die hier niedergeschriebene Kritik kann als ein Beitrag zu einer Debatte verstanden werden oder als das, was es eigentlich ist, ein Angriff gegen die Konterrevolution in unserer Bewegung.

Seit dem Ausbruch des Krieges in der Ukraine springen sehr viele Anarchisten und Anarchistinnen, was ihre Positionen angeht, wie Tennisbälle hin und her. Diese Positionen spiegeln sich, wenn nicht genau hingeschaut wird, nur auf die Ereignisse dieses Krieges, aber sie stellen vieles mehr zur Schau. Durch dieses hin und her Springen offenbart sich deren wahre Charakter. Der geläufigste Begriff dazu, wir meinen dieses hin und her Springen, der gerade vermehrt verwendet wird, in Texten, in Gesprächen, bei Debatten, Diskussionen, ist der der Verwirrung, man wüsste nicht was zu tun sei. Für uns offenbart es etwas viel Enstzunehmenderes, nämlich dass hinter den ganzen pseudo-revolutionären Parolen/Theorien und pseudo-revolutionärer Praxis in Wirklichkeit nichts ist, dass sich dahinter nur reformistische und konterrevolutionäre Kräfte sammeln, die von einem Moment zum anderen die ärgsten Feinde und Feindinnen des Staates, der Nation, des Kapitalismus usw. zu sein vorgeben, um als nächstes ihre ärgsten Befürworter und Befürworterinnen zu sein. Was letztendlich bedeutet, dass sie nicht revolutionär sind, sondern nur das Gegenteilige. Alles erweist sich mal wieder nach der falschen Realität der verdrehten Welt, doch holt die reale Realität immer wieder die Leute ein, wo jede Szeneparole nur innerhalb des Ghettos ein Echo erzeugt, stellt sich diese in der Realität als Großmaulerei fest, die dann im Angesicht von Konsequenzen zu Angst und Verwirrung führt.

Wir haben etwas mit uns gerungen, wie wir diese Kritik schildern, gemeint ist der Ablauf, nicht ob wir eine Kritik machen würden, denn es wäre evtl. verständlicher, könnte die Leserinnen und Leser aber auch einfach nur langweilen. Nichts desto trotz hat dieser Ablauf mit vielen Zufällen zu tun, wo unter Umständen all dies gar nicht zu Stande gekommen wäre. Summa summarum geht es darum, wie wir überhaupt an diese Ausgabe der In der Tat (ab hier IdT) gekommen sind und was bis dahin alles passierte, denn ohne dies wäre dies hier unter Umständen gar nicht entstanden, aber wer weiß. Denn erst durch einen Zufall haben wir die letzte Ausgabe kriegen können, zuerst nur Fragmente und danach eine vollständige analoge Ausgabe. Diese ganze Accumulatio an Zufällen führte uns zur Kritik, hätten wir die Ausgabe von Anfang an gehabt, wäre dies gar nicht zustande gekommen, aber wer weiß. Wir wiederholen hier gerade einen sogenannten Akzismus.

Ohne einen Captatio Benevolentiae machen zu wollen, bitten wir darum dies zu berücksichtigen. Aber ganz ohne eine Enumeration kommen wir auch nicht aus. Nun vor einigen Wochen, ende Mai, fragten wir mehrere Gefährten und Gefährtinnen ob es denn schon eine neue Ausgabe der IdT geben würde, denn es hieß, dass im Mai eine erscheinen sollte und hier in Berlin war noch keine zu finden. Ein Paar (also zwei) erwiderten, dass sie diese letzte Ausgabe erhalten hätten und dass darin der Schwerpunkt der Krieg in der Ukraine sei und dass außerdem zwei Interviews gemacht worden seien. Nämlich mit dem Resistance Comittee (ab hier RC) aus der Ukraine und anarchy2day aus der Russischen Föderation.

Wir folgen nicht nur mit viel Interesse und Besorgnis alle Geschehnisse um den Krieg in der Ukraine, sowie deren Auswirkungen international, sondern es war und ist uns wichtig alle möglichen Texte, die von revolutionären Gruppen veröffentlicht wurden, ins Deutsche zu übersetzen, die die klare Haltung vertreten, dass es nur den einen Staat gibt, nämlich den kapitalistischen, dass alle Kriege nur den Interessen des Kapitals dienen und dass die einzige Lösung darin besteht den Staat und den Kapitalismus ohne Umwege und ohne Übergänge zu zerstören. Also eigentlich nichts neues unter der Sonne was die Ziele des Anarchismus und des Kommunismus betreffen. Diese Übersetzungen sollten auch dazu dienen, dass man sich entweder an einer Debatte beteiligen kann, oder zumindest sich bewusst ist, dass eine solche international geführt wird. Es sollte aber erwähnt werden, dass diese Debatte in einer reaktionären und konterrevolutionären Form auch geführt wird, in der sich anarchistische Gruppen als die letzte Barrikade des Kapitalismus und des Staates formiert haben, indem sie dazu aufrufen die effektivste Form der Herrschaft des Kapitals, die Demokratie, zu schützen.

Es stellte sich schnell heraus, zumindest in den letzten Monaten, dass die revolutionären Positionen und Haltungen gegen den Krieg, daraus folgend im Allgemeinen, gegen jede darin beteiligte Seite/Partei, die einer Minderheit sei und dass ganze wenige diese verteidigen würden, während der Rest sich in seiner Verwirrung, die sich wie immer nicht nur auf den Krieg, sondern auf alles entpuppte, krümmten, verdrehten und in ein geistiges Nirvana drifteten.

Daher waren wir, ohne die Interviews oder die Ausgabe gelesen zu haben, sehr entsetzt, dass zumindest eine Gruppe, wir meinen RC, die eine Organisation ist, die aus angeblichen Anarchisten und Anarchistinnen, Antifaschistinnen und Antifaschisten sowie aus Antiautoritären besteht, die in dem sie den ukrainischen Staat verteidigen, ergo die Verwaltung des Kapitalismus dort, ergo den Kapitalismus und den Staat überhaupt, sich selbst als Patrioten darstellen, ganz klar die Ideen des Anarchismus verraten haben und nichts mehr damit zu tun haben können, dass ihnen ein Sprachraum wie die IdT gegeben wurde, IdT stand plötzlich für uns da als ein weiteres Sprachrohr der Konterrevolution. Dies hat sich seit der Gründung des RC entlang vieler Interviews immer wieder bestätigt und diese Gruppe/Organisation hat sich kein bisschen davor versteckt ihre reaktionäre Haltung verschleiern zu müssen. Wir folgen der Publikation IdT seit Anbeginn und waren umso verwundeter, da der Ton dieser Zeitschrift immer scharf und direkt war, wenn auch oft idealistisch und manchmal metaphysisch argumentiert, eine Publikation, die auf der moralischen Ebene wie Ikarus immer den Himmel zu erreichen versuchte, aber uns interessiert weder Moral noch uns auf die Höhe der Götter zu schwingen, sondern sie zu stürzen. Es war uns sogar eigentlich egal, was in dem Interview gesagt worden ist, welche die Fragen waren, die Tatsache alleine eine Debatte oder ein Gespräch mit diesen Leuten zu führen bestätigte die fortdauernde Lage einer allgemeinen Verwirrung, die nicht der Krieg ausgelöst hat, sondern die viel älter ist und dass man außer hohlen Phrasen und selbstgefälliger Praxis nichts vorzuweisen hat, denn seit wann bietet man der Konterrevolution die eigene Publikationen an. Was würde denn als nächstes kommen? Ein Interview mit den Naxaliten? Die kämpfen ja immerhin gegen den Staat, auch wenn sie danach diesen übernehmen werden.

Es war ein genauso verwirrter „Gefährte“, der zum Krieg schon alle Positionen verteidigt hat, so nett und fotografierte uns die Interviews, damit wir sie lesen konnten, denn bis zu diesem Zeitpunkt war immer noch keine Ausgabe in Berlin zu finden, oder niemand wollte sie uns aushändigen, wahrscheinlich waren wir die einzigen, die bis dato so vehement nach den Ausgaben der IdT in Berlin nachgefragt hatten.

Zu den Interviews selbst ist nicht viel zu sagen, die Fragen waren weder konfrontativ, noch kritisch noch wurde anscheinend an irgendeinem Punkt nachgefragt. Sowohl mit dem RC, als auch mit Gruppen wie Operation Solidarity oder anderen angeblichen anarchistischen Gruppen und Individuen wurden schon etliche Interviews gemacht und die gleichen sich alle sehr stark, auch wenn wir schon einige vorgefunden haben, wo wenigstens ein paar direkte Fragen, die nach einer Kritik klangen, gestellt wurden. Die Fragen von IdT sind eigentlich sehr nett und höflich formuliert, man wäre über die Haltung und Entscheidungen dieser vermeintlichen Anarchisten und Anarchistinnen „irritiert“ und es würde gewisse „Zweifel“ hinterlassen, mehr aber anscheinend auch nicht. Weder RC noch anarchy2day wurden in der Wortwahl klar kritisiert, ganz zu schweigen von angegriffen, jedes Boulevardmagazin ist in der Rede da direkter, IdT verlor sich in einer Objektivität der Leere. Wir fragten uns nach der Intention von IdT, was sie bezwecken wollten, denn wenn Fragen gestellt werden, die nicht kritisch sind, nicht mal unbequem, ist die Publikation entweder inkonsequent – war die Kritik ernst gemeint? – und man bot RC eine klare Plattform an, um sich ausdrücken zu können, wo sie ja sogar Werbung für ihre Sache machen konnten. Man spielte der Ideologie der Konterrevolution voll in die Hände. Die Antworten in beiden Interviews waren, wie es meistens der Fall gewesen ist, ausweichend, es wurde eigentlich selten auf die Frage eingegangen und alles blieb wie immer vage, außer beim Opportunismus, der Vaterlandsliebe1, dem Reformismus, der konterrevolutionären Haltung usw… also ein klarer Ausdruck der Linken des Kapitals. Da der russische Staat letztendlich der Schlimmere sei, mal abgesehen, dass dies einen immer zu der Verteidigung des Staates und des Kapitalismus katapultiert, denn wo es schlimme Staaten gibt, gibt es auch am Ende gute Staaten2, die es zu schützen gilt, gelte es die Ukraine zu schützen. Ganz die Sprache der SPD 1914 und der Bolschewiki ab 1918. Nicht mehr der kapitalistische Staat ist das Problem, sondern anscheinend nur noch dieser oder jener Staat. Die revolutionären Parolen/Theorie wurde wieder einmal zugunsten der bourgeoise Parole des Faschismus oder Demokratie aufgegeben, sollte die Parole immer noch Kapitalismus oder Anarchie, bzw. soziale Revolution oder Konterrevolution sein.

„Der Opportunismus will sich mit ihnen verbinden und teil an der neuen Herrschaft nehmen; indem er glaubt, sie in den Weg des Kommunismus lenken zu können, wird er durch sie kompromittiert.“ Anton Pannekoek, Weltrevolution und kommunistische Taktik, 1920

Nachdem wir also die Interviews gelesen hatten, waren wir natürlich noch mehr außer uns, interessant wäre sich zu fragen wieso? IdT bezeichnete diese Verräter an den anarchistischen Ideen ja sogar als Gefährt*innen, daraus lässt sich für uns schließen, dass man sie irgendwie als Gleichgesinnte betrachtet. Also mussten wir dem Ganzen noch mehr auf den Grund gehen, dass war ja noch nicht die Klimax des Ganzen. Auf der Suche nach einer plausiblen Erklärung fragten wir nach und es wurde uns versichert, dass wir falsch liegen würden, dass man die ganze Ausgabe lesen sollte, vor allem die Einleitung dieser Ausgabe, wo man sich voll von all dem distanzieren würde. All das, was uns versichert wurde, auf was wir nochmals eingehen werden, ließen wir sacken und wir warteten bis uns eines Tages am Ende per Post eine Ausgabe erreichte.

Nun haben wir am Ende die komplette Ausgabe gelesen und es ist nicht besser geworden, aber jetzt können wir auf den Punkt gehen. Die sogenannte Einleitung, die den Namen „Auf niemandes Seite! Einige kritische Anmerkungen zum Krieg in der Ukraine und anarchistischem Antimilitarismus“ trägt, entpuppte sich nicht als kritisch oder angreifend, sondern eher als ein Paradoxon, wo bei uns der Eindruck hinterlassen wurde, dass es sich hier um zwei Objekte handeln würde, die auf Kollisionskurs sind, aber de facto tun sie es nicht, nicht mal ansatzweise. Abgesehen davon, dass einige Daten und Fakten, die angegeben werden, falsch sind.

Einerseits werden die „anarchistischen Gefährt*innen“ aus der Ukraine sowie „ihre Positionen, Entscheidungen und Texte“ erfreulicherweise weltweit übersetzt und rezipiert, man würde es aber für „problematisch“ halten. IdT subsumiert die Haltung der Anarchisten und Anarchistinnen in der Ukraine auf drei Punkte: die Verteidigung der Demokratie, der Kampf gegen Russland, der zusammen mit der NATO geführt wird, und dass es sich hier um einen „russischen Angriffskrieg“ handeln würde. Nun es wäre fast ein Oxymoron, aber wo liegt der Unterschied zwischen einem Angriffs- und Verteidigungskrieg? Es gibt keinen.

IdT redet dann vage vor sich hin und wiederholt die ewigen bourgeoisen Mantras des Sinnes des Lebens, aber in anarchistischer Form konjugiert; „Was bedeutet es zu sagen, dass wir gegen jeden Krieg sind? Welche Konsequenzen hat unsere Ablehnung des Staates in der Theorie und der Praxis? Wie ist unser Verhältnis zur Demokratie, wenn eine Diktatur droht?3“ Um diesen kolossalen Spagat nicht zu überspannen, man konnte die Schreie beim Lesen noch hören, wird genauso vage und abstrakt in die Geschichte gesprungen. Mit einigen Beispiele, die später erörtert werden, wird die Klimax nochmals gespannt, denn; „Die anarchistischen Erfahrungen, Diskussionen und Reflexionen in diesen Umwälzungen4 und Krisen sind zahlreich, komplex und oft widersprüchlich.“ Wir persönlich lieben solche Ausführungen, ein Kopf an Kopf rennen zwischen Tautologien und schrecklich-erfreuliche Pleonasmen. Da der Krieg Krieg ist, und der Anarchismus eine Aneinanderreihung nie aufhörender Widersprüche – ob im Sinne von Hegel? – stellt jeder Titan schnell fest, dass seine Größe unbedeutend ist, wenn er sich nicht bewegen kann.

Die historischen Beispiele waren einige, wenn auch willkürliche, einerseits geht es um „russische Anarchist*innen“ im Jahr 1905, wahrscheinlich im Verlauf der Revolution, die nichts von der Demokratie wissen wollten. Warum denn auch? Anscheinend ein Beispiel an Anarchisten und Anarchistinnen, die an ihren Ideen festgehalten haben. Über den, wie IdT es selber nennt, „Disput“ zwischen 15 Anarchisten und Anarchistinnen und fast der restlichen Bewegung, was die Haltung der anarchistischen Bewegung im ersten Weltkrieg anging, ist die Bezeichnung von diesem als Disput zu höflich und ungenau, wenn dich die Bewegung als Verräter der Ideale brandmarkt und fast lynchen würde. Als das Manifest der Fünfzehn 1916 veröffentlicht wurde, Piotr Kropotkin als bekanntester Unterzeichner, brach ein Streit von so einer großen Dimension aus, wo heutzutage bei was ähnlichem die Fünfzehn armseligen sich nur noch mit Vorwürfen aller Art gegen die anderen zu verteidigen wüssten. Diesem letzten historischen Hinweis wird die Bombenkampagne, in der Regel Briefbomben, um die italienischsprachigen Zeitungen in den USA namens Cronaca Sovversiva und Luigi Galleani und den späteren bekannten wie Sacco und Vanzetti entgegengestellt. Gefolgt von der Erwähnung der Machnowitschina, die mal nicht 1918 von den Bolschewiki verraten wurden, sondern erst Jahre später, es sei denn man bezieht sich auf den Verrat der Bolschewiki durch den Brest-Litowsk Friedensvertrag, wo die Ukraine, damals noch Teil des russischen Zarenreichs, an Österreich-Ungarn abgegeben wurde und somit die junge UdSSR mit dem Deutschen Kaiserreich noch während des Ersten Weltkrieges einen Frieden mit dem imperialistischen Feind abschloss. Weiter geht es mit der Erwähnung sogenannter „Unkontrollierbaren“, gemeint wird ein Teil der Eisernen Kolonne – Columna de Hierro sein, einer bewaffneten anarchistischen Miliz aus der Gegend um Valencia, die sich beim Ausbruch der sozialen Revolution bildete und berühmt für die Befreiung von Gefangenen aus den Knästen wurde, was aber in allen Gebieten wo die anarchistische Bewegung präsent und stark war stattfand. Diese Kolonne war zu ihrer Zeit nicht die einzige die den Regierungsbeitritt kritisierte, dies taten viele andere auch und viel vehementer als die Eiserne Kolonne verteidigten die Amigos de Durruti, Camilo Berneri oder Jaume Balius einen revolutionären Kurs. Alles was IdT als bemerkenswert aufzählt, trifft nicht ganz so zu, es wird mit gegenwärtiger Ideologie erklärt und trifft daher für die damalige Zeit nicht zu. Aus anarchistischer Geschichte ist dann noch die, sehr oft erzwungene, Beteiligung von Anarchisten und Anarchistinnen an den Geschehnissen des Zweiten Weltkrieges erwähnt, welches wie es geschildert wird, historisch wenig bis gar keinen Sinn ergeben oder es ist einfach frei erfunden. Um zum Ende zu kommen, was die historische Auflistung von IdT angeht, kommen wir bei der Unterstützung sogenannter „anti-imperialistischer Befreiungsbewegungen“ an, die auch von nicht wenigen Anarchisten und Anarchistinnen unterstützt wurden. Letztendlich, nach einer Auflistung mehrerer solcher Kämpfe wird selbstverständlich auch „Rojava“5 erwähnt. Alles eine längere Auflistung bei der wir in der Tat sehr widersprüchliche Haltungen in den anarchistischen Reihen vorfinden. Abgesehen davon, dass in dieser Auflistung mehrere historische Fehler auftauchen, wir haben sie jetzt nicht alle erwähnt, wie zum Beispiel der Kuschelkurs der PKK mit der syrischen Regierung, denn der geht bis zum Vater von Baschar al-Assad zurück, fragt sich, was für einen Sinn sie ergeben sollen? Soll dies die Vielfalt des Anarchismus symbolisieren? Was denn für einen Anarchismus überhaupt? Auf der einen Seite mit der Waffe in der Hand eine Regierung verteidigen und auf der anderen dieselbe oder eine andere stürzen zu wollen?

Für IdT sind all diese Fragen, was denn nun Krieg sei, was der Anarchismus sei, welche Haltung denn eingenommen werden soll, komplexer Natur. In ihrer Auflistung, was die „Logik des Krieges“ ausmacht, listen sie einiges auf, der Staat und der Kapitalismus tauchen gar nicht auf. Wir dachten, dass, trotz aller Differenzen und Diskrepanzen, es sich hier um eine wichtige Zeitschrift handeln würde, nun ist sie in dieser verwirrenden Zeit entweder zum Postmodernismus oder zum Dosimeter des letzteren mutiert.

So verwirrt, dass: „Deswegen sind wir skeptisch, wenn Anarchist*innen plötzlich real-politisch argumentieren und meinen, dies sei nun die falsche Zeit um seinen Prinzipien treu zu bleiben. Wir finden es fragwürdig, wenn Anarchist*innen militärischen Strukturen beitreten und sich gleichzeitig keineswegs einer militärischen Ästhetik der Camouflage-Uniformen verwehren.“ Abgesehen davon, dass der letzte Punkt total schwachsinnig ist, man ist nicht skeptisch, wenn man den Prinzipien nicht treu bleibt, man ist entsetzt, oder man hat sich der Armee angeschlossen, soll es ein Akt der Rebellion sein lieber nackt oder verkleidet auf ein Schlachtfeld zu gehen? Darüber hinaus ist der grundlegende Punkt mal wieder, dass IdT nur „skeptisch“ und „fragwürdig“ ist, anstatt klar und deutlich zu sagen, dass es ganz klar um eine konterrevolutionäre Haltung und Praxis geht. IdT ist am Ende mit den Nerven, es ist halt „genervt“, es hat „Probleme“ mit der Rolle die Anarchisten und Anarchistinnen vor Ort spielen, es ist nur in der Lage sich emotional ausdrücken. Um alles abzurunden wird am Ende der Einleitung noch verkündet: „Weil wir diese Skepsis und unsere Gedanken und Fragen auch gegenüber den in der Ukraine und in Russland kämpfenden Gefährt*innen artikulieren wollten, haben wir zwei Interviews gemacht, die wir im folgenden abdrucken. Es wird teils recht offensichtlich, dass man konträre Gedanken hat – aber macht euch ein eigenes Bild!“ Von Kritik nach wie vor nicht die Rede, wer nun genau die „kämpfenden Gefährt*innen“ sein sollen – wie die, die sich dem ASOV Bataillon angeschlossen haben, die ,die sich der Armee oder der sogenannten Territorialen Selbstverteidigung angeschlossen haben, die auch in den ukrainischen Streitkräften eingegliedert sind, all die, die der Meinung sind, alle politische Differenzen spielen jetzt keine Rolle mehr, die, die Aufgaben der Polizei übernommen haben, Plünderer an Laternen binden, usw… – , dass ist nicht klar. Das Konträre lässt sich nirgends blicken, und trotz alldem wurde ein Interview gemacht. Der postulierte Anspruch wurde anscheinend erreicht, „Skepsis“ plus einige Gedanken plus Fragen zu artikulieren, ein Armutszeugnis.

Die restliche Ausgabe war ohne weitere Pejorative verwenden zu wollen das Übliche, was man so in einer linken Publikation finden kann. Entgegen dem was von einigen, IdT auch, gesagt wird, sind wir überhaupt nicht einverstanden, dass das Patriarchat der Grund für den Krieg ist, auch wenn es eine wichtige Rolle innehat, dass dieser Krieg überhaupt aufgrund des Patriarchats vom Zaun gebrochen worden sei, weil unter anderem nur Männer an die Front geschickt werden, was nicht stimmt, auf beiden Seite sind Frauen in den Armeen sowie in den meisten Streitkräften auf der Welt, Nord Korea ganz weit vorne. Was ist mit der IDF, der YPJ usw.?

Genauso wie was IdT immer wieder mit „anarchistischen Antimilitarismus“ meint und betont. Dass wir als Anarchisten und Anarchistinnen gegen Armeen sind mit all dem, was diese implizieren – Disziplin anstatt Verantwortung und Verpflichtung, Ränge und Dienstgrade anstatt Gefährten- und Gefährtinnenschaft, blinde Gehorsamkeit anstatt Gemeinschaft, usw. – , ist ein Teil unserer Ideen/Prinzipien/Theorie und muss daher nicht betont werden. Da IdT eine anarchistische Publikation ist, verstehen wir nicht, warum sie eine Differenz zu machen versucht indem „Antimilitarismus“ mit dem Adjektiv des „anarchistischen“ ergänzt wird. Als ob dies erstens nicht klar wäre und darüber hinaus wird darauf nicht mehr eingegangen, außer dass darüber Diskussionen geführt wurden, mit welchen Ergebnissen? Dass man es „fragwürdig“ sehen würde, dass sich Anarchisten und Anarchistinnen einer Armee anschließen würden, wie wir schon auch weiter oben anmerkten. Es handelt sich hierbei um eine leere Hülse, die mit redundanten Begriffen untermauert werden, aber die Bedeutung dafür ist jedem selbst überlassen, wir bewegen uns ein weiteres Mal auf der Ebene der Wahrsagerei.

Wir leben in einer verdrehten Welt, ganz nach Orwells 1984, wo Krieg Frieden ist und daraus folgend alle Begriffe verdreht werden. Wir erleben, wie meistens Begriffe oder Wörter total aufgeblasen werden, oder gar nichts mehr bedeuten. Sie alle werden je nach Belieben dermaßen ausgedehnt, wie es der verkündenden Person, Gruppe, usw. beliebt. Dieser billige Polyptoton, den wir geradewegs gemacht haben, soll niemanden verwirren, Wörter sind wie Waffen, sie meinen, was sie sagen, daher ist es umso wichtiger eine Klarheit in der Sprache zu finden, damit niemand auf die Idee kommen könnte zu sagen, hier wäre etwas missverstanden worden. Wir werden es ein paar Mal sagen, unsere Aufgabe ist es immer die Wahrheit zu sagen, unsere Prinzipien und Positionen aufrechtzuerhalten und zu verteidigen, komme was wolle. Worum es immer geht, ist diese durch die Praxis zu überprüfen, nicht mehr, nicht weniger.

Da es aber leider nicht so ist, das man Wörter genauso verwendet, direkt an deren Bedeutung gebunden, kann daher vieles nur noch emotional und subjektiv verklärt werden, als ob es sich um einen Kampf zwischen gut und böse handeln würde. Da haben wir wieder die Moral. In dieser verdrehten Welt, wo alle Begriffe anscheinend keinen Sinn mehr ergeben, sind Anarchistinnen und Anarchisten die Schützer der künstlichen Gemeinschaft namens Nation, sie verteidigen die Interessen einer lokalen Bourgeoisie gegen die Interessen einer fremden, Begriffe wie Faschismus, Staat, Kapitalismus, Nation, Imperialismus und vor allem Anarchie bzw. Anarchismus werden so verdreht, dass jeder es ganz nach eigenen Belieben verwendet und daraus wird nichts entstehen. Jeder und Jede hat jetzt die eigene Anarchie, genauso wie das bourgeoise Verständnis von Freiheit, alles wie Eigentum portioniert, hier dies für dich und das für mich. Der Anarchismus mag verschiedene Strömungen inne haben, die sich nicht bei allen Dingen einig sein müssen, was wir auch begrüßen, aber an unseren Zielen, an der Vehemenz diese zu erreichen, daran zu feilschen, dies ist nicht drin.

Der jetzige Krieg lässt sich in vielerlei Hinsicht durch den Ersten und den Zweiten Weltkrieg verstehen, vor allem in der Hinsicht wie sich Anarchistinnen und Anarchisten darin verhalten haben, aber nicht nur. Ein paar Beispiele wurden schon von IdT, zum Teil falsch, erwähnt. Aber was würde sich daraus schließen lassen, wenn wir auch erwähnen, dass sich Anarchisten und Anarchistinnen der III.Internationale-Komintern 1919 und der Profintern-Rote Gewerkschafts-Internationale 19216 angeschlossen hatten, obwohl es kein Geheimnis war, was allen Revolutionären in der noch jungen UdSSR widerfuhr? Ein Hinweis, Gulags und Tod. Was es bedeutet nicht die soziale Revolution zu machen, den Staat zu schonen, um diesen dann zu verteidigen, um dann von der Sozialdemokratie, ohne die es keinen Ersten Weltkrieg gegeben hätte (nicht nur die deutsche, sondern auch die französische und die britische warfen sich in den Krieg, um ihre Nationen zu verteidigen), ermordet zu werden, wie es 1919 in München der Fall war oder 1923, wo tausende von Anarchistinnen und Anarchisten sowie Kommunisten und Kommunistinnen ermordet wurden. Und was für eine Überraschung, dazu war der Faschismus nicht notwendig. Oder wie jetzt die vermeintlichen Anarchisten und Anarchistinnen in der Ukraine in anderen Interviews schon gesagt haben, es handelt sich hier darum, den wenig schlechteren Staat zu verteidigen, um dann die soziale Revolution zu machen, was überhaupt keinen Sinn ergibt und bis jetzt noch nie in der Geschichte geschehen ist. Die Instrumente der herrschenden Klasse nützen nur der herrschenden Klasse, sonst würden sie gar nicht existieren, daher ist diese Haltung wiedereinmal nicht nur konterrevolutionär, sondern nun sind auch die Apologeten dieser dasselbe.

Wenn es darum geht in der anarchistischen Geschichte etwas Gewissheit und Bestätigung zu suchen, dann ist es immer damit verbunden, wo man hin will, falls die soziale Revolution nicht ausreicht. Deshalb ist die Auflistung von IdT zugleich richtig – mit den jeweiligen unkorrekten Angaben – und tückisch gleichermaßen. Es geht nicht darum, aus allem, was in unserer Geschichte passiert ist, eine Art Hirnbrei zu subsumieren, sondern daraus zu lernen, aus den Fehlern, aus den Fehlentscheidungen, aus den Abweichungen usw. Das geht aber nur, wenn wir an unseren Ideen, an unseren Prinzipien, an der historischen Notwendigkeit festhalten, dass es keinen Staat, den es zu schützen gilt, gibt, so human und nett sich dieser hinstellt, es gibt keinen Kapitalismus, den es – vor anderen – zu retten gibt, so umweltfreundlich, antirassistisch, antifaschistisch, usw. oder was auch immer sich dieser gibt. Denn dieser wird der zukünftige Henker all jener sein, die ihn und seinesgleichen infragestellen.

Unser Bezug auf die Geschichte gilt der Überprüfung der Theorie durch die Praxis, nicht dem Wiederholen von Fehlern, dem Opportunismus, dem Reformismus oder der Konterrevolution. All dies sind Feinde jeder revolutionären Bewegung und der anarchistischen erst recht. Wir könnten tausende an Beispielen von abertausenden nehmen, um dies zu beschreiben und die Geschichte wird uns Recht geben. Wählen um den Faschismus zu bekämpfen? Mehr Rechte für Menschen und Natur einfordern? Vor allem wenn es immer die Rechte der herrschenden Klasse sind, Rechte sind nur juristische Maßnahmen, die nur durch das Gewaltmonopol des Staates durchgesetzt werden können, aber welcher Staat hält sich denn überhaupt an die eigenen Gesetze? Oder Freiräume einfordern? Als ob es im Kapitalismus Oasen der Freiheit geben würde. Die Demokratie schützen und erst später die Revolution machen? Wir wissen, was daraus geworden ist, der Erste und der Zweite Weltkrieg sind Beispiele, die sozialen Revolutionen von 1917 bis 1927, die von 1936, der zweite proletarische Ansturm von 1968 bis 1981 (variiert etwas je nach Land/Gebiet), die nationalen Befreiungsbewegungen, Rojava, usw. all dies lehrt uns, was vor allem nicht gemacht werden sollte.

In all dem fiel des öfteren der Begriff des Opportunismus, was immer eine taktische Frage ist. Wie eine Allegorie, wer uns durch den Kopf ging, war Lenin. Ein schmerzhafter Durchgang, aber dieser war ein Vertreter der Anpassung, begründet durch taktische Abwägungen, man musste immer wieder, in seinem Falle immer, die Prinzipien beiseite lassen, man musste sich mit jenen Kräften zusammentun, die eine Mehrheit ausmachten (zu seiner Zeit mit der Sozialdemokratie), aber man musste vor allem schlauer sein als diese, man musste intelligenter sein als diese, und nicht nur schlauer und intelligenter als die Sozialdemokratie, sondern auch schlauer und intelligenter als der Kapitalismus musste man sein, mal muss man den Parlamentarismus – welchen Lenin sogar selbst als Reaktionär bezeichnet – ausnutzen, um als nächstes diesen anzugreifen, mal muss man den Feind angreifen, um nachher mit diesem einen Frieden abzuwickeln, man muss die bourgeoisen Institutionen ausnutzen, bis sie auseinandergejagt wurden, was bekanntlich nie der Fall war. Wie gesagt, der Opportunismus, als eine taktische Abwägung, erlaubt es einem alles zu machen, um immer, selbstverständlich, das Richtige zu tun, so zumindest Lenin. Lenin selbst erklärt es sehr deutlich in „Der „linke Radikalismus“ die Kinderkrankheit im Kommunismus“ und in „Staat und Revolution“. Alles sind taktische Fragen und auf diese wird alles reduziert, im Krieg in der Ukraine ist es gerade nicht anders, wenn man sich die Entscheidungen der sogenannten Anarchisten und Anarchistinnen anschaut. Und in einem weiteren wichtigen Punkt decken sich diese angeblichen Anarchisten und Anarchistinnen mit Lenin komplett, nämlich die Begründung, dass man auf der Seite, in der Nähe, unter, usw. der Massen sein muss. Es ist jetzt nicht wichtig darauf hinzuweisen, was Lenin eigentlich damit meint, um es in anderen Texten zu revidieren, denn seiner Meinung nach, als treuer Schüler von Kautsky, müssen die Massen geleitet werden, weil sie selbst nicht in der Lage sind ein revolutionäres Bewusstsein zu entwickeln, dieses und die Leitung der Massen kann nämlich nur von der revolutionären Partei kommen. Diese Parallelismen könnten Zufall sein, werfen dennoch viele Fragen auf, aber wir lassen dies mal so stehen.

In der nahen Vergangenheit gab es mehrere Beispiele zu all dem, was wir hier beschreiben, sei es die Volksfront, die Einheitsfront, oder die Arbeiterregierung, die natürlich immer nur innerhalb des bourgeoisen kapitalistischen Staates existieren konnten und diesen schützen würden. Im Falle Deutschlands war es die Frage sich mit der SPD zusammen zu tun, die nicht nur den Ersten Weltkrieg ermöglichte und garantierte, sondern später die Revolution mit ihren Bluthunden massakrierte. In der heutigen Notion der Realität spielt darin die Sozialdemokratie, genauso wie ihre radikalen Flügel, keine Rolle als verändernde Kraft in der Geschichte, sondern es ist die Demokratie selbst und ihre zentrale Figur, die der Staatsbürger und Staatsbürgerinnen. Wir können sehen, wie die Erneuerung der Demokratie darin in den letzten Jahrzehnten eine wichtige Rolle gespielt hat, jetzt in der Ukraine auch, die Aufteilung einer Gesellschaft in Klassen wird verleugnet, das beste System ist die Demokratie und aus ihr heraus, und nur aus ihr, können Veränderungen stattfinden, wir sind nach wie vor auf einige historische Beispiele gespannt7. Im Falle der Ukraine wurden den Staatsbürgern nicht nur die Waffen ausgehändigt, sondern es wurde ihnen erlaubt, die Institutionen zu erobern, daran teilzunehmen, man verstehe hier bitte den Euphemismus, und die Territoriale Selbstverteidigung, sowie andere vom kapitalistischen Staat der Ukraine kontrollierten Organismen waren willkommen, sie tragen den Anschein der Autonomie, doch werden die Menschen mehr und mehr an ihren Patron gebunden. Der Kreis schließt sich mit der Politik des geringeren Übels, mit der Allianz mit dem demokratischen Staat des Kapitalismus, also mit ihrer herrschenden Klasse, der Bourgeoisie, nicht nur mit der historischen Sozialdemokratie, alle vereint gegen den Faschismus. So wie es von einigen genannt wird. Die Verdrehung der Realität und der Begriffe, genauso wie der Kommunismus in der UdSSR mit ihren Gulags, Massenerschießungen und der Auslieferung von Kommunisten und Kommunistinnen nach Nazi-Deutschland durch den Befehl von Stalin, der sich danach als Sieger über den Faschismus krönen würde.

Die Demokratie ist ein System der Integration/Anbindung, aber auch der Nötigung, wenn es sein muss, durch die politischen Instrumente, die ihr zur Verfügung stehen (Parteien, Gewerkschaften/Syndikate, Regierung, Parlament, usw.). Diese Instrumente können nicht gegen sie verwendet werden, sie untermauern nur sich selbst. Der Opportunismus sich auf die Seite des „Volkes“, der „Nation“ zu stellen spricht Bände.

Ein Land, eine Nation, das Volk, usw. zu verteidigen heißt auch die Herrschaft des Kapitals nicht zu verstehen, weil dieser erstens international ist, wenn der Kapitalismus auf ein Land reduziert wird, kämpft man nur für das geringere Übel, von dem aus der Kapitalismus immer obsiegen wird. Die soziale Revolution kann und muss daher auch international sein. International ist das Kapital, so wird auch seine Zerstörung international sein.

Nun haben Anarchisten und Anarchistinnen ein gepeinigtes Sein (Ontologie) und leiden anscheinend dermaßen an Komplexen, zumindest historischer Natur, dass man eckige Kreise vorzieht und sich ständig selber Steine in den Weg legt. Was soll dieses Wirrwarr bedeuten, gerade jetzt, wo alles immer wieder durch die Ideologie der Postmoderne argumentiert wird, wo es keine allgemeine Wahrheiten mehr gibt, sondern nur noch komplexe, undefinierbare, subjektive und ungreifbare? Wir sind damit selbstverständlich nicht einverstanden. Nun die Antwort ist ganz einfach, die sublime Geschichte zeigt uns in jeglicher Art und Weise, was es bedeutet, wenn die Prinzipien, die eigenen Ideen, die eigene Haltung usw. aufgegeben wird, dass die Widersprüche dialektischer Natur sind, die sich aus der Überprüfung der Theorie ergeben, und nicht alles gilt und nicht alles als eine gültige Referenz für das Hier und Jetzt angeht.

Würde jede widersprüchliche Entscheidung und jedes widersprüchliche Verhalten aller Anarchisten und Anarchistinnen aufgezählt werden, dann würde der Anarchismus nicht nur nicht existieren, sondern es würde die jetzige Situation als ein Antagonismus seiner selbst bestätigt werden. Anarchisten und Anarchistinnen gehen Wählen, sie führen reformistische Kämpfe, unterstützten den Staat, ziehen in die Kriege des Kapitalismus, als Beispiel letzteres dient die Figur von Sholem Schwarzbard, diese wurde in diesem Zusammenhang in englischsprachigen Debatten des öfteren erwähnt und als positives Beispiel herangezogen, da dieser es als seine Pflicht sah, die Zivilisation im Ersten Weltkrieg gegen die Barbarei des Deutschen Kaiserreichs in der Französischen Armee zu verteidigen. Im Falle von Sholem, von dem wir bis vor kurzem auch nichts wussten, handelt es sich um einen russischstämmigen Anarchisten, der viele Jahre in Frankreich lebte, er soll ein eifriger Verfechter des Antimilitarismus gewesen sein, was ihn natürlich nicht daran hinderte sich im Ersten Weltkrieg der französischen Fremdenlegion anzuschließen, um gegen die, so im Jargon der Zeit, deutsche Barbarei zu kämpfen, um danach an der Revolution in Russland teilzunehmen, in der Roten Armee, und um wieder danach, enttäuscht, nach Frankreich zurückzukehren und in Kreisen von Mahkno und Archinoff zu verkehren. Peter Archinoff selbst war zuerst Bolschewiki, danach Anarchist um am Ende wieder Bolschewiki zu werden. Garcia Oliver, ein Weggefährte von Durruti, Bankräuber, verantwortlich für mehrere Hinrichtungen, wurde selbst unter Largo Caballero Justizminister von November 1936 bis Mai 1937 in der Republik von Spanien. Beim ersten Jubiläum von Durrutis Tod bezeichnete er sich auch als einen „Terroristen“, hatte aber einige Monate davor eine tragende konterrevolutionäre Rolle gespielt, wir meinen die Mai-Ereignisse in Barcelona 1937.

Nun es gibt sehr viele solcher Beispiele, wo die Kohärenz vieler Anarchisten und Anarchistinnen sehr viel zu wünschen übrig lässt. Was aber komplett unsinnig ist, ist dies immer wieder in eine Art anarchistischen Pluralismus oder Diversität einzubringen, man kann also gleichzeitig Anarchist und Justizminister sein. Man kann gleichermaßen das eigene Vaterland, die eigene Nation verteidigen und trotzdem den anarchistischen Ideen treu bleiben. Natürlich nicht! Aber IdT relativiert dies nun mal und gibt klein bei, indem solchen Fehltritten der Raum gegeben wird sich äußern und sich evtl. rechtfertigen zu können.

Denken und Handeln sind wie Pissen, wenn es nicht gerade geht hinterlässt man eine Sauerei.“ (Aus demselben Pissoir)

Anarchisten und Anarchistinnen ergreifen in keinem innerbourgeoisen Krieg Partei, dies zu tun bedeutet an den Massakern teilzunehmen, die wir zerstören wollen. Es gibt keine geringere Übel die es zu verteidigen gilt. Wir ergreifen nur Partei im Sinne der sozialen Revolution. Jene, die alle Eigenschaften der Realität, die wir kennen, die des Kapitalismus, zerstört. Es ist kein abstrakter Gedanke, wie heutzutage einige zu sagen vermögen, die Zerstörung von Geld, Ware, Grenzen, Armee, Nationen, Staaten, Gefängnissen, Schulen, Familie, Eigentum, Polizei, Psychiatrien, Parteien, Syndikaten/Gewerkschaften, Politik usw. erreichen zu wollen, denn all diese Dinge, die den kapitalistischen Staat bedingen, sind sehr real, daher ist die Zerstörung all dessen weder abstrakt noch unkonkret, sondern genau das Gegenteil. Daher ist die Frage nicht Zivilisation oder Barbarei, Faschismus oder Demokratie, sondern Kapitalismus oder soziale Revolution. Die sogenannten Anarchistinnen und Anarchisten in der Ukraine, die es für richtig halten für die eigene herrschende Klasse zu kämpfen und zu sterben, für die Interessen dieser zu töten und getötet zu werden, so sehr man diese in den herrlichsten Tönen schildert und darstellt, wird sie dasselbe wie die herrschende Klasse tun, gegen die man gegenwärtig kämpft: aus allen Menschen so viel Mehrwert auspressen, wie es geht. Man denke an den Ersten und den Zweiten Weltkrieg, Erfahrungen in denen sogenannte Revolutionäre und Libertäre sich auf die Seite der Demokratie stellten, erinnern wir uns, die Demokratie ist und bleibt die beste Form der Herrschaft für die Bourgeoisie, um die eigene Herrschaft zu verewigen, und wir sehen, was daraus resultierte. Niederlage auf Niederlage, Knäste voller Revolutionäre, usw.

„Der Opportunismus schließt nicht notwendig eine sanfte, friedfertige, entgegenkommende Haltung und Sprache im Gegensatz zu einer dem Radikalismus gehörenden schärferen Tonart ein; im Gegenteil verbirgt sich der Mangel an prinzipieller klarer Taktik nur zu oft hinter rabiaten kräftigen Worten; und es gehört gerade zu seinem Wesen, in revolutionären Situationen auf einmal alles von der großen revolutionären Tat zu erwarten. Sein Wesen ist, immer nur das Augenblickliche, nicht das Weiterabliegende zu berücksichtigen, an der Oberfläche der Erscheinungen zu haften, statt die bestimmenden tieferen Grundlagen zu sehen. Wo die Kräfte zur Erreichung eines Zieles nicht sofort ausreichen, ist es seine Tendenz, nicht diese Kräfte zu stärken, sondern auf anderem Wege, auf Umwegen das Ziel zu erreichen. Denn das Ziel ist der augenblickliche Erfolg, und dem opfert er die Bedingungen künftigen, bleibenden Erfolges. Er beruft sich darauf, dass es doch oft möglich ist, durch Verbindungen mit anderen „fortschrittlichen“ Gruppen, durch Konzessionen an rückständige Anschauungen die Macht zu gewinnen oder wenigstens den Feind, die Koalition der kapitalistischen Klassen zu spalten und damit günstigere Kampfbedingungen zu bewirken. Es stellt sich dabei jedoch immer heraus, dass diese Macht nur eine Scheinmacht ist, eine persönliche Macht einzelner Führer, nicht die Macht der proletarischen Klasse, und dass dieser Widerspruch nur Zerfahrenheit, Korruption und Streit mit sich bringt.“ Anton Pannekoek, Weltrevolution und kommunistische Taktik, 1920

Ist IdT zu dem geworden, was sie eigentlich kritisieren? Auch wenn es einige nicht so sehen werden, der Meinung sind, dass wir übertreiben, ja gar überreagieren, fragen wir uns ganz klar nicht nur, was sich IdT bei dieser Ausgabe gedacht hat, es wird sich selbstverständlich um gute Absichten gehandelt haben, aber der Schuss ging direkt nach hinten los. Warum werden Reaktionäre wie RC interviewt? Warum soll mit solchen diskutiert werden? Warum wird diesen Platz in einer anarchistischen Zeitschrift gegeben und wird dadurch zu einer Plattform für deren Ideologie? Warum versucht sich IdT ganz mir nichts dir nichts durchzuschlängeln ohne einen klaren Punkt zu machen? Vor allem auf diese harmonische Art und Weise, wo das stärkste der Gefühle Skepsis“ ist.

Unsere Aufgabe ist es immer die Wahrheit zu sagen, unsere Prinzipien und Positionen aufrechtzuerhalten und zu verteidigen, diese aus materialistischer Analyse und nicht durch historische Rechtfertigungen/Ausreden begründen. Dass der soziale Frieden und der Krieg des Kapitalismus mittels des Klassenkrieges, des sozialen Krieges und letztendlich der sozialen Revolution von der Weltfläche und von der Geschichte weggefegt werden. Soziale Revolution oder Konterrevolution, es gibt keine Nuancen dazwischen.

Soligruppe für Gefangene, Juli 2022, Berlin


1Uns persönlich interessiert es nicht, was RC zum faschistischen Nationalheld Stepan Bandera zu sagen hat. Da Straßen und Plätze nach einem Faschisten benannt sind, Kinder über diesen in der Schule lernen, ist es doch offensichtlich mit was für einem Hohn behauptet wird, dass Faschismus keine Rolle spielt.

2Es ist so absurd wie in der Debatte von Klassismus, als ob die Klassenfrage eine Form der Unterdrückung sei und ein netter Boss einem bösen Boss vorzuziehen wäre.

3Verdammte Scheiße, sīc scriptum erat.

4Davor war die Rede von „Kriegen, Massakern, Bürgerkriege – als auch von Revolten, Aufständen und Revolutionen.“

6Wie zum Beispiel die späteren Gründer der POUM Andreu Nin und Joaquím Maurin, als sie noch Mitglieder der CNT waren und als Delegierte nach Moskau geschickt wurden.

7Wir verweisen gerne auf den hervorragenden Text von Paul Mattick, Die Grenzen der Reformen.

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Anarchistinnen und Anarchisten haben ihre Prinzipien vergessen https://panopticon.blackblogs.org/2022/06/28/anarchistinnen-und-anarchisten-haben-ihre-prinzipien-vergessen-2/ Tue, 28 Jun 2022 21:39:09 +0000 https://panopticon.noblogs.org/?p=2766 Continue reading ]]> Einleitung von uns,

in vielen der Texten die wir zum Krieg in der Ukraine entweder übersetzt oder selbst geschrieben haben, wird historisch auf den Ersten Weltkrieg hingewiesen. Auch wenn es sich hierbei um einen imperialistischen Krieg handelt, denn alle Kriege des Kapitalismus haben diesen Charakter inne, es handelt sich zwar nicht um einen Weltkrieg, dieser wird aber weltweit/international geführt. Welche sind also die gewissen Parallelismen, auf die immer wieder hingewiesen wird, auf die viele Gruppen aufmerksam machen, bzw., kritisieren? Nämlich die konterrevolutionäre Rolle, die gewisse anarchistische Gruppen, sowie andere Gruppen, die die Linke des Kapitals repräsentieren, in diesem Krieg, wenn auch minimal und irrelevant, spielen. Mag diese Rolle zwar minimal und irrelevant sein, da diese aber mit anarchistischen Prinzipien als Argument gerechtfertigt wird, ist der Charakter darin ein anderer. Dem Versuch aus den Ideen des Anarchismus heraus, die Beteiligung am Krieg zu rechtfertigen, vor allem in der Rolle den ukrainischen Staat zu schützen, steht daher die Kritik die viele, wir eingeschlossen, formulieren und die, wie gesagt, diesen konterrevolutionären Zug angreifen, entgegen. Im Ersten Weltkrieg geschah dasselbe, als das sogenannte infame und verräterische Manifest der Sechzehn – damit man sehen kann das Reformismus, Reaktion, Konterrevolution, usw., leider dem Anarchismus nicht fremd sind – von einigen wenigen veröffentlicht wurde und diese sich auf die Seite der Alliierten stellten (damals noch das Britische Empire, Frankreich mit all seinen Kolonien vor allem in Afrika, Belgien mit all seinen Kolonien in Afrika, das Russische Zarenreich und später Italien).

Dies löste eine internationale Debatte innerhalb der anarchistischen Bewegung aus von einem Ausmaß, welches wir uns heutzutage gar nicht vorstellen können, die diese Verräter des Anarchismus aus der Geschichte wegfegte. Ihre Namen und ihr Ruf war für immer mit Schande verbunden, denn wie jeder weiß: keiner will Verräter und Verräterinnen auf der eigenen Seite. Da sich auf dieser Ebene vieles wiederholt, haben wir, inspiriert von einer Broschüre die von Elephant Editions veröffentlicht wurde, drei Texte von Errico Malatesta und das infame und verräterische Manifest der Sechszehn hier neu veröffentlicht. Die Texte erschienen von 1914 bis 1922.

Wir haben alle Texte, die schon übersetzt waren, übernommen, auch wenn wir mit der Auswahl der übersetzten Wörter nicht einverstanden sind, sei es drum, nur der letzte Text ist von uns übersetzt worden, nämlich Reformisten oder Insurrektionalisten? von Malatesta.

Wir fanden die Texte von Malatesta nach wie vor sehr aktuell und gegenwärtig, da sich eben gewisse Ereignisse wiederholen, die einen an den Ersten Weltkrieg und zum Teil auch an den Zweiten erinnern. Wir wiederholen es, damit es keine Missverständnisse gibt, nämlich die eingenommene Rolle einiger (wir bezweifeln, dass sie überhaupt welche sind oder je waren) Anarchistinnen und Anarchisten sowie deren Befürworter. Sind also die Fragen und die Schlüsse, die Malatesta gestellt und gezogen hat, noch aktuell, bedeutet dies, dass eine anarchistische Bewegung entweder aus ihrer Geschichte nicht lernen kann, oder genauso schlimm sie nicht mal kennt. Wie es auch sei, hier ein weiterer Beitrag von unserer Seite aus für eine Diskussion-Kritik gegen alle reaktionären und konterrevolutionären Gruppen und Individuen die sich als anarchistisch geben und es nicht sind.

Gegen die Kriege des Kapitalismus hilft nur Klassenkrieg, sozialer Krieg, Insurrektion/Aufstand und soziale Revolution. Wir haben kein Vaterland, wir sind Parias, wir werden keine eigene noch fremde herrschende Klasse verteidigen, es gilt sie alle anzugreifen und zu zerstören.

Soligruppe für Gefangene


Errico Malatesta, Anarchisten haben ihre Prinzipien vergessen (1914)

Ursprünglich veröffentlicht unter dem Titel »Anarchists have forgotten their Principles« in der Zeitschrift Freedom (London), Nummer 307 (November 1914).

Auf die Gefahr hin, als Einfaltspinsel zu gelten, gestehe ich, es niemals für möglich gehalten zu haben, dass Sozialisten – oder selbst Sozialdemokraten – einem Krieg wie dem gegenwärtig Europa verwüstenden Beifall spenden und freiwillig, sei es auf der Seite Deutschlands oder der Alliierten, an ihm teilnehmen würden. Was aber soll man sagen, wenn Anarchisten dasselbe tun – zwar nicht viele, das stimmt, darunter jedoch einige der geschätztesten und angesehensten Genossen?1

Es wird behauptet, die gegenwärtige Situation offenbare den Bankrott »unserer Formeln« – d.h. unserer Prinzipien – und man müsse sie revidieren.

Allgemein gesprochen muss jede Formel revidiert werden, wenn die gegebenen Fakten sie als unzureichend erweisen; doch das ist heute nicht der Fall, wo nicht etwa Mängel unserer Formeln, sondern die Tatsache, dass sie vergessen und verraten wurden, zu einem Bankrott führen.

Lasst uns zu unseren Prinzipien zurückkehren.

Ich bin kein »Pazifist«. Ich kämpfe, wie wir alle, für den Triumph von Frieden und Brüderlichkeit unter allen Menschen; doch ich weiß, dass der Wunsch, nicht zu kämpfen, nur dann erfüllt werden kann, wenn keine Seite dies tun möchte, und dass, solange es Menschen gibt, die die Freiheiten anderer verletzen, diese anderen sich verteidigen müssen, wenn sie nicht ewig geschlagen werden wollen; und ebenso weiß ich, dass Angriff häufig die beste, oder einzige, Verteidigung ist. Außerdem denke ich, dass die Unterdrückten immer in einer Situation legitimer Selbstverteidigung sind und immer das Recht haben, die Unterdrücker anzugreifen. Ich räume deshalb ein, dass es notwendige, heilige Kriege gibt: Kriege der Befreiung, die in der Regel »Bürgerkriege«, d.h. Revolutionen sind.

Doch was hat der gegenwärtige Krieg mit der menschlichen Emanzipation gemein, um die es uns geht?

Heute hören wir, wie Sozialisten – nicht anders als irgendein Bürger – von »Frankreich«, »Deutschland« und anderen politischen und nationalen Gebilden, die das Ergebnis historischer Kämpfe sind, so reden, als wären es homogene ethnographische Einheiten mit jeweils eigenen Interessen, Bestrebungen und eigener Mission, die im Gegensatz zu denen der rivalisierenden Einheiten stehen. Dies mag relativ gesehen stimmen, solange die Unterdrückten, namentlich die Arbeiter, kein Selbstbewusstsein haben und die Ungerechtigkeit ihrer Unterdrücker nicht zu erkennen vermögen. Dann kommt es allein auf die herrschende Klasse an; und aufgrund des Bedürfnisses, ihre eigene Macht zu erhalten und zu vergrößern, ja sogar aufgrund eigener Vorurteile und Auffassungen mag es dieser Klasse gelegen scheinen, rassische Bestrebungen und Rassenhass zu entfachen und ihre Nation, ihre Herde, gegen »fremde« Länder in Marsch zu setzen, um diese ihren gegenwärtigen Unterdrückern zu entwinden und der eigenen politisch-ökonomischen Herrschaft zu unterwerfen.

Doch die Aufgabe derer, die wie wir das Ende jeglicher Unterdrückung und Ausbeutung des Menschen durch den Menschen anstreben, besteht darin, ein Bewusstsein des Interessenantagonismus zwischen Herrschern und Beherrschten, zwischen Ausbeutern und Arbeitern zu wecken und innerhalb jedes Landes den Klassenkampf sowie die grenzüberschreitende Solidarität aller Arbeiter zu entfalten, gegen jegliches Vorurteil und jegliche Begeisterung für Rasse oder Nationalität.

Und wir haben dies schon immer getan. Wir haben immer propagiert, dass die Arbeiter aller Länder Brüder sind und dass der Feind – der »Fremde« – der Ausbeuter ist, ob er nun in der Nähe oder in einem fernen Land geboren ist, ob er dieselbe Sprache oder irgendeine andere spricht. Wir haben unsere Freunde, unsere Kampfgefährten, ebenso wie unsere Feinde immer nach den von ihnen vertretenen Ideen und ihrer Position im sozialen Kampf, niemals aber mit Blick auf Rasse oder Nationalität bestimmt. Wir haben den Patriotismus, ein Relikt der Vergangenheit, das den Interessen der Unterdrücker gute Dienste leistet, immer bekämpft; und wir waren stolz darauf, nicht nur in Worten, sondern im Tiefsten unserer Seele Internationalisten zu sein.

Und nun, da die grauenvollsten Folgen kapitalistischer und staatlicher Herrschaft selbst den Blinden zeigen, dass wir im Recht waren, verbünden sich die Sozialisten und viele Anarchisten in den kriegführenden Staaten mit der Regierung und der Bourgeoisie ihres jeweiligen Landes, vergessen sie den Sozialismus, den Klassenkampf, die internationale Brüderlichkeit und alles übrige. Welch‘ tiefer Fall!

Es mag sein, dass die gegenwärtigen Ereignisse gezeigt haben, dass nationale Gefühle lebendiger, Gefühle internationaler Bruderschaft hingegen schwächer verwurzelt sind, als wir dachten; aber das sollte ein Grund mehr sein, unsere antipatriotische Propaganda zu verstärken, anstatt sie aufzugeben. Die Ereignisse zeigen auch, dass etwa in Frankreich religiöse Gefühle stärker und Priester einflussreicher sind, als wir meinten. Ist das ein Grund dafür, dass wir zum römischen Katholizismus konvertieren?

Mir ist bewusst, dass es Umstände geben kann, unter denen das allgemeine Wohl die Hilfe aller erfordert – etwa eine Epidemie2, ein Erdbeben oder eine Invasion von Barbaren, die alles töten und zerstören, was in ihre Hände gerät. In einem solchen Fall muss der Klassenkampf, müssen die Unterschiede in der sozialen Stellung vergessen werden, um gemeinsam gegen die gemeinsam erfahrene Bedrohung vorzugehen – allerdings unter der Bedingung, dass beide Seiten diese Unterschiede vergessen. Wenn sich während eines Erdbebens Menschen in einem Gefängnis befinden und bei dessen Einsturz ums Leben zu kommen drohen, dann haben wir die Pflicht, alle, selbst die Wärter, zu retten – unter der Bedingung, dass die Wärter ihrerseits zunächst die Zellentüren aufschließen. Treffen sie dagegen alle Vorkehrungen, um die Inhaftierung der Gefangenen während und nach der Katastrophe sicherzustellen, dann haben die Gefangenen gegenüber sich selbst und ihren inhaftierten Gefährten die Pflicht, die Wärter ihrem Schicksal zu überlassen und die Gelegenheit zu nutzen, sich selbst zu retten.

Kommt es zu einer Invasion des heiligen Bodens des Vaterlands durch ausländische Soldaten und sollte die privilegierte Klasse ihre Privilegien aufgeben und so handeln, dass das »Vaterland« tatsächlich das gemeinsame Eigentum aller Einwohner wird, dann wäre es richtig, dass alle gemeinsam gegen die Invasoren kämpfen. Wollen die Könige aber Könige bleiben, die Grundbesitzer ihr Land und ihre Häuser retten und die Händler ihre Güter schützen – und sogar noch teurer verkaufen -, dann sollten die Arbeiter, die Sozialisten und Anarchisten sie sich selbst überlassen und nach einer Gelegenheit Ausschau halten, sich der Unterdrücker im eigenen Land ebenso zu entledigen wie der aus dem Ausland anrückenden.

Es ist unter allen Umständen die Pflicht der Sozialisten, und besonders der Anarchisten, alles zu tun, was den Staat und die kapitalistische Klasse schwächen kann, und allein das Interesse des Sozialismus zur Richtschnur des Handelns zu machen; oder, sofern sie der materiellen Machtmittel entbehren, um wirkungsvoll für ihre Sache einzutreten, wenigstens der Sache des Feindes jede freiwillige Unterstützung zu verweigern und sich aus dem Geschehen herauszuhalten, um zumindest ihre Prinzipien zu retten – was gleichbedeutend damit ist, die Zukunft zu retten.

Alles bisher Gesagte ist Theorie, und als Theorie akzeptieren es vielleicht auch die meisten derer, die in der Praxis das genaue Gegenteil tun. Wie also kann man es auf die gegenwärtige Situation beziehen? Was sollten wir tun, worauf sollten wir – im Interesse unserer Sache – hoffen?

Ein Sieg der Alliierten, so heißt es auf dieser Seite des Rheins, wäre das Ende des Militarismus, der Triumph der Zivilisation, der internationalen Gerechtigkeit etc. Dasselbe wird auf der anderen Seite der Front über einen deutschen Sieg gesagt.

Persönlich habe ich, wenn ich den »tollwütigen Hund« von Berlin und den »alten Henker« von Wien nüchtern beurteile, nicht mehr Vertrauen in den blutrünstigen Zar oder in die englischen Diplomaten, die Indien unterdrücken, die Persien verrieten, die die Burenrepubliken zerschlagen haben; oder in die französische Bourgeoisie, die die Eingeborenen Marokkos massakriert hat; oder in die belgische, die die Grausamkeiten im Kongo zugelassen und erheblich davon profitiert hat – und ich erinnere hier nur an einige beliebig ausgewählte ihrer Untaten, und rede gar nicht von dem, was alle Regierungen und alle kapitalistischen Klassen gegen die Arbeiter und Rebellen im eigenen Land tun. Meines Erachtens würde ein Sieg Deutschlands gewiss den Triumph von Militarismus und Reaktion bedeuten; doch ein Sieg der Alliierten würde eine russisch-englische (d.h. knuto-kapitalistische) Herrschaft in Europa und Asien, würde die allgemeine Wehrpflicht und die Entwicklung eines militaristischen Geistes in England sowie eine klerikale, möglicherweise monarchistische Reaktion in Frankreich bedeuten.

Außerdem ist es meines Erachtens sehr wahrscheinlich, dass keine der Seiten einen definitiven Sieg erringen wird. Nach einem langen Krieg und gewaltigem Verlust an Menschenleben und Vermögen, wenn beide Seiten erschöpft sind, wird man irgendeinen Friedensvertrag zusammenflicken, der alle Fragen offen lässt und dergestalt einem neuen, noch mörderischeren Krieg den Boden bereitet.3

Die einzige Hoffnung heißt Revolution; und da ich in Anbetracht der gegenwärtigen Lage denke, dass die Revolution aller Wahrscheinlichkeit nach zuerst in einem besiegten Deutschland ausbrechen würde, hoffe ich aus diesem Grund – und nur aus diesem Grund – auf die Niederlage Deutschlands.

Ich mag natürlich im Irrtum sein über die richtige Position. Doch für alle Sozialisten (Anarchisten und andere) elementar und grundlegend zu sein scheint mir die Notwendigkeit, sich von jeglichem Kompromiss mit den Regierungen und den herrschenden Klassen fernzuhalten, um in der Lage zu sein, jede sich möglicherweise bietende Gelegenheit zum eigenen Vorteil nutzen, und in jedem Fall, um unsere Vorbereitungen und Propaganda für die Revolution neu aufzunehmen und fortzusetzen.


Errico Malatesta, Anarchisten als Regierungsbefürworter (1916)

Veröffentlicht unter dem Titel »Pro-Government Anarchists« in der Zeitschrift Freedom (London), Nummer 324 (April 1916).

Unlängst ist ein Manifest4 erschienen, unterzeichnet von Kropotkin, Malato und einem Dutzend weiterer alter Genossen, in dem sie, genau wie die Regierungen der Entente, die einen Kampf bis zum Äußersten, bis zur Niederwerfung Deutschland fordern, gegen die Idee eines »verfrühten Friedens« Stellung bezogen. Die kapitalistische Presse veröffentlicht, mit sichtlicher Befriedigung, Auszüge aus diesem Manifest, das sie als Werk »führender Vertreter der internationalen anarchistischen Bewegung« ausgibt. Die Anarchisten, die fast durchweg ihren Überzeugungen treu geblieben sind, haben die Pflicht, gegen diesen Versuch zu protestieren, den Anarchismus für die Fortsetzung eines blutigen Gemetzels zu vereinnahmen, das nie zu der Hoffnung Anlass gab, die Sache von Freiheit und Gerechtigkeit zu fördern und das sich inzwischen als absolute Sackgasse erweist, selbst aus Sicht der Herrschenden, egal, auf welcher Seite des Schützengrabens sie stehen.

Die Aufrichtigkeit und die guten Absichten derer, die das Manifest unterzeichnet haben, stehen außer Frage. Doch so schmerzlich es sein mag, sich mit alten Freunden zu Überwerfen, die der Sache, die in der Vergangenheit einmal unsere gemeinsame war, so viele gute Dienste erwiesen haben, so es ist es dennoch – aus Gründen der Ehrlichkeit und im Interesse unserer emanzipatorischen Bewegung – unerlässlich, sich von Genossen zu trennen, die anarchistische Ideen für vereinbar halten mit der Tatsache, dass man die Regierungen und die Kapitalistenklasse mancher Länder in ihrem Kampf gegen die Kapitalisten und Regierenden anderer Länder unterstützt.

Im Laufe des gegenwärtigen Krieges haben wir gesehen, wie sich Republikaner in den Dienst von Königen stellten, Sozialisten gemeinsame Sache mit der herrschenden Klasse machten, Arbeitervertreter den Interessen von Kapitalisten dienten; doch diese Leute sind allesamt, in unterschiedlichem Ausmaß, Konservative, die an die Mission des Staates glauben, und ihr Zögern ist verständlich, wenn man bedenkt, dass der einzige Ausweg in der Beseitigung jeder staatlichen Gängelung, in der Entfesselung der sozialen Revolution besteht. Doch auf Seiten der Anarchisten ist ein solches Zögern unverständlich. Wir behaupten, dass der Staat unfähig ist, irgendetwas Gutes zu bewirken. Sowohl auf internationaler Ebene als auch in individuellen Beziehungen kann er Aggression nur bekämpfen, indem er selbst zum Aggressor wird; er kann das Verbrechen nur verhindern, indem er noch größere Verbrechen organisiert und begeht. Selbst angenommen – was weit von der Wahrheit entfernt ist -, dass Deutschland die Alleinschuld für den gegenwärtigen Krieg trägt, so ist erwiesen, dass man Deutschland, wenn man Regierungsmethoden befolgt, nur widerstehen kann, indem man alle Freiheiten beseitigt und allen Kräften der Reaktion ihre Macht zurückerstattet.

Abgesehen von einer revolutionären Massenbewegung gibt es keinen anderen Weg, der Bedrohung durch eine disziplinierte Armee zu widerstehen, als eine noch stärkere und noch diszipliniertere Armee aufzustellen, sodass die entschiedensten Antimilitaristen, sofern sie keine Anarchisten sind und vor der Zerstörung des Staates zurückschrecken, keine andere Wahl haben, als zu glühenden Militaristen zu werden. Tatsächlich haben sie, in der fragwürdigen Hoffnung, den preußischen Militarismus zu zerschlagen, jeden Freiheitsgeist und alle freiheitlichen Traditionen aufgegeben, haben England und Frankreich verpreußt, haben sich dem Zarismus unterworfen, haben das Prestige des wankenden italienischen Throns wiederhergestellt.

Können Anarchisten auch nur einen Moment lang einen solchen Zustand billigen, ohne jegliches Recht verwirkt zu haben, sich Anarchisten zu nennen? Was mich betrifft, so ist mir selbst die gewaltsam aufgezwungene Fremdherrschaft, gegen die sich Widerstand regt, noch lieber als die Unterdrückung im Inneren, die demütig, fast dankbar ertragen wird, in der Hoffnung, dass uns auf diesem Wege ein größeres Übel erspart bleibt. Es ist sinnlos, wie die Verfasser und Unterzeichner des fraglichen Manifestes, zu behaupten, dass ihre Haltung durch außergewöhnliche Umstände bedingt sei und dass, wenn der Krieg erst einmal vorbei ist, jeder in sein Lager zurückkehren und für sein eigenes Ideal kämpfen wird. Denn wenn es jetzt notwendig ist, einträchtig mit der Regierung und dem Kapitalismus zusammenzuarbeiten, um sich vor der »teutonischen Gefahr« zu schützen, wird es auch nach dem Krieg notwendig sein. Egal, wie vernichtend die Niederlage der deutschen Armee ausfällt – sofern sie überhaupt geschlagen wird -, es wird niemals möglich sein, die deutschen Patrioten davon abzuhalten, auf Rache zu sinnen und sie vorzubereiten. Und die Patrioten anderer Regionen werden sich, aus ihrer Sicht vollkommen zu Recht, bereit halten wollen, um sich nicht überrumpeln zu lassen. Das bedeutet, dass der preußische Militarismus eine stehende und dauerhafte Einrichtung in allen Ländern wird. Was werden dann die angeblichen Anarchisten sagen, die jetzt den Sieg einer der kriegführenden Allianzen herbeiwünschen? Werden sie, wenn sie sich Antimilitaristen nennen, für Abrüstung, Wehrdienstverweigerung, Sabotage der Landesverteidigung eintreten, nur um sich beim geringsten Anzeichen eines neuen Krieges in Werbeoffiziere der Regierungen zu verwandeln, die sie zuvor hatten entwaffnen und lahmlegen wollen?

Es heißt, dergleichen würde sich erübrigen, wenn das deutsche Volk sich seiner Tyrannen entledigen würde und durch die Beseitigung des Militarismus in seinem Land keine Bedrohung ihr Europa mehr wäre. Doch würden die Deutschen nicht in der berechtigten Überzeugung, dass eine englische und französische Herrschaft (vom zaristischen Russland ganz zu schweigen) für die Deutschen nicht angenehmer wäre als eine deutsche Herrschaft über Franzosen und Engländer, gegebenenfalls lieber abwarten wollen, dass die Russen und die anderen ihren eigenen Militarismus abschaffen und bis dahin ihre Armee weiter aufrüsten? Und was dann? Wie lange soll man die Revolution aufschieben? Und die Anarchie? Müssen wir ewig warten, dass die anderen anfangen?

Die Maxime ihres Handelns ist den Anarchisten durch die unerbittliche Logik ihrer Ziele eindeutig vorgegeben.

Der Krieg hätte durch die Revolution verhindert werden müssen oder zumindest durch die Angst der Regierungen vor einer drohenden Revolution. Die Stärke und das Geschick, die dazu notwendig gewesen wären, haben gefehlt. Der Frieden muss durch die Revolution erzwungen werden, oder zumindest durch den Versuch, sie herbeizuführen. Dazu fehlt es derzeit wiederum an Stärke und Geschick. Nun gut! Es gibt nur einen Ausweg: es in der Zukunft besser zu machen. Mehr denn je müssen wir jeden Kompromiss ablehnen, die Kluft zwischen Kapitalisten und Lohnsklaven, Regierenden und Regierten vertiefen, die Enteignung des Privateigentums und die Zerstörung des Staates propagieren, als einzige Mittel, um ein brüderliches Zusammenleben der Völker sowie Freiheit und Gerechtigkeit für alle zu garantieren. Und wir müssen uns darauf vorbereiten, all das auch zu bewerkstelligen. Bis dahin halte ich es für ein Verbrechen, auch nur das Geringste zu unternehmen, was diesen Krieg verlängern könnte, der Menschen mordet, Wohlstand vernichtet und das Wiederaufleben des Kampfes um Befreiung verhindert. Ich denke, dass wer einen »Krieg bis zum Äußersten« propagiert, in Wahrheit das Spiel der Regierenden in Deutschland betreibt, die ihre Untertanen täuschen und ihren Kampfesmut anstacheln, indem sie ihnen einreden, ihre Gegner wollten das deutschen Volk unterwerfen und knechten.

Jetzt, wie seit jeher, muss unsere Devise lauten: >Nieder mit den Kapitalisten und den Regierungen, allen Kapitalisten und allen Regierungen!< Und die Völker sollen leben, alle Völker! …


Manifest der Sechzehn (1916)

Christian Comelissen, Henri Fuss, Jean Grave, Jacques Guérin, Peter Kropotkin, Charles Malato

Von verschiedenen Seiten werden Stimmen laut, die einen sofortigen Frieden fordern. „Genug des Blutvergießens, genug der Zerstörung“, heißt es, „es ist Zeit, damit aufzuhören, auf welche Weise auch immer“. Mehr als irgendjemand sonst, und das seit langem, sind wir, in unseren Zeitungen, gegen jeden Angriffskrieg zwischen Staaten eingetreten, und gegen jeden Militarismus, egal, ob er den Helm des Kaisers oder den der Republik trägt. Und wir wären im höchsten Maße beglückt, wenn die Arbeiter Europas auf einem internationalen Kongress die Bedingungen für einen Frieden diskutieren würden – wenn so etwas möglich wäre. Zumal sich das deutsche Volk im August 1914 hat täuschen lassen, und auch wenn es wirklich geglaubt hat, für die Verteidigung seines Territoriums mobilisiert zu werden, so hatte es mittlerweile Zeit genug, um zu bemerken, dass man es betrogen und stattdessen in einen Eroberungskrieg geworfen hat.

Tatsächlich sollten die deutschen Arbeiter, zumindest in ihren mehr oder weniger fortschrittlichen Gruppierungen, inzwischen verstanden haben, dass die Pläne zur Invasion Frankreichs, Belgiens und Russlands von langer Hand vorbereitet waren und dass, wenn dieser Krieg nicht 1875, 1880, 1911 oder 1913 ausgebrochen ist, es daran lag, dass die internationalen Beziehungen zu dieser Zeit noch keine so günstigen Voraussetzungen boten und die militärischen Vorbereitungen noch nicht weit genug vorangeschritten waren, um Deutschland die Aussicht auf einen Sieg zu eröffnen (Vervollständigung der strategischen Linien, Ausbau des Nordostseekanals, Perfektionierung der großen Belagerungsgeschütze). Und jetzt, nach zwanzig entsetzlich verlustreichen Monaten Krieg sollte ihnen bewusst sein, dass die deutsche Armee ihre Eroberungen nicht wird behaupten können. Zumal der Grundsatz zu berücksichtigen ist (den Frankreich schon 1859, nach der Niederlage Österreichs, anerkannt hat), dass es der Bevölkerung jedes Territoriums selbst obliegt, darüber zu entscheiden, ob sie annektiert werden möchte oder nicht.

Wenn die deutschen Arbeiter beginnen, die Situation so zu verstehen, wie wir es tun, und wie bereits jetzt eine kleine Minderheit ihrer Sozialdemokraten sie versteht5 – und wenn es ihnen gelingt, sich bei ihren Regierenden Gehör zu verschaffen –, dann könnte es eine Ebene der Verständigung geben, um mit Friedensverhandlungen zu beginnen. Doch dazu müssten sie erklären, dass sie Annexionen absolut ablehnen; dass sie auf das Vorhaben verzichten, von den eroberten Nationen „Kontributionen“ zu erheben; dass sie die Pflicht des deutschen Staates anerkennen, die materiellen Schäden, die von den Invasoren bei ihren Nachbarn angerichtet wurden, im Rahmen des Möglichen zu beheben, und dass sie nicht die Absicht hegen, sie durch sogenannte Handelsverträge ökonomisch zu unterwerfen. Leider sind bisher keine Anzeichen eines solchen Erwachens seitens des deutschen Volkes zu erkennen.

Es war von der Zimmerwalder Konferenz6 die Rede, doch auf dieser Konferenz fehlte das Wesentliche: eine Vertretung der deutschen Arbeiter7. Man hat auch viel Aufhebens von einigen Unruhen gemacht, die in Deutschland wegen der hohen Lebensmittelpreise ausgebrochen sind. Dabei wird vergessen, dass es in allen großen Kriegen zu solchen Unruhen kam, ohne dass sie Einfluss auf deren Dauer hatten. Außerdem weisen alle derzeit von der deutschen Regierung getroffenen Maßnahmen darauf hin, dass sie neue Offensiven für das Frühjahr plant. Da sie aber auch weiß, dass die Alliierten ihr im Frühjahr mit neuen, besser ausgerüsteten Armeen und einer viel stärkeren Artillerie als zuvor gegenüberstehen werden, arbeitet sie auch daran, Zwietracht in den Bevölkerungen der alliierten Länder zu säen. Und sie setzt dafür ein Mittel ein, das so alt ist wie der Krieg selbst: das Verbreiten von Gerüchten über einen bevorstehenden Frieden, dem sich auf Seiten des Gegners nur die Militärs und die Waffenlieferanten widersetzen würden. Eben darum bemühte sich Bülow mit seinen Sekretären während seines letzten Aufenthalts in der Schweiz.

Doch was sind seine Bedingungen für einen Friedensschluss?

Die Neue Züricher Zeitung glaubt zu wissen, und die regierungsamtliche Norddeutsche Zeitung widerspricht ihr nicht, dass ein Großteil Belgiens geräumt würde, allerdings nur unter der Bedingung, dass das Land Garantien abgibt, dass es sich nicht nochmals, wie im August 1914, dem Durchmarsch deutscher Truppen widersetzt. Was wären das für Garantien? Die belgischen Kohlegruben? Der Kongo? Davon verlautet nichts. Doch bereits jetzt wird eine hohe jährliche Kontribution erhoben. Die eroberten Territorien in Frankreich würden zurückgegeben, ebenso der französischsprachige Teil Lothringens. Doch im Gegenzug müsste Frankreich dem deutschen Staat alle russischen Anleihen überlassen, deren Wert sich auf achtzehn Milliarden beläuft. Mit anderen Worten, eine Kontribution von achtzehn Milliarden, die von den französischen Land- und Industriearbeitern aufzubringen wären, weil sie die Steuerzahler sind. Achtzehn Milliarden für den Rückkauf von zehn Departements, die dank ihrer Hände Arbeit so reich und prosperierend waren und die sie ruiniert und verwüstet zurückerhalten…

Und wenn man wissen will, was man in Deutschland über die Friedensbedingungen denkt, so ist eines sicher: die bürgerliche Presse bereitet die Nation auf den Gedanken vor, Belgien und die französischen Norddepartements schlicht und einfach zu annektieren. Und es gibt in Deutschland keine Kraft, die dagegen Widerstand leisten würde. Die Arbeiter, die ihre Stimme gegen diese Eroberungen hätten erheben müssen, tun es nicht. Die gewerkschaftlich organisierten Arbeiter lassen sich von der Welle imperialistischer Begeisterung mitreißen und die sozialdemokratische Partei, die trotz ihres Massenanhangs zu schwach ist, um in allem, was den Frieden betrifft, Einfluss auf die Entscheidungen der Regierung zu nehmen, ist in dieser Frage in zwei verfeindete Lager gespalten, wobei die Parteimehrheit auf Seiten der Regierung steht. Das deutsche Reich sieht angesichts der Tatsache, dass seine Armeen seit achtzehn Monaten 90 Kilometer vor Paris stehen und dass es in seinem Traum von neuen Eroberungen vom deutschen Volk unterstützt wird, keinerlei Veranlassung, warum es aus seinen bisherigen Eroberungen keinen Nutzen ziehen sollte. Es glaubt sich in der Lage, Friedensbedingungen diktieren zu können, die ihm ermöglichen würden, mit den neuen Milliarden an Kontributionen weiter aufzurüsten, um Frankreich bei passender Gelegenheit erneut anzugreifen, ihm seine Kolonien und weitere Provinzen zu entreißen, ohne seinen Widerstand noch fürchten zu müssen.

Gerade jetzt von Frieden zu sprechen, hieße genau, das Spiel der deutschen Regierungspartei zu betreiben, das von Bülow und seiner Agenten.

Wir hingegen weigern uns strikt, die Illusionen mancher unserer Genossen zu teilen, was die friedlichen Absichten derer angeht, die die Geschicke Deutschlands lenken. Wir ziehen es vor, der Gefahr ins Auge zu blicken und zu unternehmen, was notwendig ist, um sie abzuwenden. Diese Gefahr zu ignorieren hieße, sie zu vergrößern.

Unserer tiefsten Überzeugung nach ist die deutsche Aggression eine – in die Tat umgesetzte – Bedrohung nicht nur unserer Emanzipationshoffnungen, sondern der menschlichen Entwicklung schlechthin. Deshalb haben wir Anarchisten, wir Antimilitaristen, wir Kriegsgegner, wir leidenschaftlichen Befürworter des Friedens und des brüderlichen Miteinanders der Völker, uns auf die Seite des Wiederstandes gestellt, in dem Glauben, unser Schicksal nicht von dem der übrigen Bevölkerung trennen zu dürfen. Wir halten es für überflüssig zu betonen, dass wir es lieber gesehen hätten, dass diese Bevölkerung ihre Selbstverteidigung in die eigenen Hände nimmt. Da dies unmöglich war, blieb nur, sich in das Unabänderliche zu fügen. Und mit denen, die kämpfen, sind wir der Meinung, dass solange die deutsche Bevölkerung nicht zu vernünftigeren Vorstellungen von Recht und Gerechtigkeit zurückkehrt und endlich aufhört, sich als Werkzeug pangermanischer Herrschaftspläne missbrauchen zu lassen, von Frieden keine Rede sein kann. Trotz des Krieges, trotz des Gemetzels haben wir natürlich nicht vergessen, dass wir Internationalisten sind, dass wir die Einheit der Völker wollen, das Verschwinden der Grenzen. Und gerade, weil wir die Versöhnung der Völker, einschließlich des deutschen Volkes, wollen, sind wir der Auffassung, dass man einem Aggressor widerstehen muss, der die Auslöschung all unserer emanzipatorischen Hoffnungen verkörpert.

Von Frieden zu sprechen, so lange die Partei, die Europa seit fünfundvierzig Jahren8 in ein befestigtes Heerlager verwandelt, in der Lage ist, ihre Bedingungen zu diktieren, wäre der schlimmste Fehler, den man begehen könnte. Widerstand zu leisten und ihre Pläne zum Scheitern zu bringen, heißt, dem vernünftig gebliebenen Teil der deutschen Bevölkerung den Weg zu bereiten und ihm die Möglichkeit zu verschaffen, sich dieser Partei zu entledigen. Mögen unsere deutschen Genossen einsehen, dass dies die einzige, für beiden Seiten vorteilhafte Lösung ist, dann sind wir bereit, mit ihnen zusammenzuarbeiten – 28. Februar 1916.

Christian Cornelissen9, Henri Fuss10, Jean Grave11, Jacques Guérin12, Peter Kropotkin, A. Laisant13, F. Le Lève (Lorient)14, Charles Malato15, Jules Moineau (Lüttich)16, Ant. Orfila (Husseindey, Algerien), M. Pierrot17, Paul Reclus18, Richard (Algerien)19, Ichikawa (Japan)20, W. Tscherkesoff21


Reformisten oder Insurrektionalisten? Errico Malatesta (1922)22

Offensichtlich glauben Herr Zirardini und seine applaudierenden Gefährten, dass man die populäre Stimmung bewegen und manövrieren kann wie ein elektrisches Gerät, das mit einem Schalter gesteuert wird: Stopp, vorwärts, rückwärts usw.

Eines Tages wollen sie, dass die Arbeiter ruhig sind und nur daran denken, sie in die Parlamente und Gemeinderäte zu schicken, und sie predigen gegen die Gewalt, gegen die insurrektionalistische Illusion und für eine langsame, schrittweise, sichere Entwicklung, für die legale Eroberung der öffentlichen Macht.

Dann kommen die Schläge, die Brände, die faschistischen Morde, um auch den Blinden zu zeigen, dass die Legalität nichts bringt, denn auch wenn sie in manchen Fällen für die Unterdrückten günstig ist, scheuen die Unterdrücker nicht davor zurück, sie zu verletzen und durch die grausamste Gewalt zu ersetzen; aber unsere guten Sozialisten geben sich Mühe, dass die Arbeiter die Provokationen nicht auf sich nehmen und sich des „Heldentums der Geduld“ rühmen.

Schließlich werden die Schläge zu stark und treffen auch die Schultern der Anführer, die gesamte Organisation, insbesondere die genossenschaftliche Organisation der Sozialisten, steht vor der Zerstörung, die Situation wird selbst für die Anführer unerträglich, und so rufen sie zur Insurrektion auf!

Begreifen diese Herren, begreift Zirardini nicht, dass es lächerlich ist, zu hoffen, dass sie diejenigen, die sie fünfzig Jahre lang zu Schafen gemacht haben, plötzlich in Löwen verwandeln können? Und denken sie nicht, mit welchem spöttischen Lächeln und Misstrauen sie einen Aufruf zur Insurrektion begrüßen werden, der von jenen Arbeitern ausgeht, die sie nicht entmachtet haben?

Und außerdem, wer könnte sie ernst nehmen, wenn es derselbe Zirardini ist, der mit einer möglichen Insurrektion droht, der die Zusammenarbeit der Sozialisten mit den antifaschistischen bourgeoisen Parteien vorschlägt, d.h. der eine weitere Illusion, eine weitere Täuschung vorbringt, die darauf abzielt, die Arbeiter in der Hoffnung ruhig zu halten, dass die Rettung von der Regierung kommen wird, ohne dass sie sich selbst anstrengen müssen?

Wir zweifeln nicht an der Gutgläubigkeit von irgendjemandem, aber es scheint uns eine einzigartige Verirrung, ein unglaubliches Missverständnis der Psychologie von Individuen und Massen zu sein, zu denken, dass man gleichzeitig an legale Mittel glauben und auf sie hoffen kann und gleichzeitig bereit ist, zu illegalen Mitteln zu greifen; sich für Wahlen zu begeistern und sich für eine Insurrektion vorzubereiten. Das mag in den Reden von Enrico Ferri über die „zwei Beine“, auf denen der Sozialismus geht, möglich erscheinen, aber es wird durch alle historischen Erfahrungen widerlegt, ebenso wie durch das Gewissen eines jeden, der ein wenig innehält, um sich selbst (A.d.Ü., kennen) zu lernen.

Wir erinnern uns zum Beispiel daran, einmal einem Vortrag des unaussprechlichen Misiano zugehört zu haben, in dem der damalige Abgeordnete, nachdem er von der unmittelbar bevorstehenden Revolution gesprochen und die Notwendigkeit einer technischen Vorbereitung betont hatte, auf die in sechs Monaten stattfindenden Kommunalwahlen zu sprechen kam und empfahl, die Listen schon jetzt aufzustellen und die Vorbereitung des Wahlkampfes mit Aktivität zu betreiben.

Könnt ihr euch vorstellen, dass jemand jeden Moment mit der Revolution rechnet und hart daran arbeitet, um darauf vorbereitet zu sein, und gleichzeitig für die Kommunalwahlen arbeitet, die sechs Monate später stattfinden sollen? Oder umgekehrt: Jemand, der hofft, ohne Risiko und ohne großen Aufwand mit einer einfachen Abstimmung wirksam zum gesellschaftlichen Wandel beitragen zu können, und dann sein Brot, seine Freiheit, sein Leben in einer insurrektionellen Aktion riskieren will?

Eine Wahl muss getroffen werden; und natürlich wählt die Mehrheit den Weg, der einfacher erscheint und der in allen Fällen keine Gefahr darstellt; aber dann stellen sie fest, dass sie auf Sand gebaut haben, und wenn die Reaktion kommt, haben sie keine moralischen und materiellen Kapazitäten, um zu widerstehen … und sie lassen sich schlagen und hungern.

Und wir haben ja gesehen, was passiert ist. Die Revolution wurde nicht gemacht, weil sie sie nicht machen wollten; stattdessen gab es Wahlen […].

Die Insurrektion wird kommen, sie muss kommen; aber sie wird sicher nicht von den Parlamentariern ausgehen… sie wird sich gegen sie richten.

Die Arbeiter müssen sich darauf vorbereiten, und dazu müssen sie sich von einer trügerischen Hoffnung auf die heutige oder künftige Regierung, auf die Abgeordneten und diejenigen, die es werden wollen, verabschieden.

Umanità Nova, n. 140, 18. Juni 1922


1Die vorliegende Stellungnahme hat zum Hintergrund den kriegsbefürwortenden Kurs mancher Anarchisten (vor allem) aus Malatestas Londoner Umfeld. Besonders nahe ging Malatesta dabei der Zusammenstoß mit seinem alten Freund Peter Kropotkin, über den er gegen Ende seines Lebens rückblickend schreibt: »[I]n der Tat gab es zwischen uns niemals eine ernsthafte Unstimmigkeit bis zu dem Tag, an dem sich im Jahre 1914 eine Frage praktischen Verhaltens stellte, die sowohl für mich als auch für ihn von grundlegender Bedeutung war: die Frage der Haltung nämlich, die die Anarchisten gegenüber dem Krieg einnehmen sollten. Bei dieser unseligen Gelegenheit erwachten und erstarkten bei Kropotkin seine alten Vorlieben für alles Russische oder Französische, und er erklärte sich zum leidenschaftlichen Anhänger der Entente. Er schien zu vergessen, daß er Internationalist, Sozialist und Anarchist war; er vergaß, was er selbst kurz zuvor über den Krieg gesagt hatte, den die Kapitalisten vorbereiteten. Er begann, die schlimmsten Staatsmänner und die Generäle der Entente zu bewundern, behandelte die Anarchisten, die sich weigerten, der Heiligen Allianz beizutreten, als Feiglinge und beklagte es, daß Alter und Gesundheit ihm untersagten, ein Gewehr zu nehmen und gegen Deutschland zu marschieren. Eine Verständigung war daher nicht möglich: für mich war es ein wirklich krankhafter Fall. Jedenfalls war es einer der schmerzhaftesten, tragischsten Momente meines Lebens (und ich wage zu sagen, auch des seinen), als wir nach einer außerordentlich mühseligen Diskussion wie Gegner, ja fast wie Feinde auseinandergingen.« (Peter Kropotkin. Erinnerungen und Kritik eines alten Freundes (1931), in: Errico Malatesta: Gesammelte Schriften. Band 2. Berlin: Karin Kramer Verlag, 1980: 56–66. Hier: S.58f.)

2Diese Anmerkung hat auch einen biographischen Hintergrund. So sind Malatesta und einige seiner Genossen im Jahr 1884 nach Neapel geeilt, wo die Cholera ausgebrochen war, um der Bevölkerung zu helfen.

3Dies lässt sich wohl als eine hellsichtige Vorwegnahme des Versailler Vertrags und der Entwicklung der Nachkriegszeit – hin zum Zweiten Weltkrieg – interpretieren.

4Veröffentlicht unter dem Titel »Pro-Government Anarchists« in der Zeitschrift Freedom (London), Nummer 324 (April 1916). Der Übersetzung liegt die Wiedergabe des Artikels in der von Sébastien Faure herausgebenen Encyclopédie anarchiste unter dem Stichwort »Seize (le manifeste des)« zugrunde. Das komplette Stichwort wurde aus dem Französischen übersetzt von Michael Halfbrodt und findet sich in: Andreas Hohmann (Hg.): Ehern, tapfer, vergessen. Die unbekannte Internationale. Lieh: Edition AV, 2014: 13–53. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Michael Halfbrodt und Andreas Hohmann. Im Februar 1916 wurde eine Erklärung, das berühmt berüchtigte »Manifest der Sechzehn« veröffentlicht, in dem sich führende Anarchisten für eine Weiterführung des Krieges gegen das Deutsche Reich aussprachen, sei doch »die deutsche Aggression eine – in die Tat umgesetzte – Bedrohung nicht nur unserer Emanzipationshoffnungen, sondern der menschlichen Entwicklung schlechthin«. Die Verfasser, unter anderem Jean Grave, Peter Kropotkin und Charles Malato, wandten sich damit auch gegen eine anarchistische Erklärung aus dem Jahre 1915 – »Die anarchistische Internationale und der Krieg« -, in der sich gleichermaßen gegen sämtliche am Krieg beteiligten Mächte ausgesprochen worden war. Malatesta war einer der Unterzeichner letzterer Erklärung. Siehe zu alledem (auch die jeweiligen Texte) in: Ham Day: Das Manifest der Sechzehn (1933), in: Andreas Hohmann (Hg.): Ehern, tapfer, vergessen. Die unbekannte Internationale. Lieh: Edition AV, 2014: 13–53.

5Nachdem mit Karl Liebknecht und Otto Rühle Ende 1914/Anfang 1915 die ersten SPD-Reichstagsabgeordneten die Bewilligung von Kriegskrediten abgelehnt hatten, bildete sich sowohl innerhalb der Partei als auch in der SPD-Parlamentsfraktion eine wachsende Opposition gegen den Krieg.

6Nach dem Tagungsort, dem schweizerischen Dorf Zimmerwald (nahe Bern) benannte sozialistische Konferenz vom 5.-8. September 1915, bei der Kriegsgegner aus verschiedenen sozialdemokratischen Parteien über die Aufkündigung der Burgfriedenspolitik und die Rückkehr zum Klassenkampf als Mittel zur Beendigung zur Krieges berieten.

7Das ist unrichtig. Tatsächlich war eine deutsche Delegation auf der Konferenz vertreten und zahlenmäßig neben den Exilrussen sogar die stärkste Fraktion.

8Gemeint ist: seit dem deutsch-französischen Krieg von 1870–1871.

9Christiaan Comelissen (1864–1942), holländischer Anarchosyndikalist, Herausgeber des mehrsprachigen „Bulletin International du Mouvement Syndicaliste“ (1907–1914), das eine wichtige Koordinationsfunktion für die internationale syndikalistische Bewegung hatte.

10Henri Fuss (1885–1964), Setzer und Journalist, vor dem Ersten Weltkrieg eine der aktivsten Figuren in der anarchistischen und syndikalistischen Bewegung Belgiens und Frankreichs.

11Jean Grave (1854–1939), Herausgeber der Zeitschriften „La Revolte“ (1885–1894) und „Les Temps nouveaux“ (1895–1914). Als Publizist und Propagandist kropotkinscher Ideen einer der einflussreichsten französischen Anarchisten vor dem Ersten Weltkrieg.

12Jacques Guérin (ca. 1884–1920), französischer Anarchist und einer der Herausgeber von „Les Temps Nouveaux“.

13Charles-Ange Laisant (1841–1920), französischer Offizier, Mathematiker und republikanischer Politiker, der sich in den 1890er Jahren zum Anarchisten wandelte.

14François Le Levé (1882–1945), bretonischer Anarchosyndikalist. Aktiv in der Hafenarbeitergewerkschaft und der „Arbeitsbörse“ seiner Heimatstadt Lorient.

15Charles Malato (1857–1938), anarchistischer Schriftsteller und Journalist.

16Jules Moineau (1857–1934), belgischer Anarchist.

17Marc Pierrot (1871–1950), französischer Arzt und Anarchist, dem Syndikalismus nahestehend.

18Paul Reclus (1858–1941), französischer Anarchist, Sohn von Élie und Neffe von Élisée Reclus.

19Vermutlich Pierre Richard (7-1933/1934), französischer Metallarbeiter, der sich Anfang des 20. Jahrhunderts in Algerien niederließ und u.a. als Algerienkorrespondent von „Les Temps Nouveaux“ fungierte.

20Sanshiro Ishikawa (1876–1956), japanischer Anarchist, hielt sich während des Ersten Weltkriegs in Frankreich auf.

21Waarlam Tscherkesoff (oder Tscherkessischwili, 1846–1925), aus georgischer Adelsfamlie stammender Anarchist und enger Weggefährte Kropotkins.

22Gefunden auf Machorka, die Übersetzung ist von uns.

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Veranstaltung/Diskussion über das Leben und die aktuelle Lage des anarchistischen Langzeitgefangenen Claudio Lavazza https://panopticon.blackblogs.org/2022/03/09/veranstaltung-diskussion-ueber-das-leben-und-die-aktuelle-lage-des-anarchistischen-langzeitgefangenen-claudio-lavazza/ Wed, 09 Mar 2022 08:13:52 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=2522 Continue reading ]]> Veranstaltung/Diskussion über das Leben und die aktuelle Lage des anarchistischen Langzeitgefangenen Claudio Lavazza

01.04.22 19:00Uhr Kalabalik, Reichenbergerstr.63a, 10999 Berlin

Claudio Lavazza, geboren 1954, war ein Protagonist, unter tausenden, der so genannten „Anni di Piombo“ (bleiernen Jahren) in Italien von 1969-1980. In dieser Zeit organisierten sich zigtausende von Proleten, um den Sturz des Kapitalismus und des Staates herbeizuführen. In Fabriken, in den Schulen, in den Universitäten, in den Psychiatrien, in den Knästen, in den Kiezen… überall fanden Kämpfe statt. Einige entschieden sich, so wie Claudio, für den bewaffneten Kampf. Er war Mitglied den Gruppen Proletari Armati per il Comunismo (P.A.C.) und Comunisti Organizzati per la Liberazione Proletaria (C.O.L.P.), musste aber 1982 aufgrund der Repression ins Exil nach Frankreich gehen, so wie viele hunderte andere auch. Denn ab 1978 fand in Italien eine massive Repression gegen die revolutionäre Bewegung statt, es gab eine hohe Zahl an Gefährten und Gefährtinnen, die von den Repressionskräften des Staates ermordet wurde, zigtausende wurden verhaftet, gefoltert und inhaftiert, der Höhepunkt war als circa 10.000 Gefährten und Gefährtinnen im Knast waren.

Seine Spur verlor sich bis zu seiner Verhaftung am 18. Dezember 1996 in Córdoba (Spanien) nach dem gescheiterten Banküberfall auf die zentrale Filiale der Santander-Bank. Bei der Verfolgungsjagd wurden zwei Bullen der örtlichen Polizei von Córdoba erschossen und Claudio und seine Gefährten, die mit ihm den Überfall begangen hatten, erlitten mehrere Schussverletzungen und wurden verhaftet. Dieser Überfall würde im spanischen Staat zu großen Kontroversen innerhalb der anarchistischen Bewegung führen, die ihren Höhepunkt in einer Generationsspaltung erreichen und die Verbreitung aufständischer anarchistischer Ideen (Insurrektionalismus) beschleunigen würde.

Seitdem ist er inhaftiert und hat viele dieser Jahre in der berühmt berüchtigten spanischen Isolationshaft, namens F.I.E.S., gesessen, die 1991 von der Linken Regierung der PSOE eingeführt wurde. In der ganzen Zeit seit seiner Inhaftierung hat sich Claudio an Kämpfen im Knast, für Gefangene, gegen Folter und die bestialischen Haftbedingungen gekämpft und dazu, unter anderem eine Autobiografie, einige Texte veröffentlicht. Juli 2018 wurde Claudio nach Frankreich ausgeliefert, da er dort, so wie in Italien, noch offene Haftstrafen von zehn Jahren zu verbüßen hat. Nach europäischen Gesetz müsste dieses Urteil mit seiner Haftzeit im spanischen Staat abgegolten sein. Da man in der europäischen Union nicht länger als 30 Jahre im Knast absitzen kann.

Darauffolgend wollen wir mit euch über Repression und den Umgang damit umzugehen diskutieren.

Für mehr Infos über Claudio Lavazza, folgende Texte auf unseren Blog:

Kritik und Analyse des Anarchismus heute

Beitrag zur Anti-Knastdebatte von Claudio Lavazza

Aktualisierung der Situation von Claudio Lavazza

Wer sind Giovanni Barcia und Claudio Lavazza?

Interview mit dem gefangenen Anarchisten Claudio Lavazza.

Freiheit für Claudio Lavazza!

Telefoninterview mit Claudio

 

 

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Gegen die Kriege des Kapitalismus, lautet unsere Antwort sozialer Krieg https://panopticon.blackblogs.org/2022/03/02/gegen-die-kriege-des-kapitalismus-lautet-unsere-antwort-sozialer-krieg/ Wed, 02 Mar 2022 19:48:40 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=2507 Continue reading ]]> Gegen die Kriege des Kapitalismus, lautet unsere Antwort sozialer Krieg

Gegen die NATO, gegen die EU, gegen die Ukraine, gegen Russland, für die Vernichtung des Staates-Kapitals

von der Soligruppe für Gefangene

28.02.2022

Jeder kennt den berühmten Satz von Von Clausewitz, dass der Krieg nämlich die Fortführung der Politik sei nur mit anderen Mitteln. Der Krieg ist nicht ein Akt abenteuerlustiger Wahnsinniger oder ein irrationaler Akt, so wie es bezeichnet wird, um die Kriege der anderen zu diskreditieren, im Kapitalismus nämlich ist der Krieg nicht vom Kapitalismus zu trennen. Seitdem der Mensch Münzen mit dem Gesicht von Herrschern prägt, verstanden als die zivilisierte Interaktion, damit wir uns auf der Suche nach Essen nicht gegenseitig umbringen, so die kapitalistische Vernunft, werden alle Konflikte zwischen der politischen Organisation der Ökonomie, sprich ihrer territorialen Verwalter, der Staaten, so geregelt, wenn man keinen gegenseitigen Profit erreichen kann. Der Krieg ist vom Kapitalismus nicht zu trennen und alle Phasen des Friedens sind nur darauf gezielt, sich auf den nächsten Krieg vorzubereiten und was uns sterbliche, ersetzbare und auszubeutende Masse angeht, es zu erleiden. Kriege werden nicht nur zwischen Nationen-Staaten geführt, sondern auch dort wo die Herrschaft des Kapitals sich nicht durch den sozialen Frieden durchsetzen kann, also um jegliche Spannung innerhalb des eigenen Territoriums zu garantieren, dies wird mit den Salven der Kanonen erreicht. Kein Bonapartismus ist dafür vonnöten, wenn die Demokratie dies nicht erreicht, macht sie Platz für den Faschismus, welcher die andere Seite derselben Münze ist.

Der Einmarsch des russischen Militärs und die Kriegserklärung von Russland gegen die Ukraine ist weder eine Überraschung, auch wenn es alle überrascht hat, noch ein Akt eines Wahnsinnigen oder einer verrückten Regierung, die Narration macht es nur leichter verständlich, indem der Bösewicht des Filmes pathologisiert wird. Dadurch wird das gesellschaftliche des Kapitals vernebelt, stumm gemacht, um es von der Organisation der Gesellschaft des Kapitals wie einen Tumor zu trennen, als habe das eine mit dem anderen nichts zu tun. Vergessen wir nicht, wer die ersten Atombomben abwarf und, ideologisch betrachtet, in wessen Namen.

Auch wenn seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion das Ende der Geschichte verkündet wurde, zumindest von den Philosophen der Bourgeoisie, dieses Ende verkündet den unendlichen Sieg des Kapitals, dennoch konkurrieren weiterhin die Fraktionen des Kapitals gegeneinander. Diese unterschiedlichen Fraktionen, die auch unterschiedliche Ideologien verteidigen, können qualitativ als ein Block gesehen werden, als Garanten der Aufrechterhaltung des Kapitalismus, verfolgen dennoch, wie schon gesagt, eigene Interessen und diese führen zu Konflikten, die wie vor ein paar Tagen auch in Kriegen münden. Was uns nochmals verdeutlicht hat, dass die Fraktionen des Kapitals sich weiterhin untereinander in Blöcken verbünden, um ihre eigene Interessen zu schützen, all dies ist aber nicht von Dauer und nicht für immer. Jede dieser Fraktionen muss soviel Mehrwert aus den Arbeitern und Arbeiterinnen auspressen wie es geht, und durch die verschiedenen industriellen Revolutionen, wo dieses Auspressen maximiert wird, vorangetrieben wird, wird immer weniger menschliche Arbeitskraft benötigt, was wiederum zu neuen und weiteren ökonomischen Krisen führt. Diese Entwicklung steigert sich in den letzten Jahrzehnten und tritt immer häufiger auf, verglichen zumindest mit früheren ökonomischen Krisen und der Zeit zwischen diesen. Alle Fraktionen des Kapitals müssen daher so schnell und gut wie möglich ihre Positionen sichern, weitere erobern und zumindest kontrollieren. Dies tut die Europäische Union, in dem sie einen enormen Binnenmarkt erschuf und der herrschenden Klasse einen immer größeres Gebiet/Territorium garantierte. Dieses Gebiet/Territorium verfolgt sicherlich aber auch, nicht ohne interne Konflikte, eine innere Stabilität, um die Maximierung der Ausbeutung zu garantieren und muss sich daher auch als Block verteidigen können. All diese Vorgänge und Strategien unterschiedlicher Nationen und Fraktionen sind niemals harmonisch und ihre Dauer ist nie gesichert, denn jeder dieser sucht und verteidigt an erster Stelle die eigenen Interessen. Siehe den Austritt von Großbritannien aus der EU z.B.. So musste sich die EU erweitern und aufgrund der geographischen Grenzen, vor denen sie steht, konnte sie sich nur durch eine Expansion Richtung Osten erweitern, wo aber eine zusammengebrochene Fraktion, die Sowjetunion, sich kleiner und unter dem Namen der Russischen Föderation, wieder aufbauen konnte, die nach demselben Schema denkt und handelt.

Der jetzige Konflikt, getarnt durch die Masche des Nationalismus und der Vaterlandsliebe, entspricht einer solchen Entwicklung, bei der Verbündete der EU, ökonomisch wie militärisch, nämlich die NATO, auch eine große Rolle spielen. Denn wenn auch die Sowjetunion Geschichte ist, ist der Hauptgrund dieser militärischen Allianz immer noch die Annahme, dass der Hauptfeind für die westliche Welt, sprich die kapitalistische Fraktion, die demokratisch, die Rechte der Menschen achtet, umweltfreundlich, menschenfreundlich, tierfreundlich, usw. ist, Russland sei. Vielleicht liegt das an dem noch beachtlichen Arsenal an Nuklearwaffen, welche der Westen genauso besitzt.

Dieser Krieg, so wie sein Ursprung, was bei allen anderen Konflikten selten anders ist, wird aber als Puppentheater unter einer anderen Sprache geführt, es wird nicht darüber geredet, dass es sich immer nur um ökonomische Konflikte handelt, sondern wie es die jeweilige Ideologie zustande bringt, um den Schutz der Demokratie, um den Kampf gegen den Faschismus, die Rettung der unterdrückten Brüder und Schwester, einem Wahnsinnigen und einer Oligarchie die Stirn zu bieten, usw. je nach Bedarf und je nach Geschmack bieten die Ideologien einige Rechtfertigungen.

All dies ist sehr nützlich damit sich die Menschen, in der Regel Arbeiter und Arbeiterinnen, sprich Menschen, die ihre Arbeitskraft verkaufen, um nicht zu verhungern, dazu getrieben werden im Namen der herrschenden Klasse, der Bourgeoisie, sich gegenseitig umbringt. Die Grauen des Krieges, das Leiden aus diesem, die Toten, die Flucht, die ökonomischen Embargos (Swift), die zerstörten Familien und Existenzen, die zahlen bei jedem Konflikt immer dieselben, nicht diejenige die die Kriege anzetteln, sondern die die sie austragen.

Wobei man nicht die Heuchelei und den rücksichtslosen Pragmatismus des Kapitals vergessen darf, die schärfsten Kritiker der Russischen Föderation, also die westliche Fraktion des Kapitals, betreibt weiterhin Handel mit dieser.

All dies ist nichts neues und wir haben auch nicht das Orakel nach Rat fragen müssen, um auf dies kommen zu müssen. Aber anscheinend muss es wiederholt werden, weil die Ideologisierung an vielen Orten Widerhall bekommt und dieser Krieg wird auf irgendeiner Art und Weise gerechtfertigt. Arten und Weisen um dies zu bewerkstelligen gibt es viele, wir erwähnten die Vaterlandsliebe, diese Union Sacrée, die alle vereint, die Bourgeoisie vereint die Arbeiter und Arbeiterinnen, die daran glauben, dass man dasselbe Schicksal austragen würde, dass der Feind derselbe wäre, wenn es sich dann am Ende nur darum handelt, vom wem man ausgebeutet wird. Die ukrainische herrschende Klasse ist sich seiner selbst so sicher, dass sie sogar Waffen unter der Bevölkerung austeilt, ohne dass sie sich Sorgen machen muss, dass diese gegen sie gerichtet werden, wenn auch die Arbeiter und Arbeiterinnen dort (sowie hier) alle Gründe dafür haben. Die Frage ist nicht nur, dass das Proletariat sich bewaffnet, sondern was dieses mit den Waffen tut. Genauso wie, dass die Bevölkerung in der Ukraine zum Bau von Mollis aufgerufen wird, noch nie kursierten im Internet so viele Videos, die erklären, wie unterschiedlich man Mollis bauen kann, sogar Reservegeneräle der Bundeswehr weisen in Interviews im Fernseher darauf hin, wie nützlich Styropor (eigentlicher Name Polystyrol, Styropor ist der Markenname) in Mollis sind, weil sie gut haften. Bald werden noch Veteranen aus dem sowjetisch-finnischen Krieg als Mollis-Experten eingeflogen. Nichts scheint verführerischer als der Ruf nach den Fahnen zur Verteidigung der Nation, was zuletzt immer die Verteidigung der Bourgeoisie eines gewissen Territoriums ist.

Und doch erscheint uns all dies wie eine Plattitüde, die keinen mehr so wirklich interessiert. Was nicht schlimm ist, dies soll kein Klagelied sein, sondern eher eine Feststellung.

Ein weiterer Krieg ist vom Zaun gebrochen worden und dieser wird, genauso wie viele ähnliche Ereignisse in den letzten Jahrzehnten, die Zukunft oder zumindest die erbärmliche Gegenwart, so wie wir sie kennen, verändern. Die BRD hat schon verkündet, dass das Militär mit horrenden Summen an Geld neu aufgerüstet werden soll, weitere Länder werden nachziehen, dies ist kein Einzelfall. Evtl. stehen wir vor einer kommenden Debatte, ob mehr Länder ihr jetziges Waffenarsenal mit atomaren Waffen erweitern werden. Bis dato besitzen offiziell neun Ländern – Vereinigte Staaten, Russische Föderation, Frankreich, Großbritannien, Pakistan, Indien, Volksrepublik Korea, Volksrepublik China und Israel – insgesamt über 13000 nukleare Sprengköpfe. Davon fast 12000 in Händen der Vereinigten Staaten und der Russischen Föderation. Wie auch es der Fall sein wird, mitten in einer enormen ökonomischen Krise werden viele Staaten ihre Haushälter umkrempeln, um die Ausgaben für das Militär aufstocken zu können, die Korken knallen schon bei den jeweiligen Industrien und Unternehmen, aber es soll sich keiner täuschen, diese Aufrüstung dient vor allem dem Feind innerhalb des zu verwaltenden Territoriums.

Jegliche Debatte für die Aufrüstung der Sicherheits- und Militärbehörden kann jetzt perfekt mit der Drohung von Russland, vielleicht dann China, oder-wer-auch-immer-dann-an-der-Reihe-ist, ohne Protest über die Bühne gebracht werden und die Union Sacrée ist vollbracht, alle demokratischen Kräfte werden zur Kulmination patriotischer Pflichten.

Jetzt scheint nichts dringlicher als der Frieden zu sein, dass die militärischen Handlungen ein Ende nehmen, denn, was auch richtig ist, die Menschen leiden unter dem Massaker eines jeden Krieges. Doch man darf nicht vergessen, dass der Frieden nichts anderes ist als der Frieden der Herrschaft des Kapitals und dies ist ein Krieg gegen die Menschheit, die tagtäglich um ihr Überleben zu kämpfen hat, auch wenn diese die Möglichkeit der Lohnabhängigkeit hat. Aber nichts ist sicher in der Realität und Diktatur des Kapitals, kein Job ist eine Garantie, man kann diesen immer verlieren, man kann einem Unfall – sei dieser körperlich oder seelisch – zu Opfer fallen und jederzeit kann ein Krieg ausbrechen. Die Zuversicht, dass dem nicht so sei, ist nur der Glaube, dass der Staat alles im Sinne der Menschen verwaltet und dies tut er nicht, er dient nur seinen eigenen Interessen und da ist kein Platz für die Menschen. Sie müssen so effektiv wie möglich ausgebeutet werden und am Leben erhalten werden, so dass sie sich nicht ständig aufständisch auflehnen und ihnen muss diese konkrete Realität, je nach Fraktion und Land unterschiedlich, als die bestmögliche verkauft werden. Die jetzige erfolgreichste Form – Ideologie – ist die Demokratie und sie muss im Interesse der herrschenden Klasse auch so bleiben, daher auch die Dämonisierung von Putin und Russland, welches, so die Medien und viele angebliche Verleumder dieser, von einer Oligarchie regiert wird. Bourgeoisie bleibt Bourgeoisie, egal ob in Russland oder hier, es ist aber von Interesse die dortige als eine schlimmere Version der hiesigen zu präsentieren, deswegen wird sie auch Oligarchie genannt. Ein weiterer Beispiel der Konkurrenz zwischen den Fraktionen des Kapitals.

Das Gerede über Frieden ist also über den Frieden im Sinne der herrschenden Klasse zu reden. Wie in der Französischen Revolution, die verkündeten universalistische Postulate der Freiheit, Brüderlichkeit und Gleichheit unterstrichen sich nur als die Freiheit, die Brüderlichkeit und die Gleichheit für die neue aufkommende herrschende Klasse, die Bourgeoisie. Kürzlich sagten Bekannte, dass es besser sei in der Ukraine zu leben, als Revolutionärer, als in Russland. Wir erwiderten, dass es nur eine Frage der Staatstreue sei, was sich in der Ukraine in mehreren Fällen erwiesen haben scheint.

Was uns zum nächsten Thema führt, der unausweichlich diesen Krieg, aber auch davor, sehr geprägt hat. Die Haltung von angeblichen Anarchisten und Anarchistinnen in der Ukraine, so wie seit dem Anbeginn des Krieges auch hier. Es handelt sich hier um sehr beunruhigende Haltungen und Erklärungen, die wir nicht verallgemeinern wollen, da wir die Tragweite nicht bemessen können, aber in verschiedenen Artikeln, es handelt sich hier um Interviews und Berichte, die über die nordamerikanische anarchistische Gruppe Crimethinc ihren Weg gefunden haben und aufgrund fehlender weiterer Informationen sich als Bares kristallisiert haben. Da es sich aber nur um ein paar wenige Artikel handelt und da man die Urheberschaft, die Hintergründe sowie Positionen der Verantwortlichen nicht überprüfen kann, wissen wir daher nicht, ob es sich hier um Positionen handelt, die von vielen Anarchisten und Anarchistinnen in der Ukraine geteilt werden.

Was uns wieder beunruhigt, aber dennoch nicht überrascht, ist, dass sogenannte Anarchisten und Anarchistinnen sich in diesem Konflikt innerhalb zwei gegenüberstehenden bourgeoisen Fraktionen einreihen. Unter dem Deckmantel der Demokratie, der nationalen Souveränität, Schulter an Schulter mit Nazis und ukrainischen Nationalisten auf der Seite der ukrainischen Nation und der NATO und den imperialistischen Interessen, deren Partner und Assoziierte und auf der anderen Seite unter dem Deckmantel des Antifaschismus, der nationalen Souveränität, Schulter an Schulter mit russischen Nationalisten auf der Seite der russischen Nation, dessen Partner und Assoziierte und dessen imperialistischen Interessen.

Dies konnte, ob wahr oder nicht, aufgeblasen oder übertrieben, aus verschiedenen Artikel herausgelesen werden, die entweder von Crimethinc oder auf anderen anarchistischen Nachrichtenportalen veröffentlicht oder erschienen sind. Dort ist die Rede einer Art von Union Sacrée, bei der alle gemeinsam gegen den russischen Aggressor kämpfen, das einheimische Kapital wird gegen ein ausländisches verteidigt. Ohne Scheu wird über die Notwendigkeit geredet, dass es vorzuziehen sei, in einer ukrainischen Nation anstatt in einer unter russischer Herrschaft, ob direkt oder indirekt, zu leben. Was anscheinend dazu geführt hatte und hat, dass man dazu aufgerufen hat, sich der Armee oder unterschiedlicher nationalistischer und faschistischer Milizen anzuschließen hat und angeschlossen hatte. Wie können Anarchisten und Anarchistinnen darüber reden das eigene Land zu verteidigen, da wir weder Land noch Vaterland haben?

Wenn auch nicht mit derselben Tragweite erinnert uns dies zu sehr an das Manifest der Sechzehn, ein Manifest, welches eigentlich von fünfzehn Anarchisten und Anarchistinnen veröffentlicht wurde, die sich 1916, mitten im Ersten Weltkrieg, für den Krieg gegen das Deutsche Kaiserreich positionierten. Der bekannteste der Unterzeichnenden war der aus Russland stammende Piotr Kropotkin. Die offene Unterstützung der Alliierten und der Entente seitens einiger weniger führte zu einem Tumult innerhalb der anarchistischen Bewegungen, der sich nur zehn Jahre später in der Debatte um den Plattformismus wiederholen würde.

Wie gesagt, die internationale anarchistische Bewegung lehnte dieses Manifest ab. Es sei erwähnt, dass damit ungefähr die absolute Mehrheit der Bewegung die Kritik vertrat und dieses Manifest eines Verrats an den anarchistischen Prinzipien beschuldigte. Dass es sich eben nicht um einen Krieg zwischen dem deutschen Imperialismus und der internationalen Arbeiter- und Arbeiterinnenbewegung handelte, sondern dass es sich um einen Krieg zwischen kapitalistischen Staaten handeln würde, welcher auf den Schulter der Arbeiter- und Arbeiterinnenklasse getragen wurde. Unter den Kritikern des Manifests fanden sich Malatesta, Goldman, Bergman, Faure, Fabbri, Mühsam, Rocker und viele andere bekanntere.

Vielleicht übertreiben wir mit der Erinnerung, nicht Vergleich, die uns auffiel, denn es ist wie gesagt beunruhigend und konterrevolutionär wenn Anarchisten und Anarchistinnen anfangen sich einer der Fraktionen des Kapitals anzuschließen. Denn wenn diese, so wie andere angebliche Revolutionäre, anfangen den Staat-Kapital zu verteidigen, wofür kämpfen wir dann noch, außer für die Aufrechterhaltung dessen, was wir zerstören wollen, das, was die Ursache alles Leidens der Menschheit und aller Spezies auf diesem Planeten ist?

Die Frage sei rhetorisch zu verstehen, aber seit der Corona-Pandemie hat sich die Verteidigung des Staates, als Garant für Gesundheit und Wohlergehen, breit gemacht und nicht nur innerhalb der Linken des Kapitals, sondern auch in anarchistischen Kreisen, die sich damit innerhalb der Linken des Kapitals eingereiht haben. So rechtfertigen einige dieser Kreise, Strömungen und/oder Gruppen die herrschende Ideologie, die Demokratie, als eine vernünftigere Form der Herrschaft des Kapitals und da bleibt auch jedes Zitat von Bakunin1 diesbezüglich auf der Strecke und lässt uns nicht mehr das verstehen, was wir tun wollen, dem Kapitalismus und dem Staat ein Ende zu setzen.

Was sind unsere Vorschläge? Nun die, die schon Millionen vor uns verteidigt haben und versucht haben in die Praxis zu setzen. Dass es kein Sinn ergibt, sich in diesem kapitalistischen Krieg auf irgendeiner Seite der Kriegsparteien zu positionieren. Wir sind nicht das Kanonenfutter, weder für die NATO, die EU, Russland oder wen auch immer, egal wie fortschrittlich und menschenfreundlich sich diese oder jene Fraktion des Kapitals präsentiert. Unser Ziel ist es, die Menschheit vom Joch der Lohnsklaverei und dem Staat zu befreien und wir müssen diesen und nur diesen Weg beschreiten. Dass alle Anstrengungen der anarchistischen Bewegung es sein müssen, einen Aufstand voranzutreiben, der in einer sozialen Revolution mündet. Sozialer Krieg und Klassenkrieg überall und ohne Rast. Dass unsere Anstrengungen gegen den kapitalistischen Krieg immer für den Krieg gegen die herrschende Klasse sein muss, dass nur die ausgebeuteten Massen diesem und jedem Gemetzel ein Ende setzen können, dass wir mit unseren vermeintlichen Gegnern – verschleiert durch die Maskerade des Nationalismus – mehr teilen, da wir alle unter derselben Herrschaft des Kapitals ausgebeutet werden.

Nieder mit dem kapitalistischen Krieg und dem kapitalistischen Frieden!

Aufstand, Revolte, soziale Revolution!

Für die klassen- und staatenlose freie Gemeinschaft!

Für die Anarchie!

 

1„Wie Bakunin schrieb: »Wir sind fest davon überzeugt, dass die unvollkommenste Republik tausendmal besser ist als die aufgeklärteste Monarchie.«“, aus dem Artikel Der Krieg und die Anarchist*innen: Anti-Autoritäre Perspektiven in der Ukraine auf crimethinc veröffentlicht.

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Urteilsverkündung und letzter Prozessbericht im RAZ-RL-radikal-Prozess, 22. Verhandlungstag. https://panopticon.blackblogs.org/2021/12/04/urteilsverkuendung-und-letzter-prozessbericht-im-raz-rl-radikal-prozess-22-verhandlungstag/ Sat, 04 Dec 2021 18:32:48 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=2425 Continue reading ]]> Der 22. Verhandlungstag im Prozess gegen unseren Freund und Gefährten begann am 01.12.21 mit unglaublich viel Verspätung erst um 11:03 Uhr. Angekündigt war der Termin um 09:00 wie an fast allen anderen Verhandlungstagen. Eine Kundgebung fand vor dem Gerichtsgebäude statt, an der mehrere solidarische Personen trotz des fürchterlichen Wetters, es regnete fast ununterbrochen, teilnahmen, die Berliner Polizei war selbstverständlich auch da, doppelt so viele wie wir, sowie ein unerwünschter Gast.

Schon gleich am Anfang bevor bekannt wurde, dass sich der Verhandlungstag verspäten würde, machten einige teilnehmenden Personen auf einen Mann aufmerksam, der bereits auf der Demonstration für die Freilassung von Cem, welche am letzten Sonntag, den 28.11.21, stattgefunden hatte, anwesend gewesen sei, angeblich die Demonstration abfotografiert habe und mit den Bullen mitgelaufen sei, es wurde geäußert, dass es sich hierbei um einen Faschisten handelt. Es wurde versucht, wenn auch etwas theatralisch, dass sich dieser nicht nur entfernen sollte, sondern dass er auch überhaupt gar nicht in das Gerichtsgebäude reingehen könne, um am Verhandlungstag teilnehmen zu können. Dies führte dazu, dass die Bullen intervenieren mussten und den unerwünschten Gast etwas abseits stellten. So warteten wir bis eine Angestellte aus dem Gericht uns informierte, dass sich der Prozess verspäten würde, weil corona-bedingt einige Schließer krank seien und es nicht genügend Personal geben würde. Nach über zwei Stunden des Wartens durften am Ende elf Personen in das Gericht, wobei der unerwünschte Gast mit Bulleneskorte als erster hineinkam und der Prozess begann, wie schon gesagt, um 11:03 Uhr. Anwesend waren auch zwei Vertreter der bourgeoisen Presse, einmal die TAZ und die Junge Welt, um den Artikel der jW lesen zu können muss man ein ABO haben.

Als allererstes wollte die Richterschaft weitere Beweise aufnehmen und diese sollten in Augenschein genommen werden. Hierbei handelte es sich um Ausdrucke aus dem Internet von der Eisdiele „Eis36“ sowie Bewertungen von einigen Gästen, die vorgelesen wurden, dabei handelte es sich vor allem um Beschreibungen des Inneren sowie der Art des Lokals. Die Bilder wurden von der Staatsanwaltschaft, von den Schöffen, der Verteidigung und vom Angeklagten in Augenschein genommen, es waren Farbausdrucke.

Der Richter wollte als nächstes ein Video zeigen, aber offensichtlich waren die Schließer nicht in der Lage die richtige Länge für Kabel zu organisieren, genauso wenig den Beamer, über den die Aufnahmen laufen sollte, so einzustellen, dass das Bild korrekt auf die Leinwand projizierte. Dazu aber gleich mehr.

Während die Schließer alles organisierten und den Beamer umbauten, die Richterschaft war selbst sehr genervt, würde später sogar darüber noch lachen, wahrscheinlich weil es schon zum Zirkus wurde, wurden andere Fotos in Augenschein genommen.

Dabei handelte es sich um Fotos vom Zentrum Kreuzberg, „Eis36“, dem Kottbusser Tor mit Sicht auf die Adalbertstraße und dem Café Kotti. All dies sollte auch als Beweiusaufnahme ins Protokoll. Als nächstes folgten Fotos von „Eis36“, wo ein Schild oder Plakat zu sehen war, wo „Zur Zeit geschlossen“ draufstand.

Da der Beamer am Ende zu funktionieren schien, sollte ein Video von YouTube in Augenschein genommen werden, auf dem ein Interview mit dem Betreiber des Café Kotti, Ercan, zu sehen war. Die Richterschaft erwähnte, dass es zwar Lautsprecher gebe, aber auf den Ton würde es nicht ankommen, sondern nur auf die Bilder. Aber das Einstellen des Beamers war noch nicht fertig und wir konnten endlich alle das erste Mal sehen, wie auch die Strafgesetzbücher wirklich nützlich werden konnten, denn es würden drei Bände benötigt werden um die erwünschte Höhe zu erreichen, damit auch via Beamer ein Bild auf der Leinwand zu sehen war. Beim Video konnte das Innere des Café Kotti gesehen werden, genauso wie die Umgebung, die Balustrade, von der so oft die Rede war, das Zentrum Kreuzberg, der Außenbereich des Café Kotti. Drei Screenshots aus dem Video wurden als Fotos verteilt und in Augenschein genommen.

Dann wurde ein Auszug aus dem Internet verlesen, dabei handelte es sich um eine Beschreibung von „Eis36“ und das dort mittlerweile ein anderes Lokal drinnen ist. Da der frühere Inhaber von „Eis36“ aber in Ecuador lebt, wäre dieser nicht zu verfahrensorientierten Fragen erreichbar. Mit dem beendete die Richterschaft die Beweisaufnahme. Gleich darauf verlangte die Verteidigung eine Pause von fünf bis zehn Minuten, um sich über die neuen Beweise zu beraten.

Zu den neuen Beweisen gab es seitens der Verteidigung keine Erklärung. Somit war die Beweisaufnahme geschlossen. Die Richterschaft fragte die Staatsanwaltschaft sowie die Verteidigung, ob diese zu den neuen Beweisen etwas hinzuzufügen hätte. Erstere äußerte, dass sie nichts an der letzten Aussage verändern würde, dass der Angeklagte schuldig sei und dass sie eine Strafe von einem Jahr und elf Monaten ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung immer noch beantrage. Die Verteidigung fügte hinzu, dass diese neuen Beweisen immer noch nicht beweisen würden, dass Cem sich schuldig in Form vom Verschicken von Bekennerbriefen gemacht hätte und dass daher dieser freigesprochen werden müsste. Die Richterschaft fragte dann Cem selbst nochmals, ob er etwas hinzuzufügen hätte und dieser antwortete, dass er nichts sagen würde und sich der Forderung seiner Anwälte anschließen würde.

Die Richterschaft zog sich zurück und würde sich beraten, eine Pause von 30 bis 45 Minuten wurde bis zur Urteilsverkündung ausgerufen.

Das Gericht verurteilte Cem für die Beihilfe bei zwei Brandanschlägen zu einem Jahr und sechs Monaten Haft, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung, dazu 360 Stunden gemeinnützige Arbeit.

Die Begründung dazu war Folgende:

1- Die Straftaten fanden vor zehn Jahren statt.

2- Es wäre ein sehr umfangreicher Prozess gewesen mit vielen Akten und vielen Beschuldigten (Anfangs neun Personen)

3- Es gab eine rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung, da erst nach vielen Jahren Anklage erhoben wurde.

4- Es gab viele Zeugen aus den Reihen des LKA, des BKA und des BfV und der LfVs, die sich an nichts erinnern konnten, woran das liegen mag, darüber wollte die Richterschaft nicht spekulieren, dies sei auch der Grund, warum Cem in allen Anklagepunkten freigesprochen worden ist, außer der Beihilfe zu zwei Brandanschlägen.

5- In diesem Fall habe es sich um einen klassischen Indizienprozess gehandelt, es sei wie ein Puzzle bzw. Mosaik gewesen, es habe keine Tatzeugen bzw. unmittelbaren Beweise gegeben.

6- Über den Beschuldigten gab es keine Informationen.

7- Seit 2009 agierte in Berlin eine linksradikale Gruppe die Anschläge verübte, diese Gruppe wurde auch als die Nachfolgeorganisation der MG (militanten Gruppe) gesehen.

Der Angeklagte habe mit maximal zehn weiteren Personen die Gruppe, die sich RAZ und RL nannte, gebildet. Hierbei handelt es sich um ein und dieselbe Gruppe, die Mitglieder waren in beiden und es gab nicht zwei unterschiedliche Gruppen mit unterschiedlichen Mitglieder, so die Richterschaft. Also keine Dachgruppe mit einem revolutionären Arm. Diese Gruppe habe klandestin gehandelt, die Entscheidungen wurden kollektiv getroffen, diverse Anschläge wurden mit ideologischen Vorgang gegen staatliche Institutionen begannen/unternommen, um Aufmerksamkeit zu erregen. Damit dies auch passieren könne, mussten diese in die Medien, ohne dies hätten aus der Sicht der Gruppe, so die Richterschaft, die Aktionen keinen Sinn ergeben.

Im Falle der radikal würde es sich hier um eine Publikation handeln, die seit 1976 existiert, die sich unter anderem auch mit der Auflösung der MG befasste. Darin wurden diverse Dinge publiziert unter anderem aber auch Bekennerbriefe (Kommuniqués). Die radikal war daher das propagandistische Organ der RAZ und der RL.

Alle Aktionen wurden nachts durchgeführt und es gab immer Bekennerbriefe im Internet und in den Medien dazu.

– Am 30.12.09 ein Anschlag gegen das Jobcenter in Wedding (was in diesem Prozess nicht zur Anklage stand).

– Am 04.02.10 ein Anschlag gegen das Haus der Wirtschaft (war ein Anklagepunkt), für diese Aktion ging einen Tag später ein Bekennerbrief bei der Presse ein, noch etwas später tauchte dieser in einer Ausgabe der radikal auf.

Am 18.11.10 ein Anschlag gegen das Bundeshaus in Berlin (was in diesem Prozess nicht zur Anklage stand). Der Bekennerbrief für diese Aktion würde später in der radikal erscheinen.

– Mitte März 2011 die Versendung von Patronen

– 18.03.11 die Versendung der Bekennerbriefe an verschiedene Zeitungen, etwas später dann auch bei der Süddeutschen Zeitung und in der radikal veröffentlicht.

Auch wenn es keine Beweise gibt, dass Cem an irgendeiner dieser Taten beteiligt gewesen sein mag, deute alles daraufhin, dass Cem daran beteiligt war, so der Vorsitzende Richter.

– Am 28.04.11 ein Anschlag gegen die Senatsverwaltung und das Amtsgericht in Wedding. Am selben Tag wurden die Bekennerbriefe der RAZ an elf Tageszeitungen verschickt. Dann ein Tag später auch in der BZ und nochmals später wieder in der radikal abgedruckt.

Von Bedeutung ist auch die Tatsache, dass seitdem keine weiteren bekannten Aktionen durchgeführt worden sind und dass nach der Kenntnis der Richterschaft nur eine weitere Ausgabe der radikal veröffentlicht worden sei.

Es ist auch festzustellen, dass Cem ein Kommunist ist, dass er Mitglied beider Gruppen war, dass er mit den Tätern, die die Aktionen durchführten, organisiert war, ob er mitgewirkt hat beim Schreiben von Texten oder bei der Durchführung von Aktionen, dazu gibt es keine Beweise.

Die psychische Beihilfe kommt daher zustande, weil eine Beteiligung ohne eine politische Verbindung keinen Sinn ergebe, man wüsste nicht ob er die Postfächer für Mails eingerichtet habe, ob er die Mails verfasst habe. Nach der Versendung eines Bekennerbriefes habe man ihn durch eine Observation nach Hause gehen sehen. Er wurde mit seinem Laptop während der Observation gesehen und beobachtete, dass er nach Alt-Glienicke gefahren ist, wo er Zettel zerrissen und diese weggeworfen haben soll. Unter den Zetteln sei die genaue Reihenfolge der Email-Adressen von Zeitungen vorgefunden worden, wie sie auch verschickt worden sind. Dabei war auch ein Brief aus dem Jobcenter, ein Zettel mit vermeintlichen Bezug auf die Patronenversendung, ein Deckblatt der Interim und ein Artikel der radikal und die Anweisung wie man Bekennerbriefe verschicken soll.

Bis 2018 wurden zusätzlich die Ermittlungen nicht abgeschlossen. Der Prozess fand mit einer Verzögerung von sechs Jahren statt, wäre dies nicht der Fall gewesen, dann wäre auch der Ausgang, das Urteil für diesen Prozess anders gewesen, fügte der Vorsitzende Richter hinzu.

Zu den Feststellungen, Cem machte keine Aussagen und es gab keine Zeugen, die zu den Taten irgendwelche Informationen hätten beitragen können. Daher auch keine Informationen zu den Tätern. Weder Fingerabdrücke noch Fasern oder DNA war vorhanden, bzw. konnten an den Tatorten ermittelt werden, nur durch die Sprühereien des Akronyms RAZ an den Tatorten konnte eine direkte Verbindung zu der RAZ und der RL hergestellt werden, genauso wie durch die eine Ausgabe der radikal unter einem Auto in der Nähe eines Tatortes.

Zu dem Anklagepunkt Nummer Eins, eine Ausgabe der radikal wurde unter einem Auto gefunden und Cem hat evtl. den Bekennerbrief in einen Copyshop fotokopiert. Da die Zeugen des BfV keine Erinnerungen zu der Observation hatten, wo Cem dabei beobachtet worden sein soll, gab es dazu keine Beweise und auch keine Indizien. Dass die Beamten des BKA ausgerechnet aus dem richtigen Kopierer ein Beweisstück beschlagnahmten, kann auch ein Zufall gewesen sein. Da es auch nicht festzustellen war, wann die Ausgabe der radikal erschien war, die unter einem Auto platziert wurde, konnte nicht festgestellt werden, ob der Angeklagte mit der Fertigstellung in Verbindung stand. Auch die Internetrecherchen dazu konnten nicht festgestellt werden, weil der Provider die ganzen Informationen zum Internetverlauf von Cem schon gelöscht hatte. Daher wurde Cem in diesem Anklagepunkt freigesprochen.

Zu den Anklagepunkten Nummer Zwei und Drei, auch hier keine konkreten Beweise an der Teilnahme der Aktionen, es gab ja sogar die Überwachungsaufnahmen, wo man Cem seine Wohnung vor den Taten betreten und erst am nächsten Tag verlassen sieht. Es war nicht festzustellen, ob er die Wohnung anders verlassen hatte. Aber an seiner Beteiligung an der Verschickung der Bekennerbriefe sei kein Zweifel, weil die Papierfetzen im Müllkorb in der S-Bahn Haltestelle in Alt-Glienicke vorgefunden wurden. Ein Bulle, der als Zeuge vorgeladen wurde, konnte sich an Cem erinnern sowie dass er, angeblich, die Fetzen in den Müll warf. Dazu komme, dass unter den Fetzen ein Brief aus dem Jobcenter war, mit den Personalien einer Person, mit der Cem ein Telefongespräch geführt hatte. All dies mache es sehr unwahrscheinlich, dass es sich hier um einen Zufall handeln könnte und daher würde dies beweisen, dass es eine Verbindung gab.

Zum Gutachten und zur Analyse der Schrift im Allgemeinen, im Adressbuch, das in der Wohnung von Cem beschlagnahmt wurde, war das Wort Mutter auf Türkisch, Anne, und da Cem selbst die türkische Staatsbürgerschaft besitzt, konnte dieses Mysterium aufgeklärt werden, dass hier eine Verbindung bestehen könnte. Die Handschrift wurde im Vergleich des Urhebers mit anderen Beweisstücken verglichen und es wurde festgestellt, dass es sich mit einer hohen Wahrscheinlichkeit um denselben Urheber handeln würde, vor allem bei den zerrissenen Fetzen, die im Müllkorb in Alt-Glienicke gefunden wurden. Die Kritik der Verteidigung sei nicht greifbar, wo gesagt wurde, dass die Untersuchung nicht wissenschaftlicher Natur war, weil auf elementare Untersuchungen verzichtet wurde, sei dies nicht notwendig gewesen sei, weil es sich in diesem Fall nicht um eine Fälschung handeln würde und daher diese elementaren Untersuchungen nicht notwendig gewesen seien. Da die Sachverständige eine lange Liste an Akkreditierungen und eine lange berufliche Erfahrung hatte, konnte an ihrem Urteil nichts ausgesetzt werden.

Auch seine Teilnahme an der Fertigstellung der Publikation radikal sei nicht anzuzweifeln, da er in einem Telefonat über sein Mitwirken an einer „Postille, die es seitdem gibt, als ich noch in den Windeln lag, gab“ spricht, auch in den sogenannten Fetzen Stichpunkte eines Artikels waren, der der Richterschaft zufolge alle Merkmale aufwies, dass es sich hier um einen Artikel für die radikal handeln würde. Dass eben auch kurze Zeit nach der Versendung der Bekennerbriefe diese Papierstücke/Fetzen entsorgt worden seien, wir erinnern uns an die Liste der E-Mails der Redaktionen mehrerer Zeitungen, und dass eben alle Bekennerbriefe der RAZ-RL in der radikal abgedruckt wurden. Also muss Cem ein Teil der Redaktion gewesen sein.

Die Sprache der Artikel stand im Einklang mit der der MG, und da klandestin gehandelt wurde, muss er sich im inneren Kreis aufgehalten haben, da es sich um politische Aktionen handelte, ist der Bezug zum Inhalt essentiell. Außerdem stand Cem in Kontakt mit einen Mitglied der MG, nämlich Oli Rast, der zu einigen Jahren Knast für die Aktionen der MG verurteilt wurde. Cem habe auch im Internet für politische Themen recherchiert.

Zurück zu den Patronen nochmals, die Richterschaft hält es für unwiderlegbar, dass sich Cem im „Eis36“ aufhielt, dazu würde es einen Bericht des LKA Sachsen-Anhalt geben. Der Einsatzleiter der Observation, der als Zeuge eingeladen wurde, irrte sich in der Beschreibung der Örtlichkeit, denn dieser sprach in Wirklichkeit vom Café Kotti, dies wäre irrelevant, den Cem habe sich in der Eisdiele „Eis36“ aufgehalten.

Im Falle der Eisdiele „Eis36“, hier handelt es sich nicht exklusiv um eine Eisdiele, sondern um eine Kneipe in der damals häufig kulturelle Veranstaltungen mit Schwerpunkt auf Lateinamerika stattfanden. Ob es festzustellen sei, dass diese wirklich zu dem besagten Zeitpunkt geschlossen war, was mit dem Steuernachweis belegt wurde, ließe sich zu dem jetzigen Zeitpunkt nicht beweisen und überprüfen, denn der damalige Inhaber ist nicht nur außer Landes, es gibt auch noch das Steuergeheimnis und man würde nicht so leicht an die Unterlagen kommen können.

Warum also dieses Urteil, hier handelt es sich um keinen minder schweren Fall, zu berücksichtigen ist aber, dass Cem nicht vorbestraft ist und dass es keine Feststellungen gegeben hat, dass Cem sich in den letzten zehn Jahre strafbar gemacht hat. Und dennoch gegen ihn wurde wegen zwei Brandanschlägen ermittelt, die nicht einfach nur irgendwelche waren, wie z.B., gegen eine Scheune, sondern hier handelt es sich um Angriffe gegen staatliche Institutionen bzw. die Gebäude, wo diese untergebracht sind, die politische Motivation dahinter war das Ziel den Staat abzuschaffen. Hätte dieser Prozess früher stattgefunden, wäre eine Haftstrafe unumgänglich gewesen. Cem selbst habe aber in der ganzen Zeit keine Nachteile gehabt.

Daher, wird Cem anteilig die Kosten des Verfahrens tragen müssen, da er teilweise freigesprochen wurde, und er wird zu einem Jahr und sechs Monaten Haft, ausgesetzt auf drei Jahre Bewährung, dazu 360 Stunden gemeinnützige Arbeit verurteilt. Er wird keinen Bewährungshelfer kriegen. Wie üblich kann innerhalb einer Woche Revision eingelegt werden.

Ende des 22. Verhandlungstages.


Von unserer Seite wird in kommender Zeit auch noch ein Text über und zu diesen Prozess kommen.

Soligruppe für Gefangene

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Prozessbericht vom 21. Verhandlungstag (RAZ-RL-radikal-Prozess) https://panopticon.blackblogs.org/2021/11/22/prozessbericht-vom-21-verhandlungstag-raz-rl-radikal-prozess/ Mon, 22 Nov 2021 20:40:51 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=2412 Continue reading ]]> Der 21. Verhandlungstag im Prozess gegen unseren Freund und Gefährten begann am 17.11.21 um 9:05 Uhr. Am Mittwoch waren zwölf solidarische Personen im Gericht anwesend, ob im Verlauf des Verhandlungstages weitere Personen noch vor dem Gericht waren, wissen wir nicht.

Bevor die Schlussreden der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung gehalten wurden, fragte die Richterschaft die Verteidigung, ob noch weitere Erklärungen oder Anträge zu veröffentlichen, bzw. noch zu beantragen wären. Die Frage wurde verneint, ebenso verneinte der Mandant die Frage, ob er noch etwas zu sagen habe. Da keine Beweisanträge offen seien und es kein Verständigungsgespräch gegeben hatte, ging es zum Plädoyer über.

Die Staatsanwaltschaft begann. Sie sei aufgrund der Beweise davon überzeugt, dass die RAZ – eine sozialrevolutionäre, antiimperialistische, kommunistische, marxistisch-leninistische Gruppe – durch den Klassenkampf und gewalttätige Aktionen die BRD stürzen wollen würde, damit auch die freiheitliche demokratische Grundordnung, mit dem Ziel eine klassenlose und staatenlose Gesellschaft aufzubauen. Diese habe sich zu ihren Taten bekannt und diese auch mit dem Namen früherer Revolutionärer unterschrieben, was auf ihre historische Bezugnahme hindeuten sollte. Die Aktionen waren Anschläge gegen ein Jobcenter, das Haus der Wirtschaft und das Bundeshaus, das Versenden von Patronen an mehrere Personen, die Verschickung der Kommuniqués in Form von Mails – wo der Staatsanwalt natürlich nochmal erinnern musste, dass darin stand, dass in Zukunft die nächsten Patronen per Express verschickt werden würden –, Anschläge auf die Senatsverwaltung sowie das Amtsgericht Wedding und dass dem Angeklagten eine Mitwirkung bei drei Aktionen vorgeworfen wird.

Zu dem ersten Anklagepunkt, es geht um den Anschlag auf das Haus der Wirtschaft, sehe die Staatsanwaltschaft keine Beteiligung des Angeklagten im strafrechtlichen Sinne. Dennoch gehe er davon aus, dass der Angeklagte die Kommuniqués verschickt habe, trotz der Beweiswürdigung und trotz seiner Verweigerung sich zu äußern, würde es Beweise durch die Polizeiermittlung geben, die dies beweisen würden, so der Staatsanwalt. Er habe nämlich mit Aufmerksamkeit die Medien übers Internet verfolgt, als ein Aktion stattgefunden hatte und er die Kommuniqués verschickt haben soll. Auch wenn dies nicht bewiesen werden konnte und auch die Beweise des BfV vernichtet worden sind, die anscheinend nach zehn Jahren die eigenen Akten vernichten, sowie es unklar sei, ob er sich zum Zeitpunkt der Aktionen überhaupt zu Hause befand bzw. ob er dort allein war, ob er nun im Copyshop gewesen sei und dort Kopien gemacht hätte, all dies ließe sich nicht mehr feststellen. Daher würde der Staatsanwalt in diesem Fall die Anklage fallen lassen.

Zu den Anklagepunkten II;III (die Anschläge auf ein Gebäude der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Berlin-Mitte und auf das Amtsgericht Wedding), was das Zerreißen von Papierfetzen in der S-Bahnhaltestelle von Alt-Glienicke gewesen wäre, so ergebe sich Cems Schuld laut dem Staatsanwalt durch das glaubhafte Wiedererkennen des Beamten der Cem an diesem Tag observiert hatte, außerdem sei mit hoher Wahrscheinlichkeit die Schrift auf den Papierfetzen urheberidentisch mit der von Cem. Da auf den Zetteln auch die exakte gleiche Anordnung von E-Mailadressen von Zeitungen und Journalisten drauf stand, wie sie später auch in dieser Reihenfolge von einer E-Mail aus mit einem Kommuniqué versendet wurden, wäre doch klar festzustellen, dass Cem von den Taten mindestens informiert sein musste. Es sei gedanklich möglich, aber höchst unwahrscheinlich, dass er erst nach der Tat darüber informiert worden sei.

Nicht dass er informiert war, sondern auch zum inneren Kreis gehören musste. Dies sei auch der Fall bei dem Verschicken der Patronen, die er verschickt haben muss. So seien die Selbstbezichtungsschreiben von Cem per Mail verschickt worden, da diese laut des Providers über das WLAN der Eisdiele „Eis36“ am Kottbusser Tor verschickt wurden und Cem sich, laut der Aussage des Bullenzeugen von vor ein paar Wochen, genau dort zur selben Zeit aufgehalten habe. Daraus wäre zu schlussfolgern dass Cem eine führende Stellung hatte, er habe vor der Ausführung der Tat den Versand des Selbstbezichtigungsschreibens zugesagt. Aus der rechtlichen Würdigung ließe sich zwar keine Straftat beweisen, aber er habe sich bei der Beihilfe zu schweren Brandstiftungen strafbar gemacht, da keine unmittelbare Teilnahme nachweisbar sei. Auch wären strafmildernde Umstände zu berücksichtigen, wie dass die Taten vor über zehn Jahren stattgefunden haben und sich Cem in der ganzen Zeit nicht strafbar gemacht hat. Deswegen würde der Staatsanwalt eine Strafe in der Höhe von einem Jahr und elf Monaten, mit vier Jahre zur Bewährung, beantragen.

Weiterhin begründete der Staatsanwalt dies auch damit, dass die RAZ und die RL in den letzten zehn Jahren keine Aktion mehr gemacht hätten, worunter zu verstehen wäre, dass diese nicht mehr existieren würden und von Cem keine Gefahr mehr ausgehe.

Da es um Beihilfe gehen würde, wiederholte der Staatsanwalt noch einmal, verlange er eine Strafe von einem Jahr und elf Monaten zu vier Jahren auf Bewährung. Somit beendete die Staatsanwaltschaft im Namen des Volkes ihr Plädoyer.

Als nächstes war die Verteidigung an der Reihe. Da sich die beiden Anwälten das Plädoyer aufteilten, baten sie zunächst um Verzeihung, dass sich einige evtl. Wiederholungen in den jeweiligen Plädoyers nicht vermeiden ließen.

Dieses Verfahren sei doch nur aufgrund des BfV ins Rollen gekommen, diese Behörde habe eine tragende und orchestrierende Rolle gespielt, aber im Verlauf des Verfahrens nichts beigetragen. Es hätte sich nur um Spekulationen und Schlussfolgerungen gehandelt und als das BKA die Ermittlung übernahm konnten keine Beweise ermittelt werden. Die Beweisaufnahme habe nur die Aktenlage bestätigt. Eine sportliche Anklage, die ja auch aus Sicht der Staatsanwaltschaft zusammengedampft sei. Das BfV habe versucht die orchestrierende Rolle beizubehalten durch falsche Tatsachenbehauptungen, was Linksradikale alles getan haben sollen, was für eine Gefahr diese wären, ohne Beweise dafür geliefert zu haben. Die Prozessbeobachtung wurde aufgebauscht, aus der oberflächlichen Beschreibung der verkleideten Mitarbeiter wurde eine abstrakte Gefahrenlage konstruiert. Auch der Zirkus aufgrund der Gefahr, der sie angeblich ausgesetzt waren und sich wegen einer möglichen Wiedererkennung verkleiden mussten, sei der Versuch Stimmung gegen die Öffentlichkeit und ihren Mandanten zu machen. Die genaue Funktion der Zeugen des BfV konnte auch der Vorsitzende Richter nicht sagen, und auch der Versuch ausschließlich dem Gericht einen Bericht vorzulegen, verdeutliche das Verhalten dieser Behörde in diesem Prozess. Die Zeugen haben auch unisono behauptet, an Observationen teilgenommen zu haben, bei denen sie sich an nichts erinnern konnten, sie sollen aber daran dennoch teilgenommen haben. Auffallend war auch ihr nervöses Auftreten, denn die Verteidigung habe über die Jahre mehrmals Angehörige des BfV, des BKA und der LKAs verhört, die Undercover-Observationen gemacht haben und da traf man Personen an, die resolut und sich ihrer selbst sicher waren. Denn aufgrund ihres Berufes müssen sie auch schnell wichtige Entscheidungen treffen können, um eben nicht aufzufallen und damit deren Observation nicht gefährdet ist. Dies alles alles aber bei den Zeugen des BfV nicht der Fall gewesen. Ob es sich bei den Zeugen nicht um Innendienstmitarbeiter gehandelt habe würde man niemals erfahren, aber es deute darauf hin. Als aber der BfV Tacheles reden sollte, als es darum ging unter Whrheitspflicht etwas zu sagen, ließ dieser die Staatsanwaltschaft im Regen stehen, aus dieser Behörde kam nichts mehr. Der Zeuge, der sich als Experte des Leninismus präsentierte – wir wiesen darauf hin, dass sein Wissen nicht für einen Lehrstuhl beim Institut für Marxismus-Leninismus gereicht hätte – , habe selber zu konkreten Fragen nur gerätselt, spekuliert und Zirkelschlüsse vorgetragen. Ein Beispiel: Die Verdächtigen kannten sich ja, weil sie sich des öfteren trafen und zueinander im Kontakt standen. Wie dies in Bezug zu einem konspirativen Verhalten stand, oder stehen könnte, konnte der Zeuge selbst nicht beantworten.

Zu den Anklagepunkte II; III, sprich zu der Versendung Selbstbezichtigungsschreiben zu den Patronenverschickungen aus der Eisdiele „Eis36“: Zu der besagten Zeit war die Eisdiele geschlossen. Es gibt ein Bericht, welcher feststellt, dass sich Cem im „Eis36“ aufgehalten haben soll, der Leiter der damaligen Observation äußerte sich dazu und sprach über einen Lokal, was sich in einem ersten Stock am Kottbusser Tor hinter einer Balustrade befinde, die Eisdiele „Eis36“ befand sich aber im Erdgeschoss. Weiter zu den Anklagepunkte II; III: Das angebliche konspirative Verhalten, die Rolle, die Cem als Helfershelfer eingenommen haben soll, ergibt keinen Sinn, weil eben solche Helfershelfer nach einer Tat eingeweiht werden. Sollten solche Helfershelfer davor in Kenntnis gesetzt werden, könnten sie ja die Tat, die noch nicht stattgefunden hat, gefährden. Daher sei dies eine Behauptung und eine Spekulation, auch dass Cem nach der Tat über diese ermittelt, geforscht haben soll. Außerdem wohnte er zu dem besagten Zeitpunkt nicht alleine und es lässt sich nicht feststellen, ob er derjenige war der via Internet danach gesucht hat.

Zu der Urheberschaft der Aktionen selbst sprühte die RAZ ihren Name vor Ort und bekannte sich damit sofort für die Aktion. Die psychologische Beihilfe an der Cem durch weiteres Versenden von Bekennerschreiben teilgenommen haben soll, ist daher nicht gegeben, da dies keine weitere Bestärkung in der Tat darstelle. Es gab im Jahr 2010 einen ähnlichen Fall als Verena Becker, ehemaliges Mitglied der Roten Armee Fraktion, aufgrund des Mordes an Buback, oder der Feststellung wer nun Buback erschoss, in Beugehaft eingesperrt wurde, später wurde sie wieder rausgelassen, weil eine Fluchtgefahr nicht mehr befürchtet wurde, weil Speichelspuren von ihr an einem Brief gefunden wurden. Die psychische Beihilfe soll darin gelegen haben, dass sie bei einigen Treffen der RAF vor der Aktion der Aktion zugestimmt haben soll. Der Speichel am Brief beweist, so entschied sich das Gericht 2010, nur eine spätere Mitwisserschaft, weil andersrum habe ihr Mitwissen diese Aktion in Gefahr bringen können. Um die psychologische Beihilfe zu begründen, wurde nur auf das Bestärken der Aktion auf den vorangegangen Treffen rekurriert. Als letztes forderte der erste Anwalt der Verteidigung, dass Cem in allen Anklagepunkten freigesprochen werden muss.

Der zweite Anwalt der Verteidigung begann, dass die dubiose Rolle des BfV in diesem Prozess erwähnt worden sei, ebenso dass die angebliche Versendung der Kommuniqués keine psychologische Beihilfe sei. Im Anklagepunkt Nummer I gäbe es keine ausreichende Beweislage, daher gehe es nur noch um die zwei weiteren Fällen, sprich um Teilnahme durch das Versenden von Bekennerbriefen. Dieses Verfahren wurde nach vielen Jahren, mit Bergen an Akten und Berichten der Ermittlungen über alles mögliche am Ende aufgerollt. Als Löwe gestartet und als Bettvorleger geendet. Im September 2018, siebeneinhalb Jahre nach Begehung der Straftaten, konnte die Staatsanwaltschaft endlich eine umfangreiche Anklage erheben, nicht mehr wie am Anfang, da die vermeintliche Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, §129, schon ausfiel, weitere drei Jahre später fing das Verfahren am Ende doch noch an. Die Anklageschrift von 2018 verwende eine verräterische Sprache, alles war voller Mutmaßungen und Schlussfolgerung, in keinen Moment konnte aber die Beziehung zwischen der RAZ und der RL festgelegt und festgestellt werden, nur ihre Nähe zu der Publikation radikal. Es handelt sich hier also um eine Konstruktion die auf Mutmaßungen und nicht auf Feststellungen basiert, der Versuch zu verkleistern, dass diese Konstruktion von Unwissenheit geprägt ist. Der Zeuge Damm des BKA, der schon damals gegen die Militante Gruppe ermittelte, also quasi ein Experte auf diesem Gebiet, tappte am Ende immer im Dunkeln, wenn es um das interne Leben dieser Gruppe, also der RAZ und der RL, ging. Es konnte nicht festgestellt werden, genauso wenig ausgeschlossen werden, wer was wann und wie machte, ob es Außenstehende gab, oder ob diese selbst für das Verschicken der Patronen, usw., verantwortlich waren. Der Versuch die RAZ und die RL gleichzustellen und das Cem eine führende Rolle innerhalb dieser spielte, all dies konnte nicht bewiesen werden. Der zweite Verteidiger müsse in einem Punkt seinem Kollegen widersprechen, nämlich bezüglich des angeblichen Wissens über den Leninismus, den der Zeuge des BfV vorgegeben hatte zu haben. Es handele sich hier bloß um die Karikatur eines Kleinbürgers, wie sich dieser den Leninismus vorstelle. Ob nun der Leninismus eine kleinbürgerliche Ideologie ist, werden wir in diesem Verfahren nicht mehr erfahren. Unseres Erachtens ist dem so, hat aber mit der Sache am nichts Hut.

Zu den Anklagepunkten II; III, eine unmittelbare Beteiligung von Cem konnte zu keinen Moment nachgewiesen werden, genauso wenig wie wer daran beteiligt gewesen sein konnte. Aufgrund der Aufnahme eines Überwachungsvideos, wo man sieht wie Cem seine Wohnung betritt und erst am darauffolgenden Tag verlässt, sei deutlich, dass er an den Taten gar nicht teilgenommen haben konnte, da er Zuhause war. Zu der Versendung der Kommuniqués, bzw., der zerrissenen Fetzen-Papierstücke die Cem in Alt-Glienicke an der S-Bahn Haltestelle weggeworfen haben soll: Der Zeuge konnte sich an die Observation erinnern, aber nicht an das Zerreißen der Papiere selbst, bzw., er hatte damals gesagt, dass er dies selbst nicht gesehen hatte. Er hatte außerdem keine Erinnerungen an die Papiere,weder wie viele es waren noch welche, obwohl er den Observationsbericht nochmals gelesen hatte. Der Zeuge wollte auch nach zehn Jahren Cem wiedererkannt haben, was kaum vorstellbar sei, weil der Zeuge doch über die Jahre an vielen Observationen teilgenommen haben wird. Was die Sicherstellung der Papierfetzen angeht, was wurde dort gefunden, ein Papier, auf welchem der Name eines Mitarbeiters des Jobcenters war, der Cem zum damaligen Punkt betreute, dann waren noch die Adressen der Zeitungen und ein mögliches Kommuniqué.

Beim Zettel mit den Adressen war eine Bemerkung zu lesen, wo drauf stand „Mails verschicken“, da aber nicht festzustellen sei, wie viele Zettel weggeworfen sein sollen, können diese auch von einer anderen Person weggeworfen sein. Dass es sich dabei um eine Handlungsanweisung handele, sei ebenfalls nur eine Hypothese. Die Staatsanwaltschaft berufe sich auf das Gutachten der Handschrift, ob die handschriftliche Stücke alle vom selben Urheber seien. In diesem Falle handelte es sich um eine Kopie und wie die geladene Gutachterin schon darauf hinwies, nämlich dass aus Kopien die Urheberschaft schwierig nachzuvollziehen sei, dieses Beweisstück nur eine geringe Rolle spielen könne. Hinzu komme, dass der Ersteller eines Dokumentes in der Regel das Original bei sich trägt und nicht eine Kopie.

In diesem Moment machte die Richterschaft eine Schöffin auf ihren körperlichen Zustand aufmerksam, ob es ihr gut gehen würde. Da diese äußerte gerade Kopfschmerzen zu haben, wurde eine Pause von fünf Minuten einberufen.

Weiter ging es, dass eben keine Feststellungen oder Kenntnisse vorhanden wären, ob Cem nun die Bekennerbriefe versendet hatte oder nicht, genauso wenig ob er überhaupt auch selbst daran geschrieben hatte. Das Gutachten der Sachverständigen in Fragen Schrift halte selbst auch keiner wissenschaftlichen Überprüfung stand, denn die Untersuchung wich von den Standard-Richtlinien, die für solche Fälle angewendet werden, ab. Nur ein Mikroskop, so die Gesellschaft für Forensische Schriftuntersuchung, reiche für eine Untersuchung nicht aus, es gebe weitere Verfahrensweisen, die aber damals in der Untersuchung des BKAs nicht berücksichtigt, bzw. ausgelassen wurden. Auch waren die Feststellungen und die Darlegung des Beweismaterials der Sachverständigen für die Verteidigung nicht nachvollziehbar, wie als es um die Buchstaben und die Form dieser ging. Die Berufserfahrung und die subjektiven Eindrücke der Zeugin reichten wohl aus, um die Urheberähnlichkeit auf die zweithöchste Stufe zu stellen, aber wie dies zustande kam, woher die erkennbaren Übereinstimmungen kamen, alles blieb unklar. Sollte das Gericht bei dieser Frage einer anderen Meinung sein, sollte dieses der Meinung sein, dass Cem alles weggeworfen habe, dann sei es dennoch nicht feststellbar, ob er die Kommuniqués tatsächlich verschickte, oder ob er diese nur wegwarf.

Zu den angeblichen Recherchen im Internet nach Informationen und Nachrichten über die Aktionen, sei die Zielgerichtetheit der Recherche nicht bewiesen worden. Der Themenbereich der Recherche kann auch in Zusammenhang mit der Tätigkeit für das GI gestanden haben.

Nochmals zurück zu der Eisdiele „Eis36“ und das Versenden der Mails in Bezug auf die Patronen: Der Zeuge, damals Einsatzleiter der Observation, machte selbst keine Wahrnehmungen, sondern schrieb sich das auf, was seine Kollegen observierten und berichteten. In diesem Fall vom KK Pietsch, der mittlerweile verstorben ist, wir berichteten schon darüber. Zusätzlich gibt es Lücken im Bericht, wodurch klar ist, dass die Bullen Cem nicht die ganze Zeit ununterbrochen sehen konnten, innerhalb einer Stunde konnte Cem nur dreimal gesehen werden. Wie viele Menschen sich nun im Lokal befanden, das wusste der Zeuge nicht mehr. Dass Cem dort Kontakt zu anderen Gästen hatte, sei nicht auszuschließen. Hinzu die Beschreibung der Örtlichkeit, denn das, was der Beamte beschrieben hatte, stimmte eher mit dem Cafe Kotti überein. Genauso wenig ist belegt worden, ob Cem sich in das WLAN von „Eis36“ eingeloggt hatte, noch ob er irgendetwas verschickt hatte. Dass eine weitere Person, aus der naheliegenden Umgebung eine Mail über das WLAN verschickt haben könnte, kann nicht ausgeschlossen werden.

Der Verteidiger wiederholte, dass die Beschreibung des Zeugen nicht der tatsächlichen damaligen Lage des „Eis36“ entspreche. Sollte das Gericht, dies anders sehen, werde die Verteidigung veranlassen, dass das Bezirksamt aufgefordert wird Auskunft über die damalige Lage des „Eis36“ zu geben. Dies werde dem Gericht mitteilen, dass sich das „Eis36“ im Erdgeschoss befunden habe, darüber hinter einer Balustrade das Café Kotti und das Wettbüro Hattrick. Es wurde von den Bullen also nicht das „Eis36“, sondern das Café Kotti beobachtet.

Des Weiteren habe das „Eis36“ als Eisdiele nur in der warmen Zeit geöffnet gehabt. Eine Anfrage beim Finanzamt werde ergeben, dass das „Eis36“ zum fraglichen Zeitpunkt, 18.03. , geschlossen war und erst am 09.04. seine Türen wieder öffnete, daher seien die Aussagen des Zeugen nicht zutreffend. Falls das Gericht glaube, dass es hier nur die Namen verwechselt worden seien, dann beantrage die Verteidigung, das der Betreiber des Café Kottis geladen werde. Dieser werde dem Gericht mitteilen können, dass er das Café Kotti seit 2009 betreibt und dass das WLAN des „Eis36“ von dort nicht erreichbar war.

Cem kann weder die Beteiligung am Erstellen noch am Versenden der Kommuniqués nachgewiesen werden. Daher verlangt die Verteidigung einen Freispruch in allen Anklagepunkten.

So endete der 21. Verhandlungstag.

Der letzte Prozesstermin ist am 01. Dezember um 09:00 Uhr am Landgericht Berlin, Turmstraße 91, Eingang Wilsnacker Str

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