Sonstiges – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org Für die Anarchie! Knäste, Staat, Patriarchat und Kapital abschaffen! Mon, 24 Apr 2023 13:02:44 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://panopticon.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1233/2020/02/cropped-discharge-degenerik-blog-1-32x32.jpg Sonstiges – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org 32 32 Vegane Verirrungen https://panopticon.blackblogs.org/2023/04/17/vegane-verirrungen/ Mon, 17 Apr 2023 10:59:38 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=4912 Continue reading ]]> Gefunden auf der Seite Aufstand, passend zum vorherigen Text.


Vegane Verirrungen

[Anm. d. Hrsg.: Dieser Text wurde uns nach einem anarchistischen Treffen zugespielt, bei dem es aufgrund eines Speiseangebots mit Nicht-Veganen Alternativen zu kontroversen Diskussionen um Ernährung und deren politische Korrektheit gekommen war.]

Warum die industrielle Lebensweise niemals ohne den Massenmord an Tieren funktionieren wird

oder

Ein Ausflug in die Welt des Ökofaschismus

Vielleicht gibt es gar nicht mehr besonders viel zum sogenannten Veganismus zu sagen, seit er dank der neuesten und möglicherweise letzten, “grünen” Phase des industriellen Todesmarschs zur staatlich und kapitalistisch verordneten Leitideologie geworden ist. Doch wie das mit subkulturellen und langjährig identitätsstiftenden Ideologemen innerhalb (vermeintlich) radikaler Szenen so ist, ist es nicht ganz so leicht, sich dieser wieder zu entledigen, wenn sie von der Herrschaft schließlich als zur Rekuperation tauglich angenommen werden. Haben sich erst einmal erfolgreich Identitäten rund um eine bestimmte Vorstellung kreiert, also in diesem Fall die des Veganers, müssen diese Vorstellungen mitsamt all ihrer fauligen Wurzeln herausgerissen werden und das ist ein nicht nur anstrengendes, sondern zuweilen auch schmerzhaftes Unterfangen.

Aber der Ökofaschismus ist in Deutschland bereits an der Macht und es gibt keine Zeit zu verlieren. Die Zeiten in denen man über die Politiker*innen einer Partei, die einst für die Abschaltung von Atomkraftwerken stand, sich heute jedoch für Atomenergie und dafür gegen Fleisch auf dem Speiseplan der armen Bevölkerung stark macht, nur herzlich lachen konnte, sind gewissermaßen vorbei. Nicht weil diese ihre Clownsmaske abgelegt hätten, sondern vielmehr weil ihre hässliche Fratze des Ökofaschismus den Ausgebeuteten heute von den Chefsesseln der Industrie und Regierung ins Gesicht grinst und alles darauf hindeutet, dass uns eben diese Fraktion der Herrschaft in den kommenden Jahren verstärkt gegenüberstehen wird. Aber es soll hier nicht der sehr gut vorhersehbare Werdegang jener Pseudo-Nonkonformisten verstanden werden, die einst mit Strickpullovern und Gummistiefeln in die Parlamente strömten, nur um heute Atomenergie, Windräder, Gasterminals, militärisches Gerät und eine Teuerung von Lebensmitteln zu verantworten und die hiesige Gesellschaft in einen Zustand einer beinahe Generalmobilmachung zu versetzen. Denn während bornierte Politiker*innenarschlöcher den Speiseplan in den Kantinen “ihrer” Lohnsklaven säubern, während diese selbstgefälligen Bonzen ihrer Verachtung für die ausgebeuteten Massen Luft machen, indem sie erklären, dass Lebensmittel ihrer Meinung nach zu billig sind und der dumme Michel durch Teuerungen von Fleischprodukten dazu gebracht werden soll, sich endlich verantwortungsbewusst zu ernähren, während all jene, die begeistert im Gleichschritt der Werbetrommeln dieser mittlerweile krawattetragenden Demagogen tanzen, sich wahlweise darin gefallen, ihren Müll zu trennen, im Biosupermarkt einzukaufen oder ein E-Auto zu fahren und eine Photovoltaikanlage auf dem Dach ihres Eigenheims oder gar ihrer Immobilienanlagen zu installieren, sind wir mit drängenderen Problemen konfrontiert. Denn wenn einem wohlgenährte, bio-gefütterte und aus historischen Gründen vielleicht nicht einmal allzu sehr atomar verstrahlte Bonzen das Fleischessen verbieten wollen, dann drängt sich eine simple Lösung dieses Problems förmlich auf: Eine bestimmte Form des sozialen Kannibalismus, nur eben spiegelverkehrt. Und die Chancen stehen gut, dass eine solche Lebensweise sogar gesünder sein könnte, als der Verzehr von Fleisch aus herkömmlicher industrieller Produktion, auch wenn die Auswirkungen gewisser medizinischer Vergiftungen, die sich solche Leute zumuten sicherlich ebenso in Betracht gezogen werden sollten, wie auch die schlechte Bekömmlichkeit und der störende Geschmack des diesem Nutztier eigenen Snobismus. Aber diese Lösung lässt sich schwerlich auf jene ausdehnen, die zwar vielleicht ein paar Ideologeme mit diesen Leuten teilen, jedoch weitestgehend davor zurückschrecken, diese in einen ausgewachsenen Ökofaschismus zu verwandeln. Man soll mir ja schließlich nicht nachsagen, ich würde es mir leicht machen.

Also widmen wir uns doch jenen, die heute noch die metaphorischen Strickpullover und Gummistiefel tragen, wenn sie die Manege des Streits um die politische Ordnung der neuen/befreiten Welt betreten und diese nicht längst gegen braune Hemden und grüne Armbinden eingetauscht haben. Was haben sie uns zu sagen?

Du sollst kein Fleisch und andere tierische Produkte essen.

Dies ist das zentrale Dogma des Veganismus, eine gewisse Variation von Gebot Nr. 5: Du sollst nicht töten. Wobei hier natürlich gleich der Einfluss der industriellen Gesellschaft deutlich wird. Während die archaische jüdische Gesellschaft bei aller Kritik an ihrer patriarchalen Verfasstheit und ihren vielen anderen autoritären Elementen das Individuum offensichtlich noch als jenseits von Konsumentscheidungen handelnd begriffen hat, liegt dem Veganer-Dogma die eigentlich absurde Vorstellung zugrunde, dass der Verzehr oder, präziser gesagt, der Konsum von Fleisch und anderen tierischen Produkten irgendwie mit dem Akt des Tötens oder der Versklavung von Tieren identisch wäre. Und noch absurder, dass nämlich umgekehrt, der Verzicht auf den Verzehr, bzw. Konsum von Fleisch bedeuten würde, dass Tiere nicht getötet oder versklavt werden würden. Kein Wunder, dass der Veganismus also vor allem unter jenen grassiert, die als Städter sowieso wenig bis gar keinen Bezug zu dem haben, was sie auf ihren Tellern wiederfinden, die um die Ironie perfekt zu machen, sich selbst in der relativen Eintönigkeit des Supermarkt-Gemüseregals ihres Smartphones bedienen müssen, um eine Artischocke von einer Bohne unterscheiden zu können. Man möge ihnen gemäß ihrer selbst gewählten biblischen Dogmensetzung also vergeben, denn sie wissen nicht, was sie tun? Nein, ich bin ja keine Paternalist*in.

Jaja, eigentlich finde ich es konsequent, dass diejenigen, die noch nie der Tötung eines Tieres beigewohnt haben, die noch nie einen Vogel gerupft haben, die nie erlebt haben, wie ein Fisch nach Betäubung durch einen Schlag auf den Kopf ein letztes Mal zuckt, wie ein Huhn steif wird, bevor man ihm mit einem Beil den Kopf abschlägt und sein Körper, während man ihn zum Ausbluten über einen Eimer hält, sich ein letztes Mal aufbäumt, wie man nach dem Schnitt durch den Hals einer Kuh binnen Sekunden beinahe Knöcheltief in Blut versinkt, wenn man es nicht mit dem Wasserschlauch wegspritzt, auch kein Fleisch essen. Genausogut finde ich es nachvollziehbar, dass jene, die einer solchen Schlachtung – und hier ist, wie der kundigen Leserin sicherlich aufgefallen sein wird, die Rede von Hausschlachtungen, nicht von industriellen Schlachtfabriken – einmal beigewohnt haben, fürs erste einmal kein Fleisch mehr essen wollen. Sowieso ist mir ja egal, was jemand isst, ich bin ja kein Ökofaschist. Ich denke außerdem, dass die Schlachtung genannte institutionalisierte Tötung von gefangen gehaltenen Tieren, nichts ist, das es zu romantisieren oder zu beschönigen gilt, sondern notwendigerweise immer auch die Widerwärtigkeit widerspiegelt, die auch der kleinbäuerlichen und heute, in Zeiten begrifflicher Verblödung als “artgerecht” verklärten Landwirtschaft und insbesondere Tierhaltung inne wohnt. Und doch wäre es absurd, nur weil sich der technologisch dressierte Mensch ein paar wenige Gefühlsregungen hinsichtlich der Abartigkeit der industriellen Todesmaschinerie, die seine Spezies stolz als “Errungenschaft” betrachtet, bewahrt hat, die angesichts des Anblicks einer Schlachtung als bloße Sentimentalitäten zutage treten, den nicht weniger abartigen Teil dessen, wovon die Tierhaltung eben bloß ein Element ist, zu vergessen. Der technologisch dressierte Mensch, er schreit auf, wenn er Blut sieht, je mehr, desto schlimmer, aber er ist gänzlich unempfänglich für die unsägliche Vernichtung von Leben, die im wahrsten Sinne des Wortes unblutig vonstatten geht oder deren Blutigkeit am anderen Ende der Welt, vor seinen Blicken verborgen, stattfindet.

Und aus dieser bestenfalls als halbgar oder auch medium raw zu bezeichnenden Analyse, die jene vor sich hertragen, die sich Veganer*innen nennen, resultiert zugleich eben auch die faktische Unterstützung der weniger offen – z.B. weil weniger blutig – zutagetretenden Vernichtung von Leben als “geringeres Übel”. Ich will hier der Kürze wegen und weil ich denke, dass mein Punkt dabei schon verstanden werden wird, grob schematisieren:

  • Landwirtschaft zur ausschließlichen Erzeugung von pflanzlichen Produkten wird gängigerweise als die Alternative einer Landwirtschaft mit Viehhaltung betrachtet. Dabei wird sich die kundige Leserin freilich unmittelbar fragen, wie das so universell funktionieren soll. Zumindest ohne dabei auf synthetisch hergestellte – und seit wann wären synthetische Produkte unabhängig von der Versklavung von Tieren, sei es zu experimentellen Zwecken oder weil der Herstellungsprozess auf tierisches Gewebe oder andere tierische Erzeugnisse angewiesen ist oder weil die zur Herstellung benötigte Maschinerie ohne die Versklavung von Tieren nicht denkbar wäre – Düngemittel zurückzugreifen, wie sie von der Agroindustrie für die industrielle Landwirtschaft vermarktet werden. Aber selbst wenn man diese Frage einmal beiseitelässt, ignoriert, dass von Demeter-Landwirtschaft bis hin zu selbst den meisten praktizierten Formen von Permakultur, immer auch die Gefangenschaft und Versklavung von Tieren integraler Bestandteil von eigentlich jeder Form nicht-industrieller Landwirtschaft ist, bleibt vor allem ein Makel: Landwirtschaft erfordert immer auch die Bekämpfung von tierischen “Schädlingen”, sprich von Tieren, die das was dort angebaut wird, auch gerne essen und die verhältnismäßige Futterdichte auf Feldern gerne für sich nutzen, sich dabei auch vermehren und schließlich regelrecht zur Plage für die Landwirte werden. Diese Bekämpfung findet heute unter anderem in Form von Insektiziden (die entweder bestimmte oder gar wahllos alle Insekten töten, die mit einer entsprechend behandelten Pflanze in Berührung kommen), dem Abschuss oder auch “der Entnahme” von Wild, das sich einen Bissen von den angebauten Leckereien gönnt, sowie der präventiven Regulierung des Wildbestands durch Jäger, Anwendung. Durch den Anbau von pflanzlichen Nahrungsmitteln werden also sowohl Millionen von Insekten getötet, als auch abertausende Tiere geschossen oder mithilfe von Fallen gejagt und getötet oder vergiftet und bis heute wurden zahlreiche Tierarten wegen ihrer “Schädlichkeit” für die Landwirtschaft ausgerottet oder an den Rand der Ausrottung gebracht bzw. lokal vollständig vernichtet, darunter nicht nur der Wolf und der Bär, die sogenannte “Nutztiere” reißen, sondern auch Fasane und Rebhühner, zahlreiche andere Vögel, regional Wildschweine, Feldhasen, Gämse, und viele mehr, allesamt Fresser von pflanzlichen Agrarprodukten. Auch lange ausgestorbene Arten wie wilde Rinderarten, z.B. Auerochsen, oder das so gut wie ausgestorbene Wiesent zählen zu den Opfern von Landwirtschaft. Neben dem gezielten Abschuss von Wildtieren, die landwirtschaftliche Erzeugnisse fressen trägt auch die Umwandlung von unbewirtschafteten oder weniger intensiv bewirtschafteten Flächen in Agrarland enorm dazu bei, dass ganze Tierarten aussterben, weil ihr Lebensraum vernichtet wird oder auf eine zu geringe Fläche zusammenschrumpft.
  • Technologische Innovationen auf dem Gebiet der Landwirtschaft, aber auch allgemein in der Lebensmittelindustrie sollen Tierhaltung angeblich unnötig machen. Das lässt natürlich – wie könnte es anders sein – außen vor, dass gerade auf dem Gebiet der Lebensmittelindustrie Tiere auch als Versuchsobjekte genutzt werden, um die Verträglichkeit eines Produkts oder eventuelle Langzeitfolgen von dessen Verzehr zu “testen”. Diese technologischen Innovationen sind also alles andere als unabhängig von der Versklavung und auch Ermordung von Tieren. Zudem werden durch technologische Innovationen auf dem Gebiet der Landwirtschaft nicht nur immer größere Teile der unbewirtschafteten Lebensräume von Tieren vernichtet, sei es durch deren Bewirtschaftung oder deren Vergiftung mittels Pestiziden, Düngemitteln, Verklappung von Industriemüll, usw., sondern allzu oft bestehen diese technologischen Innovationen auch darin, neue Methoden zur Vernichtung von Tieren, die als Schädlinge betrachtet werden, zu schaffen. Eine teilweise zur “leidfreien” Produktion von Fleisch auch von sogenannten Veganer*innen beworbene Methode besteht darin, dass das tierische Leben soweit weiter verstümmelt werden soll, dass das Steak in Zukunft gleich formgerecht in der Petrischale heranreifen soll, anstatt dass dafür erst ein Tier aufgezogen werden müsste. Wie man glauben kann, dass die biotechnologische Verstümmelung des Lebens weniger leidvoll sein soll, als selbst die niederträchtigste Versklavung eines gefangenen Tieres, müsste dabei eine*r der Fürsprecher*innen einer solchen Methode selbst beantworten; ich jedenfalls kann mir das nur mit der offensichtlich totalen Verblödung solcher Leute erklären.
  • Immer wieder und ständig wechselnd werden bestimmte Nahrungsmittel als Superfood entdeckt, die alle nicht leugnenbaren Probleme einer veganen Ernährung innerhalb der industriellen Nahrungsproduktion (Mängel, für die bspw. Vitamintabletten geschluckt werden müssen) – und natürlich heißt das nicht, dass eine nicht-vegane industrielle Ernährungsgrundlage nicht ebenfalls ihre Probleme hätte – angeblich aus der Welt schaffen würden oder die auch nur dem unerklärlicherweise vorhandenen1 Bedürfnis von vielen Veganer*innen nach Fleischersatzprodukten abhilfe verschaffen. Dadurch kommt es nicht selten zu regelrechten Umwälzungen der Landwirtschaft, aber selbstverständlich weniger in der westlichen Welt, sondern vor allem in den Kolonien des westlichen Ernährungssystems. Die dort errichteten Plantagen zum Anbau von sowohl exotischen Nahrungsmitteln, als auch von pflanzlichen Rohstoffen, die der industriellen Weiterverarbeitung zu Fleischersatzprodukten und ähnlichem dienen, werfen nicht nur schwerwiegende Umweltprobleme in diesen Regionen auf, darunter Zerstörung von Wäldern, Wassermangel, Umweltvergiftungen, usw., sondern auch soziale Probleme, die in Hunger, Kriegen, Völkerwanderungen und immer wieder auch in Genoziden enden. Sicher sind die spezifisch für Veganer*innen angebaute Nahrungsmittel nur einer von vielen Ursachen dafür, klar ist jedoch, dass auch derlei Folgen des um sich greifenden Veganismus nicht einfach unter den Teppich gekehrt werden können und die allgemein vorherrschende Ignoranz von Veganer*innen diesem Leid von Menschen gegenüber als völlig widersprüchlich zu deren seltsam humanistisch anmutenden Interesse am Leid von Tieren betrachtet werden muss.

Mal angenommen die Versklavung von Tieren würde tatsächlich abhängig sein, von einer Konsumentscheidung, wie es die Veganer*innen letztlich theoretisieren – was ich angesichts der zahlreichen alternativen Verwertungsmöglichkeiten von Tieren und angesichts dessen, dass sich Tierbestände in der Viehhaltung schon heute nicht nach der Nachfrage danach richten, erheblich bezweifeln würde, aber darum soll es hier nicht gehen –, so wäre die moralistische Haltung eine vegane Lebensweise würde weniger Tierleid erzeugen – und sei daher ein allgemein anzustrebendes Ideal – alleine aus oben genannten Gründen vollkommen verlogen und heuchlerisch. Denn die Millionen und Milliarden Tiere, die infolge der Landwirtschaft pflanzlicher Nahrungsmittel getötet und verstümmelt, ausgerottet, vertrieben, an den Rand ihrer Fortexistenz und in ihrem Bestand kontrolliert werden, werden bei einer solchen Behauptung schlicht unterschlagen. Das ist insofern kaum verwunderlich, als dass sich schon bei einer Betrachtung dessen, wer sich dazu entscheidet Veganer*in zu werden, offenbart, um was für eine Art von Ideologie es sich hier handelt. Neben einer guten Hand voll politischer Wirrköpfe für die immerhin zutrifft, dass sie sich zu einem nicht geringen Anteil an den Akademien selbst herumtreiben oder aber im Dunstkreis derjenigen, die dies vornehmlich tun, handelt es sich bei der Mehrzahl der Veganer*innen um Angehörige wohlhabender Bevölkerungsschichten. Es ist im Grunde das gleiche Klientel, das seit einiger Zeit damit auffällt, dass es nicht nur Bio-Lebensmittel mit Vorliebe kauft, sondern auch andere Leute, denen das Geld fehlt, dieser Vorliebe nachzugehen, dafür beschämt. Jenes Klientel, das angesichts der dramatischen ökologischen und sozialen Auswirkungen eines Systems zu deren Kollaborateur*innen sie sich zählen müssen, Zuflucht bei “ökologischen”, “fairen”, “plastikfreien”, “biologischen”, “nachhaltigen” Konsumentscheidungen sucht. Kein Wunder. Denn das System jenseits solch (bestenfalls) reformistischen Quarks zu hinterfragen würde auch bedeuten, der behaglichen Sphäre des konformistischen (Bildungs-)bürgertums zu entsagen und nach wahrhaft konfrontativen Wegen zu suchen, die Herrschaft anzugreifen.

Die einzige Möglichkeit Veganismus vor diesem Hintergrund einer Ideologie des immer weiter um sich greifenden Ökofaschismus zu entziehen, bestünde meines Erachtens darin, ihn gegen das industrielle System selbst, zumindest aber gegen dessen kommerzielle Sphäre zu richten. Das kann niemals durch eine Kaufentscheidung gegen dieses, jedoch für jenes Produkt funktionieren, sondern nur durch den totalen Boykott des industriellen Systems selbst. Eine Möglichkeit dies zu erreichen wären beispielsweise Plünderungen von Lebensmitteln und deren (Ver-)teilung. Bio-Ernährung für alle, sozusagen. Kostenlos. Allerdings wäre dabei irrelevant, ob es sich bei den geplünderten Lebensmitteln um vegane oder nicht-vegane Lebensmittel handelt. Eine andere und gleichzeitige Möglichkeit wäre der aufrichtige Auszug aus diesem industriellen System, der nicht darin bestehen kann, aufgrund des Eigentums an Land irgendeine Nische innerhalb dieses Systems für sich zu finden, sondern ausschließlich in der auch gegen Eigentum gerichteten individuellen und kollektiven Aneignung des Territoriums bestehen könnte, also in der Besetzung von Land, auf dem dann ein nicht-landwirtschaftlicher, nicht-kommerzieller Anbau oder auch eine andere Lebensweise verfolgt werden kann, während dieses Territorium dem industriellen System dauerhaft entzogen bleibt, d.h. gegen die staatliche Rückeroberung verteidigt. Sicherlich sind auch andere Möglichkeiten denkbar … Veganer*innen jedoch, die keine derartigen radikalen (Auf-)Brüche vorzuschlagen haben, sondern allen Widersprüchen zum Trotz daran festhalten, die individuellen Handlungsmöglichkeiten auf Konsumentscheidungen einzuengen und als einzige Perspektive folglich die soziale (und oft auch repressive) Erzwingung der veganen Ernährung der Bevölkerung haben, sind ebenso reformistisch wie jene Politiker*innen, die uns mit ihrem Ökofaschismus in den kommenden Jahren noch den letzten Rest an Appetit vermiesen werden – und der Massenmord an Tieren, Menschen und Lebewesen im Allgemeinen wird obendrein unverändert weitergehen.


Begriffserklärungen

Es ergibt sich zwar aus der (insbesondere) wiederholten Verwendung im Text, aber um Missverständnisse zu vermeiden, seien hier drei Begriffe noch einmal präzisiert:

Veganismus

Eine zur “Lebensweise” erhobene Ernährungsweise innerhalb des Industriellen Systems und folglich eine Ideologie, die darauf basiert, auf tierische Produkte (im Bereich Nahrungsmittel und oft auch in ein paar wenigen anderen Bereichen wie Kosmetik, Haushalt, Bekleidung) dogmatisch zu verzichten. Die Definitionen des Umfangs dieses Verzichts variieren zum Teil stark, können aber bei genauerer Betrachtung eigentlich niemals Geltung für sich beanspruchen.

Veganer*in

Eine*r, die kein Fleisch und keine anderen Produkte, die unmittelbar aus Tierhaltung resultieren (eigentlich niemals ohne Ausnahmen, dafür oft gepaart mit der offensichtlich verlogenen Behauptung auch auf mittelbare Produkte aus Tierhaltung zu verzichten) verzehrt und daraus eine gewisse Obsession macht, die weit über ein informatorisch relevantes (z.B. weil jemand so freundlich ist, für diese Person mitzukochen und dabei Rücksicht auf deren Essgewohnheiten zu nehmen), sowie kommunikativ übliches Maß hinaus Bestandteil von Gesprächen dieser Person wird. Wesentlicher Beweggrund für den Produkt-Verzicht von Veganer*innen ist die moralische und leider auch irrtümliche Vorstellung, dass die eigenen Kauf-, bzw. Nicht-Kauf-Entscheidungen eine relevante Auswirkung darauf hätten, ob Tiere innerhalb des industriellen Systems versklavt werden oder nicht. Veganer*innen sind in der Regel missionarisch, d.h. sie versuchen direkt und indirekt andere davon zu überzeugen, sich der Ideologie des Veganismus (siehe oben) anzuschließen.

Ökofaschismus

Die politische Überzeugung, dass ganz bestimmte, industrielle und vor allem nur vermeintliche Lösungen für vom industriellen System verursachte ökologische Probleme, anderen mit autoritären Mitteln gegen ihren Willen aufgezwungen werden müssen, wenn diese nicht freiwillig aus eigenem Antrieb auf die gleichen “Lösungen” setzen. Eine wichtige Ökofaschistische Partei im deutschen Bundestag sind die Grünen. Beispiele für ökofaschistische Projekte sind die diversen CO2-Einsparungsverordnungen, die Mülltrennung in Deutschland, sowie der staatlich subventionierte und geförderte Veganismus.


Anmerkungen

1 Ganz so unerklärlich ist dieses Bedürfnis natürlich nicht. Es wird nicht nur aktiv von einer sich diversivizierenden Fleischindustrie geweckt, sondern dürfte mitunter auch aus Mängeln, die sich eben möglicherweise als Lust auf Fleisch einen Weg ins Unterbewusstsein bahnen, sowie kulturellen Essgewohnheiten und -gebräuchen resultieren.

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Vom Ernten toter Elefanten – Die falsche Opposition der Animal Liberation https://panopticon.blackblogs.org/2023/04/17/vom-ernten-toter-elefanten-die-falsche-opposition-der-animal-liberation/ Mon, 17 Apr 2023 10:57:26 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=4910 Continue reading ]]> Dieser Text erschien im März 2007 in der anarchistischen Publikation ‚A Murder of Crows #2 for social war and the subversion of daily life‘. Der Text wurde vor vielen Jahren übersetzt und kursierte auch als Broschüre. Wir haben ein paar Korrekturen vorgenommen, nur dass was uns als Rechtschreibfehler aufgefallen sind. Ansonsten handelt es sich hier um eine Kritik an die Ideologie und die Moral. Spezifisch an jene die mit Tierbefreiung und Veganismus zu tun hat. Es handelt sich also nicht um eine Kritik ‚gegen‘ Tierbefreiung und Veganismus, sondern die, von manchen, daraus resultierende Ideologie und Moral, die es als Grundpfeiler ihrer falschen Haltung und Argumentation zu kritisieren gilt.


Vom Ernten toter Elefanten
– Die falsche Opposition der Animal Liberation

von Aden Marcon

Ich hab noch nie jemanden getroffen, der als Kind sagte ‘Wenn ich groß bin, will ich Kritiker werden.’ – Richard Prior

Wir glauben, dass es einige gibt, die unter dem sehr breiten Banner der Animal Liberation Aktionen machen, denen es ebenso wie wie uns darum geht, diese auf Ausbeutung und Elend basierende Gesellschaft komplett umzuwälzen. Nichts desto trotz sehen wir, dass viele in radikalen und anarchistischen Kreisen die Philosophie der Animal Liberation und des Veganismus auf unkritische Art begrüßen. Diese Ideen werden mit Beharrlichkeit und Ausdauer beibehalten und wurden unglücklicherweise selten in Frage gestellt, zumindest nicht in Nordamerika. Wir hoffen mit dieser Kritik einige Ansatzpunkte für kritischeres Denken und theoretische Reflexion bereitzustellen, Werkzeuge, die wir für effektive Aktionen gegen Herrschaft und Unterdrückung brauchen werden.

Animal Liberation: Ein kurzer Überblick

Animal Liberation entwickelte und radikalisierte sich als Bewegung in den 1970er Jahren in Großbritannien und in geringerem Maße in den USA. Ihre Philosophie entwickelte sich aus der Tierrechtsidee, mit der es häufig Überschneidungen gibt. Animal Rights geht davon aus, dass alle Tiere das Recht auf ihr eigenes Leben haben, sie moralische Rechte besitzen sollten, und dass einige der Rechte für Tiere gesetzlich festgeschrieben werden sollten, wie beispielsweise das Recht nicht eingesperrt, verletzt oder getötet zu werden.

Peter Singer ist einer der ideologischen Gründer Animal Liberation. Sein Zugang zum moralischen Status der Tiere basiert nicht auf dem Konzept von Rechten, sondern auf dem utilitaristischen1 Prinzip der Abwägung von Interessen. In seinem Buch Animal Liberation argumentiert er 1975, dass Menschen ihre moralische Überlegungen anderen Tieren gegenüber nicht abhängig machen sollten von Intelligenz, der Fähigkeit zu moralisieren, oder anderen menschlichen Attributen, sondern vielmehr von der Fähigkeit Leid zu erfahren. Die Ideologie der Animal Liberation besteht darauf, dass Menschen im Unterschied zu Tieren moralische Entscheidungen treffen können, dass die Wahl der Menschen daher in der Vermeidung bestehen muss Leid zu verursachen.

Seit den philosophischen Anfängen von Animal Rights und Animal Liberation sind weltweit viele Animal Liberation Gruppen entstanden, jede mit ihrem eigenen Zugang, und doch arbeiten alle grundsätzlich für das gleiche Ziel. Entsprechend wurde Veganismus – der Lebensstil, der darin besteht keine tierischen Produkte zu konsumieren oder zu nutzen, ebenso wenig Produkte, die an Tieren getestet wurden – immer populärer. Meine Absicht ist es an dieser Stelle nicht, das Thema erschöpfend darzustellen. Wer mehr über die Animal Liberation Bewegung lernen möchte, sei auf die Fülle [englischsprachiger] Bücher und Webseiten zum Thema verwiesen2.

Manipulationen, Repräsentationen und Abstraktionen

Animal Liberation ist…ein Krieg. Ein langer, harter, blutiger Krieg, in dem es all die zahllosen Millionen Opfer immer nur auf einer Seite gab, die unschuldig und ohne Verteidung waren, deren einzige Tragödie es war, nicht als Mensch geboren zu sein. – Robin Webb, Britischer ALF Pressesprecher

…der abstrakteste der Sinne, und der am leichtesten zu täuschende… – Guy Debord, Gesellschaft des Spektakels

Um irgendetwas kritisieren zu können, müssen wir verstehen, wie es von seinen FürsprecherInnen repräsentiert wird. Die Animal Liberation Bewegung bezieht sich zuerst und vor allem auf verschiedene unkritisch angenommene Klischees, die es – wie in der Gesellschaft auch – bei AktivistInnen der Bewegungen im Überfluss gibt. Die Sprache der Animal Liberation spielt mit Konzepten von Niedlichkeit, Mitleid und Philanthropie, die in uns hinein sozialisiert wurden, die als zivil, verantwortlich und gut gelten. Animal Liberation stellt sich selbst als moralische und zivile Weiterentwicklung der menschlichen Gesellschaft dar, als Prozess, in dem wir „unseren Kreis des Mitgefühls ausweiten“3. Uns wird gesagt, dass Menschen Schmerz und Leid für Tiere vermeiden können und sollen, dass die Menschheit durch dieses Handeln auf den richtigen Weg zu einer freundlicheren und friedlicheren Welt kommen wird.

Diese Konzentration auf das Leid und die angenommene Notwendigkeit seiner Beseitigung ist höchst problematisch. Unter dem Kapitalismus werden Tiere als Waren benutzt – als Objekte, deren einziger Zweck es ist, gekauft und verkauft zu werden – und als Objekte, die gezählt, kommerzialisiert und ausgepreist werden. TierbefreierInnen reduzieren indes all diese Dinge auf eine breite Kategorisierung: Leid. Diese Reduzierung beseitigt alle Kniffligkeiten und Spezifika dessen, wie Tiere im gegenwärtigen sozialen Kontext benutzt werden, sie verflacht die Natur ihrer Ausbeutung. Für TierbefreierInnen ausschlaggebend ist das Ausmaß des Schmerzes, der Tieren zugefügt wird und die Anzahl der getöteten Tiere. Dies führt allgemeinen zu lächerlichen Übervereinfachungen von allen, die Tiere töten. JägerInnen sind schlecht, weil sie Tiere töten, genau wie die industrielle Landwirtschaft, genau wie HaustierbesitzerInnen, die ihre Tiere misshandeln; für TierbefreierInnen ist das nur eine graduelle Frage. Ihr Fokus ist es einfach Leid zu beenden – eine komplette Absurdität in sich.

Wir sollten hier keinen Fehler machen: Tiere fühlen Schmerz und alle, die das Gegenteil behaupten sind dumm. Zugleich ist die Behauptung, dass Schmerz und Leid beendet werden können nicht weniger dumm. Schmerz ist ein unabtrennbarer Teil des Lebens. Tiere können in der Wildnis verhungern, sich die Knochen brechen oder von einem anderen Tier in Stücke gerissen werden. Schmerz ist dann ein biologischer Indikator von Gefahr, Verwundung und Krankheit. Er stößt Tieren dann ohne jede menschliche Einflussnahme zu. Dennoch präsentiert Animal Liberation den Schmerz und Tod von Tieren als Konsequenz einer den Menschen unterstellten moralischen Rückständigkeit, wo Tiere immer benutzt und beherrscht werden, weil wir sie nicht gleichermaßen berücksichtigen; wir uns nicht weiterentwickelt haben. TierbefreierInnen gehen auf diese Art von der widersprüchlichen und gefährlichen Behauptung aus, dass Leid und Schmerz zumindest für Tiere beendet werden können, entweder in Gänze oder sofern es von menschlichem Handeln verursacht wurde. Dabei ist die Idee das Leid zu beenden so albern wie zu versuchen die Traurigkeit abzuschaffen und überall herumzulaufen und zu versuchen die Leute zum Lachen zu bringen. Es wäre eine sinnlose Übung. Wir sind auf intime Weise in einem Kreislauf aus Leben und Tod verbunden, der Schmerz und Leid ebenso notwendig beinhaltet wie Traurigkeit und Freude.

Dann erzählen sie uns, dass wir von ihrer Sache überzeugt wären, wenn wir nur nicht länger wegsehen würden. Entsetzliche Bilder voller Blut und Tod in der Massentierhaltung und der Verrohung der Versuchslabors kommen reichlich vor in der Propaganda der Animal Liberation. Diese Bilder werden genutzt, um das Elend zu repräsentieren und auszubeuten – sie sind nicht anders als jene, mit denen wir von den Nachrichtenmedien schockiert werden. Während uns die Medien mit Bildern der globalen Misere schockieren und uns so zugleich daran als Normalität gewöhnen, stellt die Animal Liberation Bewegung das Elend dar, um zu manipulieren und mit Schuldgefühlen zur restlosen Einnahme ihrer Perspektive zu bewegen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass TierbefreierInnen die Ausbeutung der Tiere mit dem Holocaust vergleichen, während sie zugleich implizieren, dass was Tiere durchmachen müssen tatsächlich weit schlimmer ist als alles, was Menschen erleben können. Diese Analogie spielt mit unserem Mitgefühl, während sie das Leid der Tiere quantifiziert und uns mit dem schieren Gewicht der Zahlen überzeugen will. Schmerz und Tod werden abstrahiert und bemessen, repräsentiert in einer Weise, die der ideologischen Werbung dient. Wenn uns die Millionen Tiere, die jedes Jahr sterben nicht kümmern, dann sind wir grausam und gefühllos. Wenn wir uns nicht kümmern, dann sind wir verantwortlich.

Animal Liberation liefert uns keinerlei kritische Einschätzung sozialer Herrschaft. Sie verspricht Befreiung, während sie tatsächlich fast alles auf die quantifizierende Logik einengt, die überall in der Gesellschaft zu finden ist. Die abstrahierende Sprache und manipulativen Bilder der Animal Liberation Bewegung liefern den Nachweis für ihre weitreichendere Logik, und definitiv für eine ihrer größten Schwächen. Das Elend in Schlachthaus und Versuchslabor zu messen ist ein Aufruf, der auf eine bestimmte Anzahl kapitalistischen Horrors aufbaut. Der Horror, der Tieren angetan wird, wird dadurch über alle anderen erhoben, dass immer wieder auf Leichenzählungen und Maßeinheiten des Leids verwiesen wird. Elend und Ausbeutung können jedoch nicht gemessen werden; sie wird nicht dadurch schlimmer, dass sie häufiger oder von mehr Lebewesen erfahren wird. Wir haben genau deshalb einen Bezug dazu, weil wir es jeden Tag erleben und sehen, dass es überall auf der Welt erlebt wird.

Wenige von uns würden gleichgültig auf das Gemetzel des Schlachthauses reagieren. Unsere Gesellschaft behandelt Tiere genauso, wie sie Menschen oder Bäume oder Gene behandelt. Alle werden als Einheiten ökonomischen Werts behandelt, so effizient wie möglich verarbeitet und dann in vermarktbare Waren verwandelt. Aber unsere Abscheu kommt nicht aus irgendeiner Fantasie über das Ende des Leids. Wir wollen die revolutionäre Zerstörung dieser Gesellschaft der Ausbeutung. Wir hassen die Erniedrigung und das Elend von allem, was in Objekte zum Verkauf verwandelt wird, bewertet entlang des kapitalistischen Diktats der modernen Welt. Wir wollen über unser Leben und unsere Beziehungen selbst entscheiden, außerhalb des Marktes. Es ist diese Perspektive, aus der wir Ausbeutung und Versklavung als eine Bedingung sozialer Herrschaft analysieren – eine Bedingung die umgewandelt werden kann. Aus dieser Perspektive kritisieren wir auch Animal Liberation und ihre dubiosen Versprechungen.

Dies, Das und das Gleiche: Die Widersprüche des grausamkeits-freien Konsums

Willkommen, EinkäuferInnen! Wir danken Ihnen, dass sie ein mitfühlender Konsument sind! Indem Sie nur grausamkeits-freie Produkte kaufen, können Sie helfen Kaninchen, Mäuse, Meerschweinchen, Ratten und andere Tiere zu retten. – von PETAs Caring Consumer Webseite

Animal Liberation versucht die gegenwärtigen sozialen Verhältnisse zum Teil dadurch zu reformieren, dass sie „grausamkeits-freien“ und „mitfühlenden“ Konsum bewirbt. Indem sie sich für diese Art ökonomischen Konsums einsetzen, beanspruchen sie, das Leiden der Tiere zu reduzieren. Die Logik lautet, kein Tier werde verletzt oder getötet, wenn keine Produkte von Tieren benutzt oder konsumiert werden. Die Idee der KonsumentInnen-Reform basiert auf dem Glauben, dass das System fehlerhaft und unnötig grausam ist und lediglich einer Reparatur bedarf. Diese Bewegung steht offenkundig nicht in Opposition zum Kapitalismus an sich, ganz gleich was einige von ihnen behaupten. Wie dem auch sei, die Realität ist, dass das Elend eine unvermeidbare Konsequenz von kapitalistischer Konsumtion Willkommen, EinkäuferInnen! Wir danken Ihnen, dass sie ein mitfühlender Konsument sind! Indem Sie nur grausamkeits-freie Produkte kaufen, können Sie helfen Kaninchen, Mäuse, Meerschweinchen, Ratten und andere Tiere zu retten.und Produktion ist. Alles was wir kaufen ist Objekt und Ware – quantifiziert, reduziert, einzig nach seiner Rolle in der Ökonomie bewertet. Elend ist einfach ein weiteres Nebenprodukt, wie Umweltverschmutzung, das keinen ökonomischen Wert hat und deshalb frei verbreitet wird.

Der Kult des Veganismus ist insofern effektiv, als er die falschen Argumente der KonsumentInnen-Reform in aller Kürze zusammenfasst. Die Widersprüche der veganen Ethik werden schmerzhaft offensichtlich, wenn wir die Herkunft aller Produkte und Waren in unserer Gesellschaft betrachten. Das Pfund Tofu oder die Flasche grausamkeits-freies Shampoo verbergen die Künstlichkeit des Anspruchs hinter dem Etikett. Die Behauptung, dass vegane Produkte nicht direkt zum Töten von Tieren beigetragen haben ist eine der vielen vermarkteten Illusionen, beworben von Konzernen, die von diesem Nischenmarkt profitieren. Die kapitalistische Produktion, angetrieben vom massenhaften Konsum, bedarf enormer Mengen von Ressourcen. Diese Ressourcen werden mit billigsten und zerstörerischsten Methoden aus der Erde herausgeholt, was massiv zur Zerstörung von Lebensräumen von Tieren und zum Tod von Tieren beiträgt. Die brutale Realität der Produktion liegt unter dem Glitter des Marktplatzes begraben.

Ihr braucht nur darüber nachzudenken, wie die Produktion funktioniert. Die Herstellung von Plastik basiert auf Öl, somit bringt die Verpackung veganer Produkte die üblichen Umweltverschmutzungen und „Unfälle“ der Ölindustrie mit sich. Im Jahr werden etwa im Durchschnitt etwa 455 Millionen Liter Industrieöl ins Meer gekippt4. Davon stammen nur etwa 5% aus großen Tankerdhavarien wie dem Exxon Valdez Desaster5. Der Rest stammt aus Lecks und Routineverklappungen des normalen Betriebs der Ölförderung und des Öltransports. Dieses Öl schädigt die Nistplätze von Vögeln, erstickt Strandhabitate in Schlamm, vergiftet und tötet direkt Fische, Vögel und andere Meerestiere. Der Bau von Pipelines zerstört Lebensräume von Tieren. Ölraffinerien verschmutzen die Wasserwege, vergiften Tiere und zerstören ihre Brutstätten. Nicht mit eingerechnet die Kriege um diese Ressource Öl, die hunderttausende das Leben gekostet haben und das nach wie vor tun – in Afghanistan, im Irak und in Afrika – die auch die ökologische Integrität dieser Regionen zerstören.

Tatsache ist, dass Bio-Sojabohnen für die Tofuproduktion, Tempeh und Fleischersatzprodukte das gleiche industrielle Distributions-System nutzen wie jedes andere Produkt im Laden, das enorme Mengen an Öl und anderen Ressourcen für Verpackung, Lagerung, Transport und Verteilung von food und non-food Waren über die ganze Welt verbraucht6. Dies übersetzt sich in zerstörte Berghänge und Flüsse durch den Bergbau fossiler Brennstoffe, den Kahlschlag von Wäldern zur Herstellung von Verpackungsmaterial, chemische Verschmutzung bei der Herstellung von Farbe, Kleber und Schmiermitteln, und so weiter, und so fort. All diese industriellen Prozesse vergiften Tiere und zerstören ihre Lebensräume. Die kapitalistische Ökonomie wird nichts tun, diese massive Zerstörung zu vermeiden, denn solche Vorkehrungen würden die Kosten der Produktion in die Höhe treiben und die Profite verringern. Was nichts anderes heißt, als dass der kapitalistische Konsum von der uneingeschränkten Ausweitung des Konsums von Ressourcen und der Zerstörung der Umwelt abhängig ist, was sein Wachstum betrifft. Der Kapitalismus muss sich ausweiten oder sterben. Durch seine Ausweitung muss die Welt sterben.

Der Veganismus präsentiert eine falsche Alternative zum kapitalistischen Elend. Weder für uns noch für die Tiere hat er und wird er je die Dinge ändern. Der Kapitalismus definiert die Bedingungen unseres Leidens und diktiert, wie wir leben werden, und wie wir ultimativ nicht werden leben können. Die Produktionsprozesse, die in vegane Produkte eingehen sind die gleichen wie für jedes andere Produkt auf dem Markt. Die Massenproduktion ist Teil einer globalen Arbeitsteilung, die weltweit Millionen Menschen ausbeutet. Ressourcen verwandeln sich nicht von selbst in Waren. Menschen produzieren sie. Sie werden ausgebeutet, um die Ökonomie in Schwung zu bringen, sie in Gang zu halten und funktionieren zu lassen. So nimmt es nicht wunder, dass KapitalistInnen Tiere wie Menschen als entbehrliche Objekte behandelt. Animal Liberation würde zwar für die Zerstörung oder Abschaffung von industrieller Tierhaltung und Metzgereien sprechen, dafür aber tierfreie Arbeitshäuser an ihre Stelle setzen. Dies ignoriert das Leid, das die Lohnarbeit mit ihrer Zerstörung der Körper und Abstumpfung der Köpfe verursacht. Wir Menschen werden vielleicht nicht für die Produktion von Nahrungsmitteln aufgezogen und getötet, für die Produktion als solche werden wir allemal genauso aufgezogen und getötet. Das morgendliche Pendeln zur Arbeit, Schulden und Miete, die Erschöpfung, die Langeweile und das Ausbleiben von Befriedigung – all das wird weiterexistieren in einer Welt, in der ausschließlich vegane Produkte verkauft werden. Es gibt keinen grausamkeits-freien Kapitalismus, nur Kapital für KapitalistInnen. Die Ökonomie sagt, wie es läuft, sie nimmt, was sie braucht und zerstört den Rest.

Um dem kapitalistischen Elend etwas entgegenzusetzen, müssen wir uns gegen das Ganze wenden, die Illusion mundgerechter Halb-Maßnahmen und KonsumentInnen-Reform-Kampagnen zurückweisen. Dringender noch bedarf die kohärente Analyse sozialer Herrschaft einer unbeirrbaren Kritik der moralischen und ideologischen Kräfte, die genau diese Analyse zu verhindern suchen.

Verdammt, wenn Du es tust – Moral als Falle des Geistes

Seine Heiligkeit ist erfreut dazu berufen zu sein…barbarische und grausame Tendenzen aus den Herzen der Menschen zu löschen – Papst Pius X

Moral ist der Herdeninstinkt des Individuums – Friedrich Nietzsche

Moral ist ein System von Regeln, ein auf „objektiv“ Richtigem und Falschem aufgebautes Set rigider Codes, die ihrerseits auf Konzepten von Gut und Böse beruhen. Diese Codes können angeblich an allen Orten und zu allen Zeiten angewendet werden. Was unter einem moralischen Code als „richtig“ oder „falsch“ erachtet wird, bezeichnet nicht einfach das korrekte oder nicht korrekte Verhalten einer Person an einem bestimmten Ort, zu einer bestimmten Zeit, in einer bestimmten Kultur, sondern vielmehr das korrekte oder nicht korrekte Verhalten aller Personen an allen Orten zu allen Zeiten. MoralistInnen beanspruchen, dass ihre Verengung universeller Standard sei, nach denen ihr Handeln und das anderer zu beurteilen ist. Diese Moral selbst ist autoritär, da wir uns ungeachtet unseres eigenen Willens konform zu ihr verhalten müssen.

Moral kommt von einer Autorität über uns. Diese Autorität kann Gott sein, der Staat, die Familie, oder verschiedene für wahr gehaltene Ideen und Einheiten, die der angenommenen Objektivität einer bestimmten Moral Geltung verschaffen. Moralische Codes definieren eine zu treffende Auswahl und richten sie aus. Sie dürfen nicht verletzt werden, da sie absolut und unbewegbar sind. Auf diese Art werden Entscheidungen nicht auf Grundlage dessen getroffen, was ein Mensch für seine Situation und Wünsche als angemessen empfindet, vielmehr werden diese Entscheidungen durch ein moralisches System vorbestimmt. Zwar brechen viele MoralistInnen gelegentlich aus ihrer Schublade aus, doch ist dies begleitet von Gefühlen der Scham und der Schuld, da sie Regeln gebrochen haben, von denen sie glauben, dass sie gerecht und gut sind. Damit ist Moral für all jene Antithese, die versuchen auf eine Art und Weise in der Welt zu denken und zueinander zu handeln, in der sich ihr Begehren wiederfindet.

Entsprechend sind moralische Argumente nicht auf kritisches theoretisches Denken gegründet. Moralische Argumente oder Ansprüche können nur durch dagegen stehende moralische Ansprüche widerlegt werden. Fleisch essen mag für eine VegetarierIn falsch sein, für eine FleischesserIn ist es das nicht. Die Behauptung von richtig und falsch kann immer weiter gehen, bis der Mund müde und die Zunge trocken ist. Wie dem auch sei, die Moral ist entsprechend der Kultur der sie entspringt 7. Auffassungen von richtig und falsch werden von der Gesellschaft gesetzt, insbesondere von denjenigen, die die Gesellschaft kontrollieren. Wer sagt, das die in Stammesgesellschaften lebenden Jäger und Sammlerinnen MörderInnen sind, weil sie Fleisch essen ist mehr als alles andere in den eigenen arroganten moralischen Urteilen befangen. Es ist genau dieser Mangel an kritischem Denken, der vor dem Erkennen gemeinsamer Interessen der Menschen Barrieren errichtet.

Manche TierbefreierInnen erzählen jenen, die Fleisch essen, voll gerechter Entrüstung wie böse ihre Nahrung ist. Diese indifferenten oder apathischen FleischesserInnen müssen darauf hingewiesen werden, dass sie zum Mord an unschuldigen Wesen beitragen. Wenn sie nicht zuhören, machen sie sich schuldig. Wenn sie zuhören aber nicht handeln, machen sie sich noch schuldiger. Die schwarzen und weißen Schatten der Moral fallen wie der Hammer des Richters. Kampagnen zur „Bildung“ der Menschen über Grausamkeit an Tieren oder Veganismus werden wie Missionsprojekte durchgeführt. Fromme Verurteilungen des Versagens anderer Leute, sich dem „Beenden des Leids“ zu verschreiben ähneln allzu sehr dem Priester auf seiner Kanzel, der diejenigen tadelt, die sich noch von ihren Sünden zu befreien haben. Diese Schuld führt einfach nur dazu, dass sich die Leute scheiße fühlen für ihre ohnehin machtlose Position in der Gesellschaft, eingeschränkt auf die Auswahl, die der Kapitalismus uns aufnötigt. Sie befördert keine kritische Bewertung der sozialen Bedingungen, die zur Ausbeutung der Tiere beiträgt, sondern ermuntert zu blindem Gehorsam im vorbestimmten Richtig und Falsch.

Verschiedene soziale Institutionen – Religion, Schule, Arbeit, Familie – vermitteln moralischen Gehorsam, um unser Denken und Handeln intern zu regulieren und verschiedene Institutionen sozialer Herrschaft durchzusetzen. Die Moral ist der Bulle in unseren Köpfen, eine Fessel individueller und kollektiver Verwirklichung, und ein Hindernis für alle, die den Wunsch haben ihr Leben frei zu bestimmen. Wenn wir beginnen, für uns selbst zu entscheiden, was wir wollen und wie wir leben wollen, und es anderen erlauben dies auch zu tun, werden wir Riesenschritte dahingehend machen, uns von den unsichtbaren Gefängnissen zu befreien.

Ideologie, verlässliche Fessel

Da die Ideologie immer die Form ist, welche die Entfremdung in der Sphäre des Denkens annimmt, verstehen wir umso weniger unsere reale Situation, je mehr die Entfremdung zunimmt… Und je weniger wir unsere eigene autonome Existenz beanspruchen, umso greifbarer wird unsere Existenz mit dem Kapitalismus, mit den gefrorenen Bildern unserer Rollen in all den verschiedenen sozialen Hierarchien und Transaktionen des Warentauschs. – Lev Chernyi, „Eine Einführung der Kritischen Theorie“

Die Ideologie arbeitet auf ähnliche Art wie die Moral. Anstatt die Regeln objektiver Wahrheiten über richtig und falsch zu befolgen, werden rigide Programme und Perspektiven angenommen, die in einer Idee oder einem Konzept enthalten oder verbunden sind. Es gibt keinen Raum für irgendeine Beweglichkeit. Die Ideologie umschließt einen Aspekt des Lebens gänzlich und regiert unser Verhältnis dazu. Solcherart findet das ideologische Denken anstelle des kritischen Denkens statt. Die Welt, oder Aspekte der Welt, werden durch den Filter der Ideologie verstanden. So unterhält zum Beispiel die demokratische Ideologie die Idee, sozialen Wandel durch Wahlen, politischer Repräsentation und Gesetzgebung zu erreichen. Sie propagiert den Glauben in formale Politik in gleichem Maße, wie sie autonome direkte Aktionen verhindert. Die Kraft dieser Ideologie, wie aller Ideologie, liegt darin, das Denken in begrenzte Möglichkeiten und Perspektiven zu leiten und daran anzupassen. Die Ideologie steht einer kritischen theoretischen Analyse entgegen, die uns Situationen und Ideen auf der Grundlage ihrer tatsächlichen Brauchbarkeit für unsere Praxis zugänglich zu machen8.

Animal Liberation fällt nicht aus diesem Rahmen; sie ist von Grund auf ideologisch. Sie ordnet alles der Sache der Tiere unter. Die Ausbeutung der Menschen und die Zerstörung der Umwelt mögen der TierbefreierIn noch immer wichtig sein, aber sie werden als getrennte Themen gesehen. Die Ideologie macht Menschen unfähig, außerhalb von ihr stehende Dinge im Zusammenhang zu sehen oder zu verstehen. Alles wird unter der Maßgabe eingeordnet, wie es sich zur Sache der Tiere verhält. Ein Versuchslabor ist in der Hauptsache ein Ort der Folter an Tieren, die Verletzungen, die pharmazeutische Tests Menschen zufügen, die Millionengewinne, und das unhinterfragte Fortschreiten der Technologie werden vernachlässigt. Ein Fleischhauer schneidet jeden Tag Tiere in Stücke. Wir hassen, was mit den Tieren gemacht wird, wenn sie reihenweise nebeneinander verbluten, übereinander, an Haken. Aber die Ideologie der Animal Liberation erlaubt es nicht, die gleichen Überlegungen über die menschlichen ArbeiterInnen anzustellen, die Gefahren und Verletzungen, denen sie in dieser Tofu-Fabrik oder jener Sojamilch-Anlage ausgesetzt sind. Ihre Degradierung zu ersetzbaren Rädchen im Produktionssystem wird nicht als gleichermaßen bedenkenswert erachtet, denn Tier und Mensch werden als getrennte Kategorien gesehen, von denen die erste über die zweite gesetzt wird.

Der Veganismus demonstriert deutlich die alles umschließende Kraft der Ideologie. Einige VeganerInnen kümmert es wenig, wie gut sie essen, solange sie keine Tierprodukte konsumieren. Scheiße zu essen (z.B. stark behandelte, mit Chemie beladenen veganen Junk-Food) und den eigenen Körper zu zerstören ist akzeptabel, solange es vegan ist. Es ist in Ordnung die eigene Gesundheit zu zerstören, denn das zerstört nicht die Gesundheit eines Tieres – eine Illusion in sich. So wird alles zur einer Sache im Interesse von Tieren, werden andere Faktoren ausgeklammert. Die Absolutheit der Führung eines veganen Lebensstils erlangt Priorität über alle anderen Belange und nährt die Illusion, dass veganer Konsum nicht zum Leiden der Tiere beitragen würde. Sie macht die Leute blind für die Realität dessen, was sie konsumieren, erlaubt es, die Voraussetzungen dessen auf behagliche Art anzuerkennen ohne sie kritisch zu bewerten.

Wir müssen Animal Liberation und Veganismus in einen sozialen Kontext stellen, um sie in Ausmaß und Bedeutung verstehen zu können. Die Ideologie der Animal Liberation und der daraus entspringende vegane Lifestyle sind fragmentierte Oppositionen, die den Weg, auf dem das kapitalistische System Wandel konzeptualisiert völlig übernehmen. Sie geben der Idee Kraft, dass die Auswahl, die ein Mensch als KonsumentIn trifft zentrale Bedeutung hat – dass sie nicht nur die Identität eines Menschen bestimmt, sondern auch der Weg ist Wandel herbeizuführen. Die Versprechungen des „grausamkeits-freien“ Veganismus propagieren eine abstrahierte Sichtweise sozialen Wandels, bei dem das „Retten“ zahlreicher Tiere durch Konsum im Mittelpunkt steht. Diese falsche Opposition wendet sich gegen einen Aspekt von Unterdrückung, während er nichts dazu beiträgt, dessen systemische Ursachen zu zerstören, in diesem Fall die Herrschaft des Kapitalismus.

Einige VeganerInnen argumentieren, dass ihre Lifestyle-Entscheidungen besser sind als nichts, ganz so wie einige sagen, dass die Demokraten immer noch besser sind als die Republikaner. Daraus spricht das fragmentierte Verständnis des Veganismus von sozialer Ordnung, der einzig auf das „Reduzieren des Leids der Tiere“ gerichtete Tunnelblick. Währenddessen werden Tiere weiter zu Fleischmaschinen gemacht, verarbeitet von Leuten, die gezwungen sind als Arbeitsmaschinen zu funktionieren – beide unter monetären Erwägungen hin und her gehandelt, ausgebeutet, zu kapitalistischen Zwecken genutzt. Der Kapitalismus definiert die gesellschaftlichen Rollen von Mensch und Tier, während der Veganismus diese Beziehung vor allem verschleiert, indem er einen illusionären „mitfühlenden“ Konsum anpreist.

Eine verwandte Ideologie, verbreitet unter radikalen TierbefreierInnen, grünen AnarchistInnen und UmweltaktivistInnen ist es, die Schuld am Schaden, der Tieren und Umwelt zugefügt wird, allen Menschen zuzuschreiben, speziell der menschlichen Natur. Dies ist nur leicht verkleideter Menschenhass. Animal Liberation erhöht das Dasein der Tiere, weil sie als wehrlos, friedlich und unschuldig gesehen werden, während Menschen nicht über diese Qualitäten verfügen. Ein Menschenfeind würde sagen, dass einige oder alle Menschen im Innersten schlecht und grausam sind, sich nicht kümmern, oder sogar, dass einige Menschen es lieben zu töten, zu foltern und zu verletzen9. Sie würden sagen, das dies die Natur des Menschen sei. Aber diese Handlungen sind nicht das Produkt unserer Natur; wir werden weder von unseren Instinkten regiert noch von einer abstrakten Idee einer menschlichen Natur. Noch gibt die menschliche Geschichte Anlass zu vermuten, dass Menschen im Innersten grausam und zerstörerisch sind. Dieses Debakel von aufgezwungenem Elend und Herrschaft sind ein Produkt der menschlichen Gesellschaft, nicht einer menschlichen Natur, die unterdrückt oder moralisiert werden müsste.

Die verschiedenen Institutionen, aus denen sich die Gesellschaft zusammensetzt, regieren unser Handeln in ihrem Innern. Wir sind nicht einfach Individuen, die tun was immer sie wollen. Wir haben sehr wenig Wahlmöglichkeiten in der Frage wie wir überleben, die alle regiert sind davon, Produkte der Ausbeutung zu kaufen und selbst ausgebeutet zu werden, um sie herzustellen. Uns wird ununterbrochen gelehrt dieses Leben zu akzeptieren, nicht viel anders als Gefangene daran gewöhnt werden ihre Zellen zu akzeptieren. Menschenhass kann hierarchische und ausbeuterische soziale Beziehungen weder erklären noch erhellen. Er ist nichts als eine faule ideologische Entschuldigung dafür, über die gegebenen Probleme nicht kritisch nachzudenken.

Wenn wir das kapitalistische System und seine Folgen angreifen wollen, müssen wir es als systematisches Ganzes verstehen und als solches dagegen handeln. Sonst nimmt die Opposition die übliche Form an, spielt der Ideologie von Reform und Radikalismus in die Hände, ohne eine kritische Theorie darüber im Gepäck zu haben, wie wir was angreifen müssen. Ideologie macht Schafe aus den Menschen. Dass uns gesagt wird, oder dass wir uns sagen, dass wir frei sind heißt nicht, dass wir es tatsächlich sind. Wir werden aller Theorie, Ideologie und Praxis gegenüber kritisch sein müssen, wenn wir bestimmen wollen, wie brauchbar sie dafür sind diese Gesellschaft der Ausbeutung zu transformieren, oder besser noch, sie zu zerstören.

Mach es einfach: Die AktivistIn

Ich glaube fest daran, dass wir alles daran setzen müssen, das Leiden und Sterben so schnell und so effeizient wie möglich zu beenden. Wenn wir alle soviel tun wie wir können, WIRD das 21. Jahrhundert die Befreiung der Tiere bringen. – Anonym10

Die angeblich revolutionäre Aktivität der AktivistIn ist stumpfe und sterile Routine – die kostante Wiederholung einiger weniger Handlungen ohne jedes Potential zur Veränderung. – Andrew X. „Give up Activism“

AktivistInnen spielen eine besondere Rolle in unserer Gesellschaft. Ebenso wie KünstlerInnen die SpezialistInnen für Kultur sind, sind sie die SpezialistInnen für sozialen Wandel. Diese Spezialisierung separiert eine Gruppe von Leuten vom Rest der Gesellschaft. Dieser Zustand ist nicht zufällig, denn es liegt in der Natur der Spezialisierung exklusiv zu sein. Die AktivistIn verwaltet und repräsentiert soziale Kämpfe, verengt sie auf Teilbereiche und rekrutiert Mitglieder für ihr Anliegen. Aus revolutionärer Perspektive, in der es darum geht die gegenwärtigen sozialen Verhältnisse umzuwälzen statt sie zu reproduzieren ist das problematisch.

Animal Liberation reproduziert die Rolle der AktivistIn, indem sie sich über und außerhalb des Bereiches der Kämpfe stellt, die für die Ausgebeuteten Relevanz haben und sie mit einbeziehen. Der Animal Liberation Aktivismus verschreibt sich besonderen Anliegen und schließt diejenigen aus, die sich nicht an seine moralischen Codes und den entsprechenden Lifestyle halten11. Gleichermaßen glorifiziert er die Selbstaufopferung, eine Idee, die jeglicher Befreiung diametral gegenüber steht12. AktivistInnen sehen in Opfer und Leiden eine Art Fähigkeit, die den meisten Leuten abgeht. Die AktivistIn muss die Gesellschaft für andere verändern, für den angenommenen Vorteil anderer. Die Massen müssen erzogen, die Wichtigkeit einer Sache oder eines Themas muss ihnen aufgezeigt werden. Animal Liberation würde jeden Menschen zu einer VeganerIn machen, dessen ungeachtet ob dies tatsächlich irgendwem dabei hilft, die Bedingungen seines oder ihres Lebens selbst zu bestimmen. Die ArbeiterInnen, die versuchen ihre Familien zu unterstützen werden eine vegetarischen Diät nur in geringem Maße für anregend halten, solange diese nichts an der ökonomischen Schlinge ändert, die ihr Leben einschnürt. Keine vegane Diät macht die Unzufriedenheit genießbarer.

Dies ist nicht der einzige Grund, warum viele Leute Animal Liberation nicht besonders ernst nehmen. Die Subkultur der Animal Liberation AktivistInnen begrenzt den Austausch und die Beziehungen mit Nicht-AktivistInnen und verstellt ein Verständnis der Kämpfe anderer. Subkulturen, seien sie aktivistisch oder nicht, schaffen Trennungen und Hindernisse zwischen den Ausgebeuteten. Sie verlangen von anderen das Befolgen ihrer Codes des Denkens, des Verhaltens, der Mode, und entfremden sich letztlich selbst von der Möglichkeit sich auf andere einzulassen, Affinity13 und Solidarität zu anderen aufzubauen. Wer möchte ständig gesagt bekommen was zu tun ist, wie zu denken, was anzuziehen? Eine AktivistInnen Gruppe kann sich von dieser Welt isolieren, aber sie sollten nicht erwarten, dass irgendwer sonst ihre selbst auferlegte Isolation teilen möchte.

Einige AktivistInnen mögen diese Isolation als weiteres selbstloses Opfer im Dienste des guten Sache sehen. Opfer müssen gebracht werden für jemand anderes, irgendein Tier, irgendeine Abstraktion, irgendein Thema oder irgendeine Sache. Dabei handelt man nicht in eigenem Interesse sondern im Interesse von jemand oder etwas anderem. Für die Befreiung von Tieren kannst Du ganz schön auf die Fresse kriegen oder in den Knast gehen. Die AktivistIn wird sagen, dass dies notwendige Opfer für eine gerechte Sache sind und dass Dein persönliches Leid dazu führen wird, dass andere weniger leiden müssen. Hier repräsentiert sich der Mythos der MärtyrerIn in Aktion. Leid wird nicht dadurch gemildert, dass ich mehr Leid für mich selbst verursache. Das moderne Leben wird schon jetzt durch Opfer aufrecht erhalten – auf Arbeit, in der Schule, unter dem Kapitalismus. Das soll nicht heißen, dass wir Risiken vermeiden und passiv werden sollen, wenn wir etwas sehen das uns krank macht. Wir sollten vielmehr zur Tat schreiten und aktiv werden weil wir es wollen und nicht weil wir das Gefühl haben, dass wir es müssen. Dann ist das Risiko, das wir eingehen das Risiko das es mit sich bringt unser Leben zu leben, nicht sich für eine Idee zu opfern14. Schließlich ist Jesus ja schon für unsere Sünden gestorben. Wir sollten nicht in den Fußstapfen dieses Toren wandeln und ebenfalls dafür sterben.

Was die tatsächliche Praxis betrifft, suchen die Animal Liberation AktivistInnen eher danach erfolgreiche Reformkampagnen zu starten als einen weitreichenden Angriff auf das System als Ganzes. Sie sind begeistert davon, ihre selbst verkündeten Erfolge zu feiern. Eine Pelzfarm schließt. Ein Versuchslabor ist aus dem Geschäft. Aber später kehrt die Pelzfarm zurück, an einem anderen Ort mit einem neuen Besitzer, sobald die Modeindustrie Pelze wieder erfolgreich vermarkten kann15. Die Produktion beginnt wieder wie immer. Und die Kosmetikindustrie muss weiter Chemikalien in die Augen von Kaninchen reiben und Ratten Pharmazeutika spritzen, um potenzielle Klagen zu verhindern. Also eröffnet ein neues Versuchslabor irgendwo im Ausland oder ein bestehendes weitet seinen Betrieb aus, was schließlich dazu führt, dass mehr Tiere brutal behandelt und getötet werden. Die „Straße zum Erfolg“, die von vielen Animal Liberation AktivistInnen gefeiert wird, besteht in einer Reihe unbedeutender Zugeständnisse, vom System sparsam verteilt16. Der Kapitalismus ist flexibel genug sich zu reformieren, solange er in seiner Gesamtfunktion nicht beeinträchtigt wird. Solange werden Tiere immer weiter zur Ware gemacht und ausgebeutet. Lasst uns nun einen genaueren Blick auf die Dynamik und Praxis von Animal Liberation werfen.

Verloren im Nebel des Krieges: Ein Blick auf Animal Liberation

„Radikale“ TierbefreierInnen

Es gibt viele Kampagnen von AktivistInnen, die sich damit brüsten radikal und basisdemokratisch (grassroots) zu sein. Radikalismus selbst ist ein Begriff, der dazu dient einige Methoden von anderen unterscheiden. Er ist ambivalent und positioniert den oder die Radikale keinesfalls in einer klaren Perspektive, die mehr besagen würde, als dass er oder sie extreme Taktiken anwendet. Es gibt viele, die von der Faszination des Radikalismus angezogen werden, weil er sich selbst als Alternative zu den reformistischen Tendenzen anderer Gruppen darstellt. Diese Darstellung ist ein Irrtum. Animal Liberation steht ganz auf Seiten der Reform, auch wenn manche sie aufgrund ihrer verwendeten Taktiken als radikal darstellen. PETA und SHAC sind sich in den meisten Punkten einig. Sie verwenden nur unterschiedliche Taktiken und Strategien, um die gleichen Ziele zu erreichen17. Aber „radikale“ Taktiken sollten nicht mit radikalen Zielen verwechselt werden. Sozialer Wandel wird nicht bloß mit eingeworfenen Scheiben und Demos vor der Haustür erreicht. Um radikal aus dem Existierenden aufzubrechen bedarf es der Dekonstruktion des „Radikalismus“ und nicht die Verwechslung von Taktik mit Philosophie.

Animal Kommandos

Die Animal Liberation Front (ALF) hat über die Jahre für ihre Kommandoaktionen der Tierbefreiung, der Sabotage und der Brandanschläge viel Unterstützung erhalten. Diese ALF Zellen setzen sich aus kleinen, dezentralen Gruppen vegetarischer oder veganer Leute zusammen, die entlang gewisser Richtlinien Aktionen durchführen. So kann eine Aktion beispielsweise als der ALF zugehörig bezeichnet werden, wenn damit entweder Tiere befreit oder Eigentum der tierverwertenden Industrie zerstört wird, ohne dass irgendein Leben in Mitleidenschaft gezogen wird. Ihr kurzfristiges Ziel ist es, so viele Tiere wie möglich zu retten, ihr langfristiges Ziel ist „das Leid der Tiere zu beenden“, indem die tierverwertende Industrie aus dem Markt gedrängt wird18. Damit steht die ALF ganz klar für das gleiche ideologische und quantifizierende Denken wie der Rest der Animal Liberation.

Die Faszination für die ALF ist zum Teil ihrem Kommando-Image geschuldet, im Schutz der Nacht Gesetze zu brechen. Die gängigen Bilder verleihen der ALF eine engelsgleiche Qualität. Sie retten die Unschuld vor dem Bösen, ganz so wie in den langweiligen Märchen, mit denen wir als Kinder zwangsernährt wurden. Aus dem Blickwinkel der Animal Liberation ist die Direkte Aktion zwar praktisch zum Befreien von Tieren, bleibt aber rein taktisch, wird nicht als Ethik der Interaktion mit der Welt jenseits von Repräsentation und Vermittlung verstanden. Das Brechen des Gesetzes wird dabei auf ähnliche Weise rationalisiert wie Gandhi es rationalisierte und für legitim erklärte das Gesetz zu brechen. Diese Perspektive hält moralisch an der Gewaltfreiheit fest und wird einzig in der Absicht durchgeführt, Gesetze anzufechten, die einen Aspekt der sozialen Herrschaft schützen, während sie die restlichen unberührt lassen. Für gewöhnlich vergleicht die ALF und ihre AnhängerInnen die ALF mit der Underground Railroad, dem Netzwerk von Leuten, die SklavInnen bei ihrer Flucht aus dem Süden der USA halfen, bevor die Sklaverei dort offiziell abgeschafft wurde. Dieser Vergleich dient vor allem sich selbst und verstärkt den HeldInnenkult – führt zu mehr größenwahnsinnigen Illusionen.

Das Justice Department (JD) und die Animal Rights Militia (ARM) stehen für eine militantere, gewaltbereitere Haltung. Auch wenn diese Gruppen weit weniger in Erscheinung treten als die ALF, lohnt es sich doch ihre Entwicklung innerhalb der Animal Liberation zur Kenntnis zu nehmen. ARM ist bekannt dafür Jäger in England zusammenzuschlagen, das JD ist dafür bekannt Rasierklingen and Pelzfarmer zu verschicken und Versuchslabore zu bedrohen19. Anstatt wie die ALF die Gewaltfreiheit zu verherrlichen, glorifizieren diese Gruppen die entgegengesetzte taktische Form: die Gewalt. Hier entwickelt sich eine taktische Ideologie, die noch immer in ihrem eigenen Tunnelblick gefangen bleibt. Sie positionieren sich gegenüber der Gewaltfreiheit, die als gescheiterte Methode gesehen wird, die nicht schnell genug „Erfolge bringt“, womit sie den sozialen Wandel selbst quantifizieren. Sie sehen sich selbst as diejenigen, die die Sache „einen Schritt weiter“ bringen. Dies ist die gleiche Argumentation, wie die von Black Liberation Army und dem Wheather Underground, die in einigen spektakulären Akten kulminierte und nichts dazu beitrug, die Ausbeutung von irgendwem zu verringern und stattdessen politische Gewalt glorifizierte. Ihr Herangehen demonstriert die Frustration und Ohnmacht „radikaler“ Aktion, die von alltäglicher revolutionärer Praxis getrennt ist. Statt einen qualitativen Bruch mit einer Gesellschaft zu vollziehen, die auf Rollen und ExpertInnen basiert, stützen diese Gruppen das instrumentelle Verhältnis von Individuen, die sich einer Sache geweiht haben, und nicht die tatsächliche Umwälzung des Lebens für alle Beteiligten.

Engel der Gnade: Verliebt in HeldInnen, Märtyrer und Militante

Denen, die ihr Leben im Kampf gegen den Missbrauch der Tiere verloren haben und denen, die sich selbst das Leben genommen haben, wenn der Horror nicht länger zu ertragen war; denen, die ihre Freiheit gaben… Danke. – Robin Webb, Britischer ALF Pressesprecher

Viele TierbefreierInnen lieben das Märtyrertum der ALF. Sie werden als selbstlos und mutig verehrt, werden Opfer, weil sie sich zu sehr kümmern und leiden unter ihrem Mitgefühl nahezu wie Mutter Teresa und Jesus. Eine Verkörperung dessen stellt Ingrid Newkirks Buch Free the Animals dar, das die Geschichte einer Gruppe von Leuten erzählt, die das Gesetz brechen und Gefängnis riskieren, um Tiere aus Versuchslaboren zu retten. Dieses Buch ist seit den 80er Jahren bei Animal Liberation AktivistInnen weit verbreitet. Seine Attraktivität liegt im Porträt von Leuten, die irgendwie besser sind als der Rest von uns – edler, mutiger, mitleidender. Wie Figuren aus einem einfachen Märchenbuch, so riskieren ALF KriegerInnen alles, um Tiere vor dem Bösen zu retten. Animal Liberation genießt ihre HeldInnen auf die gleiche Weise wie die Medien es tun, festigt damit soziale Beziehungen nach dem Schema AnführerIn-und-Gefolgsleute.

Dennoch vermeiden viele die illegale direkte Aktion aufgrund der Konsequenzen des Gesetzesbruchs. Das Risiko der persönlichen Auswirkungen verstärkt dann den Mythos des Opfers, das der oder die KriegerIn bringt. Das Gesetz zu brechen wird zur Aufgabe für Übermenschen, nicht für den Rest von uns. ALF Mitglieder scheinen mit besonderen Fähigkeiten auf die Welt gekommen zu sein, einer Furchtlosigkeit, die wir nicht besitzen. Wie anzubetende Götzen sitzen sie auf einem Sockel. Sie sind die HeldInnen der Animal Liberation. Unterhalb stehen die Leute, die nur applaudieren können wie es Leute tun, die ein Kunstobjekt betrachten, das nur jemand produzieren konnte, von dem angenommen wird, dass er außerordentlich talentiert sei.

Die soziale Umwälzung braucht keine MärtyrerInnen, HeldInnen oder Militante. Revolutionäre Aktion muss eine bewusste Anstrengung beinhalten, die Rollen zu zerrütten, die unseren Ausschluss und unsere Ohnmacht definieren. Je schneller wir Heldenverehrung und Märtyrertum ins Feuer werfen, umso früher können wir für unsere eigene Freiheit kämpfen. Die Revolution beginnt mit jedem und jeder von uns. Wir sind die VollstreckerInnen des Schicksals. Wir müssen über unsere eigene Zukunft entscheiden, damit niemand sonst es tun kann.

Du kannst über die Freiheit keine Gesetze erlassen

Du müsstest verrückt sein vom Staat Schutz zu erwarten… Und ich bin keine Idiotin. – Andrea Dorea, N´drea

Animal Liberation glaubt, dass Tieren gesetzlicher Schutz und Rechte gegeben werden sollten. Das Verbot von Hahnenkämpfen, einer wirklich unbedeutenden Institution im großen Programm des Missbrauchs von Tieren, wird begrüßt, weil es als Hilfe für die Tiere gesehen wird, und weil es die Anzahl der angeblichen Erfolge erhöht. Andererseits kritisieren sie Gesetze, die tierverwertende Konzerne schützen. Sie stützen damit zuallererst die Logik des Staates, die Gründe für die Existenz der Gesetze in Allgemeinen, und ignorieren, dass das Rechtssystem die Gesellschaft reguliert, sie effizient und ordentlich macht, sie kontrolliert. Gesetze bestätigen die soziale Kontrolle, ächten die Unregierbaren und beschützen die Mächtigen. Gesetze und ihre HüterInnen hoffen uns davon abzuhalten die industrielle Landwirtschaft mit unseren eigenen Händen in Stücke zu reißen.

Der Staat schützt die tierverwertende Industrie und andere kapitalistische Unternehmen; er ist das Rückgrat und die brutale Kraft des kapitalistischen Systems. Das Gesetz kriminalisiert all jene, die sich gegen das ruhige Funktionieren des Kapitalismus stellen. Gesetzbücher bewahren die sozialen Beziehungen im Kapitalismus; das Konzept vom Eigentum wird durch sie geheiligt. Jeder Ruf nach zusätzlichen Gesetzen stärkt die Macht des Rechtssystems und seiner Mythologie von Gerechtigkeit und Fairness. Der Glaube ans Gesetz ist der Glaube an die kapitalistische Ausbeutung, wie sie von Bullen, BürokratInnen, RichterInnen und GesetzgeberInnen gewaltsam durchgesetzt wird. Sie haben kein Interesse daran, die soziale Ordnung zu verändern, deren Vorteile sie einheimsen. Ein Gesetz zu erlassen gegen Grausamkeit an Tieren hier, gegen Tiere im Zirkus dort, ändert daran sehr wenig – außer, dass es als Erfolg bilanziert werden kann. Die Fabriken fahren damit fort, tagtäglich mehr Tiere in der Produktion zu vernutzen. Das Elend geht weiter und der rechtliche Apparat des Staates gewährleistet, dass es so bleibt.

Wenn wir die Tiere aus dem entwürdigenden Produktionssystem befreien wollen, müssen wir alle angeblichen Mittel der Abhilfe zurückweisen, die von den staatlichen Mechanismen der Wahl und Gesetzgebung zur Verfügung gestellt werden. Das Rechtssystem hilft nur, wenn die Mächtigen Probleme haben. Das Gesetz wendet sich gegen alle, die sich gegen die soziale Ordnung wenden. Wenigstens soviel ist der ALF klar. Wir tun besser daran, das gesamte System entfremdeter politischer Macht zu zerstören, als nach weiteren altbackenen Krümeln und leeren Zugeständnissen zu fragen. Wenn wir gegen den Kapitalismus opponieren, für das, was er den Tieren antut, so sollten wir ebenfalls gänzlich gegen die Staaten opponieren, die sicherstellen, dass dieses System damit weitermacht, die Welt unter ihrer Logik zu versklaven.

Direkte Aktion, nicht Ideologie

Animal Liberation hat ihr größtes Potential als direkter Akt, nicht als Ideologie. Die Befreiung von Tieren verletzt deren Status als Eigentum. Sabotage und Zerstörung von Anlagen der tierverwertenden Industrien kann sich gegen die Kommodifizierung von Tieren richten. Wie auch immer, solange diese Aktionen mit dem ultimativen Ziel der Animal Liberation gemacht werden, bleiben sie auf eine Perspektive beschränkt, die sich nur für Tiere interessiert. Zum Beispiel konzentrieren sich viele Bekennerschreiben zu Überfällen auf Tierversuchslabore einzig auf die Schinderei von Tieren, üblicherweise in moralischen und ideologischen Begriffen, während sie all die anderen ausbeuterischen und ekelhaften Aspekte eines Forschungslabors in einer Universität oder einem Pharmakonzerns ignorieren. Statt Grenzen des Verständnisses sozialer Herrschaft niederzureißen, werden sie von solchen Aktionen errichtet. Sie fördern eingeschränkte Perspektiven, welche die Gründe, die dazu führen, Tiere in Waren zu verwandeln nicht berücksichtigen. So wird das Potential dieser Aktionen durch die Beschränkung auf ein einzelnes Thema verkrüppelt, statt ein Akt der Solidarität mit anderen sozialen Kämpfen zu sein. Es gibt nichts desto trotz bemerkenswerte Ausnahmen von Leuten, die Tiere befreien und tierverwertende Unternehmen sabotieren, ohne ihre Aktionen in den Zusammenhang der Animal Liberation zu stellen. Sie sollten nicht unerwähnt bleiben, da sie deshalb positiv sind, weil sie ihre Aktionen nicht selbst dahingehend abgrenzen, nur in einem Herrschaftsaspekt relevant zu sein, sondern sie als Angriffe auf eine Form unter vielen verstehen. Wenn wir überall Herrschaft und Unterdrückung erkennen, dürfen wir uns nicht selbst begrenzen; wir müssen sie überall angreifen, wo wir sie finden.

Gegen Aktivismus, hin zum aktiven Aufstand

Was wir sind und was wir wollen beginnt mit einem nein. Aus ihm kommt der einzige Grund am morgen aufzustehen. Aus ihm kommt der einzige Grund bewaffnet zum Angriff auf eine Ordnung überzugehen, die uns erstickt. – Anonym, „At Daggers Drawn“

Das Gefängnis, das diese Gesellschaft ist, muss zerstört werden, wollen wir über Freiheit sprechen. Die industielle Landwirtschaft ist nur ein Ort, an dem sich ihr Elend zeigt. Dieses System der Ausbeutung profitiert von Schweiß und Blut der Tiere und Menschen. Es ist unser gemeinsamer Feind. Wir werden nichts ändern, wenn wir die Regierenden fragen, ob sie das Elend erträglicher macht oder uns freundlicher ausbeutet, wir werden nichts bekommen, außer bessere Löhne und größere Käfige. Wir müssen über unser Leben und unsere Beziehungen in der Welt zu unseren eigenen Bedingungen entscheiden. Um das zu tun, haben wir eine schwierige Aufgabe vor uns. Lassen wir uns nicht mit falschen Versprechungen, moralischen Codes und ideologischen Verblendungen abspeisen. Lasst uns stark werden durch scharf geschliffene Ideen und selbstbestimmte Aktionen.

Einige würden sagen, dass etwas getan werden muss. Die Welt wird schlimmer und wir müssen handeln. Sie würden uns sagen, dass wir Dinge tun müssen, die uns das Gefühl vermitteln, dass wir etwas verändern können. Warum, dann, nicht für die Befreiung der Tiere arbeiten? Wenn unsere Aktionen Ausdruck unserer Wünsche sind, liegt die Hoffnung nicht in der Anzahl konvertierter VeganerInnen oder befreiter Hennen. Revolution bedeutet zu aller erst und vor allen Dingen eine Veränderung dessen, wie wir in der Welt zueinander in Beziehung treten – qualitative soziale Veränderung, nicht quantifizierte aktivistische Siege. Wir müssen auf die Appelle an die Herrschenden spucken und uns selbst auf direkte Art für das einsetzen, was wir wollen. Revolution muss eine tägliche Praxis sein, wenn wir irgendein tatsächliches Potential haben wollen.

Etwas muss getan werden. Aber wir brauchen Feuer im gleichen Maße wie wir Ideen brauchen20. Um tatsächlich in irgend einer Art soziale Veränderung herbeizuführen, müssen die sozialen Beziehungen über das Festhalten an Ideologien mit ihren falschen Oppositionen hinausgehen, über geschichtete Entscheidungsfindungen und fromme Bekanntmachungen hinaus. Wir wollen etwas davon radikal verschiedenes, eine Welt in der wir frei sein können, so zu leben wie wir wollen. Dies ist nur möglich, wenn wir außerhalb der Rolle der AktivistIn oder der KonsumentIn handeln, ohne politische Parteien mit ihren hohlen Verlautbarungen, ohne nicht-kommerzielle Organisationen mit ihren Kampagnen zu Einzelthemen. Wir müssen BerfreierInnen unserer selbst sein, nicht Sklaven einer Sache, getrieben von religiösem Eifer und ideologischer Blindheit.

Diese Kritik an der Animal Liberation kann gleichermaßen auf alle falschen Oppositionen und Missionen übertragen werden – und davon gibt es viele. Wir suchen nicht nach KonvertitInnen, die unsere Sichtweise übernehmen. Wir rufen niemanden dazu auf die Ausbeutung der Tiere zu vernachlässigen oder einfach damit zu beginnen, Fleisch zu essen. Vielmehr wollen wir zu mehr kritischem Denken und analytischen Diskussionen anregen was unsere eigene tägliche Praxis angeht ebenso, wie was die Theorie und Praxis sozialer Bewegungen betrifft.

Um uns selbst davon zu befreien in der Scheiße zu wühlen und Scheiße zu fressen, müssen wir zu aktiven TeilnehmerInnen in einem Aufstand gegen Ideologie, Moralismus, Kapitalismus, und den Würgegriff des Staates werden. In einem Wort müssen wir alles zerstören was uns beherrscht, denn die Welt wird immer mehr zu einem gigantischen Drecksgefängnis. Das Elend der industriellen Landwirtschaft und der Versuchslabors ist überall. So sind denn auch unsere Ziele überall. Wir werden die Beziehungen zerstören müssen, die diese Gesellschaft reproduzieren und ihr erlauben zu existieren und mit einem Ungehorsam beginnen, der weder zivil noch verblendet ist.

Wie ein toter Guerilla es einmal sagte: Mach kaputt was Dich kaputt macht. Die Welt wird sich entwirren, wenn wir unseren Wünschen freien Lauf lassen. Für uns ist die destruktive Rebellion gegen diese beschissene Gesellschaft die einzige Sache, die irgendein Versprechen auf Befreiung beinhaltet. Wir wollen keine größeren Käfige. Wir wollen sie alle komplett zerstören.


Es sind nicht nur die Tiere, die davon abhängig sind, dass wir sie aus dieser Welt befreien. Wir selbst sind es schließlich, die den Wind der Freiheit in unseren Gesichtern spüren müssen.

1Utilitarismus – Im 18. Jahrhundert aufkommende sozialphilosophische Anpassung der Sichtweise von Gesellschaft an kapitalistische Prinzipien von Nützlichkeit. Auf den ersten Blick scheint die von UtilitaristInnen behauptete gesellschaftliche Zielrichtung „Maximierung des gesellschaftlichen Glücks“ außerhalb des Marktes zu liegen – was sie im Gezerre der gesellschaftlichen Verhältnisse umso tauglicher dafür machte, recht unauffällig in umgekehrter Richtung zu wirken und persönliche wie kollektive Vorstellungen von Glück zu ökonomisieren, d.h. auf die Idee erwirtschaftbarer Erträge zu reduzieren. In der Gründungscharta der USA wird der „pursuit of happiness“ vornehmlich als Recht auf Streben nach materiellem Wohlstand verstanden – eine Formulierung nebenbei, die im Englischen einen klar militärischen Sound hat.

2Für Infos über die Animal Liberation Front ALF: www.animalliberationfront.com. Für Infos zur radikalen Animal Liberation Bewegung: www.nocompromise.org. Für Nachrichten über illegale direkte Aktionen für Tiere: www.directaction.info. Wie üblich quillt das Netz über mit Informationen, vermutlich mehr als ihr je zu irgend einem Thema lesen wollt.

3Dieses Zitat stammt von Albert Einstein. Gruppen wie Vegan Outreach und PETA verwenden dieses und andere berühmte Zitate nicht nur, weil wir diesen verehrten Leuten trauen sollen, sondern um zu beweisen, dass auch sie an Animal Rights glauben und wir es daher auch tun sollten.

4Der weltweite Konsum von Öl beträgt pro Tag 12, 42 Milliarden Liter. Jeden Tag werden mehr als 143 Milliarden Liter Öl übers Meer transportiert. Nicht alles Öl, das ins Meer läuft stammt von Tankern. Einiges davon kommt aus Tanklagern, Pipelines, Förderpumpen, der Reinigung der Tanks von Tankern und anderen Schiffen. In diese Rechnung nicht mit einbezogen sind die Millionen Liter Öl die KonsumentInnen in die Umwelt kippen, einer weiteren Konsequenz des Kapitalismus, der die Kosten für die Natur nicht in die Preise einberechnet [www.environmental-research.com/publications/pdf/spill_statistics/paper4.pdf]

51989 lief die Exxon Valdez im Prince William Sound, Alaska auf Grund. Nahezu 50 Millionen Liter Öl liefen ins Meer. Das Unglück war der Größe nach nur Nummer 34, war aber das größte in US-Gewässern. Massive Umweltschäden führten z.B. zum Tod von etwa 35.000 Seevögeln, 2800 Seeottern, 300 Seehunden, 250 Weißkopfseeadlern, 22 Orkas und Milliarden von Lachsen und Heringseiern, was auch die Fischerei stark in Mitleidenschaft zog.

6Das industrielle Prudukt-Distributions-System ist deshalb wie es ist, weil mit einem Produkt umso mehr Gewinne erzielt werden könen, je größer sein Markt ist. Diese Tatsache demonstriert das Wachstum der Profite durch die Ausdehnung der Märkte von KonsumentInnen im Kapitalismus.

7Die Tatsache, dass die Wahrnehmung von Wahrheit und Moral nicht absolut, sondern relativ sind, sich in den sie für wahr haltenden Personen und Gruppen unterscheiden wird von der Theorie des Relativismus beschrieben. Was in einer Kultur falsch ist, muss es in einer anderen nicht sein. Dies wird von vielen Kulturen überall auf der Welt klar demonstriert. Einige Kulturen waren vegetarisch und einige sind es noch immer. Andere, wie die Inuit, ernähren sich ausschließlich von Fleisch. Die meisten dieser Ernährungsgewohnheiten entwickelten sich aus Umweltbedingungen und der Verfügbarkeit von Ressourcen und wurden zu einer Tradition.

8Ihr findet mehr über Kritisches Denken und das Essay von Chernyi unter…

9Dies lassen die MenschenfeindInnen freilich üblicherweise nicht für sich selbst gelten. Meist sehen sie sich selbst als irgendwie besser und fürsorglicher als die allermeisten anderen. Fortschreitende Misanthropie führt zu [repulsive] Formen der Arroganz.

10Von der ALF Webseite, aus dem Artikel „Fortschritt der Tierrechtsbewegung“

11Es ist in Kreisen von TierbefreierInnen nicht selten zu hören, dass über den „Ausverkauf“ des Veganismus getratscht wird, sobald einzelne irgendwelche Tierprodukte der ein oder anderen Art essen. Diese Art der Unterhaltung spiegelt nur die Banalität so vieler Unterhaltungen heute, in denen uns die Entfremdung nahelegt vorzuziehen, uns nicht mit der Realität unserer Entfremdung zu befassen.

12Dies soll nicht heißen, dass diejenigen, die für die soziale Umwälzung kämpfen nicht von den Mächtigen verwundet oder getötet würden. Vielmehr hat es einfach nichts befreiendes an sich Strafen als Ausdruck sozialer Kämpfe zu verherrlichen. Märtyrertum ist so scheiße langweilig und unkreativ. Wenn du tot bist, bist du tot. Alle Möglichkeiten und Träume deines Lebens verschwinden dann.

13Affinity – Die Bezugsgruppe autonom/anarchistischer Kreise kommt der affinity group ziemlich nahe. Eine direkte Übersetzung ohne die Gruppe gestaltet sich schon schwieriger: Zumindest potentiell ist affinity kollektiver als die Neigung, politischer als die Zuneigung und auf alle Fälle persönlicher und vielschichtiger als der Bezug. Vielleicht kann das Bild der physikalischen Affinität vereint mit den affektiven Qualitäten der Wahlverwandtschaft eine Ahnung davon geben…

14Es ist wert einen Moment darüber nachzudenken, wie viele Leute sich vom Aktivismus verabschiedet haben, nachdem sie sich wie Opferschafe fühlten. Leute, die ihre Mitangeklagten vor Gericht verraten haben, mögen gemerkt haben, dass lange Haftstrafen nicht das Opfer sind, das sie bereit sind zu bringen. Freilich sind Leute die andere reinreißen nichts desto trotz widerliche Arschlöcher. Aber um so was in der Zukunft zu vermeiden kann es nützlich sein zu versuchen zu verstehen, warum sie zu solchen Entscheidungen gekommen sind.

15Dies wird deutlich wenn wir uns die Trends in der jährlichen Pelztierproduktion in den USA und in Übersee anschauen. Fluktuationen auf dem Pelzmarkt sind zeitweise von Animal Liberation Aktivitäten beeinflusst, einen Rückgang der Pelzindustrie als solche haben sie noch nicht bewirkt. Wenn etwas verkauft werden kann, wird es vermarktet und produziert. Selbst wenn die Pelzindustrie zerstört werden würde, würde eine andere miserable Ausbeutung ihren Platz einnehmen.

16Der Begriff „Straße zu Erfolg, Road to Victory“ kommt aus der britischen Animal Liberation Bewegung, aber das dahinterstehende Konzept trifft genauso auf die nordamerikanische Perspektive zu. Die Idee, dass die ein oder andere erfolgreiche Kampagne in einem irgendwie großartigen Erfolg kulminiert ist, traurigerweise, eine Illusion – vermutlich verbreitet, um sich die völlige Desillusionierung vom Leib zu halten.

17Die Stoppt die Grausamkeit der Jagd, Stopp Hunting Animal Crualty (SHAC) Kampagne ist ein perfektes Beispiel dafür. Sie nutzen verschiedene Formen der Einschüchterung und Bedrohung für das Ziel ein einziges Versuchslabor stillzulegen. PETA arbeitet für das gleiche Ziel, wendet aber Taktiken an, die ihre loyalen Mitglieder nicht abschrecken. Es ist nichts radikales daran, ein einzelnes Versuchslabor zu schließen, wenn ein anderes die Nachfrage einfach erfüllen wird und gleichermaßen damit fortfährt Tiere zu töten.

18Quelle: ALF Webseite

19Das „Biteback Magazin“ (www.directaction.info) und andere sich für Tiere einsetzende, direkte Aktionen befürwortende Gruppen berichten häufig über solche Aktionen ohne sie von Aktionen zu unterscheiden, zu der sich die ALF bekannt. Sehr wahrscheinlich sehen sie jede Aktion, die in diesem Feld unternommen wird als Aktion, die auf Tierbefreiung zielt. Wir hingegen sehen direkte Aktionen für Tiere als positiv, wenn sie nicht mit den idiotischen Zielen der TierbefreierInnen einhergehen.

20Jemand anderes hat diesen feinen Punkt mal gemacht. Leider kann ich ihn oder sie nicht mehr dafür würdigen, denn ich hab vergessen wer es war. Doch bleibt es ein wichtiger Punkt. Praxis ist am stärksten, wenn sie von der Dynamik kritischer Ideen beflügelt wird. Gleichermaßen sind Ideen nur so stark wie ihre praktische Anwendung. Sonst wird Theorie nur zu einer weiteren hohlen intellektuellen Freizeitbeschäftigung.

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(1. April 2023) Diskussionsveranstaltung zum ‚Aufständischen Anarchismus’ https://panopticon.blackblogs.org/2023/03/25/1-april-2023-diskussionsveranstaltung-zum-aufstaendischen-anarchismus/ Sat, 25 Mar 2023 10:57:28 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=4864 Continue reading ]]> Am Samstag den 1. April, werden wir im Versammlungsraum im Mehringhof, Gneisenaustr. 2A, Berlin, DE 10961, um 18:00 Uhr eine Diskussionsveranstaltung zum ‚Aufständischen Anarchismus‘ halten. Eine Strömung in der anarchistischen Bewegung die im deutschsprachigen Raum in den letzten Jahren zu einigen kontroversen geführt hat. Einige verteidigen diese, andere kritisieren sie und machen sie für viele Probleme innerhalb der anarchistischen Bewegung verantwortlich. Wissen in der Regel die Befürwortenden, sowie deren Kritisierenden worüber sie reden, oder bedient man sich Klischees, falschen Annahmen, leere Aussagen und Meinungen?

Was ist und was macht aber diese Strömung denn aus? Handelt es sich hier um die Ideologie des gewalttätigen Anarchismus, oder wird sie als Fetischismus der Gewalt und der Waffen (Insurrektionalismus als Ideologie) verwendet und dabei falsch verstanden. Ist es eine Ideologie, oder ist es ein Werkzeug für die Praxis, welches durch vielen Überlegungen entstanden ist? Ist diese Strömung neu, oder baut sie auf die anarchistische Geschichte auf, sowie deren Niederlagen und Erfolgen und daher an sich ein altes Werkzeug, was seit den 1970ern die anarchistische Praxis aktualisiert und zeitgenössisch macht? Ist die Affinitätsgruppe eine Bezugsgruppe die punktuell hier und da was macht, oder eine Form tiefgreifender, langjähriger Zusammenarbeit die aus einem gegenseitigen Vertrauen, vielen Debatten und einer Praxis sich herausbildet? Ist es ein Vorschlag für die soziale Revolution, oder nur Remmidemmi?

Wir werden daher die Veranstaltung in fünf Teilen aufteilen, einer Einleitung, einem historischen Rückblick bis zu unseren Tagen, um die Vorschläge anarchistischer Projekte aus Italien, (aber nur?) sowie deren Entwicklung verstehen zu können. Und zum Schluss sowohl eine Analyse der vielen Wieso´s und Warum´s im deutschsprachigem Raum und warum wir den ‚Aufständischen Anarchismus‘ verteidigen und als ein sinnvolles Werkzeug für die soziale Revolution halten.

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(Alfredo Maria Bonanno) Eine Frage der Klasse https://panopticon.blackblogs.org/2020/12/25/alfredo-maria-bonanno-eine-frage-der-klasse/ Fri, 25 Dec 2020 09:26:58 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=1994 Continue reading ]]> Dieser Text wurde das erste Mal 1988 in der Nummer Fünf der anarchistischen Publikation Insurrection veröffentlicht, die Übersetzung ist von uns.

Eine Frage der Klasse

Alfredo M. Bonanno

Im Gegensatz zu dem, was viele glauben, ist Klasse kein marxistisches Konzept. Während wir die marxistischen Behauptungen über die historische Rolle der industriellen Arbeiterklasse vor allen anderen Ausgebeuteten zurückweisen, ist es offensichtlich, dass die Gesellschaft immer noch in entgegengesetzte Klassen geteilt ist. Die Bedingungen dieser Spaltung ändern sich mit der Veränderung des Kapitals. Es ist wichtig, dies zu erkennen, um unseren Angriff auf die richtigen Ziele im Kampf zu richten.Viele Anarchisten glauben, dass die Idee der „Klasse“ ein marxistisches Konzept ist, deshalb haben sie kein Interesse daran und versuchen, andere Wege zu finden, um die gesellschaftlichen Spaltungen zu erklären.

Diese Spaltungen existieren eindeutig. Konflikt und Leid dominieren die heutige Realität. Die großen Massen, die die Profiteure und ihre Handlanger unterstützen, schaffen es kaum, selbst zu überleben.

Deshalb ist es notwendig, die Umrisse der Gruppierungen oder Individuen nachzuzeichnen, die dieselbe ökonomische, politische und kulturelle soziale Situation teilen, egal wie schwierig das auch sein mag.

Es ist wahr, dass der Begriff „Klasse“ in den letzten vierzig Jahren von marxistischer Mystifizierung beherrscht wurde. Das liegt nicht so sehr an Marx‘ Identifizierung von Klassen, sondern an seiner Behauptung, die industrielle Arbeiterklasse sei historisch dazu bestimmt, nicht nur ihre eigene Befreiung herbeizuführen, sondern auch die der gesamten Menschheit, und zwar durch die Führung der Partei, die behauptete, sie zu vertreten.

Jeder Anarchist kann sehen, wie absurd und falsch dieser Begriff von Klasse ist. Aber wir sollten uns daran erinnern, dass dies nicht so sehr mit dem Begriff der Klasse zu tun hat, sondern mit der deterministischen und messianischen Rolle, die der industriellen Arbeiterklasse aufgedrückt wurde.
Wir denken, dass der Begriff der Klasse nicht nur gültig, sondern notwendig ist. Er ist ein Instrument, um uns durch den Fluss der verschiedenen Aspekte der sozialen Realität zu führen. Woran wir nicht interessiert sind, sind die mythischen Behauptungen über das Schicksal der industriellen Arbeiterklasse.

Was wir mit Sicherheit sagen können, ist, dass die produktiven Strukturen, die in der jüngsten Vergangenheit die Klassenunterschiede definierten, jetzt tiefgreifende Veränderungen erfahren. Sicher ist auch, dass, obwohl in vielerlei Hinsicht anders, ein ebenso erbitterter Konflikt reproduziert wird. Das Problem ist zu erkennen, wie dies geschieht. Womit haben wir es heute zu tun? Was markiert die Grenze zwischen dem herrschenden Teil der Menschheit und dem Rest?

Das ist eine so wichtige Frage, dass sie das Studium von Zwischenschichten vorerst in den Hintergrund drängt. Genauso unwichtig ist – vorerst – die Notwendigkeit, eine Aufteilung in drei oder mehr Klassen zu betrachten. Was uns jetzt interessiert, ist das allmähliche Verschwinden der traditionellen Klasseneinteilung und das Auftauchen einer neuen. Es ist klar, dass eine solche Argumentation mehr Platz benötigt, als wir ihr hier widmen können, aber wir werden unser Bestes tun. Die vorangegangene Klasseneinteilung basierte auf einem „Mangel“. Es gab etwas, das als „Allgemeingut“ angesehen wurde, das in ungleiche Teile aufgeteilt war. Die herrschende Klasse nahm den größeren Teil dieses Gutes (gemeinhin als Reichtum bezeichnet) in Besitz und schöpfte aus diesem ungerechten Gewinn die Mittel, um Ausbeutung und Herrschaft fortzusetzen. In erster Linie waren dies die kulturellen und ideologischen Mittel, auf denen eine ganze Werteskala beruhte und die die enteignete Masse zu einer scheinbar unumkehrbaren Situation verdammten.

Tatsächlich wirkten sich die tiefgreifenden Widersprüche innerhalb des Systems selbst ebenso radikal auf sie aus wie der Kampf gegen solche Formen der Herrschaft. Wiederkehrende soziale Probleme wurden durch die Verbesserung der Arbeitsbedingungen gelöst.

Die Situation wurde für das Kapital unerträglich und es musste seine Strukturen durch zunehmende Zusammenarbeit zwischen den Staaten stärken: Aber es war die fortgeschrittene Technologie, die einen entscheidenden Einfluss hatte, indem sie die Umstrukturierung der Produktion ermöglichte.

Wir bewegen uns nun auf eine radikal andere Situation zu. Die Frage des „Mangels“ wird verschwommener, während die Frage des „Besitzes“ auftaucht. Der Klassenunterschied entsteht nicht mehr dadurch, dass man nicht „so viel“ besitzt wie der andere, sondern durch die – in der Geschichte der Menschheit einmalige – Tatsache, dass der eine Teil „etwas“ besitzt, was der andere nicht hat.

Um dies besser zu verstehen, müssen wir uns daran erinnern, dass in der Vergangenheit die ausgebeutete Klasse immer etwas „besaß“, auch wenn es nur ihre „Arbeitskraft“, d.h. ihre Fähigkeit zu produzieren, war. Sie waren immer gezwungen, es zu verkaufen, das ist wahr, und oft zu einem sehr niedrigen Preis, aber die andere Seite brauchte es immer. Das Feilschen konnte sogar so weit gehen, dass diese elenden Verkäufer ihrer Arbeitskraft am Nacken gepackt wurden, aber niemand konnte leugnen, dass die Arbeiterklasse einen „Besitz“ hatte, der zur gleichen Werteskala gehörte wie der der herrschenden Klasse. In der Vergangenheit standen sich Ausbeuter und Ausgebeutete (auch innerhalb der beträchtlichen Bandbreite der Klassenschichtung) auf der Grundlage eines „Besitzes“ gegenüber, der beiden gemeinsam war, aber ungleich besessen wurde. Jetzt besitzt die eine Seite etwas, was die andere nicht hat und auch nie haben wird.

Dieses „Ding“ ist Technologie: die technologische Verwaltung von Herrschaft, die Konstruktion einer exklusiven „Sprache“, die zu einer Klasse von „Eingeschlossenen“ gehört. Sie umgeben sich mit einer großen Mauer, die weit höher ist als die in der Vergangenheit, die aus materiellem Reichtum bestand und von Bodyguards und Tresoren verteidigt wurde. Diese Mauer wird eine radikale Trennung sein, so klar geschnitten, dass sie – kurzfristig – für diejenigen, die sich nicht im Prozess der Inklusion befinden, unverständlich ist. Der Rest, die „Ausgeschlossenen“ werden zu einer Klasse von externen „Nutznießern“, die nur in der Lage sind, sekundäre Technologie zu nutzen und perfekt für das Projekt der Herrschaft instrumentalisiert werden.

Der „ausgeschlossene“ Teil der Menschheit wird, zumindest für eine sehr lange Zeit, nicht in der Lage sein, das zu realisieren, was ihnen genommen wurde, denn es wird ein Produkt sein, das nicht mehr zur gleichen Werteskala gehört. Indem sie diese neue und, wie sie hoffen, endgültige Trennung bauen, bauen sie auch einen neuen Moralkodex, der nicht mehr zur gleichen Werteskala gehört, eine Art Moralkodex, den sie nicht mehr mit anderen teilen wollen, mit denen, die zur Welt der Ausgeschlossenen gehören. In der Vergangenheit war die Achillesferse genau dieser moralische Kodex. Er war in vielerlei Hinsicht nützlich, um eine bessere Kontrolle zu gewährleisten, aber er führte oft dazu, dass die Ausbeuter den heißen Atem ihrer Anhänger im Nacken spürten.

Diese neue Situation, die auf dem Weg zur Vollendung ist, schafft also neue Klassenstrukturen, hebt aber den Begriff der Klasse nicht auf. Das ist keine Frage der Terminologie, sondern eine operative Notwendigkeit. Im Moment scheinen der Begriff der Klasse und der des „Klassenkonflikts“ völlig ausreichend zu sein, um die Prozesse der sozialen Strukturen und ihre Funktionsweise zu beschreiben. Ebenso ist es immer noch möglich, den Begriff des „Klassenbewusstseins“ angesichts der zunehmenden Schwierigkeit der „Ausgeschlossenen“ in Bezug auf ihren eigenen Zustand des Ausschlusses zu verwenden.

Jede revolutionäre Strategie, die wir uns für den Widerstand gegen den Prozess der Restrukturierung vorstellen können, sollte die Veränderungen, die im Gange sind, und, innerhalb gewisser Grenzen, die Schichtung innerhalb der Klassen selbst im Auge behalten. Vielleicht sind in dieser frühen Phase die Rahmen der eingeschlossenen Klasse (der feindlichen Klasse) nicht leicht zu definieren. Wir werden daher unseren Angriff auf Ziele richten müssen, die offensichtlicher sind. Aber das ist nur eine Frage der Dokumentation und Analyse.

Wichtiger ist an dieser Stelle zu zeigen, dass Diskussionen über Terminologie das Problem, den Feind zu finden und zu entlarven, nicht lösen werden. Ein Beharren darauf kaschiert lediglich die Unfähigkeit zu handeln.

 

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(Frankreich) Freiheit für Liberale und Freiheit für Anarchisten https://panopticon.blackblogs.org/2020/05/06/frankreich-freiheit-fuer-liberale-und-freiheit-fuer-anarchisten/ Wed, 06 May 2020 08:56:55 +0000 http://panopticon.blogsport.eu/?p=1004 Continue reading ]]> Gefunden auf Info Libertaire, am 20.01.2020 veröffentlich, von uns übersetzt

 

Reflexion über die Hindernisse, auf die die Kämpfe der Gegenwart stoßen.

Unter den verschiedenen Arten, Freiheit zu begreifen, werden oft zwei verwechselt. Diese beiden Konzeptionen stehen jedoch in völligem Gegensatz zueinander. Die eine Vision von Freiheit wird von der liberalen Philosophie getragen, die andere von der anarchistischen Philosophie, auch libertär genannt. Diese beiden Strömungen verwenden dasselbe Wort, „Freiheit“, was manchmal zu Verwirrung führt.
In den letzten Jahren sind die Bewegungen der Kämpfe, die abwechselnd für libertäre Vorstellungen und für die beunruhigenden Reize des Liberalismus empfänglich sind, von vielen Missverständnissen und Spannungen durchzogen worden. Deshalb halte ich es für wichtig, die Dinge zu klären. In der Tat haben diese beiden Definitionen konkrete Auswirkungen, sowohl auf die gestellten Anforderungen als auch auf die Art und Weise der Organisation. Ich schlage vor, dass wir uns mit philosophischen Fragen befassen, um danach besser zu unseren Kämpfen zurückzukehren.

Liberale Freiheit: Freiheit ohne Bindungen

Liberale Philosophen glauben, dass Freiheit die Fähigkeit des Einzelnen ist, zu tun, was immer er oder sie will. Für den Philosophen Ruwen Ogien zum Beispiel ist „frei zu sein nichts anderes und auch nichts anderes, als nicht dem Willen anderer unterworfen zu sein“. Das ist nicht unwahr. Wenn man dem Willen der anderen unterworfen ist, ist man nicht frei. Aber es ist eine merkwürdige Art und Weise, das Problem zu stellen, das die einzelnen Personen gegeneinander ausspielt. Sie postuliert, wie die Erklärung der Menschenrechte von 1789, dass „die Freiheit darin besteht, all das tun zu können, was anderen nicht schadet“: die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen hat also keine Grenzen außer denen, die den anderen Mitgliedern der Gesellschaft den Genuss derselben Rechte sichern.… Wie das Sprichwort auch sagt: „Die Freiheit eines jeden Menschen endet dort, wo die Freiheit der anderen beginnt.“
Die Grenzen der Freiheit sind das Gesetz. In dieser Vision von Freiheit bedeutet „das Recht haben“, die Möglichkeit zu haben, alles zu tun, was nicht verboten ist. „Das Recht zu haben“ wäre gleichbedeutend mit „frei zu sein von“. Diese liberale Philosophie postuliert, dass der Einzelne bei seiner Geburt mit allen Rechten belastet würde, die die Gesellschaft (verstanden: der Staat) in einigen Fällen einschränken wird. Es ist klar, dass diese Vorstellung von Freiheit nur auf der individuellen Ebene denkt, als wäre jeder Mensch eine kleine Willensblase, die nur darum bittet, auf den Füßen ihres Nachbarn zu gehen (der selbst nur den einen Wunsch hat, in meine Blumenbeete einzudringen). Dies ist die Ideologie einer Gesellschaft von Individuen, die atomisiert und getrennt sind und die leben, als ob sie durch die Existenz anderer entfremdet wären. Ansonsten, was für ein Bastard.
Wir verstehen, dass diese Auffassung von Freiheit auch eine pessimistische Sicht des Menschen ist. In der Tat, auch wenn die Freiheit für die Liberalen in erster Linie ein „Schweigen des Gesetzes“ (Ruwen Ogien) ist, da die Welt von egoistischen Individuen bevölkert ist und man ein Chaos nach Art des Mad Max vermeiden will, ist es notwendig, dass Institutionen eingreifen, um das Gesetz des Dschungels zu regulieren.
Das ist die Rolle des Staates: Barrieren zu errichten, zu verhindern, dass die Freiheit der einen die der anderen erdrückt. Denn in dieser Konzeption ist letztlich nur eine Form der Institution wünschenswert: der Staat, eine Zwangsinstitution außerhalb des Willens der Individuen, die er als Kinder betrachtet. Wir wissen jedoch, dass der Staat nicht die einzig mögliche Form einer Institution für das Leben in der Gesellschaft ist. Im Vergleich zu anderen Institutionen zeichnet sie sich durch ihre königlichen Funktionen (Polizei, Justiz, Armee) aus, mit einem Wort durch ihr „Monopol der legitimen Gewalt“. Es liegt in seiner Natur, diese Kraft auszuüben oder damit zu drohen. Institutionen, reduziert auf den Staat, sind also Barrieren zwischen Individuen, die sie eindämmen sollen.
Die Liberalen glauben, dass Gleichheit bedeutet, die Freiheit jedes Einzelnen einzuschränken: Für sie ist Freiheit das Gegenteil von Gleichheit. Dies liegt daran, dass sie im Wege der Gleichheit nur die Chancengleichheit bei der Geburt gekoppelt mit der Gleichheit der Rechte (politische und soziale) anerkennen. Da die Menschen mit gleichen Chancen, aber ungleichen Fähigkeiten geboren werden, wäre es ungerecht, wenn einige das ausnutzen würden, worauf sie kein Anrecht haben, und es wäre freiheitsberaubend, anderen die Früchte ihrer Fähigkeiten vorzuenthalten. Jede wirkliche Gleichberechtigung, sei sie nun wirtschaftlicher oder sozialer Art, widerspricht beispielsweise ihrer Vision von der Gesellschaft.
Diese Konzeption der Freiheit ist also eine abstrakte Konzeption, die die realen Bedingungen für die Ausübung der Freiheit nicht berücksichtigt. Sie übersieht alles, was der Einzelne unter dem Gewicht sozialer Einflüsse oder einfach wegen Geldmangels am Monatsende tatsächlich tun (oder nicht tun) kann. Eines Tages werde ich also in der Theorie leben, denn in der Theorie geht alles gut.
Um es bunt zusammenzufassen, könnte man sagen, dass die Freiheit der Liberalen die Freiheit einzelner Individuen ist, die in einem feindlichen Universum freigelassen werden. Diese einzelnen Könige widersetzen sich jeder Idee von Gleichheit (die ihre getrennte Freiheit untergraben würde) und leben die Institution des Staates unter sich als notwendiges Übel, indem sie Mauern zwischen sich errichten, um sich nicht gegenseitig zu töten. Jeder steckt zwischen vier Wänden, die Freiheit, über die wir hier sprechen, ist eine seltsame Art von Freiheit. Sie besteht darin, so wenig Bindungen wie möglich zu haben, sich die Möglichkeit zu bewahren, sein Leben zu verändern, jederzeit ans andere Ende der Welt zu ziehen. Es ist die Freiheit eines Verbraucher-Individuums, das glaubt, allmächtig zu sein.

Die Freiheit der Anarchisten: Eine gemeinsame Welt

Im Gegenteil, Anarchisten schlagen eine andere Definition von Freiheit vor, eine, die nicht im Gegensatz zu individueller und kollektiver Freiheit steht. Da die Freiheit eine soziale Frage ist, ist die Freiheit der anderen untrennbar mit meiner eigenen verbunden. Wie Mikhail Bakunin sagt: „Ich bin nur dann wirklich frei, wenn alle Menschen um mich herum, Männer und Frauen, gleichermaßen frei sind. Die Freiheit der anderen, weit davon entfernt, eine Einschränkung oder Verweigerung meiner Freiheit zu sein, ist im Gegenteil die notwendige Bedingung und Bestätigung dafür. Wirklich frei werde ich erst durch die Freiheit der anderen, so dass je mehr freie Menschen um mich herum sind, desto tiefer und weiter ist ihre Freiheit, und desto weiter, tiefer und weiter wird meine Freiheit.“ In der Tat, welchen Wert kann meine Freiheit haben, wenn sie auf der Versklavung anderer beruht? Im Gegenteil, die Freiheit der anderen erweitert meine bis ins Unendliche.
Es handelt sich um ein optimistisches Menschenbild, bei dem die Rolle der kollektiven Strukturen nicht darin besteht, zu verhindern, sondern den individuellen Willen kollektiv spielen zu lassen, ohne sich ihm entgegenzustellen.
In dieser Konzeption besteht die Rolle der sozialen Strukturen einfach darin, zwischen Individuen zu vermitteln. Institutionen, auch wenn sie per definitionem nicht zu Einzelpersonen gehören, müssen den Willen ihrer Mitglieder widerspiegeln. Es mag sich lohnen, daran zu erinnern, was eine Institution ist, denn in unseren Gesellschaften (und insbesondere in Frankreich) war es oft der Reflex, den Begriff der Institution mit dem des Staates zu verwechseln. Anarchisten verstehen Institutionen im weiteren Sinne. Familie, Sprache, Medizin, Verbände oder Genossenschaften sind auch Institutionen; Dritte; dauerhaft installierte soziale Strukturen. In einer anarchistischen Gesellschaft hat der Staat keinen Grund zu sein und wird organischen Institutionen vorgezogen, die nicht notwendigerweise über Zwangsgewalt verfügen, was sie vom Staat unterscheidet. Soziale Institutionen sind dazu da, die Verwirklichung eines jeden Menschen und die Ausübung seiner Rechte zu ermöglichen. In dieser Konzeption bedeutet „das Recht haben“, über die materielle (und nicht nur theoretische) Fähigkeit zu verfügen, dieses Recht auszuüben. Es handelt sich um einen konkreten Freiheitsbegriff, denn eine abstrakte Freiheit ist nichts, wenn die Voraussetzungen für ihre Ausübung nicht gegeben sind. Daher die Kritik der Anarchisten an den „Recht“, der oft verdächtigt wird, nur der Schirm einer sehr theoretischen und nicht konkreten Gleichheit zu sein.
Damit Freiheit wirklich ausgeübt werden kann, braucht sie echte Gleichheit, nicht ausschließlich die Gleichheit der Rechte oder Chancen. Wie Bakunin sagt, „wahre Freiheit ist ohne faktische (wirtschaftliche, politische und soziale) Gleichheit nicht möglich“. Darin nehmen die Liberalen eine ganz besondere Stellung ein, die sich sowohl von den Liberalen (für die „Freiheit“ Vorrang vor der Gleichheit hat) als auch von den kommunistischen Strömungen unterscheidet (die im Allgemeinen bereit sind, die Freiheit zu opfern, wenn sie zu „Gleichheit“ führen kann). Diesen beiden Strömungen ist gemeinsam, dass sie sich gegen Freiheit und Gleichheit stellen, wobei die eine Freiheit und die andere Gleichheit beansprucht. Für Anarchisten sind Freiheit und Gleichheit untrennbar miteinander verbunden. Man kann den einen nicht dem anderen unterordnen, und man muss für beide gleichzeitig kämpfen.
Lasst uns zusammenfassen. Für Anarchisten ist Freiheit notwendigerweise sozial, nicht privat. Um ausgeübt werden zu können, bedarf es der wirtschaftlichen, sozialen und politischen Gleichheit des Einzelnen. Diese wirkliche Gleichheit ermöglicht die tatsächliche Ausübung der Freiheit, die nicht nur ein Wort, sondern eine Praxis ist. Freiheit besteht aus Bindungen, nicht daraus, der Welt entrissen zu werden: Es sind diese Bindungen, formalisiert in Form von sozialen Institutionen, die unserem Leben einen Sinn geben und uns in der Welt handlungsfähig machen.

Liberale und Anarchisten: nicht zu verwechseln

So gesehen ist es schwer vorstellbar, wie zwei so unterschiedliche Konzeptionen verwechselt werden können. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass der Zusammenbruch der Arbeitskollektive seit den 1970er Jahren zu einer schleichenden Individualisierung der Gesellschaft geführt hat. Die Ideologie, die sich am besten für eine individualisierte Arbeitswelt eignet, ist eine individualistische Ideologie. So wurde der Liberalismus wahrscheinlich zur vorherrschenden Ideologie in den westlichen Gesellschaften. Die Ideologie, die wir seit unserer Kindheit individuell verinnerlicht haben und die so an unsere Gesellschaft angepasst ist! Selbst die Protestierenden übernehmen in ihren Kämpfen manchmal unbeabsichtigt liberale Vorstellungen. Dies gilt umso mehr, als die libertäre Philosophie nicht sehr bekannt ist, da unsere Zeit gerne Worte und Begriffe vermischt und so tut, als sei es besser, „sich nicht zu viel in den Kopf zu setzen“. Kurzum: Zwischen libertären Thesen und liberalen Konzeptionen herrscht manchmal Verwirrung.
Aber diese philosophische Frage hat sehr konkrete Auswirkungen. Zum Beispiel, wenn Kampfbewegungen die sozialen Aspekte einer Frage vergessen und jeden einzelnen auf seine individuelle „freie Wahl“ verweisen. Die individuelle Wahl, die als Alpha und Omega einer politischen Doktrin dargestellt wird, ignoriert äußere Einflüsse, beschränkt alle auf eine Konsumhaltung und verwehrt die Möglichkeit, mit unseren Differenzen zusammenzukommen, um in den Kämpfen einen gemeinsamen Standpunkt zu bilden. Ob in antikapitalistischen, feministischen oder ökologischen Bewegungen, die Frage stellt sich.
In der Tat, wenn meine Freiheit individuell ist, im Namen dessen, was mich kollektive Entscheidungen (von anderen also) betreffen würden? Darüber hinaus, wenn jeder nur Herr seiner selbst ist, wenn die Freiheit nicht geteilt wird, im Namen dessen, was wir uns zusammenschließen und kollektive Entscheidungen treffen sollten?
In der Praxis: Wie viele militante Kollektive sind in den letzten Jahren aufgrund der Unmöglichkeit, sich zu einigen, unter dem Einfluss der liberalen Idee, dass jeder immer nur für sich selbst entscheidet, explodiert? In der Tat können wir in politisierten Kreisen, die darauf achten, dass in kollektiven Prozessen niemandem Schaden zugefügt wird, die Schädlichkeit einer Ideologie erkennen, die das Kollektiv daran hindert, Entscheidungen zu treffen, die sich auf das Verhalten seiner Mitglieder auswirken (was das Kennzeichen einer kollektiven Entscheidung ist). Dieser Liberalismus kann zynisch eine seltsame „Selbstverwaltung“ behaupten (jeder entscheidet nur für sich selbst) oder seine Haltung als „Antiautoritärismus“ oder „individualistischer Anarchismus“ verschleiern. Optionen für Nerds: Man kann diese oder jene Aussage der Anarchisten Stirner oder Libertad instrumentalisieren oder die feministische Kritik an den Machtverhältnissen vampirisieren und das Ganze mit Foucaultsauce würzen.
Mit welchen Konsequenzen? Je mehr wir an der liberalen Auffassung von Freiheit festhalten, desto mehr sehen wir uns als allmächtige Individuen, als Selbstunternehmer unseres Lebens, und desto mehr berauben wir uns der Möglichkeit, uns mit anderen zu verbinden, uns in gemeinsamen Kämpfen wiederzufinden, die Welt gemeinsam mit gleichen und unterschiedlichen Wesen zu denken. Uns an Orte und Menschen zu binden, für konkrete Dinge zu kämpfen, in starken Kollektiven. Das Scheitern dieser Bindungen und Kämpfe bedeutet für die große Mehrheit der Menschen den Rückzug in Familie und Beruf. Für andere bedeutet es zügellose Depression, Netflix und soziale Netzwerke. Für die Glücklichen: prätentiöser existenzieller Anarchismus (Anmerkung: eine Mischung aus allen dreien ist möglich). Es bleiben nur noch vage gephantasmagorisierte „Identitäts“-Kleidungsstücke, um die unerträgliche individuelle Not zu kleiden… und um die Zersplitterung zu vollenden, jeder an seinem Platz, jeder in seiner Schachtel, die Freiheit der einen unterdrückt die Freiheit der anderen, unterdrückt jegliches Vertrauen in das Kollektiv.
Es lohnt sich daher, sich zu fragen, wie wir manchmal Anarchismus und Liberalismus verwechseln. Um uns selbst in Frage zu stellen und eine Dynamik zu schaffen, die in die entgegengesetzte Richtung geht. Es geht nicht nur um einen philosophischen Kampf, sondern auch um den materiellen Wiederaufbau von Solidaritäten, die durch antisoziale Politiken zerstört wurden, und um die Erfindung neuer Solidaritäten. Es ist schwierig, gegen den Strom zu schwimmen, aber es ist notwendig. Verteidigen wir gegen die Spirale des Individualismus, enthusiastische kollektive Praktiken und kämpfen wir gemeinsam für Gleichheit und Freiheit. Das ist der beste Dienst, den wir den libertären Ideen erweisen können.

Januar 2020

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