Videos – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org Für die Anarchie! Knäste, Staat, Patriarchat und Kapital abschaffen! Tue, 07 May 2024 21:45:15 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://panopticon.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1233/2020/02/cropped-discharge-degenerik-blog-1-32x32.jpg Videos – Soligruppe für Gefangene https://panopticon.blackblogs.org 32 32 (Volksrepublik China) Smart, unzufrieden und ungesehen: Li Yifan über den Aufstieg und Fall einer proletarischen Subkultur https://panopticon.blackblogs.org/2021/12/22/volksrepublik-china-smart-unzufrieden-und-ungesehen-li-yifan-ueber-den-aufstieg-und-fall-einer-proletarischen-subkultur/ Wed, 22 Dec 2021 19:27:49 +0000 http://panopticon.blackblogs.org/?p=2432 Continue reading ]]> Quelle: Chuang, die Übersetzung ist von uns

Einleitung der Soligruppe für Gefangene

Wir wurden von Freunden auf dieses Interview aufmerksam gemacht, welches auf der Seite des Chuang Kollektivs, von denen wir bereits Texte übersetzt haben, zu finden ist und haben beschlossen es zu übersetzen. Bei diesem Interview wird ein Filmemacher interviewt, der einen Dokumentarfilm über die sogenannten Smarts, eine proletarische Subkultur unter Wanderarbeitern in der Volksrepublik China, die aus den ärmsten Teilen der Volksrepublik stammen, die aber von sich erzählen, als eine ausgebeutete Klasse, gedreht hat. Diese Subkultur definiert sich hauptsächlich über ästhetische Besonderheiten wie auffällige Frisuren und Kleidung, für uns persönlich steht diese aber nicht im Mittelpunkt, auch wenn sie natürlich nicht ignoriert werden kann. Was uns an der Doku sowie auch am Interview am meisten interessiert, ist das jene, die nie zu Wort kommen von ihrer Realität und ihrem Alltag sprechen. Was in einer klaren und direkten Sprache geschildert wird, ist die krude Realität des Fließbands, der Entfremdung (in seiner dreifachen Form: in der Lohnarbeit, zu sich selbst und gesellschaftlich), der rigiden Disziplinierung und Kontrolle in den Werkhallen. Kein Akademiker auf der Welt wird jemals so genau die Ausbeutung des Proletariats beschreiben wie es dieser selbst machen wird. Niemand arbeitet gerne in einer Fabrik, außer jenen, die sie romantisieren und nie drinnen waren und nie drinnen sein werden, außer als Gewerkschaftsvertreter oder als so ein Dulli von Anti-Diskriminierungs-Workshops. Alle anderen wollen die Fabriken niederreißen, wir wissen das aus eigener Erfahrung. Gezeigt wird in einem Harum Farocki Stil monotone und sich ewig wiederholende Arbeitsabläufe am Fließband, unterlegt mit den Schilderungen der Realität der Protagonisten des Films. Eine Realität geprägt von Armut und Einsamkeit, von dem Korsett der Monotonie der Lohnarbeit nach einem 12- bis 16-Stundentag, sechs bis sieben Tage die Woche, wo die meisten nur geistlos auf den Beginn der nächsten Schicht warten, während die Jugendlichen mit einer gewissen Disziplinierung brechen mit den extrovertierten, nicht-konformen Frisuren und Auftreten. Ein durchaus sehr sozialer Moment, weil sie gemeinsam so banal es auch sein mag über das Hier und Jetzt reden, da sie verstanden haben, dass die Zukunft ihnen nichts garantiert, denn sie sind eine Jugend ohne Zukunft, dass es sich nicht lohnt Träume zu haben, man könnte sagen, es handelt sich hier um einen universellen Ausdruck der Ablehnung gegenüber Lohnarbeit.


(Volksrepublik China) Smart, unzufrieden und ungesehen: Li Yifan über den Aufstieg und Fall einer proletarischen Subkultur

Von chuang | Am 22.09.21 veröffentlicht

Im Folgenden ist unsere Übersetzung eines Interviews mit Li Yifan über seinen Dokumentarfilm We Were Smart (杀马特我爱你) zu finden, zusammen mit einem neuen Vorwort unseres Freundes BG über die Bedeutung des Films für Chinas entstehende Bewegung der „autonomen Räume“. Das chinesische Interview, geführt von Zhao Jingyi (赵景宜) von NoonStory (正午), wurde ursprünglich im November 2020 auf Jiemian News (界面新闻) als „Li Yifan: The Pressures Facing ‚Smart‘ Workers Are Extremely Similar to Those Facing Urban White-Collar Workers“ (李一凡:杀马特工人和城市白领,两者的压抑非常类似) veröffentlicht. Das Vorwort von BG ist nirgendwo anders veröffentlicht worden. Der Film ist derzeit online mit englischen Untertiteln hier zu sehen. (Er wird wahrscheinlich aus den unten genannten Gründen bald wieder entfernt werden, also schaut ihn euch an, solange ihr noch könnt).

Vorwort von BG

Im Jahr 2020 stellte der Künstler und Filmemacher Li Yifan den Dokumentarfilm We Were Smart (杀马特,我爱你) fertig. Der Film löste in ganz China einen Sturm aus, da er die „Smart“ (shamate) Subkultur, die vor beinahe zehn Jahren fast in Vergessenheit geraten war, wieder ins Licht der Öffentlichkeit rückte und stark missverstanden und verunglimpft wurde. Li, der die Situation der Wanderarbeiter seit vielen Jahren verfolgt, vermittelte dem Publikum auch ein neues Verständnis dieser Subkultur, die in den Fabriken des Perlflussdeltas entstanden war: Die Smarts waren in erster Linie Wanderarbeiter vom Lande, deren Arbeitskraft an den Fließbändern brutal ausgebeutet wurde.

In dem Film führt Li Gruppeninterviews mit aktuellen und ehemaligen Mitgliedern der Smart-Subkultur, wobei er auch ihr eigenes Filmmaterial von Szenen in den Fabriken einbezieht, wie z. B. die sich wiederholenden Bewegungen der Fließbänder und einen Aufseher, der den Arbeitern verbietet, die Toilette zu benutzen. Die Smarts sind ängstlich und treiben in der ihnen unbekannten Metropole umher und werden von Anwerbern vom Bahnhof zum Industriegebiet geschleppt. In der Innenstadt sind sie von den Wolkenkratzern eingeschüchtert und verirren sich im Labyrinth der Straßen, so dass sie oft nicht in der Lage sind, im Dienstleistungssektor oder in der Plattformökonomie zu arbeiten, z. B. als Essenslieferant. Ihre einzige Freiheit ist die „Ästhetik“: Indem sie die Stile der smarten Subkultur übernehmen, finden sie einen Sinn in sich selbst und in der Abgrenzung zu anderen. Li betont, dass der Film keine „Geschichte der Smarts“ ist, sondern „Smarts, die über ihre eigene Geschichte sprechen“.

Ein weiteres Element, das den Film diskussionswürdig macht, ist die Art und Weise, wie er in Umlauf gebracht wurde. Ursprünglich war We Were Smart als Dokumentarfilm gedacht, aber die Verbreitung des Films wurde zu einem eigenständigen Ereignis. Der Filmemacher erhielt für die Produktion des Films eine Investition von Tencent und unterzeichnete einen Vertrag, der dem Unternehmen die exklusiven Ausstrahlungsrechte einräumte. Nach der Fertigstellung des Films befürchtete Tencent jedoch, dass der Film politisch heikel sein könnte, und weigerte sich, ihn auszustrahlen, so dass die Investition in „Schweigegeld“ umgewandelt wurde, das verhindern sollte, dass der Film jemals das Licht der Welt erblickte. Li begann daher, Einladungen zu Vorführungen in kleinem Rahmen an verschiedenen Orten in ganz China anzunehmen, wodurch eine Art Untergrundnetzwerk entstand, das sich bald verbreitete. Der Filmemacher besuchte Universitätsgelände, Buchläden, Bars und „autonome Räume“, diskutierte mit dem Publikum und lud Smarts aus dem Film ein, sich online zu beteiligen.

Das Netzwerk und das Konzept der „autonomen Räume“ (自治空间, auch bekannt als „alternative Räume“ 替代性空间) spielten bei diesen Untergrundvorführungen eine entscheidende Rolle. Da die etablierten Kunsträume mit einer immer strengeren Zensur konfrontiert sind, sind in ganz China immer mehr autonome Räume entstanden. Einige von ihnen haben kommerzielle Formen angenommen, wie z. B. profitorientierte Bars, Buchläden oder sogar einfache Tante-Emma-Läden, während andere Kunstateliers oder häusliche Räume nutzen, um eine Infrastruktur für Aktivitäten zu schaffen, die in den kommerziellen Räumen des Mainstreams nicht möglich wären, einschließlich, aber nicht beschränkt auf Filmvorführungen, Ausstellungen, Theater und Performance-Kunst. Diese Räume sind auch ein wichtiger Ort für die Verbreitung von Untergrundpublikationen, die von verschiedenen Gruppen gedruckt werden, darunter Zeitschriften mit Bezug zu Kunstausstellungen sowie einige Pamphlete mit einem gewissen politischen Inhalt. Die chinesische Übersetzung von A Guidebook for the Revolt of the Idiots of the World: How to Create Space with Fun (世界マヌケ反乱の手引書: ふざけた場所の作り方) des japanischen Anarchisten Hajime Matsumoto ist wahrscheinlich das am häufigsten in diesen Räumen zu sehende Buch, dessen Ideen dem Netzwerk als Inspiration dienen. Matsumotos Aufruf, den Kapitalismus herauszufordern, indem man sich zum Spaß trifft, und sich der Unterdrückung durch Kreativität zu widersetzen, ist wahrscheinlich der einzige Hoffnungsschimmer, den junge Menschen mit kritischem Bewusstsein in dieser luftdichten Gesellschaft finden können, in der die Risiken für jede Art von politischer Aktivität immer schlimmer geworden sind. In diesen Räumen kann man auch Spuren von selbstveröffentlichten Werken von Wanderarbeitern finden. Für junge Menschen auf dem chinesischen Festland, die weder auf die Straße gehen noch öffentlich demonstrieren dürfen, sind diese Räume zu einer seltenen Gelegenheit geworden, Gleichgesinnte (同温层) zu finden und das politische Leben zu erleben. Bemerkenswert ist auch, dass die Begeisterung für We Were Smart viele junge Leute dazu veranlasste, gewöhnliche kommerzielle Veranstaltungsorte in temporäre „autonome Räume“ umzuwandeln: Als der Filmemacher verlangte, dass die Vorführungen kostenlos sein sollten, ermöglichten einige gewinnorientierte Veranstaltungsorte in kleineren Städten allen Arten von Menschen den Besuch, ohne Geld ausgeben zu müssen. Diese Zirkulationserfahrung wurde so zu einem integralen Bestandteil des Films.

Während Li Yifans filmische Linse die „ästhetische Freiheit“ der Smarts als eine Form des kollektiven Widerstands hervorhob, brachten junge Linke mit Erfahrung im Arbeiteraktivismus bei einigen Vorführungen eher strukturelle Formen des Arbeiterwiderstands und der Selbstorganisation oder konkretere Veränderungen der sozialen Bedingungen zur Sprache, für die die Arbeiter gekämpft haben. Auf diese Kommentare reagierte der Filmemacher manchmal mit einer zynischen Haltung. Aber We Were Smart war bereits kein geschlossenes, auf passiven Konsum ausgerichtetes Werk mehr, so dass nach Abschluss des Schnitts kein Zeitraum mehr eingefügt werden konnte. Es war zu einer Bewegung geworden, in der jede Vorführung produktiv war, und jede Ausweitung des Netzes von Vorführungen im Untergrund reproduzierte das Werk auf eine andere Weise. Diese Veranstaltungen schufen neue Bedeutungen für das Verständnis der Proletarier, die an der smarten Subkultur teilnahmen, und gingen über die Absichten der Filmemacher hinsichtlich der ästhetischen Freiheit hinaus. Sie schufen eine Infrastruktur außerhalb des Mainstreams der Kunstproduktion und des Kunstkonsums. Obwohl der Hype um We Were Smart vorbei ist, bleibt diese Infrastruktur bestehen und bricht weiterhin Risse im System auf.

„Wenn man nicht smart ist, dann hat man keine Geschichte. Ein Leben am Fließband hat keinen Wert.“

Die Unterdrückung von „ smarten“ Arbeitern ähnelt derjenigen von städtischen Angestellten (White-Collar Workers)

Li Yifans jüngste Präsentationen seines Dokumentarfilms We Were Smart gingen Ende 2020 viral – das erste Mal, dass viele Menschen von dem Film oder der obskuren „smarten“ Subkultur Notiz nahmen. Hinter den übertriebenen Frisuren der „Smarts“ verbergen sich jedoch Teenager, die von Migranteneltern zurückgelassen wurden, Fließbandarbeiter und Jugendliche, die sich nach Anerkennung und Akzeptanz sehnen.

Der Douban-Nutzer „Looking Left“ schreibt in seiner Rezension: „Kein Dokumentarfilm hat mich so sehr bewegt wie We Were Smart. Während des gesamten Films habe ich immer wieder mein Handy in die Hand genommen, um mir Notizen zu machen. Die Stimme der Intelligenz ist ein starker philosophischer Ausdruck von Freiheit, Freude und Unterdrückung.“

Der Dokumentarfilm wurde bereits vor fast einem Jahr uraufgeführt. Am 13. Dezember 2019 veranstaltete Li Yifan eine Ausstellung mit dem Titel „The Heretical Light“ (意外的光芒) im Guangdong Times Museum. Mehrere hundert gebrauchte Smartphones waren auf dem Balkon eines Hochhauses im 19. Stock installiert und spielten über 900 von Arbeitern aufgenommene Videos in einer Schleife ab. Die Fließbandszenen verliehen der Ausstellung ein mechanisches und beklemmendes Gefühl. Li Yifan lud die Arbeiter, die an den Aufnahmen beteiligt waren, zur Eröffnung ein, aber am Ende waren die einzigen, die kamen, zwei Arbeiter, die gerade ihren Job verloren hatten.

Li Yifan begann 2017 mit den Dreharbeiten zum Thema „Smarts“ und interviewte insgesamt 78 Personen. Er begann in Shenzhen, bevor er durch ganz Guangdong reiste und schließlich in die „Heimatstadt“ der Subkultur in Guizhou und Teilen von Yunnan ging. Li sagt, dass dieser Dokumentarfilm nicht versucht, die Geschichte der Smarts aufzuzeichnen, sondern vielmehr die verschiedenen Smarts ihre eigene Geschichte erzählen lässt. Die Dokumentarfilme von Li folgen immer bestimmten Menschen und ihren spezifischen Situationen: Die früheren Dokumentarfilme Before the Flood (淹没) und Village Archive: Longwangcun 2006 Video Files (乡村档案) dokumentierten die Umsiedlung des Dorfes Taijie bzw. die leeren Tage eines gewöhnlichen westlichen Dorfes1. Li hat auch Aufnahmen zum Arbeitsgesetz, zu Schweinefleisch und zu gewalttätigen Auseinandersetzungen im Chongqing der 1960er Jahre gedreht, diese aber noch nicht zu einem vollständigen Spielfilm verarbeitet. Er ist nicht nur Regisseur, sondern auch Künstler und Professor für Ölmalerei an der Akademie der Schönen Künste von Sichuan und hat in Chongqing und Shanghai künstlerische Gemeinschaftsarbeiten durchgeführt, darunter Migrant Youth (外省青年) und The sixth ring is one more than the fifth ring (六环比五环多一环).

Die folgende Diskussion zwischen NoonStory (NS) und Li Yifan (LY) umfasst Themen wie die „smarte“ Subkultur und den Überlebensdruck, dem die heutige Jugend ausgesetzt ist, das Stadt-Land-Gefälle, die diaosi (屌丝)-Kultur und kurze Video-Apps. Li erklärt: „Wenn ich Dokumentarfilme drehe, bringe ich kein aufgeklärtes Motiv in das Projekt ein. Viel wichtiger ist es, Menschen zu zeigen, die noch nie gesehen wurden.“

Screenshots aus We Were Smart. Die meisten Smarts wurden in den 1990er Jahren geboren und gingen im Alter von fünfzehn oder sechzehn Jahren zur Arbeit.

NS: In letzter Zeit gab es in vielen Städten Vorführungen von We Were Smart. Was waren die interessantesten Publikumsreaktionen in den Diskussionen nach der Vorführung?

LYF: Bei fast jeder Vorführung sagt ein Zuschauer: „Eigentlich fühle ich mich ähnlich wie die Smarts, aber ich bin nicht so mutig, ich habe nicht den Mut, mich dieser extremen gesellschaftlichen Disziplin zu widersetzen – ich habe Angst, etwas zu tun, das auffällt.“ Das hat mein Interesse geweckt. Die meisten der Zuschauer gehören zur post-90er, post-95er Generation [die nach 1990 oder 1995 Geborenen], die in städtischen Angestelltenberufen (white-collar workers) arbeiten – es scheint, dass die Situation ihrer Familien nicht so schlimm ist.

Dennoch ist das Gefühl der Unterdrückung, das diese Zuschauer und Smarts empfinden, sehr ähnlich. Man könnte sagen, dass es sich um ein gemeinsames Generationenproblem handelt: Sie fragen sich: Was ist der Sinn des Lebens, das ich vor mir sehe? Die jungen Smarts haben das Gefühl, dass Geld verdienen keinen Sinn mehr hat. Die Generation ihrer Eltern kam in die Stadt, um zu arbeiten, und obwohl sie nicht viel verdienen konnten, waren ihre Ziele sehr klar – zum Beispiel genug zu verdienen, um nach Hause zu gehen und ein Haus zu bauen, zu heiraten und ein Kind aufzuziehen. Die jungen Smarts, obwohl…. Ihre Familie hatte bereits ein Haus in ihrer Heimatstadt, aber sie konnten nicht genug verdienen, um ein Haus in der Stadt zu kaufen. Vielleicht hatten sie nicht einmal genug Geld, um eine Hochzeit zu bezahlen und zu heiraten. Die jungen Angestellten (white-collar youth) wollen sich in der Stadt niederlassen, aber es ist auch für sie schwer. Letztendlich ist die städtische Angestelltenjugend (white-collar youth) in einer ähnlichen Lage wie die Smarts. Sie arbeiten hart, aber sie können kein Ziel erreichen, es sei denn, sie verkaufen sich völlig.

NS: Was ist deine Meinung zu den Angestellten (white-collar workers), die sich scherzhaft als „Arbeiter“ (dagongren) bezeichnen?

LYF: Darüber habe ich noch nicht genau nachgedacht. Vielleicht haben sie dasselbe Gefühl der Verzweiflung, was ihre Fähigkeit angeht, ihr Schicksal zu ändern, was die Klassenmobilität angeht. Angestellte (white-collar workers) sind auch Arbeiter, ihre Arbeit ist schwierig, aber im Vergleich zu den Smarts ist es eine andere Art von Schwierigkeit. Viele Angestellte (white-collar workers) wollen ein besseres Auto oder geben sich nicht mit einer 1.000-Yuan-Tasche zufrieden, sondern wollen eine, die 2.000 Yuan kostet – sie sind von der Konsumgesellschaft gekidnappt worden. Aber die Smarts haben in Wirklichkeit gar kein Geld. Nach der [Anfangsphase der] Pandemie [in China von Januar bis April 2020] konnten viele Smarts keine Arbeit finden und waren auf Kredite von mobilen Apps angewiesen, um zu überleben. Im Mai oder Juni konnten sie wieder anfangen zu arbeiten, um die Schulden abzuzahlen. Ein Mann, der Kampfhühner züchtet, verkaufte einen seiner wertvollsten Vögel als Fleisch: ein sieben Pfund schweres Huhn wurde für 300 Yuan verkauft. Diese Art von Armut können wir nicht wirklich verstehen.

Viele junge Smarts haben sich an mich gewandt, um sich Geld zu leihen, aber es waren alles Beträge unter 100 Yuan. Manchmal leihen sie sich auch nur 20 Yuan. Sie kommen nach Guangzhou und finden keine Arbeit, sie haben nichts zu essen oder müssen sogar auf der Straße schlafen. Die Smarts im Film sind nicht so verzweifelt, weil sie so jung sind. Aber die Beispiele, die sie gesehen haben, einige der Menschen um sie herum – sie haben wirklich keine Möglichkeiten, sie sind hoffnungslos. Ich frage die Smarts: Ist einer eurer Freunde reich geworden? Sie sagen alle: Nein, niemand ist reich geworden.

NS: Viele Leute fragen sich, warum es in Dongguans Stadtteil Shipai immer noch eine lebendige, smarte Jugendkultur gibt. Alle haben den falschen Eindruck, dass Smarts, der QQ Space und die Nicht-Mainstream-Kultur alle Teil einer Art verschwindenden Online-Lebens oder Subkultur sind.

LYF: Es gibt nicht mehr viele Orte, die wirklich offen und akzeptierend für Smarts sind. Es gibt nur noch ein paar letzte Hochburgen: Im Shipai-Bezirk in Dongguan, in Chenghai in Shantou und in einem kleinen Bezirk in Wenzhou gibt es noch ein paar aktive Smarts. Diese Orte weisen alle Ähnlichkeiten auf: Eine große Anzahl kleiner Fabriken und Werkstätten, von denen die meisten kleine Teile für eine große Elektronikfabrik herstellen, oder Sprühfarbe für Spielzeugfabriken produzieren, oder auf andere Weise sehr kleine, einfache Teile herstellen.

Das Management in dieser Art von kleinen Fabriken ist nicht so streng, und sie haben nicht viele kulturelle Anforderungen – es ist ihnen zum Beispiel egal, ob man sich die Haare wachsen lässt. Natürlich sind auch die Löhne niedrig. Es sind genau diese Orte, die es den Smarts ermöglichen, weiter zu existieren. Natürlich föhnen sich Smarts nicht jeden Tag die Haare – in der Regel warten sie damit bis zum Wochenende. Gutes Haarspray hält nur maximal drei Tage, und normalerweise hält es nur einen Tag, bevor es zusammenfällt. 2018 kamen einhundert Smarts zum Treffen in Shipai und die großen Friseursalons konnten nicht mithalten, sie frisierten vom frühen Morgen bis zum Nachmittag. An langen Wochenenden kostet das Frisieren 40 Yuan, an Wochentagen 20 Yuan.

Heute gibt es vielleicht nur noch ein paar hundert Menschen im Land, die an der Smart Kultur beteiligt sind. Auch die interne Definition der Kultur ist unterschiedlich: Viele Smarts tragen Kunsthaar, weil sie keine Arbeit finden, wenn sie sich die Haare wachsen lassen. Wenn sie eine Perücke tragen, um ein Video zu drehen oder durch die Straßen zu gehen, haben sie das Gefühl, dass sie genauso aussehen wie damals, als sie sich die Haare wachsen ließen. In diesem Moment haben sie das Gefühl, ein anderer Mensch geworden zu sein.

NS: Du hast über einen Monat lang in Shipai gelebt. Was hat dich dort am stärksten beeindruckt?

LYF: In Shipai gibt es immer noch einen ziemlich guten öffentlichen Raum: Es gibt zwei Eislaufbahnen und den Shipai Park. Ich finde die Gestaltung des Parks besonders gut – er ist nicht elitär, man hat das Gefühl, dass er niemanden abweist, diese Art von Gefühl. Der Park scheint ein Ort zu sein, an dem jeder einen Platz finden kann, um sich hinzusetzen und Spaß zu haben. Der Park befindet sich auch in der Nähe der Fabriken, so dass smarte Menschen hierher kommen können, um sich zu zeigen und dem Leben am Fließband zu entfliehen.

Einmal im Jahr 2018 war ich im Shipai-Park und die ganze Szene war großartig – es war ein langes Wochenende, und die Arbeiter hatten nichts zu tun. Zehntausende von Jugendlichen liefen durch den Park und zogen umher. Sie waren alle normale Arbeiter, die am wenigsten Geld verdienen, die unterste Stufe. Viele von ihnen waren Angehörige südlicher ethnischer Minderheiten. Die Smarts waren auch dabei, ein sehr kleiner Teil der Gruppe. Man konnte sehen, dass es Miao-Leute gab, die sangen, Zhuang-Leute, die duige (对歌) sangen, und Leute, die rangen, sehr förmlich, in ethnischen Ringertraditionen. Viele Leute saßen auf dem Boden, trafen sich mit Leuten aus der gleichen Heimatstadt, unterhielten sich und spielten mit ihren Handys.

Diese Art von Trubel ist an anderen Orten selten. In einigen großen Fabriken zum Beispiel wird der Schichtwechsel sehr genau eingehalten: Alle 15 Minuten kommen und gehen nur wenige Leute, so dass man diese Art von Menschenmenge nie sieht, sondern nur einen kontinuierlichen Strom von Leuten, die in einer langen Schlange ein- und ausgehen. Die meisten Leute halten ihr Handy in der Hand, scrollen endlos und warten darauf, dass ihre Schicht beginnt. Nachts, wenn alle aus den Fabriken kommen, wird es in Guangdong heiß, und die Leute wollen nicht in ihre Schlafsäle zurückkehren, also sitzen die müden Arbeiter am Straßenrand oder legen sich hin und spielen mit ihren Handys. Sie können sich nirgends amüsieren, also können sie nicht wie die Smarts sein, die vor Begeisterung fast platzen und alle hinter sich herziehen lassen.

NS: In einem deiner Vorträge hast du gesagt, dass es keine Smarts mit einem wunderbaren Leben gibt – das Leben der Smarts ist extrem arm. Sind normale Fabrikarbeiter im Vergleich zu Smarts noch ärmer?

LYF: Im Vergleich zu normalen Arbeitern in kleinen Fabriken sind die Smarts nur geringfügig anders. Smarts sind ein bisschen sensibler, oder ein bisschen künstlerischer. Sie achten ein wenig mehr auf ihren eigenen Körper und ihre Gefühle sowie auf die Reaktionen der Außenwelt. Das ist anders als bei den meisten anderen Arbeitern, die sich einfach an die sozialen Normen halten und ihnen folgen. Smarts können das im Allgemeinen nicht ausstehen und wollen etwas anderes machen.

Wenn wir Smarts interviewen, führen wir das Gespräch normalerweise in kleinen Hotels, nach 22 Uhr. In den Fabrikvierteln finden wir keinen anderen Ort, an dem wir sie durchführen können. Nach zehn oder zwölf Stunden Arbeit müssen diese Kinder erst nach Hause gehen, duschen, sich die Haare föhnen und sich besser aussehende Kleidung anziehen, bevor sie zum Interview kommen können. In dieser Hinsicht sind sie ein bisschen aufmerksamer. Aber sie haben denselben Stunden- oder Stücklohn, bei dem sie nie mithalten können. Wenn sich ihre Hände nicht mehr bewegen, haben sie plötzlich kein Geld mehr.

Bei der Migration zur Arbeit sind die meisten Arbeiter auf die Beziehungen in ihrer Heimatstadt angewiesen. Aber die Smarts haben die heimatlichen Netzwerke übersprungen. In Guangxi, Hunan, Guizhou, Hainan und anderen Orten nutzten sie ihr gemeinsames ästhetisches Empfinden und ihre Online-Verbindungen, um ihre eigenen Familien zu gründen. Innerhalb dieser Familie sind sie wie Brüder und Schwestern – „wenn du hierher kommst, um zu arbeiten, kannst du ein paar Tage bei mir bleiben, während du dich einrichtest.“

Einmal unterhielt sich ein smarter Mann mit mir, und ich habe es nicht aufgezeichnet, aber die Art und Weise, wie er es ausdrückte, war wie die eines Philosophen. Er sagte: „Wenn du kein Smart bist, dann hast du keine Geschichte. Ein Leben am Fließband hat keinen Wert.“

NS: Du hast 915 Kurzvideos in Auftrag gegeben und einige davon für deinen Dokumentarfilm ausgewählt. Was hat dich an diesen selbstgedrehten Videos von einfachen Arbeitern bewegt?

LYF: Die Videos, die ich gesammelt habe, lassen sich in drei Typen unterteilen. Bei den meisten handelt es sich um Videos von Arbeitsplätzen oder dem Fließband. Die zweite Art zeichnet das Leben in der Fabrik auf. Die dritte Art zeigt das Alltagsleben der Arbeitssuchenden in den Fabrikvierteln. Die Videos stammen aus Shipai, Dongguan, Shenzhen und anderen Gebieten mit einer hohen Konzentration von Fabriken.

Kein einzelnes Video aus der Arbeitsplatzsammlung hat einen besonders tiefen Eindruck bei mir hinterlassen, aber nachdem ich sie alle gesehen hatte, hinterließen sie insgesamt einen sehr starken Eindruck: Das Arbeitsumfeld, die Intensität der Arbeit, die Arbeitszeiten – all das übertraf meine Vorstellungen. Ich wusste, dass die Leute Überstunden machen, aber ich wusste nicht, dass sie so lange arbeiten. Viele Arbeitsumgebungen sind ziemlich schlecht, und die Arbeiter sehen so jung aus.

Einige der Arbeiter haben die Bedingungen in größeren Fabriken aufgezeichnet. Das ist wirklich schwierig, denn wenn man sein Handy herausnimmt, kann man eine Geldstrafe bekommen. In einem der Videos führt der Schichtleiter die Arbeiter an und sagt: „Hallo, wie geht es euch, mir geht es sehr gut.“ Aus dem Video kann man ersehen, in welche Lage die Arbeiter gebracht werden, indem sie beschimpft oder ausgepeitscht werden. In einem anderen Fall sind zwei Kinder arbeitslos und wollen sich um einen Job bewerben. Das Video, das sie gedreht haben, zeigt den gesamten Bewerbungsprozess, einschließlich eines Bluttests. Bei Bewerbungen werden die Hände und der Körper untersucht, wie auf einem Sklavenmarkt, und es wird geprüft, ob man seine Gelenke bewegen kann. Diese beiden Videos haben einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen.

Während sich die Diaosi-Kultur nach Anerkennung durch den Mainstream sehnt, ist die Smart-Kultur nur eine Art, zusammenzuhalten, um nicht unterzugehen.

NS: Bevor du Smarts getroffen hast, als du sie nur aus dem Internet kanntest, hast du gesagt, dass du glaubst, dass sie „einen Widerstand gegen den Konsumismus darstellen“. Wie bist du zu diesem Schluss gekommen?

LYF: Im Jahr 2010 habe ich mit einigen Künstlern in Chongqing ein Kunstprogramm für „Migranten-Jugendliche“ durchgeführt. Unsere Plakate warben für „Selbstdefinition“ und „ästhetische Autonomie“. In Wuhan habe ich zusammen mit Li Juchuan den Donghu Art Plan entwickelt.2

Beides waren Versuche, sich der Mainstream-Ästhetik und den Mainstream-Werten zu widersetzen. Zu dieser Zeit sah ich Smarts im Internet. Anhand ihrer Bilder und Texte hatte ich das Gefühl, dass Smarts ein paar drittklassige College-Studenten waren. Es fiel mir schwer zu verstehen, warum manche Leute die Initiative ergreifen, um sich selbst zu diffamieren, zu demütigen, hässlich zu machen, sich als dumm zu beschimpfen und sich über ihren eigenen „edlen“ Titel lustig zu machen. Aber sie haben so lange durchgehalten, und so viele Menschen haben mitgemacht – ist das nicht eine Art kultureller Widerstand?

Erst sehr spät wurde mir klar, dass ich im Internet nie wirkliche Smarts gesehen hatte – was ich gesehen hatte, waren Bewegungen zur Diffamierung der Smarts. Was auch immer für eine Art von Widerstand [ich sah], das war ein falscher Eindruck, den ich von Leuten bekommen hatte, die versuchten, sie zu diffamieren.

NS: In einem Vortrag hast du erwähnt, wie die Kluft zwischen Stadt und Land in der Nicht-Mainstream-Kultur um 2007 auftauchte. Um 2010 begann die Stigmatisierung der Smarts im Internet. Warum haben sich diese Veränderungen zu diesen Zeitpunkten vollzogen?

LYF: In der Zeit vor und kurz nach den Olympischen Spielen 2008 entstand eine große Kluft zwischen dem ländlichen und dem städtischen China. Informationen von außen strömten herein, und viele Menschen begannen auch, ins Ausland zu gehen – die Gesellschaft veränderte sich massiv. Dies hatte jedoch viel mehr Einfluss auf die Stadtbewohner: Ihre Gehälter stiegen, und die Menschen, die sich zuvor mit „nicht-mainstreamiger“ (非主流) Mode beschäftigt hatten, sogar mit „ketzerischen“ (异端) Frisuren, begannen, einen Sinn für anspruchsvolle Ästhetik zu entwickeln.

Für die Wanderarbeiter änderte sich das Umfeld jedoch nicht so stark. Sie arbeiteten weiterhin zu hart. Wenn du jeden Tag zehn bis fünfzehn Stunden arbeitest und nur nachschaust, wie viele Leute deinen QQ-Space jeden Tag besuchen, reicht es, wenn ein paar mehr Besucher kommen, um dir ein Gefühl der Erfüllung zu geben, damit du glücklich schlafen gehen kannst. Ein anderes Hobby war es, zu sehen, was der eine oder andere Star in letzter Zeit mit seinen Haaren gemacht hat, und herauszufinden, ob man dasselbe tun kann. Die meisten Menschen befanden sich genau in dieser Situation.

Bei einem so schnellen Arbeitstempo, unter extremem Druck und Depressionen, braucht man – die Arbeiter – etwas besonders Starkes, wie eine Frisur abseits des Mainstreams. Zu dieser Zeit gab es den Begriff „ländliche Gegenkultur“. Unter den Nicht-Mainstream, in den Subkulturen, gibt es viele verschiedene „Familien“ oder „Clans“, und die Smarts sind nur ein Teil davon. Zum Beispiel die Cruel Snow-Family, die hauptsächlich Dinge online verkauft, um dir dabei zu helfen, einen wirklich cool aussehenden QQ-Space einzurichten, oder die Buried Love-Family, die sich selbst als sehr deprimiert darstellt und Sprüche sagt wie: „Mein Herz ist gebrochen, ich kann seit zehn Jahren nicht mehr lieben“ oder „Meine Liebe ist seit drei Jahren begraben“ – diese Art von beziehungsbezogenem Zeug. Aber der Begriff „smart“ [shamate, übersetzt aus dem englischen Wort „smart“] schaffte es aus diesem speziellen Kreis [der Teilnehmer an „Nicht-Mainstream“-Mode] heraus, und die Leute im Internet begannen, diesen Begriff auf jeden mit dieser Art von Frisur anzuwenden.

Vor 2010 wusste niemand etwas über Smarts, sie waren nur in ihrem eigenen Kreis. Und die Smarts verstanden die Außenwelt nicht – sie hielten sich für die modischsten Menschen in China und posteten überall in den sozialen Medien Bilder. Sie sahen, dass das Li Yi-Forum auf Baidu sehr beliebt war, also posteten sie Bilder von Li Yi. Zu dieser Zeit waren allzu aufrichtige Accounts wie Sister Furong immer noch sehr beliebt – als die Leute also die Smarts entdeckten, hatten sie etwas anderes gefunden, über das sie sich lustig machen konnten, und ist das nicht ein angenehmer Ort?

NS: Etwa ab 2013 verschwand die Smart-Kultur allmählich. Warum gab es einen plötzlichen Anstieg von Leuten, die sich online über die Smart-Kultur lustig machten? Was ist aus deiner Sicht der Hintergrund dafür?

LYF: Zu dieser Zeit war die Diaosi-Kultur (屌丝) populär3. Eigentlich ist die Diaosi-Kultur keine klar definierte Gruppe, und ihr Selbstvertrauen war nicht allzu schlecht: Die Menschen in der Gruppe hatten das Gefühl, dass ihre Talente einfach noch nicht erkannt worden waren. Diaosi und smart sind nicht dasselbe: Die Diaosi erkennen die Kultur der Eliten immer noch an und billigen sie, nur die Eliten erkennen sie nicht an. Zu dieser Zeit hatten die Diaosi eine Welle von anderen Kulturen, denen es schlechter ging als ihnen selbst, aufkommen sehen, und es ist eine weit verbreitete Mentalität, auf [anderen] herumzuhacken.

Die gesamte Gesellschaft existiert innerhalb einer Elitenkultur oder eines rationalen Systems. Was nicht mit den Regeln übereinstimmt, muss immer unterdrückt werden. Außerhalb dieser [Unterdrückung] kann es keine andere Form der Beziehung geben; wir sind nicht einmal bereit, ein grundlegendes Verständnis dafür zu entwickeln, was etwas ist, das nicht mit den Regeln übereinstimmt. Was ich interessant finde, ist, dass so viele der Leute, die sich in QQ-Gruppen, die nicht dem Mainstream entsprechen, einschleichen, Leute aus der Gruppe werfen und ständig die [Online-]Familien der Leute auseinanderreißen, Diaosi sind.

Diaosi akzeptieren die Elitekultur: Die Elitekultur sagt, dass Smarts hässlich sind, dass ihre Ästhetik problematisch ist. Die Diaosi verstehen absolut nicht, dass Ästhetik ein kulturelles Konstrukt ist. Sie glauben, dass die Randkultur keine subjektive Angelegenheit ist. Wenn sie also einen einsamen Smart sehen, sehen sie das als eine Gelegenheit, sich abzureagieren. Das heißt, um zu beweisen, dass sie „elitär“ sind, schlagen sie auf die Smarts ein. Ist ein solches Verhalten in Ordnung?

Die gesamte Gesellschaft befindet sich in einem ständigen Prozess der Standardisierung, was es schwierig macht, Menschen wie Smarts zu tolerieren. Die Diaosi haben erwartet, dass sie von der breiten Masse anerkannt werden, wenn sie ihre Talente verwirklicht haben, aber Smarts wissen nicht einmal, was „Elite“ ist. Eigentlich hatte das Wort „Diaosi“ immer noch eine kleine Konnotation von Widerstand, einen Stolz, den es heute nicht mehr gibt, wenn [Angestellte – white collar youth] sagen, dass sie [nur] „einfache Arbeiter“ (dagongren) oder „996“ [die zwölf Stunden am Tag sechs Tage die Woche arbeiten] sind.

NS: Du hast gesagt, dass du bei den Dreharbeiten zu deinem Dokumentarfilm festgestellt hast, dass die Smarts Angst vor der Welt hatten, was es schwierig machte, Interviews zu führen. Was kannst du mir über die Schlägereien erzählen, die um 2013 herum stattfanden?

LYF: Es gab einige Leute, die dachten, dass die Frisur von Smarts und ihre Art, online zu sprechen, zu arrogant seien, also wollten sie sie einfach verprügeln. Als Luo Fuxing in der Mittelschule war und gerade im Internet berühmt geworden war, hatte er online seine eigene [smarte] „Familie“. Aus diesem Grund wurde er in der Schule geschlagen und beleidigt, was der Hauptgrund dafür war, dass er die Schule abbrach. Einige Smarts erwähnten auch, dass sie beim Essen in Kunming von Leuten an einem anderen Tisch zu Boden gedrückt wurden und ihnen die Haare abgefackelt wurden.

Früher, als Smart noch eine Art Mode war, hielt das niemand für schlimm. Aber als die öffentliche Meinung zu der Überzeugung kam, dass Smart schlecht sei, wurde Smart von Außenstehenden verteufelt. Ein Smart erzählte mir, dass er in einem Industriegebiet arbeitete und nicht wusste, dass zu Hause niemand mehr an der Smart-Kultur teilnahm. Als er nach Hause kam, sagten seine Freunde zu ihm: „Beeil dich und wasch dir die Haare. Immer wenn Leute mit einer schicken Frisur nach Hause kommen, werden sie verprügelt.“ Ein anderer Smart erzählte mir von einer ganz anderen Situation: Früher war er auch Smart, aber später wechselte er die Seiten und schlug die Smarts. Als ich ihn nach dem Grund fragte, sagte er: „Keiner von uns macht mehr mit, wir denken, es ist nichts Ernstes, aber du bist hier und spielst immer noch damit herum.“ In den Industrievierteln wird ein einsamer Smart oft verprügelt, nachdem er ein Mädchen nachts nach Hause begleitet hat. Die Wurzel all dessen ist eine blinde Gefolgschaft gegenüber der Ästhetik der Mainstream-Kultur.

NS: In der Vergangenheit waren Smarts und andere Nicht-Mainstream-Kulturen oft die Zielscheibe der Witze. Jetzt machen sich Netizens4 auch gerne über Mukbangs [Ess-Shows] und Videos mit ländlichen Themen lustig. Gibt es zwischen diesen beiden Trends irgendwelche Gemeinsamkeiten?

LYF: Es gibt hier eine Gemeinsamkeit. Wir können sehen, dass die urbane Popkultur eine Art „Gegenangriffskultur“ ist: Sie ist gegen die Mainstream-Kultur gerichtet. In den Städten sagen einige junge Leute zum Beispiel: „Wir sind so ’subkulturell'().“ Sie denken, das macht sie cool und sie fühlen sich bestätigt. Aber sie identifizieren sich nicht mit den Smarts oder den Livestream-Moderatoren auf Kuaishou [einer Online-Streaming-Plattform, die sich an junge Wanderarbeiter richtet], also akzeptieren sie sie nicht als Gegenkultur.

In dem Dokumentarfilm We Were Smart sagt eine Smart-Frau: „Selbst wenn diese Sache (die Teilnahme an der Smart-Kultur) falsch wäre, würde ich es trotzdem tun“. Und Luo Fuxing sagt: „Ich habe mich selbst zu einem schlechten Kind gemacht.“ Er hielt sich selbst nicht für beeindruckend und dachte sogar, dass er sich irren könnte. Sie betrachteten Smart als Mittel zum Selbstschutz. Bei Livestreamern ist es ähnlich: In ihrem Herzen denken sie: „Wenn du sagst, ich bin dumm, dann bin ich dumm. Aber ich muss einfach gesehen werden.“

Der Unterschied ist, dass du, wenn du „vulgäre“ Videos auf Kuaishou drehst, davon profitieren kannst: Es hat einen kommerziellen Aspekt. Wenn dein Video auf Kuaishou empfohlen wird, können sich die Belohnungen für Livestreaming komplett ändern. Dazu gehört auch ein Fake-Smart, der auf Sina Weibo zum „Big V“ [verifizierter Nutzer mit über 500.000 Followern] wurde: Das ist alles eine Art Fankultur. Aber Smarts haben keinen Nutzen, sie sind nichts weiter als Anzeigen, die beim Scrollen durch die QQ-Pinnwand auftauchen: gelbe Raute „Adel“, lila Raute „Adel“ und so weiter. Diese Elitestatus (gelbe Raute, violette Raute usw.) haben nichts mit der Rangordnung zu tun, sie dienen nur der Show (办家家). Sie bedeuten nicht, dass ich ein Herzog bin, sie bedeuten nur, dass ich mehr kann als du, ein Graf. Man kann höchstens 5 Yuan bezahlen, um einer smarten QQ-Gruppe beizutreten. In der Smart-Kultur geht es eher darum, in einer Gruppe zu bleiben, um sich gegenseitig zu trösten.

Persönliche Erfahrungen können die Blase der Online-Wahrnehmung der Realität durchstoßen.

NS: Manche sagen, dass man auf Kuaishou eine andere Seite Chinas sehen kann, eine andere Art von „Kulisse“: Dokumentarfilme, die diese Generation realistisch darstellen. Stimmst du als Dokumentarfilmer dieser Einschätzung zu?

LYF: Als ich meine Leute bat, Videos zu sammeln, war ich zunächst von dem Kurzvideoformat von Kuaishou inspiriert. Damals habe ich die Kuaishou-Videos nicht direkt verwendet. Es ging in erster Linie darum, die Veröffentlichungsrechte zu erhalten, aber auch technisch gesehen gab es keine Möglichkeit, sie zu verwenden. Die Videos, die die Mitarbeiter schickten, waren mit Spezialeffekten versehen und zu kurz: Die meisten waren nur ein paar Sekunden lang und liefen in einer Schleife. Einige Videos hatten nicht einmal den Originalton, sondern waren nur mit einem Lied überlagert.

Clips, die das echte Leben filmen, sind auf Kuaishou zu selten. Die meisten Aufnahmen auf Kuaishou sind zu Unterhaltungszwecken gemacht worden. Die meisten Leute, die Videos produzieren, kommen aus einer Art Fankultur, und sie stellen Videos ein, weil sie Leute anziehen und Likes bekommen wollen. Dokumentarfilme hingegen werden gemacht, um die Umgebung zu reflektieren. Einige Kuaishou-Videos entfernen sich gerade dann vom realen Leben, wenn sie es widerspiegeln sollen, und sie verwenden einen unterhaltsamen Stil oder Filter, um das Video zu bearbeiten.

NS: 2005 hast du dein erstes Werk Before the Flood (淹没) veröffentlicht, einen von dir und Yan Yu gedrehten Dokumentarfilm. Wie bist du von deinem früheren Beruf zum Dokumentarfilmer geworden?

LYF: Ich habe an der Central Academy of Drama studiert. Zu dieser Zeit lief das Theater nicht gut: Die meisten Leute wollten [Spiel-]Filme oder Fernsehsendungen drehen. Ich war nicht geeignet für kollektive Arbeit, kollektives Schaffen – man musste eine Menge Leute managen, Mut und Verstand mit der Crew messen, Sponsoren finden, Schauspieler suchen und so weiter – also gab ich diese Art von Arbeit auf. Ich konnte erwachsen werden, als ich das Sichuan Fine Arts Institute in Chongqing besuchte, wo es mehr Künstler gab.

Nach meinem Abschluss 1992 ging ich nach Guangzhou und war in einer Werbeagentur für das Fotografieren von Anzeigen zuständig. Noch bevor ich zwei Jahre in der Firma gearbeitet hatte, kündigte ich, um selbständig Werbung zu machen. Im Jahr 1994 ging ich nach Peking, um einen Werbefilm über die moderne Landwirtschaft zu drehen. Da ich nicht wirklich etwas von Landwirtschaft verstehe, habe ich ganz am Anfang angefangen und Bücher über Landwirtschaft und Soziologie gelesen. Ich verbrachte vierzig bis fünfzig Tage mit der Lektüre von Büchern im Gemeinschaftszentrum der Allchinesischen Gewerkschaftsföderation (职工之家).

Danach kehrte ich nach Guangzhou zurück und zog neben der Provinzbibliothek ein, wo ich viel mehr las. Damals fühlte ich mich im Zwiespalt: Bücher lesen und Geld verdienen standen im Widerspruch zueinander, und das Drehen von Werbespots empfand ich als sinnlos. Nach zwei Jahren kehrte ich nach Chongqing zurück. Ich habe nichts gemacht, bin nur zu Hause geblieben und habe gelesen oder bin durch die Stadt gelaufen, um zu sehen, was die verschiedenen Künstler machen. So ging es etwa fünf Jahre lang.

Im Jahr 2000 kam ein Klassenkamerad nach Chongqing und sagte, dass er in die Digitaltechnik einsteigen wolle. Jemand lieh ihm eine digitale Videokamera und er drehte einen Dokumentarfilm über altmodische Friseure. Ich hielt das für eine gute Idee, also kaufte ich eine Kamera und drehte meinen eigenen Dokumentarfilm. Während der Dreharbeiten zu Before the Flood habe ich gleichzeitig gelernt, gehandelt und gedacht. In diesen ersten Jahren drückte ich [beim Filmen] tatsächlich meine Wünsche aus. Nachdem ich so viele Jahre mit Lesen verbracht hatte, wollte ich es auch wissen: Was zum Teufel war mit China los?

Ich blieb 11 Monate lang in Fengjie, alle vier Jahreszeiten hindurch, und kehrte nur zweimal nach Chongqing zurück, um Kleidung zu holen. Jeden Tag verließ ich mein Zuhause früh und kehrte spät zurück. Viele Dinge, die ich erlebte, haben bis heute einen tiefen Eindruck bei mir hinterlassen. Das Erlebnis, das den stärksten Eindruck hinterließ, hat es nicht in den Film geschafft. Ich hatte einen Mitarbeiter eines Abbruchunternehmens gefilmt, der einen tödlichen Stromschlag erlitten hatte: Der Leichnam lag drei oder vier Tage lang da. Seine Frau stand daneben und weinte, aber niemand schenkte ihr Beachtung.

Was ist eine Umsiedlungsentschädigung (赔偿), und was ist eine Umsiedlungsrückerstattung (补偿)? Entschädigung ist, wenn jemand deine Schüssel kaputt macht, dann bekommst du eine Schüssel. Rückerstattung bedeutet, dass sie dir einen Löffel geben, wenn deine Schüssel kaputt geht. Die Wiederansiedlungspolitik ist eine Rückerstattung, keine Entschädigung. Gewöhnliche Menschen sagen: „Was Sie sagen, klingt gut, aber wo soll ich leben?“ Ich habe viele Dinge gesehen, darunter die Beziehung zwischen dem Kollektiv und dem Einzelnen, was auf den untersten Ebenen geschieht und wie bescheiden der Einzelne inmitten der großen Ereignisse ist.

NS: Beim Drehen von Dokumentarfilmen sprichst du oft von „leibhaftigen Erfahrungen“. Kannst du dieses Thema im Detail besprechen?

LYF: Wenn man einen Dokumentarfilm dreht, kann man vielleicht das Internet nutzen, um nach Material zu suchen oder die beteiligten Personen zu interviewen. Aber das ist nicht meine Erfahrung. Selbst wenn ich viele Informationen [online] bekomme, möchte ich immer noch in Shipai leben, in die Heimatstädte der Smarts gehen und das Land durchstreifen. Das kann die Herangehensweise bestimmen, die ich bei der Bearbeitung wähle, die Gewichtung, die ich den Ereignissen gebe: einige berührende Elemente betonen und andere minimieren. Dies ist das besonders wichtige Element der „leibhaftigen Erfahrung“.

Wenn wir heute Dinge online sehen, können wir nicht wissen, ob sie wahr oder falsch sind, wir müssen sie mit eigenen Augen sehen. Nur wenn man der betreffenden Person von Angesicht zu Angesicht gegenübersteht, kann man ihren Standpunkt, ihre Logik und ihre Argumente kennen lernen.

Wenn man in der Heimatstadt eines smarten Menschen wohnt, stellt man fest, dass ihre Häuser extrem heruntergekommen sind, aber sie haben eine sehr schnelle Internetverbindung. Wenn du nicht hinfährst, hast du keine Möglichkeit, diese Art von Absurdität zu erleben. Wenn man nicht von Shanghai in die Bergregionen von Yunnan und Guizhou reist, bekommt man kein Gefühl für die zweihundertjährige Kluft [in der Entwicklung] zwischen den verschiedenen Regionen Chinas. Online könnte man den Eindruck gewinnen, dass es sich bei diesen Orten um kleine, friedliche Städte inmitten einer wunderschönen Landschaft handelt. Man kann nicht erkennen, dass diese schönen Orte einen Menschen nicht ernähren können, dass er sie verlassen muss, um zu arbeiten. Körperliche Erfahrungen können die Bilder der Realität, die Sie online oder durch Propaganda erhalten haben, durchbrechen und Ihre Eindrücke von der Realität verändern.

Wenn wir über Daten sprechen – zum Beispiel, dass Arbeiter zehn oder elf Stunden arbeiten – hinterlässt das keinen Eindruck bei Ihnen. Erst wenn man sieht, wie sie von der Arbeit kommen und wie erschöpft sie sind, wenn man sieht, wie die Arbeiter am Straßenrand sitzen, ohne dass jemand spricht – manche schauen auf ihr Telefon, andere schauen überhaupt nicht -, erst dann kann man diese Art von Erschöpfung begreifen.

NS: Du sprichst oft davon, dass die Methoden, die die heutigen Apps zur Verbreitung von Inhalten verwenden, einschließlich Algorithmen und KI, zu einer stärkeren Segmentierung der verschiedenen Gesellschaftsschichten führen können. Kannst du das genauer erläutern?

LYF: Bei den Wahlen in den USA pusht jede [Fraktion] ihre eigenen [Inhalte]; jeder sieht nur die Teile, die er verstehen will. Wenn man sich ständig mit einer Sache beschäftigt, wird das Gewicht, das das Gehirn ihr beimisst, noch stärker. Wenn andere Informationen auftauchen, ignorierst du sie vielleicht. Die Informationen, die du über dein Telefon erhältst, haben mehr Gewicht, viel mehr als Informationen aus dem wirklichen Leben. Viele Menschen vertrauen auch den Informationen, die sie über das Telefon erhalten und die damit zur Realität werden.

Bevor wir in Shipai ankamen, hatten wir keine Smarts auf Wechat oder Kuaishou hinzugefügt, wir hatten ihre Beiträge noch nicht gesehen. Wenn sie ihr Telefon einschalten, dann nur für die Arbeitssuche, für die Nutzung von Apps für die Arbeit, um zu überprüfen, wie viel Geld sie noch haben, und für diese Art von Informationen. Für diese jungen Leute ist dies das einzige Thema, mit dem sie etwas anfangen können – niemand interessiert sich für die US-Wahlen. Sie gehen nicht ins Kino, um Filme zu sehen, und die meisten können nicht nach Guangzhou oder Shenzhen fahren, da sie nicht genug Geld zusammenbekommen. Als wir den Klatsch und Tratsch über Unterhaltungsstars zur Sprache brachten, interessierte sie das auch nicht. Was sie besprachen, war etwas ganz anderes als wir. Handys haben diese Art von Kluft absolut nicht überbrückt.

Die Algorithmen und Empfehlungen von Handy-Apps haben einen größeren Einfluss auf die Städter. Sie können dazu führen, dass diese Generation, vor allem junge Städter, besonders engstirnig werden, weil sie mehr Zeit am Telefon verbringen. Arbeiter verbringen die meiste Zeit bei der Arbeit und den Rest der Zeit schlafend und sind im Alltag einem größeren Druck ausgesetzt.

Er kann nur im Fabrikviertel leben; in der Innenstadt und selbst in den Dörfern fühlt er sich unwohl.

NS: Der Protagonist von We Were Smart, Luo Fuxing, hat beim Dreh des Dokumentarfilms viel Hilfe geleistet. Er hat sich zum Beispiel die Slogans ausgedacht, mit denen er Smarts als Helfer für den Film rekrutieren wollte: „Keine Einzahlung erforderlich“ und „Ein Tageseinkommen von 1.000 Yuan ist zum Greifen nah“. Inwiefern hat er dich inspiriert, nachdem du schon so lange mit ihm in Kontakt bist?

LYF: Später wurde mir klar, dass die Logik der Arbeiter und unsere Logik nicht dieselbe ist. Als Luo Fuxing sagte, dass „keine Einzahlung erforderlich“ sei, lag das daran, dass viele Menschen online betrogen wurden, wobei der Betrug mit einer Einzahlung begann. Viele Kinder sind durch Schneeballsysteme betrogen worden. Eigentlich nicht, weil sie Geld verdienen wollen, sondern weil sie von Mädchen dazu verleitet wurden, mitzumachen. Ein Mädchen sagte: „Wenn du mitmachst, werde ich dich heiraten.“ Sie traten ein und konnten erst wieder aussteigen, als sie um ihr ganzes Geld betrogen worden waren.

Während der Zusammenarbeit geriet ich oft in Konflikt mit Luo Fuxing. Manchmal unterhielt ich mich mit Wu Ya, dem Kameramann, über Kaffee oder etwas, das auf internationaler Ebene passiert war, und Luo Fuxing wurde sehr wütend und ging am nächsten Tag nicht zur Arbeit. Er glaubte, man habe ihn übersehen; er dachte, wir wollten nur angeben.

Langsam lernte ich auch, meine Gesprächsmethoden mit den Arbeitern zu ändern und ihre Denkweise zu verstehen. Einmal kam zum Beispiel ein Journalist, um die Smarts zu interviewen, aber sie wollten bezahlt werden. Der Journalist sagte, dass dies gegen die journalistische Ethik verstoßen würde. Ich bin der Meinung, dass Ihre Ethik vielleicht richtig ist, aber Ihre Ethik beansprucht die Zeit anderer Leute. Die Arbeiter in der Fabrik messen ihre Zeit in Geld: Die Fabrik hat festgelegt, dass eine Stunde 20 Yuan wert ist.

Im Laufe des Gesprächs mit Luo Fuxing kam so etwas recht häufig vor. Langsam stellt man fest, dass die eigenen Gedanken nicht so klar sind wie die der Intellektuellen, und einige Dinge haben sich geändert.

NS: In dem Dokumentarfilm sagt Luo Fuxing, dass er sich besonders davor fürchtet, nach Shenzhen zu gehen. Ist dieses Phänomen unter Smarts und anderen jungen Arbeitern weit verbreitet?

LYF: Damals fand die Zhejiang-Show „Dreams Come True“ Luo Fuxing und wollte ihm helfen, einen Friseursalon in Shenzhen zu eröffnen. Ich begleitete ihn in die Stadt: Er sah sich Mietinformationen an und schaute sich die Ladenlokale in der Stadt an, aber am Ende kehrte er doch in das Fabrikviertel zurück. Er hatte das Gefühl, dass dies der einzige Ort war, an den er gehörte, der einzige Ort, an dem er bestehen konnte. In anderen Teilen der Stadt fühlte er sich unwohl, auch wenn es nur das Stadtviertel war. Die Menschen dort sprachen alle über Dinge, die ein Smart nicht verstehen konnte.

Die Segmentierung des Perlflussdeltas ist sehr offensichtlich. Städtische Dörfer, wohlhabende Gegenden und Angestelltenviertel (white-collar districts) sind unterschiedliche Räume. Stadtmenschen können in die städtischen Dörfer gehen, aber sie werden niemals in die weit entfernten Fabrikbezirke gehen. Das Leben der Smarts spielt sich in den Fabrikvierteln ab, und so verstehen sie auch das Leben in der Stadt nicht: Sie sind abgeschnitten [vom Rest der Welt] und segmentiert. In den Fabrikvierteln kann man sein ganzes Leben verbringen, ohne jemals ein Apple-Ladekabel zu kaufen. Die städtischen Dörfer in Shenzhen und Guangzhou haben alle unterschiedliche Merkmale, sind aber dem Leben in der Stadt selbst sehr ähnlich. Zum Beispiel sind Snacks wie der doppelschalige Milchpudding (双皮奶) im Stadtdorf vielleicht etwas billiger, aber die Qualität unterscheidet sich nicht so sehr von dem, was man in der Stadt isst. Im Fabrikviertel ist er zwar immer noch billiger, aber die Qualität hat sich völlig verändert: Er schmeckt überhaupt nicht mehr nach Pudding. Die Fabrikbezirke unterscheiden sich gar nicht so sehr voneinander, ganz gleich, ob sie in Guangdong, Fujian, Zhejiang oder Sichuan liegen. Die Fabrikbezirke bestehen ausschließlich aus Enklaven für Menschen, die nicht aus der Stadt kommen – sie sind eher wie auf dem Land.

NS: Was wissen wir sonst noch nicht über Smarts?

LYF: Auf dem Gipfel eines Berges in Guizhou traf ich einen Smart, der in seiner Heimatstadt 3500 Yuan im Monat verdiente. Er spendete gerne online (打赏) an andere Smarts und gab dafür bis zu 5000 Yuan im Monat aus. Ein anderer Smart hat sich zu diesem Zweck sogar Geld geliehen, weil er der Meinung war, dass dies seinen Stolz auf seinen Smart (A.d.Ü., Dasein) zeige und eine Atmosphäre der Zugehörigkeit schaffe. Die Erfahrungen der Smarts sind sehr ähnlich. Zum Beispiel die Erfahrung, ein zurückgelassenes Kind zu sein, oder dass einem die Tasche gestohlen wird, sobald man aus dem Zug [in die Stadt] steigt. Oder „als ich eine Mitfahrgelegenheit in einem Motorradtaxi bekam, wurde ich betrogen: Beim Einsteigen sagte mir der Fahrer, es würde zehn Yuan kosten, aber als ich ankam, sagte der Fahrer, ich müsse 100 bezahlen.“ Sie nutzen einen gemeinsamen ästhetischen Stil, eine gemeinsame Frisur und Erfahrung, um ein Gefühl der Gemeinsamkeit zu schaffen (同温层).

Außerdem sagen die Leute, dass das Lied „Smart Meets Wash, Cut, Dry“ (洗剪吹) gar nicht von ihnen stammt, Smarts hören sich das Lied gar nicht an. Als wir zusammen nach Yunnan und Guizhou fuhren, um die Smarts-Landschaft zu sehen, fuhren wir mit dem Auto. Ich hatte einen Bluetooth-Lautsprecher dabei, und auf der ganzen Fahrt hatte ich noch nie eines der Lieder gehört, die sie spielten. Ich konnte sie nicht ertragen, der Rhythmus war so repetitiv, dass es wie eine Gehirnwäsche war.

NS: We Were Smart handelt von vielen individuellen Lebenserfahrungen. Welche Lehren können diese Erfahrungen den heutigen jungen Menschen vermitteln?

LYF: Ich wage nicht zu sagen, wen es aufklären wird. Heutzutage diskutieren die Leute gerne darüber, wer Recht hat und wer nicht, wer wem mehr Aufklärung geben kann. Aber das, was mehr gebraucht wird, ist Ernüchterung (祛魅), um die Dinge im Schatten zu sehen. Manche Menschen könnten die Arbeiter in einem neuen Licht sehen, manche könnten sich selbst sehen. Manche wissen, was „Ketzerei“ wirklich ist, während andere sehen, dass es den Intellektuellen an Empirie fehlt. All das ist möglich, denn mein Versuch [im Film] war nicht im Geiste der Aufklärung gemacht. Das Wichtigste ist, dem Unsichtbaren zu helfen, gesehen zu werden.

Die Macher des Dokumentarfilms We Were Smart, von links nach rechts: Kameramann Wu Ya, Regisseur Li Yifan und der smarte Prominente Luo Fuxing.

 

1A.d.Ü., gemeint ist westliches China.

2Zu den Hintergründen des Donghu Art Plan im Kampf gegen die kommerzielle Entwicklung des East Lake Ecological Reserve in den Außenbezirken von Wuhan siehe „Gleaning the Welfare Fields“ in Ausgabe 1 der Zeitschrift Chuang. Dies wird auch in „When There’s a Fire, We Run“ aus unserem Buch Social Contagion and Other Material on Microbiological Class War in China (erscheint im Oktober 2020 bei Charles H. Kerr) erwähnt.

3Diaosi (wörtlich „Penishaar“) bedeutet so viel wie „Verlierer“. Um 2012 wurde der Begriff von jungen Angestellten (young white-collar ) übernommen, die frustriert darüber waren, dass sie die Ziele, die die Gesellschaft ihnen gesetzt hatte, nicht erreichen konnten – ähnlich wie in jüngster Zeit „flach liegen“ (tangping) von jungen Arbeitern übernommen wurde, die über ihre Erfahrung der „Rückentwicklung“ (neijuan) frustriert waren. Siehe „’’Diaosi’: Understanding China’s Generation X“ und „China’s underdog youth find success in ‘diaosi’ – or ‘loser’ – identity.“.

4A.d.Ü., so wie citizens (Staatsbürger) sind Netizens Bürger des Internets.

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Die Freie Arbeiter Stimme: über jüdische Anarchisten und Anarchistinnen https://panopticon.blackblogs.org/2020/08/12/die-freie-arbeiter-stimme-ueber-juedische-anarchisten-und-anarchistinnen/ Tue, 11 Aug 2020 23:26:46 +0000 http://panopticon.blogsport.eu/?p=1387 Continue reading ]]> Die Freie Arbeiter Stimme: über jüdische Anarchisten und Anarchistinnen

Hier wieder einmal ein Video, was wir schon lange nicht mehr gepostet haben, zur anarchistischen Geschichte. Und nähmlich über jüdische Einwander*innen in den USA die eine anarchistische Zeitung veröffentlichten. Dieser Film ist aus dem Jahr 1980 und wird vom anarchistischen Historiker Paul Avrich geschildert, erzählt wird sie meisten von den Älteren der Zeitung die zur der Zeit komplett ungebrochen wohl noch waren. Es ist die Geschichte jüdischer Arbeiter*innen und Migrant*innen im 19. und 20. Jahrhundert, über die Gründe was sie zusammenbrachte, ihre Klassenkämpfe, ihre rießigen Differenzen mit Kommunist*innen, ihre Verhalten gegenüber Gewalt, jiddischer Kultur und eine unglaubliche Zuneigung untereinander.Die Freie Arbeiter Stimme wurde auf Jiddisch veröffentlicht und ist daher, soweit bekannt, auch die die am längsten existiert hat, die auf dieser Sprache veröffentlicht worden ist, sowie darüber hinaus, auch eine der am längsten existierenden anarchistischen Zeitungen.

Die Teilnahme, oder eher der Einfluss, von Jüdi*innen in der anarchistischen Bewegung ist bis heutzutage eine marginalisierte Erzählung die noch geschrieben werden muss. Die meisten Menschen wissen darüber sehr wenig, sogar diejenigen die sich selber als Anarchist*innen bezeichnen.

Nicht nur in den USA gab es eine große Anzahl an jüdischer Anarchist*innen, mit den entsprechenden Organisationen und Publikationen, sondern auch in Argentinien, sowie, was aber eher in diesen beiden Ländern bekannt ist, von italienischen Anarchist*innen. Wie der ähnliche Beispiel von L´Adunata dei Refrattari, welche eine auf Italenisch veröffentlichte individual-anarchistische Zeitung war, die von 1923 bis 1971 erschien. Die Geschichte des Anarchismus ist so reich, unfassbar reich, an Ereignissen, Projekten und Kämpfen und es ist wirklich jammerschade, dass viele dieser in Vergessenheit geraten sind. Es ist daher nicht verwunderlich dass viele Anarchist*innen ihre Wurzeln in der radikalen Linken des Kapitals suchen, anstatt sich mit dieser Geschichte auseinanderzusetzen die vor uns war.

Die Zeitung Freie Arbeiter Stimme erschien ab 1890 und ist bis 1977 veröffentlicht worden. In ihr beteiligten sich auch Anarchist*innen die in der Machnowschtschina gekämpft hatten. Autoren waren unter anderem David Edelstadt, Abba Gordin, Rudolf Rocker, Moishe Shtarkman und Saul Yanovsky.

Diese Doku ist auf Englisch und hat leider keine Untertitel, also tut euch mit Menschen zusammen die dieser Sprache mächtig sind, lasst sich euch übersetzen, oder stellt selber Untertitel her. Viel Spaß beim schauen.

 

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Das Narrenschiff, von Ted Kaczynski https://panopticon.blackblogs.org/2020/05/13/das-narrenschiff-von-ted-kaczynski/ Wed, 13 May 2020 15:02:38 +0000 http://panopticon.blogsport.eu/?p=1056 Continue reading ]]> Ein paar Bemerkungen zu diesem Text, von der Soligruppe für Gefangene. Dieser Text erschien 1999 auf Englisch unter dem Titel Ship of Fools. Die deutsche Übersetzung erschien im Mai 2013 auf der anarchistischen Publikation Alles Geht Weiter, Zweiter Teil.

Dieser Text von Ted Kaczynski erscheint uns mal wieder sehr zutreffend, als eine ironische Hommage unserer Zeit. Nicht das es vor 21 Jahren viel anders gewesen wäre, zumindest nicht für die meisten Menschen der Welt, also alle die nicht in der Metropole leben, aber es trifft den Kern einer sich immer wiederholenden Situation. Den (wenn man es so nennen will) dialektischen Moment, oder wie Bonanno es sagen würde – die Spannung – , zwischen Theorie und Praxis. Darausfolgend auch zwischen Subjekt und Objekt, zwischen Realität und Idealismus, Entfremdung und Befreiung, etc.Ein Beispiel der Reibung zwischen dem was ich will, wie ich es will und wie ich es erreiche. Eine historische und sich immer wiederholende Frage. In der jetzigen Zeit offenbaren sich, zumindest in der Metropole – und wir sind noch am Anfang – schon viele dieser dialektischen Momente, oder Spannungen, als fatal. Sie offenbare dass sie auf Sand gebaut waren, wie ein Kartenhaus, der nur zusammenbrechen kann. Deswegen mögen wir diese Kurzgeschichte so sehr.

Zu Ted Kaczynski wollen wir nichts sagen, wir denken dass es selber schon alles gesagt was seine Person betrifft. Es ist auch keine Frage der Positionierung.

Viel Spaß beim Lesen und beim Schauen des Filmes

 

Das Narrenschiff

Es war ein Mal vor langer Zeit, da wurden ein Kapitän und seine Bootsbesatzung ihr Leben als Seemänner so satt, sie wurden so anmassend und so von sich selbst beeindruckt, dass sie verrückt wurden. Sie lenkten das Schiff nordwärts und segelten, bis sie auf Eisberge und gefährliche Eisschollen trafen und sie segelten weiter Richtung Norden in immer gefährlichere Gewässer, und das nur, damit sie Gelegenheit erhielten, immer brillantere Seemanns-Kunststücke zu vollführen.

Als das Schiff höhere und höhere Breitengrade erreichte, wurde es den Passagieren und der Besatzung immer unangenehmer. Sie begannen, sich untereinander zu streiten und sich über die Verhältnisse, in denen sie lebten, zu beschweren.
«Soll mich der Teufel holen», sagte ein fähiger Seemann, «sollte dies nicht die schlimmste Reise sein, auf der ich jemals war. Das Deck ist rutschig vor lauter Eis; wenn ich auf dem Ausguck bin, schneidet der Wind durch meine Jacke wie ein Messer; jedes Mal, wenn ich das Focksegel reffe, laufe ich Gefahr, mir die Finger ab zu frieren; und alles, was ich dafür kriege, sind erbärmliche fünf Schilling im Monat!»
«Und Sie glauben, Sie haben’s schlecht!», sagte eine Passagierin. «Ich kann nachts vor Kälte nicht schlafen. Frauen bekommen auf diesem Schiff nicht so viele Decken wie Männer. Das ist nicht fair!»

Ein mexikanischer Matrose ergriff das Wort: «¡Chingado! Ich bekomme nur die Hälfte des Lohns eines weissen Seemanns. Wir brauchen eine Menge an Essen, um uns warm zu halten in diesem Klima und ich bekomme meinen Anteil nicht; die Weissen bekommen mehr. Und das Schlimmste ist, dass die Steuermänner mir Befehle immer auf englisch erteilen statt auf spanisch.»
«Ich habe mehr Gründe als irgendjemand, mich zu beschweren», sagte ein amerikanisch-indianischer Matrose. «Hätten die Bleichgesichter mich nicht der Länder meiner Ahnen beraubt, wäre ich nicht einmal auf diesem Schiff, hier inmitten von Eisbergen und arktischen Winden. Ich würde auf einem netten, gemütlichen See in einem Kanu paddeln. Ich verdiene Entschädigung. Zumindest sollte der Kapitän mich Craps machen lassen, damit ich etwas Geld verdienen kann.»

Der Bootsmann sprach lauter: «Gestern nannte mich der erste Offizier ‹Schwuchtel›, nur weil ich Schwänze lutsche. Ich habe das Recht, Schwänze zu lutschen, ohne dafür beschimpft zu werden!»
«Es sind nicht nur die Menschen, die auf diesem Schiff misshandelt werden», unterbrach eine Tierliebhaberin unter den Passagieren, ihre Stimme bebend vor Empörung. «Denn letzte Woche sah ich den zweiten Offizier, wie er den Schiffshund zwei Mal mit dem Fuss trat!»
Einer der Passagieren war ein Universitätsprofessor. Seine Hände wringend erklärte er: «Dies alles ist entsetzlich! Es ist unmoralisch! Es ist Rassismus, Sexismus, Speziesismus, Homophobie und Ausbeutung der Arbeiterklasse! Es ist Diskriminierung! Wir brauchen soziale Gerechtigkeit: gleicher Lohn für die mexikanischen Matrosen, höhere Löhne für alle Matrosen, Kompensation für den Indianer, gleich viele Decken für die Damen, das garantierte Recht, Schwänze zu lutschen und keine Tritte mehr für den Hund!»
«Ja, ja!», jubelten die Passagiere. «Aye-aye!», jubelte die Besatzung. «Das ist Diskriminierung! Wir müssen unsere Rechte einfordern!»

Der Schiffsjunge räusperte sich.
«Ähm. Ihr alle habt gute Gründe, euch zu beschweren. Doch mir scheint es so, als müssten wir dringend dafür sorgen, dass das Schiff abdreht und wieder nach Süden fährt, denn wenn wir weiter nordwärts fahren, werden wir früher oder später sicher zerschellen und dann werden euch eure Löhne, eure Decken und euer Recht, Schwänze zu lutschen nichts mehr bringen, denn dann werden wir alle ertrinken.»

Doch niemand beachtete ihn, denn er war nur der Schiffsjunge.

Der Kapitän und die Steuermänner hatten von ihrer Stellung auf dem Puppdeck zugesehen und gelauscht.

Jetzt lächelten sie und blinzelten einander zu und auf eine Handbewegung des Kapitäns hin, kam der dritte Offizier vom Puppdeck herunter, schlenderte dorthin, wo die Passagiere und die Besatzung sich versammelt hatten und setzte sich in ihre Mitte ab. Er setzte eine sehr ernste Miene auf und so sagte er: «Wir Offiziere müssen uns eingestehen, dass ein paar unverzeihliche Dinge auf diesem Schiff passiert sind. Wir haben nicht realisiert, wie schlimm die Lage ist, bis wir eure Beschwerden vernahmen. Wir sind Männer mit einem guten Willen und wollen euch Recht tun. Doch – na ja – der Kapitän ist eher konservativ und in seinem Vorgehen schon gesetzt. Er muss vielleicht ein wenig angestupst werden, bevor er irgendeinen beträchtlichen Wandel erbringen wird. Meine persönliche Meinung ist, dass ihr, wenn ihr energisch protestiert – aber immer friedlich und ohne irgendeine Regel des Schiffs zu brechen – den Kapitän aus seiner Trägheit aufrütteln und ihn so dazu zwingen könntet, eure Probleme anzugehen, über die ihr euch mit Recht so beschwert.»

Nachdem er dies gesagt hatte, ging der dritte Offizier wieder Richtung Puppdeck. Als er ging, riefen die Passagiere und die Besatzung ihm hinterher, «Gemässigter! Reformist! Liberales Arschloch! Captain’s Liebling!» Doch nichtsdestotrotz taten sie, was er gesagt hatte. Sie versammelten sich in einer Masse vor dem Puppdeck, riefen den Offizieren Beleidigungen zu und forderten ihre Rechte: «Ich will höheren Lohn und bessere Arbeitsbedingungen!», schrie der fähige Seemann. «Gleich viele Decken für Frauen!», schrie die Passagierin. «Ich will meine Befehle auf spanisch erhalten!», schrie der mexikanische Matrose. «Ich will das Recht, Craps zu machen!», schrie der indianische Matrose. «Ich will nicht Schwuchtel genannt werden!», schrie der Bootsmann. «Keine Tritte mehr für den Hund!», schrie die Tierliebhaberin. «Revolution jetzt!», schrie der Professor.

Der Kapitän und die Steuermänner steckten die Köpfe zusammen und berieten sich für mehrere Minuten, einander stets anblinzelnd, zunickend und anlächelnd. Dann trat der Kapitän an die Front des Puppdecks und gab mit gross gezeigter Gutmütigkeit bekannt, dass der Lohn des fähigen Seemanns auf sechs Schilling im Monat erhöht werde, dass der Lohn des mexikanischen Matrosen auf zwei Drittel des Lohns weisser Matrosen erhöht werde und dass der Befehl, das Focksegel zu raffen, auf spanisch erteilt werde, dass Passagierinnen eine zusätzliche Decke erhielten, dass der indianische Matrose Erlaubnis erhalte, an Samstagabenden Craps zu machen, dass der Bootsmann nicht mehr Schwuchtel genannt werde, so lange er sein Schwanzlutschen strikt privat hielte und dass der Hund nicht mehr getreten werde, ausser wenn er etwas sehr ungezogenes tue, wie beispielsweise Essen aus der Kombüse stehlen.

Die Passagiere und die Besatzung feierten diese Zugeständnisse als grossen Sieg, doch am nächsten Morgen fühlten sie sich wieder unzufrieden.
«Sechs Schilling im Monat ist ein Hungerlohn und ich friere mir immer noch die Finger ab, wenn ich das Focksegel reffe.», brummte der fähige Seemann. «Ich kriege immer noch nicht den selben Lohn, wie die Weissen oder genug zu essen für dieses Klima.», sagte der mexikanische Matrose. «Wir Frauen haben immer noch nicht genug Decken, um uns warm zu halten.», sagte die Passagierin. Die anderen Besatzungsmitglieder und Passagiere brachten ähnliche Beschwerden zum Ausdruck und der Professor trieb sie dabei an.

Als sie fertig waren, sprach der Bootsjunge lauter – noch lauter dieses Mal, damit die anderen ihn nicht so einfach ignorieren konnten: «Es ist wirklich fürchterlich, dass der Hund dafür getreten wird, ein Stück Brot aus der Kombüse zu stehlen, und dass Frauen nicht gleich viele Decken haben, und dass der fähige Seemann seine Finger abfriert und ich sehe keinen Grund, warum der Bootsmann nicht Schwänze lutschen soll, wenn er das möchte. Doch seht wie dick die Eisberge jetzt schon sind und wie der Wind stärker und stärker bläst! Wir müssen dieses Schiff wieder nach Süden abdrehen, denn wenn wir weiter nordwärts fahren, werden wir zerschellen und ertrinken.»
«Oh ja», sagte der Bootsmann, «es ist einfach grauenhaft, dass wir immer weiter nach Norden segeln. Doch wieso sollte ich weiterhin im Kleiderschrank Schwänze lutschen? Wieso sollte ich Schwuchtel genannt werden? Bin ich nicht genau so gut wie alle anderen auch?»
«Nach Norden segeln ist schrecklich.», sagte die Passagierin. «Doch verstehst du nicht, das ist genau weshalb Frauen mehr Decken brauchen, um sich warm zu halten. Ich fordere gleich viele Decken für Frauen und zwar jetzt!»
«Es ist durchaus wahr», sagte der Professor, «dass Nordwärtssegeln uns harte Umstände auferlegt. Doch den Kurs nach Süden zu ändern, wäre unrealistisch. Mensch kann die Uhr nicht zurückdrehen. Wir müssen eine reife Art finden, mit der Situation umzugehen.»
«Seht», sagte der Bootsjunge, «wenn wir diesen vier Verrückten auf dem Puppdeck ihren Willen lassen, werden wir alle ertrinken. Falls wir das Schiff je ausser Gefahr bringen, können wir uns um Arbeitsverhältnisse, Decken für Frauen und das Recht, Schwänze zu lutschen, sorgen. Doch zuerst müssen wir dieses Schiff zum Umkehren bringen. Wenn ein paar von uns sich verbünden würden, einen Plan schmieden würden und etwas Mut zeigten, könnten wir uns retten. Es würde nicht viele von uns dazu brauchen – sechs oder acht wären genug. Wir könnten das Puppdeck einnehmen, diese Verrückten über Bord werfen und das Schiff nach Süden wenden.»

Der Professor hob seine Nase und sagte streng: «Ich glaube nicht an Gewalt. Sie ist unmoralisch.»
«Es ist unrecht, jemals Gewalt zu benutzen.», sagte der Bootsmann.
«Mir graut vor Gewalt.», sagte die Passagierin.

Der Kapitän und die Steuermänner hatten die ganze Zeit zugesehen und gelauscht. Auf ein Signal des Kapitäns, trat der dritte Offizier auf das Hauptdeck herunter. Er ging unter die Passagiere und die Besatzung und erzählte ihnen, dass es immer noch viele Probleme auf dem Schiff gebe. «Wir haben viele Fortschritte gemacht», sagte er, «doch es gibt immer noch viel zu tun. Die Arbeitsverhältnisse für den fähigen Seemann sind immer noch hart, der Mexikaner bekommt immer noch nicht den selben Lohn wie die Weissen, die Frauen haben immer noch nicht so viele Decken wie die Männer, die samstagabendlichen Craps-Spiele vom Indianer sind eine dürftige Kompensation für sein geraubtes Land, es ist unfair für den Bootsmann, dass er sein Schwanzlutschen auf den Kleiderschrank beschränken muss und der Hund wird manchmal immer noch getreten. Ich denke, der Kapitän muss noch einmal angestupst werden. Es wäre hilfreich, wenn ihr alle noch einmal protestieren würdet – so lange der Protest friedlich bleibt.»
Als der dritte Offizier wieder zurück auf den Steven lief, riefen die Passagiere und die Besatzung ihm Flüche nach, doch sie taten nichtsdestotrotz, was er ihnen gesagt hatte und versammelten sich vor dem Puppdeck für einen weiteren Protest. Sie schimpften und schwärmten und schwangen ihre Fäuste, und sie warfen sogar ein faules Ei nach dem Kapitän (welchem er gekonnt auswich).

Nachdem sie ihre Beschwerden gehört hatten, steckten der Kapitän und die Steuermänner ihre Köpfe für eine Besprechung zusammen, während welcher sie einander zuzwinkerten und breit angrinsten. Dann trat der Kapitän an die Front des Puppdecks und verkündete, dass der fähige Seemann Handschuhe bekommen solle, damit seine Finger warm blieben, dass der Mexikaner einen Lohn erhielte, der Drei-Vierteln des Lohns eines weissen Matrosen entspreche, dass die Frauen noch eine weitere Decke erhielten, dass der indianische Matrose Craps am Samstag- und am Sonntagabend machen könne, dass der Bootsmann Erlaubnis erhielte, nach Einfall der Dunkelheit öffentlich Schwänze zu lutschen und dass niemand den Hund treten könne ohne besondere Erlaubnis des Kapitäns.

Die Passagiere und die Besatzung waren verzückt über diesen grossen revolutionären Sieg, doch am nächsten Morgen fühlten sie sich wieder unzufrieden und begannen über die selbe alte Mühsal zu brummen.

Der Bootsjunge wurde dieses Mal wütend.
«Ihr verdammten Narren!», schrie er. «Seht ihr nicht, was der Kapitän und die Steuermänner tun? Sie halten euch beschäftigt mit euren trivialen Klagen über Decken und Löhne und dass der Hund getreten wird, damit ihr euch keine Gedanken darüber macht, was wirklich falsch läuft auf diesem Schiff – dass es weiter und weiter nach Norden gerät und wir alle ertrinken werden. Wenn nur wenige von euch zu Sinnen kommen würden, sich zusammenreissen würden und das Puppdeck angriffen, könnten wir dieses Schiff umkehren und uns retten. Doch alles, was ihr macht, ist über belanglose kleine Probleme wie Arbeitsbedingungen und Craps und das Recht, Schwänze zu lutschen, zu jammern.

Die Passagiere und die Besatzung waren erzürnt.
«Belanglos?!», schrie der Mexikaner. «Finden Sie es vernünftig, dass ich nur drei Viertel des Lohns eines weissen Matrosen bekomme? Ist das belanglos?»
«Wie können Sie meinen Missstand trivial nennen?», schrie der Bootsmann. «Wissen Sie denn nicht, wie erniedrigend es ist, Schwuchtel genannt zu werden?»
«Den Hund zu treten ist nicht ein ‹belangloses kleines Problem›!», schrie die Tierliebhaberin. «Das ist herzlos, grausam und brutal!»
«In Ordnung», antwortete der Bootsjunge. «Diese Probleme sind nicht belanglos und trivial. Den Hund zu treten ist grausam und brutal und es ist erniedrigend, Schwuchtel genannt zu werden. Doch im Vergleich zu unserem wahren Problem – im Vergleich zur Tatsache, dass dieses Schiff immer noch nordwärts fährt – sind eure Klagen belanglos und trivial, denn wenn wir dieses Schiff nicht bald zur Umkehr bringen, werden wir alle ertrinken.»
«Faschist!», sagte der Professor.
«Reaktionär!», sagte die Passagierin. Und alle der Passagiere stimmten ein, einer nach dem anderen nannten sie ihn einen Faschisten oder Reaktionären. Sie stiessen ihn weg und kehrten dazu zurück, über ihre Löhne und über Decken für Frauen und über das Recht, Schwänze zu lutschen und wie der Hund behandelt wurde, zu brummen. Das Schiff indes segelte weiter nach Norden und nach einer Weile wurde es zwischen zwei Eisbergen zermalmt und alle ertranken.

Video (Englisch):

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Die Rote Zora (Film aus dem Jahr 2000) https://panopticon.blackblogs.org/2019/05/15/die-rote-zora-film-aus-dem-jahr-2000/ Wed, 15 May 2019 08:41:36 +0000 http://panopticon.blogsport.eu/?p=541 Continue reading ]]> Kürzlich erschien der Film „Frauen bildet Banden. Eine Spurensuche zur Geschichte der Roten Zora“. Einige von uns haben sich den Film angeschaut und wir haben auch unterschiedliche Meinungen zu diesem. Ob positiv, oder negativ, schön ist es allerdings das Menschen, in diesem Falle Frauen, die Geschichte der Roten Zora filmisch aus der Vergessenheit und Vergangenheit ausgegraben haben.

Für Menschen die noch nie was von der Roten Zora gehört haben, bzw., sich noch nie mit diesen auseinandergesetzt haben, wird dieser Film ihnen sehr viel bringen und ein guter Einstieg in diese Thematik sein. Denn es darf nicht vergessen werden, die Roten Zora waren eine einzigartige Gruppe, denn es war dass erste mal dass Frauen gemeinsam eine spezifische militante Frauengruppe ins Leben riefen und handelten. So eine Erfahrung ist unser Wissen nach, verbunden mit einer militanten Praxis, einzigartig in der Geschichte. Aber wir lassen uns gerne des besseren belehren, wenn wir falsch liegen.

Im Jahr 2000 wurde auch ein kurzer Film über die Roten Zora gedreht, den wir auch als sehr gut halten, der nochmal mit einer anderen Sprache die Geschehnisse erklärt. Auch weil der Teil über die Repression gegen die Rote Zora mehr Platz einimmt, als im Film der dieses Jahr erschienen ist.

Es ist wichtig zu verstehen, dass all diese Filme, vor allem subjektive Meinungen darstellen. Was nicht schlecht oder falsch wäre, sondern nur dass eben. Sollten wir jemals uns einig werden und uns in der politischen Filmkritik üben, werden wir dann, über diese Filme und darüber hinaus, unsere Meinung geben. Bis dahin:

Viel Spaß mit diesem Film!

Bildet (Affinitäts-)Banden!

Mehr Infos (Texte, Erklärungen, Debatten, Chronologie, Aktionen, etcetera) zu der Roten Zora und der Revolutionären Zellen auf:
www.freilassung.de

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Ohne Stillstand https://panopticon.blackblogs.org/2018/06/28/ohne-stillstand/ Thu, 28 Jun 2018 01:16:09 +0000 http://panopticon.blogsport.eu/?p=245 Continue reading ]]> Kann die Dialektik Ketten brechen?

Seit langem wünschen wir uns diesen Klassiker des revolutionären Kinos vom Jahre 1972 zu präsentieren. Da an diesem Wochenende viele sogenannte Anarchist*innen und Revolutionäre sich einen anderen Kino des Lebens, nämlich dem kapitalitischen Spektakel, namens Fusion, widmen werden, wäre es unangebracht die Waffen der Kritik im Elend des Alltags schweigen zu lassen. Es ist noch ein langer Weg bis zur allgemeinen Selbstverwaltung und zur Realisierung der menschlichen Gemeinschaft ohne Ausbeutung und Herrschaft des Menschen durch den Menschen.

Dieser Film, auf französisch La dialectique peut-elle casser des briques?, ist ein Film aus dem Umfeld und der Bewegung der SituationistInnen. Hauptfigur für dessen Realisierung war René Viénet, der auch das Buch Enragés et situationnistes dans le mouvement des occupations (Wütende und Situationisten in der Bewegung der Besetzungen), herausbrachte.

Dieser Film folgt das Konzept des „Detournemont“, welches aus den politischen und künstlerrischen Möglichkeiten enstand, um Dinge (Waren) die durch den Kapitalismus oder das herrschende hegemonische politische System erschaffen wurde, um diese aus ihren ursprünglichen Sinn und Gebrauch zu verzerren und daraus eine kritische Wirkung zu verursachen. In diesem Falle ging es darum einen Film, der als Ware sich konsolidiert hatte, in eine radikale Kritik der herrschenden Kultur und einer Waffe revolutionärer Subversion umzuwandeln.

Im ursprünglichen Film kämpfen KoreanerInnen mit ihren Kampfkünste gegen japanische UnterdrückerInnen. Durch das modifizierte Drehbruch (détourné), gibt die Geschichte eine Gruppe von Proleten wieder, die mit einer Gruppe von korrupten und gewaltätigen BürokratInnen, mit Hilfe der Dialektik und der radikalen Subjektivität, ein Ende setzen wollen. Dieser historische Konflikt, der fälschlischerweise von der radikalen Linken des Kapitalismus als ein Phänomen welches nur in industriellen und westlichen Ländern getragen wurde, verteidigt, bezieht sich auf jenen der innerhalb des sogenannten Staatskapitalismus stattfand. Damit sind ebene jene Länder gemeint, die das Paradies der ArbeiterInnenklasse werden sollten und sich logischerweise nur als ein weiterer Joch gegen diese sich beziehen. Eben dieser Staatskapitalismus, wo jede Kritik heutzutage, immer noch als Antikommunistisch bezeichnet wird und damit jede Kritik an den Leninismus und Stalinismus torpediert und verhindert wird. Dies lassen wir nicht zu.

Der Film sollte im damaligen Zeitgeist gesehen und verstanden werden. Auch wenn es immer noch viele Parallelen für das Jetzt gibt. Das heißt, das alle Dialoge, die ständig sich auf verschiedene Revolutionäre beziehen – wie Marx, Bakunin, Wilhelm Reich – eine unheimliche Kritik gegen die Kommunistische Partei in Frankreich waren. Sowie den Gewerkschaften und dem Maoismus die damals, und wieder heutzutage, En Vogue waren. So werden historische, und damals gegenwärtige Ereignisse dargestellt und thematisiert, wie z.B., die Pariser Kommune, die Mai Tage in Barcelona 1937, die französische Linke und die eigenen SitutionistInnen. In der Nebenhandlung, nicht aber als Nebenwiderspruch zu verstehen, tauchen genauso wichtige Fragen auf, wie die der Geschlechter, der Entfremdung und weiteren.

Fast so imposant wie die maoistischen Balletaufführungen, aber durchaus nicht so langweilig und pathetisch, wird dieser Film all denjenen empfohlen die sich den Ritualen, Traditionen und Dogmen einer radikalen Linken nicht untwerfen wollen und sich lieber auf die Seite jener AntagonistInnen und DissidentInnen schlagen, die die Kritik in eine Totalität/Gesamtheit stellen und nicht nur als eine verstümmelte Phrase. Die Kritik an die herrschenden Verhältnisse, in denen wir gezwungen sind zu leben, kann nur als eine Gesamheit aller Verhältnisse stattfinden. Dies nicht zu tun, bedeutet unwiederuflich diese weiterhin zu erneuern und am Leben zu erhalten. Der soziale Frieden des Kapitalismus wird nur durch den sozialen Krieg aller Ausgebeuteten und Ausgeschlossenen auf den Scheiterhaufen der Geschichte landen.

Damit die radikale Subjektivität eine praktische Kraft wird!

Kein Gott, weder Cäsar, noch Tribun!

Für die Anarchie!

Soligruppe für Gefangene

 

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Die Gesellschaft des Spektakels https://panopticon.blackblogs.org/2017/06/13/52/ https://panopticon.blackblogs.org/2017/06/13/52/#respond Tue, 13 Jun 2017 20:22:24 +0000 http://panopticon.blogsport.eu/?p=52 Continue reading ]]>
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Das ganze Leben der Gesellschaften, in welchen die modernen Produktionsbedingungen herrschen, erscheint als eine ungeheure Sammlung von Spektakeln. Alles was unmittelbar erlebt wurde, ist in eine Vorstellung entwichen. „Die Gesellschaft des Spektakels, Guy Debord“

 

Als Debord 1967 dieses Buch veröffentlichte konnte er nicht ahnen was dieser auslösen würde. 50 Jahre danach beziehen sich immer noch viele darauf und verstümmeln, rekuperieren, ideologisieren diesen und vor allem verstehen diese nicht. Entweder war dieses Buch die Synthese der Situationistischen Internationale, eine der widersprüchlichsten revolutionären Gruppen des 20ten Jahrhunderts, oder das Zenit eines Narzisten. Wie dem auch sei, dieses Werk spricht Bände über sich selbst und sollte nach wie vor gelesen werden um die Waffen der Kritik zu schärfen. Denn die Entfermdung durch die Bilder (Werbung, Internet, Filme, technologisierte Kommunikation) vorgetäuschte Erlebenisse die als Ware verstanden werden, haben seit den spät 60er nicht abgenommen, sondern nehmen jeden Tag mehr und mehr zu.

Beim Lesen dieses Buches muss man berücksichtigen, dass es wissentlich geschrieben wurde in der Absicht, der Gesellschaft des Spektakels zu schaden. „Guy Debord“

Zum lesen

 

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