21.12.2023
taz, Christian Rath
https://taz.de/Repressionen-gegen-Adbusting/!5977965/
Tagesspiegel, Anne-Sophie Schakat und Madlen Haarbach
nd.online, Nora Noll
Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), Marlene Grunert
netzpolitik.org, Markus Reuter
https://netzpolitik.org/2023/bundesverfassungsgericht-hausdurchsuchung-wegen-adbusting-war-ueberzogen-und-grundrechtswidrig/
Berliner Morgenpost, Hans Cord Hartmann
https://www.morgenpost.de/berlin/article240861910/Hausdurchsuchung-bei-Plakat-Aktivistin-war-unverhaeltnismaessig.html
Deutschlandfunk, Nachrichten um 12.30 Uhr
https://www.deutschlandfunk.de/wohnungsdurchsuchung-in-bestimmten-faellen-unverhaeltnismaessig-100.html
in den 12:30-Nachrichten: https://www.deutschlandfunk.de/nachrichten-dlf-de23b65c-100.html
Tagesschau.de
https://www.tagesschau.de/inland/regional/berlin/rbb-bundesverfassungsgericht-wohnungsdurchsuchung-wegen-adbusting-verdachts-ist-unangemessen-100.html
Legal Tribute Online
https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/bverfg-az2bvr174920-unverletzlichkeitderwohnung-grundrechte-adbusting-durchsuchung-wohnung/
dpa/ AFP, div. Medien mit copy&paste
https://www.bz-berlin.de/berlin/urteil-verfassungsgericht-wohnungs-durchsuchung-war-unzulaessig
https://www.zeit.de/news/2023-12/21/durchsuchung-wegen-satire-aktion-gegen-bundeswehr-unzulaessig
]]>Großer Erfolg für politische Plakatkünstler*innen: Wer Bundeswehrwerbung öffentlich umgestaltet, darf deswegen noch lange keine Hausdurchsuchung kassieren, so beschloss heute das Bundesverfassungsgericht (Aktenzeichen 2 BvR 1749/20). Das Gericht erklärte die vom LKA Berlin 2019 wegen antimilitaristisch verbesserter Bundeswehrwerbung durchgeführten Hausdurchsuchungen für illegal. Die Berliner Polizei begründete die Hausdurchsuchungen bei Adbusting-Aktivist*in Frida Henkel und ihrer Freundin damit, dass die Bundeswehr durch politisch veränderte Werbung (Adbusting) “gar lächerlich” gemacht werde. Dieses Vorgehen enstpreche “nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit”, so das Bundesverfassungsgericht: “Die Anordnung der Durchsuchung war unangemessen, da die Schwere des Eingriffs außer Verhältnis zu dem mit ihm verfolgten Zweck steht”. Das Urteil wurde auf der Seite des BVerfG veröffentlicht.
Kritik an Bundeswehr bleibt dringend
Adbuster*innen können sich über diese Entscheidung freuen, denn überzogene Repressionen bei Staatskritik stellten keine Seltenheit dar. „Dass Karlsruhe überhaupt darüber entscheiden musste, ob man wegen bundeswehrkritischen Postern Hausdurchsuchungen machen darf, ist ein Skandal! Das zeigt bereits, dass Kritik an Polizei und Bundeswehr dringend nötig ist!“ sagt Frida.
Soligruppe spricht von „Klatsche“
Die Lage von Adbuster*innen hatte sich bereits vor der heutigen Entscheidung des Verfassungsgerichts bedeutend verbessert. „Mit rotzfrecher Öffentlichkeitsarbeit machten Adbuster*innen auf die Behörden so viel Druck, dass die Staatsanwaltschaft in den letzten Jahren ein Adbusting-Verfahren nach dem anderen einstellte und sogar eine Straffreiheitseit feststellte, wenn man eigene Poster in Werbevitrinen aufhängt“, so Klaus Poster von der Soligruppe plakativ, die die juristische Auseinandersetzung von Anfang an begleitet hat. Ihn freue die Signalwirkung, die „diese Klatsche in den Repressionsbehörden auslösen wird.“ Schließlich komme es selten vor, dass derart eindeutig über die Unverhältnismäßigkeit polizeilichen Handelns gerichtet werde.
Solidarität auf Poster
Die Berliner Adbusting-Szene solidarisiert sich mit Frida: „Sowas von Feierabend für die Cops. Schluss mit Hausdurchsuchungen wegen Adbusting!“, heißt es auf einem umgebastelten Bier-Werbeposter, das Aktivist*innen heute in eine Bushaltestelle in der Innenstadt hängten.
Eine Dokumentation über die Vorgeschichte dieses Urteils findet sich bei der Soligruppe plakativ und im Buch „Mega Unerhört: Adbusting mit Polizei und Militär“ des Berlin Busters Social Club.
Für Fragen steht am Donnerstag, 21.12. von 9-12h Prof. Dr. El-Ghazi bereit:
Univ.-Prof. Dr. Mohamad El-Ghazi
Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht
Direktor des Trierer Instituts für Geldwäsche- und Korruptionsstrafrecht (TrIGeKo)
FB V – Rechtswissenschaft
Universität Trier
54296 Trier
Telefon: +49651-201-2592
Email: [email protected]
Frida Henkel, Betroffene und Klägerin: 017657869876
Klaus Poster, Soligruppe plakativ: [email protected]
Mehr Infos:
https://plakativ.blackblogs.org
Frida im Fernsehen:
https://www.youtube.com/watch?v=r5iWCHkyxm8
Prof. Dr. Fischer-Lescano erklärt das mit dem Adbusting:
https://verfassungsblog.de/adbusting-unbequem-aber-grundrechtlich-geschuetzt/
Adbusting-Buch „Mega unerhört: Adbusting mit Polizei und Militär“ kaufen:
https://black-mosquito.org/de/mega-unerhort-adbustings-mit-polizei-und-militar.html
Outdoor-Ausstellung in Karlsruhe zu kriminalisierten Adbusting von dies irae:
https://www.facebook.com/media/set/?set=a.1486216304896837&type=3
Die damalige Aktion der „Interventionistischen Linken“ kritisierte den Geheimdienst „Verfassungsschutz“, weil dieser die Aufklärung der Morde und Bombenattentate sabotierte und anschließend die Akten schredderte. „Sachliche Kritik am Geheimdienst reicht offenbar für eine Erwähnung im Terrorzentrum“ fasst Klaus Poster, Sprecher*in der Soligruppe plakativ die Kleine Anfrage zusammen. Die ganze Antwort der Bundesregierung finden Sie hier (Drucksache 20/2264).
Nicht strafbar- trotzdem Terrorzentrum?
Denn strafbar sind diese Aktionen nicht. Anlässlich anderer Adbusting-Aktionen sammelte die Soligruppe plakativ Entscheidungen von Staatsanwaltschaften. Das Ergebnis aus Berlin, Hamburg, Erlangen, München, Stuttgart: Das Hineinhängen eigener Plakate in Werbevitrinen im öffentlichen Raum ist nicht strafbar, wenn dabei nichts beschädigt oder gestohlen wird. „Aus genau diesem Grund scheiterte 2019 in Berlin der
allererste Adbusting-Gerichtsprozess in der Historie der Bundesrepublik nach der Wiedervereinigung“ erklärt Klaus Poster, Sprecher*in der Soligruppe plakativ. „Und wie die Bilder der Aktion zeigen, ist die IL genauso vorgegangen.“
https://10jahredanach.noblogs.org/
https://twitter.com/iL_Hamburg/status/1456183966571106310/photo/4
Terrorzentrum guckt regelmäßig Adbustings
Laut vorherigen Kleinen Anfragen waren bereits 2018/19 unter dem damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) vier Adbusting-Aktionen Thema im Terrorzentrum GETZ. Die Bundesregierung weigerte sich damals, mitzuteilen, um welche vier Aktionen es sich
handele. Denn diese Information würden angeblich die Sicherheit der Bundesrepublik bedrohen. Wenige Wochen später machte der Berliner Innensenat drei der Aktionen bekannt. Eine davon kritisierte die Geheimdienste ebenfalls wegen ihrer Rolle im NSU-Skandal. „Wenigstens
gibt die Bundesregierung diesmal zu, dass die Geheimen Kritik stört und erfindet nicht wieder irgendeinen Bullshit“ sagt Klaus Poster, Sprecher*in der Soligruppe plakativ.
Terrorzentrum verfolgt Peng-Kollektiv
Auch 2021 stand das Terrorzentrum GETZ in der Kritik, weil eine parlamentarische Anfrage des Berliner Abgeordneten Niklas Schrader zeigte, dass das Terrorzentrum die Kleinkunstgruppe „Peng-Kollektiv“
beobachtete. Grund dafür war eine Website, welche die Standorte von Kolonialismus und Rassismus verherrlichenden Schandmalen zeigte. Durch das Label „Terror“ enthemmt, führte der Berliner Staatsschutz bei
Adbuster*innen und beim Kleinkunstkollektiv „Peng“ Hausdurchsuchungen und DNA-Analysen durch. Gestoppt wurde die Polizei erst durch die Empörung von Öffentlichkeit, Medien und Abgeordneten.
https://pen.gg/2021/offener-brief-der-vielen-an-den-berliner-senat/
Das Terrorzentrum GETZ wurde nach der Selbstenttarnung des NSU gegründet. Das Terrorabwehrzentrum GETZ sollte Geheimdienste und Polizei besser vernetzen und außerdem institutionellem Rassismus vorbeugen. „Wie der Rassismus verschwinden soll, weil mensch autoritäre Charaktere von
42 Behörden gemeinsam alle zwei Wochen in einem Raum sperrt, ist mir schleierhaft“ kommentiert dies Klaus Poster. „Kein Wunder, dass die sich da jetzt lieber über Kritik von links ärgern, statt Nazi-Terror zu verhindern.“
Kunstausstellung mit Adbustings
Wer jetzt auch mal Adbustings sehen möchte, muss dafür nicht ins Terrorzentrum GETZ. In Berlin eröffnete am Freitag, den 17. Juni 2022 „Werbepause: The Art of Subvertising“. Die Ausstellung im Künstler*innenhaus Kreuzberg zeigt Adbustings aus ganz Europa von über
50 Künstler*innen. Mit dabei: Adbustings, die den Geheimdienst kritisieren und 2019/20 Thema im Terrorzentrum GETZ waren und weitere Kunstwerke, wegen denen die Behörden DNA-Analysen und Hausdurchsuchungen
veranstaltete. Die vom Hauptstadt-Kulturfonds mit 75.000 Euro unterstützte Ausstellung ist noch bis zum 21.8.2022 zu sehen.
https://www.kunstraumkreuzberg.de/programm/werbepause-the-art-of-subvertising/
Das Interesse der Kunstwelt an Adbustings ist kein Einzelfall. In Hamburg zeigte das Museum für Kunst und Gewerbe bis vor Kurzem die Ausstellung „Poster und Papierkram. Ein Glossar des Sammelns“. Mit
dabei: Adbustings der Gruppe Dies Irae, wegen der es 2019 zu einem Gerichtsprozess kam. Und auch die NSU-Adbustings im Terrorzentrum waren 2021 bereits Teil der Ausstellung „Friendly Capitalism Lounge Vol. 17“ des Berlin Busters Social Club in der Berliner Galerie Neurotitan.
https://neurotitan.de/Galerie/Archiv/2021/20210327_neurotitan_2020.html
Mehr Infos:
Artikel auf netzpolitik.org zum letzten Mal, als Adbustings im GETZ
Thema waren:
https://netzpolitik.org/2020/mit-geheimdienst-polizei-und-terrorabwehrzentrum-gegen-ein-paar-veraenderte-plakate/
Wegen Adbustings gab es auch schon Hausdurchsuchungen. Eine
Jurastudentin klagt deswegen in Karlsruhe:
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/hausdurchsuchung-nach-adbusting-jurastudentin-verfassungsbeschwerde-strafbar-diebstahl-sachbeschdigung-urheberrechtsverletzung/
In Frankfurt/Main, Berlin, Köln, München und über 20 weiteren Städten waren sie bereits zu sehen: Vermeintliche Werbeplakate mit dem Gesicht des damaligen Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und einer Augenklappe über dem rechten Auge. Mit der groß angelegten Plakat-Aktion kritisierte das Adbusting-Kollektiv DIES IRAE die Politik des Ministers. Nachdem zahlreiche rechte Vorfälle in der Polizei bekannt wurden, weigerte sich Seehofer, untersuchen zu lassen, wie weit rechte Einstellungen in der Polizei verbreitet sind. Die Plakate kritisieren dies mit dem Text: „NEU NEU NEU: Augenklappe „Korpsgeist“. Die einfache Lösung gegen Rechtsextremismus! Der rechte Rand verschwindet sofort! 100% blickdicht! Undurchlässig für Aufklärung! Macht Studie zu rassistischer Polizei überflüssig!“
Anzeige gegen den üblichen Verdächtigen
Mit den Plakaten beschäftige sich nun der Staatsschutz, erklärt das Adbusting-Kollektiv DIES IRAE: „Wir wurden von Tobias kontaktiert. Er hat eine Vorladung der Polizei wegen Verunglimpfung der Regierung bekommen“. Tobias stand schon im Herbst 2019 vor Gericht. Der Staatsschutz des LKA Berlin warf ihm nach einer Hausdurchsuchung vor, Plakate der Gruppe DIES IRAE unerlaubt in Werbevitrinen aufgehängt zu haben. [Der Prozess endete mit einer Einstellung, da das Gericht keine Strafbarkeit erkennen konnte, wenn man eigene Plakate in Werbevitrinen hängt).
„Aber als Revanche-Foul hat die Polizei mich beim BKA in eine Datenbank eingetragen“, sagt Tobias. Trotz der Einstellung des Verfahrens stünde nun in der Datenbank, dass Tobias das Adbusting-Kollektiv DIES IRAE sei. „Ich bin also der übliche Verdächtige…“
Tobias erhielt die Vorladung bereits im August 2021 (Staatsanwaltschaft Wiesbaden Geschäftszeichen: 1848 UJs 57700/21). „Ich habe so lange mit der Veröffentlichung gewartet, weil ich nach dem anstrengendem Gerichtsverfahren und der traumatisierenden Hausdurchsuchung vor allem meine Ruhe haben wollte“, erklärt Tobias. Doch die Hausdurchsuchungen beim Peng-Kollektiv und dem Zentrum für Politische Schönheit in den letzten Wochen hätten ihm gezeigt, dass die Ermittlungen gegen ihn kein Einzelfall sind: „In diesem Land läuft was gehörig schief, wenn laufend gegen satirische und politische Kunst vorgegangen wird.“
Ansehen des Staates gefährdet?
Seda Başay-Yıldız, Rechtsanwältin aus Frankfurt/Main, erklärt: „Der §90b StGB sagt, dass mit mindestens drei Monaten Gefängnis bestraft wird, wer öffentlich durch Verbreiten eines Inhalts die Regierung oder eines ihrer Mitglieder in dieser Eigenschaft in einer das Ansehen des Staates gefährdenden Weise verunglimpft.“ Aus Absatz 2 gehe hervor, dass die Tat nur mit Ermächtigung des betroffenen Regierungsmitglieds verfolgt wird. „Hier wird das Strafgesetz für eine Strafverfolgung wegen satirischer Plakate missbraucht!“
Jörg Schindler, Bundesgeschäftsführer der Partei DIE LINKE, erklärt dazu: „Das Plakat ist keine Verunglimpfung von Verfassungsorganen, sondern berechtigte Kritik an Innenminister Seehofer, die durch die Meinungs- und Kunstfreiheit gedeckt ist. Die neue Innenministerin Nancy Faeser hat bei ihrer Vorstellung deutlich gemacht, dass sie es anders machen und den Kampf gegen rechts aufnehmen will. Nun soll sie sich für die Einstellung des Verfahrens einsetzen und damit zeigen, dass es ihr damit ernst ist. Wir sind solidarisch mit dem Adbusting-Kollektiv DIES IRAE. Wir brauchen gerade in diesen Zeiten mehr und nicht weniger engagierte politische Kunst. Politische Aktionskunst vom Verfassungsschutz und dem ,Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum‘ verfolgen zu lassen ist einer Demokratie eine dramatische Fehleinschätzung.“
Zur Strafverfolgung bezieht Klaus Staeck, Ehrenpräsident der Berliner Akademie der Künste, wie folgt Stellung: „Kritik von Kulturschaffenden in der Kunstform der Satire wird immer wieder versucht zu kriminalisieren. Ich hatte als Künstler über 40 juristische Auseinandersetzungen wegen meiner satirischen Plakate, die ich alle gewonnen habe. Schon Heinrich Böll hat mit Blick auf meine künstlerisch-politische Arbeit erklärt: ‚Satire ist kein Himbeerwasser’“.
Die Stuttgarter Polizei kam bei einer Prüfung zu einer ganz anderen juristischen Einschätzung. Dort hingen die Augenklappen-Plakate bereits im Juli 2021. Der Stuttgarter Zeitung sagte die Pressesprecher*in der Polizei: „Es liegt keine Straftat vor.“
Nicht das erste Mal
Das Innenministerium und Horst Seehofer ärgern sich nicht zum ersten Mal über Adbustings. Bereits 2019 erschien mit einem persönlichen Vorwort des Ministers Hetze gegen Adbusting im Bundesverfassungsschutzbericht. Die Geheimen aus Heimat-Horsts Ministerium stellten in ihrem Bericht das Verändern von Werbeplakaten auf eine Stufe mit Angriffen auf Beamte: „Neben physischen Angriffen auf Polizeikräfte versuchen Linksextremisten gezielt, die Polizeibehörden allgemein in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Dazu bedienen sie sich neben den klassischen Verbreitungsformen wie Printmedien auch der Aktionsform des ,Adbustings‘“ (Bundesverfassungsschutzbericht 2018, S. 127).
Ein Fall fürs Terrorabwehrzentrum?
Die geheimdienstliche Hetze hatte konkrete Folgen. [2018/19 war Adbusting viermal Thema im in der Verantwortlichkeit des Innenministerium liegendem Terrorabwehrzentrum GETZ->https://netzpolitik.org/2020/mit-geheimdienst-polizei-und-terrorabwehrzentrum-gegen-ein-paar-veraenderte-plakate/]. „Dass sich ein Terrorabwehrzentrum statt mit Terror mit veränderten Werbeplakaten beschäftigt, zeigt, wie sehr das Innenministerium unter Horst aus dem Ruder gelaufen ist“, kommentiert Klaus Poster von der Soligruppe plakativ. „Wir fordern von der neuen Ministerin Faeser, dass sie die Verfolgung von Adbusting durch das BMI, das Terrorabwehrzentrum und das BfV sofort unterbindet!“
Alles Einzelfälle?
„Fast jede Woche werden neue Fälle bekannt, in denen sich Polizist*innen Nazibilder schicken, Gewalt gegen migrantisierte Personen verüben oder ,Racial-Profiling‘ als normale Polizeiarbeit deklarieren“, sagt eine Sprecher*in von DIES IRAE. Rechte Netzwerke werden bei der Polizei systematisch geduldet. Institutionalisierter Rassismus in der Polizei sei vom Innenminister Seehofer billigend hingenommen worden. „Statt etwas gegen institutionellen Rassismus zu unternehmen, ärgern sich Leute wie Seehofer lieber über Adbustings. Um die neue Regierung an den bestehenden Handlungsbedarf zu erinnern, werden wir auch weiter Plakate aufhängen.“
Mehr Informationen:
Aktenzeichen der Staatsanwaltschaft Wiesbaden: 1848 UJs 57700/21
Einstellung des Prozesses gegen Tobias im Herbst 2019
https://taz.de/Ermittlungen-gegen-Adbusting-in-Berlin/!5628984/?goMobile2=1576972800052
„Die Stuttgarter Polizei rechnet bei den Plakaten mit Horst Seehofer nicht mit juristischen Konsequenzen für die Urheber der Aktion. Es liege keine Straftat vor.“
https://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.adbusting-in-stuttgart-plakat-aktion-gegen-polizei.22abfcda-af5c-4aef-af8d-c88b858c7be6.html?utm_term=Autofeed&utm_campaign=Echobox&utm_medium=Social&utm_source=Twitter#Echobox=1627302156
Mit dem Terrorabwehrzentrum gegen Adbusting
https://netzpolitik.org/2020/mit-geheimdienst-polizei-und-terrorabwehrzentrum-gegen-ein-paar-veraenderte-plakate/
Soligruppe plakativ:
https://plakativ.blackblogs.org
Antifa-Adbusting
Warum eigene Poster drucken, wenn man auch Adbusting machen kann? Das dachten sich auch einige Antifaschist*innen in Berlin-Adlershof im Juni 2020. An ihrem S-Bahnhof kaperten sie eine Werbefläche mittels Papier und Kleister. Statt auf einen Streaming-Dienst für Hörbücher aufmerksam zu machen, zeigte das Poster nach der Aktion ein großes Antifa-Logo. Außerdem bekam der Werbeslogan „Füll deinen Sommer mit Geschichten“ die Ergänzung „Support your local Antifa.“
Das verschönerte Plakat war kaum zu übersehen. Leider hielt das Adbusting nicht lange. Bereits gegen Nachmittag war es von besorgten Bürger*innen abgerissen worden. Kein Wunder: In Adlershof können Nazis* und besorgte Bürger*innen normalerweise ungestört völlig offen faschistische Symbole im Alltag in der Öffentlichkeit und im Feuerwehrhaus zeigen, ohne das die guten Deutschen und Demokrat*innen sich daran stören.
Polizei stellte zwei Personen
So wundert es nicht, dass das Adbusting bereits in der Nacht einer Streife vom Abschnitt 65 aus Johannisthal aufgefallen war. Laut Akte sah eine Streifenwagenbesatzung vier unbekannte Personen, welche das Plakat umgestalteten und daraufhin aus ihrem Sichtfeld flohen. Für die Beamten des Abschnitts 65, deren Rechtsdrall im Zusammenhang mit der Weitergabe von internen Details aus der Amri-Akte an Nazichatgruppen und dem Naziterror in Süd-Neukölln einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, ging das natürlich gar nicht und sie begannen laut Akten mit einer Nahbereichsabsuchung. Dabei stellten die Beamten einige Straßen weiter zwei Personen.
Fahndung nach Terrororganisation
Die Beamten sagten den beiden, sie wären tatverdächtig, die Verschönerung am Bahnhof begangen zu haben. Zunächst mussten sich die Polizist*innen aber erst mal darüber austauschen, ob “Antifa” nun eine verbotene Terrororganisation wäre oder nicht. Derweil lagen die beiden Betroffenen zum Terrorverdacht passend mit Handschellen gefesselt auf dem Boden. Zur völligen Überraschung der Beamten stellten sie nach telefonischer Rücksprache mit dem LKA-Dauerdienst fest, dass es sich beim Antifa-Logo weder um ein verbotenes Symbol noch um das Zeichen einer Terrorgruppe handelt.
Einstellung nach einem halben Jahr
Trotzdem beschuldigte sie der Staatsschutz im Oktober 2020 der Sachbeschädigung(Straftat) sowie des Verstoßes gegen das Presserecht (Ordnungswidrigkeit). Dabei behaupten die Beamt*innen, dass das Überkleben von Papier mit noch mehr Papier und Kleister einen Schaden von 100 Euro versucht habe. Nach Vorladungen machten die Betroffenen den Fall öffentlich. Ein halbes Jahr nach der Verhaftung wurde das Verfahren mangels Gründe für eine Anklageerhebung von der Staatsanwaltschaft eingestellt (StPO § 170,2).
Bereits im Mai 2020 stellte die Staatsanwaltschaft Berlin klar, dass das Hineinhängen von eigenen Postern in Werbevitrinen nicht strafbar sei (den Beschluss gibt’s hier). „Und nun wird auch Quatsch mit Großflächen eingestellt.“ Klaus Poster von der Soligruppe plakativ weiß aktuell nur von zwei weiteren Verfahren. „Angesichts der Popularität von Adbusting ist das nicht besonders viel. Allerdings sollte man nicht beim Adbusting lachen. Das ist strafverschärfend.“
]]>
In der linken Szene sind wir ja größtenteils mit uns selbst beschäftigt. Strategische Öffentlichkeitsarbeit gibt es kaum, dieses Feld überlassen wir in der Regel komplett der Reaktion. Warum auch? Wenn der Mainstream unsere Inhalte teilt, dann ist unsere Subkultur in Arsch. Außerdem ist zentraler Bestandteil unserer Subkultur immer möglichst cool rüber zu kommen, weil wir ja alles schon kennen und alles schon gesehen haben und wir uns in einer Welt, die immer schlechter wird, eigentlich ganz gut eingerichtet haben. Warum sollten wir da zu unseren politischen Anliegen strategische Öffentlichkeitsarbeit machen?
Diskursiver Druck ändert Dinge schon vor der Revolution
Ganz einfach: Weil es Dinge ändern könnte. Politischer Wandel (wollen wir den überhaupt eigentlich wirklich?) entsteht, wenn das bisherige Regime nachhaltige Legitimationsverluste erlitten hat und eine glaubhafte Alternative im Raum steht. Für die glaubhafte Alternative haben wir vorerst auch keine Lösung, aber bei der De-Legitimation von Staat und Kapital könnte strategische Öffentlichkeitsarbeit helfen.
Sagt auch der Feind:
Das findet übrigens auch das Bundesamt für Verfassungsschmutz. Im Jahresbericht 2018 opferten die Geheimen über veränderte Werbeplakate von Verunsicherungsbehörden rum und erklärten Adbusting zu einer ernsthaften Gefahr für die Innere Sicherheit der Bundesrepublik D-Land. Der Grund: „Neben physischen Angriffen auf Polizeikräfte versuchen Linksextremisten gezielt, die Polizeibehörden allgemein in der Öffentlichkeit zu diskreditieren. Dazu bedienen sie sich neben den klassischen Verbreitungsformen wie Printmedien auch der Aktionsform des „Adbustings“ (Bundesverfassungsschutzbericht 2018, S. 127). Was die Geheimen also stört, ist, wenn sie in der Öffentlichkeit diskreditiert werden. Wenn sie das so stört, warum geben wir ihnen mehr davon?
Die DNA-Poster
Wie strategische Öffentlichkeitsarbeit im Detail funktioniert, lässt sich an einem Beispiel mit dem LKA und den DNA-Spuren auf Adbusting-Postern zeigen. Die Staatsschutz-Abteilung 521 des LKA ist in Berlin berühmt-berüchtigt. Die Beamt*innen ließen sich dabei erwischen, wie sie zu Weihnachten Nazi-Grüße in ihre Chatgruppe posteten, den islamistischen Attentäter Anis Amri von der Observationsliste strichen, um Hausbesetzer*innen überwachen zu können, Daten von Linken an Nazis weitergaben oder „privat“ Drohbriefe mit „dienstlichen“ Informationen an Aktivist*innen schickten, ohne dass dies ernsthafte Folgen für die Beamt*innen gehabt hätte. Dieser Skandalliste fügten die Adbusting-Kommissar*innen um KOK*in Köhnke, KK Bähmisch und KHK Habedank einen weiteren hinzu, als sie veränderte Bundeswehr-Poster auf DNA-Spuren untersuchen ließen. Die Begründung der Polizei: Adbusting mache das Militär „gar lächerlich.“ Mehr dazu und alles ganz genau erklärt:
Parl. Anfrage: Mit DNA-Analysen gegen veränderte Bundeswehr-Poster?
Dokumentieren
Nachdem die Soligruppe plakativ durch Zufall an die entsprechende Akte gekommen und die entsprechende Stelle gefunden hatte, war guter Rat teuer. Wie bekommt man diesen Skandal in die Öffentlichkeit? Zwar dürfen die Cops mittlerweile de facto von allem und jeden DNA einsammeln, weil die Hürden hierfür nach und nach bis zur Unkenntlichkeit geschliffen wurden, doch in der Öffentlichkeit gibt es nach wie vor ein Bewusstsein dafür, dass DNA-Analysen kein Kindergarten sind und ursprünglich nur bei „erheblichen Straftaten“ erlaubt waren.
Als ersten Schritt verfasste die Gruppe eine Dokumentation zu dem Fall. Mit dieser Dokumentation gelang es, die linken Abgeordneten Niklas Schrader und Anne Helm dazu zu bewegen, im Berliner Abgeordnetenhaus eine parlamentarische Anfrage zu stellen (wer jetzt „Verrat!“ und „Früher hätte es sowas nicht gegeben!“ ruft, möge sich bitte das Buch „Autonome in Bewegung“ zu Gemüte führen (ja, genau: Bücher sind diese schweren Dinger aus Papier mit den vielen kleinen Buchstaben drinne von denen man immer so Kopfschmerzen bekommt wenn man sie zu lange anschaut…). Das Buch zeigt u.a. wie erschreckend eng und selbstverständlich die alten „echten“ Autonomen früher mit Abgeordneten kooperierten. Wenn man dem Buch glauben darf, saßen nach dem legendären „NOlympia!“- Riot in Lausanne Abgeordnete sogar mit in den Kerkern der dortigen Stadtpolizei…).
Ein Politikum schaffen
Aus der Sicht einer strategischen Öffentlichkeitsarbeit liefern parlamentarische Anfragen gesellschaftliche Legitimation. Wenn da im Parlament drüber geredet wird und die Regierung sogar antwortet, muss das Anliegen ja wichtig sein. Außerdem gibt es nach einer parlamentarischen Anfrage ein öffentlich zugängliches Papier. Der Inhalt aus der Akte ist also in keinster Weise mehr geheim, sonder öffentlich. Und das Papier hat auch noch einen wichtigen Briefkopf, einen Stempel und ne Unterschrift: Das mögen Deutsche. Und auch deutsche Journalist*innen.
Öffentlichkeitsarbeit
Erwartungsgemäß lief die Pressearbeit zu dem Anliegen auch recht gut. Es geschah sogar ein kleines Wunder. Der Polizeireporter Andreas Kopitz vom Berliner Verlag biss an. Das offenkundig unverhältnismäßige Handeln der Polizei erschreckte sogar Herrn Kopietz, und da die Story ja Brief und Siegel von Regierung und Parlament trug, beschloss er, sich der Sache anzunehmen. Kein Selbstverständlichkeit, denn Kopietz ist folgender Meinung: „Offener Diskurs: Mit Linksextremisten nicht möglich“. https://www.berliner-zeitung.de/politik-gesellschaft/brandanschlag-corona-app-breit-diskutieren-aber-bitte-ohne-linksextremisten-li.81290
Herr Kopitz ist in weiten Teilen der linken Szene verhasst, weil er wie viele Polizeireporter*innen oft als Behörden-Papagei agiert und die PR der Cops einfach kritiklos nachplappert. Auch an der Einladung der Berliner Polizei, an der unsäglichen „Besichtigung“ des geräumten queer-femistischen Hausprojektes in der Liebigstraße teilzunehmen, konnte Kopietz offensichtlich auch nichts problematisches entdecken (das Video ist sehr interessant: Es zeigt, wie gestellt und aus dem Zusammenhang gerissen die bei Spiegel-TV gesendeten Aufnahmen derselben Situation sind). https://twitter.com/KopietzAndreas/status/1314528059714932737?ref_src=twsrc%5Etfw%7Ctwcamp%5Etweetembed%7Ctwterm%5E1314528059714932737%7Ctwgr%5E%7Ctwcon%5Es1_&ref_url=https%3A%2F%2Ftantower.wordpress.com%2F2020%2F10%2F09%2Fliebig34-eine-besichtigung-mit-berlins-polizeisprecher%2F Darüber hinaus ist Herr Kopietz eng verbandelt mit der Berliner Gewerkschaft der Polizei (GdP). Deren Pressesprecher*in Benjamin Jendro re-twittet regelmäßig die Artikel von Andreas Kopietz und sie treten regelmäßig gemeinsam z.B. bei Propaganda-Events des selbsternannten „Behörden Spiegel“ (nur echt mit Deppen-Lehrzeichen) auf.
Schweres Geschütz
Doch ausgerechnet am 15.1.2012 re-twietete der GdP-Pressesprecher den täglichen Text von Andreas Kopietz nicht. Denn Herr Kopietz kritisiert das Handeln der Polizei mit sehr deutlichen Worten: „ Bei der Verfolgung von Personen, die die Bundeswehr oder die Polizei lächerlich machen, fahren die Sicherheitsbehörden mitunter schweres Geschütz auf.“
https://www.berliner-kurier.de/berlin/veraenderte-werbeplakate-polizei-nimmt-dna-spuren-und-durchsucht-wohnungen-li.132644
Wie diskreditierend und lächerlich machend es wirkt, wenn es gelingt, den ganz normalen Repressionswahnsinn in Medien wie z.B. der Berliner Zeitung oder dem Berliner Kurier unterzubringen, zeigt ein anschließender Blick in die sozialen Medien. In der selbsternannten „Military Community“ wird der Kurier-Artikel breit diskutiert. Der Marine-Leutnant Simonas Vollmer teilt den Text und kommentiert: „Ja, Adbusting ist ätzend. Aber ich halte diese Gegenwehr für ungerechtfertigt. Da setzt man falsche Prioritäten.“
Ja, Adbusting ist ätzend. Aber ich halte diese Gegenwehr für ungerechtfertigt. Da setzt man falsche Prioritäten. https://t.co/ncPvTa76MT
— Simonas Vollmer (@SimonasVollmer) February 1, 2021
Der Ex-Offizier Sascha Stoltenow ironisch weißt auf den Kontrast zur Werbeaussage der Bundeswehr hin: „“Wir kämpfen auch dafür, dass Du gegen uns sein kannst. Außer, Du bist wirklich gegen uns. Dann kämpfen wir gegen Dich.“
Ein Nutzer namens K F Paschen, der sich auf Twitter als „Neptuns Drill Master Sargeant“(sic!) vorstellt, schreibt: „Fragwürdiger Ressourceneinsatz, fraglos.“
Die Nutzer*in KGRKA sagt: „Wirkt auch etwas inkonsequent, wenn man vorherige Werbebotschaften bedenkt.“
Widerworte gibt es hingegen von KOIKO, einem angeblichen Ex-Oberstleutnant, der in der deutsch-niederländischen Brigade gedient haben will: „Die Missachung d. Sicherheits/Schutzbehörden + ihrer Dienststelllen wie POL, Fw, Bw, RK ist so schon bedroht im Übermaß. Wir sollten das nicht duldend weiter hinnehmen, besonders nicht in der Nachwuchsgewinnung. Letztlich staatl Funktionsfähigkeit +Vertrauen der Bürger gefährdet.“
Leutnant Vollmer entgegnet: „Nun, erstens ist Missachtung ein bürgerliches Recht – daher auch der Werbeslogan: „Wir kämpfen auch dafür, dass Du gegen uns sein kannst“, zweitens machen wir uns mit übermäßiger Härte bei der Verfolgung von Bagatelldelikten nur lächerlich.“ In den Augen des Leutnants Vollmer hat die Repression also genau das erreicht, was das LKA 521 verhindern wollte: Die Bundeswehr und die Polizei sehen gar lächerlich aus.
Adbustings mit Mampfi und Dampfi
Wie stakt delegitimierend das Skandalisieren der Repression wirkt, zeigt auch der Podcast „Ohne Gewehr“ von „Mampfi“, „Dampfi“ und Sarah. Auf twitter stellen sich die drei folgendermaßen vor: „Der haarige Fette, oder der fette Haarige von @BundiTalk| Artillerist und Oberstabsgefreiter | Liebt Grundgesetz, Innere Führung und soziale Gerechtigkeit“, „Der blonde Stecher, oder der stechende Blonde von @BundiTalk, Panzergrenadier und Oberstabsgefreiter d.R. | Hat Tinder durchgespielt“ und „Chefredakteurin, HR & Einzige mit Schulabschluss bei @BundiTalk| Studentin und leidenschaftliche Misanthropin | Hasst den Krieg, vom Frieden gelangweilt.“ In der Folge „Herzchen Wasserpistole“ vom 7.2.2021 beschäftigen die drei sich auch mit dem Kurier-Artikel über Adbusting und DNA-Proben von Andreas Kopietz (ab 33:20).
Wir erfahren von Dampfi folgendes: „In Berlin (…) gibt’s wohl Leute, die verändern Bundeswehrplakate. Ich versuch mal, hier ein Bild zu zitieren: „(…) Bundeswehr macht den Franco A. Die Bundeswehr wurde von Nazi-Generälen gegründet.“ Mampfi zitiert weiter aus dem Kurier-Artikel: „Aus der Bundeswehr-Kampagne Gas, Wasser, Schießen (hörbares schmunzeln) wurde Gas, Shoa, Schießen (kein Schmunzeln)“ um dann festzustellen: „Ich kenn mich da nicht aus, aber für mich ist dass ne ganz normale Art von Zivilem Ungehorsam.“ Dampfi ließt derweil weiter: „Die Bundeswehr wurde von Nazi-Generälen gegründet. Weiterhin entwickeln viele Soldat*innen ein rechtes Weltbild.“
Die inhaltliche Aussage des Posters führt dazu, dass die beiden nachgrübeln, wer denn damals so alles an „Oldschooltypen aus der Wehrmacht“ mit dabei war: „Der erste Generalinspekteur (…)“ „Und sogar der erste Verteidigungsminister, der Blank, da war auch irgendwas! Der war da auch ein bisschen verstrickt.“ Unter Aufbietung all des beschaulichen Wissens, dass ihnen über die Geschichte ihrer Arbeitgeber*in zu Verfügung steht, kommen sie zu dem beunruhigenden Schluss, dass die Aussage des Adbustings stimmen könnte: „Aber gut: Komm anderes Thema.“
Mampfi weiter: „DNA-Spuren? Hausdurchsuchungen? Voila… als ob wir nicht andere Probleme hätten.“ Daraufhin erinnern sie sich an den Werbeslogan der Bundeswehr „Wir kämpfen auch dafür, dass du gegen uns sein kannst.“: „Das sollte man halt einfach einhalten, oder es nur ne leere Worthülse.“ Mampfi, Dampfi und Sarah haben sich mittlerweile mit Fotoshop ein eigenes Bushaltestellen-Adbusting, dass ihren Kanal bewirbt, gebastelt: https://twitter.com/BundiTalk/header_photo
Mit diesen Strategien der rotzfrechen Öffentlichkeit (und der Unterstützung durch die Berliner Kommunikationsguerilla-Szene, die sich mit vielen vielen Adbustings die Polizei, das Militär und die Geheimdienste vorknöpfte) gelang es der Soligruppe plakativ, die Repression gegen Adbusting deutlich zurück zu drängen.
Überlegungen
Die Soligruppe gründete sich anlässlich eines Gerichtsprozess gegen eine Adbuster*in im Oktober 2019. Nach dem erfolgreichen Prozess machte eine Journalist*in die Gruppe auf obige Stelle im Bundesverfassungsschutzbericht aufmerksam. Die Gruppe recherchierte daraufhin weitere von Strafverfahren wegen des Veränderns von Werbung Betroffene, organisierte Akteneinsichten und kontaktierte Abgeordnete für parlamentarische Anfragen. Zusammen mit Adbuster*innen, die in letzten Jahr bevorzugt die Werbekampagnen von Polizei und Geheimdiensten attackierten, erzeugte die Soligruppe plakativ mit rotzfrecher Öffentlichkeitsarbeit sehr viel mediale Aufmerksamkeit.
Das Ergebnis der Kampagnen kann sich sehen lassen. Das BfV strich Adbusting aus dem Geheimdienstbericht, weil Horst Seehofers Innenministerium doch aufgefallen war, dass das Bekleben von Werbung nicht gewalttätig ist. In 2020 beschäftigte sich das Terrorabwehrzentrum GETZ nicht mehr mit Adbusting. In 2018/19 war dies noch viermal der Fall gewesen. Das LKA Berlin veranstaltete keine Hausdurchsuchungen mehr und stoppte die Praxis, auf veränderten Werbepostern nach DNA-Spuren zu suchen. Die Staatsanwaltschaft Berlin stellte in mehreren Beschlüssen klar, dass es es nicht strafbar ist, eigene Poster in Werbevitrinen zu hängen, wenn nichts beschädigt oder gestohlen wird.
Selbst bei der Berliner Gewerkschaft der Polizei ist angekommen, dass durch die Arbeit der Soligruppe plakativ Adbusting de facto entkriminalisiert wurde. Benjamin Jendro, Pressesprecher*in der GdP heulte anlässlich einer die Polizei wegen Gewalt und Rassismus kritsierenden Adbusting-Aktion auf Twitter: „ Das ist keine Meinungsäußerung, sondern perfide, menschenverachtend und armselig – Kann nicht sein, dass das stärkste Mittel des Rechtsstaats gegen solche Perversion das Kunsturheberrecht ist.” https://twitter.com/Djeron7/status/1311296266463318019
Durch so eine Kampagne werden Cops nicht netter oder besser. Denn statt abenteuerlichen Konstruktionen wie „Schwerer Diebstahl“ probieren es die Cops nun eher mit Klassikern wie dem Vorwurf der Beleidigung (und wenn man dabei mehrmals lacht, ist das na klar mindestens strafverschärfend: https://abschaffen.noblogs.org/beleidigt-cops-zeigen-polizeikritisches-pappschild-an/
Und klar: Adbusting ist ein nettes freundliches Thema wo der Gewalt-Vorwurf absurd ist und das gut ankommt, weil so ziemlich niemand Werbung gerne hat. Außerdem sind die Bilder lustig und das mögen die Menschen. Aber das mit §129 bedrohte Umfeld der Bibliothek Kalabal!k, die Öffentlichkeitsarbeit zum Gerichtsprozess gegen die Rüpelkontrolleure und auch die Öffentlichkeitsarbeit der R94, die sich im Vergleich zu vor 6 Jahren deutlich verbessert hat, zeigt, dass man auch bei für die gemeine deutsche Bürger*in schwer zu konsumierenden Themen mit einer guten strategischen Öffentlichkeitsarbeit punkten und die Gegenseite diskursiv unter Druck setzen kann.
Eine Empfehlung am Ende: Wer mehr so der visuelle Typ ist und lieber Bilder schaut, dem sei das Buch „Unerhört: Adbusting gegen die Gesamtscheiße“ vom Berlin Busters Social Club empfohlen (einschließlich einer Anleitung wie man bei sich zuhause seine eigene Werbevitrine mit Sachen aus dem Baumarkt öffnet, falls man den Schlüssel mal wieder verloren hat). Das Buch gibt’s hier:
https://www.unrast-verlag.de/neuerscheinungen/unerhoert-adbusting-gegen-die-gesamtscheisse-detail
und hier:
https://black-mosquito.org/de/unerhort-adbusting-gegen-die-gesamtscheisse.html
Und Entschuldigung, dass wir das mit dem „kurz“ nicht eingehalten haben… Sorry.
]]>2019 sah die Welt für Adbuster*innen nicht besonders rosig aus. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) nannte im „Verfassungsschutzbericht“ veränderte Werbeplakate, die Gewalt und Rassismus bei der Polizei kritisieren, in einem Atemzug mit Angriffen auf Beamte. In 2018/19 waren beklebte Werbeplakate mindestens viermal Thema im Terror-Abwehrzentrum GETZ. Das LKA Berlin ging mit mindestens fünf Hausdurchsuchungen und zehn DNA-Analysen gegen das Verändern von Werbung vor. Ihre Befürchtung: Adbusting mache die Behörden „gar lächerlich.“
2021 ist davon nichts mehr geblieben: Adbusting steht nicht mehr im VS-Bericht. Denn dem Bundesinnenministerium doch aufgefallen ist, dass das Verändern von Werbeplakaten nicht gewalttätig ist. Der Verfassungsschutz Berlin nennt Adbusting eine „unverfängliche Aktionsform“. Die Berliner Behörden meldeten keine weiteren Adbustings an das Terrorabwehrzentrum. Die meisten Berliner Ermittlungsverfahren versandeten, ein Gerichtsprozess endete mit Einstellung. Die Staatsanwaltschaft Berlin stellte mehrmals klar, dass es nicht strafbar ist, wenn man eigene Poster in Werbevitrinen hängt. Und trotz viel mehr Adbusting-Aktionen, die die Polizei, Militär und
Geheimdienste kritisierten, gab es in 2020 keine Hausdurchsuchungen und DNA-Analysen deswegen.
Wir zeigen mit vielen Aktionsbildern, wie es Adbuster*innen mit kreativen Plakat-Aktionen,
parlamentarischen Anfragen, Aktenstudium und rotzfrecher Öffentlichkeitsarbeit gelangt Militär, Polizei und Geheimdienste zu kritisieren und Adbusting quasi nebenbei zu entkriminalisieren.
Wann?
Sonntag, 14.3.2021 um 16h
Wo?
Im Internet. Den Link schicken wir nach der Anmeldung rum.
Anmeldungen?
Bitte an [email protected]. Wir schicken den Link dann rum.
Mehr Veranstaltungen und Aktionen des Bündnisses „Gemeinschaftlicher Widerstand“ zum Tag gegen rassistische Polizeigewalt am 15.3. und dem Tag der politischen Gefangenen am 18.3. finden sich hier:
https://gemeinschaftlich.noblogs.org/demo-berlin-19-03-21/#Termine
Der Demoaufruf des Bündnisses „Gemeinschaftlicher Widerstand“ für Freitag, den 19.3. U Turmstr. 17.30:
]]>Armed with paint, paper and paste, activists in Berlin and Warsaw manipulate advertising posters in order to spread political messages in the public space. However, German and Polish law enforcement agencies react alerted to this kind of criticism of the State: with home searches and arrests.
Criticism of the health minister
In June 2020, a few weeks before the election for the Sejm, reporters from a liberal daily newspaper accompanied a group of activists in Warsaw on their adbusting route. During a feminist week of action, they hung self-made posters into advertising display cases at bus stops, displaying the (now former) Polish health minister Lukasz S. as a hypocritical saint. The former health minister is embroiled in corruption allegations and responsible for the Polish government’s inhumane abortion policy.
The newspaper published an article including pictures of the action soon after. It sparked outrage from the Polish establishment in light of the upcoming elections. Only two days later, two homes of those allegedly involved in the action were searched. These searches were staged in the media and accompanied by a television crew.
https://oko.press/news-oko-press-policja-zatrzymala-kolejna-osobe-za-plakaty-z-szumowskim
One activist and a fellow campaigner were arrested and detained for two days without being allowed to contact a lawyer. The cops also took all electronic devices and money with them.
The conservative Polish media constructed a crude conspiracy theory out of the action, stating that one of the accused had worked at a newspaper from the opposition (Gazeta Wyborcza) that belongs to the same investment company (Agora) as the advertising firm (AMS) in whose showcases the posters were hung. This was presented as proof that international investors were trying to prevent the re-election of President Duda and his ministers.
https://www.fronda.pl/a/ewangelia-wg-lukasza-sz-nowe-fakty,145573.html/
No further explanation was given why these financially strong and influential people would make use of a handful of homemade posters. The aim of these absurd theories surely was to illegitimize any criticism of the State as well as to portray it as an attack from outside. In fact, it was AMS (from the „opposition“) who denounced the Adbusters.
Adbusting: a crime?
The underlying legal facts of the case are banal. The advertising showcases are opened with a self-made key in order to hang the self-designed or modified posters inside and therefore make them accessible to the public. Instructions for this can be found on the World Wide Web.
https://bbsc.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/782/2020/03/anleitung.pdf
Nothing gets damaged in this process. However, the police authorities claim that this constitutes a particularly serious case of theft, which the Polish law punishes with 6 months to 10 years of jail (in Germany the same offense is punished with a minimum of „only“ 3 months). The high sentence is based on the assumption that by opening the advertising display case, a special protection against theft is circumvented.
In Germany, this is regulated in Section 243 of the German Criminal Code (StGB). A particularly serious case of theft exists, for example, if the perpetrator enters a building or picks a lock in order to commit the theft. However, section 243 II StGB excludes a particularly serious case of theft of low-value items. In a court case in Berlin in 2019, the defense attorney of an alleged adbuster assumed a poster value of 5€. A brief price comparison at larger print shops suggests that the value of a poster would indeed be of such a rather manageable order.
In many cases, it is even questionable whether the basic offense, theft, has been committed. Many adbusters do not take the original posters with them. They leave them rolled up in the display cases after they have hung up their own posters. This rules out criminal liability for theft with regard to the poster in the display case. Thus, as long as the activists bring posters that they have made or printed themselves, no act of theft has been committed.
Another accusation frequently used is damage to property, but since the boxes remain undamaged, the altered poster is brought up as evidence for this offense. The public prosecutor’s office in Berlin has already acknowledged that, if the original poster can be easily re-hung, it is probably difficult to prove that there was damage to property.
The motivation for law enforcement to puff up the criminal offense is the fact that such massive encroachments on fundamental rights, like house searches or the securing of DNA traces, would simply be disproportionate and unlawful in a minor offense like theft. In the case of shoplifting, the forensics team would never secure possible trances nor would the police search an apartment because of a stolen headphone.
Freedom of Expression and Criticism of the State
We must therefore ask why adbusting entails such drastic reactions from law enforcement agencies. In Poland, an authoritarian party (the PiS) has been in government since 2015. The PiS strives to suggest nationwide approval and satisfaction with its own policies. By criminalizing domestic criticism and framing it as externally controlled, it is not only deprived of legitimacy, it is also used to create an image of the enemy abroad. The same thing is happening now, when the protestors against the abortion law are being called criminals whith the goal of destroying Poland. In Germany, it is mainly criticism of the German armed forces (Bundeswehr) and the police that has triggered exaggerated actions by authorities. In a statement justifying a home search, the state bureau of investigation (LKA) states that the altered posters „downright ridicule“ the Bundeswehr. The police does not like to be criticized.
Although there are no TV teams in Germany accompanying the police live on their home searches, overambitious prosecution is known to adbusters in Germany as well. All of German’s intelligence agencies have posters in advertising as a topic on their agenda, presumably seeing them as a threat. In its 2018 report, the German Federal Office for the Protection of the Constitution mentions altered Bundeswehr posters in the same breath as violence and physical attacks on officials. Additionally, a parliamentary question revealed that the German Counter-Extremism and Counter-Terrorism Center (GETZ), which was initially created in 2012 to investigate right-wing extremist terror, dealt with political poster art four times in 2018/2019.
BT-Drucksache 19/16887 p.6 available at: https://www.ulla-jelpke.de/wp-content/uploads/2020/02/KA-19_16887-Adbusting-komprimiert-1.pdf
The German Military Counterintelligence Service has also been monitoring adbustings on a regular basis since at least 2016.
BT-Drucksache 19/16887 p.10 available at: https://www.ulla-jelpke.de/wp-content/uploads/2020/02/KA-19_16887-Adbusting-komprimiert-1.pdf
https://taz.de/Kriminalisierung-von-Adbusting/!5664706
Such framing, which equates this form of action with terrorism, is not only highly problematic, it is also not without consequences. Posters in advertising showcases are a case for the State Security Service; in addition to home searches, in some cases the police even took DNA samples from seized posters in order to track down the perpetrators. They have also confiscated a telephone, probably intending to obtain photographs and contacts.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1139804.adbusting-gefaehrliche-werbung.html
In an article on a blog that deals with constitutional law, the lawyers Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano and Andreas Gutmann criticize this approach. They see the comprehensive prosecution of adbusting in this country as being primarily fueled by its political content. Such action against a certain spectrum of opinions is, however, questionable under constitutional law, since provocative posters are protected by the freedom of opinion, they explained. If the alteration of posters is prosecuted more severely than comparable damage to property that lacks political content, the right to political expression is under attack.
https://verfassungsblog.de/adbusting-unbequem-aber-grundrechtlich-geschuetzt
Both Germany and Poland react to politically unpleasant expressions of opinion with the full force of their repressive machine. They turn a blind eye when the limits of the rule of law are exceeded. For example, the Berlin Senate for the Interior under State Secretary Torsten Akmann and Andreas Geisel of the SPD (Social Democratic Party) responded to a parliamentary question about the investigations into adbusting by stating that it was a matter of „minor crime,“ but that since issues such as anti-militarism and anti-repression were touched upon, the police measures in this case were proportionate. It is unlikely for Polish officials to come to a different conclusion.
Berlin House of Representatives, printed matter 18 /21 553, p. 3, available at: https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/SchrAnfr/s18-21553.pdf
Instead of dealing with unpleasant criticism and tackling problems, certain fields of opinion are suppressed and denigrated by the social democrats in Germany just as passionately as by the Orbans in Eastern Europe.
]]>Mit Farbe, Papier und Kleister verfremden Aktivist*innen in Berlin und Warschau Werbeposter, um politische Botschaften in den öffentlichen Raum zu tragen. Auf diese Art Kritik am Staat reagieren deutsche und polnische Strafverfolgungsbehörden jedoch empfindlich – mit Hausdurchsuchungen und Festnahmen.
Kritik am Gesundheitsminister
Im Juni 2020, wenige Wochen vor der Wahl, begleiteten in Warschau Reporter*innen einer liberalen Tageszeitung eine Gruppe Aktivist*innen beim Adbusting. Während einer feministischen Aktionswoche hängten diese in Werbevitrinen an Bushaltestellen selbstgebastelte Plakate auf, die den in Korruptionsvorwürfe verstrickten polnischen Gesundheitsminister als scheinheiligen Heiligen zeigten. Der Ex-Gesundheitsminister ist auch für die unmenschliche Abtreibungspolitik der polnischen Regierung mitverantwortlich.
Ein anschließend von der Zeitung veröffentlichter Artikel über die Aktion, der auch Bilder der Plakate zeigte, löste angesichts der bevorstehenden Wahlen Entrüstung beim polnischen Etablissement aus. So kam es nur zwei Tage später zu zwei Hausdurchsuchungen, die medial inszeniert und von einem Fernsehteam begleitet wurden.
https://oko.press/news-oko-press-policja-zatrzymala-kolejna-osobe-za-plakaty-z-szumowskim
Dabei wurden eine Aktivist*in sowie eine Mitstreiter*in festgenommen und zwei Tage lang inhaftiert, ohne dass diese einen Anwalt kontaktieren durften. Außerdem wurden PCs, Handys und Bargeld beschlagnahmt.
In der Folge konstruierten die konservativen polnischen Medien aus der Aktion eine krude Verschwörungstheorie: Eine der Beschuldigten hätte bei einer Zeitung gearbeitet (Gazeta Wyborcza), welche derselben Investmentfirma (Agora) gehört, wie die Werbefirma (AMS), in deren Vitrine das Plakat aufgehängt wurde. Dies sei Beweis dafür, dass internationale Investoren versuchen würden, die Wiederwahl des Präsidenten Duda und seiner Minister zu verhindern.
https://www.fronda.pl/a/ewangelia-wg-lukasza-sz-nowe-fakty,145573.html/
Warum diese angeblichen finanzstarken und einflussreichen Mächte sich ausgerechnet einer Handvoll selbstgemachter Plakate bedienen sollten, wurde nicht erklärt. Ziel dieser abstrusen Theorien war wohl eher, jedwede Kritik am Staat zu delegitimieren und als Angriff von außen darzustellen. Übrigens war es die Werbefirma AMS (aus der oppositionellen Presse), welche die Aktivist*innen bei der Polizei denunzierte.
Strafbarkeit von Adbusting?
Dabei ist der zugrundeliegende Tatbestand eigentlich banal: Mit einem selbstgebauten Schlüssel werden Werbevitrinen geöffnet, um die selbst gestalteten oder veränderten Poster darin aufzuhängen und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Anleitungen dafür findet man im Internet
https://bbsc.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/782/2020/03/anleitung.pdf
Beschädigt wird dabei nichts. Die Polizeibehörden wollen dadurch jedoch den Tatbestand des Diebstahls erfüllt sehen. Einen besonders schweren Fall sogar, den das polnische Strafgesetz mit 6 Monaten bis 10 Jahren Knast bestraft (in D-Land drohen „nur“ mindestens 3 Monate. Das hohe Strafmaß ergibt sich hierbei aus der Annahme, dass durch das Öffnen der Werbevitrine ein besonderer Schutz zur Diebstahlsicherung umgangen werde.
In Deutschland ist dies im § 243 StGB geregelt. Ein besonders schwerer Fall des Diebstahls liegt beispielsweise vor, wenn der Täter, um den Diebstahl zu begehen in ein Gebäude eindringt oder ein Schloss knackt. Jedoch schließt § 243 II StGB einen besonders schweren Fall des Diebstahls an geringwertigen Sachen aus. In einem Gerichtsverfahren 2019 in Berlin ging die Verteidigung des betroffenen Adbusters von einem Plakatwert von 5 Euro aus, auch ein kurzer Preisvergleich bei größeren Druckereien legt nahe, dass der Wert eines Plakates wohl eher überschaubar sein dürfte.
In vielen Fällen ist sogar die Verwirklichung des Grundtatbestands, also ob überhaupt ein Diebstahl vorliegt, fraglich. Viele Adbuster*innen nehmen die Plakate gar nicht mit. Sie lassen diese zusammengerollt in den Vitrinen, nachdem sie ihre eigenen Plakate aufgehangen haben, wodurch eine Strafbarkeit wegen Diebstahls bezüglich des Plakats in der Vitrine ausscheidet. Sofern die Aktivisten also eigens gebastelte oder gedruckte Plakate mitbringen, ist ein Diebstahl nicht verwirklicht.
Oft wird auch noch Sachbeschädigung in den Raum geworfen. Da die Kästen unbeschädigt bleiben, muss das veränderte Plakat für diesen Tatbestand herhalten. Auch die Staatsanwaltschaft in Berlin hat bereits anerkannt, dass wenn das vorherige Plakat unkompliziert wieder aufgehängt werden kann, eine Sachbeschädigung wohl schwierig zu bejahen sein wird.
Was die Polizei dazu motiviert, den fraglichen Straftatbestand dennoch auf dem Papier aufzupeppen, ist die Tatsache, dass ein krasser Grundrechtseingriff wie eine Hausdurchsuchung oder das Sichern von DNA-Spuren bei einem einfachen Diebstahl schlichtweg unverhältnismäßig und rechtswidrig wäre. Beim Ladendiebstahl rückt schließlich auch nicht die Spurensicherung an und wegen eines gestohlenen Kopfhörers wühlen sich die Beamten auch nicht durch eine Wohnung (außer man klaut Pflaster und wird dem Umfeld der Rigaer Straße zugerechnet. Dann ist auch hier der Staatsschutz zuständig).
Meinungsfreiheit und Staatskritik
Am Ende muss man sich also die Frage stellen, warum Adbusting solch vehemente Reaktionen der Strafverfolgungsbehörden nach sich ziehen. In Polen stellt seit 2015 mit der PiS eine sehr autoritäre Partei die Regierung. Sie ist bestrebt eine gesamtpolnische Zustimmung und Zufriedenheit mit der eigenen Politik zu suggerieren. Indem inländische Kritik kriminalisiert und als von außen gesteuert geframed wird, wird ihr nicht nur die Legitimation genommen, sie wird auch benutzt, um ein Feindbild im Ausland zu erschaffen. Gleiches passiert auch aktuell, wenn die Demonstranten gegen das Urteil zum Abtreibungsgesetz als Verbrecher beschimpft werden, die Polen zerstören wollten.
In Deutschland ist es bisher vor Allem Kritik an Bundeswehr und Polizei, die übertriebenes Vorgehen der Behörden ausgelöst hat. Weil veränderte Plakate die Bundeswehr „gar lächerlich“ machen (so das LKA in einer Begründung zur Notwendigkeit einer Hausdurchsuchung) und die Polizei nicht gerne in der Kritik steht, werden hier gegen Bagatellen große Geschütze aufgefahren.
Auch wenn in Deutschland noch keine Fernsehteams den Polizist*innen dabei live über die Schulter schauen – Wohnungsdurchsuchungen und überambitionierte Strafverfolgung kennen auch Adbuster*innen hierzulande. Plakate in Werbevitrinen sind hier sogar Fall für sämtliche Geheimdienste, diese scheinen die Kritik auf Plakaten als Bedrohung aufzufassen. Im Bundesverfassungsschutzbericht 2018 nennt das Bundesamt für Verfassungsschutz veränderte Bundeswehrplakate in einem Atemzug mit Gewalt und tätlichen Angriffen auf Beamte. Und nicht nur das, eine parlamentarische Anfrage brachte gar ans Licht, dass auch das Gemeinsame Extremismus- und Terrorabwehrzentrum von Bund und Ländern (GETZ), welches 2012 zur Bekämpfung rechtsextremistischen Terrors entstand, sich mit politischer Plakatkunst beschäftigt hat – und das 2018/2019 ganze viermal,
BT-Drucksache 19/16887 S.6 abrufbar unter: https://www.ulla-jelpke.de/wp-content/uploads/2020/02/KA-19_16887-Adbusting-komprimiert-1.pdf
auch der Militärische Abschirmdienst beobachtet mindestens seit 2016 Adbustings regelmäßig.
BT-Drucksache 19/16887 S.10 abrufbar unter: https://www.ulla-jelpke.de/wp-content/uploads/2020/02/KA-19_16887-Adbusting-komprimiert-1.pdf;
https://taz.de/Kriminalisierung-von-Adbusting/!5664706
Ein derartiges Framing, welches diese Aktionsform mit Terrorismus gleichsetzt, ist nicht nur höchst problematisch, es bleibt auch nicht ohne Folgen. Plakate in Werbevitrinen sind Fall für den Staatsschutz, neben Hausdurchsuchungen nahm die Polizei in einigen Fällen sogar DNA-Proben von sichergestellten Plakaten um den Tätern auf die Spur zu kommen und beschlagnahmte ein Telefon, wohl um Beweisfotos zu erlangen.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1139804.adbusting-gefaehrliche-werbung.html
Dies kritisieren die Staatsrechtler Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano und Andreas Gutmann in einem Beitrag auf einem juristischen Blog der sich mit Verfassungsrecht beschäftigt.
https://verfassungsblog.de/adbusting-unbequem-aber-grundrechtlich-geschuetzt
Sie sehen die umfassende Verfolgung von Adbusting hierzulande vor Allem durch deren politischen Inhalt befeuert. So ein Vorgehen gegen ein bestimmtes Meinungsspektrum sei allerdings grundrechtlich bedenklich, da auch provokante Plakate unter die Meinungsfreiheit fielen. Wenn schließlich das Verändern von Plakaten deutlich strenger verfolgt würde als eine vergleichbare Sachbeschädigung ohne direkten Inhalt, dann verkehre sich das Recht auf politische Meinungsäußerung ins Gegenteil.
Sowohl in Deutschland als auch in Polen ist also zu sehen, dass politisch unangenehmen Meinungsäußerungen gerne mit der vollen Kraft des staatlichen Repressionsapparates begegnet wird. Wenn dabei die Grenzen der Rechtsstaatlichkeit überschritten werden, wird gerne ein Auge zugedrückt. So antwortete der Berliner Senat für Inneres unter Staatssekretär Torsten Akmann und Andreas Geisel von der SPD auf eine parlamentarische Anfrage zu den Ermittlungen zu Adbusting, es handele sich zwar um „minderschwere Kriminalität“, da allerdings Themen wie Antimilitarismus und Antirepression berührt seien, wären die polizeilichen Maßnahmen in diesem Fall verhältnismäßig. Polnische Beamt*innen werden wohl kaum zu einem anderen Urteil gelangen.
Abgeordnetenhaus Berlin, Drucksache 18 /21 553, S. 3, abrufbar unter: https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/SchrAnfr/s18-21553.pdf
Statt sich mit unangenehmer Kritik auseinanderzusetzen und Probleme anzugehen, werden so auch in Deutschland von netten freundlichen Sozialdemokat*innen und nicht nur von den Orbans in Osteuropa bestimmte Meinungsfelder unterdrückt und verunglimpft.
]]>In einer parlamentarischen Anfrage stellten die Abgeordneten Helm und Schrader (Die Linke) dem Berliner Senat Fragen zur Analyse von DNA-Spuren, welche das Berliner Staatsschutz-LKA 521 in Ermittlungen zu veränderten Werbepostern der Bundeswehr durchführte. In seiner Antwort hält Staatssekretär Torsten Akmann (SPD) diese Vorgehensweise für gerechtfertigt. „Dass die Strafverfolgungsbehörden in solchen Fällen zur Aufklärung dieser Bagatellen zum Mittel der DNA-Analyse greifen, geht eindeutig zu weit“ sagt hingegen Prof. Dr. El-Ghazi von der Uni Trier. „Hier wird mit Kanonen auf Spatzen geschossen.“
Breite Kritik an „Gas, Wasser, Schießen“-Werbung
Doch um was geht es? Die Bundeswehr warb 2019 mit dem Slogan „Gas, Wasser, Schießen“ um Personal. Diese Taktlosigkeit im Umgang mit der deutschen Vergangenheit sorgte für breite Kritik in der Öffentlichkeit. Unter anderem der Friedensbeauftragte des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) Renke Brahms kritisierte die Werbung: „Das Wort Gas im Zusammenhang mit Schießen und Militär lässt wenig Fingerspitzengefühl und geschichtliches Bewusstsein bei den Verantwortlichen erkennen“. Er forderte daher den Stopp der Kampagne.
„Gas, Shoa, Schießen“ statt „Gas, Wasser, Schießen“
In Berlin beließen es Aktivist*innen anlässlich des Tages der Bundeswehr nicht bei Kritik und schritten zur Tat. Sie bemalten und beklebten Bundeswehr-Poster rund um das Flugfeld Tempelhof. Hier sollte eine Flugshow mit Militärmaschinen stattfinden, die das Militär jedoch kurzfristig und kleinlaut mangels Genehmigungen absagte. Die Variante der Kommunikationsguerilla lautete dann: „Gas, Shoa, Schießen. Die Bundeswehr wurde von Nazigenerälen gegründet. Weiterhin entwickeln viele Soldat*innen ein rechtes Weltbild.“ Auf einem anderen Motiv stand im Original: „Bundeswehr macht den Meister“, auf der Adbusting-Version hingegen: „Bundeswehr macht den Franco A.“
https://de.indymedia.org/node/33870
LKA ermittelt, weil es Adbusting die Bundeswehr „lächerlich“ macht
Die Aktion sorgte für einigen Ärger bei der Berliner Staatsschutzabteilung 521, die im alten Flughafengebäude untergebracht ist. Die LKA-Abteilung 521 ist immer wieder Gegenstand der Berichterstattung der Hauptstadtpresse, weil sich die Beamt*innen zu Weihnachten Nazi-Grüße in ihre Chatgruppe posteten, den islamistischen Attentäter Anis Amri von der Observationsliste strichen, um Hausbesetzer*innen überwachen zu können, Daten von Linken an Nazis weitergaben oder „privat“ Drohbriefe mit „dienstlichen“ Informationen an Aktivist*innen schickten, ohne dass dies ernsthafte Folgen für die Beamt*innen gehabt hätte. Diese für ihren Rechtsdrall berüchtigte Abteilung sah angesichts der beklebten und bemalten Bundeswehr-Poster selbstverständlich dringenden Handlungsbedarf. Die Beamt*innen ließen die sichergestellten Poster auf DNA-Spuren untersuchen. Adbusting mache die Bundeswehr „lächerlich“, so laut Akte die dienstliche Begründung für die Maßnahme.
Parlamentarische Anfrage wegen DNA-Analyse
Die Abgeordneten Anne Helm und Niklas Schrader fragten nun den Innensenat: „Aus welchen Gründen hat das Berliner LKA 521 – Polizeilicher Staatsschutz in einem Ermittlungsverfahren (231 Ujs 1941/19) wegen eines Vorfalls von Adbusting, bei dem im Rahmen des „Tags der Bundeswehr“ Bundeswehrplakate mit verfremdenden politischen Botschaften in Schaufenstervitrinen gehängt wurden, eine DNA-Spurenanalyse zur Eingabe in die DNA-Analysedatei (DAD) angefordert?“
https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/SchrAnfr/s18-25890.pdf
DNA is ok sagt Staatssekretär Akmann
Der Staatssekretär des Innensenates, Torsten Akmann (SPD) gibt die DNA-Analyse gegen veränderte Werbeposter zu: „Eine kriminaltechnische Untersuchung, auch im Hinblick auf DNA-Spuren, wurde zur Ermittlung des oder der Tatverdächtigen in Auftrag gegeben. (…) Es wurde die kriminaltechnische Untersuchung von zehn Spurenträgern beauftragt. (…) Es liegen bislang keine Untersuchungsergebnisse vor.“ Die Maßnahme sei legal, gerechtfertigt und verhältnismäßig, da es sich um eine Maßnahme gemäß § 163 Abs. 1 Strafprozessordnung (StPO) gehandelt habe.
Merkwürdige Rechtsgrundlage
§ 163 Abs. 1 Strafprozessordnung lautet: „Die Behörden und Beamten des Polizeidienstes haben Straftaten zu erforschen und alle keinen Aufschub gestattenden Anordnungen zu treffen, um die Verdunkelung der Sache zu verhüten. Zu diesem Zweck sind sie befugt, alle Behörden um Auskunft zu ersuchen, bei Gefahr im Verzug auch, die Auskunft zu verlangen, sowie Ermittlungen jeder Art vorzunehmen, soweit nicht andere gesetzliche Vorschriften ihre Befugnisse besonders regeln.“
Prof. Dr. El-Ghazi: Vorgehen nicht gestattet
Doch an dieser Rechtfertigung gibt es Kritik. „Die Ermittlungsbehörden berufen sich auf eine Ermächtigungsgrundlage, die ihr Vorgehen nicht abdeckt“, sagt Prof. Dr. El-Ghazi von der Uni Trier: „Die allgemeine Ermittlungsgeneralklausel in § 163 StPO, auf die sich der Senat beruft, gestattet dieses Vorgehen nicht. Die Strafprozessordnung sieht für die grundsätzlich sehr eingriffsintensive Maßnahme der DNA-Analyse spezielle Regelungen wie § 81e oder § 81g StPO vor.“
„Nicht verhältnismäßig“
Prof. Dr. El-Ghazi bezweifelt außerdem die Verhältnismäßigkeit: „Ob diese Vorschriften die Durchführung der Analyse und die Speicherung der Daten in der DNA-Analyse-Datei beim BKA erlaubt hätten, hängt vom konkreten Einzelfall ab, insbesondere natürlich davon, ob sich die Maßnahme mit Blick auf die Schwere der zu verfolgenden Straftat als verhältnismäßig darstellt. Dies ist schon deshalb zweifelhaft, weil die Ermittlungsbehörden in vielen Fällen recht schnell zum Ergebnis hätten kommen können, dass die Aktionen überhaupt gar nicht strafbar oder geringfügig sind.“
„In vielen Fällen verwirklicht Adbusting überhaupt keinen Straftatbestand“, erklärt El-Ghazi weiter: „Natürlich ist nicht ausgeschlossen, dass es Konstellationen geben kann, in denen Adbuster*innen den Tatbestand der einfachen Sachbeschädigung erfüllen. Dies gilt dann, wenn sie das Originalplakat dauerhaft verändern. Mit Blick auf den geringen Wert der Plakate reden wir hier aber maximal von Bagatellkriminalität.“
Kritik auch aus Bremen vom ZERP
Auch Andreas Gutmann vom Zentrum für Europäische Rechtspolitik (ZERP) der Universität Bremen kritisiert im Juni 2020 in einem Kommentar auf verfassungsblog.de die Ermittlungen: „Dass hier unbewusst-bewusst die Unverhältnismäßigkeit in Kauf genommen wurde, zeigt schon ein Blick in die (den Verfassern vorliegende) Akte. (…) Die strafrechtliche Ermittlung selbst stellt einen Grundrechtseingriff dar, der selbstverständlich den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren muss. Daran bestehen aber im Tempelhof-Fall erhebliche Zweifel.“
https://verfassungsblog.de/adbusting-unbequem-aber-grundrechtlich-geschuetzt/
Sogar Staatssekretär Akmann zweifelt an der Strafbarkeit von Adbusting
Sogar Staatssekretär Akmann beschreibt in seiner aktuellen Antwort anhand eines konkreten eingestellten Verfahrens die mangelnde Strafbarkeit oder Geringfügigkeit von Adbusting-Aktionen (Im konkreten Fall hatte das LKA eine Hausdurchsuchung angeregt): „[Die Anregung zur Durchsuchung] wurde mangels Anfangsverdacht (…) sowie mangels Vorliegen von objektiven Anhaltspunkten für die Strafbarkeit des sog. ‚Adbustings‘ abgelehnt.“ Bereits in einer vorangegangenen parlamentarischen Anfrage vom November 2019 hatte der Staatssekretär das Verändern von Werbeplakaten lediglich als „minderschwere Kriminalität“ bezeichnet.
Zweifel auch beim LKA 521
Polizeiakten aus dem Archiv der Soligruppe plakativ zeigen, dass es selbst beim Staatsschutz 521 zunächst Zweifel an der Verhältnismäßigkeit von DNA-Analysen bei beklebten Werbepostern gab. In Bezug auf ein anderes Adbusting, bei dem es nicht um die Bundeswehr ging, schrieb der damalige Sachbearbeiter Kriminalkommissar Scholz am 19.4.2016 zur Strafanzeige 160409-1433-027709: „Insbesondere in Bezug auf die Sache erscheint eine Untersuchung auf möliche (sic) DNA-Spuren und Auswertung absolut unverhältnismäßig. Aus diesem Grund wurde hiervon abgesehen.“ Staatssekretär Akmann drückt sich in der aktuellen Antwort um eine Bewertung dieser Aussage. Die Senatsverwaltung könne die Akte nicht finden und suggeriert, das angegebene Aktenzeichen gäbe es nicht (für Rückfragen (z.B. wo die Akte liegt…) ist Kriminalkommissar Scholz vom LKA 521 dienstlich unter 030 4664 952119 erreichbar).
Gegen ‚Antirepression‘ und ‚Antimilitarismus‘
Sind DNA-Analysen an veränderten Werbeplakaten verhältnismäßig? Wenn es nach Staatssekretär Akmann geht, lautet die Antwort Ja. Bereits in der Antwort auf eine parlamentarische Anfrage vom November 2019 rechtfertigte Akmann den Fakt, dass der Staatsschutz 521 sich mit beklebten Werbepostern beschäftigt, folgendermaßen: „(…) wegen der überwiegend anzunehmenden Zusammenhänge mit den Themenkomplexen ‚Antirepression‘ und ‚Antimilitarismus‘ war das für politisch motivierte Kriminalität -links- zuständige Kommissariat mit der Bearbeitung betraut.“ Entscheidend scheint für Akmann nicht die Schwere oder die Strafbarkeit einer Aktion zu sein, sondern der Inhalt.
https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/SchrAnfr/S18-21553.pdf
Ermittlungen wegen des Inhaltes der Aktion
Dass für das Handeln der Beamt*innen rechtliche Überlegungen im Vergleich zum Inhalt eher unbedeutend waren, vermutete bereits das Team um Andreas Gutmann vom Zentrum für Europäische Rechtspolitik (ZERP) der Universität Bremen im schon erwähnten Beitrag auf dem Verfassungsblog vom 2. Juni 2020: „Insgesamt entsteht gerade vor dem Hintergrund des in aller Regel geringen Sachschadens durch Adbusting der Verdacht, dass der Ermittlungseifer vom Inhalt der Adbustings befeuert wird – gerade wenn diese sich kritisch mit Polizei, Geheimdiensten und Bundeswehr auseinandersetzen. Ein solches Vorgehen gegen ein bestimmtes Meinungsspektrum ist jedoch grundrechtlich bedenklich.“
Legal, illegal scheißegal
„Das ein tief in Nazinetzwerke verstrickter Staatsschutz nach dem Motto „legal, illegal, scheißegal agiert, ist wenig überraschend“ sagt Klaus Poster, Sprecher*in der Soligruppe plakativ. „Und das ein sozialdemokratischer Senator das deckt, zeigt wie sehr man sich bei der Verteidigung demokratischer Institutionen auf die SPD verlassen kann.“ Die Soligruppe plakativ gründete sich im Herbst 2019 anlässlich eines Gerichtsprozesses wegen Adbusting, um solidarische Öffentlichkeitsarbeit zu dem Fall zu machen. Der Prozess endete mit einer Einstellung. In der Folge nervte die Gruppe mit Öffentlichkeitsarbeit und parlamentarischen Anfragen Geheimdienste und besonders den Staatsschutz 521.
Erfolgreiche Soli-Arbeit
Mit Erfolg: Seit dem Gerichtsprozess 2019 stellte die Staatsanwaltschaft Berlin fast alle Adbusting-Verfahren ein, weil in vielen Fällen keine Strafbarkeit erkennbar war. Auch erlaubte die Staatsanwaltschaft dem LKA Hausdurchsuchungen wegen beklebter Poster keine Hausdurchsuchungen mehr. Im aktuellen Verfassungsschutzbericht strich das Innenministerium den Absatz zu Adbusting, weil das Bekleben von Werbetafeln doch nicht gewalttätig sei. Die Berliner Behörden stoppten 2020 außerdem das Melden von Adbusting an das Terrorabwehrzentrum GETZ. „Wenn die Geheimen öffentlich rechtfertigen müssen, warum ein Staatsschutz oder ein Terrorabwehrzentrum bunte Werbebilder gucken statt rechten Terror zu verhindern, macht das die Verunsicherungsbehörden weit mehr lächerlich, als es Adbustings je könnten“ erklärt Klaus Poster.
Mehr Infos:
Bilder der Adbusting-Aktion mit „Gas, Shoa, Schießen“ und „Bundeswehr macht den Franco A.“ vom Tag der Bundeswehr 2019, dessen Poster das LKA 521 auf DNA-Spuren untersuchen ließ:
https://de.indymedia.org/node/33870
Die aktuelle parlamentarische Anfrage im Original:
https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/SchrAnfr/s18-25890.pdf
Die parlamentarische Anfrage vom November 2019 im Original:
https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/SchrAnfr/S18-21553.pdf
Der Beitrag zu DNA und Adbusting von Andreas Gutmann und seinem Team vom Zentrum für Europäische Rechtspolitik (ZERP) der Universität Bremen:
https://verfassungsblog.de/adbusting-unbequem-aber-grundrechtlich-geschuetzt/
Ein Artikel in der Legal Tribune Online, in der drei Uni-Profs die Rechtslage zu Adbusting ganz genau erklären:
https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/hausdurchsuchung-nach-adbusting-jurastudentin-verfassungsbeschwerde-strafbar-diebstahl-sachbeschdigung-urheberrechtsverletzung/
Die Kritik des Friedensbeauftragten der EKD, Remke Brams an den „Gas, Wasser, Schießen“-Postern der Bundeswehr:
https://www.evangelisch.de/inhalte/156588/08-06-2019/kritik-bundeswehr-werbung-verteidigungsministerium-ueberwiegend-positive-kommentaren