Großer Erfolg für politische Plakatkünstler*innen: Wer Bundeswehrwerbung öffentlich umgestaltet, darf deswegen noch lange keine Hausdurchsuchung kassieren, so beschloss heute das Bundesverfassungsgericht (Aktenzeichen 2 BvR 1749/20). Das Gericht erklärte die vom LKA Berlin 2019 wegen antimilitaristisch verbesserter Bundeswehrwerbung durchgeführten Hausdurchsuchungen für illegal. Die Berliner Polizei begründete die Hausdurchsuchungen bei Adbusting-Aktivist*in Frida Henkel und ihrer Freundin damit, dass die Bundeswehr durch politisch veränderte Werbung (Adbusting) “gar lächerlich” gemacht werde. Dieses Vorgehen enstpreche “nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit”, so das Bundesverfassungsgericht: “Die Anordnung der Durchsuchung war unangemessen, da die Schwere des Eingriffs außer Verhältnis zu dem mit ihm verfolgten Zweck steht”. Das Urteil wurde auf der Seite des BVerfG veröffentlicht.
Kritik an Bundeswehr bleibt dringend
Adbuster*innen können sich über diese Entscheidung freuen, denn überzogene Repressionen bei Staatskritik stellten keine Seltenheit dar. „Dass Karlsruhe überhaupt darüber entscheiden musste, ob man wegen bundeswehrkritischen Postern Hausdurchsuchungen machen darf, ist ein Skandal! Das zeigt bereits, dass Kritik an Polizei und Bundeswehr dringend nötig ist!“ sagt Frida.
Soligruppe spricht von „Klatsche“
Die Lage von Adbuster*innen hatte sich bereits vor der heutigen Entscheidung des Verfassungsgerichts bedeutend verbessert. „Mit rotzfrecher Öffentlichkeitsarbeit machten Adbuster*innen auf die Behörden so viel Druck, dass die Staatsanwaltschaft in den letzten Jahren ein Adbusting-Verfahren nach dem anderen einstellte und sogar eine Straffreiheitseit feststellte, wenn man eigene Poster in Werbevitrinen aufhängt“, so Klaus Poster von der Soligruppe plakativ, die die juristische Auseinandersetzung von Anfang an begleitet hat. Ihn freue die Signalwirkung, die „diese Klatsche in den Repressionsbehörden auslösen wird.“ Schließlich komme es selten vor, dass derart eindeutig über die Unverhältnismäßigkeit polizeilichen Handelns gerichtet werde.
Solidarität auf Poster
Die Berliner Adbusting-Szene solidarisiert sich mit Frida: „Sowas von Feierabend für die Cops. Schluss mit Hausdurchsuchungen wegen Adbusting!“, heißt es auf einem umgebastelten Bier-Werbeposter, das Aktivist*innen heute in eine Bushaltestelle in der Innenstadt hängten.
Eine Dokumentation über die Vorgeschichte dieses Urteils findet sich bei der Soligruppe plakativ und im Buch „Mega Unerhört: Adbusting mit Polizei und Militär“ des Berlin Busters Social Club.
Für Fragen steht am Donnerstag, 21.12. von 9-12h Prof. Dr. El-Ghazi bereit:
Univ.-Prof. Dr. Mohamad El-Ghazi
Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Strafrecht, Strafprozessrecht und Wirtschaftsstrafrecht
Direktor des Trierer Instituts für Geldwäsche- und Korruptionsstrafrecht (TrIGeKo)
FB V – Rechtswissenschaft
Universität Trier
54296 Trier
Telefon: +49651-201-2592
Email: [email protected]
Frida Henkel, Betroffene und Klägerin: 017657869876
Klaus Poster, Soligruppe plakativ: [email protected]
Mehr Infos:
https://plakativ.blackblogs.org
Frida im Fernsehen:
https://www.youtube.com/watch?v=r5iWCHkyxm8
Prof. Dr. Fischer-Lescano erklärt das mit dem Adbusting:
https://verfassungsblog.de/adbusting-unbequem-aber-grundrechtlich-geschuetzt/
Adbusting-Buch „Mega unerhört: Adbusting mit Polizei und Militär“ kaufen:
https://black-mosquito.org/de/mega-unerhort-adbustings-mit-polizei-und-militar.html
Outdoor-Ausstellung in Karlsruhe zu kriminalisierten Adbusting von dies irae:
https://www.facebook.com/media/set/?set=a.1486216304896837&type=3
Antifa-Adbusting
Warum eigene Poster drucken, wenn man auch Adbusting machen kann? Das dachten sich auch einige Antifaschist*innen in Berlin-Adlershof im Juni 2020. An ihrem S-Bahnhof kaperten sie eine Werbefläche mittels Papier und Kleister. Statt auf einen Streaming-Dienst für Hörbücher aufmerksam zu machen, zeigte das Poster nach der Aktion ein großes Antifa-Logo. Außerdem bekam der Werbeslogan „Füll deinen Sommer mit Geschichten“ die Ergänzung „Support your local Antifa.“
Das verschönerte Plakat war kaum zu übersehen. Leider hielt das Adbusting nicht lange. Bereits gegen Nachmittag war es von besorgten Bürger*innen abgerissen worden. Kein Wunder: In Adlershof können Nazis* und besorgte Bürger*innen normalerweise ungestört völlig offen faschistische Symbole im Alltag in der Öffentlichkeit und im Feuerwehrhaus zeigen, ohne das die guten Deutschen und Demokrat*innen sich daran stören.
Polizei stellte zwei Personen
So wundert es nicht, dass das Adbusting bereits in der Nacht einer Streife vom Abschnitt 65 aus Johannisthal aufgefallen war. Laut Akte sah eine Streifenwagenbesatzung vier unbekannte Personen, welche das Plakat umgestalteten und daraufhin aus ihrem Sichtfeld flohen. Für die Beamten des Abschnitts 65, deren Rechtsdrall im Zusammenhang mit der Weitergabe von internen Details aus der Amri-Akte an Nazichatgruppen und dem Naziterror in Süd-Neukölln einer breiten Öffentlichkeit bekannt wurde, ging das natürlich gar nicht und sie begannen laut Akten mit einer Nahbereichsabsuchung. Dabei stellten die Beamten einige Straßen weiter zwei Personen.
Fahndung nach Terrororganisation
Die Beamten sagten den beiden, sie wären tatverdächtig, die Verschönerung am Bahnhof begangen zu haben. Zunächst mussten sich die Polizist*innen aber erst mal darüber austauschen, ob “Antifa” nun eine verbotene Terrororganisation wäre oder nicht. Derweil lagen die beiden Betroffenen zum Terrorverdacht passend mit Handschellen gefesselt auf dem Boden. Zur völligen Überraschung der Beamten stellten sie nach telefonischer Rücksprache mit dem LKA-Dauerdienst fest, dass es sich beim Antifa-Logo weder um ein verbotenes Symbol noch um das Zeichen einer Terrorgruppe handelt.
Einstellung nach einem halben Jahr
Trotzdem beschuldigte sie der Staatsschutz im Oktober 2020 der Sachbeschädigung(Straftat) sowie des Verstoßes gegen das Presserecht (Ordnungswidrigkeit). Dabei behaupten die Beamt*innen, dass das Überkleben von Papier mit noch mehr Papier und Kleister einen Schaden von 100 Euro versucht habe. Nach Vorladungen machten die Betroffenen den Fall öffentlich. Ein halbes Jahr nach der Verhaftung wurde das Verfahren mangels Gründe für eine Anklageerhebung von der Staatsanwaltschaft eingestellt (StPO § 170,2).
Bereits im Mai 2020 stellte die Staatsanwaltschaft Berlin klar, dass das Hineinhängen von eigenen Postern in Werbevitrinen nicht strafbar sei (den Beschluss gibt’s hier). „Und nun wird auch Quatsch mit Großflächen eingestellt.“ Klaus Poster von der Soligruppe plakativ weiß aktuell nur von zwei weiteren Verfahren. „Angesichts der Popularität von Adbusting ist das nicht besonders viel. Allerdings sollte man nicht beim Adbusting lachen. Das ist strafverschärfend.“
]]>Das LKA Berlin ist so verzweifelt von überklebten Werbeplakaten, dass es linken Aktivist*innen mit Hausdurchsuchungen zu Leibe rückt. Dagegen klagt nun die Aktivist*in Frida vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit Unterstützung der Rechtswissenschaftler*innen Prof. Dr. Mohamad El-Ghazi (Universität Trier) und Prof. Dr. Andreas Fischer-Lescano (Universität Bremen). „Die Polizei macht sich lächerlich, wenn sie wegen veränderter Poster Hausdurchsuchungen machen“ sagt Frida. „Die brauchen da mal dringend Nachhilfe aus Karlsruhe.“
Beim Adbusting erwischt
Die Aktivistin Frida wurde zusammen mit einer anderen Person beim Aufhängen eines korrigierten Bundeswehrplakats von einer Zivilstreife beobachtet. Sie nahm die Personalien der zwei Aktivist*innen auf und beschlagnahmte das Plakat. Den scheinheiligen Satz „Geht Dienst an der Waffe auch ohne Waffe?“ verbesserten die beiden zu „Kein Dienst an der Waffe geht ohne Waffe!“
Ein Poster, drei Hausdurchsuchungen
Es folgten Hausdurchsuchungen in drei Wohnungen im Umfeld der Betroffenen. Gegen die Hausdurchsuchungen legt Frida nun Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe ein. „Etwas Papier, Kleister und die Aussage ’Kein Dienst an der Waffe geht ohne Waffe’ reichen für Polizei und Landgericht also aus, um derart massiv in unsere Privatleben einzudringen“ meint Frida Henkel. „Dass das trotzdem passiert ist, kann ich mir nur damit erklären, dass wir inhaltlich diese Kritik geübt haben.“
https://www.zdf.de/nachrichten/video/panorama-adbusting-plakate-100.html
„Kritisches Adbusting ist grundrechtlich geschützt“
Auch Andreas Fischer-Lescano, Professor für Öffentliches Recht, Europa- und Völkerrecht, Rechtstheorie und Rechtspolitik, kritisiert: „Das Vorgehen gegen spezifische Meinungsinhalte wird von Art. 5 GG grundsätzlich untersagt. Es wird Zeit, dass die deutschen Sicherheitsbehörden diesen Grundsatz auch dann beherzigen, wenn es um Adbusting geht, das sich kritisch mit ihren Praxen und Imagekampagnen auseinandersetzt.“
https://verfassungsblog.de/adbusting-unbequem-aber-grundrechtlich-geschuetzt/
Eindeutig, dass Hausdurchsuchungen unverhältnismäßig sind
Mohamad El-Ghazi, Professor für Strafrecht und Strafprozessrecht an der Universität Trier ist ähnlicher Meinung: „Wir sprechen hier, wenn überhaupt, über einfachen Diebstahl, beziehungsweise über Sachbeschädigung. Bei Adbusting geht es maximal um Bagatellkriminalität. Ich glaube, es ist relativ eindeutig, dass hier Hausdurchsuchungsmaßnahmen, also Eingriffe in die Wohnung, unverhältnismäßig sind.“
https://www.sueddeutsche.de/kultur/adbusting-unverhaeltnismaessigkeit-der-mittel-1.5024488
Adbusting ist Thema im Terrorabwehrzentrum
Die harte Verfolgung von Adbustings ist kein Einzelfall: Im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorabwehrzentrum von Bund und Ländern (GETZ) war Adbusting in 2018/19 gleich viermal Thema (https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/172/1917240.pdf, S. 5). Das GETZ wurde 2012 zur Bekämpfung von Rechtsterrorismus nach dem Auffliegen des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ gegründet. Im Jahr 2019 stand Adbusting im Verfassungsschutzbericht (https://www.verfassungsschutz.de/embed/vsbericht-2018.pdf, S. 127). Das Bundesamt für Verfassungsschutz nannte Adbusting-Aktionen, die Polizei und Militär kritisieren, in einem Atemzug mit Angriffen auf Beamte. Auch der Militärische Abschirmdienst (MAD) sammelt Informationen zu linken Adbustings (https://dipbt.bundestag.de/doc/btd/19/172/1917240.pdf, S. 7f), weil es seine Aufgabe sei, „die Sicherheit der Liegenschaften der Bundeswehr und ihrer Verbündeten zu gewährleisten.“
Fingerabdrücke und DNA-Spuren
Die Polizeien von Berlin, Bayern und Thüringen ließen gefundene Poster auf Fingerabdrücke und DNA-Spuren untersuchen. Dies ist nur bei „erheblichen“ Straftaten erlaubt. Die Verfahren zu Adbusting mit Werbevitrinen endeten bisher mit Einstellungen wegen Geringfügikeit. Der erste und bis jetzt größte Fall vor Gericht im Oktober 2019 wurde eingestellt (https://taz.de/Repression-gegen-Adbusting/!5693667/). Die Staatsanwaltschaften von Berlin, Erfurt und Hamburg stellten Adbusting ein, weil sie keine Strafbarkeit erkennen konnten.
Kritik aus der Politik
Ulla Jelpke, Abgeordnete der Linken im Bundestag unterstützt das Anliegen: „Ich kann mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Sicherheitsbehörden womöglich deswegen gleich ‚Gewalt‘ und ‚Extremismus‘ rufen, weil die Plakatkünstler mit ihrer Kritik an Gewalt durch Polizei und Militär durchaus ins Schwarze getroffen haben. Getroffene Hunde bellen.“ (https://www.ulla-jelpke.de/2020/02/diskreditierung-kritischer-plakatkunst-durch-geheimdienst-ist-unverhaeltnismaessig/). Auch Anne Helm, Linksfraktion im Abgeordnetenhaus Berlin, sagt: „Adbusting ist kein Terrorismus.“
Landgericht lehnte eine Beschwerde ab
Frida hatte bereits eine Beschwerde beim Landesgericht eingereicht. Diese wurde abgelehnt. Klaus Poster von der Soligruppe plakativ dazu: „Sogar das Landesgericht muss anerkennen, dass Adbusting keine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder sonst irgendwen bedeutet und in diesem Sinne eine ‚unerhebliche Straftat‘ sei.“ Doch weil LKA und Staatsanwaltschaft keinen ausreichenden Tatverdacht hatten, sagt das Landgericht, sie hätten durchsuchen müssen, um zu gucken, ob sie nicht doch einen Tatverdacht hätten finden können. Deshalb sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vorliegend „noch“ gewahrt gewesen. „Wer das jetzt gaga findet, hat es begriffen“ erläutert Klaus Poster.
Mehr Informationen zur abgelehnten Beschwerde:
https://plakativ.blackblogs.org/2020/09/11/hausdurchsuchungen-wegen-adbustings-berliner-lka-wiegt-sich-noch-in-sicherheit/
Solidarität aus der Kommunikationsguerilla
Mit Frida solidarisierten sich Adbusting-Gruppen. In Berlin hängte die Gruppe 110% subversiv gestern verbesserte Polizeiposter in Werbevitrinen. Statt „Wir schützen auch das Recht gegen uns zu sein“ hieß es auf den Postern „Wir scheißen auf das Recht gegen uns zu sein.“ Subversica Meyer, die Sprecher*in der Gruppe 110% subversiv sagte: „Außerdem sendet 110% subversiv mit ihrer Adbusting-Aktion Probs und viel Kraft an die Genossin*innen von der anarchistischen Bibliothek Kalabalik. Und an Frida, die gerade vor dem Bundesverfassungsgericht gegen eine Hausdurchsuchung wegen Adbusting klagt. Denn wir wissen ja alle: Ob friedlich oder militant – Wichtig ist der Widerstand!“
Mehr Infos und Bilder der Aktion in Berlin:
https://de.indymedia.org/node/106642
Mehr Infos:
StA Berlin: Adbusting straffrei, wenn man eigene Poster mitbringt:
Das wird der Wall AG und dem Staatsschutz überhaupt nicht gefallen: Die Staatsanwaltschaft Berlin hat erneut ein Ermittlungsverfahren wegen Adbusting eingestellt. Eine Person war in der Walpurgisnacht beim Aufhängen selbst gemachter Poster, die den Reinickendorfer Bezirksbürgermeister Frank Balzer wegen der Ausrichtung des Tags der Bundeswehr kritisierten, verhaftet worden. Die überraschende Begründung der Verfahrenseinstellung: Das Aufhängen von eigenen Postern in Werbevitrinen ist nicht strafbar.
Was ist Adbusting?
Adbusting nennt sich eine Aktionsform, bei der Werbeplakate mittels Aufklebern verändert werden und so eine neue politische Aussage bekommen. Sehr häufig passiert dies bei Wahlen, gerne auch bei rassistischer Spendenwerbung. Auch sexistische Werbung wird gerne mittels Adbusting bis zur Kenntlichkeit entstellt. Seitdem staatliche Stellen wir Bundeswehr, Polizei und Geheimdienste Image- und Personalwerbung im öffentlichen Raum nötig haben, sind auch die Poster der staatlich bezahlten Gewalttäter*innen ein gern genutztes Ziel der Adbusting-Kommunikationsguerilla.
Hausdurchsuchung abgelehnt
Beim Verändern von Werbung kommt es immer wieder zu Festnahmen und Strafverfahren. In der Walpurgisnacht 2020 hatte eine „namenlose Bezugsgruppe“ versucht, in Tegel antimilitaristische Adbustings aufzuhängen. Dabei dieser Gruppe von der Polizei verhaftet. Wie aus der Akte zum Verfahren hervorgeht, versuchte daraufhin der wegen rechter Vorfälle berüchtigte LKA-Staatsschutz 521 einen Hausdurchsuchungsbeschluss zu erwirken. Die Staatsanwaltschaft lehnte dies jedoch ab (1).
StA: Eine Strafbarkeit wegen Diebstahls scheidet aus
In dem Beschluss vom 15.5.2020 schreibt die Staatsanwältin: „Eine Strafbarkeit wegen versuchten Diebstahls durch das Abhängen der ursprünglich im Schaukasten befestigten Plakate scheidet bereits aus, da die Plakate hinter dem Kasten versteckt aufgefunden wurden. Eine Zueignungsabsicht kann daher nicht festgestellt werden.“
StA: Sachbeschädigung kommt nicht in Betracht
Auch den Vorwurf der Sachbeschädigung lehnt die Staatsanwältin ab: „Auch waren die ursprünglich befestigten Plakate noch intakt, sodass eine Sachbeschädigung allein im Sinne des Abs. 2 nicht in Betracht kommt.“ Strafgesetzbuch §303 Absatz 2 ist der sogenannte Graffiti-Paragraph. Er regelt, dass auch das dauerhafte Verändern des Erscheinungsbildes einer Sache strafbar ist, und nicht nur eine Substanzverletzung. Doch dieser greife laut der Staatsanwältin ebenfalls nicht: „Dieser ist grundsätzlich weit gefasst, sodass es unter Umständen noch vom Tatbestand umfasst sein dürfte, dass die entfernten Plakate der optischen Wahrnehmbarkeit entzogen sind. Jedenfalls scheitert die Strafbarkeit jedoch daran, dass die Plakate kurzfristig und ohne großen Aufwand wieder in dem Kasten hätten befestigt werden können, sodass es sich um eine unerhebliche Veränderung der Sache handelt.“ Das haben die Polizist*innen ja auch kurzerhand und aktenkundig in der Nacht der Verhaftung selbst erledigt.
StA: Ohne weitere Ermittlungen einzustellen
Doch die Hausdurchsuchungs- und DNA-geile Staatsschutzabteilung 521 bekommt noch einen Seitenhieb ab: „Das Verfahren gegen den Beschuldigten war daher ohne weitere Ermittlungen einzustellen.“ Damit erteilt die Staatsanwältin dem LKA eine klare Grenze, und sie lehnt den Antrag auf Hausdurchsuchung ab und verbietet die Entnahme von DNA-Proben. Ob sich das LKA daran hält, wird die Zukunft zeigen.
Geheimdienstüberwachung, weil Adbusting die Bundeswehr lächerlich macht
Dem Staatsschutz dürfte dieser aktuelle Beschluss zur Nichtstrafbarkeit von Adbusting kaum gefallen. Denn Polizei und Geheimdienste reagieren allergisch auf diese Aktionsform. Der Geheimdienst „Verfassungsschutz“ und der Militärische Abschirmdienst sammeln systematisch Informationen zu Adbusting (2). Im Verfassungsschutzbericht 2019 stellt das Bundesinnenministerium das Verändern von Werbung in einen Zusammenhang mit Angriffen auf Beamt*innen (3). Im Gemeinsamen Extremismus und Terrorismusabwehrzentrum von Bund und Ländern (GETZ) war in 2018/19 Adbusting gleich viermal Thema (4). Das LKA Berlin veranstaltete bereits mindestens fünf Hausdurchsuchungen wegen veränderter Werbung (5) und sucht die beschlagnahmten Kunstwerke systematisch nach DNA-Spuren ab (6). Die Begründung: Adbusting mache die Bundeswehr „lächerlich“.
Fischer-Lescano: „Unbequemes Adbusting ist grundrechtlich geschützt“
Doch bei der Kriminalisierung von kritischen Meinungsäußerungen mussten die Verunsicherungsbehörden bereits mehrere Rückschläge hinnehmen. Mehrere Abgeordnete fragten mit parlamentarischen Anfragen nach (7). Diverse Medien berichteten über das lächerliche Vorgehen der Behörden (8). Der Bremer Staats- und Verfassungsrechtler Prof. Dr. Fischer-Lescano veröffentlichte ein Gutachten, das die Strafbarkeit von Adbusting bezweifelt (9):
„Unbequemes Adbusting ist grundrechtlich geschützt.“ Vor dem Hintergrund des in aller Regel geringen Sachschadens durch Adbusting entstünde der Verdacht, dass der Ermittlungseifer vom Inhalt der Adbustings befeuert werde, wenn diese sich kritisch mit Polizei, Geheimdiensten und Bundeswehr auseinandersetzten: „Das Vorgehen gegen spezifische Meinungsinhalte wird von Art. 5 GG grundsätzlich untersagt. Es wird Zeit, dass die deutschen Sicherheitsbehörden diesen Grundsatz auch dann beherzigen, wenn es um Adbusting geht, das sich kritisch mit ihren Praxen und Imagekampagnen auseinandersetzt.“
„Wenn man schon Plakate austauscht, dann nimmt man die Originale nicht mit.“
Diese Einsicht scheint sich jetzt auch in der Berliner Justiz herumzusprechen. Bereits im Oktober 2019 musste ein mit großem Aufwand organisierter Gerichtsprozess wegen Adbusting eingestellt werden. Damals scheiterte die Kriminalisierung des LKAs schlicht an der Frage, was genau eigentlich der Sachschaden beim Entfernen eines Plakates aus einer Werbevitrine sei. Die sichtlich genervte verurteilungswillige Richter*in pöbelte damals der Angeklagten nach Ende der Verhandlung folgendes hinterher: „Wenn ich Ihnen einen Tipp geben darf: Wenn man schon Plakate austauscht, dann nimmt man die Originale nicht mit.“ (10)
Kein Abschreckungseffekt
Die autoritären Charaktere beim LKA 521 dürften derweil ziemlich kochen. Die Berliner Kommunikationsguerilla-Szene macht die Bundeswehr weiterhin bei jeder Gelegenheit lächerlich. Erst am letzten Wochenende hing anlässlich des wegen der Pandemie abgesagten „Tags der Bundeswehr“ die Berliner Innenstadt voll mit nachgemachten Postern im Design der Bundeswehr, die das Militär kritisieren und den Tag ohne Bundeswehr feierten (11). Man darf also gespannt sein, welche Tricks sich der Staatsschutz als nächstes ausdenkt.
Alle Fälle eingestellt
Auch die Werbefirma WallDecaux, der die meisten Werbevitrinen in Berlin gehören, dürfte das nicht witzig finden. Gerade erst hat der Berliner Senat beschlossen, das Volksbegehren „Berlin Werbefrei“, das sich für den Abbau der Werbevitrinen einsetzt, abzulehnen. „Und nun muss WallDecaux sich damit auseinander setzen, dass es de facto straffrei sein soll, eigene Poster in die Werbevitrinen der Firma zu hängen“ sagt Klaus Poster, Sprecher*in der Soligruppe plakativ. „Alle Fälle, die wir betreut haben, sind mittlerweile auf die eine oder andere Art in der Einstellung gelandet. Also falls ihr Stress wegen Adusting bekommt, meldet euch. Wir sind sehr gespannt, wie das alles weiter geht.“
Alte Fälle?
Die Soligruppe interessiert sich auch für alte Fälle. Ist das mit der Kriminalisierung echt alles ganz neu, oder hat es ähnliche Kämpfe in den 90zigern oder 2000er Jahren auch schon gegeben? Und wie ist das damals abgelaufen? Wer was darüber weiß oder alte Akten hat, darf sich auch gerne bei uns melden: [email protected]
Tipps fürs Adbusting:
Wie gehen Werbevitrinen auf?
http://maqui.blogsport.eu/2019/01/03/wie-oeffnet-man-werbevitrinen/
Wie macht man Poster für Citylights selbst?
https://de.indymedia.org/node/87378
Adbusting mit Kleister und Papier auf Megalights?
https://www.projektwerkstatt.de/media/text/kalender_2004_kal_kleben.pdf
Fußnoten und Quellenverweise:
(1) Eine namenlose Bezugsgruppe: „Strafbarkeit scheidet aus“: Adbusting-Verfahren in Tegel eingestellt, de.indymedia.org, 20.6.2020
https://de.indymedia.org/node/90218
(2) Joswig, Gareth: Auf die linke Tour. In: taz, 24.2.2020.
https://taz.de/Kriminalisierung-von-Adbusting/!5664706/
(3) Nowak, Peter: Dünnhäutige Schutzleute. In: Neues Deutschland, 3.10.2019.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1126663.adbusting-duennhaeutige-schutzleute.html
(4) Kleine Anfrage der der Abgeordneten Ulla Jelpke u. a. und der Fraktion DIE LINKE. Einordnung von Adbusting als linksextremes Gewaltdelikt durch das Bundesamt für Verfassungsschutz. BT-Drucksache 19/16887.
https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/172/1917240.pdf
(5) Soligruppe plakativ: Drei Hausdurchsuchungen wegen eines veränderten Bundeswehr-Plakats.
barrikade.info, 28.2.2020. https://barrikade.info/article/3214
(6) DNA-Analyse wegen veränderter Bundeswehrwerbung unverhältnismäßig. de.indymedia.org, 9.6.2020.
https://de.indymedia.org/node/87283
(7) Schriftliche Anfrage des Abgeordneten Niklas Schrader (LINKE)vom 11. November 2019 zum Thema: Staatsschutzdelikt Adbusting? https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/SchrAnfr/s18-21553.pdf
Schriftliche Anfrage der Abgeordneten Niklas Schrader und Anne Helm (LINKE) vom 18. Mai 2020 zum Thema: Staatsschutzdelikt Adbusting? (II). https://pardok.parlament-berlin.de/starweb/adis/citat/VT/18/SchrAnfr/s18…
Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Ulla Jelpke, Dr. André Hahn, Gökay Akbulut, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Arbeitsweise und Schwerpunkte des Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrums (GETZ). Drucksache 19/18417.
https://dip21.bundestag.de/dip21/btd/19/189/1918932.pdf
(8) Stoltzenberg, Henning von: »Geheimdienste haben daran keinen Spaß«. Junge Welt, 8.6.2020.
https://www.jungewelt.de/artikel/379763.adbusting-in-berlin-geheimdienste-haben-daran-keinen-spa%C3%9F.html
Nowak, Peter: Polizei mit »Kackbratze« beschäftigt. Neues Deutschland, 27.11.2019.
(9) Fischer-Lescano, Andreas; Gutmann, Andreas: Unbequemes Adbusting ist grundgesetzlich geschützt. Verfassungsblog, 6.6.2020.
https://verfassungsblog.de/adbusting-unbequem-aber-grundrechtlich-geschuetzt/
(10) Frank, Marie: Adbusting: Unschuldige Protestkunst. Neues Deutschland, 9.10.2019.
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1126842.adbusting-unschuldige-protestkunst.html
(11) Adbustings zum Tag ohne Bundeswehr in der Berliner Innenstadt. de.indymedia.org, 13.6.2020.
Das nd berichtet heute über eine parlamentarische Anfrage im Landtag von Thüringen. Die Polizei von Erfurt hat offensichtlich eine AfD-Betriebskampfgruppe. Und die war beleidgt, als ihr Führer Bernd Höcke auf selbstgemachten Plakaten in Werbevitrinen als „nationalistischer Rattenfänger“ kritisiert wurde. Deshalb nahmen sie DNA-Proben von den Plakaten und einem Mitarbeiter der Werbefirma. Staatsanwalt Grüneisen dazu: »Wir haben das eingestellt, weil das nicht strafbar ist«.
3.11.2019 „Ermittlungen die es nie hätte geben dürfen“ im Neuen Deutschland von Sebastian Hauk:
https://www.neues-deutschland.de/artikel/1128063.zentrum-fuer-politische-schoenheit-ermittlungen-die-es-nie-haette-geben-duerfen.html
Die parlamentarischen Anfragen im Original:
]]>Die Berliner Polizei scheint ein ausgeprägtes Interesse für Kunst zu pflegen: Gleich zwei mal klingelten sie morgens um 6 Uhr die gleichen Leute wach, um Plakate zu begutachten, einzukassieren, und Monate lang mühevoll auszuwerten. Das Ergebnis ist nun ein Prozess am Amtsgericht Tiergarten, bei dem der Vorwurf der Sachbeschädigung und des besonders schweren Diebstahls von Plakaten im Raume steht. 200 Tagessätze schlägt die
Staatsanwaltschaft zu Berlin vor – nicht als Kunstpreis, sondern als Strafe. Es handelt sich dabei u.a. um Plakate gegen Rechts, die auch auf dieser Seite schon verbreitet wurden. Ebenfalls ist das mimimi-Plakat (Causa Erdogan/ Jan Böhmermann, Majestätsbeleidigung) Gegenstand der Strafverfolgungsbehörden.
Einladung: Öffentliche Verhandlung
Dienstag, 08.10.19 12 Uhr, Raum 571
Amtsgericht Tiergarten, Turmstraße 91, 10559 Berlin
Kommt 20 min. früher und habt keine kriminalisierbaren Dinge dabei. Es gibt Einlasskontrollen, bringt einen Ausweis mit. Zufälligerweise findet einen Tag vorher ein Publikumstraining für Gerichtsprozesse statt:
https://agskillsharing.blackblogs.org/mo-7-10-um-19h-publikums-aktionstraining-fuer-gerichtsprozesse/
Strafverfolgung wegen Adbusting
Wir wissen nicht, wer schon alles Stress mit der Justiz hatte, wegen Adbusting-Aktionen die „Dies Irae“ zugeschrieben werden. Wir haben weder ein Copyright auf Plakate, noch können und wollen wir kontrollieren, wer, wann, wo, welche Plakate aufhängt. Meldet Euch, wenn ihr Stress bekommt, so wie die Person, die am 08.10.19 vor Gericht steht.
Wäre ja nicht das erste mal, dass die Justiz Personen verdächtigt, und im Laufe der Strafverfolgung einsehen muss, dass Unschuldige einer Straftat bezichtigt wurden, oder gar kein Strafratsbestand erfüllt wurde:
– 2016 erstattet Björn Höcke Anzeige wegen Beleidigung, wegen eines Plakats in Erfurt: Die Staatsanwaltschaft Erfurt kann aber keine Straftat erkennen, da der Inhalt eindeutig von der Meinungsfreiheit gedeckt ist.
– 2017 konstruiert H&M wegen des Plakats „Jobs@H&N“ Üble Nachrede, Verleumdung und Nötigung. Die Staatsanwalt Hamburg lässt die Strafverfolgung ins Leere laufen.
– 2017 tauchen am Hamburger Hauptbahnhof Plakate auf, die den Arbeitsfetisch unserer Gesellschaft thematisieren. Die Polizei verfolgt eine Person, die zur fraglichen Tatzeit zwar nicht in Hamburg war, aber immerhin ein Foto von dem Plakat twitterte. Offenbar reicht das aus, um sich verdächtig zu machen. Die Polizei muss später einräumen, dass die betroffene Person nichts mit der Aktion zu tun hatte. Und dass gar keine Straftat (Sachbeschädigung) vorlag.
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