Uncategorized – Ramba Zamba https://rambazamba.blackblogs.org Blog.Links.Gut Sat, 06 Mar 2021 17:19:34 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Frauenkampftagsfolklore https://rambazamba.blackblogs.org/2021/03/06/frauenkampftagsfolklore/ Sat, 06 Mar 2021 17:19:34 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=896 Continue reading Frauenkampftagsfolklore ]]>
Am Montag ist es wieder so weit: Es ist der internationale Frauenkampftag. Die jährliche Folklore hat schon begonnen, Aufrufe und Kampfansagen gibt es auf allen Kanälen zu sehen. Und das ist gut so. Aber nicht ausreichend. Denn in der radikalen Linken macht man es sich mitunter etwas leicht und das in mehrfacher Hinsicht.
 
Da wäre zum einen die individuelle Ebene. Warme Worte und der erwartbare Post am 8. März mit einem eventuellen Demobesuch sagen absolut nichts darüber aus, ob sich jemand wirklich mit den unterschiedlichen Aspekten patriarchaler Unterdrückung und des Antifeminismus auseinandergesetzt hat. Dazu zählen unter anderem Sexismus, Maskulinismus, Incels, frauenfeindliche Sozialcharaktere wie Nice Guys, Rape Culture, Männerrechtsbewegung, religiöser Antifeminismus, häusliche Gewalt, fehlende Chancengleichheit, ungleich verteilte Carearbeit, verstärktes Armutsrisiko, sexistische Schönheitsideale, Kommodifizierung weiblicher Körper und Sexualität und und und. Vor allem zählt auch das eigene Verhalten dazu – und das nicht nur bei Männern. Internalisierte Frauenfeindlichkeit ist ein Phänomen, welches sehr unangenehm in der eigenen Aufarbeitung ist.
 

Das Private ist politisch

 
Gerade bei Männern ist der Habitus eine ganz große Baustelle. Man wird von der Geburt an in alte Rollenbilder hinein geprägt und durch eine patriarchale Gesellschaft selber patriarchal geprägt. Sich dessen nicht nur mit einem Häkchen auf der To-Do-Liste bewusst zu werden, sein eigenes Verhalten anderen gegenüber kritisch zu beurteilen und sexistische Verhaltensweisen und Denkmuster zu überwinden, ist sehr viel harte Arbeit und hat mit viel unschöner Selbsterkenntnis zu tun. Dies ist ein fortlaufender Prozess und nichts, was man mal eben an ein paar Pflichtterminen im Jahr macht.
 
Die Gefahr besteht hier, dass einige Linke sich diesem Reflexionsprozess erst gar nicht oder nur teilweise stellen. Auf dem Papier ist man ja sowieso dagegen, also braucht man sich dann auch nicht großartig weiter damit beschäftigen. Man verlagert die Problematik auch gerne nach außen und meint, mit ein paar Gesetzesänderungen und Initiativen wäre dem Problem beizukommen. Im Gegensatz zum Kapitalismus haben wir es hier aber mit einer Unterdrückungsform zu tun, welche wir auch individuell ausüben. Dies bedeutet, man kann selber einen Unterschied machen und die Welt weniger sexistisch gestalten. Man sollte daher immer wieder darauf drängen, die teilweise wohlfeile Selbstgefälligkeit zu durchbrechen und eine Veränderung des Verhaltens auch von Linken einzufordern.
 
Es gibt ja gerade einen zumindest im Antifaspektrum prominenten Fall mit Sören Kohlhuber. Dieser hat sich in der Vergangenheit sexistisch verhalten und geäußert. Seit letztem Jahr läuft ein Aufarbeitungsprozess mit einer Arbeitsgruppe, welche einerseits für Betroffene eine unabhängige Anlauf- und Beschwerdestelle darstellt, andererseits den Reflexionsprozess leitet und entscheiden wird, ob dieser Prozess erfolgreich war. Auch wenn es innerhalb der Linken insgesamt besser als im Rest der Gesellschaft ist und eine sehr viel höhere Aufmerksamkeit für diese Problematiken vorhanden ist, bleibt das Problem des Sexismus und einer strukturellen Benachteiligung dennoch bestehen.
 

Männer unter sich

 
Ein wirklich gewichtiger Faktor ist dabei, dass insbesondere unter Männern und im männlichen Bekanntenkreis kaum über das Thema geredet wird, insbesondere was die Verhaltensweisen angeht. Auch in der Linken gibt es stellenweise einen männlichen Gruppenschutz für andere Männer, Vorfälle werden nur halbherzig aufgearbeitet. Die Vorfälle beim Festival „Monis Rache“ (Filmaufnahmen von den Frauen-WCs wurden gemacht und verbreitet) und deren anfänglich schleppende Aufklärung wären hier als Beispiel zu nennen. Sich im Jahr ein paar Mal auf eine Demo mit feministischen Anspruch zu stellen, ändert daran halt wenig.
 
Die Probleme tauchen aber nicht immer nur fernab des eigenen Umfelds auf, sie sind in der Regel in jedem Bekannten- und Familienkreis anzutreffen. Es muss daher ein offener, solidarischer und im Notfall konsequenter Umgang mit derartigen Problemen gefunden werden. Am Anfang dessen steht aber überhaupt erst einmal die Erkenntnis, nicht immer nur in radikaler Pose die Gesellschaft anzuklagen, sondern auf sich selbst und das eigene Umfeld zu schauen. Und dies passiert nicht dadurch, dass man sich öffentlich zum Jahrestag solidarisch zeigt.
 

Für was eigentlich kämpfen?

 
Aber nicht nur im Privaten gibt es Baustellen, die sich nicht durch die Frauenkampftagsfolklore beheben lassen. Im juristischen Sinne hat die Frauenbewegung in den deutschsprachigen Ländern so gut wie alles erreicht. Es gibt immer noch Einschränkungen in die körperliche Selbstbestimmung mittels der Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen und dem Verbot der Werbung bzw. Aufklärung darüber bei Frauenärztinnen. Der legalistische Kampf ist aber so gut wie vollständig gewonnen. Damit ist eine gesellschaftliche Gleichstellung aber noch lange nicht erreicht, womit wir zu einer weiteren Baustelle kommen.
 
Abseits von Wortradikalismus gibt es zur Zeit wenig Konkretes zu vernehmen. Ein Problem nicht nur im Feminismus, aber eben auch hier. Wie man die immer wortreich und ausdrucksstark benannten Ziele der freien Gesellschaft und des Endes des Patriarchats erreichen will, bleibt man meistens schuldig. Dabei werden ja Probleme benannt: Ungleiche Bildungschancen, ungleiche Verteilung bei der häuslichen Arbeit inklusive Erziehung, niedrigere Bezahlung, schlechtere Karrierechancen, höheres Armutsrisiko, erhöhtes Risiko häuslicher Gewalt, sexuelle Gewalt, Sexualisierung weiblicher Körper, patriarchale Rollenerwartung, ungesunde Schönheitsideale und noch vieles mehr.
 

Lasst uns konkret werden

 
Nehmen wir das konkrete Beispiel der Carearbeit im häuslichen Umfeld. Putzen, waschen, bügeln und die Kinder betreuen sind Tätigkeiten, welche überproportional häufig von Frauen erledigt werden. Selbst im Jahr 2021 hängen in WGs Karten am Kühlschrank, auf denen steht: „Feminismus ist für mich, wenn die Männer genauso viel putzen.“ Die Mehrbelastung von Frauen wird dann gerne in unbezahlten Arbeitsstunden angegeben und oft als Wirtschaftsleistung von x Milliarden im Jahr beziffert. Nur welche konkreten Lösungsvorschläge hat die radikale Linke für das Problem zu liefern, wenn man zusätzlich die Kommodifizierung von Tätigkeiten als Problem erkannt hat? Carearbeit soll aufgewertet werden, aber wie genau? Man muss Konzepte erarbeiten, die diese Tätigkeiten nicht noch weiter den Marktlogiken unterwerfen und der Kapitalverwertung damit weitere Felder öffnet.
 
So leid es einem tut, aber hierzu findet man auf den üblichen Veranstaltungen rund um den Frauentag keine Antworten, so wie man sie auch in der radikalen Linken allgemein kaum findet. Dabei sind das aber die Aufgaben, denen sich ein nicht nur an Worten interessierter Feminismus widmen muss. Auf welche Art muss die Funktionsweise des Wirtschaftssystems und der Gesellschaft geändert werden, um die genannten Probleme sinnvoll zu bekämpfen? Welche Zwischenschritte sind dazu notwendig, wie sollen diese Maßnahmen finanziert werden? Was hat die radikale Linke am Frauenkampftag konkret für alleinerziehende Mütter unterhalb der Armutsgrenze im Angebot?
 
Die Frauentagsfolklore hat darauf keine Antwort. Mitunter bekommt man den Eindruck, dass man sich mit solchen harten Fragen nicht beschäftigen will. Man müsste dann ja konkret werden, konkrete Maßnahmen vorschlagen und jede Menge Arbeit in das Ausarbeiten von Konzepten stecken. Oder zumindest wissen, welche Konzepte es bereits gibt und diese dann auch pushen. Man müsste konkrete Positionen beziehen und dafür kämpfen. Eine Sache, die in der radikalen Linken zur Zeit kaum anzufinden ist, egal um welches Thema es geht. Abseits vom Antifaschismus sieht es da ziemlich düster aus. Kritik können wir alle mehr oder weniger gut, umsetzbare Lösungsansätze dafür entwickeln aber nicht.
 
Ereignisse wie der Frauenkampftag liefern, wenn man sich nicht konsequent mit den Problemstellungen beschäftgit, die Selbstversicherung, dass man doch genug mache. Aber man sollte sich gegenüber ehrlich sein und fragen, ob man denn wirklich mehr als Kritik und die richtige Grundeinstellung vorzuweisen hat. Diese sind wichtig, aber für einen erfolgreichen Aktivismus ist auch die Handlungsseite notwendig. Auf sich selbst und das eigene Umfeld bezogen, aber auch auf konkrete gesellschaftliche Probleme. Diese beheben sich schließlich nicht von alleine und nicht nur an einem Tag im Jahr.

 

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Wallstreet vs Reddit: Das Irrenhaus namens „Kapitalismus“ im Normalbetrieb https://rambazamba.blackblogs.org/2021/01/29/wallstreet-vs-reddit-das-irrenhaus-namens-kapitalismus-im-normalbetrieb/ Fri, 29 Jan 2021 12:55:39 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=891 Continue reading Wallstreet vs Reddit: Das Irrenhaus namens „Kapitalismus“ im Normalbetrieb ]]> Wer in den letzten Tagen unter dem Hashtag #Gamestonks einen Blick ins Twitterverse warf, der wurde Zeuge eines bizarren Spektakels: Ein (zumindest letzte Woche noch) etwa 12 Mrd Dollar schwerer Hedgefonds namens „Melvin Capital“(MC) liefert sich einen ungleichen Kampf gegen eine ganze Armee aus Kleinanleger*innen, die sich auf dem Subreddit „Wall Street Bets“ zusammengefunden und organisiert hat. Das Ziel: durch organisierten Aktienkauf die angeschlagene Videospiel-Einzelhandelskette „GameStop“ vor dem Ruin zu retten und damit die Leerkaufwette von MC auf die Marktpleite von GameStop zu verhindern.

Der momentane Stand: MC hat wohl bisher um die 5 Mrd Dollar an Marktwert eingebüßt und musste, wie Hedgefonds-Manager Gabe Plotkin zerknirscht einräumte, milliardenschwere Bailouts von der Konkurrenz annehmen, damit MC nicht komplett baden geht. Dazu sahen sich andere Hedgefonds genötigt teils selber zu verkaufen und Verluste einzufahren. Insgesamt 70 Milliarden Dollar betragen die Verluste auf Leerkaufwetten an der Wall Street allein in diesem Jahr – und ein beachtlicher Teil davon ist der Fastpleite von MC zuzuschreiben. Zwei Hedgefonds hat es (Stand Freitag 12:00) wohl erwischt und weitere „Marktbereinigungen“ sind nicht ausgeschlossen. Der freie Markt tut freie Markt-Dinge und auf einmal ist das Geschrei groß.

Was sind Leerkaufwetten? Man verkauft Aktien an einem bestimmten Zeitpunkt zur gerade aufgerufenen Summe und vereinbart, die Aktie nach einem bestimmten Zeitpunkt zurückzukaufen, in der Regel eine Woche später. Man spekuliert darauf, dass die Aktie in der Zeit an Wert verloren hat und man sie zu einem günstigeren Preis zurückkaufen kann. Man steht also im Idealfall am Ende mit gleich viel Aktien und mehr Cash da. Dadurch, dass man zu Beginn der Wette viele Aktien abgestoßen hat, gibt man zudem einen starken Impuls zur Kurssenkung. Klingt nach Marktmanipulation? Damn right. MC hat nun das Pech, dass der Kurs gezielt gestützt wurde und man nun das zigfache des Verkaufspreises vom Montag hinblättern muss. Wette verloren, Fonds pleite.

Man zeigte sich in Folge dessen von Kapital-Seite tief empört, dass da ein paar Gamer-Nerds so einfach den Spieß umgedreht hatten und im Zeitraum weniger Tage Kapitalanlagen im Wert mehrerer Milliarden US-Dollar durch den Reißwolf gejagt hatten. So empörten sich manche Wallstreet-Ökonomen und Wirtschaftsjournalisten im Live-Fernsehen über die Affäre. Ja wissen diese Zoomer-Kids denn nicht, dass in diesen Wertpapieren, die da gerade den Bach runter gehen, auch Tante Hedwigs kapital-basierte Privatrente dabei ist? So oder so ähnlich der Erregungskorridor. Zusätzlich zeigte man sich doch nicht ganz so einverstanden mit dem freien Markt und hat inzwischen den Handel mit Gamestop-Aktien weltweit beschränkt und teilweise ausgesetzt. Erst in den USA, als dann international aus Solidarität weitere Stützkäufe von Gamern und anderen erfolgten war auch hier Feierabend mit dem freien Handel. Das Kapital hat tatsächlich Angst vor den Resultaten eines freien Marktes, an dem durch neue Apps auf einmal sehr viel mehr Leute teilnehmen. Oh the irony.

Während dessen herrscht erwartungsgemäß großer Jubel und Party-Stimmung bei der Subreddit-Crowd. Man hat in einem Kampf „David gegen Goliath“ die Wallstreet Fat Cats bei ihrem eigenen Spiel geschlagen und diese bis auf die Knochen blamiert. Und dieser Sieg wird im Meme-Game gerade in vollen Zügen ausgekostet – und das durchaus zurecht. Die Aktie von GameStop war Ende letzten Jahres teilweise um die 6 Dollar wert, das Unternehmen ist in Zeiten von Steam und Co ein anachronistisches Auslaufmodell. Ideal also für Verlustwetten. Doch die Aktie wurde innerhalb weniger Tage in dieser Woche von knapp 20 Dollar auf zeitweise über 420 Dollar gepusht. Begonnen hatte die Organisation des Subreddits bereits in den letzten Wochen. Erst durch Mundpropaganda und dann durch einen Tweet von Elon Musk noch einmal gepusht nahm die Aktion mit der Leerkaufwette am Montag richtig Fahrt auf.

Eines muss man der ganzen Sache lassen: der Unterhaltungswert ist absolut ohne Gleichen. Von selbsternannten Wirtschafts-Expertinnen und verzweifelten Ökonomen, die vor laufenden Kameras einen denkwürdigen Meltdown nach dem anderen hinlegen, bis hin zu den Qualitäts-Memes, die nun das Internet fluten – das Ganze ist ein Fest! Fast in Tränen brechen sie aus, das Manager Magazin schreibt in einer Mischung aus Dunning Kruger und blanker Panik von einer „Mischung aus Klassenkampf, Machtrausch und schlichter Gier“. Oh those tears of unfathomable sadness. Yummie.

Bei genauerer Betrachtung wirft diese Affäre aber auch ein Schlaglicht auf das System Kapitalismus als Ganzes und seine Zusammenhänge. Leider dreht sich die Debatte meistens in den gewohnten, reflexhaften Bahnen, bei der immer wieder die analytisch falsche Unterscheidung in raffendes und schaffendes Kapital in mal mehr, mal weniger Untertönen mitschwingt. Weil es sich um die Wallstreet und dubiose Finanzmarkt-Geschäfte dreht, ist das mediale Framing der Debatte vorprogrammiert. Es werden wieder die Floskeln vom „Kasinokapitalismus“ hervorgekramt, und man ist sich über die meisten Lager hinweg einig im Hass und der Häme auf die Wallstreet-Bankster, vergisst aber darüber hinaus, was die Existenz von Hedgefonds mit dem Kapitalvolumen ganzer Volkswirtschaften eigentlich tatsächlich für das System Kapitalismus als Ganzes bedeuten.

Zirkulationssphäre für Dummys

 

Der nächste Part wird sehr theoretisch, weshalb hier vorab eine Art tl:dnr aka Zirkualtionssphäre für Dummys umrissen wird, um den Sachverhalt dann noch einmal komplexer darzulegen. Grundlegend geht man von zwei verschiedenen Kreisläufen aus Güter- und Dienstleistungssektor zusammengefasst als Produktionssphäre und den Banken- und Finanzsektor als Kapitalzirkulationssphäre. Auf der einen Seite werden Dinge produziert und Dienstleistungen erbracht, auf der anderen Seite wird das dabei erwirtschaftete Geld verwaltet und wieder neu investiert. Ziel ist es, jeweils mit einem Plus am Ende rauszukommen und dann wieder zu produzieren und zu zirkulieren und immer so weiter. Kapitalismus halt.

Im Laufe der Jahrzehnte hat sich die Zirkulationssphäre aber immer weiter von der Produktionssphäre entkoppelt und führt ein Eigenleben, welches nicht mehr auf den Waren und Dienstleistungen basiert. Wer sich an die letzte große Krise ab 2008 erinnert: Man hat Wertpapiere aus Krediten gemacht und diese dann in weiteren Wertpapieren zusammengefasst und dann Versicherungen darauf verkauft welche dann wieder Wertpapiere wurden. Klingt kompliziert und genau das ist auch gewollt. Man stellt sich gegenseitig Zertifikate aus, vertickt diese dann und solange alle mitmachen und die Preise steigen, ist auch alles gut. Egal, wie es in der Produktionssphäre gerade ausschaut. Man kann es auch Esoterik für Leute im Anzug nennen.

Ein aktuelles Beispiel für die komplette und irrationale Entkopplung: Während in den USA teilweise mehrere dutzend Millionen Menschen durch die Pandemie arbeitslos wurden, erzielten die Börsen Rekordmarken. Und das in einem Land, welches für 2019 folgende Statistiken vorzuweisen hatte:

– 48 Prozent der Bevölkerung haben niedrige Einkommen

– 1 von 5 Kindern geht hungrig ins Bett

– die Hälfte der Bevölkerung hat einen eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung

– über 2 Millionen Personen im Gefängnis, welche dann in einer Form der modernen Sklaverei Arbeit verrichten

– große Unternehmen wie Amazon zahlen keine Steuern, bekommen aber zig Milliarden Unterstützung

Aber hey, Hauptsache der Börse geht es gut.

Des Pudels Kern

 

Guckt man sich nun die Kapitalmenge an, die so in solchen Hedgefonds zusammengefasst ist, stellt man fest, dass diese gewaltig ist. Weltweit handelt es sich dabei um einen Wert um die 3 Billionen US-Dollar, der größte Hedgefonds (Bridgewater Associate) hat dabei einen Wert von knapp unter 100 Milliarden Dollar. Es ist also eine unvorstellbare Summe, die da in der Kapitalzirkulationssphäre vor sich hin gammelt und verwertet werden muss. Die Summen sind in der Höhe durchaus mit den Staatshaushalten einiger Länder vergleichbar. Allgemein sind die Finanzsysteme aktuell bis zum Bersten mit billigem Geld gefüllt. Und es fließt wegen der Billigzins-Politik der Notenbanken immer mehr frisches Geld nach. Im Bankensektor weiß man schon gar nicht mehr, wohin damit.

Ursprünglich hatte der Bankensektor in der Ökonomie als erste und vorrangigste Aufgabe nur Eines zu tun: Dem privaten Sektor (Bausparenden, Hauskäufer*innen, etc.) und vor allem der produzierenden Industrie Kapital in Form von Krediten zur Verfügung zu stellen, um die Produktion von Gütern und Dienstleistungen zu gewährleisten – und anschließend den durch den Verkauf eben dieser Güter und Dienstleistungen generierte Umsatz wieder aufzunehmen. Das Spiel läuft so: Kapital fließt aus dem Bankensektor in die Produktion, um dort nach der „Verwertung“, also der Verwandlung von Kapital in mehr Kapital als vermehrte Kapitalsumme (Mehrwert) zu den Banken zurückfließt. Ein eigentlich einfacher Kreislauf, den das Kapital da immer wieder durchläuft. Aus diesem Grund findet man bei Marx auch die Begriffe „Kapitalzirkulationssphäre“ für den Bankensektor und „Produktionssphäre“ für den Industrie-Sektor, um die Phasen im Verwertungszyklus des Kapitals zu beschreiben.

Nun ist es so, dass diese „Kapitalzirkulationssphäre“ nicht mal eben so beliebig viel Kapital aufnehmen kann. Kapital unterliegt dem Zwang zur permanenten Selbstverwertung. Sprich: Es muss zwangsläufig mit der Kohle etwas gemacht werden; mit dem Ziel, am Ende aus der „Investierten“ Kapitalsumme mehr Kapital zu erzeugen. Alle, die schon mal einen Bausparvertrag bei einer Bank am laufen hatten, wissen, was gemeint ist. Wenn man sein Geld zur Bank bringt, dann will man da seine 2-3 % Rendite drauf haben.

Dementsprechend kann nur so viel Kapital von der Zirkulationssphäre aufgenommen werden, wie auch gleichzeitig in die Verwertung gegeben werden kann. Sollte die Verwertung von Kapital ins Stocken geraten, weil schlicht weg zu viel Kapital in die Verwertung gepumpt wird, gerät Kapital in die Krise – es herrscht Überakkumulation!

Übertragen auf die jetzige Situation an den Finanzmärkten muss man feststellen: Das System befindet sich in eben solch einer Phase der Überakkumulation. Und das schon seit längerer Zeit. Die mit Kapital gemästete Zirkulationssphäre, die in der klassischen Ökonomie eigentlich nur die Aufgabe hatte, den Kapitalverwertungskreislauf beständig am Laufen zu halten, erstickt nun fast am eigenen Gewicht – eine Folge der Überakkumulationskrise, die seit 2008 schwelt und nur durch weiteres Aufblähen der Kapitalmärkte mit billigem Geld aus den Notenbanken geradeso eben am Zusammenbrechen gehindert werden konnte.

Um einen weiteren Krisenschub zu verhindern, der nicht nur mit der Vernichtung des überakkumulierten Kapitals, sondern potentiell mit dem kompletten Systemzusammenbruch enden könnte, müssen nun also alternative Wege gesucht werden, um die abstrakte Wertverwertung sicherzustellen. Selbst dann, wenn dies auf Kosten gesellschaftlichen Reichtums wie Immobilien, öffentlicher Daseinsfürsorge oder schlichtweg von Jobs geht. In diesem Sinne, also der abstrakten Logik der Kapitalverwertung, erfüllen milliardenschwere Hedgefonds, die völlig abstruse Finanzprodukte aus zusammengestückelten Ramschpapieren verkaufen und auf die Vernichtung ganzer Volkswirtschaften wetten, einen spezifischen Zweck – sie halten das Spiel aus ewiger Wertverwertung am laufen.

Stonks is rising

Es zeigt sich also an diesem Fall mal wieder die zutiefst widersprüchliche, ja geradezu irrsinnige Natur dieses Systems. Statt dass Menschen ihre Jobs, ihre Krankenversicherung und ihre Wohnungen durch eine Wirtschaftskrise verlieren, passiert das alles nun unter Umgehung der Krise, zum Beispiel durch Wetten auf Aktienleerkäufe. Entweder das, oder es geht vielleicht der private Rentenfond, auf den viele Rentenbeziehende zum Lebensunterhalt angewiesen sind, in die Binsen. (In den USA ist das sehr viel weiter verbreitet als hier.) Das alles nur, weil er Teil eines Hedgefonds war, der sich beim Wetten verspekuliert hat. Die Vernichtung gesellschaftlichen Reichtums und der Lebensgrundlage von Millionen Menschen wird dem abstrakten Primat der Wertverwertung untergeordnet. Dabei muss es ja nicht einmal einen Anlass aus der Produktionssphäre geben. Einfach mal gegen ein paar Gamer verzockt und schon sind mehrere Milliarden weg. Das alles wird gerade aus liberalen Kreisen oft ohne den geringsten Anflug von Ironie als das „beste System, das es gibt“ bezeichnet. Leute wie Friedrich Merz sagen dann sogar noch „Hold my Koolaid“ und wollen diese Ausformungen des Finanzsektors stärken und ausweiten. Aber natürlich nur, solange das Großkapital am Drücker ist.

Im Angesicht solcher völligen Gaga-Verhältnisse steht aber auch fest, dass man bei allem Spektakel um blamierte Hedgefond-Manager, durchdrehende Ökonomen (es sind ja vorrangig Männer) und Kapitalisten-bezwingende Vietcong-Gamer sich gerade als Linke nicht bei „Wer ist hier Schuld“-Spielen verzetteln darf. Man kann sich zurücklehnen und dem Karneval der Finanzkulturen beste Unterhaltung abgewinnen, aber man muss immer den Blick aufs große Ganze im Sinne der Kritik an den Verhältnissen wahren. So intuitiv sympathisch einem die Reddit-Kampagne auch erscheinen mag und so sehr man dort einigen Leuten auch den Gewinn gönnt, den sie mitnehmen können – sie sind selber Resultate des grundlegend falschen Systems.

Die Hedgefonds, die Banken und die Börse sind eben sowenig die „bösen“ und „raffgierigen Heuschrecken“, als die sie in einer falschen und gefährlichen Kritik immer mal wieder dargestellt werden. Sie sind lediglich die Symptome eines größeren Zusammenhangs. Selbst wenn man sie mit Regelungen einschränkt und die schlimmsten Auswüchse unterbindet, ein sogenannter „ethischer Kapitalismus“ ist immer noch ein System der Ungleichheit und Ausbeutung, dessen innere Logiken nicht aufgehoben wurden und welches immer wieder von sich das hervorbringt, was man gerade beobachten kann. Nein, das Irrenhaus heißt nicht Hedgefonds, sondern Kapitalismus.

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Aber wie viel ist dein Outfit wert – Teil 1: Die Ökonomie https://rambazamba.blackblogs.org/2020/12/06/aber-wie-viel-ist-dein-outfit-wert-teil-1-die-oekonomie/ Sun, 06 Dec 2020 17:02:05 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=886 Continue reading Aber wie viel ist dein Outfit wert – Teil 1: Die Ökonomie ]]>

[Die Überschriften und das Beitragsbild sind dem Song „Wie viel ist dein Outfit wert“ von Kummer entnommen.]

Unsere Kleidung gehört zu den Dingen, die so alltäglich sind, dass wir uns in der Regel kaum Gedanken über sie machen jenseits der Frage, was man denn anziehen solle. Und da sie so alltäglich ist, lassen sich hier einige Beobachtungen im Kleinen anstellen, welche charakteristisch für die Gesellschaft als solche sind. In einer kleinen Textreihe soll dem ein wenig auf den Grund gegangen werden. Der erste Teil wird sich dem wirtschaftlichen Aspekt widmen.

 
„Life ist super nice, da, wo man die Schuhe trägt
Life ist nicht so nice, da, wo man die Schuhe näht“
 
Wie alles andere auch sind Kleidungsstücke Waren, welche unter kapitalistischen Bedingungen hergestellt werden und der Profitmaximierung dienen. Einige Kernelemente der kapitalistischen Ausbeutung und des kapitalistischen Wahnsinns lassen sich hier sehr anschaulich aufzeigen. Das Gleiche gilt für ein falsches Verständnis des Kapitalismus, welches sich insbesondere hinter den Begriffen bewusster/ethischer Konsum verbirgt.
 
Ein Blick auf die weltweiten Daten zeigt, dass Bekleidung und Textilien insbesondere in Süd- und Ostasien sowie Europa hergestellt werden, mit China unangefochten an der Spitze. Über die Arbeitsbedingungen insbesondere im asiatischen Raum ist viel bekannt, aufgrund der großen Distanz sind diese aber kaum präsent. In Ländern wie Bangladesch oder Kambodscha werden Streiks teilweise mit Hilfe der Armee unterdrückt und zusammengeschossen. Niedrige Löhne, Knochenjobs und unsichere Arbeitsplätze sind die Norm. Immer wieder kommt es zu teils tödlichen Unfällen, die oftmals weiblichen Mitarbeiterinnen werden (auch sexuell) misshandelt und ausgenutzt. 
 
Zu sehr niedrigen Stundenlöhnen und kaum vorhandenen Fixkosten durch soziale Sicherungssysteme wird dort genäht, was hier dann für ein Vielfaches der Herstellungskosten im Laden zum Verkauf steht. Von dieser riesigen Gewinnmarge sieht man an den Werkbänken nichts – die klassische Wertabspaltung, wie Marx sie beschrieben hat, findet hier auf globaler Ebene leicht verständlich statt. Sie fällt durch die völlige Abwesenheit von sozialen Sicherungssystemen materiell soagr um Einiges krasser aus, als im sog. „Westen“. Zudem wird konstant versucht, Umweltauflagen zu verhindern oder man ignoriert diese einfach.
 
Ein weiteres Charakteristikum des Kapitalismus ist zudem seine Ineffizienz, wenn es um die Energiebilanz geht. Da die alles bestimmende Maßgabe die Profitmaximierung ist, wird ausschließlich darauf geschaut, ob sich etwas monetär rechnet. Das heißt konkret:  Produziert wird da, wo es am günstigsten ist. Und so ist es keine Seltenheit, dass die Einzelteile von Kleidungsstücken insgesamt mehrere zehntausend Kilometer kreuz und quer über den gesamten Globus zurücklegen, bevor sie dann als Ware über den Schalter gehen. Die Produktionsketten interessieren sich nicht für eine möglichst gute Energiebilanz, um so wenig Umweltschäden wie möglich zu verursachen. Es ist eigentlich ein sehr offenkundiger Irrsinn. Der Logik der Profitmaximierung folgend ist es aber eine Konsequenz der kapitalistischen Produktionsbedingungen.
 
„Falscher Rucksack, falsche Jeans, alle seh’n den Unterschied“
 
Und die kapitalistischen Verhältnisse sind es auch, welche Kinderarbeit, Sklaverei und Missbrauch nicht beenden, sondern stetig reproduzieren und erzeugen, wenn man nicht dagegen ankämpft. Aus diesem Grund hat sich im Laufe der Zeit der sogenannte „bewusste/ethische Konsum“ herausgebildet. Der Ansatz ist leicht verständlich: Man schafft eine Art Siegel oder Label, welches bestimmte Herstellungsbedingungen garantiert. Dazu können zählen: gute Löhne, sichere Arbeitsplätze, lokale Mitbestimmung, Umweltauflagen und so weiter. Da solche Siegel frei ausgestaltet werden können und es keinen allgemeingültigen Standard für „faire Produkte“ gibt, kann sich hinter dieser Bezeichnung so gut wie alles oder auch fast gar nichts verstecken, man muss im Zweifelsfall immer nachschauen.
 
Unternehmen nutzen diesen Trend auch und betreiben dann zum Beispiel sogenanntes Greenwashing: Durch Werbung und gut klingende Bezeichnungen versuchen sie ein sauberes und nachhaltiges Image bei guter Behandlung aller Beschäftigten zu vermitteln. Ob dies überhaupt der Wirklichkeit entspricht, ist egal. Es geht um das Image. Und so ist auch der ethische Konsum sehr schnell in die kapitalistische Verwertungslogik eingehegt worden und erlaubt Menschen mit den entsprechenden finanziellen Möglichkeiten, sich ein gutes Gewissen zu kaufen, ohne sich dann weiter mit Rahmenbedingungen der weltweiten Produktion beschäftigen zu müssen. 
 
Und hier liegt dann auch die Krux: Die grundlegenden Logiken des Kapitalismus, welche diese inhumanen Ausbeutungsverhältnisse erzeugt haben, werden nicht ausgehebelt. Man beschränkt sich darauf, das Elend partiell ein bisschen abzumildern, stellt aber zu keinem Zeitpunkt die Systemfrage. Um das klar zu sagen: Jede Person, die bessere Arbeitsbedingungen bekommt, ist als Erfolg zu werten. Es haben sich einige Bedingungen verbessert, keine Frage. Aber die Gesamtscheiße ist doch deshalb immer noch da. Man kann sich hier, das Geld vorausgesetzt, ganz viel tollen Fairtradekaffee hinter die Binde kippen. Wenn in Kambodscha die Armee einen Streik niederballert, lacht das Kapitalverhältnis nur darüber. Das schlimmste Elend wurde hier durch harte Arbeitskämpfe beendet, die Logik des Wirtschaftens hat dieses Elend dann aber auch nur in andere Länder verschoben, da man immer auf der Suche nach den ertragreichsten Ausbeutungsstandorten ist. 
 
Nicht nur, dass es sich bei ethischem Konsum vorrangig um eine Selbsttäuschung handelt, die in der Masse gesehen auch als Beruhigungspille fungiert, gar nicht erst die Ursache des ganzen Elends im Kapitalismus zu suchen. (Konsumiere noch härter bewusst und es wird besser, ganz sicher!) Es verschleiert auch die Tatsache, dass ALLES, was wir kaufen, unter kapitalistischen Bedingungen hergestellt wurde. Die grundlegenden Ausbeutungsverhältnisse sind keine anderen, egal ob man nun bei Trigema dem guten schaffenden Kapital aus Deutschland die Selbstvermarktung abnimmt (und die Verhinderung von Gewerkschaften und Betriebsräten übersieht) oder ob es sich um eine Textilfabrik in China handelt. 
 
„Diese Welt ist eingeteilt in Gewinner und Verlierer“
 
Wir entkommen als Einzelpersonen dem Kapitalismus nicht und wir können auch nicht durch das Leben gehen, ohne gezwungenermaßen am Kapitalismus zu partizipieren. Es ist eine totale Vergesellschaftung, welche die Rahmenbedingungen der Gesellschaft als solche stellt. Wer nicht daran teilnehmen will, muss irgendwo in eine einsame Hütte ziehen und komplett auf Selbstversorgung und Einsiedlerei setzen. Alles, was uns als Einzelpersonen übrigbleibt, ist die Frage, wie wir uns innerhalb der Verhältnisse einrichten. Akzeptieren wir sie notgedrungen als vorhanden, arbeiten aber im Rahmen unserer Möglichkeiten an einer Änderung? Gehen wir all in und spritzen uns die Kapitallogik ungestreckt in die Venen, um 70 oder 80 Stunden die Woche zu schinden? Ist es uns einfach egal und wir interessieren uns für gar nichts, wurschteln uns mit notwendig falschem Bewusstsein irgendwie durch? 
 
Wenn man den Entschluss fasst, etwas ändern zu wollen, so kann man dies alleine doch recht schwer. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die Grundfesten der aktuellen Ordnung, kann man allein nicht ändern. Genau aus diesem Grund wurden mal Gewerkschaften gegründet: Gemeinsam hat man mehr Verhandlungsmacht gegenüber den Personen in Machtpositionen als allein. Deshalb ist auch aktiver Arbeitskampf das effektivste Mittel, um die vorliegenden Bedingungen nachhaltig zu ändern. In Indien haben sich vor einigen Tagen 250 Millionen Menschen an einem Generalstreik beteiligt, vor vier Jahren waren es noch 160-180 Millionen. Ein massiver Zuwachs und ein Machtfaktor, mit dem man Staat, Regierung und Wirtschaft ernsthaft herausfordern kann. 
 
Die totale Vergesellschaftung des Kapitalismus bedeutet aber auch, dass wir ausschließlich Waren kaufen müssen, die unter kapitalistischer Ausbeutung hergestellt und verkauft werden. Leuten vorzuwerfen, sie würden mit dem Kauf einer Jogginghose von Nike, Adidas oder Fila ein kapitalistisches Unternehmen unterstützen, haben den Kapitalismus nicht verstanden. Auch der Discounter nebenan ist kapitalistisch organisiert und vertickt Waren, die ebenfalls unter kapitalistischen Bedingungen produziert wurden. Die Nieten deiner 30-Euro-Jeans wurden ganz sicher nicht unter besseren Bedinungen produziert als bei teureren Jeans. Es macht für das Kapitalverhältnis absolut keinen Unterschied, ob du nun im Discounter Klamotten kaufst oder bei Hugo Boss.
 
„Cooles Outift, bei dir läuft!
Hau mal raus, was sind das für Sneaker?“
 
Ein in diesem Zusammenhang von vielen Bauchlinken in ihrem verkürzetn, moralin-sauren Verständnis von Kapitalismus immer wieder begangener Fehler, ist verschiedenen Teilnehmer*innen am Markt völlig unterschiedliche Motive zu unterstellen. Großkonzerne werden automatisch als grundsätzliche Ausgeburten des Bösen ausgemacht, während irgendwelche hippen Start-Ups oder sogenannte Familienunternhemen als irgendwie nicht ganz so kapitalistisch verklärt werden. Was dabei völlig vergessen wird, ist, dass Großkonzerne sich noch am ehesten zu organisierten Interessensvertretungen ihrer Belegschaften, Tarifverträgen und sozialen Standards bekennen bzw. bekennen müssen, sei es nur um beim Thema Governance besser dazustehen, während in den sympathischen Familienbetrieben und Startups mit flachen Hierarchien eben jene sozialen Standards permanent mit dem Hinweis auf die Betriebsgröße und die ach-so-harte Konkurrenz unterlaufen werden und die eigene Belegschaft quasi zur Selbstausbeutung „motiviert“ wird.
 
Sich jetzt in diesem Rahmen an Kaufentscheidungen von Einzelpersonen abzuarbeiten, ohne die Grundbedingungen kapitalistischer Produktion verstanden zu haben, ist schlichtweg ein Self Own. Das Level der Kritik ist vergleichbar mit einem „Du bist gegen Kapitalismus aber schreibst von einem Samsung höhö“. Ja du Knalltüte, so ist das nun mal in einer totalen Vergesellschaftung. Kein Grund, die Gesamtscheiße nicht trotzdem abschaffen zu wollen. Und wer wirklich ein Problem mit kapitalistischen Produktionsbedingungen hat, bringt sich selbst in den Arbeitskampf ein. Die Menschen sind im Kapitalismus nun mal dazu gezwungen, sowohl als Produzent*innen als auch als Konsument*innen der eben von Ihnen selbst hergestellten Waren aufzutreten. Ihnen vorzuwerfen, dass sie sich im Rahmen der kapitalistischen Vergesellschaftung als Konsument*innen an der Totalität dieser Verhältnisse beteiligen, ist so, als würde man einem Sportler vorwerfen, dass er schwitzt.
 
Der zweite Teil wird sich mit der sozialen Funktion der Mode für die Bildung von Szenen, Subkulturen, Schichten und letztendlich der Hierarchisierung der Gesellschaft beschäftigen.
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Wovon Jana aus Kassel nichts wissen will… https://rambazamba.blackblogs.org/2020/11/25/wovon-jana-aus-kassel-nichts-wissen-will/ Wed, 25 Nov 2020 11:37:51 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=883 Continue reading Wovon Jana aus Kassel nichts wissen will… ]]> Deutschland Ende 2020 – Seit nun mehr 8 Monaten bestimmt die Sars-Cov2-Pandemie weltweit den Alltag der Menschen und lässt dabei gesellschaftliche Widersprüche und Missstände im globalen System apersonaler Herrschaft namens „Kapitalismus“ deutlich zu Tage treten. Während auf der einen Seite die Kapitalvermögen trotz einer sich anbahnenden, heftigen Rezession kräftig gewachsen sind, bedeutet diese Krise für einen Großteil der lohnabhängig Beschäftigten (vor allem Jene aus dem Niedriglohnsektor) und LeistungsempfängerInnen praktisch Existenz bedrohende Zustände. 
 
Nicht nur dass die fortschreitende Präkarisierung weiter Teile der Gesellschaft während der Pandemie einen erheblichen sozialen Zündstoff birgt – die Tatsache, dass die Politik die Kosten und Nebenwirkungen der Krise auf das Pflegepersonal, auf Beschäftigte in der Logistik und der Lieferdienstindustrie und auf ArbeitnehmerInnen in der Produktion, also mit anderen Worten mal wieder auf die Schwächsten in der Gesellschaft abwälzt, liefert mehr als genug Gründe, um wütend zu sein und auf die Straße zu gehen.
 

1. Die Totalität der Verwertungslogik/ Die Widersprüche im System

 
Nur um mal einen kleinen Abriss zu geben:
Durch die chronische Unterfinanzierung und Unterbesetzung im Gesundheitssektor hat das Gesundheitsministerium kurzer Hand beschlossen, dass bestimmte Regelungen zur Kontaktbeschränkung für Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser, bei denen Personalmangel herrscht, nicht mehr gelten. Dort werden dementsprechend Pflegekräfte eingesetzt, die nicht nur Kontakt mit Infizierten hatten, sondern die selbst positiv auf Covid19 getestet wurden. Mit anderen Worten – Wenn man als Pflegekraft in einer Einrichtung mit dünner Personaldecke arbeitet, kann es sein, dass man trotz nachweislicher Covid19-Infizierung zur Arbeit erscheinen muss.
 
Hinzu kommt, dass ebenfalls aufgrund des eklatanten Personalmangels in der Pflege einige Bundesländer das Arbeitsgesetz für Beschäftigte in Kliniken und Pflegeheimen kurzer Hand gekippt haben. Die Arbeitszeiten wurden auf maximal 12 Stunden pro Tag verlängert, die Ruhezeiten zwischen den Schichten verkürzt und die Wochenstunden auf 60 erhöht. 
 
Wie es um die eigentlich bitter nötige gesellschaftliche Solidarität mit den Beschäftigten im Pflegebeireich aussieht, konnte man im Sommer sehen. So war man sich im öffentlichen Diskurs und gerade in den Medien zu nächst einig, dass von allen Berufsgruppen vor allem das Pflegepersonal essentiell zur Krisenbekämpfung sei und gerade einen aufopferungsvollen Kampf für die Gesellschaft führe. KrankenpflegerInnen und Krankenhauspersonal wurden in den Medien geradzu als HeldInnen gefeiert. Jeder dürfte sich noch an die im nachhinein zynisch wirkenden Klatsch-Orgien erinnern. 
Als eben jene „HeldInnen“ aber dann tatsächlich gesellschftliche Anerkennung einforderten und für ihren Dienst wenigstens etwas mehr Geld haben wollten, war es mit der Solidarität schnell vorbei. Während der Großteil der Gesellschaft dem Pflegesektor längst wieder mit der gleichen Ignoranz wie vor der Krise begegnete, gab es keine Niederträchtigkeit, welche die bürgerliche Presse von Welt über Zeit bis Spiegel nicht dem Pflgepersonal vorwarf, weil man sich traute mit Streik zu drohen. 
Jaja, wer kennt sich nicht, die Raffzähne im Pflegedienst.
 
Doch auch in anderen Arbeitszweigen, etwa im produzierenden Gewerbe, sieht es mit der Einhaltung der Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten ähnlich aus. Etliche Unternehmen haben die im Frühjahr auf Druck der Gewerkschaften und Interessenvertretungen der Belegschaft getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wieder zurückgenommen. In diesen Betrieben arbeitet die Belegschaft quasi ohne oder nur mit unzureichenden Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung weiter und setzt sich so gezwungener Maßen einem unverhältnismäßig höheren Risiko der Ansteckung aus. Der allgegenwärtige Zwang zur Kapitalverwertung herrscht ungebrochen und er fordert seine Opfer. So kam es wohl alleine in den letzen Wochen in den BMW-Werken in Dingolfing und München, beim Paketelieferservice DHL, beim Tiefkühlkosthersteller Frosta und beim Merzedes-Benz-Werk in Düsseldorf zu Infektionsausbrüchen unter der Belegschaft. Es sind also auch hier wieder die einfachen MitarbeiterInnen, die den Preis für die Aufrechterhaltung der Akkumulation und die üppigen Ausschüttungen von Dividenden etwa an die Familien Quandt und Kladden mit ihrer eigenen Gesundheit bezahlen müssen.
 

2. Die Psychologie der „QuerdenkerInnen“

 
Diese Tatsachen machen deutlich: Grund genug gäbe es, um wütend zu sein – wütend über die gesellschaftlichen Verhältnisse, wütend über die ungerechte Verteilung der Lasten dieser Krise, und ja, auch wütend über die Art und Weise, wie die Regierung diese Krise managed – nämlich in dem sie auf instrumentelle Art Menschenleben zu Arbeitskraftbehältern degradiert, die zur Pandemiebekämpfung regelrecht „vernutzt“ werden sollen, wie eben in der Pflege.
Das sind legitime Anliegen um gerade als Linke die eigene Wut darüber nicht in sich hinein zu fressen, auf die Straße zu gehen und den herrschenden Verhältnissen den Kampf anzusagen. 
Und tatsächlich gehen nun schon seit einigen Wochen viele Menschen auf die Straße, um ihrem Protest gegen die Regierung und ihre Maßnahmen Ausdruck zu verleihen.
 
Jedoch handelt es sich bei diesen „Querdenken“ genannten Demonstrationen gegen die Regierung und ihre Maßnahmen nicht um einen Ausdruck der Solidarisierung untereinander gegen die sozialen Umstände und die Totalität der kapitalistischen Vergesellschaftung, die diese hervorruft. Nein, weit gefehlt. 
Sieht man sich die Proteste und deren TeilnehmerInnen an, so bekommt man schnell den Eindruck: Das sind keine ökonomisch oder sozial marginalisierten Massen, die sich gegen unzureichende Schutzmaßnahmen oder allzu offenkundige Ausbeutung seitens ihrer ArbeitgeberInnen oder der Regierung auflehnen. Abgesehen von den üblichen AkteurInnen rechter Parteien, Hooligans und Kameradschaften, welche die Hygiene-Demos von rechts außen zu unterwandern versuchen, bietet sich einem Beobachtenden ein heterogenes Bild aus Verschwörungsideologen, AnhängerInnen der Reichsbürger-Szene und Eso-Hippies. Auch jede Menge augenscheinlich wohl saturierte, ältere Damen und Herren in Jack-Wolfskin-Uniform, welche sich betont „weder links noch rechts“ geben, aber ganz genau zu wissen scheinen, dass die Bundesrepublik Deutschland sich unter Merkel in eine Diktatur verwandelt hätte. Diese sei selbstredend „schlimmer als die DDR“(oder Wahlweise „das Dritte Reich“) und folglich gelte es sie zu Stürzen. Kurz um, man wähnt sich mit Nazis und allerlei anderen seltsamen Menschem „im Widerstand“ gegen die „Merkel-Diktatur“
 
Egal ob die wie auch immer geartete „Kritik“ an der Regierung nun von NWO-SchwurblerInnen, ImpfgegnerInnen, Nazi-Kadern, Hooligans oder einfach nur verwirrten bürgerlichen Subjekten geäußert wird, auffällig dabei ist, dass man sich für die oben genannten gesellschaftlichen Probleme wenig bis gar nicht interessiert. Außer der geheuchelten Sorge um die Vereinsamung älterer Menschen oder um die Beeinträchtugung der (vornehmlich) eigenen Kinder durch die Einhaltung einiger simpler Hygienemaßnahmen, wie etwa das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes, richtet sich die Wut der KleinbürgerInnen, die da auf die Straße gehen, mehrheitlich gegen einige Einschränkungen individueller Freiheiten, die im Vergleich mit dem von Rassenwahn durchzogenem Unterdrückungsregime der Nazis als „marginal“ gelten könnten. Und auch im Vergleich zu der Masse an Menschen, die momentan entweder durch Kurzarbeitergeld-Regelung, Arbeitsplatzverlust oder gar das Wegbrechen ganzer Beschäftigungszweigs auf Grundsicherungsniveau irgendwie über die Runden kommen müssen oder in 12-Stunden-Schichten sich auf einer Intensivstation für die Gesellschaft aufopfern dürfen, nehmen sich die Einschränkungen, von denen der Rest der Gesellschft (und damit auch die „Corona-LeugnerInnen„) betroffen sind, geradezu lächerlich aus.
 
Dennoch wird dieses vergleichsweise marginale „Los“ von den Protestierenden geradezu als „Freiheitsberaubung“, die Maßnahmen der Regierung als „Ermächtigungsgesetz“, also als diktatorische Willkür auf gleicher Ebene wie die der Nazis empfunden. Selbst nimmt man sich dementsprechend als erstes und einziges Opfer dieser neuen Nazis und als WiderstandskämpferInnen gegen eben jene wahr. Nach dieser Logik trifft dann der eigene Vergliech mit Figuren der Zeitgeschichte wie Anne Frank und Sophie Scholl natürlich zu. Drunter macht man es sowieso nicht im Widerstand gegen die Merkel-Diktatur.
 
Diese geschichtsvergessene Selbstdarstellung der Corona-LeugnerInnen zeugt zunächst mal nicht etwa von einem selbstlosen Widerstandskampf, den man da in altruistischer Manier für andere Menschen gegen ein grassierendes Unrecht führen würde, sondern in erster Linie zeugt es von einer gehörigen Portion Egomanie, die diese narzistisch gekränkten bürgerlichen Subjekte mit sich herumschleppen. Wo die Inhalte fehlen, muss der Pathos des Heroischen beschworen werden, der sich natürlich um die ProtagonistInnen selbst dreht. Stets ist man dabei aufrechtes, aber ahnungsloses Opfer dunkler Mächte und heroische/r KämpferIn gegen eben jene Mächte zugleich. Ein in Verbindung mit dem Massenerlebnis durchaus subjektkonstituierender Vorgang – Man erhöht sich selbst, stellt sich auf eine Stufe mit den Opfern des Nationalsozialismus und Mitgliedern der Weißen Rose, stilisiert sich gleicher Maßen zur verfolgten Unschuld und zum heldenhaften Widerstand und zieht so aus dem Spektakel sein Selbstwertgefühl.
 
Wo der Protestzirkus sich vornehmlich um die Selbstdarstellung und ums eigene Ego dreht, bleibt dementsprechend kein Platz für Mitgefühl oder Solidarität mit anderen Menschen. Skandalisierung der Verhältnisse in der Pflege oder der wachsenden Armut, der steigenden Prekarisierung und der Existenzbedrohung ganzer Bevölekungsschichten durch die Krise – Fehlanzeige! Das Schicksal all Jener, die in den Kliniken und Pflegeeinrichtungen bei schlechter Bezahlung und chronischer Unterbesetzung schuften, hat diese Leute schon vor der Krise nicht interessiert, eben so wenig wie sie für die sich immer weiter in die Breite der Gesellschaft hineinfressende soziale Schieflage interessiert haben. Auf Demos, die für einen solidarischen Umgang mit der Krise warben, war dieser Schlag Menschen jedenfalls nicht zu sehen. 
 
Aus diesem Desinteresse am Schicksal Anderer, vor allem sozial schwächerer Menschen, lässt sich durchaus ein tief verwurzelter Sozialchauvinismus ableiten. Bei den Forderungen, endlich die Kontaktbeschränkungen aufzuheben, damit man wieder in seine angestammte Bar gehen und seine Risikogruppen-Großeltern besuchen kann, zeigt sich eine Indifferenz gegenüber dem Leben anderer Menschen. Das Leben vor allem der Anderen wird selbstverständlich geringer geschätzt. Eine Eigenschaft, die im Falle des ebenso schon mehrfach bei Hygiene-Demos zu beobachtenden autoritären Strafbedürfnisses gegenüber wahlweise PolitikerInnen, VertreterInnen vom RKI oder sogar anwesenden Cops als typisch für autoritär zugerichtete Charaktere gilt. 
 
Genau betrachtet handelt es sich bei diesen QuerdenkerInnen“ sehr oft nicht um beinharte Nazis, aber doch um autoritäre Elendsgestalten, die ihren gekränkten Narzissmus auf der Straße ausagieren, ohne selbst dabei so ganz genau zu wissen, was sie wollen und wofür sie sind dafür aber ganz entschieden wogegen. Das reaktionäre Krakeelen auf den Hygiene-Demos hat mit dem solidarischen Kampf für andere Menschen oder Selbstermächtigung gegen die bestehenden Verhältnisse oder gar „Revolution“ nichts zu tun. Viel mehr handelt es sich um eine autoritäre Revolte, an deren Ende stets die Herrschaft des Mobs steht. Kurzum, mit diesen Leuten ist keine befreite Gesellschaft zu machen, im Gegenteil: Man kann ihnen als Linke/r nur selbst Widerstand entgegenbringen und ansonsten Maximalabstand halten!
 

3. Wie umgehen mit den Protesten

 
Um es zusammenfassend also nochmal zu sagen: Die sich selbst als „QuerdenkerInnen“ bezeichnenden Protestierenden stellen sich momentan also für ein paar bürgerliche Freiheiten auf die Straße. Die sozialen und ökonomischen Probleme, die gesamtgesellschaftlich mit der Krise zusammenhängen und welche in ihren Auswirkungen viel dramatischer sind, kümmern sie wenig. 
Aus linker Perspektive ist dazu natürlich festzuhalten, dass man sowohl für individuelle Freiheiten wie auch für ein soziales Miteinander eintritt, ganz klar. Nur sind die momentanen Einschränkungen gewisser individueller Freiheiten und Grundrechte aber keine Willkür sondern durch die momentane Lage bedingt. Sie machen Sinn um Leben zu retten, und das alleine sollte schon Grund genug sein, um sie zu respektieren, auch wenn man an sonsten als Linke/r mit dem Treiben bürgerlicher Staatsraison auf Kriegsfuss steht. Mehr noch – Der Antagonismus, den man dem System entgegenbringt sollte eignetlich Antrieb genug sein, den selbsternannten „QuerdenkerInnen“ nicht einfach so die Straße zu überlassen, sondern zum Einen den kruden Parolen dieses zu sich kommendne „Volksmobs“ und dessen regressiven Bestrafungsphantasien die eigenen, emanzipatorischen Inhalte entgegenstellen und zum Anderen dem Staat unt der herrschenden  Klasse unmissverstänflich klar zu machen: 
Nicht auf unserem Rücken!- Es geht nur solidarisch!
 
 
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Zu den Wahlen in den USA https://rambazamba.blackblogs.org/2020/11/03/zu-den-wahlen-in-den-usa/ Tue, 03 Nov 2020 13:26:44 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=881 Continue reading Zu den Wahlen in den USA ]]> Am 3.11. finden in den USA mehrere Wahlen statt. 35 der 100 Senatssitze, der komplette Kongress und das Amt der Präsidentin stehen zur Wahl. Aus linker Sicht – und damit ist nicht einmal aus linksradikaler Sicht gemeint – gibt es absolut keinen Blumentopf zu gewinnen. Die USA stehen am Abgrund und die beiden Optionen stellen eine Entscheidung zwischen beschissen und worst case dar.
 
Um es vorweg zu sagen: Trump ist das Worst-Case-Szenario. Daran gibt es keinen Zweifel und es ist die oberste Priorität, ihn aus dem Amt zu bekommen. Ob Trump nun ein sattelfester Faschist ist, hängt ein wenig von der präferierten Faschismusdefinition ab. Wirklich relevant ist dies nicht, denn ein offener Protofaschist mit klar diktatorischen Zielen ist er in jedem Fall. Eine Aufzählung dessen, was er in den letzten Jahren so alles veranstaltet, gesagt und getan hat, sprengt jeden Rahmen. Pro Rede kommt er auf teilweise dutzende Lügen, sein Twittergrind pusht härteste Schwurbelaccounts.
 
Kennzeichnend sind für ihn aber vor allem drei Dinge: 
 
1. Inszenierung als Antiestablishment/Heilsfigur
2. Antisemitismus in Form eines wahnhaften Antikommunismus
3. Support der radikalen Rechten, rechter Milizen und Law-and-Order-Politik
 
Wie genau es ein (ehemaliger?) Milliardär mit eigenen Golfclubs und Fernsehshows  geschafft hat, sich selber in die Rolle eines Außenseiters zu platzieren, ist schwer zu ergründen. Er hat dabei aber jede Menge Unterstützung von den Demokraten bekommen. Über Jahre und teilweise Jahrzehnte hat man etliche Schichten in den USA vernachlässigt und der immer stärker durchschlagende Neoliberalismus hat das Lohngefüge dieses eh schon sehr marktliberalen Staates komplett aus den Angeln gehoben. Millionen Einwohner*innen stehen vor dem absoluten Nichts und sind vollkommen abgehängt, je jünger desto schlechter die Aussichten auf die Zukunft und Millionen Häuser sind massiv überschuldet oder wurden bereits im Zuge der letzten Finanzkrise beschlagnahmt. Merkliche staatliche Hilfen gab es und gibt es aber nicht. 
 
Mit Bernie Sanders hat ein nach europäischem Maßstab Sozialdemokrat in zwei Vorwahlkämpfen versucht, mit einer sozialen Agenda neue Schichten anzusprechen und für die Wahlen zu aktivieren. Erhebungen zeigen: Durchaus mit Erfolg. In beiden Fällen hat aber das Establishment der Demokraten interveniert und beide Male den Vorwahlkampf gegen ihn beeinflusst. Da Trump selber nicht aus dem politische Betrieb stammt, ist es so gesehen ein Leichtes, sich vom Stallgeruch der Berufspolitiker freizumachen. Und es fällt für Viele überhaupt nicht ins Gewicht, dass Trump selber korrupter als Alle ist, die er als „Sumpf“ tituliert. Er inszeniert sich als konträr zum üblichen Betrieb.
 
Zusätzlich adaptiert er relativ geschickt Onlineströmungen und lässt sich ganz bewusst als Heilsbringer inszenieren. Da geht es dann auch gar nicht mehr um Inhalte. Es handelt sich um eine charismatische Herrschaft nach Weber, die eher an Kulte und Sekten erinnert als an eine bürgerliche Demokratie. So wurde Trump zur zentralen Figur der Q-Anons und stellt eine Art Erlöser für alle Übel der Welt dar. Selbst auf Reichsflaggen hierzulande schafft es das Konterfei des Präsidenten – er soll auch Deutschland retten. So absurd dies alles klingen mag, so real ist es.
 
Antikommunismus zählt in den USA seit der Oktoberrevolution  in Russland zu den ideologischen Kernelementen des kollektiven Gedächtnis. In den 30ern veranstaltete man erste Konferenzen zur Totalitarismustheorie, mit Beginn des Kalten Krieges setzte der antisemitische Wahn der McCarthy-Ära ein, vorher führte man einen regelrechten Bürgerkrieg gegen Gewerkschaften und Arbeitskämpfe (der erste Bombereinsatz der USA erfolgte gegen Gewerkschaftsmitglieder) mit tausenden Toten. Das Ende der Sowjetunion hat dieser Ideologie aber nicht das Wasser abgegraben. In Form des Kulturmarxismus erlebt der Wahn der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung neuen Auftrieb und wird gerade in den USA massiv gepusht.
 
Trump selber hat dies alles nicht erfunden, er geht aber in die Vollen und betitelt alles als Kommunisten, Anarchistinnen und so weiter, was ihm nicht in den Kram passt. Mit klassischen Bausteinen der antisemitischen Welterklärung nimmt hier der „Kommunismus“ die Rolle des Weltzerstörers ein. Und damit ist nicht Kommunismus in Form realer Forderungen realer Personen gemeint, sondern das Gespenst des Kommunismus, welches hier eher als Werwolf mordend skizziert wird. Deshalb ist es Antikommunismus, wenn Joe fucking Biden als Kommunist verunglimpft wird, wenn man die Proteste gegen Polizeigewalt als anarchistisch beschimpft und wenn „die ANTIFA“ zur Terrorgruppe erklärt werden soll, die an so ziemlich Allem Schuld ist. 
 
In dieser Härte hat man diesen antisemitischen Antikommunismus selten vernommen. Da Trumps Regentschaft stark auf ihn als Person setzt und so gut wie gar nicht auf konkrete Inhalte, fruchtet dies auch und versetzt die Trump-Fans in eine Art ständigen Ausnahmezustand. Überall lauert der Feind, an jeder Ecke will jemand die USA zerstören und was die Linken erst einmal machen, wenn sie an der Macht sind, wird bestimmt in die Fantastillionen Tote gehen.
 
Das Resultat ist eine merklich gesteigerte Gewaltbereitschaft auf Seiten der radikalen Rechten. Nachdem die Demonstration in Charlottesville ein blutiges Ende nahm, als ein Fascho die Antifaschistin Heather Heyer mit seinem Auto tötete und weitere zum Teil schwer verletzte, ist die Zahl der rechten Angriffe stark gestiegen. Bei den diesjährigen Protesten wurde regelmäßig mit dem Auto reingeheizt, Milizen marschierten voll bewaffnet auf und mehrere Personen wurden erschossen.
 
Trump selber bereitet seit einem Jahr akribisch den Fall vor, dass die Wahl an Biden geht. Er streut Falschinformationen über angeblichen Wahlbetrug, insbesondere die Briefwahl sei unsicher. Gleichzeitig versuchen die Republikaner möglichst vielen Menschen das Wahlrecht zu entziehen, die tendeziell für Biden stimmen könnten. Außerdem gibt es Berichte direkter Wahlfälschung, in Kalifornieren haben Republikaner gefälschte Briefwahlboxen aufgestellt, um die Stimmen verschwinden zu lassen.
 
Das Problem ist nun: In jedem Fall wird es im Zuge der Wahl kritisch in Sachen Gewalt. Vermutlich wird es lokal Konflikte geben, an denen bewaffnete Rechte beteiligt sind. Es ist daher wahrscheinlich, dass es weitere Todesopfer geben wird. In den letzten Tagen haben die Angriffe an Intensität gewonnen, Trump selber signalisiert immer wieder Zustimmung. So laufen Milizen vor Wahllokalen auf, an die 100! Fahrzeuge von Trumpfans haben einen Bus der Biden-Kampagne auf einem Highway angegriffen, Trump brachte als Planspiel den Fall der Ermordung Bidens in die Nachrichten und so weiter und so fort. Trump wird in jedem Fall auf Wahlfälschung pochen, Republikaner haben diverse Klagen vorbereitet. Die Phase bis über den nächsten Amtsantritt hinaus wird eine brandgefährliche sein – insbesondere für tatsächlich Linke.
 
Denn auch wenn Trump der Worst Case ist, die Alternative sieht nicht viel besser aus. Biden ist kein Diktator, die Demokraten haben sich aber in den letzten Jahren immer weiter ins Abseits gestellt. Zum einen sind sie merklich konservativer geworden – und das von einer eh schon konservativen Position aus deutscher Perspektive. Einige Republikaner machen inzwischen für Biden Wahlkampf und man bemüht sich vor allem um mögliche Wechselstimmen. Dabei ignoriert man, dass es breite Schichten der Bevölkerung gibt, die nicht wählen und sich nicht repräsentiert sehen. Unter anderem auch deshalb, weil keine der beiden großen Parteien einen ernsthaften Wechsel hin zu einer sozialenren Gesellschaft anstrebtvon Sozialismus wollen wir hier gar nicht erst sprechen. 
 
Biden profiliert sich mit angeblich klimafreundlichen Positionen, wird aber das Fracking in den USA nicht unterbinden. Eine allgemeine Gesundheitsvorsorge lehnt er ebenso ab wie eine umfassende Reform des Polizei- und Justizapparats. Wenn man die Wahl zwischen Gauland und Merz hat, ist Merz natürlich die bessere Wahl. Aber eine immer noch beschissene. Mit der doppelten Verhinderung Sanders‘ (dieses Jahr griff sogar Obama persönlich ein) hat man zudem eine klare Absage an eine inhaltliche Neuorientierung erteilt. Zwar faselt man davon, man müsse Trumps Wiederwahl mit allen Mitteln verhindern, meint damit aber nie eine Änderung vom Wahlprogramm, um mehr und vor allem neue Leute anzusprechen. 
 
Und so stehen die USA vor dem tatsächlichen Abgrund. Während einer Pandemie, die bereits über 200.000 Tote dort gefordert hat, stehen noch unruhigere Wochen bevor, mit einem Trump, dem sprichwötlich alles zuzutrauen ist. Die Wirtschaft liegt am Boden, das Gesundheitswesen steht vor dem Kollaps, die Armut breitet sich rasant aus und keine der beiden großen Parteien hat vor, daran strukturell etwas zu ändern.
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„Nein, wir sind keine Hippies.“ https://rambazamba.blackblogs.org/2020/05/13/nein-wir-sind-keine-hippies/ Wed, 13 May 2020 06:00:32 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=851 Continue reading „Nein, wir sind keine Hippies.“ ]]> Bei den aktuellen „Hygienedemos“ treiben sich auch Personen des linken Spektrums herum. Auch wenn man dies gern leugnen möchte, ist es so. Zugegebenermaßen gehören sie zu einem linken Spektrum, das man schon vorher etwas belächelt hat. So mobilisierte die MLPD bereits für diese Demos. In München organisierte sie eine Querfrontveranstaltung, auf der auch ein Redner des faschistischen III. Wegs auftreten durfte. Auch andere Splittergruppen aus dem autoritär-marxistischen Bereich warben nicht nur dafür, sondern nahmen auch daran teil.

Die größte linke Gruppe, die sich auf den „Hygienedemos“ herumtreibt und deshalb als Querfront bezeichnet werden kann, sind jedoch wohl die „Altlinken“, die die 68er Bewegung maßgeblich mitprägten. Natürlich sind nicht alle Altlinken so. Im Gegenteil: viele warnen vor jenen, die jetzt zusammen mit Nazis, die sie früher noch gehasst haben, gegen die Maßnahmen zur Eindämmung von Corona protestieren.

Klaus der Geiger, der sonst im Hambi oder davor bei Castorprotesten spielte, tritt nun für die „Hygienedemo“ in Köln auf. Er ist beileibe kein Einzelfall, sondern wahrscheinlich nur der prominenteste Fall. Fragt man selbsternannte Linke, warum sie bei diesen Querfront-Veranstaltungen sind, bekommt man oft als Antwort, dass „es ja um die Sache ginge“. „Die Sache“ ist wohl in diesem Falle die ablehnende Haltung „gegen die da oben“. „Die da oben“ schränken unnötigerweise unsere Handlungsfreiheit ein, so heißt es. Natürlich ist es erstmal aus linker Sicht ablehnenswert, wenn die Freiheit eingeschränkt wird. Jedoch wird die Freiheit aktuell nicht grundlos und willkürlich eingeschränkt, sondern um Infektionen vorzubeugen und so Menschen zu schützen, besonders Risikogruppen.

Schwurbeleien sind bei den 68ern nix Neues und weit verbreitet. Sinnsuche und Spiritualität waren dort schon immer Teil des Ganzen. Die politische Arbeit war sinnstiftend und identitätsbildend. Die Hippie-Bewegung mit ihren esoterischen und anti-rationalen Inhalten verband sich mit der politischen Arbeit. Es überrascht daher nicht, dass die 68er auch heute noch offen sind für „alternative“ Denkmodelle. Ein gefundenes Fressen für Leute wie KenFM oder andere „Truther“, die so auch Nicht-Rechte für ihre Denkweise begeistern können. Denn auch bei Ken Jebsen, Attila Hildman und Xavier Naidoo finden sich einfache Erklärungen für komplexe Probleme, garniert mit einem Hauch Esoterik. Denn nur wenige erleuchtete Eingeweihte wissen, was wirklich geschieht. Genauso sahen sich auch die 68er damals und auch heute noch und finden sich heute bei einem gescheiterten Journalisten, Koch oder Sänger wieder, die jetzt munter Verschwörungstheorien verbreiten.

Denn auch das Kapitalismusverständnis der 68er-Bewegung war in der Masse simpel. Ausgehend von einer antiimperialistischen Grundhaltung wurde die Welt in „gut“ und „böse“ eingeteilt. Gut waren in jenem Falle die unterdrückten Völker, schlecht die kapitalistischen Unterdrücker. Eine komplexe Realität wie der Kapitalismus lässt sich jedoch nicht so leicht in ein Gut/Böse-Schema pressen. Zumal es einen strukturell antisemitischen Grundton aufweist, da bestimmten Ländern ein kapitalistischer aka ausbeutender Charakter oder eben ein antikapitalistischer bzw. ausgebeuteter Status zugeschrieben wird. Der Kapitalismus wird nicht als komplexes System verstanden, sondern personalisiert.

Der Antisemitismus eint die 68er mit den Verschwörungsheinis. Auch wenn sie selbst vielleicht nicht verstehen, warum ihr Denken antisemitisch ist. Selbst ohne direkten Hass gegen jüdische Menschen ist es das. Unterkomplexe Lösungen werden von Jebsen und co. vorgekaut und die Hippies käuen sie wieder. In ihren Köpfen und auch in ihrem politischen Selbstverständnis macht das Sinn. Es ist daher wenig verwunderlich, dass Altlinke, Hippies und 68er auf den „Hygienedemos“ auftauchen. Name und auch ihr (damaliger) Aktivismus war vielleicht links, aber ihre Ideologie nie, da sie auf regressiven Grundprämissen fußt. Man wird solche Leute auch nicht mehr vom Gegenteil überzeugen können.

Hier sind es halt nicht mehr die USA oder jüdische Menschen, die als der personifizierte Kapitalismus verstanden wird, sondern Bill Gates, der mit Hilfe eines finsteren Plans die Welt unterjochen wird. Hier verbindet sich die unterschwellige Anfälligkeit für Verschwörungstheorien mit einem flachen Verständnis von Kapitalismus. Schon können sich selbst als Linke verstehende Menschen für ein Querfront-Projekt gewonnen werden.

Für Linksradikale, die wirklich diesen Namen verdienen, gilt es daher sich scharf öffentlich von diesen Querfront-Linken abzugrenzen. Sie haben mit ihrem strukturell antisemitischen Denken, ihrer regressiven Kapitalismuskritik und ihrer spirituell angehauchten Sinnsuche nichts mit uns gemeinsam. Dies muss auch öffentlich deutlich werden. Ich will nicht mit solchen Hippies in einen Topf geworfen werden, die unsolidarisch Menschen opfern wollen, um sich die Haare schneiden lassen zu dürfen.

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Das antifaschistische Minimum und die AfD – wie geht es weiter nach Thüringen? https://rambazamba.blackblogs.org/2020/02/12/das-antifaschistische-minimum-und-die-afd-wie-geht-es-weiter-nach-thueringen/ Wed, 12 Feb 2020 15:55:58 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=799 Continue reading Das antifaschistische Minimum und die AfD – wie geht es weiter nach Thüringen? ]]> Eine Woche ist es jetzt her, dass sich Kemmerich von der FDP mit Hilfe von Stimmen der CDU und der AfD hat zum Ministerpräsidenten von Thüringen wählen lassen. Viel ist passiert in dieser Woche, viel mehr wird passieren. Überraschend ist das Ganze dagegen nun wirklich nicht. Wer sich ein wenig eingehender mit der Normalisierung der AfD im parlamentarischen Betrieb beschäftigt hat, wird die eigenen Erwartungen in weiten Teilen bestätigt sehen.

Alle haben es gewusst

 

Im Laufe der letzten zwei Jahre sind immer wieder Kooperationen von Unionspolitiker*innen mit AfD-Leuten zu beobachten gewesen. Diese fanden vor allem auf regionaler Ebene statt, bekannt sein dürfte unter anderem die gemeinsame Front von AfD, Nazis und CDU gegen einen Auftritt von Feine Sahne Fischfilet im Bauhaus Dessau. Einzelne Stimmen aus Union und auch der FDP haben im Laufe der Jahre immer wieder eine Normalisierung der Beziehungen zur AfD angesprochen, wurden aber vor allem in den Anfangsjahren bis zur letzten Bundestagswahl durch die schrittweise Radikalisierung der Partei hin ins völkische und faschistische Spektrum immer wieder durch die Realität überholt.

Die Radikalisierungsphase der AfD ist nun weitestgehend abgeschlossen. Der Flügel und Höcke sind tonangebend und wer auch immer hoffte, die Partei würde nationalkonservativ bleiben, in einem rechtsliberalen Sinne, der oder die hat die Partei inzwischen verlassen. Wer 2020 in der AfD ist, teilt sich die Partei ganz bewusst mit Faschos und sonstigen Rechtsradikalen – oder zählt selbst zu diesen Gruppen. Und das weiß man auch bundesweit. Die AfD wird in der Öffentlichkeit als die rechtsradikale Partei gesehen, die sie ist. Dieser Punkt ist ebenso banal wie wichtig, ist er doch entscheidend für den Umgang mit FDP und CDU.

Denn hier haben wir es mit Berufspolitiker*innen zu tun, denen täglich Brot der politische Betrieb ist. Wenn irgendwer wissen muss, um was für eine Partei es sich bei der AfD handelt, dann diese Leute. Wer also im Jahr 2020 offen aufruft zur gemeinsamen Sache mit der AfD, der ruft offen zur Kooperation mit dem Faschismus auf. Und das in vollem Bewusstsein aller historischen Lehren und aktueller Entwicklungen. Wer 2020 in irgendeiner Art und Weise mit der AfD kooperieren möchte, hält den Faschos die Steigbügel. Und muss deshalb folgerichtig auch so behandelt werden. FDP und CDU können nicht auf einmal total überrascht tun, wenn sie das direkte Ziel antifaschistischen Aktivismus werden. Sollten weiterhin Teile der Parteien, wie zum Beispiel die Werteunion, offen für die Kooperation mit der AfD werben, dann sind diese auch weiterhin Ziel antifaschistischer Aktivität und den entsprechenden Maßnahmen, welche erforderlich sind für einen erfolgreichen Aktivismus.

Die Qual der Mittelwahl

 

Wichtig ist dabei aber auch, dass man in diesem Aktivismus sinnvoll abwägt, ob und inwiefern die diskutierten Mittel hilfreich sind. Nach der Wahl Kemmerichs wurden Beleidigungen und Bedrohungen auch seiner Familie gegenüber berichtet, ebenso soll eine FDP-Abgeordnete im Beisein ihres Kindes mit einem Böller beworfen worden sein. Sollte dies den Tatsachen entsprechen, so ist das abzulehnen. Sippenhaft ist nichts, was man sich als Antifaschist*in zu eigen machen sollte. Auch darf man nicht die Augen vor dem Zustand von FDP und CDU verschließen. Denn diese Parteien verfügen nicht über eine einheitliche Position und stehen in den kommenden Jahren vor ernsthaften internen Problemen.

Ideologisch stehen FDP und Unionsparteien der AfD am nächsten. Dies trifft sowohl auf die Wirtschaftspolitik zu (noch ist die AfD fundamental-liberal eingestellt und damit insbesondere der FDP nahe) als auch auf die Sozialpolitik und den Nationalismus. Verbindend ist auch der Hass auf Linke, in der Frühzeit der BRD haben Union und FDP aktiv die Integration alter Nazisgrößen in Politik, Gesellschaft und Wirtschaft betrieben, es fanden sich einflussreiche Netzwerke alter Nazis in beiden Parteien. Gegen Linke konnte man fast nahtlos weiterarbeiten, der Kalte Krieg bot den entsprechenden Rahmen zur Verfolgung. Die Unionsparteien sind im Laufe der Geschichte der BRD faktisch gesehen immer weiter entfaschisiert worden, ebenso die FDP. Offene Nazianbandelei ist heute nicht mehr ohne bundesweite Aufmerksamkeit möglich, früher bestimmten die Altnazis noch direkt das Bild der Parteien.

Der Spalt in Union und FDP

 

Es ist unabdingbar, dass man auch aus der radikalen Linken heraus anerkennt, dass es bei Union und FDP Personen und Gruppen gibt, die das antifaschistische Minimum erfüllen und keine Zusammenarbeit in irgendeiner Form mit Faschos unterstützen oder tolerieren wollen. Auf der anderen Seite gibt es als prominentestes Beispiel die Werteunion, welche offen für eine AfD-Zusammenarbeit wirbt und sich aktiv für die Normalisierung von Faschos einsetzt. In diesem Spannungsfeld zwischen einem Ruprecht Polenz, ehemaliger CDU-Generalsekretär, und einem Hans-Georg Maaßen, ehemaliger Leiter des Bundesverfassungsschmutzes, wird sich die interne Auseinandersetzung innerhalb der Union abspielen.

Die Werteunion ist noch nicht lange aktiv, aber sie ist eine logische Konsequenz aus dem Geschehen der letzten Jahre. Die AfD hat die ehemals klare Aufteilung im Parteienspektrum insofern ausgehebelt, als dass es jetzt eine rechtsradikale Partei gibt, die teilweise zweitstärkste Kraft ist und somit das rechtsradikale Stimmenpotential fast vollständig abrufen kann. Zur NPD konnte man wegen ihrer Kameradschaftsanbindung leicht Distanz halten, bei einer AfD mit breiter Zustimmung bundesweit fällt dies schwerer. Zumal sich in den Reihen der AfD auch viele ehemalige CDU-Mitglieder finden, die über alte Kontakte verfügen. Die AfD hat rechtsradikale Positionen für erheblich größere Bevölkerungsteile wählbar gemacht.

Der klassische deutsche Konservatismus hat viele inhaltliche Schnittstellen mit unterschiedlichsten rechtsradikalen Ideologien. Der Fokus auf die Nation und das deutsche Volk als zentraler Bezugspunkt der eigenen Weltanschauung sind der größte Anknüpfungspunkt, verbunden mit einem hierarchischen Gesellschaftsbild und einem autoritären Herrschaftsprinzip sowie einer kapitalistischen Wirtschaftsweise, der Hass und die Ablehnung alles Linkem wurde bereits erwähnt. Wie stark diese Details gewichtet sind und wie sie genau ausformuliert sind unterscheidet unterschiedliche Ansätze, ebenso wie stark man das plebiszitäre Element einer parlamentarischen Demokratie zulässt. Wer behauptet, man könne klassischen Liberalismus und Konservatismus glasklar von nationalrevolutionären Ideologien und dem Faschismus trennen, lügt. Es gibt keine klare Grenze.

Und so ist es nicht verwunderlich, dass sich die Werteunion als Scharnier zwischen einem im demokratischen Sinne bürgerlichen Konservatismus und dem nationalrevolutionären Treiben innerhalb der AfD versteht und versucht. Da der Übergang eh fließend ist, kann man ihn auch organisationstechnisch derart gestalten. Das politische Spektrum innerhalb der Unionsparteien differenziert sich unter Einbeziehung des AfD-Aufstiegs aus. Für die Union wird es daher interessant, wie sie als Gesamtpartei damit umgeht. Die Frage stellt sich nicht nur nach Thüringen, sie wird sich auch in Zukunft weiter stellen.

Noch ist die Zeit nicht reif

 

Thüringen kam für die Werteunion und die offene Kooperation mit der AfD vielleicht ein oder zwei Jahre zu früh. Man hat angetestet und festgestellt, dass die Stimmung noch nicht so weit ist. Es wird aber nicht bei diesem Versuch bleiben. Die Werteunion baut ihr Netzwerk erst auf und es wird genügend Kreis- und Landesverbände geben, bei denen die Machtoption das antifaschistische Minimum übertrumpfen werden. Insbesondere wenn der Antikommunismus tief sitzt, alles Linke mit Insbrunst gehasst und abgelehnt wird, hat die AfD gute Chancen auf Annäherung der Union. Die Linken, die Antifa – ein gemeinsamer Feind verbindet und was sind dann schon die paar etwas zu harschen Aussagen von Höcke? Hauptsache man hat den Linken eins ausgewischt. Genau solche Aussagen gab es unmittelbar nach der Wahl Kemmerichs zu vernehmen, bis die Bundesspitze bei Union und FDP dem einen Riegel vorgeschoben hat.

Für eine direkte Kooperation auf Landesebene bieten sich aktuell insbesondere die neueren Bundesländer an, in denen die AfD teilweise zweitstärkste Kraft ist und auch über sehr rechte Landesverbände von CDU und FDP verfügt. Sachsen-Anhalt und Sachsen sind hier die offensichtlichen Kandidaten, aber auch Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg können in Frage kommen, sollte die Union den Platz in der Regierung verlieren. Es ist eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis es zu einer offenen Kooperation kommt.

In den Reihen müssen sich dann die Mitglieder, die das antifaschistische Minimum erfüllen und auch ernsthaft vertreten, mit den Mitgliedern umgehen, die dieses Minimum aktiv untergraben. „Wie hältst du es mit der AfD“ dürfte in den kommenden Jahren zur Gretchenfrage werden. Für einige wird sich auch die Frage stellen, ob sie die Partei verlassen, wenn man Gruppierungen wie die Werteunion nicht ausschließt. Es ist anzunehmen, dass sich in den nächsten zehn Jahren auch auf Bundesebene das absolute Kooperationsverbot als Feigenblatt verabschiedet und man zumindest den Landesverbänden offiziell die Faschokuschelei erlaubt. Konservative und Liberale haben auf Partei- und Organisationsebene noch nie von alleine den antifaschistischen Minimalkonsens gehalten und sie werden es auch in Zukunft nicht.

Augen auf beim Aktivismus

 

Aus antifaschistischer Sicht ist es daher geboten, sich die Demarkationslinien innerhalb von Union und FDP genau anzuschauen und nicht blind alle Parteimitglieder als Ziel antifaschistischen Aktivismus anzusehen. So wenig man darauf auch Lust haben mag, im Notfall muss das antifaschistische Minimum auch innerhalb von Union und FDP gestützt werden, sollte die Situation es erforderlich machen. Wichtig ist dabei aber zu beachten, dass es sich ausschließlich um konkrete sachbezogene Aktionen und Themen handeln kann. Jenseits der Fragen des antifaschistischen Minimums gibt es wenig bis gar nichts Verbindendes und man darf sich nicht der Illusion hingeben, dort Genoss*innen vor sich zu haben.

Auch darf man aus radikal linker und antifaschistischer Perspektive nicht den Fehler begehen und sich zu sehr auf sämtliche Parteien im Parlament verlassen. Insbesondere die gerade überall zu sehenden wehmütigen Gedanken an das Ende von Merkels politischer Karriere strafen jeden eigenen Anspruch Lügen. Ob darin der Wunsch nach gedulsamer Führung durch „Mutti“ oder eine andere Person zum Ausdruck kommt, die eigene Anspruchslosigkeit oder die Angst vor Wandel ist in der Summe nicht zu sagen. Merkel und Co aber über Gebühr als antifaschistische Vorkämpfer*innen zu stilisieren kann aber nicht der Weg sein. Die Union ist auch unter Merkel eine sozialchauvinistische und rassistische Dreckspartei, die nichts gegen den Klimawandel tut und mit Vorliebe auf Linke einprügelt.

Die radikale Linke muss sich in erster Linie auf sich selber verlassen und darf sich auch nicht in inhaltlicher Anbiederung an die eh nicht vorhandene „bürgerliche Mitte“ selbst aufgeben. Es gibt im Falle der AfD nur die Frage, wie konsequent antifaschistisch man ist und wie weit man solidarisch mit entsprechendem Aktivismus ist, auch wenn selbst bestimmte Aktionsformen nicht ausführen würde. Dabei darf man aber nicht vergessen, dass das alles kein Selbstbespaßungs- und Selbstdarstellungsladen ist. Es muss Antifaschismus immer und vorrangig um die praktische Umsetzung gehen und er muss auf Resultate abzielen. Wenn dann Antifaschist*innen es als erforderlich ansehen ein wenig unverkrampfte Automobilkritik zu äußern oder das Schlüsselbein vom Nazi mal knacken muss, nehmen sie bewusst das Risiko der Strafverfolgung auf sich, um ein Ziel zu erreichen. Und dieses ist nicht die Selbstvergewisserung der eigenen Radikalität. Im Notfall muss man da auch zurückstecken und bei klarer inhaltlicher Positionierung anschlussfähig nach außen bleiben, um eben kein Selbstbespaßungsladen zu werden.

Leicht ist das alles nicht, aber es wird auch in den kommenden Jahren nicht leichter. Die AfD hat es geschafft, dass vorhandene rechtsradikale Stimmenpotential abzugreifen. Was jetzt passiert, wo dieses erstmals eine bundesweit etablierte parteiliche Organisation hat, ist nicht vollends abzusehen. Sicher ist aber, dass es in einigen Regionen zu einem merklichen Einfluss kommen wird und sich nationalistische und völkische Hegemonien ausweiten können. Wie erfolgreich die AfD beim Ausbau ihrer Stimmanteile werden kann, hängt auch zu einem Teil davon ab, wie CDU und FDP es schaffen, den antifaschistischen Minimalkonsens innerhalb ihrer Parteien durchzusetzen. Insbesondere auf Landesebene sollte man sich da aber keinen allzu großen Illusionen hingeben. Liberale und Konservative sind durch die großen inhaltlichen Schnittstellen zu anfällig für die Kooperation, als dass sie es dauerhaft durchhalten könnten, die AfD auszugrenzen. Der Faschismus ist schließlich ein Resultat der Moderne und der bürgerlichen Gesellschaften.

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Gedenken auf deutsch – mach es dir einfach https://rambazamba.blackblogs.org/2020/01/27/gedenken-auf-deutsch-mach-es-dir-einfach/ Mon, 27 Jan 2020 19:59:33 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=796 Continue reading Gedenken auf deutsch – mach es dir einfach ]]>
„Wenn irgendein Onlinekommentator sich mit Goethe verbunden glaubt, dann ist das seine nationale Identität. Aber wenn ich ihn mit Hitler in Verbindung bringe, dann bin ich ein Rassist.“ nach Wolfgang Pohrt
 
Heute ist der Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee. Dieses Datum ist inzwischen zum weltweiten Gedenktag der Opfer des Holocausts geworden und so trudeln von allen Seiten fleißig Erinnerungen, Mahnungen und Sharepics ein, damit man dem Datum formal Genüge getan hat. Es ist insbesondere in Deutschland ein Popanz, dem man nicht entgehen kann und deshalb Jahr für Jahr die ewig gleichen Satzbausteine aufwärmt und neu zusammensetzt. Damit hat man dann die Pflicht getan. Mir wäre fast lieber, die meisten täten gar nichts dergleichen, insbesondere sich öffentlich der Gedenkverpflichtung zu fügen und die ewig gleichen Satzbausteine aufwärmen und neu zusammensetzen. Mir geht das inzwischen alles nur noch wahnsinnig auf den Zeiger. Die Jahre haben mich in bestimmten Sachen verbittern lassen und seit der Säulenaktion des ZPS befinde ich mich im Eikel-Geisel-Modus, was das Betrachten der deutschen Aufarbeitunsgökonomie angeht. (Wer mit Geisel nichts anzufangen weiß: https://de.wikipedia.org/wiki/Eike_Geisel und https://lizaswelt.net/2007/08/06/in-memoriam-eike-geisel/) Hinzu kommen das Verhalten der Berliner Polizei, Opfer des Naziregimes und deren Angehörige von ihrem Gedenken abzuhalten, um gleichzeitig den Rechtsradikalen der AfD Vorrang zu gewähren, dieser unsägliche Kommentar von Sabine Müller vom Hessischen Rundfunk zum Gedenken in Yad Vashem und der übliche kollektive Gedenktaumel der gegenseitigen Versicherung, aus der Geschichte gelernt zu haben und besser zu sein.
 
So groß die Worte sind, die man allerorts vernehmen kann, so wenig Konsequenz folgt aus ihnen. Die Ursachen dafür sind vielfältig, haben aber vor allem mit zwei Dingen zu tun: Erstens will man vor allem sicher sein, dass man selber auf der richtigen Seite steht und mit dem Ganzen, was die Nazizeit und den Holocaust ermöglichte, so rein gar nichts zu tun hat. Und zweitens ist das Gedenken immer so lange wohlfeil, wie es ein Gedenken bleibt. Also eine formale Handlung, die man wie eine Begrüßungsrunde bei Familienfeiern einfach abhandeln und sich dann den wichtigen Dingen widmen kann. Eine schonungslose und kritische Betrachtung des Themenkomplexes mit den daraus zu schließenden Konsequenzen, insbesondere für sich selber und das eigene Umfeld, wollen die Wenigsten vornehmen. Es ist zu unbequem, es ist mit Arbeit und Selbstkritik verbunden. Und es berührt elementare Fragen der gesamtgesellschaftlich dominierenden Ansichten. Es hat viel mit Identität zu tun, mit Gruppenzugehörigkeit und sehr viel mit der Fähigkeit, sich selbst innerhalb politischer Verhältnisse kritisch zu hinterfragen. Und es hat sehr viel mit Deutschland und dem Deutschsein als Sozialcharakter und Gruppenideologie zu tun. Kein Wunder also, dass man lieber auf Popanz und deutscheste Pflichterfüllung beim Abarbeiten des Termins setzt.
 

Tradiertes Ressentiment und Abwehreaktion auf die Moderne

 

 
Über dem ganzen Thema hängt wie das Schwert des Damokles die Frage, wie der Holocaust geschehen konnte und warum er ausgerechnet in Deutschland passierte. Diese Fragen zu beantworten ist nicht einfach. Dazu muss man überhaupt erst einmal begreifen, was Antisemitismus ist, wo dieser herkommt und was für Ausprägungen einzelne Ideologiebausteine des Antisemitismus annehmen und wo man sie überall antrifft. Und das tun in vollem Umfang doch recht wenige Menschen. Gerade wenn es um den Holocaust und das NS-Regime geht, wollen viele auch gar nichts von antisemitischen Kontinuitäten wissen. Ein Paradebeispiel dafür ist Philipp Amthors Interview bei n-tv heute. Dort behauptet er, Zuwanderer müssten sich an unsere Kultur anpassen und für Antisemitismus sei kein Platz. Im Gegenteil ist antisemitisches Denken mit seinem Vorlauf im Antijudaismus seit Jahrhunderten fester Bestandteil des öffentlichen Denkens in den Gebieten, die später einmal einen deutschen Nationalstaat bilden sollten. Man könnte sogar sagen, dass, wenn etwas deutsch ist, dann ist es Antisemitismus. Und dieser hat auch heute hier seinen Platz und sitzt im Bundestag, bei der Polizei und in den Ministerien. Er hat eine andere Form finden müssen als in seiner Hochphase des NS, aber er war immer hier und ist in weiten Teilen akzeptiert.
 
Antisemitismus ist nicht einfach nur der Hass auf jüdische Menschen. Antisemitismus ist eine vollständige Ideologie, die in sich geschlossen ein komplett auf Verschwörungsmythen aufbauendes Weltbild erzeugen kann. In voller Entfaltung kann man damit sämtliche Vorgänge und Ereignisse erklären und einer Gruppe von Menschen unmittelbar anlasten, welche entweder direkt Juden (alle oder davon eine große Teilmenge) sind oder in ihrer Funktion innerhalb des Weltbilds die Rolle der Juden einnehmen und so als Chiffre für sie gelten (Kosmopolit*innen, Ostküste, Banker, Rothschilds, etc). Die einzelnen Bestandteile dieser Weltanschauung, auch Ideologeme oder Tropen genannt, bauen zum großen Teil auf Jahrhunderten antijudaistischer Propaganda auf. Der Antisemitismus ist dennoch unweigerlich eine Ideologie der Moderne und das aus zwei Gründen, die ihn vom Antijuadismus wesentlich unterscheiden. Der Antijudaismus bezog sich vorrangig auf den Glauben und so konnte man zumindest theoretisch der unmittelbaren Verfolgung entgehen, indem man sich um- bzw. zwangstaufen ließ. Mit der wissenschaftlichen Revolution und der Herausbildung der einzelnen Disziplinen begann man auch die Natur immer systematischer zu betrachten und teilte schließlich auch den Menschen in verschiedene Rassen ein. Die darauf aufbauende Rassenkunde des Menschen erweiterte dies auf Volksgemeinschaften und schrieb diesen per Geburtsmerkmal bestimmte Eigenschaften zu. Die vormals vorrangig am Glauben festgemachten Verschwörungsmythen wurden im 19. Jahrhundert verstärkt als unveränderliche Eigenschaften des jüdischen Volkes an sich angesehen. Kann man sich vom Glauben theoretisch lösen, so ist das jetzt nicht mehr möglich. 
 
In das 19. Jahrhundert fällt auch die Herausbildung der Nationalstaaten in Europa, welche vom Aufstieg des Bürgertums und des Kapitalismus begleitet wurde und das Ende des Feudalismus bedeutete. Dies brachte massive gesellschaftliche Umbrüche mit sich. Die Juden, eh schon durch Berufsverbote, Verfolgung und Ausgrenzung in eine Außenseiterposition durch den Ruf der Geldgier gebracht, boten sich förmlich dazu an, die vorhandenen Mythen auszubauen und als Projektionsfläche für die negativen Auswirkungen der Umbrüche. Die zunehmend abstrakter werdenden Herrschaftsverhältnisse des Kapitalismus wurden auf diese Weise vereinfacht und greifbar, man ordnete sich die Welt so, wie es einem gerade passte und hatte Sündenböcke parat. Der Antisemitismus als Welterklärung ist also unweigerlich ein Teil der Moderne und stellt eine Abwehrreaktion auf die immer komplexer werdenden Gesellschaften dar. Was man nicht versteht, rationalisiert man sich unter antisemitischen Vorzeichen zusammen. Es war der Jud und die sind ja von Geburt aus so. Weiß man doch“, denkt man sich dann so.
 

Das deutsche Wesen

 

 
Besonders stark ausgeprägt war der Antisemitismus im deutschsprachigen Raum. Das Wort „Antisemitismus“ selber ist eine deutsche Erfindung und geht auf Friedrich Marr zurück, der 1879 die „Antisemitenliga“ gründete, welche den Begriff popularisierte und die Judenemanzipation innerhalb des Deutschen Reiches zurücknehmen wollte. Politisch organisierter Antisemitismus war fester Bestandteil des deutschen Parteien- und Vereinswesens von Beginn an. Marr selber ist auch für eine der ersten schriftlichen Aufzeichnungen des Mythos bekannt, die später als jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung und als Reaktion auf den Untergang der UDSSR heutzutage als Kulturmarxismus weiten Anklang findet. Auch für die Niederlage im Ersten Weltkrieg machte man gerne die Juden verantwortlich und die Popularität des antisemitischen Machwerks „Die Protokolle der Weisen von Zion“ in den 20ern Jahren des letzten Jahrhunderts in Deutschland belegen das. Der Antisemitismus hatte in Deutschland eine alle Bevölkerungsschichten durchdringende und verbindende Funktion. Und wenn die Juden genetisch so veranlagt sind, wie man es ihnen zuschreibt, dann liegt es in ihrer Natur und sie werden immer so handeln. Was also tun, wenn man verhindern will, dass sie auch in Zukunft ihrer Natur folgen? Die letzte Konsequenz eines geschlossenen antisemitischen Weltbildes ist die Vernichtung der Juden. Und genau das taten die Deutschen dann auch. Der eliminatorische Antisemitismus wurde auch nicht erst durch die Nazis erfunden, entsprechende Forderungen gab es schon vorher, unter anderem von Eugen Dühring. Dieser war an der Entwicklung des Rassenantisemitismus maßgeblich beteiligt und hatte zeitweise einen so großen Einfluss auch innerhalb des sich organisierenden Proletariats, dass Friedrich Engels sich zu einer Reihe von Artikeln veranlasst sah, die dann als sogenannter „Anti-Dühring“ in Buchform zusammengefasst wurden.
 
Verantwortlich dafür war auch das völkische Denken, welches insbesondere in Deutschland weit verbreitet war und aus Ablehnung gegenüber dem Erzfeind Frankreich und dessen republikanischen Bürgerverständnis in Stellung gebracht wurde. Von Citoyen und Bourgeoise wollte man nichts wissen, man war volksdeutsch. Und so führte das spezifisch deutsche Wesen dann unter der Herrschaft der von Beginn an offen radikalantisemitisch auftretenden Nazis zum Holocaust und der Befreiung Auschwitz-Birkenaus vor 75 Jahren als dessen symbolischen Endpunkt. Dabei ist der Holocaust nur ein Symptom, die Vernichtung der Juden ist die konsequente Auslebung von antisemitischen Ressentiments durch den Staat und weite Teile der Bevölkerung sowie der Tatenlosigkeit des Auslands. 
 

Schuldabwehr, Verdrängung und Selbstbetrug

 

 
Was ist demzufolge die einzig logische Konsequenz, um ein weiteres Auschwitz wirklich zu verhindern? Man muss sich mit den über Jahrhunderte gewachsenen und gesamtgesellschaftlich verfestigten antisemitischen Ressentiments auseinandersetzen und diese bekämpfen. Da diese aber eben über Jahrhunderte von breiten Bevölkerungsteilen in unterschiedlichen Ausprägungen vertreten wurden, kann man dies nicht, ohne sich in einer Form der Kollektivschuld der Deutschen zu stellen. Die Deutschen haben aber bereitwillig die NSDAP gewählt und sich auch recht kampflos in das NS-Regime gefügt. Die Nazis verfügten über eine breite Zustimmung innerhalb der Bevölkerung und setzten ihr antisemitisches Programm Stück für Stück um, ohne dass sie dafür ernsten Widerstand von innen bekamen. So gut wie alle Personen innerhalb des Deutschen Reiches haben auf irgendeine Art am NS partizipiert und nichts im Angesicht der Barbarei unternommen.
 
Also erfand man sich selber einen Entschuldungsmythos, der es sogar zum Gründungsmythos der BRD geschafft hat: Die Stunde Null. Aber wer am 1. Mai 1945 Nazi war, ist nicht am 1. Mai 1946 plötzlich geläuterter Demokrat. Es gab keine Stunde Null, man versuchte nur so gut wie möglich unter der Besatzung mit den neuen Gegebenheiten klarzukommen. Nazi war plötzlich niemand mehr gewesen, gewusst hatte man auch nichts und selbst wenn, was hätte man denn schon tun können? Dieser Mythos wurde zu einem prägenden Moment in der jungen BRD und erlaubte dann auch die schnelle Eingliederung alter Nazis in den neuen Staat, man deckte sich gegenseitig und schwieg schlichtweg über die eigene Beteiligung. Außerdem hatte man den Krieg verloren und wurde geteilt, damit sollte es doch eigentlich dann auch wieder genug sein. Man ging als Volkskollektiv in den Krieg und danach wollte man kollektiv im Volk nichts mehr von sich selber wissen.
 
Der Kampf um eine umfassende Aufarbeitung deutscher Verantwortung ist bis heute nicht abgeschlossen. Das heutzutage schwer nachzuvollziehende Moment des kollektiven Wahns gegen die Juden und die unvorstellbare Grausamkeit der Vernichtungslager machen es einfach, sich der eigenen Aufarbeitung zu entziehen. Mit der Massenvernichtung hat man ja schließlich nichts zu tun und würde das auch niemals tun, so tönt es vielerorten aus den Mündern derjenigen, die sich nicht mit Antisemitismus beschäftigen wollen. Dabei nehmen sie die schlimmstmögliche Erscheinungsform des Antisemitismus und stellen diese als die Norm da. Und damit haben die meisten heutzutage tatsächlich nicht viel zu tun. Nur ist eine Erscheinungsform, ein Symptom, niemals die Ursache. Die Ursache sind die eben seit Jahrhunderten tradierten Ressentiments gegen Juden und das darauf aufbauende antisemitische Weltbild. Und das verschwindet nicht plötzlich, nur weil die rote Fahne vom Reichstag geschwenkt wird. Wer Auschwitz verhindern will, muss sich also kritisch mit den Facetten antisemitischen Denkens, dem antisemitischen Einfluss im deutschen Wesen und mit dem spezifisch deutschen Sozialcharakter auseinandersetzen, der den Holocaust ermöglicht hat. 
 
So geht das natürlich nicht. Dann wäre ja möglicherweise das trügerische Selbstbild von sich und der Gesellschaft in Gefahr. Und so hat man sich in Deutschland erst sehr lange vor der eigenen Verantwortung gedrückt und sich dann schlussendlich eine moralische Überlegenheit daraus zusammengeschustert, dass man nicht alle Phasen der deutschen Vergangenheit bejubelt. Ich war früher auch so. Ich habe früher auch das Anerkennen des Holocausts und Dinge wie das Holocaustmahnmal dazu benutzt, Deutschland und mich als anderen Ländern moralisch überlegen zu fühlen. Von den Opfern wollte ich nichts hören, von den Ursachen auch nicht. Stattdessen sollte am deutschen Gedenkwesen die Welt genesen und es alle so wie wir machen. Wir Deutschen haben immerhin aus der Vergangenheit gelernt! Wir sind gut und stehen jetzt auf der richtigen Seite der Geschichte. Mit solch einfachen Schlagworten habe ich eine ernste Auseinandersetzung mit dem Thema weggeschoben. Der Möllemann hatte damals auch Recht in meinen Augen, dass man ja nichts mehr sagen dürfe und irgendwann muss doch auch mal Schluss sein. Wir stellen uns ja immerhin gerade ein Holocaustmahnmal ins Zentrum der Hauptstadt, also bitte keine Belehrungen von Opfern und Angehörigen.
 

Es geht nicht um das eigene Wohlgefallen

 

 
Aber das war einmal. Von diesem Denken habe ich mich, ausgelöst durch einige harte Einschnitte in meine Gedankenwelt, Stück füt Stück verabschiedet. Ich habe gelernt, dass es nicht um mich geht. Es geht nicht darum, dass ich mir selber die Versicherung ausstelle, ja nur auf der richtigen Seite zu stehen. Es geht nicht um mein Selbstbild, es geht um gesellschaftliche Prozesse und Ansichten. Und an diesen bin ich möglicherweise beteiligt und diese habe ich möglicherweise selber durch meine Sozialisation verinnerlicht, ohne das ich mir über sie im Klaren bin. In einer Gesellschaft, in der man sich nicht konsequent mit den Ausprägungen antisemitischen Denkens beschäftigt, lernt man das nicht automatisch. Und wenn dann jemand an die Grundfesten kollektiver Ansichten geht, dann will man davon auch in der Regel nicht viel wissen. Weil das sehr wahrscheinlich auch eine Selbstkritik in einigen Punkten erforderlich macht und sich das für Leute, die nur auf Selbstversicherung aus sind, nicht gut ausgeht. 
 
In einem größeren Maße hat man das sehr deutlich bei der Säulenaktion des ZPS gesehen. Und das nicht nur bei uns, eigentlich überall wo das Stören der jüdischen Totenruhe und das vollständige Übergehen der Opfer- und Interessenverbände kritisch gesehen wurde. Diese Aktion hat neben allem, was man daran konkret kritisieren kann, eine Welle an sekundärem Antisemitismus ausgelöst. Da durften sich dann Juden anhören, man solle gefälligst froh sein, dass die Asche ihrer Angehörigen jetzt doch noch mal für einen guten Zweck verwendet wird. Wer das anders sähe, der spalte die Linken/das antifaschistische Lager/die Gesellschaft und man soll sich doch nicht so haben wenn Deutsche gerade aus ihrer Vergangenheit lernen. Das ZPS dient dabei als eine Art Projektionsfläche des Denkens auf der richtigen Seite zu stehen in einem gesamtgesellschaftlichen Kontext. Wie man selbst im Kleinen immer schön auf der richtigen Seite stehe, so tut es das ZPS stellvertretend für die guten Deutschen bundesweit. Das Gewissen wird dann gleich doppelt beruhigt, weil es öffentlich passiert und man sich öffentlich auf die richtige Seite stellen kann, während das Denken einem größtenteils vorher abgenommen wurde. 
 
Dabei stören dann natürlich Kleinigkeiten wie der Zentralrat der Juden, das Auschwitzkomitte und der Zentralrat der Sinti und Roma. Solange man denen ein paar Sachen hinbauen kann und ein, zwei Mal im Jahr ein „nie wieder“ verlautbaren lässt, ist es ja noch auszuhalten mit denen. Fängt der Jude dann aber mal an, eine eigene Haltung zu entwickeln und das kollektive Reinwaschen von jeglicher Schuld und Verantwortung in der Praxis kritisch zu sehen, dann geht das überhaupt nicht mehr. Man arbeitet hier immerhin auf, was wollen die Opfer und deren Nachfahren denn noch? Undankbares Pack. So hätte ich vor 15 Jahren auch noch argumentiert und wäre auch ein großer Fan vom ZPS gewesen. Das Alles nur, um mich selbst nicht kritisch sehen zu müssen. Und die Leute, die vor ein paar Wochen noch jegliche Kritik an der Aktion und am ZPS selber abschmetterten und den Opfern und Angehörigen erklären mussten, wie es Deutsche richtig machen, gedenken heute der Befreiung von Auschwitz und mahnen an, alles gegen Antisemitismus zu tun. Nur halt nicht bei sich selbst.
 

Eine Politik des Versagens

 

 
Doch nicht nur auf der individuellen Ebene hat man in Deutschland Probleme damit, ernsthafte Konsequenzen aus dem Holocaust zu ziehen und das eigene politische Handeln ernsthaft daran auszurichten. Solange man es bei Worten belassen kann, sind die meisten freudig mit dabei. Geht es dann um ein Übertragen auf die Realpolitik, knicken die meisten ein. Was nützt es, wenn Steinmeier in Yad Vashem ein paar wohlige Worte quacksalbert, wenn die Berliner Polizei der AfD den Erstzugang zum Gedenken in Marzahn ermöglicht und Opfer, Angehörige und Antifaschist*innen ausschließt? Selbst wenn man, warum auch immer, der AfD und anderen Rechtsradikalen einen Besuch am Gedenktag gestattet bzw. gestatten muss, dann doch nicht mit Vorzugsbehandlung. Man kann doch nicht die parlamentarische Kraft des Faschismus, die im Kern geschichtsrevisionistisch ist und bis in die Spitze mit antisemitischen Personen besetzt ist, einen Fünf-Sterne-Tag bescheren und diejenigen benachteiligen, die sich ernsthaft gegen antisemitische Kontinuitäten einsetzten und das mit dem „nie wieder“ ernst meinen. Solange es zu solchen Szenen kommt, braucht wirklich niemand im Staatsapparat etwas davon erzählen, man sei konsequent im Kampf gegen Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus. 
 
Es ist auch völlig egal, dass ein Heiko Maas wegen Auschwitz in die Politik gegangen ist, wenn er dann mit Antisemiten aus dem Iran und anderen Ländern lächelnd vor der Kamera die Hände schüttelt, während sich die deutsche Außenpolitik nicht merklich ändert im Umgang mit antisemitischen Regimen und Organisationen. Von „historischer Verantwortung“ wird viel geredet, aber sie stört immer dann, wenn es konkret wird. Und so duckt man sich weg vor der Selbstkritik. Und das nicht nur auf staatlicher Seite oder bei den Rechten. Antisemitismus ist nichts, was einer bestimmten politischen Richtung vorbehalten ist und anschlussfähig an alle politischen Lager. Die Linke hat bekanntermaßen genug Probleme mit Gestalten wie Dehm und solid.nrw, Gabriel hat als Außenminister Israel einen Apartheidsstaat genannt und ein Norbert Blüm krebst auch noch munter bei der Union rum. Der Verfassungsschutz beobachtet dagegen den VVN-BdA und der Verein bekommt die Gemeinnützigkeit entzogen, weil man sich zu sehr politisch äußert. Olaf Scholz will allen Vereinen in Deutschland politisch einen Maulkorb verpassen und ihnen politisches Engagement beim gleichzeitigem Status der Gemeinnützigkeit unmöglich machen. Natürlich hat auch er heute ein We remember“-Schild in die Kamera gehalten, garantiert ohne ein schlechtes Gewissen zu haben. 
 
Niemand will AntisemitIn sein und so was gibt es folgerichtig auch nicht im eigenen Umfeld. Zusammen mit einem Bildchen am 9. November und am 27. Januar ist die Sache dann getan und das Gewissen ausreichend beruhigt. Danach kann man dann wieder Auschwitz mit Gulags und NS mit Kommunismus gleichsetzen, behaupten in Palästina passiere gerade das Gleiche wie damals im Dritten Reich und die Medien seien alle irgendwie gesteuert, während Antisemitismus keinen Platz in Deutschland habe und wir ja alle draus gelernt hätten. Deutsche Erinnerungskultur und die entsprechende Aufarbeitung ist eben doch nur deutsch und es wäre überraschend, wenn man sich daraus nicht auch noch eine gerne nach außen getragene Überheblichkeit konstruieren würde. Anstatt sofort auf Abwehr und Gegenangriff zu setzen, wenn es um das Thema Antisemitismus geht, sollte man vielleicht erst einmal die Argumente wahrnehmen und schauen, ob sie nicht tatsächlich einen selber betreffen. Wenn es immer nur die Anderen waren, ist es am Ende niemand gewesen. Wer ein neues Auschwitz ernsthaft verhindern will, sollte nicht beim leisesten Hauch von Kritik auf die Barrikaden gehen. Und im Idealfall zieht man tatsächliche Konsequenzen, die sich in mehr als nur ein paar Worten dann und wann ausdrücken.
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Care-Arbeit und Probleme ihrer Aufwertung https://rambazamba.blackblogs.org/2020/01/21/care-arbeit-und-probleme-ihrer-aufwertung/ Tue, 21 Jan 2020 19:57:23 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=793 Continue reading Care-Arbeit und Probleme ihrer Aufwertung ]]> Die Entwicklungshilfeorganisation Oxfam hat eine neue Ausarbeitung veröffentlicht. Darin geht es um die weltweit wachsende Ungleichheit und das weitere Auseinanderdriften der Einkommensverteilung und Arbeitsbelastung.

Wer sich mit dem Themenkomplex ein wenig auskennt, wird hier keine großen Neuigkeiten vorfinden. Die einzelnen Punkte sind wohlbekannt und wurden hier publikumswirksam mit persönlichen Geschichten garniert, um das manchmal trockene Runterbeten von Zahlen emotional zugänglicher und greifbarer zu machen. Ein alter und weil wirksam gerne genommener Trick. Der Schwerpunkt liegt hier auf zwei Personengruppen: Milliardäre (Oxfam zählt 2153, von denen laut Forbes Magazin 233 Frauen sind) auf der einen Seite und Frauen/Mädchen in den unteren Einkommensschichten auf der anderen Seite. Mit dieser Gegenüberstellung fährt Oxfam die gerade populäre Schiene, sich an den Extremauswüchsen der kapitalistischen Wirtschaftsweise abzuarbeiten und einen faireren Kapitalismus zu skizzieren, ohne jedoch den Kapitalismus in seinen Grundmechanismen überhaupt als Problem wahrzunehmen.

Dieser Umstand zieht sich auch in vielen kleinen wie großen Dingen durch die Veröffentlichung durch und letztendlich führt sie auch zu einer schwierigen Implikation, wie sie mit dem Sharepic von HR Info deutlich wird. Die dahinterstehende Problematik beruht im Grunde auf dem Verständnis von Arbeit und Entlohnung und berührt auch aktuelle Trendbegriffe, die teilweise in urfeministische Bereiche hineinreichen. Zentral ist dabei das Feld der Reproduktionsarbeit bzw. der Care-Arbeit, was sich intuitiv besser greifen lässt. Zu diesem Bereich zählt man Kinderbetreuung, Pflege, Hausarbeit und im weiteren Sinne nach Margrit Brückner „de[r gesamte] Bereich weiblich konnotierter, personenbezogener Fürsorge und Pflege, d.h. familialer und institutionalisierter Aufgaben der Versorgung, Erziehung und Betreuung und stellt sowohl eine auf asymmetrische Beziehungen beruhende Praxisform als auch eine ethische Haltung dar.“ ^1

Sowohl Feminist*innen als auch radikale Linke haben die geschlechterasymetrische Verteilung dieser Tätigkeiten und somit die Ausbeutung von Frauen im Familienverbund und auf gesellschaftlicher Ebene seit weit über 100 Jahren aufgezeigt und kritisiert. Die Soziologie liefert ebenfalls seit Jahrzehnten entsprechendes Datenmaterial und es liegt vor allem an der eigenen weltanschaulichen Ausrichtung, wie man diese Ungleichverteilung der geleisteten Carearbeit einordnet. Rechte zum Beispiel sehen darin in der Regel kein Problem, da für sie Frauen als selbstverständlich angenommen emotionaler sind und so „natürlich“ besser für Erziehung und Pflege geeignet seien als Männer. Sie nehmen solche Tatsachen daher eher mit einem Schulterzucken zur Kenntnis und bekämpfen im Gegenzug jegliche Gleichverteilungsbestrebungen.

Soweit erst einmal der allgemeine Rahmen, aber wo fangen jetzt aus linker Sicht die Probleme an? Hier wird ja eine Gleichverteilung der zu leistenden Arbeit angestrebt. Im Sharepic des HR kann man das Wort „unbezahlt“ lesen. Und je nachdem, was man jetzt als Arbeit definiert, ist das auch vollkommen richtig. Im Endeffekt gibt es für alles, was man als menschliche Tätigkeit und soziale Interaktion vornehmen kann, eine Möglichkeit der Monetarisierung, also der Lohnarbeit. Insbesondere wenn man von Erziehungs- und Pflegearbeit spricht, gibt es für alles bezahlte Jobs. Aber auch – jetzt folgt ein aktueller Trendbegriff – „emotional labour“ kann bezahlt werden. Eigentlich wird darunter verstanden, dass man sich auf Arbeit für Kolleg*innen und Kundschaft verstellt, heutzutage wird der Begriff aber teilweise für so ziemlich alles verwendet, was man unter „Leuten zuhören“ verstehen kann. Dafür gibt es ausgebildete Psycholog*innen, deren Job es ist, Leuten bei ihren Problemen zuzuhören. Sex wird unter dem Motto „Sexarbeit (ist Arbeit wie jede andere)“ ebenfalls in diesen Bereich eingemeindet.

Unstrittig ist, dass es eine geschlechterspezifische Ungleichverteilung gibt. Die Frage ist nur, ob man diese in Form von Lohnarbeit der kapitalistischen Verwertung unterwerfen soll. Soll jetzt alles, wofür man Geld nehmen kann, auch der Lohnarbeit unterworfen werden? Stellt Mama demnächst Rechnungen für das Putzen der Wohnung und lassen sich Freunde emotional labour auszahlen, wenn sie deinem Liebeskummer für ein paar Wochen zuhören? Diese Beispiele sind zugespitzt, treffen aber den Kern des Problems der unebzahlten Carearbeit. Auf der einen Seite wird der Bereich der Carearbeit momentan immer weiter gefasst (siehe emotional labour, was einem immer häufiger unterkommt), auf der anderen Seite diese Arbeit dann als un- oder unterbezahlt aufgezeigt und somit in letzter Konsequenz zu Lohnarbeit gemacht.

Wer mit der Warenwerdung von Produkten, Tätigkeiten und letztendlich von Menschen selbst im Kapitalismus vertraut ist, muss hier die Alarmsignale wahrnehmen. Die Lösung der ungleichverteilten Tätigkeiten im Carebereich kann nicht sein, dass man noch mehr Tätigkeiten der kapitalistischen Verwertung unterwirft. Zumal die einzelnen Felder in der Regel nicht genau taktbar sind und somit rationalisiert werden können. Die Kindheit und Alter passen schlecht in Verwertungslogiken des Kapitals und Gewinnerzielungsinteressen und Rationalisierung betreffen ganz direkt die Lebenqualität. Wenn man wie Oxfam kein Interesse daran äußert, den Kapitalismus zu überwinden, läuft man Gefahr, hier mit einer an sich unterstützenswerten Forderung neue Bereiche der kapitalistischen Verwertung zu unterwerfen, die dann aber bitte geschlechtergerecht zu verwerten sind. Und die sich auch nicht wirklich kapitalistisch verwerten lassen, ohne das soziale Gefüge zu einem großen Teil zu verkapitalisieren. Niemand sollte ein Interesse daran haben, familiäre und freundschaftliche Interaktionen unter emotional labour einzuordnen und monetär aufzuwiegen, selbst wenn es nur im Kopf geschieht. Was wäre die letztendliche Konsequenz aus einer bis zu Ende gedachten Lohnarbeit für emotional labour? Stellen sich Freundeskreise am Ende vom Monat gegenseitig Rechnungen aus?

Was mit Bereichen passiert, die der kapitalistischen Verwertung unterworfen werden, sieht man im Bereich der Medizinversorgung. Und genauso sieht man die Unterschiede, die Eingriffe von öffentlicher Seite bewirken können. Man muss sich nur einmal die die Gesundheitsbranche in den USA anschauen. Dort kostet die Geburt eines Kindes im Krankenhaus durchschnittlich 10.000 Dollar. Ja, richtig gelesen. Man muss im Schnitt 10.000 Dollar dafür zahlen, dass man im Krankenhaus ein Kind gebirt. Teilweise wird sogar das Halten des Babys nach der Geburt in Rechnung gestellt. Untersuchungen im Krankenhaus kosten schnell vier- bis fünfstellige Beträge und viele Menschen können sich lebensnotwendige Behandlungen und Medikamente nicht leisten. So sieht eine im Vergleich unregulierte kapitalistische Verwertungslogik aus. Bei aller notwendig zu leistender Kritik am deutschen Gesundheitssystem (oder anderen vergleichbaren), sind die Unterschiede in der Breitenversorgung eklatant. Niemand stürzt hier durch die Kosten einer Herzoperation direkt in die Armut.

Der Bereich der Carearbeit, insbesondere der Bereich der Pflege, ist vor solchen Zuständen wie in den USA auf jeden Fall zu bewahren. Eine Ausweitung der Lohnarbeit auf Caretätigkeiten jeglicher Art birgt diese Gefahr immer in sich. Und mit einer CDU am Drücker sollte man auch vorsichtig sein, welche Forderungen man stellt. Spahn wirbt aktuell um Pflegekräfte aus Lateinamerika, um die hiesigen Leerstellen zu besetzen. Das europäische Ausland wurde schon größtenteils abgegrast und es sind solche Vorgänge, die von Oxfam und anderen zurecht kritisiert werden. Genau solche Missstände sollen durch eine Aufwertung der Carearbeit auch monetär behoben werden. Nur werden sie das nicht langfristig verhindern können, wenn sie die Lohnarbeit als Konzept stärken und den Kapitalismus in seinem Lauf nicht überwinden wollen. Oxfam selber fordert auf Seite 43: „[…] shift the responsibility for of unpaid care work to the state and the private sector.“ ^4 Es wird also eine Ausweitung der kapitalistischen Privatwirtschaft gefordert, wenn auch unter gewissen „fairen“ Rahmenbedingungen.

Idealerweise muss der Kampf um Geschlechtergerechtigkeit bei der zu leistenden notwendigen und erforderlichen Arbeit ein antikapitalistischer sein und Menschen wie menschliche Tätigkeiten entkomodifizieren, sie also der kapitalistischen Verwertung entziehen. Dies trifft vor allem den sozialen Bereich somit die Carearbeit. Sicher ist das schwer inmitten einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung. Aber in einer postkapitalistischen Gesellschaft mit überwundener Lohnarbeit und einem viel niedrigerem Arbeitspensum als heutzutage nehmen soziale Aktivitäten einen sehr viel größeren Wert ein als heutzutage. Gerade die Benachteiligung von Frauen rührt innerhalb des Kapitalismus zum Teil daher, dass sich die ihr zugeschriebenen Tätigkeiten und das Gebären der Kinder nicht einfach plan- und berechenbar der Verwertung unterwerfen lassen. Man muss also die Gratwanderung schaffen, einerseits die geleistete Arbeit im Carebereich besser zu entlohnen und die Geschlechterasymetrie zu beenden, anderseits aber darauf zu achten, nicht der Verwertbarkeit anheim zu fallen und im Namen der Emanzipation das Spiel des Kapitalismus betreiben und Wege zu finden, dessen Verwertungslogik von links auszuweiten. Stattdessen kann man über den Bereich der Carearbeit einen neuen Gesellschaftsansatz konzipieren, der eben jene Logik überwindet und als Blueprint für andere Dienstleistungsbereiche dienen kann und auch für die Güterproduktion postkapitalistische Anregungen liefert.

^1 Brückner, Margrit: Entwicklungen der Care-Debatte – Wurzeln und Begrifflichkeiten. In: Apitzsch, Ursula; Schmidbaur, Marianne (Hrsg.): Care und Migration. Die Ent-Sorgung menschlicher Reproduktionsarbeit entlang von Geschlechter- und Armutsgrenzen. Verlag Barbara Budrich, Opladen 2010, S. 43

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Nachruf: Rosa Luxemburg https://rambazamba.blackblogs.org/2020/01/18/nachruf-rosa-luxemburg/ Sat, 18 Jan 2020 11:04:06 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=789 Continue reading Nachruf: Rosa Luxemburg ]]> „Liebknecht auf der Flucht erschossen – Rosa Luxemburg von der Menge getötet!“ titelte die Berliner Zeitung am 16.01.1919. Eine dreiste Lüge.

Am 15.01.1919 wurde Rosa Luxemburg Opfer eines Mordkomplotts, Karl Liebknecht ebenfalls hinterrücks erschossen.
Luxemburgs Leiche bargen Schleusenarbeiter am 31. Mai aus dem Berliner Landwehrkanal.
Am Abend des 5. Januar 1919 besetzten bewaffnete SpartakistInnen das Berliner Zeitungsviertel. Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg konnten der Festnahme zunächst entgehen. Obwohl dieser Aufstand rund 160 Beteiligte das Leben gekostet hatte, verteidigten beide vehement ihre Propaganda. Luxemburg hatte am 7. Januar in Die Rote Fahne Position für die notwendige Gewalt bezogen: „Die Gegenrevolution entwaffnen, die Massen bewaffnen, alle Machtpositionen besetzen.“

Die untergetauchten Luxemburg und Liebknecht wurden an ihrem Todestag im Berliner Hotel Eden unter Misshandlungen vernommen. Nachdem sie aus dem Hotel gebracht wurde, wurde mehrmals mit einem Gewehr auf sie eingeschlagen, sie in ein Auto gestoßen und zum Landwehrkanal gefahren. Weil sie zu dem Zeitpunkt noch nicht tot war, wurde sie mit einem Kopfschuss ermordet und ihre Leiche anschließend in den Kanal geworfen.
Der Soldat Franz Röpke meldete seinem Vorgesetzten Hauptmann Weiler: „Eben ist die Rosa Luxemburg ins Wasser geworfen worden, man kann sie noch schwimmen sehen.“
Waldemar Pabst, ein deutscher Offizier und stets bemüht um Verknüpfungen zwischen der deutschen Armee, rechten Organisationen und Rüstungsindustrie, initiierte die Ermordung Liebknechts und Luxemburgs. „Ich ließ Rosa Luxemburg richten“, sagte er später in einem Interview, weil Deutschland nur so vor dem Kommunismus hätte gerettet werden können (https://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45139766.html ).

Im Prozess vor dem Kriegsgericht, den Paul Jorns führt, später Chefankläger an Hitlers Volksgerichtshof, gegen neun Soldaten, tritt Pabst nur als Zeuge auf.
Leutnant Liepmann gesteht, Liebknecht getötet zu haben, wird aber von der Anklage des Mordes freigesprochen, da Liebknecht eben „auf der Flucht erschossen“ worden sei. Nur Sechs Wochen sitzt Liepmann ab. Luxemburgs Mörder wird nie gefunden. Pabst musste sich nie für einen der beiden Morde verantworten.

Ihr Tod machte Rosa Luxemburg bekannt.
Ihr Tod machte sie zur Heldin.
Ihr Tod machte sie zur Märtyrerin.

Ihrer gedenken jährlich Hunderte an ihrem Grab, mag es auch zynisch sein, Luxemburg und Lenin in einem Atemzug zu nennen. Die einzige Gemeinsamkeit zwischen beiden ist der Januar als Todesmonat und der Anfangsbuchstaben L. Die Alliteration, die daraus hervorgeht, Lenin-Liebknecht-Luxemburg genügt offensichtlich, um namensgebend für Gedenkveranstaltungen zu sein.
Obwohl die Positionen beider ihren Ursprung in der Sozialdemokratie hatten, standen sie sich in einigen Aspekten diametral und unwiderruflich unversöhnlich gegenüber.

Ein zentraler Punkt war der Stellenwert bzw. die Funktion der Partei, um die Revolution voranzutreiben.
Der demokratische Sozialismus, für den Luxemburg stritt, konnte ihrer Ansicht nach nur aus der Gesellschaft heraus geboren und mittels Kämpfen der ArbeiterInnen forciert werden. Der Partei schrieb sie eine beratende, unterstützende Rolle zu, entscheiden sollte die betroffene Klasse und zwar u. U. auch entgegen des Parteiwillens handeln.
Paul Levi, der seit 1913 ihr Anwalt war und ihr zudem mehrere Monate als ihr Geliebter sehr nahe stand, schrieb er in seinem Vorwort zur von ihm erstmals veröffentlichten „Russischen Revolution“: „Sie wusste den Kampf als Kampf, den Krieg als Krieg, den Bürgerkrieg als Bürgerkrieg zu führen. Aber sie konnte sich den Bürgerkrieg nur vorstellen als freies Spiel der Kräfte, in dem selbst die Bourgeoisie nicht durch Polizeimaßnahmen in die Kellerlöcher verbannt wird, weil nur im offenen Kampf der Massen diese wachsen, sie die Größe und Schwere ihres Kampfes erkennen konnten. Sie wollte die Vernichtung der Bourgeoisie durch öden Terrorismus, durch das eintönige Geschäft des Henkens ebenso wenig, als der Jäger das Raubzeug in seinem Walde vernichten will. Im Kampf mit diesem soll das Wild stärker und größer werden. Für sie war die Vernichtung der Bourgeoisie, die auch sie wollte, das Ergebnis der sozialen Umschichtung, die die Revolution bedeutet.“ (https://www.rosalux.de/publikation/id/1329/rosa-luxemburg-die-unbekannteste-bekannte-in-deutschland/?fbclid=IwAR0kLPNWKtmWidjcDvBxfeS-LehVDjD5DOqOYBbxc0SOTBOVQdJ7aCblb7c )
Mit Rosa Luxemburg starb nicht nur eine von wenigen Frauen, zudem akademisch gebildet, die in der Weimarer Republik aktiv Politik betrieben, sondern auch eine Frau, deren Utopie keine Terrorpraxis einer totalitären Partei brauchte, keine Gruppe von Tyrannen an der Spitze. Sie brauchte überhaupt keine Spitze. Mit ihr starb eine Frau, die sich für jene einsetzte, die sie ermordet hatten und mit ihr starb eine Frau, um die die heutige SPD die damalige SPD beneiden würde.

[Sophie Rot]

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