Ramba Zamba https://rambazamba.blackblogs.org Blog.Links.Gut Sat, 06 Mar 2021 17:19:34 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Frauenkampftagsfolklore https://rambazamba.blackblogs.org/2021/03/06/frauenkampftagsfolklore/ Sat, 06 Mar 2021 17:19:34 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=896 Continue reading Frauenkampftagsfolklore ]]>
Am Montag ist es wieder so weit: Es ist der internationale Frauenkampftag. Die jährliche Folklore hat schon begonnen, Aufrufe und Kampfansagen gibt es auf allen Kanälen zu sehen. Und das ist gut so. Aber nicht ausreichend. Denn in der radikalen Linken macht man es sich mitunter etwas leicht und das in mehrfacher Hinsicht.
 
Da wäre zum einen die individuelle Ebene. Warme Worte und der erwartbare Post am 8. März mit einem eventuellen Demobesuch sagen absolut nichts darüber aus, ob sich jemand wirklich mit den unterschiedlichen Aspekten patriarchaler Unterdrückung und des Antifeminismus auseinandergesetzt hat. Dazu zählen unter anderem Sexismus, Maskulinismus, Incels, frauenfeindliche Sozialcharaktere wie Nice Guys, Rape Culture, Männerrechtsbewegung, religiöser Antifeminismus, häusliche Gewalt, fehlende Chancengleichheit, ungleich verteilte Carearbeit, verstärktes Armutsrisiko, sexistische Schönheitsideale, Kommodifizierung weiblicher Körper und Sexualität und und und. Vor allem zählt auch das eigene Verhalten dazu – und das nicht nur bei Männern. Internalisierte Frauenfeindlichkeit ist ein Phänomen, welches sehr unangenehm in der eigenen Aufarbeitung ist.
 

Das Private ist politisch

 
Gerade bei Männern ist der Habitus eine ganz große Baustelle. Man wird von der Geburt an in alte Rollenbilder hinein geprägt und durch eine patriarchale Gesellschaft selber patriarchal geprägt. Sich dessen nicht nur mit einem Häkchen auf der To-Do-Liste bewusst zu werden, sein eigenes Verhalten anderen gegenüber kritisch zu beurteilen und sexistische Verhaltensweisen und Denkmuster zu überwinden, ist sehr viel harte Arbeit und hat mit viel unschöner Selbsterkenntnis zu tun. Dies ist ein fortlaufender Prozess und nichts, was man mal eben an ein paar Pflichtterminen im Jahr macht.
 
Die Gefahr besteht hier, dass einige Linke sich diesem Reflexionsprozess erst gar nicht oder nur teilweise stellen. Auf dem Papier ist man ja sowieso dagegen, also braucht man sich dann auch nicht großartig weiter damit beschäftigen. Man verlagert die Problematik auch gerne nach außen und meint, mit ein paar Gesetzesänderungen und Initiativen wäre dem Problem beizukommen. Im Gegensatz zum Kapitalismus haben wir es hier aber mit einer Unterdrückungsform zu tun, welche wir auch individuell ausüben. Dies bedeutet, man kann selber einen Unterschied machen und die Welt weniger sexistisch gestalten. Man sollte daher immer wieder darauf drängen, die teilweise wohlfeile Selbstgefälligkeit zu durchbrechen und eine Veränderung des Verhaltens auch von Linken einzufordern.
 
Es gibt ja gerade einen zumindest im Antifaspektrum prominenten Fall mit Sören Kohlhuber. Dieser hat sich in der Vergangenheit sexistisch verhalten und geäußert. Seit letztem Jahr läuft ein Aufarbeitungsprozess mit einer Arbeitsgruppe, welche einerseits für Betroffene eine unabhängige Anlauf- und Beschwerdestelle darstellt, andererseits den Reflexionsprozess leitet und entscheiden wird, ob dieser Prozess erfolgreich war. Auch wenn es innerhalb der Linken insgesamt besser als im Rest der Gesellschaft ist und eine sehr viel höhere Aufmerksamkeit für diese Problematiken vorhanden ist, bleibt das Problem des Sexismus und einer strukturellen Benachteiligung dennoch bestehen.
 

Männer unter sich

 
Ein wirklich gewichtiger Faktor ist dabei, dass insbesondere unter Männern und im männlichen Bekanntenkreis kaum über das Thema geredet wird, insbesondere was die Verhaltensweisen angeht. Auch in der Linken gibt es stellenweise einen männlichen Gruppenschutz für andere Männer, Vorfälle werden nur halbherzig aufgearbeitet. Die Vorfälle beim Festival „Monis Rache“ (Filmaufnahmen von den Frauen-WCs wurden gemacht und verbreitet) und deren anfänglich schleppende Aufklärung wären hier als Beispiel zu nennen. Sich im Jahr ein paar Mal auf eine Demo mit feministischen Anspruch zu stellen, ändert daran halt wenig.
 
Die Probleme tauchen aber nicht immer nur fernab des eigenen Umfelds auf, sie sind in der Regel in jedem Bekannten- und Familienkreis anzutreffen. Es muss daher ein offener, solidarischer und im Notfall konsequenter Umgang mit derartigen Problemen gefunden werden. Am Anfang dessen steht aber überhaupt erst einmal die Erkenntnis, nicht immer nur in radikaler Pose die Gesellschaft anzuklagen, sondern auf sich selbst und das eigene Umfeld zu schauen. Und dies passiert nicht dadurch, dass man sich öffentlich zum Jahrestag solidarisch zeigt.
 

Für was eigentlich kämpfen?

 
Aber nicht nur im Privaten gibt es Baustellen, die sich nicht durch die Frauenkampftagsfolklore beheben lassen. Im juristischen Sinne hat die Frauenbewegung in den deutschsprachigen Ländern so gut wie alles erreicht. Es gibt immer noch Einschränkungen in die körperliche Selbstbestimmung mittels der Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen und dem Verbot der Werbung bzw. Aufklärung darüber bei Frauenärztinnen. Der legalistische Kampf ist aber so gut wie vollständig gewonnen. Damit ist eine gesellschaftliche Gleichstellung aber noch lange nicht erreicht, womit wir zu einer weiteren Baustelle kommen.
 
Abseits von Wortradikalismus gibt es zur Zeit wenig Konkretes zu vernehmen. Ein Problem nicht nur im Feminismus, aber eben auch hier. Wie man die immer wortreich und ausdrucksstark benannten Ziele der freien Gesellschaft und des Endes des Patriarchats erreichen will, bleibt man meistens schuldig. Dabei werden ja Probleme benannt: Ungleiche Bildungschancen, ungleiche Verteilung bei der häuslichen Arbeit inklusive Erziehung, niedrigere Bezahlung, schlechtere Karrierechancen, höheres Armutsrisiko, erhöhtes Risiko häuslicher Gewalt, sexuelle Gewalt, Sexualisierung weiblicher Körper, patriarchale Rollenerwartung, ungesunde Schönheitsideale und noch vieles mehr.
 

Lasst uns konkret werden

 
Nehmen wir das konkrete Beispiel der Carearbeit im häuslichen Umfeld. Putzen, waschen, bügeln und die Kinder betreuen sind Tätigkeiten, welche überproportional häufig von Frauen erledigt werden. Selbst im Jahr 2021 hängen in WGs Karten am Kühlschrank, auf denen steht: „Feminismus ist für mich, wenn die Männer genauso viel putzen.“ Die Mehrbelastung von Frauen wird dann gerne in unbezahlten Arbeitsstunden angegeben und oft als Wirtschaftsleistung von x Milliarden im Jahr beziffert. Nur welche konkreten Lösungsvorschläge hat die radikale Linke für das Problem zu liefern, wenn man zusätzlich die Kommodifizierung von Tätigkeiten als Problem erkannt hat? Carearbeit soll aufgewertet werden, aber wie genau? Man muss Konzepte erarbeiten, die diese Tätigkeiten nicht noch weiter den Marktlogiken unterwerfen und der Kapitalverwertung damit weitere Felder öffnet.
 
So leid es einem tut, aber hierzu findet man auf den üblichen Veranstaltungen rund um den Frauentag keine Antworten, so wie man sie auch in der radikalen Linken allgemein kaum findet. Dabei sind das aber die Aufgaben, denen sich ein nicht nur an Worten interessierter Feminismus widmen muss. Auf welche Art muss die Funktionsweise des Wirtschaftssystems und der Gesellschaft geändert werden, um die genannten Probleme sinnvoll zu bekämpfen? Welche Zwischenschritte sind dazu notwendig, wie sollen diese Maßnahmen finanziert werden? Was hat die radikale Linke am Frauenkampftag konkret für alleinerziehende Mütter unterhalb der Armutsgrenze im Angebot?
 
Die Frauentagsfolklore hat darauf keine Antwort. Mitunter bekommt man den Eindruck, dass man sich mit solchen harten Fragen nicht beschäftigen will. Man müsste dann ja konkret werden, konkrete Maßnahmen vorschlagen und jede Menge Arbeit in das Ausarbeiten von Konzepten stecken. Oder zumindest wissen, welche Konzepte es bereits gibt und diese dann auch pushen. Man müsste konkrete Positionen beziehen und dafür kämpfen. Eine Sache, die in der radikalen Linken zur Zeit kaum anzufinden ist, egal um welches Thema es geht. Abseits vom Antifaschismus sieht es da ziemlich düster aus. Kritik können wir alle mehr oder weniger gut, umsetzbare Lösungsansätze dafür entwickeln aber nicht.
 
Ereignisse wie der Frauenkampftag liefern, wenn man sich nicht konsequent mit den Problemstellungen beschäftgit, die Selbstversicherung, dass man doch genug mache. Aber man sollte sich gegenüber ehrlich sein und fragen, ob man denn wirklich mehr als Kritik und die richtige Grundeinstellung vorzuweisen hat. Diese sind wichtig, aber für einen erfolgreichen Aktivismus ist auch die Handlungsseite notwendig. Auf sich selbst und das eigene Umfeld bezogen, aber auch auf konkrete gesellschaftliche Probleme. Diese beheben sich schließlich nicht von alleine und nicht nur an einem Tag im Jahr.

 

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Wallstreet vs Reddit: Das Irrenhaus namens „Kapitalismus“ im Normalbetrieb https://rambazamba.blackblogs.org/2021/01/29/wallstreet-vs-reddit-das-irrenhaus-namens-kapitalismus-im-normalbetrieb/ Fri, 29 Jan 2021 12:55:39 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=891 Continue reading Wallstreet vs Reddit: Das Irrenhaus namens „Kapitalismus“ im Normalbetrieb ]]> Wer in den letzten Tagen unter dem Hashtag #Gamestonks einen Blick ins Twitterverse warf, der wurde Zeuge eines bizarren Spektakels: Ein (zumindest letzte Woche noch) etwa 12 Mrd Dollar schwerer Hedgefonds namens „Melvin Capital“(MC) liefert sich einen ungleichen Kampf gegen eine ganze Armee aus Kleinanleger*innen, die sich auf dem Subreddit „Wall Street Bets“ zusammengefunden und organisiert hat. Das Ziel: durch organisierten Aktienkauf die angeschlagene Videospiel-Einzelhandelskette „GameStop“ vor dem Ruin zu retten und damit die Leerkaufwette von MC auf die Marktpleite von GameStop zu verhindern.

Der momentane Stand: MC hat wohl bisher um die 5 Mrd Dollar an Marktwert eingebüßt und musste, wie Hedgefonds-Manager Gabe Plotkin zerknirscht einräumte, milliardenschwere Bailouts von der Konkurrenz annehmen, damit MC nicht komplett baden geht. Dazu sahen sich andere Hedgefonds genötigt teils selber zu verkaufen und Verluste einzufahren. Insgesamt 70 Milliarden Dollar betragen die Verluste auf Leerkaufwetten an der Wall Street allein in diesem Jahr – und ein beachtlicher Teil davon ist der Fastpleite von MC zuzuschreiben. Zwei Hedgefonds hat es (Stand Freitag 12:00) wohl erwischt und weitere „Marktbereinigungen“ sind nicht ausgeschlossen. Der freie Markt tut freie Markt-Dinge und auf einmal ist das Geschrei groß.

Was sind Leerkaufwetten? Man verkauft Aktien an einem bestimmten Zeitpunkt zur gerade aufgerufenen Summe und vereinbart, die Aktie nach einem bestimmten Zeitpunkt zurückzukaufen, in der Regel eine Woche später. Man spekuliert darauf, dass die Aktie in der Zeit an Wert verloren hat und man sie zu einem günstigeren Preis zurückkaufen kann. Man steht also im Idealfall am Ende mit gleich viel Aktien und mehr Cash da. Dadurch, dass man zu Beginn der Wette viele Aktien abgestoßen hat, gibt man zudem einen starken Impuls zur Kurssenkung. Klingt nach Marktmanipulation? Damn right. MC hat nun das Pech, dass der Kurs gezielt gestützt wurde und man nun das zigfache des Verkaufspreises vom Montag hinblättern muss. Wette verloren, Fonds pleite.

Man zeigte sich in Folge dessen von Kapital-Seite tief empört, dass da ein paar Gamer-Nerds so einfach den Spieß umgedreht hatten und im Zeitraum weniger Tage Kapitalanlagen im Wert mehrerer Milliarden US-Dollar durch den Reißwolf gejagt hatten. So empörten sich manche Wallstreet-Ökonomen und Wirtschaftsjournalisten im Live-Fernsehen über die Affäre. Ja wissen diese Zoomer-Kids denn nicht, dass in diesen Wertpapieren, die da gerade den Bach runter gehen, auch Tante Hedwigs kapital-basierte Privatrente dabei ist? So oder so ähnlich der Erregungskorridor. Zusätzlich zeigte man sich doch nicht ganz so einverstanden mit dem freien Markt und hat inzwischen den Handel mit Gamestop-Aktien weltweit beschränkt und teilweise ausgesetzt. Erst in den USA, als dann international aus Solidarität weitere Stützkäufe von Gamern und anderen erfolgten war auch hier Feierabend mit dem freien Handel. Das Kapital hat tatsächlich Angst vor den Resultaten eines freien Marktes, an dem durch neue Apps auf einmal sehr viel mehr Leute teilnehmen. Oh the irony.

Während dessen herrscht erwartungsgemäß großer Jubel und Party-Stimmung bei der Subreddit-Crowd. Man hat in einem Kampf „David gegen Goliath“ die Wallstreet Fat Cats bei ihrem eigenen Spiel geschlagen und diese bis auf die Knochen blamiert. Und dieser Sieg wird im Meme-Game gerade in vollen Zügen ausgekostet – und das durchaus zurecht. Die Aktie von GameStop war Ende letzten Jahres teilweise um die 6 Dollar wert, das Unternehmen ist in Zeiten von Steam und Co ein anachronistisches Auslaufmodell. Ideal also für Verlustwetten. Doch die Aktie wurde innerhalb weniger Tage in dieser Woche von knapp 20 Dollar auf zeitweise über 420 Dollar gepusht. Begonnen hatte die Organisation des Subreddits bereits in den letzten Wochen. Erst durch Mundpropaganda und dann durch einen Tweet von Elon Musk noch einmal gepusht nahm die Aktion mit der Leerkaufwette am Montag richtig Fahrt auf.

Eines muss man der ganzen Sache lassen: der Unterhaltungswert ist absolut ohne Gleichen. Von selbsternannten Wirtschafts-Expertinnen und verzweifelten Ökonomen, die vor laufenden Kameras einen denkwürdigen Meltdown nach dem anderen hinlegen, bis hin zu den Qualitäts-Memes, die nun das Internet fluten – das Ganze ist ein Fest! Fast in Tränen brechen sie aus, das Manager Magazin schreibt in einer Mischung aus Dunning Kruger und blanker Panik von einer „Mischung aus Klassenkampf, Machtrausch und schlichter Gier“. Oh those tears of unfathomable sadness. Yummie.

Bei genauerer Betrachtung wirft diese Affäre aber auch ein Schlaglicht auf das System Kapitalismus als Ganzes und seine Zusammenhänge. Leider dreht sich die Debatte meistens in den gewohnten, reflexhaften Bahnen, bei der immer wieder die analytisch falsche Unterscheidung in raffendes und schaffendes Kapital in mal mehr, mal weniger Untertönen mitschwingt. Weil es sich um die Wallstreet und dubiose Finanzmarkt-Geschäfte dreht, ist das mediale Framing der Debatte vorprogrammiert. Es werden wieder die Floskeln vom „Kasinokapitalismus“ hervorgekramt, und man ist sich über die meisten Lager hinweg einig im Hass und der Häme auf die Wallstreet-Bankster, vergisst aber darüber hinaus, was die Existenz von Hedgefonds mit dem Kapitalvolumen ganzer Volkswirtschaften eigentlich tatsächlich für das System Kapitalismus als Ganzes bedeuten.

Zirkulationssphäre für Dummys

 

Der nächste Part wird sehr theoretisch, weshalb hier vorab eine Art tl:dnr aka Zirkualtionssphäre für Dummys umrissen wird, um den Sachverhalt dann noch einmal komplexer darzulegen. Grundlegend geht man von zwei verschiedenen Kreisläufen aus Güter- und Dienstleistungssektor zusammengefasst als Produktionssphäre und den Banken- und Finanzsektor als Kapitalzirkulationssphäre. Auf der einen Seite werden Dinge produziert und Dienstleistungen erbracht, auf der anderen Seite wird das dabei erwirtschaftete Geld verwaltet und wieder neu investiert. Ziel ist es, jeweils mit einem Plus am Ende rauszukommen und dann wieder zu produzieren und zu zirkulieren und immer so weiter. Kapitalismus halt.

Im Laufe der Jahrzehnte hat sich die Zirkulationssphäre aber immer weiter von der Produktionssphäre entkoppelt und führt ein Eigenleben, welches nicht mehr auf den Waren und Dienstleistungen basiert. Wer sich an die letzte große Krise ab 2008 erinnert: Man hat Wertpapiere aus Krediten gemacht und diese dann in weiteren Wertpapieren zusammengefasst und dann Versicherungen darauf verkauft welche dann wieder Wertpapiere wurden. Klingt kompliziert und genau das ist auch gewollt. Man stellt sich gegenseitig Zertifikate aus, vertickt diese dann und solange alle mitmachen und die Preise steigen, ist auch alles gut. Egal, wie es in der Produktionssphäre gerade ausschaut. Man kann es auch Esoterik für Leute im Anzug nennen.

Ein aktuelles Beispiel für die komplette und irrationale Entkopplung: Während in den USA teilweise mehrere dutzend Millionen Menschen durch die Pandemie arbeitslos wurden, erzielten die Börsen Rekordmarken. Und das in einem Land, welches für 2019 folgende Statistiken vorzuweisen hatte:

– 48 Prozent der Bevölkerung haben niedrige Einkommen

– 1 von 5 Kindern geht hungrig ins Bett

– die Hälfte der Bevölkerung hat einen eingeschränkten Zugang zur Gesundheitsversorgung

– über 2 Millionen Personen im Gefängnis, welche dann in einer Form der modernen Sklaverei Arbeit verrichten

– große Unternehmen wie Amazon zahlen keine Steuern, bekommen aber zig Milliarden Unterstützung

Aber hey, Hauptsache der Börse geht es gut.

Des Pudels Kern

 

Guckt man sich nun die Kapitalmenge an, die so in solchen Hedgefonds zusammengefasst ist, stellt man fest, dass diese gewaltig ist. Weltweit handelt es sich dabei um einen Wert um die 3 Billionen US-Dollar, der größte Hedgefonds (Bridgewater Associate) hat dabei einen Wert von knapp unter 100 Milliarden Dollar. Es ist also eine unvorstellbare Summe, die da in der Kapitalzirkulationssphäre vor sich hin gammelt und verwertet werden muss. Die Summen sind in der Höhe durchaus mit den Staatshaushalten einiger Länder vergleichbar. Allgemein sind die Finanzsysteme aktuell bis zum Bersten mit billigem Geld gefüllt. Und es fließt wegen der Billigzins-Politik der Notenbanken immer mehr frisches Geld nach. Im Bankensektor weiß man schon gar nicht mehr, wohin damit.

Ursprünglich hatte der Bankensektor in der Ökonomie als erste und vorrangigste Aufgabe nur Eines zu tun: Dem privaten Sektor (Bausparenden, Hauskäufer*innen, etc.) und vor allem der produzierenden Industrie Kapital in Form von Krediten zur Verfügung zu stellen, um die Produktion von Gütern und Dienstleistungen zu gewährleisten – und anschließend den durch den Verkauf eben dieser Güter und Dienstleistungen generierte Umsatz wieder aufzunehmen. Das Spiel läuft so: Kapital fließt aus dem Bankensektor in die Produktion, um dort nach der „Verwertung“, also der Verwandlung von Kapital in mehr Kapital als vermehrte Kapitalsumme (Mehrwert) zu den Banken zurückfließt. Ein eigentlich einfacher Kreislauf, den das Kapital da immer wieder durchläuft. Aus diesem Grund findet man bei Marx auch die Begriffe „Kapitalzirkulationssphäre“ für den Bankensektor und „Produktionssphäre“ für den Industrie-Sektor, um die Phasen im Verwertungszyklus des Kapitals zu beschreiben.

Nun ist es so, dass diese „Kapitalzirkulationssphäre“ nicht mal eben so beliebig viel Kapital aufnehmen kann. Kapital unterliegt dem Zwang zur permanenten Selbstverwertung. Sprich: Es muss zwangsläufig mit der Kohle etwas gemacht werden; mit dem Ziel, am Ende aus der „Investierten“ Kapitalsumme mehr Kapital zu erzeugen. Alle, die schon mal einen Bausparvertrag bei einer Bank am laufen hatten, wissen, was gemeint ist. Wenn man sein Geld zur Bank bringt, dann will man da seine 2-3 % Rendite drauf haben.

Dementsprechend kann nur so viel Kapital von der Zirkulationssphäre aufgenommen werden, wie auch gleichzeitig in die Verwertung gegeben werden kann. Sollte die Verwertung von Kapital ins Stocken geraten, weil schlicht weg zu viel Kapital in die Verwertung gepumpt wird, gerät Kapital in die Krise – es herrscht Überakkumulation!

Übertragen auf die jetzige Situation an den Finanzmärkten muss man feststellen: Das System befindet sich in eben solch einer Phase der Überakkumulation. Und das schon seit längerer Zeit. Die mit Kapital gemästete Zirkulationssphäre, die in der klassischen Ökonomie eigentlich nur die Aufgabe hatte, den Kapitalverwertungskreislauf beständig am Laufen zu halten, erstickt nun fast am eigenen Gewicht – eine Folge der Überakkumulationskrise, die seit 2008 schwelt und nur durch weiteres Aufblähen der Kapitalmärkte mit billigem Geld aus den Notenbanken geradeso eben am Zusammenbrechen gehindert werden konnte.

Um einen weiteren Krisenschub zu verhindern, der nicht nur mit der Vernichtung des überakkumulierten Kapitals, sondern potentiell mit dem kompletten Systemzusammenbruch enden könnte, müssen nun also alternative Wege gesucht werden, um die abstrakte Wertverwertung sicherzustellen. Selbst dann, wenn dies auf Kosten gesellschaftlichen Reichtums wie Immobilien, öffentlicher Daseinsfürsorge oder schlichtweg von Jobs geht. In diesem Sinne, also der abstrakten Logik der Kapitalverwertung, erfüllen milliardenschwere Hedgefonds, die völlig abstruse Finanzprodukte aus zusammengestückelten Ramschpapieren verkaufen und auf die Vernichtung ganzer Volkswirtschaften wetten, einen spezifischen Zweck – sie halten das Spiel aus ewiger Wertverwertung am laufen.

Stonks is rising

Es zeigt sich also an diesem Fall mal wieder die zutiefst widersprüchliche, ja geradezu irrsinnige Natur dieses Systems. Statt dass Menschen ihre Jobs, ihre Krankenversicherung und ihre Wohnungen durch eine Wirtschaftskrise verlieren, passiert das alles nun unter Umgehung der Krise, zum Beispiel durch Wetten auf Aktienleerkäufe. Entweder das, oder es geht vielleicht der private Rentenfond, auf den viele Rentenbeziehende zum Lebensunterhalt angewiesen sind, in die Binsen. (In den USA ist das sehr viel weiter verbreitet als hier.) Das alles nur, weil er Teil eines Hedgefonds war, der sich beim Wetten verspekuliert hat. Die Vernichtung gesellschaftlichen Reichtums und der Lebensgrundlage von Millionen Menschen wird dem abstrakten Primat der Wertverwertung untergeordnet. Dabei muss es ja nicht einmal einen Anlass aus der Produktionssphäre geben. Einfach mal gegen ein paar Gamer verzockt und schon sind mehrere Milliarden weg. Das alles wird gerade aus liberalen Kreisen oft ohne den geringsten Anflug von Ironie als das „beste System, das es gibt“ bezeichnet. Leute wie Friedrich Merz sagen dann sogar noch „Hold my Koolaid“ und wollen diese Ausformungen des Finanzsektors stärken und ausweiten. Aber natürlich nur, solange das Großkapital am Drücker ist.

Im Angesicht solcher völligen Gaga-Verhältnisse steht aber auch fest, dass man bei allem Spektakel um blamierte Hedgefond-Manager, durchdrehende Ökonomen (es sind ja vorrangig Männer) und Kapitalisten-bezwingende Vietcong-Gamer sich gerade als Linke nicht bei „Wer ist hier Schuld“-Spielen verzetteln darf. Man kann sich zurücklehnen und dem Karneval der Finanzkulturen beste Unterhaltung abgewinnen, aber man muss immer den Blick aufs große Ganze im Sinne der Kritik an den Verhältnissen wahren. So intuitiv sympathisch einem die Reddit-Kampagne auch erscheinen mag und so sehr man dort einigen Leuten auch den Gewinn gönnt, den sie mitnehmen können – sie sind selber Resultate des grundlegend falschen Systems.

Die Hedgefonds, die Banken und die Börse sind eben sowenig die „bösen“ und „raffgierigen Heuschrecken“, als die sie in einer falschen und gefährlichen Kritik immer mal wieder dargestellt werden. Sie sind lediglich die Symptome eines größeren Zusammenhangs. Selbst wenn man sie mit Regelungen einschränkt und die schlimmsten Auswüchse unterbindet, ein sogenannter „ethischer Kapitalismus“ ist immer noch ein System der Ungleichheit und Ausbeutung, dessen innere Logiken nicht aufgehoben wurden und welches immer wieder von sich das hervorbringt, was man gerade beobachten kann. Nein, das Irrenhaus heißt nicht Hedgefonds, sondern Kapitalismus.

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Aber wie viel ist dein Outfit wert – Teil 1: Die Ökonomie https://rambazamba.blackblogs.org/2020/12/06/aber-wie-viel-ist-dein-outfit-wert-teil-1-die-oekonomie/ Sun, 06 Dec 2020 17:02:05 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=886 Continue reading Aber wie viel ist dein Outfit wert – Teil 1: Die Ökonomie ]]>

[Die Überschriften und das Beitragsbild sind dem Song „Wie viel ist dein Outfit wert“ von Kummer entnommen.]

Unsere Kleidung gehört zu den Dingen, die so alltäglich sind, dass wir uns in der Regel kaum Gedanken über sie machen jenseits der Frage, was man denn anziehen solle. Und da sie so alltäglich ist, lassen sich hier einige Beobachtungen im Kleinen anstellen, welche charakteristisch für die Gesellschaft als solche sind. In einer kleinen Textreihe soll dem ein wenig auf den Grund gegangen werden. Der erste Teil wird sich dem wirtschaftlichen Aspekt widmen.

 
„Life ist super nice, da, wo man die Schuhe trägt
Life ist nicht so nice, da, wo man die Schuhe näht“
 
Wie alles andere auch sind Kleidungsstücke Waren, welche unter kapitalistischen Bedingungen hergestellt werden und der Profitmaximierung dienen. Einige Kernelemente der kapitalistischen Ausbeutung und des kapitalistischen Wahnsinns lassen sich hier sehr anschaulich aufzeigen. Das Gleiche gilt für ein falsches Verständnis des Kapitalismus, welches sich insbesondere hinter den Begriffen bewusster/ethischer Konsum verbirgt.
 
Ein Blick auf die weltweiten Daten zeigt, dass Bekleidung und Textilien insbesondere in Süd- und Ostasien sowie Europa hergestellt werden, mit China unangefochten an der Spitze. Über die Arbeitsbedingungen insbesondere im asiatischen Raum ist viel bekannt, aufgrund der großen Distanz sind diese aber kaum präsent. In Ländern wie Bangladesch oder Kambodscha werden Streiks teilweise mit Hilfe der Armee unterdrückt und zusammengeschossen. Niedrige Löhne, Knochenjobs und unsichere Arbeitsplätze sind die Norm. Immer wieder kommt es zu teils tödlichen Unfällen, die oftmals weiblichen Mitarbeiterinnen werden (auch sexuell) misshandelt und ausgenutzt. 
 
Zu sehr niedrigen Stundenlöhnen und kaum vorhandenen Fixkosten durch soziale Sicherungssysteme wird dort genäht, was hier dann für ein Vielfaches der Herstellungskosten im Laden zum Verkauf steht. Von dieser riesigen Gewinnmarge sieht man an den Werkbänken nichts – die klassische Wertabspaltung, wie Marx sie beschrieben hat, findet hier auf globaler Ebene leicht verständlich statt. Sie fällt durch die völlige Abwesenheit von sozialen Sicherungssystemen materiell soagr um Einiges krasser aus, als im sog. „Westen“. Zudem wird konstant versucht, Umweltauflagen zu verhindern oder man ignoriert diese einfach.
 
Ein weiteres Charakteristikum des Kapitalismus ist zudem seine Ineffizienz, wenn es um die Energiebilanz geht. Da die alles bestimmende Maßgabe die Profitmaximierung ist, wird ausschließlich darauf geschaut, ob sich etwas monetär rechnet. Das heißt konkret:  Produziert wird da, wo es am günstigsten ist. Und so ist es keine Seltenheit, dass die Einzelteile von Kleidungsstücken insgesamt mehrere zehntausend Kilometer kreuz und quer über den gesamten Globus zurücklegen, bevor sie dann als Ware über den Schalter gehen. Die Produktionsketten interessieren sich nicht für eine möglichst gute Energiebilanz, um so wenig Umweltschäden wie möglich zu verursachen. Es ist eigentlich ein sehr offenkundiger Irrsinn. Der Logik der Profitmaximierung folgend ist es aber eine Konsequenz der kapitalistischen Produktionsbedingungen.
 
„Falscher Rucksack, falsche Jeans, alle seh’n den Unterschied“
 
Und die kapitalistischen Verhältnisse sind es auch, welche Kinderarbeit, Sklaverei und Missbrauch nicht beenden, sondern stetig reproduzieren und erzeugen, wenn man nicht dagegen ankämpft. Aus diesem Grund hat sich im Laufe der Zeit der sogenannte „bewusste/ethische Konsum“ herausgebildet. Der Ansatz ist leicht verständlich: Man schafft eine Art Siegel oder Label, welches bestimmte Herstellungsbedingungen garantiert. Dazu können zählen: gute Löhne, sichere Arbeitsplätze, lokale Mitbestimmung, Umweltauflagen und so weiter. Da solche Siegel frei ausgestaltet werden können und es keinen allgemeingültigen Standard für „faire Produkte“ gibt, kann sich hinter dieser Bezeichnung so gut wie alles oder auch fast gar nichts verstecken, man muss im Zweifelsfall immer nachschauen.
 
Unternehmen nutzen diesen Trend auch und betreiben dann zum Beispiel sogenanntes Greenwashing: Durch Werbung und gut klingende Bezeichnungen versuchen sie ein sauberes und nachhaltiges Image bei guter Behandlung aller Beschäftigten zu vermitteln. Ob dies überhaupt der Wirklichkeit entspricht, ist egal. Es geht um das Image. Und so ist auch der ethische Konsum sehr schnell in die kapitalistische Verwertungslogik eingehegt worden und erlaubt Menschen mit den entsprechenden finanziellen Möglichkeiten, sich ein gutes Gewissen zu kaufen, ohne sich dann weiter mit Rahmenbedingungen der weltweiten Produktion beschäftigen zu müssen. 
 
Und hier liegt dann auch die Krux: Die grundlegenden Logiken des Kapitalismus, welche diese inhumanen Ausbeutungsverhältnisse erzeugt haben, werden nicht ausgehebelt. Man beschränkt sich darauf, das Elend partiell ein bisschen abzumildern, stellt aber zu keinem Zeitpunkt die Systemfrage. Um das klar zu sagen: Jede Person, die bessere Arbeitsbedingungen bekommt, ist als Erfolg zu werten. Es haben sich einige Bedingungen verbessert, keine Frage. Aber die Gesamtscheiße ist doch deshalb immer noch da. Man kann sich hier, das Geld vorausgesetzt, ganz viel tollen Fairtradekaffee hinter die Binde kippen. Wenn in Kambodscha die Armee einen Streik niederballert, lacht das Kapitalverhältnis nur darüber. Das schlimmste Elend wurde hier durch harte Arbeitskämpfe beendet, die Logik des Wirtschaftens hat dieses Elend dann aber auch nur in andere Länder verschoben, da man immer auf der Suche nach den ertragreichsten Ausbeutungsstandorten ist. 
 
Nicht nur, dass es sich bei ethischem Konsum vorrangig um eine Selbsttäuschung handelt, die in der Masse gesehen auch als Beruhigungspille fungiert, gar nicht erst die Ursache des ganzen Elends im Kapitalismus zu suchen. (Konsumiere noch härter bewusst und es wird besser, ganz sicher!) Es verschleiert auch die Tatsache, dass ALLES, was wir kaufen, unter kapitalistischen Bedingungen hergestellt wurde. Die grundlegenden Ausbeutungsverhältnisse sind keine anderen, egal ob man nun bei Trigema dem guten schaffenden Kapital aus Deutschland die Selbstvermarktung abnimmt (und die Verhinderung von Gewerkschaften und Betriebsräten übersieht) oder ob es sich um eine Textilfabrik in China handelt. 
 
„Diese Welt ist eingeteilt in Gewinner und Verlierer“
 
Wir entkommen als Einzelpersonen dem Kapitalismus nicht und wir können auch nicht durch das Leben gehen, ohne gezwungenermaßen am Kapitalismus zu partizipieren. Es ist eine totale Vergesellschaftung, welche die Rahmenbedingungen der Gesellschaft als solche stellt. Wer nicht daran teilnehmen will, muss irgendwo in eine einsame Hütte ziehen und komplett auf Selbstversorgung und Einsiedlerei setzen. Alles, was uns als Einzelpersonen übrigbleibt, ist die Frage, wie wir uns innerhalb der Verhältnisse einrichten. Akzeptieren wir sie notgedrungen als vorhanden, arbeiten aber im Rahmen unserer Möglichkeiten an einer Änderung? Gehen wir all in und spritzen uns die Kapitallogik ungestreckt in die Venen, um 70 oder 80 Stunden die Woche zu schinden? Ist es uns einfach egal und wir interessieren uns für gar nichts, wurschteln uns mit notwendig falschem Bewusstsein irgendwie durch? 
 
Wenn man den Entschluss fasst, etwas ändern zu wollen, so kann man dies alleine doch recht schwer. Gesellschaftliche Rahmenbedingungen, die Grundfesten der aktuellen Ordnung, kann man allein nicht ändern. Genau aus diesem Grund wurden mal Gewerkschaften gegründet: Gemeinsam hat man mehr Verhandlungsmacht gegenüber den Personen in Machtpositionen als allein. Deshalb ist auch aktiver Arbeitskampf das effektivste Mittel, um die vorliegenden Bedingungen nachhaltig zu ändern. In Indien haben sich vor einigen Tagen 250 Millionen Menschen an einem Generalstreik beteiligt, vor vier Jahren waren es noch 160-180 Millionen. Ein massiver Zuwachs und ein Machtfaktor, mit dem man Staat, Regierung und Wirtschaft ernsthaft herausfordern kann. 
 
Die totale Vergesellschaftung des Kapitalismus bedeutet aber auch, dass wir ausschließlich Waren kaufen müssen, die unter kapitalistischer Ausbeutung hergestellt und verkauft werden. Leuten vorzuwerfen, sie würden mit dem Kauf einer Jogginghose von Nike, Adidas oder Fila ein kapitalistisches Unternehmen unterstützen, haben den Kapitalismus nicht verstanden. Auch der Discounter nebenan ist kapitalistisch organisiert und vertickt Waren, die ebenfalls unter kapitalistischen Bedingungen produziert wurden. Die Nieten deiner 30-Euro-Jeans wurden ganz sicher nicht unter besseren Bedinungen produziert als bei teureren Jeans. Es macht für das Kapitalverhältnis absolut keinen Unterschied, ob du nun im Discounter Klamotten kaufst oder bei Hugo Boss.
 
„Cooles Outift, bei dir läuft!
Hau mal raus, was sind das für Sneaker?“
 
Ein in diesem Zusammenhang von vielen Bauchlinken in ihrem verkürzetn, moralin-sauren Verständnis von Kapitalismus immer wieder begangener Fehler, ist verschiedenen Teilnehmer*innen am Markt völlig unterschiedliche Motive zu unterstellen. Großkonzerne werden automatisch als grundsätzliche Ausgeburten des Bösen ausgemacht, während irgendwelche hippen Start-Ups oder sogenannte Familienunternhemen als irgendwie nicht ganz so kapitalistisch verklärt werden. Was dabei völlig vergessen wird, ist, dass Großkonzerne sich noch am ehesten zu organisierten Interessensvertretungen ihrer Belegschaften, Tarifverträgen und sozialen Standards bekennen bzw. bekennen müssen, sei es nur um beim Thema Governance besser dazustehen, während in den sympathischen Familienbetrieben und Startups mit flachen Hierarchien eben jene sozialen Standards permanent mit dem Hinweis auf die Betriebsgröße und die ach-so-harte Konkurrenz unterlaufen werden und die eigene Belegschaft quasi zur Selbstausbeutung „motiviert“ wird.
 
Sich jetzt in diesem Rahmen an Kaufentscheidungen von Einzelpersonen abzuarbeiten, ohne die Grundbedingungen kapitalistischer Produktion verstanden zu haben, ist schlichtweg ein Self Own. Das Level der Kritik ist vergleichbar mit einem „Du bist gegen Kapitalismus aber schreibst von einem Samsung höhö“. Ja du Knalltüte, so ist das nun mal in einer totalen Vergesellschaftung. Kein Grund, die Gesamtscheiße nicht trotzdem abschaffen zu wollen. Und wer wirklich ein Problem mit kapitalistischen Produktionsbedingungen hat, bringt sich selbst in den Arbeitskampf ein. Die Menschen sind im Kapitalismus nun mal dazu gezwungen, sowohl als Produzent*innen als auch als Konsument*innen der eben von Ihnen selbst hergestellten Waren aufzutreten. Ihnen vorzuwerfen, dass sie sich im Rahmen der kapitalistischen Vergesellschaftung als Konsument*innen an der Totalität dieser Verhältnisse beteiligen, ist so, als würde man einem Sportler vorwerfen, dass er schwitzt.
 
Der zweite Teil wird sich mit der sozialen Funktion der Mode für die Bildung von Szenen, Subkulturen, Schichten und letztendlich der Hierarchisierung der Gesellschaft beschäftigen.
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Wovon Jana aus Kassel nichts wissen will… https://rambazamba.blackblogs.org/2020/11/25/wovon-jana-aus-kassel-nichts-wissen-will/ Wed, 25 Nov 2020 11:37:51 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=883 Continue reading Wovon Jana aus Kassel nichts wissen will… ]]> Deutschland Ende 2020 – Seit nun mehr 8 Monaten bestimmt die Sars-Cov2-Pandemie weltweit den Alltag der Menschen und lässt dabei gesellschaftliche Widersprüche und Missstände im globalen System apersonaler Herrschaft namens „Kapitalismus“ deutlich zu Tage treten. Während auf der einen Seite die Kapitalvermögen trotz einer sich anbahnenden, heftigen Rezession kräftig gewachsen sind, bedeutet diese Krise für einen Großteil der lohnabhängig Beschäftigten (vor allem Jene aus dem Niedriglohnsektor) und LeistungsempfängerInnen praktisch Existenz bedrohende Zustände. 
 
Nicht nur dass die fortschreitende Präkarisierung weiter Teile der Gesellschaft während der Pandemie einen erheblichen sozialen Zündstoff birgt – die Tatsache, dass die Politik die Kosten und Nebenwirkungen der Krise auf das Pflegepersonal, auf Beschäftigte in der Logistik und der Lieferdienstindustrie und auf ArbeitnehmerInnen in der Produktion, also mit anderen Worten mal wieder auf die Schwächsten in der Gesellschaft abwälzt, liefert mehr als genug Gründe, um wütend zu sein und auf die Straße zu gehen.
 

1. Die Totalität der Verwertungslogik/ Die Widersprüche im System

 
Nur um mal einen kleinen Abriss zu geben:
Durch die chronische Unterfinanzierung und Unterbesetzung im Gesundheitssektor hat das Gesundheitsministerium kurzer Hand beschlossen, dass bestimmte Regelungen zur Kontaktbeschränkung für Pflegeeinrichtungen und Krankenhäuser, bei denen Personalmangel herrscht, nicht mehr gelten. Dort werden dementsprechend Pflegekräfte eingesetzt, die nicht nur Kontakt mit Infizierten hatten, sondern die selbst positiv auf Covid19 getestet wurden. Mit anderen Worten – Wenn man als Pflegekraft in einer Einrichtung mit dünner Personaldecke arbeitet, kann es sein, dass man trotz nachweislicher Covid19-Infizierung zur Arbeit erscheinen muss.
 
Hinzu kommt, dass ebenfalls aufgrund des eklatanten Personalmangels in der Pflege einige Bundesländer das Arbeitsgesetz für Beschäftigte in Kliniken und Pflegeheimen kurzer Hand gekippt haben. Die Arbeitszeiten wurden auf maximal 12 Stunden pro Tag verlängert, die Ruhezeiten zwischen den Schichten verkürzt und die Wochenstunden auf 60 erhöht. 
 
Wie es um die eigentlich bitter nötige gesellschaftliche Solidarität mit den Beschäftigten im Pflegebeireich aussieht, konnte man im Sommer sehen. So war man sich im öffentlichen Diskurs und gerade in den Medien zu nächst einig, dass von allen Berufsgruppen vor allem das Pflegepersonal essentiell zur Krisenbekämpfung sei und gerade einen aufopferungsvollen Kampf für die Gesellschaft führe. KrankenpflegerInnen und Krankenhauspersonal wurden in den Medien geradzu als HeldInnen gefeiert. Jeder dürfte sich noch an die im nachhinein zynisch wirkenden Klatsch-Orgien erinnern. 
Als eben jene „HeldInnen“ aber dann tatsächlich gesellschftliche Anerkennung einforderten und für ihren Dienst wenigstens etwas mehr Geld haben wollten, war es mit der Solidarität schnell vorbei. Während der Großteil der Gesellschaft dem Pflegesektor längst wieder mit der gleichen Ignoranz wie vor der Krise begegnete, gab es keine Niederträchtigkeit, welche die bürgerliche Presse von Welt über Zeit bis Spiegel nicht dem Pflgepersonal vorwarf, weil man sich traute mit Streik zu drohen. 
Jaja, wer kennt sich nicht, die Raffzähne im Pflegedienst.
 
Doch auch in anderen Arbeitszweigen, etwa im produzierenden Gewerbe, sieht es mit der Einhaltung der Schutzmaßnahmen für die Beschäftigten ähnlich aus. Etliche Unternehmen haben die im Frühjahr auf Druck der Gewerkschaften und Interessenvertretungen der Belegschaft getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wieder zurückgenommen. In diesen Betrieben arbeitet die Belegschaft quasi ohne oder nur mit unzureichenden Maßnahmen zur Verhinderung der Ausbreitung weiter und setzt sich so gezwungener Maßen einem unverhältnismäßig höheren Risiko der Ansteckung aus. Der allgegenwärtige Zwang zur Kapitalverwertung herrscht ungebrochen und er fordert seine Opfer. So kam es wohl alleine in den letzen Wochen in den BMW-Werken in Dingolfing und München, beim Paketelieferservice DHL, beim Tiefkühlkosthersteller Frosta und beim Merzedes-Benz-Werk in Düsseldorf zu Infektionsausbrüchen unter der Belegschaft. Es sind also auch hier wieder die einfachen MitarbeiterInnen, die den Preis für die Aufrechterhaltung der Akkumulation und die üppigen Ausschüttungen von Dividenden etwa an die Familien Quandt und Kladden mit ihrer eigenen Gesundheit bezahlen müssen.
 

2. Die Psychologie der „QuerdenkerInnen“

 
Diese Tatsachen machen deutlich: Grund genug gäbe es, um wütend zu sein – wütend über die gesellschaftlichen Verhältnisse, wütend über die ungerechte Verteilung der Lasten dieser Krise, und ja, auch wütend über die Art und Weise, wie die Regierung diese Krise managed – nämlich in dem sie auf instrumentelle Art Menschenleben zu Arbeitskraftbehältern degradiert, die zur Pandemiebekämpfung regelrecht „vernutzt“ werden sollen, wie eben in der Pflege.
Das sind legitime Anliegen um gerade als Linke die eigene Wut darüber nicht in sich hinein zu fressen, auf die Straße zu gehen und den herrschenden Verhältnissen den Kampf anzusagen. 
Und tatsächlich gehen nun schon seit einigen Wochen viele Menschen auf die Straße, um ihrem Protest gegen die Regierung und ihre Maßnahmen Ausdruck zu verleihen.
 
Jedoch handelt es sich bei diesen „Querdenken“ genannten Demonstrationen gegen die Regierung und ihre Maßnahmen nicht um einen Ausdruck der Solidarisierung untereinander gegen die sozialen Umstände und die Totalität der kapitalistischen Vergesellschaftung, die diese hervorruft. Nein, weit gefehlt. 
Sieht man sich die Proteste und deren TeilnehmerInnen an, so bekommt man schnell den Eindruck: Das sind keine ökonomisch oder sozial marginalisierten Massen, die sich gegen unzureichende Schutzmaßnahmen oder allzu offenkundige Ausbeutung seitens ihrer ArbeitgeberInnen oder der Regierung auflehnen. Abgesehen von den üblichen AkteurInnen rechter Parteien, Hooligans und Kameradschaften, welche die Hygiene-Demos von rechts außen zu unterwandern versuchen, bietet sich einem Beobachtenden ein heterogenes Bild aus Verschwörungsideologen, AnhängerInnen der Reichsbürger-Szene und Eso-Hippies. Auch jede Menge augenscheinlich wohl saturierte, ältere Damen und Herren in Jack-Wolfskin-Uniform, welche sich betont „weder links noch rechts“ geben, aber ganz genau zu wissen scheinen, dass die Bundesrepublik Deutschland sich unter Merkel in eine Diktatur verwandelt hätte. Diese sei selbstredend „schlimmer als die DDR“(oder Wahlweise „das Dritte Reich“) und folglich gelte es sie zu Stürzen. Kurz um, man wähnt sich mit Nazis und allerlei anderen seltsamen Menschem „im Widerstand“ gegen die „Merkel-Diktatur“
 
Egal ob die wie auch immer geartete „Kritik“ an der Regierung nun von NWO-SchwurblerInnen, ImpfgegnerInnen, Nazi-Kadern, Hooligans oder einfach nur verwirrten bürgerlichen Subjekten geäußert wird, auffällig dabei ist, dass man sich für die oben genannten gesellschaftlichen Probleme wenig bis gar nicht interessiert. Außer der geheuchelten Sorge um die Vereinsamung älterer Menschen oder um die Beeinträchtugung der (vornehmlich) eigenen Kinder durch die Einhaltung einiger simpler Hygienemaßnahmen, wie etwa das Tragen eines Mund-Nase-Schutzes, richtet sich die Wut der KleinbürgerInnen, die da auf die Straße gehen, mehrheitlich gegen einige Einschränkungen individueller Freiheiten, die im Vergleich mit dem von Rassenwahn durchzogenem Unterdrückungsregime der Nazis als „marginal“ gelten könnten. Und auch im Vergleich zu der Masse an Menschen, die momentan entweder durch Kurzarbeitergeld-Regelung, Arbeitsplatzverlust oder gar das Wegbrechen ganzer Beschäftigungszweigs auf Grundsicherungsniveau irgendwie über die Runden kommen müssen oder in 12-Stunden-Schichten sich auf einer Intensivstation für die Gesellschaft aufopfern dürfen, nehmen sich die Einschränkungen, von denen der Rest der Gesellschft (und damit auch die „Corona-LeugnerInnen„) betroffen sind, geradezu lächerlich aus.
 
Dennoch wird dieses vergleichsweise marginale „Los“ von den Protestierenden geradezu als „Freiheitsberaubung“, die Maßnahmen der Regierung als „Ermächtigungsgesetz“, also als diktatorische Willkür auf gleicher Ebene wie die der Nazis empfunden. Selbst nimmt man sich dementsprechend als erstes und einziges Opfer dieser neuen Nazis und als WiderstandskämpferInnen gegen eben jene wahr. Nach dieser Logik trifft dann der eigene Vergliech mit Figuren der Zeitgeschichte wie Anne Frank und Sophie Scholl natürlich zu. Drunter macht man es sowieso nicht im Widerstand gegen die Merkel-Diktatur.
 
Diese geschichtsvergessene Selbstdarstellung der Corona-LeugnerInnen zeugt zunächst mal nicht etwa von einem selbstlosen Widerstandskampf, den man da in altruistischer Manier für andere Menschen gegen ein grassierendes Unrecht führen würde, sondern in erster Linie zeugt es von einer gehörigen Portion Egomanie, die diese narzistisch gekränkten bürgerlichen Subjekte mit sich herumschleppen. Wo die Inhalte fehlen, muss der Pathos des Heroischen beschworen werden, der sich natürlich um die ProtagonistInnen selbst dreht. Stets ist man dabei aufrechtes, aber ahnungsloses Opfer dunkler Mächte und heroische/r KämpferIn gegen eben jene Mächte zugleich. Ein in Verbindung mit dem Massenerlebnis durchaus subjektkonstituierender Vorgang – Man erhöht sich selbst, stellt sich auf eine Stufe mit den Opfern des Nationalsozialismus und Mitgliedern der Weißen Rose, stilisiert sich gleicher Maßen zur verfolgten Unschuld und zum heldenhaften Widerstand und zieht so aus dem Spektakel sein Selbstwertgefühl.
 
Wo der Protestzirkus sich vornehmlich um die Selbstdarstellung und ums eigene Ego dreht, bleibt dementsprechend kein Platz für Mitgefühl oder Solidarität mit anderen Menschen. Skandalisierung der Verhältnisse in der Pflege oder der wachsenden Armut, der steigenden Prekarisierung und der Existenzbedrohung ganzer Bevölekungsschichten durch die Krise – Fehlanzeige! Das Schicksal all Jener, die in den Kliniken und Pflegeeinrichtungen bei schlechter Bezahlung und chronischer Unterbesetzung schuften, hat diese Leute schon vor der Krise nicht interessiert, eben so wenig wie sie für die sich immer weiter in die Breite der Gesellschaft hineinfressende soziale Schieflage interessiert haben. Auf Demos, die für einen solidarischen Umgang mit der Krise warben, war dieser Schlag Menschen jedenfalls nicht zu sehen. 
 
Aus diesem Desinteresse am Schicksal Anderer, vor allem sozial schwächerer Menschen, lässt sich durchaus ein tief verwurzelter Sozialchauvinismus ableiten. Bei den Forderungen, endlich die Kontaktbeschränkungen aufzuheben, damit man wieder in seine angestammte Bar gehen und seine Risikogruppen-Großeltern besuchen kann, zeigt sich eine Indifferenz gegenüber dem Leben anderer Menschen. Das Leben vor allem der Anderen wird selbstverständlich geringer geschätzt. Eine Eigenschaft, die im Falle des ebenso schon mehrfach bei Hygiene-Demos zu beobachtenden autoritären Strafbedürfnisses gegenüber wahlweise PolitikerInnen, VertreterInnen vom RKI oder sogar anwesenden Cops als typisch für autoritär zugerichtete Charaktere gilt. 
 
Genau betrachtet handelt es sich bei diesen QuerdenkerInnen“ sehr oft nicht um beinharte Nazis, aber doch um autoritäre Elendsgestalten, die ihren gekränkten Narzissmus auf der Straße ausagieren, ohne selbst dabei so ganz genau zu wissen, was sie wollen und wofür sie sind dafür aber ganz entschieden wogegen. Das reaktionäre Krakeelen auf den Hygiene-Demos hat mit dem solidarischen Kampf für andere Menschen oder Selbstermächtigung gegen die bestehenden Verhältnisse oder gar „Revolution“ nichts zu tun. Viel mehr handelt es sich um eine autoritäre Revolte, an deren Ende stets die Herrschaft des Mobs steht. Kurzum, mit diesen Leuten ist keine befreite Gesellschaft zu machen, im Gegenteil: Man kann ihnen als Linke/r nur selbst Widerstand entgegenbringen und ansonsten Maximalabstand halten!
 

3. Wie umgehen mit den Protesten

 
Um es zusammenfassend also nochmal zu sagen: Die sich selbst als „QuerdenkerInnen“ bezeichnenden Protestierenden stellen sich momentan also für ein paar bürgerliche Freiheiten auf die Straße. Die sozialen und ökonomischen Probleme, die gesamtgesellschaftlich mit der Krise zusammenhängen und welche in ihren Auswirkungen viel dramatischer sind, kümmern sie wenig. 
Aus linker Perspektive ist dazu natürlich festzuhalten, dass man sowohl für individuelle Freiheiten wie auch für ein soziales Miteinander eintritt, ganz klar. Nur sind die momentanen Einschränkungen gewisser individueller Freiheiten und Grundrechte aber keine Willkür sondern durch die momentane Lage bedingt. Sie machen Sinn um Leben zu retten, und das alleine sollte schon Grund genug sein, um sie zu respektieren, auch wenn man an sonsten als Linke/r mit dem Treiben bürgerlicher Staatsraison auf Kriegsfuss steht. Mehr noch – Der Antagonismus, den man dem System entgegenbringt sollte eignetlich Antrieb genug sein, den selbsternannten „QuerdenkerInnen“ nicht einfach so die Straße zu überlassen, sondern zum Einen den kruden Parolen dieses zu sich kommendne „Volksmobs“ und dessen regressiven Bestrafungsphantasien die eigenen, emanzipatorischen Inhalte entgegenstellen und zum Anderen dem Staat unt der herrschenden  Klasse unmissverstänflich klar zu machen: 
Nicht auf unserem Rücken!- Es geht nur solidarisch!
 
 
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Zu den Wahlen in den USA https://rambazamba.blackblogs.org/2020/11/03/zu-den-wahlen-in-den-usa/ Tue, 03 Nov 2020 13:26:44 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=881 Continue reading Zu den Wahlen in den USA ]]> Am 3.11. finden in den USA mehrere Wahlen statt. 35 der 100 Senatssitze, der komplette Kongress und das Amt der Präsidentin stehen zur Wahl. Aus linker Sicht – und damit ist nicht einmal aus linksradikaler Sicht gemeint – gibt es absolut keinen Blumentopf zu gewinnen. Die USA stehen am Abgrund und die beiden Optionen stellen eine Entscheidung zwischen beschissen und worst case dar.
 
Um es vorweg zu sagen: Trump ist das Worst-Case-Szenario. Daran gibt es keinen Zweifel und es ist die oberste Priorität, ihn aus dem Amt zu bekommen. Ob Trump nun ein sattelfester Faschist ist, hängt ein wenig von der präferierten Faschismusdefinition ab. Wirklich relevant ist dies nicht, denn ein offener Protofaschist mit klar diktatorischen Zielen ist er in jedem Fall. Eine Aufzählung dessen, was er in den letzten Jahren so alles veranstaltet, gesagt und getan hat, sprengt jeden Rahmen. Pro Rede kommt er auf teilweise dutzende Lügen, sein Twittergrind pusht härteste Schwurbelaccounts.
 
Kennzeichnend sind für ihn aber vor allem drei Dinge: 
 
1. Inszenierung als Antiestablishment/Heilsfigur
2. Antisemitismus in Form eines wahnhaften Antikommunismus
3. Support der radikalen Rechten, rechter Milizen und Law-and-Order-Politik
 
Wie genau es ein (ehemaliger?) Milliardär mit eigenen Golfclubs und Fernsehshows  geschafft hat, sich selber in die Rolle eines Außenseiters zu platzieren, ist schwer zu ergründen. Er hat dabei aber jede Menge Unterstützung von den Demokraten bekommen. Über Jahre und teilweise Jahrzehnte hat man etliche Schichten in den USA vernachlässigt und der immer stärker durchschlagende Neoliberalismus hat das Lohngefüge dieses eh schon sehr marktliberalen Staates komplett aus den Angeln gehoben. Millionen Einwohner*innen stehen vor dem absoluten Nichts und sind vollkommen abgehängt, je jünger desto schlechter die Aussichten auf die Zukunft und Millionen Häuser sind massiv überschuldet oder wurden bereits im Zuge der letzten Finanzkrise beschlagnahmt. Merkliche staatliche Hilfen gab es und gibt es aber nicht. 
 
Mit Bernie Sanders hat ein nach europäischem Maßstab Sozialdemokrat in zwei Vorwahlkämpfen versucht, mit einer sozialen Agenda neue Schichten anzusprechen und für die Wahlen zu aktivieren. Erhebungen zeigen: Durchaus mit Erfolg. In beiden Fällen hat aber das Establishment der Demokraten interveniert und beide Male den Vorwahlkampf gegen ihn beeinflusst. Da Trump selber nicht aus dem politische Betrieb stammt, ist es so gesehen ein Leichtes, sich vom Stallgeruch der Berufspolitiker freizumachen. Und es fällt für Viele überhaupt nicht ins Gewicht, dass Trump selber korrupter als Alle ist, die er als „Sumpf“ tituliert. Er inszeniert sich als konträr zum üblichen Betrieb.
 
Zusätzlich adaptiert er relativ geschickt Onlineströmungen und lässt sich ganz bewusst als Heilsbringer inszenieren. Da geht es dann auch gar nicht mehr um Inhalte. Es handelt sich um eine charismatische Herrschaft nach Weber, die eher an Kulte und Sekten erinnert als an eine bürgerliche Demokratie. So wurde Trump zur zentralen Figur der Q-Anons und stellt eine Art Erlöser für alle Übel der Welt dar. Selbst auf Reichsflaggen hierzulande schafft es das Konterfei des Präsidenten – er soll auch Deutschland retten. So absurd dies alles klingen mag, so real ist es.
 
Antikommunismus zählt in den USA seit der Oktoberrevolution  in Russland zu den ideologischen Kernelementen des kollektiven Gedächtnis. In den 30ern veranstaltete man erste Konferenzen zur Totalitarismustheorie, mit Beginn des Kalten Krieges setzte der antisemitische Wahn der McCarthy-Ära ein, vorher führte man einen regelrechten Bürgerkrieg gegen Gewerkschaften und Arbeitskämpfe (der erste Bombereinsatz der USA erfolgte gegen Gewerkschaftsmitglieder) mit tausenden Toten. Das Ende der Sowjetunion hat dieser Ideologie aber nicht das Wasser abgegraben. In Form des Kulturmarxismus erlebt der Wahn der jüdisch-bolschewistischen Weltverschwörung neuen Auftrieb und wird gerade in den USA massiv gepusht.
 
Trump selber hat dies alles nicht erfunden, er geht aber in die Vollen und betitelt alles als Kommunisten, Anarchistinnen und so weiter, was ihm nicht in den Kram passt. Mit klassischen Bausteinen der antisemitischen Welterklärung nimmt hier der „Kommunismus“ die Rolle des Weltzerstörers ein. Und damit ist nicht Kommunismus in Form realer Forderungen realer Personen gemeint, sondern das Gespenst des Kommunismus, welches hier eher als Werwolf mordend skizziert wird. Deshalb ist es Antikommunismus, wenn Joe fucking Biden als Kommunist verunglimpft wird, wenn man die Proteste gegen Polizeigewalt als anarchistisch beschimpft und wenn „die ANTIFA“ zur Terrorgruppe erklärt werden soll, die an so ziemlich Allem Schuld ist. 
 
In dieser Härte hat man diesen antisemitischen Antikommunismus selten vernommen. Da Trumps Regentschaft stark auf ihn als Person setzt und so gut wie gar nicht auf konkrete Inhalte, fruchtet dies auch und versetzt die Trump-Fans in eine Art ständigen Ausnahmezustand. Überall lauert der Feind, an jeder Ecke will jemand die USA zerstören und was die Linken erst einmal machen, wenn sie an der Macht sind, wird bestimmt in die Fantastillionen Tote gehen.
 
Das Resultat ist eine merklich gesteigerte Gewaltbereitschaft auf Seiten der radikalen Rechten. Nachdem die Demonstration in Charlottesville ein blutiges Ende nahm, als ein Fascho die Antifaschistin Heather Heyer mit seinem Auto tötete und weitere zum Teil schwer verletzte, ist die Zahl der rechten Angriffe stark gestiegen. Bei den diesjährigen Protesten wurde regelmäßig mit dem Auto reingeheizt, Milizen marschierten voll bewaffnet auf und mehrere Personen wurden erschossen.
 
Trump selber bereitet seit einem Jahr akribisch den Fall vor, dass die Wahl an Biden geht. Er streut Falschinformationen über angeblichen Wahlbetrug, insbesondere die Briefwahl sei unsicher. Gleichzeitig versuchen die Republikaner möglichst vielen Menschen das Wahlrecht zu entziehen, die tendeziell für Biden stimmen könnten. Außerdem gibt es Berichte direkter Wahlfälschung, in Kalifornieren haben Republikaner gefälschte Briefwahlboxen aufgestellt, um die Stimmen verschwinden zu lassen.
 
Das Problem ist nun: In jedem Fall wird es im Zuge der Wahl kritisch in Sachen Gewalt. Vermutlich wird es lokal Konflikte geben, an denen bewaffnete Rechte beteiligt sind. Es ist daher wahrscheinlich, dass es weitere Todesopfer geben wird. In den letzten Tagen haben die Angriffe an Intensität gewonnen, Trump selber signalisiert immer wieder Zustimmung. So laufen Milizen vor Wahllokalen auf, an die 100! Fahrzeuge von Trumpfans haben einen Bus der Biden-Kampagne auf einem Highway angegriffen, Trump brachte als Planspiel den Fall der Ermordung Bidens in die Nachrichten und so weiter und so fort. Trump wird in jedem Fall auf Wahlfälschung pochen, Republikaner haben diverse Klagen vorbereitet. Die Phase bis über den nächsten Amtsantritt hinaus wird eine brandgefährliche sein – insbesondere für tatsächlich Linke.
 
Denn auch wenn Trump der Worst Case ist, die Alternative sieht nicht viel besser aus. Biden ist kein Diktator, die Demokraten haben sich aber in den letzten Jahren immer weiter ins Abseits gestellt. Zum einen sind sie merklich konservativer geworden – und das von einer eh schon konservativen Position aus deutscher Perspektive. Einige Republikaner machen inzwischen für Biden Wahlkampf und man bemüht sich vor allem um mögliche Wechselstimmen. Dabei ignoriert man, dass es breite Schichten der Bevölkerung gibt, die nicht wählen und sich nicht repräsentiert sehen. Unter anderem auch deshalb, weil keine der beiden großen Parteien einen ernsthaften Wechsel hin zu einer sozialenren Gesellschaft anstrebtvon Sozialismus wollen wir hier gar nicht erst sprechen. 
 
Biden profiliert sich mit angeblich klimafreundlichen Positionen, wird aber das Fracking in den USA nicht unterbinden. Eine allgemeine Gesundheitsvorsorge lehnt er ebenso ab wie eine umfassende Reform des Polizei- und Justizapparats. Wenn man die Wahl zwischen Gauland und Merz hat, ist Merz natürlich die bessere Wahl. Aber eine immer noch beschissene. Mit der doppelten Verhinderung Sanders‘ (dieses Jahr griff sogar Obama persönlich ein) hat man zudem eine klare Absage an eine inhaltliche Neuorientierung erteilt. Zwar faselt man davon, man müsse Trumps Wiederwahl mit allen Mitteln verhindern, meint damit aber nie eine Änderung vom Wahlprogramm, um mehr und vor allem neue Leute anzusprechen. 
 
Und so stehen die USA vor dem tatsächlichen Abgrund. Während einer Pandemie, die bereits über 200.000 Tote dort gefordert hat, stehen noch unruhigere Wochen bevor, mit einem Trump, dem sprichwötlich alles zuzutrauen ist. Die Wirtschaft liegt am Boden, das Gesundheitswesen steht vor dem Kollaps, die Armut breitet sich rasant aus und keine der beiden großen Parteien hat vor, daran strukturell etwas zu ändern.
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Rechte Memetemplates und wie Incelideologie den Zeitgeist kapert https://rambazamba.blackblogs.org/2020/08/10/rechte-memetemplates-und-wie-incelideologie-den-zeitgeist-kapert/ Mon, 10 Aug 2020 18:12:22 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=878 Continue reading Rechte Memetemplates und wie Incelideologie den Zeitgeist kapert ]]> Vor Memes kann man sich heutzutage in den sozialen Netzwerken nicht retten, sie sind ein fester Bestandteil. Teilweise greifen sie auf bestimmte Modeerscheinungen zurück, wie zum Beispiel Sozialcharaktere der Marke „Boomer“, „Karen“ oder auch „alte weiße Männer“. So schnell wie sich einige im kollektiven Gedächtnis verankern, genauso schnell können sie auch wieder verschwinden. Gerade wegen der Vereinfachung und Zuspitzung bestimmter Situationen und Ansichten, die durch die Templates ermöglicht wird, sind Memes so erfolgreich. Sie können keine fundierte Analyse der Verhältnisse ersetzen, sind aber auch ein nicht zu unterschätzender Teil im agitatorischen Werkzeugkoffer geworden.

Seit etlichen Monaten fällt dabei auf, wie sich durch Templates Teile der Incelideologie bis tief in linksradikale Kreise vordringen und dort munter reproduziert werden. Als aktuelles Beispiel dient das Meme mit dem alles sagenden Titel „Soyjak Fans vs. Chad Fans“. Auf was spielt dieses Template also an? „Soyjak Fans“ greift das aus rechtsradikalen Kreisen stammende Zerrbild der sogenannten „Soyboys“ auf. Damit ist nicht nur das als linksgrünversifft gesehene Sojaessen als Symbol für vegane Ernährung gemeint. Eigentlich geht es darum, dass im Soja Östrogene enthalten sind. Wer Soja esse verweibliche dadurch – für Rechte mit ihrem Hang zu Patriarchat und Maskulinismus ein klares Hassobjekt des Spotts. Bier enthält übrigens auch Östrogene, aber an Tatsachen ist man dort ja eher selten interessiert.

„Chad Fans“ spielt auf die „Chads“ an, eine der beiden zentralen Figuren der Incelideologie. „Chads“ werden bestimmte körperliche Eigenschaften zugeschrieben, die sie von Natur aus befähigen würden quasi endloss Frauen abzubekommen und wer diese körperlichen Eigenschaften nicht hat, wird Jungfrau bleiben. Denn wir alle wissen ja, Frauen sehen ein markantes Kinn und schwupps sind sie verliebt und schwanger. It’s magic! Bei Incels dient diese strenge Aufteilung dazu, sich in Foren gegenseitig schlecht und bis hin zum Selbstmord zu reden – oder zum Terroranschlag gegen Frauen, weil diese angeblich nur auf Chads stehen und nicht gewillt sind, die bescheidenen Anforderungen der Incels ohne jegliches Klagen zu erfüllen. Man diskutiert auch darüber, dass der Staat Männern die Frauen zur freien sexuellen Verfügung zuteilen solle, damit nicht nur Chads in Genuss von Sex und schönen Frauen (am besten Jungfrau und mit 30 Jahren Erfahrung im Bett ausgestattet) kämen.

Im Kern dreht sich Incelideologie um eine Form der gesellschaftlichen Hierachie und Ausgrenzung, welche anhand von maskulinistischen Idealen und der Zuschreibung körperlicher Eigenschaften eine Art Coolnessfaktor als alles bestimmendes Ordnungs- und Verteilungsprinzip der Ressourcen Ansehen und Frauen/Sex annimmt. Wer dabei keine Rolle spielt sind Frauen, sie dienen nur als Fick- und Hassobjekt in Personalunion.

Und genau diese Form der Coolness als alles entscheidender Faktor wird in den Memes weitertransportiert. Jedes „Virgin xyz vs Chad xyz“-Meme trägt die Ideologie weiter, es gehe nur um die Coolness. Man müsse bestimmte Eigenschaften erfüllen, um zu den coolen Kids zu gehören, die dann wie in diesen ganzen schlimmen Filmen die Kings der Highschool sind und sich auch genauso verhalten dürfen gegenüber den nicht coolen Kids. Dieses Denken ist die Grundlage dieser Memes und man bekommt es auch nicht dadurch weg, dass man es mit linken Inhalten versucht zu konterkarieren. Die Templates selber funktionieren nur, wenn man Coolness als erstrebenswerten Faktor annimmt. Denn es geht den Memes nicht darum den Inhalt ins Zentrum zu stellen, es geht um eine hierarchische Ordnung der Gesellschaft, bei der die nicht-coolen Leute am unteren Ende der Hackordnung stehen und Ausgrenzung sowie Benachteiligung deren quasi natürliches Schicksal sei. Warum man dies als Linke in jedem Fall ablehnen sollte muss nicht erklärt werden – zusätzlich zur eklatanten Frauenfeindlichkeit.

Geht daran gerade in Zeiten der Coronawirtschaftskrise die Welt zugrunde? Sicher nicht. Gibt es wichtigere Themen? Sicherlich. Diese Seite dient aber auch dazu, persönliche Beobachtungen und Ansichten zu teilen, selbst wenn sie nur eine subjektive Relevanz besitzen. Und bei den hier verhandelten Memes und Templates stößt inzwischen täglich sauer auf, wie sorglos man in linken Kreisen mit Memes umgeht, welche auf den Schwachen und Ausgegrenzten herumhacken und die Pointe auf die Kosten derer machen, die eh im sozialen Gefüge unten stehen. Und es ist schreckend, wie weit sich der Kern der Incelideologie im Zeitgeist verankern konnte.

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Welcome to the Thunderdome https://rambazamba.blackblogs.org/2020/07/31/welcome-to-the-thunderdome/ Fri, 31 Jul 2020 10:31:16 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=871 Continue reading Welcome to the Thunderdome ]]>
Die Zahlen für das erste vollständig in der Coronapandemie liegend inzwischen vor. In Deutschland brach die Wirtschaftsleistung um 10,1 Prozent ein, in den USA um 32,9. In Deutschland wurde jedoch die Insolvenzantragspflicht bis Ende September ausgesetzt, im Herbst wird dann mit Verzögerung die große Konkurswelle hierzulande losgehen – und den Wegbruch ganzer Wertschöpfungsketten weiter verschärfen, die Abwärtsspirale weltweiter Rezessionen im Kapitalismus wird ihren Lauf nehmen. Die Einschätzung bezüglich der weltweiten Lage hat sich in den letzten Monaten nicht geändert: Erneut stehen wir am Beginn einer weltweiten Rezession, welche den Einbruch seit der letzten globalen Krise 2008/9 bei weitem überschreiten wird. Und diese wurde damals als einmalig bezeichnet – dabei erzeugt die Krisenhaftigkeit des Kapitalismus regelmäßig etwa alle zehn Jahre größere weltweite Wirtschaftskrisen.
 
Die in der kapitalistischen Verwertungslogik angelegten Dominoeffekte werden sich im Laufe dieses Jahres verschärfen und die Entscheidung zwischen Maßnahmen, welche Menschenleben retten, und solchen für die heilige Kuh der Wirtschaftsleistung immer stärker erzwingen. Warum wieso weshalb der Kapitalismus nicht gut mit Problemstellungen wie einer weltweiten Pandemie umgehen kann, wurde in den vergangenen Monaten in unzähligen Texten aufgeschlüsselt, weshalb dies mit einem Hinweis auf unsere Mad Marx-Reihe (insbesondere Teil 2) nicht noch einmal wiederholt werden muss:
 
Teil 1 – Nicht dumm machen lassen und Einführung in den Kapitalismus: https://rambazamba.blackblogs.org/2020/03/27/mad-marx-corona-und-der-vorschein-der-donnerkuppel-teil-1-nicht-dumm-machen-lassen-und-einfuehrung-in-den-kapitalismus/
 
Teil 2 – Der Vorschein der Donnerkuppel – Zu den ökonomischen Zusammenhängen der Corona-Krise und der Notwendigkeit, den Kapitalismus zu überwinden: https://rambazamba.blackblogs.org/2020/03/29/mad-marx-teil-2-der-vorschein-der-donnerkuppel-zu-den-oekonomischen-zusammenhaengen-der-corona-krise-und-der-notwendigkeit-den-kapitalismus-zu-ueberwinden/
 
Teil 3 – Befreite Gesellschaft oder Donnerkuppel – Handlungsperspektiven der Linken: https://rambazamba.blackblogs.org/2020/04/09/mad-marx-teil-3-befreite-gesellschaft-oder-donnerkuppel-handlungsperspektiven-der-linken/
 
Wer ein halbwegs gutes Verständnis vom Kapitalismus und dessen Wirkungsweise hat, wird von der Entwicklung der letzten Monate nicht überrascht sein. Und auch die kommenden Ereignisse sind ohne großes Hexenwerk in ihren Grundzügen vorrauszusagen. Je mehr die Wirtschaft in den Keller rauscht, je mehr die eklatanten Systemfehler des Kapitalismus zutage treten, desto mehr werden die Lasten der Krise auf die sozioökonomisch eh schon Benachteiligten abgeladen. Man kann in den USA sehen, wozu eine völlig unzureichende Strategie führt: über 150.000 Tote und ein noch nie dagewesener Zusamenbruch der Wirtschaft.
 
Doch man muss ja gar nicht erst in die USA schauen, um die Probleme im Umgang mit der Pandemie deutlich zu sehen. Bereits jetzt gab es diverse Vorfälle in Deutschland, welche zumindest indirekt der Krise der Verwertungslogik zuzurechnen sind. In den Zeiten der Pandemie zeigen sich zwei Dinge ganz deutlich: Welches gesellschaftliche Ziel hat man auf der gesamtgesellschaftlichen Ebene und wie flexibel kann man auf systembedrohende Krisen reagieren.
 
Welches das gesamtgesellschaftliche Ziel ist, dürfte klar sein und spätestens im Laufe der kommenden Monate allen klar gemacht werden. Die geheiligte Wirtschaft stellt das absolute Primat dar, letztendlich werden alle anderen Aspekte des gesellschaftlichen Leben immer gegen die Ermöglichung der Wertschöpfung abgewogen. Und mit „Wertschöpfung“ erfasst man den Kern exakt: Es geht um das Schaffen von Werten, also von Geld. Darauf ist der gesamte gesellschaftliche Überbau ausgelegt, der private Mensch mit seinen Wünschen und Neigungen ist zweitrangig. Entsprechend fallen auch die Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung aus. Sie sollen vor allem das weitere Funktionieren der Verwertungslogik ermöglichen.
 
In einer systematisch ungleichen Gesellschaft treffen die Maßnahmen und Auswirkungen dann in der Summe wieder die am meisten, die eh schon am stärksten benachteiligt und diskrminiert sind. Anstatt als Gesellschaft darauf hinzuarbeiten, dass man möglichst allen eine möglichst angenehme Pandemiezeit (und generell ein möglichst angenehmes Leben mit möglichst viel Müßiggang) zu ermöglichen, erlässt der Staat Maßnahmen, die dann die zusätzlich zu den Ausbeutungsverhältnissen im Kapitalismus das Leben erschweren. Das Versprechen ist: Wenn du dich brav an alle Vorschriften hältst und dein Privatleben weitestgehend runterfährst, kannst du auf Arbeit weiter die Kohle für die Aktionäre oder den Vorstand reinholen, während der Großteil deiner Kohle für Miete draufgeht.
 
Aber so sollte es nicht sein. Eigentlich müsste der Deal lauten: Wir halten uns alle an die erforderlichen Maßnahmen und schauen, wie wir gemeinsam möglichst viel soziales und kulturelles Leben unter dem Primat der Pandemiebekämpfung ermöglichen. Denn hier kommen wir auf die Frage der Flexibilität zu sprechen. Wie schaffen es Gesellschaften sich auf eine Situation wie Corona einzustellen und worauf fokussieren sie sich dabei? Die Antwort ist keine Überraschung und sie stellte sich in der Realität auch gar nicht. Es geht um das Erhalten des Status Quo und den wirtschaftlichen Konkurrenzkampf der einzelnen Länder, wirtschaftlich möglichst gut dazustehen – also um eine möglichst gute kapitalistische Warenproduktion.
 
Um das gute Leben für alle ging es vorher nicht und darum geht es folgerichtig auch nicht in der Coronakrise. Wer nur wirtschaftliches Wachstum als oberste Maxime kennt, hat keinerlei Verständnis für das, was eine Gesellschaft an sozialem und kulturellem Reichtum im Stande ist zu ermöglichen, würde man die Ressourcen einmal von der Gewinnmaximierung auf eine möglichst paritätische Wohlstands- und Lebensqualitätssteigerung umleiten – weltweit versteht sich. Stattdessen werden soziale und kulturelle Optionen zur Zeit ersatzlos gestrichen und ganzen Bevölkerungsschichten die Gestaltungsmöglichkeiten der wenigen Zeit neben der Lohnknechtung zum Teil bis fast ganz genommen. Wenn man dann eh zu den Abgehängten gehört, wird das die eigene Zufriedenheit kaum steigern.
 
„A riot is the language of the unheard“ sagte Martin Luther King und Ähnliches lässt sich auch hier beobachten. Ob es nun ausufernde Coronapartys sind, weil man den Leuten nur Gestaltungsoptionen streicht und ansonsten weiter der Kapitalverwertung zum Fraß vorwirft, oder ob es Jugendliche sind, welche mit in der Summe rassistischen und sozialchauvinistischen Motiven von der Polizei gegängelt werden und dann auch mal zurückschlagen – all dies ließe sich in im größeren Stil vermeiden. Man müsste eben die Mehrung des sozialen und kulturellen Reichtums als oberstes gesellschaftliches Ziel ausrufen und sich um die Menschen kümmern, nicht um die Unternehmen und das Wirtschaftswachstum, welches so ganz nebenbei das Klima killt. Aber das wäre dann ja kein Kapitalismus mehr und eine Sache bleibt gewiss: Egal wie stark Krise des Systems, das System wird nicht in Frage gestellt. Und wenn dafür Menschen draufgehen.
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Analyse zur Flugzeitschrift „Demokratischer Widerstand“ der Corona-Proteste https://rambazamba.blackblogs.org/2020/05/17/analyse-zur-flugzeitschrift-demokratischer-widerstand-der-corona-proteste/ Sun, 17 May 2020 08:52:00 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=855 Continue reading Analyse zur Flugzeitschrift „Demokratischer Widerstand“ der Corona-Proteste ]]>
Am 16. Mai 2020 wurde bei den Protesten gegen die vermeintliche Coronadiktatur eine neue Flugzeitschrift verteilt. Diese wird von „Demokratischer Widerstand“ herausgegeben und ist bereits Nummer 5. Diese Gruppe war bereits beim allerersten Protesten am Rosa-Luxemburg-Platz präsent und hat zur Teilnahme aufgerufen. Nach eigenen Angaben hat man jetzt diese 16-seitige Zeitung in einer Auflage von 500.000 (einer halben Million) drucken lassen. Die Zeitung erscheint seit dem 17. April grob im Wochenabstand und ist nach eigener Aussage mit einer Auflage von 100.000 gestartet. Woher das Geld dafür stammt, ist nicht ersichtlich. Hinter der Gruppe „Demokratischer Widerstand“ steckt federführend Anselm Lenz, welcher auch als erster Name auf dem Titelblatt genannt wird und den ersten Text beisteuert. Lenz hat eine illustre Karriere hinter sich und unter anderem für die taz und Die Welt geschrieben. Länger hat auch für die Junge Welt gearbeitet, dort ein Jahr als Redakteur im Inlandsressort. Der letzte Artikel für die taz ist vom 12.3.2020. Eine gute Darstellung seiner Vita ist diesem taz-Artikel zu entnehmen, die freie Tätigkeit dürfte beendet sein: https://taz.de/Selbstvermarkter-Anselm-Lenz/!5681197/ Interessanterweise hat Lenz noch in einem am 09.07.2017 veröffentlichten Interview mit Thilo Jung Aussagen getroffen, die eine verschwörungsfreie Analyse des Kapitalismus liefern und einen Text von Walter Benjamin empfohlen.
 
Die Zeitung selber wartet mit den üblichen Topoi auf, die man von den Schwurbeldemos heutzutage kennt. Lenz schreibt in seinem kurzen Einleitungstext:
 
„Es begann damit, dass Menschen wie du und ich Grundgesetze verteilen wollten. Unseren liberalen und überparteilichen Verfassungstext.
 
Seither schreibt ein fanatisiertes Kartell aus Regierungsfunktionären, Medien- und Konzernjunta eine Bedrohung von rechts- und linksaußen herbei. Die abstürzenden Machthaber deren Speichellecker fühlen sich in ihrem Burgfrieden, weil wir, die Leute, etwas wollen.“
 
Damit ist dann auch der Einstand in die weiteren Inhalte der Zeitung geliefert. Man zieht den wissenschaftlichen Forschungsstand in Zweifel, stellt Forderungen an Bill Gates, stellt sich als liberal und freiheitsliebend dar, schimpft über das diktatorische Regime, will die Leitmedien kontrollieren, ein Krisenmacher vor ein Corona-Tribunal stellen, was gegen die Machtgeilen unternehmen und ein bedingungsloses Grundeinkommen einführen. Insgesamt stellt sich das Machwerk als unausgegorenes Zusammenwürfeln jeder Menge regressiver Bauchgefühle von Personen dar, die kaum in der Lage sind, dass politische Geschehen adäquat zu analysieren und zu beschreiben. So wird zum Beispiel mit den Todeszahlen in Deutschland argumentiert, die keine Auffälligkeit im Vergleich zu den Vorjahren aufweist. Dies ist auch richtig, allerdings ist die Sterblichkeit in den stark betroffenen Regionen Frankreichs, Italiens, Spaniens und in den USA weit höher als sonst. Der State of New York hat jetzt bereits eine höhere Todesquote auf die Gesamtbevölkerung als durch die saisonale Grippe.
 
Das Wahngebilde der gesteuerten und kontrollierten Mehrheit zieht sich durch das ganze Blatt. In einem Artikel wird jetzt schon eine mögliche zweite Corona-Welle als Fake bezeichnet. Immer wieder wird den Medien unterstellt, massiv gesteuert zu werden und bewusst Falschnachrichten im Sinne der Politik zu verbreiten, um damit der Bevölkerung gegenüber die Maßnahmen zu rechtfertigen. Auf der anderen Seite schreibt man sich selber auf die Fahnen: „In der Zwischenzeit spielt die undemokratische Regierung mit der Zwangsimpfung. Der Widerstand konnte dies abwenden.“ Auch gegen die Pharmaindustrie wird geschossen und in einem längeren Artikel werden unterschiedliche Menschenexperimente aus den letzten über 100 Jahren zusammengewürfelt und letztendlich das Bild von Big Pharma an die Wand geworfen und mit Bill Gates in Verbindung gesetzt. An diesen und seine Frau werden in Form der Stiftung dann auch Forderungen gestellt, die sich in das übliche Gewäsch aus verdummter Gesellschaftskritik und Begriffsumdeutungen einfügen.
 
Ebenso wird ein längerer Artikel dem Banken- und Zinssystem gewidmet und dieses grundlegend kritisiert. Dabei wird vor allem auf Zinsen und die Blasenökonomie eingegangen und das ist auch nicht alles grundfalsch. Im Zusammenhang mit dem Zielen auf die Pharmaindustrie, die USA, das Medien- und Konzernkartell und die Regierungsdiktatur Merkel skizziert man hier aber eine Version der durch die „Protokolle der Weisen von Zion“ popularisierten Version der (letztendlich jüdischen) Weltverschwörung. Abgerundet wird das Blatt durch Demoberichte aus dem Land und einem Leak aus dem Bundesinnenministerium. Auf dem rechten Portal Rubikon findet sich ein Papier, welches von einem Beamten des Bundesinnenministeriums erstellt worden sei und geleaked wurde. Dieses Papier dient als Kronzeugenpapier, da alle Maßnahmen als vollkommen überzogen und die Gefahr von Corona als maßlos übertrieben dargestellt werden. Die Existenz eines solchen Papiers ist nicht unwahrscheinlich, da es dutzende Papiere zu einer Situation wie Corona innerhalb der Ministerien und Behörden gibt.
 
Im Gesamteindruck hinterlässt diese Zeitung den zu erwartenden Eindruck. Die bekannten Thematiken der Coronaproteste werden mit teilweise lachhafter Argumentation und Schreibe aufbereitet. Dabei liegt nicht der Extremfall vor, wie ihn ein Attila Hildmann darstellt. Vielmehr liest es sich wie eine Version von Ken Jebsen auf Valium und folgt auch genau dessen Linie und Herleitungen. Aus antifaschistischer Sicht sollte man sich möglichst vieler dieser Zeitungen habhaft werden und sie möglichst schnell dem Altpapierkreislauf zuführen.
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„Nein, wir sind keine Hippies.“ https://rambazamba.blackblogs.org/2020/05/13/nein-wir-sind-keine-hippies/ Wed, 13 May 2020 06:00:32 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=851 Continue reading „Nein, wir sind keine Hippies.“ ]]> Bei den aktuellen „Hygienedemos“ treiben sich auch Personen des linken Spektrums herum. Auch wenn man dies gern leugnen möchte, ist es so. Zugegebenermaßen gehören sie zu einem linken Spektrum, das man schon vorher etwas belächelt hat. So mobilisierte die MLPD bereits für diese Demos. In München organisierte sie eine Querfrontveranstaltung, auf der auch ein Redner des faschistischen III. Wegs auftreten durfte. Auch andere Splittergruppen aus dem autoritär-marxistischen Bereich warben nicht nur dafür, sondern nahmen auch daran teil.

Die größte linke Gruppe, die sich auf den „Hygienedemos“ herumtreibt und deshalb als Querfront bezeichnet werden kann, sind jedoch wohl die „Altlinken“, die die 68er Bewegung maßgeblich mitprägten. Natürlich sind nicht alle Altlinken so. Im Gegenteil: viele warnen vor jenen, die jetzt zusammen mit Nazis, die sie früher noch gehasst haben, gegen die Maßnahmen zur Eindämmung von Corona protestieren.

Klaus der Geiger, der sonst im Hambi oder davor bei Castorprotesten spielte, tritt nun für die „Hygienedemo“ in Köln auf. Er ist beileibe kein Einzelfall, sondern wahrscheinlich nur der prominenteste Fall. Fragt man selbsternannte Linke, warum sie bei diesen Querfront-Veranstaltungen sind, bekommt man oft als Antwort, dass „es ja um die Sache ginge“. „Die Sache“ ist wohl in diesem Falle die ablehnende Haltung „gegen die da oben“. „Die da oben“ schränken unnötigerweise unsere Handlungsfreiheit ein, so heißt es. Natürlich ist es erstmal aus linker Sicht ablehnenswert, wenn die Freiheit eingeschränkt wird. Jedoch wird die Freiheit aktuell nicht grundlos und willkürlich eingeschränkt, sondern um Infektionen vorzubeugen und so Menschen zu schützen, besonders Risikogruppen.

Schwurbeleien sind bei den 68ern nix Neues und weit verbreitet. Sinnsuche und Spiritualität waren dort schon immer Teil des Ganzen. Die politische Arbeit war sinnstiftend und identitätsbildend. Die Hippie-Bewegung mit ihren esoterischen und anti-rationalen Inhalten verband sich mit der politischen Arbeit. Es überrascht daher nicht, dass die 68er auch heute noch offen sind für „alternative“ Denkmodelle. Ein gefundenes Fressen für Leute wie KenFM oder andere „Truther“, die so auch Nicht-Rechte für ihre Denkweise begeistern können. Denn auch bei Ken Jebsen, Attila Hildman und Xavier Naidoo finden sich einfache Erklärungen für komplexe Probleme, garniert mit einem Hauch Esoterik. Denn nur wenige erleuchtete Eingeweihte wissen, was wirklich geschieht. Genauso sahen sich auch die 68er damals und auch heute noch und finden sich heute bei einem gescheiterten Journalisten, Koch oder Sänger wieder, die jetzt munter Verschwörungstheorien verbreiten.

Denn auch das Kapitalismusverständnis der 68er-Bewegung war in der Masse simpel. Ausgehend von einer antiimperialistischen Grundhaltung wurde die Welt in „gut“ und „böse“ eingeteilt. Gut waren in jenem Falle die unterdrückten Völker, schlecht die kapitalistischen Unterdrücker. Eine komplexe Realität wie der Kapitalismus lässt sich jedoch nicht so leicht in ein Gut/Böse-Schema pressen. Zumal es einen strukturell antisemitischen Grundton aufweist, da bestimmten Ländern ein kapitalistischer aka ausbeutender Charakter oder eben ein antikapitalistischer bzw. ausgebeuteter Status zugeschrieben wird. Der Kapitalismus wird nicht als komplexes System verstanden, sondern personalisiert.

Der Antisemitismus eint die 68er mit den Verschwörungsheinis. Auch wenn sie selbst vielleicht nicht verstehen, warum ihr Denken antisemitisch ist. Selbst ohne direkten Hass gegen jüdische Menschen ist es das. Unterkomplexe Lösungen werden von Jebsen und co. vorgekaut und die Hippies käuen sie wieder. In ihren Köpfen und auch in ihrem politischen Selbstverständnis macht das Sinn. Es ist daher wenig verwunderlich, dass Altlinke, Hippies und 68er auf den „Hygienedemos“ auftauchen. Name und auch ihr (damaliger) Aktivismus war vielleicht links, aber ihre Ideologie nie, da sie auf regressiven Grundprämissen fußt. Man wird solche Leute auch nicht mehr vom Gegenteil überzeugen können.

Hier sind es halt nicht mehr die USA oder jüdische Menschen, die als der personifizierte Kapitalismus verstanden wird, sondern Bill Gates, der mit Hilfe eines finsteren Plans die Welt unterjochen wird. Hier verbindet sich die unterschwellige Anfälligkeit für Verschwörungstheorien mit einem flachen Verständnis von Kapitalismus. Schon können sich selbst als Linke verstehende Menschen für ein Querfront-Projekt gewonnen werden.

Für Linksradikale, die wirklich diesen Namen verdienen, gilt es daher sich scharf öffentlich von diesen Querfront-Linken abzugrenzen. Sie haben mit ihrem strukturell antisemitischen Denken, ihrer regressiven Kapitalismuskritik und ihrer spirituell angehauchten Sinnsuche nichts mit uns gemeinsam. Dies muss auch öffentlich deutlich werden. Ich will nicht mit solchen Hippies in einen Topf geworfen werden, die unsolidarisch Menschen opfern wollen, um sich die Haare schneiden lassen zu dürfen.

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Warnung vor Lisa Daimagüler/Lilly Zeppenfelder https://rambazamba.blackblogs.org/2020/05/01/warnung-vor-lisa-daimagueler-lilly-zeppenfelder/ Fri, 01 May 2020 17:17:43 +0000 http://rambazamba.blackblogs.org/?p=825 Continue reading Warnung vor Lisa Daimagüler/Lilly Zeppenfelder ]]>

Vor einem Monat haben wir am 1. Mai eine Recherche mit Warnung zu Lisa Daimagüler alias Lilly Zeppenfelder veröffentlicht. Aufgrund besonderer Umstände wurde beschlossen, diese Recherche einen Monat zurückzuhalten. Die glaubhaft dargelegte Situation erzwang ein Abwägen zwischen partiellem Opferschutz auf der einen Seite und der Warnung vor ihr auf der anderen Seite. Ein Monat erscheint uns als angemessene Karenzzeit, um sich mit den besonderen Umständen arrangiert zu haben, weshalb der erweiterte Artikel einen Monat später wieder öffentlich zugänglich ist.

Im Zuge der Erstveröffentlichung wurden wir als Seite von einigen Personen angeschrieben, es gab Solidaritätsposts mit Lisa (welche sich zum Teil auf die besonderen Umstände bezogen, zum Teil auf unsere Warnung) und es gab vor allem Voicemails von Daimagüler selber. Sie hat an diesem Abend offenkundig vielen Personen entsprechende Nachrichten geschickt, uns sind mindestens vier Fälle geläufig und wir haben zehn Voicemails vorliegen und abgespeichert. In der Zwischenzeit ist unabhängig von uns ein weiterer Rechercheartikel veröffentlicht worden. Die Informationen darin sind zum Teil ungenau, das angegebene Instagram-Profil ist nicht ihres. Dennoch stützt dieser Artikel diese Recherche hier und es finden sich weitere Voicemails von Daimagüler am Ende des Artikels. Exakt solche Voicemails haben auch wir vorliegen.


Die aus zahlreichen Facebook-Shitposts und Instagram-Auftritten bekannte Lisa Daimagüler/Lilly Zeppenfelder zeigte sich bereits in der Vergangenheit auf Instagram mit Mitgliedern der Identitären Bewegung. Was bisher von ihr öffebtlich als Scherz abgetan wurde, scheint jedoch eine notorische Angewohnheit von Daimagüler zu sein. Während sie bereits mehrfach beteuerte
, zu Neonazis nur Kontakt zu haben um ihnen Informationen zu entlocken bzw. sich über sie lustig zu machen, scheint ihre Nähe zu Rechtsradikalen einen neuen Höhepunkt erreicht zu haben. Auf den Vorwurf des Umgangs mit einem deutschlandweit bekannten Neonazi reagiert Daimagüler auf Facebook mit „Das war nur Spaß, hatte den mit meinen Freunden dumm angemacht und dann ein Foto gemacht h“ (sic Lisa Daimagüler auf ihrem Facebook-Account, 29.4.20 20:09). Drei Dinge erscheinen bei dieser Geschichte von Daimagüler eigenartig.

Zunächst einmal, dass der Neonazi Baldur Landogart, ehem. Mitglied des Bundesvorstandes der NPD,  nicht nur irgendein namenloser Neonazi ist den man dumm anmacht, sondern dass Daimagüler bei so einer Aktion durchaus den Namen genannt hätte. Als Nazi ist Landogart auch nicht zu erkennen auf dem Foto, er trägt keine erkennbare Nazikleidung. Desweiteren wirkt das Foto keineswegs so, als habe sie mit ihren Freund*innen Landogart „dumm angemacht“ hätte. Als Letztes fällt auf, dass es Landogart selbst war, der das Selfie aufgenommen hat. Außerdem gibt sie in den Voicemails des oben verlinkten Blogs an, ganze drei Stunden mit Landogart telefoniert zu haben. 

 

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Besonders merkwürdig wirkt es in Anbetracht dessen, dass Daimagüler von 2015 bis Dezember 2018 eine Beziehung mit dem bekannten Siegener Neonazi Sascha Maurer (NPD, Gründungsmitglied der Freien Nationalisten Siegerland, später AfD) führte. In ihren Voicemails hat sie diese Beziehung bestätigt und berichtet unter anderem von einer NSDAP-Fahne in Maurers Zimmer. Interessanterweise gibt es einen FB-Post von Daimagüler datiert auf den 23. Juni 2018, in dem sie sich öffentlich darüber echauffiert, wegen ihrer rechten Kontakte keinen Einlass in eine Lokalität bekommen zu haben. In diesem Post streitet sie diese Kontakte ab – war aber zu diesem Zeitpunkt mit einem ehemaligen NPD-Kameradschafter zusammen, der eine NSDAP-Fahne im Zimmer zu hängen hatte. Diese Form des öffentlichen Lügens, der Falschdarstellungen und Verdrehungen ist typisch für ihr Gebahren.

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Auf einem Facebookprofil kommentierte sie zum Beispiel am 20.3. ein Foto, welches zwei Sticker auf einer Parkbank zeigt: Ein Sticker feiert Salvini, der andere hat den Slogan: „Ein Armlänge Abstand ist nicht genug“. Daimagüler postete ihrerseits ein Foto mit Stickern der zweite Variante und taggte dazu mit den Worten „Haha, Anna ist wohl erfolgreich.“ die mutmaßliche Erstellerin. Die dazugehörige Seite (www.heimatkollektiv.net) fährt die inzwischen wohlbekannte Schiene der Identitären Bewegung in Sprache und Argumentation. Die getaggte Person, Anna Amanadia, ist auf einem Foto mit einem Beutel der Identitären Bewegung zu sehen. Bei ihr handelt es sich um Reinhild Boßdorf.

Boßdorf ist Teil des Boßdorf-Clans. Infos dazu findet man unter in diesem Indy-Artikel vom 10. Mai 2020. Ihr Vater war im Thule-Seminar aktiv, ihre Mutter Irmhild arbeitet für einen AfD-Abgeordneten und Reinhild plus Schwester waren bei den faschistischen Identitären aktiv. Reinhild hat diese letztes Jahr verlassen und macht nun mit ähnlichen Inhalten unabhängig von der IB faschistischen Aktivismus. Laut Aussage Daimagülers hat man sich auf einer Burschenschaftsparty getroffen und sei nicht weiter miteinander bekannt. Es reicht aber offensichtlich dafür aus, dass Daimagüler das Profilbild von Boßdorf liked und Sticker von ihrem Post-IB-Projekt rumzuliegen hat, welche dann stolz unter einem Pro-Salvini-Post gezeigt werden. Hier ist dann wieder das typische Muster des Tatsachen verharmlosen und offenen Lügens zu beobachten. Daimagüler ist offenkundig gut in die aktuelle rechte Szene vernetzt und pflegt einen freundschaftlichen Umgang.

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Ob überzeugte Faschistin oder nicht, dass die Nähe zwischen Daimagüler und organisierten Rechtsradikalen sehr groß ist, ist offensichtlich. Jede antifaschistisch gesinnte Person sollte sich die Frage stellen, ob sie mit jemanden Umgang haben will, der ganz offensichtlich nicht in der Lage ist, die nötige Distanz zu Anhänger*innen von menschenfeindlichen Ideologien einzugehen. Ihr Onlineumfeld, in dem sich von Achse des Guten-Autoren bis hin zu Personen, die für die Jungle World schreiben, herumtreiben, ist eh schon eine an sich kritische Querfrontmelange. Aufgrund der belegbaren jahrelangen Kontakte intimer und freundschaftlicher Natur mit Rechtsradikalen und den belegbaren Lügen Daimagülers darüber sollte jeder Kontakt abgebrochen werden, wenn man sich antifaschistisch positioniert und einen Funken Konsequenz daraus für den eigenen Umgang ziehen möchte. Außerdem sollten alle Lokalitäten, die sich einem antifachistischem Grundverständnis verpflichtet fühlen, ein Lokaverbot durchsetzen. Hier muss auch an den Schutz Dritter gedacht werden, zumal sie nachweislich wildfremden Personen und Gruppen in vielen Voicemails ihre halbe Lebensgeschichte mit relevanten Details ausbreitet.Die von uns genannten Infos stammen nicht von einem Mann, der die Intention verfolgt haben soll, Lisa zu schaden. Lisa selbst hat mehrere Menschen Voicemails versendet, indem sie die im Text genannten Inhalte einräumt und erläutert. Darüber hinaus wollten wir uns explizit von einem möglichen misogynen Hintergrund abgrenzen, weshalb wir den Post vor vier Wochen gelöscht und neu aufgesetzt haben. Wir verurteilen sowas zutiefst und haben mit solchen Personen nichts zu tun.

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