sowjets – Soziale Befreiung https://sbefreiung.blackblogs.org Für die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats! Sat, 04 Jan 2025 23:43:13 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Annonce: Weltkapitalismus und globaler Klassenkampf https://sbefreiung.blackblogs.org/2025/01/04/annonce-weltkapitalismus-und-globaler-klassenkampf/ https://sbefreiung.blackblogs.org/2025/01/04/annonce-weltkapitalismus-und-globaler-klassenkampf/#respond Sat, 04 Jan 2025 22:41:22 +0000 https://sbefreiung.blackblogs.org/?p=1092 Unsere neue Broschüre „Weltkapitalismus und globaler Klassenkampf“ (ca. 139 Seiten) von Soziale Befreiung ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de oder direkt bei uns auch als E-Book bestellen.

Einleitung

Der Weltkapitalismus

I. Der globale Kapitalismus ist die Interaktion der Nationalkapitale

1. Die Nationalkapitale

2. Die globale sozialökonomische Interaktion der Nationalkapitale

II. Die geschichtliche Herausbildung des Weltkapitalismus

1. Kleinbürgerliche Warenproduktion

2. Handelskapital

3. Vorindustrielle kapitalistische Warenproduktion

4. Der Industriekapitalismus als herrschendes Produktionsverhältnis

5. Die relativ selbständige Herausbildung bürgerlicher Nationalstaaten in Eurasien

6. Kapitalistischer Imperialismus und nationale „Befreiung“

7. Krieg und Frieden im Weltkapitalismus

8. Die Herausbildung eines internationalen Finanzsystems

9. Kapitalistisches Patriarchat und bürgerliche Frauenemanzipation

III. Die krisenhafte globale Vermehrung der Nationalkapitale

1. Kapitaluntervermehrungskrisen

2. Zyklische Krisen während der beschleunigten Kapitalvermehrung

3. Die strukturelle Profitproduktionskrise

4. Die Todeskrise des globalen Staatskapitalismus

5. Die Verschärfung der strukturellen Profitproduktionskrise im 21. Jahrhundert

6. Die permanente biosoziale Reproduktionskrise

Klassenkampf, institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung und mögliche Weltrevolution

I. Der reproduktive Klassenkampf

1. Kapitalvermehrung und Klassenkampf

2. Konspirativ-illegaler Alltagsklassenkampf

3. Der Klassenkampf erwerbsloser ProletarierInnen

II. Institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung und kommunistische Bewegung

1. Gewerkschaften

2. Vormarxistischer Kommunismus

3. Marx und Engels

4. Sozialdemokratie, Marxismus-Leninismus und Trotzkismus

5. Rätekommunismus

6. Der italienische „Linkskommunismus“

7. Der Anarchismus

8. Der antipolitische und gewerkschaftsfeindliche Kommunismus

III. Die mögliche soziale Weltrevolution

1. Die revolutionäre Situation

2. Die revolutionäre Klassenkampforganisation

3. Die revolutionäre Selbstaufhebung des Weltproletariats

Einleitung

Revolutionäres Klassenbewusstsein bedeutet, sich als untrennbarer Teil des Weltproletariats zu fühlen, danach zu streben, die nationalistischen Spaltungslinien kämpferisch zu überwinden. Dies ist zugleich Voraussetzung und Folge einer möglichen Weltrevolution, die, wenn sie siegreich ist, in einer globalen klassen- und staatenlosen Gemeinschaft mündet.

In der Schrift Der Weltkapitalismus analysieren wir diesen als Interaktion der Nationalkapitale und zeichnen deren Entstehungsgeschichte nach. Auch wird die sich zuspitzende globale kapitalistische Krisendynamik untersucht. Im zweiten Text setzen wir uns mit dem planetaren Klassenkampf, institutionalisierter ArbeiterInnenbewegung und möglicher Weltrevolution auseinander.

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Für die globale Vernetzung von revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen! https://sbefreiung.blackblogs.org/2024/07/30/fuer-die-globale-vernetzung-von-revolutionaeren-anarchistinnen-und-antileninistischen-kommunistinnen/ https://sbefreiung.blackblogs.org/2024/07/30/fuer-die-globale-vernetzung-von-revolutionaeren-anarchistinnen-und-antileninistischen-kommunistinnen/#respond Tue, 30 Jul 2024 22:27:17 +0000 https://sbefreiung.blackblogs.org/?p=1042 Die massenmörderische Krisen- und Kriegsdynamik des globalen Kapitalismus schreit geradezu nach einer planetaren Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen. Das Weltproletariat wird erbarmungslos von der Weltbourgeoisie verheizt. Der Klassenkampf des Proletariats wird noch immer innerhalb des reproduktiven Rahmens des Kapitalismus geführt, dessen Perspektive für die ProletarierInnen nur Ausbeutung, Arbeitslosigkeit, staatliche Elendsverwaltung, eine sich vertiefende ökosoziale Kriese und Krieg beziehungsweise einen asozialen Frieden bedeuten kann.

Die globale institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung (Gewerkschaften und politische Parteien) ist der bürokratische Ausdruck der den Kapitalismus reproduzierenden Grenzen des proletarischen Klassenkampfes. Die bürgerlich-bürokratischen Partei- und Gewerkschaftsapparate integrierten sich mehrheitlich in den Kapitalismus und wurden Fleisch von seinem Fleische. Anarchosyndikalismus und Parteimarxismus (Linke Sozialdemokratie, Marxismus-Leninismus, Trotzkismus und Linkskommunismus) sind entweder selbst Teil des kapitalistischen Problems oder außerstande eine revolutionäre Alternative zu Kapital, Staat und institutionalisierter ArbeiterInnenbewegung zu entwickeln.

Letzteres trifft besonders auf den Linkskommunismus zu. Er ist aufgrund seines Antiparlamentarismus, seiner Gewerkschaftsfeindlichkeit und seiner Ablehnung der nationalen Befreiung/Selbstbestimmung zu radikal, um sich in den Kapitalismus zu integrieren, aber zu parteimarxistisch-ideologisch borniert, um den konterrevolutionären Charakter des staatstragenden Bolschewismus ab 1917 zu erkennen und zu begreifen, dass die politische Partei grundsätzlich eine bürgerlich-bürokratische Organisationsform ist, die nur den Kapitalismus reproduzieren, aber eben nicht revolutionär überwinden kann. Das peinliche Rumgeeiere in der Staatsfrage – der berühmt-berüchtigte „Halbstaat“, den die LinkskommunistInnen in der Revolution aufmachen wollen –, ist eine antirevolutionäre Tendenz. Erstens kann es nur ganze Staaten geben und zweitens sind die immer konterrevolutionär!

Eine globale Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen als organisatorisch-inhaltliche Alternative zu Anarchosyndikalismus und Parteimarxismus ist also absolut notwendig. Die Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST) strebt mittelfristig eine globale Föderation dieser revolutionären Kräfte an.

Keine bürokratisch-zentralistische und ideologisch-dogmatische „Internationale“!

Wir streben keine bürokratisch-zentralistische Internationale an, mit einem riesigen globalen Apparat, der die einzelnen Sektionen in den verschiedenen Nationen anführt. Nein, die globale Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen, die wir mittelfristig und geduldig mit euch zusammen aufbauen wollen, soll klar und eindeutig mit der bürokratisch-zentralistischen und ideologisch-dogmatischen Tradition der parteimarxistischen (sozialdemokratischen, marxistisch-leninistischen und trotzkistischen) vier Internationalen brechen. Selbstverständlich soll sie sich auch von internationalen anarchosyndikalistischen und linkskommunistischen Zusammenschlüssen unterscheiden.

Die globale Vernetzung soll die unterschiedlichen theoretisch-kulturellen Ursprünge und Traditionen nicht einebnen, sondern produktiv zusammenführen. Sie soll praktische Gemeinschaftserlebnisse von Individuen und Kleingruppen sowie die inhaltliche Diskussion zwischen ihnen ermöglichen und damit Vereinzelung überwinden. Ganz auf der kollektiven Solidarität der Individuen und Gruppen beruhen. Einzeln und frei wie ein Baum, dabei geschwisterlich wie ein Wald!

Natürlich ist dabei auch eine Beliebigkeit zu verhindern. Die Vernetzung von revolutionären Gruppen und Individuen kann kein Selbstzweck, sondern muss die gemeinsame praktisch-geistige Vorbereitung auf die mögliche Weltrevolution sein.

Diskussionsgrundlage für einen inhaltlichen Minimalkonsens einer globalen Föderation von revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen

Damit die globale Vernetzung der revolutionären AnarchistInnen und antileninistischen KommunistInnen eine klare organisatorisch-inhaltliche Alternative zu Parteimarxismus und Anarchosyndikalismus werden kann, muss sie auf klaren Grundprinzipien beruhen. Die AST schlägt zur Diskussion folgende Punkte vor.

1. Für die revolutionäre Aufhebung der Warenproduktion. Die Warenproduktion basiert auf global voneinander getrennten kleinbürgerlichen und kapitalistischen Wirtschaftseinheiten, die ihre Produkte mittels der Ware-Geld-Beziehung austauschen müssen. Das Geld ist der verselbständigte Ausdruck des Tauschwertes. Basis des Tauschwertes ist der Produktionswert, die durchschnittliche, gesellschaftlich notwendige Herstellungszeit einer Ware. Je höher der Produktionswert einer Ware ist, umso höher ist in der Regel auch ihr Tauschwert. Außerdem wird der Tauschwert auch durch die Marktkonkurrenz aus Nachfrage und Angebot bestimmt.

Indem das sich revolutionär selbst aufhebende Proletariat die Produktionsmittel und die soziale Infrastruktur in gesamtgesellschaftliche Verfügungsgewalt überführt und den Staat zerschlägt, schafft es die Voraussetzungen für die Aufhebung des Tauschwertes. Überwindung des Tauschwertes heißt, dass in der klassen- und staatenlosen Gemeinschaft die Produkte nicht getauscht – auch nicht durch einen Naturaltausch ohne Geld! – sondern gesamtgesellschaftlich kollektiv-solidarisch verteilt werden. Die Individuen sind keine passiven Objekte der gesamtgesellschaftlichen Leitung und Planung der Produktion sowie der Verteilung der Produkte, sondern deren aktive Subjekte.

RevolutionärInnen kritisieren jegliche „Vergesellschaftung“ innerhalb von Warenproduktion und Staat als Scheinalternative. GenossInnenschaften und „selbstverwaltete“ Betriebe innerhalb des Kapitalismus sind im besten Falle kleinbürgerlich-kollektive Formen der Warenproduktion und gehen fließend in Kapitalgesellschaften über.

2. Für die revolutionäre Zerschlagung aller Staaten. Staaten sind grundsätzlich sozialreaktionäre Gewaltapparate von Klassengesellschaften. Im Kapitalismus sind die Staaten die politischen Gewaltapparate der Kapitalvermehrung. Es kann keine „progressiven“ oder „sozialistischen“ Staaten geben. Das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat muss den Staat zerschlagen! Die „Halbstaaten“ einer angeblichen „Übergangsgesellschaft“, die der Linkskommunismus herbeiphantasiert, kann es nicht geben. Zwischen dem kapitalistischen Staat und der klassen- und staatenlosen Gemeinschaft gibt es keine staatsförmige „Übergangsgesellschaft“, sondern „nur“ die mögliche revolutionäre Zerschlagung des Staates! Den Staat zu zerschlagen, heißt die gesamtgesellschaftlich-kollektive Organisation des Lebens ohne Gewaltapparate und BerufspolitikerInnen.

Da das Proletariat eines Landes, einer Gruppe von Ländern, eines Kontinents unmöglich mit der sozialen Revolution warten kann, bis ihre Klassengeschwister weltweit so weit sind, kann die Weltrevolution nur eine permanente Kette der Zerschlagung der Nationalstaaten sein. In der Weltrevolution wird es also sowohl schon mögliche klassen- und staatenlose Gemeinschaften als auch noch kapitalistische Staaten geben. Der revolutionäre Kampf gegen die Konterrevolution – sowohl von marodierenden Banden als auch von Staaten – beruht auf der kollektiven Militanz des sich selbst revolutionär aufhebenden Proletariats beziehungsweise der klassen- und staatenlosen Gemeinschaft, aber nicht auf von der Gesellschaft getrennten Gewaltapparaten. Letztere wären der reproduzierte Staat. In der Praxis wird es schwer werden, notwendige revolutionäre Gewalt gegen die Konterrevolution auszuüben, ohne den Staat zu reproduzieren. Aber der reproduzierte Staat ist die Konterrevolution! Deshalb kompromissloser Kampf gegen die linkskommunistische Ideologie von dem „Halbstaat“ in der angeblichen „Übergangsperiode“ zwischen Kapitalismus und Kommunismus! Die Weltrevolution ist erst zu Ende, wenn alle kapitalistischen Staaten revolutionär zerschlagen sind.

3. Gegen die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung (Gewerkschaften und politische Parteien). Gewerkschaften sind der bürokratisch entfremdete Ausdruck des reproduktiven Klassenkampfes des Proletariats innerhalb des Kapitalismus. Im frühen Kapitalismus ging die Bourgeoisie noch total repressiv gegen den proletarischen Klassenkampf vor. Streiks und Gewerkschaften waren absolut verboten. Doch große Teile der herrschenden Klasse erkannten in einem sozialen Lernprozess – auch aufgrund des Druckes des klassenkämpferischen Proletariats – dass in einer Klassengesellschaft der Klassenkampf nicht effektiv absolut zu verbieten ist. So wurde in den verschiedenen Staaten der reproduktive Klassenkampf und die Gewerkschafen unter bestimmten Bedingungen legalisiert. Der Klassenkampf wurde verrechtlicht und damit tendenziell entradikalisiert. Die Gewerkschaften wurden durch das durch staatliche Gesetze regulierte Tarifvertragssystem, gesetzlich-sozialpartnerschaftliche Betriebsräte und das Sitzen von Gewerkschaftsbonzen in den Aufsichtsräten der Konzerne zu Co-Managerinnen der kapitalistischen Ausbeutung.

Die meisten Gewerkschaften sind durch einen antagonistischen Klassengegensatz geprägt. Auf der einen Seite die bürgerlich-bürokratischen Apparate der hauptamtlichen FunktionärInnen – die sozial nicht (mehr) zum Proletariat gehören – und auf der anderen die ehrenamtlichen FunktionärInnen und die lohnabhängige Basis als Manövriermasse. Die Haupttendenz der Gewerkschaftsapparate ist es, sich vollständig in den kapitalistischen Staat zu integrieren.

Gewerkschaften können grundsätzlich nur einen reproduktiv-sozialreformistischen Klassenkampf um höhere Löhne, für kürzere Arbeitszeiten und eine geringere Arbeitsintensität sowie gegen die Angriffe von Kapital und Staat innerhalb des Kapitalismus, aber eben keinen revolutionären für die klassen- und staatenlose Gesellschaft führen. Selbstverständlich gibt es zwischen ihnen große Unterschiede. So gibt es total sozialreaktionäre Gewerkschaften, die völlig in die jeweiligen Staaten integriert sind und auch deren imperialistischen Kriege unterstützen, aber auch Basisgewerkschaften, die gegen Aufrüstung, Waffenhandel und Krieg einen pazifistisch-reformistischen Klassenkampf führen.

Die Behauptungen des Anarchosyndikalismus, es könne revolutionäre Gewerkschaften geben und er würde sie aufbauen, hat er durch seine eigene Praxis widerlegt. Durch seine Anpassung an das Tarifvertragssystem, gesetzlich-sozialpartnerschaftliche Betriebsräte und das reformistische Bewusstsein der Mehrheit des Proletariats wurde der Anarchosyndikalismus selbst zu einer Strömung des globalen Gewerkschaftsreformismus. Gewerkschaften sind die Organisationsform des reproduktiven Klassenkampfes innerhalb des Kapitalismus, aber eben keine revolutionären zur dessen Zerschlagung. Gewerkschaften können nicht revolutionär und revolutionäre Klassenkampforganisationen (siehe Punkt 5) keine Gewerkschaften sein!

In nichtrevolutionären Zeiten können RevolutionärInnen einfache Mitglieder von Gewerkschaften sein. Aber sie dürfen keine neben- oder hauptamtlichen Funktionen in ihnen übernehmen. Gewerkschaften müssen grundsätzlich durch revolutionäre Klassenkampforganisationen, die sich allerdings erst möglicherweise in der sozialen Revolution herausbilden können, ersetzt werden. Berits im reproduktiven Klassenkampf innerhalb des Kapitalismus entwickelt sich die proletarische Selbstorganisation als Alternative zur Gewerkschaftsbürokratie (siehe Punkt 5). Völlig in den kapitalistischen Staat integrierte Gewerkschaftsapparate, die auch imperialistische Kriege unterstützen, müssen aktiv in der sozialen Revolution zerschlagen werden!

Politische Parteien bildeten sich ab dem 19. Jahrhundert zu zwar nicht absolut notwendigen, doch weit verbreiteten Basiseinheiten der bürgerlichen Politik. Parlamentarische Demokratien sind pluralistische Mehrparteiendiktaturen. In ihnen konkurrieren die politischen Parteien in Form von freien Wahlen um die Beherrschung des Staatsapparates. Freie Wahlen machen aus ProletarierInnen Stimmvieh, dass ihre strukturellen KlassenfeindInnen, die BerufspolitikerInne,n dazu ermächtigt, entweder den kapitalistischen Staat zu regieren oder systemloyal zu opponieren. Neben den Demokratien gab und gibt es noch faschistische und marxistisch-leninistische (siehe Punkt 4) Einparteiendiktaturen.

Politische Parteien sind klassengespalten in bürgerlich-bürokratische Apparate aus hauptamtlichen FunktionärInnen sowie BerufspolitikerInnen und -ideologInnen auf der einen und der kleinbürgerlich-proletarischen Basis auf der anderen Seite. Mensch kann zwischen kleinbürgerlich-radikalen Protest-/Aufstandsparteien und großbürgerlichen Systemparteien unterscheiden.

Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bildeten sich sozialdemokratische Massenparteien als politischer Flügel der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung. Einige von ihnen betrogen sich selbst und das Proletariat mit einer „revolutionären“ Ideologie, die aber nicht mit ihrer Praxis des parlamentarischen Sozialreformismus übereinstimmte, sondern diese verschleierte. Sie nahmen an Wahlen teil und integrierten sich immer stärker in das parlamentarische System. Die bürgerlich-bürokratischen Apparate der sozialdemokratischen Parteien strebten als Haupttendenz an, von der Bourgeoisie voll anerkanntes Regierungspersonal des kapitalistischen Staates zu werden.

Für die europäische Sozialdemokratie kam dieser Moment im Jahre 1914, den Beginn des Ersten Weltkrieges und der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923). Die meisten europäischen sozialdemokratischen Parteien unterstützten den Ersten Weltkrieg auf der Seite ihres jeweiligen Nationalstaates. Nur pazifistische und radikale Teile der Sozialdemokratie waren gegen die Kriegsbeteiligung. Während der europäischen revolutionären Nachkriegskrise wurde die Sozialdemokratie – besonders die deutsche SPD – offen konterrevolutionär, die blutig das klassenkämpferisch-revolutionäre Proletariat niederschlug. Heute ist die Sozialdemokratie vollständig in den Kapitalismus integriert.

Infolge der europäischen revolutionären Nachkriegskrise spaltete sich der radikale Flügel der Sozialdemokratie weltweit sowohl als Partei-„Kommunismus“ als auch als Rätekommunismus ab. In einigen Nationen entstanden marxistisch-leninistische Parteidiktaturen (siehe Punkt 4). In hochentwickelten privatkapitalistischen Demokratien integrierten sich marxistisch-leninistische und trotzkistische Parteien in das parlamentarische System. Indem Marxismus-Leninismus und Trotzkismus an parlamentarischen Wahlen teilnehmen, helfen sie dabei die Demokratie als Diktatur des Kapitals praktisch-geistig zu reproduzieren und die ProletarierInnen zum Stimmvieh abzurichten und braven demokratischen StaatsbürgerInnen zu erziehen.

Die sich vernetzenden Gruppen des revolutionären Anarchismus und des antileninistischen Kommunismus lehnen die politische Partei als Organisationsform des klassenkämpferischen Proletariats und der revolutionären Minderheiten ab. Ihre Kleingruppen sind weder Gewerkschaften noch politische Parteien und sie streben es auch nicht an, es zu werden.

4. Revolutionärer Antileninismus. Die politische Machtübernahme der bolschewistischen Partei im Oktober 1917 – nach dem alten russischen Kalender – stellte keine „proletarische Revolution“ dar, wie der Parteimarxismus einschließlich des Linkskommunismus behauptet, sondern der Prologder staatskapitalistischen Konterrevolution. Das sozialreaktionäre Lenin-Trotzki-Regime zerschlug die Sowjets als Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats. Ab der Verstaatlichung der Großindustrie im Frühsommer 1918 war es staatskapitalistisch. Es folgten weitere sozialreaktionäre politische Machteroberungen von marxistisch-leninistischen Parteiapparaten und die Herausbildung staatskapitalistischer Regimes in Euroasien, Afrika und auf Kuba.

Die ultrazentralistischen und überbürokratischen staatskapitalistischen Produktionsverhältnisse begünstigten die ursprüngliche, nachholende und beschleunigte Industrialisierung von einstigen Agrarnationen, aber auf Dauer konnten sie nicht der Konkurrenz des hochentwickelten Privatkapitalismus standhalten, weshalb sich in den marxistisch-leninistischen Staatsparteien proprivatkapitalistische Reformfraktionen entwickelten und die politische Macht eroberten. Diese transformierten dann den Staats- in den Privatkapitalismus. In der Sowjetunion und in Osteuropa zerfielen die marxistisch-leninistischen Parteidiktaturen. In China, Vietnam und auf Kuba wurde und wird das Kapital unter der Herrschaft der marxistisch-leninistischen Parteien privatisiert.

5. Für die klassenkämpferische Selbstorganisation und die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats. Das Proletariat kann nur in klassenkämpferischer Selbstorganisation seine Interessen und Bedürfnisse gegen Kapital und Staat durchsetzen. Die klassenkämpferische Selbstorganisation richtet sich bereits im reproduktiven Klassenkampf innerhalb des Kapitalismus gegen die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate. Besonders in längeren Arbeitsniederlegungen, die offiziell von den Gewerkschaften geführt werden, entwickeln sich teilweise Formen der Doppelherrschaft. Auf der einen Seite die Selbstorganisation der Basis und auf der anderen die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate. Die höchste Form nimmt die Selbstorganisation der Lohnabhängigen im reproduktiven Klassenkampf in gewerkschaftsunabhängigen wilden Streiks an. Ist die Arbeitsniederlegung relativ kurz und sind die Belegschaften verhältnismäßig klein, reicht oft bereits die informelle Selbstorganisation der Lohnabhängigen. Dauert der wilde Streik jedoch länger und/oder stehen größere beziehungsweise mehrere Belegschaften in ihm, dann werden offizielle Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation, gewerkschaftsunabhängige Streikkomitees, notwendig.

Revolutionäre Kleingruppen orientieren sich auf die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats, lehnen aber den Anspruch auf dessen „Führung“ ab. Ihre Funktion ist es praktisch-geistige Impulse zur Radikalisierung des Klassenkampfes zu geben. Wohl wissend, dass der Hauptimpuls zur Radikalisierung des Proletariats dessen eigener praktischer Kampf ist. RevolutionärInnen lehnen jede Stellvertreterpolitik gegenüber dem Proletariat einschließlich des Guerillakrieges getrennt vom Klassenkampf ab.

In außerordentlichen Situationen kann sich der proletarische Klassenkampf zur sozialen Revolution radikalisieren. Dann ist die revolutionäre Klassenkampforganisation notwendig. Wir verstehen darunter die Organisation der Revolution. Diese wird sowohl durch die informelle Aktion des Proletariats als auch durch offizielle Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation geprägt sein. Die Aufgabe der revolutionären Klassenkampforganisation wird die Aufhebung der Warenproduktion (Punkt 1) und die revolutionäre Zerschlagung des Staates (Punkt 2) sein. Gelingt dies, dann transformiert sich die revolutionäre Klassenkampforganisation in die klassen- und staatenlose Gemeinschaft. Die revolutionäre Klassenkampforganisation ist also die Selbstaufhebung des Proletariats als Prozess.

Diese revolutionäre Organisation des Proletariats kann nur die Warenproduktion aufheben und den Staat zerschlagen, wenn sie ganz auf der kollektiv-solidarischen Selbstorganisation der Klasse ohne bürokratische Apparate und BerufspolitikerInnen beruht. Hauptamtliche Gewerkschafts- und ParteifunktionärInnen sowie BerufspolitikerInnen haben in der revolutionären Klassenkampforganisation des Proletariats nichts zu suchen! Revolutionäre Kleingruppen der vorrevolutionären Zeit gehen in der revolutionären Klassenkampforganisation auf. Diese kann nur die klassen- und staatenlose Gesellschaft gebären, wenn sie bereits mit deren Organisationsprinzipien schwanger geht.

Wir wissen nicht, wie die zukünftige revolutionäre Klassenkampforganisation aussehen wird. Die ArbeiterInnen- und Soldatenräte der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923) waren nur potenziell und tendenziell revolutionär. Sie hatten sich noch nicht das klare Ziel der Aufhebung der Warenproduktion und der revolutionären Zerschlagung des Staates gestellt. Und sie wurden zum Beispiel in Russland zuerst von menschewistischen und „sozialrevolutionären“ BerufspolitikerInnen deformiert, die versuchten die Sowjets in den proprivatkapitalistischen Staat zu integrieren. Später wurden bolschewistische BerufspolitikerInnen in den Sowjets immer stärker. Die Bolschewiki forderten demagogisch: „Alle Macht den Sowjets!“ Als sie dann mit Hilfe der Sowjets die politische Macht erobert hatten, zerschlugen sie diese als Organe des selbstorganisierten Klassenkampfes. Daraus gibt es nur eine Lehre zu ziehen: BerufspolitikerInnen raus aus der revolutionären Klassenkampforganisation! Allen politischen Parteien – auch den linkskommunistischen – und Gewerkschaften einschließlich der anarchosyndikalistischen, die die Führung des revolutionären Proletariats anstreben, muss ordentlich auf die Finger geklopft werden!

6. Revolutionäre Kritik des Antifaschismus. SozialrevolutionärInnen bekämpfen die Demokratie kompromisslos – so wie alle anderen Staatsformen. Sie kämpfen gegen FaschistInnen, Nazis sowie Militärputsche und -diktaturen, aber verteidigen niemals die Demokratie. So wie der Antifaschismus im Zweiten Weltkrieg und im spanischen BürgerInnenkrieg demokratische Regimes gegen faschistische Staaten und Militärputsche unterstützte und damit das große kapitalistische Massaker am Weltproletariat mit organisierte, ist er auch heute in den verschiedenen Gemetzeln Teil der Rechtfertigungsideologien und Mobilisierung für die Demokratie. RevolutionärInnen lehnen Einheits- und Volksfronten mit bürgerlichen Kräften – einschließlich der Sozialdemokratie, des Marxismus-Leninismus und des Trotzkismus gegen den Neofaschismus ab. Sie bekämpfen ihn auf klassenkämpferisch-revolutionärer Grundlage.

Das ist die Lehre aus dem spanischen BürgerInnenkrieg (1936-1939), bei dem die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung – von den StalinistInnen und SozialdemokratInnen über die linkssozialistische POUM bis zur anarchosyndikalistischen CNT – mit anderen bürgerlichen Kräften eine Volksfront bildete, gegen die die Generäle unter Franco putschten. Die Volksfront führte sowohl einen innerkapitalistischen und sozialreaktionären BürgerInnenkrieg gegen die putschenden Generale als auch einen Klassenkampf von oben gegen das Proletariat und den linken Flügel der Volksfront (POUM und Basis der CNT). Den Klassenkampf von oben gewann die Volksfront, während sie den BürgerInnenkrieg gegen Franco verlor. RevolutionärInnen mussten sowohl die Volksfront als auch die putschenden Generäle bekämpfen.

7. Gegen nationale „Befreiung“/Selbstbestimmung/Autonomie. Die Nationen sind Zwangs- und Scheingemeinschaften aus Kapital und Lohnarbeit. Ihr organisierender Kern ist der Nationalstaat. Nationen beruhen ökonomisch auf der erfolgreichen Vermehrung des Nationalkapitals, politisch auf der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols und ideologisch auf den Nationalismus. Der Letztgenannte integriert die Lohnabhängigen in die jeweiligen Nationalstaaten und spaltet das Weltproletariat. Dieses wird in der globalen Interaktion der Nationen – sowohl kooperative Konkurrenz als auch konkurrenzförmige Kooperation – erbarmungslos verheizt. Die ProletarierInnen werden durch den Nationalismus in blutigen Gemetzeln aufeinandergehetzt – im Interesse des Weltkapitalismus.

RevolutionärInnen bekämpfen die nationalistische Benachteiligung und Unterdrückung von kulturellen, sprachlichen und religiösen Minderheiten sowie den Rassismus gegen Menschen mit bestimmten Hautfarben. Aber auch dagegen, dass aus diesen Minderheiten durch nationalistische Politik neue Nationen geformt werden. Für die dann entweder Autonomie in bestehenden Nationalstaaten verlangt und durchgesetzt (wie zum Beispiel „die KurdInnen“ im Nordirak und in Syrien) oder einen neuen unabhängigen Nationalstaat aufgemacht werden. Nationale „Befreiung“/Selbstbestimmung und Autonomie kann nur Kapital und Staat reproduzieren, aber eben nicht überwinden. Gegen nationalistische Unterdrückung hilft keine nationale „Befreiung“, sondern nur die soziale Befreiung von der Nation durch die mögliche Weltrevolution und die globale klassen- und staatenlose Gemeinschaft. In der globalen Konkurrenz der Nationen unterstützen die RevolutionärInnen keinen, sondern bekämpfen alle.

8. Gegen den Pazifismus. Der (klein)bürgerliche Pazifismus tritt für den bürgerlichen Frieden sowohl innerhalb der als auch zwischen den kapitalistischen Staaten ein. Doch dieser ist lediglich die nichtmilitärische Form der Konkurrenz aller gegen alle. Er ist asozial und gewalttätig. Im Inneren beruht er auf dem staatlichen Gewaltmonopol und in der Außenpolitik auf Aufrüstung. Der bürgerliche Frieden innerhalb des Kapitalismus ist nicht die Alternative zum Krieg, sondern dessen Quelle.

Der Pazifismus verlangt die freiwillige, kooperative und nennenswerte Abrüstung der kapitalistischen Staaten. Doch die ist aufgrund der globalen Konkurrenz illusorisch. Es kann nur eine wirkliche Abrüstung geben: die Zerschlagung aller Staaten durch die mögliche globale Revolution. Kompromissloser Klassenkrieg! Weltproletariat gegen Weltbourgeoisie!

9. Grundsätzliche Kritik sowohl des kapitalistischen Patriarchats als auch der bürgerlichen Frauenemanzipation im Kapitalismus. Für den revolutionären Kampf gegen das kapitalistische Patriarchat. Das kapitalistische Patriarchat ist sowohl klassenübergreifend als auch klassenspezifisch. Frauen sind innerhalb der Bourgeoisie (Kapitalistinnen, Managerinnen, Berufspolitikerinnen und Spitzenbeamtinnen) unterrepräsentiert, während die Proletarierinnen einer sexistischen Extrauausbeutung unterworfen werden. So sind zum Beispiel Frauenlöhne durchschnittlich niedriger als Männerlöhne. Ein Ausdruck des kapitalistischen Patriarchats ist auch, dass die meisten biosozialen Reproduktionstätigkeiten (einkaufen, reinigen der Wohnung, Pflege von kranken und/alten Menschen, Beaufsichtigung und Erziehung von Kindern…) sowohl innerfamiliär als auch durch Lohnarbeit durchschnittlich hauptsächlich von Frauen verrichtet werden. Weitere Aspekte des kapitalistischen Patriarchats sind die Degradierung der Frauenkörper zum Sexualobjekt – besonders in Pornographie und Prostitution –, patriarchal-sexistische Gewalt gegen Frauen einschließlich von Femiziden sowie staatliche Repression gegen Abtreibungen.

Der (klein)bürgerliche Feminismus kämpft für Gleichberechtigung von Frauen und Männern innerhalb des Kapitalismus und damit der Klassenspaltung. Er erkämpfte in seiner Geschichte das Frauenwahlrecht, die Zulassung von Frauen zu bestimmten Berufen und immer mehr Berufspolitikerinnen und Wirtschaftsmanagerinnen. Und auch die sexistische Extraausbeutung der Frauen konnte abgemildert werden. Die völlige Durchsetzung der bürgerlichen Frauenemanzipation innerhalb des Kapitalismus würde bedeuten, dass Frauen innerhalb der Bourgeoisie nicht mehr unterrepräsentiert und die Proletarierinnen nicht mehr sexistisch extra ausgebeutet werden sowie die biosozialen Reproduktionstätigkeiten gleichmäßig unter den Geschlechtern, aber ungleichmäßig zwischen den Klassen verteilt werden. Die Durchsetzung von Punkt eins ist wahrscheinlicher als der Punkte 2 und 3. Jedoch haben die Proletarierinnen nichts davon, wenn sie von mehr Politikerinnen regiert, von Kapitalistinnen ausgebeutet und von Chefinnen herumkommandiert werden. Der bürgerliche Feminismus führt geradewegs zur „feministischen Außenpolitik“ kapitalistisch-imperialistischer Staaten…

Auch wenn der (klein)bürgerliche Feminismus es noch so sehr leugnet: es gibt auch weiblichen Sexismus gegen Männer. Klar, die bürgerliche Kleinfamilie ist grundsätzlich – auch von ihrer Geschichte her – patriarchal und vom männlichen Sexismus geprägt. Aber es gibt auch zwischenmenschliche Beziehungen, in denen Frauen Männer unterdrücken. Und auch sexuelle Belästigung von Männern durch Frauen. Dieser weibliche Sexismus kommt auch teilweise im (klein)bürgerlichen Feminismus zum Ausdruck. Zum Beispiel wenn in der feministischen Ideologie teilweise unterschwellig anklingt, aber manchmal auch offen behauptet wird: Frauen sind die besseren Menschen. Oder wenn einige Feministinnen gegen trans Frauen als „Männer in Frauenkleidern“ hetzen. Das ist nicht „nur“ transfeindlich, sondern auch sexistisch gegen Männer. RevolutionärInnen bekämpfen den weiblichen Sexismus genauso konsequent wie den männlichen.

RevolutionärInnen stellen der bürgerlichen Frauenemanzipation im Kapitalismus grundsätzlich den revolutionären Kampf gegen das Patriarchat gegenüber. Durch die soziale Revolution sowie die klassen- und staatenlose Gemeinschaft können viele biosoziale Reproduktionstätigkeiten, die im Kapitalismus hauptsächlich innerfamiliär und von Frauen verrichtet werden, auf freiwilliger Grundlage vergesellschaftet und auf alle Geschlechter fair verteilt werden. Nur durch die revolutionäre Aufhebung der Ware-Geld-Beziehung sowie des sozialen und sexuellen Elends kann auch die Prostitution überwunden werden. Ihr staatliches Verbot, die Teile des Feminismus fordern, können diese nur in den Untergrund treiben und das Leben der Prostituierten erschweren.

10. Gegen heterosexuelle und geschlechtliche Normierungen – aber auch gegen die verlogene staatliche „Regenbogentoleranz“ und kleinbürgerliche Identitätspolitik. RevolutionärInnen bekämpfen sowohl die staatliche Repression gegen Menschen, die der heterosexuellen und binären Geschlechternorm nicht entsprechen – homo-/bisexuelle, nichtbinäre und trans Menschen – in jenen Ländern, wo diese besteht, als auch die verlogene „Regenbogentoleranz“ von in dieser Frage liberaleren Nationen und Staatenbündnisse. Grundsätzlich braucht der Kapitalismus keine heterosexuellen und geschlechtlichen Normierungen. Solange Schwule, Lesben, nichtbinäre und trans Menschen durch fleißige Produktion und aufgeschlossenem Konsum das Kapital vermehren sowie brave StaatsbürgerInnen sind, ist für den modernen Liberalismus alles in Ordnung. Liberale Staaten und Staatenbündnisse wie die Europäische Union (EU) machen auch die „Regenbogentoleranz“ zur imperialistischen Waffe gegen Staaten, mit denen sie aus anderen Gründen konkurrieren und die repressiv die heterosexuelle und geschlechtliche Normierung durchsetzen.

RevolutionärInnen unterschieden zwischen biologischen Geschlechtern, sozialen Geschlechterrollen und individuellen Geschlechtsidentitäten. Soziale Geschlechterrollen wollen sie durch die soziale Revolution aufheben (siehe Punkt 9), während sie alle individuelle Geschlechtsidentitäten tolerieren, solange die sich nicht gegen andere richten. Soll jede/r nach seiner/ihrer Fasson glücklich werden. Aber RevolutionärInnen wissen auch, dass im Kapitalismus alle Identitäten – unter anderem „Nation“, Hautfarbe, Religion, biologisches Geschlecht, soziale Geschlechterrolle und individuell Geschlechtsidentität sowie sexuelle Orientierung – zu Kostümen im Konkurrenzkampf aller gegen alle werden. Der rechtskonservativ-neofaschistische Konkurrenzchauvinismus gegen „AusländerInnen“, „Nichtweiße“, Homosexuelle, nichtbinäre und trans Menschen genau wie die linksliberale Hetze gegen „cis-Männer“ und „alte, weiße Männer“ – damit die jungen, „nichtweißen“ Frauen innerhalb von KleinbürgerInnentum und Bourgeoisie ordentlich Karriere machen können. RevolutionärInnen bekämpfen sowohl die rechtskonservativ-neofaschistische als auch die linksliberale Identitätspolitik als Konkurrenzchauvinismus und Spaltung des Weltproletariats.

11. Grundsätzliche Kritik des bürgerlichen „Umweltschutzes“ innerhalb des Kapitalismus. Für die Reinigung des Planeten von kapitalistischem Dreck! Das kapitalistische Produktionsverhältnis, in dem sich alles um die grenzenlose Vermehrung des Tauschwertes/Geldes dreht, ist absolut sozialreaktionär und zerstörerisch gegen die pflanzliche und tierische Mitwelt. Die massenhafte Vergiftung, Zubetonierung, Vermüllung und Entwaldung unseres Planeten, der Klimawandel und das massenhafte Artensterben sind lebensgefährliche Ausdrücke der vom Kapitalismus permanent produzierten sozialökologischen Krise. Die technokratischen Versuche der kapitalistischen Staaten den Klimawandel zumindest einzudämmen, verschärfen diese Krise nur. Elektromobilität statt Verbrennungsmotor! Auf dass der lebensgefährliche, ressourcenverschwenderische und zerstörerische, aber eben auch sehr profitable Individualverkehr weiter reproduziert wird. Und Wälder für neue Autobahnen weichen müssen. Eindämmung des Klimawandels durch Windräder in „Naturschutzgebieten“! So sehen die „Lösungen“ der kapitalistischen Technokratie aus.

Auch die klassenübergreifende Umweltbewegung ist aus sich heraus nicht in der Lage, die kapitalistische Vernichtung der pflanzlichen und tierischen Mitwelt sowie den Klimawandel aufzuhalten. Nur die mögliche Weltrevolution kann durch die Überwindung der kapitalistischen Produktions- und Konsumtionsverhältnisse die ökosoziale Krise eindämmen. Dies spricht nicht dagegen, dass RevolutionärInnen an lokalen Bewegungen gegen konkrete kapitalistische Naturzerstörungen teilnehmen, um radikalisierende Impulse zu geben. Aber sie müssen immer die strukturelle kleinbürgerliche Beschränktheit auch der radikalsten klassenübergreifenden Umweltbewegung kritisieren. In der institutionalisierten Umweltbewegung, also in den verschiedenen kleinbürgerlichen Vereinen, haben RevolutionärInnen grundsätzlich nichts verloren.

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https://sbefreiung.blackblogs.org/2024/07/30/fuer-die-globale-vernetzung-von-revolutionaeren-anarchistinnen-und-antileninistischen-kommunistinnen/feed/ 0
Für eine revolutionäre Antikriegsposition! https://sbefreiung.blackblogs.org/2024/01/20/fuer-eine-revolutionaere-antikriegsposition/ Sat, 20 Jan 2024 00:17:53 +0000 https://sbefreiung.blackblogs.org/?p=987 Die extreme Verschärfung der zwischenstaatlichen Konkurrenz

Die internationale Staatengemeinschaft des Weltkapitalismus beruht auf der kooperativen Konkurrenz und der konkurrenzförmigen Kooperation der kapitalistischen Nationen. Letztere sind Zwangsgemeinschaften aus Kapital und Lohnarbeit, die durch die nationalistische Ideologie und die Praxis des Nationalstaates am Leben gehalten werden. Nationen sind also Scheingemeinschaften aus AusbeuterInnen und Ausgebeuteten, UnterdrückerInnen und Unterdrückten.

Der Nationalismus nutzt der herrschenden kapitalistischen Klasse, der Bourgeoisie (KapitalistInnen, WirtschaftsmanagerInnen, hohe BerufspolitikerInnen und SpitzenbeamtInnen des Staates), um die Lohnabhängigen in der zwischenstaatlichen Konkurrenz gnadenlos zu verheizen.

Die zwischenstaatliche Konkurrenz basiert auf der kapitalistischen Ökonomie (der Kampf um Rohstoffquellen, billige Arbeitskräfte und Absatzmärkte), lässt sich aber nicht auf diese einengen. Staaten führen mitunter auch für ihre nationale Souveränität über ökonomisch nicht so bedeutungsvolle Territorien blutige Kriege.

Der bürgerliche Frieden ist lediglich die nichtmilitärische Form des zwischenstaatlichen Konkurrenzkampfes. Er ist keine Alternative zum imperialistischen Krieg, sondern dessen Quelle. Die friedliche Kooperation der kapitalistischen Staaten untereinander ist eine besondere Form des Klassenkrieges gegen das Weltproletariat. Das kapitalistische Pack schlägt und verträgt sich – aber immer auf unsere Kosten!

Frieden und Krieg sind innerhalb des Weltkapitalismus keine starren Gegensätze, sondern gehen dialektisch ineinander über. Die Staaten bereiten im Frieden den nächsten Krieg und im Krieg den kommenden Frieden vor. Das Proletariat wird in Frieden und Krieg verheizt. Proletarischer Klassenkrieg dem kapitalistischen Frieden, der auf der Ausbeutung der Lohnarbeit beruht!

Die kapitalistische Krisendynamik hat die Tendenz, die zwischenstaatliche Konkurrenz zu verschärfen und diese spitzt wiederum die kapitalistische Krise zu. Sowohl die Wirtschaftskriege als auch die verschiedenen militärischen Massaker sind die extremsten Ausdrücke der zwischenstaatlichen Konkurrenz. In beiden wird das Leben, die Gesundheit und das Glück von Abermillionen ProletarierInnen und KleinbürgerInnen auf dem Altar der nationalen Souveränität und den Interessen der Nation geopfert. Das Weltproletariat massakriert sich gegenseitig im permanenten kapitalistischen Weltkrieg. Es ist die Manövriermasse der friedlichen Kooperation und der kriegerischen Konflikte. Der kapitalistische Krieg ist die extremste Form des politischen Klassenkampfes von oben, den die Bourgeoisie gegen das Proletariat führt.

Egal ob im imperialistischen Stellvertreterkrieg zwischen NATO und Russland in der Ukraine ab Februar 2022, dem Massaker, das die islamistische Hamas und das zionistische Regime arbeitsteilig-konkurrenzförmig in Israel/Palästina organisieren, oder bei der militärischen Eroberung von Bergkarabach und Zerschlagung der Republik „Arzach“ als bisheriger Spielkarte des armenischen Imperialismus – die er schließlich preisgeben musste – durch Aserbaidschan im September 2023: ProletarierInnen werden in der zwischenstaatlichen Konkurrenz ermordet, verstümmelt, psychisch kaputtgemacht, vergewaltigt und vertrieben.

Es ist die Aufgabe der bürgerlichen Politik, Frieden und Krieg zu organisieren. Wir können dabei die Rechts- und die Linksreaktion sowie die extreme Mitte unterscheiden. All diese Kräfte wollen nur das eine: den Staat als politischen Gewaltapparat der Kapitalvermehrung regieren. Dazu müssen sie „regierungsfähig“ sein – das heißt, bereit zum totalen Klassenkrieg gegen das Proletariat. Der im Inland wird „Innenpolitik“ genannt und der im Ausland „Außenpolitik“.

Auch große Teile der linkspolitischen KleinbürgerInnen, die noch nicht völlig in den jeweiligen kapitalistischen Nationalstaat integriert sind, können mit ihrer Realpolitik nur den bürgerlichen Frieden und den imperialistischen Krieg reproduzieren.

Gegen NATO-„Anarchismus“ und Kreml-„Kommunismus“!

Auch der imperialistische Stellvertreterkrieg zwischen NATO und Russland in der Ukraine hat seine jeweiligen linken UnterstützerInnen. Die kapitalistisch-reaktionäre Fratze der globalen Linksreaktion ist unter „anarchistischen“ oder „kommunistischen“ Masken verhüllt.

So unterstützen weltweit einige „AnarchistInnen“ das Kiewer Regime und die NATO gegen den russländischen Imperialismus in der Ukraine. Sowohl ideologisch als auch praktisch, indem sie innerhalb der ukrainischen Streitkräfte für diesen Nationalstaat und den westlichen Imperialismus töten und getötet werden.

In Russland unterstützt die „Kommunistische“ Partei der Russländischen Föderation („K“PRF) den Krieg Moskaus in der Ukraine. Während das Verhalten der „K“PRF eindeutig national-chauvinistisch ist, können einige marxistisch-leninistische Parteien in der Ukraine und innerhalb der NATO-Nationen – in der BRD zum Beispiel die Deutsche „Kommunistische“ Partei (D„K“P) –, die bei diesem imperialistischen Gemetzel auf der Seite Russlands stehen, sich mit scheinradikalen Phrasen wie „Der Hauptfeind steht im eigenen Land!“ schmücken. Es gibt jedoch weder Haupt- noch NebenfeindInnen für RevolutionärInnen. Der Feind ist der Weltkapitalismus mit all seinen nationalen und politischen Charaktermasken – einschließlich der linken KriegstreiberInnen.

Kompromissloser Kampf gegen den NATO-„Anarchismus“ und Kreml-„Kommunismus“! Kann es etwas Ekelhafteres geben, als mit „kommunistischen“ und „anarchistischen“ Phrasen die Massaker des Weltkapitals am Weltproletariat mitzuorganisieren?! Reißen wir der globalen Linksreaktion, dieser widerlichen Eiterbeule des Weltkapitalismus, die „anarchistischen“ und „kommunistischen“ Masken herunter!

Gegen Sozialreformismus, Pazifismus und Nationalismus!

Aber auch unter jenen politischen Kräften, die sich im imperialistischen Gemetzel zwischen NATO und Russland in der Ukraine nicht offen auf eine der beiden Seiten stellen, sind die meisten bürgerlich-reformistisch und national.

Bürgerliche ReformistInnen und PazifistInnen stellen die Quelle des imperialistischen Krieges, den bürgerlichen Frieden innerhalb des Kapitalismus, als Alternative zum ersteren dar. Der von ihnen gewünschte Zustand ist die friedliche Kooperation der kapitalistischen Staaten – also der Ausbeuter und strukturellen Klassenfeinde des Weltproletariats. Diese friedliche Kooperation gibt es ja auch. Aber eben nur untrennbar zusammen mit dem Krieg, der militärischen Form der zwischenstaatlichen Konkurrenz. PazifistInnen wollen die Staaten erhalten, aber diese sollen bitte schön keine Kriege mehr untereinander führen. Das ist total unrealistisch.

PazifistInnen fordern die kooperative und freiwillige militärische Abrüstung der Staaten. Doch das werden diese niemals tun. Es kann nur eine wirkliche Abrüstung geben – die globale antipolitisch-sozialrevolutionäre Zerschlagung aller Staaten durch das Weltproletariat.

ReformistInnen und PazifistInnen werden jetzt sagen, dass diese mögliche globale soziale Revolution unrealistisch sei. Und jene ReformistInnen, die sich selbst und andere durch eine „revolutionäre“ Maske betrügen, stellen durch eine messerscharfe Analyse fest, dass ja jetzt keine revolutionäre Situation bestehe. Im hier und jetzt fordern alle ReformistInnen und PazifistInnen, dass die KriegstreiberInnen Waffenstillstände und Frieden schließen.

Das ist insofern realistisch, dass kein Krieg ewig dauern kann. Entweder siegt eine Seite militärisch, dann gibt es einen Siegfrieden zugunsten dieser Seite oder der Krieg wird wegen Erschöpfung beider Seiten durch einen Kompromissfrieden eingestellt. So endete zum Beispiel der Koreakrieg (1950-1953). Da im indirekten Krieg zwischen den Atomwaffenmächten NATO und Russland in der Ukraine keine Seite militärisch gewinnen kann, ohne den atomaren Overkill zu riskieren, wird es wahrscheinlich irgendwann einen Kompromissfrieden geben. Der Krieg ist schon jetzt ziemlich festgefahren, aber noch sind beide Seiten nicht zu einem Kompromissfrieden bereit.

Doch der Zyklus aus Frieden und Krieg kann durch Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen nicht überwunden werden. Der bürgerliche Frieden als Quelle des imperialistischen Krieges kann nur durch die soziale Weltrevolution überwunden werden. Diese stellt keine Gesetzmäßigkeit dar, sondern eine Möglichkeit, die sich aus der Radikalisierung des proletarischen Klassenkampfes ergeben kann. Auch in nichtrevolutionären Zeiten bekämpfen RevolutionärInnen Kapital und Staat konsequent. Einschließlich von Sozialreformismus und Pazifismus, die nur Kapital, Staat und Nation praktisch-geistig reproduzieren können.

Die (klein)bürgerlichen KriegsgegnerInnen sind national, während eine revolutionäre Antikriegsposition nur antinational sein kann. In Deutschland führt die extreme Mitte den indirekten militärischen Krieg in der Ukraine sowie den Wirtschaftskrieg der NATO und der EU gegen Russland mit viel Leidenschaft für den demokratischen Menschenrechtsfanatismus. Der deutsche Imperialismus kämpft für das globale Menschenrecht – besonders dort, wo er mit den Regierungen eine Rechnung offen hat.

Die völkisch-rechtsnationalistische Alternative für Deutschland (AfD) und das sozialdemokratisch-linksnationale „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) werfen der Bundesregierung vor, diese würde im Wirtschaftskrieg gegen Russland nicht deutsche, sondern US-amerikanische Interessen vertreten. Die Dummköpfe der Regierung würden durch den Boykott russländischen Gases „unsere Wirtschaft“ ruinieren. AfD und BSW vertreten objektiv die Interessen jener Einzelkapitale, deren ökonomischen Interessen durch den Wirtschaftskrieg gegen Russland unter die Räder kommen.

Die deutsche Industrie ist nicht „unsere“. Wir werden in ihr als Lohnabhängige ausgebeutet und im globalen Konkurrenzkampf verheizt. Das eint uns mit unseren globalen Klassengeschwistern. Revolutionäre ProletarierInnen fühlen sich nicht als „Deutsche“ „FranzösInnen“, „RussInnen“ „UkrainerInnen“, „Israelis“ oder „PalästinenserInnen“, sondern als Teil des Weltproletariats. Als Teil der Klasse, die potenziell den Kapitalismus zertrümmern, sich selbst revolutionär aufheben und dabei die klassen- und staatenlose Gesellschaft gebären kann!

Wir revolutionären ProletarierInnen müssen weltweit gegen die nationalistischen, rassistischen, religiösen und sexistischen Spaltungslinien kämpfen.

Unsere Solidarität ist antinational. Nationale „Befreiung“ und „Selbstbestimmung“ schaffen nur neue kapitalistische Staaten beziehungsweise nationale Autonomie innerhalb von bestehenden. Unsere Solidarität mit der jüdischen/israelischen und palästinensischen Zivilbevölkerung richtet sich gegen die zionistischen und islamistischen KriegstreiberInnen. SozialrevolutionärInnen müssen weltweit Prozionismus und die linksnationale Palästina-Solidarität bekämpfen. Das zionistische Israel muss wie alle Staaten antipolitisch-sozialrevolutionär zerschlagen werden, wenn wir ProletarierInnen uns weltweit aus kapitalistischer Ausbeutung und politischer Elendsverwaltung befreien wollen. Wer für einen palästinensischen Staat – der nur kapitalistisch sein kann – eintritt, ist ein struktureller Klassenfeind des Weltproletariats. Das Hamas-Regime im Gazastreifen gab und gibt uns ein Vorgeschmack darauf, wie sozialreaktionär ein palästinensischer Staat wäre!

Nicht nur die Hamas, sondern auch die marxistisch-leninistischen Kräfte Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) und Demokratische Volksfront zur Befreiung Palästinas (DFLP) sind Teil des nationalistischen Gemetzels, bei der die israelischen und palästinensischen Lohnabhängigen aufeinandergehetzt und massenweise abgeschlachtet werden. Keine Solidarität mit dem zionistischen Staat Israel und auch keine mit dem palästinensischen Nationalismus!

Wir bekämpfen auch mit aller Entschiedenheit die nationalpazifistische Phrase von der „Völkerverständigung“. Wer sind die „Völker“? Die klassengespaltenen – Bourgeoisie, KleinbürgerInnentum und Proletariat – Insassen der kapitalistischen Staaten. Hinter der ideologischen „Volksherrschaft“ (Demokratie), die jeder Staat beansprucht zu sein, verbirgt sich die reale Herrschaft der Bourgeoisie. „Völkerverständigung“ ist real nichts anderes als die Kooperation der Staaten im Frieden – eine nette Phrase für die Zeit vor dem Gemetzel. Und im Krieg heißt es praktisch: „Völker“, massakriert euch gegenseitig zum Wohle der kapitalistischen Nationen.

RevolutionärInnen treten dafür ein, dass sich das Weltproletariat klassenkämpferisch aus den klassenneutralen „Völkern“ herausschält und sich zur revolutionären Zerschlagung des globalen Kapitalismus vereint – sonst wird es ewig in der zwischenstaatlichen Konkurrenz Manövriermasse bleiben, die in unzähligen Gemetzeln verheizt wird. Weltweiter Klassenkrieg für die Zerschlagung aller Nationen statt „Völkerverständigung“!

Die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung und der imperialistische Krieg

Die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung in Form von Gewerkschaften und politischen „ArbeiterInnen“-Parteien ist der bürgerlich-bürokratisch entfremdete Ausdruck des reproduktiven Klassenkampfes der Lohnabhängigen.

Im „Normalfall“ der kapitalistischen Entwicklung entfaltet sich der Klassenkampf innerhalb der Grenzen des Kapitalismus. Das Proletariat kämpft für eine bessere biosoziale Reproduktion innerhalb des Kapitalismus – für höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten, eine geringere Arbeitsintensität und gegen den Klassenkampf von oben. Wir nennen diesen Klassenkampf reproduktiv. Nur eine nanokleine Minderheit der Lohnabhängigen und Intellektuellen strebt in nichtrevolutionären Zeiten bewusst eine soziale Revolution an.

Jedoch hat bereits der reproduktive Klassenkampf seine revolutionären Tendenzen und Potenzen. Im und durch ihn, besonders in branchenübergreifenden Massenstreiks, wird der Riss zwischen AusbeuterInnen und Ausgebeuteten innerhalb der Nationen deutlich. Es ist notwendig, dass das klassenkämpferische Proletariat die nationalistisch-rassistischen Spaltungslinien überwindet. Manchmal gelingt das dem Proletariat bereits im reproduktiven Klassenkampf, manchmal jedoch auch nicht.

Die Lohnabhängigen organisieren sich bereits im Ringen für höhere Löhne, kürzere Arbeitszeiten und gegen die Angriffe von oben klassenkämpferisch gegen die Interessen von Kapital und Staat selbst – für ihre eigenen Interessen und Bedürfnisse. Die klassenkämpferische Selbstorganisation der Lohnabhängigen ist eine gewaltige revolutionäre Tendenz und Potenz. Sie richtet sich tendenziell und potenziell auch gegen die bürgerlich-bürokratischen Gewerkschafts- und Parteiapparate der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung.

Im frühen Industriekapitalismus gingen auch die demokratischen Staaten absolut repressiv gegen das klassenkämpferische Proletariat, die Gewerkschaften und politische „ArbeiterInnen“-Parteien vor. Streiks sowie Gewerkschaften waren absolut verboten und das Proletariat hatte noch kein Wahlrecht.

Doch große Teile der Weltbourgeoisie lernte in einem längeren praktischen Prozess, dass in einer Klassengesellschaft der Klassenkampf nicht effektiv absolut zu verbieten war. Das war eine zu unflexible Keule, die auch der Bourgeoisie auf die eigenen Füße fiel. Der moderne Industriekapitalismus verwirklicht das allgemeine Wahlrecht, befriedet den Klassenkampf durch ein demokratisches Streikrecht und integriert Gewerkschaften sowie politische „ArbeiterInnen“-Parteien in die jeweiligen Nationalstaaten. Das sind wesentlich effektivere Waffen gegen das klassenkämpferische Proletariat.

Sehen wir uns das am Beispiel der BRD genauer an. Das demokratische Streikrecht in Deutschland erlaubt keine „politischen Streiks“ gegen den Staat als Gesetzgeber. Nur gegen den Staat als „Arbeitgeber“ (= Ausbeuter) im öffentlichen Dienst dürfen die Lohnabhängigen legal die Arbeit niederlegen. Und auch nur die Angestellten, BeamtInnen haben in der BRD kein Streikrecht. Lohnabhängige können in Deutschland nur unter zwei Bedingungen legal in den Ausstand treten: Erstens, wenn diese unter der offiziellen Führung von Gewerkschaften stehen und zweitens, wenn sie für Dinge (Löhne, Arbeitszeit…) geführt werden, die in einem Tarifvertrag zwischen Kapital/Staat auf der einen und den Gewerkschaften auf der anderen Seite münden können.

Das demokratische Streikrecht der BRD gibt also den bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparaten – deren hauptamtliche FunktionärInnen objektiv sozial nicht zum Proletariat gehören, sondern eine besondere Schicht von ManagerInnen darstellen – ein Streikmonopol. Das ist eine sehr effektive Waffe gegen die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats. Durch das Tarifvertragssystem wurden die deutschen Gewerkschaftsapparte zu Co-Managerinnen der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnarbeit.

Der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und seine Einzelgewerkschaften sind tief in den deutschen Staat integriert. Der DGB ist der Hausgewerkschaftsbund des deutschen Imperialismus. Als solcher unterstützt er auch imperialistische Kriege. Zum Beispiel 1999 den NATO-Krieg unter deutscher Beteiligung gegen Jugoslawien. Und auch der Wirtschaftskrieg gegen Russland und die Aufrüstung der Ukraine durch Deutschland wird vom DGB-Apparat und den Führungen seiner Mitgliedsgewerkschaften unterstützt. Das ist „gute“ alte Gewerkschaftstradition: Die deutschen Gewerkschaften standen schon im Ersten Weltkrieg auf der Seite des deutschen Imperialismus.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sind nicht sozialemanzipatorisch und klassenkämpferisch reformierbar, sie müssen langfristig durch die revolutionäre Klassenkampforganisation des Proletariats zerschlagen werden. Selbstverständlich können RevolutionärInnen in nichtrevolutionären Zeiten einfache Gewerkschaftsmitglieder sein, jedoch haben sie in neben- und hauptamtlichen Gewerkschaftsfunktion nichts zu suchen.

Der DGB und seine Mitgliedsgewerkschaften sind klassengespalten in einem bürgerlich-bürokratischen Apparat auf der einen und der lohnabhängig-klassenkämpferischen Basis auf der anderen Seite. Dieser Klassengegensatz zwischen den Gewerkschaftsapparaten und den Lohnabhängigen kommt bereits im reproduktiven Klassenkampf zum Ausdruck. Besonders in längeren, offiziell noch unter Gewerkschaftskontrolle stehenden Arbeitsniederlegungen entwickelt sich eine Doppelherrschaft aus der informellen klassenkämpferischen Selbstorganisation der Lohnabhängigen auf der einen und den Gewerkschaftsapparaten auf der anderen Seite heraus. Der wilde Streik ohne und gegen die Gewerkschaftsapparate ist der Höhepunkt der Selbstorganisation der Lohnabhängigen im reproduktiven Klassenkampf. Sind die Ausstände kurz und sind die Streikbelegschaften relativ klein, reicht oft schon die informelle Form der klassenkämpferischen Selbstorganisation aus. Bei längeren Arbeitsniederlegungen und größeren und/oder mehreren streikenden Belegschaften sind gewerkschaftsunabhängige Streikkomitees nötig.

Selbstverständlich gibt es global radikalere Gewerkschaften als den DGB, die teilweise auch Antikriegsaktionen organisieren, wie zum Beispiel in Italien die USB, allerdings auf pazifistisch-reformistischer Grundlage. Gewerkschaften sind Organisationen des reproduktiven Klassenkampfes, können aber nicht revolutionär sein. Die Behauptung des Anarchosyndikalismus, es könne revolutionäre Gewerkschaften geben und er würde sie aufbauen, hat er selbst durch seine eigene Praxis widerlegt. Durch seine opportunistische Anpassung an das Tarifvertragssystem und das reformistische Bewusstsein der Mehrheit der Lohnabhängigen ist der Anarchosyndikalismus schon lange Teil des globalen Gewerkschaftsreformismus.

Mit den Gewerkschafen und ihren hauptamtlichen FunktionärInnen sind keine revolutionären Antikriegsbündnisse möglich.

Nicht nur die Gewerkschaftsapparate, sondern auch die politischen Parteiapparate der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung zeigten und zeigen im imperialistischen Krieg ihr sozialreaktionäres Gesicht. Bei den parlamentarisch-politischen „ArbeiterInnen“-Parteien können wir zwischen sozialdemokratischen, marxistisch-leninistischen und trotzkistischen unterscheiden. Alle „ArbeiterInnen“-Parteien sind klassengespalten in einen bürgerlich-bürokratischen Apparat und eine kleinbürgerlich-proletarische Basis. Die Haupttendenz der Parteiapparate ist es, sich in den Kapitalismus zu integrieren.

Sozialdemokratische Parteien wurden und werden durch den parlamentarischen Sozialreformismus – im Parlament für soziale Reformen ringen – in den Kapitalismus integriert. Die politische Macht wird für sozialdemokratische Parteien wichtiger als die sozialen Reformen. Aber auch letztere können nur Kapital und Staat reproduzieren, stehen also in einem sozialreaktionären Gesamtzusammenhang. Der parlamentarische Sozialreformismus reproduziert die Lohnabhängigen als Stimmvieh, die im politischen Wahlzirkus BerufspolitikerInnen ermächtigen den bürgerlichen Staat zu regieren oder systemloyal in ihm zu opponieren. Die Sozialdemokratie entwickelte sich weltgeschichtlich aus einem pseudorevolutionären BürgerInnen-Schreck zuerst zu einer objektiv systemloyalen Oppositions- und schließlich zu einer anerkannten Regierungskraft des Kapitalismus.

Die Sozialdemokratie hat als Regierungspartei schon viele Gemetzel mitorganisiert. Auch die deutsche. So organisierte die SPD auf Seiten des deutschen Imperialismus 1914 den Ersten Weltkrieg mit, 1999 den NATO-Krieg gegen Jugoslawien, die militärische Besetzung Afghanistans ab 2001 und den indirekten Stellvertreterkrieg gegen Russland in der Ukraine durch die Bewaffnung des Kiewer Regimes und die Mitausbildung seiner SoldatInnen.

In Deutschland gibt es noch zwei weitere sozialdemokratische Formationen, die Partei Die Linke und das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW). Über das linksnationale Agieren der BSW haben wir schon oben geschrieben. Die Partei Die Linke unterstützt in großen Teilen – besonders dort, wo sie bereits Regierungsverantwortung übernimmt – den deutschen Imperialismus gegen Russland.

Aber auch die marxistisch-leninistischen und trotzkistischen Parteiapparate haben sich bereits als strukturelle Klassenfeinde des Proletariats erwiesen. In Agrarnationen konnten marxistisch-leninistische Parteiapparate durch Staatsstreiche (zum Beispiel der bolschewistische Oktoberstaatsstreich von 1917), durch siegreiche BürgerInnen- und Guerillakriege (beispielsweise: China, Kuba und Vietnam) die politische Macht erobern und die industriellen Produktionsmittel verstaatlichen. Das nannte und nennt der Marxismus-Leninismus „Sozialismus“. Wir nennen es Staatskapitalismus. Die von den marxistisch-leninistischen Politbonzen beherrschten Staaten beuteten die Lohnabhängigen kapitalistisch aus. Auch durch die Expansion des sowjetischen Imperialismus nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden in Osteuropa staatskapitalistische Regimes.

Der Staatskapitalismus ermöglichte einigen Agrarnationen sich ursprünglich, nachholend und beschleunigt zu industrialisieren, konnte aber langfristig nicht erfolgreich gegen den hochentwickelten Privatkapitalismus konkurrieren. Deshalb entwickelten sich in den marxistisch-leninistischen Staatsparteien proprivatkapitalistische Fraktionen, die das Kapital wieder privatisierten. Während die staatskapitalistische Sowjetunion nationalistisch in privatkapitalistische Nachfolgerstaaten zerfiel – einschließlich von Russland und der Ukraine – und sich die marxistisch-leninistischen Regimes Osteuropas in Demokratien umwandelten, entwickelte sich die Transformation vom Staats- zum Privatkapitalismus in China, Vietnam (in den beiden Ländern ist sie abgeschlossen) und auf Kuba (dort nimmt sie auch gewaltig an Fahrt auf) unter der Diktatur der „Kommunistischen“ Parteien.

In hochentwickelten privatkapitalistischen Nationen war und ist die selbständige politische Machteroberung von marxistisch-leninistischen Parteiapparaten unmöglich. Sie scheitert hier an der starken Macht der Bourgeoisie. Außerdem wäre der Staatskapitalismus in bereits industrialisierten Nationen auch kein ökonomisch-technischer „Fortschritt“ – der selbstverständlich im Kapitalismus immer sozialreaktionär sowie die tierische und pflanzliche Mitwelt zerstörend ist. Im Privatkapitalismus war für die marxistisch-leninistischen Parteien also nur die Reproduktion des parlamentarischen und gewerkschaftlichen Sozialreformismus in verbalradikaler Verpackung möglich.

Außerdem agierten sie als verlängerter Arm der Außenpolitik staatskapitalistischer Nationen – die untereinander auch konkurrierten und Kriege führten. Die prosowjetischen marxistisch-leninistischen Parteien unterstützten Moskau sowohl im Zweiten Weltkrieg als auch im ersten Kalten Krieg, die maoistischen das mit dem Kreml ab 1960 verfeindete Peking… Auf diese Weise wurden die marxistisch-leninistischen Parteien zu aktiven Kräften der zwischenstaatlichen Konkurrenz, die das Weltproletariat verheizt und spaltet. Die D„K“P unterstützte zwei Jahrzehntelang lang die staatskapitalistischen Nationen DDR und Sowjetunion, heute im zweiten Kalten Krieg die privatkapitalistischen Staaten Russland und China. Die maoistische Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) bekämpft zwar auch den russländischen und chinesischen Imperialismus, aber auf von uns oben kritisierten sozialreformistischen, pazifistischen und nationalistischen Grundlagen.

Der Trotzkismus entstand durch Machtkämpfe innerhalb der staatskapitalistischen „Kommunistischen“ Partei der Sowjetunion („K“PdSU). Trotzki war von 1918 bis 1923 in der staatskapitalistischen Sowjetunion neben Lenin der führende Staatsbourgeois, der aber später von Stalin schrittweise entmachtet und schließlich 1929 aus der Sowjetunion ausgewiesen und 1940 von einem Kremlagenten ermordet wurde. Der orthodoxe Trotzkismus bezeichnete die Sowjetunion und andere staatskapitalistische Regimes als „bürokratisch deformierte ArbeiterInnenstaaten“. Im Zweiten Weltkrieg, der von allen Seiten ein imperialistisches Abschlachten war, unterstützte der Trotzkismus den sowjetischen Imperialismus. Innerhalb des Privatkapitalismus vertritt der Trotzkismus ähnlich wie der Marxismus-Leninismus einen gewerkschaftlichen und parlamentarischen Sozialreformismus, der nur Kapital und Staat praktisch-geistig reproduzieren kann.

Wenn auch einige linkssozialdemokratische, marxistisch-leninistische und trotzkistische Gruppierungen in einzelnen heutigen imperialistischen Kriegen beide Seiten bekämpfen, nehmen sie jedoch grundsätzlich zum zwischenstaatlichen Konkurrenzkampf keinen revolutionären Standpunkt ein. Die meisten von ihnen unterstützen die nationale „Befreiung“ und „Selbstbestimmung“. Diese kann jedoch nur kapitalistisch-sozialreaktionär und Futter des globalen Konkurrenzkampfes der Nationen sein. Revolutionäre Kräfte können und dürfen deshalb grundsätzlich keine Antikriegsbündnisse mit der linken Sozialdemokratie, dem Marxismus-Leninismus und Trotzkismus eingehen.

Zu einem radikalen Bruch mit dem parlamentarischen und gewerkschaftlichen Sozialreformismus war und ist nur der Links- und Rätekommunismus, einige revolutionäre AnarchistInnen und unser antipolitischer Kommunismus fähig. Der gewerkschaftsfeindliche und antiparlamentarische, aber parteiförmige Linkskommunismus bildete sich während der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923) und danach besonders in Deutschland (die Kommunistische Arbeiterpartei Deutschlands (KAPD)), in den Niederlanden und in Italien heraus. Die konsequentesten LinkskommunistInnen lehnen auch die nationale „Befreiung“ und „Selbstbestimmung ab. Allerdings ideologisiert der Linkskommunismus den bolschewistischen Oktoberstaatsstreich von 1917 zur „proletarischen Revolution“. Die progressivste Tendenz des Linkskommunismus war und ist aber die konsequente Kritik des Antifaschismus und dass er sowohl im spanischen BürgerInnen- als auch im Zweiten Weltkrieg alle Seiten bekämpft hat.

Der noch radikalere Rätekommunismus brach mit dem Mythos der „proletarischen Oktoberrevolution“ in Russland 1917. Allerdings erkannten auch viele RätekommunistInnen nicht den absolut sozialreaktionären Charakter der politischen Machteroberung der leninistischen Parteiapparate und ideologisierten diese zur „bürgerlichen Revolution“, die zwar nicht proletarisch-revolutionär, aber doch irgendwie „fortschrittlich“ gewesen sei. Auch brachen nicht alle RätekommunistInnen grundsätzlich mit der politischen Partei als bürgerlich-bürokratischer Organisationsform (zum Beispiel Paul Mattick und Willy Huhn), im Gegensatz zu Cajo Brendel.

Während des Zweiten Weltkrieges zerbrachen die rätekommunistischen Organisationen in den Niederlanden und den USA. Die RätekommunistInnen bekämpften aber als Individuen sowohl die faschistische als auch die antifaschistische Seite des großen Massakers. Dies taten auch die LinkskommunistInnen und einige revolutionäre AnarchistInnen.

Die Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST) knüpft an den revolutionären Tendenzen von Links- und Rätekommunismus an, kritisiert aber auch deren objektiv sozialreaktionären. Im Gegensatz zum Parteimarxismus hält sie nicht die politische Machteroberung des Proletariats und die Verstaatlichung der industriellen Produktionsmittel für das Wesen der sozialen Revolution, sondern die antipolitische Zerschlagung des Staates und die Überwindung der Warenproduktion durch das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat. Die AST lehnt die Beteiligung an parlamentarischen Wahlen und die politische Partei als Organisationsform für das klassenkämpferische Proletariat sowie die revolutionären Kräfte grundsätzlich ab. Sie bekämpft sowohl den bürgerlichen Frieden als auch den imperialistischen Krieg.

Der Antifaschismus als Kriegsideologie

Revolutionärer Antikapitalismus heißt auch Kampf gegen Nazis/FaschistInnen und den prokapitalistischen Antifaschismus. Der Antifaschismus verteidigt die Demokratie als sozialreaktionäre kapitalistische Staatsform gegen andere kapitalistische Staatsformen wie die Militärdiktatur und den Faschismus. Im spanischen BürgerInnenkrieg (1936-1939) und dem Zweiten Weltkrieg (1936-1945) spielte der Antifaschismus eine wichtige Rolle als Kriegsideologie. Das tut er auch im Stellvertreterkrieg zwischen NATO und Russland in der Ukraine.

Nach der eurozentristischen bürgerlichen Geschichtsschreibung begann der Zweite Weltkrieg im Jahre 1939 mit dem Überfall des deutschen Imperialismus auf Polen. Eine materialistisch-dialektische Geschichtsbetrachtung hat guten Grund für die Ansicht, dass der Zweite Weltkrieg im Jahre 1936 begann. Zwei größere blutige Gemetzel begannen in diesem Jahr und 1937: der spanische BürgerInnenkrieg und der japanische Überfall auf China.

In Spanien regierte ab Januar 1936 eine prokapitalistisch-demokratische, antifaschistische Volksfrontregierung aus den Organisationen der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung – die sozialdemokratische, die stalinistische und die linkssozialistische Partei POUM sowie die anarchosyndikalistische Gewerkschaft CNT (die beiden letztgenannten Kräfte traten dem sozialreaktionären Volksfront-Regime erst nach dem Militärputsch bei) – und der liberaldemokratischen Mitte (Republikanische Union, Republikanische Linke, katalanische Esquerra Republicana des Catalunya). Dieses prokapitalistische und demokratisch-antifaschistisch-sozialreaktionäre Volksfrontregime geriet sowohl mit dem klassenkämpferischen Proletariat als auch mit der antidemokratischen Fraktion der spanischen Bourgeoisie aneinander. Letztere unterstützte den Militärputsch vom 17. Juli 1936. Gegen den Militärputsch entwickelte sich der reproduktive Klassenkampf des Proletariats, der durch starke prodemokratische Illusionen geprägt war. Eine sozialrevolutionäre Strömung, die es damals in Spanien nicht gab, hätte sich am Klassenkampf gegen den Militärputsch beteiligen und zugleich die prodemokratischen Illusionen und das Volksfront-Regime bekämpfen müssen. Sie hätte auf einen revolutionären Sturz des Volksfront-Regimes und auf einen revolutionären Klassenkrieg gegen das putschende Militär orientieren müssen.

Die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung – StalinistInnen, SozialdemokratInnen, aber auch POUM und die anarchosyndikalistische CNT – überführte jedoch den reproduktiven Klassenkampf des Proletariats in einen innerkapitalistisch-sozialreaktionären BürgerInnenkrieg zwischen dem demokratischen Volksfront-Regime und den putschenden Militärs, zu deren führenden Gestalt sich immer stärker General Franco entwickelte. Dieser BürgerInnenkrieg wurde auch schnell internationalisiert. Während der italienische und deutsche Faschismus das putschende Militär unterstützten, Frankreich und Großbritannien offiziell „neutral“ blieben, was Franco begünstigte, griff der sowjetische Staatskapitalismus militärisch auf Seiten des Volksfrontregimes ein. Der sowjetische Imperialismus strebte damals ein Bündnis mit Frankreich und Großbritannien an, weshalb Moskau auch den demokratischen Privatkapitalismus in Spanien verteidigte. Die sowjetische Geheimpolizei ging in Spanien mit Folter und Mord gegen das klassenkämpferische Proletariat, den Trotzkismus und gegen den linken Flügel des Volksfront-Regimes, CNT und POUM, vor. CNT und POUM waren aber nichts anderes als das linke Feigenblatt des Volksfrontregimes, zu dessen bluttriefenden Schnauze sich immer stärker der sowjetische Imperialismus und die von ihm ausgehaltenen stalinistischen Mordbuben und Folterknechte entwickelten.

Der sowjetische Imperialismus führte den Klassenkampf von oben gegen das klassenkämpferische Proletariat, den Trotzkismus, und den linken Flügel der Volksfront wesentlich konsequenter als gegen Franco. Weshalb er auch den ersten Krieg gewann und den zweiten verlor. Im Mai 1937 provozierte der Stalinismus in Barcelona durch Repression gegen die CNT einen proletarischen Klassenkampf gegen ihn. CNT-Führung und POUM-Apparat bremsten das klassenkämpferische Proletariat und hinderten es daran mit dem Volksfront-Regime abzurechnen. So blieb dieses an der politischen Macht. Die StalinistInnen zerschlugen im Juni 1937 die POUM. Der Trotzkismus bekämpfte das Volksfront-Regime politisch, unterstützte aber dessen sozialreaktionären Krieg militärisch. Eine wirkliche sozialrevolutionäre Strömung durfte das demokratische Volksfront-Regime nicht gegen den Militärputsch verteidigen, sondern musste beide kompromisslos bekämpfen. Das taten damals der italienische Linkskommunismus – italienisch vom Entstehungsort her, international in der Orientierung – und die rätekommunistische Organisation in den USA, Groups of Council Communists. Nach dem Sieg im BürgerInnenkrieg 1939 errichtete Franco eine Militärdiktatur, die ab sein Tod 1975 wieder in eine Demokratie transformiert wurde.

Der Zweite Weltkrieg begann in Asien 1937 mit der Invasion des japanischen Imperialismus in China. Eine wirkliche sozialrevolutionäre Strömung in China hätte sowohl den japanischen Imperialismus als auch den chinesischen Nationalismus konsequent als Ausdrücke der kapitalistischen Zivilisationsbarbarei bekämpfen müssen. Doch eine solche sozialrevolutionäre Strömung gab es in China nicht, die verfeindeten partei-„kommunistischen“ Zwillingsbrüder Stalinismus-Maoismus und Trotzkismus wurden – wenn auch auf unterschiedliche Weise – zu Charaktermasken des chinesischen Nationalismus.

Bevor nach der bürgerlichen Geschichtsbetrachtung der Zweite Weltkrieg in Europa durch den Überfall des deutschen Imperialismus auf Polen am 1. September 1939 begann, machten alle späteren Hauptmächte der Antihitlerkoalition – Großbritannien, Frankreich, die USA und die Sowjetunion – noch ökonomische und politische Geschäfte mit den Nazis.

Das US-amerikanische Finanzkapital investierte in den italienischen und deutschen Faschismus. Großbritannien und Frankreich lieferten dem deutschen Imperialismus im Münchener Abkommen vom 29. September 1938 die tschechoslowakischen Grenzgebiete in Böhmen und Mähren aus. Und auch die staatskapitalistische Sowjetunion paktierte mit dem deutschen Faschismus – bis der letztere die erstgenannte im Sommer 1941 überfiel. Während des Nichtangriffspaktes mit Deutschland zwischen 1939 und 1941 versuchte sich die UdSSR in imperialistischer Politik gegen schwächere privatkapitalistische Nationen. In der Umarmung zwischen Hitler und Stalin von 1939 wurde Polen zerquetscht. Während Deutschland Westpolen annektierte, schluckte die UdSSR Ostpolen. Auch die imperialistische Einverleibung der baltischen Regimes Estland, Lettland und Litauen verlief erfolgreich.

Doch als Hitler dann am 22. Juni 1941 die UdSSR angreifen ließ, war wieder mal ein Bündnis mit den Demokratien angesagt. Kurz nach dem deutschen Angriff auf die UdSSR, signalisierte Washington Moskau Unterstützung. Die USA lieferten der Sowjetunion bis zum November 1941 Güter im Wert von rund 145 Millionen US-Dollar, um den Zusammenbruch des Staates während der faschistischen Offensive zu verhindern. Washington hielt zu diesem Zeitpunkt Nazideutschland für den gefährlicheren Feind. So kam es zu dem antifaschistischen und sozialreaktionären Bündnis zwischen den privatkapitalistischen Nationen USA, Großbritannien und später auch Frankreich mit der staatskapitalistischen Sowjetunion, nachdem davor alle vier Mächte ihre jeweils eigenen politischen Geschäfte mit den Nazis getätigt hatten.

Bis zum Überfall auf die Sowjetunion übte der deutsche Imperialismus seine Aggressionen in Form von Blitzkriegen aus. Das waren die Angriffe auf Polen, Dänemark, die Benelux-Länder und Frankreich, dem Balkan sowie in Nordafrika. Den imperialistischen Raubkrieg gegen die Sowjetunion ideologisierte der deutsche Faschismus zur Vernichtung des „jüdischen Bolschewismus“ und als Eroberung von „Lebensraum im Osten“ für die „arische Herrenrasse“. Hier gingen extremer Imperialismus und völkisch-rassistischer Wahnsinn eine untrennbare massenmörderische Synthese ein. Die Aggression gegen die Sowjetunion war als Vernichtungskrieg konzipiert. Der deutsche Faschismus organisierte den millionenfachen Hungertod sowjetischer Kriegsgefangener und ZivilistInnen, die Ermordung sowjetischer Offiziere und Kommissare. Dieser Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion war mit der industriellen Ermordung von sechs Millionen Juden und Jüdinnen sowie hunderttausenden Roma und Sinti verbunden.

Doch entgegen der antifaschistischen Ideologie führte auch der sowjetische Staatskapitalismus keinen „gerechten Krieg“, sondern ebenfalls einen imperialistischen, wie die Ausdehnung seiner Herrschaft über Osteuropa nach 1945 bewies. Die sowjetischen Soldaten wurden getötet und töteten für die sozialen Interessen der nationalen Staatsbourgeoisie. SozialrevolutionärInnen mussten sowohl den deutschen als auch den sowjetischen Imperialismus bekämpfen. Während der globale Stalinismus und Trotzkismus den sowjetischen Imperialismus unterstützten, bekämpften Links- und RätekommunistInnen sowie einige AnarchistInnen alle Seiten des imperialistischen Gemetzels.

Der Zweite Weltkrieg endete in Europa mit der bedingungslosen Kapitulation der deutschen Wehrmacht am 8./9. Mai 1945. Doch das Gemetzel ging in Asien weiter. Am Ende des Zweiten Weltkrieges wendete der US-Imperialismus die Atombombe als Massenvernichtungswaffe gegen die japanische Zivilbevölkerung an, am 6. August in Hiroshima und am 9. August 1945 in Nagasaki, wodurch ungefähr 335.000 Menschen getötet und 400.000 verstümmelt wurden. Rund 100.000 Menschen wurden sofort bei den Atombombenabwürfen ermordet. An den Folgeschäden der atomaren Aggression starben bis Ende 1945 weitere 130.000 Menschen. Und in den Folgejahren ging das Sterben weiter. Das atomare Massaker des US-Imperialismus war bereits eine Warnung an und Bedrohung des antifaschistisch-imperialistischen Verbündeten des Zweiten Weltkrieges und Hauptgegners des beginnenden Kalten Krieges, den sowjetischen Staatskapitalismus. Der Zweite Weltkrieg endete mit der Kapitulation Japans am 2. September 1945.

Während des Zweiten Weltkrieges starben 80 Millionen Menschen – in Kampfhandlungen regulärer Truppen, als Opfer des industriellen Massenmordes des deutschen Faschismus an Juden und Jüdinnen sowie Roma und Sinti, Kriegshandlungen aller Seiten gegen ZivilistInnen sowie deren gewaltsamen Vertreibung und im antifaschistischen und objektiv prokapitalistischen Partisanenkampf. 80 Millionen Menschen starben in diesem massenmörderischen Konkurrenzkampf der Nationalstaaten, der zugleich ein getrennt-gemeinsamer Klassenkampf der Weltbourgeoisie gegen das Weltproletariat war und die blutige Grundlage für den kapitalistischen Nachkriegsaufschwung schuf.

Dieses imperialistische Gemetzel brachte Orte der Zivilisationsbarbarei wie Auschwitz und Hiroshima hervor. Nur Nazis können auf die Idee kommen, Auschwitz durch Hiroshima zu relativieren – aber auch nur völlig sozialreaktionäre AntifaschistInnen verharmlosen und relativieren Hiroshima durch Auschwitz und verklären den Zweiten Weltkrieg von Seiten der antifaschistischen Alliierten zu einer fortschrittlichen und gerechten Angelegenheit! Doch die antifaschistischen Alliierten haben zuvor die Nazis mitfinanziert (US-Finanzkapital), ihnen die Tschechoslowakei durch das Münchner Abkommen ausgeliefert (Großbritannien und Frankreich) und mit ihnen Polen aufgeteilt (Sowjetunion)! Sie haben nicht die Zufahrtswege nach Auschwitz bombardiert, aber massenhaft Wohnviertel in Deutschland. Haltet das Maul, ihr Nazis und demokratischen/partei-„kommunistischen“ AntifaschistInnen! Wir werden euch daran hindern, auch noch auf die Gräber der Menschen zu pissen, die eure politischen Eltern massenhaft umgebracht haben! Schweigt, ihr faschistischen und antifaschistischen Geschichtsfälscher! Der Zweite Weltkrieg war der blutigste Klassenkampf des Weltkapitalismus – einschließlich der staatskapitalistischen Sowjetunion – gegen das Weltproletariat, welches sich für die Ziele und Interessen seiner Klassenfeinde gegenseitig abschlachtete. Die ProletarierInnen haben sich nicht gegenseitig umgebracht für die „arische Rasse“ oder für die „Freiheit“, sondern für die Profite der IG Farben und von General Motors. Der letztgenannte Konzern rüstete während des Blutbades sowohl die USA als auch über seine deutsche Tochter Opel das Hitler-Regime auf und verdiente daran prächtig. USA und Sowjetunion waren die Hauptgewinner des imperialistischen Gemetzels. Und der sozialreaktionäre Antifaschismus ist so zynisch, den alliierten Bombenterror gegen die Zivilbevölkerung in Deutschland und die brutale Eroberung und Ausplünderung Osteuropas durch die Sowjetunion auch noch als „Befreiung“ zu feiern!

Auch im imperialistischen Stellvertreterkrieg zwischen NATO und Russland in der Ukraine spielt der Antifaschismus als Kriegsideologie auf beiden Seiten eine wichtige Rolle. Der Kreml begründet seinen imperialistischen Krieg gegen die Ukraine propagandistisch mit deren „Entnazifizierung“ und auch westliche Kriegshetzer sowie ihr kleinbürgerlicher Schwanz benutzen den Antifaschismus als Kriegsideologie gegen den russländischen Imperialismus. Wir haben es also mit einer Kreml- und einer NATO-Antifa zu tun. Selbstverständlich gibt es auch AntifaschistInnen, die im imperialistischen Krieg in der Ukraine keine Seite unterstützen. Aber grundsätzlich ist der Antifaschismus eine prokapitalistische und proimperialistische Ideologie und Praxis, die nicht das Geringste mit einem revolutionären Antikapitalismus zu tun hat.

Für die Radikalisierung des proletarischen Klassenkampfes!

Das kapitalistische Abschlachten kann nicht durch pazifistische Demonstrationen beendet werden. Dies kann nur durch eine mögliche Radikalisierung des globalen proletarischen Klassenkampfes zur sozialen Weltrevolution geschehen. Die Lohnabhängigen produzieren und reproduzieren im bürgerlichen Arbeitsprozess die Macht von Kapital und Staat. Sie sind es auch, die diese Macht potenziell zerstören können.

Es besteht nach wie vor die Möglichkeit, dass sich in extremen Situationen der globale proletarische Klassenkampf zur Weltrevolution radikalisiert. So ähnlich wie in der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1923). Die kapitalistische Krisendynamik und der imperialistische Erste Weltkrieg führten zu einer extremen Verelendung des Proletariats und der unter Schichten des KleinbürgerInnentums. Das war die Ausgangssituation für die Zunahme des proletarischen Klassenkampfes am Ende des Ersten Weltkrieges in Europa, darunter auch Massenstreiks gegen das kapitalistische Großmassaker.

In Deutschland radikalisierte sich der proletarische Klassenkampf Ende 1918 zur Novemberrevolution, die das imperialistische Abschlachten beendete. Aber die Mehrheit des klassenkämpferischen Proletariats trat zwar gegen den imperialistischen Krieg ein, aber noch nicht gegen dessen Quelle, der bürgerliche Frieden innerhalb des Kapitalismus. Die Konterrevolution, zu dessen politischer Hauptkraft sich die SPD entwickelte, beendete den Krieg, der für den deutschen Imperialismus sowieso nicht mehr gewinnbar war, und nahm auf diese Weise dem proletarischen Klassenkampf schon viel Wind aus den Segeln. Das Proletariat hatte mehrheitlich die konstitutionelle Monarchie in Form des Deutschen Kaiserreiches satt, hatte aber noch starke parlamentarisch-demokratische Illusionen. So konnte die politische Konterrevolution das Kaiserreich in die Weimarer Republik transformieren, die konterrevolutionär gegen das klassenkämpferische Proletariat vorging. Dabei floss ArbeiterInnenblut in Strömen.

Doch in der Novemberrevolution von 1918 entwickelten sich auch die ArbeiterInnen- und Soldatenräte als Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats. Diese waren jedoch nur potenziell revolutionär. Um wirklich zu bewussten Organen der sozialen Revolution zu werden, hätten die Räte die Warenproduktion aufheben und den Staat antipolitisch zerschlagen und dabei die klassen- und staatenlose Gesellschaft gebären müssen.

Für den kapitalistischen Staat wiederum war es notwendig, die ArbeiterInnen- und Soldatenräte als praktische Beeinträchtigung seines Gewaltmonopols zu zerschlagen. Und dies gelang der Konterrevolution 1918/19. Dies hatte vorwiegend zwei Gründe. Erstens kämpfte die Mehrheit des Proletariats damals noch nicht bewusst für ein Rätesystem als Alternative zur kapitalistischen Demokratie. Nur eine große Minderheit der Klasse trat für „Alle Macht den Räten!“ ein. Und auch diese Minderheit war durch die parteimarxistische Ideologie verwirrt. Für viele subjektiv revolutionäre ProletarierInnen und Intellektuelle waren die ArbeiterInnenräte das organisatorische Gerüst eines „ArbeiterInnenstaates“ – ein ideologisches Konstrukt, das sich in der Praxis als Staatskapitalismus entpuppte. Zu der Zeit, wo sich die akute Phase (1918/19) der revolutionären Nachkriegskrise in Deutschland (1918-1923) entfaltete, war das bolschewistische Regime in „Sowjet“-Russland bereits staatskapitalistisch und hatte die wirklichen Sowjets (Räte) als Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats bereits konterrevolutionär liquidiert. Dennoch hegten noch viele SozialrevolutionärInnen in Deutschland Illusionen in das konterrevolutionäre Lenin-Trotzki-Regime, die radikalsten (Links- und RätekommunistInnen) überwanden diese 1920/21. Die Mehrheit des Proletariats kämpfte damals also noch nicht bewusst für das Rätesystem als Schwert gegen den Kapitalismus und Werkzeug für die klassen- und staatenlose Gesellschaft.

Zweitens wurden die ArbeiterInnen- und Soldatenräte von sozialdemokratischen BerufspolitikerInnen, die danach trachteten das potenziell revolutionäre Rätesystem konterrevolutionär zu zerschlagen, von innen deformiert. So beherrschten sozialdemokratische FunktionärInnen den 1. Reichsrätekongress Ende 1918 in Berlin. Dieser beschloss die Entmachtung der Räte zugunsten einer zu wählenden Nationalversammlung. Die sozialdemokratische Konterrevolution ging nach diesem Sieg ein festes Bündnis mit der Generalität und den Freikorps ein, um den klassenkämpferisch-revolutionären Proletariat blutige Niederlagen zu bereiten. Dadurch bereitete die konterrevolutionäre Sozialdemokratie den Faschismus in Deutschland vor, vor dem dann die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung kampflos kapitulierte…

Die Hauptlehren, die proletarische RevolutionärInnen aus der Novemberrevolution von 1918 ziehen können, lauten: Erstens: Nur das klassenkämpferische Proletariat hat die Potenz imperialistische Kriege zu beenden. Zweitens wird aber die kapitalistische Konterrevolution neue Kriege vorbereiten, wenn nicht auch das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat den bürgerlichen Frieden innerhalb des Kapitalismus beendet. Der globale proletarische Klassenkrieg muss die klassen- und staatenlose Weltgemeinschaft gebären, um das kapitalistische Abschlachten von Menschen zu beenden.

Proletarische RevolutionärInnen nehmen bewusst am Kampf ihrer Klasse teil, um diesen über seine den Kapitalismus reproduzierenden Grenzen hinaus zu radikalisieren. Intellektuelle RevolutionärInnen unterstützen sie dabei. RevolutionärInnen geben also praktisch-geistige Impulse zur Radikalisierung des proletarischen Klassenkampfes. Dabei aber immer wissend, dass der Hauptimpuls zur Radikalisierung des proletarischen Seins und Bewusstseins immer ihr eigener kollektiver Kampf ist.

Das auf und ab des proletarischen Klassenkampfes ist in vorrevolutionären Zeiten stark durch die kapitalistische Krisendynamik, von Spontaneität und Instinkt der Lohnabhängigen sowie durch das Agieren der bürgerlich-bürokratischen Gewerkschaftsapparate geprägt.

Der kapitalistische Aufschwung schafft mit seiner relativ geringen Arbeitslosigkeit oder gar Vollbeschäftigung bessere Bedingungen für den reproduktiven Klassenkampf innerhalb des Kapitalismus. In der sich verschärfenden kapitalistischen Krise – die oft mit einer Zunahme und Zuspitzung der zwischenstaatlichen Konkurrenz verbunden ist –, verschlechtern sich die Kampfbedingungen der Lohnabhängigen, die Bourgeoisie geht im Klassenkampf von oben in die Offensive. Das klassenkämpferische Proletariat reagiert entweder auf diesen steigenden Druck durch eine Forcierung seiner Aktivität oder eben nicht. In der gegenwärtigen kapitalistischen Krisendynamik verschärfte sich der Klassenkampf der Lohnabhängigen besonders in Großbritannien und in den USA.

Die große Bedeutung von Spontaneität und Instinkt im Klassenkampf ergibt sich daraus, dass im Kapitalismus die sozialen Prozesse stärker die Menschen lenken, als das es andersherum ist. Das gesellschaftliche Gesamtkapital der einzelnen Staaten, das Nationalkapital, verlangt von jeder nationalen Bourgeoisie gebieterisch: Vermehre mich, komme was wolle, sonst wird die Nation untergebuttert im globalen Konkurrenzkampf. Die krisenhafte Kapitalvermehrung und die unerbittliche globale Konkurrenz in der Weltwirtschaft und in der Außenpolitik beherrscht die Bourgeoisie, aber sie bekommt diese Prozesse kaum unter Kontrolle.

Das Proletariat bekommt die wachsende kapitalistische Krisendynamik und die sich verschärfende zwischenstaatliche Konkurrenz zu spüren, beginnt sich zu wehren, oft instinktiv und spontan. Der proletarische Klasseninstinkt ist das Vorbewusste, das Bauchgefühl, was die Lohnabhängigen oft kollektiv zum Handeln drängt, noch bevor die möglichen Konsequenzen dieses Handelns klar durchdacht werden. Spontanes Handeln heißt, heute Dinge zu tun, die gestern kaum denkbar waren.

Spontaneität und Klasseninstinkt spielen im Klassenkampf eine große Rolle, dürfen aber nicht von RevolutionärInnen idealisiert werden. Spontan und instinktiv kann das Proletariat wild für höhere Löhne streiken, aber nicht Trägerin einer möglichen sozialen Revolution sein. Je bewusster und organisierter das Proletariat ist, umso besser ist es. Organisation und Bewusstsein der kämpfenden Lohnabhängigen dürfen aber nicht mit den bürgerlich-bürokratischen Gewerkschafts- und Parteiapparaten der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung gleichgesetzt werden. Die klassenkämpferische Selbstorganisation des Proletariats auch gegen die Partei- und Gewerkschaftsbonzen muss klarer und bewusster werden! Dafür müssen proletarische RevolutionärInnen praktisch-geistige Impulse geben!

Massenstreiks gegen die imperialistischen Massaker können nur auf der kollektiven Selbstorganisation der Lohnabhängigen beruhen. Gegen das gegenseitige Abschlachten, welches Russland und die NATO arbeitsteilig-konkurrenzförmig in der Ukraine organisieren, ist zum Beispiel ein unbefristeter, branchenübergreifender Massenstreik in Russland, Belarus, der Ukraine sowie in allen NATO und EU-Staaten notwendig, um es progressiv zu beenden.

Dass ein solcher Massenstreik bisher noch nicht materielle Gewalt geworden ist, hat wesentlich drei Ursachen: Erstens werden die Arbeit und das Leben der Lohnabhängigen in Russland und in den Ländern des kollektiven Westens noch nicht so extrem von diesem Krieg beeinträchtigt, wie es in den beiden Weltkriegen der Fall war. Zweitens lassen sich noch viel zu viel ProletarierInnen von der nationalistischen Praxis und Ideologie das Hirn vernebeln. Drittens organisieren die großen Gewerkschaften keinen Klassenkampf gegen den Krieg, ja ihre Apparate unterstützen oft das imperialistische Gemetzel und den Wirtschaftskrieg. Kleinere Gewerkschaften, die ein wenig gegen den Krieg mobilisieren, sind zu schwach, um einen branchenübergreifenden Massenstreik zu organisieren. Deshalb werden sich bei der weiteren Zuspitzung der zwischenstaatlichen Konkurrenz möglicherweise herausbildende Massenstreiks gegen imperialistische Kriege wild sein und auf der kollektiven Selbstorganisation des Proletariats beruhen.

Mögliche Massenstreiks gegen den Krieg werden starke revolutionäre Tendenzen und Potenzen haben. Wenn der Klassenkampf seine reproduktiven Grenzen sprengt und sich zur sozialen Revolution radikalisiert – dann ist die revolutionäre Klassenkampforganisation des Proletariats möglich und notwendig. Wir wissen heute noch nicht, wie die revolutionäre Klassenkampforganisation konkret aussehen wird. Wir wissen lediglich, dass politische Parteien und Gewerkschaften nicht revolutionär sein können. Sie stellen bürgerlich-bürokratische Apparate dar, deren Haupttendenz es ist, sich in den Kapitalismus zu integrieren. Auch müssen sie ganz anders sein als die ArbeiterInnenräte der europäischen revolutionären Nachkriegskrise (1917-1921). Diese waren von sozialdemokratischen und bolschewistischen BerufspolitikerInnen („Sowjet“-Russland) deformiert und wurden schließlich von der Konterrevolution liquidiert. Auch wird die konkrete Ausgangslage in einer zukünftigen revolutionären Situation eine ganz andere sein als damals.

Die mögliche revolutionäre Klassenkampforganisation des Proletariats wird wahrscheinlich sowohl in der informellen Aktion der ProletarierInnen als auch in offiziellen Organen zum Ausdruck kommen. Überall müssen Organe der klassenkämpferischen Selbstorganisation gebildet werden: An den Arbeitsplätzen (Privatwirtschaft und im Staatssektor) und in den Wohngebieten. Diese dürfen keine Herrschaft über das sich selbst revolutionär aufhebende Proletariat anstreben, sondern müssen sich zu dessen geschmeidigen Werkzeug zur Zerschlagung des Kapitalismus entwickeln. In den Organen der klassenkämpferischen Selbstorganisation des Proletariats darf kein Platz sein für hauptamtliche GewerkschaftsfunktionärInnen und BerufspolitikerInnen, da diese nur den Kapitalismus reproduzieren können. Nur wenn die revolutionäre Klassenkampforganisation mit den Organisationsprinzipien einer klassen- und staatenlosen Gemeinschaft schwanger geht, kann sie die letztere durch die Zerstörung des Kapitalismus gebären.

Die revolutionäre Klassenkampforganisation muss sich zu einem immer klareren und bewussteren Subjekt der sozialen Revolution entwickeln. Auch mit Hilfe von den revolutionären Kleingruppen aus der vorrevolutionären Zeit, die in der revolutionären Klassenkampforganisation aufgehen müssen. Entweder zerschlägt die revolutionäre Klassenkampforganisation den Kapitalismus oder sie wird von der Konterrevolution zerstört.

Indem das Proletariat antipolitisch den Staat zerschlägt, die Produktionsmittel in gesamtgesellschaftliche Verfügungsgewalt überführt und die Warenproduktion überwindet, hebt es sich selbst revolutionär auf und gebärt die klassen- und staatenlose Gemeinschaft. Da das Proletariat in einem Land, einer Ländergruppe, eines Kontinents unmöglich warten kann, bis ihre Klassengeschwister global dazu in der Lage sind, kann die Weltrevolution nur eine permanente Kette der Staatszerschlagung sein. In der Weltrevolution werden also noch existierende kapitalistische Staaten und bereits sich entwickelnde klassen- und staatenlose Gemeinschaften gegeneinander bestehen. Zwischen diesen kann und darf es aber keine friedliche Koexistenz geben, keinen Handel – auch keinen Naturaltausch.

Die kapitalistischen Staaten werden, wenn sie dazu noch in der Lage sind, versuchen die klassen- und staatenlosen Gemeinschaften militärisch von außen zu zerschlagen. Dagegen müssen sich die klassen- und staatenlosen Gemeinschaften kollektiv verteidigen, ohne besondere militärische Apparate herauszubilden – diese wären der reproduzierte Staat. Die sich herausentwickelnden klassen- und staatenlosen Gemeinschaften müssen während der möglichen Weltrevolution ein festes Bündnis mit dem klassenkämpferisch-revolutionären Proletariat der kapitalistischen Staaten eingehen. Die Weltrevolution ist erst zu Ende, wenn der letzte Staat antipolitisch-sozialrevolutionär zerschlagen ist. Dies wird die endgültige Geburt der klassen- und staatenlosen Weltgemeinschaft sein.

Wenn wir bedenken, dass die kapitalistische Sozialreaktion die zerstörerische Potenz hat, alles menschliche Leben auszulöschen, dann wissen wir, dass diese kein Spaziergang sein kann. Doch das Risiko eines atomaren Overkills besteht auch ohne globale soziale Revolution. Und dieses Risiko kann auch nur weltrevolutionär überwunden werden. Vielleicht ist auch eine siegreiche Weltrevolution im Atomwaffenzeitalter möglich, so ähnlich wie die Atomwaffenmächte ja auch bis jetzt ihre imperialistische Konkurrenz ohne Selbstmord austragen.

Wir wissen nicht, ob sich eine globale soziale Revolution entwickeln oder ob diese siegreich sein wird. Aber selbst, wenn dies nicht der Fall sein sollte, ist der kompromisslose Kampf gegen Kapital, Staat und Nation im hier und jetzt das einzig Richtige!

Unser Minimalkonsens für eine revolutionäre Antikriegsposition

Das Vertreten von revolutionären Antikriegspositionen ist für die Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST) ein wichtiger praktisch-geistiger Impuls zur Radikalisierung des proletarischen Klassenkampfes und -bewusstseins. Wir halten es für richtig, möglich und notwendig, im Kampf gegen das permanente kapitalistische Abschlachten ein Bündnis mit anderen revolutionären Kräften (zum Beispiel: Links- und RätekommunistInnen sowie revolutionäre AnarchistInnen) einzugehen.

Nach Meinung der AST ist dafür ein Minimalkonsens einer revolutionären Antikriegsposition notwendig, die sowohl ein Absinken in den Sumpf des Sozialreformismus, der grundsätzlich nur den Kapitalismus und damit auch die Quelle der zwischenstaatlichen Konkurrenz reproduzieren kann, verhindert als auch gegen das SektiererInnentum schützt.

Der von uns unten formulierte Minimalkonsens einer revolutionären Antikriegsposition ist nach unserer Meinung das praktisch-geistige Fundament für das gemeinsame Agieren von RevolutionärInnen in der Frage des Kampfes gegen den kapitalistischen Krieg. Diese Gemeinsamkeit kann in internationalen Treffen, das gemeinsame Agieren auf reformistisch-pazifistischen „Friedensdemonstrationen“ und in öffentlichen Diskussionsveranstaltungen zum Ausdruck kommen. Wichtig ist dabei auch, dass die Unterschiede zwischen den einzelnen revolutionären Kräften nicht verschwiegen oder unter den Teppich gekehrt werden. Also, dass die unterschiedlichen Subjekte in den verschiedenen praktischen revolutionären Antikriegsbündnissen ihre praktisch-geistige Eigenständigkeit bewahren können.

Unser Minimalkonsens für eine revolutionäre Antikriegsposition:

1. Der bürgerliche Frieden innerhalb des Kapitalismus ist keine Alternative zum imperialistischen Krieg, sondern dessen Quelle.

2. Nationale „Befreiung“ und „Selbstbestimmung“ sind Futter der zwischenstaatlichen Konkurrenz. Nationale „Befreiung“ führt nur zur Neugründung kapitalistischer Staaten beziehungsweise nationaler „Autonomie“ in bestehenden (zum Beispiel: kurdischer Nationalismus in Syrien und im Irak) und ist Spielzeug der Imperialismen. Im permanenten Konkurrenzkampf der Nationen unterstützen RevolutionärInnen keine Seite, sondern bekämpfen alle Seiten. Langfristig muss das Weltproletariat alle Nationen als Scheingemeinschaften aus Kapital und Lohnarbeit revolutionär zerschlagen und die klassen- und staatenlose Weltgemeinschaft gebären.

3. Gegen den prokapitalistischen und proimperialistischen Antifaschismus. SozialrevolutionärInnen bekämpfen die Demokratie kompromisslos – so wie alle anderen Staatsformen. Sie kämpfen gegen FaschistInnen, Nazis sowie Militärputsche und -diktaturen, aber verteidigen niemals die Demokratie. So wie der Antifaschismus im Zweiten Weltkrieg und im spanischen BürgerInnenkrieg demokratische Regimes gegen faschistische Staaten und Militärputsche unterstützte und damit das große kapitalistische Massaker am Weltproletariat mit organisierte, ist er auch heute in den verschiedenen Gemetzeln Teil der Rechtfertigungsideologien.

4. Nur das klassenkämpferisch-revolutionäre Proletariat hat die Potenz die imperialistischen Kriege progressiv durch die Zertrümmerung des Kapitalismus zu beenden.

Innerhalb dieses Minimalkonsenses sind wir zu Bündnissen mit anderen revolutionären Kräften bereit und solidarisch mit ihren Aktivitäten gegen den permanenten kapitalistischen Weltkrieg.

Antipolitisch-Sozialrevolutionäre Tendenz (AST)

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Annonce: Coronaviruspandemie und Klassenkampf https://sbefreiung.blackblogs.org/2020/08/11/annonce-coronaviruspandemie-und-klassenkampf-2/ https://sbefreiung.blackblogs.org/2020/08/11/annonce-coronaviruspandemie-und-klassenkampf-2/#respond Tue, 11 Aug 2020 22:25:00 +0000 http://sbefreiung.blogsport.de/?p=114 Unsere neue Broschüre „Coronaviruspandemie und Klassenkampf“ (ca. 127 Seiten) von Soziale Befreiung ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de oder direkt bei uns auch als E-Book bestellen.

Inhalt

Einleitung

Coronaviruspandemie und kapitalistische Krisendynamik

I. Die kapitalistische Krisendynamik vor der Coronaviruspandemie
1. Die krisenhafte Spirale der Kapitalvermehrung
2. Vom privatkapitalistischen Nachkriegsaufschwung zur strukturellen Profitproduktionskrise
3. Die Transformationskrise in Russland und in Osteuropa
4. Der sozialökonomische Aufstieg Chinas
5. Die Weltwirtschaftskrise ab 2007
6. Die relative Stabilisierung des Weltkapitalismus (2010-2019)
II. Die Coronaviruskrise
1. Die globale Coronaviruspandemie
2. Die Coronaviruspandemie als Teil der biosozialen Reproduktionskrise
3. Die Coronaviruspandemie als Profitkrise
4. Die Zuspitzung der allgemeinen kapitalistischen Krisendynamik
durch die Coronaviruspandemie
5. Staatliche Krisenpolitik während der Coronaviruspandemie

Coronaviruskrise und Klassenkampf

I. Die Coronaviruspandemie als politischer Klassenkampf von oben
1. Die internationale Staatengemeinschaft gegen das Weltproletariat
2. Staatliche Notverordnungen
3. Rechte, mittige und linke Politik gegen das Proletariat
4. Die Notwendigkeit einer globalen sozialrevolutionären Antipolitik
II. Klassenauseinandersetzungen während der Coronaviruspandemie
1. Überleben heißt Klassenkampf, Klassenkampf heißt Überleben!
2. Konflikte in der Landwirtschaft und in der Lebensmittelindustrie
3. Auseinandersetzungen im Gesundheitswesen und in der Pflege
4. Konflikte im Einzel- und Onlinehandel
5. Klassenkämpfe im Schulwesen
6. Konflikte in der Metallindustrie
7. Auseinandersetzungen im Flugverkehr
8. Geflüchtete im Widerstand
9. Rebellion der Inhaftierten
10. Aufruhr der Elendsviertel
11. Widerstand der rassistisch Benachteiligten

Einleitung

Die globale COVID-19-Pandemie, die in China im Dezember 2019 begann und weltweit schon hunderttausende Todesopfer forderte, hat sehr viel mit der kapitalistischen Produktionsweise und der bürgerlichen Politik zu tun. So gibt es unter anderem deshalb noch keinen Impfstoff, weil die prophylaktische Entwicklung von diesem vor der Pandemie für die Pharmaindustrie nicht profitabel genug war. Es gibt auch deshalb so viele Erkrankte und Tote, weil die politischen Gewaltapparate, die Staaten, Menschen internieren und wegsperren. In den Knästen und Flüchtlingslagern dieser Welt kann es keine medizinisch ratsame körperliche Distanz geben. Genauso wenig wie im Produktionsprozess, der weltweit – auch in den angeblich „sozialistischen Staaten“ Kuba, China und Vietnam – auf der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnarbeit beruht. Das Gesundheitswesen wurde in vielen Ländern vor dem Ausbruch der Pandemie kaputtgespart.
Es ist auch nicht eine klassen- und staatenlose Weltgemeinschaft, die kollektiv und solidarisch die Maßnahmen gegen die Pandemie beschließt und umsetzt. Es sind die Staaten als politische Gewaltapparate der Kapitalvermehrung. Nein, es ist keine Verschwörungstheorie, sondern eine klare Feststellung von Tatsachen: Die Staaten nutzen die Pandemie zu einem politischen Klassenkampf von oben. Auch in der BRD gingen Bullen repressiv gegen Demonstrierende vor, die vorher den Sicherheitsabstand eingehalten hatten. Die staatliche Repression sorgte für Körperkontakte, die sie angeblich verhindern sollte.
Angesichts dieser Bedrohungen des Lebens und der Gesundheit durch die kapitalistische Produktionsweise, die strukturell gegeben ist und durch die Coronaviruspandemie noch mal extrem verschärft wurde, regt sich auch der soziale Widerstand des Proletariats. Lohnabhängige wehren sich dagegen, dass sie für die Profitproduktion geopfert werden sollen. Auch Geflüchtete und Inhaftierte wehren sich gegen die möglicherweise tödlichen Folgen der staatlichen Repression.
Im Text Coronaviruspandemie und kapitalistische Krisendynamik zeigen wir auf, dass sich diese Krise nicht im luftleeren Raum entfaltet, sondern eine der kapitalistischen Produktions- und Konsumverhältnisse ist. Wir beschreiben in ihm die Entfaltung der kapitalistischen Krisendynamik vor der Coronaviruspandemie und wie letztere die erste verschärft.
Die Schrift Coronaviruskrise und Klassenkampf analysiert, dass die internationale Staatengemeinschaft ein struktureller Klassenfeind des Weltproletariats ist. Was mensch eindeutig an den globalen staatlichen Notverordnungen sehen kann. Es geht nicht um die Frage, ob die einzelnen staatlichen Maßnahmen medizinisch sinnvoll sind oder nicht, sondern um die Tatsache, dass die politischen Gewaltapparate entgegengesetzte soziale Interessen als die Lohnabhängigen und die nichtlohnarbeitenden proletarischen Unterschichten haben. Wir beschreiben, wie die staatsförmige Politik – die rechte, die mittige und die linke – sich gegen die Interessen des Proletariats richtet. Aber auch wie sich das Proletariat wehrt. Überleben heißt Klassenkampf, Klassenkampf heißt Überleben!

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Von der Februar- zur Oktoberrevolution Teil 2 https://sbefreiung.blackblogs.org/2017/08/31/von-der-februar-zur-oktoberrevolution-teil-2/ https://sbefreiung.blackblogs.org/2017/08/31/von-der-februar-zur-oktoberrevolution-teil-2/#respond Thu, 31 Aug 2017 19:40:39 +0000 http://sbefreiung.blogsport.de/2017/08/31/von-der-februar-zur-oktoberrevolution-teil-2/ Wir veröffentlichen hier den zweiten Teil des Kapitels „Von der Februar- zur Oktoberrevolution“. Die gesamte Broschüre „Schriften zur russischen Revolution (1917-1921)“ könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de bestellen.

Doch kehren wir zum Kampf des Proletariats und der kleinbürgerlichen Parteien gegen Kornilow zurück. Eine große Rolle im Kampf gegen den Militärputsch spielten die EisenbahnarbeiterInnen und die Angestellten der Telegrafie. Die russische Generalität ging bei ihren Putschplänen einfach von einer funktionierenden Infrastruktur aus, ohne in Betracht zu ziehen, dass diese Infrastruktur von Lohnabhängigen getragen wurde und diese Lohnabhängigen nicht mehr einfach funktionierten, sondern durch und mit der russischen Revolution zu selbständigen Subjekten geworden waren. Und diese lohnabhängig-revolutionären Subjekte sabotierten objektiv die Infrastruktur der Konterrevolution. Die Angestellten des Telegrafenamtes informierten die Sowjets über die Pläne der Putschisten.
Die EisenbahnarbeiterInnen verhinderten die Ankunft des 3. Korps unter seinem Befehlshaber Krymow in Petrograd. Diese konterrevolutionäre Einheit hätte nach den Plänen der Putschisten schon am Abend des 27. August in der Hauptstadt der russischen Revolution sein sollen. Am Morgen des 28. August trafen die 8 Züge des 3. Korps in Luga ein. Doch dann konnten sie nicht weiterfahren, da die EisenbahnarbeiterInnen zuvor die Gleise beschädigt hatten. Der erzwungene Aufenthalt der konterrevolutionären Truppe wurde von den AgitatorInnen der Sowjets dazu genutzt, um die Soldaten von den Offizieren zu trennen. Dazu brauchten die ersteren den völlig desinformierten Soldaten nur die Wahrheit zu sagen: dass sie die Drecksarbeit eines Militärputsches verrichten sollten. Die Offiziere hatten ihren Soldaten gesagt, dass in Petrograd deutsche AgentInnen die Macht ergriffen hätten. Als die letzteren jetzt die Wahrheit erfuhren, waren sie nicht mehr bereit die Fußtruppen der Konterrevolution zu sein. Am Abend des 28. August waren Kornilows Truppen durch die Sabotage der EisenbahnarbeiterInnen und den Schutz Petrograds durch Armeetruppen und den Roten Garden besiegt.
Kornilow hatte sein Spiel verloren. Große Teile der russischen Bourgeoisie hatten die Alternative gestellt: Kornilow oder Lenin. Doch das russische Militär war schon zu dekadent, um eine stabile Diktatur gegen BäuerInnen, Proletariat und den kleinbürgerlichen Radikalismus zu errichten. Als dies im August deutlich wurde – blieb nur noch der staatskapitalistische Bolschewismus als Löser der Krise des russischen Staates übrig. Ja, die damaligen russischen Verhältnisse begünstigten den Bolschewismus. Bevor wir dessen Machteroberung im September/Oktober 1917 etwas genauer unter die Lupe nehmen, müssen wir uns mit der Agrarrevolte, der kleinbäuerlich-landproletarischen Bewegung der russischen Bevölkerungsmehrheit beschäftigen.
Die Bourgeoisie und die Provisorische Regierung waren unfähig und unwillig zu einer sofortigen und radikalen Agrarreform von oben, um einer kleinbäuerlich-landproletarischen Agrarrevolte von unten das Wasser abzugraben. Die Unfähigkeit und der Unwille der russischen Bourgeoisie zur radikalen Bodenreform, welche den feudalen Großgrundbesitz mit der Wurzel für immer vernichtet hätte, ergaben sich aus der engen politischen und sozialökonomischen Verschmelzung zwischen Privatkapital und landwirtschaftlichen Grundbesitz. Zum Teil besaßen auch städtische bürgerliche Schichten Landbesitz. Außerdem waren die GrundbesitzerInnen beim russischen Bankkapital verschuldet. Bei einer entschädigungslosen Enteignung des landwirtschaftlichen Großgrundbesitzes wäre das russische Bankkapital auf einen Haufen fauler Kredite sitzen geblieben. Die Verschleppung der Bodenreform wurde von der Bourgeoisie, der Provisorischen Regierung und den kleinbürgerlich-demokratischen Menschewiki und „SozialrevolutionärInnen“ durch die Delegation dieser Aufgabe auf die noch zu wählende Konstituierende Versammlung und der immer wieder verschobenen Durchführung von Wahlen zu dieser parlamentarischen Institution erreicht. Außerdem schuf die Provisorische Regierung bürokratisch-hierarchisch organisierte Landkomitees, welche offiziell eine Bodenreform vorbereiten sollten, diese aber in Wirklichkeit verschleppte. Die oberste Spitze dieser Institution war ein williges Werkzeug in den Händen des russischen Privatkapitals und des Grundbesitzes zur Verhinderung einer radikalen Agrarreform.
Doch die russischen KleinbäuerInnen und LandproletarierInnen ließen sich immer weniger vom politischen Personal der Bourgeoisie und des Großgrundbesitzes hinhalten. Wie wir bereits weiter oben schon dargelegt haben, gelang es dem Zarismus durch die Beteiligung am imperialistischen Weltkrieg und die massenhafte Verwandlung von BäuerInnen in Kanonenfutter die Agrarbewegung für eine gewisse Zeit zu ersticken. Doch nach der Februarrevolution begann sie wieder Ende März 1917 zaghaft ihr Haupt zu erheben. Bei dem halblegalen Erwachen der Agrarrevolte spielten die Sowjets kaum eine Rolle, da sie sich auf dem Lande nur sehr schwach entwickelten. Dafür wurden die unteren örtlichen Organe der Landkomitees von den KleinbäuerInnen in der sich langsam entwickelnden Agrarbewegung als legale Deckungsschilde benutzt. Unter dem Druck der kleinbäuerlichen Basis mussten die örtlichen unteren Landkomitees oft in die Verfügungsgewalt der GroßgrundbesitzerInnen über ihr Privateigentum an Grund und Boden eingreifen. So beschlagnahmten sie oft Ernten und Holzvorräte von großen Gütern um die sozialökonomische Reproduktion der KleinbäuerInnen zu gewährleisten. Auch gingen die örtlichen Landkomitees nicht selten durch Waffenbeschlagnahmungen bei GroßgrundbesitzerInnen gegen die feudal-bürgerliche Konterrevolution vor.
Doch die halblegale Deckung der bäuerlichen Agrarbewegung durch die Landkomitees währte nicht lange. Die Bewegung radikalisierte sich und ging im Sommer/Herbst 1917 zum offenen BäuerInnenkrieg gegen den Großgrundbesitz und die letzten Überreste der Leibeigenschaft über. Güter wurden verbrannt, vernichtet und geplündert, ihre BesitzerInnen verjagt und teilweise ermordet. Die großbäuerlichen Kulaken begannen eine bremsende Stellung im BäuerInnenkrieg gegen die Reste des Feudalismus einzunehmen, doch sie konnten von den KleinbäuerInnen und den lohnabhängigen LandproletarierInnen noch einmal in die Aktionen gegen den Großgrundbesitz mit hineingezogen werden, zumal sie in den Plünderungen den Löwenanteil für sich monopolisieren konnten. Noch einmal kämpfte das gesamte russische Dorf gegen den Großgrundbesitz, die soziale Differenzierung innerhalb der Dorfgemeinschaft zwischen GroßbäuerInnen einerseits und den von ihnen ausgebeuteten Landproletariat war zu schwach, um einen gesamtbäuerlichen Kampf gegen die Reste des Feudalismus zu verhindern. Die Agrarbewegung strebte die Aufteilung des Großgrundbesitzes in massenhaftes kleines Privateigentum an. Sie war also im Wesentlichen kleinbürgerlich und noch in der Lage den Klassengegensatz in sich zwischen GroßbäuerInnen und LandproletarierInnen durch den gemeinsamen Kampf weitgehend zu kaschieren und zu entspannen. Das russische Dorf kämpfe noch einmal geschlossen gegen die gemeinsamen Feinde: GroßgrundbesitzerInnen, Bourgeoisie und Provisorische Regierung, welche alle drei durch diese Agrarbewegung erheblich geschwächt wurden. Die kleinbürgerliche Agrarbewegung fand in der Periode des offenen BäuerInnenkrieges ihr organisatorisches Zentrum in der traditionellen Dorfversammlung. Denn auch die lokalen unteren Landkomitees waren durch ihren offiziellen und staatlichen Charakter für die Organisation des offenen BäuerInnenkrieges ungeeignet, während die Sowjets zu städtisch und die LandarbeiterInnengewerkschaften zu proletarisch für eine kleinbäuerliche Bewegung für Privateigentum waren.
Fazit: Die in ihrem Wesen nach antifeudale und kleinbürgerliche Agrarbewegung schwächte und destabilisierte die zur Bodenreform unwillige und unfähige Bourgeoisie und deren Provisorische Regierung. Die kleinbürgerlich-demokratischen Parteien der Menschewiki und der „SozialrevolutionärInnen“ klammerten sich an die Rockschöße der Bourgeoisie und verbündeten sich mit ihr gegen die kleinbäuerlich-landproletarische Agrarbewegung. Die rechten „SozialrevolutionärInnen“ widerriefen dadurch in der Praxis ihren kleinbürgerlichen Narodniki-Sozialismus. Dieser bestand darin, das kleinbürgerliche Intellektuelle dem bäuerlichen Kleineigentum irgendwelche „sozialistischen“ Tendenzen andichteten und die vorkapitalistische Mir, die traditionelle dörfliche Gemeinschaft der bäuerlichen KleineigentümerInnen zur Basis eines nichtkapitalistischen Entwicklungsweges für Russland herbeizuphantasieren. Wenn auch der Großteil der kleinbürgerlichen PolitikerInnen der „sozialrevolutionären“ Partei die Narodniki-Tradition in der Praxis widerrief, spalteten sich doch die „linken SozialrevolutionärInnen“ ab, welche die ideologische Schwärmerei für die BäuerInnen reproduzierten. Auch der russische Anarchismus idealisierte stark die russische BäuerInnenschaft. In ihm verschmolzen sich die progressive Tendenz seiner prinzipiellen Staatsfeindlichkeit untrennbar mit der sozialreaktionären Tendenz der Ideologisierung des bürgerlichen Individualismus – wozu auch der kleinbäuerliche gehörte –untrennbar zu einer im Großen und Ganzen nichtrevolutionären Ideologieproduktion.
Menschewiki und Bolschewiki standen in der Tradition der marxistischen Kritik am bäuerlichen Kleineigentum, der darauf basierenden kleinbürgerlichen Warenproduktion als Embryo von Kapital und Lohnarbeit. Auch wir stehen in dieser Tradition und haben diese Kritik schon weiter oben ausführlich dargelegt. Doch da die führenden Menschewiki und Bolschewiki selbst kleinbürgerliche BerufspolitikerInnen waren, verkörperten sie die reaktionäre Tendenz des Marxismus. Die Menschewiki klammerten sich an die Ideologie „der führenden Rolle der Bourgeoisie in der bürgerlichen Revolution“ – und halfen in der Praxis der privatkapitalistischen Sozialreaktion dabei eine antifeudale BäuerInnenbewegung zu ersticken.
Die Bolschewiki versprachen politisch eine kleinbürgerliche Bodenreform, um die Agrarbewegung gegen ihre groß- und kleinbürgerlichen GegnerInnen auszunutzen – ohne jegliche theoretische Illusionen in die Agrarbewegung zu hegen. Sie waren gezwungen sich dem bäuerlichen Kleineigentum eine gewisse Zeit anzupassen, wenn sie die politische Macht erobern und erhalten wollten. Und das wollten sie wie alle politischen Strömungen. So gedachten die bolschewistischen PolitikerInnen eine Bewegung kleinbäuerlicher PrivateigentümerInnen, welche die Aufteilung des Großgrundbesitz in noch mehr Kleineigentum anstrebte, und der sie im Prinzip feindlich gegenüberstanden, für das sozialreaktionäre Ziel der Eroberung der Staatsmacht auszunutzen. Für sozialrevolutionäre Ziele – die Zerschlagung des Staates und der Aufhebung der Warenproduktion – ließ sich die kleinbäuerlich-landproletarische Bewegung auch nicht nutzen. Das Landproletariat kämpfte zwar innerhalb der Agrarbewegung für seine Aufhebung –aber auf kleinbürgerlich-individualistischer Weise als zukünftige BodenbesitzerInnen oder auf kleinbürgerlich-kollektive Art mit der objektiven Tendenz genossenschaftliche Formen der Warenproduktion zu schaffen.
Die machtopportunistische Anpassung der Bolschewiki an die kleinbürgerliche Agrarbewegung kommt auch in Leo Trotzkis Geschichte der russischen Revolution recht gut zum Ausdruck. Wir zitieren:
„Das Programm der Sozialrevolutionäre hatte stets viel Utopisches enthalten: sie wollten den Sozialismus auf der Basis der kleinen Warenwirtschaft errichten. Doch die Grundlage ihres Programms war demokratisch-revolutionär: Enteignung der Gutsbesitzer. Vor die Notwendigkeit gestellt, das Programm zu erfüllen, verstrickte sich die Partei in Koalitionen (mit der Bourgeoisie, Anmerkung von Nelke). Gegen eine Bodenkonfiskation erhoben sich unversöhnlich nicht nur die Gutsbesitzer, sondern auch die kadettischen Bankiers: im Bodenbesitz waren nicht weniger als vier Milliarden Rubel der Banken investiert. Da sie planten, in der Konstituierenden Versammlung mit den Gutsbesitzern um den Preis zwar zu handeln, aber friedlich abzuschließen, waren die Sozialrevolutionäre eifrigst bemüht, den Muschik (den Bauern, Anmerkung von Nelke) nicht an den Boden heran zu lassen. Sie scheiterten somit nicht an dem utopischen Charakter ihres Sozialismus, sondern an ihrer demokratischen Unzulänglichkeit. Die Nachprüfung ihres Utopismus hätte Jahre erfordert. Ihr Verrat am Agrardemokratismus offenbarte sich im Laufe weniger Monate: unter einer Regierung der Sozialrevolutionäre mussten die Bauern den Weg des Aufstandes beschreiten, um das Programm der Sozialrevolutionäre zu verwirklichen.“ (Leo Trotzki, Geschichte der Russischen Revolution, Zweiter Teil: Oktoberrevolution (1), a.a.O., S. 705/706.)
Dieses Zitat belegt eindeutig, dass der 1917 zweitwichtigste Bolschewik nach Lenin nicht die geringsten Illusionen in die antifeudal-kleinbürgerliche Agrarbewegung hatte. Doch war diese Illusionslosigkeit in Bezug auf die kleinbäuerliche Agrarbewegung bei Trotzki mit der Idealisierung der bolschewistischen PolitikerInnen verbunden, welche nach ihrer politischen Machteroberung eine kleinbürgerliche Bodenreform durchführten: „Damit der Bauer den Boden säubern und von Zäunen befreien konnte, musste an die Spitze des Staates der Arbeiter treten: dies ist die einfachste Formel der Oktoberrevolution.“ (Ebenda, S. 720.) Ja, was Trotzki auch als „antistalinistischer“ Oppositioneller lieferte, war die ideologische Grundlüge über die Oktoberrevolution, mit der er sich selbst und das Weltproletariat betrog. Nein, an die Spitze des Staates traten bolschewistische BerufspolitikerInnen und nicht der/die Arbeiter/in. So diente der Kampf der KleinbäuerInnen und LandarbeiterInnen gegen den Großgrundbesitz dem kleinbürgerlichen Radikalismus, weil er die Kerenski-Regierung erheblich schwächte.

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Nach dem gescheiterten Kornilow-Putsch, einigten sich die Bourgeoisie und die kleinbürgerlich-demokratische Sowjetführung darauf, den unfähigen Kerenski weiterwirtschaften zu lassen. Doch das konnte nur noch eine kurze Zeit sein, da sich dieses Regime und mit ihm die ganze politische Herrschaft der Bourgeoisie hoffnungslos überlebt hatte. Die kleinbürgerlich-demokratischen Menschewiki und „SozialrevolutionärInnen“ verloren immer mehr Einfluss auf das Proletariat – und damit auch jegliche Bedeutung für die russische Bourgeoisie. Diese kleinbürgerlichen DemokratInnen wollten an der Seite der russischen Bourgeoisie großbürgerliche Strömungen werden, doch wegen der Schwäche des russischen Privatkapitals wurden sie gemeinsam mit diesem vom staatskapitalistischen Bolschewismus hinweggefegt.
Die proletarische Basis der Menschewiki und „SozialrevolutionärInnen“ begann nach dem gescheiterten Kornilow-Putsch sich immer stärker den Bolschewiki zuzuwenden. Die Bolschewiki beherrschten politisch und ideologisch große Teile des subjektiv revolutionären Proletariats. Menschewiki und „SozialrevolutionärInnen“ beherrschten zwar noch die gesamtrussische Führung der Sowjets, aber immer mehr lokale Sowjets konnten von den Bolschewiki politisch erobert werden. Anfang September gelang es den bolschewistischen PolitikerInnen auch die lokalen Sowjets von Petrograd und Moskau unter ihre Kontrolle zu bekommen. Führer des Petrograder Sowjets wurde der bolschewistische Politiker Trotzki, welcher von der Provisorischen Regierung gegen Kaution aus der Haft entlassen wurde. Die kleinbürgerlich-demokratischen Menschewiki und „SozialrevolutionärInnen“ versuchten gegen die Opposition des kleinbürgerlich-radikalen Bolschewismus die Einberufung eines gesamtrussischen Sowjetkongresses zu verhindern, weil ihnen auf diesem die völlige Entmachtung drohte. „Alle Macht den Sowjets!“ hieß nun objektiv: alle Macht den bolschewistischen Sowjets beziehungsweise den bolschewistischen PolitikerInnen innerhalb der Sowjets. Nach einigen Hin und Her wurde der Termin für den kommenden Sowjetkongress von der alten menschewistisch-„sozialrevolutionären“ gesamtrussischen Führung der Sowjets auf den 25. Oktober 1917 gelegt.
Die kleinbürgerlichen DemokratInnen von der menschewistischen und „sozialrevolutionären“ Partei schufen allerdings auch im September 1917 eine „Demokratische Versammlung“, auf der sich groß- und kleinbürgerliche Organisationen tummelten und aus der ein Vorparlament hervorging. Diese Demokratische Versammlung und das Vorparlament waren von Anfang an parlamentarische Gegenorganisationen zu den sich bolschewisierenden Sowjets. Lenin und Trotzki kämpften für den Boykott des Vorparlaments durch die bolschewistische Partei, konnten sich am Anfang aber damit nicht innerhalb des kleinbürgerlich-radikalen BerufspolitikerInnentums durchsetzen. Doch schließlich gelang es den zwei führenden Bolschewiki sich im internen Machtkampf durchzusetzen. Dabei konnten sie sich auch auf die subjektiv proletarisch-revolutionäre Massenbasis des Bolschewismus stützen. Am 7. Oktober 1917 verließ die bolschewistische Partei das Vorparlament.
Lenin und Trotzki hielten nun die Zeit für die politische Machtübernahme der bolschewistischen Partei im Gewand der Sowjets für gekommen. Doch innerhalb der bolschewistischen Parteibürokratie gab es eine starke Opposition, welche aktiv oder passiv gegen den Kurs der politischen Machtübernahme in Form eines Staatsstreiches im Namen der Sowjets und des Proletariats opponierten. Diese Opposition, welche von Sinowjew und Kamenjew geführt wurde, war im Wesentlichen kleinbürgerlich-demokratisch und wollte weiterhin die legalen Spielregeln innerhalb der groß- und kleinbürgerlichen Demokratie einhalten. Sie zeigte deutlich, dass der Bolschewismus nur eine inkonsequente kleinbürgerlich-radikale Abspaltung von der Demokratie war, aber nicht deren konsequente sozialrevolutionäre Kritik. Doch der kleinbürgerlich-radikale Charakter der bolschewistischen Partei konnte sich im Oktober 1917 gegen die kleinbürgerlich-demokratische Tradition und Opposition durchsetzen. Am 10. Oktober 1917 beschloss das bolschewistische Zentralkomitee gegen die Opposition von Sinowjew und Kamenjew den Kurs auf den bewaffneten Staatsstreich.
Organisatorische Basis dieses Staatsstreiches wurde das Militärische Revolutionskomitee des Petrograder Sowjets. Im Hintergrund zog die Militärische Organisation der bolschewistischen Partei die Fäden des Staatsstreiches. Allerdings hatte der bolschewistische Staatsstreich eine solide proletarische und soldatische Massenbasis und es beteiligten sich auch einige „linke SozialrevolutionärInnen“ und AnarchistInnen aktiv an der Oktoberrevolution. Ausgangspunkt der Oktoberrevolution wurde der Versuch der Provisorischen Regierung die Armeeeinheiten Petrograds an die Front zu verlegen. Das Militärische Revolutionskomitee des Petrograder Sowjets ernannte KommissarInnen für die Truppenteile und gab an die Soldaten die Anweisung künftig nur Befehle zu befolgen, die auch von den KommissarInnen der Sowjets akzeptiert würden. Damit verhinderte das Militärische Revolutionskomitee nicht nur die Verlegung der Petrograder Soldaten an die Front, sondern es streckte auch die Hand zur politischen Eroberung der größten Teile der Petrograder Truppenteile aus. Bereits vor der Oktoberrevolution wurde die Armee in der Hauptstadt der Revolution politisch in drei Teile gespalten: probolschewistische, regierungstreue und neutrale Einheiten.
Neben bestimmten militärischen Einheiten verfügte das Militärische Revolutionskomitee des bolschewistisch beherrschten Petrograder Sowjets auch über das bewaffnete Proletariat, die Roten Garden, welche auch aktiv an der Oktoberrevolution teilnahmen. Weiter oben haben wir die Roten Garden als Keimform einer Diktatur des Proletariats bezeichnet. Nach unseren heutigen Erfahrungen kann die Diktatur des Proletariats keine Staatsform, sondern nur die gewaltsame Zerschlagung des Staates durch das Proletariat sein. Die Diktatur des Proletariats kann also objektiv nur antipolitisch wirksam werden. Indem die Roten Garden während der Oktoberrevolution sich bolschewistischen BerufspolitikerInnen unterordneten, welche durch einen Staatsstreich sich die politische Macht eroberten, handelten sie objektiv nicht als Diktatur des Proletariats, wenn auch ihre Basis subjektiv ehrlich und sozialrevolutionär war. Durch ihre eigenen politischen Illusionen gegen die bolschewistischen BerufspolitikerInnen entwaffnet wurden die bewaffneten ProletarierInnen zur Manövriermasse des kleinbürgerlichen Radikalismus als Keimform der kommenden staatskapitalistischen Sozialreaktion. Als diese sich weiter entwickelte, brauchte sie natürlich eine „richtige“, das heißt eine bürgerlich-bürokratische, Armee, welche natürlich rot gestrichen wurde. Die Integration der Roten Garde in der „Rote Armee“ war die Entwaffnung des Proletariats zu Gunsten eines staatskapitalistischen Militarismus (siehe dazu auch das Kapitel Staatskapitalistische Reaktion gegen privatkapitalistische Reaktion im Text Der BürgerInnen- und imperialistische Interventionskrieg (1918-1921)).
Doch kehren wir in den Oktober 1917 zurück. Das Militärische Revolutionskomitee des Petrograder Sowjets tarnte auch noch während der Oktoberrevolution, welche am 24. Oktober 1917 begann, seinen offensiven Kampf um die politische Macht mit defensiven öffentlichen Erklärungen. Die hilflosen Reflexe zur Selbstverteidigung, welche von dem sterbenden privatkapitalistischen Regime ausging, stellte der Führer des Petrograder Sowjets, Trotzki, als Beginn der Konterrevolution dar, gegen die sich der Sowjet nur verteidige. Am Morgen des 24 Oktober 1917 verfügte die Provisorische Regierung in der Tat die Entmachtung der sowjetischen KommissarInnen in der Armee, das Verbot der bolschewistischen Presse und die Verhaftung des Militärischen Revolutionskomitees. Doch an der Offensive des Petrograder Sowjets, des bewaffneten Proletariats und der offen den Gehorsam verweigernden Armeeeinheiten zerbrach der schwächliche Widerstand der privatkapitalistischen Sozialreaktion.
In der Nacht vom 24. zum 25. Oktober ging das Militärische Revolutionskomitee zur offensiven Machteroberung über. Es ließ durch probolschewistische Soldaten, Matrosen und Roten Garden die Bahnhöfe Petrograds, die Elektrizitätszentrale, das Militär- und das Proviantlager, die Wasserleitung, die Schlossbrücke, die Telefonzentrale und die großen Druckereien besetzen. Dies geschah im Wesentlichen ohne Gegenwehr des alten Regimes und ohne Blutvergießen. Die einzige Schwierigkeit war die Einnahme des Winterpalais, dem Sitz der Provisorischen Regierung, welches durch die letzten regierungstreuen bewaffneten Einheiten des Kerenski-Regimes gegen den bolschewistischen Staatsstreich gehalten wurde. Dieser letzte militärische Widerstand des sterbenden Regimes konnte erst durch den Sturm der ArbeiterInnen, Soldaten und Matrosen in der Nacht zum 26. Oktober 1917 erfolgreich gebrochen werden.
Als am 25. Oktober 1917 der gesamtrussische Sowjetkongress zu tagen begann, war der bolschewistische Staatsstreich noch nicht beendet, das Winterpalais noch nicht eingenommen. Der bewaffnete Aufstand hatte sich verspätet, der Sowjetkongress sollte nach den ursprünglichen bolschewistischen Plänen mit dem vollendeten Sturz der Provisorischen Regierung konfrontiert werden, um die alte gesamtrussische Sowjetführung aus Menschewiki und „SozialrevolutionärInnen“ von Anfang an geschwächt zu entmachten. Die Bolschewiki konnten aber trotz der verspäteten Beendigung ihrer Oktoberrevolution Dank ihrer Mehrheit ihr Ziel erreichen: die Sanktion ihres Staatsstreiches durch den Sowjetkongress.
Die rechten Menschewiki und „SozialrevolutionärInnen“ verließen nach einigen antibolschewistischen Erklärungen den Sowjetkongress. Die linken Menschewiki versuchten die Bolschewiki von der Idee zu überzeugen, eine Koalitionsregierung zusammen mit Menschewiki und „SozialrevolutionärInnen“ zu bilden. Mal abgesehen davon, dass auch diese Regierung so wie jede andere Staatsführung objektiv nur sozialreaktionär sein konnte, war diese Idee vollkommen hilflos und utopisch. Für eine Koalition zwischen der kleinbürgerlichen Demokratie als linker Flanke der bereits vollkommen überlebten privatkapitalistischen Sozialreaktion und dem kleinbürgerlich-radikalen Bolschewismus als Keimform der beginnenden erfolgreichen staatskapitalistischen Sozialreaktion gab es keine materielle Basis. Als die linken Menschewiki von den Bolschewiki die Abfuhr erhielten, verließen auch sie nach und nach den Sowjetkongress. Die linken „SozialrevolutionärInnen“ hegten zu diesem Zeitpunkt ähnliche Illusionen über eine objektiv unmögliche Koalition zwischen kleinbürgerlicher Demokratie und kleinbürgerlichem Radikalismus. Doch sie verließen den Sowjetkongress nicht, allerdings beteiligten sie sich auch nicht am 26. Oktober an der Regierungsbildung der Bolschewiki. Sie wollten weiterhin zwischen der künftigen bolschewistischen Regierung und den kleinbürgerlichen DemokratInnen vermitteln. Das war nicht gerade sehr sozialrevolutionär. Auch die kurze Beteiligung der „linken SozialrevolutionärInnen“ an der bolschewistischen Regierung vom Dezember 1917 bis in den März 1918 war es nicht, weil objektiv jede Staatsführung nur sozialreaktionär sein kann, unabhängig davon ob eine klassen- und staatenlosen Gesellschaft in einer geschichtlich konkreten Situation objektiv möglich ist oder nicht. Das bolschewistische Lenin/Trotzki-Regime, was am 26. Oktober 1917 auf dem Sowjetkongress gebildet wurde, war also von Anfang an sozialreaktionär, auch wenn im damaligen Russland objektiv nicht „mehr“, also eine klassen- und staatenlose Gesellschaft, möglich war.
Außerdem wurden am 26. Oktober 1917 zwei wichtige Dekrete beschlossen, nämlich das „Dekret über Grund und Boden“, über dessen Bedeutung wir noch weiter unten schreiben werden, und das „Dekret über den Frieden“. Dieses richtete sich sowohl an die Staaten wie an die „Völker“ der privatkapitalistischen Nationen mit dem Aufruf den imperialistischen Krieg ohne Annexionen und Kontributionen zu beenden. Dieses Dekret war objektiv nicht sozialrevolutionär, weil ein Frieden zwischen bürgerlichen Nationalstaaten nur ein Frieden gegen das Weltproletariat sein konnte, der ein neues globales Gemetzel vorbereitete. Objektiv war das „Dekret über den Frieden“ nur ein Ausfluss des sozialreaktionären Nationalpazifismus. Genau wie der Krieg, den das junge bolschewistische Regime zwischen 1918 und 1921 gegen die russische und internationale privatkapitalistische Sozialreaktion führte, als der Krieg eines Staates objektiv nicht revolutionär und auch nur ein Krieg gegen das Proletariat sein konnte. Dass sich das „Dekret über den Frieden“, auch an die „Völker“ der privatkapitalistischen Nationen wandte – nicht an die ProletarierInnen! – machte diese Erklärung nicht sozialrevolutionär. Denn was die Bolschewiki damals verschwommen unter Weltrevolution verstanden, war ganz bestimmt nicht das, was wir heute unter einer globalen revolutionären Selbstaufhebung des Proletariats verstehen. Die von ihnen 1919 gegründete „Kommunistische“ Internationale richtete sich damals schon gegen die fortgeschrittensten sozialrevolutionären ArbeiterInnen und Intellektuellen, war also auch von Anfang an objektiv sozialreaktionär.
Natürlich war noch sehr viel praktische Erfahrung nötig, bis die oben genannten Objektivitäten auch subjektiv so klar erkannt werden konnten. 1917 war diese subjektive Reife des sozialrevolutionären Bewusstseins objektiv noch nicht möglich. Aber heute ist sie möglich und auch notwendig! Diese subjektive Klarheit stellen wir gegen alle partei-„kommunistischen“ Märchenbücher über den angeblich „proletarischen“ Bolschewismus und den von ihn beherrschten Staat!
Die Oktoberrevolution war ein Staatsstreich der kleinbürgerlich-radikalen bolschewistischen Partei. Allerdings konnte dieser sich am Anfang auf eine gewaltige proletarische und kleinbäuerliche Massensympathie stützen, die aber wiederum nur aus Illusionen bestand. Die Oktoberrevolution war ein höchst widersprüchlicher sozialer Prozess. Ja, es ist wahr, dass im Oktober 1917 kleinbürgerlich-radikale BerufspolitikerInnen die Staatsmacht eroberten, um kurze Zeit später ein staatskapitalistisches Regime zu errichten. Aber es ist genau so wahr, dass im Oktober 1917 nicht wenige ehrliche und subjektiv sozialrevolutionäre ProletarierInnen – wenn auch mit bolschewistischen Illusionen im Kopf – die Gelegenheit nutzten, um mit dem verhassten demokratischen Regime Schluss zu machen, welches sich innerhalb von acht Monaten im damaligen Russland schon völlig überlebt hatte. Nicht wenige subjektiv ehrliche proletarische RevolutionärInnen überwanden nach Erfahrungen mit dem sozialreaktionären bolschewistischen Regime ihre Illusionen in die Partei und den Staat von Lenin/Trotzki und begannen auch gegen den Staatskapitalismus zu kämpfen – am klarsten und bewusstesten im Kronstädter Aufstand von März 1921.
Noch einmal in aller Deutlichkeit: die sozialrevolutionäre Kritik am Bolschewismus hat nicht das Geringste mit dem Gewimmer kleinbürgerlicher DemokratInnen, welches mit der bolschewistischen Machtübernahme einsetzte, gemeinsam. Ja, unsere theoretische und praktische Kritik an der Demokratie ist wesentlich radikaler und konsequenter als die des Bolschewismus in seiner radikalsten Entwicklungsphase. Wir möchten daran erinnern, dass die bolschewistische Partei während der gesamten Zeit vor der Oktoberrevolution durch ihre Beteiligung an den Stadtdumas an den Hokuspokus des demokratischen Regimes teilnahm und ebenfalls die Einberufung der parlamentarischen Konstituierenden Versammlung von der Provisorischen Regierung verlangte. Ja, die Bolschewiki ließen sogar nach ihrem Sturz der Provisorischen Regierung Wahlen zu diesem Parlament durchführen. Allein diese Tatsache bewies schon hinlänglich, dass weder die bolschewistische Partei noch ihr Staatsstreich im Oktober 1917 wirklich sozialrevolutionär war.
Doch bei den Wahlen zur Konstituierenden Versammlung gewann am 5. Januar 1918 (nach alten russischen Kalender) nicht die bolschewistische Partei, sondern die bäuerliche Bevölkerungsmehrheit wählte massenhaft rechte „SozialrevolutionärInnen“, gegen deren Politik sie doch im Herbst 1917 eine Agrarrevolte durchgeführt hatte. Vielleicht hatte sich bei den BäuerInnen der Unterschied zwischen rechten und linken „SozialrevolutionärInnen“ noch nicht herumgesprochen… Nun ja, die Gründe, warum ProletarierInnen und KleinbürgerInnen bestimmte PolitikerInnen durch demokratische Wahlen legitimieren in ihrem Namen und gegen ihre Interessen zu regieren, sind eigentlich immer irrational. Rational kann nur die Zerschlagung des demokratischen Parlamentarismus durch die Diktatur des Proletariats sein. Allerdings war die Sprengung der Konstituierenden Versammlung durch das bolschewistische Regime nach nur einer Sitzung objektiv nicht sozialrevolutionär, weil sie der Herausbildung eines staatskapitalistischen Regimes diente.

…..

Die Oktoberrevolution war aus proletarischer Sicht nicht sozialrevolutionär. Sie war die politische Machtübernahme des bolschewistischen kleinbürgerlichen Radikalismus gegen die Bourgeoisie und die GroßgrundbesitzerInnen – aber auch gegen die BäuerInnen und das Proletariat. Die ideologischen Verrenkungen des Partei-„Kommunismus“ in all seinen Schattierungen, um die Oktoberrevolution als „proletarisch“ oder „sozialistisch“ erscheinen zu lassen, halten der historischen Wirklichkeit nicht stand. Die politische Eroberung des bürgerlichen Machtapparates, des Staates, kann objektiv niemals sozialrevolutionär sein. Auch die bolschewistische Partei war nicht die „Avantgarde des Proletariats“, sondern das Machtzentrum kleinbürgerlich-radikaler PolitikerInnen, welche durch die Eroberung der Staatsmacht großbürokratisch wurden.
Denn der „ArbeiterInnenstaat“, welcher in der Wirklichkeit nichts anderes sein kann als der rot gefärbte bürgerliche Staat, kann nur in der marxistischen Ideologieproduktion absterben. In der sozialen Realität versucht jeder Staat seine Machtbasis auszuweiten. Die Organisationsweise des Staates ist bürokratisch, er ordnet sich auch das Proletariat unter. Das Proletariat kann den Staat nur möglicherweise zerschlagen, aber unmöglich ihn politisch erobern. In dieser grundlegenden Frage hat der Anarchismus gegenüber dem Marxismus Recht, doch stellte der erstere kaum ein tragfähiges theoretisches Fundament zur sozialrevolutionären Zerschlagung des Staates dar, sondern oft nur eine ideologische Verzierung des kleinbürgerlichen Individualismus. Die bürgerliche Gesellschaft besteht auf der einen Seite aus Marktsubjekten – einschließlich der LohnarbeiterInnen, welche ihre Arbeitskraft an Kapital und Staat vermieten und Konsumgüter kaufen –, die gegeneinander einen gnadenlosen Konkurrenzkampf führen und einem bürokratischen Machtapparat mit Namen Staat, der als scheinbar neutraler Schiedsrichter dafür sorgt, dass dieser Konkurrenzkampf nach gewissen Regeln geführt wird. Staat und vereinzelte Individuen als konkurrierende Marktsubjekte reproduzieren sich gegenseitig. Indem ein Großteil der AnarchistInnen die „Freiheit der Persönlichkeit“ gegen den Staat verteidigt, verteidigt er in Wirklichkeit den bürgerlichen Individualismus gegen den Staat, aber nicht die Perspektive der proletarischen Staatszerschlagung. Am stärksten sind diese sozialreaktionären Tendenzen im Individualanarchismus und Anarchokapitalismus sichtbar. Aber auch in scheinbar linkeren Varianten des Anarchismus gibt es starke kleinbürgerlich-individualistische Tendenzen, welche zum Beispiel in der Verklärung der KleinbäuerInnen zum Ausdruck kommen.
Schon allein wegen der KleinbäuerInnen, welche nach Kleineigentum strebten – also nach kleinbürgerlicher Warenproduktion und damit Individualismus und den Staat als Schiedsrichter reproduzierend –, war eine Zerschlagung des russischen Staates objektiv nicht möglich. Die bolschewistischen PolitikerInnen schufen mit ihrer Bodenreform sofort nach der Oktoberrevolution die soziale Basis zur Entfaltung der kleinbäuerlichen Warenproduktion. Per Dekret wurde der Grundbesitz des Adels, der Krone und der Klöster entschädigungslos enteignet. Mit dieser Maßnahme war die politische Machtübernahme durch den Bolschewismus zugleich der Höhepunkt der antifeudalen Revolution. Dieser Höhepunkt der antifeudalen Revolution durch die bolschewistische Bodenreform konnte nur durch die vorherige politische Entmachtung der liberalen Bourgeoisie durchgesetzt werden, während die Machtübergabe an die Liberalen durch die kleinbürgerlich-demokratischen Menschewiki und „SozialrevolutionärInnen“ im März 1917 die endgültige Beseitigung des Feudalismus in Russland nur verzögerte. Entgegen dem menschewistischen Dogmengebäude von der „logischen Führung der Bourgeoisie in der bürgerlichen Revolution“, wurde der kleinbürgerlich-radikale Bolschewismus zum politischen Subjekt der antifeudalen Revolution – gegen die Bourgeoisie.
Doch zugleich bekämpfte das bolschewistische Regime schon unter Lenin und Trotzki unerbittlich die selbständige kleinbäuerlich-landproletarische Machno-Bewegung in der Ukraine (siehe dazu das Kapitel Sowjetrussischer Imperialismus in der Ukraine im Text Der BürgerInnen- und imperialistische Interventionskrieg (1918-1921)) und das Stalin-Regime liquidierte dann später die kleinbäuerlich-individuelle Warenproduktion auf dem Land und verwandelte alle BäuerInnen in Staatsknechte und -mägde. Die kapitalistische Stadt –hier ein staatskapitalistisches Regime – ordnete sich das bäuerliche Dorf unter. Dies war eine unerbittliche Folge der sozialen Schwerkraft des Industriekapitals, gegen die keine kleinbäuerliche Bewegung ankommen kann. Während in der privatkapitalistischen Ökonomie die kleinbäuerlichen Wirtschaften durch die „unsichtbare Hand des Marktes“ schleichend untergehen, sorgte in der Sowjetunion die nur allzu sichtbare Faust des Staates für die Beseitigung der kleinbürgerlichen Warenproduktion auf dem Lande. So ging der Höhepunkt der antifeudalen Revolution folgerichtig in die staatskapitalistische Sozialreaktion gegen die KleinbäuerInnen über.
Nur die revolutionäre Selbstaufhebung des Landproletariats als Teil des globalen Gesamtproletariats kann die kapitalistische Landwirtschaft aufheben, während die kleinbäuerlich-landproletarische Bewegung während der russischen Revolution objektiv nur die Landwirtschaft vom alten Plunder des Feudalismus reinigen konnte – aber niemals die soziale Basis für eine nachkapitalistische klassenlose Gesellschaft schaffen konnte. Dass ein Teil der kleinbäuerlich-landproletarischen Bewegung – AnarchistInnen und „linke SozialrevolutionärInnen“ – ihren grundsätzlich kleinbürgerlichen Charakter ideologisch mit viel Sozialromantik etwas schmückten und noch heute verklären, ändert ebenfalls nichts an den historischen Tatsachen.
Außerdem war die Oktoberrevolution der Höhepunkt der antiprivatkapitalistischen Revolution und zugleich der Umschlagmoment in die siegreiche staatskapitalistische Sozialreaktion gegen das Proletariat. Der sowjetische Staat wurde schon unter Lenin und Trotzki objektiv zum sozialökonomischen Ausbeuter und zum politischen Unterdrücker des Proletariats. Die Umwandlung der Sowjets in Staatsorgane konnte objektiv nur deren Transformation von Mischformen aus embryonalen Keimformen der proletarischen Selbstorganisation und Organen der kleinbürgerlichen „ArbeiterInnendemokratie“ in Werkzeuge der bolschewistischen Parteidiktatur gegen das Proletariat bedeuten.
In der Industrie experimentierte der Bolschewismus eine Weile mit der „ArbeiterInnenkontrolle“. Die industrielle Bourgeoisie behielt ein paar Monate ihr Eigentum an industriellen Produktionsmitteln, doch die Bourgeoisie sollte vom Industrieproletariat kontrolliert werden. Es wurden dazu ArbeiterInnenkontollorgane geschaffen, dessen Entscheidungen für das Betriebsmanagement verbindlich waren. Das Geschäftsgeheimnis wurde aufgehoben. Die „ArbeiterInnenkontrolle“ institutionalisierte also die Doppelherrschaft zwischen Bourgeoisie und Organen der proletarischen Selbstorganisation beziehungsweise der kleinbürgerlichen „ArbeiterInnendemokratie“. Ja, auch diese ArbeiterInnenkontrollorgane stellten wieder eine typische Mischform zwischen Klassenkampforganen und Instanzen einer kleinbürgerlichen Demokratie dar. Durch diese Institutionalisierung der Doppelherrschaft im privatkapitalistischen Betrieb war die Kraft, welche den Rahmen vorgab, nämlich das bolschewistische Regime, die sozial stärkste Kraft im Dreiecksverhältnis zwischen Bourgeoisie, Proletariat und Staat. Die letztgenannte Kraft intervenierte von Anfang an stark in die – noch! –privatkapitalistische Wirtschaft. Bereits im Dezember 1917 wurde das Organ der zentralbürokratischen Planwirtschaft, der „Oberste Volkswirtschaftsrat“ errichtet. Er sollte die Volkswirtschaft organisieren und die Staatsfinanzen beaufsichtigen.
Der bürgerliche Historiker Helmut Altrichter beschrieb das Regime der „ArbeiterInnenkontrolle“ in der russischen Wirtschaft: „Bei der Einführung der Arbeiterkontrolle war offen geblieben, welche Rechte künftig noch dem Unternehmer zustehen sollten, und die politische Führung hatte dazu auch keine einheitliche Meinung. Die Arbeiterkontrollorgane legten ihre neuen Befugnisse extensiv aus, zeigte sich Widerstand, so griff man sehr schnell zum Mittel der Enteignung. Die Zahl der ,sozialisierten‘, ,kommunalisierten‘ Betriebe ging schon im Winter 1917/18 in die Hunderte. Nicht nur Großunternehmen waren davon betroffen, nein, auch und vor allem Klein- und Kleinstbetriebe.
Wie sollten diese Betriebe künftig geführt werden? Dazu gab es keine einheitlichen Richtlinien. Was durften die Wirtschaftsorgane vor Ort, was mussten sie den übergeordneten Stellen überlassen? Nirgends waren die Kompetenzen abgegrenzt, und der Oberste Volkswirtschaftsrat befand sich erst im Aufbau. Sollte, musste die ,Attacke auf das Kapital‘ fortgesetzt werden? Es gab viele in der Partei, allen voran die ,linken Kommunisten‘, die das forderten. Oder war bereits mehr ,nationalisiert, konfisziert, zerschlagen und zerbrochen‘ als man erfassen und verwalten konnte. Lenin war im Frühjahr 1918 dieser Meinung, und er forderte die Rückkehr zu Disziplin und Ordnung, wenn man nicht in Anarchie und Chaos versinken wolle. (Helmut Altrichter, Kleine Geschichte der Sowjetunion 1917-1991, Verlag C.H.Beck, München 2007, S. 34.)
Wir sehen hier deutlich: Das ungeklärte Dreiecksverhältnis zwischen Bourgeoisie, „ArbeiterInnenkontrollorganen“ und dem bolschewistischem Staat führte zu ökonomischem Chaos. Außerdem war zu befürchten, dass die ArbeiterInnenklasse ohne Eingreifen des Staates genossenschaftliche Eigentumsformen, also kleinbürgerlich-kollektive Formen der Warenproduktion, in der Industrie durchsetzen würde. Doch das war nicht im Interesse des bolschewistischen Regimes.
Die „ArbeiterInnenkontrolle“ war also unhaltbar. Die sozial stärkste Kraft im Dreiecksverhältnis, der bolschewistische Staat, holte im Frühsommer 1918 mit der Verstaatlichung der wichtigsten industriellen Produktionsmittel zum entscheidenden Schlag aus – sowohl gegen die Bourgeoisie als auch gegen das Proletariat. Die Verstaatlichung der industriellen Produktionsmittel war der Höhepunkt der antiprivatkapitalistischen Revolution des kleinbürgerlichen Radikalismus gegen die Bourgeoisie – und zugleich der Umschlagmoment in die staatskapitalistische Sozialreaktion gegen das Proletariat. Denn die Verstaatlichung der industriellen Produktionsmittel war nicht die Aufhebung des Kapitals, sondern dessen Verstaatlichung. Die Partei/Staatsbürokratie verfügte praktisch über das staatliche Eigentum an Produktionsmitteln, dies hieß, sie bestimmte was und wie produziert wurde, während die ArbeiterInnenklasse ihre kollektive Arbeitskraft an den Staat – also an dessen Bürokratie – vermieten musste. Die Partei/Staatsbürokratie verfügte über den proletarisch produzierten Mehrwert. Einen Teil davon eignete sie sich legal und illegal als Konsumtionsfonds an, den anderen Teil investierte sie in die ursprüngliche staatskapitalistische Industrialisierung.
Der Bolschewismus war keine abenteuerlich-sozialromantische oder gar anarchistische Kraft, wie der Menschewismus es darstellte. Er war die einzige Kraft zur kapitalistischen Lösung der Krise des russischen Staates. Die russische Bourgeoisie war schon vor der Revolution von 1917 zu schwach dazu, um die politische Macht zu erobern. Sie verbündete sich vor der Februarrevolution mit GroßgrundbesitzerInnen und Zarismus für den imperialistischen Krieg und gegen Proletariat, KleinbäuerInnen und den kleinbürgerlich-radikalen Bolschewismus. Nach der Februarrevolution reproduzierte sie die gleiche Sozialreaktion – ohne den Zaren. Die gewaltige soziale Sprengkraft der russischen Revolution fegte die schwache Bourgeoisie hinweg, doch das subjektiv revolutionäre Proletariat war sozial (es war noch eine Minderheit in der russischen Gesellschaft) und geistig (keine bewusste Kritik der Warenproduktion und der Politik) zu schwach um sich selbst aufzuheben. Also löste der kleinbürgerlich-radikale Bolschewismus die Krise des russischen Staates in dem er das Kapital verstaatlichte und sich dadurch objektiv selbst zu einer staatskapitalistisch-sozialreaktionären Kraft transformierte, der sich selbst und das Proletariat mit einer antikapitalistisch-„kommunistischen“ Ideologieproduktion betrog.

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Von der Februar- zur Oktoberrevolution Teil 1 https://sbefreiung.blackblogs.org/2017/06/22/von-der-februar-zur-oktoberrevolution-teil-1/ https://sbefreiung.blackblogs.org/2017/06/22/von-der-februar-zur-oktoberrevolution-teil-1/#respond Thu, 22 Jun 2017 21:05:53 +0000 http://sbefreiung.blogsport.de/2017/06/22/von-der-februar-zur-oktoberrevolution-teil-1/ Wir veröffentlichen hier den ersten Teil des Kapitels „Von der Februar- zur Oktoberrevolution“. Die gesamte Broschüre „Schriften zur russischen Revolution (1917-1921)“ könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de bestellen.

Russland im März 1917. Das Land wird offiziell von einer Provisorischen Regierung repräsentiert, was aber beim subjektiv revolutionären Proletariat – was gerade erst den Zaren gestürzt hatte – kaum Vertrauen genießt. Neben den großbürgerlichen Institutionen – Regierung und deren KommissarInnen, Parlamente (Dumas) – gibt es die Sowjets als Mischformen aus einer kleinbürgerlichen Demokratie und proletarischen Klassenkampforganen. Die kleinbürgerlich-demokratische Sowjetführung, bestehend aus menschewistischen und „sozialrevolutionären“ BerufspolitikerInnen, hatte die liberale Bourgeoisie und ihr politisches Personal mehr oder weniger dazu genötigt, die politische Macht zu übernehmen. Die großbürgerliche Regierung besaß also selbst überhaupt kein anderes politisches Fundament, als dass die Sowjets und ihre kleinbürgerlich-demokratische Führung sie stützten und die letztere noch von den demokratischen Illusionen von großen Teilen des Proletariats getragen wurde. Die schwache russische Bourgeoisie stand vor der Februarrevolution im Schatten des Zarismus, jetzt stand sie unter starkem proletarischen, bäuerlichen und soldatischen Druck.
Die Provisorische Regierung und die kleinbürgerlich-demokratische Sowjetführung führten an der Seite von Frankreich und England den imperialistischen Krieg weiter. Die rebellierenden Soldaten der Februarrevolution mussten sich im März wieder ihren Offizieren beugen – die größtenteils Gegner der Februarrevolution waren. Die Provisorische Regierung wollte jedoch die alten zaristischen Offiziere durch KommissarInnen kontrollieren. Außerdem entstanden in den Streitkräften auch Armeekomitees, in denen die meist bäuerlichen Soldaten vorwiegend Vertreter der „sozialrevolutionären“ „BäuerInnenpartei“ wählten. Also auch Doppelherrschaft in der Armee. Nicht wenige Offiziere trachteten danach, die Armeekomitees wieder zu liquidieren, obwohl sie am Anfang stark von kleinbürgerlichen Demokraten und großen Patrioten dominiert waren.
Die Provisorische Regierung war die konterrevolutionäre Antwort auf die Februarrevolution, was sich auch dadurch zeigte, dass sie den imperialistischen Krieg weiter führte. Doch der menschewistische Parteimarxismus verschleierte diese einfachen Tatsachen. Zu jenen menschewistischen KriegschauvinistInnen, die schon vor der Februarrevolution im imperialistischen Gemetzel auf der Seite des russischen Nationalstaates standen (Plechanow, Wera Sassulitsch, Deutsch), gesellten sich nun jene Menschewiki, die vor dem Sturz des Zarismus den Krieg ablehnten, aber nun die „Revolution“ – in Wirklichkeit den sozialreaktionären russischen Staat – gegen Deutschland verteidigen wollten (Dan, Zeretelli). Nur ein kleines Häuflein, die Menschewiki-InternationalistInnen, welche von Martow geführt wurden, lehnte die Unterstützung des imperialistischen Krieges weiterhin ab.
Die kriegschauvinistische Menschewiki-Mehrheit garnierte das Kriegsgemetzel mit pazifistischen Phrasen. Nur durch diese ideologische Bearbeitung waren die vorwiegend bäuerlichen Soldaten noch als Kanonenfutter zu gebrauchen. Doch der Außenminister der Provisorischen Regierung, der zugleich der führende Kopf des russischen Liberalismus war, Miljukow, dachte gar nicht daran die pazifistische Maskierung des imperialistischen Krieges, welche die kleinbürgerlichen DemokratInnen betrieben, mitzumachen. Er trat mit offenem Kriegschauvinismus in die Öffentlichkeit. Der russische Außenminister vertrat gegenüber der Presse ein offensiv-imperialistisches Programm: die Eroberung Konstantinopels, Nordpersiens und Armeniens, sowie die Aufteilung Österreichs und der Türkei.
Dieses offen chauvinistische Auftreten von Miljukow entzündete einen kleinen Konflikt zwischen der kleinbürgerlich-demokratischen Sowjetführung, welche nichts nötiger hatte als die pazifistische Maskierung des imperialistischen Krieges, und der Provisorischen Regierung. Doch in diese interne Auseinandersetzung zwischen groß- und kleinbürgerlichen PolitikerInnen, mischten sich die Soldaten und die ArbeiterInnen Petrograds ein. Sie gingen am 20. April bewaffnet und massenhaft auf die Straße und forderten die Absetzung Miljukows als Außenminister. Radikalere Kräfte versuchten den Unmut gegen den liberalen Führer auf die gesamte Provisorische Regierung auszudehnen. Die radikalsten Kräfte des Petrograder Proletariats und der in der Hauptstadt stationierten Soldaten versuchten schon im April 1917 die Provisorische Regierung zu stürzen. Sie versuchten in deren Sitz, das Mariinski-Palais, einzudringen und die Minister zu verhaften. Doch die Regierung tagte an diesem 20. April 1917 nicht im Mariinski-Palais. Da der Minister Gutschkow erkrankt war, tagte die Regierung an diesem Tag in dessen Privatwohnung.
Und die Bolschewiki? Die bolschewistische Partei befand sich während der „Apriltage“ noch in ihrer politischen und ideologischen Umrüstung. Bevor Lenin aus dem Schweizer Exil zurückkehrte wurde sie von Kamenew und Stalin geleitet. In dieser Zeit waren führende Bolschewiki nicht mehr als der linke Flügel der kleinbürgerlichen Demokratie. Stalin und Kamenew dachten im März 1917 nicht im Traum daran, die Partei auf den Sturz der Provisorischen Regierung und auf ihre eigene staatskapitalistische Diktatur vorzubereiten. Sie waren zu einer bedingten Unterstützung der Provisorischen Regierung durch die bolschewistische Partei bereit. Den ideologischen Kniff der Menschewiki und „SozialrevolutionärInnen“, die Weiterführung des imperialistischen Krieges mit pazifistischen Phrasen zu tarnen, fand ebenfalls die Unterstützung von Stalin und Kamenew. Kein Wunder, dass es im März 1917 starke Vereinigungstendenzen zwischen Bolschewiki und Menschewiki gab.
Doch Anfang April kam Lenin aus dem Exil nach Russland zurück. Der politische Führer des Bolschewismus gab sich mit dessen Rolle als fünfter Wagen am Rad der kleinbürgerlichen Demokratie nicht zufrieden. Er orientierte auf den Sturz der Provisorischen Regierung als Machtapparat der Bourgeoisie – und die Errichtung einer „proletarischen Regierung“, die sich auf die Dorfarmut stützen sollte, also auf die Schaffung eines staatskapitalistischen Regimes. Die Ideologie von „der demokratischen Diktatur der ArbeiterInnen und BäuerInnen“ wurde vom bolschewistischen Führer als veraltet verworfen. Er übernahm faktisch Trotzkis Ideologie von der permanenten Revolution! Das war für die altbolschewistischen BerufspolitikerInnen zu viel! Niemand von ihnen wollte am Anfang etwas von Lenins ideologischer Umorientierung wissen. Doch Lenin stützte sich im innerparteilichen Fraktionskampf auf die radikaleren und proletarischen Kräfte innerhalb der Bolschewiki. Innerhalb eines Monats gelang Lenin die ideologische Umrüstung der bolschewistischen Partei. Auch Trotzki wurde Bolschewik als er aus dem Exil nach Russland zurückkam. Einige radikale Bolschewiki versuchten während der Apriltage schon die Provisorische Regierung zu stürzen, was aber die Missbilligung Lenins auf sich zog, der realistischerweise die Zeit für die politische Machtübernahme durch den Bolschewismus noch nicht gekommen sah.
Das Petrograder Komitee der Bolschewiki wurde von der Straßenbewegung der ArbeiterInnen und Soldaten gegen Miljukow und die Provisorische Regierung am 20. April überrascht. Doch bereits am 21. April rief es zur Demonstration auf, um die soziale Unmut der ArbeiterInnen und Soldaten unter seine politische Kontrolle zu bekommen. Diese Demonstration war dann auch eine gewaltige proletarische Straßenbewegung –wenn auch unter politischen Einfluss des kleinbürgerlichen Radikalismus. Auch die großbürgerliche Kadettenpartei mobilisierte am 21. April ihren konterrevolutionären Anhang aus Offizieren, Junkern und StudentInnen auf den Newski-Prospekt. Zwischen den proletarischen/kleinbürgerlich-radikalen und den konterevolutionären Kräften kam es zu einem blutigen Zusammenstoß, als Offiziere versuchten ArbeiterInnen ein Banner gegen die Provisorische Regierung zu entreißen.
An diesem Tag plante auch Miljukow gemeinsam mit dem General Kornilow zusammen den protestierenden ArbeiterInnen und Soldaten Petrograds eine blutige Lektion zu erteilen. Das zwang die kleinbürgerlich-demokratische Sowjetführung sämtliche Armeeeinheiten unter Sowjetkontrolle zu stellen. Gleichzeitig verbot es alle weiteren Demonstrationen. Das Proletariat und die aufrührerischen Soldaten Petrograds hielten sich daran. Die Apriltage waren unblutig beendet.
Die Apriltage waren der erste heftige Zusammenstoß der Provisorischen Regierung mit großen Teilen der Petrograder ArbeiterInnen und Soldaten. Diese Massenaktion stieß die kleinbürgerlich-demokratische Sowjetführung aus Menschewiki und „SozialrevolutionärInnen“ noch weiter in Richtung Bourgeoisie. Die Bourgeoisie war auch bereit die kleinbürgerlichen DemokratInnen als Schutzschild gegen die ArbeiterInnen, Soldaten und BäuerInnen zu gebrauchen. Miljukow dagegen wurde von der Bourgeoisie und der Diplomatie der imperialistischen Verbündeten England und Frankreich fallengelassen wie eine heiße Kartoffel. Mit Miljukow als offiziellen Außenpolitiker ließ sich der Krieg nicht mehr weiter führen. Am 2. Mai trat Miljukow als Außenminister zurück, während das Zentrale Exekutivkomitee der Sowjets schon am 1. Mai die Regierungsbeteiligung der Menschewiki und „SozialrevolutionärInnen“ beschloss. Es traten dann auch im Verlauf des Mai 1917 vier kleinbürgerliche DemokratInnen in die Provisorische Regierung ein.
…..
Lenins Konzeption sah objektiv vor, das klassenkämpferische Proletariat als Sprungbrett für die politische Machteroberung des kleinbürgerlichen Radikalismus zu gebrauchen. Aber auch die Kriegsmüdigkeit der Soldaten wurde für sein politisches Manöver genutzt. Selbst den kleinbürgerlichen Landhunger der BäuerInnen gedachte der führende Bolschewik für die politische Machteroberung zu gebrauchen. Ja, sogar den Nationalismus der Oberschichten der innerhalb Russland eingemeindeten nichtrussischen Nationen nutzte der bolschewistische Oberstratege für die Schwächung der russischen Bourgeoisie, der Provisorischen Regierung und der kleinbürgerlich-demokratischen Sowjetführung aus. Lenins Konzept sah auch vor innerhalb der Sowjets den Menschewiki und „SozialrevolutionärInnen“ zu Gunsten der Bolschewiki die Macht streitig zu machen. Die Sowjets sollten nicht mehr von kleinbürgerlich-demokratischen PolitikerInnen geleitet werden, sondern von kleinbürgerlich-radikalen BerufspolitikerInnen. Dabei konnte sich Lenin auf die wachsende Kluft zwischen der proletarischen Basis der Sowjets und ihrer politischen menschewistischen und „sozialrevolutionären“ Führung stützen.
Das Proletariat hatte die Februarrevolution nicht gemacht, um nach den menschewistischen Ideologieschablonen die Bourgeoisie an die politische Macht zu bringen und dann fleißig für diese Mehrwert zu produzieren. Das Proletariat hatte aus tiefer Not heraus gehandelt. Und dieser Kampf war durch die Installierung einer Provisorischen Regierung als Machtorgan von Bourgeois und GroßgrundbesitzerInnen alles andere als beendet, denn dieses stellte ja nur die Ummaskierung des Klassenfeindes dar. Bereits im März 1917 kämpfte das Proletariat für den Achtstundentag. Für diesen Kampf hatten jedoch Bourgeoisie, Provisorische Regierung und die PolitikerInnen der menschewistischen „ArbeiterInnenpartei“ keinerlei Verständnis. Doch das ist ja gerade der Sinn des proletarischen Klassenkampfes: dem Klassenfeind Dinge aufzwingen, die dieser nicht einsieht. Der Kampf um den Achtstundentag wurde von den Fabrikkomitees geführt, den Organen, in denen die proletarische Selbstorganisation am unmittelbarsten zum Ausdruck kam.
Am 14. März 1917 erklärte das großbürgerliche Komitee für Handel und Industrie, dass „die Frage des Achtstundentages nicht durch Verhandlungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern allein entschieden werden kann, da sie eine Angelegenheit von gesamtstaatlicher Bedeutung sei“. Damit hatte die Bourgeoisie die Frage des Achtstundentages an die Politik weiter delegiert. Doch die Provisorische Regierung und die kleinbürgerlich-demokratische Sowjetführung waren gegen den Achtstundentag. Aber das Petrograder Proletariat setzte ihn durch, indem es nach acht Stunden die Mehrwertproduktion eigenmächtig beendete. Kapital und Politik mussten schließlich in dieser Frage nachgeben.
Am 2. April 1917 fand die Arbeitskonferenz der Fabrikkomitees der Petersburger Rüstungsindustrie statt. Sie beschloss die Empfehlungen für Fabrikkomitees in denen unter anderem geschrieben stand: „Vom Fabrikkomitee gehen alle Verordnungen aus, die die interne Ordnung betreffen (also Normierung der Arbeitszeit, Arbeitslohn, Einstellung und Entlassung, Urlaub u. ä.); der Vorgesetzte des Werkes oder der Abteilung wird davon in Kenntnis gesetzt (…) alle technischen Angestellten und alle anderen Verwaltungspersonen – treten ihren Dienst an im Einvernehmen mit dem Komitee des gesamten Werkes; dieses muss über deren Einstellung eine Erklärung abgeben oder auf einer allgemeinen Versammlung des ganzen Betriebes bzw. der Komitees in den Werkstätten berichten. (…) Das Fabrikkomitee ist ein Organ, dass die Tätigkeit der Werksleitung auf technischem Gebiet und in der Wirtschaftsführung kontrolliert (…) dabei müssen dem Vertreter der Fabrikkomitees alle offiziellen Dokumente vorgelegt werden; dasselbe gilt für alle Kostenvoranschläge im Produktionsbereich und im Ausgabensektor (…)“ (A. M. Pankratowa, Fabrikräte in Russland. Der Kampf um die sozialistische Fabrik, Fischer-Bücherei, Frankfurt/M 1976, S. 174.)
Am 23. April machte die Regierung den Fabrikkomitees einige Zugeständnisse – auf Grund deren Druckes. Das von den RegierungsbürokratInnen verabschiedete Gesetz erkannte die Fabrikkomitees zwar „freundlicherweise“ an, jedoch wurde ihr Einflussbereich stark eingeschränkt. Doch die Fabrikkomitees kümmerten sich nicht um bürokratische Gesetze. Sie gaben sich in jeder Fabrik ihre eigene Satzung, räumten sich selbst so viel Rechte ein, wie sie im Klassenkampf durchsetzen konnten. Im Mai entfaltete die Fabrikkomiteebewegung ihre gewaltige Kraft. Immer mehr KapitalistInnen mussten sich in ihrem Betrieb mit der Existenz der Fabrikräte abfinden. Die bürgerlichen Medien führten eine Hetzkampagne gegen die Bewegung der Fabrikkomitees und den Achtstundentag, und versuchten die meist bäuerlichen Soldaten gegen den proletarischen Klassenkampf auszuspielen. Die Bourgeoisie stellte die ArbeiterInnen als faule, unersättliche Schädlinge dar. Doch die Zeitungen der ArbeiterInnenbewegung sorgten für die Aufklärung der Soldaten. Auch luden verschiedene Fabrikkomitees Soldatendelegierte zu sich ein, damit sie sich vor Ort ein wahres Bild machen konnten. Die Kampagne der Bourgeoisie scheiterte schließlich.
Am 29. Mai verlangte die Konferenz der Fabrikkomitees in Charkow, dass diese Fabrikräte offizielle Organe der Revolution werden sollten, um sie weiter voranzutreiben. Einige Delegierte schlugen die totale Machtübernahme der Betriebe durch die Fabrikkomitees vor. Vom 30. Mai –5. Juni 1917 fand die erste Gesamtkonferenz der Petersburger Fabrikkomitees statt. Auf der Konferenz wurden viele ArbeiterInnenstimmen laut, die mehr Kontrollfunktionen für die Fabrikkomitees forderten. Die Menschewiki bekämpften diese Forderungen. Sie versuchten die Fabrikkomitees den Gewerkschaften unterzuordnen.
Die Gewerkschaften waren bis 1917 in der russischen ArbeiterInnenbewegung relativ schwach. In der Zeit des Zarismus wurde gewerkschaftliche Organisation verboten und stark bekämpft. Isaac Deutscher schrieb: „Durch die Unterdrückung der Gewerkschaftsbewegung förderte der Zarismus unabsichtlich revolutionär-politische Organisationsbestrebungen, lediglich die politischen Arbeiter (…), die bereit waren, für ihre Überzeugungen Gefängnis und Exil auf sich zu nehmen, konnten unter diesen Umständen gewillt sein, Gewerkschaften beizutreten. (…) Während in England die Labour-Party von den Gewerkschaften gegründet wurde, führten die russischen Gewerkschaften von Anfang an ihr Leben im Schatten der politischen Bewegung.“ (Isaac Deutscher, Die sowjetischen Gewerkschaften, Frankfurt/M 1969, S. 27.)
Maurice Brinton schrieb dazu ergänzend: „Diese Analyse trifft zu – und zwar weitgehender als Deutscher ahnte. Die russischen Gewerkschaften von 1917 spiegelten diese besondere Entwicklung der russischen Arbeiterbewegung wider. Einerseits waren die Gewerkschaften die Hausmacht der politischen Parteien, die aus ihnen Funktionäre rekrutierten und sie als Stimmvieh benutzten. Andererseits wurde die Gewerkschaftsbewegung, nachdem sie in gewisser Weise im Februar 1917 neu entstanden war, von den bewussteren Arbeitern vorangetrieben: In der Führung der einzelnen Gewerkschaften gab es eine Art intellektueller Elite, die erst den Menschewiki und Sozialrevolutionären zuneigte, später jedoch, in wachsender Anzahl für die Bolschewiki gewonnen wurde“ (Maurice Brinton, Die Bolschewiki und die Arbeiterkontrolle. Der Staat und die Konterrevolution, Verlag ASSOCIATION GmbH, Hamburg 1976, S. 34.) Die Gewerkschaftsbürokratie und die Funktionäre der politischen Parteien – einschließlich der Bolschewiki – waren also Feinde der Fabrikkomitees, weil in ihnen die Selbstorganisation der proletarischen Massen am unmittelbarsten zum Ausdruck kam.
Über das Verhältnis von Bolschewiki zu Fabrikkomitees und Gewerkschaften schrieb Maurice Brinton: „Zu dieser Zeit setzten die Bolschewiki auf zwei Pferde, um sowohl in Gewerkschaften wie in Fabrikkomitees ihre Anhängerschaft zu vergrößern. Sie ließen sich das ein gewisses Maß an Doppelzüngigkeit kosten, um ihr Ziel zu erreichen. In Gewerkschaften, die stark unter menschewistischer Kontrolle standen, drangen die Bolschewiki auf Autonomie der Komitees. In Gewerkschaften, die sie schon unter ihrer eigenen Kontrolle hatten, waren sie in diesem Punkt sehr viel zurückhaltender. (…) Es ist wichtig zu wissen, dass vom Beginn der Revolution die Gewerkschaften straff von politischen Organisationen kontrolliert wurden, die sie zu Akklamationszwecken benutzten. Dies erklärt die Leichtigkeit, mit der später die Partei die Gewerkschaften manipulieren konnte.“ (Ebenda, S. 34/35.)
Im Dreiecksverhältnis zwischen Fabrikkomitees, Gewerkschaften und politischen Parteien kam das Beziehungsgeflecht zwischen dem selbstorganisierten Klassenkampf (Fabrikkomitees) und der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung (Gewerkschaften und politische „ArbeiterInnenparteien“) zum Ausdruck. Gewerkschaften sind im modernen Privatkapitalismus sozialökonomische Co-Managerinnen der kapitalistischen Ausbeutung, die mit den Industriebossen und dem Staat die Bedingungen dieser Ausbeutung aushandeln. Politische „ArbeiterInnenparteien“ sind meistens in den Parlamentarismus integriert, nehmen also an der sozialen Entmündigung der ArbeiterInnen durch BerufspolitikerInnen teil und sichern die kapitalistische Ausbeutung politisch ab. In der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung kommen immer auch die kleinbürgerlichen Tendenzen des Proletariats selbst ideologisch und politisch entfremdet zum Ausdruck. So war es auch in Russland zwischen der Februar- und der Oktoberrevolution. Nachdem der Menschewismus durch die Radikalisierung der ArbeiterInnen stark an Einfluss verlor, gewann der kleinbürgerlich-radikale Bolschewismus an Einfluss, der jedoch nichts anderes als die Keimform der staatskapitalistischen Sozialreaktion war. Dieser stützte sich auch taktisch auf die Fabrikkomitees, um die Bourgeoisie zuerst politisch und dann sozial zu entmachten – um dann auch der proletarischen Selbstorganisation den Garaus zu machen.
Proletarische Selbstorganisation ist immer ein dialektischer Widerspruch. Normalerweise wird das Proletariat von Kapital, Staat und institutionalisierter ArbeiterInnenbewegung im Interesse der Kapitalvermehrung organisiert. Nur im Klassenkampf kann sich das Proletariat selbst für seine Interessen und Bedürfnisse organisieren. Die Februarrevolution war ein gewaltiger Höhepunkt der proletarischen Selbstorganisation, die sich nach ihr herausbildenden Fabrikkomitees ihr organisatorischer Ausdruck. Ein selbständig kämpfendes Proletariat stellt eine tödliche Gefahr für Kapital, Staat und institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung dar. Die drei letztgenannten bürgerlichen Kräfte müssen also mit Gewalt und/oder sozialer Demagogie die proletarische Selbstorganisation wieder ersticken, um ihre Herrschaft über das Proletariat aufrecht zu erhalten. Bourgeoisie, Provisorische Regierung, menschewistische PolitikerInnen und GewerkschaftsbürokratInnen gaben sich zwischen der Februar- und der Oktoberrevolution als offene FeindInnen der proletarischen Selbstorganisation zu erkennen. Der kleinbürgerlich-radikale Bolschewismus stützte sich bis zur Oktoberrevolution taktisch und sozialdemagogisch auf die proletarische Selbstorganisation um die Bourgeoisie sozial und politisch zu entmachten – und drehte ihr danach als staatskapitalistische Sozialreaktion den Hals um.
Die proletarische Selbstorganisation kann nur dann der kapitalistischen Zerschlagung entgehen, wenn sie die kapitalistische Warenproduktion aufhebt und den bürgerlichen Staat zerschlägt und dadurch in die klassenlose Selbstorganisation übergeht. Dies war in Russland aus objektiven und subjektiven Gründen nicht möglich. Doch die proletarische Selbstorganisation kämpfte in Form der Fabrikkomitees um die kollektive Übernahme der Fabriken durch das Proletariat, was beim damaligen Bewusstseinsstand und den objektiven Bedingungen entsprechend nur eine kleinbürgerlich-kollektive Form der Warenproduktion sein konnte – was aber die staatskapitalistische Sozialreaktion nicht duldete.
Schauen wir uns jetzt im weiteren Verlauf der Entwicklung das Wechselverhältnis zwischen Klassenkampf des Proletariats und der politischen Machteroberung durch den kleinbürgerlich-radikalen Bolschewismus an. Um den Bolschewismus einer revolutionären Kritik zu unterziehen, möchten wir schreiben, was SozialrevolutionärInnen mit unserem heutigen Bewusstseinsstand damals getan hätten. Wir sind uns selbst der Widersprüchlichkeit dieser Methode bewusst. Sozialrevolutionäres Bewusstsein entsteht nicht im luftleeren Raum, sondern ist die theoretische Widerspiegelung des revolutionären Seins. Außerdem pflegt revolutionäres Bewusstsein notwendig auch immer etwas konservativ zu sein, da das theoretische Bewusstsein verallgemeinerte vergangene Praxis ist. Unser heutiges revolutionäres Bewusstsein ist im nicht unerheblichen Maße die theoretische Verallgemeinerung der russischen Revolution und der revolutionären Nachkriegskrise in Europa. Aber dennoch waren Ansätze unseres heutigen sozialrevolutionären Standpunktes schon tendenziell und potenziell bei russischen AnarchistInnen und deutschen/holländischen Links/RätekommunistInnen vorhanden. Wenn wir uns also dazu entschieden haben den Bolschewismus mit unserem heutigen revolutionären Bewusstsein zu konfrontieren, ist das zwar eine widersprüchliche Methode, aber auch nicht völlig unhistorisch und aus der Luft gegriffen.
Das subjektiv revolutionäre Proletariat konnte nur noch weiter mit der objektiv konterrevolutionären Provisorischen Regierung aneinander geraten. Gegen die weitere Radikalisierung des Proletariats mussten sich auch die ideologischen Beschwichtigungsversuche durch die kleinbürgerlichen DemokratInnen immer hilfloser erweisen. Die Radikalisierung des Proletariats stärkte aber den Bolschewismus und seinen Einfluss in Sowjets, Gewerkschaften sowie in Fabrik- und Armeekomitees. Und auch in den Parlamenten der offiziellen Demokratie, den Stadtdumas. Der Bolschewismus ließ es sich nicht nehmen auch am Parlamentarismus der Bourgeoisie teilzunehmen. An diesen Wahlen zu den Stadtdumas nahmen alle Sowjetparteien und außerdem die Kadettenpartei teil. Auch die Bolschewiki forderten Wahlen zu der Konstituierenden Versammlung. Diese Einberufung des bürgerlichen Parlamentes wurde von der Kadettenpartei verschleppt um eine Bodenreform zu verhindern, da die Durchführung einer Bodenreform dieser Konstituierenden Versammlung vorbehalten sein sollte. Während eine Hauptlosung des Bolschewismus „Alle Macht den Sowjets!“ war, forderte er dennoch die Konstituierende Versammlung rasch einzuberufen.
SozialrevolutionärInnen hätten in der revolutionären Situation, in welcher sich Russland damals befand, zu einem Boykott des großbürgerlichen Parlamentarismus aufrufen müssen. Selbstverständlich nehmen SozialrevolutionärInnen auch in nichtrevolutionären Zeiten nicht am parlamentarischen Polittheater teil, aber zu einem Boykott parlamentarischer Wahlen sollten sie nur in revolutionären Zeiten aufrufen. Gleichzeitig wären damals SozialrevolutionärInnen mit unserem heutigen Bewusstseinsstand – ja, eine Unmöglichkeit, dass wissen wir –jeglicher Mystifizierung der damaligen real existierenden Sowjets entgegen getreten. Sie hätten die Tendenzen des kleinbürgerlichen Parlamentarismus scharf kritisiert und sie wären in scharfer Distanz zu allen Sowjetparteien getreten. Gleichzeitig hätten sie versucht die progressiven Tendenzen der Sowjets als tendenzielle Klassenkampforgane des Proletariats zu stärken. All dies taten auch schon ansatzweise einige russische AnarchistInnen.
Doch im Gegensatz zu ihnen hätten heutige SozialrevolutionärInnen keinerlei Illusionen in die kleinbäuerliche Bevölkerung und in die von ihr getragene Agrarbewegung. Diese kritische Sicht auf das russische KleinbäuerInnentum wurde Teil der linkskommunistischen/rätekommunistischen Analyse der russischen Revolution. Doch damals in Russland keine Illusionen in die russischen KleinbäuerInnen und ihre kleinbürgerliche Agrarrevolte zu haben, hätte bedeutet zu wissen, dass die russische Revolution nur konterrevolutionär beendet werden konnte. Damalige SozialrevolutionärInnen mit unserem heutigen Bewusstsein hätten also mutig zu einem Kampf aufrufen müssen, von dem sie wussten, dass er nur verloren werden konnte, aber diese Niederlage wichtig für den weltrevolutionären Prozess wäre. Doch kämpfen kann mensch in objektiv aussichtslosen Situationen besser, wenn mensch von einem nichtmöglichen Sieg träumt. Die sozialromantischen Tendenzen des Anarchismus, der nicht viel von den objektiven Bedingungen des Kampfes wissen will, machten ihn in Russland zum radikalsten Ausdruck einer Revolution, die objektiv keine Chance hatte, aber bis zum tragischen Höhepunkt mutig allen Kräften der kapitalistischen Sozialreaktion – einschließlich der Bolschewiki – die Stirn bot.
Die wirkliche soziale Revolution konnte im damaligen Russland also nur verlieren, während die russische Bourgeoisie sozial und politisch zu schwach war, um die Krise des Staates sozialreaktionär zu lösen. So lösten die Bolschewiki die Krise des Staates sozialreaktionär, indem sie sich demagogisch auf den proletarischen Klassenkampf, die Friedenssehnsucht der Soldaten und den Landhunger der KleinbäuerInnen stützten – um die politische Macht zu erobern und ein staatskapitalistisches Regime zu errichten. Mit ihrer Sozialdemagogie betrogen die kleinbürgerlich-radikalen PolitikerInnen des Bolschewismus nicht nur die ArbeiterInnen, Soldaten und BäuerInnen, sondern auch sich selbst. Nur durch diesen Selbstbetrug fanden sie die Kraft, die sie im Kampf gegen die Bourgeoisie und ihre politischen/militärischen Handlanger brauchten. Im Kampf zwischen kleinbürgerlichen Radikalismus und privatkapitalistischer Sozialreaktion wirkte die „proletarisch-revolutionäre“ Maske des Bolschewismus als heroischer Selbstbetrug.
Doch in der bolschewistischen Strategie den proletarischen Klassenkampf für die eigene Machteroberung zu nutzen, lag auch ein riesiges Risiko. Das Proletariat kämpft dann, wenn ihr die Widersprüche und Gegensätze zu Kapital und Staat unerträglich erscheinen. Doch eine politische Partei kann nur erfolgreich die Macht ergreifen, wenn sie objektiv stark genug ist und sich auch subjektiv dafür stark genug fühlt. Petrograd eilte dem Land voraus. In der Hauptstadt entstand ab Juni eine Situation, wo das Proletariat und die Soldaten den Kampf gegen die Provisorische Regierung führen wollten, die bolschewistische Partei sich aber noch nicht stark genug dafür hielt, um die politische Macht zu erobern. Also begann die bolschewistische Partei die ArbeiterInnen und Soldaten zurück zu halten, weil der Kampf für sie zu früh kam. Die radikalsten ArbeiterInnen und Soldaten begannen sich bereits von den Bolschewiki abzuwenden und sich den AnarchistInnen anzunähern. Deren Botschaft war einfach: Im Februar haben wir auch keine Partei gefragt und gebraucht, um den Zar zu stürzen. Stürzen wir jetzt die Provisorische Regierung!
Die Bolschewiki hatten also alle Hände voll zu tun, dass der proletarische Klassenkampf in Petrograd und in dessen vor gelagerten Seefestung Kronstadt sich nicht schon zur äußersten sozialen Explosion steigerte, bevor die kleinbürgerlich-radikalen ParteipolitikerInnen die Zeit reif dafür hielten, die politische Macht zu erobern. Besonders die Kronstädter Matrosen radikalisierten sich immer stärker und wurden zu einem der wichtigsten Impulsgeber der Revolution. Unter dem Druck der Matrosen waren auch im Kronstädter Sowjet die klassenkämpferischen Tendenzen stärker als die kleinbürgerlich-demokratischen. Bourgeoisie und die kleinbürgerliche Demokratie hetzten deshalb mit vereinten Kräften gegen Kronstadt – während sich die Bolschewiki große Mühe geben mussten, um die Kronstädter Matrosen zurück zu halten.
Im Mai 1917 entwickelte sich der Konflikt in und um Kronstadt. Am 13 Mai erklärte der Kronstädter Sowjet: „Die einzige Macht in Kronstadt bildet der Sowjet der Arbeiter- und Soldatendeputierten.“ Der Sowjet schritt zur Tat und entmachtete den Regierungskommissar, den Kadetten Pepelajew. Doch die gesamtrussische kleinbürgerlich-demokratische Sowjetführung wollte die Proklamierung der Sowjetmacht und die Entmachtung des Kommissars der Provisorischen Regierung in Kronstadt nicht hinnehmen. Auch die Bolschewiki innerhalb des Kronstädter Sowjets drängten darauf, im realen Konflikt nachzugeben, aber den prinzipiellen Kampf um „die Sowjetmacht“ fortzusetzen. Das beschloss dann auch der Kronstädter Sowjet am 24. Mai. Doch den Matrosen von Kronstadt war nicht nach taktischen Spielchen zu Mute. Sie setzten den Kronstädter Sowjet gehörig unter Druck, so dass dieser einen Tag später seine praktische Kapitulation gegenüber der Provisorischen Regierung und der russischen kleinbürgerlich-demokratischen Sowjetführung rückgängig machte.
Die kleinbürgerlichen DemokratInnen gingen zum Gegenangriff über und verlangten von den Kronstädter Matrosen die Überstellung von 80 sozialreaktionären Offizieren, die sie zur eigenen Sicherheit gefangen hielten, an die Provisorische Regierung. Doch die Kronstädter Matrosen weigerten sich zuerst hartnäckig ihre Gefangenen der konterrevolutionären Regierung auszuliefern, schließlich gaben sie dem Zureden der Bolschewiki nach – und damit auch den kleinbürgerlichen DemokratInnen, der Provisorischen Regierung und der Bourgeoisie. Sie lieferten ihre Gefangenen der konterrevolutionären Regierung aus, die sie natürlich bald darauf wieder in Freiheit setzte.
Doch Anfang Juli ließen sich weder das klassenkämpferische Proletariat von Petrograd noch die Kronstädter Matrosen länger vom Bolschewismus zurück halten. Die Soldaten waren wütend, dass die Regierung den imperialistischen Krieg weiter führte und die ArbeiterInnen litten unter Nahrungsmangel und Inflation, welcher die durch Klassenkämpfe erreichten Lohnsteigerungen wieder auffraß. Außerdem wurden viele Betriebe von der Bourgeoisie geschlossen, so dass die sozialökonomische Reproduktion der proletarisierten Menschen auch stark durch Arbeitslosigkeit gefährdet wurde. Anarchistische Individuen und Gruppen peitschen die Massenstimmung gegen die Provisorische Regierung noch mehr auf. Einige tausend Petrograder Maschinengewehrschützen sprengten am Morgen des 3. Juli 1917 die Versammlung der Kompanie- und Regimentskomitees, wählten einen eigenen Vorsitzenden und berieten ein bewaffnetes Vortreten gegen die Regierung. Der Vorsitzende der Versammlung war ein Bolschewik, der versuchte, die Massen zurück zu halten. Doch es war vergeblich. Auch die Militärische Organisation der Bolschewiki schickte Agitatoren zu den Maschinengewehrschützen, die auch weiterhin versuchten ihre Beruhigungspillen an den Mann zu bringen. Doch die letzteren ließen sich nicht mehr von der selbsternannten angeblichen „Avantgarde des Proletariats“ zurück halten. Sie entsandten Delegierte in die Garnisonen und Fabriken Petrograds und selbstverständlich auch zu den Kronstädter Matrosen.
Der Damm war gebrochen. Gegen den politischen Willen der Bolschewiki entwickelte sich eine gewaltige soziale Straßenbewegung des Proletariats und der vorwiegend bäuerlichen Soldaten. Ab 7 Uhr Abends erstarb in den Industriebetrieben Petrograds die Arbeit. Das Proletariat produzierte keinen Mehrwert mehr für Kapital und Staat, sondern strebte auf die Straße. Auch bewaffnete Abteilungen der Roten Garden nehmen an dieser Bewegung teil. Es kam zu Handgemengen zwischen AktivistInnen dieser Bewegung mit bürgerlich-konterrevolutionären Kräften (Offiziere, Beamte und StudentInnen). Diese Kämpfe kosteten die ersten Toten.
Auch der soziale Druck auf die Bolschewiki nahm zu. Die proletarische Straßenbewegung hatte sich ohne und gegen ihren Willen entwickelt. Was nun? Um nicht die völlige politische Kontrolle ihrer Partei über das subjektiv revolutionäre Proletariat zu verlieren, riefen die Bolschewiki für den 4. Juli 1917 zu einer bewaffneten Demonstration auf. Der ursprünglich in der Parteizeitung Prawda für den 4. Juli geplante Aufruf zur Ruhe und zur Beendigung der Demonstration erschien nicht mehr, allerdings wurde der bolschewistische Aufruf zur Demonstration auch nicht mehr fertig. So dass die Prawda am 4. Juli teilweise mit weißen Seiten erschien. Die Bolschewiki verteilten ihren Demonstrationsaufruf in Form von Flugblättern. Die Militärische Organisation der Bolschewiki schiebt sich in den Vordergrund.
Auch am 4. Juli wurde die Arbeit von den Petrograder ProletarierInnen nicht wieder aufgenommen. Sie strebten wie viele Soldaten wieder auf die Straße. Diese proletarische Straßenbewegung richtete sich gegen die Provisorische Regierung und übte von unten Druck auf die kleinbürgerlich-demokratische Sowjetführung aus, damit die menschewistischen und „sozialrevolutionären“ PolitikerInnen, ihre Koalition mit der liberalen Bourgeoisie aufgeben und stattdessen im Namen der Sowjets die Macht ergreifen. Der proletarische Demonstrationszug strebte zum Taurischen Palais, dem Sitz der gesamtrussischen Sowjetführung. Delegationen der ArbeiterInnen, Soldaten und Matrosen übten auf die führenden Menschewiki und „SozialrevolutionärInnen“ einen erheblichen Druck aus. Am 4. Juli entfaltete die proletarische Straßenbewegung noch mal ihre gewaltige Kraft. An diesem Tag nahmen auch die Kronstädter Matrosen an der Bewegung in Petrograd teil. Auch an diesem Tag kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen mit konterrevolutionären Kräften, besonders mit Kosaken.
Doch die kleinbürgerlich-demokratische Sowjetführung der Menschewiki und „SozialrevolutionärInnen“ konnten in ihrem eigenem Interesse und dem der Bourgeoisie diese gewaltige Straßenbewegung der Petrograder ArbeiterInnen, Soldaten und Matrosen noch einmal brechen. Durch sozialreaktionäre Truppenteile entwaffnete sie in der Nacht zum 5. Juli die bewaffneten ArbeiterInnen, Soldaten und Matrosen und verhaftete klassenkämpferische ProletarierInnen und bolschewistische PolitikerInnen/Intellektuelle. Am nächsten Tag produzierten die Petrograder ArbeiterInnen wieder Mehrwert. Die proletarische Straßenbewegung der Julitage war beendet.
Das Verhalten des Bolschewismus während der Julitage war typisch für den kleinbürgerlichen politischen Radikalismus. Sozialrevolutionäre ArbeiterInnen und Intellektuelle mit unseren heutigen Erfahrungen hätten sich selbstverständlich an der proletarischen Straßenbewegung beteiligt, ohne zu versuchen, diese Bewegung zu bremsen. Gleichzeitig hätten sie auch nicht versucht, sich an die Spitze dieser Bewegung zu stellen. Im Gegenteil, sie hätten klar gegen die politische Bevormundung der sozialen Bewegung durch die Bolschewiki Stellung bezogen. Auch wenn diese Bewegung selbst organisiert begann, konnte sie der Bolschewismus letztendlich doch politisch und ideologisch beherrschen. In der Hauptforderung der Julitage, „Alle Macht den Sowjets!“ vermischten sich die proletarischen Illusionen in diese Mischformen aus kleinbürgerlicher „ArbeiterInnendemokratie“ und Klassenkampforganen mit der politischen Strategie des Bolschewismus. Die Hauptforderung „Alle Macht den Sowjets!“ konnte unter den damaligen Bedingungen nur die Macht der kleinbürgerlich-demokratischen BerufspolitikerInnen der menschewistischen und „sozialrevolutionären“ Partei, welche die gesamtrussische Führung der Sowjets monopolisierten, bedeuten. Sie war sowohl von Seiten der proletarischen Straßenbewegung als auch der Bolschewiki eine Forderung an die menschewistische und „sozialrevolutionäre“ Sowjetführung mit dem politischen Personal der Bourgeoisie zu brechen und die Staatsmacht allein zu übernehmen – im „Interesse des Proletariats und der BäuerInnen“. Mal abgesehen davon, dass die Klasseninteressen von Proletariat und BäuerInnen nicht identisch waren, waren und sind PolitikerInnen objektiv niemals die InteressenvertreterInnen proletarischer Menschen. Denn die Politik lebt von der Ausbeutung des Proletariats.
Die menschewistischen und „sozialrevolutionären“ PolitikerInnen wollten nicht die Macht der Sowjets. Sie wollten Macht als PolitikerInnen des Privatkapitalismus. Deshalb wiesen sie die Forderung der Machteroberung durch die Sowjets zurück. Sie wollten diese Organe mit der Etablierung einer parlamentarischen Demokratie sanft einschläfern lassen. Doch diese Strategie wurde sowohl vom klassenkämpferischen Proletariat als auch vom kleinbürgerlich-radikalen Bolschewismus –dieser Embryonalform der staatskapitalistischen Sozialreaktion! – durchkreuzt. Die Bolschewiki forderten Menschewiki und „SozialrevolutionärInnen“ auf, die politische Macht im Namen der Sowjets zu ergreifen, um diese dann später im Rahmen der Sowjetdemokratie selbst zu erobern.
Diese Politikspielchen hatten selbstverständlich objektiv mit den Aufgaben von Organen der proletarisch-revolutionären Selbstorganisation nicht das Geringste zu tun, wenn mensch davon mal absieht, dass diese Organe aus objektiven Gründen im damaligen Russland gar nicht sozialrevolutionär siegen konnten. Doch sie hätten subjektiv etwas versuchen können, woran sie dann objektiv scheitern mussten, aber durch dieses Scheitern dem weltrevolutionären Prozess wichtige Impulse gegeben hätten. SozialrevolutionärInnen hätten innerhalb der Sowjets gegen das BerufspolitikerInnentum kämpfen müssen –also gegen die menschewistische, „sozialrevolutionäre“ und bolschewistische Partei, und hätten erklären müssen, dass die Aufgabe der Sowjets nicht in der politischen Eroberung der Staatsmacht, sondern nur in der Zerschlagung des Staates liegen könne. Die Fabrikkomitees hätten die Produktionsmittel erobern müssen und die Aufhebung der Warenproduktion anstreben müssen. Die zweite Aufgabe der Fabrikkomitees war im damaligen Russland objektiv nicht durchführbar. Aber warum sollten SozialrevolutionärInnen subjektiv etwas anstreben, was objektiv unmöglich ist? Weil sie nur so subjektiv sozialrevolutionär in einer Situation bleiben können, wo die Revolution objektiv nicht siegen kann. Doch Sowjets und Fabrikkomitees spiegelten damals im Juli 1917 noch die subjektiven Schwächen des damaligen revolutionären Proletariats wider: es war noch nicht bewusst antipolitisch und noch stark von der Ideologie der Selbstverwaltung innerhalb von Staat und Warenproduktion beeinflusst. Die proletarischen Illusionen in den Bolschewismus konnten erst durch praktische Erfahrungen mit dem bolschewistisch-staatskapitalistischen Regime zerstört werden. Die subjektiven Schwächen des damaligen russischen Proletariats waren selbstverständlich mit dem Niveau von dessen objektiven Erfahrungen verbunden.
Sozialrevolutionär betrachtet konnten die Julitage 1917 nur mit einer Niederlage enden, da das russische Proletariat objektiv und subjektiv nicht in der Lage war, sich revolutionär selbst aufzuheben. Der Bolschewismus stellte sich objektiv ganz andere Aufgaben – nämlich auf den Rücken des subjektiv revolutionären Proletariats sich die politische Macht zu erobern, um ein staatskapitalistisches Regime zu errichten. Doch dieser totale soziale Gegensatz zwischen dem subjektiv revolutionären Proletariat und den objektiv sozialreaktionären bolschewistischen BerufspolitikerInnen wurde auch von den Bolschewiki ideologisch ausgeblendet. Sie hielten sich wirklich für die Avantgarde des Proletariats, die im Interesse des Proletariats dazu berufen war, die politische Macht zu ergreifen. Aber sie hielten sich im Juli 1917 noch nicht stark genug, um dies erfolgreich zu tun. Doch die Bolschewiki konnten während der Julitage die revolutionäre Flut des Petrograder Proletariats nicht mehr zurückhalten. Sie stellten sich schließlich politisch an die Spitze der proletarischen Straßenbewegung um den revolutionären Aufstand gegen die Provisorische Regierung zu verhindern, da nach ihrer Meinung der Zeitpunkt für den Kampf um die bolschewistische Machteroberung noch nicht gekommen war.
Die Niederlage war sowohl für das klassenkämpferische russische Proletariat als auch für den kleinbürgerlich-radikalen Bolschewismus nur vorübergehend. Doch erst mal triumphierte die privatkapitalistische Sozialreaktion. Konterrevolutionäre Truppen ließen ihren Hass auf klassenkämpferische ArbeiterInnen, rebellische Soldaten und kleinbürgerlich-radikale PolitikerInnen freien Lauf. Unter anderem wurden auch die Redaktionsräume der Prawda verwüstet. Auch gegen führende Bolschewiki wurden Haftbefehle erlassen. Lenin wurde von der bürgerlichen Presse als „deutscher Spion“ verleumdet. Wir möchten dazu bemerken, dass dies trotz der manchmal sehr dubiosen taktischen Spielchen Lenins auch im Bezug auf das Kaiserliche Deutschland, auf die wir hier jedoch weder eingehen wollen noch können, völlig ausgeschlossen ist. Auch die Menschewiki glaubten nicht daran, dass er ein deutscher Spion war. Doch sie distanzierten sich nur platonisch von dieser nationalistischen Lüge. Lenin und Sinowjew, gegen die Haftbefehle ausgestellt worden waren, traten die Haft nicht an, sondern begaben sich in die Illegalität. Trotzki wurde verhaftet.
Menschewiki und „SozialrevolutionärInnen“ konnten Anfang Juli 1917 nur mit Hilfe der sozialreaktionären Truppenteile die proletarische Straßenbewegung in Petrograd ersticken. Doch diese sozialreaktionären Truppen begannen bald sich auch gegen die kleinbürgerlich-demokratische Sowjetführung zu wenden. Sie wollten die Konterrevolution zu Ende führen! Die kleinbürgerlichen DemokratInnen hatten durch die Julitage auch bei der Bourgeoisie ihren politischen Kredit verspielt. Sie hatten während dieser Tage eindeutig gezeigt, dass sie nicht mehr in der Lage waren, die Bourgeoisie gegen das revolutionäre Proletariat abzuschirmen. Im Juli war die reaktionäre Armee der Retter! Bei großen Teilen der Bourgeoisie und der GroßgrundbesitzerInnen verdichtete sich die strategische Orientierung auf die Errichtung einer Militärdiktatur. Der General Kornilow war auch ehrgeizig genug, um für die privatkapitalistische Sozialreaktion den obersten Bluthund zu spielen, er wollte für das Privatkapital und den Großgrundbesitz revolutionäres Proletariat, Bolschewiki, Sowjets und Provisorische Regierung tot beißen. Der führende russische Liberale, Miljukow, brachte die Haltung der Bourgeoisie auf den Punkt: Kornilow oder Lenin! Diese Alternative ließ keinen Platz für die kleinbürgerlichen DemokratInnen.
Der „Sozialrevolutionär“ Kerenski wurde durch die sozialreaktionäre Niederschlagung der proletarischen Straßenbewegung vom Juli 1917 innerhalb der Provisorischen Regierung noch weiter emporgehoben. Bei einer Regierungsumbildung wurde er Ministerpräsident. Er strebte danach, der Kontrolle seiner Regierung durch die Sowjets entgegenzuwirken. Gleichzeitig gab er den sozialreaktionären Bestrebungen der Bourgeoisie, der GroßgrundbesitzerInnen und der Generalität immer stärker nach. Die Provisorische Regierung führte unter anderem die Todesstrafe an der Front wieder ein. Aber sie wurde mit der soziaökonomischen Krise Russlands und infolgedessen auch mit dem klassenkämpferischen Proletariat und den rebellierenden Soldaten nicht fertig. General Kornilow forderte die Todesstrafe auch im Hinterland – fast die gesamte privatkapitalistische Sozialreaktion stand hinter ihm, von der schwächlichen kleinbürgerlichen Demokratie mal abgesehen. Kerenski begann sich der Bourgeoisie auch in dieser Frage anzunähern, damit er die politische Macht behalten konnte.
Kerenski gab den offen putschistisch agierenden General Kornilow dem Sinn nach zu verstehen: „Handeln Sie gegen das revolutionäre Proletariat, die kleinbäuerliche Agrarrevolte (zu dieser weiter unten ausführlicher), die rebellierenden Soldaten/Matrosen, die Sowjets und die Bolschewiki. Aber tun Sie es mit mir zusammen, unter meiner Kontrolle.“ Doch Kornilow und weite Teile der russischen Bourgeoisie wollten auch mit Kerenski Schluss machen. Er ließ am 27. August 1917 das 3. Korps auf Petrograd marschieren: gegen das revolutionäre Proletariat, rebellierende Matrosen/Soldaten, Bolschewiki, Sowjets – und die Provisorische Regierung. Die Kadetten traten aus der Regierung aus, um Kornilow die Drecksarbeit zu erleichtern. Miljukow redete Kerenski „gutmütig“ zu, vor Kornilow zu kapitulieren. Dieser war auch schon kurz davor…
Doch dann begannen sich ArbeiterInnen, Soldaten und Matrosen und unter ihren Druck die Sowjets und deren kleinbürgerlichen Parteien – die Menschewiki, „SozialrevolutionärInnen“ und Bolschewiki – sich in das Geschehen einzumischen. Die drei Sowjetparteien bildeten in der Nacht zum 28. August das besondere „Komitee für den Kampf gegen die Konterrevolution“, welches dem Sowjet unterstand und die politische Kontrolle des proletarischen und soldatischen Kampfes gegen den Staatsstreich Kornilows übernahm. Diese „technische“ Einheitsfront der Bolschewiki mit den Menschewiki und „SozialrevolutionärInnen“ war typisch für die taktischen Spielchen des kleinbürgerlichen Radikalismus. Sozialrevolutionäre ArbeiterInnen und Intellektuelle gehen jedoch im praktischen Kampf niemals Einheitsfronten mit sozialreaktionären Kräften ein. Das verwirrt nur das proletarische Bewusstsein. Mit unseren heutigen Erfahrungen hätten SozialrevolutionärInnen im damaligen Russland an der Seite der ArbeiterInnen, Soldaten und Matrosen teilgenommen –aber nicht an den Politspielchen der Menschewiki, „SozialrevolutionärInnen“ und Bolschewiki. Sie hätten ihre Position im praktischen Kampf gegen Korniow für die Vorbereitung des morgigen Kampfes gegen Kerenski und Lenin/Trotzki genutzt. In Gesprächen mit ihren KollegInnen und GenossInnen hätten SozialrevolutionärInnen vor den Bolschewiki als der drohenden staatskapitalistischen Sozialreaktion gewarnt. Einige russische AnarchistInnen kamen in dieser Frage unseren heutigen sozialrevolutionären Positionen schon recht nahe…

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Februarrevolution https://sbefreiung.blackblogs.org/2017/02/28/februarrevolution/ https://sbefreiung.blackblogs.org/2017/02/28/februarrevolution/#respond Tue, 28 Feb 2017 21:31:30 +0000 http://sbefreiung.blogsport.de/?p=85 Wir veröffentlichen hier den zweiten Teil des Textes „Klassenkämpfe in Sowjetrussland (1917-1921)“ über die Februarrevolution 1917 im Russland. Die gesamte Broschüre „Schriften zur russischen Revolution (1917-1921)“ könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de bestellen.

2. Die Februarrevolution

Bei der Beschreibung der Februarrevolution haben wir uns stark von Leo Trotzkis Geschichte der Russischen Revolution inspirieren lassen, natürlich haben wir dabei seinen kleinbürgerlichen Radikalismus einer proletarisch-revolutionären Kritik unterzogen.
Wie wir bereits im vorigen Kapitel beschrieben haben, spitzte sich in der damaligen russischen Hauptstadt von Oktober 1916 bis Februar 1917 der proletarische Klassenkampf permanent zu. Der 23. Februar in Russland war der globale 8. März, der internationale Frauentag, der damals noch kein totes Ritual, sondern in vielen Teilen der Welt ein Kampftag der proletarischen Frauen für ihre sozialen Bedürfnisse war – wenn auch unter Kontrolle der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung (Sozialdemokratie und Gewerkschaften). So war es auch im zaristischen Russland. Der Kampf der proletarischen Frauen wurde zum letzten Funken, der nötig war, um die russische Revolution zu entflammen. In sozialdemokratischen Kreisen –sowohl in menschewistischen wie in bolschewistischen – waren für den 23. Februar 1917, welcher nach dem globalen Kalender der 8. März 1917 war, Flugblätter, Reden und Versammlungen zu Ehren der proletarischen Frauen, aber keine Streiks und schon gar nicht der Beginn der Revolution geplant. Doch wie so oft in der Geschichte des globalen Klassenkampfes war die so genannte „politische Avantgarde des Proletariats“ nur dessen Nachhut und Bremse.
Den Petrograder Textilarbeiterinnen fehlte es am Morgen des 23. Februar 1917 an Parteidisziplin. Sie traten in den Streik. Die proletarischen Frauen entsandten Delegierte zu den MetallarbeiterInnen, um sie erfolgreich ebenfalls in den Kampf zu ziehen. Die Bolschewiki, die zuvor eine Arbeitsniederlegung abgelehnt hatten, gaben ihre bremsende Haltung auf und versuchten sich an die Spitze des Kampes zu stellen, um nicht ihre politische Kontrolle über den sozialen Kampf des Proletariats zu verlieren. So mündete der Streik der Textilarbeiterinnen in den nächsten Tagen in einem hauptstadtweiten Generalstreik.
Schon am 23. Februar legten ungefähr 90 000 ArbeiterInnen die Arbeit nieder. Der internationale Frauentag wurde in Petrograd klassenkämpferisch in Form von Demonstrationen, Versammlungen und blutigen Zusammenstößen mit der Polizei begangen. Das Zentrum der Bewegung war der proletarische Wyborger Bezirk mit seinen Großbetrieben. In den anderen Stadtteilen gab es nach Auskunft der zaristischen Geheimpolizei Ochrana an diesem Tag noch keine Streiks und noch keine Demonstrationen. Die Monarchie zog bereits vereinzelt Armeeabteilungen zur Unterstützung der Polizei heran, welche aber an diesem Tag noch nicht in die Klassenauseinandersetzungen eingriffen. Ein Höhepunkt der Bewegung an diesem Tag war eine Frauendemonstration zur Stadtduma, auf der lautstark nach „Brot!“ verlangt wurde. Doch das Regime konnte noch nicht mal mehr die elementarsten sozialen Bedürfnisse des Proletariats und großen Teilen der KleinbürgerInnen stillen, was der Bewegung diese gewaltige Wut und Entschlossenheit gab. Der Frauentag endete ohne Tote.
Am nächsten Tag, den 24. Februar 1917, entwickelte sich die revolutionäre Bewegung weiter. Etwa 50 Prozent des Petrograder Industrieproletariats legte an diesem Tag die Arbeit nieder. Die ArbeiterInnen erschienen zwar in „ihren“ Betrieben, begannen jedoch nicht mit der Arbeit, sondern veranstalteten Versammlungen und gingen auf die Straße, um ihre soziale Wut in einer machtvollen proletarischen Straßenbewegung zu demonstrieren. Hauptparolen waren „Brot!“, „Nieder mit dem Krieg!“ und „Nieder mit dem Selbstherrschertum!“ Gewaltige Menschenmassen strömten von einem Stadtteil in den anderen, zwar von den Bullen und einzelnen Armeeeinheiten auseinander getrieben, aber sich dennoch immer wieder neu sammelnd und ganze Plätze (Snamenski-Platz und Newski-Prospekt) ausfüllend. Durch diese Straßenbewegung wurden immer neue Stadtbezirke und neue soziale Gruppen in den Widerstand gegen die zaristische Reaktion hineingezogen.
An diesem Tag wurden auch die ersten zaghaften Kontakte zwischen dem streikenden und demonstrierenden Petrograder Proletariat und den in der Hauptstadt stationierten Armeetruppenteilen hergestellt. Kranke Soldaten winkten aus den Lazarettfenstern den Demonstrierenden freundlich zu. Doch letztere wurden von den Kosaken ununterbrochen attackiert. Aber diesen Attacken fehlte bereits die Konsequenz. Das für Russland erfolglose Kriegsgemetzel und die sich daraus ergebende allgemeine soziale Unzufriedenheit hatte auch bei den Kosaken Spuren hinterlassen. Es ergaben sich erste Gespräche zwischen ArbeiterInnen und Kosaken, welche für den weiteren Verlauf des revolutionären Prozesses so wichtig waren. Doch später bot die zaristische Reaktion halbbetrunkene Dragoner auf, welche in die Menge hineinritten und mit ihren Lanzen auf die Köpfe der ArbeiterInnen schlugen. Das kämpfende Proletariat verhielt sich taktisch sehr klug gegenüber den verschiedenen Repressionsorganen. Während es den Bullen unnachgiebigen Hass, Steine und Eisenstücke entgegenschleuderte, versuchte es die Soldaten als Verbündete zu gewinnen. Gerüchte tauchten auf, dass ein brutal auf eine Frau einschlagender Bulle von einer Gruppe Kosaken einen körperlichen Verweis bekam. Ob dieses Gerücht den Tatsachen entsprach, konnte auch nachträglich nicht von der Geschichtsschreibung festgestellt werden. Es diente aber der kollektiven Taktik des Proletariats, nämlich gegen die Polizei einen gnadenlosen Kampf zu führen, jedoch die Soldaten auf seine Seite zu ziehen.
Unter den Streikenden und Demonstrierenden des 24. Februar befand sich die gesamte Belegschaft von Erikson, einer der größten Betriebe des proletarischen Wyborger Bezirkes. Nach einer morgendlichen Versammlung zogen die 2500 ArbeiterInnen zum Sampsonjewski-Prospekt. Unterwegs stieß die Belegschaft auf eine Kosakenabteilung. Zuerst ritten die Offiziere in die Menschenmenge hinein, hinter ihnen die „einfachen“ Kosaken. Aber einige von ihnen lächelten den ArbeiterInnen freundlich zu und einer zwinkerte sogar. Die Kosaken verletzten nicht offen die Disziplin, aber sie trieben auch nicht wirklich die ArbeiterInnen auseinander. Nach einer Weile entspannte sich sogar eine Diskussion zwischen einzelnen Kosaken und ArbeiterInnen. Die Offiziere reagierten darauf, indem sie rasch ihre Einheit vom klassenkämpferischen Proletariat trennte, den Gedanken des Auseinandertreibens der ArbeiterInnen fallen lassend. Sie ließen die Kosaken quer auf die Straße aufstellen, um der Belegschaft von Erikson den Weg abzuschneiden. Doch die Kosaken verrichteten ihren Dienst nach Vorschrift, während die ArbeiterInnen unter den Bäuchen der Pferde ihren Weg fortsetzten. Das Proletariat erreichte am 24. Februar die ersten Risse in der soldatischen Disziplin.
Am 23. und 24. Februar bekamen auch achtundzwanzig Bullen vom Petrograder Proletariat handgreiflich das, was sie schon lange verdient hatten: eine ordentliche Abreibung. Der militante Kampf gegen die Bullen war eine unmittelbare Keimform einer Diktatur des Proletariats, deren Höhepunkt die Zerschlagung des bürgerlichen Staates ist. Wenn der Staat zertrümmert ist, kann und muss die proletarische Diktatur in die klassenlose Gesellschaft übergehen. Doch die Februarrevolution konnte nicht zum Höhepunkt der proletarischen Diktatur führen, aber deren Keimform erreichte in ihren ersten zwei Tagen schon einen großen Erfolg: die zaristische Reaktion wagte es nicht den Schießbefehl zu geben.
Am 25. Februar wurde der Streik noch mehr ausgeweitet. Nach Regierungsangaben legten an diesem Tag 240.000 ProletarierInnen die Arbeit nieder. Auch die rückständigeren LohnarbeiterInnen wurden jetzt von ihren kämpferischeren und bewussteren KollegInnen in die direkten Aktionen des Klassenkonfliktes hineingezogen. Die Belegschaften großer Betriebe bekamen Verstärkung durch die ArbeiterInnen, die sonst in Kleinbetrieben schufteten, aber diese Schufterei jetzt unterbrachen. Auch die SchülerInnen der höheren Lehranstalten schlossen sich dem Streik des Petrograder Proletariats an. Es wurden Versuche unternommen, Versammlungen im Freien abzuhalten. Konflikte zwischen den zaristischen Bullen und dem streikenden und demonstrierenden Proletariat wurden von beiden Seiten bewaffnet ausgetragen. Als am Denkmal von Alexander III. Redner auftraten, schoss die berittene Polizei auf die Demonstrierenden. Ein Redner wurde von den zaristischen Schergen verwundet. Doch das Petrograder Proletariat war nicht wehrlos. Im Kampf wurden ein Polizeimeister und einige „einfachen“ Bullen getötet. Als Waffen dienen den ArbeiterInnen Flaschen, Petarden und Handgranaten. In diesem Konflikt zwischen Proletariat und Bullen verhielten sich die Soldaten weitgehend passiv, Kosaken sollen nach den mündlichen Berichten Petrograder ArbeiterInnen sogar in den Konflikt auf Seiten der Revolution eingegriffen haben. Doch die Bullen verschwanden bald von der Bildfläche und operierten aus dem Hintergrund. In den Vordergrund traten Soldaten mit umgehängten Gewehren. Die ArbeiterInnen versuchten die Soldaten auf ihre Seite zu ziehen. Die gewaltsame Entwaffnung der zaristischen Bullen wird von immer mehr ArbeiterInnen als unausweichlicher Notwendigkeit des Klassenkampfes erkannt.
Im Wyborger Bezirk wurde die zaristische Macht bereits an diesem 25. Februar 1917 gebrochen. Die Polizeireviere wurden vom revolutionären Proletariat zerstört, einzelne Bullen niedergemacht, die Mehrzahl musste sich verstecken. Die Stadthauptmannschaft verlor die Verbindung mit einem großen Teil der Hauptstadt. Nach Wyborg wurde noch vor dem Morgen des 26. Februar der Stadtteil Peski weitgehend vom Proletariat eingenommen. Jedenfalls begannen die Bullen aus Peski zu flüchten. Doch den ArbeiterInnen dieses Stadtteiles war ihr großer Sieg wohl selbst noch nicht bewusst.
Der Zar Nikolaus, der sich nicht in Petrograd befand, gab am 25. Februar den Befehl das klassenkämpferische Proletariat am nächsten Tage blutig niederzuschlagen. Die zaristische Reaktion bereitete sich auf den entschiedenen Zusammenstoß am 26. Februar vor. Falls es dem Proletariat nicht gelingen würde, ein Großteil der Soldaten dazu zu bringen, die Gewehre umzudrehen und auf jene zu richten, die ihnen befahlen auf die ArbeiterInnen zu schießen, würde es schlecht um die begonnene Revolution stehen.
Das Regime ging zum konzentrierten Gegenangriff über. In der Nacht vom 25. zum 26. Februar verhafteten die Repressionsorgane in mehreren Stadtteilen von Petrograd etwa hundert Menschen, welche der menschewistischen, „sozialrevolutionären“ und bolschewistischen Partei angehörten. Durch diese Repression wird unter anderem die Petrograder Parteileitung der Bolschewiki enthauptet. Die politische Leitung des kleinbürgerlich-radikalen Bolschewismus ging auf den Wyborger Bezirk über, wo sie unter starkem proletarisch-revolutionärem Druck stand und weiter getrieben wurde, als sie ursprünglich stand. Denn auch die radikalste Kraft der kleinbürgerlichen Politik, die bolschewistische Partei, war hinter dem tatsächlichen Verlauf des Klassenkampfes stark zurück geblieben. So hatte das bolschewistische Zentralkomitee erst am Morgen des 25. Februar in einem Flugblatt zu einem allrussischen Generalstreik aufgerufen. Aber inzwischen entwickelte sich in Petrograd eine Revolution.
Der 26. Februar 1917 fiel auf einen Sonntag. Die ArbeiterInnen konnten sich also nicht wie in den vorangegangenen Tagen in den Betrieben treffen und für die Straßendemonstrationen sammeln, was die letzteren erschwerte. Denn der bisherige Weg der proletarischen Straßenbewegung –aus den Betrieben auf die Straße –gab ihr auch die gewaltige soziale Sprengkraft. So dauerte die Sammlung des Proletariats an diesem Tage etwas länger. Die Sozialreaktion gab sich schon teilweise dem Tagtraum hin, dass der proletarische Klassenkampf an Kraft verloren hätte. So telegrafierte die Zarin aus Petrograd ihren abwesenden Ehegatten: „In der Stadt herrscht Ruhe.“ Doch das Proletariat ließ der Reaktion nicht lange Zeit zum träumen. Die ArbeiterInnen begannen sich langsam zu sammeln und bewegten sich aus den Vorstädten in das Zentrum von Petrograd. Die zaristische Reaktion wollte das Proletariat nicht über die Brücken lassen. Doch die ArbeiterInnen gingen über das Eis, dass zu dieser Zeit noch die Newa bedeckte. Die polizeilichen Repressionsorgane schossen auf die ArbeiterInnen aus Fenstern, Balkontüren, von Dachböden und hinter Säulen versteckt. Immer mehr ProletarierInnen wurden erschossen oder verwundet. Auch die Armee schoss vereinzelt an diesem Tage. Nach offiziellen Meldungen starben am 26. Februar 40 Menschen, ebenso viele wurden verwundet, wobei jene nicht gezählt wurden, welche von der proletarischen Straßenbewegung weggeführt oder weggetragen wurden.
Doch das kampfbereite Proletariat ließ sich von der blutigen Repression des Zarismus nicht mehr aufhalten. Damit versetzte es auch das liberale Petrograd in Angst und Schrecken. Rodsjanko, der Vorsitzende der Reichsduma, forderte am 26. Februar die Sendung zuverlässiger Truppen von der Front, um die begonnene Revolution niederzuschlagen. Auch machte der Liberale den zaristischen Repressionsorganen den Vorschlag, die Massen nicht durch Blei sondern durch kaltes Wasser aus Feuerwehrschläuchen zurückzutreiben. Doch die Repressionsorgane sind der Meinung, dass kalte Duschen das Proletariat nur noch wütender machen würde. Auch andere liberale PolitikerInnen und Bourgeois biederten sich während der Februarrevolution der zaristischen Konterrevolution an. Doch diese nahm nicht viel Rücksicht auf den Liberalismus.
Und das Proletariat Petrograds wurde immer kühner. Es ließ sich auch von der Armee nicht mehr auseinander treiben. Auf die handgreifliche Aufforderung der Armee auseinander zu gehen, kam von den proletarisierten Menschen ein Hagel von Steinen und Eistücken als Antwort. Warnschüsse machten keinen Eindruck mehr, nur scharfe Schüsse in die Menge konnte sie für kurze Zeit zerstreuen – aber nur für kurze Zeit, dann sammelte sie sich wieder an einem anderen Ort. Doch gegen die Armee wendete das revolutionäre Proletariat nur Notwehrmaßnahmen an, da es Teil seines kollektiven Bewusstseins war, dass der Kampf gegen den Zarismus nur gewonnen werden konnte, wenn die vorwiegend bäuerlichen Soldaten die Fronten wechseln würden. So forderten die ArbeiterInnen die Soldaten mehrmals auf nicht auf sie zu schießen, sondern mit ihnen zusammen gegen Krieg, Armut und Monarchie zu kämpfen. Die Soldaten mussten sich entscheiden. In den Tagen vom 23. bis zum 25. Februar hatte noch passive Sympathie mit dem aufständischen Proletariat und ein nicht sehr aktiver Dienst nach Vorschrift gereicht, um nicht offen und direkt zum Werkzeug der zaristischen Konterrevolution zu werden. Doch am 26. Februar ging die zaristische Reaktion mit ihrem Schießbefehl gegen das revolutionäre Proletariat zur Gegenoffensive über. Jetzt gab es für die Soldaten kein Lavieren mehr. Entweder sie würden sich offen für das Proletariat oder für den Zarismus entscheiden.
Und die Soldaten entschieden sich am 27. Februar 1917 mehrheitlich für das Proletariat. Schon am Abend des 26. Februars meuterte die 4. Kompanie der Leibgarde des Pawlowski-Regiments und zwar aus Empörung darüber, dass das Lehrkommando des gleichen Regiments während seines Wachdienstes auf dem Newski auf ArbeiterInnen geschossen hatte. Über diese blutige Repression von Teilen des gleichen Regiments wurde den Soldaten der 4. Kompanie gegen 14 Uhr von einer Delegation von ArbeiterInnen berichtet. Diese Information ließ sie handeln. Gegen 18 Uhr verließ die 4. Kompanie eigenmächtig unter Führung eines Unteroffiziers die Kaserne und begab sich zum Newski, um das auf ArbeiterInnen schießende Lehrkommando von dort wegzuholen. Auf den Weg dorthin stießen die rebellierenden Soldaten auf eine berittene Polizeistreife. Die Soldaten schossen auf die Bullen. Ein Schutzmann und ein Pferd wurden von ihnen tödlich getroffen, während ein Bulle und ein Pferd verwundet wurden.
Nach einer Weile kehrte die 4. Kompanie in die Kaserne zurück und zog das ganze Pawlowski-Regiment auf die Seite der Revolution. Doch die zaristische Konterrevolution hatte inzwischen die Waffen beiseite geschafft. Die rebellierenden Soldaten gelangten schließlich in den Besitz von dreißig Gewehren. Doch das war für den Beginn der Soldatenrevolte noch zu wenig. Sie wurden schließlich von den Soldaten des Preobraschenski-Regiments umzingelt. Neunzehn rebellierende Soldaten wurden von den noch regierungstreuen Soldaten verhaftet und in eine Festung verschleppt, während sich der Rest des Pawlowski-Regiments ergab. Nach gewissen Quellen sollen am Abend beim Appell jedoch einundzwanzig Mann mit Gewehren gefehlt haben.
Am 27. Februar vertiefte sich die am Tag davor begonnene Soldatenrebellion und sicherte der vom klassenkämpferischen Proletariat ausgegangenen Februarrevolution den Sieg. Voraussetzung der Vertiefung der Soldatenrevolte war die Tatsache, dass sich das Proletariat auch von der schießenden Armee am 26. Februar nicht einschüchtern ließ und weiterkämpfte. Hätte das Proletariat am 27. Februar Schwäche gezeigt, wäre der entscheidende Impuls zur Soldatenrevolte ausgeblieben. Doch die ArbeiterInnen sammelten sich am Montagmorgen wieder in den Fabriken – aber nicht um wieder fleißig für das Kapital Mehrwert zu produzieren, sondern um den Klassenkampf fortzusetzen. Nachdem in den Vortagen der Generalstreik in eine gewaltige proletarische Straßenbewegung übergegangen war, welche auch der bewaffneten zaristischen Repression tollkühn die Stirn bot, konnte nach der sozialen Eigendynamik des Klassenkampfes dessen Fortsetzung nur der bewaffnete Aufstand sein. Hatte vorher keine politische Kraft zum Generalstreik in Petrograd aufgerufen, so erst recht keine zum bewaffneten Aufstand. Das Petrograder Proletariat ging auch den Weg des bewaffneten Aufstandes ohne politische Bevormundung, aber natürlich hatten subjektiv bewusst revolutionäre ArbeiterInnen, die bereits vor der Februarrevolution den objektiv kleinbürgerlichen parteimarxistischen, „sozialrevolutionären“ und anarchistischen Strömungen angehörten, einen großen Anteil an der Februarrevolution. Doch die Schicht sozialrevolutionärer ArbeiterInnen handelte selbständig ohne die politische Leitung der kleinbürgerlichen DemokratInnen und Radikalen, zog auch konservativere Kräfte des Proletariats in den Kampf hinein und organisierte gemeinsam mit ihnen den kommenden halben Sieg – den Sturz des Zarismus, bei Aufrechterhaltung der Klassenherrschaft der Bourgeoisie, der GroßgrundbesitzerInnen und der BerufspolitikerInnen.
Das klassenkämpferische Proletariat erhöhte am 27. Februar den Druck auf die Soldaten, sich ihm gegen die zaristische Konterrevolution anzuschließen. Die Wyborger ArbeiterInnen veranstalten vor dem Moskauer Regiment ein Massenmeeting. Doch einige konterrevolutionären Offizieren und Unteroffizieren gelang es auf die ArbeiterInnen ein Maschinengewehr zu richten und sie durch tödliches Blei auseinanderzujagen. Das Proletariat strebte danach sich zu bewaffnen, um der Konterrevolution den Garaus zu machen. Die ArbeiterInnen verlangten auch von den Bolschewiki Waffen. Doch der politische kleinbürgerliche Radikalismus verfügte damals selbst noch nicht über solche. Nur die Soldatenrebellion konnte die Februarrevolution bewaffnen.
Am Morgen des 27. Februar meuterten die Reservegardebataillone. Als erstes erhoben sich die Soldaten des Wolynski-Regiments. Das Lehrkommando weigerte sich zur blutigen Repression gegen das Proletariat aus der Kaserne auszurücken und tötete ihren Kommandanten. Das Wolynski-Regiment war von Anfang an bestrebt die soziale Basis der Soldatenrebellion zu erweitern. Es zog von Kaserne zu Kaserne um die Soldaten des Litowski- und des Preobraschenski-Regiments raus auf die Straße zu holen. Diese schlossen sich auch massenhaft der Rebellion an. Das Moskauer Regiment schloss sich erst nach inneren Kämpfen der Februarrevolution an. Doch schließlich wurde die monarchistische Oberschicht auch dieses Regiments von der Soldatenmasse bezwungen. Nachdem sich das Moskauer Regiment dem Kampf gegen den Zaren angeschlossen hatte, begannen sich die ArbeiterInnen der Fabrik „Arsenal“ zu bewaffnen und gemeinsam mit den meuternden Soldaten revolutionäre Kampforgane zu bilden. Immer mehr Soldaten traten auf die Seite der Revolution über. Gegen Abend schloss sich den kämpfenden ArbeiterInnen und Soldaten auch das Semjonowski-Regiment an. Dieses hatte in der Revolution von 1905 den proletarischen Aufstand in Moskau niedergeschlagen. Nun, 11 ereignisreiche Jahre später, half dieses Regiment dabei den Zaren zu stürzen.
Das klassenkämpferische Proletariat und die meuternden – vorwiegend bäuerlichen – Soldaten zwangen im Verlauf des 27. Februars 1917 schließlich den Zaren in die Knie. Nikolaus II. dankte ab. Das proletarische und soldatische Petrograd hatte ganz Russland vom Zarismus befreit, das riesige Land schloss sich in den übrigen Tagen der Hauptstadt an. So undemokratisch pflegen Revolutionen zu sein!
Der armselige demokratische Parlamentarismus der liberalen Bourgeoisie, die Reichsduma, hing in diesem Kampf zwischen dem Petrograder Proletariat und den rebellierenden Soldaten auf der einen Seite und dem sterbenden zaristischen Regime auf der anderen ohnmächtig in der Luft. Der Zarismus war schon nicht mehr fähig das revolutionäre Proletariat auch durch scharfe Schüsse zum Schweigen zu bringen, aber er konnte immerhin noch vor seinem endgültigen Tod mit Ohrfeigen die liberale Bourgeoisie schrecken. So löste die zaristische Reaktion während der Februarrevolution die Reichsduma auf, was den Parlamentshelden aber erst am Morgen des 27. Februar bekannt wurde. Und selbst jetzt noch, wagte es die Duma nicht offen den Befehl des sterbenden Regimes zu missachten. Formal erkannte sie den Beschluss an. Die Abgeordneten der aufgelösten Duma trafen sich lediglich zu einer „Privatberatung“. Erst als sicher war, dass der Zar Nikolaus II. nicht mehr zu retten war, am 3. März 1917, gab sich die Privatberatung den Namen „Provisorisches Dumakomitee“. Und diese liberalen Helden sollten als Folge der Februarevolution, die sie nicht gewollt hatten, sondern leidenschaftlich hassten, das nachzaristische Russland für acht Monate „regieren“!

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Die Februarrevolution von 1917 war ein klassisches Beispiel von selbst organisiertem proletarischem Klassenkampf in höchster Potenz. Das Proletariat Petrograds trat selbständig in den Kampf und zertrümmerte das morsche zaristische Regime. Keine Partei und keine Gewerkschaft hatten zu diesem gewaltigen Massenkampf aufgerufen. Die proletarisierten Menschen der damaligen russischen Hauptstadt gaben ein Musterbeispiel von unmittelbarer sozialer Selbstorganisation, wo die direkte Tat und die Organisation dieser Tat zusammenfallen. Es wurden keine demokratischen Abstimmungen vor der Tat organisiert, die Tat war die praktische Abstimmung. Alle groß- und kleinbürgerlichen SpießerInnen – einschließlich der meisten ParteimarxistInnen – können hier nur „Spontaneität“, aber eben keine unmittelbare soziale Selbstorganisation des kämpfenden Proletariats sehen.
In dieser direkten Aktion des Petrograder Proletariats hat die zur Gesamtklasse relativ dünne Schicht der bewusst sozialrevolutionären ArbeiterInnen, welche zugleich die proletarischen Flügel von Marxismus und Anarchismus darstellten, eine sehr wichtige Rolle gespielt. Sie hat die Mehrheit der Klasse zur Tat inspiriert und dieser Tat Richtung und Orientierung geboten.
Selbstverständlich reicht die unmittelbare soziale Selbstorganisation als direkte Massenorganisation des Proletariats nicht zum Sieg der sozialen Revolution – der Aufhebung von Politik und Warenproduktion und damit der Selbstaufhebung des Proletariats – aus. Aufhebung der Warenproduktion heißt die Überführung der Produktionsmittel in gesamtgesellschaftliche Verfügungsgewalt und produktive Tätigkeit für den unmittelbaren individuellen und kollektiven Bedarf – und nicht für einen anonymen Markt, wo die Menschen die in voneinander getrennten Produktionsstätten geschaffenen Produkte gegen Geld und das Geld gegen Produktionsmittel und Konsumgüter tauschen. Gesamtgesellschaftliche Produktion heißt nicht staatliche Produktion, weil der Staat ein hierarchisch-bürokratischer Gewaltapparat ist und Staatseigentum an industriellen Produktionsmitteln nur die Verfügungsgewalt der Staatsbürokratie über diese bedeuten kann. Das Proletariat ist durch Verstaatlichungen als von den Produktionsmitteln getrennte Menschenmasse reproduziert, welches dessen kollektive Arbeitskraft – allerdings jeder individuell für sich – an den Staat vermieten muss.
Der Parteimarxismus mit seiner Verstaatlichung der Produktionsmittel reproduzierte als politische Strömung die Politik als staatliche Organisation der Gesellschaft und die Warenproduktion als staatskapitalistische. Aber auch nicht wenige sozialrevolutionäre ArbeiterInnen im damaligen Russland hatten staatskapitalistische Illusionen und folgte kleinbürgerlich-radikalen PolitikerInnen, zumal es damals noch keine praktischen proletarischen Erfahrungen mit einem totalen Staatskapitalismus gab, obwohl der Anarchismus teilweise recht hellsichtig diese sozialreaktionären Tendenzen des Marxismus herausgearbeitet hatte.
Gesamtgesellschaftliche Produktion kann aber auch niemals aus einer Assoziation von kleinen PrivateigentümerInnen bestehen. Die nachkapitalistische klassen- und staatenlose Gesellschaft kann sich also nicht auf der Basis von alten urwüchsigen vorkapitalistischen Dorfgemeinschaften, wie zum Beispiel der Allmende oder der Mir entwickeln – selbst wenn mensch vorübergehend das Geld „abschaffen“ und die Lohnarbeit „verbieten“ würde. Kleineigentum heißt immer kleinbürgerlicher Individualismus, Konkurrenz und soziale Differenzierung in Kapital auf der einen Seite, also in unserem Fall GroßbäuerInnen, und Lohnarbeit, Knechte und Mägde, auf der anderen. Die soziale Differenzierung der sowjetischen BäuerInnen während der NEP (1921-1928) und die Entwicklung einer bäuerlichen Warenproduktion und embryonaler Lohnarbeit belegten dies eindeutig.
Vergesellschaftung der landwirtschaftlichen Produktion heißt Kollektivierung des Bodens. Doch nur eine Minderheit der KleinbäuerInnen und des Landproletariats war während der russischen Revolution dazu bereit. Also war in Russland eine siegreiche soziale Revolution wegen den bäuerlichen PrivatproduzentInnen unmöglich. Die wenigen freiwilligen Genossenschaften waren vor der Verstaatlichung der Landwirtschaft ab 1929 ein deutliches Zeichen dafür. Genossenschaften können in diesem Falle nur eine kleinbürgerlich-kollektive Form der Warenproduktion bedeuten. Anarchistische und teilweise auch marxistische SozialromantikerInnen wollen einfach nicht begreifen, dass vorkapitalistische kleinbürgerliche Produktionsverhältnisse niemals zum Aufbau des nachkapitalistischen Kommunismus taugen! Der Marxismus hatte und hat hier in seiner Kritik an dieser kleinbürgerlichen Tendenz des Anarchismus Recht. Heute ist die anarchistische Selbstverwaltungsideologie auch als Verklärung von kleinbürgerlich-kollektiven Formen der Industrieproduktion eine gefährliche geistige Waffe gegen das Proletariat. Was interessiert die anarchistischen KleinbürgerInnen bei der „selbstverwalteten“ Produktion schon die Tatsache, dass weiterhin Waren für den Markt produziert werden und die Ware-Geld-Beziehung das menschliche Denken und Handeln bestimmen?!
Neben der bäuerlichen Agrarrevolte, welche die Verwandlung des Großgrundbesitzes in Kleineigentum anstrebte, konnte auch das instinktive Streben der ArbeiterInnenklasse nach Kollektivierung der Industrieproduktion nur zu einer kleinbürgerlich-kollektiven Warenproduktion führen. Denn kleinbürgerliche Produktionsverhältnisse in der Landwirtschaft heißt das Agrarprodukte nur Tauschobjekte sein können, die gegen Industriegüter ausgetauscht werden können – auch wenn mensch das Geld „abschaffen“ würde. Dann hätte es eben einen vorkapitalistischen Naturaltausch gegeben – für eine kurze Zeit, denn der Tausch der Produkte reproduziert notwendig das Geld als verselbständigten Ausdruck des Tauschwertes. Im Austausch mit dem Dorf wären also auch bei einer kleinbürgerlichen Kollektivierung der Industrieproduktion deren Produkte notwendigerweise Waren.
Das Proletariat konnte also objektiv nicht die kleinbürgerliche Warenproduktion – selbst bei Enteignung des Großkapitals – aufheben, weil die bäuerliche Bevölkerungsmehrheit die Schaffung vom privaten Kleineigentum während ihrer Agrarrevolte als Teil der russischen Revolution anstrebte. Außerdem führt das instinktive Streben der ArbeiterInnen nach der kollektiven Übernahme der industriellen Produktionsmittel, wenn sie nicht durch die bewusste Initiative von in dieser Frage klaren proletarischen RevolutionärInnen in die theoretische und praktische Kritik der sozialökonomischen Kategorien von Tausch, Ware und Geld umschlägt, zwangsläufig in eine kleinbürgerlich-kollektive Form der Warenproduktion. Doch auch bei den damaligen russischen und internationalen proletarischen RevolutionärInnen war das theoretische Wissen über die Warenproduktion noch geringer ausgeprägt als heute. Aber ohne die theoretische Kritik der Warenproduktion schlägt das instinktive proletarische Streben nach Kollektivierung der Industrieproduktion zwangsläufig praktisch in eine mögliche kleinbürgerlich-kollektive Industrieproduktion und geistig in die Selbstverwaltungsideologie um. Während der russischen Revolution vermochte die privatkapitalistische und staatskapitalistische Konterrevolution eine kleinbürgerlich-kollektive Industrieproduktion weitgehend verhindern, aber die Selbstverwaltungsideologie als Folge der Februarrevolution wurde instinktiv von großen Teilen des Proletariats reproduziert, während die verschiedensten anarchistischen und linksbolschewistischen Strömungen ganze Theoriegebäude auf diesem kleinbürgerlichen Fundament errichteten.
Nur unverbesserliche kleinbürgerlich-anarchistische SozialromantikerInnen können heute nach all den praktischen Erfahrungen noch immer glauben, mensch könne auf der Basis von KleineigentümerInnen – seien es nun individuelle oder genossenschaftliche – und den notwendigen Gütertausch zwischen diesen das Geld „abschaffen“ und die Lohnarbeit „verbieten“. Gütertausch heißt kleinbürgerliche Warenproduktion und kleinbürgerliche Warenproduktion heißt keimhaft Kapital und Lohnarbeit. Naturaltausch konnte aber in der Praxis nur eine primitive Form der Warenproduktion und der Lohnarbeit sein (siehe dazu das Kapitel „Kriegskommunismus“ in der Schrift Der BürgerInnen- und imperialistische Interventionskrieg (1918-1921)). Stellen wir uns aber für einen kleinen Moment eine Gesellschaft mit individuellen und genossenschaftlichen KleineigentümerInnen vor, die das Geld „abgeschafft“ und die „Lohnarbeit“ verboten hat, ganz nach den sozialromantischen Vorstellungen unserer kleinbürgerlicher AnarchistInnen. Es wird dann irgendwann folgendes eintreten: Ein etwas erfolgreicherer Bauer schafft durch seine eigene individuelle Arbeit und die „seiner“ Familie nicht mehr sein Land zu bestellen. Was also tun? Doch halt, da gibt es ja zwei BäuerInnen in seiner Nachbarschaft, denen ihr Boden nicht wirklich ernährt. Also könnten sie doch bei ihm arbeiten, natürlich nicht für Geld, denn das ist ja „abgeschafft“. Also arbeiten die erfolglosen BäuerInnen ganz freiwillig bei den erfolgreicheren BäuerInnen für Naturalien. Doch das soll ja verboten werden! Verbote gegen die sozialökonomische Erscheinung der Lohnarbeit, die mit Elementargewalt aus der kleinbürgerlichen Warenproduktion emporwächst!
Genauso ist es mit dem Geld, als verselbständigter Form des Tauschwertes. Der Tausch von Gütern erzeugt auch das Bedürfnis nach dem verselbständigten Tauschwert. Der Tauschwert ist die durchschnittliche gesellschaftliche Herstellungszeit eines Produktes und der Preis ist der Geldausdruck des Tauschwertes. Stellen wir uns nun in der Stadt das kleinbürgerlich-anarchistische Paradies von individuellen und genossenschaftlichen KleinbürgerInnen vor, in denen das Geld „abgeschafft“ wurde. Es würde dann zu solchen Entwicklungen kommen: Der individuelle Wirt einer Gaststädte möchte sich mal wieder seine Haare frisieren lassen. Er begibt sich also zur Frisörkooperative. Er hat den FrisörInnen einen Kasten Bier mitgebracht. Für diesen soll ihn ein Mitglied der Frisörkooperative die Haare frisieren. Die Kooperative berät. Erst vor einer Stunde hatte ein anderer Kneipenwirt einen Kasten Bier gebracht. So viel Bier brauchen sie nicht… Das kann und muss auf der Basis von kleinbürgerlichem Eigentum und Naturaltausch passieren. Deshalb bezahlt in der Wirklichkeit der kleinbürgerlichen Warenproduktion als Nische der kapitalistischen Warenproduktion ja auch der individuelle Wirt seine Haarfrisur auch in einer Frisörkooperative mit Geld, mit denen dann die FrisörInnen alles eintauschen können, was sie brauchen. Die „Abschaffung“ des Geldes auf der Basis von Kleineigentum und Gütertausch ist also reinste Phantasterei!
Die Februarrevolution konnte aus objektiven und subjektiven Gründen eindeutig nicht zur Aufhebung der Warenproduktion führen. Doch Warenproduktion heißt Klassen- und Konkurrenzkämpfe. Damit eine solche Gesellschaft nicht in einen permanenten offenen BürgerInnenkrieg hinab gleitet, braucht sie einen scheinbar neutralen Schiedsrichter mit Regeln für die Konkurrenz- und Klassenkämpfe und ein Apparat, der diese Regeln auch durchsetzt. Dieser scheinbar neutrale Schiedsrichter – der in Wirklichkeit nur das Machtorgan der erfolgreichen kapitalistischen WarenproduzentInnen sein kann – ist der bürgerliche Staat. Warenproduktion heißt also immer auch bürgerliche Politik als soziale Organisation. Die Februarrevolution konnte also aus objektiven Gründen nicht zur Zerschlagung des Staates durch das Proletariat führen. Doch da eine siegreiche soziale Revolution ohne die Aufhebung der Politik unmöglich ist, konnte das damalige russische Proletariat objektiv im Februar 1917 nicht siegen, es musste notwendigerweise von der politischen Konterrevolution besiegt werden. Aber die Konterrevolution musste auch die politische Form wechseln, denn mit dem Zar ließ sich keine Politik mehr gegen das subjektiv revolutionäre Proletariat machen.
Doch die liberale Bourgeoisie brauchte eine Weile um zu begreifen, dass es mit der Monarchie in Russland vorbei war. Das ist verständlich, fürchtete sie sich doch so ganz ohne gekröntes Haupt vom Proletariat. Die großbürgerlichen PolitikerInnen waren durch die Februarrevolution in eine ganz schwierige Lage geraten. Weder die zaristische Reaktion noch das subjektiv revolutionäre Proletariat kümmerte sich groß um die Bedürfnisse der Bourgeoisie und ihr politisches Personal. Doch zum Glück für das russische Privatkapital und seine großbürgerlichen BerufspolitikerInnen, kümmerten sich die menschewistischen und „sozialrevolutionären“ BerufspolitikerInnen rührend um die sozialen und politischen Bedürfnisse der ersteren. Die Menschewiki konnten als scheinbare politische InteressenvertreterInnen der ArbeiterInnenklasse am Anfang auch noch auf die proletarischen Illusionen in sie stützen, während die „SozialrevolutionärInnen“ als scheinbare PolitikerInnen der Agrarreform die Illusionen der BäuerInnen und der überwiegend bäuerlichen Soldaten ausbeuten konnten. In ihrem eigenem Interesse und im Interesse der Bourgeoisie und ihres großbürgerlichen politischen Personals.
Die menschewistischen und „sozialrevolutionären“ PolitikerInnen gingen dann auch am 27. Februar 1917 objektiv zur offensiven Konterrevolution über. Dabei konnten sie den Glanz der ArbeiterInnenräte (Sowjets) der Revolution von 1905 nutzen. Wie wir bereits oben genauer beschrieben haben, war die Organisationsform des Petrograder Proletariats während der Februarrevolution die unmittelbare soziale Organisation, in der die Tat und die Organisation der Tat unvermittelt zusammen fielen. Die Februarrevolution bewies die soziale Sprengkraft der unmittelbaren proletarischen Selbstorganisation und ihrer militanten Form, der Diktatur des Proletariats. Doch die Februarrevolution stürzte „nur“ den Zaren, den Kapitalismus vermag die unmittelbare proletarische Selbstorganisation nicht aufzuheben. Dazu braucht das Proletariat ein Höchstmaß an Organisation und Bewusstsein. Der proletarische Klassenkampf beginnt sehr oft in der Form der unmittelbaren sozialen Selbstorganisation, aber ein länger andauernde Klassenkampf und erst recht der klassenüberwindende Kampf braucht offizielle Organe der proletarischen Selbstorganisation und Diktatur. Im Jahre 1905 waren das die ArbeiterInnenräte (Sowjets).
Während das subjektiv revolutionäre Proletariat in den Straßen Petrograds noch seinen Sieg über den Zarismus festigte, wurde am 27. Februar vorwiegend von kleinbürgerlichen Intellektuellen und von menschewistischen und „sozialrevolutionären“ PolitikerInnen im Taurischen Palais von Petrograd das Exekutivkomitee des Sowjets geschaffen – eine reine politische Kopfgeburt im Unterschied zu den Sowjets von 1905, die wirkliche Klassenkampforgane des Proletariats waren, wenn sie auch unter dem Einfluss des parteimarxistischen kleinbürgerlichen Radikalismus standen. Nach dieser Kopfgeburt wurden dann auch noch lokale Sowjets gebildet, welche stärker unter dem Einfluss des klassenkämpferischen Proletariats standen.
Allerdings war das gesamte Sowjetsystem von 1917 stark von kleinbürgerlich-demokratischen und kleinbürgerlich-radikalen BerufspolitikerInnen deformiert. Mit dieser Feststellung wollen wir ganz klar dem Rätefetischismus, welcher bei den damaligen SozialrevolutionärInnen teilweise doch recht stark auftrat und vom späteren radikalmarxistischen Rätekommunismus ideologisiert wurde, entgegentreten. Die damaligen russischen Sowjets von 1917 kamen den kleinbürgerlichen Vorstellungen von „ArbeiterInnendemokratie“ wesentlich näher als unseren Vorstellungen von Klassenkampforganen der proletarisch-revolutionären Selbstorganisation. Demokratie ist für uns kein schönes Ideal, sondern die real existierende Diktatur des Kapitals. „ArbeiterInnendemokratie“ ist schon ein begrifflicher Widerspruch. „ArbeiterInnenvolksherrschaft“! Bei der Volksherrschaft ohne Vorsilbe ist das Volk eine klassenmäßig unbestimmte Menschenmasse, die Demokratie also eine ideologische Volksherrschaft, hinter der sich die reale soziale Klassenherrschaft der Bourgeoise und ihres politischen Personals verbirgt. Bei dem begrifflichen Ungetüm „ArbeiterInnendemokratie“ wird also das klassenmäßig nicht weiter bestimmte Volk mit dem Begriff der ArbeiterInnenklasse verschmolzen und zum Subjekt einer Herrschaft bestimmt. Doch das Proletariat kann durch eine soziale Revolution keine neue Herrschaft begründen, sondern durch seine revolutionäre Diktatur „nur“ den bürgerlichen Staat zerschlagen um dann einer Assoziation freier ProduzentInnen Platz zu machen. Nach einer siegreichen Weltrevolution als einer permanenten Kette von Zerschlagungen kapitalistischer Nationalstaaten gibt es weder eine ArbeiterInnenklasse noch deren Herrschaft. Die soziale Weltrevolution verwirklicht also nicht kleinbürgerliche Demokratievorstellungen, sondern schaufelt ihnen endgültig die ewige Ruhestätte.
Denn die „ArbeiterInnendemokratie“ kann in der Wirklichkeit nur eine kleinbürgerliche Demokratie sein, in welcher die proletarische Basis das Stimmvieh von kleinbürgerlichen BerufspolitikerInnen ist. Nichts anderes stellten auch im Wesentlichen die russischen Sowjets von 1917 dar. In ihnen tummelten sich sozialdemokratische – sowohl Menschewiki als auch Bolschewiki – und „sozialrevolutionäre“ ParteipolitikerInnen als von ArbeiterInnen und bäuerlichen SoldatInnen gewählte Abgeordnete. Die Sowjets waren also die Verkörperung eines kleinbürgerlichen Parlamentarismus. Nun ja, die Sowjetdemokratie stand allerdings unter einem gewaltigen Druck, nämlich unter dem eines sehr klassenkämpferischen und subjektiv sozialrevolutionären Proletariats. So dass die Sowjets einen widersprüchlichen Mischmasch aus kleinbürgerlicher Demokratie und Keimformen der proletarischen Selbstorganisationen darstellten. Die kleinbürgerlich-demokratischen Tendenzen der Sowjets verkörperten die geistigen Schwächen des subjektiv revolutionären russischen Proletariats, während deren Stärken in der Sowjetdemokratie nur einen politisch und ideologisch entfremdeten Ausdruck annehmen konnten.
Noch mal in aller Deutlichkeit: Die Sowjets von 1917 waren praktisch keine sozialrevolutionären Organe des proletarischen Klassenkampfes. Heute treten SozialrevolutionärInnen dafür ein, dass in den klassenkämpferischen Organen der proletarischen Selbstorganisation BerufspolitikerInnen nichts zu suchen haben. Denn die soziale Revolution kann nur die Zerschlagung des bürgerlichen Staates bedeuten, während alle BerufspolitikerInnen nur den Staat reproduzieren können. Die Sowjetdemokratie von 1917 war nichts anderes als die Herrschaft kleinbürgerlicher DemokratInnen über das klassenkämpferische Proletariat. Aber diese Herrschaft der BerufspolitikerInnen in den Sowjets war nur möglich, weil das Proletariat in seiner Mehrheit damals noch nicht bewusst antipolitisch war. Heute sind sozialrevolutionäre Intellektuelle und ProletarierInnen entweder bewusst antipolitisch oder sie sind eindeutig objektiv nicht sozialrevolutionär. Das hat uns unter anderem die russische Revolution gelehrt.
Die kleinbürgerlichen DemokratInnen – Menschewiki und „SozialrevolutionärInnen“ – hatten nach dem Sieg des proletarischen Klassenkampfes und der Soldatenrebellion nur eine Sorge, nämlich ganz schnell die politische Herrschaft der liberalen Bourgeoisie auszuhändigen. Diese liberale Bourgeoisie stand der Februarrevolution von Anfang an feindlich gegenüber. Die liberale Kadettenpartei war eine bewusste Klassenfeindin des subjektiv revolutionären Proletariats und strebte vor der Februarrevolution eine konstitutionelle Monarchie, also einen Zaren der unter parlamentarischer Kontrolle stand, an. Von den Sowjets und ihren FührerInnen erwartete die liberale Bourgeoisie und ihr politisches Personal alles mögliche Unheil –aber ganz bestimmt nicht die realsatirische Wirklichkeit, nämlich, dass sie von der kleinbürgerlich-demokratischen Sowjetführung aufgefordert wurden, die politische Macht zu übernehmen. Denn nach der marxistischen Ideologie der Menschewiki war ja die Russische Revolution eine bürgerliche, in welcher „logischerweise“ die liberale Bourgeoisie die politische Macht übernehmen musste. In Wirklichkeit konnte diese politische Machtergreifung der russischen liberalen Bourgeoisie nur die soziale Konterrevolution verkörpern, unabhängig davon, dass im damaligen Russland eine siegreiche soziale Revolution unmöglich war.
Die liberale Bourgeoisie und ihr politisches Personal erholten sich rasch von der Überraschung, als sie von der kleinbürgerlich-demokratischen Sowjetführung zur Machtübernahme aufgefordert wurden. Doch die Kadettenpartei unter Führung von Miljukow versuchte, wenn schon der alte Zar nicht mehr zu halten war, dann wenigstens den Zarismus mit einem neuen Zaren zu retten. Ein sehr schönes Schauspiel bürgerlicher Realpolitik! Während die russischen KleinbürgerInnen der liberalen Bourgeoisie in den Arsch krochen, hatte diese für die sozialdemokratischen und „sozialrevolutionären“ Arschkriecher nichts als Verachtung übrig und kroch lieber vor der feudalen Aristokratie in den Staub, die ihrerseits nur Geringschätzung gegenüber den liberalen Bourgeois zeigte. Doch mit der Reproduktion des Zarismus durch einen neuen Zaren ließ sich keine erfolgreiche konterrevolutionäre Politik mehr gegen das Proletariat machen. So legte die Kadettenpartei ihren Monarchismus erst mal auf Eis und es konnte dann während des Märzes 1917 aus dem Provisorischen Dumakomitee eine Provisorische Regierung, als Machtorgan der liberalen Bourgeoisie und der GroßgrundbesitzerInnen gebildet werden, die garniert wurde durch den „Sozialrevolutionär“ Kerenski als Justizminister. Doch die anderen menschewistischen und „sozialrevolutionären“ BerufspolitikerInnen zogen es vor, die Sowjets zu beherrschen und durch diese sowohl die Provisorische Regierung zu unterstützen als auch einen sanften Druck auf sie auszuüben.
Das Ergebnis der Februarrevolution war also eine Doppelherrschaft mit der Provisorischen Regierung auf der einen Seite und den politisch deformierten Organen der proletarischen Selbstorganisation auf der anderen. Die provisorische Regierung war eindeutig sozialreaktionär – sie führte den imperialistischen Krieg weiter und verschleppte eine Bodenreform –, während die Sowjets in den Händen kleinbürgerlicher BerufspolitikerInnen waren, aber auch unter Druck ihrer proletarischen und soldatischen (also bäuerlichen) Basis standen und so auch teilweise zu Organen des proletarischen Klassenkampfes wurden. In den Fabriken schufen sich die ArbeiterInnen ihre eigenen Organe in Form der Fabrikkomitees. Diese gerieten am schärfsten mit Bourgeoisie und Menschewiki/„SozialrevolutionärInnen“ in Konflikt, drückten sie doch am unmittelbarsten die Selbstorganisation der ArbeiterInnenklasse aus. Die Fabrikkomitees schufen auch die Roten Garden, eine bewaffnete ArbeiterInnenmiliz, welche ein militanter Ausdruck der proletarischen Selbstorganisation, also ein Organ einer keimhaften Diktatur des Proletariats, war.
Doch auch die Fabrikkomitees und Roten Garden standen leider unter dem Einfluss kleinbürgerlich-demokratischer (Menschewiki und rechte „SozialrevolutionärInnen) und später kleinbürgerlich-radikaler PolitikerInnen (Bolschewiki und „linke SozialrevolutionärInnen“). Weil diese Organe der keimhaften Diktatur des Proletariats nicht bewusst antipolitisch waren, konnten sie schließlich von bolschewistischen BerufspolitikerInnen bei der Schaffung einer staatskapitalistischen Parteidiktatur liquidiert werden. Wenn auch die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats, also der Übergang von der proletarischen in die klassenlose Selbstorganisation, wegen der sozialen Schwäche der russischen ArbeiterInnenklasse objektiv unmöglich war, hätte das russische Proletariat bei noch größerer sozialrevolutionärer Klarheit noch heroischer gegen die kapitalistische Konterrevolution verlieren können. Und der mögliche Sieg des revolutionären Weltproletariats wird auch dort durch heroische Niederlagen vorbereitet, wo ein Sieg objektiv noch unmöglich ist. Das ist die Dialektik der objektiven und subjektiven Bedingungen des weltrevolutionären Prozesses, der eindeutig über den Verstand der marxistischen und anarchistischen Kleingeister geht.
Doch das globale Proletariat hatte bis 1917 noch keine Erfahrung mit einer offen konterrevolutionär auftretenden internationalen Sozialdemokratie – einschließlich großer Teile seines linken Flügels – sammeln können. Die zahlreichen praktischen Erfahrungen, die das globale Proletariat seitdem inzwischen mit sozialdemokratischen und „kommunistischen“ BerufspolitikerInnen machen konnte, hat der nachmarxistische und nachanarchistische Kommunismus theoretisch zu einem klaren antipolitischen Bewusstsein verallgemeinert und verdichtet. Wenn dieses antipolitische Bewusstsein in einer sozialen Weltrevolution zur materiellen Gewalt wird, dann wehe den PolitikerInnen des Kapitals!

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Klassenkämpfe in Sowjetrussland (1917-1921) https://sbefreiung.blackblogs.org/2017/01/17/klassenkaempfe-in-sowjetrussland-1917-1921/ https://sbefreiung.blackblogs.org/2017/01/17/klassenkaempfe-in-sowjetrussland-1917-1921/#respond Tue, 17 Jan 2017 14:33:06 +0000 http://sbefreiung.blogsport.de/2017/01/17/klassenkaempfe-in-sowjetrussland-1917-1921/ Zum 100. Jahrestag des Beginns der russischen Revolution veröffentlichen wir den ersten einer ganzen Reihe von Texten. Dies geschieht unter der gemeinsamen Überschrift „Klassenkämpfe in Sowjetrussland (1917-1921)“. Im ersten Text werden Klassenkämpfe im zaristischen Russland beschrieben. Die gesamte Broschüre „Schriften zur russischen Revolution (1917-1921)“ könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de bestellen.

1. Klassenkämpfe im zaristischen Russland

Das vorrevolutionäre Russland war ein Agrarstaat, aber bereits eine Übergangsgesellschaft vom Feudalismus zum Kapitalismus. Es war in der Entwicklung im Vergleich zu Westeuropa und Nordamerika weit zurückgeblieben in seiner technologischen und sozialökonomischen Entwicklung. Doch mit der Entwicklung des kapitalistischen Weltmarktes ist auch die Geschichte von Nationalstaaten eine Teilgeschichte des globalen Kapitalismus. Zurückgebliebene Nationalstaaten wiederholen nicht sklavisch die Geschichte der fortgeschrittenen Nationen. Der globale Konkurrenzkampf der Nationalstaaten zwingt die Regierenden der unterentwickelten Nationen ihre eigene Entwicklung zu beschleunigen – wenn sie nicht im wirtschaftlichen, politisch-diplomatischen und militärischen Gerangel ständig das Nachsehen haben wollen. Außerdem besteht die Möglichkeit rückständiger Nationalstaaten die modernsten technologischen Fortschritte der grundsätzlich sozialreaktionären kapitalistischen Zivilisationsbarbarei fertig zu übernehmen, anstatt sie selbst zu entwickeln. Denn die stärkste Waffe im globalen Konkurrenzkampf der Nationalstaaten war und ist eine hohe Arbeitsproduktivität –also war und ist die Fabrik als proletarische Hölle die Grundlage für nationalstaatliche Himmelstürmerei.
Auch das zaristische Russland versuchte seinen Agrarsektor auf bürgerliche Weise zu modernisieren und die Industrialisierung des Landes in Angriff zu nehmen. Dabei wollten aber die Regierenden eine politische Transformation von der zaristischen Autokratie, welche sich im 18. Jahrhundert herausentwickelt und die im 19. Jahrhundert ausgebaut wurde, zur privatkapitalistischen Demokratie verhindern. Doch das zaristische Russland konnte die bürgerliche Modernisierung nur in Angriff nehmen, die letztendliche Umwandlung von einem Agrar- zu einem Industriestaat vollzogen erst die partei-„kommunistischen“ BerufspolitikerInnen auf Grundlage staatskapitalistischer Produktionsverhältnisse (siehe dazu die Broschüre: Nelke, Der sowjetische Staatskapitalismus und Imperialismus, Soziale Befreiung, Bad Salzungen 2012).
Eine bürgerliche Modernisierung der Landwirtschaft, welche der zaristische Staat bereits in Angriff nahm, bedeutete die Aufhebung der Leibeigenschaft und die Verwandlung allen Bodens in potenzielles Kapital, auf dem AgrarkapitalistInnen das Landproletariat ausbeuten. Selbstverständlich gibt es auch in einer kapitalisierten Landwirtschaft noch KleinbäuerInnen. Absolut unvereinbar ist eine kapitalistische Landwirtschaft mit den urwüchsigen BäuerInnengemeinden kleiner PrivateigentümerInnen, die selbstgenügsam fast alles produzierten was sie brauchten und nur die Überschüsse in Waren verwandelten. Kapitalistische Landwirtschaft heißt auch Agrarproduktion für den Markt und die Verwandlung von BäuerInnen in Marktsubjekte, welche für den globalen Agrarmarkt produzieren und auf den Lebensmittel- und Agrartechnikmärkten konsumieren. In England entwickelte sich der Agrarkapitalismus im 16. Jahrhundert auf dem Friedhof der urwüchsigen BäuerInnengemeinde kleiner PrivateigentümerInnen, der Allmende. Die ehemals adligen GroßgrundbesitzerInnen verbürgerlichten und verpachteten den Boden an AgrarkapitalistInnen. Beide Klassen lebten von der Ausbeutung des Landproletariats.
Die Kapitalisierung der Landwirtschaft war im zaristischen Russland Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts noch lange nicht soweit gediegen. Eine wichtige Bedingung für die bürgerliche Modernisierung der Landwirtschaft und die Bereitstellung von Lohnarbeitskräften für die beginnende Industrialisierung war die Aufhebung der Leibeigenschaft am 19. Februar 1861. Doch die meist adeligen GroßgrundbesitzerInnen beherrschten den Boden, AgrarkapitalistInnen gab es im zaristischen Russland so gut wie gar nicht, lediglich einige GroßbäuerInnen, welche embryonal die Lohnarbeit von Knechten und Mägden ausbeuteten. Das Landproletariat bestand am Vorabend der russischen Revolution lediglich aus fünf Millionen Menschen. Allerdings besaß auch die russische Bourgeoisie vor der Revolution schon vereinzelt Boden.
Leo Trotzki schrieb über die Bodenverteilung vor der Revolution von 1905, auf die wir weiter unten noch kurz eingehen werden: „Die Gesamtzahl des nutzbaren Bodens in den Grenzen des europäischen Russland wurde am Vorabend der ersten Revolution (von 1905, Anmerkung von Nelke) auf 280 Millionen Deßjatinen geschätzt. Der Boden der Dorfgemeinden umfasste etwa 140 Millionen, die Kronländereien etwa 5 Millionen, Kirchen- und Klosterbesitz etwa 2 ½ Millionen Deßjatinen. Von dem Privatbesitz an Boden entfielen auf 30 000 Großgrundbesitzer, von denen jedem über 500 Deßjatinen gehörte, 70 Millionen Deßjatinen, das heißt die gleiche Zahl, über die annähernd 10 Millionen Bauernfamilien verfügten. Diese Bodenstatistik bildete das fertige Programm des Bauernkrieges.“ (Leo Trotzki, Geschichte der Russischen Revolution, Erster Teil: Februarrevolution, Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1982, S. 48.)
Bevor wir zur Agrarrevolte als Teil der Revolution von 1905 zu sprechen kommen wollen wir uns mit der Entwicklung des russischen Industriekapitalismus und des proletarischen Klassenkampfes beschäftigen. Der eigentliche Beginn der kapitalistischen Industrialisierung Russlands fiel in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zentren der Industrie in Russland wurden die Hauptstadt Petrograd, Moskau, die Bergbaubetriebe im Donezgebiet, die Hüttenwerke am Don und die Schwarzmeer-Küstengebiete. Zwischen 1860 und 1900 steigerte Russland seine Eisen- und Stahlproduktion um das Zehnfache. Auch die Erdölförderung bei Baku konnte zwischen 1870 und 1900 von 1,8 auf 632 Millionen Pud (1 Pud=16Kg) gesteigert werden.
Eine besondere Eigentümlichkeit der sozialökonomischen Entwicklung Russlands im Vergleich mit Westeuropa war, dass sich hier vor dem Beginn der kapitalistischen Industrialisierung das Handwerk noch nicht grundsätzlich vom Ackerbau getrennt hatte. Die Folge dessen war das weitgehende Fehlen der handwerklich-zünftigen Tradition in den russischen Städten. Wie wir bereits oben dargelegt haben, wiederholen die unterentwickelten Nationalstaaten nicht schematisch die Geschichte der hoch entwickelten Nationalstaaten. So entwickelte sich in Russland der Industriekapitalismus sofort als Großproduktion auf dem technologisch modernsten Stande. Die Konzentration und Zentralisation des Kapitals war in Russland weiter fortgeschritten als in den USA. Während in den Vereinigten Staaten 1914 die ProletarierInnen, welche in kleinen Betrieben mit einer Beschäftigtenzahl von unter 100 ArbeiterInnen produzierten, 35 % des gesamten Industrieproletariats darstellten, waren in Russland zur gleichen Zeit nur 17,8 % der industriellen Arbeitskräfte in Kleinbetrieben beschäftigt. Der prozentuale Anteil von IndustriearbeiterInnen in mittleren und größeren Unternehmen mit 100 bis 1000 Arbeitskräften am jeweiligen Gesamtproletariat war in beiden Staaten ungefähr gleich. Doch die IndustrieproletarierInnen, welche in Riesenbetrieben mit über 1000 Arbeitskräften ausgebeutet worden sind, stellten in Russland 41,4 % der gesamten industriellen ArbeiterInnenklasse dar, während in den USA der Prozentsatz der ArbeiterInnen von Riesenbetrieben am gesamten Industrieproletariat bei 17,8% lag. In den wichtigsten russischen Industriestädten Petrograd (44,4%) und Moskau (57,3%) stellten die industriellen Beschäftigten in Riesenunternehmen sogar noch einen größeren Teil am Gesamtproletariat.
Diese hohe Konzentration und Zentralisation des quantitativ noch sehr schwach ausgeprägten Industriekapitals hatte sehr hohen Einfluss auf die soziale Zusammensetzung des russischen Industrieproletariats. Die Konzentration in Riesenfabriken begünstigte den kollektiven Klassenkampf und die Entstehung von Massenorganen des selbstorganisierten Klassenkampfes. Dieser Fakt erklärt die große Klassenkampfsubjektivität des russischen Industrieproletariats, zu dem am Vorabend der Februarrevolution von 1917 nicht viel mehr als 3,5 Millionen Menschen gehörten.
Die hohe Konzentration des zahlenmäßig kleinen russischen Proletariats in Riesenbetrieben war auch Ausdruck vom weitgehenden Fehlen einer handwerklich-zünftigen Tradition des russischen Proletariats. Während zum Beispiel das Proletariat in westlichen Industriestaaten mit Gesellen und TagelöhnerInnen im Kleinhandwerk einen relativ starken kleinbürgerlich-handwerklichen Schwanz besaß, war die kleinbürgerlich-handwerkliche Tradition des russischen Proletariats verhältnismäßig schwach. Auch das wirkte sich positiv auf die Kampfkraft des russischen Proletariats aus, da bei den russischen ArbeiterInnen berufsständischer Kastengeist als eine Folge der handwerklich-zünftigen Tradition wesentlich geringer zu finden war als bei ihren westeuropäischen KollegInnen. Dafür war die bäuerliche Tradition des russischen Proletariats wesentlich größer als in den westeuropäischen Industriestaaten. Auch ein nicht geringer Teil des industriellen Proletariats wurde von bäuerlichen Saisonarbeitskräften gestellt, also von frisch proletarisierten Menschen, welche die Fabrikdisziplin noch relativ schwach verinnerlicht hatten. Dies ist eine Erklärung für die große Kampfkraft des quantitativ schwachen russischen Proletariats.
Auch waren die russischen IndustriearbeiterInnen dem despotischen zaristischen Regime unterworfen und noch keine doppelt freien LohnarbeiterInnen wie in den hoch entwickelten kapitalistischen Industriestaaten. Diese waren einerseits frei von Produktionsmitteln und andererseits verfügten sie frei über ihre Persönlichkeit. Diese doppelte Freiheit führte und führt in kapitalistischen Industriestaaten bei den proletarisierten Menschen zu dem stummen Zwang der Verhältnisse, ihre Arbeitskraft an die verschiedenen kapitalistischen ProduktionsmittelbesitzerInnen zu vermieten. Ihre sozialökonomische Ausbeutung besteht darin, dass die LohnarbeiterInnen für das Kapital viel mehr Wert produzieren, als den, den sie in Form des Lohnes als Mietpreises der Arbeitskraft ausgezahlt bekommen. Der vom Proletariat produzierte Teil des Wertes, den sich die KapitalistInnen aneignen, ist der Mehrwert.
Die freie Verfügung über ihre Persönlichkeit durch die LohnarbeiterInnen in demokratischen Industriestaaten ist also nichts anderes als die Marktsubjektivität von proletarisierten Menschen, die ihre eigene Haut zu Markte tragen müssen, welche dann auch im kapitalistischen Produktionsprozess in der Regel kräftig gegerbt wird. Obwohl aber die freie Marktsubjektivität der LohnarbeiterInnen zur Ausbeutungsobjektivität führt, dazu, dass sie zu einem Anhängsel der kapitalistischen Maschinerie werden, die entfremdet von den Produktionsmitteln für eine andere Klasse, die Bourgeoisie, fremdbestimmt Warenkapital produzieren, ist diese elende Marktsubjektivität auch Quelle von Freiheitsillusionen und kleinbürgerlicher Tendenzen beim Lohnproletariat. Die freie Marktsubjektivität kultiviert im proletarisierten Menschen nicht gerade selten den Kleinkrämer, der sich selbst auf dem Arbeitsmarkt völlig ausverkauft, die eigenen Bedürfnisse dabei oft so sehr verleugnend, dass er sie selbst kaum noch wahrnimmt, damit er nach außen immer schön „selbstbewusst“ und „aktiv“ auftreten kann. Gewerkschaften, diese Co-Managerinnen der kapitalistischen Ausbeutung, verstärken diese kleinbürgerlichen Tendenzen im Proletariat noch. Der Gewerkschaftskleinbürger verlangt dann gutes Geld für gute Arbeit, die Ware-Geld-Beziehung und die darauf beruhende produktive Tätigkeit als Lohnarbeit wird total verinnerlicht. Natürlich muss das Proletariat einen reproduktiven Klassenkampf führen, damit es nicht vom Kapital überausgebeutet wird und dieser Klassenkampf hat auch seine revolutionären Tendenzen, die von SozialrevolutionärInnen nicht gering geschätzt werden sollten. Aber genau so wenig darf die kleinbürgerliche Marktsubjektivität von doppelt freien LohnarbeiterInnen, welche auch noch im Klassenkampf mehr oder weniger reproduziert wird und nur durch die soziale Revolution überwunden werden kann, übersehen werden.
Nun, getrennt von den industriellen Produktionsmitteln waren die russischen LohnarbeiterInnen auch, allerdings war die freie Verfügung über ihre Persönlichkeit, also ihre Marktsubjektivität, stark eingeschränkt. Es gab im zaristischen Russland so etwas wie industrielle Leibeigenschaft – eine Tradition, welche der „sozialistische“ Staatskapitalismus verstärkt bei der ursprünglichen Industrialisierung der UdSSR fortsetzte. Ausdrücke von Anzeichen einer industriellen Leibeigenschaft waren im zaristischen Russland ein besonderes Lohnzahlungssystem, die teilweise Kasernierung der ArbeiterInnen und ein ultrarepressives Sozialgesetz. Diese Einschränkung der freien Marktsubjektivität der russischen LohnarbeiterInnen führte aber auch dazu, dass ihre kleinbürgerlichen Tendenzen relativ gering blieben, die despotische politische Unterdrückung durch das zaristische Regime aber den Kampfwillen des russischen Proletariats stärkte.
Für die russische Bourgeoisie bedeutete die hohe Konzentration und Zentralisation des Kapitals bei einem weitgehenden Fehlen einer handwerklich-zünftigen Tradition der russischen Städte, dass es zwischen ihr und dem Proletariat eine verhältnismäßig dünne Schicht von ökonomisch selbständigen KleinbürgerInnen gab. Allerdings gab es auch in Russland jenes von Bourgeoisie und/oder Staat lohnabhängige KleinbürgerInnentum, welches erst der Kapitalismus hervorbrachte und bis heute ständig erneuert reproduziert, bestehend aus den technischen und den unteren bis mittleren verwaltenden Angestellten der Bourgeoisie und den kleineren Staatsbeamten und -angestellten.
Außerdem waren die BesitzerInnen des hoch konzentrierten und zentralisierten russischen Kapitals häufig AusländerInnen, die sich durch ihre nationale Diplomatie beim russischen Staat vertreten ließen. Das erklärt auch das geringe Interesse der ausländischen Bourgeoisie an der Weiterentwicklung des kläglichen bürgerlichen Parlamentarismus (Duma), welcher am Rande des zaristischen Selbstherrschertums dahinvegetierte. In dieser Karikatur eines funktionierenden bürgerlichen Parlamentarismus war der politische Einfluss der liberalen Industriebourgeoisie geringer als der der vorwiegend adligen GroßgrundbesitzerInnen. Das Wahlgesetz von 1907 begünstigte eindeutig die GroßgrundbesitzerInnen, welche zur herrschenden, praktisch alles entscheidenden Gruppe wurden. Die liberale Bourgeoisie passte sich politisch immer stärker dem Zarismus und den GroßgrundbesitzerInnen an. Selbst die großbürgerlichen politischen Parteien (Kadetten und Oktobristen) waren organisatorische Bündnisse von russischer Großbourgeoisie, kleinbürgerlicher Intelligenz und GroßgrundbesitzerInnen.
Ein Teil des Großkapitals, besonders jener, welcher für die Bedürfnisse der russischen Armee produzierte, befand sich entweder in direkter staatlicher Hand oder produzierte im Staatsauftrag. War schon das angehäufte Industriekapital im zaristischen Russland absolut bescheiden, war der Teil über den die russische Bourgeoisie wirklich selbständig als soziale Kraft verfügte, noch schwächer. Das russische Kapital war also ein sozialökonomisches Verhältnis, was zwar noch nicht Russland beherrschte, aber schon durch starke Klassenkämpfe zwischen einer sozial schwachen und politisch unselbständigen Bourgeoisie und einem zwar zahlenmäßig schwachen aber dafür kampfstarken Proletariat geprägt war. Dieses russische Industriekapital als Verhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat war aber vor 1917 nur eine Insel im noch vorwiegend feudal geprägten zaristischen Agrarstaat.

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Schon im Jahre 1905 wollte und konnte weder das Proletariat noch die Mehrheit der BäuerInnen so weiter leben wie bisher. Es entwickelte sich eine revolutionäre Situation, die schließlich in einem Revolutionsversuch mündete, der jedoch noch einmal von der zaristischen Sozialreaktion niedergeschlagen werden konnte.
Beschreiben wir die Revolution von 1905 als Generalprobe zur russischen Revolution von 1917 bis 1921 etwas genauer. Der erfolglose Krieg des zaristischen Russlands gegen Japan verschärfte alle sozialen Gegensätze im Inneren des Landes. Anfang Januar 1905 (alle Zeitangaben bis zur Oktoberrevolution erfolgen nach dem alten russischen Kalender) legte die Belegschaft des Petrograder Putilow-Werkes – des größten russischen Rüstungsunternehmens – die Arbeit nieder. Die zaristische Repression schlug sofort zu. Es wurden vier ArbeiterInnen wegen subversiver Tätigkeit eingesperrt. Doch damit steigerte das zaristische Regime nur die soziale Gärung unter den ArbeiterInnen.
In dieser Situation der sozialen Spannung organisierte der Pope Gapon am 22. Januar 1905, an einem Sonntag, ein Bittgang aus 100 000 ArbeiterInnen zum Zarenpalais. Obwohl der Organisator dieses devoten Aufmarsches, Gapon, Vorsitzender der von der zaristischen Polizei gesteuerten „Gesellschaft russischer Industrie- und Mühlenarbeiter“ war, ging die Reaktion zur blutigen Repression über. Der Polizeipräsident ließ auf den Bittgang schießen. Dieser Tag ging als „Blutsonntag“ in die russische Geschichte ein und wurde zum Fanal der Revolution von 1905.
Eine gewaltige proletarische Streikwelle überflutete Russland. Zuerst wurden von den ArbeiterInnen vorwiegend sozialökonomische Forderungen aufgestellt, doch in den Randgebieten des Zarenreiches – in Polen, im Baltikum und im Kaukasus – hatte das Proletariat Illusionen in die „nationale Befreiung“. Doch das Aufstellen von nationalistischen Losungen machte die ArbeiterInnen objektiv zum proletarischen Schwanz des bürgerlichen Nationalismus.
Im Sommer 1905 verebbte diese Streikwelle etwas, entfaltete aber im Herbst verstärkt ihre Kraft. Der neue Aufschwung des proletarischen Klassenkampfes ging diesmal von den Industriebezirken Moskaus aus und griff dann auch auf Petrograd über. Durch die Arbeitsniederlegung des Eisenbahnproletariats nahm der Klassenkampf die Form eines Generalstreikes an. Mit dem reproduktiven Klassenkampf des russischen Proletariats entwickelten sich auch die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung, die Gewerkschaften. Im demokratischen Kapitalismus wurde die Gewerkschaftsbürokratie zur Co-Managerin der kapitalistischen Ausbetung, doch selbst in den USA und in Westeuropa war diese Entwicklung im Jahre 1905 noch in den Anfangsstadien. Das zaristische Russland dachte nicht im Geringsten daran, den Gewerkschaften diese Rolle zuzugestehen. Doch die Gewerkschaften blieben im Schatten der ArbeiterInnenräte, die sich auf dem Höhepunkt der Streikwelle entwickelt hatten. Der Klassenkampf blieb objektiv reproduktiv, weil er nicht in einer sozialen Revolution mündete, doch nicht wenige russische ArbeiterInnen waren damals subjektiv revolutionär eingestellt.
Auf dem Lande entwickelte sich die Agrarrevolte der russischen BäuerInnen. Es überwogen auch hier sozialökonomische Forderungen, wobei diese in den Randgebieten mit den ideologischen Reproduktionen des Nationalismus „unterdrückter Nationen“ verschmolzen. Doch diese Nationalismen „unterdrückter Nationen“ waren genau so sozialreaktionär wie der russische Nationalismus. Insgesamt gesehen war die Agrarrevolte kleinbürgerlich, da sie auf die Enteignung des Großgrundbesitzes zu Gunsten kleinbäuerlichen Privateigentums zielte. Sie entwickelte sich zuerst im Zentrum Russlands, griff dann auf das ganze russische Schwarzerdgebiet über und erreichte schließlich im Sommer 1905 den Westen des Landes bis hinauf zum Baltikum. Auch jenseits des Kaukasus, in Georgien, rebellierten die BäuerInnen. Im Herbst beruhigte sich der Sturm der Agrarrevolte etwas, doch er holte nur Atem zum neuen Brausen. Das Zentrum des mit neuer Kraft entflammten bäuerlichen Protestes wurde das mittlere Wolgagebiet. Der BäuerInnenkrieg dehnte sich rasch auf das ganze Land aus. Die Agrarrevolte nahm die Formen von Zahlungsverweigerungen der Steuern und Abgaben, der Inbesitznahme der adligen Felder und Wälder und des Abbrennens von Gutshöfen an.
Doch die zaristische Sozialreaktion hatte im Jahre 1905 noch die Kraft, den Kampf des Proletariats und der BäuerInnen in Blut zu ersticken. Im Dezember 1905 wurden die Mitglieder des Petrograder ArbeiterInnenrates verhaftet, dass sich daraufhin erhebende Moskauer Proletariat konnte bis Ende des Jahres von der Konterrevolution niedergeschlagen werden. Mit der Erstickung der Agrarrevolte war die zaristische Reaktion bis 1907 beschäftigt.
Die sozialökonomischen Verbesserungen, die sich das russische Proletariat im Jahre 1905 erkämpft hatte, wurden ihm durch die siegreiche Sozialreaktion nach und nach wieder genommen. Streiks blieben weiterhin verboten. Doch das hielt die russischen ArbeiterInnen nicht davon ab, trotzdem massenhaft die Arbeit niederzulegen. Besonders die seit 1910 einsetzende Belebung der russischen Industrie gab auch dem proletarischen Klassenkampf neuen Auftrieb. Dieser Klassenkampf trieb zwischen 1912 und 1914 wieder einem neuen Höhepunkt entgegen. Besonders im ersten Halbjahr 1914 nahmen die (anti-)politischen Streiks gegen die zaristische Reaktion enorm zu.
Bis 1914 erholte sich also das russische Proletariat weitgehend von der Niederlage von 1905. Deshalb beteiligte sich auch das zaristische Russland unter anderem an der Seite von England und Frankreich am imperialistischen Ersten Weltkrieg. Der imperialistische Krieg und die in ihm sprießenden chauvinistischen und nationalistischen Ideologien stärken häufig zumindest am Anfang die Bourgeoisie und schwächen das klassenkämpferisch-progressive Proletariat. So war es auch im zaristischen Russland.
Doch dieses war den Anforderungen des imperialistischen Kriegsgemetzels als dem konzentriertesten Ausdruck der globalen Konkurrenz der Nationalstaaten und der kapitalistischen Zivilisationsbarbarei nicht gewachsen. Die militärische Offensive des zaristischen Russland in Richtung Westen kam schon im Herbst 1914 zum Stehen, ab 1915 waren die Fronten festgefahren. Bis zu Beginn dieses Jahres verlor die vorwiegend bäuerliche Armee bereits 1,8 Millionen Soldaten durch Tod, Verwundung und Kriegsgefangenschaft. Der russische Imperialismus rekrutierte vorwiegend aus den Dörfern zwei Millionen Männer, neues Kanonenfutter. Doch die Ausbildung und die Bewaffnung der neu rekrutierten Soldaten waren äußerst mangelhaft, da die die Armeeführung nur mit einem kurzen Krieg gerechnet hatte. Auch die industrielle Basis des russischen Militarismus erwies sich für die moderne Kriegsbarbarei als zu schwach –trotz der Umstellung vieler ziviler Unternehmen auf Kriegsproduktion. Während auch die russische Bourgeoisie prächtig am globalen Gemetzel verdiente, fraß er die finanziellen Ressourcen des russischen Staates auf. Der Erste Weltkrieg kostete dem zaristischen Russland im Jahre 1915 zehn Milliarden Rubel und 1916 bereits neunzehn Milliarden Rubel.
Das Imperialistische Kriegsgemetzel brachte auch für das russische Proletariat eine verschärfte Überausbeutung und eine weitgehende soziale Neuzusammensetzung. Die Rekrutierung für den imperialistischen Krieg innerhalb des russischen Proletariats nahm der Zarismus am Anfang nicht nur nach militärischen Maßstäben, sondern auch nach polizeilichen Gesichtspunkten vor. Die zaristische Sozialreaktion nutzte das globale Gemetzel, um die klassenkämpferischsten Arbeiter loszuwerden und an die Front zu schicken. In den ersten Kriegsmonaten wurden bis zu 40% des Industrieproletariats für die russische Armee rekrutiert. Die russische Bourgeoisie protestierte schließlich erfolgreich gegen den gewaltigen Aderlass an „ihren“ Profitproduzenten. Die massenhafte Rekrutierung von Industriearbeitern für das militärische Schlachtfeld wurde gestoppt, aber als Drohung für den Fall des Klassenkampfes leistete sie der Sozialreaktion noch wichtige Dienste. Das an die Front Schicken von klassenkämpferischen Arbeitern lähmte zuerst den proletarischen Klassenkampf. Die zweite Seite der Medaille war allerdings, dass dadurch klassenbewusste Proletarier den bereits existierenden sozialen Unmut ihrer zumeist bäuerlichen Kameraden innerhalb der Armee weiter entfachen und eine klarere Richtung geben konnten. Das war für den weiteren Verlauf des revolutionären Prozesses in Russland nicht unwichtig.
Doch die für den imperialistischen Krieg rekrutierten Industriearbeiter mussten ersetzt werden. Die Bourgeoisie rekrutierte neue SoldatInnen für den sozialökonomischen Krieg um Maximalprofite aus BäuerInnen, dem städtischen KleinbürgerInnentum, weniger qualifizierten ArbeiterInnen, Halbwüchsigen und den Frauen. Der Frauenanteil am Industrieproletariat stieg durch den imperialistischen Krieg von 32% auf 40%. Auch die Konzentration der russischen IndustriearbeiterInnen in Riesenunternehmen wurde durch das globale Gemetzel beschleunigt. Zwischen 1914 und 1917 stieg die Anzahl der Großbetriebe mit über 500 ArbeiterInnen fast um das Doppelte. Wegen der Liquidierung der polnischen und baltischen Industriebetriebe und der allgemeinen Zunahme der Kriegsproduktion wuchs das Petrograder Proletariat bis 1917 auf etwa 400 000 ArbeiterInnen, davon wurden 350 000 in 140 Großbetrieben ausgebeutet. Bis zu 50% des Ausstoßes der russischen Industrie war für das Kriegsgemetzel bestimmt, darunter 75 Prozent der Textilprodukte.
Die soziale Neuzusammensetzung des russischen Proletariats schwächte zuerst dessen Kampfkraft. Die ideologische Kriegsoffensive der Sozialreaktion mit ihrem großrussischen Nationalismus und Chauvinismus lähmte das Proletariat geistig. Die subjektiv sozialrevolutionären ArbeiterInnen – der proletarische Flügel des Anarchismus und des Parteimarxismus, über beide Strömungen mehr weiter unten – hatten zu Beginn des Krieges einen sehr schweren Stand in den Betrieben. Allein dass in der Industriestadt Moskau der städtische Mob unter Aufsicht der zaristischen Polizei im Mai 1915 ein Pogrom gegen die deutsche Bevölkerung organisieren konnte, ohne dass dieses reaktionäre Pack auf proletarischen Widerstand stieß, zeigte dass der imperialistische Krieg am Anfang auch ein erfolgreiches Mittel des Zarismus und der Bourgeoisie war, um den proletarischen Klassenkampf einzudämmen.
Doch die Überausbeutung und die soziale Verelendung konnten auch von den frisch proletarisierten Menschen nicht kampflos hingenommen werden. Die Teuerungen bei den Lebensmitteln übten einen gewaltigen Druck auf die Reallöhne aus, während die Jagt nach dem Kriegsprofit zu einer Extensivierung (Verlängerung der Arbeitszeit) und/oder Intensivierung (Erhöhung der Arbeitsintensität/Arbeitsverdichtung) der Ausbeutung führte. Im Juni 1915 trat als erstes das Textilproletariat in den Kampf. Die Bullen reagieren mit Gewalt, am 5. Juni schossen sie in Kostroma auf TextilarbeiterInnen. Die WeberInnen hatten 4 Tode und 9 Verwundete zu beklagen. Am 10. August wurden in Iwanowo-Wosnessenk von den Repressivorganen 16 ProletarierInnen erschossen und 30 verwundet. Als Antwort auf den zaristischen Bullenterror entwickelten sich einige Proteststreiks. Doch verglichen mit dem ersten Halbjahr von 1914 wies dieses neue Aufflackern des Klassenkampfes im Jahre 1915 ein wesentlich geringeres Niveau auf.
Am 9. Januar 1916, dem elften Jahrestag des „Blutsonntages“ von 1905, entwickelt sich eine umfangreiche Streikbewegung. Blutige Zusammenstöße zwischen ArbeiterInnen und zaristischen Repressionsorganen begleiteten die Arbeitsniederlegungen. Während die ProletarierInnen versuchten die Soldaten auf ihre Seite zu ziehen, kämpften sie kompromisslos und voller Hass gegen die zaristische Polizei.
Ende 1916 kam es zu gewaltigen Preissteigerungen. Zur Inflation und der wachsenden Zerstörung der Transportwege kam ein akuter Warenmangel dazu. Der Konsum der russischen Bevölkerung nahm um die Hälfte ab. Auf Grund der Verelendung nahm der proletarische Klassenkampf stark zu. Oktober 1916 erreichte der Kampf des Petrograder Proletariats seinen Höhepunkt. Eine Welle von Betriebsversammlungen überschwemmte die russische Hauptstadt. Themen der Betriebsversammlungen waren die Teuerungen, die Ernährung, der Krieg und das zaristische Regime. (Anti-)politische Streiks entwickelten sich. Diese wurden durch kämpferische Straßendemonstrationen gekrönt. Es kam zu Verbrüderungen zwischen IndustriearbeiterInnen und Soldaten. Als die revolutionären Matrosen der baltischen Flotte, die gegen den imperialistischen Krieg gemeutert hatten, vor Gericht gestellt wurden, brachen Solidaritätsstreiks aus.
Mit der Verschärfung des proletarischen Klassenkampfes verschob sich auch sein sozialer Schwerpunkt von den Textil- zu den MetallarbeiterInnen. Am 9. Januar 1917 streikten in Petrograd 150 000 ArbeiterInnen. Die MetallarbeiterInnen standen an der Spitze dieser Arbeitsniederlegung. Die Atmosphäre war stark erhitzt, das kollektive Empfinden der Klasse erspürte, dass es kein Zurück geben konnte. In den ersten zwei Februarwochen entwickelten sich permanent Streiks und Versammlungen. Die russische Hauptstadt ging der Februarrevolution entgegen.
Das Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse radikalisierte sich im Verlauf des imperialistischen Gemetzels und des neu entfachten proletarischen Klassenkampfes. Der Gedanke an einen Generalstreik erfasst immer mehr Gehirne des klassenkämpferischen Proletariats, da die einzelnen Bourgeois kaum an Konzessionen an die jeweiligen Belegschaften dachten. Auch die feindliche Haltung gegenüber dem zaristischen Staat nahm zu. Während sich im Jahre 1915 zweieinhalb Mal weniger ArbeiterInnen an (anti-)politischen Streiks als an sozialökonomischen Streiks beteiligen, waren es 1916 zwei Mal weniger. In den ersten beiden Monaten von 1917 streikten sechs Mal mehr ArbeiterInnen für (anti-) politische Forderungen als für sozialökonomische. Das klassenkämpferische russische Proletariat konnte also weder durch die vorübergehend siegreiche Konterrevolution von 1905 noch durch das imperialistische Kriegsgemetzel für lange zum Schweigen gebracht werden!
Doch wie sah es auf dem Lande, wo die bäuerliche Bevölkerungsmehrheit Russlands lebte, aus? Nachdem der Zarismus die Revolution von 1905 niedergeschlagen hatte, setzte er die kapitalistische Modernisierung der Landwirtschaft fort. Sein sozialreaktionäres Ziel bestand darin, durch die soziale Differenzierung der BäuerInnen die Agrarrevolte gegen die GroßgrundbesitzerInnen im Keim zu ersticken. Dieses Ziel sollte durch die Zersetzung und Zerstörung der urwüchsigen russischen Bauerngemeinschaft kleiner PrivatbodenbestellerInnen, der Mir, erreicht werden. Diese Zerstörung der alten Dorfgemeinschaft war neben der Aufhebung der Leibeigenschaft die zweite wichtige Voraussetzung der Kapitalisierung der Landwirtschaft.
Doch vor der dritten Vorraussetzung, einer Bodenreform, welche den gutsbesitzenden Adel enteignet hätte, schreckte der Zarismus zurück. Auf Grund der Kräftegruppierung von zaristischer Staatsbürokratie, GroßgrundbesitzerInnen und Bourgeoisie war keine obere Klasse eine Fürsprecherin der Bodenreform. Die GroßgrundbesitzerInnen waren aus sozialökonomischen Gründen gegen eine solche, die zaristische Bürokratie stützte sich politisch auf die GroßgrundbesitzerInnen und die russische Bourgeoisie klammerte sich in ihrer sozialen Schwäche im Klassenkampf gegen das Proletariat lieber an die zaristische Bürokratie und die GroßgrundbesitzerInnen als die Agrarrevolte gegen den Großgrundbesitz zu unterstützen. Eine Bodenreform von oben war aber nicht nur absolut notwendig um die russische Landwirtschaft endgültig zu entfeudalisieren, sondern auch um einer Agrarbewegung gegen den Großgrundbesitz wirklich die soziale Wurzel zu entziehen. Die beginnende Zerstörung der Mir führte zu einer Durchdringung des Feudalismus mit kapitalistischen Elementen, aber nicht zu einer sozialen Austrocknung des BäuerInnenkrieges gegen den Großgrundbesitz. So entwickelte sich die gewaltige kleinbürgerliche Agrarrevolte als Teil der russischen Revolution und als ein klarer Ausdruck der Tatsache, dass das Kalkül der zaristischen Sozialreaktion nicht aufging.
Doch kehren wir zurück zur vorrevolutionären russischen Landwirtschaft. Der Prozess der Zersetzung der Mir begann mit der Aussonderung kapitalistischer FarmerInnen aus der BäuerInnengemeinde. Das Gesetz vom 9. November 1906 bildete dazu die rechtliche Grundlage. Es sicherte einer Minderheit der Mir das Recht zu, sich aus der BäuerInnengemeinschaft auszusiedeln. Die Oberschicht der BäuerInnen konnte sich Gemeindeland aneignen und zu kapitalistischen FarmerInnen werden. Die Mir wurde durch die zaristische Sozialreaktion auch relativ erfolgreich zersetzt und die Kapitalisierung der Landwirtschaft begann ebenfalls, aber beides eben noch nicht so stark, um einer kleinbäuerlichen Agrarbewegung gegen den Großgrundbesitz dem Boden zu entziehen. Bis zum 1. Januar 1916 sonderten sich zweieinhalb Millionen PrivatbäuerInnen aus der Mir aus. Sie besaßen 17 Millionen Deßjatinen. Weitere zwei Millionen HofbesitzerInnen forderten die Ausgliederung von 14 Millionen Deßjatinen Gemeindeland. Doch das neu geschaffene Privateigentum erwies sich nicht als genügend lebensfähig. Die kleinen BäuerInnen und die GroßgrundbesitzerInnen versuchten gleichermaßen ihr Privateigentum loszuwerden – die GroßbäuerInnen (Kulaken) traten in beiden Fällen als KäuferInnen auf. Die GroßgrundbesitzerInnen verkauften, weil sie Angst vor der Agrarrevolte hatten, die KleinbäuerInnen weil der Boden sie nicht mehr ernähren konnte.
Mit der sozialreaktionären Zersetzung der Mir begannen sich auch Genossenschaften als kleinbürgerlich-kollektive Formen der agrarischen Warenproduktion zu entwickeln. Diese Agrargenossenschaften wurden vollständig von den GroßbäuerInnen beherrscht. Auch die kleinbürgerliche Intelligenz der „sozialrevolutionären“ Partei, welche sich politisch und ideologisch auf die BäuerInnen stützte, konzentrierte ihre Hauptkraft auf diese Landwirtschaftskooperativen. Dadurch verlor die „sozialrevolutionäre“ Intelligenz ihre Radikalität und passte sich immer stärker den sich entwickelnden Agrarkapitalismus an. Die spätere konterrevolutionäre Rolle der „sozialrevolutionären“ Partei wurde durch diese Anbindung an die sich kapitalisierende Landwirtschaft vorbereitet.
Ein ökonomischer Ausdruck der begonnen Kapitalisierung der russischen Landwirtschaft war der Anstieg des Exportes russischer Agrarprodukte. Exportierte Russland 1908 Agrarprodukte im wert von 1 Milliarde Rubel, betrug dieser Wert im Jahre 1912 bereits 1,5 Milliarden. Dieser Anstieg war ein Ausdruck dafür, dass auch die russischen BäuerInnen im zunehmenden Maße für den kapitalistischen Weltmarkt produzierten.
Doch wie bereits weiter oben schon erwähnt, konnte auch die fortschreitende Kapitalisierung der Landwirtschaft – weil sie nicht mit einer Bodenreform, also der Enteignung der GroßgrundbesitzerInnen verbunden war – die Agrarrevolte nicht ersticken. Sie erhob bereits 1908 wieder ihr Haupt und verstärkte sich in den folgenden Jahren. Im Kampf gegen den gutsbesitzenden Adel setzten die BäuerInnen häufig dessen Gehöfte, Ernte und Heu in Flammen. Auch die sich aus der Mir ausgesonderten FarmerInnen wurden nicht selten Opfer der bäuerlichen Agrarrevolte. Doch als Folge der beginnenden kapitalistischen Zersetzung der alten russischen Dorfgemeinschaft gab es zwischen 1906 und 1914 auch schon bewaffnete Konflikte bei der Aufteilung des Gemeindelandes zwischen den BäuerInnen. Doch auch dieser innerbäuerliche Konkurrenzkampf konnte die gesamtbäuerliche Agrarbewegung gegen den Großgrundbesitz nicht aufhalten.
Durch die Mobilisierung für den imperialistischen Krieg ab 1914 wurden der Agrarrevolte die aktivsten, gesündesten und kämpferischsten Kräfte entzogen. Sie wurden millionenfach in Uniform gesteckt und sollten für Zar, gutsbesitzenden Adel und Bourgeoisie töten und sterben. So wurde der BäuerInnenkrieg durch den imperialistischen Krieg bis 1917 unterbrochen. Doch auch innerhalb der Armee radikalisierten sich die bäuerlichen Soldaten unter dem Einfluss proletarisch-revolutionärer Kameraden weiter. Massenhafter Tod, die totalitäre Herrschaft der adligen und bürgerlichen Offiziere, welche sich auch in körperlicher Züchtigung der Soldaten äußerte, ließen die sozialen Gegensätze innerhalb der Armee, welche im Wesentlichen eine Bauernarmee war, ziemlich krass spürbar werden.
So ergab sich vor der Februarrevolution von 1917 folgende Situation: Die Krise des zaristischen Staates hatte sich im Verlauf des imperialistischen Krieges enorm zugespitzt. Das alte Russland war dem globalen Konkurrenzkampf der Nationalstaaten nicht gewachsen, weil die kapitalistische Modernisierung in den Jahren vor dem imperialistischen Gemetzel zu schwach war. Diese Krise ließ sich durch den Zarismus nicht mehr lösen, er musste hinweggefegt werden! Aber von wem? Von der russischen Bourgeoisie? Oder vom russischen Proletariat und/oder den russischen BäuerInnen?
Die sich aus der Krise des russischen Staates objektiv ergebende Zuspitzung der proletarischen Klassenkampfsubjektivität am Vorabend der Februarrevolution wurde vom damaligen sozialdemokratischen russischen Parteimarxismus nur ideologisch verzerrt widergespiegelt. Das war auch alles andere als ein Zufall.
Die internationale Sozialdemokratie war trotz ihrer teilweisen rrrevolutionären Phrasen eine kleinbürgerliche, aber keine proletarisch-revolutionäre Strömung. Ihre parteiförmigen Organisationen reproduzierten die bürgerliche Politik als Gestalterin der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Kapitalvermehrung. Mit politischen Parteien wird der Kapitalismus verwaltet, aber nicht revolutionär aufgehoben. Die hauptamtlichen ParteipolitikerInnen eignen sich in Form von Steuern, Mitgliedsbeiträgen und Parteispenden einen Teil des proletarisch produzierten Mehrwertes an. Dieser Mehrwert wird in kapitalistischen Unternehmen (sowohl Familienunternehmen als auch Aktiengesellschaften, bei Privateigentum an industriellen Produktionsmitteln genauso wie in Staatskonzernen) produziert. Indem BerufspolitikerInnen von KapitalistInnen und KapitalmanagerInnen Steuern einziehen, eignen sie sich indirekt den für das Privatkapital produzierten Mehrwert an. Wenn die bürgerlichen BerufspolitikerInnen als ManagerInnen des Staates den proletarisierten Menschen Lohnsteuern abknöpfen, lassen sie die letztgenannten direkt Mehrwert für sich produzieren. Indem die BerufspolitikerInnen als Charaktermasken des Staates auch den Konsum von KapitalistInnen und LohnarbeiterInnen besteuern, verwandeln sie einen Teil des Konsumtionsfonds der Bourgeoisie und des Proletariats in staatlich angeeigneten Mehrwert. Wobei natürlich zu beachten ist, dass der Konsumtionsfonds der Bourgeoisie nichts anderes als proletarisch produzierter und kapitalistisch angeeigneter Mehrwert darstellt. Einen Teil des politisch angeeigneten Mehrwertes geht für Staatszwecke drauf (Infrastruktur, Krieg führen und ein wenig Wirtschafts-, Kultur- und Sozialpolitik), während der andere Teil als Gehalt in den persönlichen Konsum der BerufspolitikerInnen geht
Auch die BerufspolitikerInnen von Oppositionsparteien – unter ihnen auch die sozialdemokratischen Parteien – eignen sich als deren ManagerInnen den kapitalistisch produzierten Mehrwert an. Zum Teil bekommen sie Steuergelder in Form von Parlamentsdiäten, teilweise eigen sie sich den Mehrwert in Form von Parteispenden und Mitgliedsbeiträgen an. Mitgliedsbeiträge und Parteispenden stellen wie im Falle der staatlichen Besteuerung des Konsums die politische Aneignung eines Teiles des Konsumtionsfonds der bürgerlichen und proletarischen Mitglieder/Sympathisanten der Partei und deren Verwandlung in Mehrwert dar. Heute sind sozialdemokratische Parteien fast überall auf der Welt als Interessenvertreterinnen der Bourgeoisie von dieser auch anerkannt. Damals, also vor der Februarrevolution von 1917 waren sie das weder vollständig in Deutschland noch im zaristischen Russland. Die sozialdemokratischen BerufspolitikerInnen sowohl in Deutschland wie in Russland waren ManagerInnen von Oppositionsparteien und eigneten sich auf solche Weise einen Teil des Mehrwertes an. Diese sozialdemokratischen BerufspolitikerInnen waren entweder kleinbürgerliche Intellektuelle oder ehemalige LohnarbeiterInnen. Bevor sie von der Bourgeoisie voll anerkannt wurden, also von ParteimanagerInnen zu StaatsmanagerInnen aufsteigen konnten, waren sozialdemokratische BerufspolitikerInnen kleinbürgerliche PolitikerInnen beziehungsweise kleinbürgerliche DemokratInnen.
Indem sie den kapitalistischen Inhalt der bürgerlichen Politik reproduzierten, übernahmen sie auch deren bürgerlich-bürokratische Form, der totalitären Herrschaft des BerufspolitikerInnentums über die lohnabhängige Partei- und Wählerbasis. In der Praxis waren die proletarisierten Menschen für die sozialdemokratischen BerufspolitikerInnen nichts anderes als Stimmvieh, was brav sozialdemokratisch zu wählen, sie also zu ermächtigen hatte.
Sozialdemokratische PolitikerInnen waren sozial gesehen bürgerliche PolitikerInnen – und ihre Realpolitik konnte auch gar nicht anders sein als bürgerlich. Die Sozialdemokratie leistete in der Praxis wichtige Arbeit an der Reform des Kapitalismus, sowohl in der Sozialpolitik, als auch bei der Integration des Proletariats in eine reformierte Demokratie. In den frühen Demokratien wurden teilweise proletarisierte Menschen als WählerInnen benachteiligt. Das dies heute nicht mehr der Fall ist, verdanken wir auch der internationalen Sozialdemokratie. Doch dieses Wirken war grundsätzlich sozialreaktionär. Die Sozialdemokratie reformierte den kapitalistischen Feind des Proletariats mit Hilfe einer marxistisch-sozialistischen Ideologie.
Diese marxistische Ideologie war Selbstbetrug der Sozialdemokratie und sozialdemokratischer Betrug am Proletariat. Dies wurde mit Beginn des Ersten Weltkrieges deutlich, wo die meisten nationalen Sektionen der Sozialistischen Internationale, sich an die Seite des jeweiligen Nationalstaates und ihrer herrschenden kapitalistischen Klasse stellte. Auf diese Weise organisierte die internationale Sozialdemokratie das Massaker der Weltbourgeoisie am globalen Proletariat mit.
Sozialdemokratische IdeologInnen wurden entweder direkt von den Parteien der Zweiten Internationale bezahlt und/oder sie verkauften als freie AutorInnen ihre Ideologie auf den Zeitungs- und Büchermarkt. Auch einige sozialdemokratische IdeologInnen passten sich der bürgerlichen Praxis dieser politischen Strömung an und revidierten die marxistische Theorie. Das waren die so genannten „RevisonistInnen“ (in Deutschland Bernstein). Das sozialdemokratische Zentrum (in Deutschland Kautzky) verteidigte die marxistische Ideologie – auf dem Boden bürgerlicher Politik.
Der linke Flügel der Sozialdemokratie (Pannekoek, Luxemburg, Liebknecht, Lenin und Trotzki) hatte die ganze Zeit vor dem Ersten Weltkrieg versucht die Ideologie des sozialdemokratisierten Marxismus gegen die sozialdemokratische Wirklichkeit zu verteidigen. Er versuchte sein Ideal von der „proletarischen Partei“ in die Wirklichkeit umzusetzen, aber in der Praxis kann es nur bürgerliche Parteien geben – wie die Geschichte des Parteimarxismus in aller Deutlichkeit offenbarte. In den westeuropäischen Ländern wurde die Sozialdemokratie dann auch folgerichtig während des imperialistischen Krieges und der konterrevolutionären Niederschlagung der proletarischen Klassenkämpfe während und im Anschluss des Ersten Weltkrieges großbürgerlich. Der linke Flügel trennte sich von der Sozialdemokratie und ein großer Teil von ihm nahm als Partei-„Kommunismus“ an der kapitalistischen Sozialreaktion gegen das Proletariat teil – nur ein ganz kleiner Teil wirkte wirklich sozialrevolutionär. Die zuerst linkssozialdemokratischen und später partei-„kommunistischen“ PolitikerInnen, welche noch nicht die Staatsmacht durch eine politische Machteroberung übernommen hatten, bezeichnen wir als kleinbürgerliche Radikale im Gegensatz zu den kleinbürgerlichen ReformistInnen, die danach strebten von der Bourgeoisie voll anerkannt zu werden.
Im zaristischen Russland konnte sich wegen des ultrarepressiven Staates das sozialdemokratische BerufspolitikerInnentum nicht auf parlamentarische Weise schleichend in den Staat integrieren wie in Westeuropa. Statt Parlamentssitze gab es für russische sozialdemokratische BerufspolitikerInnen Gefängnis, Verbannung und Emigration. Damit sich die russische Sozialdemokratie in den Parlamentarismus integrieren konnte, musste in Russland erst mal ein parlamentarisches Herrschaftssystem geschaffen werden. Das war aber mit der Herrschaft der zaristischen Monarchie, die eine Mischung aus europäischem Absolutismus und asiatischer Despotie darstellte, unvereinbar. Also trat der Großteil der russischen Sozialdemokratie erst mal für eine „bürgerliche Revolution“ ein – natürlich nur als Zwischenetappe auf dem Weg zum „Sozialismus“.
Der rechte Flügel der russischen Sozialdemokratie, die Menschewiki, ging davon aus, dass die Führung in der „bürgerlichen Revolution“ selbstverständlich die liberale Bourgeoisie haben müsse, während der linke Flügel, die Bolschewiki, die Meinung vertrat, dass die liberale russische Bourgeoisie zu einer radikalen antifeudalen Revolution schon nicht mehr fähig sei. Diese bolschewistische Ansicht entsprach der Realität. Die mächtige Weltbourgeoisie – zu deren ohnmächtigen Teilen die russische gehörte – befand sich schon längst im Klassenkampf mit dem internationalen Proletariat. Als die radikalsten Fraktionen der englischen und französischen Bourgeoisie im 17. und 18. Jahrhundert die politische Macht eroberten um den Feudalismus mit Stumpf und Stiel auszurotten gab es noch kein Industrieproletariat. Aber sowohl der Brite Cromwell als auch die französischen Jakobiner mussten als radikale Bourgeois auch repressiv gegen die damalige kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Massenbewegung vorgehen. In England waren das die Levellers und die Diggers und in Frankreich die Sansculotten. Die politischen Machteroberungen von Cromwell und den Jakobinern stellten also sowohl die Höhepunkte der antifeudalen Revolutionen als auch die Umschlagmomente in die bürgerlichen Konterrevolutionen dar. Diesen absolut konterrevolutionären Aspekt der politischen Machteroberung auch der radikalsten Fraktionen der Bourgeoisie ignorierte der Marxismus weitgehend in seinem Dogmengebäude von der „bürgerlichen Revolution“.
Bei einer erfolgreichen politischen Machteroberung der russischen Bourgeoisie, müsste sie es sowohl mit der zaristischen Reaktion als auch mit den BäuerInnen und dem jungen russischen Industrieproletariat aufnehmen. Der ganze Verlauf der russischen Revolution zeigte eindeutig, dass die russische Bourgeoise viel zu schwach dazu war. Und selbst wenn die russische Bourgeoisie ohne bolschewistische Machtübernahme mit den BäuerInnen und dem Proletariat fertig geworden wäre, eine demokratisch-parlamentarische Republik, in die die russische Sozialdemokratie sich hätte integrieren können, war menschewistische Tagträumerei. Wenn die russische Bourgeoisie die Macht erobert hätte, dann nur in Form einer Militärdiktatur. Auch dies bewies der gesamte Verlauf der russischen Revolution eindeutig.
Die Bolschewiki hatten also absolut Recht, als sie daran zweifelten, dass die liberale russische Bourgeoisie fähig dazu wäre, die politische Macht zu erobern. Doch hielten auch sie am Dogma der „bürgerlichen Revolution“ fest. Nur sollte die russische Revolution nicht von der liberalen Bourgeoisie sondern von den ArbeiterInnen und BäuerInnen geführt werden. Diese siegreiche Revolution sollte dann in der „demokratischen Diktatur der ArbeiterInnen und BäuerInnen“ münden, die den Feudalismus mit Stumpf und Stiel ausrotten sollte, aber noch keine „sozialistischen“ Maßnahmen ergreifen sollte.
Unter „sozialistischen“ Maßnahmen verstand der sozialdemokratisierte Parteimarxismus die Verstaatlichung der Produktionsmittel, die Errichtung eines „ArbeiterInnenstaates“. Doch ein Staat ist ein bürokratischer Machapparat, der von BerufspolitikerInnen gemanagt und geführt wird – und sich mindestens ein Teil des proletarisch produzierten Mehrwertes aneignen muss. Einen von ArbeiterInnen geführten Staat kann es in der Praxis nicht gegen. Nur BerufspolitikerInnen können einen Staat führen. Dieser Tatsache trugen natürlich auch die parteimarxistischen IdeologInnen Rechnung, indem in ihrem „ArbeiterInnenstaat“ nicht die ArbeiterInnen, sondern ihre Avantgarde, also die parteimarxistischen BerufspolitikerInnen regieren sollten. Diese BerufspolitkerInnen verfügen in einem solchen „ArbeiterInnenstaat“ auch praktisch über die verstaatlichten Produktionsmittel. Die ArbeiterInnen vermieten nicht mehr ihre Arbeitskraft den PrivatkapitalistInnen, sondern dem Staat, der jetzt das Proletariat ausbeutet und den gesamten Mehrwert aneignet. Der ideologische „ArbeiterInnenstaat“ ist also in der Praxis ein staatskapitalistisches Regime. Das wissen wir ganz genau, weil ein solches staatskapitalistisches Regime nach der politischen Machtübernahme der Bolschewiki in Sowjetrussland errichtet wurde.
Doch vor der Februarrevolution steuerten die Bolschewiki noch nicht ideologisch auf einen „ArbeiterInnenstaat“ und praktisch auf ein staatskapitalistisches Regime zu. Sie stellten sich vor der Februarrevolution ein Regime vor, das von „proletarischen“ und „bäuerlichen“ Parteien regiert würde und im Rahmen des Privatkapitalismus blieb. In der Praxis wären die regierenden „proletarischen“ und „bäuerlichen“ Parteien also das politische Personal der Bourgeoisie gewesen. So unterschied sich der Bolschewismus in Bezug auf Russland vor der Februarrevolution von 1917 ideologisch nur in Nuancen vom Menschewismus. Im Gegensatz zu Leo Trotzki, der damals weder den Menschewiki noch den Bolschewiki angehörte, sondern seine Theorie von der permanenten Revolution entwickelt hatte und direkt ideologisch auf den „ArbeiterInnenstaat“ und praktisch auf ein staatskapitalistisches Regime hinzielte. Trotzki entwickelte die Ideologie des sowjetischen Staatskapitalismus.
Trotzkis Ideologie von der permanenten Revolution ging davon aus, dass das russische Proletariat auf Grund der Schwäche der russischen Bourgeoisie und der Tiefe der sozialen Krise des Zarismus schon eher als das westliche Proletariat an die Macht gelangen könne. Nun, wenn wir „Proletariat“ mit kleinbürgerlich-radikale PolitikerInnen übersetzen, hatte Trotzki absolut Recht. Ja, in hoch entwickelten Industriestaaten ist die selbständige Machtübernahme des kleinbürgerlichen Radikalismus ausgeschlossen, denn ein staatskapitalistisches Regime welches dieser Machtübernahme folgen würde, wäre sofort mit dem konterrevolutionären Widerstand der Bourgeoisie und mit dem Klassenkampf des Proletariats konfrontiert worden. Auch der Bolschewismus wurde nach seiner politischen Machtübernahme – wie wir noch ausführlicher beschreiben werden – sofort sowohl mit der privatkapitalistischen Konterrevolution als auch mit dem proletarischen Klassenkampf konfrontiert. Der bolschewistische Staat konnte nur auf Grund der sozialen Schwäche sowohl der Bourgeoisie als auch des Proletariats in Sowjetrussland alle diese Kämpfe bis 1921 siegreich überstehen. In einem Industriestaat, wo Bourgeoisie und Proletariat die sozialen Hauptklassen sind, ist für die politische Machteroberung gegen Bourgeoisie und Proletariat kein sozialer Spielraum vorhanden. Der ostdeutsche Staatskapitalismus nach 1945 war nur durch den sowjetischen Imperialismus möglich.
Weiterhin ging Trotzkis Ideologie von der permanenten Revolution davon aus, dass das „Proletariat“ (also parteimarxistische BerufspolitikerInnen) nach der politischen Machtübernahme „sozialistische“ (also staatskapitalistische) Maßnahmen ergreifen müsse und das „russische Proletariat“ (also der russische Parteimarxismus) zur Avantgarde der Weltrevolution werden müsse. Nun ja, dass die russischen radikalmarxistischen BerufspolitikerInnen zum staatskapitalistischen Regime übergehen würden, dass hatte Trotzki richtig voraus gesehen, aber der russische Parteimarxismus konnte objektiv gar nicht zur Avantgarde der Weltrevolution werden. Aus zwei Gründen. Erstens sind die politische Machtübernahme des kleinbürgerlichen Radikalismus und die Errichtung eines staatskapitalistischen Regimes in Industriestaaten unmöglich und zweites ist die wirkliche soziale Revolution des Proletariats mit dem Parteimarxismus als kleinbürgerlich-radikaler Ideologieproduktion unvereinbar.
Trotzki schuf also nach 1905 die Ideologie des zukünftigen sowjetischen Staatskapitalismus. Doch das Werkzeug zur Verwirklichung dieser Ideologie schuf Lenin als führender bolschewistischer Berufspolitiker. Seine Auffassungen von strenger Parteidisziplin und der Herrschaft von „BerufsrevolutionärInnen“ (also BerufspolitikerInnen) waren so bürgerlich-ultrabürokratisch, dass Lenin von anderen kleinbürgerlich-radikalen IdeologInnen dafür stark kritisiert wurde – unter anderem auch von Rosa Luxemburg und Leo Trotzki, bevor der letztere selbst zum Bolschewik wurde. Doch diese Kritik war von seinem Wesen her mehr kleinbürgerlich-demokratisch als proletarisch-revolutionär, weil sowohl Rosa Luxemburg wie auch der junge Trotzki weder die Partei als grundsätzlich bürgerlicher Organisationsform noch die Existenz des sozialdemokratischen BerufspolitikerInnentums in Frage stellten.
Aber der kleinbürgerliche Radikalismus konnte nur ultrabürokratisch politisch siegen. Damit der sowjetische Staatskapitalismus Wirklichkeit werden konnte, musste die bolschewistische Partei von der Ideologie her trotzkistisch und Trotzki praktisch zum Bolschewik werden. Der Bolschewismus war das praktische Werkzeug, durch den der sowjetische Staatskapitalismus Wirklichkeit wurde. Doch die zaristische Reaktion fügte diesem praktischen Werkzeug des kleinbürgerlichen Radikalismus schweren Schaden zu, indem sie die hauptamtliche Petrograder Parteiführung während des Ersten Weltkrieges repressiv zerschlug.
Aber die sozialdemokratischen Parteien (Menschewiki und Bolschewiki) und Zwischengruppen bestanden nicht nur aus kleinbürgerlichen BerufspolitikerInnen und IdeologInnen, sondern auch aus proletarischen Basen, in der nicht wenige subjektiv sozialrevolutionäre ArbeiterInnen wirkten. Sozialrevolutionäre ArbeiterInnen, die subjektiv zur sozialen Revolution strebten, aber objektiv mehr oder weniger stark von einem objektiv sozialreaktionären BerufspolitikerInnentum beherrscht wurden.
Diese subjektiv sozialrevolutionären marxistischen ArbeiterInnen wirkten auch sonst unter objektiven Voraussetzungen, welche eine wirkliche soziale Revolution in Russland unmöglich machten. Denn die wirkliche soziale Revolution konnte und kann nur in der Aufhebung von Politik und Warenproduktion durch das Proletariat – was sich dadurch auch selbst aufhebt – bestehen. Doch das Proletariat verkörperte in Russland eine soziale Minderheit. Die Bevölkerungsmehrheit bestand aus BäuerInnen, die nach der Enteignung des Großgrundbesitzes und zum privaten Kleineigentum am Boden strebten. Dieses private Kleineigentum war jedoch die soziale Basis für kleinbürgerliche/kapitalistische Warenproduktion – und damit auch für einen bürgerlichen Staat. Der russische und internationale radikale Parteimarxismus hat im Wesentlichen den kleinbürgerlichen Charakter der Agrarbewegung in Russland klar erkannt. Während der Parteimarxismus den letztendlich sozialreaktionären Charakter des ökonomischen KleinbürgerInnentums mehr oder weniger klar erkannte, reproduzierte es das politische KleinbürgerInnentum in Form einer marxistischen Parteibürokratie.
Die soziale Revolution war also in Russland wegen der Stärke des ökonomischen (BäuerInnen) und politischen (BerufspolitikerInnen) KleinbürgerInnentums objektiv nicht möglich – trotz der Schwäche von Bourgeoisie, Adel und der zaristischen Bürokratie. Doch wahre sozialrevolutionäre Subjektivität entfaltet sich auch unter den schlechtesten objektiven Bedingungen! Sie kämpft und verliert heroisch! Und diese Niederlagen sind nicht umsonst, denn aus ihnen können spätere Generationen von proletarischen RevolutionärInnen viel lernen, um unter besseren objektiven Bedingungen vielleicht irgendwann zu siegen!
Diese sozialrevolutionäre Subjektivität, welche objektiv nur heroisch verlieren kann, verkörperte in der russischen Revolution keine andere Strömung so stark wie der Anarchismus. Denn um heroisch verlieren zu können, musste an den Sieg geglaubt werden. Aber an den Sieg glauben, ging im damaligen Russland nur bei einem stark sozialromantisch ausgeprägten Subjektivismus, der sich um die objektiven Bedingungen seiner Verwirklichung nicht viel kümmert. Genau das machte und macht den Anarchismus ideologisch aus, stellte und stellt seine theoretische Schwäche dar. Aber gerade diese ideologische Schwächte machte den russischen Anarchismus zur ideologisch vollkommensten Verkörperung einer sozialrevolutionären Subjektivität, welche nicht siegen, sondern nur heroisch verlieren konnte.
Aber auch der russische Anarchismus hatte seine progressiven und reaktionären Tendenzen. Seine progressivste Tendenz war sein antipolitischer Instinkt. Doch der anarchistischen Antipolitik fehlte es oft an theoretischer Schärfe und an Konsequenz. Außerdem war der russische Anarchismus recht unkritisch gegenüber den kleinbürgerlichen Tendenzen der russischen BäuerInnenschaft, welche nach kleinem Privateigentum strebte und einer wirklichen klassenlosen Gesellschaft fremd gegenüber stand, wenn sie sich auch teilweise ideologisch vom Anarchismus inspirieren ließ. Doch die ideologische Aufnahme des Anarchismus durch einen Teil der kleinbäuerlich-landproletarischen Agrarbewegung machte nicht die BäuerInnen sozialrevolutionär, sondern den Anarchismus kleinbürgerlich (siehe dazu das Kapitel Sowjetrussischer Imperialismus in der Ukraine in unserem Text Der BürgerInnen- und imperialistische Interventionskrieg (1918-1921)).
Seine rückständigste Tendenz war die ideologische Verklärung des kleinbürgerlichen Individualismus, welcher mit dem kollektiven Befreiungskampf des Proletariats unvereinbar ist. Die kleinbürgerlichen anarchistischen Intellektuellen verklärten sowohl ihren eigenen Individualismus hinter unaufhörlichem Geschwätz von der Freiheit der Persönlichkeit –ihrer eigenen natürlich –als auch den Individualismus der BäuerInnen. Doch dieser typische anarchistische Individualismus prägte auch das Bewusstsein von sozialrevolutionären ArbeiterInnen, die – wenn sie meinten, es müsse sein – auch allein den Kampf gegen diese ganze verdammte Welt aufnahmen.
Die subjektiv bewussten sozialrevolutionären ArbeiterInnen im zaristischen Russland waren also objektiv der proletarische Schwanz des marxistischen und anarchistischen kleinbürgerlichen Radikalismus. Es müssen über vier Jahre der Russischen Revolution vergehen, bis die fortgeschrittensten und bewusstesten ArbeiterInnen in Form des Kronstädter Aufstandes die Vormundschaft des Bolschewismus – der sich zu dieser Zeit schon zu einer staatskapitalistisch-sozialreaktionären Kraft entwickelt hatte – innerlich abschütteln konnten (siehe dazu das Kapitel Kronstadt und die Dekadenz des Parteimarxismus). Doch der Kronstädter Aufstand musste scheitern, weil die revolutionäre Selbstaufhebung des russischen Proletariats isoliert vom Weltproletariat in dem damaligen rückständigen Agrarland objektiv nicht möglich war. Doch subjektiv war das russische Proletariat verdammt reif. Es machte eine außerordentlich gute Schulung des praktischen Klassenkampfes durch.
Einer der subjektiv sozialrevolutionären ArbeiterInnen, der im zaristischen Russland die praktische Schule des Klassenkampfes durchmachte, war der spätere Aktivist und noch spätere Historiker der Machno-Bewegung (siehe zu dieser das Kapitel Sowjetrussischer Imperialismus in der Ukraine im Text Der BürgerInnen- und imperialistische Interventionskrieg [1918-1921]), Peter Andrejewitsch Arschinoff. Lassen wir uns in seine klassenkämpferische Biographie von den russischen Anarchisten Volin einführen:
„Peter Andrejewitsch Arschinoff, (…), ist der Sohn eines Fabrikarbeiters aus Jekaterinoslaw und ist selber Arbeiter, Schlosser von Beruf, der sich durch eisernen Fleiß eine gewisse Bildung angeeignet hat. Er war 17 Jahre alt, als er sich 1904 der Revolutionsbewegung anschloss. 1905 arbeitet er als Schlosser der Eisenbahnwerkstätten in Kisil-Arwat (Mittel-Asien) und schließt sich der Ortsorganisation der Bolschewiki-Partei an. Bald tritt er aktiv in ihr hervor und zwar als einer der Führer und Redakteure des illegalen revolutionären Arbeiterorgans ,Molot‘ (Hammer). Dieses Blatt versorgte die ganze mittel-asiatische Bahnlinie und war für die revolutionäre Bewegung der Bahnarbeiter von großer Bedeutung. Da Arschinoff von der Ortspolizei verfolgt wird, verlässt er im Jahre 1906 Mittel-Asien und begibt sich in die Ukraine nach Jekaterinoslaw. Hier wird er Anarchist und setzt nunmehr als solcher seine revolutionäre Tätigkeit unter den jekaterinoslawschen Arbeitern fort (vorwiegend in den Schodouar-Werken). Der Grund für den Übergang zum Anarchismus war der Minimalismus der Bolschewiki (Anmerkung von Nelke: die „demokratische Diktatur der ArbeiterInnen und BäuerInnen“, die nichts mit dem „Sozialismus“ zu tun haben sollte), der nach Arschinoffs Überzeugung den tatsächlichen Bestrebungen der Arbeiter nicht entsprach und samt dem Minimalismus der übrigen politischen Parteien die Niederlage der Revolution 1905/6 verursacht hatte. Im Anarchismus fand Arschinoff, nach seinen eigenen Worten, das sammelnde Moment, die Prägung gleicher, freiheitlicher Bestrebungen und Hoffnungen der Werktätigen.
Als die zaristische Regierung in den Jahren 1906 bis 1907 ein Netz von Feldgerichten über ganz Russland gebreitet hatte, war eine groß angelegte Arbeit innerhalb der Massen völlig unmöglich geworden. Arschinoff entrichtet den außergewöhnlichen Umständen und seinem Kämpfertemperament den Tribut: Mal um Mal begeht er einige terroristische Akte. (Anmerkung von Nelke: Der individuelle Terror erzeugt logischerweise bei den Terroristen – und seien es auch proletarische AktivistInnen wie Arschinoff – starke avantgardistische Tendenzen, denn die TerroristInnen handeln im Namen des Proletariats, während das Proletariat selbst nicht aktiv in den Kampf tritt. Das gilt besonders nach der Niederlage der Revolution von 1905. Dieser Avantgardismus war Teil der Sozialpsychologie auch von nicht wenigen AnarchistInnen –einschließlich von Arschinoff. Wobei natürlich auch der Fakt berücksichtigt werden muss, dass durch den Gegenterror des proletarischen Aktivisten Arschinoff der kapitalistischen und zaristischen Reaktion keine Ruhepause gelassen wurde. Auch möchten wir hier ganz klar betonen, dass die terroristischen Aktionen des militanten Klassenkämpfers Arschinoff mit denen der kleinbürgerlichen Intellektuellen der RAF nicht viele Gemeinsamkeiten hatten.)
Am 23. Dezember 1906 sprengt er zusammen mit einigen Genossen das Polizeirevier in der Arbeitersiedlung Amur bei Jekaterinoslaw. (Bei der Explosion kamen drei Kosakenoffiziere, Polizeioffiziere und Wachmannschaften der Strafexpeditionsabteilung ums Leben.) Dank der sorgfältigen Vorbereitung dieses Aktes wurden weder Arschinoff noch seine Genossen von der Polizei gefasst. Am 7. März erschießt Arschinoff den Chef der Haupteisenbahnwerkstätten in Alexandrowsk, Wassilenko mit Namen. Des letzteren Schuld vor der Arbeiterklasse hatte darin bestanden, dass er für den bewaffneten Aufstand in Alexandrowsk im Dezember 1905 an die hundert Arbeiter vor das Kriegsgericht stellen ließ, von denen viele, auf Grund der Angaben Wassilenkos zu langfristigen Zwangsarbeiten oder zum Tod verurteilt worden waren. Außerdem hatte sich Wassilenko vor und nach diesem Fall als rühriger und erbarmungsloser Unterdrücker der Arbeiter gezeigt. Aus eigenem Antrieb, doch entsprechend der allgemeinen Stimmung der Arbeitermassen hatte Arschinoff mit diesem Feind der Werktätigen abgerechnet, als er ihn in der Nähe der Werkstätten vor den Augen von zahlreichen Arbeitern niederschoss. (Anmerkung von Nelke: Diesen letzten Satz Volins sollte mensch ganz genau lesen. Weil in ihm die avantgardistische Tendenz des individuellen Terrors auch proletarischer AktivistInnen zum Ausdruck kommt. Arschinoff handelte in „Übereinstimmung mit der allgemeinen Stimmung der Arbeitermassen“, aber nicht als bewaffnetes Individuum innerhalb eines bewaffneten Kollektivs. Genau diese feine Nuance macht den Unterschied zwischen individuellen Terror und dem bewaffneten kollektiven Klassenkampf des Proletariats aus. Wir lehnen die proletarisch-individuelle bewaffnete Tat als Teil des Klassenkampfes nicht grundsätzlich ab, betonen aber die latente Gefahr einer avantgardistischen Tendenz bei den individuell tätigen proletarischen AktivistInnen, die bei der konkreten Person Arschinoff klar zum Ausdruck kam. Auch kann bei einigen passiven ArbeiterInnen das Bewusstsein entstehen, dass sie selbst nicht aktiv werden müssen, da einige andere bewaffnete AktivistInnen den Kampf schon irgendwie gewinnen könnten.) Bei der Ausführung dieses Aktes wurde Arschinoff von der Polizei ergriffen, grausam geschlagen und nach zwei Tagen vom Feldgericht zum Tode durch den Strang verurteilt. Doch gerade in dem Augenblick, da das Urteil vollstreckt werden sollte, wurde es hinausgeschoben, da man der Meinung war, Arschinoffs Angelegenheit gehöre laut Gesetz nicht vor das Feldgericht, sondern vor das Militärbezirksgericht. Dieser Aufschub der Hinrichtung verschaffte Arschinoff die Möglichkeit zu fliehen. Die Flucht aus dem Alexandrowsker Gefängnis gelang in der Nacht zum 22. April 1907, während der Osterfrühmesse, als man die Gefangenen in die Gefängniskirche führte. Einige in Freiheit befindliche Genossen veranstalteten einen kühnen Überfall: Die Gefängniswächter, die die Gefangenen in der Kirche zu überwachen hatten, wurden über den Haufen gerannt und zusammengehauen. Allen Gefangenen wurde die Möglichkeit gegeben zu fliehen. Zusammen mit Arschinoff flüchteten damals über 15 Mann. Hierauf verbringt Arschinoff etwa zwei Jahre im Ausland, vorwiegend in Frankreich, kehrt aber 1909 wieder nach Russland zurück, wo er unter illegalen Verhältnissen anderthalb Jahre hindurch anarchistische Propaganda unter den Arbeitern treibt und auch organisatorisch tätig ist.
(Anmerkung von Nelke: Der letzte Satz zeigt, dass auch der Anarchismus nicht frei von Avantgardismus war und ist. Nach unserer Ansicht sollten sich jedoch die proletarischen und kleinbürgerlichen Mitglieder sozialrevolutionärer Gruppen vom ganzen Sprachgebrauch des kleinbürgerlichen Radikalismus trennen. Mitglieder sozialrevolutionärer Gruppen tauschen sich mit proletarisierten Menschen aus, reden mit ihnen und versuchen in der Kommunikation Impulse zu geben und welche zu empfangen. Sozialrevolutionäre AktivistInnen sollten also unserer Meinung nach in eine interaktive Kommunikation von Subjekt zu Subjekt mit den proletarisierten Menschen treten –aber nicht „agitieren“ und „Propaganda betreiben“. Denn der Agitierende ist das Subjekt während die ProletarierInnen als agitierte Masse die Objekte der Ideologieproduktion sind. Das ist keine übertriebene Sprachkritik. Als MaterialistInnen gehen wir davon aus, dass in der Sprache gesellschaftliche Verhältnisse zum Ausdruck kommen. In den Worthülsen marxistischer und anarchistischer Polit/Ideologiegruppen, wie „anarchistische (marxistische) Propaganda unter den Arbeitern treiben“ kommt sowohl der anarchistische als auch der marxistische Avantgardismus zum Ausdruck. Der nachmarxistische und nachanarchistische Kommunismus sollte sowohl diese alten Worthülsen als auch die dahinter stehende Praxis des kleinbürgerlichen Radikalismus überwinden.)
Im Jahre 1910 wird er von der österreichischen Regierung dabei ertappt, wie er einen Waffentransport und anarchistische Literatur aus Österreich nach Russland schaffen will, er wird verhaftet und im Gefängnis Tarnopol untergebracht. Hier verbringt er ein Jahr, wird dann auf Forderung der russischen Regierung hin für begangene terroristische Akte den russischen Behörden in Moskau ausgeliefert und vom Moskauer Obersten Gerichtstribunal zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt.
Seine Strafe verbüßte Arschinoff im Butyrki-Gefängnis in Moskau. Hier traf er erstmalig (1911) mit dem jugendlichen Nestor Machno zusammen, der ebenfalls für terroristische Akte im Jahr 1910 zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt worden war, und der von Arschinoffs Arbeit im Süden bereits früher gehört hatte, als er ihn noch gar nicht kannte. Ihre Beziehungen im Verlauf des gemeinsamen Aufenthaltes im Gefängnis waren kameradschaftlicher Natur; beide kamen nach Ausbruch der Revolution in den ersten Märztagen 1917 frei.“ (Vorwort von Volin zu: Peter A. Arschinoff, Geschichte der Machno-Bewegung, UNRAST-Verlag, Münster 1998, S. 15-17.)
Kommen wir nun zur Februarrevolution 1917, welche auch die Kerkertüren des militanten Klassenkämpfers Arschinoff sprengte.

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gebrauchtes Buch – Nelke – Der Marxismus und die Sowjetunion

Einleitung

Revolutionäre und reaktionäre Tendenzen im Marxismus

1. Der Marxismus zwischen antikapitalistischer Kritik und staatskapitalistischer Ideologieproduktion
2. Geschichtsidealistische, dogmatische und technokratische Tendenzen
3. Parlamentarismus, Parteidiktatur, „ArbeiterInnendemokratie“ und soziale Revolution
4. Der Marxismus als kleinbürgerlich-radikale Ideologieproduktion
5. Das marxistische Dogma von der „bürgerlichen Revolution“

Globale Marxismen und die UdSSR

1. Der offizielle sowjetische Marxismus-Leninismus
2. Trotzkismus
3. Maoismus
4. Rosa Luxemburgs Kritik am Bolschewismus
5. Rätekommunismus

Die linksmarxistische Opposition in der Sowjetunion

1. Die linksbolschewistische Opposition von 1918 bis 1921
2. Lenin gegen Stalin
3. Die linksbolschewistische Opposition während der NEP
4. Die linksmarxistische Opposition während der Zwangskollektivierung und Industrialisierung
5. Stalins Vernichtung des Linksbolschewismus
6. Oppositionelle marxistische Gruppen nach dem Zweiten Weltkrieg

Einleitung

Die dritte Broschüre unserer Trilogie über die staatskapitalistische Sowjetunion widmet sich dem Verhältnis zwischen Marxismus und der UdSSR. Dieses Verhältnis war und ist sehr widersprüchlich. Einerseits gab und gibt es marxistisch-leninistische Strömungen, welche die gesellschaftlichen Verhältnisse in der staatskapitalistischen Sowjetunion mehr oder weniger verschleierten und verschleiern, andererseits gab es eine scharfe linksmarxistische Kritik an der UdSSR seit den frühen 1920er Jahren, am radikalsten verkörpert im Rätekommunismus. Das widersprüchliche Verhältnis des Marxismus zur Sowjetunion entspricht seiner eigenen Widersprüchlichkeit aus revolutionären und reaktionären Tendenzen. Mit dieser Widersprüchlichkeit setzen wir uns im ersten Text auseinander. Aus Platzgründen kann diese Auseinandersetzung leider nicht so ausführlich erfolgen, wie es dieses interessante Thema eigentlich erfordert hätte. Aber wir werden auf dieses Thema noch später einmal in mehreren Broschüren der Sozialen Befreiung zurückkommen.
Der zweite Text behandelt das Verhältnis globaler Marxismen zur staatskapitalistischen UdSSR. Auch dieses Thema konnte von uns aus Platzgründen nicht erschöpfend behandelt werden. Im dritten Text beschäftigen wir uns mit der linksmarxistischen Opposition in der Sowjetunion. Zum besseren Verständnis des Verhältnisses zwischen Marxismus und der UdSSR ist es nicht verkehrt, sich mit unserer Analyse der sowjetischen Geschichte vertraut zu machen. Dazu empfehlen wir folgende Broschüren: Der sowjetische Staatskapitalismus und Imperialismus (1917-1991) und Schriften zur russischen Revolution (1917-1921).
Mit der kritischen Analyse des widersprüchlichen Verhältnisses zwischen Marxismus und dem sowjetischen Staatskapitalismus leisten wir einen wichtigen Beitrag für den notwendigen Kampf gegen den Antikommunismus. Erstens indem wir aufzeigen, dass es nicht wenige MarxistInnen auf der ganzen Welt gab, die lange vor 1989 den sowjetischen und osteuropäischen Staatskapitalismus schonungslos kritisiert haben. Wir stehen in der Tradition dieser Kritik und weisen die antikommunistischen Lügen, wonach die Sowjetunion und ihre Satelliten den Kommunismus verkörpert hätten, entschieden zurück. Zweitens kann der Kampf gegen den Antikommunismus nur offensiv erfolgen, wenn sie mit einer schonungslosen Selbstkritik der kommunistischen Bewegung verbunden ist. Aus diesem Grunde kann sie sich einer radikalen Kritik an den reaktionären Tendenzen des Marxismus, welche in der UdSSR verkörpert waren, nicht entziehen.

Nelke, im Oktober 2012

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