straßenbewegung – Soziale Befreiung https://sbefreiung.blackblogs.org Für die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats! Wed, 25 Sep 2024 22:30:09 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 Annonce: Aufstieg und Niedergang des US-amerikanischen Kapitalismus 2. Teil: Imperialismus, innere Konflikte und mögliche Todeskrisen https://sbefreiung.blackblogs.org/2022/01/17/annonce-aufstieg-und-niedergang-des-us-amerikanischen-kapitalismus-2-teil-imperialismus-innere-konflikte-und-moegliche-todeskrisen/ https://sbefreiung.blackblogs.org/2022/01/17/annonce-aufstieg-und-niedergang-des-us-amerikanischen-kapitalismus-2-teil-imperialismus-innere-konflikte-und-moegliche-todeskrisen/#respond Mon, 17 Jan 2022 00:17:34 +0000 http://sbefreiung.blogsport.de/?p=123 Unsere neue Broschüre „Aufstieg und Niedergang des US-amerikanischen Kapitalismus 2. Teil: Imperialismus, innere Konflikte und mögliche Todeskrisen“ (ca. 140 Seiten) von Soziale Befreiung ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de oder direkt bei uns auch als E-Book bestellen.

Inhalt

Einleitung

I. Der US-Imperialismus im ersten Kalten Krieg
1. Der erste Kalte Krieg
2. Der Koreakrieg
3. Der Vietnamkrieg
4. Guatemala
5. Die Kuba-Krise
6. Chile
7. Nikaragua
8. Afghanistan (1978-1992)
9. Der Sieg des westlichen Imperialismus im ersten Kalten Krieg

II. Die USA als imperialistische Weltpolizistin
1. Iran
2. Jugoslawien
3. Der US-Imperialismus und Al-Qaida
4. Afghanistan (1992-2021)
5. Irak
6. Libyen
7. Syrien
8. Venezuela

III. Die USA im zweiten Kalten Krieg gegen Russland und China
1. Russland: Von der Transformationskrise zur Stabilisierung
2. Die imperialistische Ost-Expansion von EU und NATO
3. Stellvertreterkriege mit Russland: Georgien und Ukraine
4. Der Kalte Krieg mit Russland: Aufrüstung, Säbelrasseln, Wirtschaftssanktionen
und Propagandakriege
5. Der sozialökonomische Aufstieg Chinas
6. Propaganda- und Wirtschaftskrieg gegen China
7. Gefährliches Säbelrasseln im Atomzeitalter

IV. Proletarischer Klassenkampf, kleinbürgerlicher Reformismus/Radikalismus und
politische Machtkämpfe
1. Der proletarische Klassenkampf
2. Die Integration des AFL-CIO in das US-amerikanische Nationalkapital
3. Die Sozialdemokratie in den USA.
4. Frauen- und LGBT-Bewegung in den USA
5. Die BürgerInnenrechtsbewegung der AfroamerikanerInnen und UreinwohnerInnen
6. Friedens- und Umweltbewegung in den USA
7. Die rechte Fraktion des Kapitals
8. Die mittig-linke Fraktion des Kapitals
9. Die Notwendigkeit einer globalen antipolitisch-sozialrevolutionären Strömung

V. Mögliche Todeskrisen des US-amerikanischen Kapitalismus
1. Ökonomische Potenzen und Grenzen des Weltkapitalismus
2. Die mögliche kapitalistische Ausrottung der Menschheit
3. Der mögliche nationalistische Zerfall der USA
4. Die mögliche antipolitisch-sozialrevolutionäre Zerschlagung der USA

Einleitung

Das gegenseitige Abschlachten im Zweiten Weltkrieg schuf die Voraussetzung für den kapitalistischen Nachkriegsaufschwung. Die USA wurden zur führenden imperialistischen Macht des Privatkapitalismus. So wie die angeblich „sozialistische“ – in Wirklichkeit staatskapitalistische – Sowjetunion durch den Zweiten Weltkrieg imperialistisch expandierte und sich ganz Osteuropa unter ihren Nagel riss. Die USA führten bald einen Kalten Krieg gegen den sowjetischen Staatskapitalismus. Letzterer konnte im militärischen und ökonomischen Konkurrenzkampf mit dem Privatkapitalismus immer weniger mithalten. Es entwickelte sich eine Todeskrise des sowjetisch-osteuropäischen Staatskapitalismus und Gorbatschow kapitulierte im Kalten Krieg. Damit hatten die USA auch diese imperialistische Auseinandersetzung gewonnen – und spielt sich seitdem mit und ohne NATO als Weltpolizistin auf. Uncle Sam badet förmlich in Blut. Unter anderem: Irak, Jugoslawien und Afghanistan. Aus Afghanistan zog sich der US-Imperialismus im Jahre 2021 nach 20 Jahren Besatzung und hundertausenden toten ZivilistInnen zurück – und die islamistische Taliban überrannten die prowestliche Marionettenregierung Afghanistans noch während des US- und NATO-Abzuges.
Die USA zog sich aus Afghanistan zurück, um mehr Kräfte gegen seine Hauptrivalen übrig zu haben: Russland und China. Gegen diese führt Washington inzwischen einen zweiten Kalten Krieg. Ein imperialistisches Kräftemessen zwischen Atomwaffenmächten. Extrem gefährlich! Besonders gegen China führt Washington einen erbitterten Wirtschaftskrieg. Doch China hat sich aus einem staatskapitalistischen Land erfolgreich in eine privatkapitalistische Nation transformiert und befindet sich in einem allerdings allmählich nachlassenden Wirtschaftsaufschwung. Die USA dagegen befinden sich wie Westeuropa seit 1974 in einer strukturellen Profitproduktionskrise, deren Dynamik wir im 1. Teil beschreiben haben.
Da nichts auf dieser Welt bisher ewig bestand und die USA mit Sicherheit keine Ausnahme darstellen werden, analysieren wir drei mögliche Todeskrisen dieses Staates: als Teil eines atomaren oder ökologischen weltweiten Overkills, dessen Zerfall durch Separatismen oder dessen Überwindung in einer globalen sozialen Revolution.

]]>
https://sbefreiung.blackblogs.org/2022/01/17/annonce-aufstieg-und-niedergang-des-us-amerikanischen-kapitalismus-2-teil-imperialismus-innere-konflikte-und-moegliche-todeskrisen/feed/ 0
Annonce: Politik und Antipolitik https://sbefreiung.blackblogs.org/2021/08/14/119/ https://sbefreiung.blackblogs.org/2021/08/14/119/#respond Sat, 14 Aug 2021 00:33:05 +0000 http://sbefreiung.blogsport.de/2021/08/14/119/ Unsere neue Broschüre „Politik und Antipolitik“ (ca. 138 Seiten) von Soziale Befreiung ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de oder direkt bei uns auch als E-Book bestellen.

 

Inhalt

Einleitung

Der politische Überbau der herrschenden Kapitalvermehrung
I. Basiseinheiten der bürgerlichen Politik
1. Was ist Politik?
2. Die Entwicklung von Tausch- und Mehrwertproduktion in vorindustriel-
kapitalistischen Gesellschaften als geschichtlicher Voraussetzung der bürgerlichen Politik
3. Die kapitalistische Warenproduktion als sozialökonomische Basis der bürgerlichen Politik
4. Die bürgerliche Familie als biosoziales Reproduktionsverhältni
5. Der bürgerliche Staat als politischer Gewaltapparat der Kapitalvermehrung
6. Politische Parteien als Basiseinheiten der bürgerlichen Politik
7. Bürgerlicher Nationalismus und Internationalismus
II. Kapitalistische Wirtschafts- und Familienpolitik
1. Die allgemeinen Entwicklungstendenzen der Kapitalvermehrung bestimmen die bürgerliche Politik
2. Merkantilismus
3. Der Industriekapitalismus der relativ freien Konkurrenz
4. Staatsinterventionismus
5. Staatskapitalismus
6. „Neoliberalismus“
III. Politische Formen der kapitalistischen Herrschaft und des Konkurrenzkampfes
1. Von Kaufleuten politisch beherrschte Städte und handelskapitalistische Stadtstaaten
2. Der Absolutismus
3. Demokratien
4. Militärdiktaturen, Militärputsche/Staatsstreiche, BürgerInnen- und Guerillakriege
5. Faschismus/Nationalsozialismus
6. Islamismus
7. Marxistisch-leninistische Parteidiktaturen
IV. Kleinbürgerliche Protestpolitik
1. Das Wesen kleinbürgerlicher Protestpolitik
2. Die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung
3. Frauen- und LGBTQ-Bewegung, Antisexismus
4. Antikolonialismus, BürgerInnenrechtsbewegung und Antirassismus
5. StudentInnen- und Antiatomkraftbewegung, Maoismus und die Grünen
6. Rechte Identitäts- und Straßenpolitik
7. Linke Identitäts- und Straßenpolitik

Sozialrevolutionäre Antipolitik

1. Was ist sozialrevolutionäre Antipolitik?
2. Politische und antipolitische Tendenzen des proletarischen Klassenkampfes
3. Antipolitisch-sozialrevolutionäre Gruppen
4. Die mögliche antipolitische Zerschlagung der Staaten
5. Der Kommunismus als nachpolitische, klassen- und staatenlose Weltgemeinschaft

Einleitung

Die Politik ist die staatsförmige gesamtgesellschaftliche Organisation von Klassengesellschaften, also von Systemen, in denen bestimmte herrschende Klassen die beherrschten Klassen ausbeuten und unterdrücken. Entgegen den Märchen der linken Politik gab es, gibt es nicht und wird es auch niemals „progressive“ Regierungen oder „sozialistische“ beziehungsweise „nachkapitalistische“ Staaten geben. Da Staaten immer auf Ausbeutung und Unterdrückung beruhen, ja die politischen Gewaltapparate der jeweils sozialökonomisch herrschenden Klassen sind, waren und sind sie alle sozialreaktionär. Und durch die globale Konkurrenz der Staaten muss ihre sozialökonomische Basis seit der sogenannten „industriellen Revolution“ kapitalistisch sein, wenn sie in diesem internationalen Gerangel auch nur einigermaßen bestehen wollen. Die von den marxistisch-leninistischen Politbonzen beherrschten „sozialistischen“ Staaten waren nicht „nachkapitalistisch“. Die Verstaatlichung der Produktionsmittel bedeutete Staatskapitalismus. Nach der Todeskrise des globalen Staatskapitalismus wirken neue linke Regierungen innerhalb des Privatkapitalismus. Linke Regierungen beruhten und beruhen also vom staatskapitalistischen Lenin/Trotzki-Regime in „Sowjet“-Russland bis zu den heute existierenden auf der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnarbeit. Es reicht ein einziges Wort, um politisch linke Regierungen der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft angemessen zu beschreiben: sozialreaktionär. Auch in der Politik ist links dort, wo der Daumen rechts ist.
Die realpolitische Linke streitet sich mit der Mitte und den Rechten darum, wer die Staatsapparate beherrscht und wer die Kapitalvermehrung am erfolgreichsten organisiert. Linke Oppositionspolitik akzeptiert in der Regel Kapital und Staat und rebelliert innerhalb dieser Basiseinheiten der bürgerlichen Gesellschaft. Kleinbürgerliche AntifaschistInnen kämpfen für einen demokratischen Kapitalismus ohne Nazis. Mittelstandsfeministinnen für eine gegenderte Sprache und mehr Frauen in den Führungsetagen von Wirtschaft und Politik. Davon hat natürlich die Supermarktkassiererin und alleinerziehende Mutter verdammt viel. Linke Politik ist selbstverständlich von ihren Phrasen her „antineoliberal“ – so lange sie sich in der Opposition befindet. Werden aber linke Politbonzen in Staatsverantwortung gewählt, kommt es nicht gerade selten vor, dass sie Betriebe privatisieren sowie Sozialleistungen, die Löhne und das Personal im öffentlichen Dienst kürzen. Und selbst wenn die Regierungslinken das nicht machen und ein paar Reförmchen „für die Lohnabhängigen“ durchziehen, so bleibt die kapitalistische Ausbeutung doch Geschäftsgrundlage dieses Sozialreformismus. Für ProletarierInnen, die sich sozial von Ausbeutung und staatlicher Elendsverwaltung befreien wollen, ist linke Politik für den Arsch. Und selbst für den ist Klopapier besser.
In dieser Broschüre kritisieren wir Politik grundsätzlich. Uns geht es nicht um eine „bessere Politik“ – sondern um deren Ende durch die mögliche sozialrevolutionäre Überwindung der Staaten und der Herausbildung einer nachkapitalistisch-nachpolitischen, klassen- und staatenlosen Weltgemeinschaft.
In der Schrift Der politische Überbau der herrschenden Kapitalvermehrung kritisieren wir die bürgerliche Politik, analysieren die geschichtliche Entstehung deren Basiseinheiten – kapitalistische Warenproduktion, Kleinfamilie, bürgerlicher Staat, politische Parteien, Nationalismus und Internationalismus –, beschreiben die verschiedenen politischen Formen kapitalistischer Herrschaft und des Konkurrenzkampfes. Außerdem weisen wir nach, dass kleinbürgerliche Protestpolitik – links oder rechts – nur den Kapitalismus zu reproduzieren vermag.
Nach dieser radikalen Kritik der Politik skizzieren wir die Sozialrevolutionäre Antipolitik beziehungsweise den antipolitischen Kommunismus als Alternative. Diese ist der geistig-theoretische Ausdruck der antipolitischen Tendenzen des proletarischen Klassenkampfes. Da alle Staaten auf der kapitalistischen Ausbeutung der Lohnarbeit beruhen, entfaltet sich auch in allen Ländern der proletarische Klassenkampf – egal ob diese rechts, mittig oder links regiert werden. Dieser Klassenkampf kann sich möglicherweise in außergewöhnlichen Situationen perspektivisch zur Weltrevolution radikalisieren, die alle Staaten überwindet. Sozialrevolutionäre Antipolitik bereitet diese Weltrevolution vor indem sie konsequent die Politik – vom Neofaschismus und Rechtskonservatismus über die Liberal- und Sozialdemokratie bis zum Marxismus-Leninismus und Trotzkismus – bekämpft.

]]>
https://sbefreiung.blackblogs.org/2021/08/14/119/feed/ 0
Annonce: Der ganz normale kapitalistische Wahnsinn https://sbefreiung.blackblogs.org/2019/03/07/annonce-der-ganz-normale-kapitalistische-wahnsinn/ https://sbefreiung.blackblogs.org/2019/03/07/annonce-der-ganz-normale-kapitalistische-wahnsinn/#respond Thu, 07 Mar 2019 07:43:07 +0000 http://sbefreiung.blogsport.de/2019/03/07/annonce-der-ganz-normale-kapitalistische-wahnsinn/ Unsere neue Broschüre „Der ganz normale kapitalistische Wahnsinn“ (ca. 122 Seiten) von Soziale Befreiung ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) auch als E-Book über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de bestellen.

 

Inhalt

Einleitung

1. Die grenzenlose Vermehrung des Geldes als weitgehende Realabstraktion

2. Proletarisches Elend produziert kapitalistischen Reichtum

3. Produktives Kapital: Produktionsmittel wenden Menschen an

4. Die „unsichtbare Hand des Marktes“ und die sichtbare Faust des Staates

5. Asoziale Ware-Geld-Beziehung

6. Konkurrenz und Wahn

7. Linkspolitischer Schwachsinn

8. Die mögliche revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats als kollektive Therapie

Einleitung

Eine Frau hat Hunger, aber sie hat nichts zu essen. Nicht, dass es an Essbarem in ihrer Nähe mangeln würde. Der nächste Bäcker ist 100 Meter von ihr entfernt und der nächste Fleischer sogar nur 50 Meter. Aber sie hat kein Geld mehr. Sie hat vor zwei Jahren ihren Job verloren. Das Arbeitslosengeld II ist alle und es ist noch so viel vom Monat übrig. 100 Meter weiter beim Bäcker langweilt sich dieser. Keine Kundschaft, wenn das so weiter geht, muss er seinem Gehilfen kündigen. Willkommen im ganz normalen kapitalistischen Wahnsinn!
Im ganz normalen kapitalistischen Wahnsinn, in dem nützliche Dinge und Dienstleistungen zum großen Teil nur hergestellt werden, wenn sie in Geld umgetauscht werden können, also verkäuflich sind. Wo Bedürfnisse, die nicht als kauffähige Nachfrage daherkommen, zu einem großen Teil unbefriedigt bleiben müssen. Wo ProletarierInnen oft Dinge produzieren, die sie sich selbst nicht leisten können. Ja, proletarisches Elend produziert kapitalistischen Reichtum. Das ist auch im hochentwickelten Metropolen-Kapitalismus kaum anders als in den Hinterhöfen der Peripherie. Materielles, psychisches und mentales Elend des Proletariats als Basis des kapitalistischen Reichtums.
Willkommen im ganz normalen kapitalistischen Wahnsinn, wo die meisten Produktionsmittel denen gehören, die selbst nicht an ihnen arbeiten. Die, die an ihnen arbeiten, sind die menschlichen Anhängsel der kapitalistischen Technologie, die das Kapital angemietet hat. Produktives Kapital: Produktionsmittel wenden Menschen an. Es ist das kapitalistische Management, dass die Produktionsmittel und die lohnabhängigen Menschen anwendet. Das Kapital, dass die Produktionsmittel benutzt, um lebendige Arbeitskräfte auszuquetschen wie Zitronen. Und der Saft wird dann verkauft. Geld! Vor dem kapitalistischen Saftladen stehen die Bullen. Damit der Saft, der aus dem Schweiß und dem Blut der Lohnabhängigen besteht und in Geld verwandelt wird, ewig weiterfließt.
Das ist der ganz normale kapitalistischen Wahnsinn, in dem auch nicht wenige ProletarierInnen ihren Bossen für die Ausbeutung auch noch dankbar sind und an Wahltagen die PolitikerInnen, die den ganzen Saftladen verwalten, ihre Stimme geben. Gegenseitig auf den Arbeitsmärkten und um seltene Konsumgüter konkurrieren. Und dabei rassistische, nationalistische, sexistische und sozialdarwinistische Ideologie reproduzieren. Ja, Lohnabhängige sind Teil der asozialen Ware-Geld-Beziehung. Wo sich Menschen selbst vermieten und verkaufen, um überleben zu können. Die einen vermieten sich an Wirtschaftsbosse, die anderen an staatliche Ämter – und wieder andere bieten auf den Straßen und in den Bordellen ihren Körper zur sexuellen Benutzung an. Andere Menschen, die oft über Prostituierte ihre Nase rümpfen, haben einen relativ gut bezahlten Bürojob. Aber auch viele von ihnen müssen lächeln, wenn ihnen zum heulen oder schreien ist. Lächeln, in das Gesicht des Chefs hinein, in die Visage des nörgelnden Kunden, lächeln, lächeln, lächeln…
Ja, das ist der ganz normale kapitalistische Wahnsinn. Den aufrecht zu erhalten ist der Sinn von Politik, auch der von linker Politik. Wo Linke regieren, herrscht der kapitalistische Wahnsinn genauso wie dort, wo die politische Mitte oder Rechte regiert. Das Radikalste was Linke hinbekommen haben, war den kapitalistischen Wahnsinn zu verstaatlichen, einen Staatskapitalismus zu organisieren. Doch das ist schon lange her. Inzwischen agiert die politische Linke weltweit im Rahmen des Privatkapitalismus beziehungsweise betreibt die beschleunigte oder langsame Transformation vom Staats- zum Privatkapitalismus. Ja, der linkspolitische Schwachsinn und der kapitalistische Wahnsinn reproduzieren sich gegenseitig.
Und doch gibt es Widerstand! Nicht immer lächeln Büroangestellte, sondern treten in den Streik. Wieder andere Lohnabhängige machen die Maschinen, denen sie von den Bossen zugeteilt worden sind, phantasievoll kaputt, behaupten es wäre ein Unfall gewesen, und ruhen sich in der Reparaturzeit aus. Das ist der Widerstand im kapitalistischen Wahnsinn.
Und dann gibt es noch proletarische RevolutionärInnen. Sie streben bewusst danach, den kapitalistischen Wahnsinn zugunsten einer klassen- und staatenlosen Gesellschaft aufzuheben. Dies ist nicht durch staatspolitischen Reformismus zu erreichen, sondern nur durch die revolutionäre Zerschlagung aller Nationalstaaten. Diese mögliche globale soziale Revolution lässt sich nicht künstlich hervorrufen. Sie ergibt sich möglicherweise durch eine objektiv-subjektive Ausnahmesituation, der die Mehrheit des Weltproletariats revolutionär werden lässt.

]]>
https://sbefreiung.blackblogs.org/2019/03/07/annonce-der-ganz-normale-kapitalistische-wahnsinn/feed/ 0
„1968“ in Westeuropa: Italien https://sbefreiung.blackblogs.org/2018/06/26/1968-in-westeuropa-italien/ https://sbefreiung.blackblogs.org/2018/06/26/1968-in-westeuropa-italien/#respond Tue, 26 Jun 2018 00:05:12 +0000 http://sbefreiung.blogsport.de/2018/06/26/1968-in-westeuropa-italien/ Wir veröffentlichen hier das Kapitels „Italien“ aus der Broschüre „Das proletarische 1968“. Die gesamte Broschüre „Das proletarische 1968“ könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de bestellen.

Italien

Auch in Italien verschmolz die Dynamik der StudentInnenrevolte recht stark mit der des proletarischen Klassenkampfes. In diesem westeuropäischen Land dauerte „1968“, wenn wir es als Chiffre für eine aktive StudentInnenbewegung und radikalisierten proletarischen Klassenkampf Ende der 1960er/Anfang der 1970er verstehen, ein ganzes Jahrzehnt, nämlich von 1967 bis 1977. Vorbereitet wurde das lange italienische „1968“ durch den gewaltigen Industrialisierungsschub, den das Land in den 1950ern und 1960ern erlebte. In dieser Zeit nahm die relative Verelendung des italienischen Proletariats stark zu. Während der Index der Arbeitsleistung von 100 Basispunkten 1953 bis 1963 auf 140,7 anstieg, hinkte der Lohnindex in derselben Zeit stark hinterher, er stieg lediglich auf 108,9.
Die Nachfrage nach Arbeitskräften befriedigte die norditalienische Industrie aus der inländischen Migration. Dem unterentwickelten, agrarisch geprägten Süden des Landes verließen Millionen Menschen, die in die Industriestädte Norditaliens strömten. Ungefähr 1,5 Millionen Menschen wurden zu unqualifizierten Fabrikarbeiterinnen industrieproletarisiert. Diese neue Schicht des italienischen Proletariats, die so genannten MassenarbeiterInnen wurde zum aktivsten Subjekt des proletarischen „1968“. Diese proletarisierten Menschen hassten die Fabrik – und die Arbeit in ihr noch viel mehr. Sie standen darin in einen gewissen Widerspruch zu einem Großteil der norditalienischen FacharbeiterInnen, die von der konterrevolutionären „kommunistischen“ Partei mit einem rot gefärbten protestantischen Arbeitsethos „erzogen“ wurden. Diese „Erziehung“ konnte nur gelingen, weil dies die kleinbürgerlichen Seiten bei vielen norditalienischen FacharbeiterInnen zum Klingen brachte.
Die norditalienische Industrialisierung gebar auch proletarische Gettos am Rande der Großstädte. Während die Modernisierung im Norden von der kapitalistischen Diktatur teilweise mit ziemlicher Repression durchgesetzt wurde, verkam der Süden immer stärker in der Unterentwicklung, in der er gehalten wurde. Zehntausende Menschen erkrankten jedes Jahr an Cholera und Typhus, während die katholische Religion und Moralvorstellungen das menschliche Zusammenleben vergifteten.
Es hatte sich also eine Menge sozialer Zündstoff angesammelt, der im langen italienischen 1968 explodierte. Die italienischen Gewerkschaften waren schon im Vorfeld des langen proletarischen „1968“ relativ unfähig den Klassenkampf der ArbeiterInnen wirksam zu kontrollieren. So sprengte die proletarische Selbstorganisation in Form von wilden Streiks nicht selten die bürokratischen Fesseln der Gewerkschaftsorganisation. Der selbstorganisierte Klassenkampf des italienischen Proletariats nahm oft militante Formen und mündete in Straßenschlachten mit den Bullen.
Dario Azzellini schrieb über die Jahre zwischen 1967 und 1969, die ersten drei Jahre eines stürmischen Jahrzehntes:
„Das Jahr 1967 wurde zum Vorlauf für 1968. Der Staatsstreich der Obristen in Griechenland, der Sechs-Tage-Krieg in Nahost und die Berichte aus Vietnam und Lateinamerika stellten auch die italienischen Bewegungen in einen internationalen Kontext. Im Frühjahr traten die Studierenden aus der Universität heraus, um in der Gesamtgesellschaft zu agitieren und zu agieren. Stand zunächst der Protest gegen eine Universitätsreform und die Unzufriedenheit mit den Lernmethoden in Mittelpunkt, tauchte nun die Klassenfrage auf. Es ging nun um die gesellschaftliche Rolle der Universität und die Einheit von Arbeitern und Studierenden. Bei Arbeitskämpfen waren vielfach Studierende auf der Seite der Arbeiter zu sehen. Die Kritik richtete sich gegen das kapitalistische System und gegen die traditionellen linken Parteien und Organisationen, die den Anspruch auf grundlegende Veränderungen aufgegeben hätten.
Im Herbst wurde die Universität von Trient besetzt, im November die katholische Elite-Uni Mailands und die Turiner Universität. An den Universitäten wiederholte sich die aus den Fabriken überspringende Dynamik: Autonome Strukturen fegten die offiziellen Studierendenvertretungen hinweg. Das viel gelesene Manifest für eine negative Universität aus Trient analysierte die Universität als ,Klasseninstrument‘ , dass der Produktion und Verbreitung bestimmter Ideologien diene: ,Nur der Umsturz des Staates wird eine reale Umstrukturierung des Bildungssystems möglich machen.‘ (Anmerkung von Dario Azzellini: Zitiert nach Primo Moroni/Nanni Ballestrina, Die goldene Horde, Berlin 1994, S. 153. Anmerkung von Nelke: Diese Formulierung ist uns zu unpräzise. Da sie die Möglichkeit eines „sozialistischen“ oder „ArbeiterInnen“-Staates offen lässt. Wir würden es so formulieren: Nur durch die revolutionäre Zerschlagung des staatlichen Bildungssystems wird ein selbstbestimmtes Lernen in einer klassen- und staatenlosen Gesellschaft möglich.) Trient erwies sich wegen seiner Lage im äußersten Norden Italiens als ein Ort, an dem internationale Bezüge, nicht nur politischer Art, besonders spürbar wurden. Die damals international äußerst bekannte Living Theatre um Julian Beck blieb zwei Wochen lang in der Stadt. Die Studierenden aus allen Universitäten schauten nach Berlin, Brüssel, Paris, Berkeley und andere Orte der Bewegung.
Die explosive Stimmung an den Universitäten wurde von den Medien ebenso ignoriert wie die zunehmenden Fabrikkämpfe. Anfang 1968 war die Hälfte der 36 italienischen Universitäten besetzt. Vor allem in Turin kam es zu Zusammenstößen mit der Polizei und Verhaftungen. Auf gewalttätige Räumungen folgten Wiederbesetzungen. Im Verlauf des Jahres wurden die Studentenproteste radikaler, die Repression zugleich härter. Polizei und Carabinieri attackierten brutal Demonstrationen von Studierenden, Bauern, Arbeitern und Erdbebenopfern. Die Justiz folgte der Polizei: Von Oktober 1966 bis Juni 1968 wurden rund 10 000 Arbeiter und Studierende wegen der Beteiligung an Protesten und Agitation verurteilt.
Am 2. Februar 1968 wurde die größte Universität des Landes in Rom besetzt. Am 28. ließ der Rektor räumen. Die Demonstration zur Wiederbesetzung am nächsten Tag ging als ,Schlacht in der Valle Giulia‘ in die Geschichte ein: Als die Polizei eingriff, zogen sich die Studierenden erstmals nicht zurück, sondern leisteten Widerstand. Die Straßenschlacht forderte mehrere hundert Verletzte auf beiden Seiten, gab aber den Universitätsbesetzungen neuen Auftrieb und strahlte auf die Schülerbewegung aus, die zuvor schon mit der Besetzung von 15 Oberschulen in Mailand wieder in Erscheinung getreten war. Es mehrten sich die (auch bewaffneten) Übergriffe neofaschistischer Gruppierungen.
In Gruppen wie der 1968 gegründeten Potere Operaio (Arbeitermacht) und Lotta Continua (Ständiger Kampf) kamen PCI(KPI)-Dissidenten, Arbeiter und Studierende zusammen. Potere Operaio – von der sich die Bezeichnung ,Operaismus‘ ableitete – vertrat den ,ständigen Bruch des durchschnittlich erreichten Niveaus und die Bildung vorantreibender Kerne in der Arbeiterklasse und im sozialen Proletariat‘. Während Lotta Continua sich auf die ,Verbreiterung der in den Arbeiterkämpfen auftauchenden neuen Inhalte konzentriert(e) … und daran arbeitete, relativ stabile Strukturen der Basisorganisationen aufzubauen‘. (Primo Moroni/Nanni Ballestrina, Die goldene Horde, Berlin 1994, S. 223f.)
Die Gewerkschaften organisierten am 7. März 1968 einen Generalstreik gegen die Regierungspolitik; auffällig dabei war vor allem die massive Beteiligung der Arbeiter von Fiat in Turin, der Fabrik, die als Symbol des italienischen Aufschwungs galt. Diese hohe Beteiligung war jedoch weniger auf Mobilisierungsstärke und -willen der etablierten Gewerkschaften zurückzuführen als auf die allgemeine Unzufriedenheit.
In der Textilfabrik Marzotto in Valledell‘Agno wehrten sich am 19. April 1968 streikende Arbeiter stundenlang gegen eine polizeiliche Räumung und stürzten die Statue des Firmengründers. Der symbolische Akt zerstörte das idyllische Bild dieser in der Bevölkerung der Region stark verankerten Unternehmerfamilie. Die Proteste mündeten in der Besetzung der Fabrik und dem Rauswurf der Gewerkschaften im Januar 1969. Im Sommer folgte ein harter Arbeitskampf im petrochemischen Werk von Porto Marghera. In den meisten Fabriken kochte die Stimmung, oft wurden Vorarbeiter, Vorgesetzte oder Direktoren angegriffen und Maschinen sabotiert.
Die Proteste und die Kritik griffen auch auf die Kultur über, so wurden in Venedig die Biennale und das Filmfestival von Studierenden und Künstlern unterbrochen und Inhalte, Strukturen und Statute kritisiert. Die Polizei antwortete auf die Proteste repressiv. Kaum endeten die Sommerferien, entstand erneut eine Schülerbewegung.
Im Oktober wurde im Pirelli-Werk in Mailand die erste autonome Arbeiterorganisierung gegründet, das Einheitsbasiskomitee CUB (Comintato unitario di base), es folgten Sit-Siemens und weitere Fabriken in Mailand. Mario Moretti, Mitglied der Roten Brigaden und damals Sit-Siemens-Angestellter, schrieb: ,Die jungen Arbeiter atmeten die Luft der Unis, auch wenn sie diese nie von innen gesehen hatten. Sie machten sich das Plenum zu Eigen … und machten daraus das bedeutendste Instrument der Selbstbestimmung. Erst viel später wurde die Form des Plenums institutionalisiert: Die Gewerkschaftsapparate misstrauten ihr, da sie die gewöhnlichen Entscheidungsinstanzen übersprang. …sie waren unkontrollierbar … ein Moment höchster Kreativität, wo auch neue Kampfformen wie die Abteilungsstreiks, die internen Demonstrationszüge und die friedlichen Besetzungen erfunden wurden.‘ (Anmerkung von Dario Azzellini: Mario Moretti, Brigate Rosse, Berlin-Hamburg 1996, S. 33. Anmerkung von Nelke: Diese Darstellung Morettis halten wir für eine falsche Darstellung der Dynamik der proletarischen Selbstorganisation. Die ArbeiterInnen brauchten und brauchen nicht die StudentInnenbewegung, um zeitgemäße und örtlich-konkrete Formen der Selbstorganisation zu finden. Von daher halten wir auch die Formulierung „Die jungen Arbeiter atmeten die Luft der Unis“ für nicht sehr glücklich gewählt.) Die CUB bildeten mit Kollektiven aus Schulen und Stadtteilen das Colletivo Politico Metropolitano (CPM).
Am 2. Dezember 1968 wurden im Dorf Avola auf Sizilien zwei Tagelöhner von der Polizei erschossen, als sie sich an einer Protestblockade für die Erneuerung des so genannten Nationalen Arbeitsvertrages beteiligten. Daraufhin kam es zu Streiks und Demonstrationen im ganzen Land.
1969 wurde zum neuen Höhepunkt und zugleich zum Wendepunkt für die außerparlamentarische Bewegung. (Anmerkung von Nelke: Der Begriff „außerparlamentarische Bewegung“ ist ein politischer und kein sozialer. Dieser verschwommene Begriff dient dazu, zwei unterschiedliche soziale Bewegungen – der proletarische Klassenkampf und die StudentInnenbewegung – zu angeblich einer geeinten politischen Bewegung zusammenzufassen, nämlich der so genannten „außerparlamentarische Bewegung“. Diese Herangehensweise halten wir für falsch. Auch wenn die Dynamiken der beiden Sozialbewegungen in Italien ungleich stärker sich gegenseitig beeinflussten als zum Beispiel in Deutschland, handelte es sich aber dennoch auch in diesem Land um zwei unterschiedliche soziale Bewegungen, zwischen denen es auch Widersprüche gab.) Die 1968 sichtbare Einheit zwischen Studierenden und Arbeitern vollzog sich nun über andere, weniger offenkundige Formen, so z. B. über politische Organisationen, die Bewegung der Techniker und das Phänomen der Werkstudenten, die sich ihr Studium mit Fabrikarbeit finanzierten. (Anmerkung von Nelke: Eine soziale Einheit zwischen dem Proletariat und der kleinbürgerlichen Schicht der StudentInnen mit progressiv-revolutionärer Tendenz kann es nur mit Dominanz des erst genannten sozialen Subjektes über das andere geben. Politisch lässt sich eine solche Einheit nicht herstellen, da die Politik nichts anderes als die staats- und parteienförmige Sozialisation der bürgerlichen Klassengesellschaft ist. Wenn über politische Parteien die Einheit zwischen ArbeiterInnen und Studierenden hergestellt wird, kann diese letztendlich nicht progressiv sein. Der Autor meint die Mitgliedschaft von ArbeiterInnen in den Parteien der kleinbürgerlichen Linken, wo sie allerdings aus sozialrevolutionärer Sicht nichts anderes waren, sind und sein können, als der proletarische Schwanz des kleinbürgerlichen Radikalismus. Selbstverständlich können sich ArbeiterInnen auch innerhalb des kleinbürgerlichen Radikalismus weiter radikalisieren. Doch innerhalb des kleinbürgerlichen Radikalismus gibt es keine sozialrevolutionäre Perspektive, die subjektiv sozialrevolutionären Kräfte müssen sich von ihm abspalten, um auch objektiv zu sozialrevolutionären Kräften zu werden. Die politische Herstellung der Einheit zwischen StudentInnen und ArbeiterInnen kann also eine gewisse Radikalisierung von Teilen des Proletariats ausdrücken, ist aber gleichzeitig von starken sozialreaktionären Tendenzen geprägt, da die soziale Befreiung des Proletariats nur antipolitisch sein kann. Ein Teil der italienischen ArbeiterInnen wurde zum proletarischen Schwanz des kleinbürgerlichen Radikalismus. Nachdem in der ersten Phase (1967-1969) sich eine vorwiegend soziale Einheit zwischen protestierenden StudentInnen und klassenkämpferischen ArbeiterInnen durchsetzte, stellte die Herausbildung politischer linker Parteien als leninistischer Konkurrenz zur „K“PI nach dem Ende der sozialen StudentInnenbewegung im Jahre 1969 und der Aufbau einer proletarischen Basis dieser Partei ein sozialreaktionärer Niedergang der StudentInnenbewegung dar. Der proletarische Klassenkampf ging aber weiter und verschärfte sich noch. Dies zeigt deutlich, dass StudentInnenbewegung und proletarischer Klassenkampf auch in Italien zwei unterschiedliche soziale Bewegungen waren. Auch dass das Anknüpfen linker StudentInnen und anderer Intellektueller an die Lohnabhängigen über deren stark kleinbürgerlichen Schicht der TechnikerInnen erfolgte, offenbarte eine weitere Verkleinbürgerlichung der Linksintellektuellen, während das Eintreten der TechnikerInnen in den Klassenkampf deren Proletarisierung und Radikalisierung offenbarte. Das mag paradox klingen, doch TechnikerInnen stellen nun mal eine recht kleinbürgerliche Schicht der Lohnabhängigen dar, auch wenn sie sich tendenziell proletarisiert und radikalisiert. Sie haben fast alle studiert. Indem sich StudentInnen technischer Berufe mit den Subjekten ihrer eigenen späteren sozialen Zukunft, nämlich mit der relativ privilegierten Schicht lohnabhängiger TechnikerInnen solidarisierten, zeigte sich also die Verkleinbürgerlichung der Linksintellektuellen an. Denn eine sozialrevolutionäre Tendenz muss sich in erster Linie mit den ausgebeutetsten Schichten des Proletariats solidarisieren und verschmelzen. Doch indem die Linksintellektuellen die reale Proletarisierung der TechnikerInnen ideologisch übertrieben, mogelten sie sich um die klare Analyse ihrer eigenen Schicht als einer kleinbürgerlichen hinweg. Das passt zum Leninismus, zu dem sich auch die italienischen Linksintellektuellen nach dem Ende der sozialen StudentInnenbewegung verstärkt hin wanden, wie der Arsch auf den Eimer. Doch die erste Pflicht sozialrevolutionärer Intellektueller besteht nun mal in der Selbstreflektion als Angehöriger einer kleinbürgerlichen sozialen Schicht. Die dritte Verbindung von StudentInnen und ArbeiterInnen nach dem Ende der sozialen StudentInnenbewegung im Jahre 1969, welche Azzellini aufzählt, ist jene, bei der Studierende in der Produktion jobben, um ihr Studium zu finanzieren. In der Zeit, wo der Studierende als kleinbürgerlicher oder proletarischer Lohnabhängiger tätig ist, ist er kein Student. Soziale Subjekte, die studieren und gleichzeitig arbeiten, gehören also gleichzeitig zwei verschiedenen sozialen Schichten an. Es kommt nun darauf an, wo der Student arbeitet, ob von seiner bezahlten Nebentätigkeit ein Proletarisierungsdruck auf sein Sein und Bewusstsein erfolgt. Arbeitet zum Beispiel ein Jurastudent nebenbei in einer Rechtsanwaltskanzlei wird mit großer Wahrscheinlichkeit die Proletarisierungstendenz gleich Null sein. Anders ist es jedoch, wenn zum Beispiel eine BWL-Studentin im unterbezahlten Reinigungsgewerbe versucht ihre Brötchen zu verdienen. Da kann es passieren, dass die kapitalistische BWL-Ideologie nicht mehr zur gleichzeitig erlebten LohnarbeiterInnen-Praxis passt. Dieser Zusammenstoß von Ideologie und Praxis kann dann zu einer geistigen und praktischen Radikalisierung führen, auch dazu, dass die BWL-Studentin und Putzfrau an einem kollektiven Klassenkampf teilnimmt, sich dadurch noch weiter radikalisiert und ihr BWL-Studium schmeißt. Aber auch bei solchen Beispielen, wo die Studierenden ins Lohnproletariat eintreten, um ihr Studium zu bezahlen, kann der Proletarisierungsdruck nur sehr gering sein, nämlich dann, wenn die körperliche Lohnarbeit von dann angehenden Intellektuellen nur als vorübergehender Alptraum angesehen wird, der dann, wenn sie zum relativ privilegierten lohnabhängigen KleinbürgerInnentum gehört, schnell wieder verdrängt werden kann und muss. Azzellini nannte StudentInnen, die in die Fabrik gingen, um ihr Studium zu bezahlen. Es ist davon auszugehen, dass ein Großteil der Linksintellektuellen diese praktisch-körperliche Lohnarbeit sehr bewusst wahrnahmen. Doch was war dann später, als einige von ihnen der relativ privilegierten geistigen Lohnarbeit nachgingen?! Der geistige Niedergang auch der italienischen Linksintellektuellen gibt darauf eine klare Antwort. Insgesamt ist also zu betrachten, dass mit dem Ende der sozialen StudentInnenbewegung in Italien im Jahre 1969 eine weitere Verkleinbürgerlichung und Bolschewisierung der Linksintellektuellen einherging, wie auch aus der weiteren Darstellung von Azzellini hervorgeht, den wir nun wieder nach dieser langen Anmerkung das Wort geben wollen.) In den Universitäten hingegen begann die Institutionalisierung der politischen Führung aus den studentischen Kämpfen als selbsternannte Avantgarden. ,Die organisatorische Wende … hatte als unmittelbare Konsequenz die Entfernung und Ausgrenzung des gesamten kreativ-existenzialistischen Sektors (libertär-beat-underground-situationistisch) aus der Universität. Gleichzeitig trug sie in entscheidender Weise zur Aufsplitterung der Bewegung in Gruppen und kleinen Parteien bei, die oft pathetische Imitationen der großen Modelle waren.‘ (Primo Moroni/Nanni Ballestrina, Die goldene Horde, a.a.O., S. 240f.) Eher traditionelle, an leninistischen Kaderprinzipien orientierte Organisationsmodelle erlebten nun wieder einen Aufschwung. Im Zentrum der Arbeiterkämpfe von 1969 stand der Streik für den Nationalen Lohnvertrag im Metallsektor. Eine Bewegung mittlerer Angestellter war entstanden und mit der Bewegung der Fabrikarbeiter verschmolzen, die autonomen Komitees waren gewachsen. Es ging um einheitliche Arbeitsnormen, Arbeitsorganisation, Arbeitszeiten, fabrikinterne Mobilität und um Löhne, die sich nicht an der Produktivität orientieren. Ganz Italien wurde von massiven Streiks überzogen. Im Mai/Juni schafften es mehrere autonom organisierte Streiks, die Produktion von Fiat 50 Tage lang stillzulegen. Währenddessen wurde die Repression immer brutaler. Am 9. April 1969 erschoss die Polizei in Battipaglia zwei Streikende; am 12. Dezember 1969 explodierte in der Nationalen Landwirtschaftsbank an der Mailänder Piazza Fontana eine Bombe, die 16 Tote und 84 Verletzte forderte. Der Anschlag wurde im Rahmen der so genannten Strategie der Spannung verübt. (…)
Die ,Strategie der Spannung‘ wurde 1965 von Teilen der Macht- und Staatseliten mit dem Ziel entwickelt, eine Destabilisierung voranzutreiben, die öffentliche Angst erzeugen und so die Forderung nach einem ,starken Staat‘ plausibel machen sollte. Das langfristige Ziel war die Errichtung eines autoritären Staates. (Anmerkung von Nelke: Jeder Staat ist autoritär! Azzellini reproduziert hier die typische linksdemokratische Ideologie, wonach nur bestimmte Staatstypen, aber nicht der Staat als solcher autoritär wäre.) Kurzfristig stand die Zerschlagung der linken Bewegung auf dem Plan, indem man dieser Schaden durch Attentate zufügte, ihr Ansehen beschädigte und sie der Repression aussetzte. Zur Ausübung von Terroranschlägen wurde die zellenartig organisierte militärisch-geheimdienstliche Struktur Gladio herangezogen, die italienische Version des in vielen europäischen Staaten vom CIA aufgebauten Stay-Behind-Netzwerkes, dass im Falle einer UdSSR-Invasion militärisch aktiv werden sollte.
Ideologische Grundlage war ein strikter Antikommunismus, der auch auf den inneren Feind – Gewerkschaften, PCI und linke Bewegungen – bezogen wurde. Er einte eine breite autoritäre Rechte, die für alle Optionen, vom Terror bis zum Militärputsch offen war. Die Fäden im Hintergrund, zog bis zu ihrer Aufdeckung 1981 die Geheimloge Propaganda 2 (P2), die aus etwa 1.000 Politikern, in- und ausländischen Geheimdienstchefs, hohen Militärs, Polizisten, Carabineri, Unternehmern (wie Silvio Berlusconi) und Journalisten bestand. Etwa hundert von ihnen wurden wegen Verwicklungen in illegale Geschäfte, Putschpläne, Morde, Erpressung und Vertuschung verurteilt. Der Geheimdienst Sid (Servizio informazion difesa) bot den Gladio-Zellen, denen 3775 Personen angehörten, stets umfangreiche Deckung.
Die ersten beiden Bombenanschläge der ,Strategie der Spannung‘ wurden am 25. April 1969, dem Jahrestag der Befreiung vom Faschismus, in Mailand verübt – wie Jahre später bekannt wurde, von der faschistischen Gruppe Ordine Nuovo (ON), die eng mit Geheimdiensten zusammenarbeitete und über direkte Verbindungen zur griechischen Obristendiktatur verfügte.
Nach dem Anschlag an der Mailänder Piazza Fontana konzentrierten sich die Ermittlungen auf die revolutionäre Linke, es wurde ein Demonstrationsverbot verhängt und eine wahre ,Hexenjagt‘ begann. Zwei Anarchisten wurden als Täter festgenommen. Während des Verhörs ,fiel‘ einer von ihnen, Giuseppe Pinelli, unter den Augen von fünf Polizisten aus dem vierten Stock des Polizeireviers und war sofort tot. Die Polizei interpretierte das öffentlich als Schuldeingeständnis. Trotz Hinweisen auf die Beteiligung von ON dauerte es bis 2001, bis drei Faschisten als Täter verurteilt wurden.
Es folgten weitere Anschläge. Darunter auf den Italicus-Expresszug (Rom-München), in dem am 4. August 1974 eine Bombe der Fronte Nazionale Rivoluzionrio (Nachfolgeorganisation von ON) zwölf Menschen tötete. Am 2. August 1980, kurz nachdem das Parlament Ermittlungen gegen die P2 beschlossen hatte, explodierte eine Bombe im Bahnhof von Bologna und tötete 85 Menschen. Als Täter wurden 1995 und 2001 drei Faschisten verurteilt, drei Geheimdienstarbeiter und P2-Logenmeister Licio Gelli hingegen nur für das Legen falscher Spuren.“ (Dario Azzelini, Das lange italienische 1968, in: Jens Kastner, David Mayer (Hg.), Weltwende 1968, a.a.O., S. 176-182.)
Mensch kann die „Strategie der Spannung“ durchaus als Übertreibung der kapitalistischen Diktatur bezeichnen, als die vereinigte Reaktion von RechtsdemokratInnen und FaschistInnen – als vereinigte demokratisch-faschistische Reaktion, wobei die FaschistInnen objektiv ganz klar als rechter Flügel der Diktatur der DemokratInnen fungierte, obwohl auch eine Transformation der kapitalistischen Diktatur in Italien von der Demokratie zum Militärregime mit Segen der führenden Demokratien möglich gewesen wäre (siehe Chile und Griechenland). Die „Strategie der Spannung“ als Überspannung eines Teiles der herrschenden kapitalistischen Klasse Italiens und westlicher Verbündeter. Die Übertreibung wird schon dadurch sichtbar, dass sie sich auch gegen die „K“P Italiens (PCI) richtete, eine durch und durch sozialreformistische und reaktionäre Partei, die an der konterrevolutionären Transformation der kapitalistischen Diktatur von der faschistischen zur demokratischen Form – durchaus im Auftrag Moskaus – führend beteiligt war. Außerdem gab es in der Partei schon starke Tendenzen, sich vom Gängelband Moskaus zu lösen, um vollständig zu einer Kraft der pluralistisch-demokratischen Sozialreaktion innerhalb des Privatkapitalismus zu werden. Nun ja, vielleicht gab der rechte Terror ja auch den letzten Anstoß, den die „KommunistInnen“ brauchten, um sich dem linken Flügel der Demokratie in die weit ausgebreiteten Fangarme zu werfen. Der so genannte „historische Kompromiss“, die Regierungsbeteiligung der KPI an einer Regierung der ChristdemokratInnen ab den frühen 1970er Jahren war jedenfalls eine viel flexiblere Ausgestaltung der kapitalistischen Diktatur als die „Strategie der Spannungen“. Auf die „K“PI und ihre Transformations- und Abspaltungsprodukte war stets Verlass, wenn es darum ging die Kapitalvermehrung gegen das Proletariat mit zu organisieren und politisch zu gestalten. So akzeptierte die „K“PI im Rahmen des historischen Kompromisses auch die NATO. Damit hatte sie sich endgültig von Moskau abgenabelt und wurde zu einem Bestandteil der privatkapitalistischen Reaktion. Die Strategie der LinksdemokratInnen die KPI durch Umarmung völlig einzugemeinden erwies sich als viel erfolgreicher und weniger überspannt als sie durch eine gemeinsame rechtsdemokratisch-faschistische Aktion zu zerschlagen. Aber wenn das Proletariat aktiv wird, wie im langen italienischen „1968“. knallen halt große Teile der internationalen Bourgeoisie total durch und leiden unter Überspannung.
Doch gegen die demokratisch-faschistische Reaktion war das Proletariat im langen italienischen „1968“ alles andere als machtlos. Es wehrte sich und errichtete im militanten Klassenkampf embryonal die Diktatur des Proletariats gegen KapitalistInnen, ManagerInnen, PolitikerInnen, Bullen und Gewerkschaftsbonzen. Besonders spektakulär war der selbstorganisierte proletarische Klassenkampf bei Fiat. Red Devil schrieb darüber:
„Die ArbeiterInnen bei Fiat haben Ende der 1960er/Anfang der 1970er Jahre mit ihren Kämpfen ein selbstbewusstes Beispiel eines Kampfes gegeben, der sich sowohl gegen den Konzern Fiat als auch gegen die Gewerkschaftsbürokratie und die Gewerkschaften als solche richtete. Sie kämpften eigenständig und hielten sich nicht an die demokratischen Spielregeln und die ,guten Sitten‘. So streikten die ArbeiterInnen des Öfteren ,wild‘, ohne von den Gewerkschaften dazu aufgerufen worden zu sein. Die ArbeiterInnen lehnten strikt jedes Verhandeln der Gewerkschaften und jedes Eingreifen des Betriebsrates ab. Es handelte sich allerdings nicht um ,spontane‘ Empörung, sondern um organisierten und massiven Kampf. So begannen die ArbeiterInnen zu streiken, als die Gewerkschaften ihren Vertrag bereits ausgehandelt hatten. Die ArbeiterInnen schrieben im Juli 1969 (,Flugblatt der Arbeiter- und Studentenversammlung in Turin zu Verbreitung in ganz Italien‘) u.a.: ,Die nur symbolischen Streiks, die sich ab und zu mit ein paar Versammlungen abwechseln, bringen nur den Bürokraten Nutzen. In den Händen der Arbeiter wird der Generalstreik zur Gelegenheit, sich zusammenzuschließen (…) Die Zeitungen jeder politischen Regierung weigern sich, über das zu schreiben, was bei Fiat geschieht, oder sie verbreiten Lügen. Es ist an der Zeit, diese Verschwörung des Schweigens zu zerschlagen, die Isolierung zu durchbrechen, die Erfahrungen von Mirafiori allen mit der Gewalt der Fakten zu vermitteln. (…) Es ist eine Machtprobe (…) gegen Gewerkschaften und Parteien. (…) es ist zugleich die Garantie dafür, dass der Kampf weitergeht und sich noch verschärft.‘ Die ArbeiterInnen kritisierten die Gewerkschaften, die versuchten ,den Feuerwehrmann zu spielen‘ und Streiks in ,zahllose einzelne Streitfragen der einzelnen Abteilungen‘ aufzulösen. Es wurden nicht nur die Arbeitsrhytmen und der Lohn kritisiert. Deshalb hieß es in einem Dokument der Arbeiterversammlung bei Fiat vom 19. Juli 1969 u. a.: ,Gleiche Lohnerhöhungen für alle, unabhängig von der Produktivität, Abschaffung der Kategorien: die Forderungen bedeuten nicht nur, dass man erkannt hat, dass alle gleichermaßen vom Unternehmer ausgebeutet werden, unabhängig von Alter, Herkunft, Beschäftigungsdauer und physischer Kraft; sie bedeuten auch die tatsächliche Herstellung der politischen Einheit (,soziale Einheit‘ wäre hier unserer Meinung sinnvoller und angebrachter als politische Einheit – R.D. ) als Klasse.‘
Die Gewerkschaften, welche versuchten, die Einheit der Bewegung zu beenden und die Kontrolle über die Bewegung mittels Gewerkschaftsdelegierten zurückzuerlangen, weil daran ihre Anerkennung als Gesprächspartner für das Konzernmanagement hing, wurde von den Fiat-KollegInnen entgegengehalten: ,Wir sind alle Delegierte‘. Die ArbeiterInnen wollten nicht der ,Gnade der Gewerkschaften‘ ausgeliefert sein und hatten dementsprechend die ,Fessel des Vertrages‘, den ,sozialen Waffenstillstand‘, den ein Tarifvertrag für seine Laufzeit darstellt, abgelehnt. Sie wussten, dass die tarifvertraglich erzwungene Anerkennung der Gesetze der Produktivität und des Kapitals die Erdrosselung ihres Kampfes bedeutete. Die ArbeiterInnen forderten die gleiche Erhöhung des Lohnes für alle und die Gleichstellung mit den Angestellten, also die Aufhebung der durch Tarifverträge und Kategorien festgeschriebenen sozialen Unterschiede und Spaltungen im Betrieb. Sie wiesen jedes Verhandeln über ihre Forderungen zurück und forderten deren sofortige und bedingungslose Erfüllung. Als Fiat in Mirafiori Tausende streikender ArbeiterInnen ,suspendierte‘ und aussperrte, zertrümmerten diese die verschlossenen Werkstore und drangen auf das Werksgelände ein. Als die Gewerkschaften die Massenaussperrung von 40.000 Fiat-ArbeiterInnen lediglich mit Aufrufen zu einem lächerlichen zweistündigen Streik ,beantworteten‘, ignorierten die ArbeiterInnen diesen fast überall und die Gewerkschaften traten in Verhandlungen mit der Direktion. Die KollegInnen demolierten während militanter Demonstrationszüge durch die ganze Fabrik Fahrzeuge, formulierten ihre eigenen Forderungen und zwangen die Direktion zur Rücknahme einzelner Entlassungen. Streikbrecher wurden verprügelt und auch diejenigen Gewerkschaftsmitglieder, welche die ArbeiterInnen von der Richtigkeit der gewerkschaftlichen Forderungen überzeugen wollten. Die Gewerkschaften wollten ,vernünftige‘ Formen der kapitalistischen Ausbeutung, aber die ArbeiterInnen waren kompromisslos, wollten nicht ,vernünftig‘ sein und handelten auch nicht so. Sie lehnten es ab, ihre Revolte in einen Käfig aus ökonomischen Forderungen, gewerkschaftlichen Regularien und der Anerkennung eines imaginären ,Betriebswohls‘ sperren zu lassen. Ebenso lehnten sie den ,sozialen Frieden‘ auf ihre Kosten ab. Die ArbeiterInnen hatten ihre eigenen, schlagkräftigen Argumente, um ihre Eigenständigkeit zu verteidigen und ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Sie griffen die Lohnarbeit und die Organisation ihrer Ausbeutung, die sie als Diktatur des Kapitals über sich erfuhren, direkt an und stellten ihr mitunter – wenn auch oft sehr embryonal – Elemente ihrer eigenen Diktatur, der Diktatur des Proletariats gegenüber. Und sie erkannten, dass die Gewerkschaften kein Mittel zur Organisierung der ArbeiterInnen und ihres Kampfes sind, sondern ein Mittel zur Desorganisation der ArbeiterInnen und ihres Kampfes: zur Aufrechterhaltung, Rechtfertigung und Verewigung der passiven Rolle, der Isolation und der Spaltung der ArbeiterInnen. Die Gewerkschaften waren und sind Ausdruck der Zersplitterung und Isolation der ArbeiterInnen und setzen der bürgerlichen Spaltung der Klasse in einzelne ,Gruppen von Beschäftigten‘, ,Gruppen von BürgerInnen‘, etc. nichts entgegen, sondern erhalten und organisieren diese aktiv bis heute: ob durch die in Tarifverträgen festgeschriebenen Kategorien und Lohn/Gehaltsgruppen und – unter Ausklammerung der außerbetrieblichen Existenz der ArbeiterInnen – die Beschränkung des ,Kampfes‘ auf ökonomische Forderungen und den Betrieb – auf der anderen Seite war die Ausklammerung der betrieblichen und Arbeitssituation im ,Freizeitbereich‘ (z.B. in der Politik) zu finden.
Als nach innerbetrieblicher und staatlicher Repression gegen Hunderte von ,extremistischen‘ ArbeiterInnen die Gewerkschaften Tarifverträge unterzeichneten waren dort die Forderungen der ArbeiterInnen nicht enthalten: es wurden statt gleicher unterschiedliche Lohnerhöhungen, etc., vereinbart und es wurde keine einzige der ArbeiterInnen-Forderungen erfüllt. Die bürgerliche Zeitung ,L Espresso‘ beschrieb bezeichnend: ,Jetzt merkt Agnelli (Agnelli war der Konzernchef –R.D.) endlich, dass er die Gewerkschaften in seinem Betrieb braucht – ohne sie riskiert er Anarchie und Chaos.‘ Die Geschichte des Kampfes der italienischen ArbeiterInnen ist auch die Geschichte der staatlichen Repression, des politischen Sektierertums, des Proletenkultes, der Sackgasse des bewaffneten Kampfes (Rote Brigaden), der destruktiven Kraft der Drogen…“ (Red Devil, Die Demokratie ist die Diktatur des Kapitals, a.a.O., S. 37/38.)
Red Devil geht in seinem letzten Absatz schon auf die Grenzen des offensiven und militanten Klassenkampfes des italienischen Proletariats ein, zu denen wir auch noch einige Bemerkungen beifügen möchten: Das Proletariat Italiens untergrub durch seinen offensiven und militanten Klassenkampf die Profitabilität der Produktion. Doch damit stieß der reproduktive Klassenkampf sowohl in Italien als auch in ganz Westeuropa an seine Grenzen. Denn die durch den proletarischen Klassenkampf mit erzeugte Weltwirtschaftskrise von 1974/75 und der langfristige Übergang von der beschleunigten Kapitalvermehrung zur strukturellen Profitproduktions und -realistationskrise ließ die vorige reproduktive proletarische Offensive ins Leere laufen. In solchen Situationen gibt es nur eine Alternative: Entweder sprengt der Klassenkampf seine reproduktiven Fesseln, oder die Bourgeoisie geht zur Offensive über und die bisherigen vermeintlichen Teilsiege des reproduktiven Klassenkampfes erweisen sich als wirkliche Teilniederlagen. So war es in ganz Westeuropa und in Italien, als die zweite Alternative zur sozialen Wirklichkeit wurde, weil das italienische wie das globale Proletariat subjektiv noch nicht zur sozialen Revolution reif war bzw. sich nur Minderheiten dieses Ziel bewusst stellten und auch diese Minderheiten stark verwirrt waren und sich nicht vom kleinbürgerlichen Radikalismus befreien konnten.
Nachdem der proletarische Klassenkampf Mitte/Ende der 1970er Jahre an seine Grenzen stieß, erlebte die StudentInnenbewegung im Jahre 1977, also im letzten Jahr des langen italienischen „1968“ ihre kurze radikale Wiederkehr, über welche Steve Wright schrieb:
„Am 3. Februar (1977) wurde die Universität von Rom von einigen Tausend Studentinnen und Studenten besetzt, die gegen Regierungspläne zur Einschränkung des Hochschulzugangs und gegen einen faschistischen Übergriff auf dem Campus protestierten, bei dem am Vortag zwei Studenten verletzt worden waren. Für zwei Wochen hatten die Studierenden die Universität in ihrer Gewalt, und sie entwickelten eine lebhafte politische Kultur, die sich von traditionellen linken Befindlichkeiten abgrenzte und eher an Praxen orientierte, wie sie etwa von den proletarischen Jugendzirkeln in Mailand vertreten wurden. Die meisten hielten es eher mit dem risate rosse, dem ,roten Gelächter‘, als mit dem Brigate Rosse, doch maßgeblichen Teilen der neuen Bewegung war Gewaltanwendung keineswegs fremd. Es gab sie in Form von massenhaften Plünderungen ab 1976, als Gesetzesbrüche epidemische Ausmaße annahmen, und es gab auch eine Bereitwilligkeit, politische Differenzen mit physischen Mitteln auszutragen, was in der italienischen radikalen Linken alles andere als neu war. Als der CGIL-Führer Luciano Lama die Universität besuchte, um den Besetzern eine Standpauke zu halten, erntete er nicht nur den Spott der Stadtindianer die ,Nessuno L‘ama‘ (,Niemand liebt ihn‘) riefen, sondern provozierte eine körperliche Auseinandersetzung, in deren Verlauf Mitglieder der Comitati Autonomi Operai und andere Besetzer ihn samt seiner Leibgarde aus Gewerkschaftsfunktionären vom Campus warfen. Als die Bereitschaftspolizei daraufhin noch am gleichen Nachmittag die besetzte Universität räumte, standen, wie ein Augenzeuge berichtete, rund tausend PCI-Mitglieder vor dem Gebäude, die ,jubelten und applaudierten‘. (Anonymous (1980), Lama Sabachthani, Semiotext(e) III (3).)
Anfang März erreichten die Unruhen die Universität von Bologna – im Herzen der kommunistisch regierten Emilia Romagna. Nachdem die Polizei einen Kader von Lotta Continua getötet hatte, hatte es dort eine zweitägige Straßenschlacht gegeben, die am 12. März mit einer großen Demonstration im Zentrum Roms ihre überregionale Fortsetzung fand. Nach der Demonstration, bei der zehn Polizisten und zwei Demonstranten Schussverletzungen erlitten, blieb die Situation angespannt.
Ende April wurde ein Polizist bei einer Demonstration in Rom erschossen, Mitte Mai tötete die Polizei eine junge Demonstrantin in der Hauptstadt. Zwei Tage später wurde ein weiterer Polizist bei einer Demonstration in Mailand erschossen, was weithin als Racheakt einer Splittergruppe der autonomen Bewegung zugeschrieben wurde.“ (Steve Wright, Den Himmel stürmen. Eine Theoriegeschichte des Operaismus, Assoziation A, Berlin/Hamburg 2005, S. 213/214.)
Nachdem wir nun die allgemeine Dynamik des langen italienischen „1968“ etwas ausführlicher skizziert haben, wollen wir die sozialen/politischen Beziehungen zwischen StudentInnenbewegung/Linksintellektuellen und ProletarierInnen näher bestimmen. In Italien waren nach Frankreich die revolutionären Tendenzen des proletarischen „1968“ am stärksten ausgeprägt, weshalb es auch nicht wundert, dass schon in Ansätzen innerhalb der IndustriearbeiterInnen eine revolutionäre Kritik am kleinbürgerlichen Radikalismus der StudentInnen/Linksintellektuellen keimte. Diese Tendenz war in Italien wesentlich stärker ausgeprägt als in der BRD/Westberlin.
Diese Kritik wurde schon in der progressivsten Periode des Wechselspieles zwischen StudentInnen/Linksintellektuellen und ProletarierInnen von den letzteren geäußert – in der Periode der Zusammenarbeit von sozialer StudentInnenbewegung und klassenkämpferischen ArbeiterInnen. Diese Periode dauerte von 1967 bis 1969, dem Ende der sozialen StudentInnenbewegung. So hieß es in einem Brief einer Gruppe sozialrevolutionärer ArbeiterInnen bei Fiat Turin an die StudentInnen vom 12. Mai 1968:
„Wir Arbeiter sehen in der so genannten Kultur ein Mittel der Unterdrückung, denn unsere verschiedenen Chefs, Chefleins und Chefchen stammen leider alle aus der Kultursphäre. Das ist der Grund, weshalb wir Ressentiment gegenüber den Studenten (…) empfinden. Denn uns ist das Prinzip wohl klar, dass die ganze Kultur im Dienste der Herrschenden steht, die sich der Kultur bedienen, um die Mittel, die Maschinen, die Methoden fertigzustellen, mit welchen sie unsere Bewegung rationalisieren, uns zu mehr Arbeit zwingen und uns in notwendige Maschinenteile verwandeln.“ (Lettera di un gruppo di operai Fiat agil studenti di Torino,12. Mai 1968. Bestand Rieser (F 19 E), Fondazione Vera Nocentini, zitiert nach Maricia Tolomelli, Studenten und Arbeiter 1968 in Italien, in: Bernd Gehrke/Gerd-Rainer Horn (Hrsg.), 1968 und die Arbeiter. Studien zum proletarischen Mai, VSA-Verlag, Hamburg 2007, S. 302.)
Diese Analyse der revolutionären italienischen ArbeiterInnen war ein Volltreffer und das Misstrauen gegen die bürgerliche Kultur und deren TrägerInnen, die Intellektuellen, hat sich durch die soziale Wirklichkeit als völlig richtig herausgestellt. So war das gesunde Misstrauen gegen die protestierenden StudentInnen kein reaktionäres Ressentiment, sondern treffsicherer proletarischer Instinkt. Wie viele ehemalige rebellische StudentInnen von „1968“ wurden weltweit später „Chefs, Chefleins und Chefchen“?! Unzählbar viele! Die große Rrrevolution als vorübergehende Mode! Neben dem modehaften Flirt mit der Revolution, die nur bei wenigen echte Leidenschaft war, kam noch die vorwiegend ideologische Art und Weise wie sich die kommenden Intellektuellen auf den sozialen Widerstand bezogen.
Auch diese Tendenzen sahen die revolutionären Fiat-ArbeiterInnen damals schon sehr deutlich. Sie kritisierten an der StudentInnenbewegung: „Auch zu einem anderen Punkt möchten wir Kritik üben: Um revolutionär zu sein, genügt es nicht am Tisch zu sitzen und stundenlang über die Revolution … zu reden, oder an der Jacke ein Abzeichen zu tragen und schöne, wunderschöne Losungen auf den Plätzen zu skandieren. Denn die Revolution lebt nicht allein von Theorie, sondern sie muss eine präzise Aufgabe und eine genau bestimmte Lebensentscheidung sein. (…) Es ist logisch, dass man nicht nur verbal revolutionär sein muss, d. h. nächtelang gedankenlos diskutiert über die Frage, wo der Kreis beginnt und wo er endet, weil man am darauffolgenden Morgen ohnehin ausschlafen kann und Mamas Tasche die Revolution finanziert. Außerdem macht es auf uns Arbeiter einen schlechten Eindruck zu sehen, dass Leute, die von Revolution sprechen, manchmal Steine gegen die Polizei werfen oder über die Streikbrecher schimpfen, dann aber im Cabriolet fahren. Es liegt auf der Hand, dass es sich um Leute handelt, die in ihrem Leben nie ökonomische Schwierigkeiten hatten“ (Ebenda, S. 302/303.)
Eine sehr schöne Kritik am kleinbürgerlichen Radikalismus aus proletarisch-revolutionärer Sicht. Hier verband sich der proletarische Klasseninstinkt mit der materialistisch-dialektischen Klassenanalyse. Hier gab es kein Spielraum für die großbürgerliche Reaktion, den gesunden Instinkt von ArbeiterInnen gegen so manchen intellektuellen Moderevoluzzer mit Antikommunismus zu verunreinigen. In Italien war es halt auch in dieser Frage ganz anders als in der BRD und Westberlin…
Die sozialreaktionären Tendenzen der StudentInnenbewegung als kleinbürgerlicher Sozialbewegung waren also selbst zu ihren Hochzeiten schon kräftig ausgeprägt und wurden von damaligen proletarischen RevolutionärInnen auch wahrgenommen und heftig kritisiert. Mit Ende der sozialen StudentInnenbewegung und mit Aufkommen der leninistischen Kleinparteien verstärkten sich natürlich diese reaktionären Tendenzen. Nach dem Versiegen der sozialen Bewegung, schlägt immer die Stunde der Politik. Und auch dunkelrot gefärbte Politik ist letztendlich bürgerliche Scheiße. Nicht wenige Linksintellektuelle versanken bis zum Hals in dieser.
Die neoleninistischen Gruppen stießen im italienischen Proletariat auf noch größeren Widerspruch als die soziale StudentInnenbewegung. Zuerst registrierten viele ArbeiterInnen gar nicht den Niedergang der Linksintellektuellen. So waren für sie die politisierenden LeninistInnen in ihrer Wahrnehmung immer noch die „StudentInnen“, obwohl sie doch jetzt die VertreterInnen konkurrierender „Avantgarden des Proletariats“ vor sich hatten! Diese Möchtegern-Avantgarden konnten sich übrigens nicht lange in den Betrieben halten. Schon 1970/71 stießen die neoleninistischen Gruppen an ihre Grenzen und verschwanden aus den materiellen Produktionsstätten.
Denn politische Parteien taugen nun mal nicht zur „Führung“ des proletarischen Klassenkampfes. Nachdem die Linksintellektuellen die soziale Verknüpfung zum Proletariat verloren – zum großen Teil durch ihre Politikspielchen selbst verschuldet – versandeten sie im linksbürgerlichem Militarismus oder sie wurden zum linken Flügel der Gewerkschaftsbürokratien.
Schauen wir uns diese beiden Entwicklungstendenzen etwas genauer an.
Es spricht für die Militanz des italienischen Proletariats, dass die bewaffneten LeninistInnen bei ihnen größeren Zuspruch bekamen, als jene von den Miniparteien. Aber der linksbürgerliche Militarismus ist für das revolutionäre Proletariat dennoch ebenfalls eine Sackgasse, wie Red Devil weiter oben schon richtig festgestellt hatte. Proletarische Militanz ist kein Selbstzweck, sondern ist eine Form des offensiven Klassenkampfes. Sozialrevolutionäre Gruppen müssen natürlich auch zum bewaffneten Kampf bereit sein, aber sie dürfen diesen nicht verabsolutieren. Eine solche Verabsolutierung ist beim Abflauen militanter Klassenkämpfe zur Isolation vom Proletariat und zum Versinken im linksbürgerlichen Militarismus verurteilt. So entwickelten sich zum Beispiel die linksmilitaristischen Roten Brigaden (BR) aus bewaffneten Fabrikkämpfen heraus, isolierten sich aber immer stärker vom proletarischen Klassenkampf, bevor im Jahre 1987 eingesperrte Mitglieder aus dem Gefängnis heraus die Auflösung der Gruppe erklärten.
Schauen wir uns zum Schluss dieses Kapitels noch genauer an, wie die vier neoleninistischen Gruppen Il Manifesto, Potere Operaio, Lotta Continua und Avanguardia Operaia hilflos zwischen militantem selbstorganisierten Klassenkampf und Gewerkschaftsbürokratie schwankten.
Bevor wir jedoch den Weg der NeoleninistInnen in das warme Nest der Gewerkschaftsbürokratien beschreiben, müssen wir einen Blick auf die italienische Gewerkschaftsbewegung werfen. Ab Ende der 1940er Jahre wird diese vor allem von drei Hauptorganisationen (Dachverbände) geprägt: Die zuerst eng mit den ChristdemokratInnen und mit der katholisch-religiösen Ideologieproduktion verbundene Confederazione Italiana Sindacati Lavoratori (CISL), die ursprünglich eng mit der Sozialistischen und „Kommunistischen“ Partei verbundenen Confedrazione Generale Italiana Lavoro (CGIL) und schließlich den damals lahmsten aller Vereine, die in der Nachkriegszeit der Republikanischen und der Sozialdemokratischen Partei nahe stehende Unione Italiana del Lavoro (UIL).
Wie wir bereits an der Aufzählung gesehen haben, spalteten die drei Dachverbände das Proletariat Italiens entlang politischer Linien. Doch das Pack schlägt und verträgt sich stets auf Kosten der ArbeiterInnenklasse. Während es in den 1950er Jahren noch zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen den drei verschiedenen Gewerkschaftsbürokratien kam, sah die Geschichte in den 1960ern schon ganz anders aus. Die Oberbonzen gingen von der Konfrontation immer stärker zur Kooperation über.
In den 1960er Jahren tauchte auch verstärkt innerhalb der Gewerkschaftsbewegung die soziale Figur der so genannten ArbeiterInnendelegierten auf. Sie verkörperten in ihren sozialen Funktionen eine Kombination deutscher Betriebsräte und Vertrauensleute. Die ArbeiterInnendelegierten wurden von allen ArbeiterInnen gewählt, ob sie nun Gewerkschaftsmitglieder waren oder nicht, aber dennoch vertraten sie die Gewerkschaften in der jeweiligen Firma. Sie konnten daher Sitzstreiks ausrufen und Tarifverträge unterzeichnen. Sie waren also die unterste Ebene der Gewerkschaftsbürokratien und des institutionalisierten und verrechtlichten reproduktiven Klassenkampfes. Gleichzeitig standen sie doch unter ziemlichen Druck ihrer KollegInnen. Sie waren also teilweise zur offiziellen Trägerschaft von offensiven Klassenkämpfen gezwungen. Doch da sie eben auch Charaktermasken des institutionalisierten und verrechtlichtlichten reproduktiven Klassenkampfes waren, mussten proletarische RevolutionärInnen und mit ihnen verbundene Intellektuelle darauf setzen, über die Strukturen der ArbeiterInnendelegierten hinauszugehen, denn es galt ja gerade die reproduktiven Grenzen des Kampfes zu sprengen.
Doch die kleinbürgerlich-radikalen LeninistInnen waren zu einer solchen klaren und radikalen Analyse nicht fähig. Einer sozialrevolutionären Theorie und Praxis am nächsten kam noch die Organisation Lotta Continua. Sie stellte den institutionalisierten DelegiertInnen mit dem Slogan „Wir sind alle Delegierte“ (siamo tutti delegati) die nichtinstitutionalisierbare, aktive, allgemeine und kollektive proletarische Selbstorganisation gegenüber. Die anderen drei leninistischen Organisationen – Il Manifesto, Potere Operaio und Avanguardia Operaia sahen den gewissen Gegensatz zwischen den unter direkten proletarischen Druck stehenden ArbeiterInnendelegierten und den Gewerkschaftsoberbonzen, bauschten diesen aber ungebührlich auf und stellten die ersten in einen totalen Gegensatz zu letztere. Damit stellten sie die unterste Funktionsebene der Institutionalisierung des reproduktiven Klassenkampfes radikalen Organisationsformen der proletarischen Selbstorganisation gleich. Il Manifesto und Potere Operaio verklärten die ArbeiterInnendelegierten als potenzielle neue Form von ArbeiterInnenräten, was eine totale Verwischung der Grenzen zwischen selbstorganisiertem proletarischen Klassenkampf und der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung, zu der eben auch die ArbeiterInnendelegierten zählten, war. Die Avanguardia Operaia sah in der untersten Ebene der vorhandenen und etablierten Gewerkschaftsverbände als eine mögliche Grundstruktur von „neuen, radikaleren Gewerkschaften“.
Doch die Idealisierung der ArbeiterInnendelegierten durch die oben genannten drei leninistischen Organisationen war bei zwei von ihnen – Il Manifesto und Avanguardia Operaia – der Beginn von deren reformistischen Anpassung an die Gewerkschaftsbürokratien. Denn nachdem die drei leninistischen Gruppierungen die Verbindung der ArbeiterInnendelegierten mit den etablierten Gewerkschaftsverbänden zugeben mussten, aber gleichzeitig ihre positive Einschätzung der ersteren nicht aufgeben wollten, waren sie praktisch nichts anderes mehr als der „kritische“ Schwanz des linken Gewerkschaftsflügels. Auch die leninistische Organisation mit der besten Analyse der ArbeiterInnendelegierten, Lotta Continua, passte sich an diese und damit an die Gewerkschaftsbürokratien an – und zwar 1976, in einer Zeit, wo der proletarische Druck auf die ArbeiterInnendelegierten mit dem Abklingen der offensiven Klassenkämpfe schon deutlich abnahm.
Schauen wir uns zum Schluss noch an, wie in den drei Gewerkschaftsdachverbänden durch die erfolgreiche Integration nicht weniger Linksintellektueller die Modernisierung gelang. Denn durch das lange „1968“ standen die italienischen Gewerkschaften unter gewaltigen Modernisierungsdruck, damit sie nicht die völlige Kontrolle über „ihre“ proletarische Basis verloren. Leider verloren sie diese nicht – zum großen Teil Dank nicht weniger Linksintellektueller.
Am stärksten modernisierte sich die ursprünglich stark katholisch geprägte CISL. Sie versuchte am stärkten durch die Integration von Linksintellektuellen und ihrer Ideologie sich zu „demokratisieren“, das heißt sich zu einem flexiblen Arm der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung und damit als modernisierter Teil der kapitalistischen Diktatur über das Proletariat zu entwickeln. Ihr gelang es dadurch sich im Industriebereich als „radikalste Gewerkschaft“ zu präsentieren.
Weniger flexibel war die den SozialistInnen und „KommunistInnen“ nahestehende CGIL gegenüber den Linksintellektuellen. Ging doch die I„K“P traditionell ziemlich repressiv gegen „LinksextremistInnen“ vor – womit sie ihr Eintrittsgeld in den Klub der DemokratInnen bezahlte. Diese feindliche Haltung gegenüber den Linksintellektuellen außerhalb ihrer Reihen, übertrug sie auch auf CGIL-BürokratInnen, welche unter ihren ideologischen Einfluss standen. Auch beobachtete die CGIL-Bürokratie die gewerkschaftskritischen Tendenzen innerhalb der Linksintellektuellen mit übertriebener Besorgnis – die Bereitschaft zur Anpassung an die Gewerkschaften war ja bei vielen „Linksradikalen“ durchaus vorhanden. Das merkte schließlich auch die CGIL-Bürokratie – und erneuerte sich dadurch, dass sie nicht wenige Linksintellektuelle für ihren Apparat rekrutierte.
Die UIL ging teilweise ebenfalls stark repressiv gegen die StudentInnenbewegung und der aus ihrem Ende als sozialer Bewegung entstandenen Politgruppen vor, wie zum Beispiel in Turin. In anderen Orten gelang es den Linksintellektuellen den Apparat zu erobern – und im Anschluss eroberte der Apparat die Linksintellektuellen –, wie zum Beispiel in Mailand. So wurde mit Hilfe nicht weniger Linksintellektueller auch in Italien die gewerkschaftliche Kontrolle über das Proletariat aufrechterhalten.

]]>
https://sbefreiung.blackblogs.org/2018/06/26/1968-in-westeuropa-italien/feed/ 0
Annonce: Schriften zum Imperialismus https://sbefreiung.blackblogs.org/2018/06/05/annonce-schriften-zum-imperialismus/ https://sbefreiung.blackblogs.org/2018/06/05/annonce-schriften-zum-imperialismus/#respond Tue, 05 Jun 2018 17:36:54 +0000 http://sbefreiung.blogsport.de/?p=96 Unsere neue Broschüre „Schriften zum Imperialismus“ (ca. 122 Seiten) von Soziale Befreiung ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) auch als E-Book über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de bestellen.

Inhalt

Einleitung

Zur Sozialökonomie des Imperialismus

1. Imperialismus: Expansion des Nationalkapitals
2. Die imperialistische Rivalität um Rohstoffquellen
3. Export und Import von Waren
4. Kapitalexport und -import
5. Imperialistische Geopolitik

Frieden und Krieg

1. Der bürgerliche Frieden als nichtmilitärische Form des kapitalistische Konkurrenzkampfes
2. Der imperialistische Krieg als militärische Form des kapitalistischen Konkurrenzkampfes
3. Die Kapitalvermehrung im Frieden und Krieg
4. Der Klassenkampf im Frieden und Krieg
5. Kritik des kleinbürgerlichen Pazifismus
6. Kritik der kleinbürgerlich-radikalen Militanz und des linksreaktionären Militarismus
7. Proletarisch-revolutionäre Klassenkampf-Militanz

„Antiimperialismus“ und Antiimperialismus

1. Kritik des linksnationalen „Antiimperialismus“
2. Sozialrevolutionärer Antiimperialismus

Die Ostexpansion von EU und Nato

1. Der privatkapitalistische Sieg im ersten Kalten Krieg
2. Zerfall und imperialistische Zerschlagung Jugoslawiens
3. Die Osterweiterung von NATO und EU
4. Der Konflikt um die Ukraine/Krim
5. Der zweite Kalte Krieg

Imperialismus und Islamismus

1. Islam und Islamismus
2. Afghanistan
3. Irak
4. Syrien
5. Islamistische Anschläge in den imperialistischen Zentren

Einleitung

Unsere Broschüre beginnt mit dem Text Zur Sozialökonomie des Imperialismus. Darin wird der moderne Imperialismus als Expansion der Nationalkapitale definiert und beschrieben. Schon im ersten Kapitel der ersten Schrift wird der Unterschied zwischen der kleinbürgerlichen politischen Linken und proletarischen RevolutionärInnen deutlich. Denn wir kritisieren nicht nur den privatkapitalistischen, sondern auch den ehemaligen staatskapitalistischen Imperialismus (Sowjetunion und China bis 1978). Den „sozialistischen“ Imperialismus verklären dagegen die verschiedenen Spielarten des linksnationalen „Antiimperialismus. Weiter wird in dieser Schrift an Hand von historischen und aktuellen Beispielen die imperialistische Konkurrenz um Rohstoffquellen und Absatzmärkte untersucht. Kapitalexport und -import spielen in der imperialistischen Konkurrenz der Nationalstaaten eine sehr große Rolle, weshalb wir auch dies genauer analysieren werden. Alle diese ökonomischen Aspekte werden dann in der Untersuchung der imperialistischen Geopolitik zusammengefasst und um politideologische und diplomatische erweitert.
Kleinbürgerliche PazifistInnen bekämpfen nicht bewusst den imperialistischen Krieg, sondern verteidigen ideologisch verblendet den „Frieden“. Doch der bürgerliche Frieden ist lediglich die nichtmilitärische Form des kapitalistischen Konkurrenzkampfes und damit absolut gewaltförmig. Wir bekämpfen dagegen den bürgerlichen Frieden genauso konsequent wie den imperialistischen Krieg. In der Schrift Frieden und Krieg stellen wir beide gleichermaßen als Durchsetzungsformen des kapitalistischen Imperialismus dar. Auf dieser Grundlage kritisieren wir scharf den kleinbürgerlichen Pazifismus und den linksreaktionären Militarismus. Wir beschreiben die proletarisch-revolutionäre Klassenkampf-Militanz als Alternative zu Imperialismus, Pazifismus und linken Militarismus.
Der Imperialismus ist als Expansion des Nationalkapitals auf Kosten des Proletariats ein Klassenkampf von oben. Weltweit kann der Imperialismus nur durch die globale revolutionäre Aufhebung aller Nationalstaaten zerschlagen werden. Somit ist wirklicher Antiimperialismus antinational, antipolitisch und antikapitalistisch. Der linksnationale „Antiimperialismus“ reproduziert dagegen das Kapitalverhältnis und ist deshalb sozialreaktionär. Nicht selten war und ist auch der linksnationale „Antiimperialismus“ ein Spielball von Imperialismen (Sowjetunion/Russland und China). Proletarische RevolutionärInnen bekämpfen deshalb den linksreaktionären „Antiimperialismus“ genauso hart wie den westlichen Imperialismus. Ausführlicher dazu im Text „Antiimperialismus“ und Antiimperialismus.
Die Schrift Die Ostexpansion von EU und Nato beschreibt zuerst den Sieg des Privatkapitals im ersten Kalten Krieg sowie den Zerfall und die imperialistische Zerschlagung Jugoslawiens. Des Weiteren wird die Entwicklung des zweiten Kalten Krieges zwischen dem westlichen und dem russischen Imperialismus, der besonders im Konflikt um die Ukraine/die Krim zum Ausdruck kam, beschrieben.
In Imperialismus und Islamismus beschreiben wir die Wechselwirkung zwischen westlichen Imperialismen und dem Islamismus, die sowohl von Kooperation als auch Konkurrenz geprägt ist. Auch analysieren wir die islamistischen Regionalimperialismen Katar, Saudi-Arabien, Iran und Türkei. Diese mörderische Dynamik aus Imperialismus und Islamismus nehmen wir in Afghanistan, Irak und Syrien auseinander. Außerdem beschreiben wir die Wirkungen von islamistischen Anschlägen in den imperialistischen Zentren.

Nelke, im Mai 2018

]]>
https://sbefreiung.blackblogs.org/2018/06/05/annonce-schriften-zum-imperialismus/feed/ 0
Annonce: Klassenkämpfe in der BRD 1. Teil: 1945-1989 https://sbefreiung.blackblogs.org/2017/05/20/86/ https://sbefreiung.blackblogs.org/2017/05/20/86/#respond Sat, 20 May 2017 05:44:38 +0000 http://sbefreiung.blogsport.de/2017/05/20/86/ Unsere neue Broschüre: „Klassenkämpfe in der BRD 1. Teil: 1945-1989“ (ca. 120 Seiten) von Soziale Befreiung ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de oder direkt bei uns auch als E-Book bestellen.

Inhalt

Einleitung

I. Klassenkämpfe vor der bundesdeutschen Staatsgründung

1. Die deutsche Bourgeoisie und die westlichen Besatzungsmächte
2. Die überwiegend prokapitalistische Ausrichtung der institutionalisierten
ArbeiterInnenbewegung
3. Arbeits- und Lebensbedingungen des Proletariats
4. Klassenkämpfe

II. Klassenkämpfe während der beschleunigten Kapitalvermehrung
1. Beschleunigte Kapitalvermehrung und Kalter Krieg
2. Auf den Knochen und Nerven des Proletariats
3. Die Integration des DGB in das bundesdeutsche Nationalkapital
4. Wilde Streiks vor „1968“
5. Die wilden Septemberstreiks von 1969
6. Die wilde Streikwelle von 1973
7. Die Lehrlingsbewegung
8. Gewerkschaftlich kontrollierter ökonomischer Klassenkampf
9. „Politische“ Streiks (1958-1972)

III. Klassenkämpfe in der strukturellen Profitproduktionskrise
1. Die strukturelle Profitproduktionskrise
2. Klassenkämpfe gegen Stellenstreichungen und Betriebsschließungen,
Betriebsbesetzungen
3. Tarifstreiks
4. „Politische“ Streiks (1983-1986)

Einleitung

Im 1. Teil von Klassenkämpfe in der BRD schildern wir die Konflikte zwischen Bourgeoisie und Proletariat in den Jahren von 1945 bis 1989. Der I. Abschnitt beschreibt, wie es der westdeutschen Bourgeoisie mit Hilfe der Besatzungsmächte – einschließlich der staatskapitalistischen Sowjetunion – und den führenden Organisationen der institutionalisierten ArbeiterInnenbewegung (SPD, „K“PD und DGB) gelang, den Privatkapitalismus zu restaurieren. In diesem Abschnitt werden auch die harten Arbeits- und Lebensbedingungen des Proletariats nach dem Zweiten Weltkrieg analysiert. Diese führten auch zu harten Klassenauseinandersetzungen, mit deren Schilderung der I. Abschnitt dieser Broschüre endet.
Der II. Abschnitt beschreibt die Klassenkämpfe während der beschleunigten Kapitalvermehrung, nachdem er diese Periode des bundesdeutschen Nachkriegsaufschwunges und des Kalten Krieges zwischen 1950 und 1973 grundsätzlich analysiert hat. Wir machen in diesem Abschnitt deutlich, dass sich das westdeutsche Nationalkapital auf Kosten der Knochen, Nerven und Emotionen des Proletariats vermehrt hat und dass es für einen nostalgisch-verklärenden Blick zurück auf diese Jahre nicht den geringsten Grund gibt. Allerdings waren diese Jahre auch – besonders die Jahre zwischen 1969 und 1973, das so genannte „proletarische 1968“ – von einer starken Zunahme des Klassenkampfes geprägt, die in diesem Abschnitt beschrieben und analysiert wird. Besonderer Augenmerk wird dabei auf die wilden Streiks gelegt, welche die proletarisch-klassenkämpferische Selbstorganisation ohne und gegen die Gewerkschaftsbürokratie zum Ausdruck brachte. Aber auch in den offiziell von den Gewerkschaftsapparaten geführten Klassenauseinandersetzungen standen die Bonzen teilweise ganz schön unter dem Druck der kämpferischen Basis, wie aus unseren Darlegungen ebenfalls ersichtlich wird. Auch die „politischen“ Streiks und die Lehrlingsbewegung werden von uns im II. Abschnitt unter die Lupe genommen.
Doch durch die vermehrten Produktionsmittelkosten in Folge des technologischen Fortschritts entwickelte sich auch in der BRD schon während des kapitalistischen Nachkriegsaufschwunges schleichend eine strukturelle Profitproduktionskrise, die durch den proletarischen Klassenkampf noch verschärft wurde. Diese strukturelle Profitproduktionskrise wurde in der Weltwirtschaftskrise von 1974/75 akut. Sie brachte auch eine chronische Massenarbeitslosigkeit mit sich, die auch in der BRD den proletarischen Klassenkampf erschwerte. Dies beschreiben wir in unserem III. Abschnitt.
Im 2. Teil von Klassenkämpfe in der BRD werden wir die Auseinandersetzungen zwischen Kapital und Lohnarbeit von 1990 bis 2017 schildern.

]]>
https://sbefreiung.blackblogs.org/2017/05/20/86/feed/ 0
Klassenkämpfe in Sowjetrussland (1917-1921) https://sbefreiung.blackblogs.org/2017/01/17/klassenkaempfe-in-sowjetrussland-1917-1921/ https://sbefreiung.blackblogs.org/2017/01/17/klassenkaempfe-in-sowjetrussland-1917-1921/#respond Tue, 17 Jan 2017 14:33:06 +0000 http://sbefreiung.blogsport.de/2017/01/17/klassenkaempfe-in-sowjetrussland-1917-1921/ Zum 100. Jahrestag des Beginns der russischen Revolution veröffentlichen wir den ersten einer ganzen Reihe von Texten. Dies geschieht unter der gemeinsamen Überschrift „Klassenkämpfe in Sowjetrussland (1917-1921)“. Im ersten Text werden Klassenkämpfe im zaristischen Russland beschrieben. Die gesamte Broschüre „Schriften zur russischen Revolution (1917-1921)“ könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de bestellen.

1. Klassenkämpfe im zaristischen Russland

Das vorrevolutionäre Russland war ein Agrarstaat, aber bereits eine Übergangsgesellschaft vom Feudalismus zum Kapitalismus. Es war in der Entwicklung im Vergleich zu Westeuropa und Nordamerika weit zurückgeblieben in seiner technologischen und sozialökonomischen Entwicklung. Doch mit der Entwicklung des kapitalistischen Weltmarktes ist auch die Geschichte von Nationalstaaten eine Teilgeschichte des globalen Kapitalismus. Zurückgebliebene Nationalstaaten wiederholen nicht sklavisch die Geschichte der fortgeschrittenen Nationen. Der globale Konkurrenzkampf der Nationalstaaten zwingt die Regierenden der unterentwickelten Nationen ihre eigene Entwicklung zu beschleunigen – wenn sie nicht im wirtschaftlichen, politisch-diplomatischen und militärischen Gerangel ständig das Nachsehen haben wollen. Außerdem besteht die Möglichkeit rückständiger Nationalstaaten die modernsten technologischen Fortschritte der grundsätzlich sozialreaktionären kapitalistischen Zivilisationsbarbarei fertig zu übernehmen, anstatt sie selbst zu entwickeln. Denn die stärkste Waffe im globalen Konkurrenzkampf der Nationalstaaten war und ist eine hohe Arbeitsproduktivität –also war und ist die Fabrik als proletarische Hölle die Grundlage für nationalstaatliche Himmelstürmerei.
Auch das zaristische Russland versuchte seinen Agrarsektor auf bürgerliche Weise zu modernisieren und die Industrialisierung des Landes in Angriff zu nehmen. Dabei wollten aber die Regierenden eine politische Transformation von der zaristischen Autokratie, welche sich im 18. Jahrhundert herausentwickelt und die im 19. Jahrhundert ausgebaut wurde, zur privatkapitalistischen Demokratie verhindern. Doch das zaristische Russland konnte die bürgerliche Modernisierung nur in Angriff nehmen, die letztendliche Umwandlung von einem Agrar- zu einem Industriestaat vollzogen erst die partei-„kommunistischen“ BerufspolitikerInnen auf Grundlage staatskapitalistischer Produktionsverhältnisse (siehe dazu die Broschüre: Nelke, Der sowjetische Staatskapitalismus und Imperialismus, Soziale Befreiung, Bad Salzungen 2012).
Eine bürgerliche Modernisierung der Landwirtschaft, welche der zaristische Staat bereits in Angriff nahm, bedeutete die Aufhebung der Leibeigenschaft und die Verwandlung allen Bodens in potenzielles Kapital, auf dem AgrarkapitalistInnen das Landproletariat ausbeuten. Selbstverständlich gibt es auch in einer kapitalisierten Landwirtschaft noch KleinbäuerInnen. Absolut unvereinbar ist eine kapitalistische Landwirtschaft mit den urwüchsigen BäuerInnengemeinden kleiner PrivateigentümerInnen, die selbstgenügsam fast alles produzierten was sie brauchten und nur die Überschüsse in Waren verwandelten. Kapitalistische Landwirtschaft heißt auch Agrarproduktion für den Markt und die Verwandlung von BäuerInnen in Marktsubjekte, welche für den globalen Agrarmarkt produzieren und auf den Lebensmittel- und Agrartechnikmärkten konsumieren. In England entwickelte sich der Agrarkapitalismus im 16. Jahrhundert auf dem Friedhof der urwüchsigen BäuerInnengemeinde kleiner PrivateigentümerInnen, der Allmende. Die ehemals adligen GroßgrundbesitzerInnen verbürgerlichten und verpachteten den Boden an AgrarkapitalistInnen. Beide Klassen lebten von der Ausbeutung des Landproletariats.
Die Kapitalisierung der Landwirtschaft war im zaristischen Russland Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts noch lange nicht soweit gediegen. Eine wichtige Bedingung für die bürgerliche Modernisierung der Landwirtschaft und die Bereitstellung von Lohnarbeitskräften für die beginnende Industrialisierung war die Aufhebung der Leibeigenschaft am 19. Februar 1861. Doch die meist adeligen GroßgrundbesitzerInnen beherrschten den Boden, AgrarkapitalistInnen gab es im zaristischen Russland so gut wie gar nicht, lediglich einige GroßbäuerInnen, welche embryonal die Lohnarbeit von Knechten und Mägden ausbeuteten. Das Landproletariat bestand am Vorabend der russischen Revolution lediglich aus fünf Millionen Menschen. Allerdings besaß auch die russische Bourgeoisie vor der Revolution schon vereinzelt Boden.
Leo Trotzki schrieb über die Bodenverteilung vor der Revolution von 1905, auf die wir weiter unten noch kurz eingehen werden: „Die Gesamtzahl des nutzbaren Bodens in den Grenzen des europäischen Russland wurde am Vorabend der ersten Revolution (von 1905, Anmerkung von Nelke) auf 280 Millionen Deßjatinen geschätzt. Der Boden der Dorfgemeinden umfasste etwa 140 Millionen, die Kronländereien etwa 5 Millionen, Kirchen- und Klosterbesitz etwa 2 ½ Millionen Deßjatinen. Von dem Privatbesitz an Boden entfielen auf 30 000 Großgrundbesitzer, von denen jedem über 500 Deßjatinen gehörte, 70 Millionen Deßjatinen, das heißt die gleiche Zahl, über die annähernd 10 Millionen Bauernfamilien verfügten. Diese Bodenstatistik bildete das fertige Programm des Bauernkrieges.“ (Leo Trotzki, Geschichte der Russischen Revolution, Erster Teil: Februarrevolution, Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1982, S. 48.)
Bevor wir zur Agrarrevolte als Teil der Revolution von 1905 zu sprechen kommen wollen wir uns mit der Entwicklung des russischen Industriekapitalismus und des proletarischen Klassenkampfes beschäftigen. Der eigentliche Beginn der kapitalistischen Industrialisierung Russlands fiel in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts. Zentren der Industrie in Russland wurden die Hauptstadt Petrograd, Moskau, die Bergbaubetriebe im Donezgebiet, die Hüttenwerke am Don und die Schwarzmeer-Küstengebiete. Zwischen 1860 und 1900 steigerte Russland seine Eisen- und Stahlproduktion um das Zehnfache. Auch die Erdölförderung bei Baku konnte zwischen 1870 und 1900 von 1,8 auf 632 Millionen Pud (1 Pud=16Kg) gesteigert werden.
Eine besondere Eigentümlichkeit der sozialökonomischen Entwicklung Russlands im Vergleich mit Westeuropa war, dass sich hier vor dem Beginn der kapitalistischen Industrialisierung das Handwerk noch nicht grundsätzlich vom Ackerbau getrennt hatte. Die Folge dessen war das weitgehende Fehlen der handwerklich-zünftigen Tradition in den russischen Städten. Wie wir bereits oben dargelegt haben, wiederholen die unterentwickelten Nationalstaaten nicht schematisch die Geschichte der hoch entwickelten Nationalstaaten. So entwickelte sich in Russland der Industriekapitalismus sofort als Großproduktion auf dem technologisch modernsten Stande. Die Konzentration und Zentralisation des Kapitals war in Russland weiter fortgeschritten als in den USA. Während in den Vereinigten Staaten 1914 die ProletarierInnen, welche in kleinen Betrieben mit einer Beschäftigtenzahl von unter 100 ArbeiterInnen produzierten, 35 % des gesamten Industrieproletariats darstellten, waren in Russland zur gleichen Zeit nur 17,8 % der industriellen Arbeitskräfte in Kleinbetrieben beschäftigt. Der prozentuale Anteil von IndustriearbeiterInnen in mittleren und größeren Unternehmen mit 100 bis 1000 Arbeitskräften am jeweiligen Gesamtproletariat war in beiden Staaten ungefähr gleich. Doch die IndustrieproletarierInnen, welche in Riesenbetrieben mit über 1000 Arbeitskräften ausgebeutet worden sind, stellten in Russland 41,4 % der gesamten industriellen ArbeiterInnenklasse dar, während in den USA der Prozentsatz der ArbeiterInnen von Riesenbetrieben am gesamten Industrieproletariat bei 17,8% lag. In den wichtigsten russischen Industriestädten Petrograd (44,4%) und Moskau (57,3%) stellten die industriellen Beschäftigten in Riesenunternehmen sogar noch einen größeren Teil am Gesamtproletariat.
Diese hohe Konzentration und Zentralisation des quantitativ noch sehr schwach ausgeprägten Industriekapitals hatte sehr hohen Einfluss auf die soziale Zusammensetzung des russischen Industrieproletariats. Die Konzentration in Riesenfabriken begünstigte den kollektiven Klassenkampf und die Entstehung von Massenorganen des selbstorganisierten Klassenkampfes. Dieser Fakt erklärt die große Klassenkampfsubjektivität des russischen Industrieproletariats, zu dem am Vorabend der Februarrevolution von 1917 nicht viel mehr als 3,5 Millionen Menschen gehörten.
Die hohe Konzentration des zahlenmäßig kleinen russischen Proletariats in Riesenbetrieben war auch Ausdruck vom weitgehenden Fehlen einer handwerklich-zünftigen Tradition des russischen Proletariats. Während zum Beispiel das Proletariat in westlichen Industriestaaten mit Gesellen und TagelöhnerInnen im Kleinhandwerk einen relativ starken kleinbürgerlich-handwerklichen Schwanz besaß, war die kleinbürgerlich-handwerkliche Tradition des russischen Proletariats verhältnismäßig schwach. Auch das wirkte sich positiv auf die Kampfkraft des russischen Proletariats aus, da bei den russischen ArbeiterInnen berufsständischer Kastengeist als eine Folge der handwerklich-zünftigen Tradition wesentlich geringer zu finden war als bei ihren westeuropäischen KollegInnen. Dafür war die bäuerliche Tradition des russischen Proletariats wesentlich größer als in den westeuropäischen Industriestaaten. Auch ein nicht geringer Teil des industriellen Proletariats wurde von bäuerlichen Saisonarbeitskräften gestellt, also von frisch proletarisierten Menschen, welche die Fabrikdisziplin noch relativ schwach verinnerlicht hatten. Dies ist eine Erklärung für die große Kampfkraft des quantitativ schwachen russischen Proletariats.
Auch waren die russischen IndustriearbeiterInnen dem despotischen zaristischen Regime unterworfen und noch keine doppelt freien LohnarbeiterInnen wie in den hoch entwickelten kapitalistischen Industriestaaten. Diese waren einerseits frei von Produktionsmitteln und andererseits verfügten sie frei über ihre Persönlichkeit. Diese doppelte Freiheit führte und führt in kapitalistischen Industriestaaten bei den proletarisierten Menschen zu dem stummen Zwang der Verhältnisse, ihre Arbeitskraft an die verschiedenen kapitalistischen ProduktionsmittelbesitzerInnen zu vermieten. Ihre sozialökonomische Ausbeutung besteht darin, dass die LohnarbeiterInnen für das Kapital viel mehr Wert produzieren, als den, den sie in Form des Lohnes als Mietpreises der Arbeitskraft ausgezahlt bekommen. Der vom Proletariat produzierte Teil des Wertes, den sich die KapitalistInnen aneignen, ist der Mehrwert.
Die freie Verfügung über ihre Persönlichkeit durch die LohnarbeiterInnen in demokratischen Industriestaaten ist also nichts anderes als die Marktsubjektivität von proletarisierten Menschen, die ihre eigene Haut zu Markte tragen müssen, welche dann auch im kapitalistischen Produktionsprozess in der Regel kräftig gegerbt wird. Obwohl aber die freie Marktsubjektivität der LohnarbeiterInnen zur Ausbeutungsobjektivität führt, dazu, dass sie zu einem Anhängsel der kapitalistischen Maschinerie werden, die entfremdet von den Produktionsmitteln für eine andere Klasse, die Bourgeoisie, fremdbestimmt Warenkapital produzieren, ist diese elende Marktsubjektivität auch Quelle von Freiheitsillusionen und kleinbürgerlicher Tendenzen beim Lohnproletariat. Die freie Marktsubjektivität kultiviert im proletarisierten Menschen nicht gerade selten den Kleinkrämer, der sich selbst auf dem Arbeitsmarkt völlig ausverkauft, die eigenen Bedürfnisse dabei oft so sehr verleugnend, dass er sie selbst kaum noch wahrnimmt, damit er nach außen immer schön „selbstbewusst“ und „aktiv“ auftreten kann. Gewerkschaften, diese Co-Managerinnen der kapitalistischen Ausbeutung, verstärken diese kleinbürgerlichen Tendenzen im Proletariat noch. Der Gewerkschaftskleinbürger verlangt dann gutes Geld für gute Arbeit, die Ware-Geld-Beziehung und die darauf beruhende produktive Tätigkeit als Lohnarbeit wird total verinnerlicht. Natürlich muss das Proletariat einen reproduktiven Klassenkampf führen, damit es nicht vom Kapital überausgebeutet wird und dieser Klassenkampf hat auch seine revolutionären Tendenzen, die von SozialrevolutionärInnen nicht gering geschätzt werden sollten. Aber genau so wenig darf die kleinbürgerliche Marktsubjektivität von doppelt freien LohnarbeiterInnen, welche auch noch im Klassenkampf mehr oder weniger reproduziert wird und nur durch die soziale Revolution überwunden werden kann, übersehen werden.
Nun, getrennt von den industriellen Produktionsmitteln waren die russischen LohnarbeiterInnen auch, allerdings war die freie Verfügung über ihre Persönlichkeit, also ihre Marktsubjektivität, stark eingeschränkt. Es gab im zaristischen Russland so etwas wie industrielle Leibeigenschaft – eine Tradition, welche der „sozialistische“ Staatskapitalismus verstärkt bei der ursprünglichen Industrialisierung der UdSSR fortsetzte. Ausdrücke von Anzeichen einer industriellen Leibeigenschaft waren im zaristischen Russland ein besonderes Lohnzahlungssystem, die teilweise Kasernierung der ArbeiterInnen und ein ultrarepressives Sozialgesetz. Diese Einschränkung der freien Marktsubjektivität der russischen LohnarbeiterInnen führte aber auch dazu, dass ihre kleinbürgerlichen Tendenzen relativ gering blieben, die despotische politische Unterdrückung durch das zaristische Regime aber den Kampfwillen des russischen Proletariats stärkte.
Für die russische Bourgeoisie bedeutete die hohe Konzentration und Zentralisation des Kapitals bei einem weitgehenden Fehlen einer handwerklich-zünftigen Tradition der russischen Städte, dass es zwischen ihr und dem Proletariat eine verhältnismäßig dünne Schicht von ökonomisch selbständigen KleinbürgerInnen gab. Allerdings gab es auch in Russland jenes von Bourgeoisie und/oder Staat lohnabhängige KleinbürgerInnentum, welches erst der Kapitalismus hervorbrachte und bis heute ständig erneuert reproduziert, bestehend aus den technischen und den unteren bis mittleren verwaltenden Angestellten der Bourgeoisie und den kleineren Staatsbeamten und -angestellten.
Außerdem waren die BesitzerInnen des hoch konzentrierten und zentralisierten russischen Kapitals häufig AusländerInnen, die sich durch ihre nationale Diplomatie beim russischen Staat vertreten ließen. Das erklärt auch das geringe Interesse der ausländischen Bourgeoisie an der Weiterentwicklung des kläglichen bürgerlichen Parlamentarismus (Duma), welcher am Rande des zaristischen Selbstherrschertums dahinvegetierte. In dieser Karikatur eines funktionierenden bürgerlichen Parlamentarismus war der politische Einfluss der liberalen Industriebourgeoisie geringer als der der vorwiegend adligen GroßgrundbesitzerInnen. Das Wahlgesetz von 1907 begünstigte eindeutig die GroßgrundbesitzerInnen, welche zur herrschenden, praktisch alles entscheidenden Gruppe wurden. Die liberale Bourgeoisie passte sich politisch immer stärker dem Zarismus und den GroßgrundbesitzerInnen an. Selbst die großbürgerlichen politischen Parteien (Kadetten und Oktobristen) waren organisatorische Bündnisse von russischer Großbourgeoisie, kleinbürgerlicher Intelligenz und GroßgrundbesitzerInnen.
Ein Teil des Großkapitals, besonders jener, welcher für die Bedürfnisse der russischen Armee produzierte, befand sich entweder in direkter staatlicher Hand oder produzierte im Staatsauftrag. War schon das angehäufte Industriekapital im zaristischen Russland absolut bescheiden, war der Teil über den die russische Bourgeoisie wirklich selbständig als soziale Kraft verfügte, noch schwächer. Das russische Kapital war also ein sozialökonomisches Verhältnis, was zwar noch nicht Russland beherrschte, aber schon durch starke Klassenkämpfe zwischen einer sozial schwachen und politisch unselbständigen Bourgeoisie und einem zwar zahlenmäßig schwachen aber dafür kampfstarken Proletariat geprägt war. Dieses russische Industriekapital als Verhältnis zwischen Bourgeoisie und Proletariat war aber vor 1917 nur eine Insel im noch vorwiegend feudal geprägten zaristischen Agrarstaat.

…..

Schon im Jahre 1905 wollte und konnte weder das Proletariat noch die Mehrheit der BäuerInnen so weiter leben wie bisher. Es entwickelte sich eine revolutionäre Situation, die schließlich in einem Revolutionsversuch mündete, der jedoch noch einmal von der zaristischen Sozialreaktion niedergeschlagen werden konnte.
Beschreiben wir die Revolution von 1905 als Generalprobe zur russischen Revolution von 1917 bis 1921 etwas genauer. Der erfolglose Krieg des zaristischen Russlands gegen Japan verschärfte alle sozialen Gegensätze im Inneren des Landes. Anfang Januar 1905 (alle Zeitangaben bis zur Oktoberrevolution erfolgen nach dem alten russischen Kalender) legte die Belegschaft des Petrograder Putilow-Werkes – des größten russischen Rüstungsunternehmens – die Arbeit nieder. Die zaristische Repression schlug sofort zu. Es wurden vier ArbeiterInnen wegen subversiver Tätigkeit eingesperrt. Doch damit steigerte das zaristische Regime nur die soziale Gärung unter den ArbeiterInnen.
In dieser Situation der sozialen Spannung organisierte der Pope Gapon am 22. Januar 1905, an einem Sonntag, ein Bittgang aus 100 000 ArbeiterInnen zum Zarenpalais. Obwohl der Organisator dieses devoten Aufmarsches, Gapon, Vorsitzender der von der zaristischen Polizei gesteuerten „Gesellschaft russischer Industrie- und Mühlenarbeiter“ war, ging die Reaktion zur blutigen Repression über. Der Polizeipräsident ließ auf den Bittgang schießen. Dieser Tag ging als „Blutsonntag“ in die russische Geschichte ein und wurde zum Fanal der Revolution von 1905.
Eine gewaltige proletarische Streikwelle überflutete Russland. Zuerst wurden von den ArbeiterInnen vorwiegend sozialökonomische Forderungen aufgestellt, doch in den Randgebieten des Zarenreiches – in Polen, im Baltikum und im Kaukasus – hatte das Proletariat Illusionen in die „nationale Befreiung“. Doch das Aufstellen von nationalistischen Losungen machte die ArbeiterInnen objektiv zum proletarischen Schwanz des bürgerlichen Nationalismus.
Im Sommer 1905 verebbte diese Streikwelle etwas, entfaltete aber im Herbst verstärkt ihre Kraft. Der neue Aufschwung des proletarischen Klassenkampfes ging diesmal von den Industriebezirken Moskaus aus und griff dann auch auf Petrograd über. Durch die Arbeitsniederlegung des Eisenbahnproletariats nahm der Klassenkampf die Form eines Generalstreikes an. Mit dem reproduktiven Klassenkampf des russischen Proletariats entwickelten sich auch die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung, die Gewerkschaften. Im demokratischen Kapitalismus wurde die Gewerkschaftsbürokratie zur Co-Managerin der kapitalistischen Ausbetung, doch selbst in den USA und in Westeuropa war diese Entwicklung im Jahre 1905 noch in den Anfangsstadien. Das zaristische Russland dachte nicht im Geringsten daran, den Gewerkschaften diese Rolle zuzugestehen. Doch die Gewerkschaften blieben im Schatten der ArbeiterInnenräte, die sich auf dem Höhepunkt der Streikwelle entwickelt hatten. Der Klassenkampf blieb objektiv reproduktiv, weil er nicht in einer sozialen Revolution mündete, doch nicht wenige russische ArbeiterInnen waren damals subjektiv revolutionär eingestellt.
Auf dem Lande entwickelte sich die Agrarrevolte der russischen BäuerInnen. Es überwogen auch hier sozialökonomische Forderungen, wobei diese in den Randgebieten mit den ideologischen Reproduktionen des Nationalismus „unterdrückter Nationen“ verschmolzen. Doch diese Nationalismen „unterdrückter Nationen“ waren genau so sozialreaktionär wie der russische Nationalismus. Insgesamt gesehen war die Agrarrevolte kleinbürgerlich, da sie auf die Enteignung des Großgrundbesitzes zu Gunsten kleinbäuerlichen Privateigentums zielte. Sie entwickelte sich zuerst im Zentrum Russlands, griff dann auf das ganze russische Schwarzerdgebiet über und erreichte schließlich im Sommer 1905 den Westen des Landes bis hinauf zum Baltikum. Auch jenseits des Kaukasus, in Georgien, rebellierten die BäuerInnen. Im Herbst beruhigte sich der Sturm der Agrarrevolte etwas, doch er holte nur Atem zum neuen Brausen. Das Zentrum des mit neuer Kraft entflammten bäuerlichen Protestes wurde das mittlere Wolgagebiet. Der BäuerInnenkrieg dehnte sich rasch auf das ganze Land aus. Die Agrarrevolte nahm die Formen von Zahlungsverweigerungen der Steuern und Abgaben, der Inbesitznahme der adligen Felder und Wälder und des Abbrennens von Gutshöfen an.
Doch die zaristische Sozialreaktion hatte im Jahre 1905 noch die Kraft, den Kampf des Proletariats und der BäuerInnen in Blut zu ersticken. Im Dezember 1905 wurden die Mitglieder des Petrograder ArbeiterInnenrates verhaftet, dass sich daraufhin erhebende Moskauer Proletariat konnte bis Ende des Jahres von der Konterrevolution niedergeschlagen werden. Mit der Erstickung der Agrarrevolte war die zaristische Reaktion bis 1907 beschäftigt.
Die sozialökonomischen Verbesserungen, die sich das russische Proletariat im Jahre 1905 erkämpft hatte, wurden ihm durch die siegreiche Sozialreaktion nach und nach wieder genommen. Streiks blieben weiterhin verboten. Doch das hielt die russischen ArbeiterInnen nicht davon ab, trotzdem massenhaft die Arbeit niederzulegen. Besonders die seit 1910 einsetzende Belebung der russischen Industrie gab auch dem proletarischen Klassenkampf neuen Auftrieb. Dieser Klassenkampf trieb zwischen 1912 und 1914 wieder einem neuen Höhepunkt entgegen. Besonders im ersten Halbjahr 1914 nahmen die (anti-)politischen Streiks gegen die zaristische Reaktion enorm zu.
Bis 1914 erholte sich also das russische Proletariat weitgehend von der Niederlage von 1905. Deshalb beteiligte sich auch das zaristische Russland unter anderem an der Seite von England und Frankreich am imperialistischen Ersten Weltkrieg. Der imperialistische Krieg und die in ihm sprießenden chauvinistischen und nationalistischen Ideologien stärken häufig zumindest am Anfang die Bourgeoisie und schwächen das klassenkämpferisch-progressive Proletariat. So war es auch im zaristischen Russland.
Doch dieses war den Anforderungen des imperialistischen Kriegsgemetzels als dem konzentriertesten Ausdruck der globalen Konkurrenz der Nationalstaaten und der kapitalistischen Zivilisationsbarbarei nicht gewachsen. Die militärische Offensive des zaristischen Russland in Richtung Westen kam schon im Herbst 1914 zum Stehen, ab 1915 waren die Fronten festgefahren. Bis zu Beginn dieses Jahres verlor die vorwiegend bäuerliche Armee bereits 1,8 Millionen Soldaten durch Tod, Verwundung und Kriegsgefangenschaft. Der russische Imperialismus rekrutierte vorwiegend aus den Dörfern zwei Millionen Männer, neues Kanonenfutter. Doch die Ausbildung und die Bewaffnung der neu rekrutierten Soldaten waren äußerst mangelhaft, da die die Armeeführung nur mit einem kurzen Krieg gerechnet hatte. Auch die industrielle Basis des russischen Militarismus erwies sich für die moderne Kriegsbarbarei als zu schwach –trotz der Umstellung vieler ziviler Unternehmen auf Kriegsproduktion. Während auch die russische Bourgeoisie prächtig am globalen Gemetzel verdiente, fraß er die finanziellen Ressourcen des russischen Staates auf. Der Erste Weltkrieg kostete dem zaristischen Russland im Jahre 1915 zehn Milliarden Rubel und 1916 bereits neunzehn Milliarden Rubel.
Das Imperialistische Kriegsgemetzel brachte auch für das russische Proletariat eine verschärfte Überausbeutung und eine weitgehende soziale Neuzusammensetzung. Die Rekrutierung für den imperialistischen Krieg innerhalb des russischen Proletariats nahm der Zarismus am Anfang nicht nur nach militärischen Maßstäben, sondern auch nach polizeilichen Gesichtspunkten vor. Die zaristische Sozialreaktion nutzte das globale Gemetzel, um die klassenkämpferischsten Arbeiter loszuwerden und an die Front zu schicken. In den ersten Kriegsmonaten wurden bis zu 40% des Industrieproletariats für die russische Armee rekrutiert. Die russische Bourgeoisie protestierte schließlich erfolgreich gegen den gewaltigen Aderlass an „ihren“ Profitproduzenten. Die massenhafte Rekrutierung von Industriearbeitern für das militärische Schlachtfeld wurde gestoppt, aber als Drohung für den Fall des Klassenkampfes leistete sie der Sozialreaktion noch wichtige Dienste. Das an die Front Schicken von klassenkämpferischen Arbeitern lähmte zuerst den proletarischen Klassenkampf. Die zweite Seite der Medaille war allerdings, dass dadurch klassenbewusste Proletarier den bereits existierenden sozialen Unmut ihrer zumeist bäuerlichen Kameraden innerhalb der Armee weiter entfachen und eine klarere Richtung geben konnten. Das war für den weiteren Verlauf des revolutionären Prozesses in Russland nicht unwichtig.
Doch die für den imperialistischen Krieg rekrutierten Industriearbeiter mussten ersetzt werden. Die Bourgeoisie rekrutierte neue SoldatInnen für den sozialökonomischen Krieg um Maximalprofite aus BäuerInnen, dem städtischen KleinbürgerInnentum, weniger qualifizierten ArbeiterInnen, Halbwüchsigen und den Frauen. Der Frauenanteil am Industrieproletariat stieg durch den imperialistischen Krieg von 32% auf 40%. Auch die Konzentration der russischen IndustriearbeiterInnen in Riesenunternehmen wurde durch das globale Gemetzel beschleunigt. Zwischen 1914 und 1917 stieg die Anzahl der Großbetriebe mit über 500 ArbeiterInnen fast um das Doppelte. Wegen der Liquidierung der polnischen und baltischen Industriebetriebe und der allgemeinen Zunahme der Kriegsproduktion wuchs das Petrograder Proletariat bis 1917 auf etwa 400 000 ArbeiterInnen, davon wurden 350 000 in 140 Großbetrieben ausgebeutet. Bis zu 50% des Ausstoßes der russischen Industrie war für das Kriegsgemetzel bestimmt, darunter 75 Prozent der Textilprodukte.
Die soziale Neuzusammensetzung des russischen Proletariats schwächte zuerst dessen Kampfkraft. Die ideologische Kriegsoffensive der Sozialreaktion mit ihrem großrussischen Nationalismus und Chauvinismus lähmte das Proletariat geistig. Die subjektiv sozialrevolutionären ArbeiterInnen – der proletarische Flügel des Anarchismus und des Parteimarxismus, über beide Strömungen mehr weiter unten – hatten zu Beginn des Krieges einen sehr schweren Stand in den Betrieben. Allein dass in der Industriestadt Moskau der städtische Mob unter Aufsicht der zaristischen Polizei im Mai 1915 ein Pogrom gegen die deutsche Bevölkerung organisieren konnte, ohne dass dieses reaktionäre Pack auf proletarischen Widerstand stieß, zeigte dass der imperialistische Krieg am Anfang auch ein erfolgreiches Mittel des Zarismus und der Bourgeoisie war, um den proletarischen Klassenkampf einzudämmen.
Doch die Überausbeutung und die soziale Verelendung konnten auch von den frisch proletarisierten Menschen nicht kampflos hingenommen werden. Die Teuerungen bei den Lebensmitteln übten einen gewaltigen Druck auf die Reallöhne aus, während die Jagt nach dem Kriegsprofit zu einer Extensivierung (Verlängerung der Arbeitszeit) und/oder Intensivierung (Erhöhung der Arbeitsintensität/Arbeitsverdichtung) der Ausbeutung führte. Im Juni 1915 trat als erstes das Textilproletariat in den Kampf. Die Bullen reagieren mit Gewalt, am 5. Juni schossen sie in Kostroma auf TextilarbeiterInnen. Die WeberInnen hatten 4 Tode und 9 Verwundete zu beklagen. Am 10. August wurden in Iwanowo-Wosnessenk von den Repressivorganen 16 ProletarierInnen erschossen und 30 verwundet. Als Antwort auf den zaristischen Bullenterror entwickelten sich einige Proteststreiks. Doch verglichen mit dem ersten Halbjahr von 1914 wies dieses neue Aufflackern des Klassenkampfes im Jahre 1915 ein wesentlich geringeres Niveau auf.
Am 9. Januar 1916, dem elften Jahrestag des „Blutsonntages“ von 1905, entwickelt sich eine umfangreiche Streikbewegung. Blutige Zusammenstöße zwischen ArbeiterInnen und zaristischen Repressionsorganen begleiteten die Arbeitsniederlegungen. Während die ProletarierInnen versuchten die Soldaten auf ihre Seite zu ziehen, kämpften sie kompromisslos und voller Hass gegen die zaristische Polizei.
Ende 1916 kam es zu gewaltigen Preissteigerungen. Zur Inflation und der wachsenden Zerstörung der Transportwege kam ein akuter Warenmangel dazu. Der Konsum der russischen Bevölkerung nahm um die Hälfte ab. Auf Grund der Verelendung nahm der proletarische Klassenkampf stark zu. Oktober 1916 erreichte der Kampf des Petrograder Proletariats seinen Höhepunkt. Eine Welle von Betriebsversammlungen überschwemmte die russische Hauptstadt. Themen der Betriebsversammlungen waren die Teuerungen, die Ernährung, der Krieg und das zaristische Regime. (Anti-)politische Streiks entwickelten sich. Diese wurden durch kämpferische Straßendemonstrationen gekrönt. Es kam zu Verbrüderungen zwischen IndustriearbeiterInnen und Soldaten. Als die revolutionären Matrosen der baltischen Flotte, die gegen den imperialistischen Krieg gemeutert hatten, vor Gericht gestellt wurden, brachen Solidaritätsstreiks aus.
Mit der Verschärfung des proletarischen Klassenkampfes verschob sich auch sein sozialer Schwerpunkt von den Textil- zu den MetallarbeiterInnen. Am 9. Januar 1917 streikten in Petrograd 150 000 ArbeiterInnen. Die MetallarbeiterInnen standen an der Spitze dieser Arbeitsniederlegung. Die Atmosphäre war stark erhitzt, das kollektive Empfinden der Klasse erspürte, dass es kein Zurück geben konnte. In den ersten zwei Februarwochen entwickelten sich permanent Streiks und Versammlungen. Die russische Hauptstadt ging der Februarrevolution entgegen.
Das Bewusstsein der ArbeiterInnenklasse radikalisierte sich im Verlauf des imperialistischen Gemetzels und des neu entfachten proletarischen Klassenkampfes. Der Gedanke an einen Generalstreik erfasst immer mehr Gehirne des klassenkämpferischen Proletariats, da die einzelnen Bourgeois kaum an Konzessionen an die jeweiligen Belegschaften dachten. Auch die feindliche Haltung gegenüber dem zaristischen Staat nahm zu. Während sich im Jahre 1915 zweieinhalb Mal weniger ArbeiterInnen an (anti-)politischen Streiks als an sozialökonomischen Streiks beteiligen, waren es 1916 zwei Mal weniger. In den ersten beiden Monaten von 1917 streikten sechs Mal mehr ArbeiterInnen für (anti-) politische Forderungen als für sozialökonomische. Das klassenkämpferische russische Proletariat konnte also weder durch die vorübergehend siegreiche Konterrevolution von 1905 noch durch das imperialistische Kriegsgemetzel für lange zum Schweigen gebracht werden!
Doch wie sah es auf dem Lande, wo die bäuerliche Bevölkerungsmehrheit Russlands lebte, aus? Nachdem der Zarismus die Revolution von 1905 niedergeschlagen hatte, setzte er die kapitalistische Modernisierung der Landwirtschaft fort. Sein sozialreaktionäres Ziel bestand darin, durch die soziale Differenzierung der BäuerInnen die Agrarrevolte gegen die GroßgrundbesitzerInnen im Keim zu ersticken. Dieses Ziel sollte durch die Zersetzung und Zerstörung der urwüchsigen russischen Bauerngemeinschaft kleiner PrivatbodenbestellerInnen, der Mir, erreicht werden. Diese Zerstörung der alten Dorfgemeinschaft war neben der Aufhebung der Leibeigenschaft die zweite wichtige Voraussetzung der Kapitalisierung der Landwirtschaft.
Doch vor der dritten Vorraussetzung, einer Bodenreform, welche den gutsbesitzenden Adel enteignet hätte, schreckte der Zarismus zurück. Auf Grund der Kräftegruppierung von zaristischer Staatsbürokratie, GroßgrundbesitzerInnen und Bourgeoisie war keine obere Klasse eine Fürsprecherin der Bodenreform. Die GroßgrundbesitzerInnen waren aus sozialökonomischen Gründen gegen eine solche, die zaristische Bürokratie stützte sich politisch auf die GroßgrundbesitzerInnen und die russische Bourgeoisie klammerte sich in ihrer sozialen Schwäche im Klassenkampf gegen das Proletariat lieber an die zaristische Bürokratie und die GroßgrundbesitzerInnen als die Agrarrevolte gegen den Großgrundbesitz zu unterstützen. Eine Bodenreform von oben war aber nicht nur absolut notwendig um die russische Landwirtschaft endgültig zu entfeudalisieren, sondern auch um einer Agrarbewegung gegen den Großgrundbesitz wirklich die soziale Wurzel zu entziehen. Die beginnende Zerstörung der Mir führte zu einer Durchdringung des Feudalismus mit kapitalistischen Elementen, aber nicht zu einer sozialen Austrocknung des BäuerInnenkrieges gegen den Großgrundbesitz. So entwickelte sich die gewaltige kleinbürgerliche Agrarrevolte als Teil der russischen Revolution und als ein klarer Ausdruck der Tatsache, dass das Kalkül der zaristischen Sozialreaktion nicht aufging.
Doch kehren wir zurück zur vorrevolutionären russischen Landwirtschaft. Der Prozess der Zersetzung der Mir begann mit der Aussonderung kapitalistischer FarmerInnen aus der BäuerInnengemeinde. Das Gesetz vom 9. November 1906 bildete dazu die rechtliche Grundlage. Es sicherte einer Minderheit der Mir das Recht zu, sich aus der BäuerInnengemeinschaft auszusiedeln. Die Oberschicht der BäuerInnen konnte sich Gemeindeland aneignen und zu kapitalistischen FarmerInnen werden. Die Mir wurde durch die zaristische Sozialreaktion auch relativ erfolgreich zersetzt und die Kapitalisierung der Landwirtschaft begann ebenfalls, aber beides eben noch nicht so stark, um einer kleinbäuerlichen Agrarbewegung gegen den Großgrundbesitz dem Boden zu entziehen. Bis zum 1. Januar 1916 sonderten sich zweieinhalb Millionen PrivatbäuerInnen aus der Mir aus. Sie besaßen 17 Millionen Deßjatinen. Weitere zwei Millionen HofbesitzerInnen forderten die Ausgliederung von 14 Millionen Deßjatinen Gemeindeland. Doch das neu geschaffene Privateigentum erwies sich nicht als genügend lebensfähig. Die kleinen BäuerInnen und die GroßgrundbesitzerInnen versuchten gleichermaßen ihr Privateigentum loszuwerden – die GroßbäuerInnen (Kulaken) traten in beiden Fällen als KäuferInnen auf. Die GroßgrundbesitzerInnen verkauften, weil sie Angst vor der Agrarrevolte hatten, die KleinbäuerInnen weil der Boden sie nicht mehr ernähren konnte.
Mit der sozialreaktionären Zersetzung der Mir begannen sich auch Genossenschaften als kleinbürgerlich-kollektive Formen der agrarischen Warenproduktion zu entwickeln. Diese Agrargenossenschaften wurden vollständig von den GroßbäuerInnen beherrscht. Auch die kleinbürgerliche Intelligenz der „sozialrevolutionären“ Partei, welche sich politisch und ideologisch auf die BäuerInnen stützte, konzentrierte ihre Hauptkraft auf diese Landwirtschaftskooperativen. Dadurch verlor die „sozialrevolutionäre“ Intelligenz ihre Radikalität und passte sich immer stärker den sich entwickelnden Agrarkapitalismus an. Die spätere konterrevolutionäre Rolle der „sozialrevolutionären“ Partei wurde durch diese Anbindung an die sich kapitalisierende Landwirtschaft vorbereitet.
Ein ökonomischer Ausdruck der begonnen Kapitalisierung der russischen Landwirtschaft war der Anstieg des Exportes russischer Agrarprodukte. Exportierte Russland 1908 Agrarprodukte im wert von 1 Milliarde Rubel, betrug dieser Wert im Jahre 1912 bereits 1,5 Milliarden. Dieser Anstieg war ein Ausdruck dafür, dass auch die russischen BäuerInnen im zunehmenden Maße für den kapitalistischen Weltmarkt produzierten.
Doch wie bereits weiter oben schon erwähnt, konnte auch die fortschreitende Kapitalisierung der Landwirtschaft – weil sie nicht mit einer Bodenreform, also der Enteignung der GroßgrundbesitzerInnen verbunden war – die Agrarrevolte nicht ersticken. Sie erhob bereits 1908 wieder ihr Haupt und verstärkte sich in den folgenden Jahren. Im Kampf gegen den gutsbesitzenden Adel setzten die BäuerInnen häufig dessen Gehöfte, Ernte und Heu in Flammen. Auch die sich aus der Mir ausgesonderten FarmerInnen wurden nicht selten Opfer der bäuerlichen Agrarrevolte. Doch als Folge der beginnenden kapitalistischen Zersetzung der alten russischen Dorfgemeinschaft gab es zwischen 1906 und 1914 auch schon bewaffnete Konflikte bei der Aufteilung des Gemeindelandes zwischen den BäuerInnen. Doch auch dieser innerbäuerliche Konkurrenzkampf konnte die gesamtbäuerliche Agrarbewegung gegen den Großgrundbesitz nicht aufhalten.
Durch die Mobilisierung für den imperialistischen Krieg ab 1914 wurden der Agrarrevolte die aktivsten, gesündesten und kämpferischsten Kräfte entzogen. Sie wurden millionenfach in Uniform gesteckt und sollten für Zar, gutsbesitzenden Adel und Bourgeoisie töten und sterben. So wurde der BäuerInnenkrieg durch den imperialistischen Krieg bis 1917 unterbrochen. Doch auch innerhalb der Armee radikalisierten sich die bäuerlichen Soldaten unter dem Einfluss proletarisch-revolutionärer Kameraden weiter. Massenhafter Tod, die totalitäre Herrschaft der adligen und bürgerlichen Offiziere, welche sich auch in körperlicher Züchtigung der Soldaten äußerte, ließen die sozialen Gegensätze innerhalb der Armee, welche im Wesentlichen eine Bauernarmee war, ziemlich krass spürbar werden.
So ergab sich vor der Februarrevolution von 1917 folgende Situation: Die Krise des zaristischen Staates hatte sich im Verlauf des imperialistischen Krieges enorm zugespitzt. Das alte Russland war dem globalen Konkurrenzkampf der Nationalstaaten nicht gewachsen, weil die kapitalistische Modernisierung in den Jahren vor dem imperialistischen Gemetzel zu schwach war. Diese Krise ließ sich durch den Zarismus nicht mehr lösen, er musste hinweggefegt werden! Aber von wem? Von der russischen Bourgeoisie? Oder vom russischen Proletariat und/oder den russischen BäuerInnen?
Die sich aus der Krise des russischen Staates objektiv ergebende Zuspitzung der proletarischen Klassenkampfsubjektivität am Vorabend der Februarrevolution wurde vom damaligen sozialdemokratischen russischen Parteimarxismus nur ideologisch verzerrt widergespiegelt. Das war auch alles andere als ein Zufall.
Die internationale Sozialdemokratie war trotz ihrer teilweisen rrrevolutionären Phrasen eine kleinbürgerliche, aber keine proletarisch-revolutionäre Strömung. Ihre parteiförmigen Organisationen reproduzierten die bürgerliche Politik als Gestalterin der staatlichen und zivilgesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Kapitalvermehrung. Mit politischen Parteien wird der Kapitalismus verwaltet, aber nicht revolutionär aufgehoben. Die hauptamtlichen ParteipolitikerInnen eignen sich in Form von Steuern, Mitgliedsbeiträgen und Parteispenden einen Teil des proletarisch produzierten Mehrwertes an. Dieser Mehrwert wird in kapitalistischen Unternehmen (sowohl Familienunternehmen als auch Aktiengesellschaften, bei Privateigentum an industriellen Produktionsmitteln genauso wie in Staatskonzernen) produziert. Indem BerufspolitikerInnen von KapitalistInnen und KapitalmanagerInnen Steuern einziehen, eignen sie sich indirekt den für das Privatkapital produzierten Mehrwert an. Wenn die bürgerlichen BerufspolitikerInnen als ManagerInnen des Staates den proletarisierten Menschen Lohnsteuern abknöpfen, lassen sie die letztgenannten direkt Mehrwert für sich produzieren. Indem die BerufspolitikerInnen als Charaktermasken des Staates auch den Konsum von KapitalistInnen und LohnarbeiterInnen besteuern, verwandeln sie einen Teil des Konsumtionsfonds der Bourgeoisie und des Proletariats in staatlich angeeigneten Mehrwert. Wobei natürlich zu beachten ist, dass der Konsumtionsfonds der Bourgeoisie nichts anderes als proletarisch produzierter und kapitalistisch angeeigneter Mehrwert darstellt. Einen Teil des politisch angeeigneten Mehrwertes geht für Staatszwecke drauf (Infrastruktur, Krieg führen und ein wenig Wirtschafts-, Kultur- und Sozialpolitik), während der andere Teil als Gehalt in den persönlichen Konsum der BerufspolitikerInnen geht
Auch die BerufspolitikerInnen von Oppositionsparteien – unter ihnen auch die sozialdemokratischen Parteien – eignen sich als deren ManagerInnen den kapitalistisch produzierten Mehrwert an. Zum Teil bekommen sie Steuergelder in Form von Parlamentsdiäten, teilweise eigen sie sich den Mehrwert in Form von Parteispenden und Mitgliedsbeiträgen an. Mitgliedsbeiträge und Parteispenden stellen wie im Falle der staatlichen Besteuerung des Konsums die politische Aneignung eines Teiles des Konsumtionsfonds der bürgerlichen und proletarischen Mitglieder/Sympathisanten der Partei und deren Verwandlung in Mehrwert dar. Heute sind sozialdemokratische Parteien fast überall auf der Welt als Interessenvertreterinnen der Bourgeoisie von dieser auch anerkannt. Damals, also vor der Februarrevolution von 1917 waren sie das weder vollständig in Deutschland noch im zaristischen Russland. Die sozialdemokratischen BerufspolitikerInnen sowohl in Deutschland wie in Russland waren ManagerInnen von Oppositionsparteien und eigneten sich auf solche Weise einen Teil des Mehrwertes an. Diese sozialdemokratischen BerufspolitikerInnen waren entweder kleinbürgerliche Intellektuelle oder ehemalige LohnarbeiterInnen. Bevor sie von der Bourgeoisie voll anerkannt wurden, also von ParteimanagerInnen zu StaatsmanagerInnen aufsteigen konnten, waren sozialdemokratische BerufspolitikerInnen kleinbürgerliche PolitikerInnen beziehungsweise kleinbürgerliche DemokratInnen.
Indem sie den kapitalistischen Inhalt der bürgerlichen Politik reproduzierten, übernahmen sie auch deren bürgerlich-bürokratische Form, der totalitären Herrschaft des BerufspolitikerInnentums über die lohnabhängige Partei- und Wählerbasis. In der Praxis waren die proletarisierten Menschen für die sozialdemokratischen BerufspolitikerInnen nichts anderes als Stimmvieh, was brav sozialdemokratisch zu wählen, sie also zu ermächtigen hatte.
Sozialdemokratische PolitikerInnen waren sozial gesehen bürgerliche PolitikerInnen – und ihre Realpolitik konnte auch gar nicht anders sein als bürgerlich. Die Sozialdemokratie leistete in der Praxis wichtige Arbeit an der Reform des Kapitalismus, sowohl in der Sozialpolitik, als auch bei der Integration des Proletariats in eine reformierte Demokratie. In den frühen Demokratien wurden teilweise proletarisierte Menschen als WählerInnen benachteiligt. Das dies heute nicht mehr der Fall ist, verdanken wir auch der internationalen Sozialdemokratie. Doch dieses Wirken war grundsätzlich sozialreaktionär. Die Sozialdemokratie reformierte den kapitalistischen Feind des Proletariats mit Hilfe einer marxistisch-sozialistischen Ideologie.
Diese marxistische Ideologie war Selbstbetrug der Sozialdemokratie und sozialdemokratischer Betrug am Proletariat. Dies wurde mit Beginn des Ersten Weltkrieges deutlich, wo die meisten nationalen Sektionen der Sozialistischen Internationale, sich an die Seite des jeweiligen Nationalstaates und ihrer herrschenden kapitalistischen Klasse stellte. Auf diese Weise organisierte die internationale Sozialdemokratie das Massaker der Weltbourgeoisie am globalen Proletariat mit.
Sozialdemokratische IdeologInnen wurden entweder direkt von den Parteien der Zweiten Internationale bezahlt und/oder sie verkauften als freie AutorInnen ihre Ideologie auf den Zeitungs- und Büchermarkt. Auch einige sozialdemokratische IdeologInnen passten sich der bürgerlichen Praxis dieser politischen Strömung an und revidierten die marxistische Theorie. Das waren die so genannten „RevisonistInnen“ (in Deutschland Bernstein). Das sozialdemokratische Zentrum (in Deutschland Kautzky) verteidigte die marxistische Ideologie – auf dem Boden bürgerlicher Politik.
Der linke Flügel der Sozialdemokratie (Pannekoek, Luxemburg, Liebknecht, Lenin und Trotzki) hatte die ganze Zeit vor dem Ersten Weltkrieg versucht die Ideologie des sozialdemokratisierten Marxismus gegen die sozialdemokratische Wirklichkeit zu verteidigen. Er versuchte sein Ideal von der „proletarischen Partei“ in die Wirklichkeit umzusetzen, aber in der Praxis kann es nur bürgerliche Parteien geben – wie die Geschichte des Parteimarxismus in aller Deutlichkeit offenbarte. In den westeuropäischen Ländern wurde die Sozialdemokratie dann auch folgerichtig während des imperialistischen Krieges und der konterrevolutionären Niederschlagung der proletarischen Klassenkämpfe während und im Anschluss des Ersten Weltkrieges großbürgerlich. Der linke Flügel trennte sich von der Sozialdemokratie und ein großer Teil von ihm nahm als Partei-„Kommunismus“ an der kapitalistischen Sozialreaktion gegen das Proletariat teil – nur ein ganz kleiner Teil wirkte wirklich sozialrevolutionär. Die zuerst linkssozialdemokratischen und später partei-„kommunistischen“ PolitikerInnen, welche noch nicht die Staatsmacht durch eine politische Machteroberung übernommen hatten, bezeichnen wir als kleinbürgerliche Radikale im Gegensatz zu den kleinbürgerlichen ReformistInnen, die danach strebten von der Bourgeoisie voll anerkannt zu werden.
Im zaristischen Russland konnte sich wegen des ultrarepressiven Staates das sozialdemokratische BerufspolitikerInnentum nicht auf parlamentarische Weise schleichend in den Staat integrieren wie in Westeuropa. Statt Parlamentssitze gab es für russische sozialdemokratische BerufspolitikerInnen Gefängnis, Verbannung und Emigration. Damit sich die russische Sozialdemokratie in den Parlamentarismus integrieren konnte, musste in Russland erst mal ein parlamentarisches Herrschaftssystem geschaffen werden. Das war aber mit der Herrschaft der zaristischen Monarchie, die eine Mischung aus europäischem Absolutismus und asiatischer Despotie darstellte, unvereinbar. Also trat der Großteil der russischen Sozialdemokratie erst mal für eine „bürgerliche Revolution“ ein – natürlich nur als Zwischenetappe auf dem Weg zum „Sozialismus“.
Der rechte Flügel der russischen Sozialdemokratie, die Menschewiki, ging davon aus, dass die Führung in der „bürgerlichen Revolution“ selbstverständlich die liberale Bourgeoisie haben müsse, während der linke Flügel, die Bolschewiki, die Meinung vertrat, dass die liberale russische Bourgeoisie zu einer radikalen antifeudalen Revolution schon nicht mehr fähig sei. Diese bolschewistische Ansicht entsprach der Realität. Die mächtige Weltbourgeoisie – zu deren ohnmächtigen Teilen die russische gehörte – befand sich schon längst im Klassenkampf mit dem internationalen Proletariat. Als die radikalsten Fraktionen der englischen und französischen Bourgeoisie im 17. und 18. Jahrhundert die politische Macht eroberten um den Feudalismus mit Stumpf und Stiel auszurotten gab es noch kein Industrieproletariat. Aber sowohl der Brite Cromwell als auch die französischen Jakobiner mussten als radikale Bourgeois auch repressiv gegen die damalige kleinbürgerlich-vorindustrieproletarische Massenbewegung vorgehen. In England waren das die Levellers und die Diggers und in Frankreich die Sansculotten. Die politischen Machteroberungen von Cromwell und den Jakobinern stellten also sowohl die Höhepunkte der antifeudalen Revolutionen als auch die Umschlagmomente in die bürgerlichen Konterrevolutionen dar. Diesen absolut konterrevolutionären Aspekt der politischen Machteroberung auch der radikalsten Fraktionen der Bourgeoisie ignorierte der Marxismus weitgehend in seinem Dogmengebäude von der „bürgerlichen Revolution“.
Bei einer erfolgreichen politischen Machteroberung der russischen Bourgeoisie, müsste sie es sowohl mit der zaristischen Reaktion als auch mit den BäuerInnen und dem jungen russischen Industrieproletariat aufnehmen. Der ganze Verlauf der russischen Revolution zeigte eindeutig, dass die russische Bourgeoise viel zu schwach dazu war. Und selbst wenn die russische Bourgeoisie ohne bolschewistische Machtübernahme mit den BäuerInnen und dem Proletariat fertig geworden wäre, eine demokratisch-parlamentarische Republik, in die die russische Sozialdemokratie sich hätte integrieren können, war menschewistische Tagträumerei. Wenn die russische Bourgeoisie die Macht erobert hätte, dann nur in Form einer Militärdiktatur. Auch dies bewies der gesamte Verlauf der russischen Revolution eindeutig.
Die Bolschewiki hatten also absolut Recht, als sie daran zweifelten, dass die liberale russische Bourgeoisie fähig dazu wäre, die politische Macht zu erobern. Doch hielten auch sie am Dogma der „bürgerlichen Revolution“ fest. Nur sollte die russische Revolution nicht von der liberalen Bourgeoisie sondern von den ArbeiterInnen und BäuerInnen geführt werden. Diese siegreiche Revolution sollte dann in der „demokratischen Diktatur der ArbeiterInnen und BäuerInnen“ münden, die den Feudalismus mit Stumpf und Stiel ausrotten sollte, aber noch keine „sozialistischen“ Maßnahmen ergreifen sollte.
Unter „sozialistischen“ Maßnahmen verstand der sozialdemokratisierte Parteimarxismus die Verstaatlichung der Produktionsmittel, die Errichtung eines „ArbeiterInnenstaates“. Doch ein Staat ist ein bürokratischer Machapparat, der von BerufspolitikerInnen gemanagt und geführt wird – und sich mindestens ein Teil des proletarisch produzierten Mehrwertes aneignen muss. Einen von ArbeiterInnen geführten Staat kann es in der Praxis nicht gegen. Nur BerufspolitikerInnen können einen Staat führen. Dieser Tatsache trugen natürlich auch die parteimarxistischen IdeologInnen Rechnung, indem in ihrem „ArbeiterInnenstaat“ nicht die ArbeiterInnen, sondern ihre Avantgarde, also die parteimarxistischen BerufspolitikerInnen regieren sollten. Diese BerufspolitkerInnen verfügen in einem solchen „ArbeiterInnenstaat“ auch praktisch über die verstaatlichten Produktionsmittel. Die ArbeiterInnen vermieten nicht mehr ihre Arbeitskraft den PrivatkapitalistInnen, sondern dem Staat, der jetzt das Proletariat ausbeutet und den gesamten Mehrwert aneignet. Der ideologische „ArbeiterInnenstaat“ ist also in der Praxis ein staatskapitalistisches Regime. Das wissen wir ganz genau, weil ein solches staatskapitalistisches Regime nach der politischen Machtübernahme der Bolschewiki in Sowjetrussland errichtet wurde.
Doch vor der Februarrevolution steuerten die Bolschewiki noch nicht ideologisch auf einen „ArbeiterInnenstaat“ und praktisch auf ein staatskapitalistisches Regime zu. Sie stellten sich vor der Februarrevolution ein Regime vor, das von „proletarischen“ und „bäuerlichen“ Parteien regiert würde und im Rahmen des Privatkapitalismus blieb. In der Praxis wären die regierenden „proletarischen“ und „bäuerlichen“ Parteien also das politische Personal der Bourgeoisie gewesen. So unterschied sich der Bolschewismus in Bezug auf Russland vor der Februarrevolution von 1917 ideologisch nur in Nuancen vom Menschewismus. Im Gegensatz zu Leo Trotzki, der damals weder den Menschewiki noch den Bolschewiki angehörte, sondern seine Theorie von der permanenten Revolution entwickelt hatte und direkt ideologisch auf den „ArbeiterInnenstaat“ und praktisch auf ein staatskapitalistisches Regime hinzielte. Trotzki entwickelte die Ideologie des sowjetischen Staatskapitalismus.
Trotzkis Ideologie von der permanenten Revolution ging davon aus, dass das russische Proletariat auf Grund der Schwäche der russischen Bourgeoisie und der Tiefe der sozialen Krise des Zarismus schon eher als das westliche Proletariat an die Macht gelangen könne. Nun, wenn wir „Proletariat“ mit kleinbürgerlich-radikale PolitikerInnen übersetzen, hatte Trotzki absolut Recht. Ja, in hoch entwickelten Industriestaaten ist die selbständige Machtübernahme des kleinbürgerlichen Radikalismus ausgeschlossen, denn ein staatskapitalistisches Regime welches dieser Machtübernahme folgen würde, wäre sofort mit dem konterrevolutionären Widerstand der Bourgeoisie und mit dem Klassenkampf des Proletariats konfrontiert worden. Auch der Bolschewismus wurde nach seiner politischen Machtübernahme – wie wir noch ausführlicher beschreiben werden – sofort sowohl mit der privatkapitalistischen Konterrevolution als auch mit dem proletarischen Klassenkampf konfrontiert. Der bolschewistische Staat konnte nur auf Grund der sozialen Schwäche sowohl der Bourgeoisie als auch des Proletariats in Sowjetrussland alle diese Kämpfe bis 1921 siegreich überstehen. In einem Industriestaat, wo Bourgeoisie und Proletariat die sozialen Hauptklassen sind, ist für die politische Machteroberung gegen Bourgeoisie und Proletariat kein sozialer Spielraum vorhanden. Der ostdeutsche Staatskapitalismus nach 1945 war nur durch den sowjetischen Imperialismus möglich.
Weiterhin ging Trotzkis Ideologie von der permanenten Revolution davon aus, dass das „Proletariat“ (also parteimarxistische BerufspolitikerInnen) nach der politischen Machtübernahme „sozialistische“ (also staatskapitalistische) Maßnahmen ergreifen müsse und das „russische Proletariat“ (also der russische Parteimarxismus) zur Avantgarde der Weltrevolution werden müsse. Nun ja, dass die russischen radikalmarxistischen BerufspolitikerInnen zum staatskapitalistischen Regime übergehen würden, dass hatte Trotzki richtig voraus gesehen, aber der russische Parteimarxismus konnte objektiv gar nicht zur Avantgarde der Weltrevolution werden. Aus zwei Gründen. Erstens sind die politische Machtübernahme des kleinbürgerlichen Radikalismus und die Errichtung eines staatskapitalistischen Regimes in Industriestaaten unmöglich und zweites ist die wirkliche soziale Revolution des Proletariats mit dem Parteimarxismus als kleinbürgerlich-radikaler Ideologieproduktion unvereinbar.
Trotzki schuf also nach 1905 die Ideologie des zukünftigen sowjetischen Staatskapitalismus. Doch das Werkzeug zur Verwirklichung dieser Ideologie schuf Lenin als führender bolschewistischer Berufspolitiker. Seine Auffassungen von strenger Parteidisziplin und der Herrschaft von „BerufsrevolutionärInnen“ (also BerufspolitikerInnen) waren so bürgerlich-ultrabürokratisch, dass Lenin von anderen kleinbürgerlich-radikalen IdeologInnen dafür stark kritisiert wurde – unter anderem auch von Rosa Luxemburg und Leo Trotzki, bevor der letztere selbst zum Bolschewik wurde. Doch diese Kritik war von seinem Wesen her mehr kleinbürgerlich-demokratisch als proletarisch-revolutionär, weil sowohl Rosa Luxemburg wie auch der junge Trotzki weder die Partei als grundsätzlich bürgerlicher Organisationsform noch die Existenz des sozialdemokratischen BerufspolitikerInnentums in Frage stellten.
Aber der kleinbürgerliche Radikalismus konnte nur ultrabürokratisch politisch siegen. Damit der sowjetische Staatskapitalismus Wirklichkeit werden konnte, musste die bolschewistische Partei von der Ideologie her trotzkistisch und Trotzki praktisch zum Bolschewik werden. Der Bolschewismus war das praktische Werkzeug, durch den der sowjetische Staatskapitalismus Wirklichkeit wurde. Doch die zaristische Reaktion fügte diesem praktischen Werkzeug des kleinbürgerlichen Radikalismus schweren Schaden zu, indem sie die hauptamtliche Petrograder Parteiführung während des Ersten Weltkrieges repressiv zerschlug.
Aber die sozialdemokratischen Parteien (Menschewiki und Bolschewiki) und Zwischengruppen bestanden nicht nur aus kleinbürgerlichen BerufspolitikerInnen und IdeologInnen, sondern auch aus proletarischen Basen, in der nicht wenige subjektiv sozialrevolutionäre ArbeiterInnen wirkten. Sozialrevolutionäre ArbeiterInnen, die subjektiv zur sozialen Revolution strebten, aber objektiv mehr oder weniger stark von einem objektiv sozialreaktionären BerufspolitikerInnentum beherrscht wurden.
Diese subjektiv sozialrevolutionären marxistischen ArbeiterInnen wirkten auch sonst unter objektiven Voraussetzungen, welche eine wirkliche soziale Revolution in Russland unmöglich machten. Denn die wirkliche soziale Revolution konnte und kann nur in der Aufhebung von Politik und Warenproduktion durch das Proletariat – was sich dadurch auch selbst aufhebt – bestehen. Doch das Proletariat verkörperte in Russland eine soziale Minderheit. Die Bevölkerungsmehrheit bestand aus BäuerInnen, die nach der Enteignung des Großgrundbesitzes und zum privaten Kleineigentum am Boden strebten. Dieses private Kleineigentum war jedoch die soziale Basis für kleinbürgerliche/kapitalistische Warenproduktion – und damit auch für einen bürgerlichen Staat. Der russische und internationale radikale Parteimarxismus hat im Wesentlichen den kleinbürgerlichen Charakter der Agrarbewegung in Russland klar erkannt. Während der Parteimarxismus den letztendlich sozialreaktionären Charakter des ökonomischen KleinbürgerInnentums mehr oder weniger klar erkannte, reproduzierte es das politische KleinbürgerInnentum in Form einer marxistischen Parteibürokratie.
Die soziale Revolution war also in Russland wegen der Stärke des ökonomischen (BäuerInnen) und politischen (BerufspolitikerInnen) KleinbürgerInnentums objektiv nicht möglich – trotz der Schwäche von Bourgeoisie, Adel und der zaristischen Bürokratie. Doch wahre sozialrevolutionäre Subjektivität entfaltet sich auch unter den schlechtesten objektiven Bedingungen! Sie kämpft und verliert heroisch! Und diese Niederlagen sind nicht umsonst, denn aus ihnen können spätere Generationen von proletarischen RevolutionärInnen viel lernen, um unter besseren objektiven Bedingungen vielleicht irgendwann zu siegen!
Diese sozialrevolutionäre Subjektivität, welche objektiv nur heroisch verlieren kann, verkörperte in der russischen Revolution keine andere Strömung so stark wie der Anarchismus. Denn um heroisch verlieren zu können, musste an den Sieg geglaubt werden. Aber an den Sieg glauben, ging im damaligen Russland nur bei einem stark sozialromantisch ausgeprägten Subjektivismus, der sich um die objektiven Bedingungen seiner Verwirklichung nicht viel kümmert. Genau das machte und macht den Anarchismus ideologisch aus, stellte und stellt seine theoretische Schwäche dar. Aber gerade diese ideologische Schwächte machte den russischen Anarchismus zur ideologisch vollkommensten Verkörperung einer sozialrevolutionären Subjektivität, welche nicht siegen, sondern nur heroisch verlieren konnte.
Aber auch der russische Anarchismus hatte seine progressiven und reaktionären Tendenzen. Seine progressivste Tendenz war sein antipolitischer Instinkt. Doch der anarchistischen Antipolitik fehlte es oft an theoretischer Schärfe und an Konsequenz. Außerdem war der russische Anarchismus recht unkritisch gegenüber den kleinbürgerlichen Tendenzen der russischen BäuerInnenschaft, welche nach kleinem Privateigentum strebte und einer wirklichen klassenlosen Gesellschaft fremd gegenüber stand, wenn sie sich auch teilweise ideologisch vom Anarchismus inspirieren ließ. Doch die ideologische Aufnahme des Anarchismus durch einen Teil der kleinbäuerlich-landproletarischen Agrarbewegung machte nicht die BäuerInnen sozialrevolutionär, sondern den Anarchismus kleinbürgerlich (siehe dazu das Kapitel Sowjetrussischer Imperialismus in der Ukraine in unserem Text Der BürgerInnen- und imperialistische Interventionskrieg (1918-1921)).
Seine rückständigste Tendenz war die ideologische Verklärung des kleinbürgerlichen Individualismus, welcher mit dem kollektiven Befreiungskampf des Proletariats unvereinbar ist. Die kleinbürgerlichen anarchistischen Intellektuellen verklärten sowohl ihren eigenen Individualismus hinter unaufhörlichem Geschwätz von der Freiheit der Persönlichkeit –ihrer eigenen natürlich –als auch den Individualismus der BäuerInnen. Doch dieser typische anarchistische Individualismus prägte auch das Bewusstsein von sozialrevolutionären ArbeiterInnen, die – wenn sie meinten, es müsse sein – auch allein den Kampf gegen diese ganze verdammte Welt aufnahmen.
Die subjektiv bewussten sozialrevolutionären ArbeiterInnen im zaristischen Russland waren also objektiv der proletarische Schwanz des marxistischen und anarchistischen kleinbürgerlichen Radikalismus. Es müssen über vier Jahre der Russischen Revolution vergehen, bis die fortgeschrittensten und bewusstesten ArbeiterInnen in Form des Kronstädter Aufstandes die Vormundschaft des Bolschewismus – der sich zu dieser Zeit schon zu einer staatskapitalistisch-sozialreaktionären Kraft entwickelt hatte – innerlich abschütteln konnten (siehe dazu das Kapitel Kronstadt und die Dekadenz des Parteimarxismus). Doch der Kronstädter Aufstand musste scheitern, weil die revolutionäre Selbstaufhebung des russischen Proletariats isoliert vom Weltproletariat in dem damaligen rückständigen Agrarland objektiv nicht möglich war. Doch subjektiv war das russische Proletariat verdammt reif. Es machte eine außerordentlich gute Schulung des praktischen Klassenkampfes durch.
Einer der subjektiv sozialrevolutionären ArbeiterInnen, der im zaristischen Russland die praktische Schule des Klassenkampfes durchmachte, war der spätere Aktivist und noch spätere Historiker der Machno-Bewegung (siehe zu dieser das Kapitel Sowjetrussischer Imperialismus in der Ukraine im Text Der BürgerInnen- und imperialistische Interventionskrieg [1918-1921]), Peter Andrejewitsch Arschinoff. Lassen wir uns in seine klassenkämpferische Biographie von den russischen Anarchisten Volin einführen:
„Peter Andrejewitsch Arschinoff, (…), ist der Sohn eines Fabrikarbeiters aus Jekaterinoslaw und ist selber Arbeiter, Schlosser von Beruf, der sich durch eisernen Fleiß eine gewisse Bildung angeeignet hat. Er war 17 Jahre alt, als er sich 1904 der Revolutionsbewegung anschloss. 1905 arbeitet er als Schlosser der Eisenbahnwerkstätten in Kisil-Arwat (Mittel-Asien) und schließt sich der Ortsorganisation der Bolschewiki-Partei an. Bald tritt er aktiv in ihr hervor und zwar als einer der Führer und Redakteure des illegalen revolutionären Arbeiterorgans ,Molot‘ (Hammer). Dieses Blatt versorgte die ganze mittel-asiatische Bahnlinie und war für die revolutionäre Bewegung der Bahnarbeiter von großer Bedeutung. Da Arschinoff von der Ortspolizei verfolgt wird, verlässt er im Jahre 1906 Mittel-Asien und begibt sich in die Ukraine nach Jekaterinoslaw. Hier wird er Anarchist und setzt nunmehr als solcher seine revolutionäre Tätigkeit unter den jekaterinoslawschen Arbeitern fort (vorwiegend in den Schodouar-Werken). Der Grund für den Übergang zum Anarchismus war der Minimalismus der Bolschewiki (Anmerkung von Nelke: die „demokratische Diktatur der ArbeiterInnen und BäuerInnen“, die nichts mit dem „Sozialismus“ zu tun haben sollte), der nach Arschinoffs Überzeugung den tatsächlichen Bestrebungen der Arbeiter nicht entsprach und samt dem Minimalismus der übrigen politischen Parteien die Niederlage der Revolution 1905/6 verursacht hatte. Im Anarchismus fand Arschinoff, nach seinen eigenen Worten, das sammelnde Moment, die Prägung gleicher, freiheitlicher Bestrebungen und Hoffnungen der Werktätigen.
Als die zaristische Regierung in den Jahren 1906 bis 1907 ein Netz von Feldgerichten über ganz Russland gebreitet hatte, war eine groß angelegte Arbeit innerhalb der Massen völlig unmöglich geworden. Arschinoff entrichtet den außergewöhnlichen Umständen und seinem Kämpfertemperament den Tribut: Mal um Mal begeht er einige terroristische Akte. (Anmerkung von Nelke: Der individuelle Terror erzeugt logischerweise bei den Terroristen – und seien es auch proletarische AktivistInnen wie Arschinoff – starke avantgardistische Tendenzen, denn die TerroristInnen handeln im Namen des Proletariats, während das Proletariat selbst nicht aktiv in den Kampf tritt. Das gilt besonders nach der Niederlage der Revolution von 1905. Dieser Avantgardismus war Teil der Sozialpsychologie auch von nicht wenigen AnarchistInnen –einschließlich von Arschinoff. Wobei natürlich auch der Fakt berücksichtigt werden muss, dass durch den Gegenterror des proletarischen Aktivisten Arschinoff der kapitalistischen und zaristischen Reaktion keine Ruhepause gelassen wurde. Auch möchten wir hier ganz klar betonen, dass die terroristischen Aktionen des militanten Klassenkämpfers Arschinoff mit denen der kleinbürgerlichen Intellektuellen der RAF nicht viele Gemeinsamkeiten hatten.)
Am 23. Dezember 1906 sprengt er zusammen mit einigen Genossen das Polizeirevier in der Arbeitersiedlung Amur bei Jekaterinoslaw. (Bei der Explosion kamen drei Kosakenoffiziere, Polizeioffiziere und Wachmannschaften der Strafexpeditionsabteilung ums Leben.) Dank der sorgfältigen Vorbereitung dieses Aktes wurden weder Arschinoff noch seine Genossen von der Polizei gefasst. Am 7. März erschießt Arschinoff den Chef der Haupteisenbahnwerkstätten in Alexandrowsk, Wassilenko mit Namen. Des letzteren Schuld vor der Arbeiterklasse hatte darin bestanden, dass er für den bewaffneten Aufstand in Alexandrowsk im Dezember 1905 an die hundert Arbeiter vor das Kriegsgericht stellen ließ, von denen viele, auf Grund der Angaben Wassilenkos zu langfristigen Zwangsarbeiten oder zum Tod verurteilt worden waren. Außerdem hatte sich Wassilenko vor und nach diesem Fall als rühriger und erbarmungsloser Unterdrücker der Arbeiter gezeigt. Aus eigenem Antrieb, doch entsprechend der allgemeinen Stimmung der Arbeitermassen hatte Arschinoff mit diesem Feind der Werktätigen abgerechnet, als er ihn in der Nähe der Werkstätten vor den Augen von zahlreichen Arbeitern niederschoss. (Anmerkung von Nelke: Diesen letzten Satz Volins sollte mensch ganz genau lesen. Weil in ihm die avantgardistische Tendenz des individuellen Terrors auch proletarischer AktivistInnen zum Ausdruck kommt. Arschinoff handelte in „Übereinstimmung mit der allgemeinen Stimmung der Arbeitermassen“, aber nicht als bewaffnetes Individuum innerhalb eines bewaffneten Kollektivs. Genau diese feine Nuance macht den Unterschied zwischen individuellen Terror und dem bewaffneten kollektiven Klassenkampf des Proletariats aus. Wir lehnen die proletarisch-individuelle bewaffnete Tat als Teil des Klassenkampfes nicht grundsätzlich ab, betonen aber die latente Gefahr einer avantgardistischen Tendenz bei den individuell tätigen proletarischen AktivistInnen, die bei der konkreten Person Arschinoff klar zum Ausdruck kam. Auch kann bei einigen passiven ArbeiterInnen das Bewusstsein entstehen, dass sie selbst nicht aktiv werden müssen, da einige andere bewaffnete AktivistInnen den Kampf schon irgendwie gewinnen könnten.) Bei der Ausführung dieses Aktes wurde Arschinoff von der Polizei ergriffen, grausam geschlagen und nach zwei Tagen vom Feldgericht zum Tode durch den Strang verurteilt. Doch gerade in dem Augenblick, da das Urteil vollstreckt werden sollte, wurde es hinausgeschoben, da man der Meinung war, Arschinoffs Angelegenheit gehöre laut Gesetz nicht vor das Feldgericht, sondern vor das Militärbezirksgericht. Dieser Aufschub der Hinrichtung verschaffte Arschinoff die Möglichkeit zu fliehen. Die Flucht aus dem Alexandrowsker Gefängnis gelang in der Nacht zum 22. April 1907, während der Osterfrühmesse, als man die Gefangenen in die Gefängniskirche führte. Einige in Freiheit befindliche Genossen veranstalteten einen kühnen Überfall: Die Gefängniswächter, die die Gefangenen in der Kirche zu überwachen hatten, wurden über den Haufen gerannt und zusammengehauen. Allen Gefangenen wurde die Möglichkeit gegeben zu fliehen. Zusammen mit Arschinoff flüchteten damals über 15 Mann. Hierauf verbringt Arschinoff etwa zwei Jahre im Ausland, vorwiegend in Frankreich, kehrt aber 1909 wieder nach Russland zurück, wo er unter illegalen Verhältnissen anderthalb Jahre hindurch anarchistische Propaganda unter den Arbeitern treibt und auch organisatorisch tätig ist.
(Anmerkung von Nelke: Der letzte Satz zeigt, dass auch der Anarchismus nicht frei von Avantgardismus war und ist. Nach unserer Ansicht sollten sich jedoch die proletarischen und kleinbürgerlichen Mitglieder sozialrevolutionärer Gruppen vom ganzen Sprachgebrauch des kleinbürgerlichen Radikalismus trennen. Mitglieder sozialrevolutionärer Gruppen tauschen sich mit proletarisierten Menschen aus, reden mit ihnen und versuchen in der Kommunikation Impulse zu geben und welche zu empfangen. Sozialrevolutionäre AktivistInnen sollten also unserer Meinung nach in eine interaktive Kommunikation von Subjekt zu Subjekt mit den proletarisierten Menschen treten –aber nicht „agitieren“ und „Propaganda betreiben“. Denn der Agitierende ist das Subjekt während die ProletarierInnen als agitierte Masse die Objekte der Ideologieproduktion sind. Das ist keine übertriebene Sprachkritik. Als MaterialistInnen gehen wir davon aus, dass in der Sprache gesellschaftliche Verhältnisse zum Ausdruck kommen. In den Worthülsen marxistischer und anarchistischer Polit/Ideologiegruppen, wie „anarchistische (marxistische) Propaganda unter den Arbeitern treiben“ kommt sowohl der anarchistische als auch der marxistische Avantgardismus zum Ausdruck. Der nachmarxistische und nachanarchistische Kommunismus sollte sowohl diese alten Worthülsen als auch die dahinter stehende Praxis des kleinbürgerlichen Radikalismus überwinden.)
Im Jahre 1910 wird er von der österreichischen Regierung dabei ertappt, wie er einen Waffentransport und anarchistische Literatur aus Österreich nach Russland schaffen will, er wird verhaftet und im Gefängnis Tarnopol untergebracht. Hier verbringt er ein Jahr, wird dann auf Forderung der russischen Regierung hin für begangene terroristische Akte den russischen Behörden in Moskau ausgeliefert und vom Moskauer Obersten Gerichtstribunal zu 20 Jahren Zwangsarbeit verurteilt.
Seine Strafe verbüßte Arschinoff im Butyrki-Gefängnis in Moskau. Hier traf er erstmalig (1911) mit dem jugendlichen Nestor Machno zusammen, der ebenfalls für terroristische Akte im Jahr 1910 zu lebenslänglicher Zwangsarbeit verurteilt worden war, und der von Arschinoffs Arbeit im Süden bereits früher gehört hatte, als er ihn noch gar nicht kannte. Ihre Beziehungen im Verlauf des gemeinsamen Aufenthaltes im Gefängnis waren kameradschaftlicher Natur; beide kamen nach Ausbruch der Revolution in den ersten Märztagen 1917 frei.“ (Vorwort von Volin zu: Peter A. Arschinoff, Geschichte der Machno-Bewegung, UNRAST-Verlag, Münster 1998, S. 15-17.)
Kommen wir nun zur Februarrevolution 1917, welche auch die Kerkertüren des militanten Klassenkämpfers Arschinoff sprengte.

]]>
https://sbefreiung.blackblogs.org/2017/01/17/klassenkaempfe-in-sowjetrussland-1917-1921/feed/ 0
Annonce: Schriften zum Klassenkampf VI https://sbefreiung.blackblogs.org/2016/09/20/annonce-schriften-zum-klassenkampf-vi/ https://sbefreiung.blackblogs.org/2016/09/20/annonce-schriften-zum-klassenkampf-vi/#respond Tue, 20 Sep 2016 13:04:13 +0000 http://sbefreiung.blogsport.de/2016/09/20/annonce-schriften-zum-klassenkampf-vi/ Unsere neue Broschüre: „Schriften zum Klassenkampf VI“ (ca. 124 Seiten) von Soziale Befreiung (Hg.) ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de bestellen.

Inhalt

Einleitung

Klassenkampf und Straßenbewegungen

1. Soziale Straßenbewegungen als Teil des proletarischen Klassenkampfes
2. Soziale und politische Straßenbewegungen
3. LehrerInnen und SchülerInnenbewegung
4. Proletarischer Klassenkampf und soziale Straßenbewegungen in der Weltrevolution

Die Instrumentalisierung des Proletariats in Machtkämpfen der Herrschenden

1. Polen
2. Iran

Konkurrenz, Straßenrassismus, Antifa und Klassenkampf

1. Der permanente Konkurrenzkampf
2. Elitärer Nationalismus und Straßenrassismus in der BRD
3. Staatsantifaschismus
4. Antirassismus/Antifaschismus als kleinbürgerliche Straßenbewegung
5. Proletarischer Klassenkampf und sozialrevolutionärer Universalismus

Die Bewegung gegen Bullenterror in den USA

1. Der Bullenterror
2. Der Bullenterror als Teil des Klassenkrieges von Oben
3. Die Bewegung gegen den Bullenterror

Einleitung

Schriften zum Klassenkampf ist eine unregelmäßig erscheinende Serie der Sozialen Befreiung mit Texten über die globalen Auseinandersetzungen des Proletariats mit Kapital, Staat und Patriarchat vom Ende des 18. bis ins 21. Jahrhundert.
In der ersten Schrift dieser Broschüre beschäftigen wir uns mit den Wechselwirkungen zwischen dem proletarischen Klassenkampf und den sozialen Straßenbewegungen. Wir unterscheiden dabei zwischen proletarischen und klassenübergreifenden Straßenbewegungen. Die proletarischen Straßenbewegungen sind Teil des Klassenkampfes, was für die klassenübergreifenden Straßenbewegungen nicht gilt. Proletarische RevolutionärInnen dürfen sich zu wichtigen klassenübergreifenden Straßenbewegungen wie der SchülerInnenbewegung weder opportunistisch noch sektiererisch verhalten.
Im zweiten Text analysieren wir die Instrumentalisierung des Proletariats für den innerbürgerlichen Machtkampf. Dabei dienen uns Pilsudskis Staatsstreich in Polen und die so genannte „islamische Revolution“ als Beispiele. Besonders am letzteren Beispiel kritisieren wir scharf die globale sozialreaktionäre Praxis der kleinbürgerlichen politischen Linken das Proletariat für ihre „Bündnisse“ mit der Bourgeoisie zu instrumentalisieren und zu verheizen.
Die dritte Schrift Konkurrenz, Straßenrassismus, Antifa und Klassenkampf beschäftigt sich mit der politischen Folge der so genannten Flüchtlingskrise 2015 in der BRD: der Entstehung und Erstarkung einer rassistischen Straßenbewegung. Diese rassistische Straßenbewegung ist durch die Antifa als kleinbürgerliche politische Straßenbewegung nicht erfolgreich zu bekämpfen. Allerdings ist auch ein proletarischer Klassenkampf, der sich innerhalb der reproduktiven Schranken des Kapitalismus bewegt und unter der Kontrolle des reaktionären DGB zu Tarifauseinandersetzungen verniedlicht wird, dazu nicht in der Lage. Nur die Radikalisierung des Klassenkampfes gegen alle politischen Fraktionen des Kapitals kann hier eine Lösung sein, die sich allerdings nur in einem komplizierten Prozess entwickeln kann.
Im vierten Text Die Bewegung gegen Bullenterror in den USA analysieren wir die staatliche Gewalt gegen die afroamerikanische Bevölkerung als Teil eines ethnisierten politischen Klassenkampfes von oben. Des Weiteren unterscheiden wir in der Bewegung gegen diesen Bullenterror zwischen der spontanen Wut des schwarzen KleinbürgerInnentums und Proletariats, die sich in Riots entlädt und ansatzweise mit dem Klassenkampf verbindet, dem individuellen Terror als Gegengewalt und dem Sozialreformismus der etablierten afroamerikanischen BürgerInnenrechtsbewegung. Auch der Bullenterror in den USA lässt sich langfristig-perspektivisch nur durch den militanten Klassenkampf des vereinten Proletariats besiegen.

]]>
https://sbefreiung.blackblogs.org/2016/09/20/annonce-schriften-zum-klassenkampf-vi/feed/ 0
Annonce: Schriften zum Klassenkampf V https://sbefreiung.blackblogs.org/2016/04/12/neue-broschuere-schriften-zum-klassenkampf-v/ https://sbefreiung.blackblogs.org/2016/04/12/neue-broschuere-schriften-zum-klassenkampf-v/#respond Tue, 12 Apr 2016 22:45:49 +0000 http://sbefreiung.blogsport.de/?p=67 Unsere neue Broschüre: „Schriften zum Klassenkampf V“ (ca. 124 Seiten) von Soziale Befreiung (Hg.) ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de bestellen.

Inhalt

Einleitung

Die nichtlohnarbeitenden Schichten des Proletariats
1. Zur Begriffsbildung
2. Erwerbslose Menschen
3. Obdachlose Menschen
4. Ethnisierung, Ghettoisierung und Kriminalisierung des unproduktiven Elends
5. Die nichtlohnarbeitenden Schichten als Teil des Klassenkampfes

Negativ freie ProletarierInnen
1. Zum Begriff
2. Grauzone Praktikum und sozialstaatlich ermöglichte bzw. erzwungene Arbeit
3. Grauzone Arbeitsmigration
4. Flüchtlinge
5. Inhaftierte Menschen

KleinbürgerInnentum und kleinbürgerliche Tendenzen im Proletariat
I. Das KleinbürgerInnentum
1. Das produktionsmittelbesitzende bzw. selbständige KleinbürgerInnentum
2. Das lohnabhängige KleinbürgerInnentum
3. Die Intellektuellen
II. Die kleinbürgerlichen Tendenzen des Proletariats
1. Die Kleinbürgerlichkeit des Proletariats
2. Die institutionalisierte ArbeiterInnenbewegung
III. Klassenkampf und Kleinbürgerlichkeit
1. Die Widersprüchlichkeit des reproduktiven Klassenkampfes
2. Proletarischer Klassenkampf und kleinbürgerlicher sozialer Protes
3. Prekarisierung, Ruinierung und Proletarisierung des KleinbürgerInnentums
4. Die revolutionäre Selbstaufhebung des Proletariats als die Überwindung
der Kleinbürgerlichkeit

Einleitung

Schriften zum Klassenkampf ist eine unregelmäßig erscheinende Serie der Sozialen Befreiung mit Texten über die globalen Auseinandersetzungen des Proletariats mit Kapital, Staat und Patriarchat vom Ende des 18. bis ins 21. Jahrhundert.
Die ArbeiterInnenklasse ist der Kern des modernen Proletariats. Aber dieses besteht auch aus nichtlohnarbeitenden Schichten. Mit diesen beschäftigen wir uns im ersten Text unserer Broschüre. Nach einer Begriffserklärung dieser nichtlohnarbeitenden Schichten des Proletariats beschäftigen wir uns mit Leben und Kampf der Erwerbs- und Obdachlosen. Auch der harte Klassenkampf von oben gegen diese Schichten wird von uns analysiert. Am Ende dieses Textes wird von uns die absolute Notwendigkeit betont, die nichtlohnarbeitenden Schichten des Proletariats stärker in den Klassenkampf der ArbeiterInnenklasse einzubeziehen.
Als Ergänzung zu den doppelt freien Lohnabhängigen wird im Kapitalismus auch das negativ freie Proletariat ausgebeutet. Mit dieser Schicht des Proletariats beschäftigen wir uns im zweiten Text dieser Schriftensammlung. Wir klären die Unterschiede und Gemeinsamkeiten von doppelt freien Lohnabhängigen und lediglich negativ freien ProletarierInnen und schreiben über Leben und Kampf von ArbeitsmigrantInnen, PraktikantInnen, Flüchtlingen und Inhaftierten.
Im dritten Text unserer Broschüre beschäftigen wir uns mit dem produktionsmittelbesitzenden/selbständigen und dem lohnabhängigen KleinbürgerInnentum als sozialen Puffer zwischen Bourgeoisie und Proletariat. Außerdem analysieren wir die kleinbürgerlichen Tendenzen des Proletariats. Wir machen deutlich, dass es zwischen dem proletarischen Klassenkampf und dem kleinbürgerlichen sozialen Protest wesentliche Unterschiede gibt – gerade aus sozialrevolutionärer Perspektive. Bei aller Widersprüchlichkeit des reproduktiven Klassenkampfes, der noch im Rahmen des Kapitalismus erfolgt und der deshalb auch teilweise die kleinbürgerlichen Tendenzen des Proletariats zum Ausdruck bringt, so wird doch auch bereits in diesem die revolutionäre Potenz der ArbeiterInnenklasse sichtbar. Indem sich das Proletariat möglicherweise selbst revolutionär aufhebt, kann und muss es in diesem Prozess nicht nur die eigenen kleinbürgerlichen Tendenzen aufheben, sondern auch die Klassen Bourgeoisie und KleinbürgerInnentum.

]]>
https://sbefreiung.blackblogs.org/2016/04/12/neue-broschuere-schriften-zum-klassenkampf-v/feed/ 0
Annonce: Die revolutionäre Nachkriegskrise in Deutschland (1918-1923) https://sbefreiung.blackblogs.org/2014/11/24/annonce-die-revolutionaere-nachkriegskrise-in-deutschland-1918-1923/ https://sbefreiung.blackblogs.org/2014/11/24/annonce-die-revolutionaere-nachkriegskrise-in-deutschland-1918-1923/#respond Mon, 24 Nov 2014 21:57:54 +0000 http://sbefreiung.blogsport.de/?p=50 Unsere neue Broschüre: „Die revolutionäre Nachkriegskrise in Deutschland (1918-1923)“ (ca. 122 Seiten) von Soziale Befreiung (Hg.) ist da. Die Broschüre könnt Ihr hier für 5-€ (inkl. Porto) über Onlinemarktplatz für Bücher booklooker.de oder direkt bei uns auch als E-Book bestellen.

Inhalt

Einleitung
1. Das deutsche Kaiserreich
2. Marxismus und Anarchismus vor dem Ersten Weltkrieg
3. Die weltgeschichtliche Periode zwischen 1914 und 19451
4. Die Novemberrevolution
5. Die Formierung der revolutionären und konterrevolutionären Kräfte
6. Die Januarkämpfe in Berlin
7. Die Bremer „Räterepublik“
8. Das Hamburger Rätesystem
9. Massenstreiks und bewaffnete Kämpfe
10. Generalstreik und Märzkämpfe in Berlin
11. Die Bayerische „Räterepublik“
12. Stärken und Schwächen der Rätebewegung von 1918/19
13. Die „K“PD gegen die „Ultralinken“
14. Der Kapp-Putsch
15. Die Rote Ruhrarmee
16. Die Herausbildung der FAUD (S), des Unionismus und der KAPD
17. Die Märzkämpfe von 1921
18. Die angeblich „revolutionäre Situation“ von 1923
19. Das geistige Erbe der revolutionären Nachkriegskrise

Einleitung

Die revolutionäre Nachkriegskrise in Deutschland (1918-1923) war die bisher klassenkämpferischste Periode in diesem Land und wichtiger Teil des kontinentalen revolutionären Prozesses. In dieser Periode kam es zu einer völligen Neudefinition dessen, was als revolutionär und was als konterrevolutionär zu gelten hat. Der Parteimarxismus zeigte seine Dekadenz in all seinen Erscheinungsformen (MSPD, USPD, „K“PD und letztendlich auch KAPD). Aber auch die revolutionäre Alternative, der partei- und gewerkschaftsfeindliche Rätekommunismus entwickelte sich in der revolutionären Nachkriegskrise.
Doch das Proletariat hatte während dieser Periode leider nicht die praktische und geistige Reife, sich selbst revolutionär – und damit die kapitalistische Warenproduktion und den bürokratischen Staat – aufzuheben und eine klassenlose Gesellschaft zu erkämpfen. Die tiefen Wunden, welche der Bluthund Noske mit seinen spitzen
Zähnen in das Proletariat biss, waren zu tief – so kam es zur kampflosen Kapitulation von 1933. Ja, die Sozialdemokratie war eine wichtige Wegbereiterin des Faschismus!
Wir wollen in dieser Broschüre die Kämpfe und Niederlagen des Proletariats in Deutschland zwischen 1918 und 1923 beschreiben. Die potenzielle Kraft des selbstorganisierten Klassenkampfes in Form der Räte wird genauso deutlich – wie die praktische und geistige Unfähigkeit der Mehrheit des Proletariats diese Instrumente zur revolutionären Umgestaltung der Gesellschaft zu nutzen. Die Parteipolitik schluckte mal wieder die revolutionäre Selbstorganisation des Proletariats. Will sich das Proletariat von Ausbeutung und Unterdrückung befreien, muss es allen PolitikerInnen – von rechts bis links – den Laufpass geben!

Nelke, im November 2014

]]>
https://sbefreiung.blackblogs.org/2014/11/24/annonce-die-revolutionaere-nachkriegskrise-in-deutschland-1918-1923/feed/ 0