is – Sozialer Widerstand https://swiderstand.blackblogs.org Für die soziale, antipolitische und antinationale Selbstorganisation des Proletariats! Fri, 22 Dec 2023 10:19:53 +0000 de-DE hourly 1 https://wordpress.org/?v=5.7.1 https://swiderstand.blackblogs.org/wp-content/uploads/sites/1128/2022/05/cropped-28385945-32x32.png is – Sozialer Widerstand https://swiderstand.blackblogs.org 32 32 Der IS, der Imperialismus und der kurdische Nationalismus III https://swiderstand.blackblogs.org/2015/02/12/der-is-der-imperialismus-und-der-kurdische-nationalismus-iii/ https://swiderstand.blackblogs.org/2015/02/12/der-is-der-imperialismus-und-der-kurdische-nationalismus-iii/#comments Wed, 11 Feb 2015 23:15:43 +0000 http://swiderstand.blogsport.de/?p=101 Wir veröffentlichen hier die Fortsetzung des Artikels „Der IS, der Imperialismus und der kurdische Nationalismus“. Der letzte Teil unseres Textes „Der kurdische Nationalismus als ein Feind des Weltproletariats“ „Hoch die antinationale Solidarität!“ könnt ihr hier bei der „Sozialen Befreiung“ zu Ende lesen.

                                                                                       

    „Unverschleierte“ Frauen der YPJ-Einheiten. Kobanê 2014

Die linksbürgerlichen Lautsprecher des syrisch-kurdischen Nationalismus sind besonders über die bewaffneten Frauen der YPJ völlig aus dem Häuschen. Sie wollen wieder einfach nicht den dialektischen Zusammenhang von nationalem Militarismus und bürgerlicher Frauenemanzipation, welche die YPJ symbolisiert, verstehen. Es war lange Zeit eine patriarchalische Rollenteilung in den Nationalismen Praxis, nämlich dass die Männer an die Front gingen und die Frauen sich vorwiegend der biosozialen Reproduktion in den Familien widmeten. Doch die kapitalistische und bürgerlich-frauenemanzipative Modernisierung brachte auch in einigen Nationalismen die Frauen auf die Schlachtfelder, auf denen sie im Interesse des Nationalstaates/Nationalkapitals töten und sterben konnten und sollten. So gilt im zionistischen Israel für beide Geschlechter die Wehrpflicht. Es liegt auf der Hand, dass proletarische RevolutionärInnen sowohl den sexistischen Ausschluss von Frauen als auch deren Integration in den bürgerlich-nationalen Militarismus bekämpfen müssen. Proletarische RevolutionärInnen setzen sich dafür ein, dass Proletarierinnen von den Männern der Klasse als gleichberechtige – auch militante – Klassenkämpferinnen anerkannt werden. Die YPJ ist sowohl eine bürgerlich-frauenemanzipative als auch eine nationale Militärformation. Deshalb bekämpfen wir sie von einem proletarisch-revolutionärem Klassenstandpunkt aus als eine bürgerlich-reaktionäre Organisation. Doch wir haben ja schon oben gesehen, dass die linken KleinbürgerInnen den reaktionären Charakter des syrisch-kurdischen Nationalismus völlig verklären, um diesen zu unterstützen.
Aber selbst wenn mensch den Fakt anerkennt, dass im nordsyrischen Kurdengebiet Rojava sich eine kurdisch-nationale Durchsetzungsform des Kapitalismus entwickelt und alle „antikapitalistischen Perspektiven“ nichts als Projektionen linker KleinbürgerInnen darstellen, sollten RevolutionärInnen nicht trotzdem die modern-demokratischen Staatsvorstellungen des kurdischen Linksnationalismus gegen den ultrabrutalen und fanatisch mordenden IS als „kleineres Übel“ verteidigen? Ein entschiedenes Nein! Wer immer nur vermeintlich kleinere Übel verteidigt, hilft mit das Grundübel zu reproduzieren. Im Konkurrenzkampf der Nationalismen kann es für SozialrevolutionärInnen kein kleineres Übel geben. Über die Nationalismen herrscht die Weltbourgeoisie (KapitalistInnen, ManagerInnen, hohe BerufspolitikerInnen sowie hohe StaatsbeamtInnen und Militärs) über das Weltproletariat (die globale ArbeiterInnenklasse und die weltweiten nichtlohnarbeitenden Unterschichten, die über keine eigenen Produktionsmittel verfügen). Auch die kurdischen ProletarierInnen und KleinbürgerInnen in Rojava sind für die Politbonzen der PYD nur Manövriermasse ihres demokratisch-autonomen Unterstaates im Rahmen des syrischen Nationalstaates. Der syrisch-kurdische Nationalismus ist Teil des Grundübels, nämlich dass sich das Weltproletariat im Konkurrenzkampf der Nationalismen zur Reproduktion des Weltkapitalismus verheizen lässt. Nein, wir müssen gegen den Kapitalismus mit all seinen Nationalismen und all seinen politischen Fraktionen kämpfen, wenn das permanente Massaker des Weltkapitals am Weltproletariat aufhören soll!
Ein klarer Kampf gegen die imperialistische Kriegsallianz in Syrien und im Irak und eine gleichzeitige Unterstützung des kurdischen Linksnationalismus, der Teil dieser Allianz ist, ist objektiv unmöglich. Doch Teile der linken KleinbürgerInnen versuchen das objektiv Unmögliche. Heraus kommen dabei subjektive Eiertänze. Auch die „antiimperialistische“ und gleichzeitig prokurdische junge Welt, die zu Beginn der US-Luftangriffe auf den IS in Syrien diese noch als „völkerrechtswidrig“ kritisiert hatte, geriet nach der Kooperation zwischen dem syrisch-kurdischen Nationalismus und dem US-Imperialismus in ein argumentatives Dilemma. Vor der direkten Kooperation zwischen syrisch-kurdischen Linksnationalismus und US-Imperialismus lautete die Kritik der jungen Welt noch: Der US-Imperialismus bombardiert Öl-Raffinerien, die sich unter IS-Kontrolle befinden, lässt aber Kobani im Stich (siehe dazu: André Scheer, Kampf um Kobani, in: junge Welt vom 26./27. September 2014, S. 1.) Das ist schon keine klare Kritik am US-Krieg als solchen, sondern nur noch daran wie dieser geführt wurde. In diesem Fall fraß die prokurdische Linie den stramm antiamerikanischen Kurs der jungen Welt auf. So lautete dann auch die Unterschlagzeile des Artikels Kurden verteidigen Kobani vom 29. September 2014 auf Seite 1 Kritik an mangelnder Unterstützung durch US-geführte Koalition. Zwischendurch wurde mit dem Artikel Krieg gegen die Bevölkerung. Syrien: US-Luftangriffe auf IS-Terroristen treffen vor allem Zivilisten von Rainer Rupp in der jungen Welt vom 30. September 2014 noch einmal einigermaßen klar gegen den Krieg als solchen Stellung bezogen. Das lag daran, dass der Autor Rainer Rupp mehr antiamerikanisch – dieser Antiamerikanismus ist natürlich von einem antinationalen Standpunkt auch zu kritisieren – als prokurdisch ist.
Nach Beginn der Kooperation zwischen den beiden Fraktionen des Weltkapitals war die junge Welt natürlich unfähig klar und eindeutig die reaktionäre kurdisch-imperialistische Allianz zu kritisieren. Wenn jetzt der US-Imperialismus den IS vor Kobani bombardierte, wurde nicht mehr der Krieg als solcher kritisiert, sondern dass er zu „ineffektiv“ war. Als sich der große Fan des kurdischen Linksnationalismus, Nick Brauns, in der jungen Welt vom 2./3. Oktober 2014 mit einem Artikel unter der vielsagenden Überschrift Luftangriffe nutzlos zu Wort meldete, fraß die prokurdische wiedermal die grundsätzliche Antikriegs-Haltung der Zeitung auf. SozialrevolutionärInnen kritisieren immer an einem Krieg, dass er kapitalistischen und politisch-nationalen Interessen nutzt. Dass er „nutzlos“ sei, ist dagegen ein pazifistisches Vorurteil. Doch Herr Brauns wollte mit diesem Artikel nur deutlich machen, dass nach seiner Meinung der US-Krieg zu diesem Zeitpunkt noch kaum dem syrisch-kurdischen Nationalismus nutzte. So schrieb er: „Zwar bombardierten US-Kampfflugzeuge nach Angaben des US-Verteidigungsministeriums auch IS-Ziele bei Kobani. Doch soll laut Augenzeugenberichten der IS bis auf zwei oder drei Kilometer an die Stadt herangerückt sein, so dass zwischen den Kämpfern beider Seiten Sichtkontakt bestehe.“ (Nick Brauns, Luftangriffe nutzlos, in: junge Welt vom 2./3. Oktober 2014, S. 6.) Brauns kritisierte in dem Artikel Unter einem Dach in der jungen Welt vom 17. Oktober 2014 auch nicht die Einbindung des syrisch-kurdischen Linksnationalismus in die von den USA geführte imperialistische Allianz gegen den IS, sondern stellt diese nur fest. Außerdem zitiert er kommentarlos den Vizeaußenminister des Kantons Kobani, Idris Nassen, der von der Imperialistischen Allianz forderte: „Wir brauchen mehr Luftangriffe, aber auch mehr Waffen und Munition, um sie am Boden bekämpfen zu können.“
Durch solche Artikel wurde die angeblich „antiimperialistische“ junge Welt indirekt zu einem Teil der imperialistischen Allianz in Syrien. Wer hätte das gedacht, dass in der so oft plump antiamerikanisch agierenden jungen Welt mal der US-Imperialismus als „kleineres Übel“ dargestellt wird! Eine klare Haltung gegen alle imperialistischen Kriege sieht anders aus! Diese ist allerdings nur bei einem antinational-sozialrevolutionären Standpunkt möglich.

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Gerade der BürgerInnenkrieg in Syrien und die Einmischung der imperialistischen Regional- und Weltmächte zeigt, dass die verschiedenen nationalen und politischen Fraktion des Weltkapitals mal kooperieren und mal konkurrieren – und zwar immer auf Kosten der kleinbürgerlichen und proletarischen Zivilbevölkerung. Und in Syrien verfeindete Mächte, wie Russland und die Türkei, können außerhalb dieses BürgerInnenkrieges fette Handelsbeziehungen noch fetter gestalten. Russland stützt im syrischen BürgerInnenkrieg das Assad-Regime und die Türkei gehört inzwischen zu dessen ärgsten Feinden. Doch Syrien ist nur ein Schlachtfeld im mal blutigen und mal friedlichen Spiel der Imperialismen. Neben Syrien gibt es da noch die Ukraine, wo die EU/NATO auf der einen und Russland auf der anderen Seite ihre imperialistischen Konflikte austragen (siehe dazu den Text Der westliche Menschenrechtsimperialismus in Aktion, a.a.O., S. 97-121). Die gegenseitigen schweren Wirtschaftssanktionen zwischen dem Westen und Russland im Verlauf des Jahres 2014 haben alle beteiligten Nationalkapitale stark geschwächt. Russland muss sich nach anderen Handelspartnern umsehen und ist beim NATO-Mitglied Türkei fündig geworden. So einigten sich die Türkei und Russland Anfang Dezember 2014 auf eine Verdreifachung des Handels bis 2023. Während der Handel zwischen den beiden Nationen im Jahre 2013 bei einem Volumen von umgerechnet 33 Milliarden Dollar lag, soll dieser im Jahre 2023 100 Milliarden Dollar betragen.
Auch die Schwesterparteien PKK und PYD ziehen nicht immer an einem Strang. In der gleichen Zeit, also Ende November 2014, wo die Türkei über die IS die Position der PYD weiter destabilisierte, flirtete Herr Öcalan nach einer kurzen Beziehungskrise wieder heftig mit der türkischen Regierung. Wir wollen dies an Hand von zwei junge Welt-Artikeln deutlich machen.
Nick Brauns schrieb über IS-Angriffe vom türkischen Territorium aus auf Kobani Ende November 2014: „Erstmals seit Ausbruch der Kämpfe um Kobani (Ain Al-Arab) vor zweieinhalb Monaten hat die Terrororganisation ,Islamischer Staat‘ (IS) die belagerte Stadt im Norden Syriens von türkischem Territorium aus unter Beschuss genommen. Die Stadt werde nun von vier Seiten angegriffen, berichtete eine Sprecherin der Partei der Demokratischen Union (PYD) in Kobani am Samstag (29. November 2014) gegenüber dem kurdischen Fernsehsender Ronahi TV.
Der Angriff hatte demnach am Samstag (29. November 2014) um fünf Uhr früh mit der Detonation eines aus der Türkei kommenden, mit Sprengstoff beladenen Lastwagens am Grenzübergang Mürsitpinar begonnen. Der auf syrischer Seite von den kurdischen Volksverteidigungseinheiten YPG kontrollierte Übergang ist die einzige Versorgungsroute für die belagerte Stadt. Auch zwei Selbstmordattentäter sprengten sich dort nach Angaben des Pressezentrums der YPG in die Luft. Anschließend hätten IS-Kämpfer von türkischer Seite aus die Innenstadt von Kobani mit Granatwerfern beschossen. Rund 50 Dschihadisten sollen sich auf türkischem Boden in staatlichen Getreidesilos sowie in zwei von der Armee evakuierten Dörfern verschanzt haben.
Eine Stunde vor Beginn der IS-Offensive wurde die Stromversorgung für die nahe Kreisstadt Suruc und mehrere Dörfer entlang der Grenze zu Syrien abgeschaltet, in denen Aktivisten seit Monaten Wache halten, um Grenzübertritte von Dschihadisten zu verhindern. Mitarbeiter des staatlichen Stromversorgungsunternehmens gaben gegenüber Firat News an, dass sie den Befehl dazu ,von oben‘ erhalten hätten. Der Gouverneur der Provinz Sanliurfa, Izzettin Kücük, habe ihn bestätigt, dass der IS von Suruc aus Kobani angegriffen habe, erklärte der Parlamentsabgeordnete der linken kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP), Ibrahim Ayhan. Sprecher des Generalstabs und der türkischen Regierung wiesen die Berichte als ,Lüge‘ zurück. Von Firat News veröffentlichte Videoaufnahmen zeigen allerdings, wie aus Richtung der Getreidesilos auf die YPG-Kämpfer gefeuert wird.
Nach YPG-Angaben konnte der Angriff am Grenzübergang ebenso zurückgeschlagen werden wie eine zeitgleiche IS-Offensive an der Süd- und Ostseite der Stadt. Trotz großer Verluste würde der IS jedoch weiter Verstärkung bekommen, berichtete die Kommandantin der den YPG angeschlossenen Frauenverteidigungseinheiten YPJ in Kobani, Meysa Abdo, gegenüber Firat News. Dabei handele es sich vor allem um ausländische Dschihadisten.“ (Nick Brauns, Angriff aus der Türkei, in: junge Welt vom 1. Dezember 2014, S. 2.)
Wir sehen hier deutlich, wie der türkische Imperialismus über den IS den syrisch-kurdischen Nationalismus schwächt. Doch das hält den türkisch-kurdischen Nationalismus nicht davon ab, auf die starken Flirtsignale Ankaras in dessen Richtung grundsätzlich positiv zu reagieren. Nur einen Tag später konnten wir folgenden Artikel von Nick Brauns darüber in der jungen Welt lesen: „Die Arbeiterpartei Kurdistans und die islamisch-konservativen AKP-Regierung wollen trotz jüngster Spannungen einen neuen Anlauf zur Lösung der kurdischen Frage nehmen. ,Der Zug ist wieder im Gleis‘, kommentierte Vizeministerpräsident Yallcin Acdogan während einer AKP-Versammlung in Kocaeli am Sonntag (30. November 2014) die Wiederaufnahme der Friedensbemühungen.
Eine Delegation von Parlamentariern der links-kurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) hatte am Samstag (29. November 2014) erstmals nach mehreren Wochen wieder den inhaftierten PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali besuchen können. Öcalan habe sich mit Regierungsvertretern auf einen ,Plan für einen Friedens- und demokratischen Verhandlungsprozess‘ geeinigt, der bald der Öffentlichkeit zur Diskussion vorgelegt werde, erklärte die HDP-Delegation am Sonntag (30. November).
Wenn beide Seiten den Prozess ernsthaft betrieben, könnte es eine Regelung innerhalb von fünf Monaten geben, habe sich Öcalan überzeugt gezeigt. Dabei bestünde der PKK-Vorsitzende auf ,rechtliche Garantien‘ für einen solchen Prozess. So sei es sein Fehler gewesen, ohne rechtliche Absicherungen 2009 eine Gruppe von unbewaffneten Guerillakämpfern als vertrauensbildendes Zeichen in die Türkei zurückgeschickt zu haben, übte Öcalan Selbstkritik. Die Gruppe war nach ihrem Grenzübertritt aus dem Irak zwar begeistert empfangen doch später von der Polizei inhaftiert worden.
Notwendig sei zudem ein Komitee zur Überwachung eines ,konsolidierten Waffenstillstandes‘. PKK-Führungskader Cemil Bayik hatte im November (2014) bereits angedeutet, die USA könnten eine solche ,dritte Partei‘ sein – ein Vorschlag, der von Seiten der türkischen Regierung zurückgewiesen wurde. Auch Oppositionsführer Kemal Kihcdaroglu von der kemalistischen Republikanischen Volkspartei (CHP) erklärte, seine Partei stände dafür nicht zur Verfügung. Anstatt hinter verschlossenen Türen mit Öcalan zu verhandeln, müssten die Diskussionen öffentlich im Parlament geführt werden.
Die Friedensgespräche von Geheimdienstvertretern mit Öcalan hatten nach einer Guerillaoffensive im Herbst 2012 begonnen. Zum kurdischen Neujahrsfest Newroz im März 2013 hatte Öcalan die Guerilla zum Verlassen der Türkei aufgerufen, um Raum für eine politische Lösung zu schaffen. Die PKK stoppte ihren Rückzug allerdings nach einem halben Jahr, weil die Regierung laut der Partei die Friedensphase zum Bau zahlreicher neuer Militärstützpunkte auf den von der PKK geräumten Positionen nutzte.
Nach Beginn des von der Türkei logistisch unterstützten Großangriffs des Islamischen Staates (IS) auf die syrisch-kurdische Stadt Kobani hatte die PKK Ende September ihren Waffenstillstand für obsolet erklärt. Die türkische Armee flog ihrerseits einen Luftangriff auf PKK-Stellungen.
Dass es der AKP mit der Fortsetzung des Friedensprozesses um mehr als einen Zeitgewinn vor der Parlamentswahl im Juni geht, darf angesichts ihrer fortdauernden Unterstützung für die IS-Kämpfer, die am Wochenende Kobani von türkischem Territorium aus angreifen konnten, bezweifelt werden. Vielmehr scheint Ankara darauf zu setzen, mit einer Schwächung der kurdischen Selbstverwaltung in Nordsyrien Öcalan zu mehr Kompromissbereitschaft bei den Verhandlungen zu zwingen.
Allerdings räumte selbst ein Kommentator der regierungsnahen Tageszeitung Sabah ein, dass die von der AKP als zentral verstandene Entwaffnung zu einem Zeitpunkt unrealistisch erscheint, an dem Kurden im Nahen Osten anhaltenden Angriffen von Dschihadisten ausgesetzt sind. Gleichzeitig ist eine Rückkehr zum Krieg für die PKK – deren Guerilla heute an mehreren Fronten im Irak und in Syrien gegen den IS kämpft – keine ernsthafte Option. Vielmehr nutzt die PKK die Friedensphase zum Aufbau ziviler Strukturen einschließlich kommunaler Räte und eigener Sicherheitskräfte, die die für ,autonom‘ erklärten Viertel kurdischer Städte schützen.“ (Nick Brauns, „Der Zug ist wieder im Gleis“, in: junge Welt vom 2. Dezember 2014, S. 7.)
Die kommunalen Räte, die Nick Brauns am Ende seines Artikels erwähnt, sind ganz normale kapitalistisch-demokratische Staatsorgane einer kurdisch-nationalen Autonomie innerhalb der Türkei, ihr linken TraumtänzerInnen! Weiter oben im Artikel von Brauns ging auch ganz klar hervor, dass die PKK darauf setzt den US-Imperialismus als Vermittler in das Boot der national-kurdischen Autonomie zu holen, so wie ja auch die PYD in Syrien Teil der von den USA geführten imperialistischen Allianz gegen den IS ist. Und die kleinbürgerliche politische Linke ist in ihrer Funktion als Lautsprecher des kurdischen Nationalismus zumindest indirekt Teil dieser imperialistischen Allianz. Es ist natürlich auch klar, dass der türkische Nationalstaat die Einmischung der USA in innere Angelegenheiten möglichst gering halten will. Es ist aber interessant, das am gleichen Tag, nämlich am 29. November 2014, wo der IS vom türkischen Boden aus gegen den syrisch-kurdischen Nationalismus eine Offensive startete, die türkisch-kurdischen Nationalisten ihr Oberhaupt Öcalan nach mehreren Wochen wieder besuchen durften. Der türkische Staat versuchte hier eindeutig PKK und PYD ein wenig zu spalten. Auch geht aus dem Artikel hervor, dass der türkische Staat immer dann Friedensgespräche mit Öcalan aufnimmt, wenn die PKK gerade in die militärische Offensive geht und das Geplauder mit Öcalan dazu nutzt zur bewaffneten Gegenoffensive überzugehen
Fazit: Die internationalen Beziehungen der Nationalismen sind also sowohl durch Kooperation als auch durch Konkurrenz geprägt, bei denen das Weltproletariat im Frieden und Krieg verheizt wird. Und das funktioniert solange wie sich die ProletarierInnen als „Türken“, „Kurden“, „US-Amerikaner“ „Deutsche“ usw. fühlen und auch so aufspielen und sich nicht als Teile des Weltproletariats begreifen und auch so handeln! Sich als Teil des Weltproletariats zu verstehen und auch so zu handeln ist der höchste Ausdruck des revolutionären Klassenbewusstseins, nur eine kleine Minderheit besitzt es zurzeit. Nur durch eine Verschärfung des Klassenkampfes durch außergewöhnliche Umstände zur sozialen Revolution kann dieses Bewusstsein massenhaft und damit zur materiellen Gewalt werden. Nein, wir proletarische RevolutionärInnen warten nicht passiv auf die Revolution. Wir bereiten sie durch bewusste Teilnahme am reproduktiven Klassenkampf aktiv vor. Genau wie unser sozialrevolutionärer Universalismus, dessen Subjekt das Weltproletariat ist, die globale Zerschlagung aller Nationalismen geistig vorbereitet.
Die kleinbürgerliche politische Linke hilft dagegen den Weltkapitalismus zu reproduzieren, indem sie angeblich „fortschrittliche“ Nationen gegen „reaktionäre“ Nationen verteidigt – ohne begreifen zu wollen, dass alle Nationalismen sozialreaktionär sind. Ihr „Antiimperialismus“ schreckt noch nicht einmal davor zurück, die BRD aufzufordern zugunsten des kurdischen Nationalismus imperialistischen Druck auf die Türkei auszuüben! So stellte die „antiimperialistische“ junge Welt dem uns bereits bekannten kurdischen Linksnationalisten aus München, Mehmet Derik, folgende Frage: „Sollten westliche Regierungen mehr Einfluss auf die Türkei nehmen – und wenn ja, wie?“ Eine sehr verräterische Frage für eine angeblich „antiimperialistische“ Zeitung. Derik gab darauf eine eindeutig proimperialistische Antwort: „USA und Deutschland setzen leider deutlich mehr auf eine strategische Zusammenarbeit der NATO-Partner, zwar spricht man mit der Türkei, schöpft aber seine Einflussmöglichkeiten bei weitem nicht aus. Militärische, politische und ökonomische Zusammenarbeit will der Westen offenbar nicht aufs Spiel setzen. Unsere Hauptforderung ist: Waffenlieferungen in die Türkei, nach Saudi-Arabien, Katar und in den gesamten mittleren Osten sind sofort einzustellen. Das beste Druckmittel aber wäre, in Deutschland das PKK-Verbot aufzuheben, um den Kampf der Kurden zu legitimieren.“ („Den Kampf der Kurden legitimieren“, a.a.O.) Diese „antiimperialistischen“ KleinbürgerInnen kritisieren also nicht die imperialistischen Beziehungen zwischen USA und BRD auf der einen Seite und der Türkei auf der anderen. Nein, sie wünschen sich imperialistischen Druck der USA und der BRD auf die Türkei zugunsten des kurdischen Nationalismus, während wir proletarischen RevolutionärInnen sowohl Kooperation als auch die Konkurrenz der Nationalismen grundsätzlich bekämpfen.
Die kleinbürgerliche politische Linke trifft seit der Eingemeindung des kurdischen Nationalismus durch die imperialistische Allianz gegen den IS, die auch die BRD zur Verstärkung ihres Einflusses im Irak nutzt, auch auf offene Ohren bei einem Teil des politischen und ideologieproduzierenden Personals der Bourgeoisie mit ihrer Forderung das PKK-Verbot aufzuheben, wie folgender Artikel des PKK-nahen Kleinbürgers Nick Brauns deutlich macht: „Mit einer Demonstration wollen linke und kurdische Organisationen am Samstag (den 28. November 2014) in Frankfurt am Main gegen das Verbot der Arbeiterpartei Kurdistans protestieren. Zudem soll Solidarität mit ,Revolution in Rojava‘ bekundet werden, die im Norden Syriens unter der politischen Führung einer Schwesterorganisation der PKK eine auf multiethnischen Volksräten basierenden Selbstveraltungsregion gebildet hat. (Anmerkung von Nelke: Über die prokurdische Nebelproduktion der linken KleinbürgerInnen haben wir weiter oben bereits alles Notwendige geschrieben.) Die Region wird mittlerweile von den dschihadistischen Kämpfern des Islamischen Staates (IS) schwer bedrängt.
Am 26. November 1993 erließ der damalige Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) ein Betätigungsverbot gegen die PKK. ,Die politische Agitation der PKK und ihr nahestehender Organisationen hat zwischenzeitlich ein außenpolitisch nicht mehr vertretbares Ausmaß erreicht‘, wurde das Verbot vom Innenministerium als außenpolitische Rücksichtnahme auf den NATO-Partner Türkei begründet. Nach Angaben der Bundesregierung wurden seit 1996 mehr als 100 Funktionäre der Arbeiterpartei verurteilt, vielfach zu Haftstrafen. Allein in den letzten zehn Jahren sind mehr als 4.500 Strafverfahren mit PKK-Bezug geführt worden, etwa weil Demonstranten den PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan hochleben ließen.
Doch seit diesem Sommer (2014) ist die Debatte um die Aufhebung des PKK-Verbots in der Bundesrepublik neu entfacht. Hintergrund ist der erfolgreiche Widerstand der Guerilla gegen das Vordringen der IS im Nordirak und in Syrien sowie die Rettung zehntausender Jesiden und Angehöriger weiterer religiöser und ethnischer Minderheiten. ,Die PKK gehört zu Deutschland‘ titelte die taz. Vor 20 Jahren hatte es von dem Blatt noch ,linke‘ Flankendeckung für die staatliche Verfolgung der kurdischen Bewegung gegeben. (Anmerkung von Nelke: Die liberalen ÖkoimperialistInnen von der taz haben halt guten Instinkt dafür, welche ausländischen Nationalismen jeweils mit dem inländischen Nationalismus kompatibel sind, also zu Deutschland gehören. Dass kann sich mit der Außenpolitik Deutschlands auch mal schlagartig ändern. Herr Brauns, der linke internationalistische Lautsprecher des kurdischen Nationalismus und natürlich „Antiimperialist“, sitzt im Kampf gegen die IS indirekt auf einmal im selben Boot wie der deutsche Imperialismus. Deshalb kann er auch nur die Anti-PKK-Haltung der liberalen ÖkoimperialistInnen der Vergangenheit kritisieren, aber nicht die Pro-PKK-Haltung der Gegenwart, die diese Leute heute einnehmen. Aus antinational-sozialrevolutionärer Sicht ist sowohl die Anti- als auch die Pro-PKK-Haltung von deutschen NationalistInnen als jeweilige Ausgestaltung des deutschen Imperialismus zu kritisieren. Doch Herr Braus ist ja nur ein armseliger Lautsprecher des kurdischen Nationalismus, der zurzeit mit dem deutschen Imperialismus indirekt in einem Boot sitzt. Und so passt er sich an jene Teile des politischen und ideologieproduzierenden Personals der Bourgeoisie an, um die PKK – diesen sozialreaktionären Verein kurdischer NationalistInnen – in Deutschland wieder zu legalisieren.) SPD-Vize Rolf Mützenich plädierte ebenso wie führende Grünen-Politiker angesichts der laufenden Friedensgespräche zwischen Abdullah Öcalan und der türkischen Regierung für eine Neubewertung der PKK. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Volker Kauder dachte sogar über Waffenlieferungen an die PKK im Kampf gegen den IS nach.
Die Linksfraktion im Bundestag berät derzeit über einen Antrag, mit dem die Bundesregierung aufgefordert werden soll, das PKK-Verbot aufzuheben und sich für eine Streichung der kurdischen Organisation von der EU-Terrorliste einzusetzen. Am Mittwoch beteiligten sich Abgeordnete der Linkspartei zudem am ,öffentlichen Solidaritätsplakatieren‘ von stilisierten PKK-Sternen. Organisiert wurde die Aktion durch ein –vom Studentenverband SDS initiierten –Bündnis. (Anmerkung von Nelke: Diese naive Solidarität linker KleinbürgerInnen mit der PKK ist selbstverständlich sozialreaktionär.)
Vertreter der Friedensbewegung, darunter der Völkerrechtler Norman Paech, Peter Strutinsky vom Bundesausschuss Friedensratschlag und Laura von Wimmersberg von der Berliner Friedenskoordination, haben eine Online-Petition gegen das PKK-Verbot gestartet. Bislang unterzeichneten 5.200 Menschen das Begehren. Auch wird die Aufhebung des PKK-Verbots ein zentrales Thema eines Bündnisses gegen die Herbstkonferenz der Innenminister am 6. Dezember (2014) in Köln sein.
(Anmerkung von Nelke: Die bundesdeutsche Friedensbewegung gibt uns mit ihrer Unterstützung des kurdischen Nationalismus wieder einmal einen sehr guten Einblick in den Charakter des National-Pazifismus und die Wechselwirkung von Krieg und Frieden als besondere Momente der kapitalistischen Entwicklung. Der deutsche Pazifismus unterstützt also den militanten kurdischen Nationalismus, der zurzeit allerdings für einen Frieden mit dem türkischen Staat eintritt – sowohl der Krieg als auch der angestrebte Frieden mit dem türkischen Staat dienen dem Aufbau kurdischer Staatsstrukturen. Zurzeit soll das durch kurdische Autonomie im Rahmen des türkischen Staates verwirklicht werden. Klar, sich aussöhnende Nationalismen sind ein Ideal des Pazifismus. Doch Krieg oder Frieden zwischen den Nationalismen – stets ist der triumphierende Nationalismus Durchsetzungsform des Klassenkrieges von oben, den die Weltbourgeoisie gegen das Weltproletariat führt. Die nationalen Eliten führen die ProletarierInnen im Krieg auf das Schlachtfeld, wo sie sich gegenseitig zum Wohl der jeweiligen Profite und Machtgewinne der herrschenden Klassen gegenseitig massakrieren – und führen sie bei Friedenschluss wieder in die Etappe zurück. Bis zum nächsten Krieg. Der Pazifismus kämpft für Frieden zwischen den Nationalismen – und bereitet dadurch die Kriege zwischen ihnen mit vor. Wer wirklich gegen imperialistische Kriege kämpfen will, muss auch den bürgerlichen Frieden der Nationalismen bekämpfen.)
Das Bundesinnenministerium wehrt sich indes gegen eine Aufhebung des PKK-Verbots. Über 150 Veranstaltungen von Kurden in Deutschland innerhalb weniger Tage nach dem Einmarsch des IS in die syrisch-kurdische Stadt Kobani verliefen nach Angaben des Ministeriums ,überwiegend störungsfrei‘. Für die Behörde ist das ein Beweis, dass die PKK ihre deutsche Anhängerschaft ,in der Hand habe‘. Entsprechend könne die PKK auch nicht störungsfreie Proteste organisieren. Die Beibehaltung des PKK-Verbots sei deshalb ein ,unverzichtbares Regulativ der Gefahrenabwehr‘, so das Innenministerium. Es schätzt das Organisationspotenzial der PKK in Deutschland auf mindestens 50.000 Menschen.
Für das Bundesinnenministerium sind kurdische Kämpfer von IS-Terroristen ohnehin kaum zu unterscheiden. Das Gefährdungspotenzial von gegen den IS kämpfenden Kurden sei ,quantitativ zwar geringer, qualitativ aber nicht anders zu bewerten als das der dschihadistischen Syrien-Kämpfer‘.“ (Nick Brauns, PKK-Verbot auf dem Prüfstand, in: junge Welt vom 27. November 2014, S. 4.)
Es ist völlig logisch, dass die Charaktermasken des deutschen Nationalismus bei der Durchsetzung des staatlichen Gewaltmonopols nicht allzu sehr zwischen den militanten ausländischen Nationalismen unterscheiden. Gewalttätig darf in Deutschland nur der staatliche deutsche Nationalismus sein – einschließlich der V-Leute der Polizei- und Geheimdienste in Naziorganisationen. Ob ausländische Nationalismen in Deutschland friedlich Geld und Waffen für die jeweiligen „Befreiungskriege“ beschaffen dürfen, hängt ganz von den jeweiligen außenpolitischen Interessen des BRD-Imperialismus ab. Wir SozialrevolutionärInnen bekämpfen sowohl den deutschen Staat als auch die PKK als eine nationalistische Organisation grundsätzlich. Wir unterstützen selbstverständlich nicht die staatliche Repression gegen die PKK, aber wir fordern den deutschen Imperialismus auch nicht dazu auf mit dem kurdischen Nationalismus zu kuscheln und den IS zu bekämpfen, wie das die kleinbürgerliche politische Linke zu tun pflegt. Wir bekämpfen den deutschen Staat, die PKK, den IS und die kleinbürgerliche politische Linke als Fraktionen des Weltkapitals kompromisslos und gehen keine Bündnisse mit einer Fraktion gegen die anderen ein.
In folgendem Artikel der jungen Welt wird deutlich wie die linken KleinbürgerInnen grundsätzlich die staatliche Repression gegen den IS unterstützen, allerdings ein wenig an den Details herummäkeln – so wie es sich für gestaltungswillige und konstruktive politische Kräfte eben gehört: „Islamisten, die von Behörden als gewaltbereit eingeschätzt werden, soll in Zukunft bis zu 18 Monate der Personalausweis entzogen werden, um ihre Ausreise in Kampfgebiete wie Syrien und Irak zu verhindern. Dies berichtete die Nachrichtenagentur dpa am Mittwoch (den 26. November 2014) unter Berufung auf einen Gesetzentwurf aus dem Bundesinnenministerium, der ihr vorliege. Verdächtige sollen demnach einen Ersatzausweis bekommen, mit dem sie Deutschland nicht verlassen dürfen. Möglich ist schon jetzt, mutmaßlichen Terroranhängern den Reisepass zu entziehen und eine Ausreise aus Deutschland zu untersagen. Da ein solches Verbot aber nicht im Personalausweis vermerkt ist, können Islamisten auch in diesen Fällen relativ unbehelligt das Land verlassen. Viele reisen so in die Türkei und von dort aus weiter nach Syrien und in den Irak. Das will Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) unterbinden. Er hatte sich bereits im Oktober (2014) mit seinen Amtskollegen aus den Ländern geeinigt, auch das Personalausweisgesetz zu ändern.
Die Länderbehörden sind in der Praxis für den Ausweisentzug zuständig. Im Entwurf des Innenresorts ist nun vorgesehen, dass die Behörden Verdächtigen – also jenen, bei denen die Sicherheitsbehörden Hinweise auf eine anstehende Ausreise haben – zunächst bis zu sechs Monate den Personalausweis entziehen können. Der stattdessen ausgegebene Ersatzausweis kann zweimal verlängert werden, jeweils um maximal sechs Monate. Betroffene sollen für den Ersatzausweis eine Verwaltungsgebühr von zehn Euro zahlen.
Der Gesetzentwurf soll voraussichtlich am 11. Dezember dem Kabinett vorgelegt werden. Die innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, Ulla Jelpke, begrüßte zwar das Anliegen, der Terrororganisation ,Islamischer Staat‘ das Personal zu entziehen. Sie betonte aber, es gehe um Menschen, gegen die noch nichts strafrechtlich Verwertbares vorliege. ,Auf bloßen Verdacht hin den Personalausweis zu entziehen, ist ein schwerer Grundrechtseingriff‘, so Jelpke. ,Unabhängig von der tatsächlichen Gewaltbereitschaft der Betroffenen wirkt ein Ersatzausweis stigmatisierend.‘ Daher müssten effiziente Rechtsmittel gegen den Ausweisentzug möglich sein.“ (Ausweis weg auf Verdacht, in: junge Welt vom 27. November 2014, S. 2.)
Frau Jelpke, die dem linken Flügel der Linkspartei angehört, begrüßt also grundsätzlich – trotz dem Genörgel im Detail – das Anliegen des deutschen Nationalstaates sein Gewaltmonopol gegen ausländische militante IslamistInnen durchzusetzen. Selbstverständlich müssen IslamistInnen überall auf der Welt genau wie christliche FundamentalistInnen bekämpft werden, aber nicht im Schlepptau von Nationalstaaten, die mit ihrer Repression Teil des nationalistischen und religiösen Amoklaufes sind. Die sozialdarwinistisch-nationalistische Repression gegen islamische MigrantInnen stärkt nur den islamistischen Terrorismus. Die religiös-nationalen Chauvinismen reiben sich aneinander und laden sich gegenseitig auf. Unzählige KleinbürgerInnen und ProletarierInnen werden bei dieser reaktionären Symbiose gegeneinander aufgehetzt – zum Wohle des Weiterbestandes des Kapitalismus. Auch aufgeklärte deutsche BildungsbürgerInnen rümpfen über den sexistischen Islam die Nase und denken insgeheim, dass für ihn im aufgeklärten Deutschland kein Platz ist. Im aufgeklärten Deutschland, wo christliche PatriotInnen in Baden-Württemberg Sturm laufen, weil dort in den Schulen über sexuelle Vielfalt gesprochen werden soll. Nein, im aufgeklärten Deutschland, in dem Ende November 2014 das Bundesverfassungsgericht entschied, dass das katholische St.-Vinzenz-Krankenhaus in Düsseldorf einen Chefarzt zu Recht gekündigt hat, da dieser es gewagt hatte nach der Scheidung noch einmal zu heiraten, ist für den rückschrittlichen islamischen Fundamentalismus kein Platz!
Wir sind keine linken KleinbürgerInnen, die die staatliche Repression gegen den Islamismus grundsätzlich richtig finden, aber dann an den notwendigen Details herummäkeln. So möchte Frau Jelpke die staatliche Repression schön mit bürgerlichen Narrenfreiheiten und rechtsstaatlichen Feinheiten garnieren, während wir geistig die Zerschlagung des Staates und damit auch der von ihm gewährten bürgerlichen Freiheit vorbereiten. Ja, wir sind proletarische KlassenfeindInnen der bürgerlichen Freiheit. Diese ist für den proletarischen Menschen eine Doppelte: Er ist frei von Produktionsmitteln und verfügt über eine freie Persönlichkeit. Diese doppelte Freiheit zwingt ihn dazu, seine Arbeitskraft an KleinbürgerInnen, KapitalistInnen, Staaten oder Kirchen zu vermieten. Die MieterInnen der proletarischen und kleinbürgerlichen Arbeitskräfte haben dann die Freiheit im Rahmen der Gesetze über diese zu verfügen. Die katholische Kirche darf zum Beispiel die freien Persönlichkeiten, die ihr ihre Arbeitskraft vermietet haben aber sich nicht an die christliche Moral halten, mit dem Segen des Bundesverfassungsgerichtes wieder dem freien Markt zur Verfügung stellen. Das ist die Freiheit des christlichen Fundamentalismus in Deutschland. Hier wird kein Kalifat zugelassen und auch nicht, dass aus Deutschland Leute ausreisen, die dann im Ausland gegen die jeweiligen Interessen des BRD-Imperialismus verstoßen. Für Feinde der aufgeklärten und modernen deutsch-nationalen Freiheit gibt es keine Freiheit!

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Der IS, der Imperialismus und der kurdische Nationalismus I https://swiderstand.blackblogs.org/2015/01/21/der-is-der-imperialismus-und-der-kurdische-nationalismus-i/ https://swiderstand.blackblogs.org/2015/01/21/der-is-der-imperialismus-und-der-kurdische-nationalismus-i/#comments Wed, 21 Jan 2015 12:55:37 +0000 http://swiderstand.blogsport.de/?p=99 Wir veröffentlichen hier den zweiten Teil des Textes „Der kurdische Nationalismus als ein Feind des Weltproletariats“. Im Artikel werden wir das imperialistische Gerangel und die Zusammenarbeit zwischen den demokratischen Großmächten, ihren Verbündeten in der arabischen Welt, der IS-Terromilliz und den kurdischen NationalistInnen untersuchen. Die Fortsetzung „Der IS, der Imperialismus und der kurdische Nationalismus II“ könnt ihr hier bei Soziale Befreiung weiter lesen.

Shia-Miliz
Kämpfer von schiitischer Mehdi-Miliz während der Militärparade in Sadr-City, Bagdad , 21. Juni 2014. REUTERS

Nachdem wir den kurdischen Nationalismus in der Türkei sowie im Nordirak und in Nordsyrien unter die Lupe genommen haben, wollen wir jetzt dessen Einbindung in die verschiedenen imperialistischen Strategien untersuchen. Unter Imperialismus verstehen wir die ökonomische, politisch-diplomatische und militärische Expansion von Nationalstaaten bzw. Nationalkapitalen. Die internationalen Beziehungen sind nackte Gewaltverhältnisse zwischen den verschiedenen Nationalstaaten und jenen Nationalismen, die noch keinen eigenen Staat hervorgebracht haben. In den ökonomischen, politisch-diplomatischen, ideologischen und militärischen Konkurrenzkämpfen der Nationalismen geht es um Rohstoffquellen, Absatzmärkte, Investitionsstandorte für den Kapitalexport und geostrategische Positionen. Dieser permanente globale Konkurrenzkampf der Nationalismen wird auf Kosten des Weltproletariats geführt, welches durch das Kapital, die Staaten sowie die privatkapitalistischen und staatlichen Medien und Ideologieapparate gespalten und gegeneinander aufgehetzt wird. Das Weltproletariat produziert den Reichtum des Weltkapitalismus und seiner Durchsetzungsformen, die verschiedenen Nationalismen. Es zahlt bereits im ökonomischen Konkurrenzkampf mit seinem Lebensglück, seiner Gesundheit und seinem Leben – zum Wohle der Nationalkapitale.
Wenn der Imperialismus die Expansion der verschiedenen kapitalistischen Nationalismen darstellt, kann wirklicher Antiimperialismus nur antikapitalistisch und antinational sein und sich auf den realen Klassenkampf des Proletariats stützen. Der reale Klassenkampf des Proletariats wird zurzeit noch im Rahmen des Kapitalismus für höhere Löhne und niedrigere Arbeitszeiten bzw. gegen die wachsenden Angriffe des Kapitals geführt, das heißt er ist noch weitgehend reproduktiv. Er reproduziert so das Proletariat und den Kapitalismus auf stets erneuerter Grundlage. Doch dieser reproduktive Klassenkampf hat revolutionäre Tendenzen, wie die Aneignung von kapitalistischen/staatlichen Produkten und Produktionsmitteln und die proletarische Militanz gegen KapitalistInnen, ManagerInnen, PolitikerInnen und privatkapitalistische/staatliche Repressionsapparate. SozialrevolutionärInnen stützen sich auf die revolutionären Tendenzen des reproduktiven Klassenkampfes um diesen zu radikalisieren. Die soziale Revolution kann sich nur aus der gewaltigen Zuspitzung des reproduktiven Klassenkampfes entwickeln. Eine mögliche soziale Weltrevolution kann nur eine permanente Kette der Zerschlagungen von Nationalkapitalen sein, an dessen Ende die globale klassen- und staatenlose Gesellschaft steht. Wirklicher Antiimperialismus kann nur sozialrevolutionär, also antikapitalistisch und antinational, sein!
Dagegen ist der „Antiimperialismus“ der kleinbürgerlichen politischen Linken, der „unterdrückte“ und „fortschrittliche“ Nationalismen gegen den westlichen Imperialismus unterstützt, durch und durch kapitalistisch und sozialreaktionär. Es liegt auf der Hand, dass durch die Einbindung des nordsyrischen und nordirakischen kurdischen Linksnationalismus durch verschiedene imperialistische Staaten auch große Teile der kleinbürgerlichen politischen Linken in Deutschland als Lautsprecher des kurdischen Linksnationalismus mehr oder weniger direkt von dem einheimischen Imperialismus integriert werden konnten.
Diese zumindest indirekte Koalition aus Imperialismus und „Antiimperialismus“ war zu Beginn des BürgerInnenkrieges in Syrien 2011 noch nicht abzusehen. Der westliche Imperialismus unter der Führung der USA, die Türkei, Saudi-Arabien und Katar unterstützten mehr oder weniger islamistische Kräfte gegen das syrische Assad-Regime. Sowohl die bewaffneten Anti-Assad-Kräfte als auch deren regionale und westliche Unterstützer führten auch noch untereinander ökonomische, politisch-diplomatische sowie gar militärische Konkurrenzkämpfe. Der ganz normale Wahnsinn des kapitalistischen Krieges, in dem sich die rationalsten Kalküle zur Vermehrung des Kapitals und die irrrationalsten Ideologien als Rechtfertigung des gegenseitigen Abschlachtens die Hände zum gemeinsamen blutigen Geschäft reichen. Das globale Rüstungskapital freute sich natürlich über den schönen Absatzmarkt Syrien, während einer seiner Kunden, der Islamismus, seine ideologisch-praktische Expansion in der Region durch blutige Orgien feierte. Der Türkei, Saudi-Arabien und Katar ging es um die Stärkung des jeweiligen nationalen Einflusses in der Region – sowohl gegen Syrien als auch gegeneinander. Dem „Westen“ – dieses Zweckbündnis aus den USA und europäischen Nationalstaaten ist natürlich auch durch interne Konkurrenzkämpfe geprägt – ging es um den Sturz des Assad-Regimes und indirekt um eine geostrategische Schwächung von Syriens mächtigsten Verbündeten Russland. Letzteres betreibt in syrischen Tartus einen Marinestützpunkt. Außerdem geht es der Regionalmacht Saudi-Arabien und den Weltgendarmen USA auch um die Schwächung von Syriens regionalen Verbündeten Iran.
Die „antiimperialistische“ kleinbürgerliche politische Linke unterstützte mehr oder weniger direkt das Assad-Regime und mehr oder weniger offen den russischen Imperialismus. Wir SozialrevolutionärInnen bekämpften das Massaker des Weltkapitals am Proletariat in Syrien, zu dessen politischen Fraktionen sowohl das Assad-Regime und dessen Schutzmacht Russland als auch die mehr oder weniger islamistischen Anti-Assad-KämpferInnen sowie deren regionalimperialistischen und westlichen UnterstützerInnen gehörten. Die „antiimperialistische“ kleinbürgerliche politische Linke, welche mehr oder weniger offen das Assad-Regime, den nordsyrisch-kurdischen Linksnationalismus und Russland gegen den westlichen Imperialismus und die Assad-feindlichen Regionalmächte unterstützte, war nichts anderes als eine politische Fraktion des Weltkapitals, welche das Massaker am Proletariat Syriens mitorganisierte! Diesen Standpunkt haben wir klar und deutlich im Text Der westliche Menschenrechts-Imperialismus in Aktion der Broschüre Antinationale Schriften I im April 2014 vertreten.
Nach dem Erscheinen unserer Broschüre dauert das Gemetzel des Weltkapitals an der syrischen und der irakischen Zivilbevölkerung an. Doch es hat eine Verschiebung der kämpfenden Kräfte, also wer auf der Oberfläche gegen wen kämpft, stattgefunden. Eine Anti-Assad Kraft, der „Islamische Staat“ (IS, früher auch ISIL oder ISIS genannt), wurde in der zweiten Hälfte des Jahres 2014 den USA zu mächtig, so dass diese eine mörderische globale Koalition gegen diesen organisierte, in welcher auch der kurdische Nationalismus und über diesen auch große Teile der kleinbürgerlichen politischen Linken mehr oder weniger direkt eigebunden sind.
Schauen wir uns diesen Prozess genauer an. Der IS, welcher von den US-Verbündeten Türkei, Saudi-Arabien und Katar unterstützt wurde, destabilisierte mit seinem kalkuliert-wahnsinnigen Terror nicht nur Teile Syriens, sondern auch den US-Verbündeten Irak. Der IS entstammte dem reaktionären nationalistisch-islamistischen Widerstand gegen die US-Invasion im Irak im Jahre 2003. Er gehörte zuerst zu al-Qaida, sagte sich aber Mitte 2013 von dieser islamistischen Terrororganisation los. Der innere Führungszirkel besteht aus ehemaligen Armee-Offizieren des von dem US-Imperialismus gestürzten Saddam-Hussein-Regimes. Nach militärischen Eroberungen zusammenhängender Gebiete im Nordwesten des Irak und in Ostsyrien gründeten die Islamisten am 29. Juni 2014 einen als Kalifat bezeichneten Staat. Im syrischen BürgerInnenkrieg bekämpft der IS sowohl das Assad-Regime als auch die bewaffnete Opposition der Freien Syrischen Armee (FSA) und die kurdische Minderheit. Die Islamisten des IS finanzieren sich und ihren Terror höchstwahrscheinlich aus Spenden aus Katar, Saudi-Arabien, Kuwait und den Vereinigten Arabischen Emiraten. Zusätzliche Einnahmequellen bilden Rohöl-Verkäufe aus eroberten Ölfeldern, die antiken und islamischen Fundstücke aus Raubgrabungen an archäologischen Fundstellen, der Verkauf von Frauen als „Bräute“, das Erheben von Steuern und Zöllen und das Lösegeld aus Geiselnahmen.
Im Januar 2014 eroberte der IS im Irak die Städte Ramadi und Falludscha. Diese beiden Städte musste er aber bald wieder zugunsten der sunnitischen Stammesführer und der Regionalpolizei räumen. Im Juni 2014 gelang es den Islamisten die zweitgrößte irakische Stadt Mossul zu erobern. Der Aufstieg des IS im Irak hatte sehr viel mit der sektiererisch-ausgrenzenden Politik des schiitischen irakischen Maliki-Regimes gegen die SunnitInnen und der Haltung der bürgerlich-sunnitischen Opposition, die in dem IS ein Bündnispartner bzw. ein kleineres Übel sah, zu tun. Das Maliki-Regime, welches eine Schaukelstuhlpolitik zwischen Iran und den USA betrieb, machte also durch eigenen Terror den IS groß. Lassen wir uns diesen Prozess von Joachim Guillard beschreiben, wobei wir allerdings beachten müssen, dass der Genannte den reaktionären Charakter der bürgerlich-sunnitischen bewaffneten Opposition, welche mehr oder weniger direkt mit dem IS paktiert, stark verharmlost. Guillard schrieb:
„Anfang Juni (2014), so das gängige Bild, fiel der ISIL in den Irak ein und eroberte in einem Blitzkrieg Mossul und weite Teile der mehrheitlich sunnitischen Provinzen Ninive, Salahaddin und Anbar im Norden und Westen des Landes. Nur wenige stellten sich die Frage, wie eine Organisation, deren damalige Stärke auf höchstens zehn- bis fünfzehntausend in Syrien und Irak zusammen geschätzt wurde, alleine die beinahe drei Millionen Einwohner zählende Stadt Mossul einnehmen und anschließend eine Reihe weiterer großer Städte an Euphrat und Tigris besetzen konnte.
Tatsächlich fielen Mossul und viele andere Städte infolge eines von weiten Teilen der Bevölkerung getragenen Aufstands Auch wenn die Initiative vom ISIL ausging, der am 6. Juni mit rund 1.500 Kämpfern westliche Vororte Mossuls angriff, waren es überwiegend lokale Widerstandsgruppen und Stammesmilizen, die innerhalb von drei Tagen die Regierungstruppen mit einer Stärke von 30.000 Mann in die Flucht schlugen. Die Aufständischen in der nordirakischen Stadt gehören zu einer Allianz, die sich zum ,Allgemeinen Militärischen Rat der irakischen Revolutionäre‘ (AMRIR) zusammengeschlossen hat. Er war im Sommer 2013 als Reaktion auf die militärische Niederschlagung von Protestkundgebungen gebildet worden und im Januar 2014 mit seinem ersten Kommuniqué offiziell in Erscheinung getreten.
In ihm vereint sind regionale und städtische Militärräte, die zum Schutz vor Regierungstruppen gebildet wurden, Stammesräte und arabisch-nationalistische, überwiegend sunnitische Widerstandsgruppen, die bis Ende 2011 gegen die (US-)Besatzer gekämpft hatten. Die militärische Führung übernahmen hohe Offiziere der früheren irakischen Armee, die 2003 von den (US-)Besatzern aufgelöst worden war. Die Aufständischen hatten nach Abzug der US-Truppen ihre Aktionen eingestellt und sich über politische Frontorganisationen der Protestbewegung angeschlossen. Nach den Angriffen der Armee auf die Camps letzterer im vergangenen Jahr (2013) griffen sie jedoch erneut zu den Waffen.
Der Fall von Mossul kam daher keineswegs so überraschend, wie es den Berichten westlicher Medien zufolge scheint. Er ist nur der bisherige Höhepunkt eines Aufstands, der sich als Reaktion auf die militärische Niederschlagung einer breiten Protestbewegung entwickelt hatte, die ab Winter 2012/2013 vor allem in den überwiegend sunnitischen Provinzen gegen die sektiererische und repressive Politik des Maliki-Regimes entstanden war.
Die Kritik am autoritären Kurs und der Zorn über das gleichzeitige völlige Versagen von Regierung und Verwaltung bei der Wiederherstellung der Infrastruktur, der staatlichen Dienstleistungen etc. führt im ganzen Land zu regelmäßigen Unruhen. Die mehrheitlich sunnitischen Gebiete sind jedoch doppelt betroffen. Sie bekamen in den letzten Jahren nur sehr geringe Anteile der staatlichen Einnahmen, und deren Bewohner blieben zum großen Teil von Jobs in staatlichen Instituten und Firmen, die im Irak mit Abstand die meisten Stellen bieten, ausgeschlossen.
Trotz der blutigen Repression gegen die Proteste, schon in den ersten Tagen waren mindestens zehn Demonstranten erschossen und über 100 verletzt worden, blieben die Protestaktionen bis Ende April 2013 überwiegend gewaltfrei. Nachdem jedoch Malikis Truppen am 23. April 2013 beim Sturm auf ein Protestcamp in Hawidscha bei Kirkuk das Feuer eröffnet, über 50 Demonstranten getötet und 110 verwundet hatten, griffen viele wieder zu den Waffen.
Auch wenn der Aufstand vorwiegend von Sunniten getragen wird und sich gegen die schiitisch dominierte Regierung richtet, handelt es sich keineswegs um einen konfessionellen Konflikt. Zu Beginn gab es sogar eine sehr breite Unterstützung aus dem Süden. Schiitische Stämme und Organisationen, darunter die Bewegung des prominenten Geistlichen Muqtada Al-Sadr, solidarisierten sich mit der Protestbewegung im Norden. (Anmerkung von Nelke: Auch diese schiitischen Unterstützer der sunnitischen politischen Opposition waren natürlich bürgerlich.) Das änderte sich erst, als der ISIL auf den Plan trat und die sunnitischen Gruppen sich nicht eindeutig von ihm distanzierten. Doch auch noch im Juli (2014) warb mit Ajatollah Mahmud Al-Hassani Al-Sarkhi, ein führender schiitischer Geistlicher, um Unterstützung für den Aufstand der Sunniten, da diese unterdrückt würden. (Anmerkung von Nelke: Selbstverständlich geht es bei der Kooperation und Konkurrenz der bürgerlichen Kräfte im Irak nicht vorwiegend um Religion.)
Andererseits ist das Lager der Aufständischen politisch sehr heterogen. Das Spektrum reicht von sozial fortschrittlich bis zu religiös-konservativen Kräften. Stärker als ihre Gegnerschaft zu den USA ist bei vielen die Feindschaft zum Iran ausgeprägt. Weil der die Schutzmacht Syriens ist, unterstützen die meisten den dortigen Aufstand gegen die Assad-Regierung. Viele erhalten auch Förderung aus dem Ausland, insbesondere aus den benachbarten Golfstaaten, die so – vor allem über Stammesführer – Einfluss auf das Geschehen im Irak nehmen können. (Anmerkung von Nelke: Von ihrem bürgerlichen Klassencharakter her war die gesamte politische sunnitische Opposition objektiv reaktionär, was das Geschreibsel des Herrn Guillard natürlich zu umhüllen versucht. Die kleinbürgerlichen und proletarischen ZivilistInnen im Irak werden durch den Konkurrenzkampf der nationalen und religiös-politischen Fraktionen sowie den sich einmischenden Imperialismen zerrieben. Wobei die bürgerlich-sunnitischen Kräfte die sektiererische Ausgrenzungspolitik und den Terror des Maliki-Regimes nutzten, um auch sunnitische KleinbürgerInnen und ProletarierInnen für sich und ihren Konkurrenzkampf rekrutieren zu können.)
(…) Als Malikis Truppen Ende Dezember 2013 das Protestcamp im Zentrum Falludschas stürmten und erneut ein Blutbad anrichteten, gingen die Einwohner auf die Barrikaden und trieben Armee und Nationalpolizei aus der Stadt. Ein aus Stammesführern, ehemaligen Armee-Offizieren, Geistlichen und anderen führenden Persönlichkeiten gebildeter ,Militärischer Rat‘ übernahm die Kontrolle.
Das weitere Geschehen und die Berichterstattung darüber sind typisch. ISIL-Kämpfer nutzten die Situation, drangen in die Stadt ein und verkündeten in ihrer üblichen Dreistigkeit, sie hätten nun die Kontrolle übernommen. Bilder von ISIL-Fahnen auf einigen Verwaltungsgebäuden gingen um die Welt. Tatsächlich hingen sie nur wenige Minuten. Die lokalen Kräfte trieben wie die transatlantische Denkfabrik International Crisis Group (ICG) ermittelte, die Dschihadisten wieder an den Rand der Stadt zurück. Auch in den folgenden Monaten konnte der ISIL nur von dort aus operieren. Dennoch berichten die Medien seither, Falludscha sei in dessen Hand, Bagdad erhielt internationale Unterstützung für die folgenden Luft- und Artillerieangriffe auf die angebliche ,Terroristenhochburg‘. (Anmerkung von Nelke: Hier idealisiert Guillard die übrige bürgerlich-sunnitische Opposition, die teilweise mit dem IS paktiert und teilweise mit ihm konkurriert.)
Die USA gaben nun Lieferungen von Waffen frei, die seit langem auf Eis lagen, und auch die UN-Mission im Irak stellte sich hinter die Maliki-Regierung, ohne ein einziges Mal mit Vertretern des Militärrates der Stadt zu sprechen. (Anmerkung von Nelke: Hier zeigt sich Guillard als kleinbürgerlicher Pazifist, der den Anspruch der UNO als überparteiisches internationales Schiedsgericht im globalen Gerangel der politischen und nationalen Fraktionen des Weltkapitals zu agieren, um so den „Weltfrieden“ zu dienen, ernst nimmt. In Wirklichkeit wird die UNO von den fünf imperialistischen Atommächten USA, Russland, China, Frankreich und Großbritannien als deren ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates vollständig beherrscht. Auch ist der Frieden der bürgerlichen Kräfte nur eine besondere Form des Klassenkrieges der Bourgeoisie gegen das Proletariat. Das Pack schlägt sich und das Pack verträgt sich – immer auf Kosten des Proletariats. Herr Guillard kritisiert also konstruktiv an der UNO, dass sie nicht mit dem Militärrat von Falludscha gesprochen hat, sondern der Maliki-Regierung grünes Licht zur Bekämpfung der gesamten bewaffneten sunnitischen Opposition – einschließlich des IS – gegeben hat. Wir SozialrevolutionärInnen kritisieren die UNO nicht konstruktiv, sondern bereiten aktiv deren zukünftige Zerschlagung als Ausdruck des Weltkapitalismus vor.) Sie (die UNO) unterstützte die Belagerung Falludschas, obwohl bereits im Januar mindestens 109 Zivilisten durch Artilleriebeschuss getötet und 632 verwundet worden waren.
Die Bürger Falludschas hatten nichts für den ISIL übrig, so die ICG in ihrem Report über die Ereignisse. Aber die fortwährenden Angriffe steigerten Woche für Woche den Hass auf die Zentralregierung und die Armee, während die militärische Stärke der Dschihadisten half, die Attacken der Armee immer wieder zurückzuschlagen. Dies wiederum konnte die Regierung zur Rechtfertigung weiterer Vorstöße nutzen – ein Teufelskreis, so die ICG, aus dem die Stadt in der Folge nicht mehr herauskam. Neben Maliki profitierte davon auch der ISIL, der durch seine Aktivitäten bei der Verteidigung Falludschas erstmals seit 2008 wieder einen gewissen Rückhalt im Land aufbauen konnte. (Anmerkung von Nelke: Herr Guillard stellt hier teilweise indirekt den IS als kleineres Übel dar. Zumindest hat er sehr viel Verständnis für diese Sichtweise der übrigen bewaffneten sunnitischen Opposition Auch mag ein großer Teil der sunnitischen KleinbürgerInnen und ProletarierInnen so denken und handeln – genau wie viele schiitische ZivilistInnen die irakische Regierung und mit dieser verbündeten Schiiten-Milizen als das kleinere Übel betrachten. So wird das Grundübel – das kapitalistische Massaker am Proletariat – ideologisch-praktisch reproduziert. Solange bis sich die objektiven Klasseninteressen des Proletariats im Irak und weltweit auch subjektiv im Bewusstsein niederschlagen und sich die ArbeiterInnen nicht mehr von den Fraktionen des Kapitals gegeneinander missbrauchen lassen. Doch dazu ist eine Zunahme der Klassenkämpfe notwendig, den der imperialistische Krieg zurzeit nicht nur im Irak verhindert. Des Weiteren ist die relative soziale Schwäche des Proletariats im Irak zu nennen, die durch die ökonomische Unterentwicklung Iraks bedingt ist und durch den imperialistischen Krieg als Zerstörungsmittel von Industrie und Infrastruktur weiter verschärft wird. Das ist der Teufelskreislauf, von dem Guillard schreibt, aus klarer proletarischer Klassenperspektive gesehen. Auch vergisst Herr Guillard bei seiner kleinbürgerlichen Beschreibung des Teufelskreislaufes des imperialistischen Krieges zu erwähnen, dass auch das Paktieren der übrigen bewaffneten sunnitischen Opposition mit dem IS den letzteren gestärkt hat.)
Die Bomben auf Falludscha schürten die Wut in allen sunnitischen Provinzen. Massierte Luftangriffe auf Wohnviertel und das Zentralkrankenhaus von Falludscha im Mai (2014) dürften das Fass zum Überlaufen gebracht haben. Die Stämme von Ramadi hatten anfänglich die Präsenz des ISIL in der Stadt und deren Umgebung aktiv bekämpft. Von nun an wurde er für die Mehrheit von ihnen, wie wohl auch für die meisten Sunniten, gegenüber dem Maliki-Regime zum kleineren Übel. Diese Situation nutzte der ISIL für seinen Vorstoß.
Der Aufstand weitete sich in den folgenden Monaten noch erheblich aus. Der größte Teil von Ninive, Salahaddin und Anbar im Norden und Westen des Landes, weite Teile von Kirkuk und einige Gebiete in Diyala und Babylon – nordöstlich bzw. südlich von Bagdad – sind mittlerweile unter der Kontrolle des ISIL und von aufständischen Gruppen. Die Lage ist jedoch sehr unübersichtlich. Auch die wahre Stärke dieser lokalen Gruppen sowie die Machtverteilung und das Ausmaß an Kooperation zwischen ihnen und den Dschihadisten sind schwer einzuschätzen. (…)
Sprecher von AMRIR und Vertreter der zugehörigen Organisationen behaupten beharrlich, die meisten der eroberten Städte und Gebiete würden von ,Revolutionären‘, also von Gruppen ihrer Allianz kontrolliert. Vieles deutet tatsächlich darauf hin, dass die gefürchteten Dschihadisten wie in Mossul auch an anderen Orten zwar die Offensive starteten, selten jedoch die alleinige Kontrolle übernehmen konnten, sondern diese meist mit den in den örtlichen Militär- und Stammesräten zusammengeschlossenen Kräfte teilen oder ihnen ganz überlassen mussten.
Während Bagdad seinen Gegner als enge Allianz zwischen dem ISIL und ,baathistischen Kräften‘ beschreibt, verneinen die meisten oppositionellen Gruppen eine direkte Zusammenarbeit mit den Dschihadisten und sprechen von parallelen, aber unkoordinierten Angriffen auf denselben Feind. ,Wir haben Angst vor ihnen. Sie sind ein Problem. Aber wir müssen Prioritäten setzen‘, so der Sprecher der Vereinigung der muslimischen Gelehrten im Irak, Scheich Baschar Al-Faidhi. Wir werden den ISIL bekämpfen. Nur nicht jetzt‘, versicherte der Stammesführer. Wir kämpfen gegen ein Regime, das von den USA, Iran und selbst Russland gestützt wird. Der Widerstand hat nur wenige Arme und Beine. Sie kämpfen auch gegen meine Feinde. Also warum sollte ich [jetzt] gegen sie kämpfen?“ (Anmerkung von Nelke: Dieses von Guillard in Klammern eingefügte „jetzt“ ist sehr verräterisch. Er dient zur Verharmlosung der bewaffneten sunnitischen Opposition außerhalb des IS.)
Offensichtlich ist der ISIL jedoch wesentlich stärker und sein Herrschaftsbereich größer als es die aufständischen Gruppen glauben machen wollen. (Anmerkung von Nelke: Ach nee, Herr Guillard!) Auch in Mossul ist seine Präsenz offenbar stark genug, um Bevölkerungsgruppen, wie die Christen, zu terrorisieren. Diese waren von der ISIL vor die Wahl gestellt worden, sich dem Dhimma, dem alten Schutzabkommen für Angehörige anderer Religionen unter islamischer Herrschaft, zu unterwerfen, inklusive Bezahlung der früher obligatorischen Kopfsteuer, ,Dschizya‘, oder zum Islam zu konvertieren. Andernfalls bliebe ,ihnen nur noch das Schwert‘. Die anderen Gruppierungen verurteilen zwar dieses und andere verbrecherische Vorgehen, wollten oder konnten dem aber nichts entgegensetzen, da dies die vollständige Vertreibung der ISIL-Einheiten aus Mossul und damit die direkte Konfrontation erfordert hätte.“ (Joachim Guillard, Der endlose Krieg, in: junge Welt vom 16. Dezember 2014, S. 12/13.)
Wie gesagt, Herr Guillard verharmlost stark den reaktionären Charakter der bürgerlich-sunnitischen Opposition außerhalb des IS. Doch in einem Punkt hat er total recht: Nicht nur der IS, sondern auch die mit dem Iran und den USA verbündete irakische Regierung und die von dieser ausgehaltenen schiitischen Milizen sind absolut asoziale Mordbuben und Folterknechte. Besonders hervorzuheben sind hier die vom iranischen Imperialismus gesteuerten Badr-Brigaden. Diese wurden von der Regionalmacht Iran als Miliz des Obersten Rats aufgebaut. Während des irakisch-iranischen Krieges 1980-1988 kämpften die Badr-Brigaden auf Seiten Irans. Nach dem Krieg verübten sie weiter Anschläge im Irak. Nach dem Sturz des Saddam-Hussein-Regimes durch den US-Imperialismus 2003 wurden sie zu einer wegen ihres Terrors gefürchteten Schiiten-Miliz, die unter den SunnitInnen mit tausendfachen Mord und Folter für Angst und Schrecken sorgte. Die Verbindungen der Badr-Brigaden zum Iran sind nach wie vor gut. Es existieren Bilder, die ihren Boss Hadi Al-Amiri zusammen mit dem Kommandeur der iranischen Eliteeinheit Al Quads, Kassim Solemani, im aktuellen Kampfgebiet gegen den IS zeigen.
Guillard schrieb über den Terror der irakischen Regierung und der schiitischen Milizen gegen die sunnitische Zivilbevölkerung: „Der Großteil der Aufmerksamkeit der Welt richte sich auf die Terrormiliz ,Islamischer Staat‘, so Erin Evers, die Irak-Beauftragte von Human Rights Watch, Ende September (2014), ,doch dessen aufsehenerregende Tötungen und Entführungen sind nur ein Teil der Geschichte von abscheulichen Misshandlungen.‘ Dazu gehören auch jene, ,die irakische Zivilisten durch Regierungstruppen und schiitische Milizen erleiden‘. Evers hatte in den Tagen zuvor u. a. Zeugen zur Belagerung von Latifya angehört, einer mehrheitlich sunnitischen Stadt im so genannten ,Bagdad-Gürtel‘, deren Bevölkerungszahl infolge der Angriffe der berüchtigten 17. Division und der Milizen, die unter der Kontrolle des Expremiers Nuri Al-Maliki stehen, in den Wochen bis September (2014) von 200.000 auf 50.000 schrumpfte. Dutzende Bürger der Stadt waren entführt und ermordet worden. Anwohner berichten von Exekutionen auf offener Straße, nur wenige Meter von Polizeiposten entfernt. Am 11. Juni (2014) verschleppten Milizionäre 137 Männer von einem Markt der Stadt. Die Leichen von 30 der Entführten wurden gefunden, von den übrigen fehlt jede Spur.
Auch die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) dokumentiert in ihrem im Oktober (2014) vorgestellten 28seitigen Report ,Absolute impunity – Militia rule in Iraq‘ (Völlige Straffreiheit – Die Rolle der Milizen im Irak) Dutzende Fälle von Verschleppungen und Exekutionen durch schiitische Milizen in Bagdad, Samarra, Kirkuk und vielen anderen Städten im ganzen Land. Allein in Samarra wurden dem Report zufolge seit Anfang Juni (2014) 170 junge sunnitische Männer entführt. Dutzende von ihnen wurden später tot aufgefunden, auch hier werden die anderen nach wie vor vermisst. Zum Teil wurden sie wegen des Verdachts der Unterstützung oder der heimlichen Sympathie für den ISIL ermordet, teils als Vergeltung für ISIL-Angriffe.
Die Macht der schiitischen Milizen, die z. T. auch vom Iran militärisch unterstützt werden, wuchs ab Juni dieses Jahres (2014) massiv, nachdem sich die regulären Streitkräfte als wenig schlagkräftig erwiesen hatten. Sie werden, so Amnesty, ,oft von der irakischen Regierung bewaffnet und unterstützt‘ und arbeiten bei ihren Aktionen in ,unterschiedlichem Maß mit Regierungskräften‘ zusammen. Sie tragen Uniform, operieren aber völlig außerhalb des Gesetzes. Infolge der Förderung dieser Milizen durch die Regierung hat sich, so die Organisation, die Spirale konfessioneller Gewalt, ausgeübt von sunnitischen und schiitischen Extremisten, auf ein Niveau geschraubt, wie es seit den schlimmsten Tagen zwischen 2006 bis 2007 nicht mehr registriert wurde. ,Indem sie den Milizen ihren Segen gibt, die routinemäßig solche fürchterlichen Gewaltakte begehen, unterstützt die Regierung Kriegsverbrechen und setzt einen gefährlichen Prozess religiös motivierter Gewalt in Gang, der das Land zerreißt‘, erklärte Donatella Rovera, Krisenbeauftragte von Amnesty International, bei der Vorstellung des Berichts.
Mehrere schiitische Milizen, darunter die berüchtigten Badr-Brigaden kämpfen auch gemeinsam mit kurdischen Peschmerga im Nordosten des Landes gegen den ISIL. Dabei kommt es nicht nur, wie die UNO berichtet, häufig zu Racheakten an Sunniten. ,Marodierende regierungsnahe Milizen nutzen den Kampf gegen den ,Islamischen Staat‘ als Vorwand, um sunnitische Gemeinden quer durchs Land zu zerstören‘, schreibt das renommierte US-Magazin Foreign Policy Anfang November (2014). Sie hindern sunnitische Familien, in ihre zeitweilig vom ISIL besetzten Städte und Dörfer zurückzukehren. Häufig kommt es auch zu Brandschatzungen, z. T. werden ganze Dörfer niedergebrannt. Ein Video zeigt, wie schiitische Kämpfer einen Mann köpfen, der der Kollaboration mit dem ISIL beschuldigt wurde.
Die Badr-Brigaden, die seit 2005 Teil der Regierungskoalition sind und auch unter dem neuen Regierungschef (Haider Al Abadi, Anmerkung von Nelke) den Innenminister stellen, machen sich nicht die Mühe, ihr Vorgehen zu verschleiern. ,Die schiitischen Gotteskrieger haben das Recht, das Leben und das Eigentum der sunnitischen Araber zu nehmen, die an der Seite des ISIL kämpfen‘, so der Kommandeur einer Badr-Einheit, die in der Nähe von Kirkuk operiert. Als Mitkämpfer gilt dabei jeder, der nicht vor dem ,Islamischen Staat‘ floh. ,Wir glauben, dass alle, die unter IS-Kontrolle lebten, ISIL-Mitglieder sind. Es gibt keine Unparteiischen unter der Autorität von ISIL‘, zitiert ihn das kurdische Nachrichtenportal RudawAnfang Oktober (2014).“ (Joachim Guillard, Gedungene Mörder, in: junge Welt vom 17. Dezember 2014, S. 12.)
Auch der irakisch-kurdische Nationalismus kämpft gegen den IS. Ende Juli 2014 zog sich die bewaffnete Einheit des irakisch-kurdischen Nationalismus, die Peschmerga, nach heftigen Kämpfen, bei denen 77 ihrer Kämpfer den Tod fanden, nördlich und westlich von Mossul zurück, wo sie ursprünglich stationiert waren. Dadurch waren die Jesiden, eine zumeist nordkurdisch sprechende religiöse Minderheit, dem Terror des IS ausgesetzt. Das ist ja das Dilemma des Machtmonopols der staatlichen und quasistaatlichen Nationalismen: die unbewaffnete Wehrlosigkeit der kleinbürgerlichen und proletarischen ZivilistInnen. Diese Wehrlosigkeit der zivilen KleinbürgerInnen und ProletarierInnen gegenüber „fremden“ Nationalismen dient der propagandistischen Aufrüstung der jeweils „eigenen“ Nationalismen. Doch für die jeweils „eigenen“ Nationalismen sind die ZivilistInnen jedoch auch nichts weiter als Berufungsobjekte, Manövriermasse und Kanonenfutter. Die Flucht der Peschmerga diente der PKK und der YPG, die bewaffnete Einheit des syrisch-kurdischen Nationalismus, die Peschmerga zu diskreditieren und sich als die wahren Beschützerinnen des kurdischen Volkes aufzuspielen. Die Jesiden bildeten am 30. Juli 2014 selbst die Bürgerwehr YBS, um gegen den IS zu kämpfen.
Das prowestliche Wikipedia schrieb über den IS-Terror gegen die Jesiden im August 2014: „Der irakische Minister für Menschenrechte, Schia al Sudani, berichtete von 500 durch IS-Anhänger getöteten Jesiden, einige davon seien lebendig begraben worden. Zudem seien hunderte Frauen gekidnappt worden, die alle unter 35 Jahre alt seien und in Schulen in der Stadt Mossul eingesperrt sein sollen, so ein Sprecher des Ministers. Die jesidische Parlamentsabgeordnete Wian Dachil gab an, dass 20.000–30.000 Jesiden durch kurdische Peschmerga-Kämpfer aus dem Sindschar-Gebirge gerettet wurden. Nach Angaben vertriebener Jesiden erfolgte die Rettung nicht durch die Peschmerga, sondern durch Kämpfer der Partei der Demokratischen Union (PYD) und der Volksverteidigungseinheiten (YPK), die beide der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) nahestehen. Die UN berichtete von mehreren weiteren tausend Jesiden, die im Gebirge festsäßen und vom IS eingeschlossen seien. Qasim Şeşo hatte am 30. Juli eine jesidische Bürgerwehr (YBŞ) gegründet, um auf den Extremfall vorbereitet zu sein. Diese Bürgerwehr bezog Stellung im Sindschar-Gebirge, um die Pilgerstätte Sherfedin zu schützen und gegen den IS zu kämpfen. Im Ort Tel Kudscho starben mindestens 80 Männer, laut der kurdischen Nachrichtenagentur Basnews, weil sie nicht zum Islam übertreten wollten.“ (http://de.wikipedia.org/wiki/Islamischer_Staat_%28Organisation%29)
Der pro-syrisch-kurdische junge-Welt-Autor Nick Brauns schrieb Anfang August 2014 über das Verhältnis zwischen der irakisch-kurdischen Peschmerga, den syrisch-kurdischen YPG und den Jesiden: „Die Dschihadisten der Gruppe ,Islamischer Staat‘ (IS) haben in den vergangenen Tagen mehrere kurdische Städte im Irak erobert. Während kurdische Peschmergakämpfer in diesen außerhalb des kurdischen Autonomiegebietes gelegenen ,umstrittenen Gebieten‘ vor den Gotteskriegern kapitulierten, griffen Volksverteidigungseinheiten (YPG) aus dem kurdischen Selbstverwaltungsgebiet Rojava in Nordsyrien zum Schutz der Zivilbevölkerung im Nachbarland ein. (Anmerkung von Nelke: Hier produziert der pro-syrisch-kurdische Nick Brauns wieder reichlichen ideologischen Nebel. Formulieren wir deshalb den letzten Satz um: Die syrisch-kurdischen YPG nutzten als bewaffnete Einheiten des kurdischen Unterstaates Rojava innerhalb des Nationalstaates Syrien den Umstand aus, dass sich die irakisch-kurdische Peschmerga vom Acker machte, um sich auch im Irak als Schutzmacht des „kurdischen Volkes“ gegen den IS aufzuspielen.)
Am Wochenende (2./3. August 2014) eroberte IS große Gebiete nördlich und westlich von Mossul einschließlich der Städte Sengal (Sindschar) und Sumar. Auch der größte Staudamm des Irak 40 Kilometer nordwestlich von Mossul am Tigris fiel nach einem Ultimatum an die Peschmerga kampflos an die Dschihadisten, die zudem zwei weitere Ölfelder besetzten. Sengal ist das wichtigste Siedlungsgebiet ezitischer Kurden (Jesiden), deren 4000 Jahre alte monotheistische Religion, dort ihren Ursprung hat. Für die Dschihadisten gelten die Eziten (Jesiden) als ,Teufelsanbeter‘, deren Ermordung sie für legitim halten.
Der Vormarsch des IS in das Stadtzentrum von Sengal löste eine Massenflucht aus. Insgesamt sind in der Region UN-Angaben zufolge in den vergangenen Tagen 200 000 Menschen geflohen. Der Sonderbeauftragte der Vereinten Nationen für den Irak, Nikolaj Mladenov, warnt vor einer ,humanitären Tragödie‘. Die vom IS in den Sengal-Bergen eingeschlossenen Flüchtlinge bräuchten Nahrungsmittel, Wasser und Medikamente. Der Zentralrat der Yeziden (Jesiden) in Deutschland warnte am Montag in einer Presseerklärung vor einem drohenden Völkermord. Aus verschiedenen Dörfern würden Massaker berichtet, in der Stadt Sengal seien 30 Männer hingerichtet worden. Zahlreiche Menschen seien zudem auf der Flucht in die kahlen Berge verdurstet.
Mit der Einnahme der an Syrien grenzenden Region wollen die Dschihadisten einen durchgehenden Korridor kontrollieren. Die in Sengal stationierten Peschmerga der Demokratischen Partei Kurdistans (KDP) des kurdischen Präsidenten Masud Barsani waren vor dem Ansturm der Gotteskrieger in die Berge oder über die syrische Grenze nach Rojava geflohen. Angesichts des in westlichen Medien verbreiteten Bildes der Peschmerga – der Name bedeutet ,Die dem Tod ins Auge sehen‘ – als kampferprobter Eliteeinheit mag dieser Zusammenbruch der kurdischen Verteidigung erstaunen. Doch bei den heutigen Peschmerga handelt es sich nicht mehr um die heroischen Bergkrieger, die sich einen jahrzehntelangen Partisanenkampf mit der Bagdader Zentralregierung lieferten, sondern um Söldnertruppen der Regierungsparteien KDP und Patriotische Union Kurdistans (PUK), die zudem kaum über schwere Waffen verfügen. (Anmerkung von Nelke: Es ist ein alter Trick der marxistisch-leninistischen IdeologInnen die angeblich heroische Kampfzeit von „unterdrückten Nationen“, die sich noch keinen eigenen Staat geschaffen haben, dem späteren Nationalstaat oder national-autonomen Unterstaat in bestehenden Nationalstaaten gegenüberzustellen. Doch die nationale Befreiung – der Weg – dient der Neugründung eines Nationalstaates bzw. einer nationalen Autonomie innerhalb eines Staates als dessen Ziel. Dass erreichte Ergebnis dem Weg gegenüberzustellen ist ein Trick des Marxismus-Leninismus, um zuerst die „nationale Befreiung“ hochzujubeln und sich dann später gegebenenfalls von dessen Ergebnis distanzieren zu können. Doch die „nationale Befreiung“ war, ist und bleibt sozialreaktionär! Das kann auch der miese Trick von Nick Brauns, die angeblich „heroisch“ kämpfenden Peschmerga der kurdisch-nationalen Befreiung den heutigen „feigen“ Peschmerga als bewaffnete Formation des irakisch-kurdischen Autonomiegebietes nicht vertuschen.) Bislang hatten die USA Forderungen ihrer kurdischen Schützlinge nach schweren Waffen stets zurückgewiesen, damit diese keine Alleingänge bei der Ausrufung eines unabhängigen Kurdenstaates wagen. Während die US-Regierung jetzt über Militärhilfe für die Peschmerga berät, wurden Informationen aus Erbil zufolge am Wochenende bereits schwere Waffen unbekannter Herkunft am Flughafen der Hauptstadt der Autonomen Region entladen.
Nachdem die Peschmerga die Zivilbevölkerung von Sengal schutzlos ließen, überquerte am Sonntag (3. August 2014) eine größere Einheit der Volksverteidigungseinheiten (YPG) aus Rojava die Grenze. Im Verbund mit jungen Eziden (Jesiden) lieferten sie sich auch am Montag (4. August 2014) schwere Gefechte mit IS-Kämpfern. Zu Kämpfen kommt es auch um den von der YPG kontrollierten syrisch-irakischen Grenzübergang Til Kocer, über den eine Verbindungsstraße nach Mossul verläuft. Nachdem 400 dort stationierte Peschmerga nach Rojava geflohen waren, überquerten YPG die Grenze, um an der Seite eines gegen die Weisung seiner militärischen Leitung in der irakischen Grenzstadt Rabiah verbliebenen Peschmergabatalions gegen IS-Milizen zu kämpfen. Die hochmotivierten YPG scheinen derzeit die einzige Kraft zu sein, die sich dem Ansturm der Dschihadisten erfolgreich entgegenstellt.“ (Nick Brauns, Kaum noch Schutz, in: junge Welt vom 5. August 2014, S. 7.)
Na, Herr Brauns, wie gefällt ihnen der Job als Lautsprecher des syrisch-kurdischen Nationalismus?! Wir halten demgegenüber fest: Die KleinbürgerInnen und ProletarierInnen im Irak und in Syrien werden zwischen den verschiedenen Nationalismen – darunter auch dem kurdischen – und Imperialismen, also vom Weltkapital, blutig verheizt. Da gibt es keine Guten und keine Bösen. Zu dieser Zeit spielte die junge Welt noch den politischen Unterschied zwischen dem irakisch-kurdischen und den syrisch-kurdischen Nationalismus aus, was allerdings später nach deren Vereinigung innerhalb der imperialistischen Allianz gegen den IS unter der Führung der USA nicht mehr möglich war, wie wir weiter unten noch ausführen werden. Allerdings war vor dieser Vereinigung das Verhältnis zwischen irakisch-kurdischen und syrisch-kurdischen Nationalismus stark von Konkurrenz geprägt. Das irakisch-kurdische Autonomiegebiet, das nach einigen Anfangsschwierigkeiten über gute Beziehungen zur Regionalmacht Türkei verfügt, half der letztgenannten dabei, durch ein Embargo eine Blockade gegen Rojava zu verhängen. Zwar gibt es in Rojava politisch konservative Parteien, die dem irakisch-kurdischen Nationalismus nahestehen, doch die sind relativ einflusslos. Sie boykottierten die unterstaatlichen Strukturen und warfen der regierenden Partei der Demokratischen Union (PYD) die Errichtung einer Einparteiendiktatur vor. Doch wie schon gesagt, Peschmerga und YPG vereinigten sich später innerhalb der von den USA geführten imperialistischen Allianz gegen den IS.
Dem US-Imperialismus, der im eigenen Interesse seine Schergen selbst foltern und morden lässt, störte weniger der Terror des IS, als dass dieser sich zunehmend außerhalb seiner geopolitischen Interessen austobte. Auch die IS-Kontrolle von Öl-Quellen und Raffinerien kann den USA nicht Recht sein. Außerdem wollte der US-Imperialismus durch sein Eingreifen verhindern, dass der iranische Einfluss auf das irakische Regime noch großer wurde. Durch die imperialistische Allianz gegen den IS ist auch der Einfluss der USA im Irak wieder merklich gewachsen. Es gab also gute Gründe für den Weltgendarmen im Irak und Syrien gegen den IS einzugreifen. Ab dem 8. August begann der US-Imperialismus den IS im Irak aus der Luft zu bombardieren. Am 23. September 2014 begannen die USA auch in Syrien den IS aus der Luft anzugreifen. Auch die US-Verbündeten in der Region und Teil der imperialistischen Allianz gegen den IS, Saudi-Arabien, Bahrain, Katar, Jordanien und die Vereinigten Arabischen Emirate waren an der Ausweitung des Krieges auf Syrien beteiligt. Dabei gingen die USA ein objektiv-indirektes Bündnis mit dem syrischen Assad-Regime ein, dass vor den Luftangriffen zwar nicht gefragt aber zumindest informiert wurde. Offiziell hielten die USA am strategischen Ziel des Sturzes des Assad-Regimes fest, aber die Bekämpfung des IS erhielt jetzt Vorrang. Der russische Verbündete Syriens verurteilte die Luftangriffe als völkerrechtswidrig und als Verletzung der syrischen Souveränität. Der russische Imperialismus benutzte in seiner Konkurrenz mit den USA in und um Syrien propagandistisch das Völkerrecht und dessen Schutz der territorialen Souveränität der Nationalstaaten, genauso wie er es bei der imperialistischen Annexion der Krim im Frühjahr 2014 ignorierte. Aber so ist das halt generell mit dem Völkerrecht, es wird von bestimmten Imperialismen benutzt, wenn es propagandistisch gegen andere konkurrierende Imperialismen in Stellung gebracht werden kann und es wird weitgehend ignoriert wenn es die Entfaltung und Ausdehnung der eigenen nationalen Macht behindert. Das Völkerrecht ist eine schwache internationale Justiz von konkurrierenden Nationalismen, deren strukturelle Verkörperung das internationale Schiedsgericht UNO ist. Auch die UNO ist von den stärksten imperialistischen Mächten, die über Atomwaffen verfügen, beherrscht. Das Völkerrecht hat noch nie einen imperialistischen Krieg verhindert, aber mit dessen Durchsetzung wurden Kriege schon propagandistisch begründet. Zum Beispiel führte der US-Imperialismus in den frühen 1950er Jahre seinen Korea-Krieg unter der Flagge der UNO. Für linke PazifistInnen stellt das Völkerrecht ein großes Ideal dar, während wir SozialrevolutionärInnen es als einen juristischen Ausdruck des Weltkapitalismus bekämpfen.

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